Carlos Watzka Sozialstruktur und Suizid in Österreich
Carlos Watzka
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Carlos Watzka Sozialstruktur und Suizid in Österreich
Carlos Watzka
Sozialstruktur und Suizid in Österreich Ergebnisse einer epidemiologischen Studie für das Land Steiermark
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gedruckt mit Unterstützung des Landes Steiermark.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Monika Mülhausen / Bettina Endres Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15669-9
Into this world we are thrown, like a dog without a bone, like an actor all alone.
Jim Morrison, Riders on the Storm
Ich m6chte nicht bestreiten, daft Situationen vorstellbar sind, die Selbstmord verstdndlich, j a berechtigt erscheinen lassen, und ich m6chte auch nicht das Recht a u f Selbstmord in A brede stellen. A ber der Mensch hat auch ein Recht darauf daft, wenn er in kritische Situatiohen, in Not kommt, Menschen da sind [...], die bereit sind, ihm die H a n d zu reichen und ihm zu helfen. [...] dieses Recht scheint mir unsere Pflicht zu sein.
Erwin Ringel, Vorwort zur Neuauflage von ,,Der Selbstmord" (1983)
Suizidales Verhalten [...] ist eine Tatsache des Lebens und darf weder verherrlicht, ignoriert, stigmatisiert noch unterschdtzt werden. Jeder von uns ist ein potentielles Opfer, entweder direkt oder indirekt durch Kontakt zu einem Menschen, der einen Suizid versucht oder begangen hat. [...] Nur allzu leicht verschwinden unangenehme Probleme wie der Suizid aus dem Gesichtsfeld; doch solange der Einzelne und die Gesellschafi insgesamt sich so verhalten, ist es schwierig, einen eindeutigen Kurs zur Prdvention einzuschlagen.
Kelleher et al., Suizid (Handbuchartikel in ,,Psychiatrie der Gegenwart")
Vorwort
Als ich im Frahling 2005 seitens der Steiermfirkischen Landesregierung mit der Durchfahrung der vorliegenden Studie beauftragt wurde, empfand ich groge Dankbarkeit far die damit gebotene M0glichkeit, dem Problem des Suizids unter einem spezifischen Bezug auf die 6sterreichische Gesellschaft, sowie insbesondere auf das Bundesland Steiermark, eingehend und in 0ffentlichem Auftrag nachgehen zu k0nnen. Die Ursache far die Notwendigkeit einer solchen Smdie resultierte aus dem Umstand, dass die Steiermark, gemeinsam mit den Bundeslfindem Salzburg und Kfimten, jahrzehntelang die traurigen ,,Spitzenplfitze" hinsichtlich der Suizidhfiufigkeiten innerhalb Osterreichs innehatte - und damit zugleich auch im internationalen Vergleich, weist doch die Republik Osterreich ihrerseits seit Jahrzehnten eine der h0chsten Suizidraten innerhalb des westlichen Europas auf. Zwar sind in einer erfreulichen - bislang in ihren Ursachen aber kaum erfassten - Entwicklung die Suizidhfiufigkeiten - in Osterreich insgesamt und auch in der Steiermark - seit den 1990er Jahren im Rackgang befindlich, dennoch sind es Jahr ft~r Jahr immer noch erschreckend viele Menschen, die ihrem Leben vorsfitzlich selbst ein Ende setzen. In den Jahren von 2001 bis 2004 war etwa jeder 50. Todesfall in Osterreich ein so genannter ,,Selbstmord" (Suizid), in der Steiermark gar jeder 44. Insgesamt t0teten sich in den 35 Jahren von 1970 bis 2004 mehr als 62.500 Osterreicher und Osterreicherinnen selbst, das sind etwa 0,8 % der Bev01kerung; innerhalb der Steiermark waren es mehr als 11.100, etwa 0,9 % - also nahe jeder 100. Einwohner! Es bestand also Anlass genug, dieser brisanten, bedrt~ckenden und auch eher schwierig zu erforschenden Thematik in einer sozialwissenschaftlichen, epidemiologisch-statistisch orientierten Studie ausfahrlich nachzugehen. Die vorliegende Studie widmet sich dabei vorrangig dem innerOsterreichischen Vergleich, also der Frage, warum in bestimmten Regionen Osterreichs langfristig signifikant h0here Hfiufigkeiten yon Selbstt0mngen - bezogen auf die jeweilige Einwohnerzahl - festzustellen sind, als in anderen. Die h0chst wichtige Frage, warum sich Osterreicher generell im Vergleich zu Bewohnern west- und sadeuropfiischer Staaten hfiufiger selbst t0ten, ist damit zugleich auch angesprochen; systematisch konnte ihr der Autor in dieser Studie aber nicht nachgehen, sodass zu hoffen ist, dass kanftige Forschungen hierzu nfihere Aufschlt~sse liefern werden. Diese massten wohl stark auf gesamtgesellschaftlich wirksame, kulturelle Muster abzielen, welche den Mentalitfiten der Osterreicherinnen und Osterreicher augenscheinlich andere Gestalten verleihen als jenen der Bewohner anderer Staaten. In der vorliegenden Arbeit geht es dagegen wesentlich darum, nachzuvollziehen, welche Personenkategorien innerhalb der 0sterreichischen Gesellschaft besonders suizidgefahrdet sind. So soll eine soziologische Erklfirung der angesprochenen, regionalen Differenzen der Suizidraten versucht werden. Diese Untersuchung von ,,Risikogruppen" im spezifischen Kontext der 0sterreichischen Gesellschaft kann dabei vielleicht aber auch Ansatzpunkte zur weiteren Besch~ftigung mit dem Phfinomen der hohen Suizidalit~t Osterreichs im internationalen Vergleich liefern.
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Vorwort
Eine einfache und eindeutige Erklarung fiir die besonders hohen Suizidraten im Bundesland Steiermark, welche den Ausgangspunkt meiner Beschfiftigung mit der SuizidThematik bildeten, lieB sich in der vorliegenden Studie nicht finden; wohl aber lassen sich etliche soziale, tells auch Okologische Faktoren benennen, die wahrscheinlich in Kombination miteinander wesentlich zu diesem Phfinomen beitragen. Wenn in der vorliegenden Studie schon von ihrer Anlage als quantitative Untersuchung keinesfalls individuelle Suizidf~ille in ihrer Genese auch nur ann~ihrend erkl~irt werden k{Snnen, so hoffe ich doch, darin auch typische Gef~ihrdungslagen herausgearbeitet zu haben, deren Kenntnis far eine gezieltere Suizidpdivention nutzbringend sein kann. Die Notwendigkeit, bei der Durchftihrung der Studie mit zahlreicher verschiedenen Institutionen des Sicherheits- und Gesundheitswesens zu kooperieren, brachte es mit sich, dass dieselbe, obwohl eigentlich nur auf ein Jahr projektiert und im Frahjahr 2006 grogteils abgeschlossen, erst Anfang 2007 definitiv fertig gestellt und nach Vorliegen der erforderlichen Genehmigungen als RSrmlicher Endbericht der Steiermfirkischen Landesregierung pr~isentiert werden konnte. Erfreulicherweise konnte die beabsichtige Publikation anschlieBend rasch umgesetzt werden, sodass nunmehr ein auch in seinen Datengrundlagen noch aktuelles Werk zur Epidemiologie des Suizids in Osterreich insgesamt und in der Steiermark im Besonderen vorgelegt werden kann. An dieser Stelle ist noch Dank zu sagen: zuallererst dem Steirischen Landtag und der Steiermfirkischen Landesregierung far die Beauftragung mit der Durchfahrung der dieser Publikation zugrunde liegenden Studie, die ohne einen ,,amtlichen" Charakter in dieser Form nicht h~tte zustande kommen k6nnen. Mein Dank gilt hierbei dem for Gesundheit zust~ndigen Landesrat, Herrn Mag. Helmut Hirt, und seinem Vorg~inger, Herrn Mag. Wolfgang Erlitz, deren Mitarbeitern Herrn Mag. Bengt Pirker und Frau Mag. Sandra Zettinig, dem Leiter der Fachabteilung 8B - Gesundheitswesen, Herrn Sanitfitsdirektor Dr. Odo Feenstra, sowie ganz besonders Frau DDr. Susanna Krainz, der Psychiatriekoordinatorin des Landes Steiermark, die sich sehr far die Realisierung der projektierten Untersuchung als wissenschaftliche Studie im amtlichen Auftrag einsetzte, und meine Arbeit daran - wie auch ihre Mitarbeiterin Frau Sabine Kern - vom Beginn bis zum Abschluss sehr hilfreich begleitete. Ebenso danke ich den Vertretem der Fachabteilung 1C - Landesstatistik der Steiermfirkischen Landesregierung, namentlich dem Leiter Herrn DI Martin Mayer, seinem Vorgfinger Herrn Hofrat Dr. Ernst Burger, sowie Frau DI Dr. Sigrid Kern, for die Zurverffgungstellung yon anonymisierten Daten fiber Suizidfetlle aus der amtlichen Todesursachenstatistik far Steiermark. Welters bin ich den steierm~rkischen SicherheitsbehOrden zu groBem Dank verpflichtet, d i e - unter berechtigtem Bedacht auf die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften, ansonsten aber vorbehaltlos und interessiert - meine Arbeit unterstatzten. In diesem Zusammenhang mBchte ich herzlich danken: Herrn Oberst August Feyerer von der Stabsstelle des Landespolizeikommandos Steiermark und seinen Mitarbeitem Herrn AI Rainer Psenicnik, Herrn CI Peter Wlasics und Frau VB Manuela Wagner, Herrn Landtagsabgeordneten CI Eduard Hamedl, dem Krisenexperten des Stadtpolizeikommandos Graz, dem Leiter des Landeskriminalamts, Herrn CI Anton Kiesl, dem ehemaligen Leiter der Kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Graz, Herrn Hofrat Mag. Anton Lehr, sowie Herrn OI Siegfried K~Sppel vom Kriminalreferat des Stadtpolizeikommandos Graz, der mich zu Beginn meiner Forschungst~itigkeit in den sachgerechten Umgang mit den polizeilichen Akten zu Suizidf~illen eingeffhrt hat und Frau VB Brigitte Bretterklieber, damals
Vorwort
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administrative Mitarbeiterin im Kriminalreferat der BPD Graz. Weiters danke ich aufrichtig allen Bezirkspolizeikommandanten und Mitarbeitem der Polizeibeh0rden in der Steiermark, die dutch die ZurverfOgungstellung von Informationen zum Gelingen der Erhebungsarbeiten beigetragen haben. GleichermaBen gilt mein Dank all jenen Bezirkshauptleuten und Mitarbeitem der Bezirkshauptmannschaften und politischen Exposimren, die mein Anliegen unterstOtzten und gegebenenfalls Zugang zu relevantem Aktenmaterial gewfihrten. Weiteren Dank schulde ich den in der Steiermark tfitigen Institutionen des Sozialversicherungswesens, die ebenso wesentliche Informationen zu Suizidf~illen zur Ver~gung gestellt haben. Hierbei gilt mein Dank zuallererst der Steiermfirkischen Gebietskrankenkasse, namentlich deren Obmann Hewn Josef Pesserl, Herrn Mag. Jochen Ruprechter, sowie insbesondere Herin Abteilungsleiter Johannes Perschthaller, der meine Anliegen kompetent und mit grof3em Interesse an der Sache betreut hat. Ebenso freundlich und kompetent unterstOtzten mich seitens der Pensionsversicherungsanstalt Herr Direktor Josef Radl und seine Mitarbeiterin Frau Claudia Ully, seitens der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft Herr Direktor Dr. Wolfgang Seidl, seitens der Versicherungsanstalt far Eisenbahnen und Bergbau Herr Generaldirektor DI Kurt V01kl und seine Mitarbeiterin Frau Ursula Paier, und seitens der Sozialversicherungsanstalt der Bauern Herr Direktor Dr. Paul Tschuffer, dem ich an dieser Stelle ganz besonders auch for seine wertvollen inhaltlichen Ratschl~ige zur Durchfiihrung der Studie danken mOchte. Betreffend der Versicherungsanstalt Offentlich Bediensteter (BVA) gilt mein Dank Herin Direktor Richard Neuhold von der Landesstelle Steiermark, sowie Herrn Dr. Johannes Trauner von der Abteilung fi~r Offentlichkeitsarbeit der Hauptstelle der BVA in Wien, der sich sehr dafar einsetzte, dass schlie61ich eine Bearbeitung auch dieses besonderen Versichertenbereichs mOglich wurde. Gleichermal3en for freundliche Unterstatzung des Erhebungsprozesses danke ich schlieNich den Vertretem der steirischen Betriebskrankenkassen in Donawitz, Kapfenberg, Kindberg und Zeltweg, Herrn GOnter Niederberger, Herrn Gerald Mandl, Frau Adolfine Graf, Herin Roland Lammer, Herin Josef Vilinsky und Herin Johann Pichler. Auch vom Bundesministerium for Gesundheit und Frauen sowie vom Bundesministerium far Inneres habe ich wichtige Informationen bezogen, wobei ich besonders Frau Christina Schuster vom Bundeskriminalamt for die Bereitstellung von bezirksweisen Daten zur Kriminalitfitsstatistik und Werner Bohuslav vom Gesundheitsministerium for Daten zur Anzahl der psychiatrischen Betten in den Osterreichischen Krankenanstalten danken m6chte. Seitens der Osterreichischen Arztekammer danke ich Herrn Mag. Anton Sinabell von der Abteilung Kammeramt und Statistik, und seitens des Arbeitsmarktservice Austria Erau Veronika Murauer, die mir ebenfalls mit der Zurverfagungstellung wichtiger Statistiken eine grof3e Hilfe waren. Weiters sei Herin Dr. Hans Mohnl yon der Zentralanstalt for Metereologie und Geodynamik for die Betreuung meiner Anfrage hinsichtlich Okologischer Parameter herzlich gedankt. Ein besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitem der Statistik Austria, deren Informationsangebote ich ausgiebig ntitzte, wobei insbesondere spezifische Abfragen der Osterreichweiten Todesursachenstatistik und der BevOlkerungsstatistik ein wichtiges Fundament der von mir vorgenommenen Analysen darstellten; vor allem m6chte ich in diesem Zusammenhang Frau Mag. Barbara Leitner herzlich danken.
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Vorwort
Ffir aufschlussreiche Gespdiche fiber den Untersuchungsgegenstand und wichtige Ratschl~ige for die Durchfohrung der Untersuchung gilt mein Dank den folgenden, im soziologischen und/oder medizinisch-psychologischen bzw. psychiatrischen Bereich tfitigen Personen: Herrn o. Univ. Prof. Dr. Karl Acham, Herrn ao. Univ. Prof. Dr. Peter Gasser-Steiner, Frau Dr. Gerda Grasser, Herrn o. Univ. Prof. Dr. Max Haller, Herrn Mag. Dirk Raith, Herrn Dr. Dieter Reicher, Herrn Mag. Rainer Rossegger, Herrn Dr. Human-Friedrich Unterrainer, Herrn Vizedirektor i.R. Peter Watzka, Herrn em. o. Univ. Prof. Dr. Hans-Georg Zapotocky. Ffir eine kritische und sorgf~iltige Durchsicht des Typoskripts bin ich Herrn Mag. Josef Schiffer sehr zu Dank verpflichtet. Den Mitarbeitern des VS Verlags for Sozialwissenschaften, insbesondere Herrn Frank Engelhardt und Frau Monika Malhausen, m6chte ich ffir die freundliche und kompetente Betreuung des Publikationsvorhabens herzlich danken. Schlie61ich danke ich meiner lieben Gef~ihrtin, Frau Mag. Elisabeth Pauli, far ihre Anteilnahme an meiner, auch emotional tells schwierigen Arbeit an der vorliegenden Studie.
Carlos Watzka
In h a ltsve rzeic h nis
1. Forsehungsproblem und F o r s e h u n g s s t a n d .................................................................
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1.1. Der Anlass zur vorliegenden Studie: Die im inner6sterreichischen Vergleich seit Jahrzehnten erhOhte Suizidrate des Bundeslandes Steiermark .............................. 15 1.1.1. Die hohe Suizidh~iufigkeit in 0sterreich im internationalen Vergleich ..................... 15 1.1.2. Die Differenzen in der Suizidalit~t innerhalb der i3sterreichischen Bundeslfinder .... 18 1.2. Begriffserlfiuterungen und Definitionen ....................................................................... 23 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4.
,,Selbstmord", ,,Freitod", ,,SelbsttOtung" und ,,Suizid". ............................................ Suizid, Suizidversuch, Parasuizid; Suizidalitat und Suizident .................................. Der Suizid und seine Abgrenzung yon anderen Todesursachen ................................ Die Messung der Suizidhfiufigkeit: Suizidrate und Suizidratio ................................
23 25 26 28
1.3. Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids ................................................... 33 1.3.1. 1.3.2. 1.3.3. 1.3.4. 1.3.5. 1.3.6. 1.3.7.
Fundamentale epidemiologische Kenntnisse zur Suizidproblematik ........................ Suizid aus (medizinisch-)psychologischer Perspektive ............................................ Suizid aus (medizinisch-)somatologischer Perspektive ............................................ Suizid aus (medizin-)sozio|ogischer Perspektive ...................................................... Suizid aus (medizinisch-)/Skologischer Perspektive .................................................. Spezifische Forschungsarbeiten zur Epidemiologie der Suizidalitfit in Osterreich .. Skizze eines/Sko-somato-psycho-sozialen Modells der Suizidalitfit .........................
33 38 44 47 58 61 75
2. Zu A u f b a u u n d D u r c h f i i h r u n g d e r Studie .................................................................. 79 2.1 Rahmen und Grundlinien des Studienkonzepts ............................................................ 79 2.1 1. 2.1.2. 2.1 3. 2.1.4. 2.1 5.
Quantitative Ausrichtung ........................................................................................... Aktenanalyse und sekundfirstatistische Auswertungen ............................................. Raumlicher und zeitlicher Untersuchungsrahmen ..................................................... Retrospektive Kohortenstudie bzw. Pr~ivalenzerhebung ........................................... Das Studienkonzept- Zusammenfassung ..................................................................
79 80 82 83 84
2.2 Der makrosoziale Untersuchungsteil ............................................................................
85
2.2 1. Die Datenbasis ........................................................................................................... 85 2.2.2. Hypothesen und Erhebungsparameter ....................................................................... 87 2.2.3. Methoden und Probleme der Datenerhebung und Datenauswertung ........................ 90
12
Inhaltsverzeichnis
2.3. Der mikrosoziale Untersuchungsteil ............................................................................
92
2.3.1. Die Datenbasis ........................................................................................................... 2.3.2. Hypothesen und E r h e b u n g s p a r a m e t e r ....................................................................... 2.3.3. M e t h o d e n und P r o b l e m e der Datenerhebung und Datenauswertung ........................
92 94 98
2.4. Spezifische Probleme sozialwissenschaftlich-empirischer Suizidforschung .............. 103 2.4.1. Forschungsethik und Datenschutz ............................................................................ 2.4.2. K o o p e r a t i o n e n mit Beh6rden und anderen 6ffentlichen Institutionen .....................
103 104
3. E r g e b n i s s e d e r S t u d i e ..................................................................................................
106
3.1. Die Hfiufigkeit der Suizide in 0 s t e r r e i c h und in der Steiermark 1995-2004 ............... 106 3.1.1. Suizid im Bundesl~indervergleich, die Bedeutung von Alter und Geschlecht und die gesellschaftliche Verbreitung von Suizid als Todesursache ........................ 106 3.1.2. Die Suizidraten der politischen Bezirke Osterreichs gem~il3 Todesursachenstatistik ..... 111 3.1.3. Die Suizidraten der politischen Bezirke der Steiermark gem~iB Aktenanalyse ........ 124 3.2. Makrosoziale Analysen zu Umstfinden und Ursachen letaler Suizidalitfit in Osterreich insgesamt und in der Steiermark im Besonderen .................................. 3.2.1. Suizidrate und topographische Situation .................................................................. 3.2.2. Suizidrate und Landschaftscharakter ........................................................................ 3.2.3. Suizidrate und Urbanisierung .................................................................................... 3.2.4. Suizidrate und d e m o g r a p h i s c h e Entwicklung ........................................................... 3.2.5. Suizidrate und familifire Desintegration .................................................................... 3.2.6. Suizidrate und ethnisch-kulturelle Diversitfit ............................................................ 3.2.7. Suizidrate und religi6s-kulturelle Diversitfit ............................................................. 3.2.8. Suizidrate und Haushaltsstruktur .............................................................................. 3.2.9. Suizidrate und W o h n s t r u k t u r .................................................................................... 3.2.10. Suizidrate und Okonomisches Niveau ..................................................................... 3.2.11. Suizidrate und s o z i o 6 k o n o m i s c h e Desintegration .................................................. 3.2.12. Suizidrate und Erwerbsstruktur ............................................................................... 3.2.13. Suizidrate und kollektives Bildungsniveau ............................................................. 3.2.14. Suizidrate und allgemeinmedizinisches Versorgungsniveau .................................. 3.2.15. Suizidrate und psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutisches V e r s o r g u n g s n i v e a u ................................................................................................. 3.2.16. Suizidrate und kollektives Aggressionsniveau ....................................................... 3.2.17. l~lbersicht fiber die bivariaten Zusammenhfinge und Integration der relevanten Faktoren in ein multivariates Erklfirungsmodell .............................
137 138 141 144 147 152 153 156 158 160 165 167 169 183 188 191 200 203
Inhaltsverzeichnis
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3.3. Mikrosoziale Analysen zu Umstfinden und Ursachen letaler Suizidalitfit far das Bundesland Steiermark ................................................................................... 217 3.3.1. Zeitpunkte der Suizide .............................................................................................. 3.3.2. Regionale Verteilung der Suizide ............................................................................. 3.3.3. Mikroregionale Verteilung der Suizide ..................................................................... 3.3.4. Die Geschlechterverteilung der Suizidenten ............................................................. 3.3.5. Die Altersverteilung der Suizidenten ........................................................................ 3.3.6. Familienstand der Suizidenten .................................................................................. 3.3.7. Partnerschaft und Eltemschaft der Suizidenten ........................................................ 3.3.8. VersicherungszugehOrigkeit der Suizidenten ............................................................ 3.3.9. Erwerbsstatus der Suizidenten .................................................................................. 3.3..10. Art der Berufstfitigkeit der Suizidenten ................................................................... 3.3.11. Berufsposition der Suizidenten ............................................................................... 3.3.12. A u s b i l d u n g s n i v e a u der Suizidenten ........................................................................ 3.3.13. E i n k o m m e n der Suizidenten ................................................................................... 3.3.14. Berufliche Biographie der Suizidenten ................................................................... 3.3.15. Geburtsregion der Suizidenten ................................................................................ 3.3.16. Staatsbargerschaft der Suizidenten ......................................................................... 3.3.17. Konfession der Suizidenten .................................................................................... 3.3.18. Delinquenz und Suizide .......................................................................................... 3.3.19. Psychische Krankheiten und Suizide ...................................................................... 3.3.20. Suizidversuche und Suizide .................................................................................... 3.3.21. Abh~ingigkeitserkrankungen und Suizide ............................................................... 3.3.22. KOrperliche Krankheiten/Beeintr~chtigungen und Suizide .................................... 3.3.23. Weitere psychosoziale B e d i n g u n g e n der Suizidhandlungen .................................. 3.3.24. Nfihere Umstfinde der Suizidhandlungen selbst ...................................................... 3.3.25. Multivariate Analysen zu den L e b e n s b e d i n g u n g e n der Suizidenten: Clusteranalyse und thesengeleitete Kategoriebildungen .........................................
219 222 225 227 229 243 249 254 256 266 278 282 284 289 291 294 297 299 301 310 311 317 326 337 341
4. Zusammenschau und R e l e v a n z fiir die Suizidpr~ivention ........................................ 365 4.1. Z u s a m m e n f a s s u n g der Ergebnisse ............................................................................... 365 4.2. Perspektiven far die Suizidprfivention ......................................................................... 387 4.3. Offene Forschungsfragen ............................................................................................. 393 5. A n h a n g ............................................................................................................................ 395 5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. 5.6.
Suizidh~iufigkeiten und Suizidraten in den Bezirken Osterreichs 2001-2004 ............. 395 Quellenverzeichnis ...................................................................................................... 404 Literamrverzeichnis ..................................................................................................... 406 S u m m a r i u m .................................................................................................................. 412 Abkiirzungsverzeichnis ................................................................................................ 413 Register ......................................................................................................................... 415
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
1.1. Der Anlass zur vorliegenden Studie: Die im innerfsterreichischen Vergleich seit Jahrzehnten erh6hte Suizidrate des Bundeslandes Steiermark
1.1.1
Die hohe Suizidhdufigkeit in Osterreich im internationalen Vergleich
Beschfiftigt man sich etwas nfiher mit dem Thema psychisches Kranksein in Osterreich, so fallt einem unter anderem die im internationalen Vergleich seit Jahrzehnten ausgesprochen hohe Suizidrate Osterreichs auf. Bereits bei zwei internationalen Vergleichen der WHO in den frahen 1950er sowie in den frahen 1960er Jahren wies C)sterreich unter zunfichst 11, dann 14 in den Vergleich einbezogenen europfiischen Staaten 1 eine der hOchsten Suizidraten (Anzahl der vollzogenen Selbstt6tungen in Bezug zur Einwohnerzahl) auf; far den Beobachtungszeitraum 1952-54 war die 6sterreichische Rate mit 30 Suiziden je Jahr, je 100.000 Einwohnern im Alter aber 15, die zweithOchste (hinter Dfinemark mit einem Wert von 32), far den Zeitraum 1961-63 bei einer (auf dieselbe Weise berechneten) Zahl von 28 die dritth6chste (hinter Ungarn mit 34 und Finnland mit 29). Die Suizidrate in Deutschland lag in diesen beiden Zeitrfiumen jeweils bei 24. 2 In den 1970er und 1980er Jahren kam es in Europa tendenziell zu einer Zunahme der Suizidhfiufigkeit. An der im internationalen Vergleich besonders hohen Suizidrate in Osterreich finderte dies nichts; far das Jahr 1986 ergibt eine neuerliche WHO-Vergleichsstudie wiederum den dritth6chsten Rang (nach Ungarn und der DDR), trotz der Ausweitung auf nunmehr 25 beracksichtigte europfiische Staaten. 3 Ab der Mitte der 1990er Jahre ist jedoch eine Verfinderung wahrnehmbar- unter 33 in den WHO-Vergleich far die Jahre 1994-1996 einbezogenen europfiischen Staaten liegt Osterreich nur mehr an 12. Stelle in der Suizidhfiufigkeit; dieser Umstand ist aber fast ausschlieBlich durch die Neuaufnahme ost- und ostmitteleuropfiischer Lfinder in die Vergleichsstatistik verursacht: Von den bereits seit den 60er Jahren an der WHO-Studie teilnehmenden Staaten weisen wiederum Ungarn und Finnland, sowie nunmehr auch Belgien, hOhere Suizidhfiufigkeiten als Osterreich auf, hinzu treten nunmehr abet auch Russland, Litauen, Lettland, Estland, WeiBrussland, die Ukraine, Slowenien und Kroatien, mit allesamt hohen Zahlen an jfihrlichen Suizid-Toten. 4 Innerhalb des west- und mitteleurop~ischen Raumes nimmt C)sterreich in der Suizid-Statistik also weiterhin einen traurigen Spitzenplatz ein.
Zun~chst D~nemark, Deutschland (BRD), Finnland, Frankreich, GroBbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Osterreich, Schweden und Schweiz, ab den 60er Jahren zusatzlich Polen, Tschechoslowakei, Ungarn. 2 Vgl. Christa Lindner-Braun, Soziologie des Selbstmords. Opladen 1990, S. 375. 3 Vgl. Thomas Bronisch, Der Suizid. Ursachen - Warnsignale - Prevention. Manchen 2002, S. 22. In der Tabelle werden 27 Entit~ten angefahrt; Schottland und Nordirland, deren Suizidraten getrennt von denen far England und Wales erhoben werden, bleiben hier aber unberticksichtigt. Vgl. Thomas Bronisch, Zur Epidemiologie von Suizidalitfit. In: Thomas Bronisch (Hg.), Psychotherapie der Suizidalit~t. Stuttgart 2002, S. 3.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Dabei aberrascht es, dass dieser gesellschaftlich nicht gerade unbedeutende Umstand immerhin sterben in C)sterreich derzeit jdhrlich etwa eineinhalbtausend Menschen an Suizid, und damit um mehrere hundert Menschen mehr, als dies in einer gleich groBen Bev61kerungszahl in Deutschland der Fall ist - bislang wissenschaftlich wenig untersucht wurde, sei es von medizinischer, psychologischer oder soziologischer Seite, und dies, obwohl sich die 6sterreichische Belletristik und auch andere Kanste schon seit langem mit der Frage nach einem ,,spezifisch 6sterreichischen" Hang zum ,,Selbstmord" auseinandersetzen. Auch wird man nicht gerade behaupten kOnnen, die einschlfigig relevanten Disziplinen hfitten in C)sterreich das Thema ,,Suizid" insgesamt vernachlfissigt; immerhin stammen herausragende Leistungen der psychologischen Suizidforschung in Europa nach 1945 aus Osterreich, insbesondere aus Wien, wobei hier zun~.chst nur auf den 6ffentlich bekanntesten 6sterreichischen Suizidforscher, Erwin Ringel, hingewiesen sein soll. 5 Psychologie und Medizin als am Idol der Naturwissenschaften orientierte Disziplinen vertreten freilich in ihrem mainstream - nicht etwa nur in Osterreich, sondem im gesamten ,,Abendland" - ein im Kern universalistisches Menschenbild, also eine Auffassung des menschlichen Lebens, die auf das Einheitliche, auf allen Menschen gemeinsame Merkmale abzielt, die sich zudem - ein Axiom der modernen Naturwissenschaft - mOglichst ,,exakt" messen lassen sollten, um als forschungs- und praxisrelevant gelten zu kOnnen. Den oftensichtlichen Unterschieden zwischen den menschlichen Individuen glaubt man, einem solchen Modell folgend, gew6hnlich mit Hilfe einiger einfacher Klassifizierungen beikommen zu k6nnen; man differenziert vielfach nur nach ,,Alter und Geschlecht". Es leuchtet ein, dass im medizinischen Bereich ein solches Vorgehen auf somatologischem Gebiet, also bei der Behandlung von kOrperlichen Erkrankungen, Erfolg versprechender ist, als auf psychischem. Zwar stellt auch der menschliche KOrper keineswegs eine geographisch und sozial unwandelbare Entitfit dar, sondern differiert - auch bei Personen gleichen Alters und Geschlechts - stark nach den jeweiligen natt~rlichen und kulturellen Bedingungen, in welchen er jeweils agiert, doch treten auf psychisch-mentalem Gebiet die Auswirkungen soziokultureller Differenzen viel deutlicher zutage - beginnend damit, dass k6rperliche Zust~nde t~berall in gleicher Weise beobachtbar und messbar werden, die Erfassung psychischer Gegebenheiten dagegen weitgehend auf das ,,partikulare" Kommunikationsmittel der Sprache angewiesen bleibt. Nun sollen an dieser Stelle - was auch vOllig unpassend wfire - keineswegs die positiven Ergebnisse der naturwissenschaftlich orientierten medizinischen und psychologischen Forschung in Abrede gestellt werden, weder im Allgemeinen, noch auf dem speziellen Gebiet der Suizidforschung. Die vorangegangenen Bemerkungen zielten vielmehr darauf ab, ein wenig aufzuhellen, warum manche, durchaus wichtige Forschungsfragen im Bereich der ,,public health", also des gesellschaftlichen Gesundheitszustandes, bislang so gut wie unbeachtet blieben: Die Erklfirung soziokultureller Differenzen im Auftreten von Krankheitserscheinungen ist eben nicht gerade eine St~,rke derjenigen Disziplinen, die in der Suizidforschung tonangebend sind, 6 von Psychiatrie und Neurologie (als einschlagigen Teildisziplinen der Medizin) sowie Psychologie.
5 Als sein zentrales wissenschaftliches Werk zur Suizid-Thematik kann immer noch gelten: Erwin Ringel, Der Selbstmord. Abschluss einer krankhaften psychischen Entwicklung. Wien 1953 (8. Auflage Frankfurt a.M. 2002). 6 Hier verstanden im Sinn der Haufigkeit yon thematisch relevanten Publikationen.
1.1 Der Anlass zur vorliegenden Studie: Die erh6hte Suizidrate der Steiermark
17
Aber, kann der Leser zurecht einwenden, da gibt es ja noch andere Wissenschaften, die sich solchen ,,speziellen" T h e m a t i k e n wie den geographisch-sozialen Variationen von Suizidh~ufigkeit wohl mit m e h r E n g a g e m e n t und K o m p e t e n z a n n e h m e n - die Sozial- und Kulturwissenschaften. Betrachtet man die entsprechende Forschungssituation genauer, ist das Ergebnis - z u m i n d e s t f't~r E u r o p a - j e d o c h ernt~chternd: ,,Der Selbstmord" war zwar Titel und Inhalt eines der , , G r a n d u n g s d o k u m e n t e " der m o d e r n e n Soziologie, des Werks ,,Le Suicide" yon E m i l e D u r k h e i m aus d e m Jahr 1897, welches in Expertenkreisen Furore machte, und d e m v611ig zurecht noch heute - als ,,Klassiker" der Soziologie insgesamt und erst recht der soziologischen Suizidforschung - Referenz erwiesen wird. 7 Jedoch gibt es aber eine institutionalisierte ,,soziologische Suizidforschung" gegenwfirtig nur in Ansfitzen; betrachtet man etwa den deutschsprachigen Raum, so st613t m a n nur a u f einige wenige Sozial- und Kulturwissenschafter, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten eingehend diesere T h e m a g e w i d m e t und ihre Ergebnisse durch umffinglichere Publikationen mitgeteilt haben. Zu einer 6sterreichspezifischen, sozial- bzw. kulturwissenschaftlich orientierten Suizidforschung gibt es bislang t~berhaupt nur einige, w e n n g l e i c h aufschlussreiche Mosaiksteine. 8 Sehr wohl legten dagegen, insbesondere in den letzten ca. 10 Jahren, mehrere t~sterreichische P s y c h o l o g e n und M e d i z i n e r wichtige Beitrfige zur Suizidforschung vor. Die f u n d a m e n t a l e n Publikationen von Sonneck, Antretter, Dunkel, Etzersdorfer, Fischer, Haring, Kapusta, Seibl, Stein und Voracek zur E p i d e m i o l o g i e des Suizids in Osterreich 9 gehen auch a u f g r u n d l e g e n d e d e m o g r a p h i s c h e Charakteristika der Suizidopfer ein und weisen verschiedentlich auch a u f die im internationalen Vergleich erh6hte Suizidrate in C)sterreich hin. Eine eingehende, systematische A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit dieser Frage - die zweifellos mittels einer transdisziplinfiren H e r a n g e h e n s w e i s e am ehesten Erfolg versprechend wfire - steht j e d o c h noch aus. Angesichts der im Wortsinn vitalen Dringlichkeit indi7 Deutschsprachige Ausgabe: Emile Durkheim. Der Selbstmord. Frankfurt a.M. 1983. Zur Bedeutung dieser Arbeit Durkheims far die Etablierung der Soziologie als Wissenschafi insgesamt vgl.: J0rn Ahrens, Selbstmord als Disziplin. (mile Durkheim und die Erfindung der Soziologie. In Ines Kappert, Benigna Gerisch, Georg Fiedler (Hg.), Ein Denken, das zum Sterben ft~hrt. SelbsttOtung - das Tabu und seine Brtiche. G0ttingen 2004, S. 19-38. In den letzten Jahrzehnten erschien keine einzige spezifisch dem Thema der Epidemiologie des Suizids in Osterreich bzw. in einzelnen Bundesl~ndern Osterreichs und deren Analyse gewidmete wissenschaftliche Monografie von sozial- bmf. kulturwissenschaftlicher Provenienz. Hinzuweisen ist aber auf den anregenden und far die historische Epidemiologie des Suizids in Osterreich grundlegenden Aufsatz: Norbert Ortmayr, Selbstmord in Osterreich 1819-1988. In: Zeitgeschichte 17/5 (1990), S. 209-225, weiters auf eine dem Thema Suizid gewidmete Nummer der Osterreichischen Zeitschrift far Soziologie (OZS 23/4 [1998]) mit Aufs~tzen zu spezifischen Aspekten wie der Frage nach dem Einfluss von Massentourismus auf Suizidrisiken oder dem Problem der Suizidalitat in der deutschen Wehrmacht w~,hrend des Zweiten Weltkriegs, dem Verh~ltnis von Suizid und dem in der Gegenwartsgesellschaft vorherrschenden, medikalisierten Tod, sowie einem - freilich von medizinisch-psychologischer Seite stammenden - epidemiologischen Beitrag zu Suizid und Parasuizid in Tirol. Dirk Dunkel, Elfi Antretter, Eberhard Deisenhammer, Christian Haring, Suizidales Verhalten in Tirol. In: ebd., S. 35-59. 9 Als wichtigste Forschungsliteratur der letzten beiden Jahrzehnte zur Epidemiologie des Suizids in Osterreich insgesamt ist hier zu nennen: Gernot Sonneck, Claudius Stein, Martin Voracek, Suizide yon M~nern in Osterreich. Statistisch-epidemiologische Untersuchung zur Suizidproblematik von Mfinnern in Osterreich. Wien 2002, Elmar Etzersdorfer, Martin Voracek, Nestor Kapusta, Gernot Sonneck, Epidemiology of suicide in Austria 19902000; general decrease, but increased suicide risk for old men. In: Wiener Klinische Wochenschrift 117/1-2 (2005), S. 31-35, Elmar Etzersdorfer, Peter Fischer, Gernot Sonneck, Zur Epidemiologie der Suizide in Osterreich 1980 bis 1990. In: Wiener Klinische Wochenschrift 104/19 (1992), S. 594-599, Dirk Dunkel, Elfi Antretter, Regina Seibl, Christian Haring, Suicidal Behaviour in Austria. In: Armin Schmidtke, Unni Bille-Brahe, Diego de Leo, Ad Kerkhof (Hg.), Suicidal behaviour in Europe: Results from the WHO/ Euro multicentre study on suicidal behavior. Bern 2004, S. 113-121, Gernot Sonneck, Suizid und Suizidpravention in Osterreich. In: Wiener Klinische Wochenschrift 112/22 (2000), S. 943-946, weiters das Kapitel ,,Statistisches zur Suizidproblematik", in: Gernot Sonneck, Krisenintervention und Suizidverhatung. Wien 1995, S. 254-260.
18
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
viduell-patientenbezogener Suizidprfivention verwundert es auch nicht, dass sich die medizinische und psychologische Suizidforschung - und dies gilt ganz allgemein, nicht nur Mr C)sterreich - vorrangig solchen Ans~tzen widmete; allerdings erscheint es im Sinne einer langffistigen Veranderung des bedrfickenden Obelstandes der in Osterreich besonders hohen Suizidraten doch mehr als angebracht, auch der gesellschaftlich-kulturellen Ebene, auf welcher die Ursachen far diesen Umstand offenkundig auch manifest sein mt~ssen, einige Forschungsaufmerksamkeit zu widmen. 10 Das Faktum der hohen gesamtOsterreichischen Suizidrate kann freilich auch in der vorliegenden Studie keiner nfiheren Kausalanalyse unterzogen werden, immerhin lassen sich aus derselben aber vielleicht Konturen von Vorgangsweisen f~r eine solche Analyse ableiten, steht im Mittelpunkt der vorliegenden Studie doch gleichsam die analoge Fragestellung auf verkleinerter Untersuchungsebene, nfimlich die Frage nach der Eruierbarkeit von spezifischen Bedingungen der ihrerseits im Osterreich-Vergleich signifikant erh0hten Suizidrate der Steiermark.
1.1.2 Die Differenzen in der Suizidalit~it innerhalb der 6sterreichischen Bundeslander Ausgangspunkt ftir diese Studie war, wie schon im Vorwort angesprochen, die Wahrnehmung, dass die in Osterreich generell schon hohen Suizidraten im Land Steiermark noch tibertroffen werden, und dies kontinuierlich seit Jahrzehnten und in signifikanter Weise. Die offizielle Todesursachenstatistik der Stat&tik Austria ( f ~ h e r Osterreichisches Statistisches Zentralamt) weist die Suizidzahlen seit Anfang der 1970er Jahre kontinuierlich auch spezifisch Mr einzelne Bundeslfinder aus; die jfihrlichen absoluten Hfiufigkeiten von Suiziden finden sich in der Studie ,,Suizide von Mfinnern in ()sterreich. Statistischepidemiologische Untersuchung zur Suizidproblematik von Mfinnern in Osterreich" (ftir beide Geschlechter) sehr iJbersichtlich zusammengestellt. Umseitig wird anhand dieser Daten zunfichst tabellarisch f'ur Zeitspannen von je 5 Jahren dargestellt, wie sich die absoluten Suizidzahlen sowie die jfihrlichen Suizidraten (Verh~iltnis der Suizide pro Jahr zur jeweiligen Einwohnerzahl) ~ in Osterreich insgesamt und in seinen einzelnen Bundesl~indern in den Jahren ab 1970 entwickelten. ~2 Aus diesen Tabellen ist eine Vielzahl von Informationen ablesbar; an dieser Stelle seien nur einige Aspekte herausgegriffen. Betrachtet man zunfichst nur einmal die absoluten Hdufigkeiten von Suiziden in Osterreich insgesamt im zeitlichen Verlauf, so zeigt sich, dass die h0chsten Ziffern in den 80er Jahren erreicht wurden, als sich in je 5 Jahren jeweils mehr als 10.000 Personen in Osterreich selbst tOteten, also jfihrlich ca. 2000 Menschen. ~0Diesbezt~glich seien schon an dieser Stelle Gesundheits- und Wissenschaftspolitik zu konstruktivem Handein also der Initiierung und Finanzierung entsprechender sozialmedizinischer, sozialpsychologischer bzw. soziologischer Forschungsprojekte - aufgerufen. ~ Berechnung des Studienautors anhand der Daten in: Sonneck/Stein/Voracek, Suizide yon Mannern, Anhang, sowie von Daten der Statistik Austria (Todesursachenstatistik der Jahre 2000-2004, BevOlkerungsstatistik der Jahre 1971-2004: JahresdurchschnittsbevOlkerungen gemal~BevOlkerungsfortschreibung). 12 In den 1950er und 1960er Jahren war in Osterreich insgesamt noch eine etwas geringere Suizidrate gegeben gewesen; die Suizidhaufigkeiten der Zwischenkriegszeit waren dagegen noch deutlich h0her gelegen, als dies in der Zweiten Republik jemals wieder der Fall war. Einen ,,Sonderfall" stellt das Jahr 1945 dar, in welchem in Osterreich t~ber 4600 SelbsttOtungen verzeichnet wurden, was einem Verhfiltnis yon 66 Suiziden pro 100.000 Einwohner entspricht. Vgl. Ortmayr, Selbstmord, S. 221s Sonneck, Krisenintervention, S. 256, Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von Mannern, S. 46.
1.1 Der Anlass zur vorliegenden Studie: Die erhOhte Suizidrate der Steiermark
Tabelle 1"
19
Suizide in Osterreich und seinen Bundeslfindem 1970-2004, 5-Jahres-Summen
Zeitraum
197074
197579
198084
198589
199094
Burgenland
263
277
306
304
239
237
220
1846
K&rnten
663
732
875
777
692
615
666
5020
Nieder0st.
1736
1645
1823
1821
1663
1478
1338
11504
OberOst.
1405
1546
1614
1618
1453
1421
1194
10251
Salzburg
483
533
574
653
598
594
527
3962
Steiermark
1511
1639
1861
1734
1577
1488
1322
11132
Tirol
430
492
639
675
603
610
597
4046
Vorarlberg
196
217
284
361
320
257
288
1923
Wien
1976
2008
2127
2105
1688
1573
1350
12827
Osterreich
8663
9089
10103
10048
8833
8273
7502
62511
Tabelle 2:
199599
200004
197004
,,Rohe" Suizidraten in 0sterreich und seinen Bundesl~ndem 1970-2004" Anzahl der Suizide pro Jahr und 100.000 Einwohner (Durchschnitte flir je 5 Jahre) 13
Zeitraum
197074
197579
198084
198589
199094
Burgenland
19,3
20,4
22,7
22,6
17,4
K&rnten
25,0
27,4
32,5
28,7
Nieder0st.
24,3
23,1
25,5
OberOst.
22,6
24,6
Salzburg
23,5
Steiermark
199599
200004
197004
17,1
15,9
19,3
25,0
21,9
23,8
26,3
25,3
22,3
19,4
17,3
22,4
25,3
25,2
21,8
20,8
17,3
22,5
24,8
25,7
28,3
24,3
23,3
20,3
24,3
25,2
27,4
31,4
29,5
26,7
25,1
22,2
26,8
Tirol
15,6
17,1
21,6
22,2
19,0
18,5
17,6
18,8
Vorarlberg
13,8
14,5
18,6
23,0
19,1
14,9
16,3
17,2
Wien
24,3
25,5
28,0
28,3
22,1
20,4
17,1
23,7
Osterreich
23,0
24,0
26,7
26,5
22,6
20,8
18,6
23,2
~3Berechnung des Studienautors. Grundlage der Berechnung ist die Division der jeweils in einem Jahr vorgefallenen Suizide durch die far dieses Jahr yon der Statistik Austria ausgewiesene Jahresdurchschnittsbev01kerung (Vgl. Statistik Austria (Hg.), Demographisches Jahrbuch 2004, Wien 2005, S. 351).
20
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Demgegen~ber stehen etwas niedrigere Suizidzahlen in den 1970er Jahren, die jfihrlichen Summen von ca. 1800 Personen entsprechen, und ebenso wieder eine niedrigere Suizidhfiufigkeit in den 1990er Jahren, insbesondere in deren zweiter Hfilfle (jfihrlich im Durchschnitt ca. 1650 Suizidtote). Im ersten Jahrf~nfl ab 2000 belief sich die Suizidhfiufigkeit erfreulicherweise auf eine deutlich vom hohen Niveau der vorangegangenen Jahrzehnte abfallende Summe, die freilich immer noch erschreckend hoch anmutet, nfimlich 7502 offiziell gezfihlte Suizidenten in den Jahren 2000 bis 2004, also im Durchschnitt 1500 pro Jahr. Dieser Welt unterschreitet im 15brigen erstmals auch wieder die - in Tabelle 1 und 2 nicht dargestellten - gesamt6sterreichischen Suizidzahlen der 1950er und 1960er Jahre, als sich jfihrlich durchschnittlich 1600 bis 1700 Menschen selbst das Leben nahmen. ~4 Gerade bei langfristigen Vergleichen sollte aber unbedingt die Bev01kemngsentwicklung mitber~cksichtigt werden; betrachtet man daher die Suizidraten, tritt die skizzierte Entwicklung hin zu - gesamt0sterreichisch gesehen - niedrigeren Suizidraten sogar noch deutlicher hervor, nfimlich zeigt sich ein Anstieg yon einem Niveau von 23 Suiziden auf 100.000 Einwohner und Jahr in den frt~hen 70er aufbeinahe 27 Suizide/100.000 Ew. in den 80er Jahren und danach eine rasche und deutliche Abnahme auf schlieBlich ,,nur" noch etwa 19 Suizide pro 100.000 Einwohnern und Jahr. ~5 Diese Suizidrate liegt im Obrigen auch deutlich niedriger als die jfihrlichen Suizidraten der 1950er und 1960er Jahre (23,5 bzw. 24,0 je Jahrzehnt). Es konnte also ab den 1990er Jahren, und dann insbesondere seit 2000, die traditionell hohe Suizidrate in Osterreich insgesamt zumindest um einen gewissen Anteil abgesenkt werden, und zwar um ca. 20 % gegenaber der Suizidhfiufigkeit in den 50er, 60er und 70er Jahren, und um etwa 30 % gegen~ber dem H0chststand derselben in den 1980er Jahren. Im internationalen Vergleich handelt es sich jedoch auch bei den nunmehrigen Suizidraten noch immer um vergleichsweise hohe. Betrachtet man hinsichtlich des Zustandekommens der gesamt0sterreichischen Suizidraten nunmehr die ,,Beitr~ge" der einzelnen Bundeslfinder, so zeigt sich ein ,,ausgeprfigtes regionales Muster", wie bereits der Osterreichische Todesursachenatlas 1988/94 feststellte:16 Vergleichweise geringe Suizidhfiufigkeiten herrschen in Tirol und Vorarlberg sowie im Burgenland vor, mit durchschnittlichen Suizidraten far den Gesamtzeitraum von 1970 bis 2004 yon 19 bzw. 17, insgesamt in etwa dem gesamt0sterreichischen Niveau entsprechende Suizidhfiufigkeiten sind ~ r Nieder0sterreich, Ober0sterreich, Wien und Salzburg zu ersehen (22 bis 24 im langjfihrigen Verlauf), besonders hohe dagegen ~ r die Lfinder Steiermark und Kfimten (27 bzw. 26 Suizide auf 100.000 Einwohner und Jahr). 17
~4Die j~hrlichen Suizidzahlen zur~ck bis ins frahe 19. Jahrhundert finden sich, far ganz Osterreich - nicht abet far die einzelnen Bundesl~nder - in: Ortmayr, Seibstmord, S. 221 f., die rezenteren Zahlen von 1970 bis 2000 in Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von M~nern, Anhang. 15Die Reduktion der Suizidrate von ihrer Spitze in den frahen 1980ern mit 26,7 auf 18,6 in den Jahren 2000 bis 2004 entspricht einer Abnahme von fast genau 30 %, w~hrend die Abnahme in absoluten Zahlen nur 26 % betr~,gt. Die Differenz reflektiert den Umstand der inzwischen angewachsenen Bev01kerung. 16 Osterreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.), OsterreichischerTodesursachenatlas 1988/94. Wien 1998, S. 192. 17 Frappierend ist, dass sich wichtige Elemente dieser Rangfolge in der Suizidhfiufigkeit bis ins 19. Jahrhundert zurackverfolgen lassen. Insbesondere gilt dies far das Ost-West-Gef~lle in den Suizidraten. Unter den Landern des heutigen Osterreich nahmen schon um 1900 die sad0stlichen Regionen Karnten und Steiermark ~hrende R~ge ein, allerdings damals noch gemeinsam mit Salzburg, und zudem damals deutlich abertroffen vom Land NiederOsterreich (einschlieBlich Wien). Vgl. hierzu: Hans Kuttelwascher, Selbstmord und Selbstmordstatistik in Osterreich. In: Statistische Monatsschrifl, Neue Folge 17 (1912), S. 288.
1.1 Der Anlass zur vorliegenden Studie: Die erhOhte Suizidrate der Steiermark
21
Vergleicht man weiter die Suizidraten in den einzelnen, jeweils eine Spanne von 5 Jahren abbildenden Spalten der Tabelle 2, differenziert sich das Bild aber etwas, indem ersichtlich wird, dass einige Bundeslfinder (W, NO, O 0 ) fallende, andere (T, V)jedoch steigende Tendenzen der Suizidraten aufweisen, sodass insbesondere der in den 70er und 80er Jahren deutliche Abstand zwischen Wien, Nieder- und OberOsterreich einerseits (mittelm~,13ig hohe Suizidraten) und WestOsterreich andererseits (niedrige Raten) in den letzten Jahren vOllig verschwunden erscheint- im Jahrflinft 2000-2004 weisen alle genannten Bundeslfinder Suizidraten zwischen 16 und 18 auf. Einen gewissen Sonderfall stellt das Burgenland dar, dessen Raten ohnehin stets niedriger waren als die der anderen 0stlichen Lfinder Osterreichs, und das in den letzten Jahren deren fallende Tendenz noch teilte und so in den Jahren nach 2000 - erstmals seit 1970 - den 0sterreichweit niedrigsten Rang noch vor Vorarlberg einnahm. Eine gewisse fallende Tendenz der Suizidrate ist auch in Salzburg zu verzeichnen gewesen, freilich von h0herem Niveau aus, sodass die in den 1970er Jahren jenen von Nieder- und OberOsterreich vergleichbare Suizidrate sich nun doch noch deutlich hOher befindet (20/100.000). Die Suizidraten der letzten Jahre sind weiters ein Unterscheidungsmerkmal der lange auffallig parallel verlaufenen Suizidhfiufigkeiten in K~,rnten und der Steiermark: In den 70er und insbesondere in den 80er Jahren - mit einzelnen Jahreswerten von bis zu 34/100.000 - weitestgehend analog und zugleich weit tiber den restlichen Bundeslfinderwerten gelegen, reduzierte sich die Suizidrate zunfichst in Kfimten rascher, yon 29 far den Zeitraum 1985-89 auf 22 im Zeitraum 1995-99, nach 2000 erfolgte aber - singulfir flir Osterreich - ein neuerlicher Anstieg auf 24. Demgegentiber trat die Reduktion der Suizidraten in der Steiermark zunfichst langsamer ein - yon 30 in den Jahren 1985-89 auf 25 im Zeitraum 1995-99, setzte sich aber danach weiter fort, sodass in den Jahren 2000 bis 2004 ,,nur" noch 22 Suizidtote auf 100.000 Einwohner und Jahr zu beklagen waren. Auch dieser Wert liegt aber noch 20 % tiber dem ja mittlerweile gesenkten Osterreichischen Gesamtdurchschnitt. Die jeweiligen Abweichungen der Suizidraten der Lfinder sind umseitig in Tabelle 3 nochmals als Abweichungen von jenem Gesamtdurchschnitt zusammengefasst. Die Analyse dieser Tabelle zeigt, dass zwar, wie vorhin ausgeftihrt, die Suizidrate auch in der Steiermark in den letzten Jahren zurackgegangen ist, dass aber das Verhfiltnis zur gesamt0sterreichischen Situation sich keineswegs gebessert hat: Wfihrend in den 1970er und 80er Jahren die Suizidrate in der Steiermark fast immer ,,nur" 10 bis 15 % tiber dem Osterreich-Durchschnitt lag, waren es in den 1990ern etwa 20 %, und dieser Wert blieb in den Jahren 2000 bis 2004 nahezu unver~,ndert. Die Steiermark konnte also - wie auch Kfirnten - an der nicht nur Osterreich, sondern die meisten west- und mitteleuropfiischen Lfinder tangierenden Abnahmetendenz der Suizide seit den 1990er Jahren partizipieren, ~8 aber nicht in einem Ausmaf3, der die traditionelle Differenz der Suizidrate zu den anderen L~ndem verringert h~.tte, im Gegenteil, dieselbe wurde grOl3er. Ftir den Gesamtzeitraum von 1970 bis 2004 (35 Jahre) stellt sich diese Differenz als eine durchschnittliche Abweichung von 16 % dar und ist damit jener in Kfirnten sehr fihnlich (14 % mehr Suizide). Bei dieser langfristigen Betrachtung liegen ansonsten nur Salzburg und Wien etwas tiber dem OsterreichDurchschnitt; in Wien konnte dieses Verhfiltnis aber seit 1990 kontinuierlich durchbrochen
18Deren Ursachen sind noch weitgehend unerforscht; im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte deutlich verbesserte und ausgeweitete medizinische und psychotherapeutische Hilfsangebote bei psychischen Erkrankungen dtirften aber wohl einen wichtigen Faktor hierfar darstellen.
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
22
werden, sodass die aktuellen Suizidraten stets unter dem Bundesdurchschnitt lagen, in den Jahren 2000 bis 2004 mit 8 % sogar erheblich. 19 Tabelle 3:
Abweichungen der Bundeslfinderwerte vonder gesamt6sterreichischen ,,rohen" Suizidrate in Prozent
Zeitraum
197074
197579
198084
198589
199094
199599
200004
197004
Burgenland
-16,0
-14,9
-15,2
-14,9
-22,8
-17,7
-14,3
-16,5
K~rnten
8,6
14,0
21,7
8,2
10,6
5,5
28,2
13,6
Nieder6st.
5,9
-4,1
-4,7
-4,6
-1,3
-6,7
-6,9
-3,1
Ober6st.
-1,5
2,3
-5,2
-5,0
-3,6
0,3
-6,9
-2,8
Salzburg
2,1
3,0
-3,6
6,9
7,5
12,2
9,5
5,0
Steiermark
9,8
14,2
17,4
11,3
18,4
21,0
19,8
15,7
Tirol
-32,1
-28,7
-19,2
-16,1
-16,0
-10,8
-5,2
-18,8
Vorarlberg
-40,0
-39,6
-30,5
-13,1
-15,2
- 2 8 , 1 -12,4
-25,9
Wien
5,9
6,0
4,8
6,7
-2,0
-1,7
-7,7
2,2
Osterreich
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
Den Ursachen for den soeben dargelegten Umstand der mindestens seit einigen Jahrzehnten dauerhaft erh6hten Suizidrate der Steiermark wird in der vorliegenden Studie nachgegangen. Vor den entsprechenden ErOrterungen gilt es jedoch, grundlegende Begriffe der Suizidforschung vorzustellen und ihnen far diese Studie eine eindeutige Definition zuzuweisen, mithin sie ,,operationalisierbar" zu machen (1.2.). Sodann muss der allgemeine Forschungsstand der Suizidforschung als Kontext der Studie umrissen (1.3.) und in ein untersuchungsleitendes Modell integriert werden, danach gilt es, die Datengrundlagen und die Methodik der Analyse zu explizieren (2.), bevor mit der Prfisentation der konkreten Hypothesen und der Ergebnisse ihrer Oberpn]fung in medias res der Korrelations- und Kausalanalyse geschritten werden kann (3.). AbschlieBend wird in Kapitel 4 zusammengefasst, welche praktischen Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine Verbesserung der Suizidprfivention aus den Untersuchungsergebnissen gezogen werden kOnnen.
19 Eine nahere Beschaftigungmit den in Wien vorgefallenen sozialen Ver~nderungen in jener Zeitspanne erschiene also im Hinblick auf mOglicheSuizidpr~ventionsmaBnahmenbesonders lohnend.
1.2 Begriffserlfiuterungen und Definitionen
23
1.2 Begriffserl~iuterungen und Definitionen Die vorliegende Studie besch~iftigt sich mit dem Problem des Suizids, also der gezielten Selbstt0tung von Menschen. Bei diesem Untersuchungsgegenstand ,,Suizid", in der Alltagssprache meist immer noch als ,,Selbstmord" bezeichnet, handelt es sich allenfalls auf den ersten Blick um ein eindeutiges Phfinomen, welches keiner nfiheren Erl~iuterung bedtirfte. Bei n~iherer Besch~iftigung mit dem Thema wird rasch deutlich, dass sich durchaus Grauzonen zu anderen Ereignissen feststellen lassen. Ftir ein korrektes methodisches Vorgehen in einer wissenschaftlichen Untersuchung ist so eine eindeutige Definition dessert, was innerhalb derselben unter ,,Suizid" verstanden wird, und was nicht, unumgfinglich. Auch die wichtigsten t e r m i n i t e c h n i c i der Suizidforschung sollen an dieser Stelle vorgestellt und in ihrer jeweiligen Verwendung durch den Studienautor prtizisiert werden.
1.2.1
,, S e l b s t m o r d ", ,, F r e i t o d ", ,, S e l b s t t O t u n g " u n d ,, S u i z i d "
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird, wenn selbstzerstOrerische Verhaltensweisen von Menschen behandelt werden, gew0hnlich von ,,Selbstmord" und ,,Selbstmordversuch" gesprochen. Mit diesem Phfinomen intensiver besch~iftigte Experten setzen sich allerdings schon seit mehreren Jahrzehnten fast vOllig geschlossen d a ~ r ein, diese Begriffe durch moralisch-werthaft neutralere zu ersetzen. 2~ Mag man zum prinzipiellen Recht des Menschen, fiber seinen eigenen Tod zu verfdgen, stehen wie man will, leuchtet doch jedenfalls ein, dass es etwas ganz anderes ist, im v o l l e n B e w u s s t s e i n des e i g e n e n T u n s einen a n d e r e n Menschen absichtlich und gegen dessen Willen zu tOten - was ,,Mord" meint - oder aber seinem e i g e n e n Leben gezielt ein Ende zu setzen. 21 Bei Mord und Mordversuch handelt es sich im Strafrecht nahezu aller Staaten um eines der am schwersten geahndeten Verbrechen; ,,Selbstmord" dagegen, und ,,Selbstmordversuch", ist zumindest in den liberalen Demokratien europ~iischer Pr~igung schon seit Jahrzehnten keine mit Strafe bedrohte Handlung mehr. 22 Grundlage fiir diese Bewertung der Selbstt6tung bzw. des Selbstt6tungsversuchs ist, neben dem Umstand, dass er nicht unmittelbar in die Grundrechte anderer Personen eingreifl, auch die fundamentale Erkenntnis der medizinischen und psychologischen Suizidforschung, dass derartige Verhaltensweisen zwar den Betroffenen bewusste und von ihnen intendierte Handlungen zum Zweck der Beendigung des eigenen Lebens darstellen, dass diese aber in den allermeisten, wenn nicht in allen Ffillen, keineswegs durch ,,freie Willensentscheidung" zustande kommen. Das fundamentale philosophische Problem, inwieweit es einen ,,freien Willen" des Menschen tiberhaupt gibt, kann diesbeztiglich gahz auBer acht 2o Vgl. etwa Horst Haltendorf, Suizidalit~it. In: Wielant Machleidt et al. (Hg.), Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Stuttgart - New York 2004, S. 241, Bronisch, Suizid, S. 8. 2~Zur Analyse der Begriffe ,,Suizid", ,,Selbstmord" und ,,Freitod" vgl. auch: Matthias Kettner, Benigna Gerisch, Zwischen Tabu und Verstehen. Psycho-philosophische Bemerkungen zum Suizid. In: Ines Kappert, Benigna Gerisch, Georg Fiedler (Hg.), Ein Denken, das zum Sterben ftihrt. Selbstt0tung -das Tabu und seine Brtiche. G0ttingen 2004, S. 38-66. 22 Interessanterweisewar die letzte europ~iischeDemokratie, welche Suizid - bzw. Suizidversuch, denn nur tiberlebende ,,Selbstm0rder" konntenja bestrafl werden - aus ihrem Strafgesetzbuch strich, gerade das besonders ,,liberale" und ,,individualistische" England (1961). In Osterreich stellten Suizid und Suizidversuch seit 1803 (!)juristisch kein Verbrechen mehr dar, ab 1859 auch keine (Verwaltungs-),,Obertretung"mehr. Vgl. Bronisch, Suizid, S. 8, Sonneck, Krisenintervention, S. 254.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
gelassen werden; vielmehr zeigt die psychologisch-psychiatrische Analyse von Suizidenten Menschen, die eine Selbstt0mng planten und/oder - sei es ,,erfolgreich" oder nicht durchNhrten, dass sich die meisten Betroffenen in einem deutlichen Zustand der mentalen ,,Einengung" befanden. Dies bedeutet, dass diesen Personen von den dem ,,normalen" psychisch mehr oder weniger gesunden - Menschen often stehenden MOglichkeiten des Denkens und Empfindens nur noch ein Bruchteil zur Verftigung stand. Insbesondere in der letzten Phase vor der Suizidhandlung, die Tage oder Stunden, manchmal auch kiarzer dauern kann, wird, wie man aus Berichten Betroffener t~ber ,,missgliackte Suizidversuche" weil3, der Schritt zur Selbstti3tung als zwanghafier Impuls erlebt; es erscheint nicht einmal mehr m0glich, andere Denkinhalte, besonders solche emotional angenehmen oder auch nur neutralen Charakters, zu vergegenwfirtigen, also sich von den Suizidideen ,,abzulenken". Diese Charakteristik suizidaler Zust~inde wurde in den letzten Jahrzehnten yon Medizinern und Psychologen sehr gut erforscht; seine klassische, bis heute gtiltige Beschreibung als ,,suizidale Einengung" erstellte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg der Wiener Psychiater Erwin Ringel in seiner Studie ,,Der Selbstmord. Abschluss einer krankhaften ~23 psychischen Entwicklung. Jene Umst~inde der mentalen Beeintr~ichtigung, welche ftir das Vorfeld von fast allen Suizidhandlungen bei den Betroffenen konstatiert werden k0nnen, legen im Obrigen nicht nur nahe, das kriminalisierende Vokabel ,,Selbstmord" ftir den wissenschaftlichen, aber auch ftir den 0ffentlichen Gebrauch abzulehnen, sondern auch den besch0nigenden, eine ,,entspannte" Haltung zum Suizid f0rdernden Ausdruck ,,Freitod". Hierbei handelt es sich, in psychologischer Sicht, um einen Versuch rationalisierender Bewfiltigung suizidaler Tendenzen. So nimmt es auch nicht Wunder, dass es sich bei dem ,,klassischen" Vertreter des ,,Freitod"-Gedankens, Jean Am6ry, um einen - durch Inhaftierung in nationalsozialistischen Konzentrationslagern - psychisch schwer traumatisierten Menschen gehandelt hatte. 24 Aufgrund der Ablehnung des Begriffs ,,Selbstmord" (wie auch des weniger hfiufig, vor allem in Zusammenhang mit Suiziden von Intellektuellen gebrauchten Ausdrucks ,,Freitod") rekurriert die medizinische und psychologische Fachsprache auf den relativ wertneutralen Fachausdruck ,,Suizid", abgeleitet vom lateinischen ,,suicidium". Dieser Begriff wird auch in der vorliegenden Studie im Allgemeinen zur Anwendung kommen; gelegentlich wird er durch den ident gebrauchten deutschen Ausdruck ,,Selbstt0tung" ersetzt. Der Studienautor m0chte bei dieser Gelegenheit auch seiner Ansicht Ausdruck verleihen, dass ihm der deutschsprachige Ausdruck ,,Selbstt0tung" fdr die Er0rterung dieses Themas in einer breiteren Offentlichkeit als der geeignetste erscheint; das Vokabel ,,Suizid" konnte trotz des nun schon mehrere Jahrzehnte wfihrenden, vorrangigen Gebrauchs in der wissenschaftlichen Expertensprache im deutschsprachigen Raum nur sehr begrenzt in die Alltagssprache diffundieren; 25 betrachtet man etwa Pressemeldungen zu diesem Thema, so ist - auch in ,,Qualit~itszeitungen" - tiberwiegend immer noch von ,,Selbstmord" die Rede. Eine Erset-
Erwin Ringel, Der Selbstmord. Abschluss einer krankhaften psychischen Entwicklung. Eine Untersuchung an 745 geretteten Selbstm0rdern. Wien 1953 (Neuauflage 2002). Zur bis heute grundlegenden Stellung der Erkenntnisse Ringels vgl. etwa: Bronisch, Suizid, S. 35-37. 24Sein einschlfigiges Werk mit dem Titel ,,Hand an sich legen. Diskurs t~ber den Freitod" erschien erstmals 1976. Der 1912 in Wien geborene Schriftsteller tOtete sich im Jahr 1978 in Salzburg. Vgl. Richard Bamberger et al. (Hg.), Osterreich-Lexikon. Wien 1995, Bd. 1, S. 32. 25Hierbei handelt es sich um ein Problem, welches im Angelsachsischen sowie in den romanischen Sprachen nicht existiert; dort sind ,,suicide" (engl., frz.) bzw. ,,suicidio" (ital., span.) die allgemein benutzten Ausdrt~cke, welche im Wortsinn dem deutschen ,,Selbstt0tung" entsprechen. 23
1.2 Begriffserlfiutemngen und Definitionen
25
zung dieses Ausdrucks durch das angemessenere ,,SelbsttOtung" erschiene dabei nicht nur als Obung akademischer Korrektheit, sondern k0nnte nach Ansicht des Verfassers einiges dazu beitragen, das Thema ,,Suizid" zu enttabuisieren, und Menschen, die von ,,Selbstmordgedanken" (!) geplagt sind, den Schritt zur Mitteilung der Probleme im Familien- und Freundeskreis sowie zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe erleichtern.
1.2.2 Suizid, Suizidversuch, Parasuizid; Suizidalitdt und Suizident Far die Zwecke der vorliegenden Studie bleibt aber noch Weiteres im Hinblick auf die Begriffsverwendung zu klfiren: Diese Untersuchung beschfiftigt sich, aus Granden der Beschrfinktheit der zeitlichen Ressourcen wie auch aufgrund der inhaltlichen Unterschiedenheit der Phfinomene, ausschlieBlich mit vollzogenen Suiziden. Hierunter wird, gemfiB der empfohlenen Definition der Weltgesundheitsorganisation, Folgendes verstanden: ,,Ein Suizid ist eine Handlung mit t0dlichem Ausgang, die der Verstorbene mit Wissen und in Erwartung des t6dlichen Ausgangs selbst geplant und ausgeft~hrt hat mit der Absicht, die [...] gew0nschten Verfinderungen herbeizufahren. ''26 Suizidale Ideen, Parasuizide - darunter werden gezielte, selbstverletzende und selbstgef~,hrdende Handlungen verstanden, die nach Ansicht des Ausabenden zum Tod flihren kOnnten und Suizidversuche im engeren Sinn - also bewusste Handlungen, mit denen der eigene Tod mit Bestimmtheit herbeigefahrt werden sollte - werden in dieser Studie also nur soweit beracksichtigt, als sie Personen betreffen, deren Leben spfiter durch Selbstt6tung beendet wurde. 27 Wenn im Folgenden aber yon Suizid die Rede ist, d a n n i s t damit stets eine Handlung gemeint, an deren Folgen der Betroffene (meist innerhalb kurzer Zeit, manchmal aber auch erst durch k0rperliche ,,Spfitfolgen") tatsfichlich verstorben ist. Der Ausdruck Suizidversuch wird dagegen in der vorliegenden Untersuchung nur in jenen Ffillen angewandt, wo die intendierte Handlung aberlebt wurde, das heiBt in Ffillen ,,missglt~ckter Selbstmordversuche". Weitere Fachausdracke, die hier im Zusammenhang mit der Beschreibung von SelbsttOtungshandlungen zur Anwendung kommen, sind der schon erwfihnte ,,Parasuizid" als sowohl ,,ernst gemeinte" als auch mehr appellative, jedoch nicht tOdlich endende Handlungen zur potentiellen SelbstzerstOrung umfassender B e g r i f f - sowie ,,Suizidalitfit" und ,,Suizident". ,,Suizidalit~,t" stellt den allgemeinen Oberbegriff far auf Selbstt0tungen bezogene Phfinomene dar, und umfasst auch Erscheinungen wie das Denken daran, sich selbst -
26 Zit. nach: M. Kelleher et al., Suizid. In: Hanfried Helmchen et al. (Hg.), Psychiatrie der Gegenwart, Bd. 6. Berlin 2000, S. 228. Vgl. auch die ganz ~.hnliche Definition, die schon Durkheim lieferte: ,,Man nennt Selbstmord jeden Todesfall, der direkt oder indirekt auf eine Handlung oder Unterlassung zurt~ckzufahren ist, die vom Opfer selbst begangen wurde, wobei es das Ergebnis seines Verhaltens im voraus kannte." (Durkheim, Selbstmord, S. 27) 27 Zur Unterscheidung yon ,,Parasuizid", ,,Suizidversuch" und (vollzogenem) ,,Suizid" vgl. Bronisch, Suizid, S. 11-17, Zur - weit schwieriger zu untersuchenden - Epidemiologie des Parasuizids in Europa vgl. bes. Armin Schmidtke et al. (Hg.), Suicidal behaviour in Europe: Results from the WHO/EURO multicentre study on suicidal behavior. Bern 2004, weiters: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000. Zur Epidemiologie yon Suizidversuch und Parasuizidalitat in Osterreich vgl. den 0sterreichischen Beitrag in dem soeben zitierten Sammelband yon Schmidtke et al. sowie: Dirk Dunkel, Elfi Antretter, Eberhard Deisenhammer, Christian Hating, Suizidales Verhalten in Tirol. Ergebnisse aus klinischen und nicht-klinischen Untersuchungen im Rahmen der WHO/EURO Multicenter Studie zu Parasuiziden. ln: Osterreichische Zeitschrift far Soziologie 23/4 (1998), S. 35-59.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
umzubringen (,,suizidale Gedanken"), suizidale Impulse - den unwillkarlichen Drang, sich zu tOten -, das Ausarbeiten von Plfinen for derartige Handlungen sowie Parasuizid und Suizid selbst. 28 ,,Suizident" schlieBlich meint generell jene Person, die eine Suizidhandlung setzt; in der vorliegenden Untersuchung beschrfinkt sich der Wortgebrauch, da vollendete Suizide im Zentrum der Analyse stehen, aber auf die durch Suizid Verstorbenen.
1.2.3
Der Suizid und seine Abgrenzung von anderen Todesursachen
Selbst unter den bereits getroffenen Einschrfinkungen, nur vollendete SelbsttOtungshandlungen zu untersuchen, ist die Abgrenzung des ,,Suizids" von anderen Phfinomenen keineswegs v611ig eindeutig. Selbstverstfindlich gibt es zahlreiche Ffille, in denen eine sehr hohe intersubjektive Ubereinstimmung t~ber die Beschreibung einer Handlung als ,,Suizid" erreicht wird, so etwa wenn sich eine Person in Gegenwart von Zeugen aus offensichtlich eigenem Antrieb von einem mehrst~Sckigen Gebfiude stiirzt, sich mit einer Schusswaffe in den Kopf schieBt o.fi., und die entsprechende Handlung nicht ~iberlebt. Wird, was aber sehr hfiufig ist, eine solche Handlung allein, ohne die Anwesenheit anderer Personen begangen, ist die Rekonstruktion des Vorgangs zumindest Nr Laien hfiufig keineswegs eine einfache. Geht derselbe bei der Auffindung eines Erhfingten gewOhnlich von Suizid aus - was aber auch nicht immer zutrifft, und von den ermittelnden SicherheitsbehOrden im Allgemeinen auch auf Plausibilitfit t~berprtfft wird _,29 stellt sich die Situation im Falle einer Medikamenten- oder gar Drogenvergiftung schon ganz anders dar. Fehlt ein authentischer, so genannter ,,Abschiedsbrief', und sind keine eindeutigen mt~ndlichen AuBerungen t~ber Suizidvorhaben aus der Zeit unmittelbar vor dem Tod bekannt, und weisen weiters keine Umstfinde auf Mord hin, muss es manchmal bis zu einem gewissen Grad Sache der Interpretation bleiben, ob ein solcher Todesfall als Suizid oder aber als Unfall klassifiziert wird. Polizeiliche und gegebenenfalls gerichtsmedizinische Untersuchungen t~ber das Quantum der ,,Oberdosis" kOnnen in solchen Ffillen oftmals, aber nicht immer, Hinweise in Richtung der einen oder der anderen Erklfirung bieten. Mindestens ebenso schwierig stellt sich die Zuordnung mancher Todesfalle im StraBenverkehr dar. Schon aus Pressemitteilungen ist bekannt, dass nicht wenige ,,Verkehrsunfalle" die ermittelnden BehOrden im Unklaren lassen, ob groBer Leichtsinn, eine momentane Ablenkung oder gezielte Suizidabsicht Ursache eines tOdlichen Ausgangs waren. Selbst Eisenbahnunf'fille sind diesbezt~glich nicht immer eindeutig zuordenbar, nfimlich dann, wenn sich der Betroffene nicht wie dies meist der Fall ist - zu FuB auf die Gleise begab, und wom6glich noch angesichts eines nahenden Zuges hinlegte, sondern wenn er etwa mit einem Auto innerhalb sich schlieBender Schranken stehen blieb. In der empirischen Suizidforschung werden im Allgemeinen jene Ffille, in welchen die Suizidabsicht nicht mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu ermitteln ist, aus der Analyse ausgeklammert, woft~r nicht zuletzt praktische Grande sprechen. Auch in die vorliegende Untersuchung werden nur jene Sterbeffille als ,,Suizide" einbezogen, die in der offiziellen Todesursachenstatistik derart klassifiziert wurden und/oder die von den SicherheitsbehOr-
28Vgl. etwa Horst Dilling, Christian Reiner, VolkerArolt, Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie. Berlin u.a. 2001, S. 271. 29 Und zwar nicht nur anhand von Ermittlungen im Umfeld des Betroffenen, abet dessen ,,Geisteszustand", famili~re, soziale und wirtschaftliche Lage, sondern auch anhand des kOrperlichenZustands der Leiche.
1.2 Begriffserlfiuterungen und Definitionen
27
den in den abschlie6enden Akten als gezielte SelbsttOtungen beschrieben werden. Selbstverstrindlich gribe es inhaltlich gute Gr~nde, auch gewisse Kategorien von Todesursachen Risikoverhalten wie etwa strindiges ,,am Limit-Fahren" im Stra6enverkehr unter Inkaufnahme von schweren und tOdlichen Unfallen, den Gebrauch von Drogen in bekanntermaf3en gesundheitsschridlichen und potentiell tOdlichen Dosierungen, aber auch die bewusste Nicht-Einnahme lebenswichtiger Medikamente oder das Verweigern von Nahrungsaufnahme, welches hriufig bei alten, suizidgefahrdeten Menschen auftritt- als Suizide zu behandeln. 3~ Dazu treten noch Sonderfalle, wie etwa das gezielte Sich-Aussetzen tOdlicher Gewalt durch andere, wie es etwa in der Folge von schweren Kriminalf~,llen seitens der Triter durch absichtliche Provokation yon Sicherheitskrfiften gelegentlich vorkommt. Da solche Ffille aber weder anhand von Statistiken noch anhand der zugrunde liegenden behOrdlichen Akten ausreichend von nicht suizidal intendierten Verhaltensweisen gleicher Art unterschieden werden kOnnen, werden sie in allgemeine Untersuchungen von Suizidalitrit meist nicht einbezogen, insbesondere nicht wenn es sich, wie auch im vorliegenden Fall, um statistisch-epidemiologische Analysen handelt, die aufgrund ihrer Konzeption der Einzelfallanalyse nur einen geringen Raum widmen kOnnen. Dennoch wurde auch in der vorliegenden Untersuchung darauf geachtet, die Zuordnung eines Todesfalls zur Kategorie ,,Suizid" sorgfaltig vorzunehmen. Es wfire selbstverstrindlich sowohl aufgrund fehlender Informationsgrundlagen, fehlender einschlrigiger Kompetenz des Studienautors und fehlenden zeitlichen MOglichkeiten v611ig sinnlos und unmOglich gewesen, etwa alle in der Steiermark im Untersuchungszeitraum vorgefallenen gewaltsamen, unfallbedingten oder ungeklrirten Todesfalle einer nachtrfiglichen Analyse im Hinblick auf etwaige Suizidalitfit des Opfers unterziehen zu wollen. Zweifelsohne werden daher einige - wenn auch angesichts des generell in Osterreich ja sehr gut funktionierenden Polizeiwesens wahrscheinlich nur wenige - Ffille von vom Verstorbenen als Suizid geplante Ereignisse, welche aber keinen Eingang in die Akten der SicherheitsbehOrden gefunden haben, unbert~cksichtigt geblieben sein. Dies tut aber der GtHtigkeit der f~r die grof3e Anzahl erfasster Suizide ermittelten Aussagen keinen Abbruch. Umgekehrt konnten aber sehr wohl die in den behOrdlichen Akten berichteten Suizidfalle einer gewissen (wenn auch in kriminalistischer Hinsicht natt~rlich laienhaften) Oberprtffung durch den Studienautor unterzogen werden, bei welcher es vor allem darum ging, etwaige positive Zuordnungen zum Bereich ,,Suizid" zu revidieren, welche aus suizidologisch-wissenschaftlicher Sicht unzutreffend oder unsicher scheinen. Der Verfasser stie6 allerdings nur auf einige wenige Frille, in welchen ein t/3dlicher Sturz im Drogen- oder Alkoholrausch oder Ahnliches als ,,Selbstmord" klassifiziert wurde, obwohl vom Betroffenen zuvor keine Suizidabsichten gefiu6ert worden waren, auch keine sonstigen deutlichen Hinweise auf eine Suizidhandlung vorlagen, und die entsprechende Zuordnung daher nicht vOllig abgesichert schien. Vier entsprechende Frille (also eine angesichts einer jfihrlichen Suizidzahl von 250 bis 300 Ffillen in der Steiermark minimale Quantitfit) wurden v o n d e r weiteren Untersuchung ausgeschlossen. 3oZur Abgrenzung des Suizids von anderen Formen von TodesfWlen vgl. schon die fruchtbaren Ausft~hrungen in: Durkheim, Selbstmord, bes. S. 24-29, weiters die rezenteren Er0rterungen in: Rainer Welz, Definition, Suizidmethoden, Epidemiologie und Formen der Suizidalit~t. In: Hans Wedler, Manfred Wolfersdorf, Rainer Welz (Hg.), Therapie bei Suizidgefahrdung. Ein Handbuch. Regensburg 1992, bes. S. llf. Zum spezifischen Problem der Erfassung des Zusammenhangs von Suizidalit~,tund Mortalit~tbei Senioren vgl. zudem: Armin Schmidtke, Bettina Weinacker, Suizidraten, Suizidmethoden und unklare Todesursachen alter Menschen. In: Zeitschrift for Gerontologie 24 (1991), S. 3-11
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
1.2.4 Die Messung der Suizidh~iufigkeit: Suizidrate und Suizidratio Eingangs dieses Kapitels wurde bei der Darstellung der H6he der Suizidhfiufigkeit in Osterreich und in der Steiermark im Besonderen bereits auf die wichtigsten Instrumente zur Messung derselben Bezug genommen. Im Folgenden seien dieselben nochmals vorgestellt und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile etwas ausfahrlicher erOrtert: Grundlage entsprechender quantitativer Erhebungen stellen natiJrlich stets die absoluten Suizidzahlen, also die Anzahl der SelbsttOtungen dar; hierbei kommt es zur Sicherung methodischer Zuverlfissigkeit, neben der besprochenen inhaltlichen Definition, vor allem auf eindeutige r~iumliche und zeitliche Abgrenzung des Untersuchungsfeldes an. Diese auf den ersten Blick vielleicht banale Forderung stellt in der Praxis durchaus Anspriiche an die Sorgsamkeit bei der Datenerfassung, insbesondere was die rfiumliche Zuordnung betrifft. Um Unklarheiten zu vermeiden, muss im Vornhinein entschieden werden, welches Kriterium die r~iumliche Zuordnung der Suizidf~ille zu einem bestimmten Untersuchungsgebiet bestimmen soll, wobei sicherlich der Wohnort des Suizidenten als am besten geeignet erscheint, da sowohl der Ereignisort der Suizidhandlung als auch der Ort des Todeseintritts stfirker von Zuf'~illigkeiten geprfigt sein k6nnen und so die soziogeographische Verortung der Suizidenten in seiner letzten Lebensphase weniger deutlich widerspiegeln. 3~ Hinsichtlich der zeitlichen Limitierung ist bei der Erfassung von Suizidh~iufigkeit vor allem das Problem des Todeseintritts durch Sp~tfolgen zu bedenken; es gilt also festzulegen, inwieweit abgesehen von denjenigen Ffillen, in welchen der Tod innerhalb des eigentlichen Beobachtungszeitraums eintrat, auch spfitere Sterbef~ille aufgrund von Suizidhandlungen in die Analyse einzubeziehen sind. Da die Untersuchungszeitrfiume aber gewOhnlich zumindest mehrere Monate umfassen, ist dieses Erfassungsproblem dann quantitativ praktisch vernachlfissigbar. Immerhin sollte dabei aber bedacht werden, dass die tatsfichliche Suizidquote auch aus Grt~nden der Nicht-Einrechnung solcher Ffille von Tod durch Sp~itfolgen einer Suizidhandlung etwas hOher anzunehmen ist. Zum Vergleich der Suizidh~iufigkeiten verschiedener Untersuchungsregionen oder auch verschiedener Untersuchungsperioden ist es unerl~isslich, die Anzahl der jeweils ermittelten Suizide in Relation zur betreffenden Einwohnerzahl zu setzen, um einen sinnvollen VergleichsmaBstab zu erhalten, eine ,,Suizidrate". W~ihrend prinzipiell zahlreiche Formen der Ermittlung solcher Verh~ltniszahlen mOglich sind, hat sich in der wissenschaftlichen Forschung weitgehend folgende Art der Berechnung von ,,rohen" Suizidraten als Standard durchgesetzt: 32 SRuj = Szy / EWu * 100. 000 Hierbei ist SRuj die zu ermittelnde Suizidrate in der Untersuchungsregion U far die Zeitspanne des Jahres J, Suj die Anzahl der in diesem Jahr in jener Region vorgefallenen Suizide, und EWu die Gesamtanzahl der Einwohner in der Untersuchungseinheit. Die ermittelte Kennzahl, welche im Aufbau dem allgemeineren epidemiologischen MaB der Inzidenzrate entspricht, stellt sich dann als Anzahl von Suiziden pro Jahr je 100.000 Einwohner dar. Far die jeweilige Einwohnerzahl werden im Allgemeinen amtliche Verlautbarungen herangezogen; bedauerlicherweise wird aber in manchen Studien die exakte Referenzquelle N~heres zur konkreten Auswahl der in dieser Studie analysierten Suizidf'~,llewird in Kapitel 2 er0rtert. 32 Vgl. etwa: Norman Kreitman, Die Epidemiologie des Suizids und Parasuizids. In: Karl Kisker et al. (Hg.), Psychiatrie der Gegenwart. Berlin u.a. 1986, Bd. 2, S. 87-106. Von der mathematischen Struktur her entspricht die Suizidrate innerhalb der allgemeinen Epidemiologieder Inzidenzrate. Lediglich die Bezugseinheit hinsichtlich der Einwohnerzahl variiert teilweise. Vgl. etwa: Leon Gordis, Epidemiologie. Marburg2001, S. 36.
31
1.2 Begriffserlfiutemngen und Definitionen
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nicht mitgeteilt. Es ist aber von grol3er Bedeutung, dass auch die Einwohnerzahl m6glichst zutreffend ermittelt wird, da sich bei einem Einsetzen veralteter Populationsdaten in Gebieten mit starker Migration erhebliche Abweichungen der ermittelten Suizidrate von der tatsachlichen ergeben k6nnen, und zwar nach unten, wenn in der Zwischenzeit Abwanderung, nach oben, wenn Zuwanderung stattgefunden hat. Die auf oben beschriebene Weise ermittelten, ,,rohen" Suizidraten reflektieren, wenn solche Fehler ausgeschlossen werden, aber in direkter Weise die tatsfichliche Suizidhfiufigkeit. In der vorliegenden Studie wird vor allem diese Form der Suizidrate zur Analyse herangezogen, weshalb, wenn keine nfihere Spezifizierung erfolgt, mit ,,Suizidrate" stets jene ,,rohe", das heigt keinen weiteren mathematischen Transformationen unterworfene Rate gemeint ist. Wichtige Varianten der ,,allgemeinen" Suizidrate stellen die Berechnungen von spezif i s c h e n Suizidraten flir bestimmte Teilpopulationen dar, wobei jene der beiden Geschlechter sowie der einzelnen Alterskategorien (z.B. in 5- oder 10-Jahres-Klassen) die gebrfiuchlichsten sind. 33 Spezifische Suizidraten lassen sich aber auch nach allen anderen denkbaren Unterscheidungskriterien bilden, etwa far verschiedene Familienst~nde, je nach Staatszugeh6rigkeit, ftir einzelne Berufsgruppen usw. Die Berechnung erfolgt in analoger Weise, wie es oben beschrieben wurde, nur dass jeweils lediglich die Suizide innerhalb der ausgewfihlten Personenkategorien zur Gesamtzahl der diesen Kategorien zuzurechnenden Personen innerhalb der Untersuchungseinheit in Bezug gesetzt werden, also etwa die Anzahl aller mfinnlichen Suizidenten zu jener aller Mfinner in einer Population, und die aller weiblichen Suizidenten zu der aller Frauen: SR,,jx = S,,jx / E W , x * 100.000 (x bezeichnet das jeweilige Auswahlkriterium). Voraussetzung ftir die Berechnung solcher spezifischer Suizidraten ist also die Kenntnis nicht nur der Anzahl der Suizidenten, die jener Kategorie zuzuordnen sind, sondern auch die der Gr~Sl3ejener Personenkategorie in der Grundgesamtheit der Untersuchungsregion. Ein weiteres, in der Epidemiologie allgemein, wie auch in der Suizidforschung h~ufig gebrauchtes Mag ist jenes der ,,standardisierten Rate", im Fall der Suizidforschung also der ,,standardisierten Suizidrate". Hierunter wird eine mathematische Transformation einer ermittelten ,,rohen" Rate verstanden, welche gewisse Besonderheiten der einzelnen betrachteten Analyseeinheiten, denen ein Einfluss auf die untersuchte Krankheits- bzw. Suizidhfiufigkeit zugesprochen wird, ausgleichen soll, mit dem Ziel, unabhfingig von jenen bestehende Haufigkeitsunterschiede sichtbar zu machen. Die in der medizinischen Epidemiologie am haufigsten - teils aber v611ig unhinterfragt - angewandte Standardisierungsform ist jene nach dem Alter. 34 Es leuchtet ein, dass etwa die allgemeine Mortalitfit zweier Populationen sehr wesentlich nach deren jeweiliger Altersstruktur differieren kann, dasselbe gilt zum Beispiel auch fdr das Vorkommen degenerativer Erkrankungen. 35 Wfihrend der Einsatz dieser Mal3zahl also sinnvoll ist, um in einer bestimmten Hinsicht - nfimlich dem Kriterium, nach welchem standardisiert wurde - deutlich verschiedene Populationen hinsichtlich der 33 Vgl. etwa Schmidtke et al (Hg.), Suicidal Behaviour. 34 Zur mathematischen Vorgangsweise vgl. Gordis, Epidemiologie, S. 59-61, besonders abersichtlich ist welters die Anleitung, welche das britische Public Health Network im Internet publizierte. 35Altersdemenz wird man etwa in europaischen Gesellschaften schon deshalb viel haufiger finden als in sadamerikanischen oder afrikanischen, weil die Menschen hierzulande eine h6here durchschnittliche Lebenserwartung haben und so vielfach aberhaupt erst die ,,Gelegenheit", Altersdemenz zu entwickeln. Eine altersstandardisierte Berechnung der H~_ufigkeitdes Vorkommens von Altersdemenz gleicht die unterschiedliche Altersstruktur durch verschiedene Gewichtung der einzelnen Altersklassen bei der Summation der Erkrankungsf~lle rechnerisch aus, sodass sich eine hypothetische Krankheitshaufigkeitunter der Annahme gleicher Altersstruktur ergibt.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
untersuchten Ereignishfiufigkeit mit einem einzelnen, griffigen Wert vergleichbar zu machert, erscheint seine Verwendung unter anderen Bedingungen durchaus problematisch, insbesondere dann, wenn die Konzentration auf das ,,methodisch korrekte" Operieren mit altersstandardisierten Raten die Dokumentation tatsfichlicher Ereignishfiufigkeiten verdr~.ngt. Denn ,,rohe" Suizidraten, um zum konkreten Untersuchungsgegenstand zurackzukommen, geben ohne groBe Voraussetzungen an Expertenwissen klare Auskunft aber das AusmaB dieses Phfinomens in einem bestimmten Gebiet, und erlauben, bei Kenntnis nur der Gesamteinwohnerzahl, auch eine Rackrechnung auf die tatsfichliche Zahl vorgefallener Selbstt6tungen. Demgegentiber ist der Rezipient, auch der wissenschaftliche Rezipient, einer Information aber eine standardisierte Suizidrate, nur mehr imstande, diese mit anderen standardisierten Suizidraten hinsichtlich ihrer Abweichungen in eine Rangordnung zu bringen, kann aber keine RackschlUsse Ober die konkrete Suizidhfiufigkeit im jeweiligen Untersuchungsfeld mehr gewinnen, ohne umfangreiche Daten und genaue Kenntnis zur mathematischen Vorgangweise des jeweiligen Autors zu haben. Im Falle einer Altersstandardisierung masste man so aber genaue Angaben zum Alter der Suizidenten, zur Altersverteilung in der jeweiligen Gesamtpopulation, zur Strukturierung einer gegebenenfalls zur Berechnung herangezogenen ,,Standardbev61kerung" und zu den gebrauchten Alterskategorisierungen verfagen, um aus der Angabe einer ,,altersstandardisierten Suizidrate" noch auf die tatsfichliche Suizidhfiufigkeit (sei es in absoluten Zahlen oder in Gestalt der ,,rohen" Suizidrate) rackschlieBen zu k6nnen. Noch schwerer als solche pragmatischen Argumente wiegen aber prinzipielle Einwfinde, die an dieser Stelle vorgebracht werden sollen, um deutlich zu machen, warum sich der Studienautor dieses im medizinisch-epidemiologischen Bereich sehr gebrfiuchlichen ,,tools" der quantitativen Analyse nur teilweise bedient, und als grundlegendes MaB der zu explizierenden Variable ,,Suizidhfiufigkeit" vielmehr die sogenannte ,,rohe", tatsfichliche Suizidhfiufigkeit in Relation zur Einwohnerzahl heranzieht: Der erste Einwand betrifft die inhaltliche Konzeption des Verhfiltnisses von Alter und Suizid und deren RUckwirkungseffekte auf Forschungsplfine. Mit der Konzentration auf ,,altersstandardisierte" Suizidraten wird nachgerade der Eindruck vermittelt, Suizidwahrscheinlichkeit und Alter warden in quasi ,,naturgesetzlicher" Weise zusammenhfingen. In diesem Zusammenhang kann leicht die Vorstellung entstehen, Alter und Suizid seien, unabhfingig von weiteren interferierenden Faktoren, kausal miteinander verbunden, wenngleich nur im Sinne einer Wahrscheinlichkeit, was natarlich ein Unsinn ist. Zudem entsteht vielleicht auch der Eindruck, das MaB des Zusammenhangs sei eindeutig eruiert, denn nur unter einer solchen Prfimisse macht es Sinn, auf weitere Oberprafungen des Vorliegens und der St~irke des Zusammenhangs zwischen Altersstruktur und Suizidhfiufigkeit zu verzichten. Denn das AusmaB der Assoziation zwischen Suizidhfiufigkeit und Altersstruktur kann nicht ermittelt werden, wenn nur mit altersstandardisierten Raten operiert wird. Altersstandardisierte Suizidraten erwecken auch in den konkreten Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Untersuchungseinheiten leicht falschliche Eind~cke, da ihre Pr~missen und die Auswirkungen des Standardisierungsprozesses nicht immer mitbedacht werden. Die altersstandardisierte Suizidrate einer Region, in welcher viele alte Menschen leben und in der sich auch viele alte Menschen das Leben nehmen, erscheint ja etwa nach dem Verfahren der Angleichung an die ,,Europfiische Standardbev01kerung" deutlich gesenkt, obwohl die tatsfichliche Suizidrate eigentlich hoch ist. Eine durch die Altersstandardisierung solcherart ,,gesenkte" Suizidrate sendet dann leicht ein falsches prfiventionspoliti-
1.2 Begriffserlfiuterungen und Definitionen
31
sches Signal; denn Suizidprfivention masste ihre Schwerpunkte doch wahl an der tatsfichlichen Hfiufigkeit van Suiziden ausrichten, und darf nicht van vornherein eine erh6hte Suizidalitfit gewisser Bev61kerungsteile ignorieren. Ein zweiter Einwand bezieht sich auf die hypothetische Vorgehensweise, die mit Standardisierungen nach einem bestimmten Kriterium unweigerlich verbunden ist. Die durchzufahrenden Rechenoperationen ergeben einenfiktiven Wert einer Ereignishfiufigkeit, welcher sich auf eine hypothetische Bev61kerung bezieht. Die ursp~ngliche Population wird hinsichtlich eines gewissen Kriteriums rechnerisch ,,normalisiert", an einen gewissen, yon Untersucher zu setzenden Standard angepasst, um so den die untersuchte Ereignishfiufigkeit ,,verzerrenden" Einfluss einer (oder einiger weniger) bestimmten Variable auszuschalten. Es muss letztlich aber v611ig unklar bleiben, welche Ereignishfiufigkeit in der betreffenden Bev61kerung tatsfichlich vorherrschen warde, wfire ihre Zusammensetzung, z.B. nach dem Alter, eine andere als die konkret vorhandene, u n d e s lfisst sich auch nicht ausreichend abschfitzen, welche Erhebungswerte andere Faktoren - z.B. die Hfiufigkeit bestimmter k0rperlicher Krankheiten, die Intensitfit der sozialen Beziehungen usw. - konkret annehmen warden, hfitte ein mit ihnen ja offensichtlich interferierender demographischer Faktor tatsfichlich eine andere Ausgestaltung. Soweit in der vorliegenden Studie alters- oder sonstig standardisierte Raten von Suizidhfiufigkeiten diskutiert werden, wird auf die Beracksichtigung dieser skizzierten Probleme Racksicht genommen. SchlieBlich sei an dieser Stelle noch ein anderer Aspekt der Messung von Suizidhfiufigkeit angesprochen, jener der Abschfitzung der Bedeutung dieser Todesursache (bzw. generell einer bestimmten Todesursache) im Gesamtkontext der Mortalitfit einer Bev01kerung. Erstaunlicherweise sind spezifisch die Gesamtmortalitfit ansprechende MaBzahlen in der Epidemiologie wenig in Gebrauch; wenn Todesursachenhfiufigkeiten 0ffentlich diskutiert werden, ist meist van einer Rangordnung die Rede (,,zehnthfiufigste Todesursache", ,,dritthfiufigste Todesursache"), was aber wenig aussagekrfiftig ist, da gew6hnlich nicht angefahrt wird, welche Kategorienbildung einer solchen Rangordnung zugrunde gelegt wurde: Unterscheidet man etwa etliche hundert Todesursachen, gemfiB den Feingliederungen der ICD (International Classification of Diseases) oder nur einige grobe Cluster van Todesursachen, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenerkrankungen, Krankheiten des Verdauungssystems usw.? Weit aussagekrfiftiger - und in manchen Bereichen sicher geradezu beunruhigend - wfire demgegenaber eine einfache Berechnung des quantitativen Anteils der jeweiligen Todesursache an der Gesamtmortalitfit. Solch ein ,,Mortalitfitsratio" far die Ursache X (MRx) kann dabei aus der Division der Anzahl der dieser Ursache zugeschriebenen Todesf~,lle (Mx) durch die Gesamtzahl der Todesf'alle (GM), jeweils bezogen auf denselben Zeitraum, etwa ein Jahr (J), errechnet werden; die Multiplikation mit 100 ergibt eine prozentuellen Weft: 36 MR~j = Mxj / GMj * 100.
36Eine entsprechende Berechnung findet sich Car die Schweiz in dem (ansonsten leider statistik-feindlichen) Werk: Ebo Aebischer-Crettol, Aus zwei Booten wird ein Flog. Suizid und Todessehnsucht. Erkl~rungsmodelle, Prevention und Begleitung. Zarich 2000, S. 63. Ein weiteres van nur wenigen diesbezaglichen Daten in der Forschungsliteratur zur Suizid-Problematik liefern Kelleher et al., die far Grogbritannien einen Anteil van 1% bekannter Suizide an allen Todesfallen berichten: Vgl. M. Kelleher et al., Suizid. In: Hanfried Helmchen et al. (Hg.), Psychiatrie der Gegenwart, Bd. 6. Berlin 2000. Allerdings sind in England die Regeln zur Klassifikation eines Sterbefalls als Suizid besonders streng, und es massen hierfar, wie in einem ordentlichen Gerichtsverfahren, stringente Beweise vorgebracht werden.
32
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Eine entsprechende Analyse der offiziellen Daten der Osterreichischen Todesursachenstatistik for die letzten Jahre ergibt erschreckende Werte: 37
Tabelle 4." Anteil der Suizide an der Gesamtmortalitfit in Osterreich 2001-2004 in Prozent
Gebiet
2001
2002
2003
2004
Durchschnitt 2001-2004
Burgenland
1,8
1,5
1,4
1,2
1,5
K,~rnten
2,5
2,8
2,2
2,4
2,5
NiederSsterreich
1,9
1,7
1,6
1,7
1,7
OberSsterreich
2,1
2,1
1,9
1,9
2,0
Salzburg
2,8
2,4
2,0
2,5
2,4
Steiermark
2,0
2,4
2,4
2,2
2,3
Tirol
2,2
2,6
2,3
2,1
2,3
Vorarlberg
2,2
2,2
2,5
2,3
2,3
Wien
1,6
1,6
1,5
1,6
1,6
Osterreich
2,0
2,1
1,9
1,9
2,0
Wie zu ersehen, nimmt die Steiermark auch bei dieser Form der Betrachtung der Suizidhfiufigkeit einen vergleichsweise sehr hohen Rang ein; allerdings verlieren Tirol und Vorarlberg in dieser Berechnung ihren sonst auch for den Zeitraum 2000 bis 2004 noch immer niedrigen Rang in der Suizidhfiufigkeit; auf die Gesamtzahl aller Todesf~ille bezogen sind Suizide in diesen Lfindem gleich h~iufig wie in der Steiermark; Salzburg und Kfirnten liegen bei dieser Form der Berechnung noch h6her, Ober0sterreich im Bundesdurchschnitt, und nur for das Burgenland, Wien und Nieder0sterreich ergeben sich Werte des ,,Suizidratios", die auch mit den entsprechenden niedrigen Suizidraten korrespondieren. Zu beachten ist hierbei, dass diese Unterschiede zwischen ,,Suizidratio" und Suizidrate die unterschiedlichert durchschnittlichen Lebenserwartungen und damit nicht zuletzt auch die differierenden Altersstrukturen widerspiegeln. Insbesondere geeignet erscheint die Maf~zahl des ,,spezifischen Mortalitfitsratios" aber, um die gesamtgesellschaftliche Dimension der jeweiligen Todesursache auszudrt~cken: Wenn tiber einen lfingeren Zeitraum, wie hier t~ber den yon 5 Jahren, 2 % aller Todesf~ille in Osterreich insgesamt (bzw. 2,3 % in der Steiermark) auf Suizide zurt~ckzu~hren waren, bedeutet dies nichts anderes, als dass, wenn die entsprechende Suizidhfiufigkeit in Zukunft erhalten bliebe, 2 % der jetzt lebenden Osterreichischen Bev01kemng, also jede/r 50. Osterreicher/in, friJher oder sp~iter durch Selbstt0mng sein Leben beendete!
37
Daten der Statistik Austria, Todesursachenstatistik, Berechnungdes Verfassers.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
33
1.3 Der F o r s c h u n g s s t a n d zur Epidemiologie des Suizids Seit den Anf'angen der wissenschaftlichen Suizidforschung nahmen und nehmen damit befasste Experten an, dass das Phfinomen der Selbstt0tung bestimmte Personengruppen stfirker betrifft als andere. Je nach Wissenschaftsdisziplin standen bei entsprechenden Untersuchungen k0rperliche, psychische oder soziale Merkmale im Vordergrund, wobei sich allerdings in den letzten Jahrzehnten eine starke Tendenz zur inter- bzw. transdisziplinfiren Forschung bemerkbar gemacht hat. Die Erforschung eines so komplexen Phfinomens wie ,,Suizid" wird denn auch sicher bei einer adfiquaten Beracksichtigung der Pluridimensionalitfit des menschlichen Lebens - als individuelle Person mit ,,Leib und Seele", die zugleich von ihrer jeweiligen natarlichen und kulturellen Umwelt wesentlich geprfigt ist- am fruchtbarsten sein. Im medizinischen Bereich hat sich far solche Ansfitze der Begriff vom ,,biopsychosozialen Modell" von Gesundheit und Krankheit etabliert. Hierauf wird im Hinblick auf die vorliegende Studie noch nfiher eingegangen. Zunfichst seien hier aber grundlegende Erkenntnisse aber Suizidgeffihrdung und von Suizid besonders betroffene Personenkategorien vorgestellt, welche die verschiedenen Ansfitze der Suizidforschung hervorgebracht habeno
1.3.1 Fundamentale epidemiologische Kenntnisse zur Suizidproblematik Gleichgaltig, ob nun mit somatologischen, psychologischen oder soziologischen Modellen der Suizidalitfit operiert wird, beachten die allermeisten einschl~gigen Studien einige basale demographische Aspekte, hinsichtlich derer gew0hnlich unterschiedliche Suizidrisiken bestehen. An allererster Stelle ist hier der Faktor Geschlecht zu nennen: Obwohl soziokulturell keineswegs invariabel - in manchen aul3ereuropfiischen Gesellschaften, darunter China, suizidieren sich Frauen hfiufiger als Mfinner 38 -, gilt far Europa insgesamt - und zwar seit Beginn der staatlichen Todesursachenstatistik-, dass Mfinner deutlich stfirker vom Suizid betroffen sind als Frauen. 39 Allerdings schwankt der geschlechtsspezifische Unterschied der Suizidraten je nach untersuchter Region bzw. auch Zeitspanne. Als spezifische Mal3zahl hierfar hat sich die ,,Genderratio" etabliert, in dem die Anzahl der ,,m~,nnlichen" Suizide jener der weiblichen gegent~bergestellt wird: In Europa differierte er in den letzten Jahren zwischen ,,nur" 2:1 in den Niederlanden - also einer etwa doppelten Anzahl von Selbstt0mngen von Mfinnem gegent~ber jener von Frauen - und Werten yon bis zu 5:1 (!) far Polen und Litauen. In den meisten europfiischen Lfindem liegt die
35Vgl. Andrew Cheng, Chau-Shuon Lee, Suicide in Asia and the Far East. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The International Handbook of Suicide and Attempted Suicide. Chichester u.a. 2002, S. 31. 39 Vgl. bes.: Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von M~nern, S. 6-13, weiters u.a.: Christopher Cantor, Suicide in the Western World. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The International Handbook of Suicide and Attempted Suicide. Chichester u.a. 2002, S. 17, Kelleher et al, Suizid, S. 233, Bronisch, Suizid, S. 53, Armin Schmidtke, Bettina Weinacker, Cordula L0hr, Epidemiologie der Suizidalitfit im 20. Jahrhundert. In: Manfred Wolfersdorf, Christoph Franke (Hg.), Suizidforschung und Suizidpr~.vention am Ende des 20. Jahrhunderts. Regensburg 2000, S. 63-88, Zu den europ~ischen Suizidstatistiken des 19. Jahrhunderts vgl. v.a. Durkheim, Selbstmord, far Osterreich im Speziellen auch: Ortmayr, Selbstmord. Der quantitativ kleinen Gruppe yon Trans-GenderIndividuen widmen suizidologische Untersuchungen im Allgemeinen keine Aufmerksamkeit, obwohl eine Beschaftigung mit dem Ausmag von Suizidalitat in dieser Personenkategoriebedeutsam ware.
34
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Genderrelation aktuell bei etwa 3"1,4~ so auch in Osterreich, wo sich far die Jahre von 1995 bis 2004 ein Wert von 2,9:1 ergibt. 4z Allerdings ist das Geschlechterverhfiltnis der SelbsttOtungen in Osterreich im Zeitablauf kein stabiles. Wie einer Ubersicht in der Studie ,,Suizide von M~nnem" von Sonneck, Stein und Voracek zu entnehmen ist, lag die Relation von 1946 bis in die 1980er Jahre fast immer unter 2,5'1,42 was aber nicht auf eine geringere Anzahl von Suiziden von M~nnern, sondern auf eine deutlich hOhere Suizidsterblichkeit von Frauen zurackzufahren war. ,,Der Rackgang der [Gesamtzahl der] Suizide seit 1986 ist somit in hOherem Mage auf einen Rackgang der weiblichen Suizide zurackzufahren", beobachteten die Studienautoren bereits 2002. 43 In der Zwischenzeit hat sich dieser Trend noch fortgesetzt" Gegent~ber dem ,,Spitzenjahr" der Suizidalitfit 1986 lag die absolute Suizidzahl der Mfinner in Osterreich 2004 zwar um immerhin 29 % niedriger (1073"1511), die Anzahl der SelbsttOtungen von Frauen ist dagegen aber um 45 % (!) gesunken (345"628). Mfinner sind daher heute in ()sterreich im Vergleich zu Frauen noch stfirker suizidgefahrdet als dies vor einigen Jahrzehnten der Fall war. 44 Auf die m6glichen Ursachen der beschriebenen Geschlechterdifferenz in der Suizidhfiufigkeit wird in den folgenden Abschnitten, die sich mit unterschiedlichen Erklfirungsansfitzen far Suizidalitfit insgesamt auseinandersetzen, noch etwas nfiher eingegangen. Was den stfirkeren Rackgang der Suizidsterblichkeit bei Frauen in den letzten beiden Jahrzehnten betrifft, ist jedenfalls die Annahme nahe liegend, dass weibliche Betroffene die seit den 1990er Jahren Osterreichweit stark verbesserten psychiatrischen und psychotherapeutischen Hilfsangebote bei psychosozialen Problemen vielleicht besser nutzen konnten als mfinnliche, denen hierbei vielfach immer noch das traditionelle Rollenbild vom ,,starken", ,,auf niemanden angewiesenen" Mann im Weg stehen dt~rfte. 45 Erwfihnt sei an dieser Stelle noch, dass das tar vollendete Suizide festzustellende hOhere Risiko far M~nner far nichtletal endende Suizidversuche und far Parasuizide nicht gilt: Hier zeigen fast alle Untersuchungen in Europa einen Frauenanteil, der jenen der M~nner abertrifft. 46 Eine weitere Standardvariable der allgemeinen Statistik wie der medizinischen Epidemiologie ist das Alter; tatsfichlich f'6rdert eine spezifische Analyse der Suizidalit~t hinsichtlich der Altersklassen so erhebliche Unterschiede des Suizidrisikos zutage, wie sie kaum ein anderes Differenzierungskriterium, v o n d e r schon er0rterten Geschlechterzugeh0rigkeit einmal abgesehen, aufzeigen kann. Dies beginnt zun~chst mit dem Umstand, dass im jt~ngeren Kindesalter Suizid gar nicht auftritt 4v und auch bei jt~ngeren Pubertierenden bis zu 14 Jahren im Allgemeinen eine Seltenheit darstellt. 48 Erst in der Alterskategorie der 15- bis 1940Vgl. Sonneck/Stein/Voracek,Suizide yon Mannern, S. 9 41 Berechnung des Verfassers anhand der Daten der Todesursachenstatistik der Statistik Austria. 42Vgl. Sonneck/Stein/Voracek,Suizide yon M~,nnern,S. 47f. 43Sonneck/Stein/Voracek,Suizide von M~nern, S. 49. 44 Die hOchsten Suizidziffern (und Suizidraten) von Frauen lassen sich far das Gebiet von Osterreich bei historischer Betrachtung far die Zeit des Zweiten Weltkriegs feststellen, also eine gesellschaftlicheAusnahmesituation. Vgl. Sonneck/Stein/Voracek,Suizide von M~nern, S. 47, Ortmayr, Selbstmord, S. 216. 45Vgl. hierzu den kompakten Handbuchbeitrag: Gernot Sonneck, Claudia Schumann, Ist der Suizid M~nnersache? In: Bundesministerium far soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (Hg.), Psychosoziale und ethische Aspekte der Mfinnergesundheit. Wien o.J. (2004), S. 189-192. 46Vgl. Armin Schmidtke, Bettina Weinacker, Cordula LOhr, Epidemiologie der Suizidalitfit im 20. Jahrhundert. In: Manfred Wolfersdorf, Christoph Franke (Hg.), Suizidforschung und Suizidpr~vention am Ende des 20. Jahrhunderts. Regensburg2000, S. 68, Bronisch, Suizid, S. 53, Aebischer-Crettol,Todessehnsucht, S. 67 47 Hier wird von entwicklungspsychologischereine noch nicht vorhandene F~.higkeitzu entsprechender Selbstreflexion angenommen. Vgl. hierzu: Israel Orbach, Kinder, die nicht leben wollen. Gottingen 1997, bes. S. 100-111. 4~Vgl. hierzu: Sonneck/Stein/Voracek,Suizide von Mannern, S. 22.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
35
Jfihrigen lassen sich Suizidraten fassen, die j e n e n h0herer Alterskohorten fihneln, obwohl sie im Allgemeinen immer noch sehr niedrig liegen; 49 Suizidversuche (ohne t0dlichen Ausgang) sind allerdings in jener Altersgruppe - hierbei vor allem bei Frauen - sehr hfiufig, hfiufiger als bei allen filteren Personen. 5~ Dieser Umstand ist es wohl auch, der zu einer merklich verzerrten W a h r n e h m u n g des Suizidrisikos in der Offentlichkeit fuhrt, wo ,,Teenager" vielfach als besonders suizidgef~ihrdet gelten, obwohl Suizidhandlungen mit tOdlichem A u s g a n g in ganz Europa bei Menschen im Pensionsalter bei weitem am haufigsten vorfallen. Tabelle 5 prfisentiert entsprechende Daten far einige europfiische Staaten (far den Zeitraum der frahen 1990er Jahre), einschliel31ich Osterreichs.
Tabelle 5.
Alters- u. geschlechtsspezifische jfihrliche Suizidraten in Europa (1990-1994) sl
M~nner
15-24 J.
25-34 J.
35-44 J.
45-54J.
55-64J.
65-74J.
75 + J.
Finnland Ungarn
41,4 20,1
60,7 54,4
67,8 82,0
64,1 95,1
57,3 84,6
45,9 92,5
71,9 183,0
Osterreich
24,3
30,3
37,2
41,5
46,7
61,1
118,0
Schweiz Deutschland Frankreich Niederlande Italien Spanien
25,8 14,0 15,3 9,3 6,1 7,0
32,7 21,3 32,0 15,9 10,3 10,6
33,0 26,0 40,1 17,7 10,6 9,4
39,8 31,1 40,1 16,7 12,6 11,9
41,9 32,2 38,1 18,6 17,1 17,4
47,4 35,9 47,1 19,7 22,9 23,2
89,8 86,1 103,0 35,4 44,3 47,8
Frauen
15-24 J.
25-34 J.
35-44 J.
45-54 J.
55-64 J.
65-74 J.
75 + J.
Finnland Ungarn
7,5 6,2
12,0 11,6
17,4 20,3
20,4
26,5
17,5 28,0
13,3 37,6
9,6 67,3
Osterreich
6, 2
8, 0
12,1
17,1
17,4
18,5
28,5
Schweiz Deutschland Frankreich Niederlande Italien Spanien
5,8 3,5 4,5 3,7 1,8 1,7
9,0 5,7 9,0 7,2 2,9 2,6
13,5 7,7 13,0 9,6 3,9 3,0
16,7 12,1 16,5 9,5 4,9 3,9
17,0 12,9 17,6 10,9 6,8 6,0
19,8 16,7 17,9 10,4 8,0 8,8
23,0 26,4 25,3 12,1 9,3 11,9
, , ,
49 Wie ablich, berechnet je 100.000 Einwohner und Jahr. Vgl. zu den Daten: Schmidtke/Weinacker/LOhr, Epidemiologie, S. 65 [Deutschland], Aebischer-Crettol, Todessehnsucht, S. 67 [Schweiz], Kreitman, Epidemiologie, S. 90 [England], Etzersdorfer/Voracek/Kapusta/Sonneck, Epidemiology of Suicide, S. 32f., Etzersdorfer/Fischer/ Sonneck, Epidemiologie der Suizide, S. 595, 5oVgl. Kreitman, Epidemiologie, S. 97, sowie ein Diagramm far Deutschland in: Bronisch, Epidemiologie, S. 7. 5~Auswahl der in Sonneck, Krisenintervention, S. 259f., angefahrten Daten. Die Gesamtraten far beide Geschlechter, die ursprOnglich nicht angegeben waren, wurden vom Verfasser nachtraglich als grobe Ann~erungen als arithmetisches Mittel zwischen den M~nner- und Frauen-Raten errechnet, und sind daher mit dem Symbol ,,-" far ungef~hre Werte gekennzeichnet und nur in gerundeten, ganzen Zahlen angegeben (Insbesondere in der Altersklasse aber 75 darfte so, wegen der h0heren Lebenserwartung von Frauen insgesamt, tatsachlich ein etwas niedrigerer Gesamtwert anzunehmen sein).
36
1 Forschungsproblem und Forschungsstand Gesamt
15-24J.
25-34J.
35-44J.
45-54J.
55-64J.
65-74J.
75 + J.
Finnland
~24
~36
~43
~42
~37
~30
~41
Ungarn
~13
~33
~51
~61
~56
-65
~125
Osterreich
~ 15
-- 19
--25
--29
--32
--40
--73
Schweiz
~16
~21
~23
--28
~29
~34
~56
Deutschland
~9
---14
,--17
---22
~23
,--26
---56
Frankreich
~10
~21
~27
~28
--28
~33
-64
Niederlande
~7
~12
~14
~13
--15
~15
~24
. . ,
Italien
-4
~7
--7
~9
---12
- 15
---37
Spanien
~4
~7
--6
~8
~ 12
~ 16
~30
. . . .
Wie zu ersehen ist, kann far beide Geschlechter in den meisten Landem eine durchgehende, in der letzten Alterskategorie (ab 75 Jahren) allerdings noch dramatisch zunehmende ErhOhung der Suizidrate mit zunehmendem Alter festgestellt werden: In Landem mit insgesamt niedrigen Suizidraten, wie Italien und Spanien, bewegt sich diese von Werten (jeweils ffir Frauen und Manner zusammengenommen) von unter 5/100.000 Ew. in der Kategorien der 15-24-Jfihrigen, fiber Raten um die 10 noch bei den 45-54- und 55-64-Jfihrigen, bis zu Maxima zwischen 30 und 40 bei den fiber 75-Jfihrigen. In Lfindem wie Deutschland und Frankreich verlauft die Steigerung von Raten bei etwa 10 ffir die jangste betrachtete Altersklasse, die der 15-24-Jfihrigen, fiber ansteigende Raten zwischen 20 und 30 in den ,,mittleren" Altersklassen zwischen 35 und 64 zu Suizidraten von etwa 60 je 100.000 bei Menschen tiber 75. 52 Eine ahnliche Struktur zeigt sich, bei kontinuierlich etwas erhOhten Suizidhaufigkeiten, auch far Osterreich. VOllig abweichend vor allem hinsichtlich hohen Gesamtniveaus stellt sich demgegenfiber die Suizidalitat in Ungarn dar, die nur far die Altersgruppe der Unter-25-Jahrigen dem Niveau anderer europaischer Lander entspricht, schon in der Kategorie der 35-44-Jahrigen aber Haufigkeiten von tiber 50 Selbstt6tungen je 100.000 Einwohner und Jahr erreicht, und bei den Uber-75-Jahrigen auf den exorbitanten Wert von ca. 125 klettert (wie immer, far Manner und Frauen zusammengenommen). Betreffend der kontinuierlichen Zunahme der Suizidhaufigkeit mit dem Alter zeigt unter den hier herausgegriffenen Staaten aber nur Finnland eine Abweichung, indem hier die geschlechterunspezifischen Raten zwar insgesamt auf einem sehr hohen Niveau sind, aber sich far die Altersgruppen ab 35 nicht mehr erh6hen. Betrachtet man die altersspezifischen Suizidraten der beiden Geschlechter gesondert, zeigt sich - abgesehen davon, dass die Suizidraten far Frauen, wie schon ausgefahrt, iaberall weit niedriger sind, als jene far Manner - im Grol3en und Ganzen far beide Kategorien dasselbe Bild einer kontinuierlich mit zunehmendem Alter steigenden Suizidhaufigkeit, wenn man von einigen kleineren Schwankungen absieht, und zwei Ausnahmen, die Ungarn und Finnland betreffen. 53 Jedoch ist der Anstieg der Suizidraten im hohen Alter bei ManSiehe hierzu, wie zum Folgenden, Tabelle 5. Vgl. auch die Obersicht zu europaischen Suizidraten far den Gesamtzeitraum von 1960 bis 1992 in: Cantor, Suicide in the Western World, S. 19f. 53Hierbei f~llt vor allem auf, dass in Finnland in den Altersklassen der 55-64- und der 65-75-J~rigen sowohl die weibliche als auch die mannliche Suizidratejene der jfingeren Finnen beiderlei Geschlechts deutlich unterschreitet, und sich dieser Umstand bei den Frauen, nicht aber den M~nnem, auch auf die Population fiber 75 fortsetzt. 52
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
37
nero meist weit dramatischer als bei Frauen, indem die Suizidhaufigkeit bei den t~ber 75J~hrigen Mfinner meist doppelt (!) so hoch ist wie noch in der Alterskategorie der 65-74J~ihrigen, wahrend die entsprechende Zunahme bei Frauen kaum je mehr als ca. 50 % betrfigt. Diese Vergleiche machen deutlich, dass filtere Menschen, insbesondere aber Mfinner im Alter ab 75, in Europa ein weit hOheres Risiko haben, an Suizid zu versterben, als jiingere Menschen. Die Suizidforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten auch zunehmend diesem Thema gewidmet. 54 Hervorzuheben ist aber, dass auch diese Assoziation von zunehmendem Suizidrisiko bei zunehmendem Alter kein ,,Naturgesetz" darstellt, und etwa auftreten wiirde wie andere ,,Alterserscheinungen". Dies belegt innerhalb der oben vorgestellten Daten etwa die geringe Suizidhfiufigkeit bei Seniorinnen in Finnland, einer ansonsten besonders unter dem Phfinomen der Suizidalitfit leidenden Region, deren Suizidrate der Ober75-Jahrigen aber mit jener der gleichaltrigen Italienerinnen verglichen werden kann (siehe hierzu Tabelle 5). Weitere Beispiele finden sich insbesondere mr den auBereuropaischen Raum, wo etwa Frauen in Sri Lanka (in den 1980er Jahren) in jiingeren Alterskategorien deutlich h6here Suizidrisiken hatten als im Seniorenalter. Insgesamt herrscht zumindest in Ostasien seit einigen Jahrzehnten jedoch ein dem europ~ischen fihnelndes Muster hinsicht|ich der Altersverteilung der Suizidalitfit vor. 55 Noch vor einigen Jahrzehnten stellten sich aber in Europa selbst die altersspezifischen Suizidrisiken deutlich anders dar, und hatten Senioren eine noch nicht derart gegent~ber dem Gesamtdurchschnitt der BevOlkerung erhOhte Suizidrate. 56 Auch mOgliche Erklfirungen far diese Differenzen der altersspezifischen Suizidraten werden welter unten n~her ausgefiihrt. Neben den ganz grundlegenden Faktoren Geschlecht und Alter untersucht die Epidemiologie im Hinblick auf den Suizid traditionellerweise noch einige weitere, freilich teils in ihren Ausprfigungen nicht immer so eindeutig zu erhebende ,,Risikofaktoren". Ein nahezu allgemein als relevant anerkanntes Kriterium ist jenes des F a m i l i e n s t a n d e s . 57 Allerdings ist zu bedenken, dass aufgrund der zunehmenden Informalisierung auch langfristiger Partnerschaften die Aussagekraft der Daten zum Familienstand geringer wird; denn das Ziel entsprechender Analysen ist es doch vorrangig, iiber den Familienstand den ,,Partnerschaftsstatus" der Betroffenen zu eruieren, also festzustellen, wie hoch sich im Vergleich die Suizidraten von Personen ohne, mit bestehenden bzw. mit ehemaligen Partnerschaften darstellen. Angesichts einer immer grOl3eren Zahl von informellen Lebensgemeinschaften spiegelt insbesondere die Kategorie der ,,Ledigen", aber auch jene der Geschiedenen und der Ver-
54 Vgl. hierzu insbesondere auch die wichtigen methodologischen Bemerkungen in: Armin Schmidtke, Bettina Weinacker, Suizidraten, Suizidmethoden und unklare Todesursachen alter Menschen. In: Zeitschrift far Gerontologie 24 (1991), S. 3-11; als Obersicht zum Kenntnisstand betreffend Suizid bei aiten Menschen vgl. auch: Daniel Harwood, Robin Jacoby, Suicidal Behaviour among the Elderly. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The International Handbook of Suicide and Attempted Suicide. Chichester u.a. 2002, S. 275-291. Far die Entwicklung in Osterreich im Speziellen vgl. bes.: Etzersdorfer/Voracek/Kapusta/Sonneck, Epidemiology of Suicide, Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von M~nern. 55Vgl. Cheng/Lee, Suicide in Asia. 56Vgl. Welz, Definition, S. 17. 57 Vgl. etwa Bronisch, Suizid; for den Bereich des Suizidversuchs auch: Armin Schmidtke et al., Sociodemographic Characteristics of Suicide Attempters in Europe. In: Armin Schmidtke, Unni Bille-Brahe, Diego de Leo, Ad Kerkhof (Hg.), Suicidal behaviour in Europe: Results from the WHO/Euro multicentre study on suicidal behavior. Bern 2004, S. 29-43.
38
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
witweten, immer weniger das Spektrum der partnerlos Lebenden. 58 Gegenaber dem Kriterium, ob ein Suizident tatsfichlich in einer Partnerschaft gelebt hatte oder nicht, hat die Variable ,,Familienstand" aber den entscheidenden Vorteil, wesentlich leichter erhebbar zu sein, und in allgemeinstatistischen Erhebungen - etwa zum Todesursachenspektrum - gewOhnlich mitberacksichtigt zu werden. Tatsfichlich ergeben sich aus Betrachtungen der ,,Variable" Familienstand wichtige Aufschlasse hinsichtlich der Suizidalitfit, und es gilt auch gegenwfirtig: ,,Allgemein werden die hOchsten Suizidraten bei Geschiedenen gefunden [...]. Nach den Geschiedenen folgen die Verwitweten und schliel31ich die Ledigen, wfihrend die Verheirateten die niedrigsten Suizid- und Suizidversuchsraten aufweisen. ''59 Deutlich umstrittener sind demgegenaber- jedenfalls wenn man die suizidologische Literatur mehrerer Disziplinen in Betracht zieht - alle diejenigen Faktoren, die offensichtlich ins ,,Soziale" hineinreichen, so SchichtzugehOrigkeit, Arbeitslosigkeit, Urbanit~,tsgrad des Lebensumfelds usw. Hier werden Forschungsergebnisse hfiufiger unterschiedlich interpretiert- so kann man etwa h6here Suizidraten unter Arbeitslosen entweder deren aktueller psychosozialer und Okonomischer Deprivation durch diesen Umstand zuschreiben oder aber von einer Prfiselektion ausgehen, wonach viele Suizidale erst aufgrund ihrer negativen Lebenseinstellung, Krankheiten usw. arbeitslos geworden seien und danach zu diesem finalen Schritt gelangt wfiren. Zudem aber besteht in diesem Bereich teils nicht einmal aber basale Fakten Einigkeit, also etwa dart~ber, in welchen sozialen Schichten hOhere, in welchen niedrigere Suizidraten vorherrschen warden. Einer der Grande hierfar liegt wohl in der weniger eindeutigen Zuschreibbarkeit eines relativ abstrakten Kriteriums wie ,,Schicht" (gegenaber den im Allgemeinen intersubjektiv eindeutig eruierbaren Ausprfigungen von Alter oder Geschlecht), ein anderer aber fraglos auch in der Diskrepanz der beiden ,,Wissenschaftskulturen", die bei diesem Thema aufeinanderprallen, dem aberwiegend individualistisch-naturwissenschaftlichen Paradigma in Medizin und Psychologie einerseits, dem Axiom der Sozialbedingtheit menschlicher Lebensverh~ltnisse in den Sozialwissenschaften andererseits. Im Folgenden sollen daher die einschlagigen Grundannahmen der an der Suizidforschung wesentlich beteiligten Disziplinen und wissenschaftlichen Schulen kurz, aber jeweils gesondert referiert werden, bevor Fragen nach der Vereinbarkeit der unterschiedlichen Forschungsansfitze und ihrer Verwertbarkeit far quantitativ-epidemiologisch angelegte Studien wie der vorliegenden nachgegangen wird.
1.3.2 Suizid aus (medizinisch-)psychologischer Perspektive Der Blickwinkel, aus dem Suizid sowohl in der ()ffentlichkeit als auch in der Wissenschaft am hfiufigsten betrachtet wird, ist jener der Psychologie; es wird danach gefragt, welche spezifischen - abnormen bzw. pathologischen - kognitiven, emotionalen und motivationalen Prozesse in einem Menschen ablaufen, der suizidal ist. Im publizistischen Bereich kommt generell h~,ufig eine individualisierende ,,Laienpsychologie" vor; psychologische For58 Vgl. hierzu: Cantor, Suicide in the Western World, S. 21. Der britische Beitrag zur WHO/EURO Multicenter Studie t~ber suizidales Verhalten ermittelte etwa bei den untersuchten Personen in der Kategorie ,,Ledige" einen Anteil von abet 60 %, die in Partnerschaft lebten und in jener der Geschiedenen einen solchen von 48 %. Lediglich bei den Verwitweten hielt sich diese Proportion mit 9 % in t~berschaubaren Grenzen. Vgl. Keith Hawton et al., Suicidal Behaviour in England and Wales. In: Schmidtke et al. (Hg.), Suicidal behaviour in Europe, S. 127. 59Bronisch, Epidemiologie, S. 6. Die ,,relative Immunitat, deren sich die Verheirateten erfreuen" im Vergleich mit Personen anderen Familienstandes stellte t~brigensbereits Durkheim fest (Durkheim, Selbstmord, S. 197).
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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schung fokussiert dagegen (allgemein wie auch bei der Untersuchung von Suizidalitfit) ungeachtet ihrer Betrachtungsebene der individuellen mentalen Abl~iufe stets auf iJberindividuell Vergleichbares als Erkenntnisgegenstand, also auf J~hnlichkeiten oder Muster im Wahmehmen, Erinnem, Denken, Fiahlen und Wollen, die sich bei vielen Menschen feststellen lassen. 6~ Klinisch- bzw. medizinisch-psychologische Forschung, die bei der Er6rterung von Suizidalitat einen herausragenden Stellenwert hat, stellt dabei vor allem auf die Zusammenhfinge dieses Phfinomens mit Symptomen und Formen psychischer Erkrankungen ab. Diese trotz der Beteiligung zahlreicher Mediziner, aufgrund ihrer Vorgangsweise hier zusammenfassend als ,,psychologisch" bezeichnete Richtung der Suizidforschung hat gerade in den Jahrzehnten nach 1945 betrfichtliche Erkenntnisgewinne erzielen k0nnen, und ist schon aufgrund ihrer prinzipiellen Ausrichtung auf das Individuum natiarlich besonders geeignet, auch pr~iventive Mal3nahmen, die sich direkt an einzelne potentieU Betroffene richten, zu entwickeln. Der fundamentalste Befund im Hinblick auf psychische Anzeichen far Suizidalitfit ist der der medizinischen Theorie mindestens seit der Antike bekannte Umstand, dass ,,Melancholie" eine Neigung zur Selbstt0tung mit sich bringen kann. Die zentralen - mentalen wie kt~rperlichen - Symptome dieses heute im Allgemeinen als ,,Depression" bezeichneten und als spezifische psychische Erkrankung begriffenen Zustands werden in dem hervorragenden 121bersichtswerk zum Thema Suizid yon Thomas Bronisch so zusammengefasst: ,,Eine depressive St0rung ist gekennzeichnet durch eine lfinger (mindestens zwei Wochen) anhaltende depressive Verstimmung oder Freudlosigkeit, sowie eine Anzahl yon Symptomen [...]; Appetitmangel oder deutlicher Gewichtsverlust [...] ohne Difit, Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf [!], psychomotorische Unruhe (z.B. unruhiges Umherlaufen) oder psychomotorische Hemmung (z.B. [nur] langsames Sichbewegen), Madigkeit [...], Geftihl der Wertlosigkeit [...] unangemessene Schuldgef'tihle, [oft auch Angstzustfinde], verminderte Denk- oder Konzentrationsfahigkeit oder Entscheidungs-unf~ihigkeit sowie wiederkehrende Gedanken an den Tod, [...] Suizidideen [...],,61 Zahlreiche empirische Studien im Verlauf des 20. Jahrhunderts konnten zeigen, dass die medizinische Diagnose ,,Depression" anhand der soeben beschriebenen Symptome einen der eminentesten Risikofaktoren far suizidale Handlungen und far vollendete Suizide darstellt. Ein betr~ichtlicher Teil der Suizidenten litt gemfil3 retrospektiven Erhebungen vor seinem Tod an Depression; nachtrfigliche psychiatrische Erhebungen ergeben diesbeztiglich Anteilswerte yon bis zu 95 O//o.62Umgekehrt gibt es aber, dies ist wichtig festzustellen, sehr wohl zahlreiche depressive Menschen, die nie einen Parasuizid oder gar einen ,,erfolgreichen" Suizid begehen. In Langzeitstudien wurde erhoben, dass ca. 15 % der wegen Depression in psychiatrischer Behandlung stehenden Patienten irgendwann durch Selbstt~tung aus dem Leben scheiden. 63 So stellt sich naturgemfil3 die Frage, welche weiteren Faktoren diejenigen depressiven Personen, die sich selbst t6ten, von jenen unterscheiden, die dies nicht tun. 6o Zum Paradigma der wissenschaftlichen Psychologie vgl. bes. den ,,Klassiker": Philip Zimbardo, Psychologie. Berlin u.a. 1992. 6~Bronisch, Suizid, S. 38. 62Vgl. Bernd Ahrens, Die suizidale St0rung - Arger ohne Hoffnung? In: Manfred Wolfersdorf, Christoph Franke (Hg.), Suizidforschungund Suizidpr~ventionam Ende des 20. Jahrhunderts. Regensburg2000, S. 173. 63Vgl. Bronisch, Suizid, 38f., Ahrens, Arger ohne Hoffnung, S. 174, Haltendorf, Suizidalitat, S. 242.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Eine psychologische Theorie des Suizids entwickelte in Ansfitzen schon Sigmund Freud, der sich mit diesem Thema in seinen VerOffentlichungen aber nicht sehr ausf~hrlich befasste. Seit ,,Jenseits des Lustprinzips" (1920) nahm Freud im lJbrigen eine prononciert dualistische Position ein, die eine ,,Gegensfitzlichkeit von Lebens- und Todestrieben" postuliert, welche letztlich in nichts anderes ihre Ursache hfitte, als darin, dass ,,alles Lebende aus inneren Grt~nden stirbt, ins Anorganische zurt~ckkehrt" (SelbsttOtungen wfiren dann gleichsam durch ein ,,vorzeitiges" Uberhandnehmen des Todestriebes bedingt), wobei der Begr~nder der Psychoanalyse freilich selbst zugab, bei diesen Oberlegungen handele es sich um ,,weitausholende Spekulation". 64 Bedeutsamer f'tir die weitere Entwicklung praxisrelevanter Konzepte der Suizidalitfit war dagegen die bereits in der Schrift ,,Trauer und Melancholie" (1917) niedergelegte Beobachtung, dass Depression und Aggressivitfit gegent~ber anderen hfiufig verknt~pft auftreten, sodass selbstzerst6rerische Handlungen yon ,,Melancholikern" als gegen die eigene Person ,,gewendete" Aggressionen erscheinen, die jedoch einen Ursprung in zwischenmenschlichen Konflikten - insbesondere in Partnerbeziehungen - haben. Die emotionale Bindung an den Anderen, die mr ihn empfundenen Liebesgef~hle erlauben manchen Menschen dabei nicht, die diesen gegenfiber ebenso empfundenen Aggressionen ausreichend zum Ausdruck zu bringen, 65 sie scheitern an einem inneren Konflikt, den t~brigens schon in der r6mischen Antike der Dichter Catull ausgesprochen prfignant zum Ausdruck gebracht hat: ,,Odi et amo. quare id faciam fortasse requiris, nescio, sed fieri sentio et excrucior",,Ich hasse und ich liebe zugleich. Warum ich das tue, fragst du vielleicht. Ich weil3 es nicht, aber ich f't~hle es geschehen, und es qufilt mich." 66 Die These des Konnexes von Aggressivit~t, Depressivitfit und Suizidalitfit wurde in den 1950er Jahren von Erwin Ringel in einer grog angelegten klinischen Studie bestfitigt, welche die psychologischen Charakteristika von Suizidenten in zahlreichen Aspekten noch viel sch~rfer fasste, als dies zuvor gelungen war: 67 Eine zunfichst lange gehemmte Aggressivitfit wird hierbei an vielen Depressiven festgestellt, die suizidale Tendenzen entwickeln. Entscheidend far das Eintreten konkreter Suizidgefahr ist in den meisten Ffillen, den Erkenntnissen Ringels zufolge, die Entwicklung eines ,,pr~suizidalen Syndroms", welches anlfisslich der ErOrterung des Problems der ,,Freiwilligkeit" von SelbsttOmngen bereits kurz angesprochen wurde: Mentale Einengung tritt auf, die immer wieder nur dieselben - emotional negativen - Gedanken zul~sst, bis hin zu deutlichen Wanschen und Impulsen, sich zu tOten, der Betroffene isoliert sich von seiner Umwelt. 68 Sigmund Freud, Jenseits des Lustprinzips. In: Anna Freud et al. (Hg.), Sigmund Freud. Gesammelte Werke, Bd. 13, Frankfurt a. M. 1999, S. 23, 40, 57. 65Vgl. Sigmund Freud, Trauer und Melancholie. In: Anna Freud et al. (Hg.), Sigmund Freud. GesammelteWerke. Bd. 10, Frankfurt a. M. 1999, bes. S. 438f., vgl. dazu auch: Bronisch, Suizid, S. 37-39, 74. 66 Caius Valerius Catullus, Carmen 85. In: Michael yon Albrecht (Hg.), Catull. Samtliche Gedichte. Stuttgart 1985. 13bersetzung durch den Verfasser dieser Studie. 67 Ringel, Selbstmord. Ringel erfasste allerdings anhand von klinischen Untersuchungen 15berlebendevon Suizidversuchen, die sich im Durchschnitt in gewissen Aspekten durchaus vonder Kategorie der Suizidenten unterscheiden kOnnten, da ja nicht alle Personen, die Parasuizide durchft~hren, sich sp~ter auch tats~chlich selbst tOten. Die medizinische Forschung betont in letzter Zeit allerdings wieder vermehrt die psychologischen Gemeinsamkeiten dieser beiden, sich in ihrer GrOISeund demographischen Struktur freilich stark unterscheidenden Personengruppen (Vgl. Bronisch, Suizid, S. 16t). 68Vgl. auch Bronisch, Suizid, S. 31-37, Haltendorf, Suizidalitat, S. 245. 64
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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Das Vorhandensein von Suizidideen bzw. Suizidimpulsen ist ein besonders deutlicher Indikator auch ftir eine tatsachliche Suizidgefahrdung, wobei zwanghaft auftretende Impulse als gravierenderes Indiz angesehen werden als ein Sich-Beschaftigen mit der Mt~glichkeit einer Selbstt/3tung. Generell betont die rezente Suizidforschung den Aspekt der impulshaft auftretenden Suizidwtinsche starker. Das Pers~3nlichkeitsmerkmal der Impulsivitat rtickt so als ein weiterer Risikofaktor ins Blickfeld der einschlagigen Forschung, da angenommen werden kann, dass hiervon starker betroffene Personen in belastenden Situationen suizidalen Drangen eher nachgeben. Beztiglich der Aggressivitat von suizidalen Menschen ergab sich in den letzten Jahrzehnten insofern eine neue Akzentuierung (insbesondere gegentiber Freud), als nunmehr erkannt wurde, dass Autoaggressionen durchaus auch mit Aggressionen gegen andere einhergehen k6nnen, die ausgelebt werden. 69 Damit verbunden stieg auch die wissenschaftliche Beachtung des Konnexes yon Selbst- mit Fremdt0tungshandlungen an (frtihere Gewaltdelikte von Suizidenten; so genannter ,,erweiterter Suizid": TOtung eines anderen Menschen, gefolgt von SelbsttOtung), wahrend altere (sozial-) psychologische Theorien eher von einer AusschlieBlichkeit des Ausagierens von entweder v0 Selbst- oder Fremdaggression ausgegangen waren. Als ein weiteres psychologisches Kriterium, das insbesondere bei Zusammentreffen mit anderen negativen Faktoren ein erhOhtes Suizidrisiko mit sich bringt, kann wahrscheinlich auch soziale ,,Gehemmtheit" angesehen werden, ,,Introvertiertheit" im Sinne einer geringen Fahigkeit, eigene Ge~hle und Gedanken anderen mitzuteilen und Probleme - in der Familie, mit Freunden oder auch mit professionellen Helfern - zu besprechen, was Kontaktarmut hervorbringen kann. 7~ Jedoch gilt soziale Isolation, auch unfreiwilliger Natur, generell als Suizidrisiko, was sich besonders an den gegentiber Menschen in Partnerbeziehungen erht~hten Suizidraten von Verwitweten und Geschiedenen bemerkbar macht sowie auch einen wichtigen Faktor der erht~hten Suizidalitat yon Senioren darstellen dtirfte, denen nicht nur berufliche, sondern oft auch partnerschaftliche und freundschaftliche Kontakte abhanden kommen. 72 (Diese Aspekte werden naturgemaB im Abschnitt zur soziologischen Perspektive nochmals bertihrt.) Hinsichtlich charakterlicher Eigenschaften postuliert ein Strang der psychologischen Theoriebildung weiters ein erh0htes Suizidrisiko narzisstischer Perst~nlichkeiten, also von Menschen, die sich schwer in andere einf'tihlen k0nnen, sich selbst gewOhnlich tiberschatzen, dabei aber gleichzeitig ein wenig ausgebildetes Selbstwertgeftihl haben und sehr leicht verletzlich sind. 73 Auch derartiges Verhalten ftihrt verstandlicherweise eher zu Problemen im zwischenmenschlichen Bereich, insbesondere in Partnerbeziehungen. Als spezifisch zur Entstehung von Suizidalitat beitragende Faktoren psychologischer Art gelten, insbesondere bei vorliegender depressiver Erkrankung, weiter Hoffnungslosigkeit, tiberdurchschnittlich rigides und dichotomes Denken, konstante Frustriertheit bzw. Arger sowie Angst, Faktoren, die trotz ihres haufigen Auftretens bei Depressionen ja kei69Vgl. Bronisch, Suizid, S. 40. 70 Insbesondere Cesare Lombroso, vgl., durchaus kritisch, schon: Durkheim, Selbstmord, bes. S. 397-425, vgl. weiters Kreitman, Epidemiologie, S. 95. vl Vgl. Klaus DOrner, Ursula Plog, Irren ist menschlich. Lehrbuch der Psychiatrie/Psychotherapie. Bonn 1996, bes. S. 328f., 336f., Bronisch, Suizid, S. 50; vgl. insbesondere auch die Ergebnisse einer anhand der Untersuchung steirischer Psychiatriepatienten durchgeft~hrten Analyse von Risikofaktoren: Gerda Krasser, Suizidalitat psychiatrischer PatientInnen. Aspekte von Pr~diktion und Pravention. Graz (Nawi. Diss.) 2001, bes. S. 69 u. 97. 72Vgl. etwa Sonneck, Krisenintervention,S. 145,Aebischer-Crettol, Todessehnsucht, S. 76 73 Vgl. Bronisch, Suizid, S. 75, Aebischer-Crettol, Todessehnsucht, S. 82f.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
neswegs von allen Betroffenen gleich intensiv empfunden werden und auch unter NichtDepressiven in ganz unterschiedlichen Ausprfigungen auftreten kOnnen. TM In Zusammenhang mit Zustfinden, wie sie soeben beschrieben wurden, stehen natarlich auch Krankheitsformen abgesehen v o n d e r Depression, insbesondere sonstige psychische Krankheiten und solche aus dem Sektor der Suchterkrankungen. Diesen widmen medizinische und psychologische Studien zum Thema Suizid im Allgemeinen grol3e Aufmerksamkeit:75 Auch far Menschen mit der Diagnose ,,Schizophrenie" wird eine Suizidsterblichkeit (Lebenszeit-Inzidenz) von ca. 10 % angegeben; hier wirken sich sowohl Krankheitssymptome wie wahnhaft verfinderte Aul3en- und Selbstwahrnehmung als auch sekundfire Effekte, wie soziale Konflikte und Isolation suizidogen aus; Personen mit schizophrener Psychose leiden hfiufig auch an Depressionen. 76 Gleichfalls wird ~ r Menschen mit PersOnlichkeitsst0rungen verschiedener Art, Angst- und PanikstOrungen ein erhOhtes Suizidrisiko konstatiert. 77 Keine psychische Erkrankung auger der Depression trfigt nach Erkenntnissen der psychiatrischen Epidemiologie aber insgesamt gesehen so hfiufig zu SelbsttOtungen bei, wie Alkoholabhfingigkeit, far welche gleichfalls Lebenszeitrisiken far Suizid zwischen 10 und mehr als 15 % angegeben werden, v8 Auch andere Suchterkrankungen flihren aber, so die einhellige Auffassung der scientific community, zu einem erhOhten SelbsttOtungsrisiko. 79 Der Anteil allein der Alkoholabhfingigen an der Gesamtzahl der Suizidenten wird in mehreren epidemiologischen Studien zwischen 20 und 30 % angegeben! 8~ Neben Erkrankungen findet auch der Einfluss persOnlicher Krisensituationen anderer, auch kurzfristig auftretender Art, auf suizidale Handlungen seit Beginn der Suizidforschung besondere Beachtung. Medizinische und psychologische Studien fokussieren hierbei insbesondere den Bereich der Partnerbeziehungen sowie der Familienverhfiltnisse insgesamt. Empirische Studien belegen, dass Trennungen, Tod des Partners, eines Elternteils, eines Kindes oder einer anderen sehr nahe stehenden Person insbesondere in den ersten Monaten nach dem Verlust ein stark erhOhtes Depressionsrisiko und damit auch erh6hte Suizidneigung mit sich bringen. 81 Besondere Bedeutung wird hierbei, allerdings nicht nur wegen der damit verbundenen spezifischen psychischen Belastung, sondern auch wegen einer etwaigen erblichen Komponente der Suizidalitfit, SelbsttOtungen in der Familie von Suizidgef~.hrdeten beigemessen. 82 v4 Vgl. hierzu bes. Ahrens, Arger ohne Hoffnung, Mark Williams, Leslie Pollock, The Psychology of Suicidal Behaviour. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, S. 79-94, Thomas Bronisch, Hans-Ulrich Wittchen, Suicidal ideation and suicide attempts: the role of comorbidity with deression, anxiety disorders, and substance use disorder. In: European Archives of Psychiatry and Clinical Neurosciences 244 (1994), S. 93-98, Friedemann Bt~rk, Hans-Jt~rgen MOiler, Pradikatoren far weiteres suizidales Verhalten bei wegen einem Suizidversuch hospitalisierten Patienten. Eine Literaturabersicht. In: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 53 (1985), S. 259-270. v5Vgl. spezifisch: Asmus Finzen, Suizidprophylaxe bei psychischen StOrungen. Prevention, Behandlung, Bew~ltigung. Bonn 1997. 76 Vgl. Haltendorf, Suizidalitat, S. 242, Bronisch, Suizid, S. 41f. v7Vgl. Thomas Bronisch, Diagnostik von Suizidalitat. In: Thomas Bronisch (Hg.), Psychotherapie der Suizidalit~t. Stuttgart 2002, S. 9-15. 7~ Vgl. Haltendorf, Suizidalitfit, S. 242, Bronisch, Suizid, S. 41f.. Finzen, Suizidprophylaxe, S. 39, Schmidtke/ Weinacker/LOhr, Epidemiologie, S. 73. 79Vgl. etwa Finzen, Suizidprophylaxe, S. 39. 8o Vgl. Manfred Wolfersdorf, Hans Wedler, Rainer Welz, Diagnostik von Suizidalitat. In: Hans Wedler, Manfred Wolfersdorf, Rainer Welz (Hg.), Therapie bei Suizidgef~hrdung. Ein Handbuch. Regensburg 1992, S. 31. 81Vgl. Sonneck, Krisenintervention;welters Bronisch, Suizid, S. 51, Wolfersdorf/Wedler/Welz,Diagnostik, S. 35. 82Vgl. etwa Bronisch, Diagnostik, S. 13. Zur Frage nach einer genetischen Komponente siehe weiter unten.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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Psychische Krisensituationen k6nnen aber auch durch vehemente bzw. andauernde Konflikte innerhalb von Partner- oder Eltern-Kind-Beziehungen entstehen. Auch v o n d e r Norm der Heterosexualit~it abweichende sexuelle Orientierungen, Homosexualitfit, Bisexualitfit u.a., gelten nach neueren Erkenntnissen als die Suizidgefahr erh6hend. 83 Gr6f3eres Suizidrisiko kann sich weiters nattirlich auch durch Belastungen in anderen Lebensbereichen ergeben. Neben Traumata durch Gewalterfahrungen - insbesondere auch sexuelle Gewalt - in Kindheit oder auch spfiteren Lebensphasen werden hierbei vor allem negative Auswirkungen durch belastende Berufstfitigkeit bzw. auch Wechsel oder Verlust des Arbeitsplatzes thematisiert. 84 Insgesamt bisher geringer beachtet wurden die mOglichen negativen Auswirkungen eines chronischen, vielleicht schon vom Jugendalter an gegebenen Mangels an wirtschaftlicher ,,Integrationsf~ihigkeit". KOrperliche bzw. mentale Behinderungen werden an sich aber durchaus als das Suizidrisiko erhOhend interpretiert. 85 ErhOhte Suizidgefahr wird auch bei gewissen kOrperlichen Erkrankungen angenommen, insbesondere bei solchen, die als ,,unheilbar" gelten, zum Tod fiihren und mit starken Schmerzen verbunden sind. Auch therapeutische Eingriffe (!) kOnnen aber, wenn sie den k6rperlichen Zustand des Patienten stark beeintrfichtigen - wie etwa Amputationen, chemotherapeutische Karzinom-Behandlung u.a.- zu schweren negativen psychischen Reaktionen fiJhren. 86 Verstfindlicherweise von besonderer Bedeutung fiir die Einschfitzung des Suizidrisikos einer Person ist, ob dieselbe zuvor bereits einmal einen Parasuizid bzw. Suizidversuch durchgeftihrt hat; wobei davon ausgegangen wird, dass insbesondere mehrmalige zurtickliegende Suizidversuche mit ,,harten", ,,ernst gemeinten" Methoden (Erhfingen, ErschieBen, Erstechen, Sprung aus grol3er HOhe u.a.) die Gefahr des Betroffenen, sp~iter tatsfichlich an Suizid zu versterben, stark erh6hen. Jedoch ist anhand epidemiologischer Untersuchungen zur Hfiufigkeit von Parasuizid und Suizid diesbeziiglich festzuhalten, dass die Zahl derjenigen Menschen, die sich tats~ichlich selbst tOten, stets weit geringer ist (es wird von einem Verh~iltnis von 1:20 oder mehr ausgegangen), als die derer, die Parasuizide vertiben, und dass ein nicht unbetrfichtlicher Teil der durch Suizid Verstorbenen - nach Wolfersdorf tiber 30 % - keine bekannten vorangegangenen Suizidversuche aufweist. 87 Auch die Gestalt der Einordnung des Individuums in das gesellschaftliche Geftige, soziale Position und SchichtzugehOrigkeit werden, wegen ihrer individualpsychischen Auswirkungen in medizinischen und psychologischen Modellen zunehmend beachtet, wenn auch immer noch weit geringer als andere Risikofaktoren, wie insbesondere die einfacher zu erhebenden Merkmale Geschlecht, Alter und auch Familienstand, tiber deren tatsfichlich starke Bedeutung ftir das individuelle Suizidrisiko bereits referiert wurde. Bezeichnenderweise mr die Brisanz des Themas und die Skepsis der meisten Mediziner und auch Psychologen gegentiber einer allzu deutlichen Bert~cksichtigung von sozioOkonomischen Faktoren von Morbiditfit und Mortalitfit ist noch nicht einmal der leicht nachweisbare Umstand, dass 6konomisch deprivierte, sprich arme Menschen, eher durch SelbsttOtung aus dem Leben scheiden als ,,Normalbtirger" mit gesicherten wirtschaftlichen Verhaltnissen, in diesen Disziplinen anerkannt. 83Vgl. Wolfersdorf/Wedler/Welz,S. 35 u. 42. 84Vgl. Sonneck, Krisenintervention, bes. S. 33-60, S. 234-238, Bronisch, Suizid, S. 53. 85Vgi: Schmidtke/Weinacker/L0hr,Epidemioiogie, S. 74, Kelleher et al., Suizid, S. 236. 86 Vgl. Sonneck, Krisenintervention, S. 143, vgl. weiters: Elsebeth Stenager, Egon Stenager, Physical Illness and Suicidal Behaviour. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, S. 405-420. 87Vgl. Bronisch, Suizid, S. 51-54, Kreitman, Epidemiologie, S. 103, Wolfersdorf/Wedler/Welz, Diagnostik.
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Intensiver beschfiftigte sich die medizinische und psychologische Suizidforschung demgegentiber sogar mit dem - weniger, aber durchaus auch ideologisch aufgeladenen Thema der Differenz der Suizidraten zwischen stfidtischen und lfindlichen Lebensrfiumen. Allerdings haben sich hier in den letzten Jahrzehnten bedeutsame Verfinderungen ergeben: Wfihrend vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er und 1980er Jahre in den meisten europfiischen Regionen eine h0here Suizidtendenz stfidtischer Bev01kerungen ermittelt wurde, 88 kehren sich die Verhfiltnisse anscheinend nun allmfihlich urn. 89 Sowohl Stadt-LandUnterschiede als auch das Problem des Zusammenhangs von Schicht und Suizidrisiko sollen aber im Abschnitt zur soziologischen Perspektive n~,her diskutiert werden, gleichermaBen die Frage, inwieweit Migration, kulturelle und subkulturelle sowie religi0se Zugeh6rigkeit auf Suizidalitfit Einfluss aust~ben. Am Ende dieses Abrisses medizinischer und psychologischer Auseinandersetzung mit der Epidemiologie des Suizids ist noch auf weitere Formen psychischer Belastungssituationen hinzuweisen. Neben langfristigen Folgen k0nnen diese offensichtlich auch unmittelbar suizidf'ordernd bzw. suizidausl0send wirken. Er0rtert werden von der psychiatrischen Suizidforschung insbesondere auch Aufnahmen und Aufenthalte in bzw. Entlassungen (!) aus Haftanstalten 9~ und psychiatrischen Anstalten. 91 Auch psychische ,,Erscht~tterungen" durch Verkehrsunf'alle kommen als ausl0sende Momente mr Suizidalitfit in Betracht. 92 Situationen, die Stress verursachen, k0nnen auch unter einem ,,biologischen", also auf somatische Ablfiufe bezogenen Blickwinkel betrachtet werden. Auch die Ergebnisse der somatologischen Suizidforschung - die sich ja auch auf das gesamte Feld der k0rperlichen Korrelate mit Pers6nlichkeitsmerkmalen und Krankheitsformen b e z i e h e n - sollen im Folgenden kurz umrissen werden.
1.3.3 Suizid aus (medizinisch-)somatologischer Perspektive Die in Europa traditionell sensualistisch und materialistisch, also auf konkret fassbare k6rperliche Gegebenheiten orientierte Medizin hatte das bedrt~ckende Phfinomen der Suizidalitilt schon seit der Antike mit gewissen k0rperlichen Anomalien verbunden, insbesondere mit der ,,Melancholie", einem Uberschuss an ,,schwarzer Galle" im K6rper. Wfihrend die konkreten Annahmen t~ber entsprechende somatische Prozesse im Verlauf der Neuzeit widerlegt wurden, blieb die Symptombeschreibung der ,,Melancholie" mr die spfitere Entwicklung des Krankheitsbildes der ,,Depression" relevant und auch die Metaphorik der ,,Schwarzgalligkeit" wirkt im allgemeinen Sprachgebrauch t~ber Depressivitfit noch heute nach, wenn von ,,Schwarzsehen" und ,,Tr~bsinn" die Rede ist. 93 88 Vgl. hierzu Kreitman, Epidemiologie, S. 95, Schmidtke/Weinacker/L0hr, Epidemiologie, S. 78, Bronisch, Epidemiologie, S. 6, 89 Zumindest weisen die 0sterreichischen Suizidstatistiken ab den 1990er Jahren hierauf hin, die ja insbesondere ft~r die Bundeshauptstadt Wien eine deutlich geringere Suizidrate zeigen, als ft~r mehrere andere Bundeslander. 90 Vgl. Stefan Fruehwald et al., Impact of overcrowding and legislational change on the incidence of suicide in custody. Experiences in Austria 1967-1996. In: International Journal of Law and Psychiatry 25/2 (2002), S. 119-128. 9~ Vgl. bes. Manfred Woifersdorf et al., Patientensuizid w~hrend stationfirer psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung. In: Manfred Wolfersdorf, Christoph Franke (Hg.), Suizidforschung und Suizidpravention am Ende des 20. Jahrhunderts. Regensburg 2000, S. 197-222, Asmus Finzen, Der Patientensuizid. Untersuchungen, Analysen, Berichte zur Selbstt0tung psychisch Kranker wahrend der Behandlung. Bonn 1990. 92Vgl. Bronisch, Suizid, S. 51, Wolfersdorf/Wedler/Welz, Diagnostik, S. 35. 93Vgl. zur Ideengeschichte der Melancholie bes.: Lutz Walther (Hg.), Melancholie. Leipzig 1999.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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Die heutige biomedizinische Depressionsforschung erklart die somatischen Ablaufe, welche zu depressiven Erkrankungen fiihren, naturgem~il3 ganz anders und viel exakter in der Beobachtung biochemischer Prozesse im menschlichen Kt~rper, insbesondere im Gehim, und deren Korrelation mit psychischen Krankheitszustanden. Wahrend auf Details bier nicht eingegangen werden muss - ausgegangen wird heute von Ungleichgewichten im Verhaltnis verschiedener Neurotransmitter (Serotonin, Noradrenalin, Actetylcholin) zueinander, die ihrerseits mit pathologischen Ablaufen in Hypothalamus und limbischem System zusammenhangen dtirften _94 ist es doch wichtig festzustellen, dass noch keineswegs alle Einzelheiten der somatischen Entstehungsgeffige von Depression geklart werden konnten. Insbesondere aber kann die Frage, inwieweit jene somatischen ,,Veranderungen Ursache oder Folge des Krankheitsgeschehens sind",95 derzeit nicht beantwortet werden, und wird es wohl - in genereller und eindeutiger Weise - wohl auch nie kOnnen, da mit dem Thema der Gestalt des Zusammenhangs psychischer und somatischer Prozesse (also des ,,LeibSeele-Problems") ein erkenntnistheoretisch basales, mit empirischen Mitteln im Grunde unaufl6sbares Problem angesprochen ist. Far die empirische Forschung relevant ist aber primar die Kenntnis des Bestehens solcher Zusammenhange kOrperlicher Dysfunktionen mit psychischen Krankheitsbildern, die es erlaubt geeignete somatische Medikamente zu ent-wickeln, deren Wirksamkeit unumstritten ist. Die Frage, ob es sich hierbei nun um eine ,,blo13 symptomatische" oder kausale Therapieform handelt, tritt so trotz ihrer theoretischen Relevanz Dr die Behandlungspraxis doch in den Hintergrund, indem sowohl von primfir kOrpermedizinisch als auch yon primar psychotherapeutisch orientierten Experten nunmehr weithin anerkannt ist, dass die effizientesten Therapieformen in den meisten Fallen aus kombinierten, pharmako- und psychotherapeutischen - im Idealfall zudem kombiniert mit im weiteren Sinn soziotherapeutischen - Vorgangsweisen bestehen, 96 was ja mit beiden fitiologischen Annahmen konsistent ist. 97 Nun ist aber, wie weiter oben schon erwahnt wurde, keineswegs jeder depressive suizidal; erst recht begeht nur eine Minderheit aller an Depression erkrankten Menschen tatsachlich einmal Suizid. Umgekehrt konnten zahlreiche psychiatrisch-klinische Untersuchungen zwar far den Grogteil aller untersuchten Suizidopfer das Vorliegen einer Depression vor der SelbsttOtungshandlung konstatieren, aber doch nicht far alle Betroffenen eine solche gesichert feststellen. 98 Aus diesen Grtinden wurde versucht, spezifische ,,Pradikatoren", also nahere Faktoren zur Voraussage von suizidalen Verhalten, bzw. Risikofaktoren ausfindig zu machen, mit welchen man suizidgef~ihrdete Menschen von anderen unterscheiden k6nne, sowohl innerhalb der Kategorie von als ,,depressiv" diagnostizierten Patienten als auch in anderen Personengruppen. Die hauptsachlichen Ergebnisse der Suche nach psychischen bzw. psychosozialen Risikofaktoren wurden ja bereits thematisiert; far den Bereich der Somatopathologie ist vor allem auf folgende Aspekte hinzuweisen:
Vgl. etwa Hans Rose, Klassifikation, Epidemiologie, ,~tiologie und Pathogenese affektiver Syndrome. In: Wielant Machleidt et al. (Hg.), Psychiatrie,Psychosomatikund Psychotherapie. Stuttgart-NewYork 2004, S. 272.
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95 E b d .
96 Vgi. etwa Hans Rose, Therapie depressiver Erkrankungen. In: Wielant Machleidt et al. (Hg.), Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Stuttgart-NewYork 2004, S. 291-301. 97 Man bek~impft mit den kombinierten Therapien, je nach Sichtweise, also entweder psychische (und soziale) Probleme, die somatische Symptomenach sich ziehen, oder somatische Erkrankungen, die psychische (und soziale) Folgen haben. 98 Siehe hierzu den vorangegangenen Abschnitt.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Depression, und damit stark erh0htes Suizidrisiko, kann bei einem kleineren Teil der Betroffenen auf bestimmbare k0rperliche Ursachen zurackgefahrt werden (welche erst das beschriebene Ungleichgewicht im Bereich der Neurotransmitter ausl0sen); so kennt die Psychiatrie depressive Symptome als Folgeerscheinungen von Stoffwechsel- und Hormonst0rungen und von bestimmten Vergiftungen (auch durch illegale Drogen und Alkohol), als Nebenwirkung etlicher Medikamente und als Folge organischer Hirnschfidigungen (Traumata, Schlaganfalle, Arteriosklerose, Gehirnhautentzandungen, Gehirntumore). 99 Abgesehen von solchen, im individuellen Fall zumindest theoretisch relativ leicht eruierbaren Umstfinden yon Erkrankungen, Intoxikationen oder Verletzungen, ~~176 versucht die biologisch orientierte Suizidforschung aber auch far Ffille, in denen solche Ursachen nicht bekannt sind, k6rperliche Faktoren der Suizidalitfit auszumachen: So gilt es als wahrscheinlich, dass Depressionserkrankungen mancher Menschen mit der Lichtzufuhr und deren Schwankungen (Jahreszeiten) zusammenhfingen, wofar auch die vielfache St0rung des Wach- und Schlafrhythmus bei depressiven Erkrankungen ein Indiz liefert. ~~ Besondere Relevanz kommt weiters Untersuchungen zu, welche auf k0rperliche Risikofaktoren von Suizidalitfit abzielen, die unabhfingig von depressiven Erkrankungen auftreten: Tatsfichlich ist es den modernen Neurowissenschaften seit den 1970er Jahren allmfihlich gelungen, t~ber mehrere biochemische Indikatoren sowohl bei prospektiven Untersuchungen an lebenden Personen als auch aber Gehirnuntersuchungen von an Suizid Verstorbenen, konsistente Befunde aber offensichtlich mit Suizidalitfit assoziierte biologische Merkmale zu gewinnen. Diese betreffen das System der Neurotransmitter (und, in Zusammenhang damit, den Cholesterinhaushalt 1~ und lassen sich in analoger Weise sowohl bei einem betrfichtlichen Teil von suizidalen Untersuchungspersonen als auch bei nichtsuizidalen Personen feststellen, die auf der psychischen bzw. Verhaltensebene die Merkmale starker Impulsivitfit und Aggressivitfit aufweisen (als Untersuchungsgruppen herangezogen wurden u.a. wegen Gewalt- und Sexualstraftaten inhaftierte bzw. psychiatrierte Personen). 103 Suizidalitfit darfte daher zu einem gewissen Tell auch unabhfingig von manifesten k6rperlichen und/oder psychischen Erkrankungen auf k6rperliche Dysfunktionen zurackzufahren sein, welche etwa in vehementen Stresssituationen zutage treten k~Snnen. Insbesondere far die Verursachung von sonst ,,unerklfirlichen" Suiziden, die weder mit diagnostizierbaren Erkrankungen noch gravierenden negativen Verfinderungen in der sozialen und pers6nlichen Situation der Betroffenen in Zusammenhang gebracht werden k(Snnen, und far die Umgebung unvorhersehbar begangen wurden, kOnnten solche, ohne sehr spezifische biochemische Untersuchungen nicht direkt wahrnehmbare, aber mit Impulsivitfit und (Auto-) Aggressivitfit assoziierte k6rperliche Fehlfunktionen wesentliche Ursachen darstellen.
99 Vgl. Hans Rose, Klinik depressiver Syndrome. In: Wielant Machleidt et ai. (Hg.), Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Stuttgart-New York 2004, bes. S. 282f. ,ooNach Rose werden allerdings medikament0seNebenwirkungen als Ursache von Depressionen in der medizinischen Praxis h~ufig t~bersehen. Vgl. ebd. ~o~Vgl. Rose, Depressive Syndrome, S. 283. 1o2Gewisse cholesterinsenkende Medikamente erwiesen sich als suizidrisiko-erh0hend. 103Vgl. Thomas Bronisch, Jargen Brunner, Neurobiologie suizidalen Verhaltens am Ende des 20. Jahrhunderts. In: Manfred Wolfersdorf, Christoph Franke (Hg.), Suizidforschung und Suizidpr~vention am Ende des 20. Jahrhunderts. Regensburg 2000, S. 153-172; vgl. auch: Lil Trfiskmann-Bendz, John Mann. Biological Aspects of Suicidal Behaviour. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, S. 65-78, auch Kelleher et al, Suizid, S. 238s
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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Diese Befunde gehen mit jenen der genetischen, auf Abstammungsverhaltnisse und Genanalyse bezogenen Suizidforschung einher, welche gleichfalls eine Haufung von Suiziden in bestimmten Familien konstatiert, die nicht unbedingt mit diagnostizierten psychischen Erkrankungen wie Depression o.a. einhergehen mfissen. Durch die Durchfahrung von Zwillings- und Adoptionsstudien konnte ausgeschlossen werden, dass solche Haufungen lediglich auf pathologische Konstellationen im innerfamiliaren Verhalten unabhangig von somatischen Grundlagen zurackzuf'uhren waren. Spezifische genetische Abweichungen in den K6rpern der solcherart von Suizidalitat starker betroffenen Menschen konnten nachgewiesen werden. 104 Einen weiteren Forschungsstrang zu k6rperlichen Ursachen von Suizidalitat stellt jener der Ethologie dar. Hier kOnnte vor allem der Versuch, die besonders hohe Frequenz von Parasuiziden junger Frauen - denen nur wenige vollzogene Suizide gegenfiberstehen - mit gewissen, somatisch bedingten (,,vererbten") und in spezifischen Situationen des Gruppenverhaltens aktualisierten Reaktionsmechanismen (,,Unterwerfungsgeste") in Zusammenhang zu bringen, sonst schwer erklarbare Diskrepanzen suizidalen Verhaltens nachvollziehbar machen. 105 Far die Analyse vollendeter Suizide dfirfte dieser Ansatz aber nur wenig beizutragen haben. Trotz derartiger Befunde fiber eine somatische Mitbedingtheit suizidaler Handlungen, ist es doch offensichtlich, dass nicht etwa der Suizid als solcher vererbt werden kann! Die tatsachliche Durchffihrung von SelbsttOtungshandlungen hat stets auch ihre psychologischen und nicht zuletzt auch sozialen Komponenten. Der allgemeine Forschungsstand zu letzteren wird im folgenden Abschnitt kurz vorgestellt.
1.3.4 Suizid aus (medizin-)soziologischer Perspektive Bereits in den vorangegangenen ErOrterungen ist deutlich geworden, dass der Suizid gleichermaBen ein ,,traditionelles" Thema auch sozialwissenschaftlicher Forschung darstellt, wenngleich die Beschfiftigung damit in den einschlagigen Disziplinen der Sozial- und Kulturwissenschaft lfingst nicht jene Verbreitung hat, wie dies in Medizin und Psychologie der Fall ist. Allerdings stand die Auseinandersetzung mit dem Phfinomen des Suizids weit oben auf der Liste jener Probleme ,,moderner" Gesellschaften, welchen sich die Soziologie in der Phase ihrer Entstehung, in der zweiten Hfilfte des 19. Jahrhunderts, intensiv widmete. Bekanntestes und einflussreichstes Werk in diesem Zusammenhang wurde ,,Le Suicide", zu Deutsch also ,,Der Selbstmord" (bzw. ,,Die SelbsttOtung") von Emile Durkheim, verfasst in den 1890er Jahren. ~~ Dieses Werk griff in einer kritischen Analyse einen GroBteil jener 1o4Vgl. Alec Roy, The Genetics of Suicidal Behaviour. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, S. 209-222, sowie die in C)sterreich durchgefiihrte Studie: Bernhard Mitterauer, A contribution to the discussion of the role of the genetic factor in suicide, based on five studies in an epidemiologically defined area (Province of Salzburg, Austria). In: Comprehensive Psychiatry 3 I/6 (1990), S. 557-565, vgl. welters auch Bronisch/Brunner, Neurobiologie, bes. S. 155f. ,)5 Vgl. Robert Goldney, Ethology and Suicidal Behaviour. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, S. 95-106. 106 Durkheim, Selbstmord. Beachtenswert ist welters, dass bereits 1881 der damals in Wien lebende tschechische Philosoph (und sp~,tere StaatsprSsident) Thomas Masaryk ein auch sozialwissenschaftlich relevantes Werk zu diesem Thema publiziert hatte: Thomas Masaryk, Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation. Wien 1881 (Nachdruck MUnchen-Wien 1982).
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Fragestellungen und Parameter auf, welche die bis dahin meist von den Disziplinen der Medizin und der Kriminologie her betriebene, empirische Suizidforschung geprfigt hatten, mit unterschiedlichem, und auch mit aus gegenwfirtiger Sicht unterschiedlich zu qualifizierendem Ergebnis. So kann etwa die Argumentation, welche Durkheim d a ~ r anf~hrt, dass psychische Erkrankungen keine entscheidende Rolle im Hinblick auf suizidales Geschehen, insbesondere aber auf die Suizidraten in einer Gesellschaft, aust~ben, schon deshalb nicht geteilt werden, weil heute auch nicht-psychotische Depressivitfit als Erkrankung erkannt wird, was bei Durkheim aber nicht der Fall war. ~~ Der entscheidende Punkt, den eine rezente medizinsoziologische Auffassung von jener Durkheims dabei trennen sollte, ist nach Auffassung des Verfassers derjenige, dass ein Phfinomen als sowohl (psycho- bzw. somato-) pathologisch als auch als sozial bedingt aufgefasst werden kann, eine Grunderkenntnis der Sozialmedizin, ~~ welche aber oftensichtlich noch nicht zu Durkheims Wissensbestand gehOrt hatte, da seine Argumentation darauf hinauslfiuft, mOglichst wenig Assoziation zwischen Psychopathologie und Suizidalitfit anzuerkennen. Dieses angebliche Fehlen eines Konnexes ist aber nur dann Vorbedingung, um eine gesellschaftliche Verursachung von Selbstt~tungshandlungen demonstrieren zu kOnnen, wenn man das Faktum der sozialen Krankheitsverursachung auBer Acht lfisst. Nicht zuletzt aus diesem Grund, wegen Durkheims ziemlich einseitigem Vorgehen, das gleichsam Schule bildend wurde, sieht sich die sozialwissenschaftliche Suizidforschung bis heute von verschiedenen Seiten mit Misstrauen bedacht, obwohl bei derzeitigem Stand der gegenseitigen Kenntnisnahme der ,,Menschenwissenschaften" eigentlich den Forschern aller beteiligten Disziplinen klar sein sollte, dass die zutreffendsten Modelle von so komplexen Erscheinungen wie Suizidalitfit nur unter Be~cksichtigung aller fundamentalen Dimensionen des Menschseins erstellt werden k0nnen, also mit Blickpunkt sowohl auf Individuum wie Gruppe und Gesellschaft, und sowohl auf deren materiell-nat~rliche wie mental-kulturelle Verfasstheiten. Auf ein entsprechendes Modell der Suizidalitfit wird aber weiter unten noch nfiher eingegangen, Durkheim lenkte die Aufmerksamkeit der beginnenden empirischen Sozialforschung dessen ungeachtet auf auch heute noch als ganz wesentlich angesehene Aspekte der Verursachung von Suizidalitfit, indem er klarmachte, dass neben ,,individuellen" Faktoren - die freilich ebenso zur ,,sozialen" Ausstattung einer Person gehOren und soziale Ursachen und Folgen haben - wie Alter, Geschlecht, familifire Verhfiltnisse, psychische und kOrperliche Krankheiten, Charakterzt~ge, einschneidende Erfahrungen u s w . - auch Erscheinungen auf kollektiver Ebene, also soziale Phfinomene, fi~r die Erklfirung von Suiziden, insbesondere der Hfiufigkeit von Suiziden innerhalb von Gemeinschaften und Gesellschaften herangezogen werden k0nnen, ja re%sen, wenn diese Sachverhalte adfiquat erklfirt werden sollen. Nun ist es so, dass sfimtliche in den vorangegangenen Abschnitten zur psychologischmedizinischen und zur somatologisch-medizinischen Auffassung von Suizidalitfit genannten Aspekte sich auch als soziale Phfinomene, als Eigenschaften bestimmter Gruppen auffassen lassen, nfimlich im Sinne unterschiedlicher Verbreitung und/oder Ausprfigung. Auch fi~r die sozialwissenschaftliche Suizidforschung sind selbstverstfindlich Alter und Ge107Vgl. hierzu: Durkheim, Suizid, S. 41-71. ~0~Vgl. ft~rden Bereich der sozialen Bedingungen der Entstehung psychischer Erkrankungen etwa die Obersicht: Johannes Siegrist, Soziologie und Psychiatrie. In: Hanfried Helmchen et al. (Hg.), Psychiatrie der Gegenwart, Bd. 6+Berlin 2000, S. 429-440; als klassische, in ihrer Methodik ~r weitere Untersuchungen maBgebliche Studie sei auch bier genannt: August Hollingshead, Fredrick Redlich, Der Sozialcharakter psychischer StOrungen. Frankfurt a.M. 1975 (zuerst amerikanisch: Social Class and Mental Illness, New York 1958).
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
49
schlecht wichtige Parameter, unter dem Aspekt der unterschiedlichen Suizidrisiken far die verschiedenen Geschlechter und Altersklassen, und, in Zusammenhang damit, im Hinblick auf deren m6gliche soziokulturelle Verursachung; gerade zu psychologischen Theorien besteht hier vielfach eine Nfihe. Stfirker als dieselben, insbesondere aber viel intensiver als die somatologisch orientierte Forschung, beziehen sozialwissenschaftliche Ansfitze aber insbesondere jene Parameter ein, die sich nicht offensichtlich und unmittelbar an einer Untersuchung des K0rpers bzw. des mentalen Zustandes eines Betroffenen ablesen lassen, sondern Informationen zu seiner Positionierung im sozialem Gefuge darstellen: Ausbildungsgrad, Erwerbstfitigkeit, Schichtzugeh0rigkeit, Zugeh~rigkeit zu bestimmten religi~sen oder kulturellen Gruppierungen, zu einem ,,lfindlichen" oder ,,stfidtischen" Milieu, zu besonderen Subkulturen u.a. Dabei kann betrachtet werden, inwieweit die Lebensumstfinde yon Menschen in verschiedenen sozialen Lagen zur Entstehung von psychischen Erkrankungen, Suchtverhalten und anderen, das Suizidrisiko hebenden Erscheinungen f0hren; es kann zudem auch spezifisch untersucht werden, welche Einstellungen gegent~ber dem ,,Wert" des Lebens und gegen0ber dem Tod, sowie dem Suizid im Speziellen, in bestimmten Gruppen, Personenkategorien oder ganzen Gesellschaften vorherrschen. SchlieBlich analysiert die soziologische Suizidforschung - seit Durkheim - inwieweit Gesellschaftsstrukturen als gesamte suizidhemmend oder-f0rdernd wirken k0nnen. Durkheims Modell des Einflusses der Gesellschaftsverfassung auf die Hfiufigkeit von Suiziden lfisst sich dabei folgendermal3en zusammenfassen: 109 Suizid wird h~,ufig, wenn das Leben des Einzelnen in der Gemeinschaft (bzw. Gesellschaft) wenig Bedeutung hat. Dies kann dadurch ausgel0st sein, dass die Gemeinschaft sich selbst ,,verabsolutiert" und ihren einzelnen Mitgliedern kein autonomes Lebensrecht zugesteht - dann werden etwa Mfirtyrertode, Suizide ,,unproduktiver" Gesellschaftsmitglieder, um den anderen ,,nicht zur Last zu fallen", oder Selbstt6tungen bei ,,Versagen" und ,,Ehrverlust" hfiufig. Je nachdem, ob die Auffassung des jeweils Betroffenen selbst diesem Verstfindnis entspricht oder ob vor allem die Gemeinschaft durchgreifende Kontrolle 0ber ihn in dieser Hinsicht ausObt, ihn gleichsam zum Suizid zwingt, nennt Durkheim dies ,,fakultativ altruistischen" oder ,,obligatorisch altruistischen Selbstmord". ll~ Handelt es sich dabei um einen Suizid, der aus der Empfindung des Ungentigens gegenOber erdrOckenden sozialen Normen erfolgt bzw. aus dem Bewusstsein der Unentrinnbarkeit aus einer unertrfiglichen Bedr0ckung durch andere, so spricht Durkheim speziell auch von ,,fatalistischem Selbstmord". TM In den modernen Gesellschaften, so der Autor, kfime diesem Ph~,nomenen freilich immer weniger Bedeutung zu; dafar trfiten neue soziale Probleme auf, die ebenso suizidf'Ordernd wirken k0nnten, hier spricht Durkheim vom ,,egoistischen" sowie vom ,,anomischen" Suizid. Den ,,egoistischen Suizid" erlfiutert dieser kritische Beobachter der Modernisierung so: ,,Wozu alle moralischen Gesetze, diese Rechtsvorschriften, die uns alle m0glichen Opfer auferlegen, [...] die uns im Weg sind, wenn es nicht aul3erhalb des eigenen Ich ein Wesen gibt, dem sie dienen und mit dem wir uns verbunden fahlen? [...] warum in erster Linie das Leiden? Ft~r 109 Vgl. hierzu: Unni Bille-Brahe, Sociology and Suicidal Behaviour. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, S. 193-208, Hans-Peter Mailer, Emile Durkheim (1858-1917). In: Dirk Kaesler (Hg.), Klassiker der Soziologie. Manchen 1999, Bd. 1, S. 150-170. ~0 Durkheim, Selbstmord, S. 242-272. Ill Ebd., S. 318.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand den Tiefglfiubigen, far den, der stark mit seiner Familie oder einer politischen Gruppe verbunden ist, existiert das Problem nicht. [...] Aber in dem MaB wie dem Glfiubigen der Zweifel kommt, das heiBt, je weniger er sich solidarisch fahlt mit der Religionsgemeinschaft, der er angeh6rt [...], in dem Mal3e wie Familie und Heimat dem einzelnen fremd werden, wird er sich selber unbegreiflich und kann dann der verwirrenden und befingstigenden Frage nicht mehr entgehen: wozu das alles? [...] Aber das ist noch nicht alles. [...] So formen sich Str6mungen von Depression und Enttfiuschung, die nicht etwa von irgend einem bestimmten einzelnen ausgehen, die vielmehr den Stand des Zerfalls, in dem sich die Gesellschaft befindet, deutlich machen. In ihnen spiegelt sich wieder das Nachlassen der sozialen Bindungen. [...] Und die Zuffilligkeiten seiner privaten Existenz, die dem Anschein nach [dem Einzelnen dann] die Idee zum Selbstmord eingeben und die meist als bestimmende Ursachen angesehen werden, sind in Wirklichkeit nur ~iuBerliche.''112
Der zus~.tzliche Begriff des ,,anomischen Suizids" bezeichnet im Grund nichts Differentes, s o n d e m hebt nur auf einen anderen Teilaspekt des skizzierten Gesamtphfinomens der Modernisierung ab - nicht das z u n e h m e n d e Fehlen bedeumngsvoller und als wertvoll erlebter zwischenmenschlicher Beziehungen, das den ,,egoistischen Suizid" f6rdere -, sondern die mangelnde Regulierung des sozialen - v.a. des Okonomischen - Lebens und der fehlenden Sinnerft~llung des individuellen Handelns in der Gesellschaft, welches, so Durkheim, gleichermaBen negative psychische Folgen bei den einzelnen Gesellschaftsmitgliedern erzeuge. Die Wirkung dieses Mechanismus erklfirt er hierbei in einer Weise, die es nach Ansicht des Verfassers auch heute noch lohnenswert macht, dieselbe etwas ausfahrlicher zu zitieren: ,,Die Regierung ist von einer Regelinstanz des wirtschaftlichen Lebens zu dessen Instrument und Diener geworden. Unter den gegensfitzlichsten wirtschaftlichen Auffassungen, den konservativen Wirtschaftslehrern und den extremen Sozialisten, besteht Einigkeit darin, ihr nur eine Mittlerrolle [...] zuzubilligen. [...] beide Richtungen verweigern dem Staat jede Berechtigung, sich die anderen sozialen Organe unterzuordnen [...]. Die einen wie die anderen wollen als Hauptziel far alle V61ker die industrielle Prosperitfit. [...] Und da diese Theorien nut das ausdrt~cken, was allgemeine Ansicht ist, so ist die Industrie das erhabenste Ziel des einzelnen und der Gesellschaften geworden statt welter lediglich als Mittel zu einem h6heren Zweck betrachtet zu werden. So ist es aber dazu gekommen, dab jede Autoritfit entfiel, die die neuen Begierden hfitte im Zaum halten k6nnen. [...] Daher die fieberhafte Betriebsamkeit in diesem Sektor der Gesellschaft, die sich auf alle t~brigen ausgedehnt hat. Daher ist Krise und Anomie zum Dauerzustand und sozusagen normal geworden. [...] Es ist ein Hunger da nach neuen Dingen, nach unbekannten Gent~ssen, nach Freuden ohne Namen, die abet sofort ihren Geschmack verlieren, sobald man sie kennenlernt. [...] wer sein Leben lang die Augen nur auf die Zukunft gerichtet hat, findet in seinem vergangenen Leben nichts, was ihm bei den Miggeschicken der Gegenwart helfen k6nnte, denn die Vergangenheit war far ihn nichts als eine Reihe von Etappen, die mit Ungeduld durcheilt wurden. [...] Und nun 6ffnet der Wirrwarr, in dem sich unsere Wirtschaft befindet, allen m6glichen abenteuerlichen Anwandlungen Tt~r und Tor. Wenn die ganze Phantasie auf das Neue ausgerichtet ist und nichts sie im Zaum hfilt, sucht sie das Risiko. Notwendigerweise wachsen mit den Risiken die Rfickschlfige [...]. Dabei sind diese Vorgfinge so tief verwurzelt, dab die Gesellschaft sich daran gew6hnt hat und sie als normal empfindet. Es wird dauernd behauptet, die ewige Unzufriedenheit liege, wie das Vorwfirtsstreben nach einem unbekannten Ziel, ohne Stillstand und Ruhe, in der menschlichen Natur. [...] [So] ist die Lehre vom Fortschritt zu einem Glaubensartikel geworden. ''~ 13 112Durkheim, Selbstmord, S. 237-240. ll3 Ebd., S. 291-294.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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Um seine diesbezaglichen Thesen zu untermauern, untersucht Durkheim die Suizidraten verschiedener Berufsgruppen, und findet eklatante Unterschiede in der von ihm postulierten Weise, also erh6hte Suizidraten gerade in denjenigen Berufs- und Gesellschaftsschichten, welche dem ,,Geist" des modernen Wirtschafts- und Soziallebens besonders anhfingen, den 6konomischen und kulturellen Eliten. TM Obwohl es nun sicherlich in vielen Ffillen, insbesondere im Bereich der Unterschichten, andere soziale und kulturelle Umstfinde sind, welche suizidf'6rdernd wirken, erscheinen diese Ausfahrungen doch sehr treffend im Hinblick auf bestimmte Typen von Suiziden. 115 Die unter dem Stichwort ,,egoistischer" Gesellschaftsverfassung von Durkheim beschriebene Lockerung der sozialen Beziehungen, die unter den Bedingungen der modernen (und postmodernen) Gesellschaft bei vielen Menschen gerade in sozioOkonomisch unterprivilegierten Verhfiltnissen bis zum fast vOlligen Fehlen pers6nlicher zwischenmenschlicher Kontakte reicht, kann aber wohl als far die rezente empirische Suizidforschung relevantester Aspekt seines Werkes angesehen werden, indem er in die Analyse des unterschiedlichen Bestandsgrades ,,sozialer Netzwerke" der Betroffenen einflieBen kann. Die Feststellung der insgesamt erhOhten Suizidalitdt unter ,,modernen" Gesellschafisbedingungen, wie sie Durkheim trifft- was auch in sp~teren historischen Langzeitanalysen von Suizidhfiufigkeiten bestfitigt wurde _,1~6 bietet dagegen vor allem Anlass zur Nachdenklichkeit, und l~sst sich in epidemiologischen Studien allenfalls dahingehend verwerten, als die unterschiedlichen Auswirkungen des modernen Fortschritts-, Leistungs- und Konsumethos auf einzelne Subpopulationen thematisiert werden kOnnen. Eine derartige Perspektive, die in sozialwissenschaftlichen Studien immer wieder thematisiert wurde, ist jene nach der unterschiedlichen Suizidalitfit in den verschiedenen religiOsen Gruppen in Europa. Schon statistische Studien vor Durkheim hatten dieses Phfinomen thematisiert, und an den grundlegenden Befunden hat sich bis zur Gegenwart wenig ge~ndert: Katholische Regionen, aber auch katholische Teilpopulationen in gemischtkonfessionellen Gebieten weisen im Allgemeinen deutlich geringere Suizidraten auf als protestantische Lfinder bzw. protestantische Teilpopulationen. ~v Allerdings reduzieren sich die entsprechenden Unterschiede, wenn die jeweiligen Untersuchungseinheiten so ausgewfihlt werden, dass sie einander hinsichtlich ihres Urbanisierungsgrades und anderer sozioOkonomischer Kriterien gleichen. Die danach noch bestehenden Differenzen der Suizidhfiufigkeit werden auch gegenwfirtig, der Interpretation Durkheims folgend, ,,im Allgemeinen der stfirkeren sozialen Kohfision katholischer Gemeinden zugeschrieben". 1~8 Selbstverst~ndlich wird in der rezenten empirischen Suizidforschung im Hinblick auf das Ph~nomen ,,Religiositfit" versucht, t~ber die bloBe Auswertung der konfessionellen ZugehOrigkeit hinauszuschreiten. Dies erscheint umso dringlicher, als dieselbe unter den Bedingungen der modemen/postmodemen Gesellschaft immer weniger aber die tats~chliche religiOse Bindung, die Spiritualitfit oder die Fr0mmigkeit einer Person aussagen kann (,,Taufscheinchristentum"). 119 ReligiOse bzw. areligiOse Haltungen und ihre Einflasse auf ~4 Vgl. Durkheim, Selbstmord, S. 294f. ll5 Vgl. hierzu auch: Antony Giddens, Eine Typologie des Suizids. In: Rainer Welz, Hermann Pohlmeier (Hg.), Selbstmordhandlungen. Suizid und Suizidversuch aus interdisziplin~rer Sicht. Weinheim-Basel 1981, S. 43-63 ~6 Vgl. etwa zur Osterreichischen Suizidstatistik im 19. und 20. Jahrhundert: Ortmayr, Selbstmord. ~17Vgl. Durkheim, Suizid, S. 162-185, ~s Bronisch, Epidemiologie, S. 6, vgl. auch Kreitman, Epidemiologie,S. 95. ~19Vgl. Bernhard Grom, Suizidalit~t und Religiositat. In: Manfred Wolfersdorf, Christoph Franke (Hg.), Suizidforschung und Suizidpravention am Ende des 20. Jahrhunderts. Regensburg2000, S. 19-35.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Einstellungen zur Suizidalitfit sowie Suizidrisiken lassen sich freilich nur in Form von Befragungen erheben, und nicht, wie die offizielle Religionszugeh0rigkeit, etwa bei Auswertungen offizieller Todesursachenstatistiken, mitberacksichtigen. Dem Aspekt der sozial geteilten Einstellungen gegenaber Selbstt0tungen, ihrer Ablehnung oder Akzeptanz im Generellen sowie unter bestimmten Umstfinden, wird weiter nicht nur in Zusammenhang mit religi0sen Differenzen Bedeutung zugesprochen; far ganz Europa war in dieser Hinsicht ja das Christentum prfigend, wenn man auch annehmen kann, dass die stfirkere Durchdringung mit katholischen Glaubensinhalten in den sadeuropfiischen Gesellschaften zu den im Vergleich zu Mittel- und Nordeuropa- geringeren Suizidraten beitrfigt. Daraber hinaus anerkennen viele Suizidologen - sowohl sozial- als auch naturwissenschaftlicher Provenienz - auch eine Bedeutung nationaler und regionaler kultureller Systeme far die verschiedenen Ausprfigungen von Suizidalitfit. 12~ So wird etwa die auch gegenfiber benachbarten skandinavischen Staaten deutlich erh/Shte Suizidalitfit in Finnland mit der Prfivalenz einer besonders ,,maskulinen" Kultur in Zusammenhang gebracht, die das Zugeben von ,,Schwfiche", welches mit einer Auseinandersetzung mit psychischer Erkrankung verbunden wfire, nicht zulfisst. 121 Und es wurde, ft~r Osterreich direkt relevant, auch die Auffalligkeit der gegent~ber den meisten anderen Nachbarstaaten erh0hten Suizidmortalitfit in fast allen Nachfolgestaaten der ehemaligen Habsburgermonarchie wiederholt mit einer spezifisch ,,0sterreichischen" kulturellen Prfigung assoziiert, welche das Suizidrisiko erh0he. Leider wurde dieses Problem sozialwissenschaftlich bislang v011ig unzureichend untersucht;lZ2 der bekannte Wiener Psychiater Erwin Ringel hatte jedenfalls in seiner zu grol3er Verbreitung gelangten Vortragssammlung ,,Die 0sterreichische Seele" m0gliche Untersuchungsstrfinge sehr deutlich skizziert: Neurotische Ambivalenz von Hass und Liebe gfibe es t~berall, der spezifische Erziehungsstil in r mit seiner Betonung von ,,Tugenden" wie ,,Gehorsam, HOflichkeit, Sparsamkeit", die im Sozialisationsprozess eingeforderte Servilitfit schafen aber die Bedingungen daf't~r, dass jene psychischen StOrungen hierzulande besonders verbreitet seien. ~23 Folge sei ein soziales Klima der ,,Scheinfreundlichkeit", ja der ,,ScheiBfreundlichkeit", welches aber stets mit unterdrt~cktem Hass einhergehe. 124 Dieser Hass, der von vielen ursprt~nglich bereits gegen die - Fr0hlichkeit und Selbstfindigkeit ihrer Kinder im Ansatz unterdrackenden - Eltern empfunden werde, gehe abet mit Schuldgefiihlen einher, und verwandle sich so leicht in Selbsthass. Wie ersichtlich, baut Ringel hier weitgehend auf der Freud'schen Melancholietheorie (und ihren Weiterentwicklungen durch Adler) auf, er benennt aber, dart~ber hinausgehend, auch spezifische soziokulturelle Strukturen, die solche individuellen pathologischen Prozesse zu einem hfiufigen sozialen Phfinomen machen k6nnen. Es w~re diesbezt~glich sicher gerade f~r den ,,Fall Osterreich" h0chst lohnend, vorhandene Forschungsergebnisse zum nationalen Habitus mit den Begriffen ,,Autoritfit, Verstellung, Schmeichelei und Servilitfit" charakterisieren auch Helmut Kuzmics und Roland Axtmann in ihrer Studie zum Zivilisationsprozess in -
120 Vgl. Kelleher, Suizid, S. 231. 121 Vgl. Bronisch, Suizid, S. 31. 122 Siehe auch die Einleitung dieses Kapitels. 123 Erwin Ringel, Die 0sterreichische Seele. 10 Vortrage aber Medizin, Politik, Kunst und Religion. Wien-K01nGraz 1984, bes. S. 10. Beachtenswert ist auch die Kritik am europaischen Militar- und Schulwesen - insgesamt, und auch in Osterreich im Besonderen -, die Masaryk 1881 in Zusammenhang mit dem Ansteigen der Suizidzahlen erhoben hatte: Vgl. Masaryk, Suicid als soziale Massenerscheinung, bes. S. 51-56, 64-70; u.a. wird konstatiert: ,,bei uns sieht man viel mehr auf Zeugnisse als auf wahres und praktisch verwerthbares Wissen." (Ebd., S. 69). 12~Vgl. ebd., S. 26.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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Osterreich und England wichtige Merkmale desselben _~25 im Hinblick auf ihren spezifischen Zusammenhang mit SelbsttOtungshandlungen und deren gesellschaftlicher Hfiufigkeit zu betrachten. 126 Neben diesen gesamtgesellschaftlichen und kulturellen Aspekten stellt, wie schon angesprochen, innerhalb der sozialwissenschaftlichen Suizidforschung natarlich auch die Beschfiftigung mit Suizidh~ufigkeiten in sozialen Schichten und subkulturellen Milieus eine wichtige Aufgabe dar. Grundlegend ist diesbezaglich nattMich die Frage, inwieweit sozio0konomischer Status und Suizidrisiko zusammenhangen. Erstaunlicherweise findet diese Frage in der in der Suizidforschung insgesamt prfivalierenden, medizinischen und psychologischen Forschungsliteratur nur wenig Beachtung und auch widersprachliche Beantwortung: ,,Die Befunde bezaglich der Sozialklasse der Suizidenten waren ganz unterschiedlich", lautet etwa das Resamee in der Forschungsabersicht zu weiterem suizidalen Verhalten nach einem Suizidversuch von Bt~rk und M611er. ~27 Dies verwundert, da unter Suizidologen eine einhellige Anerkennung mehrerer Tatsachen besteht, die ihrerseits nur mit der Annahme h0heren Suizidrisikos in unteren sozialen Schichten konsistent sind: So ,,besteht ein sicherer Zusammenhang zwischen Suizidraten und Arbeitslosigkeit ''~28, in dem Sinn, dass Arbeitslose ein deutlich erhOhtes Suizidrisiko gegenaber Erwerbstfitigen haben, u n d e s ist erwiesen, dass Unterschicht-AngehOrige weit 6fter und lfinger arbeitslos sind als andere Personen. Die Untersuchungen t~ber den Zusammenhang von Depression und Arbeitslosigkeit sind mittlerweile zahlreich, hingewiesen sei hier auf die klassische Osterreichische Studie von Lazarsfeld, Jahoda und Zeisel aus der Zeit der Massenarbeitslosigkeit in den 1930er Jahren. 129 Far die spezifische Frage nach der Erh6hung der Suizidalitfit bei Arbeitslosigkeit ist insbesondere auf die umfassende Auseinandersetzung mit der rezenten Forschungsliteratur von Platt und Hawton im ,,International Handbook of Suicide and Attempted Suicide" zu verweisen, die einen entsprechenden Zusammenhang als Ergebnis der meisten einschl~gigen Studien - sowohl far Parasuizid als auch far Suizid - resamieren. ~3~ Das Risiko, an Suizid zu versterben, stellte sich dabei etwa in einer auf Italien bezogenen Studie far arbeitslose Mfinner mehr als dreimal so hoch dar wie far arbeitende, bei arbeitslosen Frauen mehr als doppelt so hoch! TM Allgemein anerkannt ist auch die Tatsache, dass Menschen aus den sozialen Unterschichten- also Menschen mit geringem Einkommen, niedriger Schulbildung, und in niedrig qualifizierten Berufen - ein welt erhOhtes Risiko far Suizidversuch haben. ~32 Bronisch kennzeichnet Menschen mit mehrfachen Suizidversuchen so:
125Helmut Kuzmics, Roland Axtmann, Autoritat, Staat und Nationaicharakter. Der Zivilisationsprozeg in Osterreich und England 1700-1900. Opladen 2000 (= Figurationen 2), S. 207. z26Vgl. hierzu auch: Helmut Kuzmics, Einleitung. In: Reinhard Blomert, Helmut Kuzmics, Annette Treibel (Hg.), Transformationen des Wir-Gefahis. Studien zum nationalen Habitus, Frankfurt a.M. 1993, S. 11. ~27Bark/M011er, Pr~dikatoren, S. 267. ~28Kreitman, Epidemiologie, S. 91. 129 Vgl. Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld, Hans Zeisel, Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Vetsuch. Frankfurt a.M. 1975 (zuerst 1933), beso S. 64-82. 130 Stephen Platt, Keith Hawton, Suicidal Behaviour and the Labour Market. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, bes. S.318-356. 131Vgl. ebd., S. 316. 132 Vgl. nunmehr bes. die Obersicht zur WHO-Multicenter Studie zur Suizidalitat in den 1990er Jahren: Schmidtke et al., Sociodemographic Charakteristics, bes. S.35-38, vgl. auch Bronisch, Suizid, S. 28.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand ,,Personen mit mehr als einem Suizidversuch sind charakterisiert durch: sozio0konomische Deprivation, eine stfirkere Auspr~gung von Depression, Hoffnungslosigkeit, Machtlosigkeit, Substanzmissbrauch, Pers6nlichkeitsstOrungen, instabile Lebensbedingungen, Vorstrafen, psychiatrische Behandlungen und einer Vorgeschichte mit traumatischen Lebensereignissen einschliel3lich [...] Gewalt in der Familie. ''133
Zugleich steht aber auch fest, dass Personen mit mehreren Suizidversuchen ein wesentlich erhOhtes Risiko aufweisen, auch tatsfichlich an Suizid zu versterben. TM Es ist also oftensichtlich, dass firmere und weniger gebildete Menschen hfiufiger Suizid begehen als sozio6konomisch besser positionierte. Nur in wenigen Publikationen wird dies aber auch explizit ausgedrackt. Hawton und Platt in ihrer Meta-Studie zu Zusammenh~.ngen von Arbeitsmarktph~nomenen und Suizidalit~,t halten aber fest: ,,Studies using an individual crosssectional design clearly show an excess suicide risk in lower social class groups and a reduced suicide and deliberate self-harm risk in higher social class groups. ''135 Als Hindernis mr andere einschlfigig tfitige Autoren, diesbezaglich Klarheit zu schaffen, fungiert wohl auch der Umstand, dass sich zwischen SchichtzugehOrigkeit und Suizidhfiufigkeit (im Gegensatz zur Frequenz von Parasuiziden) oft kein linearer Zusammenhang finden lfisst. 136 Die Assoziation zwischen Schichtzugehdrigkeit und Suizidrisiko stellt sich vielmehr vielfach U-fOrmig dar: ,,Oberschichtangeh6rige haben die hOchste Suizid-Mortalitfit, diejenige der ungelernten Arbeiter liegt wiederum hOher als diejenige der Mittelschicht", wie schon in den 1980er Jahren Kreitman hervorhob. ~37 Der Grol3teil der epidemiologischen Studien medizinischer Provenienz untersucht die Schichtzugeh6rigkeit der Suizidenten aber noch heute aberhaupt nicht systematisch, 138 was nicht zuletzt damit zusammenhfingt, dass die offizielle Todesursachenstatistik in vielen L~ndem weder Beruf noch Bildungsniveau als Erfassungskriterium aufweist, so auch in Osterreich. 139 Hierbei handelt es sich, medizinsoziologisch bzw. sozialmedizinisch gesehen, um einen schier ungeheuerlichen Missstand. Unbegreiflich ist er freilich nicht, kann man sich doch leicht ausmalen, welche 0ffentliche Unruhe erzeugt warde, kOnnte mit dem entsprechenden Zahlenmaterial doch ohne jeden Zweifel an der Reprfisentativitfit - und viel plakativer als es einzelne, meist auf ein bestimmtes Krankheitsbild spezialisierte klinische Studien kOnnen - nachgewiesen werden, dass Armut nicht nur krank macht, sondern auch t/Stet, jedenfalls im Durchschnitt gesehen, wobei sich diese Feststellung nattMich nicht nur auf das Ph~nomen des Suizids bezieht, sondern auch auf zahlreiche berufs- und situationsbedingte Erkrankungen. Zumindest l~ir den Bereich des Suizids ergibt sich anhand der bisher vorliegenden Studien zudem die - nachgerade skurrile - Situation, dass gleichsam auch Reichtum tOtet.
Bronisch, Epidemiologie, S. 5, vgl. auch: Wolfersdorf/Wedler/Welz,Diagnostik, S. 35. 134Siehe hierzu weiter oben. 135Platt/Hawton, Suicidal Behaviour, S. 376. 136 Zudem suizidieren sich Oberschicht-Angeh0rige h~ufiger ohne vorangegangene, fehlgeschlagene Suizidversuche, was zu einem differenten Bild yon letaler Suizidalitfit und Parasuizidalitat fahrt und dazu, dass bei letzterer den Unterschicht zuzuordnende Personen stark aberwiegen, bei ersterer aber weniger stark. 137Kreitman, Epidemiologie, S. 91. Vgl. hierzu auch: Lindner-Braun, Soziologie, bes. S. 383f. 138 Vgl. etwa far Osterreich die ansonsten ziemlich umfassende Studie anhand dem offiziellen statistischen Material: Sonneck/Stein/Voracek,Suizide yon Mfinnern. 139Vgl. hierzu: Sonneck, Krisenintervention, S. 257. 133
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
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Dieser Befund, wie er oben zitiert wurde, lfisst sich auch an den Untersuchungen der spezifischen Suizidrisiken einzelner Berufsgruppen gut nachvollziehen: So konnte etwa eine stark erh0hte Suizidalitfit in medizinischen Berufen, insbesondere auch bei ,~rzten, nachgewiesen werden, ~4~und hierbei handelt es sich um eine Berufsgruppe, die sowohl zu den Spitzen-Einkommensbeziehern geh0rt als auch - im Durchschnitt gesehen -das allgemeingesellschaftliche Leistungsideal wohl besonders stark internalisiert hat. Auf die Bedeutung ,,subkultureller" Milieus Dr die Neigung zu Suizidhandlungen verweist nicht zuletzt auch eine Beobachtung aus Vergleichsstudien auf Makroebene: Gebiete mit hohen Bev61kerungsanteilen von Unterschichtangeh6rigen weisen im Allgemeinen h0here Parasuizid- und Suizidhfiufigkeiten auf. 14~ Allerdings tritt hier das methodische Problem der Auswahl der Untersuchungseinheit auf, welches etwa Welz in seiner stadtsoziologischen Untersuchung zu Suizidversuchsraten in Mannheim hervorragend demonstrierte: Suizidhfiufigkeiten k0nnen sich noch bei Betrachtung kleinrfiumiger Einheiten innerhalb derselben stark unterscheiden; Welz fand eklatante Unterschiede gerade auf der Ebene einzelner StraBenzi~ge! 142 Derartige Untersuchungen lenken die Aufmerksamkeit nicht zuletzt auch auf die Bedeutung des jeweiligen Wohnumfeldes for das Risiko suizidaler Handlungen. Gefunden wurde etwa ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Personen, die im Durchschnitt in einem Gebfiude leben, und der Hfiufigkeit suizidaler Handlungen, dasselbe gilt ftir den Anteil der Einpersonenhaushalte. Diese Variablen werden dabei als Indikatoren sozialer Isolation respektive mangelnder sozialer Integration, also ,, D e s i n t e g r a t i o n ", aufgefasst. 143 Gleichsinnig lassen sich natfirlich auch andere Phfinomene, die auf der individuellen Ebene weiter oben schon er0rtert wurden, auch in Form yon Raten bzw. Wahrscheinlichkeiten auf kollektiver Ebene untersuchen, etwa Scheidungsraten, ebenfalls als Ausdruck instabiler sozialer Beziehungen, oder auch Indikatoren sozioOkonomischen Wohlstandes und Wohlbefindens, wie durchschnittliches Einkommen, Arbeitslosenquote, Eigentfimeranteil an Wohnungen, aber auch durchschnittliche Wohnfl~iche pro Person u.a. Ft~r die spezifische Frage nach dem Einfluss des Urbanisierungsgrades auf die Suizidhfiufigkeit gilt, wie schon erwfihnt, dass hier die Befunde keineswegs eindeutig sind. Allgemein wird zwar eine sttirkere Suizidtendenz in Stfidten angenommen, es gibt aber auch Regionen und Lfinder, in denen die Verhfiltnisse - teils erst seit j~ngerer Z e i t - umgekehrt sind. j44 Gerade auch ft~r diesen Bereich wfire weitere sozialwissenschaftliche Forschung sicherlich fiuBerst fruchtbar, u n d e s wird im empirischen Teil der vorliegenden Studie auch auf den Zusammenhang zwischen Wohnortgr0Be und Suizidhfiufigkeit eingegangen. Einen spezifischen, auch sozialwissenschaftlich fruchtbar zu analysierenden Aspekt stellt weiter der Zusammenhang von Kriminalitfit und Suizidalit~it dar. Auf gesellschaftlicher Ebene lassen sich hohe Kriminalitfitsraten als Ausdruck starker sozialer Desintegration interpretieren, und bei der Betrachtung spezifischer Risikogruppen Dr Suizidalitfit ist Kriminellen und generell inhaftierten Personen ein besonderes Augenmerk zu schenken: Autoaggression und Aggressivitfit gegen andere hfingen zusammen, was nicht nur psychologisch ~40Vgl. etwa Platt/Hawton, Suicidal Behaviour, S. 376, 141Vgl. ebd., S. 377. 142Rainer Welz, Epidemiologie und raumliche Verteilung von Selbstmordversuchen. In: Rainer Welz, Hermann Pohlmeier (Hg.), Selbstmordhandlungen. Suizid und Suizidversuch aus interdisziplin~rer Sicht. Weinheim-Basel 1981, S. 77-99. 143Vgl. ebd., S. 91. 144Vgl. Bille-Brahe, Sociology,bes. S. 203.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
begrandet, sondern auch in epidemiologischen Studien nachgewiesen werden konnte. Die belastenden Lebensbedingungen in Gefa.ngnissen und fihnlichen Einrichtungen tragen freilich noch zusfitzlich zu einer oft extrem erh6hten Suizidmortalitat ihrer im Durchschnitt ohnehin schon besonders ,,vulnerablen" - also ,,suizid-anf~,lligen" - Insassen bei. In USGefangnissen wurden gegent~ber der Gesamtbev61kerung neunfach erhOhte Selbstt6tungsraten registriert, 145 in Osterreich ergibt sich bei langfristiger Betrachtung, far den Zeitraum von 1975 bis 1994, eine Suizidrate von 116,3, etwa viermal so viel wie die ,,Normalbev61kerung". 146 Im Durchschnitt wohl bessere, aber ebenfalls oft belastende, besondere Lebensdingungen haben aber auch die Insassen anderer ,,totaler Institutionen", 147 wie psychiatrischer Anstalten, aber auch von gewissen anderen Krankenhausem und Pflegeheimen. Schon die oft leider durchaus nicht unberechtigte - Furcht vor dem Verlust selbstbestimmter Lebensweise und persOnlicher Rechte durch eine bevorstehende Hospitalisierung kann bei entsprechend disponierter Pers6nlichkeit eine Motivation zum Suizid darstellen. ~48 Und in psychiatrischen Anstalten fanden spezifische Studien zum ,,Patientensuizid" weit fiber das 10fache, ja vielleicht sogar das 50fache gegentiber der Normalbev61kerung erhOhte Suizid149 raten. Die Untersuchung von Suizidhandlungen innerhalb bestimmter Organisationen schenkte auch dem Aspekt mOglicher Nachahmungshandlungen Beachtung, der far Suizidalitfit immer wieder diskutiert wurde, und tatsfichlich zu existieren scheint. Besonders deutlich nachgewiesen wurde der so genannte ,,Werther-Effekt" aber in einer Studie, die den Einfluss medialer Darstellung des Themas - konkret einer Fernsehserie aber einen fiktiven ,,SchMerselbstmord" - auf den Verlauf der Suizidhfiufigkeiten in Deutschland zum Inhalt hatte. 15~ Weitere, besonders stark mit soziologischer Theoriebildung verknt~pfte Aspekte, unter denen Suizidalitfit sozialwissenschaftlich betrachtet wird, sind ,,Statusinkongruenz" und ,,relative Deprivation". Beiden Begriffen ist gemeinsam, dass sie soziale Unterschiede innerhalb einer bestimmten Untersuchungseinheit thematisieren, und auf das Bestehen von Ungleichheiten in Status, Wohlstand u.a. negative sozialpsychologische Wirkungen zurackMhren, und nicht etwa auf die ,,absolute" H6he der Versorgung mit materiellen Gt~tern. Die Bezugsgruppentheorie Robert Mertons sieht eine spezifische Ursache, welche zur Entstehung von Frustration bei bestimmten Personen Mhrt, darin, dass dieselben ihre eigene Situation mit jener einer in wichtigen Aspekten aberlegenen bzw. besser gestellten sozialen Gruppierung vergleichen. Dabei kann dann weiter nach hiert'ur disponierenden psychischen ~45Vgl. Matthew Nock, Peter Marzuk, Suicide and Violence. In: Keith Hawton, Kees van Heeringen (Hg.), The international handbook of suicide and attempted suicide. Chicester u.a. 2000, S. 441. 146 Vgl. Stefan Frtihwald, Kriminalitat und Suizidalitat. Selbstmorde in Osterreichs Haftanstalten 1975-1984. Ursachen, Statistik, Schlussfolgerungen. In: Zeitschrift far Strafvollzug und Straffalligenhilfe45/4 (1996), S. 220. Wenn man ber0cksichtigt, dass der 0berwiegende Teil der Gefangenen M~nner sind, und die entsprechende Rate der Suizidrate der mfinnlichen Bev61kerunggegent~berstellt,reduziert sich das Verhfiltnis, betrfigtaber immer noch etwa 3:1. ~47Vgl. zu diesem Begriff: Erving Goffman, Asyle. 13ber die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt a.M. 1973. 148Vgl. Harwood, Jacoby, Suicidal Behaviour, S. 286 149Wolfersdorf/Wedler/Welz,Diagnostik, S. 31. Hier wird eine Suizidrate von 150-200 pro 100.000 Aufnahmen angegeben. Um eine genaue Vergleichbarkeitmit der GesamtbevOlkerungzu erzielen, musste diese Zahl abet auf eine Zeitspanne von einem Jahr umgerechnet werden, man masste also zumindest die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Anstalt kennen. ~5oVgl. hierzu etwa Welz, Definition, S. 14f.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
57
oder sozialen Umstanden gefragt werden. TM Die Betrachtung der Stellung der Betroffenen im Gefage ihrer rfiumlich-sozialen Umgebung - der ,,Nachbarschaft" - kann so etwa dazu beitragen, das scheinbare Paradox aufzuklfiren, dass in ,,besseren" Bezirken einer Stadt manchmal hOhere Suizidraten gemessen werden kOnnen. 152 Gerade Menschen, die unter bedrackenden materiellen und sozialen Verhfiltnissen relativ nahe neben vielen anderen leben, die es diesbeztiglich besser haben, haben dieser sehr plausiblen These zufolge ein besonders hohes Suizidrisiko. Konsistent hierzu stellt sich auch das Ergebnis eines Vergleichs auf gesamteuropfiischer Ebene dar, wonach in Staaten mit hOherer Lebensqualitfit im Durchschnitt h6here Suizidraten festzustellen waren (!). Dies bedeutet nfimlich natarlich nicht, dass sich Menschen, denen es besser geht, eher selbst umbringen, sondern dass es ,,nicht so schwerwiegend [ist,] in Gegenden [...], in denen alle unter fihnlichen Problemen leiden, unterdrackt zu werden oder deprimiert zu sein, im Vergleich zu Landem, deren BevOlkerung [im Allgemeinen] gr613eren Reichtum und allgemeines Wohlbefinden geniel3t,'. 153 Eine dieser Argumentation verwandte These ist die schon erwfihnte Annahme der besonderen Disposition far psychische Probleme bis hin zur Suizidalitfit bei Personen mit ,,Statusinkongruenz", 154 das heiBt bei Menschen, die einer bestimmten sozialen Gruppe zugehOren - und zugehOren wollen -, in einigen als bedeutsam erachteten Kriterien aber sich vom GroBteil derselben unterscheiden; ein klassischer Fall wfire jener eines sozialen ,,Aufsteigers", dessen Mitgliedschaft in einer hOheren sozialen Schicht, einer elitfiren Gruppe o.fi. aber aus irgendeinem Grund -,,falsche" Hautfarbe oder familifire Herkunft, unkonventioneller VermOgenserwerb usw. - von den Angeh6rigen derselben aber abgelehnt wird. GemfiB dieser Theorie kOnnten, neben manchen ethnischen Minoritfiten - hierbei sind aber jeweils auch die gruppenspezifischen Traditionen in der Einstellung zum Suizid als verstfirkend oder abschwfichend zu bert~cksichtigen _155 auch gewisse Berufsgruppen ein erh6htes Suizidrisiko aufweisen, insbesondere solche, die gesellschaftlich als stigmatisierte ,,Randgruppen" begriffen werden, aber selbst vielfach um allgemein-gesellschaftliche Anerkennung bemt~ht sind, wie AngehOrige des ,,Rotlicht-Milieus", im Bestattungsgewerbe, in der Mallentsorgung oder in Schlachtbetrieben tfitige Personen u.fi. Ein weiterer, viel offensichtlicher von sozialen Faktoren beeinflusster Aspekt, unter welchem Suizidalitat und Suizidhfiufigkeiten untersucht werden kOnnen, ist schlieglich jener der unterschiedlichen BeschaffungsmOglichkeiten von ,,Suizidwerkzeugen" und, damit in Zusammenhang, der verschiedenen soziokulturellen Muster bei den Suizidmethoden. 156 Denn obwohl offenkundig zumindest jede in ihrer kOrperlichen Bewegungsffeiheit einigermaBen uneingeschr~nkte Person prinzipiell mehrere relativ ,,sichere" Methoden der SelbsttOtung auch ohne besondere Instrumente, wie Schusswaffen oder potentiell letale Medikamente, zur Verfagung stehen, wie Sturz aus groger HOhe, Ertrfinken, Erstechen u.fi., so wird doch in allen europfiischen Lfindem ein betrfichtlicher Anteil der SelbsttOtungshandlungen in einer Weise ausgefuhrt, die besondere Vorbereitungen und Beschaffungen nOtig macht. Die psychologische Hemmschwelle darfte gerade far (Selbst-)T6tungen mit 151Vgl. Robert K. Merton, Soziologische Theorie und soziale Struktur. Berlin 1995, bes. S. 217-227. 152Vgl. hierzu die Ergebnisse der Studie: Welz, raumliche Verteilung. ~53Kelleher, Suizid, S. 231. ~54Vgl. Kreitman, Epidemiologie, S. 94. ~55Vgl. bereits Durkheims Er0rterung der i.A. niedrigen Suizidalit~tder jt~dischen BevOlkerungsgruppen in den sie deutlich diskriminierendeneuropaischen Gesellschaften des 19. Jahrhunderts: Durkheim, Selbstmord, S. 162-181. ~56Vgl. Welz, Definition, S. 15.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
relativ ,,abstrakten" Mitteln wie Schusswaffen, Gas oder einer Oberdosis Medikamenten geringer sein als far solche mit unmittelbarer und sichtbarer Verletzung des KOrpers. Dementsprechend kann die Einschrfinkung des Zugangs zu solchen Mitteln tatsachlich als suizid-prfiventiv gelten. Als deutlichstes Beispiel hierft~r wird in der Literatur gewOhnlich die Erfahrung ange~hrt, welche man in England anlfisslich der Umstellung der Haushaltsgasversorgung machte, die dort zu Heizzwecken usw. sehr verbreitet war, und seit Generationen auch ~ r zahlreiche Suizide benutzt wurde: ~57 Die Umstellung auf ein ungiftigeres Gasgemisch in den 1960er und frfihen 1970er Jahren brachte nicht nur einen Rt~ckgang der Suizide mittels dieser Methode, sondem ging auch mit einem Gesamtrtickgang der SelbsttOtungshfiufigkeit einher (und dies, obwohl zugleich in den meisten anderen europfiischen Staaten die Suizidraten anstiegen), sodass gefolgert werden kann, dass ein deutlicher Teil der Suizidgef'ahrdeten nicht etwa auf eine andere Suizidmethode verfiel, sondern es sich angesichts des Ausfalls dieser ,,Exit-M0glichkeit" anders t~berlegte. Nicht bei allen ,,Suizidwerkzeugen" ist spezifische Beschaffungsprfivention m0glich; allein t~r den Bereich der Schusswaffen wfire aber wohl groBes Prfiventionspotential vorhanden, geschieht in Osterreich doch noch heute jeder 5. bis 6. Suizid mittels Pistole, Gewehr o.a. ~58
1.3.5 Suizid aus (medizinisch-)6kologischer Perspektive Zahlreiche der im Abschnitt tiber den sozialwissenschaftlichen Zugang zur Suizidalitfit genannten Untersuchungsparameter spielen auch in Studien eine Rolle, die ,,6kologisch" genannt werden. ~59 An dieser Stelle sollen aber, um allzu viele Wiederholungen zu vermeiden, lediglich diejenigen Aspekte skizziert werden, die sich aus einer spezifisch naturwissenschaftlichen Betrachtung von m6glichen Umwelteinfliissen auf Suizidhandlungen ergeben: Hierbei kann zunfichst grundsfitzlich, nach der Art der etwaigen Einflussfaktoren, in langfristige und kaum gezielt ver~,nderbare Faktoren, wie geologische und klimatische Verhfiltnisse, und solche kurzfristigeren Auftretens, wie etwaigen kollektiv auftretenden Intoxikationen, unterschieden werden. Geographisch-klimatische Verhfiltnisse wurden schon lange, hfiufig auch in t~bertriebener Weise, ~ r unterschiedliche Suizidanfalligkeiten verschiedener Populationen verantwortlich gemacht. Jedoch gilt mittlerweile als biochemisch gesichert, dass Sonneneinstrahlung und die Produktion von ~ r die Protektion vor Depressivitfit verantwortlichen Neurotransmittem zusammenhangen, und dass manche Formen der Depression (,,saisonale Depression") durch zusfitzliche Zufuhr von Lichtquanten (,,Lichttherapie") behandelt werden k6nnen. 16~ Dementsprechend liegt es nahe, die Vermutung, die relativ hohen Suizidraten in Teilen Skandinaviens auch mit der in diesem Teil Europas geringsten durchschnittlichen Lichtmenge in Zusammenhang zu bringen, nicht vornweg zu verwerfen. Der Umstand, dass sich aber in den meisten mitteleuropfiischen Staaten fihnlich hohe, teils auch hOhere Suizidraten feststellen lassen, weist jedenfalls 157Vgl. Welz, Definition, S. 15. ~58Vgl., ft~rdie 1980erund 1990er Jahre, die Zusammenstellungin: Sonneck/Stein/Voracek, S. 28. ~59Vgl. etwa: Thomas Becker, Norman Sartorius, Okologie und Psychiatrie. In: Hanfried Helmchen et al. (Hg.), Psychiatrie der Gegenwart, Bd. 1. Berlin 1999, S. 473-506. ~6oVgl. Rose, Klinik depressiver Syndrome, S. 283.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
59
auf eine nur partielle Erklfirungskraft dieses Ansatzes hin. Innerhalb Mitteleuropas sowie auch innerhalb Osterreichs wt~rde hiermit insbesondere auch die immer wieder gefiuf3erte Annahme korrespondieren, auf der ,,Schattseite" von tiefen Talern kfime es zu mehr Suiziden als auf der Sonnseite. Kurzfristigere Schwankungen in der Suizidalittit sucht die Suizidforschung ebenfalls schon seit langer Zeit auch durch Korrelation mit Wetterphanomenen zu erkltiren, insbesondere abet einen Zusammenhang mit jahreszeitlich-saisonalen Wechseln der klimatischen Bedingungen herzustellen. ~61 Tatsfichlich lassen sich hier Muster erkennen, die als solche wieder langffistig fiuBerst stabil bleiben; diese entsprechen freilich nicht der LaienErwartung, wonach in der ,,tristen" Jahreszeit yon Herbst und Winter die SelbsttOtungshandlungen zunehmen wtirden; vielmehr lfisst sich in den meisten europfiischen Staaten eine deutlich hOhere Suizidfrequenz im F ~ h l i n g bzw. im Friihsommer feststellen; nur teils geht hiermit ein weiterer Hfiufigkeitsgipfel im Herbst einher, nicht jedoch im Winter. 162 Uber die Ursachen dieser Schwankungen wurde viel nachgedacht, neben direkten Auswirkungen der Klimaverfinderungen selbst, insbesondere der Lichtzufuhr, auf den menschlichen KOrper und damit auch auf die Psyche, wurden schon von Durkheim auch soziale Faktoren ins Treffen gefuhrt, welche der Korrelation von Jahreszeit und Suizidhfiufigkeit zugrunde liegen kOnnten. Insbesondere wurde dabei auf die generell hOhere soziale Aktivitfit in den ,,sch6nen" Jahreszeiten hingewiesen. 163 Mit diesen Oberlegungen durchaus konsistent ist die psychologische These, wonach im Frt~hjahr die Kluft zwischen dem ,,Innenleben" einer depressiven Person und einer generell positiv gestimmten - nichtmenschlichen und menschlichen - Umwelt dieselbe stfirker beeintrfichtigen w~irde. ~64 Allerdings, dies ist hinzuzu~gen, sind die monatlichen Schwankungen in den Suizidraten nicht so deutlich, als dass ihnen fiir suizidprtiventive Mal3nahmen eine maBgebliche Bedeutung eingerfiumt werden k6nnte: Ft~r (3sterreich insgesamt l~sst sich etwa gem~13 den statistischen Auswertungen von Sonneck, Stein und Voracek 165 bei Heranziehung der letzten drei vollen Dekaden (1970er, 1980er und 1990er) als Untersuchungszeitrfiumen kein einzelner Monat eruieren, welcher einen Anteil an der Gesamtzahl aller Suizide von mehr als 10 % aufweisen wt~rde. Die Schwankungen der Suizidhaufigkeit um den zu erwartenden Mittelwert von 8,3 % sind also eher gering. 166 Ein weiterer Aspekt, unter welchem Suizidfrequenzen ebenfalls betrachtet werden kOnnen, ist jener des Zusammenhangs mit 6kologisch, d.h. auf grOfSere Menschengruppen wirksamen Intoxikationen. Die diesbezt~gliche Forschung hat aber noch in vielen Bereichen wichtige Fragen often lassen mt~ssen; immerhin ist yon biomedizinischer Seite her nachgewiesen worden, dass eine sehr umfang- und variantenreiche Gruppe von Neurotoxinen existiert, also Substanzen, die spezifisch schfidlich auf das (menschliche) Nervensystem ~6~Vgl. Durkheim, Selbstmord, S. 100-123. ~62Cantor, Suicide in the Western World, S. 24. 163Vgl. Durkheim, Selbstmord, S. 100-123. 164Cantor, Suicide in the Western world, S. 24. 165Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von M~nern, S. 66-81. 166Der Wert von 8,3 wird erhalten durch die Division von 100 % dutch 12 Monatsabschnitte. Wenn sich fiir den Februar haufig die geringsten Suizidzahlen ergeben, so ware diesbezt~glich ~ibrigens zu beachten, dass dieser Monat mit i.A. nur 28 Tagen eine merklich geringere zeitliche Ausdehnung hat als die anderen; die Differenz von 7 (gegent~ber30-tagigen Monaten) bis 10 % (gegen0ber 31-tagigen) ist nach Auffassung des Studienautors angesichts der ohnehin relativ geringen Schwankungen in diesem Zusammenhang keineswegs vernachl~ssigbar; bert~cksichtigt man diese aus der konventionellen Monatseinteilung resultierende Differenz, ergibt sich dennoch ein Winter-Tief an Suiziden, dessen 15bergangzu den hohen Frt~hjahreswerten aber weniger abrupt ausfallt.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
einwirken. Besieht man die Liste dieser Substanzen und die Beschreibung ihres ,,Vorkommens", so wird klar, dass sich ihr Gebrauch mit der Entstehung der modernen Industriegesellschaft wesentlich ausgeweitet hat: 167 In ihrem Beitrag zum Zusammenhang von Okologie und Psychiatrie in der letzten Ausgabe des renommierten Standardwerks ,,Psychiatrie der Gegenwart" geben Becker und Sartorius folgende Zusammenstellung hierzu:
Tabelle 6." Neurotoxine und ihre psychischen Folgen 168 Substanz Arsen
Blei
Mangan Quecksilber
Zinn
Kohlenstoffdisulfid Methyl-ButylKetone/ n-Hexane Perchlorethylen Trichlorethylen
Verwendung und Vorkommen Herstellung bzw. Bearbeitung von Glas, Kupfer, Blei, Gold, Halbleitern; enthalten in Insektiziden und Herbiziden Herstellung bzw. Bearbeitung von Metallen, Farben, Benzin, enthalten in Wasser, Luft, Erde, Staub, Nahrung Herstellung bzw. Bearbeitung von Manganerz, Farben, Lacken, Dtinge- und Desinfektionsmitteln enthalten in: wissenschaftlichen Instrumenten, Amalgam, div. Legierungen, Farben, Pestiziden, Fisch in zahlreichen Bearbeitungsvorgfingen, enthalten in Metallegierungen, Elektronikprodukten, Kunststoffen Herstellung bzw. Bearbeitung von Kunststoffen; enthalten in Insektiziden Herstellung bzw. Bearbeitung von Kunststoffen, Bekleidung, Schuhen, Kosmetika Herstellung bzw. Bearbeitung vom Textilien; bei Reinigungen L6sungsmittel im industriellen Bereich
Psychische Folgen
Neurol. Folgen
Angst, Gedfichtnisst6rungen
Neuropathien u,a.
Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Lethargie, Halluzinationen, Gedfichthis-, Konzentrations-, Orientierungs-, Wortfindungsst~rungen u.a. Reizbarkeit, Zwangsst0rungen Depression, Reizbarkeit, Ersch6pfung, Schlaf-, Gedfichtnis-, Konzentrations-, Denkst6rungen Depression, Stimmungsschwankungen, Schlaf-, Sexual-, Orientierungs-, Gedfichtnis- und Koordinationsst6rungen Nervosittit, Stimmungsschwankungen, Schlaf-, Gedtichtnis-, Konzentrationsst6rungen u.a.
Neuropathien u.a.
Parkinsonoid, Hyperreflexie Neuropathien u,a.
Neuropathien u.a,
Neuropathien Reizbarkeit, Madigkeit, Denk-, Ged~ichtnis-, Konzentrationsst6rungen Ersch6pfung, Schwfichegeftihle, Denk- und Aufmerksamkeitsst6rungen u.a.
Schwindel u.a.
Hirnnervenausfalle
167Dem steht nicht entgegen, dass dort, wo derartige Substanzen bereits in protoindustriellen Zusammenhangen Anwendung fanden, die toxischen Auswirkungen aufgrund mangelnder M0glichkeiten der Protektion meist wahrscheinlich noch intensiver waren. 168Nach Becker/Sartorius, Okologie und Psychiatrie, S. 496f. (mit weiterf0hrenden Literaturangaben).
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
61
Substanz
Verwendung und Vorkommen
Psychische Folgen
Toluen
Herstellung bzw. Bearbeitung von Papier und Leder; Ausstog im Autoverkehr
Suizidgedanken, Stimmungsschwankungen, Nervosit~t, DenkstOrungen, Miidigkeit u.a. Angst, Unruhe, Reizbarkeit, Mt~digkeit, Stimmungsschwankungen, Gedfichtnis- und KonzentrationsstOrungen Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Lethargie u.a.
Organophosphate
enthalten in Insektiziden
Carbaryl
enthalten in Insektiziden
Neurol. Folgen
Cholinerges Syndrom u.a. Cholinerges Syndrom u.a.
Selbstverstfindlich hfingt das Vorkommen der angegebenen pathologischen Folgen vom Ausma6 der jeweiligen Exposition gegeniiber diesen toxischen Substanzen ab; Untersuchungen zum jeweiligen Belastungsgrad w~ren fraglos auch far die Erforschung der Suizidalitfit von Relevanz, wenn man die aufgelisteten Symptome mancher Neurotoxine, wie Depressivitfit, Stimmungsschwankungen usw., betrachtet. Dies k6nnte sowohl im Hinblick auf regionale Belastungsunterschiede durchgefahrt werden als auch hinsichtlich der Untersuchung besonders exponierter Berufsgruppen, worauf in der obigen Tabelle durch die Nennung der die Substanzen jeweils nutzenden Industriesparten auch bereits klare Hinweise enthalten sind.
1.3.6 Spezifische Forschungsarbeiten zur Epidemiologie der Suizidalitdt in Osterreich Nachdem im Vorangegangenen ein Oberblick iiber die Kenntnisstfinde der verschiedenen Richtungen der ,,Suizidologie" gegeben wurde, gilt es nun, bevor ein integratives Modell derselben umrissen werden soll, auf diejenigen schon vorliegenden Forschungsarbeiten gesondert einzugehen, die sich im Speziellen auf Osterreich bzw. die Steiermark beziehen, da von denselben ja besonders zielgenaue Anregungen far die im Weiteren durchzufahrende statistische Untersuchung der Suizidalitfit in unserem Bundesland zu erwarten sind, und dieselbe bis zu einem gewissen Grad ja auf bereits existenten Studien aufbauen kann: Hierbei k0nnen tar die Zwecke der vorliegenden Studie generell verschiedene Gruppen von Forschungsarbeiten unterschieden werden, nfimlich einerseits solche, die sich nicht explizit bzw. nicht haupts~chlich mit dem Thema Suizid auseinandersetzen, aber einzelne oder auch mehrere Erscheinungen behandeln, die im Vorangegangenen als potentielle Einflussfaktoren far Suizidalitfit vorgestellt wurden (z.B. Verbreitung und Behandlung psychischer Erkrankungen, Pr~sentation aggregierter Daten zu sozialen und t~konomischen Verhfiltnissen usw.) und daher yon Bedeutung far diese Studie sind, und andererseits explizit Suizid behandelnde Forschungsarbeiten. Hinsichtlich letzterer sind hier nattirlich Studien allgemein-epidemiologischen Charakters yon grundlegender Bedeutung, aber auch wissenschaftliche Beitrfige zu spezifischen Aspekten von Suizidalitfit werden beriicksichtigt, insoweit von denselben spezifische Erkenntnisse zu Differenzen von Hfiufigkeit und Gestalt von Suizidalitfit zwischen Osterreich und anderen Staaten bzw. innerhalb von Teilen des Bundesgebiets zu erwarten waren. Auf die wichtigen Beitrfige von psychiatrischer und
62
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
psychotherapeutischer Forschung in Osterreich zum Phanomen des Suizids generell wurde dagegen bereits hingewiesen und soll hier nicht nochmals eingegangen werden. Auch die basalsten Befunde zur Epidemiologie des Suizids in Osterreich wurden, nfimlich in der Darlegung zum AusmaB der ErhOhtheit der steirischen Suizidrate gegent~ber derjenigen der anderen Osterreichischen Lfinder, bereits vorgestellt. Die Forschungsarbeiten von (in alphabetischer Folge) Antretter, Dunkel, Etzersdorfer, Fischer, Haring, Kapusta, Piribauer, Seibl, Sonneck, Stein, Voracek, Wancata, um hier nur die Autoren der wichtigsten rezenteren Publikationen zu nennen, liefern dabei wichtige Ubersichten zur Epidemiologie in Gesamt6sterreich. ~69 Auch themenspezifische Aspekte der Suizidalit~,t bzw. Er6rterungen zu einzelnen Risikogruppen werden mr Osterreich in diesen Arbeiten behandelt; gesonderte Einzelpublikationen zu solchen eingegrenzten Themenfeldern finden sich - ft~r den epidemio|ogischen Bereich - mr den Osterreichischen Raum jedoch nur vereinzelt, ~7~ wobei besonders auf die Arbeiten von Stefan Frt~hwald et al. zum Zusammenhang von Kriminalitfit und Suizidalitfit hingewiesen werden sol|. TM Auch regionalspezifische Analysen werden in den a n g e ~ h r t e n epidemiologischen 15bersichtsarbeiten vorgenommen, aber gew/Jhnlich lediglich bis ,,herunter" auf die Ebene von Bundeslfindern, sodass Binnendifferenzen in der Suizidalitfit einzelner Lfinder nicht behandelt werden. Auf der Ebene einzelnet Bundeslfinder existieren, ergfinzend hierzu, leider bislang nur wenige epidemiologisch ausgerichtete Studien; neben Arbeiten der Forschergruppe am Psychiatrischen Krankenhaus Hall, die sich teils spezifisch auf Tirol und einzelne Landesteile desselben beziehen, ~72 wurde ft~r die vorliegende Untersuchung vor allem die gewissermaf3en Pioniercharakter aufweisende und ziemlich umfassend angelegte (aber leider eher schwer zugfingliche, da nicht verlagsmaBig publizierte) Vorarlberger Suizidstudie" von Haller und Lingg aus dem Jahr 1985 eingesehen. 173 Ft~r das Bundesland Steiermark im Speziellen existierte bislang keine gesonderte, epidemiologische Studie zur Suizidalitfit, allerdings hat sich die Steiermfirkische Landesstatistik bereits seit langem mit diesem Problem befasst, wobei im Rahmen der Todesursachenstatistik Burger, Mayer et al. zu grundlegenden Aspekten der Suizidhfiufigkeit in der Steiermark mehrere aufschlussreiche Beitrfige publiziert haben. ~74 Eine kurze, aber konzise 169 Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von Mannern, Etzersdorfer, Voracek, Kapusta, Sonneck, Epidemiology, Etzersdorfer, Fischer, Sonneck, Epidemiologie, Dunkel, Antretter, Seibl, Haring, Suicidal Behaviour, sowie Sonneck, Suizid und Suizidpr~vention, und Sonneck, Krisenintervention. Ft~rdie langfristig-historische Perspektive ist weiters anzuft~hren: Ortmayr, Selbstmord. 170 Abgesehen yon der speziell der mannlichen Suizidalitat gewidmeten Studie von Sonneck, Stein und Voracek: Suizide yon Mannern. 171 Vgl. Stefan Frt~hwald, Kriminalit~t und Suizidalit~t. Selbstmorde in C)sterreichs Haftanstalten 1975-1984. Ursachen, Statistik, Schlussfolgerungen. In: Zeitschrift ft~r Strafvollzug und Straff~lligenhilfe 45/4 (1996), S. 218224, Stefan Fruehwald et al., Impact of overcrowding and legislational change on the incidence of suicide in custody. Experiences in Austria 1967-1996. In: International Journal of Law and Psychiatry 25/2 (2002), 119-128. ~v2 Vgl. neben Dunkel et al, Suicidal Behaviour, auch: Dirk Dunkei, Elfi Antretter, Eberhard Deisenhammer, Christian Haring, Suizidales Verhalten in Tirol. Ergebnisse aus klinischen und nicht-klinischen Untersuchungen im Rabmen der WHO/EURO Multicenter Studie zu Parasuiziden. In: C)sterreichische Zeitschrift ~r Soziologie 23/4 (1998), S. 35-59. ~73Reinhard Haller, Albert Lingg, Vorarlberger Suizidstudie. Maria Ebene 1985. 174 Hingewiesen sei hier auf folgende, auf den Untersuchungszeitraum 1995 bis 2004 bezogene Berichte in den ,,Steirischen Statistiken", herausgegeben vom Amt der Steiermarkischen Landesregierung: Ernst Burger, Martin Mayer, Natt~rliche Bev01kerungsbewegung 1995 mit Trendbeobachtungen. In: Steirische Statistiken 1996/2, S. 85109, Ernst Burger, Martin Mayer, Natt~rliche Bev01kerungsbewegung 1997 mit Trendbeobachtungen. In: Steirische Statistiken 1998/4, S. 10-62, Bernhard Klug, Ernst Burger, Martin Mayer, Todesursachen in der Steiermark 1986 bis 1996. In: Steirische Statistiken 1998/4, S. 93-148, Ernst Burger, Walter Meissner, Todesursachen Steier-
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
63
121bersicht zur Epidemiologie des Suizids in der Steiermark in den 1990er Jahren liefert weiters der ,,Gesundheitsbericht 2000 far die Steiermark" im Auftrag des Gesundheitsressorts der Landesregierung. 175 Umfassendes Datenmaterial, welches sich auch nach regional spezifischen Kriterien strukturieren lfisst, bietet weiters selbstverstfindlich die Statistik Austria (ehemaliges Statistisches Zentralamt), der die Sammlung und Aufbereitung der amtlichen Daten der 6sterreichischen Todesursachenstatistik obliegt. Neben den einschl~gigen Druckpublikationen176 ist hier vor allem auf die internetbasierten Datenbanken zu verw e i s e n . 177
Far die vorliegende Studie wurden, wie schon erwfihnt, natfirlich auch Arbeiten als Informationsgrundlagen herangezogen, die sich nicht explizit mit Suizid beschfiftigen, aber Daten zu epidemiologischen Verteilungen von Risikofaktoren liefern. An dieser Stelle sei nur auf die grundlegende Literatur zum zweifellos wichtigsten Teilfaktor, jenem der Verbreitung psychischer Erkrankungen hingewiesen: Hierfar konnten sowohl die ,,Osterreichischen Psychiatrieberichte" von Katschnig et al., als auch die von der steirischen Psychiatriekoordinatorin Susanna Krainz erstellten ,,Steirischen Psychiatrieberichte" mit grogem Gewinn herangezogen werden. 17a Wichtige epidemiologische Informationen lieferten weiters Smdien zur psychiatrischen Versorgungssituation und -planung sowie die vom C)sterreichischen Bundesinstitut far Gesundheitswesen erstellten Gesundheitsberichte far mehrere Bundeslfinder. 179 Auch rezentere Forschungsergebnisse klinisch bzw. prfiventiv orientierter Studien, die unmittelbar auf das Problem der Suizidalitfit in der Steiermark Bezug nehmen, wurden beracksichtigt, is~ Die soeben aufgezfihlten Forschungsarbeiten machten es - vor dem Hintergrund des allgemeinen Forschungsstandes der S u i z i d f o r s c h u n g - m6glich, einen spezifisch an die far die 6sterreichische Situation besonders wichtigen Problemfelder angepassten Untersumark 1978/84 und 1988/94. Eine steiermarkspezifische Aufarbeitung des Todesursachenatlasses 1988/94 des Osterreichischen Statistischen Zentralamtes. In Steirische Statistiken 2000/2, S. 3-148, Martin Mayer, Natarliche Bev01kerungsbewegung 2003 mit Trendbeobachtungen. In: Steirische Statistiken 2003/4, S. 5-88. 175 Elisabeth Santigli, Gesundheitsbericht 2000 far die Steiermark. Graz 2000. 176 Statistik Austria, Jahrbt~cher tier Gesundheitsstatistik (fortlaufende j~hrliche Erscheinung), Barbara Leitner/ Statistik Austria, Methodik der Osterreichischen Todesursachenstatistik. Wien 2004, sowie, mit wichtigen Daten far die Zeit vor 1995: Osterreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.), Osterreichischer Todesursachenatlas 19881994. Wien 1998. ~v7Genutzt wurde far die vorliegende Studie, neben dem Service direkter Abfragen der Todesursachen- und anderer Statistiken bei der Statistik Austria, vor allem die Datenbank ISIS: www.statistik.at/isis/current/isis_gui 178 Susanna Krainz/Amt der Steiermarkischen Landesregierung, Psychiatriebericht Steiermark 2003. Graz 2004, Heinz Katschnig et al., Osterreichischer Psychiatriebericht 2001. Wien 2001, Heinz Katschnig, Peter Denk, Michael Scherer, Osterreichischer Psychiatriebericht 2004. Wien 2004. 179Ullrich Meise, Friederike Hafner, Hartmann Hinterhuber (Hg.), Gemeindepsychiatrie in Osterreich. InnsbruckWien 1998, Ullrich Meise, Friederike Hafner, Hartmann Hinterhuber (Hg.), Die Versorgung psychisch Kranker in Osterreich. Wien-New York 1991 sowie, Steiermark-spezifisch: Rainer Danzinger, Hans Georg Zapotocky (Hg.), Irren auf Steirisch. Psychiatrische Patienten und psychiatrische Versorgung in der Steiermark. Linz 1996, Ursula Paringer, Michael Truschnig, Peter Konstantiniuk, Bedarfsgerechte psychosoziale Versorgung der Steiermark. Graz 2000 [Studie im Auftrag des Gesundheitsressorts der Steiermarkischen Landesregierung]; ()sterreichisches Bundesinstitut far Gesundheitswesen (Hg.), Burgenlandischer Gesundheitsbericht 2002. Eisenstadt 2003, Osterreichisches Bundesinstitut far Gesundheitswesen, Karntner Gesundheitsbericht 2002. Klagenfurt-Wien 2002, Osterreichisches Bundesinstitut far Gesundheitswesen, Salzburger Gesundheitsbericht 2002. Wien 2002. 18oZu nennen sind: Gerda Krasser, Suizidalit~,t psychiatrischer PatientInnen. Aspekte von Pr~diktion und Prevention. Graz (Nawi. Diss.) 2001, Gerda Krasser, Hans Georg Zapotocky, Entwurf eines Suizidpr~ventionskonzepts far die Steiermark. Graz 2002, Human-Friedrich Unterrainer, Spiritualit~t, Suizidalitat & Sucht. Graz (Nawi. DA) 2002, Anita Heidenbauer, Maria Thaler, Suizidpr~vention in der Steiermark. Modelle pr~ventiver Mal3nahmen far Jugendliche. Graz (Gewi. DA) 2002.
64
1 F o r s c h u n g s p r o b l e m und Forschungsstand
chungsplan zu entwickeln. In den entsprechenden folgenden Kapiteln wird die jeweils dafar h e r a n g e z o g e n e Literatur angefahrt. An dieser Stelle soil aber zunfichst noch eine grobe 121bersicht tiber einige zentrale Aspekte der Suizidforschung gegeben werden, wie sie sich anhand der vorhandenen Forschungsliteratur darstellen. Epidemiologische Studien zum vollzogenen Suizid in Osterreich fugen bislang meist auf Daten der offiziellen Todesursachenstatistik 18~ und sind in ihrer Aussagereichweite daher auf die in derselben berticksichtigten Parameter limitiert. In dieselbe fliegen mittels Erhebungen der Statistik Austria von den far die A b w i c k l u n g von TodesfNlen zust~indigen BehOrden und Institutionen anhand der T o d e s a n z e i g e n folgende Parameter ein:
Tabelle 7.
E r h e b u n g s p a r a m e t e r der amtlichen Todesursachenstatistik in Osterreich ~82
Parameter
Anmerkungen
Klassifikationsschema
Bundesland
Wohnort, Ereignisort
Lfinderkennziffern Statistik Austria
Bezirk Gemeinde
Wohnort, Ereignisort Wohnort, Ereignisort
Bezirkskennziffern Statistik Austria Gemeindekennziffern Statistik Austria
Geschlecht
-
mfinnlich; weiblich
Geburtsdatum
-
(Klassifikation nach Jahren usw. m6gl.) (Klassifikation nach Jahren usw. m0gl.)
Sterbedatum
-
Familienstand
-
ledig, verheir., gesch., verwitw.
Konfession
-
rk.., altkath., ev., israelit., islam., and., k.A./o.B.
Staatsangeh6rigkeit
-
Staatencodes der Statistik Austria
Geburtsstaat
-
nur: Osterreich vs. andere
Todesursache
-
gemfil3 ICD 9 bzw. ICD 10
Art des Sterbeortes
-
Wohnadresse, Krankenanstalt u.a.
Obduktion
-
Vorliegen bzw. Art der Durchftihrung
In den epidemiologischen Obersichtsstudien stehen d e m e n t s p r e c h e n d Alter und Geschlecht im Vordergrund. Teils werden auch Familienstand sowie Religionszugeh0rigkeit erOrtert. 183 Beruf, Bildungsniveau und SchichtzugehOrigkeit kOnnen dagegen, da in der amtlichen Todesursachenstatistik seit den 1950er Jahren (!)184 nicht m e h r erhoben, in derartigen Studien nicht nfiher thematisiert werden. Als far die vorliegende Studie wichtigstes Ergebnisse kann, jeweils bezogen auf den Zeitraum der letzten ca. 20 Jahre z u s a m m e n g e f a s s t werden:
Mdinner haben in Osterreich eine gegeniiber Frauen dreifach erhOhte Suizidrate. Hinsicht181 Suizidversuche sind, da darin nicht enthalten, daher ungleich schwieriger zu erheben, n~mlich nur aber eine systematische Auswertung von Daten yon medizinischen bzw. sicherheitsbeh0rdlichen Institutionen. Vgl. hierzu bes. die Studien von Dunkel et al. far die ,,catchment area" yon Innsbruck-Stadt und Innsbruck-Land: Dunkel et al, Suicidal Behaviour, sowie Dunkel et al., Suizidales Verhalten in Tirol. Vgl. welters die methodenkritische Auseinandersetzung zur Erhebung yon Suizidversuchen: Elmar Etzersdorfer, Johannes Wancata, Gernot Sonneck, Was k0nnen offizielle Daten abet Suizidversuche aussagen? In: Wiener Klinische Wochenschrift 106/3 (1994), S. 63-68. 182Die Information hiert~berwurde von Seiten der Steiermarkischen Landesstatistik zur Verft~gung gesteilt. Inhaltlich irrelevante Variable (wie Sterbebuchnummern) sind in der Auflistung nicht wiedergegeben. ~3 Vgl. Etzersdorfer/Fischer/Sonneck, Epidemiologie, Etzersdorfer et al., Epidemiology, Sonneck/Stein/Voracek, Suizide yon M~nnern. ~84Da eine Erfassung zumindest des Berufs zuvor stattfand, kOnnen Iogistische Probleme nicht die Ursache ft~rdas Verschwinden dieses Parameters aus dem Erhebungsplan sein.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
65
lich der Alterskategorien unterscheidet sich die Population der Uber-75-Jahrigen stark von allen jiingeren Menschen, indem sie ein stark erhOhtes Suizidrisiko aufweist; diese Differenz ist bei Mdnnern aber noch viel deutlicher ausgepragt als bei Frauen. Instruktiv, um nicht zu sagen, erschtitternd, ist diesbezOglich ein von Etzersdorfer et al. in ihrem jangsten suizid-epidemiologischen Beitrag in der Wiener Klinischen Wochenschrift prasentiertes Diagramm:
Suizidraten in ()sterreich (1990-2000) nach Alter und Geschlecht j85
Abbildung 1 150 140
Q men
130
9 women
120 110 100 90
F
80
70 I7
60 so
_
40
i
I-I
'-'
30
_
FL
10 <10
<15
I
I
rl
I
/
rl-
tl
tl-
15-19 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 4549 50-54 55-59 60-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85+
Suizidsterblichkeit von Jugendlichen ist dagegen, wie auch aus der Graphik zu ersehen, zwar ein besonders beachtenswtirdiges Phanomen, tritt aber quantitativ gegenaber der Sterblichkeit wahrend des Erwachsenenalters keineswegs hervor. Manner im hOheren Seniorenalter werden diesen Daten entsprechend, von Etzersdorfer, Voracek, Kapusta und Sonneck folgerichtig als jene Bev61kerungsgruppe definiert, die ,,a particular target for suicide-prevention efforts in Austria" (,,ein besonderes Ziel far SuizidpraventionsBemahungen in Osterreich") darstellen sollte. ~86 Hinsichtlich der Todesursachenklassifikation unterscheidet die Todesursachenstatistik in Osterreich gemal3 den Kriterien der International Classification of Diseases (ICD) nicht blo13 Suizid von anderen Verursachungen von SterbefNlen, sondern auch unterschiedliche Formen von Suizidmethoden, und zwar, entsprechend den am haufigsten vorkommenden Vorgangsweisen, Selbstvergiftung (mit 121berdosen von Medikamenten, an sich toxischen Substanzen usw.), Selbstt/3tung mittels Gas (zusatzlich unterschieden nach Haushaltsgasen 185 E n t n o m m e n aus: E t z e r s d o r f e r et al., E p i d e m i o l o g y , S. 32. 186 E t z e r s d o r f e r et al., E p i d e m i o l o g y , S. 31.
66
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
und sonstigen Gasen), solche durch Erhfingen, Erdrosseln und Ersticken, durch Ertrfinken, durch ErschieBen, durch Erstechen u.fi. (,,Offnen yon BlutgeffiBen" ist hier der terminus technicus), durch Sturz aus groBer Hi, he, durch absichtlich herbeigeftihrte Verkehrsunf~ille sowie durch andere Mittel. Auch dieser Faktor fand in epidemiologischen Studien zum Suizid in Osterreich eingehendere Beachtung, im Hinblick auf bessere Prfivention kOnnen sich hier ja wichtige Hinweise ergeben: Generell war und ist allerdings Erhfingen, also eine nicht spezifisch prfiventiv beeinflussbare Suizidmethode, seit Jahrzehnten die hfiufigste. Allerdings hat deren Anteil, wie Etzersdorfer et al. im Langzeit-Vergleich feststellen konnten, deutlich abgenommen, nfimlich von tiber 50 % in den 1960er Jahren auf nur mehr etwas tiber 40 % aller Suizide in den 1990ern. ~87 Als zweithfiufigste (!) Suizidrate rangiert aber mittlerweile bereits ,,ErschieBen" - hier ist von den 1960er an bis zu den 1990ern eine Verdoppelung der relativen Hfiufigkeiten, von 7 % auf 14 %, zu verzeichnen. ~88 Striktere Handhabung bei der Erteilung von Schusswaffenlizenzen bzw. tiberhaupt eine Einschrfinkung des Berechtigtenkreises kOnnte also, nach Auffassung des Studienautors, durchaus eine merkliche senkende Wirkung auf die Suizidhfiufigkeit austiben, obwohl nattirlich damit gerechnet werden muss, dass ein grOBerer Teil der Suizidenten dann eben zur ,,Wahl" anderer Mittel schreiten wtirde. Weitere, mit Anteilen an der Gesamtzahl von je etwa 10 % eher hfiufige Suizidmethoden sind in Osterreich schlieBlich Vergiftung (gegenwfirtig vorrangig durch Medikamenten-Oberdosen) sowie Sturz aus groBer H(3he. 189 Ober statistische Analysen zu Familienstand und Religionszugeh0rigkeit der Suizidenten berichtet, anhand der Todesursachenstatistik ftir ganz Osterreich, von den dem Studienautor bekannt gewordenen Arbeiten, lediglich die schon mehrfach erwfihnte Studie von Sonneck et al., ,,Suizide von M~innern in Osterreich". Die Analysen hierzu sind allerdings auch hier sehr kurz gefasst; es wird abet - konsistent zu den Befunden aus anderen Staaten darauf hingewiesen, dass - bei Ausklammerung der Unter-20-jfihrigen Ledigen als einer aufgrund ihrer allgemein niedrigen Suizidrate und ihres extrem hohen Ledigenanteils das Gesamtbild verzerrenden Kategorie - , , d i e Verheirateten die geringste Suizidrate haben [12/100.000], die Rate der Ledigen [...] [20] fast doppelt so hoch [ist], die tier Verwitweten drei Mal [31 ] und die der Geschiedenen ftinf Mal so hoch. [61 ],,~90 Gerade hinsichtlich der Religionszugeh0rigkeit ist eine geringe Beschfiftigung der Suizidforschung mit den offiziellen Daten auch ftir Osterreich nicht weiter verwunderlich, ist die Aussagekraft derselben doch tatsfichlich sehr bescheiden: ~91 Die amtliche Todesursachenstatistik unterscheidet derzeit nfimlich nicht zwischen tatsfichlich konfessionslos gewesenen Menschen und Sterbef~illen, in welchen die Religionszugeht~rigkeit ex post nicht eruiert werden konnte. ~92 AuBerdem umfasst die Kategorie ,,sonstige gesetzlich anerkannte Konfessionen" so heterogene Phfinomene wie die Zugeht~rigkeit zu einer protestantischen Freikirche, zu einer orthodoxen Kirche (BevOlkerungsanteil in Osterreich gemfiB Volkszfihlung 2 0 0 1 : 2 %), oder zu anerkannten Glaubensgemeinschaften, die weder Christentum oder Islam noch ~8vVgl. Etzersdorfer et al., Epidemiology, S. 34. 188Vgl. ebd. ~89Exakte Zahlenangaben hierzu finden sich - nach Geschlechtern unterschieden - ftir den Zeitraum yon 1978 bis 1996 in: Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von Mannern, S. 28 u. S. 43. 190Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von Mannern, S. 21. 191Vgl. auch Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von Mannern, S. 82f. 192Noch dazu fallen s~mtliche Personen, die einer in Osterreich nicht gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehOrten, in diese Kategorie, eine angesichts zahlreicher, teils aus weit entfernten Kulturraumen stammender Zuwanderer vielleicht quantitativ nicht mehr vernachlassigbare GrOBe.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
67
Judentum zuzurechnen sind. Eine etwaige Bedeutung von Staatszugeh0rigkeit far das Suizidrisiko wurde interessanterweise, obwohl statistisch far alle Todesfalle in Osterreich erhoben, in den zitierten epidemiologischen Studien mit gesamt0sterreichischer Perspektive nicht untersucht. Analysiert wurde dahingegen von Sonneck, Stein und Voracek auch die Saisonalitfit der Suizidalitat in Osterreich, wobei ein far viele europfiische L~nder feststellbarer F~hjahrsgipfel eruiert wurde; dieser ist quantitativ aber nicht allzu gravierend, die Anzahl der Suizidenten auch im Mai als dem Monat mit der hOchsten Suizidrate ist gegenaber denen anderer Monate nur gering erhOht. ~93 Auch auf die regionalen Unterschiede innerhalb 0sterreichs geht die 2002 erschienene Studie ,,Suizide von Mfinnern in Osterreich" ein; dabei wird nicht nur der erste Rangplatz der Steiermark in der Suizidalitfit konstatiert (siehe dazu 1.1.2.), sondern es wird auch auf die Bezirksebene Bezug genommen; die Bezirke mit den hOchsten und jene mit den niedrigsten Suizidraten far den Zeitraum von 1988 bis 1994 werden angefahrt, jedoch ohne weiterfdhrende Analysen. ~9a Far jene Zeitspanne bietet auch der ,,Osterreichische Todesursachenatlas 1988/94" Basis-Informationen zur Verteilung der Suizidraten nach Bezirken; ~95 far den Zeitraum ab 1995 fehlen bezirksweise Auswertungen des statistischen Materials, die das gesamte Bundesgebiet abdecken warden, leider bislang vOllig, und diese Daten gehen auch aus den allgemein zugfinglichen Publikationen der Statistik Austria nicht mehr hervor. Far die Zwecke der vorliegenden Studie konnten entsprechende Daten jedoch mittels einer Sonderabfrage bei der Statistik Austria erhoben werden. Unter den epidemiologischen Studien tiber Suizidalitfit in anderen Bundeslfindem soll an dieser Stelle noch die Vorarlberger Suizidstudie besonders hervorgehoben werden, 196 da sie als methodisch sehr korrekt und zudem als besonders innovativ gelten kann; neben den ablichen Parametern - Alter, Geschlecht usw. - wurde hier versucht, auch bislang wenig, far den 0sterreichischen Raum wohl noch gar nicht, systematisch untersuchte Faktoren zu beracksichtigen. So wurde den popular verbreiteten Auffassungen fiber besondere H~ufungen von Suiziden an Feiertagen sowie auch w~hrend bestimmter Mondphasen ~97 mit statistisch-wissenschaftlicher Methodik nachgegangen; die Angabe des exakten Sterbedatums in der amtlichen Todesursachenstatistik bildete dabei die Basis zur Herstellung der jeweiligen Relationen. Hierbei ergaben sich - untersucht wurden neben Vorarlberg, zu Vergleichszwecken auch Tirol und Wien - hinsichtlich der ,,Feiertags-Hypothese" bei einer Betrachtung des Zeitraums von 1970 bis 1984 nur geringfagige Hfiufungen an bestimmten Tagen, namentlich Aschmittwoch und Neujahr, in einem Teil der Untersuchungsgebiete. 198 Betreffend der Mondphasen ergibt die Auswertung von Haller und Lingg tatsfichlich statistische Signifikanzen, jedoch ebenso nur far einen Teil der Mondphasen - und noch dazu betreffend Vorarlberg und Wien far unterschiedliche: Im westlichsten Bundesland sind die Suizidraten zu Neumond und in der Phase ,,Mond geht fiber sich" erh6ht, in der Bundeshaupt-
193Vgl. Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von Mannern, S. 66. Siehe hierzu auch die Ausftihrungen weiter oben. n94Vgl. ebd., S. 19f. ~950sterreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.), 0sterreichischer Todesursachenatlas 1988/94. Wien 1998. 196Haller/Lingg, Vorarlberger Suizidstudie. 197Vgl. ebd., S. 14. 198Haller und Lingg selbst konzedierten eine ,,signifikante Haufung" tiberhaupt nur far Aschermittwoch; far Tirol ergeben ihre Daten - 8 Suizide zu Neujahr bei einem zu erwartenden Wert von 4 - aber ebenso eine merklich erh0hte Anzahl. Vgl. ebd., S. 47f.
68
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
stadt dagegen bei Vollmond. In beiden Ffillen handelt es sich aber nur um relativ geringfagige Abweichungen von den zu erwartenden Zahlenverteilungen. 199 Neben der Analyse der Todesursachenstatistik beinhaltete die Vorarlberger Suizidstudie von 1985 jedoch noch einen zweiten Teil, und zwar eine ,,Hinterbliebenenuntersuchung", im Sinne einer Befragung von AngehOrigen aber Suizidmotive und -ursachen anhand von halbstrukturierten Interviews. Diese Art der Untersuchung, dies ist hinzuzufagen, konnte yon den Autoren dieser Studie sicher nur daher ohne ethische Bedenken durchgefuhrt werden, da sie als Psychiater zugleich mit der Bitte um Unterstatzung den betroffenen Angeh6rigen auch ein Angebot der Hilfestellung far den - nicht unwahrscheinlichen - Fall der psychischen Belastung durch den Suizidfall machen konnten. Diese Art der Untersuchung lfisst sich daher nicht von jeder an der Suizidforschung interessierten Disziplin verwirklichen; jedoch konnten anhand der von Haller und Lingg behandelten Interviewthemen wichtige Impulse far die Erganzung des ,,Variablenkatalogs" der vorliegenden Studie gewonnen werden, die neben der Weiterbearbeitung statistischer Daten auch mit der Analyse von Akten der SicherheitsbehOrden arbeitet. Die Vorarlberger Suizidstudie erhob bei der Hinterbliebenenuntersuchung u.a. Geburtsort (Staat und Bundesland), Geschwisteranzahl, Kinderanzahl, Bildungsniveau, Berufsausbildung und Berufst~tigkeit des Suizidenten, weiters etwaige Suizidmotive im Bereich familifirer Probleme, kOrperlicher Erkrankungen und sozialer Isolation. Erfasst wurde zudem - hinausgehend t~ber bloBe nominelle Konfessionszugeh6rigkeit -das MaB religi6ser Aktivitfit sowie das Vorhandensein von Hobbys und der ,,Pers6nlichkeitstyp", sodann auch, ob in der Retrospektive frt~hkindliche Traumata oder Verletzungen vorgelegen haben, welcher Erziehungsstil gegent~ber den spfiteren Suizidenten angewandt worden war (!), inwieweit Suizide in der familifiren Vorgeschichte vorgekommen waren, dann, ob der Betroffene selbst zuvor bereits Suizidversuche begangen hatte bzw. in psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung gewesen war, ob Suchtkrankheiten vorlagen, ob es zu Suizidankandigungen bzw. Gespr~.chen fiber das Thema gekommen war, ob der betroffene ,,Suizidliteratur" gelesen hatte, ob er vor dem Suizid selbst aber bestimmte Probleme geklagt hatte, zu welcher Tageszeit die Suizidhandlung stattgefunden hatte, ob es zu Alkohol- oder Drogenkonsum gekommen war, wer den Toten aufgefunden hatte und ob ein Abschiedsbrief vorlag. 2~176 Als wichtigste Ergebnisse dieses Untersuchungsteils, die ausschliel31ich far das Bundesland Vorarlberg durchgefahrt wurde - und sich auf 56 Suizidf'alle beschrfinkte -, lassen sich nennen: Kein einziger dieser Ffille betraf Immigranten, ein verschiedentlich postuliertes, h/Sheres Suizidrisiko derselben konnte in dieser Untersuchung daher nicht bestfitigt werden. 27 der 56 Suizidenten, also etwa die Hfilfte, hatten Kinder; nur 9 hatten mehr als Pflichtschulabschluss. 2~ Etwas mehr als die Hfilfte der untersuchten Suizidenten hatten auch keine Berufsausbildung, 7 (12 %) standen noch in Ausbildung; 9 Suizidenten (16 %) waren zum Todeszeitpunkt arbeitslos, weitere 9 befanden sich in als ,,instabil" charakterisierten Arbeitsverh~,ltnissen; far 21 der 56 Suizidf'alle wurden ,,stabile Arbeitsverhfiltnisse" erhoben, der Rest (17 Personen) war nicht berufstfitig.
199Vgl. Haller/Lingg, Vorarlberger Suizidstudie, S. 50. 2ooVgl. ebd., S. 67-101. zol Dies wird von den Studienautoren allerdings irrefahrend als ,,Querschnitt durch alle Schuibildungsgrade" bezeichnet. Tats~chlich ist kein einziger Akademiker verzeichnet, und ein Anteil von nur 5 % Maturanten entspricht auch nicht dem Bev01kerungsdurchschnitt.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
69
Was die familifire Lage betrifft, so konnten in der HNfte der Falle ,,familifire Probleme erheblicher Art" eruiert werden. 2~ Besondere Aufmerksamkeit verdient der Umstand, dass 70 % (!) der Personen aus der untersuchten Gruppe von Suizidenten von den Hinterbliebenen als sozial isoliert lebend charakterisiert wurden, wobei bei 40 % ein Rt~ckzug in der letzten Lebensspanne angegeben wurde. 2~ (Auch hinsichtlich des religiOsen Verhaltens wurde nur bei einer Minoritfit, 32 %, eine aktive Beteiligung am religiOsen Leben rekonstruiert.) Bei einer Abfrage verschiedener PersOnlichkeitsmerkmale wurde von den Hinterbliebenen ebenso Introversion am hfiufigsten angegeben, nfimlich 22-real (ca. 40 %), gefolgt von ,,Sensibilitfit" und ,,Labilitfit" in den Stimmungen (21 bzw. 20 Nennungen). 15 Betroffene wurde als ,,unbeherrscht" beschrieben. Beachtenswerterweise wurde far tiber 20 % der Verstorbenen auch eine ,,auffNlige Geburt oder gestOrte frt~hkindliche Entwicklung" festgestellt, und der Erziehungsstil wird von den Studienautoren nur in 14 yon 56 Ffillen (25 %) als ,,unauffallig" charakterisiert, wohingegen bei fast der Hfilfte der Suizidf~lle eine ,,strenge" und in ca. 10 % eine ,,verwOhnende" Erziehung der spfiteren Suizidenten festgestellt wurde, in tiber 15 % der Ffille ein ,,verwahrlostes" Milieu des Elternhauses. TM Bei etwas mehr als einem Drittel der Suizidenten wurde durch die Erhebung ein frtiherer Suizidversuch bekannt; in 15 % der Ffille waren es sogar zwei oder mehr Suizidversuche vor der letalen Suizidhandlung. Uber die Hfilfte der Suizidopfer war, den Erhebungen Hallers und Linggs zufolge, zuvor hie in ambulanter oder stationfirer psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung gewesen (!).205 Eine retrospektive Diagnose durch die erhebenden Psychiater ergab aber dessen ungeachtet far knapp 30 % psychotische Erkrankungen, far tiber 20 % schwere Pers~nlichkeitsstOrungen, far insgesamt 30 % leichtere Formen depressiver oder neurotischer Krankheiten und far t~ber 10 % Suchterkrankung als Primfirdiagnose. Die Gesamtsumme der Suchtkranken unter den untersuchten Suizidenten ist jedoch mit fast 50 % zu veranschlagen, wobei ca. 30 % auf Alkoholismus entfallen, 12 % auf Medikamentenabhfingigkeit, und bei 3 Personen (ca. 6 %) lag Abhtingigkeit von illegalen Drogen v o r . 2~ In mehr als 70 % der FNIe war es zu Suizidanktindigungen gekommen - meist gegenaber Familienmitgliedern (!); dies, so die Autoren, die diesbezfiglich auch auf Untersuchungen von Ringel und Stengel verwiesen, ,,widerlegt einmal mehr die tragische Fehlmeinung, dab der, der davon spricht, es nicht wirklich tue. ''2~ Tatsachlich hatten gemfiB dieser Erhebung weniger als die Halfte der angesprochenen Familienmitglieder bzw. Freunde solche J~ugerungen der nachmaligen Suizidenten ernst genommen. Aufschlussreich ist weiter die Erhebung t~ber Probleme, aber welche die Betroffenen vor ihrer Selbstt6tung geklagt hatten; hier ergaben sich in der Vorarlberger Suizidstudie jeweils Anteile von fast einem Drittel far gesundheitliche sowie far 6konomische Probleme, ein knappes Viertel der Suizidenten hatte sich tiber Partnerprobleme gefiuf3ert.2~ Betreffend der Suizidhandlung selbst konnte keine ,,bevorzugte" Tageszeit erhoben werden; es wurde aber festgestellt dass tiber 40 % der Suizidenten zum Tatzeitpunkt alkoholisiert waren. Abschiedsbriefe hatten nur 12 von 56 Personen, also ca. ein Fiinftel, verfasst. 2~ 202Hailer, Lingg, VorarlbergerSuizidstudie, S. 74. 2o3Vgl. ebd., S. 76. 2o4Vgl. ebd., S. 80f. 2o5Vgl. ebd., S. 83. 2o6Vgl. ebd., S. 94. 21)7Ebd., S. 90. 2o8Vgl. ebd., S. 75. 2o9Vgl. ebd., S. 88.
70
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Die Vorarlberger Suizidstudie erhob so, wie aus dieser gerafften Obersicht hervorgeht, zahlreiche im Bezug auf die Genese und/oder etwaige Prfivention potentiell relevante Merkmale, mit zum Teil wesentlich neuen Erkenntnissen als Folge. Hingewiesen sei abschlieBend aber darauf, dass diese Studie von ihrer Methodik her vorwiegend univariat operierte, das heil3t, es werden im Wesentlichen nur H~iufigkeitsverteilungen tar die Gesamtheit der Suizidenten ermittelt. Die weiter oben zitierten Obersichtsarbeiten zur Epidemiologie des Suizids in Osterreich gingen im Wesentlichen auch nicht anders vor, lediglich wurden verschiedene Aspekte wie Alter oder Familienstand zum Teil auch nach Geschlechtern getrennt erfasst. Multivariate Analyseverfahren, mittels welcher insbesondere spezifische Risikogruppen n~iher eingegrenzt werden kOnnen, kamen in diesen Studien nicht zum Einsatz, und auch bivariate Betrachtungen (in Form etwa von Kreuztabellierungen oder Korrelationen) blieben meist auf die Alter-Geschlecht-Konstellation beschrankt. Schon diesbezfiglich wird im folgenden, empirischen Teil der vorliegenden Studie, far die epidemiologische Suizidforschung in Osterreich, weitgehend Neuland beschritten. 21~ Was nun bisherige Untersuchungen zur Epidemiologie des Suizids in der Steiermark betrifft, so ist an dieser Stelle nochmals a u f j e n e des Referats far Statistik im Amt der Steierm~irkischen Landesregierung zurfickzukommen. Dieselben bieten zwar gleichfalls keine multivariaten Analysen zu Bedingungen der Suizidalit~it, liefern aber fundamentale Daten fiber die Verteilung der Suizidhtiufigkeit in unserem Bundesland, und zwar im zeitlichen Ablauf, hinsichtlich der Geschlechts- und Alterstruktur sowie auch - und dies ist ein besonders wichtiger Aspekt - zu ,,innersteirischen" Differenzen derselben. 211 Ffir die 1990er Jahre werden die absoluten Zahlen der Suizidopfer in der Steiermark am tibersichtlichsten - basierend auf den Daten der Landesstatistik- in der Dissertation pr~isentiert, welche Gerda Krasser 2001 zum Thema ,,Suizidalit~it psychiatrischer PatientInnen" an der Universitfit Graz verfasst hat. 212 Sie sind umseitig in der etwas summarischeren Tabelle 8 wiedergegeben. Wie ersichtlich wird, betrug in den 1990er Jahren die durchschnittliche Anzahl von Suizidf'~illen in der Steiermark pro Jahr etwas mehr als 300, bei leicht, aber doch klar abnehmender Tendenz. Bezogen auf die Einwohnerzahl der Steiermark ergab sich so eine Reduktion der jahrlichen Suizidrate von 27/100.000 Einwohner auf 24/100.000. 213 Wie ffir Osterreich insgesamt, kann auch far die Steiermark anhand dieser Daten ein deutliches Oberwiegen der Mfinner unter den Suizidenten belegt werden: Mit insgesamt knapp 2300 yon fiber 3060 Selbstt0tungen innerhalb von 10 Jahren betrafen in den 1990er Jahren ziemlich exakt 75 % derselben m~innliche Personen. Das Geschlechterverhfiltnis (,,Gender-Ratio") stellt sich damit als 3,0:1 und damit in etwa dem gesamt6sterreichischen Durchschnitt entsprechend dar, mit einem noch etwas deutlicheren ,,Oberhang" der mfinnlichen Suizidopfer. 214
210
Eine h0chst interessante, multivariat-explorative Untersuchung zur Differenzierung verschiedener Typen von
Suizidversuchen hatten bereits 1981 Katschnig et al. vorgelegt: Heinz Katschnig et al., Gibt es verschiedene Typen
yon Selbstmordversuchen? In: Rainer Welz, Hermann Pohlmeier (Hg.), Selbstmordhandlungen. Suizid und Suizidversuch aus interdisziplinarer Sicht. Weinheim-Basel 1981, S. 13-42. Die hierbei angewandte Methode der Clusteranalyse kommt auch in der vorliegenden Studie zum Einsatz, siehe hierzu im Folgenden. 2~ Vgl. die Beitrage in den ,,Steirischen Statistiken", bes. die Hefte 2/96, 4/98, 2/00, 3/04. 212Vgl. Krasser, Suizidalitat psychiatrischer Patientlnnen. 213Vgl. ebd., S. 11. 214Vgl. dazu Klug/Burger/Mayer, Todesursachen in der Steiermark, S. 112.
71
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
Suizide in der Steiermark 1990-1999, klassifiziert nach Alter und Geschlecht 215
Tabelle 8: Jahr
019 I
1990
i
g
i
i
7
i
m
i
g
;
6
,
41
,
47
,
m
,
5
,
37
'
39
4
'
i i
1992
f
i
1
i
g
i
m
9
!
i
35
i
51
1
34 i
i
!
35 i
6 58
~
9
i
40
i
45 i
44
25
i
6
i
26
i
27 i
101 ,
253
i
55
i
319
!
17 i
308
238 I
81
g
14
47
46
40
39
53
33
'
38
310
i
i
12
i
37 i
i
32 i
i
29 i
i
25 i
i
37 i
i
20 i
i
25 i
217 i
f
2
10
14
11
14
16
13
13
93
g
8
43
45
44
42
60
43
31
316
i
i
7 6 i
.
f
.
.
i
6 0
.
12
43
8
i
48
55
i
50
i
38
40
i
42
28 i
36
!
30 13
i
,
13
73 !
31
39
316
i
,
40
21
I
24
r
10
:
15
'
45
33 i
8 i
i
243 I
12
51
38
i
23 I
i
i
12
i
'
4
8 29
12 i
44 i
43
i
31
16 i
39
i
44 I
12 i
55 i
!
i !
13 i
47
.........
30 I
6 I
i
31 I
5 i
i
39 I
1 i
m
i
38 i
m
38
33 i
i
79 317
24 i
237
250 i
f
0
1
10
15
8
7
12
14
67
g
12
29
58
42
45
38
42
25
291
i
m |
i
i
m i
ii
i
m
i
i
i
216
12
68 i
22
33
284
!
i
i
i
19
46
30 i
77 i
31
i
12
46
27
i
31
8
214 i
6 i
i
i
i
i
29
37
38
16 43
!
19 i
i
i
13
49 i
i
31
12
33
12 37
i
26 i
i
i
i
i
i
35
44
23 i
11 44
i
26 i
i
i
4
27
7
i
41
5 i
13 47
i
34 i
i
i
9
i
i
23
2
g i
i
i
f
11 45
i
29 i
i
28
7 I
i
4 i
i
47 I
4 9
i
25 i
i
g
i
8 i
f
Gesamt
43
31
9
g
1999
i
,
!
g
i
31
53
13
i
1998
,
,
14
13
i
i
29
!
18
16
i
i
49
48
!
223
14
f
1997
,
22
11
m
1996
40
324
i
1
I
.
i
i
,
12
i
i
41
i
36
i
31
24
Gesamt
4
i
1995
8 46
!
i
i
49
!
34
14
80 +
f
i
i
i
38 i
m 1994
i
i
i
39
7
i
1993
'~
i
11
i
7079 |
58
i
28
32 ,
6069 i
i
12
,
5059 42
i
40 i
5
/ I
52
i
27 i
2
4049 i
39
i
36
i
f
3039 i
41
i
5
i
1991
2029
280
15 i
206 i
f
2
4
10
16
74
371
462
433
490
13 i , 425
7
94
11 i ~ 473
11
g
317
3065
m
76
324
374
341
313
J 359
297
213
2297
f
18
47
99
121
120
131
128
104
768
i
i
2~5Zusammenstellung nach den in Krasser, Suizidalitat psychiatrischer Patientlnnen, S. 11-13, wiedergegebenen Daten der Steierm~irkischenLandesstatistik s einzelne Jahre und 5-Jahres-Alterskategorien.
72
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Auch hinsichtlich der Altersverteilung zeigt sich ein grob dem Osterreichischen Gesamtmuster entsprechendes Bild, mit relativ niedrigen Suizidzahlen far die ersten Altersklassen bis zu 19 Jahren und hohen Suizidhfiufigkeiten im Seniorenalter (es muss beracksichtigt werden, dass die absolut ab der Altersklasse der 70-79-J~,hrigen wieder abnehmenden Zahlen sich auf eine geringe Teilpopulation beziehen). Die altersspezifischen Suizidraten werden in den bislang vorliegenden Studien far die Steiermark aber nicht nfiher erOrtert; jedoch bieten die Informationen der Steiermfirkischen Landesstatistik Analysen zu den Suizidraten far das Bundesland insgesamt sowie far einzelne Bezirke, einschlieBlich einer Betrachtung fiber deren unterschiedliche Entwicklung im Zeitraum der 1980er und 1990er Jahre. 216 In einer Analyse der Abweichungen der gesamt-steirischen Suizidrate (altersstandardisiert) vom 0sterreichischen Durchschnitt ergibt sich dabei eine Erh0hung yon 12 % im Zeittraum 1969-73, von 18 % in den Jahren 1978-84 und 16 % far 1988-94. 217 Daten, die sich aufgrund der Altersstandardisierung und anderer Berechnungszeitrfiume nicht mit den in Abschnitt 1.1.2. bereits pr~sentierten Berechnungen decken, a b e r - es liegen ja auch dieselben Daten, n~mlich jene der Todesursachenstatistik der Statistik Austria zugrunde mit ihnen gfinzlich konsistent sind und zu gleichsinnigen Interpretationen fahrten, nfimlich dass die Steiermark, gemeinsam mit Salzburg und Kfirnten, mindestens seit den 1970er Jahren, innerhalb Osterreichs ,,die h0chsten Selbstmordraten" aufweise. 2~8 Besonders wichtig erscheinen aber die gesonderten Betrachtungen der einzelnen Bezirke; hier ergibt sich far die Zeitrfiume 1978-84 und 1988-94 zusammengefasst folgendes Bild der altersstandardisierten Suizidraten (siehe hierzu Tabelle 9): 219 Es lassen sich innerhalb der Steiermark sowohl Bezirke mit extrem hohen altersstandardisierten Suizidraten (fiber 35/100.000) als auch solche mit sehr hoher Rate (30-34,9), mit hoher Rate (25-29,9), und mit mittlerer Rate (20-24,9) feststellen; im Zeitraum der Jahre um 1980 waren dabei noch 8 (!) der 17 steirischen Bezirke in die Kategorie ,,extrem hoch" einzuordnen, wobei Knittelfeld, Judenburg und Murau mit Raten jeweils bei 40 (!) die absoluten negativen Spitzenwerte bildeten, gefolgt yon Leibnitz und Mfirzzuschlag mit Raten bei knapp 38 Suiziden auf 100.000 Einwohner pro Jahr, danach folgten Graz-Umgebung, Liezen und Ffirstenfeld mit Werten tiber 35/100.000. Es folgten 5 Bezirke mit immer noch sehr hohen Selbstt6tungsraten; Deutschlandsberg mit knapp 35, Leoben, Bruck und Weiz mit Raten yon ca. 33, sowie Radkersburg mit einem Wert yon 32. Etwas besser stellte sich die Situation nur in den Bezirken Feldbach (fast 30), Graz-Stadt (ca. 29), Voitsberg (ca. 27) und Hartberg (ca. 23) dar. Der Zeitraum um 1990 brachte demgegenfiber ein deutlich verfindertes Bild: Generell waren die Suizidraten erfreulicherweise zumindest etwas gesunken, eine ,,extrem hohe" Rate yon tiber 3 5 fand sich nur noch in Liezen (ca. 36), es folgten Murau mit 32/100.000 sowie Mfirzzuschlag, Bruck und Judenburg, sfimtlich mit Suizidraten bei ca. 31, also noch im ,,sehr hohen" Bereich, sodann, in der Klasse ,,hoher" Raten, insgesamt 9 Bezirke, nfimlich Leibnitz mit knapp 30, Graz-Umgebung und Weiz mit je ca. 29, Leoben und Feldbach mit ca. 28, Voitsberg, Knittelfeld, Deutschlandsberg und Radkersburg mit ca. 26. Erheblich niedrigere Suizidraten wurden far Graz-Stadt (ca. 22), Farstenfeld (ca. 22) und Hartberg (knapp fiber 20) errechnet. 216Vgl. hierzu auch Santigli, Gesundheitsbericht 2000 ft~r die Steiermark, S. 80-83 mit anschaulichen Diagrammen, jedoch ohne systematischeAngabe exakter Zahlenwerte for die einzelnen Bezirke. 21vVgl. Burger/Meissner, Todesursachen Steiermark, S. 143. 218Ebd., S. 144. 219Analyse des Studienautors anhand der Daten der steirischen Todesursachenstatistik, die in Heidenbauer/Thaler, Suizidpravention in der Steiermark, S. 55, wiedergegeben werden.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
73
Tabelle 9." Altersstandardisierte Suizidraten in den steirischen Bezirken 22~
Bezirk
Rate 1988-94
Rang 1988-94
Rate 1978-84
Rang 1978-84
Liezen
36,3
1
35,4
7
Murau
32,2
2
39,5
3
M0 rzzusch lag
31,4
3
37,6
5
Bruck
31,3
4
32,6
12
Judenburg
30,8
5
39,5
2
Leibnitz
29,7
6
37,9
4
G raz- Umgebu ng
28,7
7
35,9
6
Weiz
28,7
8
32,9
11
Leoben
28,0
9
33,2
10
Feldbach
27,9
10
30,1
14
Voitsberg
26,7
11
26,6
16
Knittelfeld
26,5
12
40,1
1
Deutschlandsberg
26,3
13
34,8
9
Radkersbu rg
26,3
14
31,8
13
F0rstenfeld
21,7
15
35,2
8
G raz-Stadt
21,6
16
28,7
15
Hartberg
20,4
17
23,1
17
Fahrt man einen Vergleich dieser Ergebnisse durch, 221 so zeigt sich, dass es zwischen den Jahren um 1980 und jenen um 1990 zu teils erheblichen Ver~nderungen gekommen war: Der im ersteren Zeitraum ,,fahrende" Bezirk Knittelfeld wies im zweiteren eine - far die steirische Gesamtsituation - eher niedrige Rate auf, die sich um ein Drittel (!) gesenkt hatte. Die zunfichst fast ebenso hohen Suizidraten in Murau und Judenburg waren ebenso betrfichtlich zurackgegangen, blieben abet weiterhin aber 30 und innerhalb der 6 am stfirksten betroffenen Bezirke; Analoges gilt, mit teils leicht niedrigeren Raten, far die Bezirke Leibnitz und Marzzuschlag. Auch sie waren in beiden Beobachtungszeitr~umen einem ,,oberen Drittel" steirischer Bezirke mit besonders hohen Suizidraten zuzuordnen. Auch die Suizidrate von Graz-Umgebung folgt, bei einem mit ca. 36 etwas niedrigeren Ausgangswert wie die vorgenannten Bezirke in etwa dem Muster einer Abnahme der Suizidhfiufigkeit um ca. 15 bis 25 % zwischen 1978-84 und 1988-94. Demgegent~ber steht Liezen, wo sich die Suizidrate von zuerst 35,4 auf danach 36,3 sogar erhOhte, und welches in der Rangordnung von 1988-94 damit nunmehr (im negativen Sinn) den ersten Platz einnimmt. Die Bezirke 220Daten nach: Heidenbauer/Thaler, Suizidpr~vention in der Steiermark, S. 55. 221 Auch seitens der Steiermarkischen Landesstatistik wurde im Jahr 2000 eine entsprechende Zahlentabelle pr~sentiert: Vgl. Burger/Meissner,Todesursachen Steiermark 1978/84 und 1988/94, S. 146.
74
1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Deutschlandsberg und Ft~rstenfeld, mit Werten von je ca. 35 zun~chst im ,,Mittelfeld", folgten zwischen 1978 und 1994 demgegent~ber wieder dem steirischen Gesamttrend der Abnahme, die aber in Ftirstenfeld mit fast 40 % besonders prononciert ausfiel und diesen Bezirk nun nahezu an das Ende der Rangtabelle brachte. Merkliche Abnahmen der Suizidh~ufigkeit (ca. 15 %) zeigten sich weiter auch in den Bezirken Leoben und Weiz, die dabei aber in ihrer mittleren Position verblieben. In dem um 1980 auf ~hnlichem Niveau wie diese beiden befindlichen Bezirk Bruck fiel die Abnahme dagegen nur eher gering aus (von 32,6 auf 31,3), wothit der Bezirk im zweiten Beobachtungszeitraum betreffend der Suizidraten in das ,,obere Drittel" aufstieg. Die Suizidraten der Bezirke Radkersburg, Graz-Stadt, Feldbach und Hartberg senkten sich ebenso, jene in Voitsberg blieb in etwa gleich, und jene in Feldbach fiel nur geringft~giger, sodass diese beiden Bezirke nun ins mittlere Drittel der Rangordnung fielen, wfihrend besonders jene von Graz-Stadt und Hartberg konstant - relativ niedrig geblieben waren. Diese bezirksweisen Vergleiche anhand der Daten des Todesursachenstatistik bezogen sich aber, daran ist zu erinnern, bereits auf die altersstandardisierten Suizidraten, beziehen also Unterschiede in den Altersstrukturen der Bezirke in die Ergebnisse mit ein. Die tatsfichlichen Suizidraten und dementsprechend auch die Rangfolgen der Bezirke bei nichtaltersstandardisierter Betrachtungsweise stellen sich mit Sicherheit bis zu einem gewissen Grad anders dar; sie sind fflr den Zeitraum von 1978 bis 1994 aber nicht publiziert (Entsprechende Differenzen werden abet bei den Berechnungen der Suizidraten ft~r die letzten Jahre berOcksichtigt). Nichtsdestoweniger kann aus den hier wiedergegebenen Informatiohen ein klares geographisches Gesamtmuster der Verteilung der Suizidalitfit in der Steiermark - und in Osterreich insgesamt - erkannt werden; Burger und Meissner fiuBem sich hierzu folgenderma6en: ,,Die Steiermark, Salzburg und Kfirnten [...] zeigen eine fiber die Landesgrenzen reichende, geschlossene 15bersterblichkeitsregion, die die Obersteiermark, die im Norden angrenzenden niederOsterreichischen Bezirke Scheibbs und Amstetten, im Westen den Pongau und den Pinzgau, sowie im Sfiden die Kfirntner Bezirke VOlkermarkt und Feldkirchen umfaBt. ''222 Dieser deutliche Hinweis auf regionalspezifische Muster der Suizidalitat auch innerhalb einzelner Bundeslfinder ~ r den Zeitraum von 1978 bis 1994 gibt - seien sie nun 0kologisch und/oder soziokulturell bedingt- besonderen Anlass, die erh0hte Suizidalitfit innerhalb der Steiermark auch ftir die in der vorliegenden Studie betrachtete Periode von 1995 bis 2004 in besonderem Ma6e hinsichtlich mikroregionaler Differenzen zu betrachten. Denn die erh6hte Gesamtsterblichkeit durch Suizid in der Steiermark erscheint im Wesentlichen durch die hohe Suizidalitfit nur eines Teiles ihrer Bezirke bedingt: Auffallig ist hierbei, betrachtet man Tabelle 9 unter dem Gesichtspunkt regionaler Zugeh6rigkeit nochmals, dass for den Zeitraum von 1978 bis 1984 zwei Gebiete mit deutlich erh0hter Mortalit~t durch Selbstt0tung hervortreten, nfimlich die Obersteiermark (alle 7 Bezirke mit Suizidraten zwischen 32 und 40) und die SOd-, St~dwest-, und SOdoststeiermark, wo alle 5 Bezirke - Deutschlandsberg, Leibnitz, Radkersburg, Feldbach, FtirstenfeldSuizidraten zwischen 30 und 38 aufwiesen; demgegen0ber kristallisiert sich in der zweiten Untersuchungszeitspanne, den Jahren von 1988 bis 1994, nur noch eine besonders belastete Region heraus, nfimlich die Obersteiermark, wo weiterhin 5 von 7 Bezirken Suizidraten 222
Burger/Meissner, Yodesursachen Steiermark 1978-84und 1988-94, S. 144.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
75
fiber 30 aufwiesen und die anderen beiden solche fiber 25, wfihrend die Suizidsterblichkeit in der sfidlichen Steiermark teils beachtlich zurfickgegangen war und einzig im Bezirk Leibnitz noch Werte erreichte, die den Raten in der Obersteiermark fihnlich waren. 223 Dementsprechend fiel auch der 6sterreichweite Vergleich im Zeitraum 1988-1994 far die sfidlichen Bezirke relativ gfinstig aus; in Leibnitz lag die altersstandardisierte Suizidrate noch knapp 30 % (!) fiber dem gesamt/Ssterreichischen Niveau, in Feldbach etwas mehr als 20 %, in Deutschlandsberg und Radkersburg 10 % darfiber, in Ffirstenfeld aber sogar 10 % darunter. 224 ,&hnlich hoch lagen im 121brigen auch die Werte von Weiz und Graz-Umgebung, die bereits auch yon 1978 bis 1984 jenen der sfid-, st~dwest- und sfidoststeirischen Bezirke fihnlich waren, wfihrend aber Hartberg in beiden Zeitspannen deutlich ganstigere Bedingungen aufzuweisen hatte. Demgegenfiber waren sfimtliche Bezirke, deren altersstandardisierte Suizidsterblichkeit im Zeitraum von 1988 bis 1994 mehr als 30 % aber jener Gesamt6sterreichs lag, obersteirische, angefahrt vom Bezirk Liezen mit einer 121berproportionalit~t von 53 % (!). Wfihrend also noch vor 25 Jahren weite Teile der Steiermark eine im OsterreichVergleich t~berh6hte Suizidrate aufwiesen (und eigentlich nur die Bezirke Hartberg, Voitsberg und Graz-Stadt hiervon Ausnahmen darstellten), konzentrierte sich ,,Ubersterblichkeit" ab den spfiten 1980er und frfihen 1990er Jahren immer mehr auf die Obersteiermark (wenn auch insgesamt in fast allen Bezirken die absolute Suizidhfiufigkeit zurfickgegangen war). A u f die weitere Entwicklung ab 1995 wird im folgenden Teil der Arbeit eingegangen; angemerkt sei an dieser Stelle aber, dass hierzu bislang keine in ihrer Ausfahrlichkeit jenen der frfiheren Zeitrfiume vergleichbaren Er6rterungen hinsichtlich der bezirksspezifischen Suizidraten existierten. 225
1.3.7 Skizze eines 6ko-somato-psycho-sozialen Modells der Suizidalitdt Am Ende dieser 121bersicht zum allgemeinem, wie auch zum Osterreich- und steiermarkspezifischen Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids gilt es, die zahlreichen vorgestellten Aspekte und Thesen, soweit m6glich, in ein Modell von Suizidalitfit zu integrieren, welches als Grundlage far die folgende, empirisch-epidemiologische Untersuchung dienen kann. 226 Die zahlreichen, in die konkrete Untersuchung eingeflossenen Parameter lassen sich, ebenso wie ,,technische Details" des Studienkonzepts, den beiden folgenden Kapiteln entnehmen. An dieser Stelle soll jedoch zumindest skizziert werden, welches Menschenbild und welche Annahmen fiber Kausalitfiten und Korrespondenzen im Zusammenhang mit dem ,,Phfinomen" Suizid dem weiteren Vorgehen des Verfassers zugrunde lagen. 227 223Vgl. auch Burger/Meissner, Todesursachen Steiermark 1978-84 und 1988-94, S. 146. 224Vgl. die Tabelle in: Burger/Meissner, Todesursachen Steiermark 1978-84 und 1988-94, S. 144. 225 Eine aufschlussreiche Tabelle far die bezirksspezifischen Suizidraten im Zeitraum 1999-2003 liefern abet wiederum die Steirischen Statistiken: Mayer, Natarliche BevNkerungsbewegung2003, S. 52. 226 Dabei ware es aberflassig, die, wie deutlich wurde, ungemein vielfaltigen und zahlreichen Einzelaspekte, unter denen Suizidalitat analysiert werden kann, bier alle nochmals zu wiederholen. 227 Zum ,,biopsychosozialen" Gesundheits- und Krankheitsmodell und seiner Weiterentwicklung im Sinne einer System- und Zeichentheorie von Gesundheit und Krankheit vgl. Thure von Uexkall, Wolfgang Wesiack, Theorie der Medizin. Manchen u.a. 1998; zum Verhaltnis der Medizin zu den anderen Humanwissenschaften vgl. auch: Karl Acham, Zur Phiiosophie der Humanmedizin. 121berdie Unterschiedlichkeit des Sachbezuges und der diagnostischen Verfahren in den Wissenschaften vom Menschen. In: Walter Pieringer, Franz Ebner (Hg.), Zur Phiiosophie der Medizin. Wien-New York 2000, S. 113-134.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
In der Medizin hat sich in den letzten Jahrzehnten - zumindest auf theoretischer Ebene -das so genannte ,,biopsychosoziale Krankheitsmodell" weitgehend durchgesetzt. Dasselbe besagt, sehr zusammenfassend ausgedrackt, dass k6rperliche und geistig-seelische Prozesse in engem Zusammenhang miteinander stehen, wobei beide Ebenen einander wechselseitig beeinflussen k0nnen (Psycho-Somatik), und das Individuum seinerseits wieder in seiner leibseelischen Verfassung eng v o n d e r Interaktion mit seiner (menschlichen) Umwelt beeinflusst wird. Nach Auffassung des Studienautors kfime der Gehalt dieser Vorstellungen aber noch wesentlich deutlicher zum Ausdruck, wenn als ,,Etikett" fOr diesen Ansatz nicht der Ausdruck ,,biopsychosozial" verwendet wtirde, sondern ein anderer, der an dieser Stelle vorgeschlagen wird: ,,13~og" meint schliel31ich ,,Leben", und mit den entsprechenden ,,biopsychosozialen" Theorien ist genau nicht intendiert, zu behaupten, das Leben bestande eigentlich aus den k/3rperlichen Prozessen, zu denen dann irgendwie noch die psychische und die soziale Sphfire dazukfimen, sondern vielmehr setzt sich der Lebensprozess 228 - fOr menschliche Beobachter - offensichtlich in unaufl6slicher Weise aus Elementen zusammen, die auf einer mental-emotionalen Ebene, das heiBt einer Ebene der Bedeutung, reprasentiert sind, und solchen, die lediglich durch externe und materiebezogene Analyse - k/Srperliche Diagnose - zug~inglich werden. 229 Um diese ,,Gleichrangigkeit" auszudracken, sollte daher der Ausdruck ,,bios" nicht etwa dem k6rperlichen Bereich zugeschrieben werden, wie dies auch der Begriff ,,Biomedizin" tut. Vielmehr w~ire hier besser von ,,Somatomedizin", bloger KOrpermedizin eben, zu sprechen. Ein integrales Modell sollte sich daher besser an den Ausdruck ,,psychosomatisch" anlehnen. Da es nun aber auch um eine Einbeziehung der jeweiligen ,,Systemumwelt" geht, ist dieser Begriff zu erweitern; hier erscheint aber die ausschlieBliche Konzentration auf eine ,,soziale" Ebene trennunscharf, ist es doch ein grundlegender Unterschied, ob einer Person ,,externer Stress" etwa durch eine Partnerauseinandersetzung oder Angst um den Arbeitsplatz zugefohrt wird oder aber durch die chronische Aussetzung gegeniiber toxischen Substanzen im Rahmen seiner Berufstfitigkeit oder auch in seiner Wohnumgebung. Daher sollten auch in einer begriffiichen Erfassung sowohl im engeren Sinn soziale (soziokulturelle) als auch im engeren Sinn 6kologische (im ,,naturalistischen" Sinn) Aspekte explizit genannt werden, und man k6nnte sinnvollerweise von einem ,, Okosomatopsychosozialen Krankheitsmodell" sprechen. Ein Vorteil dieses Begriffs liegt darin, dass schon in der Kombination klar zum Ausdruck kommt, nach welchen Kriterien seine einzelnen Bestandteile zusammengefOgt wurden; er ist gleichsam nach zwei Achsen im Hinblick auf einen Lebensprozess hin ausgerichtet, n~imlich zum einen nach der Frage der Systemgrenze - welche Prozesse laufen innerhalb des ,,Individuums" ab (psychische und somatische), und welche werden durch den Zusammenhang von System und Umwelt far das Individuum bedeutsam (soziale und Okologische) - und zum anderen nach der Frage nach Bedeutung und Interpretation, also danach, ob es sich - auf der Ebene des Gesamtorganismus - u m kognitiv und/oder emotional ,,behandelte" Vorg~,nge handelt, wie Einstellungen, verbale Mitteilungen usw., oder nicht, wie dies etwa bei zellulfiren Vorgfingen unterhalb von Bewusstseins- bzw. Empfindungsschwellen des Gesamtorganismus der Fall ist. Die begriffliche Trennung der ,,Sphfiren" von 228Und zwar, gemaBUexkt~llund Wesiack,jeder Lebensprozess, nicht nur der menschliche. Vgl. ebd., bes. S. 191. 229 Systemtheoretisch kOnnte man davon sprechen, dass ,,Psyche" die zentrale, reflexive und (endogen wie exogen) perzeptive Ebene des Gesamtsystems eines Lebewesens darstellt, ,,Soma" dagegen einzelne Bestandteile, die ,,unterhalb" dieser Ebene angesiedelt sind - FuBschmerzen z.B. sind Eindracke, welche sich das zentrale System yon einem bestimmten untergeordneten Systemmacht.
1.3 Der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids
77
,,Sinn" und ,,Signal ''23~ noch in dieser Zusammensetzung soll dabei aber nicht dazu fahren, diese Bereiche als nicht in stfindiger Korrespondenz miteinander stehend zu denken, was ja gerade ein Anliegen der ,,Psychosomatik" darstellt. Eine schematische Darstellung kOnnte etwa so aussehenl TM
Abbildung 2:
Okosomatopsychosoziale Auffassung von Gesundheit und Krankheit
~
\
System ~ '~ -Umwelt
,,Sinn" versus
/
/ .....
... t
.......
//
Auf das konkrete Phfinomen ,,Suizid" bezogene Forschungsarbeiten lassen sich, wie aus den vorangegangenen Abschnitt bereits deutlich wurde, dahingehend betrachten, wie viel Aufmerksamkeit sie jeweils den beschriebenen Teilbereichen Soma, Psyche, soziale und 6kologische Umgebung widmeten. Viele neuere Arbeiten medizinischer Provenienz bezogen neben k6rperlichen und psychischen Aspekten auch das Eingebettet-Sein der Betroffenen in engere und weitere soziale (bzw. kulmrelle) Kontexte ein, und auch 6kologischen Aspekten wird, wie erwfihnt wurde, zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt, insbesondere in der Forschung zu Neurotoxinen. So hfilt denn auch Welz in seinem Beitrag zur Definition von Suizid fest: ,,Die Suizidhandlung ist eingebettet in ein komplexes Verursachungsgefuge aus sozialen, psychologischen, biographischen, medizinischen und schlieglich auch gesellschaftlich-kulmrellen Faktoren. ''232
23oVgl. hierzu: UmbertoEco, Einfiihrung in die Semiotik. Manchen 2002. 231 Der ,,kurvige" Zusammenhangspfeil zwischen dem innerpsychischen Bereich und der sinnhaft-sozialen Umgebung des Systems soil ausdracken, dass die Kommunikation zwischen diesen beiden Spharen materiellsomatischen ,,Unterbau" ben0tigt. 232Welz, Definition, S. 22.
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1 Forschungsproblem und Forschungsstand
Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang die Erwfihnung von ,,Biographie", also der Vergangenheitsbezug. Ein adfiquates biopsychosoziales bzw. /3kosomatopsychosoziales Modell muss denn auch noch eine weitere Dimension beracksichtigen, jene der Zeitlichkeit bzw. der Geschichtlichkeit. Jedes Lebewesen hat eine ,,Lerngeschichte"; vergangene Erfahrungen sind im aktuellen psychosomatischen ,,Status" reprasentiert - manifest oder, vorrangig, latent (wenn auch natarlich nicht in irgendwie ,,objektiver" Weise, sondern gemfil3 der individuellen ,,Verarbeitung" des Betroffenen); sie beeinflussen das Bild, welches er sich jeweils vonder Zukunft entwirft. 233 Gerade flir den Bereich der Suizidalitfit scheint dies im Hinblick auf die Relevanz von ,,Hoffnungslosigkeit" eine besonders entscheidende Rolle zu spielen. Dementsprechend beziehen sich denn auch jene suizidrelevanten ,,domains", welche Blumenthal und Kupfer unterscheiden, in betrfichtlichem Mage nicht nur auf Gegenwart, sondern auch auf Vergangenheit des Suizidenten, wenn neben (akuter) psychiatrischer Krankheit ,,Lebensereignisse", ,,chronische k0rperliche Krankheit", ,,Familiengeschichte", ,,Pers0nlichkeitszage" und biologische Ausstattung als zu beachtende Bereiche genannt werden. TM Eine den voranstehenden Ausfahrungen entsprechende, ,,integrale" Konzeption von Suizidalitfit soll den genannten Teilbereichen des ,,Systems Mensch" und den aberaus zahlreichen etwaig relevanten Einzelfaktoren ft~r Suizidalitfit gebahrend Rechnung tragen, und es insbesondere auch m6glich machen, letztere nicht nur im Sinne einer blol3en ,,Variablenliste" nebeneinander stehen zu lassen, sondern auch systematisch miteinander verbundene Merkmalskombinationen zu erkennen. Dies kann dabei sowohl Beziehungen einzelner Elemente innerhalb einer Sphfire (z.B. gehfiuftes gemeinsames Auftreten von Introversion, Aggressivitfit und Suizidalitfit im psychischen Status der Betroffenen) betreffen als auch ,,abergreifende" Zusammenhfinge typisch ,,suizidogener" Lebenssituationen, wie zum Beispiel eine Konstellation von problematischer Partnerbeziehung, beruflichem und/oder 6konomischem Druck, k6rperlichem Unwohlsein/ Erkrankung sowie Depressivitfit.
233Vgl. hierzu bes.: Ahrens, Arger ohne Hoffnung. 234 Hier nach der Modellskizze in: Wolfersdorf/Welz, Diagnostik, S. 38.
2
Zu Aufbau und Durchfiihrung der Studie
2.1 Rahmen und Grundlinien des Studienkonzepts
2.1.1 Quantitative Ausrichtung Wie in Kapitel 1 bereits nfiher dargelegt wurde, gab die Wahmehmung einer kontinuierlich, tiber Jahrzehnte hinweg, gegent~ber dem 6sterreichischen Gesamtdurchschnitt erhOhten Suizidrate den Anlass zur vorliegenden Studie, die deren Ursachen auf den Grund gehen soll. Dabei liegt es nahe, ein erst durch quantitative Messung - die Z~hlung der Suizide in einzelnen Regionen und die Ermittlung ihrer Relation zur jeweiligen Einwohnerzahl- lassbares Phfinomen auch hinsichtlich seiner Kausalitfit mit quantitativen Methoden zu untersuchen, also es im Hinblick auf andere, inhaltlich bedeutsam erscheinenden Faktoren, wie sie im vorangegangenen Kapitel bereits vorgestellt wurden, in einer Weise zu untersuchen, die eine zahlenmfil3ige Erfassbarkeit etwaiger Zusammenhfinge erlaubt. Die Vorzt~ge quantitativer Methodik, die insbesondere in erh0hter Reliabilitat bestehen, brauchen an dieser Stelle nicht naher er6rtert zu werden. 235 Hingewiesen sei aber doch auf einen dem Verfasser nicht unwesentlichen Umstand: Dass nfimlich jede quantitative Analyse letztlich auf qualitativen Grundlagen basiert, denn wenn den Teilgegenstfinden einer Untersuchung (,,Variable" etc.) nicht bestimmte inhaltliche Bedeutungen in wechselseitigen Relationen zugeschrieben werden - und damit qualitative Aussage getroffen werden! - so ist eine Analyse sinnlos, ja schon die Definition der einzelnen Elemente (z.B. ,,Suizid", ,,Arbeitslosigkeit") ist nur anhand von qualitativen Bestimmungen mOglich. Jedoch vergibt sich umgekehrt ein ,,rein qualitatives", also aufjegliche Feststellungen von zahlenmNSigen Verhfiltnissen verzichtendes Vorgehen jede MOglichkeit zur Uberprafung der Relevanz seiner Aussagen fiber die jeweils beobachteten Einzelfalle hinaus. Insbesondere far Forschungsfragen, deren Beantwortung praktische Relevanz far gr613ere Personenkreise haben soll, kommt daher nach Auffassung des Verfassers generell nur eine quantitative Aspekte einbeziehende Vorgangsweise in Frage, soweit diese mOglich ist. Was die nfiheren Auswertungsmethoden betrifft, ist noch auf den Umstand hinzuweisen, dass uni- sowie insbesondere bivariate Analysen auch in der vorliegenden Studie den Hauptteil darstellen; die Bedeutung einzelner Risikofaktoren far Suizidhandlungen ist mit bivariaten Methoden (Korrelation, Kreuztabellierung) am deutlichsten und am ehesten allgemein verstfindlich herauszuarbeiten. Dennoch lassen sich manche wichtige Forschungsfragen, insbesondere jene nach dem Bestehen far das Auftreten von Suiziden typischen Merkmalskonstellationen, nur unter Zusammenschau einer Vielzahl von Parametern beantworten. Auch dementsprechende Auswertungen werden mittels ,,kategorialer Differenzanalyse" sowie Clusteranalyse vorgenommen. 235Vgl. z.B. Andreas Diekmann,Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbekbei Hamburg 2000.
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2 Zu Aufbau und Durchfahrung der Studie
2.1.2 Aktenanalyse und sekund~irstatistische Auswertungen Hinsichtlich der Untersuchung von sozialen Problemen der Gegenwartsgesellschaft, wie auch Suizidalitfit eines darstellt, ist es erfreulicherweise mOglich, nicht nur far die zu erkl~rende Gr6Be selbst, die Suizidhfiufigkeit, sondern auch betreffend einen ganz betrfichtlichen Teil der relevant erscheinenden ,,erklfirenden Variablen", also denjenigen Phfinomenen, von denen man einen Einfluss auf die Ausprfigung jener GrOBe annimmt, sehr verlfissliche Daten quantitativer Natur zu erheben. Da die vorliegende Studie innerhalb eines relativ kurzen Zeitrahmens und mit geringen personellen Mitteln abgeschlossen werden sollte, stand von vornherein fest, dass die Erhebung yon relevanten Daten nicht etwa durch eine aufwfindige Einzelfallanalyse erfolgen k~nnte, wie sie far den Bereich der Suizidforschung insbesondere im Rahmen retrospektiver Diagnostik psychiatrischer Studien durchgefahrt werden, da es auf diese Weise - aufgrund der beschr~nkten Zeit- und Personalkapazit~t - nicht mOglich gewesen wfire, ein auch nur einigermal3en reprfisentatives Sample zu untersuchen. Vielmehr war es eine das weitere Vorgehen leitende 121berlegung, in der vorliegenden Studie bereits vorhandene Informatiohen zur Suizidalit~it in Osterreich bzw. in der Steiermark zum Zweck wissenschaftlicher Analyse zusammenzufahren und auszuwerten. Die MOglichkeiten derartiger ,,sekundfirer Datenanalyse" werden nach Auffassung des Studienautors im Obrigen far sehr viele Felder sozialwissenschaftlicher Forschung viel zu wenig genutzt. Ft~r das konkrete Forschungsthema war davon auszugehen, dass sich relevante Informationen insbesondere in zwei Kategorien yon Datenbestfinden auffinden lassen wt~rden: Zum einen in den statistischen Informationen, wie sie v o n d e r Statistik Austria (fr~iheres Osterreichisches Statistisches Zentralamt) laufend zu zahlreichen Lebensbereichen erhoben werden, zum anderen in Publikationen und- insbesondere- Akten, welche die 6ffentlichen SicherheitsbehOrden und Gesundheitsinstitutionen, konkret Sozialversicherungstrfiger, im Rahmen ihrer T~,tigkeit erstellen. Hierbei waren sogleich grundsfitzliche Differenzen in der Auswertbarkeit der Daten dieser beiden Kategorien zu beachten: Statistische Daten t~ber Merkmalsverteilungen (Suizidh~ufigkeit, Arbeitslosenrate, Durchschnittseinkommen usw.) besitzen den unschfitzbaren Vorteil, in leicht zugfinglicher und weiterverarbeitbarerer Weise far mehrere m6gliche Untersuchungsebenen vorzuliegen; es lassen sich also Vergleiche zwischen einzelnen Bundeslfindern, zwischen der Steiermark und dem gesamt0sterreichischen Durchschnitt, aber auch zwischen einzelnen Bezirken ziehen. Hierbei kommt natt~rlich nicht nur ein Vergleich zwischen den Suizidraten selbst in Frage, wie er in Kapitel 1 zum Teil bereits dargestellt wurde, sondern die Differenzen in den Suizidraten lassen sich ihrerseits zu anderen Phfinomenen in Beziehung setzen, etwa zur HOhe der Arbeitslosigkeit, zum Grad an psychiatrisch-psychotherapeutischer Versorgung usw. Jedoch besteht der Nachteil von entsprechenden sekundfirstatistischen Analysen auf der Makroebene darin, dass sie eben Zusammenhfinge von Hfiufigkeitsverteilungen in GesamtbevOlkerungen darstellen, aber Aussagen t~ber einzelne Teilpopulationen nur insoweit erm6glichen, als bei der Erstellung der Datengrundlagen hierauf bereits Rt~cksicht genommen wurde. So liel3en sich z.B. anhand der 6sterreichischen Todesursachen- sowie der Arbeitsmarkstatistik sehr wohl spezifische quantitative Zusammenhfinge zwischen weiblicher Suizidrate und weiblicher Arbeitslosigkeit sowie mfinnlicher Suizidrate und mfinnlicher Arbeitslosigkeit ermitteln, weil sowohl in der Todesursachen- als auch in der Arbeitsmarktstatistik Mfinner und Frauen getrennt angegeben werden, aber die berufsmfiBige Zusammensetzung der Suizidenten (und
2.1 Rahmen und Grundlinien des Studienkonzepts
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damit auch alle mt~glichen Zusammenh~nge regionaler Differenzen derselben mit weiteren Parametern) l~.sst sich nicht untersuchen, weil hierzu in der Todesursachenstatistik nichts fiber die Berufe der Verstorbenen ausgesagt wird. 236 Weiters ist aber auch noch zu beachten, dass selbst far Faktoren, in denen statistische Informationen vorliegen, die m0glichen Aussagen anhand eines Vergleich von mehreren Verteilungen auf der Makroebene sich ihrerseits nur auf derselben Ebene ansiedeln lassen: Wenn bekannt ist, wie viele Suizidenten in verschiedenen Regionen M~.nner und wie viele Frauen waren, und wie viele Mfinner und Frauen in denselben Regionen im Untersuchungszeitraum arbeitslos waren, so kann daraus zwar ein Gesamtzusammenhang von Suizidrate und Arbeitslosenrate statistisch errechnet werden, weiters jeweils ein Zusammenhang von mfinnlicher bzw. weiblicher Suizidrate und m~.nnlicher bzw. weiblicher Arbeitslosigkeit, aber selbst wenn das Ergebnis vermehrte Suizidalit~t in Regionen mit h0herer Arbeitslosigkeit belegt, weil3 man dadurch keineswegs, wie viele Suizidopfer insgesamt eigentlich arbeitslos waren, und natfirlich auch nicht, wie viele m~.nnliche bzw. weibliche unter ihnen. Warde man aus der blogen Korrelation von hoher Suizid- und hoher Arbeitslosenrate allein eine vermehrte Anf~,lligkeit von Arbeitslosen far Suizid ableiten, unterlfige man bekanntermaf3en dem so genannten ,,0kologischen Fehlschluss". 237 Jedoch bedeutet dies keineswegs eine Unbrauchbarkeit derartiger Vergleiche, ganz im Gegenteil: Das Vorliegen eines Zusammenhangs auf der fiberindividuellen, der MakroEbene, ist, korrekt interpretiert, ebenfalls h0chst belangvoll und potentiell aufschlussreich; far den praktischen Zweck einer Suizidprfivention ist es etwa nicht nur wichtig, fiber eine erh0hte SuizidanfNligkeit von arbeitslosen Personen Bescheid zu wissen, sondern das Wissen um ein etwaig allgemein erh0htes Suizidrisiko der Bev01kerung (also von Arbeitslosen und Nicht-Arbeitslosen zusammen) in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit kann prfiventionspolitisch genutzt werden. 23s Dennoch ist klar, dass das Erheben allein derartiger ,,makroskopischer" Zusammenhfinge sehr viele Fragen often lassen mfisste, deren Beantwortung nur anhand einer Zurechnung yon gewissen Merkmalen zu den konkret an Suizid verstorbenen Personen und deren Gegenfiberstellung mit entsprechenden Merkmalsverteilungen in der Allgemeinbev01kerung m0glich ist: Wie hoch ist etwa das Suizidrisiko Arbeitsloser, um wie viel h0her als das Nicht-Arbeitsloser? Insoweit also die offizielle Todesursachenstatistik entsprechende Parameter nicht berficksichtigt, waren diese nur fiber eine Auswertung der bereits genannten Informationen von Sicherheitsbeh0rden und Sozialversicherungen zu ermitteln. Hierbei waren aber Einschrfinkungen anderer Natur zu vergegenwfirtigen: Ein groger Teil der interessierenden Daten ist weder direkt fiber EDV-Systeme abrufbar noch in systematisch aggregierter Weise (Datentabellen o.fi.) vorhanden, sondern kann nur fiber die Auswertung von Einzelakten und nachfolgenden weitergehenden Recherchen gewonnen werden. Abgesehen von datenschutzrechtlichen Aspekten war hierbei also mit einem enormen Arbeitsaufwand zu rechnen.
236Siehe hierzu Kapitel 1. 23vVgl. etwa: Ganter Endruweit, Gisela Trommsdorff, W0rterbuch der Soziologie. Stuttgart 1989, S. 431f. 2380ber das tatsachliche Bestehen eines entsprechenden Zusammenhangs gibt Kapitel 3 n~er Auskunft.
82
2 Zu Aufbau und Durchfahrung der Studie
2.1.3 Raumlicher und zeitlicher Untersuchungsrahmen
Entsprechend den obigen Feststellungen war insbesondere bei der Festlegung des Untersuchungsrahmens far die Aktenanalysen zum ,,Mikrobereich" von vornherein auf einen praktisch umsetzbaren Umfang zu achten: Im Zentrum der gesamten Untersuchung steht die Suizidalitat in der Steiermark, wobei es zur Untersuchung der erh0hten Suizidhfiufigkeit in diesem Bundesland unerlfisslich erschien, auf der Ebene von makrosozialen Daten fiberregionale Vergleiche durchzufahren, wobei Osterreich insgesamt als gleichsam ,,natarlicher" Bezugsrahmen gewfihlt wurde. Obwohl es wfinschenswert gewesen wfire, auch auf der Mikroebene Erhebungen far ganz Osterreich durchzufahren, kam ein derartiges Vorgehen nicht in Betracht. Dies schon deswegen, da die Durchfiihrung der Studie im Auftrag des Landes Steiermark erfolgte und die Einholung von Erhebungserlaubnissen auch far andere Bundeslfinder mit Sicherheit ganz eminente zeitliche VerzOgemngen mit sich gebracht hfitte; aul3erdem wfiren zur Durchfahrung von Aktenanalysen far die Suizidenten mehrerer Bundeslfinder weit grOBere personelle Kapazitfiten vonnOten gewesen, wenn man zugleich die Anzahl der zu untersuchenden Suizidhandlungen innerhalb der Steiermark selbst nicht unter ein far statistische Auswertung erforderliches MaB herabsenken wollte. Entsprechende Vergleichsuntersuchungen far die im Mikrobereich zu erhebenden Variablen mfissen daher spfiteren Studien vorbehalten bleiben. Dementsprechend wurde im Studienkonzept festgelegt, dass die auf Daten von SicherheitsbehOrden und Sozialversicherungen zu individuellen Suizidfallen bezogenen Analysen den Gesamtbereich der Steiermark, nicht aber andere Bundeslfinder abdecken sollten. Angesichts einer jfihrlichen Anzahl von Suiziden von 250 bis 300 in der Steiermark, und um etwaige Einflfisse nicht nfiher bekannter, kurzfristiger Phfinomene auszuschlieBen, wurde hinsichtlich der zeitlichen Ausdehnung ein mehrjfihriger Zeitraum in Betracht gezogen (Da die Studie ja zum Zweck der Nutzung far prfiventive MaBnahmen bald vorliegen sollte, schied ein ,,prospektives" Vorgehen aus). Der Zeitraum der Rfickerfassung vollendeter Suizide wurde auf 10 Jahre festgelegt. Vom ersten bei Beginn der Studie im Mai 2005 vollstfindig vergangenen Kalenderjahr, 2004, zurfickgerechnet, ergab sich so die Zeitspanne der Jahre 1995 bis 2004. So war mit einer Anzahl von ca. 2800 in die Untersuchung auf Mikro-Ebene einzubeziehenden Suizidfallen zu rechnen, einer for statistische Auswertungen auch far mehrere Teilkategorien jedenfalls ausreichenden Anzahl. Schon an dieser Stelle sei aber weiters darauf hingewiesen, dass zwar far den gesamten ins Auge gefassten Zeitraum anonymisierte Individual-Datensfitze mit jenen Parametern, die in der offiziellen Todesursachenstatistik enthalten sind, bezogen werden konnten, dass abet die Auswertung von Akten der SicherheitsbehOrden und Gesundheitsinstitutionen sich in der tatsfichlichen Durchfahrung auf die Jahre 2000 bis 2004 beschrfinken musste, also den Zeitraum der bei Studienbeginn fanf letzten zurackliegenden Kalenderjahre. Diese Einschrfinkung ergab sich aus dem Umstand, dass die far eine Individualfallbezogene Daten-Aggregation unerlfisslichen Akten der PolizeibehOrden (einschlieBlich der ehemaligen GendarmeriebehOrden) in der Steiermark nur 5 Jahre lang aufbewahrt, dann aber skartiert werden. 239 Dieser Umstand war zu Beginn der Studie nicht bekannt; Versuche, fiber die so genannten ,,Vorfallenheitsberichte", die u.a. bei Suiziden von den PolizeibehOrden an die Bezirkshauptmannschaften gesandt werden, entsprechende Daten auch far 239Auskunftdes LandespolizeikommandosSteiermark.
2.1 Rahmen und Grundlinien des Studienkonzepts
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die Jahre vor 2000 zu erheben, waren nicht von Erfolg gekr6nt, da in den einzelnen Bezirkshauptmannschaften offensichtlich unterschiedliche Skartierungsvorschriften gehandhabt werden und far mehr als die Hfilfte der steirischen Bezirke auch auf diesem Weg keine Akten aber Suizidfalle far die Jahre 1995 bis 1999 mehr verfagbar waren. 24~Far die Analyse der detaillierteren Informationen, welche die Akten der Sicherheitsbeh6rden bieten, verblieb so nur der Zeitraum 2000 bis 2004; die insgesamt etwa 1400 Suizidfalle dieser Jahre stellen aber eine flir statistische Analysen ebenso v6llig ausreichende Quantitfit dar. Auf der Ebene der statistischen Makrovergleiche zur steirischen Situation stellen Osterreich insgesamt sowie einzelne andere Bundeslfinder den plausibelsten und - schon wegen der einheitlichen statistischen Erfassungspraktiken - praktikabelsten Bezugsrahmen dar. Hierbei werden vor allem 6sterreichweite und steiermarkweite Vergleiche auf Bezirksebene vorgenommen. Der zeitliche Rahmen far diesen Untersuchungsteil wurde an denjenigen far den Mikrobereich angepasst; im Zentrum stehen auch hier die Jahre 1995 bis 2004 bzw. 2000 bis 2004. Aufgrund der einfachen Verfagbarkeit konnten bei manchen die Suizidraten etwaig beeinflussenden Faktoren aber auch lfingere Zeitrfiume beracksichtigt werden, um m6gliche langfristige Effekte ins Blickfeld zu bekommen.
2.1.4 Retrospektive Kohortenstudie bzw. Prdvalenzerhebung In der medizinischen Epidemiologie ist eine Klassifikation von Studien nach ihrem ,,Design" ablich, die in dieser Form keine Entsprechung in Sozialwissenschaften wie der Soziologie hat. Um eine interdisziplinfire Verstfindlichkeit des Studienkonzepts der vorliegenden Studie sicherzustellen, sei hierzu auf folgende Aspekte hingewiesen: Zentrale Charakteristika einer Kohortenstudie sind das Ausgehen von einer definierten Population, die Festlegung eines oder mehrerer Risikofaktoren, denen diese Population innerhalb eines zu bestimmenden Zeitraums ausgesetzt war, und die Beobachtung, tar wie viele Personen aus der Teilkategorie der dem Risikofaktor Exponierten und wie viele der Nicht-Exponierten daraufhin innerhalb einer definierten Zeitspanne eine bestimmte negative Folge (Krankheit, Tod) eintrat. 241 Im Fall der vorliegenden Studie ist das zu beobachtende Ereignis der Suizid; die untersuchten Risikofaktoren sind zahlreiche (z.B. Arbeitslosigkeit, hohes Alter, psychische Erkrankungen usw.), und werden anlfisslich der Benennung der konkreten Hypothesen vollstfindig angefahrt; die analysierte Population ist - j e nach Datenlage - die GesamtbevOlkerung Osterreichs oder jene der Steiermark vor dem Beobachtungszeitraum. Da es sich bei Suizid um ein sehr seltenes Ereignis handelt, kommen, wie schon ausgefahrt, nur mehrjfihrige Beobachtungsintervalle in Frage. Es wird - im ,,Mikro-Teil" - untersucht, wie viele Personen aus der Gesamtpopulation am Beginn des Untersuchungszeitraums, Anfang 1995, im Folgezeitraum bis 2004, bestimmten potentiellen Einflussfaktoren unterlagen, wie viele von ihnen daraufhin Suizid begingen und in welchem Verhfiltnis diese Zahl zur Rate derjenigen Personen steht, die ohne das Vorliegen des betreffenden Risikofaktors im selben Zeitraum ebenfalls Suizid begingen.
24oAuskanfte der Bezirkshauptmannschaften. 241 Vgl. Leon Gordis, Epidemiologie. Marburg 2001.
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2 Zu Aufbau und Durchfahrung der Studie
Eine Abweichung vonder ,,klassischen" Konzeption der Kohortenstudie liegt insofern vor, als aufgrund des retrospektiven Charakters der Studie mit gleitenden Beobachtungszeitspannen operiert werden muss: Erst wenn ein Suizid vorliegt, werden von den SicherheitsbehOrden mOgliche Kausalbedingungen erfasst, und z.B. das Vorliegen einer psychiatrischen Diagnose festgestellt. Dabei wird meist nur die Akmalitfit derselben zum Todeszeitpunkt festgehalten, nicht aber deren erstmaliges Auftreten. So lfisst sich nur sagen, dass der jeweilige Betroffene zwischen dem Untersuchungsbeginn 1995 und seinem Tod, z.B. 2001, etwa an Depression gelitten hat (Pr~valenz), nicht aber, ob diese Erkrankung im Untersuchungszeitraum neu aufgetreten ist (Inzidenz). Far den Vergleich mit der Gesamtbev6lkerung k6nnen dann teils nur Prfivalenzschfitzungen anhand anderer Studien herangezogen werden, da aber Nicht-Suizidopfer ja keine vergleichbaren polizeilichen Akten vorliegen. Far manche Risikofaktoren, wie etwa hohes Alter, liegen aber exakte statistische Angaben far die Gesamtbev6lkerung vor, sodass sich genau ermitteln lfisst, wie viele von den im Jahr 1995 einer bestimmten Alterskategorie angeh6rigen Personen im Folgezeitraum Suizid begingen, und dieser Wert zur Risikoabschfitzung (Berechnung des ,,relativen Risikos") der Suizidhfiufigkeit in den anderen Alterskategorien gegent~bergestellt werden kann. Auch far jene Bereiche, in denen far die Gesamtbev6Ikerung n u r - verlfissliche - Hochrechnungen existieren (z.B. Pr~valenz von Suchterkrankungen), kann aber ein analoges Vorgehen erfolgen, die Ergebnisse stellen dann aber nicht exakte, sondern nur approximative relative Risken dar. Abschliegend sei an dieser Stelle auch erwfihnt, dass nicht far alle interessierenden Merkmale exakte Daten oder auch nur Schfitzungen zur Hfiufigkeit in der Gesamtbev61kerung vorhanden sind; so etwa konnte der Studienautor nicht ermitteln, wie grog der Bev6lkerungsanteil der im Untersuchungszeitraum wegen Gewaltdelikten angezeigten Personen ist, da die Kriminalitfitsstatistik in Osterreich lediglich die Anzahl der in bestimmten Zeitrfiumen registrierten Delikte, nicht aber die Zahl der verschiedenen Urheber erfasst. In solchen Ffillen wurde es dennoch als sinnvoll erachtet, aus dem Aktenstudium hervorgegangene Befunde far die Kategorie der Suizidenten selbst ebenfalls in die Studie aufzunehmen, auch wenn kein gesicherter numerischer Vergleich zum jeweiligen Anteilswert in der Gesamtbev6lkerung erfolgen kann. Diese Teilbereiche erfallen natarlich nicht die Kriterien einer Kohortenstudie.
2.1.5 Das Studienkonzept- Zusammenfassung Zusammenfassend gesagt, standen im Hintergrund der konkreten Hypothesenbildung folgende grundsfitzliche Entscheidungen: 9 9 9
Die Studie ist retrospektiv angelegt und umfasst den Zeitraum von 1995 bis 2004 bzw., wo die Daten nur eingeschrfinkt verfugbar waren, jenen von 2000 bis 2004. Sie teilt sich in eine ,,Makrountersuchung" und eine ,,Mikrountersuchung", wobei sowohl uni-, als auch bi- und multivariate Analysemethoden angewandt werden. Die Studie beschr~.nkt sich in r~umlicher Hinsicht bei der Analyse von anonymisierten Individualdaten auf die Steiermark, bezieht auf der Makroebene aber sekundfirstatistische Informationen far den gesamt6sterreichischen Raum ein.
2.2 Der makrosoziale Untersuchungsteil 9
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Auf der Mikroebene erfolgt die Erhebung relevanter Merkmalsverteilungen in der spezifischen Untersuchungseinheit der Suizidenten aber die Analyse von Akten und Informationen von SicherheitsbehOrden und Sozialversicherungen. Als ,,Vergleichsgruppe" zu den Suizidenten dient dabei, wo dies mOglich ist, die GesamtbevOlkerung, indem auf statistische Erhebungen zu Merkmalsverteilungen in derselben zurt~ckgegriffen wird. Betreffend makrosozialer Zusammenh~nge wird sowohl die Ebene der Bundeslfinder als auch jene der politischen Bezirke betrachtet und auf beiden Ebenen werden die Suizidhfiufigkeiten in Bezug zu inhaltlich relevanten, anderen Merkmalsverteilungen gesetzt. Im Vordergrund der Analyse stehen nicht Ver~nderungen im zeitlichen Ablauf innerhalb des Untersuchungszeitraums, sondern Differenzen zwischen einzelnen Regionen wfihrend des Gesamtzeitraums von 10 bzw. 5 Jahren. Die Studie ist so, im Hinblick auf die traditionelle epidemiologische Klassifikation, in wesentlichen Teilbereichen als beobachtende, retrospektive Kohortenstudie aufzufassen, in anderen Teilen als einfache Prfivalenzerhebung.
2.2 Der makrosoziale Untersuchungsteil 2.2.1
Die Datenbasis
Wie schon dargelegt wurde, erschien eine Einbeziehung von Analysen auf Makroebenen unumg~nglich, um aber die Erfassung der Lebenssituationen der steirischen Suizidenten hinaus - wie sie eine individualfall-bezogene Datenanalyse ,,auf Mikro-Niveau" leisten kann - die zentrale Forschungsfrage nach den Ursachen tar die im Osterreich-Durchschnitt erhOhten Suizidraten in der Steiermark beantworten zu k0nnen. Erfreulicherweise bestand in diesem Zusammenhang angesichts des sehr hohen Niveaus Offentlicher Statistik in Osterreich die MOglichkeit, auf umfangreiche schon bestehende Datenbestfinde zurackgreifen zu kOnnen, wobei dieser Abschnitt zunfichst nur jene Bereiche er6rtert, far welche aggregierte Daten herangezogen wurden. 242 Informationen t~ber die Anzahl der Suizide- in (3sterreich, seinen Bundeslfindem wie auch den einzelnen politischen Bezirken - sowie t~ber die Alters- und Geschlechtsverteilung der Suizidenten wurden dem Studienautor aber die amtliche Todesursachenstatistik zugfinglich gemacht, welche die Statistik Austria fahrt. Allerdings waren diese Daten in der beschriebenen Detailgenauigkeit erst ab dem Jahr 2001 mit einem vertretbaren Erhebungsaufwand seitens der Statistik Austria - und dementsprechend vertretbarem Kostenaufwand - verfagbar. 243 Grundlegende Daten zur Anzahl der Suizide in Osterreich und der Steiermark liegen selbstverstfindlich far weit lfinger zu~ckreichende Zeitrfiume vor, und wurden in Kapitel 1 bereits prfisentiert. Far die beabsichtigten Korrelationsanalysen auf Bezirksebene musste dagegen aufgrund der erwfihnten eingeschrfinkten Verfagbarkeit lfinger zurackreichender Daten eine zeitliche Beschrfinkung auf die Jahre 2001 bis 2004 vorgenommen werden. Angesichts der insgesamt hohen Fallzahlen ist hieraus aber keine Beeintrfichtigung der 242Die Auswertung von fallbezogenen Daten der Todesursachenstatistik wird im folgenden Abschnitt zum mikrosozialen Untersuchungsteil er0rtert. 243 N~,mlich in Form von elektronisch verarbeiteten Datentabellen vorliegend.
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2 Zu Aufbau und Durchfahrung der Studie
Aussagekrafl der erwarteten Ergebnisse zu befarchten; lediglich gelten jene eben nur tar den Zeitraum ab 2001 in vollem Ausmag. Far die Zeitspanne 2001-2004 lieferte die 6sterreichische Todesursachenstatistik aber nicht nur Angaben zur Anzahl der Selbstt6tungen, es liegen sich auch detaillierte Zahlenwerte aber andere Todesursachen auf Bundesland- und Bezirksebene erheben, welche als potentielle Indikatoren tar mit Suizid assoziierten Philnomenen gelten k6nnen beziehungsweise aus Granden methodischer Korrektheit in die entsprechenden Analysen mit einzubeziehen waren, nimlich insbesondere die Anzahlen der Alkoholtoten, der Todesf~lle durch illegale Drogen, der Verkehrs- und sonstigen Unfalltoten, sowie jener Sterbefalle far die psychische Erkrankungen (!) als unmittelbare Todesursache ausgewiesen werden und die Restkategorie der ,,ungeklirten Todesfalle". Die Hiufigkeitszahlen der entsprechenden Todesffille konnten anhand der Ergebnisse der Bev61kerungsstatistik auf exakte Raten umgerechnet werden. Auch hierfar wurde dem Studienautor vonder Statistik Austria dankenswerterweise Zahlenmaterial zur Verfdgung gestellt, welches fiber die publizierten Hauptergebnisse der Bev61kerungsstatistik- insbesondere die Volkszihlung 2001 - hinausgeht, nimlich die 6sterreichweiten Ergebnisse der Bev6lkerungsfortschreibungen far die Jahre 2002 bis 2004 auf Bundeslinder- und Bezirksebene. Von der Statistik Austria wurden auch, tells aber Recherchen in deren 6ffentlich zuginglichem, kostenpflichtigem Datenbanksystem ISIS, tells aber spezielle Anfragen an die betreffenden Abteilungen, zu den meisten anderen in die Analyse einzubeziehenden Themenbereichen die essentiellen Daten bezogen: Far die projektierten Korrelationen bzw. Regressionen der Suizidrate hinsichtlich relevant erscheinenden bev61kerungs- und sozialstatistischen Befunden (z.B. Bev61kemngsdichte, Mamrantenanteil, Geschiedenenanteil) konnte primir auf die Ergebnisse der Volkszihlung 2001 und der damit verbundenen Gebiude- und Wohnungszihlung 2001 zu~ckgegriffen werden; daneben wurden auch andere statistische Erhebungen der Statistik Austria einbezogen, neben der laufenden allgemeinen Bev61kemngsstatistik insbesondere die Flichennutzungsstatistik 2000. TM Far etliche interessierende Themenbereiche verfagt aber nicht die Statistik Austria t~ber die umfangreichsten Statistiken, sondern jeweils einschligig ,,spezialisierte" Beh6rden und 6ffentliche Institutionen: So wurde far die Analyse des Zusammenhangs von Suizidalitilt und Arbeitslosenrate nicht nur die ,,Momentaufnahme" der Volkszihlung 2001 beracksichtigt, sondern die kontinuierliche Arbeitslosenstatistik des Arbeitsmarktservice Austria. Ober die regionalspezifischen Differenzen in der Verbreitung krimineller Handlungen informiert ausschlieglich die Kriminalititsstatistik des Bundesministeriums far Inneres. Der far die Analyse von Suizidalitit besonders wichtige Aspekt des Ausmal3es an allgemeinmedizinischer sowie psychiatrischer und psychotherapeutischer Versorgung wiederum lisst sich nur anhand von Daten der Osterreichischen Arztekammer sowie des Bundesministeriums far Gesundheit und Frauen ausreichend detailliert erheben. Daten aber regionalspezifische Unterschiede im Hinblick auf klimatische Phinomene erschliegen sich schlieglich am besten fiber Informationen der Zentralanstalt far Metereologie und Geodynamik. Von allen genannten Beh6rden und Institutionen konnte publiziertes und/oder nut auf Anffage zugingliches Zahlenmaterial bezogen werden, wofar an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt sei.
244Zum reichhaltigen Publikationsangebotder Statistik Austria siehe die Homepageim Internet: www.statistik.at.
2.2 Der makrosoziale Untersuchungsteil
87
2.2.2 Hypothesen und Erhebungsparameter Auf Grundlage des im vorangegangenen Kapitel ausfahrlich dargelegten, derzeitigen Forschungsstandes zur Epidemiologie des Suizids generell und in Osterreich im Besonderen wurden zahlreiche Hypothesen formuliert, welche im Zuge der Studie t~berpraft werden sollten. Hier wird zunfichst nur auf diejenigen davon eingegangen, welche makrosoziale Zusammenhfinge betreffen, also Zusammenhfinge zwischen Suizidraten und anderen Kollektivphfinomenen. Im Folgenden wird ein Katalog derjenigen bivariaten Hypothesen wiedergegeben, welche nach einer Selektion zur weiteren Bearbeitung verblieben, in der zwischen denjenigen Hypothesen unterschieden wurde, die anhand des erreichbaren Datenmaterials aberprafbar waren, und jenen, die dies nicht waren. Ausgeschieden werden mussten z.B. Hypothesen tiber die Zusammenhfinge von (bezirks- bzw. bundeslfinderweiten) Suizidraten mit klimatischen Bedingungen wie durchschnittlicher SeehOhe, da entsprechende Daten nicht mit einem vertretbaren Erhebungsaufwand verfagbar waren. Die folgende tabellarische Liste nennt sfimtliche Variable, deren Zusammenhang sowohl mit der rohen als auch mit der alters- und geschlechtsstandardisierten Suizidrate auf der Ebene 0sterreich- sowie steiermarkweiter Vergleiche von Bezirksdaten untersucht wurde, 245 unter Angabe des jeweils vermuteten Zusammenhangs, wobei stets die ceteris paribus-Annahme als vorausgesetzt gelten soll, und, wenn nichts anderes angegeben wird, zunfichst von einem linearen Zusammenhang ausgegangen wird. ,,Zusammenhang" wird hierbei zunfichst bloB als statistische Korrelation verstanden, deren m0gliche Ursachen gegebenenfalls nfiher zu untersuchen wfiren. Ein Teil der Hypothesen bezieht sich jedenfalls auf Phfinomene, die a|s Kausalfaktoren far Suizidalit~t in Frage kommen (z.B. Grad der psychiatrischen Versorgung), andere betreffen Erscheinungen, far die sich vor allem deswegen Korrelationsanalysen lohnen, weil sie als mit Suizidalitfit assoziiert gelten und auf gemeinsame, dahinter liegende Probleme verweisen (z.B. hohe Verbreimng von Alkoholismus). Insoweit die bisherige epidemiologische Suizidforschung die Aufstellung entsprechender Hypothesen nahe legt, wird im Folgenden nicht mehr auf die nfihere Begrt~ndung des vermuteten Zusammenhangs eingegangen, sondern es sei auf Kapitel 1 rackverwiesen. Zusammenhfinge, die in der Forschungstradition der Suizidologie bislang kaum 245Einzige Ausnahme stellt der Aspekt des Zusammenhangs von Sonnenscheindauer und Suizidrate dar: Diesem wurde in der zugrunde liegenden Studie ebenfalls nach M0glichkeit nachgegangen; die dem Verfasser zug~nglich gewordenen Daten waren aber zum einen sehr selektiv (Sonnenscheindauern in den Monaten Januar und Juli der Jahre 1961-1990) und lieBen sich zudem nur in einer nicht allzu prazisen Form auf bezirksweise Werte umrechnen, sodass die Ergebnisse der Korrelationen deutlich weniger verl~sslich erscheinen als jene far andere Variable. Auf eine nahere Darstellung derselben wird hier daher verzichtet. Bemerkt sei an dieser Stelle nur: Die gefundenen, statistisch hochsignifikanten Korrelationen zeigen einen deutlichpositiven Zusammenhang der altersstandardisierten Suizidrate mit den Sonneneinstrahlungsdauern im Januar (KK [P] = 0,36 im OsterreichweitenVergleich), und einen deutlich negativen Zusammenhang mit jenen im Juli (KK [P] = -0,30). Letzterer Befund entspricht grunds~tzlich den inhaltlichen, auf somatologische Befunde (siehe oben) gesttitzten Erwartungen (mehr Suizide in Mikroregionen ~_hnlicher gesellschaftlicher Struktur mit geringen Sonnenscheindauern gegen~ber diesbezt~glich begt~nstigteren),jener for den Monat Januar ist dagegen kontr~r dazu. Zu bedenken ist aber, dass Sonnenschein im Winter besonders in hochalpinen Lagen h~ufig ist, diese aber nicht gerade jene Regionen darstellen, in welchen ein GroBteil der jeweiligen BevOlkerung eines Bezirkes lebt. Insofern erscheint die Variable ,,Sonnenscheindauer im Januar" als ungeeigneter Indikator. Der Fragestellung des Zusammenhangs von Sonnenscheindauer und Suizidh~_ufigkeit im Osterreichischen Raum wird entsprechend dem Gesagten erst in kt~nftigen Studien ausreichend nachgegangen werden kOnnen; mOgliche Zusammenh~,ngevermutet der Verfasser dabei jedenfalls weit eher in langfristigen Einwirkungen (durchschnittliche Sonneneinstrahlungen am Wohnort tiber Jahre bzw. Jahrzehnte) als in kurzfristigen (etwa saisonalen) Schwankungen.
88
2 Zu Aufbau und Durchflihrung der Studie
oder gar nicht in Betracht gezogen wurden, werden dagegen in Kapitel 3, eingangs der Vorstellung der jeweiligen Ergebnisse, nfiher expliziert. T a b e l l e 10." Variable und Indikatoren im makrosozialen Untersuchungsteil 246
Variable
Indikator(en) (bezogen jeweils auf Bezirke)
Vermuteter Zusammenhang mit der Suizidrate
Topographische Situation
Anteil des Dauersiedlungsraums
negative Korrelation
Landschaflscharakter Urbanisierung
Anteil der Waldflfichen Bev61kerungsdichte
negative Korrelation
Gemeindegr6gen Geburtenziffer Demographische Entwicklung
Sterbeziffer Bev01kerungsverfinderung gesamt Anteil der Unter-15-Jfihrigen Anteil der 0ber-60-Jfihrigen
positive Korrelation negative Korrelation negative Korrelation positive Korrelation negative Korrelation negative Korrelation positive Korrelation
Familifire Desintegration
Anteil der Geschiedenen
positive Korrelation
Ethnisch-kulturelle Diversitfit
Anteil der Verwitweten Anteil auslfindischer StaatsbiJrger
positive Korrelation negative Korrelation
Religi6s-kulturelle Diversitfit
Anteil yon Katholiken Anteil von Evangelischen
negative Korrelation positive Korrelation negative Korrelation
Haushaltsstruktur
Anteil anderer Konfessionen Anteil von Konfessionslosen Anteil der Einpersonenhaushalte Anteil der 3- u. mehr Personenhaushal-
positive Korrelation positive Korrelation negative Korrelation
te
Wohnstruktur
Anzahl der Personen pro Haushalt
negative Korrelation
Anzahl der Bewohner pro Wohnung
negative Korrelation positive Korrelation
Wohnungen pro Gebfiude Nutzflfiche pro Bewohner Anteil der A-Kategorie-Wohnungen Anteil der C/D-Kategorie Wohnungen
negative Korrelation negative Korrelation positive Korrelation
246 Die in der Spalte der vermuteten Zusammenhange genannten Korrelationen sind wie folgt zu interpretieren: ,,Positive Korrelation": Bei h0heren Werten des jeweiligen Indikators (z.B. h0herem Waldflachen-Anteil pro Bezirk) iiegen tendenziell auch hOhere Suizidraten im entsprechenden Gebiet vor. ,,Negative Korrelation": Bei h0heren Werten des jeweiligen Indikators (z.B. Maturanten-Quote) liegen tendenziell niedrigere Suizidraten im jeweiligen Gebiet vor. Bei einem Teil der Variablen zur Haushalts- und Wohnstruktur lag zwar der Gedanke an einen m0glichen Zusammenhang nahe; da abet einander gegenlaufige EinfliJsse angenommen werden massen (mehr Personen pro Haushalt bedeutet einerseits weniger Isolation, andererseits tendenziell mehr ,,Ruralitat"), und ihre jeweilige Bedeutung kaum abwagbar erschien, wird fOr dieselben bier zunachst keine bestimmte Richtung der Korrelation postuliert.
2.2 Der makrosoziale Untersuchungsteil Variable
Indikator(en) (bezogen jeweils auf Bezirke)
Okonomisches Niveau SozioOkonom. Desintegration
Durchs. Arbeitnehmereinkommen Anteil der Arbeitslosen Anteil der Beschfiftigten in der Land- und Forstwirtschaft Anteil der Beschfiftigten im Produktionsbereich Anteil der Beschfiftigten im Dienstleistungsbereich Anteil der Selbstfindigen (gesamt) Anteil der Land- und Forstwirte Anteil der Arbeiter Anteil der Angestellten und Beamten Anteil der Erwerbstfitigen insgesamt Anteil der Akademiker Anteil der Personen mit Matura Anteil der Personen ohne Matura Anteil der Personen nur mit Pflichtschulabschluss Rate der praktischen ,X~rzte Rate der Psychotherapeuten Rate der psychiatrischen und neurologischen Fachfirzte Distanz des Bezirks zu einem stationfir-psychiatrischen Zentrum psychosozialer Versorgungsgrad im extramuralen Bereich (Steiermark) Rate der Alkoholtoten Rate der Verkehrstoten Rate der Unfalltoten insgesamt Rate d. fahrlfiss. K6rperverletzungen Rate der (allg.) KOrperverletzungen Rate der gravierenden KOrperverletzungen und der Morde
Erwerbsstruktur
Erwerbstfitigkeit (kollektives) Bildungsniveau
Allgemeinmed. Versorgung
Psychosozial-psychiatrischpsychotherapeutische Versorgung
(kollektives) Aggressionsniveau
89 Vermuteter Zusammenhang mit der Suizidrate negative Korrelation positive Korrelation positive Korrelation positive Korrelation negative Korrelation positive Korrelation positive Korrelation positive Korrelation negative Korrelation negative Korrelation negative Korrelation negative Korrelation positive Korrelation positive Korrelation negative Korrelation negative Korrelation negative Korrelation negative Korrelation negative Korrelation positive positive positive positive positive positive
Korrelation Korrelation Korrelation Korrelation Korrelation Korrelation
Nach der Untersuchung der hier aufgelisteten bivariaten Zusammenhfinge werden far jene Faktoren, far welche sich signifikante und inhaltlich relevante Ergebnisse zeigen, schlieBlich weitere Analysen durch Integration in multivariate Erklfirungsmodelle vorgenommen (Regressionsanalysen). 247
247Siehe hierzu 3.2.17.
90
2 Zu Aufbau und Durchfahrung der Studie
2.2.3 Methoden und Probleme der Datenerhebung und Datenauswertung Wie weiter oben schon festgestellt wurde, konnte vonder Statistik Austria sowie mehreren anderen Offentlichen Institutionen umfangreiches Datenmaterial zu den im Bereich der makrosozialen Analysen interessierenden Fragestellungen bezogen werden. Da dasselbe erfreulicherweise durchgfingig bereits in Form elektronisch verarbeiteter Daten verftigbar war, entfielen far diesen Studienteil aufwandige Eingabearbeiten. Allerdings mussten die zahlreichen, sehr unterschiedlich formatierten Tabellen und Listen zun~ichst in ein einheitliches Raster gebracht werden, um mathematisch-statistischen Berechnungen zug~nglich zu werden. Teilweise waren hierfar noch erhebliche, vorbereitende Prozesse der Datenaggregation abzuwickeln: So wurden die Daten der Todesursachenstatistik durch die Statistik Austria in der sehr detaillierten Klassifikation der bis zu vierstelligen ICD-Codierung tibermittelt, welche far weitere Analyseschritte erst zu bearbeitbaren Oberkategorien zusammengefasst werden mussten. Dabei kamen folgende Zuordnungen zur Anwendung: Als Suizide wurden, wie in der ICD vorgesehen, klassifiziert: Die Codes E950-959 der ICD 9 respektive die Codes X60-X84 der ICD 10. 248 Als ,,alkoholbedingte Todesf~ille" wurden, gemfi6 den Richtlinien des Osterreichischen Bundesinstituts far Gesundheitsforschung far ,,Kerndiagnosen" alkoholassoziierter Sterblichkeit 249, kategorisiert: Todesffille in Folge psychischer StOrungen durch Alkoholeinfluss (ICD 9: 291,303, 305.0; ICD 10: F 10) sowie Todesfalle aufgrund von durch Alkoholabusus bedingten Lebererkrankungen (ICD 9 571; ICD 10: K 70). Hiermit sind die wichtigsten, klar abgrenzbaren Kategorien alkoholbedingter Todesf~ille erfasst; es ist aber auch klar, dass zahllose weitere Todesf~ille in Folge von Alkoholabhfingigkeit eintreten, als deren unmittelbare Ausl0ser in der Todesursachenstatistik jedoch andere Erkrankungen, UnfNle usw. firmieren. Als Todesf~ille in Folge von Verkehrsunf~illen werden hier Nennungen der ICD-Codes E800-E849 (ICD 9) bzw. V01-V99 (ICD 10) verstanden; als sonstige tt~dliche Unf~ille die ICD-Codes E850-E949 (ICD 9) bzw. W00-X49 (ICD10). Hinsichtlich der Indikatoren far /3kologische Variable bereitete die Erfassung von Waldflfichen- und Dauersiedlungsanteilen keinerlei Probleme, da dieselben far alle gewtinschten Ebenen (Bezirke, Bundeslfinder) der Osterreichischen Flfichennutzungsstatistik 2000 entnommen werden konnten (allfallige Veranderungen im Zeitraum vor bzw. nach 2000 fallen quantitativ far die vorliegenden Zwecke nicht ins Gewicht). Demographische Indikatoren wie BevOlkerungsdichte, Geburtenziffern und Sterbeziffern der Jahre 2001 bis 2004 und Bevtilkerungsentwicklung in den Jahren 1991 bis 2001, aber auch die durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen pro Bezirk wurden tiber die ISIS-Datendank der Statistik Austria bezogen. Aus den Publikationen der Statistik Austria zur Volkszfihlung 200125~ waren die grundlegenden sozialstatistischen Daten (Alters- und Geschlechtsverteilung, Familienstand, StaatsangehOrigkeit und Geburtsland, Religionsbekenntnis) auch hinunter bis zur Bezirksebene (direkt von den beigelegten CD-Roms) entnehmbar, weiters auch Zahlenwerte far Angaben zur Haushalts- und Wohnungsstruktur sowie zur sektoralen 248Der voile Inhalt der International Classificationof Diseases ist sowohlfar die Version9 als auch far die Version 10 im Internet von verschiedenen Anbietern gratis abrufbar. 249 Vgl. etwa: Osterreichisches Bundesinstitut far Gesundheitswesen (Hg.), Burgenlandischer Gesundheitsbericht 2002. Eisenstadt 2003, S. 83. 250Statistik Austria (Hg.), Volksz~,hlung2001. Hauptergebnisse I - Osterreich. Wien 2002, Statistik Austria (Hg.), Volkszahlung 2001. Hauptergebnisse II - Osterreich. Wien 2004, Statistik Austria (Hg.), Gebaude- und Wohnungszahlung 2001. Hauptergebnisse Osterreich. Wien 2004.
2.2 Der makrosoziale Untersuchungsteil
91
Verteilung der Erwerbst~itigkeit, zur Berufsstellung (Arbeiter, Angestellte etc.) und zum Bildungsniveau. Die vom AMS gelieferten Daten zu den Arbeitslosenquoten mussten insofern n~iher interpretiert werden, als die nicht ganz der Gliederung der politischen Bezirke entsprechende Gliederung der Zahlenwerte nach Geschfiftsstellen des AMS an erstere angepasst werden musste. H i e r ~ r wurden insbesondere den ,,Umgebungs-Bezirken" ohne eigene regionale AMS-Geschfiftsstelle jene Zahlenwerte zugerechnet, die ftir die betreffenden regionalen Geschfiftsstellen in den urbanen Zentren ermitteln wurden. TM Ft~r einzelne Bezirke, in denen zwei regionale AMS-Gesch~ftsstellen bestehen (Bezirke Weiz und Baden), wurden weiters aus den angef0hrten beiden Werten Mittelwerte errechnet, umgekehrt Dr die beiden Bezirke Gtissing und Jennersdorf, fiar die lange nur eine regionale Geschfiftsstelle bestand, ein einheitlicher Gesamtwert ermittelt. Ohne gr0Bere Weiterbearbeitungen in die erstellte Gesamttabelle makrosozialer Faktoren einfliel3en konnten dagegen die Statistiken zur Anzahl von praktischen Arzten und Fachfirzten. Demgegeniaber mussten Bezirks- und Bundeslfindersummen for die Anzahl von in Osterreich - selbstfindig oder angestellt - berufstatigen Psychotherapeuten auf sehr aufwendige Weise aus Namens- und Adresslisten ermittelt werden, 2s2 da bereits in statistischer Form vorliegende Informationen ftir alle 0sterreichischen Bezirke und Bundeslander nicht zu erlangen waren. Die Anzahl der im betreuenden Bereich tfitigen Personen in extramuralen Zentren psychosozialer Versorgung konnte nur for die Steiermark flfichendeckend erhoben werden. Die Variable ,,Distanz zu einem station~ir-psychiatrischen Zentrum" wurde durch den Studienautor neu generiert, und zwar durch die Berechnung der Distanz der jeweiligen Bezirkshauptstadt zum nachstgelegenen 0ffentlichen psychiatrischen Krankenhaus (bzw. Klinik) gr0Beren Ausmaf3es (mehr als 100 Betten) zum Stand 2001. 253 Die Daten zur 0sterreichischen Kriminalitfitsstatistik wiederum konnten fiar die Jahre 2001 bis 2004 ebenfalls in aggregierter Form vom Bundesministerium f'Or Inneres bezogen werden. Alle genannten Daten wurden in eine Gesamttabelle in EXCEL-Format tibertragen und, wo n0tig, aus den absoluten Fallzahlen einwohnerzahlbezogene Raten errechnet (Raten je 100.000 bzw. je 1000 Einwohner). Weiters wurden for jene Variable, fur welche mehrere Datensatze zu einzelnen Jahren vorlagen (Geburten- und Sterbeziffem, Arbeitslosenquoten, spezifische Todesursachen, Anzahl von Gewaltdelikten, Anzahl von Arzten) Gesamtdurchschnitte berechnet, jeweils for den Zeitraum 2001 bis 2004, da ja auch die bezirksweisen Suizidraten, mit welchen diese Daten korreliert werden sollen, nur ftir diesen Zeitraum verftigbar sind. 254 Ftir etliche andere Variable konnten ja ohnehin nur jene Daten herangezogen werden, die anlfisslich der Volkszfihlung 2001 ermittelt wurden. Diese soziodemographischen Verhfiltnisse (ONACE-Struktur usw.) unterliegen allerdings auch nicht so raschen Ver~inderungen, als dass die Daten for 2001 nicht sinnvoll mit den Suizidraten der Jahre 2001 bis 2004 in Beziehung gesetzt werden kOnnten. 251 Es wurden also sowohl for den jeweiligen Stadtbezirk als auch ft~rjeweiligen Umgebungsbezirk die ftir die gemeinsamen ,,regionalen Gesch~ftsstellen" angegebenenWerte herangezogen. 25zDiese Listen sind yon der Internetseite des Bundesministeriums Mr Gesundheit und Frauen abrufbar. 253 Derartige psychiatrische Krankenanstalten und Kliniken bestanden im Untersuchungszeitraum an folgenden Often: Wien, Graz, Klagenfurt, Gugging, Amstetten-Mauer, Linz, Salzburg, Hall in Tirol, Innsbruck, Rankweil sowie Ybbs. Letztere Anstalt wurde in den Berechnungen aber nicht mitbert~cksichtigt, da in ihr, obwohl in Nieder0sterreich gelegen, ausschlieBlich Wiener Patienten behandelt werden, und dieselbe daher ft~r die ,,psychiatrische Nahversorgung" nicht relevant ist. 254Im Falle der Raten von praktischen Arzten und Fach~rzten wurde ein Durchschnitt Mr die Jahre 2001 bis 2003 berechnet, da neuere Daten nicht vorlagen.
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2 Zu Aufbau und Durchfahrung der Studie
Probleme der Datenqualit~.t der sekund~r auszuwertenden makrosozial-statistischen Indikatoren k6nnen an dieser Stelle nicht ausfahrlich diskutiert werden; auf die mit der Todesursachenstatistik insbesondere von Suizidenten verbundenen Schwierigkeiten wurde schon in Kapitel 1 hingewiesen. Generell ist aber festzuhalten, dass der Gro6teil der hier verwendeten Daten, da von der Statistik Austria oder anderen 6ffentlichen Institutionen in behOrdlicher Befugnis ermittelt, als sehr verlfisslich gelten kann, insbesondere in der Abbildung regionaler Differenzen, da von einigerma6en einheitlichen Erhebungsmethoden ausgegangen werden kann. Dass z.B. die Kriminalit~tsstatistik nur die angezeigten K6rperverletzungen angibt - und daher mit Sicherheit eine Dunkelziffer weiterer, amtlich unbekannt gebliebener Gewaltdelikte vorauszusetzen ist, aber auch eine gewisse Zahl von nur angezeigten Delikten, bei denen es schlie61ich auch zu keiner Verurteilung kam, und die vielleicht auch gar nicht stattgefunden hatten - stellt far die Verwendung dieser Daten in einer Korrelationsstatistik kein Problem dar, solange davon ausgegangen werden kann, dass das Verhfiltnis zwischen angezeigten und tatsfichlich vorgefallenen KOrperverletzungen in den einzelnen Regionen Osterreichs ungef~.hr gleich grog ist. Anhand der erhobenen Daten wurden sodann die geeignet erscheinenden Berechnungen mittels EXCEL sowie des statistischen Analyseprogramms SPSS ausgefahrt. Hierbei ist zuallererst die Errechnung v o n - rohen und altersstandardisierten, gesamten und geschlechtsspezifischen - Suizidraten far alle 6sterreichischen Bundeslfinder und Bezirke far die Jahre 2001 bis 2004 zu erw~hnen, sodann die Ermittlung von bivariaten Korrelationenund zwar sowohl far Osterreich insgesamt als auch far die Steiermark im Besonderen - zur Oberprfifung der welter oben angefahrten Hypothesen. Weiters wurden multivariate Regressionen berechnet, um die Zusammenhfinge zwischen mehreren Einflussfaktoren auf die Suizidrate ins Blickfeld zu bekommen. 255 Was die Analysen auf Bezirksebene betrifft, so ist hinzuzufagen, dass alle politischen Bezirke 0sterreichs als gesonderte Untersuchungseinheiten aufgefasst wurden, nicht aber die Wiener Stadtbezirke. Dies geschah aus zwei Granden: Zum einen lagen etliche Daten nicht gesondert far die Wiener Stadtbezirke vor, zum anderen stellen Unterschiede in vielen Parametern, erhoben zwischen Stadtbezirken, inhaltlich ein gegenfiber Unterschieden zwischen politischen Bezirken doch sehr verschiedenes Phfinomen dar: ,,Regionale" Differenzen z.B. der Arztedichte haben far kollektive Mentalitfiten wie auch handlungspraktisch eine andere Bedeutung, wenn sie sich in nur wenige Quadratkilometer grogen Stadtteilen manifestieren, deren Bewohner mehrere ,,Bezirksgrenzen" vielfach alltfiglich fiberschreiten, oder in Regionen, die von vielen ihrer Einwohnern nur gelegentlich verlassen werden.
2.3 Der mikrosoziale Untersuchungsteil 2.3.1
Die Datenbasis
Um fiber die nfiheren Lebensbedingungen der Suizidenten und damit auch t~ber m6gliche Ursachen far deren Handeln Aufschlfisse zu erhalten, erschien es n6tig, auch fallbezogene Daten fiber die Betroffenen zu erheben. W~.hrend die geplanten Analysen auf der Makro255Zu den angewandten Analysemethoden vgl. Diekmann, Empirische Sozialforschung, bes. S. 545-615, sowie: Klaus Backhaus et al., Multivariate Analysemethoden. Berlin u.a. 1994. Zur konkreten Umsetzung mittels SPSS vgl. bes.: Jul Martens, Statistische Datenanalyse mit SPSS far Windows. M0nchen-Wien2003.
2.3 Der mikrosoziale Untersuchungsteil
93
Ebene geeignet erscheinen, um regionale Differenzen der Suizidalitfit und ihrer sozialen und 6kologischen Bedingungen innerhalb Osterreichs zu beleuchten, erschlieBt sich die psychosomatische Bedingtheit des Phfinomens aufgrund der vorhandenen Datenstrukturen lediglich fiber eine solche Analyse von Individualdaten. Aber auch die konkrete Bestimmung des MaBes, inwieweit sozio6konomische Verhfiltnisse, die als ,,suizidfOrdernd" angesehen werden, tatsfichlich zu derartigen Ereignissen beitragen, lfisst sich nur fiber eine solche Mikro-Analyse durchfahren. Wie schon im vorangegangenen Abschnitt betont, kann zwar eine Korrelationsstatistik auf Makroebene, die z.B. einen statistischen Zusammenhang von Arbeitslosenrate und Suizidrate im interregionalen Vergleich belegt, sehr aussagekrfiftig sein, erlaubt far sich genommen aber keine Bestimmung, wie hoch nun der Anteil der tatsfichlich akut Arbeitslosen unter den Suizidenten ist, was im Hinblick auf Prfiventionsarbeit aber natfirlich einen zentralen Aspekt darstellt. Als Untersuchungsgesamtheit far den Mikro-Teil der Studie wurden, wie schon dargelegt, alle beh/Srdlich bekannt gewordenen, tatsfichlich vollendeten Suizidhandlungen in der Steiermark in den Jahren 1995 bis 2004 festgelegt. Daten hierzu konnten aus drei verschiedenen Formen von Quellen bezogen werden: 256 Zum einen aus der anonymisierten, fallbezogenen Matrix der amtlichen Todesursachenstatistik, welche dem Studienautor dankenswerterweise vonder Steiermfirkischen Landesstatistik (Amt der Steiermfirkischen Landesregierung, Fachabteilung 1C) zur Verfagung gestellt wurde; zum Zweiten aus den Akten fiber Suizidf~,lle der Gendarmerie- und Polizeibeh6rden im Bundesland Steiermark - auch far die M6glichkeit zur Bearbeitung derselben sei hier nochmals herzlich gedankt -; zum Dritten schlieBlich aus Daten, welche dankenswerterweise die in der Steiermark tfitigen Sozialversicherungsanstalten zur Verfagung stellten. Wie schon dargelegt wurde, waren allerdings sowohl zeitliche Ausdehnung als auch fiuBere Form der verfagbaren Informationen unterschiedliche; wfihrend die individualfallbezogenen Daten der Todesursachenstatistik far den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 dem Studienautor in elektronischer Form fibermittelt wurden, waren die Akten der Sicherheitsbeh6rden geschlossen erst ab dem Jahr 2000 verffigbar, auBerdem nur in schriftlicher Form. Die Aufarbeitung der fiber 1400 Suizidfalle in der Steiermark in den Jahren 2000 bis 2004 anhand des umfangreichen Aktenmaterials nahm dementsprechend besonders vie! Arbeitszeit in Anspruch, lohnte nach Auffassung des Studienautors aber aufjeden Fall, da in demselben zahlreiche, fiber die Todesursachenstatistik weit hinausgehende Informationen zu den Lebenslagen der an Suizid Verstorbenen enthalten sind. Auf rechtliche Aspekte der Arbeit mit diesen Akten wird weiter unten noch eingegangen; hingewiesen sei auch an dieser Stelle darauf, dass die entsprechenden Analysen natfirlich nur angesichts des Charakters als dem 6ffentlichen Interesse dienende Studie im beh6rdlichen Auftrag durchgefahrt werden konnten, und sich der Verfasser selbstverstfindlich zur Einhaltung der einschlfigigen Rechtsvorschriften, insbesondere der Verschwiegenheit fiber alles, was einzelne Personen identifizierbar machen k6nnte, sowie fiber amtsinterne Vorgfinge, verpflichtete.
256Versuche, aber diese drei Bezugsquellen von Informationenhinaus weitere Materialien zu den Suizidenten for die Zwecke der Studie Obermitteltzu bekommen, erwiesen sich ais nicht zielfahrend. Insbesondere auf Daten von weiteren Institutionen des Gesundheitswesens konnte angesichts der Zusammenarbeit mit den Sozialversicherungsanstalten schlieBlich verzichtet werden, ohne dass qualitative EinbuBen im insgesamt zur VerfOgungstehenden empirischen Material eintraten.
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2 Zu Aufbau und Durchfiihrung der Studie
Was die Daten der Sozialversicherungsanstalten betrifft, so war hier groBteils eine Ubermittlung in elektronischer Form, und dadurch verbesserte Arbeitseffizienz, mOglich; allerdings konnten entsprechende Informationen yon der Steiermfirkischen Gebietskrankenkasse lediglich ffir die Jahre 2002 bis 2004 zur V e r ~ g u n g gestellt werden, da ftir die Zeit davor keine far derartige spezifischen Recherchen nutzbaren Datenbanken existieren. Da nun aber der GroBteil aller Krankenversicherten GKK-versichert ist, musste sich eine Einarbeitung der entsprechenden Informationen generell auf die Jahre 2002 bis 2004 beschr~inken, weil nur ~ r diese Zeit Reprfisentativitat erreicht werden konnte. Dennoch ergeben auch diese Informationen wichtige zusfitzliche Aufschltisse, insbesondere tiber die 6konomischen Verhfilmisse und die genauere Krankengeschichte der Verstorbenen, zwei Aspekte, die in den Akten der Sicherheitsbeh6rden meist nur summarisch behandelt werden. Die genannten Daten aus diesen drei verschiedenen Kategorien 257 von Informationsquellen wurden anonymisiert, aber einzelfallbezogen in einer EXCEL-Datei zusammenge~hrt, um so, aber bloBe Hfiufigkeitsauszfihlungen zu einzelnen Merkmalen hinaus, bi- und multivariate Analysen mOglich zu machen.
2.3.2 Hypothesen und Erhebungsparameter Auf Grundlage des allgemeinen Forschungsstandes zur Epidemiologie des Suizids und unter Beachtung der im skizzierten Datenmaterial gegebenen Auswertungsmtiglichkeiten wurden zahlreiche Hypothesen auch for den mikrosozialen Bereich formuliert, die in der Studie tiberprtift werden sollen. Im Folgenden werden sie listenartig vorgestellt. Alle genannten Hypothesen werden anhand des erhobenen Materials tiberprOft; jedoch lassen sich, entsprechend den vorangegangenen Aus~hrungen, nicht alle Auswertungen an derselben Grundgesamtheit vornehmen, da zu manchen Parametern Daten ~ r alle steirischen Suizidenten der Jahre 1995 bis 2004 vorhanden sind, ~ r andere nur Informationen tiber jene der Jahre 2000 bis 2004 oder 2002 bis 2004; auch der Anteil fehlender Daten ist sehr unterschiedlich. Hierauf wird bei der ErOrterung der konkreten Auswertungen jeweils genau hingewiesen. Auch die Art der Datenauswertung wird eine verschiedene sein mtissen, je nachdem, welche Informationen zum betreffenden Aspekt insgesamt jeweils vorliegen. So wird nach MOglichkeit zu den einzelnen Parametern nicht nur eine Pr~ivalenzerhebung unter den Suizidenten g e b o t e n - also z.B. festgestellt, wie viele unter ihnen geschieDie Anzahl der konkreten lnstitutionen, von denen Informationsmaterial bezogen wurde, war nattMich viel gr0Ber: Im Bereich der Sicherheitsbehorden war, abgesehen vom Landespolizeikommando als wichtigstem Kooperationspartner, noch vor der Zusammenlegungvon Polizei und Gendarmerie die Aktenanalyse in der Bundespolizeidirektion Graz (heute StadtpolizeikommandoGraz) begonnen worden; weiters bearbeitete der Studienautor Akten direkt in verschiedenen Bezirkspolizeikommandenund Bezirkshauptmannschaften. Im Bereich der Sozialversicherungsanstalten wurden Daten von folgenden Institutionen bezogen: Steiermarkische Gebietskrankenkasse (STGKK); Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Landesdirektion Steiermark; Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA), Landesdirektion Steiermark; Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB), Landesdirektion Steiermark; Versicherungsanstaltfor Eisenbahnen und Bergbau (VAEB), Landesdirektion Steiermark; Versicherungsanstalt 6ffentlich Bediensteter (BVA), Hauptstelle Wien; Betriebskrankenkasse Donawitz, Betriebskrankenkasse Kapfenberg, Betriebskrankenkasse Kindberg, BetriebskrankenkasseZeltweg. Bei wenigen weiteren Krankenversicherungsanstalten mit sehr geringen Versichertenzahlen in der Steiermark - for diese ist anzunehmen, dass in den Jahren 2002 bis 2004 niemand bzw. allenfalls ein oder zwei Versicherte dutch Suizid verstorben waren - wurde wegen des im Vergleich zu den erwartbaren Ergebnissen hohen Aufwands auf eine Erhebung verzichtet; negative Auswirkungen auf die Reprasentativit~t der Gesamterhebung sind dabei auszuschlieBen. 257
2.3 Der mikrosoziale Untersuchungsteil
95
den oder wie viele arbeitslos waren -, sondem es werden die erhobenen Daten in Bezug zu entsprechenden Informationen fiber die GesamtbevOlkerung gesetzt. Erst dadurch werden die erhobenen Zahlen ja inhaltlich bedeutsam, wenn etwa festgestellt werden kann, dieses oder jenes Merkmal liege unter den Suizidenten deutlich haufiger oder weniger haufig vor als im Durchschnitt der GesamtbevOlkerung; hieraus lassen sich dann spezifische ,,Risikogruppen" ableiten. Solche Uberprfifungen werden sich aber far unterschiedliche Bereiche in unterschiedlichem Ausmal3 vomehmen lassen; wahrend etwa far demographische Grundvariable Alter, Geschlecht, Familienstand, Staatsbt~rgerschaft, aber auch far Variable wie Ausbildungsniveau und Erwerbsstatus anhand von Volkszahlungsdaten und anderen Erhebungen sehr verlassliche Vergleichsdaten far die Gesamtbev61kerung vorliegen, und so exakte Ermittlungen des Relativen Risikos (MaBzahl RR) far Suizid mOglich werden, 258 ist dies far andere Parameter, darunter inhaltlich sehr bedeutsame, nicht der Fall. Far manche derselben, etwa die Haufigkeit bestimmter psychischer und somatischer Erkrankungen, z.B. Depression, Alkoholismus, Krebserkrankungen, kann aber zumindest auf in anderen Studien erhobene Hochrechnungen bzw. seriOse Schatzungen der allgemeinen Pravalenz (far den steirischen Raum, oder, als annahernde Vergleichsbasis, far Osterreich insgesamt) zurtickgegriffen werden, sodass ein ,,approximatives Relatives Risiko" angegeben werden kann. Far einige andere inhaltlich relevante Variable, etwa das Vorliegen stationarer psychiatrischer Aufenthalte oder subjektiver Beeintrachtigungen wie Schmerzempfindungen, stehen dagegen ft~r einen stringenten Vergleich heranziehbare quantitative Angaben far die Merkmalsverteilungen in der AllgemeinbevOlkerung nicht zur Verfagung. Einige Variable wiederum, die ebenfalls groBes inhaltliches Interesse beanspruchen, lassen sich per definitionem nur bei Suizidenten erheben - etwa die Methode und die Ortlichkeit des Suizid, oder die Frage einer ,,Suizidanktindigung", undes wt~rde allenfalls eine vergleichende Analyse zwischen den Klassen der ,,vollendeten" Suizide und der Suizidversuche m6glich sein. Die vorliegende Studie muss sich aber auf die Analyse der vollendeten Suizide beschranken, und far die Kategorie der ,,tiberlebenden" Suizidenten wurden, jedenfalls im 6sterreichischen Raum, die entsprechenden Parameter noch niemals erhoben. In diesen Fallen k6nnen die erhobenen Daten also zunachst nur far sich stehen. Sie werden im Weiteren aber auch in differenzierende Verfahren zur Unterscheidung von Teilpopulationen der Suizidenten einbezogen. Umseitig werden in Tabelle 11 alle Erhebungsvariablen sowie jene Hypothesen kurz angefahrt, die sich auf bivariate Zusammenhange zwischen Suizidrisiko und verschiedenen m6glichen Einflussvariablen, und deren etwaigen regionalspezifischen Unterschieden beziehen. Angesichts des grogen Umfangs der zu untersuchenden Parameter im Zusammenhang mit individuellen Suizidrisiken ergibt sich im Weiteren eine immense Anzahl an mOglichen Untersuchungen tiber bestimmte Merkmalskombinationen unter Einbeziehung von mehreren Variablen, welche selbst nach Ausscheidung von nach Analyse der bivariaten Zusammenhange offensichtlich keinen oder kaum Erkenntnisgewinn versprechenden Variablen noch ausgesprochen hoch bleibt. Es werden daher nur einige besonders vielversprechende Auswertungen durchgefahrt, die im Einzelnen nicht an dieser Stelle angefiahrt werden sollen, sondern im Verlauf der ErOrterung der Studienergebnisse selbst, vielfach zunachst als plurivariate Analysen im Anschluss an die Untersuchung yon Zusammenhangen eines einzelnen Parameters mit dem Phanomen letaler Suizidalitfit. 258
Vgl. zur Methodiketwa: Gordis, Epidemiologie.
96
2 Zu Aufbau und D u r c h ~ h r u n g der Studie
Tabelle 1 1 Variable im mikrosozialen Untersuchungstei1259 Aspekt/Variable
Erhebungsvariable
Fragestellung/Hypothese
Zeitliche Verteilung
Jahr des Suizids Monat des Suizids
zeitlicher Trend? saisonales Muster?
Tag des Suizids
Hfiufung an Feiertagen?
Regionale Verteilung
Wohnbezirk Ereignisbezirk des Suizids
geographisches Muster? geographisches Muster?
Mikroregionale
Verhfiltnis dieser beiden Variablen Wohngemeinde
,,Suizidtourismus"? mikroregionale Hfiufungen?
Verteilung
Wohnortgr013e der Ereignisgemeinde
UG zuungunsten sehr kleiner Gemeinden und kleineren Stfidten
Geschlechterverteilung
Geschlecht Geschlechterverteilung nach Bezirken
UG zuungunsten der Mfinner geographische Muster?
Altersverteilung
Alter (in Jahren)
UG zuungunsten der J~lteren
Altersverteilung nach Bezirken
geographische Muster?
Familienstand Partnerschaftsstatus
UG zuungunsten Geschiedener u. Verwitweter UG zuungunsten Partnerloser
Elternschaft
UG zuungunsten Kinderloser
Familienstruktur
Versicherung
Sozialversicherungsstatus
Ungleichverteilung?
Erwerbsmodi
Erwerbsstatus
UG zuung, best. Erwerbsgruppen
Berufstfitigkeit
Art der Berufstfitigkeit Berufspositionen
UG zuung, best. Berufsgruppen UG zuungunsten der obersten u. niedrigsten Rfinge (U-Funktion)
Bildung
Ausbildungsniveau
UG zuungunsten der obersten u. niedrigsten Rfinge (U-Funktion)
Einkommen
Einkommen
UG zuungunsten der obersten u. niedrigsten Rfinge (U-Funktion)
Berufliche Biographie
Berufskarriere
Get'~,hrdung bei ,,sozialem Abstieg"
Geburtsstaat
UG zuungunsten ,,Osterreicher"
Geburtsregion
ethnisch-kulturelle Muster? Geburtsbezirk
geographische Muster?
2~9Die Abkt~rzung ,,UG" meint: ,,Ungleichverteilung". Die Erhebungsvariablen beziehen sich jeweils auf einzelne Suizidenten. Einige wenige der ft~r die Untersuchung vorgesehenen Variablen, so die Elternschaft der Suizidenten, liel~en sich nur sehr ltickenhaft erheben, die Ergebnisse sind in diesen Fallen daher nur bedingt aussagekraftig. Siehe dazu, sowie generell zu Problemen der Operationalisierung, die Ausftihrungen des folgenden Abschnitts sowie die betreffenden Erl~uterungen im Ergebnisteil. Eine Zusammenfassung der Variablen Beruf, Bildung und Einkommen zu einem Schichtindikator unterblieb schon wegen der jeweils sehr verschiedenen Datenlagen.
2.3 Der mikrosoziale Untersuchungsteil
97
Aspekt/Variable
Erhebungsvariable
Fragestellung/Hypothese
Staatsbt~rgerschaft
Staatsbfirgerschaft
Konfession
ReligionszugehOrigkeit
Delinquenz
Hfiufigkeit d. Delinquenz Arten der Delinquenz Hfiufigkeit bekannter psychischer Erkrankungen Formen psychischer Erkrankungen Hfiuf. psychiatrischer Behandlungen Dauer psychiatrischer Behandlungen Abstand psychiatrischer Behandlungen zum Suizid H~iuf. bekannter Suizidversuche
UG zuungunsten von ,,Inlfindern" ethnisch-kulturelle Muster? UG zuungunsten Konfessionsloser religi6s-kulturelle Muster? Delinquenten als Risikogruppe
Psychische Krankheit
Suizidversuch
Suchterkrankung
KOrperliche Krankheit und Beeintrfichtigung
Weitere psychosoziale Bedingungen
psychologischmentale Aspekte
Umstfinde der Suizidhandlung
Hfiufigkeit bekannter Suchterkrankungen/Beeintdichtigungen Formen yon Suchterkrankungen H~iufigkeit bekannter k6rperlicher Erkrankungen/Beeintrfichtigungen Formen k6rperlicher Erkrankungen Hfiufigkeit stationfirer Behandlungen wegen somat. Erkrankungen Dauer stationfirer Behandlungen wegen somatischer Erkrankungen Abstand stationfirer Behandlungen wegen sore. Erkrankungen zu Suizid Soziale Isolation Belastende Familienverhfiltnisse Belastende Wohnverhfiltnisse Belastende Arbeitsverhfiltnisse Belastende finanzielle Verhfiltnisse And. belastende soziale Verhfiltnisse Belastende mentale Zustfinde Zustfinde reduzierter Selbstkontrolle Suizidankandigungen Abschiedsbriefe Ortlichkeit des Suizids Suizidmethode
psychisch Kranke als Risikogruppe nfihere Erhebung/ eventuell relevant far PrfiventionsmaBnahmen Personen mit frt~heren Suizidversuchen als Risikogruppe Suchtkranke als Risikogruppe
K6rperlich Kranke/Behinderte als Risikogruppe
n~,here Erhebung/ eventuell relevant far PrfiventionsmaBnahmen
n~ihere Erhebung/ eventuell relevant far PrfiventionsmaBnahmen n~ihere Erhebung/ eventuell relevant fi~r PrfiventionsmaBnahmen nahere Erhebung/ eventuell relevant far PrfiventionsmaBnahmen
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2 Zu Aufbau und Durch~hrung der Studie
Ein spezifischer Aspekt ist weiters die Untersuchung potentieller Einflussfaktoren auf dasselbe nach regionalspezifischen Differenzen. Insbesondere soil aber durch einen im engeren Sinn ,,multivariaten" Ansatz versucht werden, die Gesamtheit der untersuchten Suizidfalle anhand einer Vielzahl inhaltlich relevanter und methodisch geeigneter Kriterien einer Typologisierung zu unterziehen. Von diesem Auswertungsschritt erwartet sich der Studienautor im Hinblick auf m/Sgliche Prfiventionsstrategien besonders relevante Aufschlt~sse, da und dies ist die zugeh0rige, freilich zunfichst allgemein zu haltende Hypothese - anzunehmen ist, dass sich mehrere, deutlich unterscheidbare Typen von Suizidenten ,,herauskristallisieren" lassen. Far dieselben lassen sich dann auch wiederum die jeweiligen Anteile an der gesamten Suizid-Mortalitfit im Land angeben. Konkret geht der Verfasser- anhand bereits vorgenommener Analysen - davon aus, dass sich - neben etwaigen weiteren - folgende Typen von Suizidenten abgrenzen lassen: 9
9
9
9 9
9
Altere, nicht mehr erwerbstfitige Menschen mit Problemen vor allem im familifiren Bereich (Tod oder Krankheit des Partners; Vereinsamung) sowie hinsichtlich ihrer k6rperlichen und psychischen Gesundheit. Menschen mittleren Alters mit Problemen vor allem im Bereich von (bestehenden oder ehemaligen) Partnerbeziehungen und im sozio/Jkonomischen Bereich (Arbeitslosigkeit, geringer Sozialstatus), teils zusfitzlich mit Erkrankungen im psychischen bzw. Suchtbereich Menschen, die vor allem aufgrund ,,introvertierten Charakters" in sozial problematischen, isolierten und vielfach auch/Skonomisch deprivierten Situationen lebten, teils auch manifeste psychische oder k0rperliche Krankheiten aufwiesen Menschen, die primfir an Suchterkrankungen litten, ohne dass weitere gravierende Probleme bekannt geworden wfiren Menschen, die wegen schwerer psychischer Erkrankungen in langfristiger psychiatrischer Behandlung waren, vielfach mit zusfitzlichen familifiren, beruflichen und anderen Problemen Menschen, far deren Suizide - von au6en betrachtet - nur wenig nachvollziehbare Grande zu eruieren sind - z.B. Partnerverlust, wobei ansonsten keinen gravierenderen pers6nlichen Schwierigkeiten bekannt sind, oder- typischstes Beispiel - Fahrerscheinverlust bei ,,objektivem" Fehlen anderer schwerer Beeintr~chtigungen
Zur Oberprafung der Plausibilit~t solcher Typologien werden zum einen explorative Verfahren der Clusteranalyse angewandt, zum anderen aber gezielte ,,Differenzanalysen" durch Teilung der Gesamtheit der untersuchten Ffille nach dem Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der thematisierten Merkmale bzw. Merkmalskombinationen.
2.3.3 Methoden und Probleme der Datenerhebung und Datenauswertung Wie bereits betont wurde, ist der zeitliche Rahmen, innerhalb welcher die Analysen durchgeft~hrt werden konnte, ein verschiedener, je nachdem, ob die betreffenden Merkmale in der offiziellen Todesursachenstatistik erfasst sind oder nicht. Teile der Auswertungsergebnisse beziehen sich daher auf den Gesamtzeitraum 1995-2004, andere nur auf die Jahre 20002004 oder gar - im Falle der von den Sozialversicherungen gestellten Informationen - auf
2.3 Der mikrosoziale Untersuchungsteil
99
den Zeitraum 2002-2004. In allen drei Varianten ist aber die Menge der jeweils untersuchten Suizidf'alle so gro6 (mindestens 765 Ffille), dass statistisch aussagekrfiftige Berechnungen zu den beschriebenen Fragestellungen m6glich sind, und die Ergebnisse k6nnen auch als far die aktuelle Situation relevant gelten. Far den Bereich der Mikro-Erhebung gilt natarlich ebenso wie far jenen der MakroZusammenhfinge, dass eine wesentliche Aufgabe der Datenaufbereitung zunfichst in der Erfassung aller relevanten Informationen in einer einheitlichen Datenmatrix bestand. Hierfar wurde far die Aktenanalyse zunfichst das Format einer ACCESS-Datei gewfihlt, welches promptere Dateneingabe aus heterogenem, nicht elektronisch vorliegendem Basismaterial erlaubt, wie es die Akten der Sicherheitsbeh/3rden darstellten. Parallel dazu wurden die, grogteils bereits elektronisch abermittelten Informationen der Sozialversicherungsanstalten zunfichst in einer EXCEL-Datei erfasst, und schlieglich aus diesen beiden Teilen eine einheitliche Tabellendatei erstellt, mit welcher in allen relevanten Analyseprogrammen, namentlich EXCEL und SPSS, operiert werden konnte. Bei der Datenerfassung stellte sich hier natarlich noch weit mehr als far den Bereich der Makro-Erhebungen, die im Wesentlichen auf bereits standardisierte Merkmale und Indikatoren zurt~ckgreifen konnten, das Problem der Operationalisierung der Untersuchungsvariablen und der sachgerechten Codierung der einzelnen Ausprfigungen, da hiervon ja die M6glichkeit valider, aussagekrfiftiger Interpretation wesentlich abhfingt. Die essentiellen Hinweise zur Operationalisierung der zahlreichen untersuchten Einzelkriterien werden - um Wiederholungen zu vermeiden - im Ergebnisteil angefahrt; jedoch seien hier die wichtigsten aufgetretenen Probleme der Datenerfassung und -auswertung in genereller Weise thematisiert, um schon jetzt den Grad der Zuverlfissigkeit und Galtigkeit der in der Folge prfisentierten Untersuchungsergebnisse deutlich zu machen: Sowohl der Schritt yon der inhaltlich interessierenden Gr66e hin zum konkret fassbaren Untersuchungsmerkmal als auch die Klassifizierung von dessert einzelnen Auspr~.gungen war ein je nach betrachtetem Aspekt unterschiedlich schwieriges Unterfangen: So lassen sich Sterbejahr, Wohnort, Ereignisort des Suizids, Versicherungszugeh/3rigkeit, Geschlecht, Alter, Familienstand, Geburtsort und Staatsbargerschaft in zumindest nahezu allen Suizidfallen zweifelsfrei und intersubjektiv eindeutig feststellen, und zwar aufgrund der- von seltenen Ausnahmen abgesehen - Einfachheit und/oder klaren und allgemein anerkannten Definition dieser Kriterien in unserer Gesellschaft. Far die Mehrzahl der zu untersuchenden, bedingenden Faktoren far Suizidalitfit liegen die Verh~ltnisse aber nicht so einfach, was an intrinsischen oder an erhebungstechnischen Granden liegen kann. So ist die Erhebung von ,,sozialer Isolation" an sich mit gewissen Unwfigbarkeiten verbunden, will man den Begriff in der Operationalisierung nicht ausgesprochen reduktiv behandeln, und z.B. nur nach der Anzahl der im selben Haushalt lebenden Personen fragen. Demgegentiber wfire die Erhebung des Religionsbekenntnisses eigentlich unproblematisch; denn damit ist ja nicht individuelles Ma6 und Ausgestaltung von ,,Religiositfit" gemeint - tiber welche Bescheid zu erlangen nattirlich noch weit interessanter wfire, was aber im Rahmen dieser Untersuchung nicht realisierbar war - sondern die ,,theoretisch" eindeutig bestimmbare konfessionelle Zugeh6rigkeit. In praxi zeigte sich aber, dass die Todesursachenstatistik diesen spezifischen Parameter nicht gerade in vorteilhafter Weise erhebt, und die Akten der Sicherheitsbeh6rden hierzu ebenso nicht in v611ig verlfisslicher und ltickenloser Weise Auskunft geben.
100
2 Zu Aufbau und Durchfiihrung der Studie
Bei den zahlreichen Faktoren, welche in der Todesursachenstatistik gar nicht aufscheinen, hangt der Grad der Verlasslichkeit dann nattirlich ganz yon der Gestalt des herangezogenen Materials von SicherheitsbehOrden und Sozialversicherungen ab. Dabei sind auch deutliche Unterschiede zwischen diesen beiden Informationsquellen zu beachten: Die Materialien der Kranken- und Pensionsversicherungsanstalten sind - was die hier interessierenden Aspekte betrifft - weit weniger umfassend, d a ~ r aber in homogenerer Form gegeben. Allerdings sind auch sie - aberraschenderweise - mit betrachtlichen Lticken behaftet: So war ein betrachtlicher Teil der steirischen Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 - 48 von 765, also ca. 6 % - offensichtlich, zumindest in den letzten Lebensjahren, aberhaupt nicht sozialversichert - an sich schon ein ganz bemerkenswertes Ergebnis, auf das noch zurackzukommen sein wird! Aber auch ftir gewisse Personen mit aufrechtem Versicherungstatus vor ihrem Tod waren manche Informationen nicht verftigbar. Systematische Fehldaten konnten in diesem Bereich glacklicherweise weitgehend vermieden werden; einzige Ausnahme stellen die etwa 50 BVA-Versicherten dar, far welche zu etlichen Untersuchungsvariablen keine Informationen verftigbar waren, weil diese in der Versicherungsanstalt /3ffentlich Bediensteter gemal3 Auskunft derselben nicht erhoben werden (wie etwa Dienstort und Art der Berufstatigkeit!). 26~ Was die Akten der Sicherheitsbeh{Srden betrifft, so konnte auch hier zwar keine vOllig vollstandige Datenerhebung erreicht werden, far den Zeitraum 2000 bis 2004 lie6en sich aber immerhin zu 92 % aller belegten Suizidfa, lle von Personen mit Wohnort in der Steiermark Akten der Sicherheitsbeh0rden noch auffinden und bearbeiten. Da hierbei keine regionalen oder sonstigen Schwerpunkte von fehlenden Daten sichtbar wurden, kann von der Reprasentativitat dieses Materials ausgegangen werden. Allerdings enthielten die betreffenden Akten nicht zu allen interessierenden Parametem gleicherma6en vollstandige und verlassliche Informationen. Hierbei konnte generell festgestellt werden, dass samtliche Aspekte sehr detailliert behandelt wurden, welche ftir die Faktizitgit des Suizids, also die Feststellung, ob es sich tatsachlich um einen Suizid handelte, von gro6er Bedeutung waren. Es werden also etwa Ort und Zeit des Todesfalls, die Umstande der Auffindung der Leiche, die Beschaffenheit des Tatorts und die ermittelte Suizidmethode gewOhnlich sehr prazise auseinandergesetzt. Angaben zu den mutmaNichen Ursachen der Suizidhandlung dagegen fehlen zwar nur in sehr seltenen Fallen in den Akten v011ig, sind aber gew/3hnlich nicht sehr ausfahrlich. Als sozialwissenschaftlich geschulter Leser dieser Akten bekommt man vor allem den Eindruck, dass in vielen Fallen nur solche Ursachen in den polizeilichen Tatigkeitsberichten angefiihrt werden, welche besonders augenf~illig waren. Insbesondere wird yon Seiten der erhebenden Beamten das Phanomen der Multikausalitat meist natarlich nicht in jenem Ma6e gewtirdigt, wie dies etwa eine interdisziplinare Expertengruppe aus Psychiatern, Psychologen und Sozialwissenschaftern bei retrospektiven Suizidanalysen tun warde. Dies ist freilich v011ig verstandlich, handelt es sich ja nicht um die primare Aufgabe der Sicherheitsbeh6rden in ihrer einschlagigen Akten~hrung, ein mOglichst schlt~ssiges Ursachengeft~ge einer Suizidhandlung for etwaige spatere wissenschaftliche Analysen zu entwerfen, sondern soll mit der Anfiihrung von ,,Selbstmordursachen" ja hauptsachlich 260Zudem war seitens der BVA bedauerlicherweise nicht eine individualdaten-bezogene Informationsabermittlung erfolgt, sondern lediglich eine bereits aggregierter Daten zu den Betroffenen. Immerhin war es abet m0glich, anhand der 0bermittelten Gesamtdaten fOr alle BVA-versicherten Suizidenten insbesondere im Hinblick auf die GehWter den einzelnen Fallen Durchschnittswerte zu substituieren, sodass zumindest die anzunehmende sozio0konomische Differenzlage dieser Subgruppe von Betroffenen gegent~berder Gesamtheit in die weiteren Berechnungen adaquat einbezogen werden konnte.
2.3 Der mikrosoziale Untersuchungsteil
101
lediglich die Plausibilitfit der Klassifizierung des zu beurteilenden Todesfalls als ,,Suizid" unterstatzt werden, welche aber primfir vom ,,technischen" und medizinisch-pathologischen Befund der Situation abhangt. Es gibt nun aber keineswegs gent~gende Grande dafar, denjenigen Suizidursachen, die amtlich ermittelt wurden, generell zu misstrauen, wie dies in der sozialwissenschaftlichen, aber auch medizinisch-psychologischen Suizidforschung, mindestens seit Durkheims einschl~,giger Kritik, leider allzu ablich wurde. 261 Mag es zu Durkheims Zeiten noch tatsfichlich eine gewisse allgemeine Tendenz zu allerlei Verfalschungen von entsprechenden beh0rdlichen Ermittlungsergebnissen zur ,,Schonung der Familie" der Suizidenten, zur Vermeidung ,,0ffentlichen Skandals" usw. gegeben haben, so fallen derartige Aspekte heute meist wohl weg. Die Erhebungsakten sind selbstverstfindlich nicht/Sffentlich einsehbar, und im Normalfall erfolgen auch keine Pressemitteilungen aber Suizide, in welchen einschlfigige Indiskretionen eine Rolle spielen k/Snnten. 262 Mit teilweiser Ausnahme von sehr traditionell-d/Srflichen Umgebungskontexten ist zudem ein pers0nlicher Bezug zwischen ermittelnden Beamten und dem Suizidopfer bzw. dessen Angeh0rigen heute selten geworden. Die gezielte Verheimlichung oder Verfalschung von Untersuchungsergebnissen in den Polizeiakten selbst darfte daher wohl nur in Ausnahmefgllen ein Problem darstellen. Dies bedeutet umgekehrt natarlich nicht, dass dieselben eine - in welchem Sinn auch immer gedachte -,,absolute Wahrheit" enthalten warden. Aber um solche ,,totale Objektivit~.t" geht es ja, zumindest in der Sozialwissenschaft, ohnehin schon lange nicht mehr. Die untersuchten Materialien enthalten - wenigstens nach Auffassung des Studienautors - dennoch etwas ganz Zentrales, nfimlich - wenn auch in einer spezifischen Variante - die allgemein-gesellschafiliche Wahrnehmung von
Suizidfdillen.
Was hier gemeint ist, soll sogleich an einem Beispiel ausgeft~hrt werden: Wenn in den Polizei- und Gendarmerieakten nut fflr etwas mehr als 50 % der Ffille eine psychische Erkrankung der Suizidenten zum Zeitpunkt ihres Todes erwfihnt wird, so bedeutet dies natarlich nicht, dass ,,tats~.chlich" nur die Hfilfte der Betroffenen psychisch krank gewesen wfiren. Vielmehr ist aus mit retrospektiver psychiatrischer Diagnostik operierenden Studien bekannt, dass eine expertuelle Analyse far fast alle Betroffenen mehr oder minder starke psychopathologische Symptome rekonstruieren kann. Aber hierbei handelt es sich ja auch um eine besondere Perspektive, nfimlich jene der medizinischen Wissenschaft. Far die Erfassung des ,,Alltagswissens" t~ber die Erkrankungen der Betroffenen und fihnliche Bereiche jedoch sind die Akten der Sicherheitsbeht~rden dagegen eine hervorragende Quelle. Es geht zwar aus der Inhaltsanalyse derselben durch den Verfasser eindeutig hervor, dass einerseits diese Berichte bei der Feststellung von psychischen Erkrankungen in manchen F~llen auf Gegebenheiten rekurrieren, welche nur dem engsten Familienkreis des Betroffenen oder einzelnen Vertrauenspersonen bekannt waren, und andererseits auch in manchen Ffillen, wo das Vorliegen einer psychischen Krankheit auch dem weiteren sozialen Umfeld sicherlich bekannt gewesen war, solches in gewissen Akten nicht verzeichnet wird. 263 Dessen ungeachtet kann aber davon ausgegangen werden, dass in der groJ3en Mehrzahl der amtlich untersuchten Suizidfalle dann eine psychische Erkrankung - etwa Vgl. Durkheim, Der Selbstmord, bes. S. 157-161. 262Ausnahmen sind Suizide Prominentersowie ,,spektakulare", meist mit Gewaltverbrechen verbundene Selbstt0tungshandlungen, beides insgesamt seltene Ereignisse. 263Dieser Umstand erschlieBt sich im Einzelfall etwa t~bereinen Vergleich der im Akt selbst enthaitenen Angaben mitjenen des zugeh0rigen ,,Vorfallenheitsberichts" an die zustfindige Bezirkshauptmannschaft. 261
102
2 Zu Aufbau und Durchfiahrung der Studie
,,Depressionen" - im Akt verzeichnet wird, wenn dieselbe sozial wahrgenommen wurde. Richtig interpretiert, lassen sich hieraus wichtige Aufschlfisse gewinnen: Die Kategorie der in den Akten als ,,psychisch krank" klassifizierten Suizidenten stellt also nicht die Gesamtheit aller als ,,psychisch krank" klassifizierbaren an Suizid Verstorbenen dar, wohl aber, wenigstens annfihemd, jene, deren Krankheit bereits vor deren Tod sozial existierte, die also etwa bereits in psychiatrischer oder auch allgemeinmedizinischer Behandlung wegen ,,Depression", ,,Schizophrenie" o.~i. gestanden hatten, oder deren Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn oder sonstige anlfisslich der sicherheitsbeh6rdlichen Erhebung befragte Auskunftspersonen zumindest plausible Annahmen fiber das Vorliegen solcher Erkrankungen geauBert hatten, etwa weil das Verhalten der Betroffenen sich in der Zeit vor dem Suizid verfindert hatte, weil sie selbst sich als psychisch krank bezeichnet hatten u.fi. Ahnliche Erwfigungen, wie sie hier beispielhaft for die zentrale Erhebungskategorie ,,psychische Krankheit" prfisentiert wurden, mussten natarlich auch bei den meisten anderen untersuchten Parametern hinsichtlich der Interpretation ihrer Reprfisentation in den sicherheitsbehOrdlichen Akten angestellt werden. Festgehalten sei an dieser Stelle hierzu noch eine wichtige Oberlegung: Wenn auch die erhobenen Anteilswerte meist nicht die ,,volle Wahrheit" (gedacht unter idealen Erhebungsbedingungen) widerspiegeln, so doch Mindestwerte. Es ist nfimlich anzunehmen, dass z.B. hinsichtlich der Verbreimng von Suchterkrankungen doch etliche nach den Regeln der Medizin als ,,Alkoholiker" zu klassifizierende Personen in den Ermittlungsakten in keiner Weise mit Alkoholismus in Zusammenhang gebracht werden, weil ihr regelmfiBiger Alkoholkonsum ,,sozialvertrfiglich" war oder fiberhaupt niemandem bekannt. Umgekehrt ist es aber kaum vorstellbar, dass in den beh/3rdlichen Akten fiber ein Suizidopfer von dessen Alkoholismus als m0glicher Suizidursache berichtet wird, obwohl der Betroffene in Wirklichkeit so gut wie nie Alkohol trank! 264 Gewisse Schwierigkeiten ergaben sich selbstverstfindlich auch bei der Interpretation der meisten anderen mikrosozialen Variablen, auch jener vermeintlich ,,sachbezogeneren" wie etwa der Berufszugeh6rigkeit. Abgesehen von fehlenden Angaben ist hier vor allem mit uneindeutigen und widersprtichlichen (!) Informationen umzugehen gewesen. Ausgenommen den Bereich der ange~hrten Suizidmotive und-ursachen, wo natfirlich wegen der Offenheit der Fragestellung im Allgemeinen nicht rfickwirkend festgestellt werden kann, ob eine Angabe ,,fehlt" - daher sind bei den hierzu ermittelten Werten relativ hohe ,,Dunkelziffern" anzunehmen - wurden aber in den Auswertungen nur solche Erhebungsparameter berficksichtigt, far welche ein zur Erzielung verlfisslicher Analyseergebnisse ausreichend hoher Vollst~indigkeitsgrad an vorliegenden Daten far die gesamte Steiermark erreicht werden konnte. Die Auswertung der auf Mikroebene gewonnenen Informationen erfolgte zunfichst univariat, durch Ermittlung der H~iufigkeiten Dr sfimtliche Parameter, sodann wurden, soweit m~Sglich, aus der Relation der Anteilswerte in der Kategorie der Suizidenten gegentiber exakt oder wenigstens sch~itzungsweise bekannten Verteilungen in der Grundgesamtheit spezifische Suizidrisiken und zugeh6rige spezifische Suizidraten berechnet. Es wurden also z.B. zunfichst die absoluten Hfiufigkeiten der einzelnen Ausprfigungen von ,,Familienstand" ermittelt und die ihnen entsprechende prozentuale Verteilung in der Untersuchungseinheit der Suizidenten. Sodann wurden die ermittelten Werte den absoluten bzw. prozentuMan m0sste schon ziemlich abwegige Konstellationen der Informationsgenese in den Akten konstruieren, um solche Falle vorstellbar zu machen - Es mag auch sie wohl dennoch gelegentlichtatsachlich geben, aber sicherlich nur in einem quantitativ vOlligirrelevanten AusmaB.
264
2.4 Spezifische Probleme sozialwissenschaftlich-empirischer Suizidforschung
103
ellen H~iufigkeiten Lediger, Verheirateter, Geschiedener und Verwitweter in der steirischen GesamtbevOlkerung gegentibergestellt. Diese Vergleichsdaten wurden Dr die jeweils das Beginnjahr der entsprechenden Teilerhebung markierenden Zeitabschnitte herangezogen, soweit dies m6glich war, ansonsten durch bekannte Bev6lkerungsdaten ftir nahe liegende Jahre innerhalb des Erhebungszeitraums ersetzt. Angesichts des extremen GrOBenunterschieds zwischen der Kategorie der Suizidenten innerhalb des Untersuchungszeitraums und der Gesamtbev6lkerung -das Verhfiltnis liegt Dr den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004, bezogen auf die Wohnbev6lkerung am 1.1.1995, bei 0,2%- fallen etwaige leichtere Verfinderungen in den Werten ftir die GesamtbevOlkerung ohnehin fast nicht ins Gewicht: So ergibt sich z.B. hinsichtlich der Staatsangeh6rigkeit, welche sowohl ftir die ,,Anfangsbev6lkerung" des Jahres 1995 als auch Dr das Volkszfihlungsjahr 2001 bekannt ist, trotz einer zwischenzeitlichen BevOlkerungsabnahme von mehr als 23.000 Personen in der Steiermark, die sich nicht vt~llig gleichmfiBig auf In- und Ausl~inder verteilt, ein bis in den zweistelligen Kommabereich identes Ergebnis ftir das Relative Risiko - nfimlich 0,41 ft~r Ausl~inder bzw. umgekehrt 2,46 fiir Inl~inder. 265 Weitere Auswertungen erfolgten sodann in bi- bzw. trivariater Analyse mittels Kreuztabellierung, wobei insbesondere aufbezirksspezifische Auswertungen Wert gelegt wird. SchlieBlich wurden die erw~ihnten Cluster- und kategorialen Differenzanalysen durchgeftihrt. Auf die damit verbundenen, spezifischen Methodenprobleme wird bei der Prfisentation der betreffenden Ergebnisse kurz eingegangen. 266
2.4 Spezifische Probleme sozialwissenschaftlich-empirischer Suizidforschung 2.4.1 Forschungsethik und Datenschutz Wie sich der Leser, auch ohne nfihere juristische Fachkenntnis, leicht vorstellen wird k6nnen, war eines der Themen, welches den Studienautor bei der Organisation dieses Forschungsprojekts vorrangig beschfiftigte, jenes des ,,Datenschutzes", handelt es sich bei Suizid doch um ein ausgesprochen heikles und zudem sehr pers/3nliches Thema, und basieren die vorgenommenen Analysen zu einem betr•chtlichen Teil auf Informationen, die aus individualfall-bezogenen Quellen bezogen wurden. Schon bei der Konzeption dieses Forschungsvorhabens war klar, dass es, wenn tiberhaupt, nur als Studie in/3ffentlichem Auftrag staatlicher Organe erfolgen kOnnte, und tats~ichlich hat ein ,,Herumschntfffeln" in h6chstpers6nlichen Lebensbereichen, und seien es auch solche Verstorbener, wohl nur eine Berechtigung, wenn es in der einen oder anderen Form dem ,,allgemeinen Wohl" dienen kann und darauf geachtet wird, niemandes pers6nliche Rechte zu verletzen. Ftir die dieser Publikation zugrunde liegende Studie ergab sich insofern eine Erleichterung, als durch die Einschr~inkung auf vollendete Suizide die unmittelbar betroffenen Menschen zwar selbstverstfindlich weiterhin in ihren Rechten auf Anonymit~it geschtitzt werden mussten, jedoch die Beschrfinkungen des Datenschutzgesetzes auf dieselben nicht zur Anwendung kommen mussten, da sich das gesetzliche Recht auf Datenschutz lediglich auf lebende Personen bezieht. Die tabellarische Aufbereitung der 265 Die statistische Wahrscheinlichkeit, an Suizid zu versterben, lag demnach bei Inl~ndern fast zweieinhalbmal so hoch wie bei Ausl~ndern. Zur n~eren ErOrterungdieses hier beispielsweiseerwahnten Ergebnisses, einschlieBlich spezifischer Erw~gungen zur Verlasslichkeitdieser Daten, siehe den Ergebnisteil. 266 Vgl. hierzu bes.: Backhaus et al., MultivariateAnalysemethoden,Martens, Statistische Datenanalyse.
104
2 Zu Aufbau und Durchfiahrung der Studie
eingesehenen Informationen f'tir die Datenauswertung erfolgte dabei ohnehin, wenn auch individualfall-bezogen - weil dies mr die Durchftihrung bi- und multivariater Analysen unabdingbar ist 267 -, SO doch in anonymisierter Weise. Informationen, welche noch lebende Personen tangieren, fanden in das aggregierte Datenmaterial selbstverstfindlich ebenso nur in anonymisierter, nicht rtickverfolgbarer Weise Eingang (so etwa wenn festgehalten wurde, dass Suizident Nr. XYZ verheiratet war und ein Kind hatte). Selbstverstandlich werden daher auch in allen aus dieser Studie resultierenden Publikationen keinerlei Namen von Betroffenen angefdhrt. Weiters wird auch strikt darauf geachtet, keine Informationen in einer derart detaillierten Weise zu geben, dass daraus mit bestimmtem Vorwissen Rackschltisse auf einzelne Personen gezogen werden k0nnten; 268 da die vorliegende Forschungsarbeit aber ohnehin primfir statistisch-epidemiologischen Charakter hat, mussten in dieser Hinsicht kaum Abstriche hinsichtlich des Informationsgehalts gemacht werden. Es wurde allerdings, weniger aus Granden der Anonymisierung von Individuen, denn zur Vermeidung von Stigmatisierungen ganzer Orte, in der vorliegenden Studie auch darauf verzichtet, die Analysen der H0he der Suizidrate bis auf die Gemeindeebene hinab darzulegen, obwohl die entsprechenden Informationen aus dem Datenmaterial nattirlich verftigbar sind. 269 Alle in der vorliegenden Buchpublikation angegebenen Informationen glaubt der Studienautor als rechtlich und ethisch unbedenklich bezeichnen zu k0nnen.
2.4.2 Kooperationen mit BehOrden und anderen Offentlichen Institutionen Wie die Beschreibung der Datengrundlagen bereits zeigte, war die Informationsgewinnung fiar diese Studie nur durch die Kooperation mit zahlreichen BehOrden und 0ffentlichen Institutionen m0glich. Der denselben und ihren Vertretern hierfar geschuldete Dank wird im Vorwort im Einzelnen ausgesprochen; an dieser Stelle soll die Bedeumng dieses Umstandes far die Abwicklung der Smdie in aller Ktirze thematisiert werden: Aufgrund des hohen Koordinationsaufwands und der Unm0glichkeit rascher Datenbereitstellung durch einen Teil der Sozialversicherungsanstalten erhOhte sich zwar nicht der GesamtArbeitsaufwand des Smdienautors, wohl aber die zeitliche Ausdehnung der Erhebungsarbeiten in einem unvorhergesehenen AusmaB. Die gewonnenen Ergebnisse rechtfertigen hoffentlich diese Vorgangsweise. Far den Studienautor selbst stellte sich dieser Teil seiner Arbeit als eine besonders interessante Erfahrung dar, d a - bedauerlicherweise- die Kooperation zwischen universitfirer Forschung und 0ffentlichen Institutionen gerade im Bereich der Sozialwissenschaften nicht allzu eng ist. Viele Chancen auf Erkenntnisgewinn werden, davon ist der Verfasser tiberzeugt, so durch gegenseitige Nicht-Kenntnisnahme universitarer und nicht-universitfirer 267Wenn z.B. ermittelt werden soil, wie viele Suizidenten mannlichen und weiblichen Geschlechtsjeweils bereits pensioniert waren, und wie viele nicht, reicht es nicht aus, die Gesamtanzahlen von Mannern und Frauen, und die Gesamtzahlen der Pensionisten und Nicht-Pensionisten zu kennen, sondern es muss ft~rjeden einzelnen Fall gleichzeitig feststellbar sein, welchen Geschlechts der Betroffenewar und welchen ,,Erwerbsstatus" er innehatte. 268Dies ware z.B. dann der Fall, wenn far einzelne kleinere Orte individuelle Suizidfalle beschrieben wt~rden; auch ohne Namensnennung ware die Anonymitat der Betroffenen und ihrer AngehOrigen dann nicht mehr unbedingt gewahrleistet. 269Im Sinne moglicher Verbesserungen in der Zielgerichtetheitvon Suizidpravention wurden diese Daten jedoch der Fachabteilung 8B - Gesundheitswesen der Steiermarkischen Landesregierungzur etwaigen weiteren behOrdlichen Verwendung abermittelt.
2.4 Spezifische Probleme sozialwissenschaftlich-empirischer Suizidforschung
105
etwa amtlich-statistischer - Forschungs- und Dokumentationsarbeiten nicht genutzt. Auch in dieser Hinsicht k6nnte die vorliegende Studie vielleicht- auch aber das Gebiet der Suizidforschung hinaus - Anst6Be liefern. Was aus der Perspektive des Sozialwissenschafters an etwaigen Verbesserungen der amtlichen Dokumentation von Suizidfallen vorzuschlagen ist, wird in Kapitel 4 kurz erl~utert. Im folgenden Kapitel werden nun aber die Ergebnisse der empirischen Erhebung pr~sentiert und diskutiert.
3
Ergebnisse der Studie
3.1 Die H~iufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004 Am Beginn der Prfisentation der Studienergebnisse seien zunfichst die grundlegenden Daten zur letalen Suizidalitfit in der Steiermark im Untersuchungszeitraum vorgestellt, also die Anzahl der Selbstt6tungen im Bundesland insgesamt und in den einzelnen Bezirken, die daraus resultierenden Suizidraten und deren Verhfiltnis zu jenen in Osterreich insgesamt sowie in anderen Bundeslfindem. Die absoluten Hfiufigkeiten der jeweiligen Suizide entstammen der offiziellen Todesursachenstatistik der Statistik Austria; die resultierenden Suizidraten wurden vom Studienautor berechnet. Far die Analysen auf Bezirksebene sowie die Berechnungen der altersstandardisierten Suizidraten konnten die n0tigen Grunddaten 27~ von der Statistik Austria nur far den Zeitraum von 2001 bis 2004 bezogen werden, und sind die Auswertungen daher auf denselben zu beschrfinken gewesen. Hingewiesen sei an dieser Stelle weiters darauf, dass aus Granden der Obersichtlichkeit und Platzersparnis in den Tabellen vielfach Abkt~rzungen zur Anwendung kommen. Die Bedeutung derselben ist dem Abkarzungsverzeichnis im Anhang zu entnehmen.
3.1.1
Suizid im Bundesldndervergleich, die Bedeutung von Alter und Geschlecht und die gesellschaftliche Verbreitung von Suizid als Todesursache
Wie weiter oben bereits unter Bezug auf den Gesamtzeitraum von 1970 bis 2004 ausgefahrt wurde, so gilt auch far den engeren Untersuchungszeitraum von 1995 bis 2004, dass die Steiermark die hOchste ,,rohe" Suizidrate unter allen 0sterreichischen Bundeslfindem aufweist (siehe Tabelle 12) und mit (gerundet) 24 Suizidtoten pro Jahr und 100.000 Einwohner eine etwa 20 % erh0hte Suizidmortalitfit gegenaber 0sterreich insgesamt (ca. 20 Suizide je Jahr/100.000 Einwohner). Stellt man die steirische Suizidrate aber nicht dem gesamt0sterreichischen Durchschnittswert (der ja schon die Steiermark-Daten mit beinhaltet) gegenaber, sondern ermittelt den Unterschied gegent~ber dem Durchschnitt der Suizidraten aller anderen Bundeslfinder - das MaB des Relativen Risikos 271 - so zeigt sich gar eine ErhOhung um 25 % (1,25). Die Wahrscheinlichkeit, durch SelbsttOtung zu versterben, lag im Zeitraum von 1995 bis 2004 far die Einwohner der Steiermark also im Durchschnitt um ein Viertel hOher als jene der Bewohner anderer Osterreichischer Bundeslfinder! Freilich unterschieden sich die jeweiligen Suizidhfiufigkeiten derselben ebenso tells deutlich; die Suizidrate in Kfimten lag mit 23 fast ebenso hoch wie jene in der Steiermark und das Relative Risiko bei 1,20. Ebenso noch deutlich erh0ht ist das Suizidrisiko in Salzburg, in allen anderen Bundeslfindem dagegen ergeben sich deutlich niedrigere Suizidraten und-risken. 27oAnzahl der Suizide, Alters- und Geschlechtsverteilungder Suizidenten sowie Gesamtbev01kerungim Bezirk. 271Vgl. hierzu etwa: Gordis, Epidemiologie,S. 188-191.
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
107
Tabelle 12. Suizide in den Osterr. Bundeslfindem 1995-2004, Raten, Relative Risiken 272
Periode
1 9 9 5 - 1 9 9 5 - 1 9 9 5 - 200099 99 99 04
Mal3zahl
H
Burgenland
237
K~irnten
200004
Gesamt
Gesamt
Gesamt
RR
H
SR
RR
H
SR
RR
' 17,1
0,83
220
15,9
0,84
457
16,5
0,83
615
21,9
1,10
666
23,8
1,32
1281
22,9
1,20
NiederSst.
1478
19,4
0,96
1338
17,3
0,92
2816
18,3
0,94
Ober~st.
1421
20,8
1,04
1194
17,3
0,92
2615
19,1
0,98
Salzburg
594
23,3
1,18
527
20,3
1,10
1121
21,8
1,14
Steiermark
1488
25,1
1,29
1322
22,2
1,22
2810
23,7
1,25
610 ' 18,5
0,91
597
17,6
0,94
1207
18,1
0,92
Vorarlberg
257
14,9
0,72
288
16,3
0,86
545
15,6
0,78
Wien
1573
20,4
1,01
1350
17,1
0,91
2923
18,8
0,96
Osterreich
8273
20,8
7502
18,6
---
15775
19,7
Tirol
SR
200004
BerUcksichtigt man die Alters- und auch Geschlechtsverteilung der Suizidenten, so zeigt sich far den Zeitraum 2001 his 2004 folgendes detaillierteres Bild (siehe dazu Tabelle 13): Einer rohen Suizidrate yon 22,1 fi~r die Steiermark steht eine 0sterreichweite Rate von 18,3 gegenaber, die steirische Rate ist demnach gegenaber dem Durchschnitt um 2 1 % erhOht, das Relative Risiko betrfigt sogar 1,24. 273 Bezieht man die Geschlechterdifferenz in die Untersuchung ein, so zeigt sich, dass die Suizidhfiufigkeit von mfinnlichen Steirern mit 34,2/100.000 per annum gegenaber dem entsprechenden gesamt6sterreichischen Wert von 28,1/100.000 um 22 % erhOht ist und die Suizidrate der Steirerinnen mit 10,6/100.000 gegenaber 9,0/100.000 um 18 %; die Relativen Risiken zeigen eine Erh6hung der Suizidmortalitfit bei steirischen Mfinnern von 23 %, bei Frauen sogar von 25 % (siehe Tabelle). Die erhOhte Suizidmortalitfit in der Steiermark ist also (zumindest in den letzten Jahren) auf nahezu gleichmfi6ig erh6hte Selbstt/Smngsrisiken sowohl von Frauen als auch von M~nnem zurtickzufuhren. Dass Personen mfinnlichen Geschlechts generell aber ein viel hOheres 272AIs Grundlage zur Berechnung der Suizidraten dienten die Angaben zu den Jahresdurchschnittsbev01kerungen. Das Relative Risiko (RR) bezeichnet das Risiko des Eintretens von Suizid in einer bestimmten Bev01kerungsgruppe (,,Risikogruppe") gegenaber dem Risiko des Eintretens unter den dieser Kategorie nicht zugeh0rigen Personen innerhalb der untersuchten Gesamtheit, hier also das Suizidrisiko der Bewohner eines bestimmten Bundeslandes gegent~ber allen anderen Osterreicher/innen. 273 Auf die Angabe der Bruchteile der jeweiligen Raten wird im Folgenden im Text teils verzichtet, um Lesefluss und Verst~ndlichkeit zu erleichtern; es werden gerundete Zahlenwerte genannt. In den zugeh0rigen Tabellen finden sich die Suizidraten jeweils auf eine Stelle hinter dem Komma genau angegeben. (Viel wichtiger als eine vermeintlich ganz exakte Ermittlung der entsprechenden Werte erscheint dem Studienautor namlich die 0bersichtlichkeit der ermittelten GrOflenordnungsunterschiede.)
108
3 Ergebnisse der Studie
Risiko haben, an Suizid zu versterben, als solche weiblichen Geschlechts, wurde schon ausftihrlich erOrtert; es zeigt sich auch im hier betrachteten Zeitraum. Die gesamtOsterreichische Genderratio (Anzahl der Suizide von Mfinnern bezogen a u f j e n e von Frauen) liegt 2001-2004 bei 2,9, der steirische bei 3,1.
Tabelle 13: Suizidraten und Relative Risiken in den 0sterr. Bundesl~indern 2001-2004274
SR
RR
RR M (SR)
RR F (SR)
GR
0,48
6,0
1,32
3,0
0,97
0,77
3,9
0,95
0,92
3,2
1,05
1,09
3,0
G
SR M
SR F
15,7
27,6
4,4
K~irnten
23,0
35,8
11,1
1,30
1,30
Nieder5sterreich
17,1
27,8
6,9
0,92
Ober~Jsterreich
17, 4
27,1
8,1
0,94
19,2
29,7
9,4
1,05
Bezirk/Bundesland
Burgenland
Salzburg
.
.
(SR) .
0,84
.
0,96
.
10,6
1,24
1,23
1,25
3,1
Tirol
17,4
26,7
8,4
0,94
0,93
0,96
3,0
Vorarlberg
16,3
24,6
8,2
0,88
~ 0,85
0,94
2,9
Wien
16,8
23,0
11,1
0,91
0,79
1,32
Osterreich
18, 3
28,1
9,0
1,9 2,9
: ASR G
ASR M
ASR F
12,7
23,7
3,7
0,76
0,88
0,47
3,0
8,8
1,26
1,26
1,23
3,1
0,75
2,1
0,92
1,6
1,12
1,6
Steiermark
Bezirk/Bundesland
.
Niederr
.
.
i
Burgenland K~irnten
22,1
G
.
19,9
.
Ober5sterreich
34,2
.
.
32,7
.
15,0
25,8
,
15,7
26,3
.
.
.
i
.
5,7
Steiermark Tirol Vorarlber9 Wien Osterreich
RR (ASR)
L
0,92
.
17,6
.
19,2
.
16,2
.
15,6
.
14,2
28,4
.
.
.
.
16,2
.
.
31,5
.
25,9
.
24,6 .
21,0 26,4
.
8,1
.
0,96 I
.i
___
RR i RR M ! F (ASR) (ASR)
G
6,8
'
Salzbur 9
ji
0,96
'
1,10
.
0,99 .
SR -
ASR
'
1,07
.
8,8
1,21
1,21
1,23
2,8
7,8
1,00
0,97
1,07
1,2
7,7
0,96
0,91
1,05
0,7
8,7
0,86
0,77
1,21
.
.
7,5
2,6 2,1
274 Die Angaben in der letzten Spalte zur Differenz zwischen roher und altersstandardisierter Suizidrate beziehen sich auf die jeweiligen Gesamtraten ft~r beide Geschlechter. Basis ~r die Ermittlung der Suizidraten bildete hier die Bev01kerung zum Erhebungszeitpunkt der Volksz~ihlung 2001 ft~r das Jahr 2001, sowie jene zu jeweiligem Jahresbeginn gem~B Bev01kerungsfortschreibung der Statistik Austria ~r die Jahre 2002 bis 2004.
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
109
Bemerkenswert erscheint bei einer Betrachtung der obigen Tabelle weiters die hohe Suizidrate von Frauen in Wien, die mit 11,1 tiber jener der Steiermark liegt und gemeinsam mit K~imten an 1. Stelle Osterreichweit. Die - im Osterreich-Vergleich - eher niedrige Gesamtrate FOr Suizide in Wien (ca. 17 im Zeitraum 2001 bis 2004) fuBt also ausschlieBlich auf dem geringeren Suizidrisiko Ftir M~inner in der Bundeshauptsstadt. Ebenfalls aus dem Rahmen f~illt das Burgenland, wo die Verh~iltnisse umgekehrt sind: einer durchschnittlich hohen mfinnlichen Suizidrate von ca. 28 steht eine im Bundeslfindervergleich eklatant niedrige weibliche Suizidrate von ,,nur" 4/ 100.000 pro Jahr gegentiber, was einem Relativen Risiko von nur 48 % gegentiber den Werten FOr Frauen in anderen Bundesl~ndem entspricht. Es kann angenommen werden, dass diese beiden auff~illigen Abweichungen mit dem unterschiedlichen Modernisierungsgrad der jeweiligen Teilgesellschaften zusammenhfingen; die weibliche Suizidrate in Wien reflektiert wahrscheinlich negative Folgen emanzipierterer Lebenssituationen yon Frauen, w~ihrend im Burgenland ein besonders starker Traditionalismus auch noch in der gegenw~irtigen Praxis der Geschlechterrollen niedrigere weibliche Suizidraten ft~rdern dtirfte. 275 Die veranderten Auffassungen der Geschlechterrollen dtirften umgekehrt zugleich eine wichtige Ursache ftir die niedrige Suizidrate von M~innern in Wien sein, die ihrerseits mit 23 die niedrigste aller 6sterreichischen Bundesltinder ist, gefolgt von ca. 25 in Vorarlberg. Steirer (und Kfirntner) k0nnten im Obrigen, neben anderen Faktoren, im Durchschnitt gesehen auch unter einem verscharften ,,M~innlichkeitsproblem" leiden, welches far die erhOhte mannliche und- tiber im Durchschnitt ungtinstigere Familienkonstellationen, die vielleicht etwa im Burgenland seltener anzutreffen sind die erhOhte weibliche Suizidrate mitverantwortlich sein kOnnte. 276 Was die Gesamtraten ftir letale Suizidalitfit betrifft, so kann eines aber mit Sicherheit festgehalten werden: Far die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundeslfindem kOnnen unterschiedliche Verteilungen in der Geschlechterhfiufigkeit nur zu einem hOchst marginalen Teil verantwortlich gemacht werden, da dieselben einander weitgehend entsprechen. Die Bevalkerungsanteile von M~innern liegen in allen Lfindem zwischen 48,3 und 48,8 %, jener der Frauen zwischen 51,2 und 51,8 %. Leichte Ausnahmen stellen lediglich Vorarlberg und v.a. Wien dar, wo die entsprechenden Verteilungen 49,4:50,6 bzw. 47,2:52,8 betragen. 277 Ftihrt man eine Standardisierung dieser beiden etwas abweichenden Geschlechterverteilungen nach dem Osterreichdurchschnitt durch (48,4:51,6), ergibt sich, dass Wien bei einer entsprechenden durchschnittlichen Geschlechterverteilung eine Gesamt-Suizidrate von 16,9 statt 16,8 h~itte, jene Vorarlbergs dagegen bliebe im einstelligen Kommabereich unverfindert. So kann hierzu restimiert werden: Die Risiken far Suizidalitat der beiden Geschlechter unterscheiden sich in den einzelnen Bundeslandern erheblich; sowohl Manner und Frauen haben aber in der Steiermark ein um etwa ein Viertel erhOhtes Suizidrisiko gegeniiber den Bewohnern anderer Bundeslander, wobei aber Manner dreimal haufiger Suizid begehen als Frauen.
275Selbstverstandlich soil hiermit kein werthaftes Pladoyer for besagte traditionelle Rollenverteilungen verbunden sein, deren anderwartige negative Folgen gerade auch psychischer Natur ja bekannt sind. Vielmehr ist es eine Aufgabe von Psychiatrie und psychiatrischer Versorgungsplanung, den sich mit geanderten gesellschaftlichen Lebensforrmen andemden Suizidrisken der beiden Geschlechter mit therapeutischen und praventiven Angeboten m0glichst Rechnung zu tragen. 276Ein besonders ung0nstiges, yon ,,Harte" und Risikobereitschaft gepragtes Mannlichkeitsideal m0sste seinerseits nat0rlich wieder auf bestimmte soziale und kulturelle Ursachen riackf0hrbarsein. 277 Samtliche Angaben nach der Volkszahlung 2001.
1 10
3 Ergebnisse der Studie
Neben der Geschlechter- ist bei epidemiologischen Fragestellungen auch die Altersverteilung als grundlegende demographische Variable besonders zu bert~cksichtigen. Gew0hnlich geschieht dies durch Ermittlung der altersstandardisierten Suizidraten, die in der vorliegenden Studie nicht anstelle, sondern zusfitzlich zu den ,,rohen" Raten zur Anwendung kommen. 278 Betrachtet man die Unterschiede in der Suizidhfiufigkeit zwischen den einzelnen 0sterreichischen Bundeslfindern nun nicht, wie soeben geschehen, anhand der reinen Suizidhfiufigkeit pro Einwohnerzahl, sondern unter rechnerischem Ausgleich bestehender Differenzen in den Altersstrukturen der jeweiligen Gesamtbev61kerungen der Lfinder, zeigt sich folgendes - etwas, aber nicht grundlegend verfindertes - Bild: Die altersstandardisierten Suizidraten sind generell far ganz Osterreich niedriger als die tatsfichlichen (eine Folge der mathematischen Operationen, die inhaltlich ohne Belang ist!), die 0sterreichweite Gesamtrate ~ r beide Geschlechter liegt bei dieser MaBzahl bei 26,4 (statt 28,1), die steirische bei 31,5 (statt 34,2); die Abweichung nach oben liegt nach rechnerischer Ausschaltung der Unterschiede im Altersaufbau zwischen der Steiermark und dem Osterreich-Durchschnitt insgesamt also immer noch bei 19 %, die Erh6hung des Relativen Risikos bei 2 1 % far beide Geschlechter zusammen und ~ r die Kategorie der Mfinner, ft~r Frauen bei 23 %. Damit liegt ein erstes zentrales Ergebnis der vergleichenden quantitativen Analyse vor: Die erhOhte Suizidsterblichkeit in der Steiermark gegen~ber den anderen Osterreichischen Bundesl~indern kann keineswegs zu einem erheblichen Teil auf unterschiedliche Altersstrukturen zuriickgef~hrt werden. Die Differenzen in den Altersverteilungen ,,erklfiren" allerdings einen kleinen Teil der Abweichungen" Altere Menschen begehen - zumindest in den gegenwfirtigen Gesellschaften Europas - hfiufiger Suizid als j~ngere; 279 da die Steiermark (wie auch Kamten) eine im Durchschnitt etwas filtere BevOlkerung aufweist, ergibt eine Transformation der Suizidhfiufigkeit zum mathematischen Ausgleich dieser Differenzen altersstandardisierte Suizidraten, die nicht nur niedriger sind als die ,,rohen", sondern auch h6here Abnahmen aufweisen als jene der anderen Bundeslander: Die Differenz betrfigt ~ r die Steiermark 2,8, far Kfimten 3,1, ~ r C)sterreich insgesamt aber nur 2,1. Allerdings zeigt eine Betrachtung der Werte Dr die anderen Bundeslfinder, dass auch Wien und das Burgenland von diesem Phfinomen betroffen sind, auch dort sind die altersstandardisierten Suizidraten stfirker gesenkt und die ,,rohen" Raten unverhfiltnismfiBig h0her. Diese beiden Bundeslfinder mit ohnehin absolut schon geringer Suizidhfiufigkeit weisen also bei Einrechnung der unterschiedlichen Altersstruktur noch niedrigere Suizidraten auf. Umgekehrt schrumpft interessanterweise der Abstand zwischen Vorarlberg und den anderen Bundeslfindern bei Be~cksichtigung der Altersverteilung - wegen der in diesem Fall relativen ,jungen" Gesamtbev01kerung - deutlich. Ft~r die Position der Steiermark f0rdert diese Untersuchung aber, wie gesagt, wenig zutage; die Unterschiede im Relativen Risiko mit oder ohne Bert~cksichtigung der Altersstandardisierung sind gering. Aus dem Vorangegangenen ist die auch quantitative Erheblichkeit des Problems der Suizidalitfit in der Osterreichischen Gegenwartsgesellschaft insgesamt zweifellos deutlich ablesbar - allein f'tir das hier nfiher betrachtete Jahrzehnt von 1995 bis 2004 verzeichnet die Todesursachenstatistik fft~r ganz Osterreich 15.775 Suizidtote und ft~r die Steiermark mehr als 2.800. Besonders eindrt~cklich, um nicht zu sagen erschreckend, nehmen sich aber die Ergebnisse einer Berechnungsweise der sozialen Relevanz aus, die interessanterweise we278Zu den methodischenErwagungenhierzu siehe Kapitel 1. Siehe die vorangegangenenKapitel, mit Zahlenangaben zu den Verteilungen.
279
3.1 Die H~ufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
111
der in der medizinischen Epidemiologie noch in der Medizinsoziologie besonders gelfiufig ist, n~imlich die Berechnung des Anteils der Suizidtoten an der Gesamtsterblichkeit. Denn festzustellen, dass sich in Osterreich j~ihrlich durchschnittlich 20 von 100.000 Einwohnern selbst das Leben n e h m e n (oder 24 von 100.000 in der Steiermark), bleibt ~ r die meisten Menschen doch eine ziemlich abstrakte Formulierung, aus der die reale Bedeutung des Phanomens kaum ablesbar ist. Stellt man hingegen fest, dass derzeit jeder 50. Todesfall in Osterreich ein Suizid ist (2,0 %), in der Steiermark jeder 44. (2,3 %),280 und dass also unter der A n n a h m e einer gleichbleibenden Frequenz folgerichtig von den jetzt lebenden Osterreichern im Durchschnitt jeder 50. einmal ,,Selbstmord" begehen wird - v o n den Steirern sogar jeder 4 4 . - ist das bedriackende Phfinomen plOtzlich viel konkreter prtisent. Regelrecht entsetzliche Ergebnisse zeigt eine weitere Beriacksichtigung der Geschlechterunterschiede: Bedenkt man, dass ,,nur" einer yon vier Suiziden von einer Frau begangen wird, so ergibt sich, dass bei Weiterbestand der derzeitigen Verbreitung der Suizidalit~it jede 100. Osterreicherin durch SelbsttOtung irgendwann ihr Leben beendet (1,0 %), aber jeder 33. (!) mfinnliche Osterreicher (3,0%), in der Steiermark gar jede 88. Einwohnerin ( 1 , 1 % ) und jeder 30. mfinnliche Einwohner (3,4 %).
3.1.2 Die Suizidraten der politischen Bezirke Osterreichs gemdfl Todesursachenstatistik Nach der kurzen Obersicht zur gesellschaftlichen Tragweite von Suizid und den Er0rterungen zur Differenz zwischen den einzelnen Bundeslfindern soll sogleich der nahe liegenden Frage nachgegangen werden, inwieweit die Einheit ,,Bundesland" in sich im Hinblick auf die Problematik des Suizids eine heterogene ist. Eine Zusammenstellung der in der Todesursachenstatistik ausgewiesenen Suizidhaufigkeiten der Jahre 2001 bis 2004 nach einzelnen Bezirken ~ r ganz Osterreich, nach Geschlecht und unter Beracksichtigung der Altersstruktur ergibt Folgendes (siehe hierzu die Tabellen 237 und 238 im Anhang): TM
Division der Anzahl der Suizidtoten durch die Anzahl der insgesamt verstorbenen Personen in den Jahren 2001 bis 2004 far Osterreich bzw. der Steiermark anhand der Daten der Todesursachenstatistik der Statistik Austria; Berechnung des Verfassers. 28~Diese Tabellen beinhalten die Daten far alle politischen Bezirke, nicht aber far die Wiener Stadtbezirke; diese wurden schon wegen der inhaltlich anderen Bedeutung yon Differenzen in der Suizidalitat sowie bei den zu untersuchenden Variablen, abet auch wegen teilweise fehlender Daten in die folgenden Korrelationsstatistiken ebenso nicht als gesonderte Entitaten einbezogen, sondern Wien als eine einzige Untersuchungseinheit betrachtet. Der NUTS-Code repr~asentiert die offizielle Gliederung der Teile des Staatsgebiets nach EU-Richtlinien und ist zur Vermeidung etwaiger Verwechslungen bier mit angegeben. Die Reihenfoige in Tabelle 237 entspricht innerhalb der Bundeslander tier alphabetischen Ordnung, ist in der Abfolge derselben aber u.a. an Layout-Erfordernisse angepasst. Tabelle 238 enth~.lt im Wesentlichen nochmals dieselben Daten, jedoch geordnet nicht nach Bundeslandern, sondern absteigend nach der H0he der rohen Gesamt-Suizidrate. Die in der letzten Spalte der ersten Tabelle angef~hrte Differenz zwischen ,,roher" und altersstandardisierter Suizidrate kann im Nachkommabereich um einen Z~hler von dem aus den in der Tabelle ausgewiesenen Zahlen zu errechnenden Wert abweichen, da die abgedruckten Zahlenwerte auf eine Stelle hinter dem Komma gerundet sind. Zur Aussagekraft der ermittelten Suizidraten ist bier anzumerken - dass, da bis auf eine Ausnahme (die Freistadt Rust im Burgenland) alle politischen Bezirke Osterreichs tiber 10.000 Einwohner haben und der betrachtete Zeitraum 4 Jahre betragt - ermittelte Unterschiede gr013eren Ausmages im Normalfall nicht auf dem Auftreten bzw. Nicht-Aufireten eines einziges Todesfalls in der Statistik beruhen. Die durchschnittliche Fallzahl von Suiziden pro Bezirk (berechnet ohne Wien) im Laufe der vier Jahre von 2001 bis 2004 betr~gt 50. Zur quantitativen Bedeutung etwaiger Erfassungsunscharfen siehe aber auch das folgende Unterkapitel. Grundlage ft~r die Berechnung der Suizidraten ist auch bier die Einwohnerzahl gem~g Bev01kerungsfortschreibung far jedes einzelne Jahr. 280
112
3 Ergebnisse der Studie
Von den insgesamt 99 unterschiedenen Entitfiten - alle politischen Bezirke, nicht aber die Wiener Stadtbezirke, Wien wird hier als Einheit behandelt- weisen 3 eine extrem hohe (durchschnittliche jfihrliche) Suizidrate von 30,0 oder mehr auf, 3 weitere eine Rate zwischen 27,5 und 29,9, 5 eine immer noch sehr hohe Suizidrate yon 25,0 bis 27,4, 5 eine hohe Rate zwischen 22,5 und 24,9, 20 eine im Bereich von 20,0 bis 22,4 erh6hte Suizidrate, 16 eine in etwa durchschnittliche oder leicht erh6hte Rate zwischen 17,5 und 19,9 (der 0sterreichische Gesamtdurchschnitt ist, wie erwfihnt, mr den Zeitraum 2001 bis 2004 18,3), 27 eine leicht unterdurchschnittliche Rate zwischen 15,0 und 17,4, 12 eine eher niedrige Rate zwischen 12,5 und 14,9, 5 eine niedrige Suizidrate von 10,0 bis 12,5, und 3 sehr niedrige Raten unter 10,0. Die verschiedenen Bundeslfinder (ohne Wien) sind in den Kategorien, die gemfil3 dieser Klassifikation gebildet werden kOnnen, sehr unterschiedlich reprfisentiert, wie aus einer weiteren Zusammenstellung ersehen werden kann: Tabelle 14: Verteilung der Bezirke (nach Bundesland) aufKategorien von Suizidraten Kategorie SR B
I
II
III
IV
Summe
bis 14,9
15,0 -19,9
20,0 -24,9
ab 25,0
-
5
2
1
1
9
3
6
1
10
3
2
25
K NO
8
12
OO
3
12
3
S
2
2
2
6
ST
4
9
4
17
3
1
1
T
4
V Summe
18
4 20
42
9 4
25
11
98
Die deutlich differenten Suizidraten der verschiedenen Bundeslfinder lassen sich auch bei einer Aufgliederung in einzelne Bezirke leicht ,,wieder erkennen": Far das Land mit der durchschnittlich niedrigsten Suizidrate in den Jahren 2001 bis 2004, das Burgenland, weist die Auswertung auf Bezirksebene mehr als die Hfilfte der 9 Bezirke als den niedrigsten Kategorien mit Suizidraten von unter 15 zugehOrig aus; mr Vorarlberg als nachfolgendes Land in der Bundeslfinder-Reihung findet sich, dass alle Bezirke innerhalb eines Spektrums von Suizidraten von 15,0 bis 19,9 liegen; und auch die - neben Wien - danach gereihten Lfinder Nieder0sterreich, OberOsterreich und Tirol zeigen ebenfalls eine Zuordnung der Mehrheit ihrer einzelnen Bezirke zu diesen eher niedrigen Kategorien bis 20, wfihrend sich die Situation in den Bundeslfindem Salzburg, Kfimten und Steiermark umgekehrt darstellt: Hier weist die Mehrheit der Bezirke Suizidraten von 20 und mehr auf; mit einem Anteil von vier Bezirken mit Suizidraten yon mehr als 25 je Jahr und 100.000 Einwohner stellt die Steiermark in diesem obersten Bereich einen besonders hohen Anteil. Die dargestellte Klassifikation macht aber eben auch deutlich, dass sich innerhalb der einzelnen Bundeslfinder teils ganz erhebliche Unterschiede wahrnehmen lassen; am wenigsten trifft dies auf Vorarlberg zu, das freilich auch die geringste Anzahl an Bezirken aufweist; hier bewegen sich die Gesamt-Suizidraten mr die einzelnen Bezirke sfimtlich zwi-
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
113
schen 15,5 und 17,6. Danach folgt hinsichtlich der Homogenitfit, allerdings mit einem erheblichen AusreiBer nach oben hin, Kfimten, wo insgesamt alle Bezirks-Suizidraten auf einem deutlich hOheren Niveau liegen, nfimlich zwischen 17,8 und 24,3 in den 9 Bezirken mit Ausnahme von Wolfsberg, das mit einer Rate von 31,5 die zweithSchste Position aller Bezirke im Zeitraum 2001 bis 2004 einnimmt. Weniger einheitlich stellt sich die Situation ffir Burgenland, Nieder6sterreich, Ober6sterreich, Salzburg, Steiermark und Tirol dar: Im Burgenland dominieren, wie gesagt, niedrige Suizidraten, aber die entsprechenden Werte liegen insgesamt sehr weit auseinander: Mit Eisenstadt und Eisenstadt Umgebung befinden sich 2 von 6sterreichweit nur 3 Bezirken mit Raten von weniger als 10 im untersuchten Zeitraum im Burgenland, die Raten dreier weiterer Bezirke liegen unter 15 und die eines weiteren nur knapp daraber; dagegen weisen die mittelburgenl~ndischen Bezirke Oberpullendorf und Oberwart durchschnittliche bzw. leicht fiberdurchschnittliche Suizidhfiufigkeiten auf, der sfidlichste Bezirk, Jennersdorf, aber sogar eine Rate von 26,6, womit er sich unter den 10 am stfirksten betroffenen Bezirken Osterreichs befindet. Eine strukturell fihnliche Verteilung, allerdings von deutlich mehr Bezirken, lfisst sich far Nieder6sterreich beobachten; der Schwerpunkt liegt hier aber im etwas hOheren Bereich zwischen 13,5 und 19,9, dem 18 der 25 Bezirke zuzuordnen sind (siehe hierzu Tabelle 238). Auffallig gering ist die Suizidrate in Wien-Umgebung mit 11,5 und jene der Stadt Waidhofen an der Ybbs, wobei in letzterem Fall aber angesichts der Bev6lkerungszahl von knapp 12.000 aber mit h/3heren zeitlichen Schwankungen gerechnet werden muss als bei den meisten anderen Bezirken (die durchschnittliche Einwohnerzahl eines politischen Bezirks in Osterreich auBerhalb Wiens betrfigt gemfil3 der Volkszfihlung 2001 66.151 Personen282). Ffinf niederOsterreichische Bezirke haben klar fiberdurchschnittliche Suizidraten, nfimlich die sfimtlich an Rfindern des Landes - zu Tschechien, Ober6sterreich oder der Steiermark - gelegenen Einheiten Amstetten, Mistelbach, Zwettl (Raten zwischen 21 und 22) sowie insbesondere Waidhofen an der Thaya und Lilienfeld, die mit Suizidraten von 28,6 bzw. 29,9 im Gegensatz zum Rest des Bundeslandes unter den negativen Spitzenwerten far ganz Osterreich (an 6. bzw. 4. Stelle) firmieren. Was einen Zusammenhang dieser Verteilung mit der ,,Randstfindigkeit" jener Bezirke betrifft, so ist dieser zwar anzunehmen, aber fraglos allein als Erklfirung v6llig unzureichend, was abgesehen von theoretischen Erwfigungen schon der Umstand zeigt, dass einige andere ebenso peripher gelegene Bezirke zu jenen mit beachtenswert niedrigen Raten z~hlen, so Gmfind, Horn und Gfinserndorf mit Raten von jeweils weniger als 15 Suiziden pro Jahr und 100.000 Einwohnern. Homogener wiederum nimmt sich demgegenfiber die Verteilung far Ober6sterreich aus, wo drei der Bezirke (Urfahr-Umgebung, Eferding und Sch~rding) im Nordwesten der Landeshauptstadt mit Raten unter 15 weniger betroffen sind als das Gros des Landes, wo die Suizidraten zwischen 15 und 20 liegen, umgekehrt aber auch nur drei Bezirke im gesamt6sterreichischen Vergleich relativ deutlich erh/3hte Raten aufweisen, nfimlich der ebenfalls im Mfihlviertel gelegene Bezirk Rohrbach, der an die Steiermark grenzende Bezirk Kirchdorf sowie die Landeshauptstadt Linz selbst, wobei aber in keinem Fall ,,Spitzenwerte" fiber 25 auftreten. V6llig disparate Verhfiltnisse finden sich dagegen, zumindest im Zeitraum 2001 bis 2004, im Land Salzburg, wo die Landeshauptstadt selbst und der Bezirk SalzburgUmgebung mit Suizidraten von 15,2 und 16,2 vergleichsweise wenig von Suizidalit~t be282
Berechnung des Verfassers anhand der Volksz~hlungsergebnisse.
114
3 Ergebnisse der Smdie
troffen sind - die Suizidhiufigkeit hier ihnelt etwa derjenigen far den BurgenlandDurchschnitt-, wfihrend der westlich gelegene Bezirk Zell am See und der politische Bezirk Hallein Raten deutlich aber 20 aufweisen, die beiden an die Obersteiermark grenzenden Bezirke St. Johann im Pongau und Tamsweg aber Raten yon 25,8 bzw. von 27,0, womit sich diese unter den 10 am stirksten von Suizidalitit betroffenen Regionen Osterreichs befinden. Eine beachtliche Streuung weisen auch die Suizidraten Tirols auf, allerdings mit einem sehr klaren Schwerpunkt im Bereich des far 6sterreichische Verhfiltnisse unteren Spektrums bis 20, dem 7 der 9 Bezirke einzuordnen sind. Besonders niedrig waren im Zeitraum von 2001 bis 2004 aber die Suizidraten in den beiden westlichsten Bezirken Reutte und Landeck (je ca. 11). Innsbruck-Stadt stellt demgegenaber mit einer jfihrlichen Suizidrate von etwas mehr als 20 je 100.000 Einwohner einen ,,Ausreil3er" nach oben hin dar (der Eindruck wird dadurch verstirkt, dass auch innerhalb der Kategorie ,,15,0-19,9" sich nur ein Bezirk mit fihnlicher hoher Suizidfrequenz findet, nimlich Lienz mit einem Wert von 18,9). Eine far das westliche Osterreich (abgesehen von Salzburg) im Betrachtungszeitraum singulire Ausnahme stellt schliel31ich der Bezirk Schwaz mit einer Suizidrate von 25,8 dar, der so ebenso zu den 10 am stirksten betroffenen Regionen zihlt (bzw. 11 Regionen, da er mit dem erwihnten St. Johann im Pongau gleichauf an 10. Stelle liegt). Deutliche Disparatheit kennzeichnet schliel31ich auch die regionalen Suizidrisiken far die steirische Bev{51kerung; etwa die Hfilfte der 17 steirischen Bezirke weisen allerdings im Zeitraum 2001 bis 2004 jihrliche Suizidraten zwischen 20,0 und 22,4 gemil3 der offiziellen Todesursachenstatistik auf, und liegen so in der gesellschaftlichen Verbreimng dieses Philnomens sehr nahe beieinander; es handelt sich um die Landeshauptstadt Graz und GrazUmgebung sowie die Bezirke Weiz und Hartberg in der nt~rdlichen Ost- und Leibnitz und Deutschlandsberg in der Sad- bzw. SUdweststeiermark und die beiden obersteirischen Bezirke Bruck an der Mur und Judenburg. Ein Bezirk, Knittelfeld, hat eine Suizidrate zwischen 22,5 und 24,9, aber vier weitere weisen Raten aber 25 auf, nfimlich die - ausschliel3lich obersteirischen und grol3teils an den n~Srdlichen ,,Rindem" des Landes gelegenen Bezirke Liezen (26,8), Leoben (29,4), Murau (31,2) und Marzzuschlag (32,2). Damit stellt die Steiermark unter den 10 am stfirksten von Selbstt{Smngen der Einwohner betroffenen Bezirken Osterreichs vier, und unter den drei Bezirken mit Raten fiber 30,0 - die international als ,,sehr hoch" klassifiziert werden - zwei. Vier steirische Bezirke, die mit einer Ausnahme alle im Sadosten des Landes liegen, weisen dagegen eher niedrige Raten unter bzw. etwa im Osterreich-Durchschnitt auf, es sind dies Farstenfeld, Feldbach, Radkersburg und Voitsberg (die Werte liegen zwischen 15,2 und 18,8; siehe hierzu die voranstehende Liste). Wie aussagekrfiftig sind aber die soeben skizzierten Unterschiede der bezirksspezifischen Suizidraten? Der ,,durchschnittliche /Ssterreichische Bezirk" aul3erhalb Wiens hat, wie schon erwfihnt wurde, etwa 66.000 Einwohner, auf die ca. 12 Suizide pro Jahr im Beobachtungszeitraum 2001 bis 2004 entfallen, zusammen etwa 50 Suizide (ergibt die gesamt~Ssterreichische Suizidrate von 18,3 je 100.000 Ew. und Jahr). Ein einzelner hypothetischer, in der Todesursachenstatistik aus irgendwelchen Granden zuwenig oder auch zuviel verzeichneter Suizidfall im Laufe von vier Jahren entspricht demnach im Durchschnitt einer Abweichung der durchschnittlichen jfihrlichen Suizidrate far den Gesamtzeitraum von vier Jahren, wie sie oben stets angegeben wurde, um ca. 0,4. Hierbei handelt es sich also um einen nicht besonders erheblichen Wert, der aber doch im Falle seines tatsichlichen Auftretens bei ,,Feinklassifikationen" schon recht hiufig zu Verschiebungen fahren k/3nnte.
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
115
Realiter sind manche Bezirke aber nattirlich kleiner, und vor allem mtissen sich etwaige Ungenauigkeiten in der offiziellen Todesursachenstatistik ja keineswegs auf nur einen Fall pro Bezirk beschrfinken: Im hypothetischen Fall, dass ein durchschnittlich grof3er Bezirk von je einer Fehlklassifikation pro Jahr betroffen wfire - die aber stets in dieselbe Richtung ginge, also etwa das ,,Vergessen" eines Falles -, ergfibe sich bereits eine Abweichung der ermittelten (rohen) Suizidrate von ca. 1,5. Dass die hier angestellten 15berlegungen keineswegs ,,rein akademisch" sind, sondern mit tatsfichlichen vorhandenen Datenproblemem zu tun haben, soll im Folgenden Unterkapitel nfiher dargelegt werden. Nichtsdestoweniger bilden die offiziellen Daten der Todesursachenstatistik aber nicht nur die im Allgemeinen einzige, sondern selbstverstfindlich auch eine quantitativ durchaus einigermaf3en verlfissliche Grundlage fur inhaltliche Interpretationen. Allerdings sollten dieselben vorrangig erst bei ermittelten Unterschieden von zumindest 10 bis 20 % ansetzen, um - mehr oder weniger ,,zufallige" - Schwankungen in der Datengenauigkeit nicht irrttimlich als reale Phfinomene zu interpretieren. Ftir die Bewertung der bezirksspezifischen Suizidraten bedeutet dies, dass eine etwas grObere Klassifikation, wie sie in Tabelle 14 vorgenommen wurde, die tatsfichlichen Differenzen klarer abbilden dtirfte, als eine detailliertere, insbesondere wenn die zu ziehenden Schltisse (und sei es implizit) nicht nur ftir den Beobachtungszeitraum selbst, sondern auch fiir eine etwas lfingere Zeitspanne Gtiltigkeit besitzen sollen. Aus den vorangegangenen Er0rterungen wurde aber schon deutlich, dass sich den ermittelten Daten nicht nur Differenzen innerhalb von Bundeslfindern entnehmen lassen, sondern auch spezifische geographische Muster einer gesamt0sterreichischen Verteilung der Suizidfrequenzen erkennen lassen. Dieselben werden nattirlich am deutlichsten, wenn sie in kartografischer Form vorgestellt werden. Umseitig gibt eine Karte die (rohen) Suizidraten der/Ssterreichischen Bezirke nach der obigen Klassifikation in vier Kategorien, orientiert an den Zahlenwerten der Raten - bis 15, 15-20, 20-25, tiber 25 - wieder. 283 Wie deutlich wird, bilden fast alle von - auch im internationalen Vergleich- sehr hohen Suizidraten tiber 25,0 pro Jahr und 100.000 Einwohnern betroffenen Bezirke eine nahezu homogene Region, die vom 0stlichen Tirol tiber Teile Salzburgs und die n0rdliche Steiermark bis in einzelne Bezirke des stidlichen Nieder0sterreich und des 0stlichen Kfirntens reicht. Besonders deutlich werden die regionalen Differenzen aber, wenn man das ISberschreiten der Marke von 20 Suizidtoten pro Jahr und 100.000 Ew. als entscheidendes Kriterium heranzieht: Der Grof3teil der in der Karte mittel- oder dunkelgrau eingef'arbten Regiohen mit jfihrlichen Suizidraten tiber 20 bildet eine grof3e geographische Masse, die fast die gesamten Bundeslfinder Salzburg, Kfirnten und Steiermark umfasst, sowie einige angrenzende Bezirke in Ober- und Nieder0sterreich, Burgendland und auch Tirol. Dartiber hinaus finden sich nut noch vier periphere Regionen des n0rdlichen Nieder- und Ober0sterreich sowie die beiden gr0Beren Landeshauptstfidte Linz und Innsbruck in diesem Bereich der im C)sterreich-Durchschnitt hinsichtlich der Suizidhfiufigkeit deutlich negativ hervortretenden Bezirke. Dagegen zeichnet die Majorit~t der zentral, an oder nahe der Donau gelegenen Bezirke Ober und Nieder0sterreichs sowie einen gr013eren Teil der n0rdlichen, an Tschechien grenzenden Bezirke, fast durchwegs eine Suizidrate von maximal 20 je 100.000 Ew. und Jahr aus, womit sie unter oder in etwa im 0sterreichischen Gesamtdurchschnitt liegen.
283 Die Karte wurde vom Verfasser erstellt. Als Vorlage ft~r den Verlauf der Bezirks-, Landes- und Staatsgrenzen wurde folgende Karte herangezogen: ,,Politische Bezirke Osterreichs" der Ed. H01zelGes.m.b.H, Wien 2002.
116
Abbildung 3."
3 Ergebnisse der Studie (Rohe) Suizidraten in Osterreichs Bezirken 2001-2004 gemfiB Todesursachenstatistik
. . . .
[]
[]
[]
[]
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
117
Insbesondere trifft dies auf den Raum stMOstlich von Wien zu, wo sich, wie auch im nOrdlichen Burgenland, im Zeitraum von 2001 bis 2004 vielfach vergleichsweise besonders geringe Suizidraten von unter 15 finden. Ahnliches gilt Dr das mittlere und westliche Tirol, wfihrend die Suizidhfiufigkeit in Vorarlberg, wie schon erwfihnt, homogen im Bereich zwischen 15 und 20 pro 100.000 Ew. und Jahr liegt. Es kann also festgehalten werden:
Die Suizidraten der Osterreich&chen Bezirke folgen einem deutlichen geographischen Muster, welches auf zugrunde liegende unterschiedliche Okologische und/oder soziale Bedingungen in drei voneinander abgrenzbaren Groflregionen schlieflen ldsst, dem weitgehend alpin gepr~igten siidlicheren Osterreich als Hochrisikoregion fiir Suizid einerseits, andererseits dem nOrdlicheren Osterreich des Donautals und West6sterreich als zwei im Allgemeinen deutlich geringer betroffene Regionen andererseits. Die voranstehenden Er6rterungen haben sich freilich stets auf die ,,rohen", untransformierten Suizidraten bezogen. Eine Betrachtung auch der regionalen Differenzen hinsichtlich der altersstandardisierten Raten kann zeigen, inwieweit die dargelegten Unterschiede auf regionaler Ebene von unterschiedlichen Altersstrukturen der Allgemeinbev61kerung beeinflusst sind: Die weiter oben angeffihrte Liste gibt auch die entsprechenden, ,,korrigierten" Suizidraten sowie die jeweilige Differenz zu den untransformierten Raten an; eine zusammenfassende Analyse der altersstandardisierten Raten zeigt, dass sich - unter Beri~cksichtigung der Dr Osterreich in diesem Zeitraum allgemeinen Tendenz, bei Altersstandardisierung um den Wert von 2,1 niedrigere Raten auszuweisen - ftir mehr als die Hfilfte der 6sterreichischen Bezirke Raten ergeben, die von den ursprtinglichen Raten nur ziemlich gering~gig, im Bereich bis zu 1,0 nach oben oder unten, abweichen. (Die in der bezirksweisen Liste ausgewiesenen Werte liegen hierbei demnach zwischen 1,1 und 3,1). 12 Bezirke erscheinen durch eine solche Transformation merklich ,,begi~nstigt" und 8 stark ,,begi~nstigt", indem die altersstandarisierten Raten nach Berticksichtigung des Korrekturfaktors 2,1 immer noch um mehr als 1,0 respektive mehr als 2,0 niedriger liegen als die eigentlichen Werte gemfiB ,,roher" Todesursachenstatistik. Es handelt sich hierbei in der Kategorie der acht Regionen mit den st~irksten Reduktionen der Suizidrate durch Altersstandardisierung um die folgenden Bezirke: Gtissing, Jennersdorf, Waidhofen an der Thaya, Linz, Wolfsberg, Bruck an der Mur, Leoben und Mt~rzzuschlag. Fi~r dieselben, in geringerem MaB aber auch Dr die Bezirke Oberwart, Bruck an der Leitha, Krems-Land, Mistelbach, Villach-Land, V01kermarkt, Kirchdorf an der Krems, Radkersburg, Deutschlandsberg, Weiz, Judenburg und Graz-Stadt gilt, dass durch das Verfahren der Altersstandardisierung eine hinsichtlich der Suizidhtiufigkeit besonders ,,ungt~nstige" Bev61kerungsstruktur - das heiBt, vergleichsweise hohe Anteile filterer Menschen - rechnerisch ,,korrigiert" werden kann. Die inhaltliche Bedeutung der sich ergebenden Verschiebungen ist dabei - siehe hierzu auch Kapitel 1 - nattirlich nicht, dass die entsprechenden Suizidhfiufigkeiten tats~ichlich eigentlich geringer w~iren, als es die ,,rohen" Suizidraten aussagen, sondern dass die spezifische Altersstruktur ftir diese Bezirke eine hOhere Betroffenheit yon Suizidalit~it bedingt, die bei Vorliegen einer- tendenziell ji3ngeren -,,Durchschnittsbev61kerung" im vorliegenden AusmaB vermutlich nicht gegeben wfire. Diese Information ist so von inhaltlichem Interesse, weil durch eine entsprechende Berticksichtigung dieser Unterschiede im Altersaufbau zwischen einzelnen Regionen ansonsten gemeinsame Risikolagen deutlicher hervorgehoben werden kOnnen. Dies gilt nattirlich auch ftir den umgekehrten Fall jener Bezirke, deren ,,rohe" Suizidraten bei Berticksichtigung ihrer durchschnittlich eher jungen Ein-
1 18
3 Ergebnisse der Studie
wohnerschaft durch Altersstandardisierung merklichen Anhebungen im Vergleich zu den Werten anderer Bezirke unterliegen. Dies betrifft insgesamt 26 Osterreichische Bezirke, wobei vier - Eisenstadt (Stadt), Freistadt, Landeck und Lienz sehr stark, der Rest zu einem mittleren Grad betroffen sind. Betrachtet man die dergestalt altersstandardisierten Raten der Suizidhfiufigkeiten (siehe dazu die oben stehende Liste sowie die nachfolgende Karte) nach der geographischen Verteilung, so ergibt sich folgendes, etwas homogenisiertes Bild: TM Tabelle 15: Verteilung der politischen Bezirke je nach Bundesland auf Kategorien von altersstandardisierten Suizidraten Kategorie
I
II
III
IV
Sum.
ASR --,
bis 12,9
13,0 -17,9
18,0 -22,9
ab 23,0
-
B
5
2
2
3
6
1
10
1
25
K
9
N(~
6
14
4
OO
2
14
2
2
2
2
6
7
6
4
17
5
1
1
S ST T
2
V Summe
18
4 15
51
9 4
23
9
98
Die Kategorien niedriger bzw. hoher und sehr hoher Suizidraten sind, wie ein Vergleich mit der die ,,rohen" Raten enthaltenden Tabelle 14 zeigt, nun seltener vertreten, die Kategorie II, welche die durchschnittlichen Raten umfasst, dagegen deutlich hfiufiger. Die Verteilung der Kategorien auf die einzelnen Bundeslfinder findert sich dagegen, wie ersichtlich, nicht allzu stark. Auch bei Analyse der altersstandardisierten Raten dominieren im Burgenland, in Vorarlberg und Tirol vergleichsweise niedrige und in Nieder- und Ober0sterreich solche, die far Osterreich insgesamt als durchschnittlich gelten k0nnen, wfihrend in Salzburg, Kfimten und der Steiermark Bezirke mit Raten im oberen Bereich auch nach Vornahme einer Altersstandardisiemng dominieren. Einzelne Bezirke ,,wandern" dagegen, wie schon ausgefahrt, von einer Kategorie zu einer benachbarten ,,hinauP' oder ,,hinunter". Das Gesamtbild, welches sich wieder anhand einer Karte am besten erschlieBt, ist ein noch etwas einheitlicheres: Suizidraten der obersten Kategorie sind bei Beracksichtigung der unterschiedlichen Altersstruktur ausschlieBlich nur mehr in dem bereits beschriebenen Raum zwischen dem 6stlichen Tirol und dem sadlichen Nieder/3sterreich zu finden. 2s4 Um eine optimale Vergleichbarkeitmit der voranstehenden Karte und den obigen Ausfahrungen zu erm0glichen, wurden in der nachfolgenden Karte die Grenzen far die Klassifikation ebenso entsprechend dem OsterreichDurchschnitt revidiert (allerdings wurde, um auch einigermagen Obersichtlichkeitzu erhalten, eine Reduktion yon 2,0, und nicht yon 2,1 vorgenommen). Die zu bildenden Kategorien sind demnach: Bezirke mit vergleichsweise niedrigen altersstandardisierten Suizidraten von unter 13,0, solche mit durchschnittlichen im Bereich von 13,0 bis unter 18,0,jene mit hohen im Bereich von 18,0 bis unter 23,0 und die Bezirke mit den h0chsten Raten ab 23,0. Die betreffende Karte ist wiederum durch den Verfasser auf Grundlage der vorgenannten Karte der politischen Bezirke erstellt worden.
3.1 Die H~ufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
Abbildung 4."
119
Altersstandardisierte Suizidraten in Osterreichs Bezirken 2001-2004 gem~il3 Todesursachenstatistik
ii~iii 84184 ....
~i
[]
i~'i
[]
~i
~
/
[]
[]
i~ i!5 i~il~
120
3 Ergebnisse der Studie
Hohe Raten in der Kategorie III (zwischen 18 und 23) finden sich auch in dieser Klassifikation in den meisten westlichen Bezirken Nieder6sterreichs, der 6stliche Teil des Bundeslandes erscheint bei dieser Betrachtung aber homogen von durchschnittlichen bis geringen Suizidhfiufigkeiten geprfigt. Far OberOsterreich sind die zu beobachtenden Abweichungen gering und betreffen nur den Bezirk Eferding und die Stadt Linz, die unter Beracksichtigung des Altersaufbaus ihrer Einwohnerschaft als Bezirk mit in etwa durchschnittlicher Suizidrateklassifiziert werden kann; in Salzburg ergeben sich gar keine grOl3eren Abweichungen, ebenso wenig in Kfimten und Vorarlberg. Im Burgenland reduziert sich die extreme Position des Bezirks Jennersdorf, wiewohl derselbe auch bei Altersstandardisierung der Frequenzen von letalen Suizidhandlungen immer noch, gemeinsam mit Oberwart, eine vom Rest des Bundeslandes deutlich abweichende Position einnimmt. Einen homogenisierenden Effekt kann man insbesondere wieder far Tirol beobachten, wo die altersstandardisierten Suizidraten wie auch far Linz einen Entfall der negativen Sonderstellung der Landeshauptstadt mit sich bringen, umgekehrt aber die hinsichtlich der ,,rohen" Raten als sehr wenig von Suizidalitfit betroffenen Bezirke Innsbruck-Land und Kitzbahel nun mehr oder weniger durchschnittliche Raten aufweisen. Far die Steiermark ergeben sich Verfinderungen bei der Zuordnung von drei Bezirken, nfimlich Deutschlandsberg, Judenburg und Bruck an der Mur, die unter Einrechnung der Altersstruktur sfimtlich von der Kategorie ,,hoher" (III) in jene ,,durchschnittlicher" (II) Suizidraten ,,wandern". Die Obersteiermark erscheint so nicht derart einheitlich von hoher Suizidalitfit geprfigt, wie bei Betrachtung der nicht-altersstandardisierten Raten, wenn auch mit den 4 Bezirken Marzzuschlag, Leoben, Liezen und Murau weiterhin die Mehrheit der obersteirischen Bezirke in der hOchsten Kategorie (IV) zu liegen kommt. Auch die Dominanz von hohen Raten der Kategorie III im Raum Graz, im Bezirk Leibnitz und in der n~rdlichen Oststeiermark ist von gr~f3eren Effekten einer Altersstandardisierung nicht tangiert, ebenso wenig auch das Vorliegen demgegent~ber niedrigerer und 6sterreichweit etwa im Durchschnitt liegender Raten in der Sadoststeiermark. In der Weststeiermark dagegen ist bei altersstandardisierter Betrachtungsweise eine Zugeh~Srigkeit beider Bezirke zur Kategorie II festzustellen, welche bei Betrachtung der ,,rohen" Raten nicht gegeben war. Abgesehen vonder Frage nach der Beracksichtigung der verschiedenen Altersstrukturen erlauben die offiziell erhobenen Daten der Todesursachenstatistik aber natarlich auch eine Analyse hinsichtlich von Geschlechterdifferenzen, wie sie in der Er/Srterung der bundeslfinderweiten Werte ja schon vorgenommen wurde. Die oben wiedergegebenen Listen zur Suizidalitfit in den einzelnen Bezirken enthalten denn auch neben der rohen und der altersstandardisierten Gesamt-Suizidrate jeweils die rohen und altersstandardisierten Suizidraten far Mfinner und Frauen far jeden/Ssterreichischen Bezirk (ohne Wiener Stadtbezirke). Um im Text nicht unn6tige Wiederholungen zu verursachen, seien hier nur die auffallendsten Abweichungen der geschlechtsspezifischen Suizidraten vonder Gesamt-Suizidrate er6rtert. Ein Vergleich der im Folgenden abgedruckten Karten der rohen geschlechtsspezifischen Raten far Mfinner und Frauen macht die wesentlichen Aspekte deutlich: Die ,,mfinnliche Suizidrate" variiert bei regionaler Betrachtung weit stfirker als die ,,weibliche"; abgesehen vonder Stadt Rust (die aufgrund ihrer geringen Einwohnerzahl mit allen anderen Bezirken eigentlich nicht gut vergleichbar ist) aberschreitet keine einzige BezirksSuizidrate von Frauen die Grenze von 20; die Suizidraten von Frauen in 53 der 99 Bezirke liegen zwischen 5 und 10 je 100.000 Einwohnerinnen pro Jahr, 41 Bezirke befinden sich in den beiden angrenzenden Kategorien und nur 5 Bezirke aberschreiten die Marke von 15.
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in C)sterreich und in der Steiermark 1995-2004
Abbildung 5."
121
(Rohe) Suizidraten von Mtinnem in ()sterreichs Bezirken 2001-2004 gemfil3 Todesursachenstatistik
[]
[]
[] []
3 Ergebnisse der Studie
122
Abbildung 6."
(Rohe) Suizidraten von Frauen in Osterreichs Bezirken 2001-2004 gem~g Todesursachenstatistik
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3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
123
Hinsichtlich der Suizidhfiufigkeit von Mfinnem dagegen reicht die Spannweite von unter 20 - immerhin in insgesamt 12 Bezirken 28s - fiber hfiufig vorkommende Suizidraten der Klassen 20-25, 25-30 und 30-35 (zusammen in 68 Bezirken) - bis hin zu traurigen ,,Spitzenwerten" von 35-40, 40-45, 45-50, und in einem Fall - dem Bezirk Murau - sogar fiber 50 Suizidtoten pro 100.000 mfinnlichen Einwohnern und Jahr. Insgesamt weisen 19 Bezirke im Beobachtungszeitraum 2001 bis 2004 Suizidraten far M~.nner von 35,0 und mehr auf. Von diesen politischen Bezirken liegen 6 in der Steiermark - es handelt sich um Hartberg, Mt~rzzuschlag, Leoben, Knittelfeld, Liezen und Murau -, 4 in Kfimten, je 3 in Nieder6sterreich und dem Burgenland, 2 in Salzburg und einer in Tirol. Aus dem deutlichen Oberwiegen von M~.nnern bei Suizidtodesfallen insgesamt folgt, dass dieselben Bezirke im Allgemeinen natarlich auch zu denjenigen Bezirken geh6ren, die insgesamt sehr hohe Suizidraten aufweisen (man vergleiche die entsprechenden Karten); eine Ausnahme stellt lediglich Oberpullendorf im Burgenland dar, wo eine sehr hohe Suizidrate von Mfinnem (35,2) einer derart niedrigen bei Frauen gegent~bersteht (2,6 im Beobachtungszeitraum), dass die Gesamtrate in den unterdurchschnittlichen bis durchschnittlichen Bereich von 15-20 fallt. Allerdings weist der Bezirk Oberwart bemerkenswerterweise ein ganz fihnliches Muster auf, nur mit insgesamt leicht hOheren Werten, nfimlich einer mfinnlichen Suizidhfiufigkeit yon 39,1 und einer weiblichen von ,,nur" 4,6, woraus sich eine Gesamtrate von 21,2 ergibt. Dementsprechend weisen diese Bezirke auch eine sehr hohe Genderratio der Suizidrate auf; in etwa dasselbe Muster lfisst sich auch far den Bezirk Jennersdorf beobachten, wo gleichfalls eine extrem hohe ,,m~,nnliche" Suizidrate (48,1) einer vergleichsweise sehr niedrigen ,,weiblichen" (5,5) gegent~bersteht; diese Hfiufung im Burgenland ist auffallig und erscheint nicht zufallig, wenngleich sie noch einer n~,heren kausalen Analyse bedarfte; fihnliche Konstellationen finden sich aber auch in den Bezirken Villach-Land und Zwettl. Eine v611ig andere Konstellation zeigt sich dagegen in vielen anderen Bezirken vor allem der Steiermark und Kfimtens, wo sehr hohe Suizidraten von Mfinnern im geschlechtsspezifischen Vergleich ebenso sehr hohen Suizidhfiufigkeiten unter Frauen korrespondieren. Am eklatantesten stellen sich diesbezaglich die Situationen in Marzzuschlag, Lilienfeld, Wolfsberg und Waidhofen an der Thaya dar, die beide Male in den h6chsten Kategorien firmieren. Umgekehrt finden sich wiederum einige Bezirke, in denen sowohl Mfinner als auch Frauen yon Suiziden im Osterreich-Vergleich selten betroffen sind; hierzu zfihlen Reutte und Landeck in Tirol, mit Gesamt-Suizidraten von jeweils ca. 11, Schfirding in Ober6sterreich, Gmand und Waidhofen an der Ybbs in NiederOsterreich sowie Eisenstadt und Eisenstadt-Umgebung im Burgenland, mit Gesamt-Suizidraten yon ca. 9 - also nur einem Drittel jener Werte, die in den am stfirksten betroffenen Bezirken erreicht werden. Was das Geschlechterverhfiltnis im Besonderen betrifft, so ist noch auf das Phfinomen besonders ,,ausgeglichener" Genderratios einzugehen, also vergleichsweise hohe Suizidraten yon Frauen, denen niedrigere von Mfinnem gegent~berstehen. Der niedrigste ermittelbare Werte tar einen 6sterreichischen Bezirk im Zeitraum 2001 bis 2004 liegt bei 1,6, zeigt also immer noch ein klares Oberwiegen mfinnlicher Suizide an, wenn auch nur etwa halb so stark als im gesamt6sterreichischen Durchschnitt, und liegt in der Stadt Villach v o r . 286 Besonders niedrige Genderratios von unter 2 finden sich weiter in den Bezirken Ried und 285Zwei Bezirke weisen Suizidraten von Mfinnern yon unter l0 auf, es handelt sich allerdings wiederum um Rust und den ebenso eher kleinen Bezirk Waidhofen an der Ybbs, sodass diese Werte nicht unbedingt dauerhafte Struktur-Unterschiede reprasentieren massen. 286Siehe dazu die Tabellen 237 und 238 im Anhang.
124
3 Ergebnisse der Studie
Eferding sowie in Wien (als Gesamtheit betrachtet). Bemerkenswert ist aber besonders, dass sich unter den Bezirkseinheiten mit den nfichstniedrigen Genderratios, die den Wert 2,0 aufweisen oder nur knapp t~berschreiten (bis einschlie61ich 2,2), 5 weitere gro6e 0sterreichische Stfidte mit eigenem Statut zu finden sind, nfimlich die Landeshauptstfidte Graz, Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck sowie Steyr, aber nur 6 der insgesamt ja viel zahlreicheren ,,Land"-Bezirke. Von den Landeshauptstfidten mit eigenem Statut fallen diesbez~glich lediglich St. P61ten und Linz mit einem Genderratio von 2,7 bzw. 2,8 aus dem Rahmen. 287 Hinsichtlich der Geschlechterdifferenzen gilt also: Urbanes Leben ist in Osterreich mit vergleichsweise h6heren Suizidrisiken fiir Frauen verbunden, wenngleich diese auch in den gr6fleren Std~dten einschlieJ3lich der Bundeshauptstadt immer noch h6chstens etwa halb so hoch sind als fiir Mdinner. Die H0he der Suizidraten an sich ist demgegent~ber in den stfidtischen Zentren Osterreichs nicht einem derart homogenen Muster einordenbar; sowohl sehr niedrige, als auch sehr hohe Suizidraten treten in den gr/56eren Stfidten, die als eigene Bezirke firmieren, aber nicht auf; verglichen jeweils mit den Durchschnittsraten ihrer Bundesl~.nder, ergibt sich Dr die Landeshauptstfidte (aul3er Bregenz, das keinen eigenen Bezirk darstellt, und daher- wie auch Wien - ausgeklammert bleibt) folgendes Bild: Wesentlich unterschritten wird die landesweite Rate in Eisenstadt (urn den Wert 7,0) und Salzburg (-3,0), leicht unter dem Landesdurchschnitt liegen die Werte ft~r Graz (-1,0) und Klagenfurt (-1,5), t~berschritten wird derselbe in St. POlten (+1,7), und, deutlicher, in Innsbruck (+2,8) und Linz (+4,2). Nach diesen Bemerkungen zur Aussagekraft der geschlechtsspezifischen Suizidraten im 0sterreichweiten Vergleich gilt es nun aber, die steirischen Suizidraten im Besonderen nfiher zu betrachten.
3.1.3
Die Suizidraten der politischen Bezirke der Steiermark gemdfl Aktenanalyse
Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits ausgeft~hrt wurde, basiert die Dr die vorliegende Studie vorgenommene Untersuchung der Suizidalitfit ft~r den steirischen Bereich selbst ja nicht ausschlie61ich in einer Auswertung der offiziellen Todesursachenstatistik; vielmehr wurde versucht, die fraglos wertvollen und grundlegenden Daten derselben durch zusfitzliche Analyse von Akten der Sicherheitsbeh0rden, welche im Zusammenhang mit Suizidf~.llen angelegt wurde, zu ergfinzen. Dies betrifft vor allem das Spektrum der potentiell mit Suizidalitfit in Zusammenhang stehenden Variablen, da sich die allgemeine Todesursachenstatistik ja nur auf einige wenige Kriterien beschrfinkt. Jedoch wurde es durch die vorgenommene Aktenanalyse natt~rlich auch m0glich, die Anzahl der so ermittelten Suizidfalle in der Steiermark mit jener der offiziellen Todesursachenstatistik, welche dem Studienautor yon der Steiermfirkischen Landesstatistik zur Ver~gung gestellt worden ist, in Beziehung zu setzen, um etwaige Differenzen ermitteln zu k0nnen:
287Im Fall von Linz kann man zumindest mutmal3en,dass dieser Umstand mit einer noch starken Pr~,gungvieler Einwohner dutch die Industriearbeiter-Kultur in Zusammenhang stehen k0nnte, wie sie in den anderen Landeshauptst~,dten nicht in diesem Ma6 gegeben ist. Ft~rEisenstadt war kein Genderratio ermittelbar, da die absolute Suizidh~,ufigkeit von Frauen im Beobachtungszeitraum 0 betrug! Dasselbe gilt weiters ft~r die Stadt-Bezirke Waidhofen an der Ybbs und Rust, wobei aber in letzterem Fall kein m~nlicher Suizidtoterzu beklagen war.
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
125
Wie eingangs des Kapitels bereits festgehalten wurde, betrfigt die Anzahl der Suizide in der Steiermark im Untersuchungszeitraum 1995 bis 2004 gemfiB Todesursachenstatistik 2810. Die Untersuchung von Akten der SicherheitsbehOrden (Polizei, ehemalige Gendarmerie, Bezirkshauptmannschaften) konnte neben diesen Ffillen aber insgesamt weitere 152 in der Steiermark dokumentierte Suizidf~ille zutage fOrdem. Hierbei sei sogleich betont, dass diese Zahl keine uneindeutigen Todesf'alle, sondem ausschlieBlich solche, die anhand der polizeilichen Ermittlungsergebnisse eindeutig als Suizide zu klassifizieren waren, beinhaltet. Allerdings ist ein erheblicher Teil der aufgetretenen Differenz durch unterschiedliche Definitionen der Erhebungsmenge zu erklfiren: W~ihrend die offizielle Todesursachenstatistik nur Personen mit f~rmlichem Wohnsitz in der Steiermark als Suizidtote in der Steiermark anf0hrt, enthalten die Akten der SicherheitsbehOrden naturgemfiB sfimtliche amtlich bekannt gewordene, auf dem Territorium des Bundeslandes vorgefallene Suizide, unabh~ingig vom Wohnsitz der Betroffenen. Suizidf'~ille von Personen, die auBerhalb der Steiermark ihren festen Wohnsitz hatten, und bei denen lediglich der ,,Ereignisort" aus mehr oder weniger zufzilligen Ursachen in der Steiermark situiert war, sind dabei aber als fi~r die weitere Untersuchung ungeeignet betrachtet worden. Da ja umgekehrt Suizide von Steirern in anderen Bundeslfindem iJber die Wohnsitz-Definition der steirischen Suizidalit~its-Hfiufigkeit zugerechnet wurden (92 Ffille), wfire bei zusfitzlicher Bert~cksichtigung von Suiziden der Einwohner anderer Bundesl~inder fi~r die steirische Suizidrate ja eine sachlich unzutreffende ErhOhung zu gegenwfirtigen. Solche F~ille, von denen in den Akten der Sicherheitsbeh6rden ft~r die Jahre 1995-2004 insgesamt 33 registriert sind, sind daher von der Gesamtsumme abzuziehen, womit eine Differenz yon 119 Ffillen und eine Gesamtsumme von 2929 Suiziden verbleibt. Ft~r 25 dieser Suizidf'fille l~isst sich das NichtAufscheinen in der offiziellen Todesursachenstatistik dadurch erklfiren, dass entweder der amtliche Wohnort zwar auBerhalb der Steiermark gelegen war, der tatsfichliche Wohnort aber gemfiB polizeilicher Aktenlage in der Steiermark, oder dass t~berhaupt kein offizieller Wohnsitz vorhanden war, obwohl die Betroffenen hier lebten (diese Ffille wurden in die weitere Analyse sehr wohl einbezogen). In 94 Ffillen konnte aus den vorliegenden Materialien aber nicht ersehen werden, warum die betreffenden Suizide nicht im Sample der Todesursachenstatistik enthalten sind, sondem nur in den Polizeiakten, obwohl als Wohnorte eindeutig steirische Gemeinden festzustellen waren und Suizid gemfiB sicherheitsbehOrdlicher Ermittlung eindeutig die Todesursache darstellte. Was nun die Zuverlfissigkeit der offiziellen Todesursachenstatistik betrifft, so ist festzuhalten, dass diese Anzahl von 94 Ffillen auf die Gesamtsumme von 2810 registrierten Ffillen einem Anteil yon 3,3 % entspricht. Die offizielle Todesursachenstatistik ist also bei Vergleich mit den zugrunde liegenden sicherheitsbehOrdlichen Akten in der HOhe der ermittelten Suizidzahlen als verlasslich zu erachten, wenn auch gering[figige Ungenauigkeiten offensichtlich doch auftreten. Ft~r eine Interpretation von ausschlieBlich anhand der Todesursachenstatistik ermittelten Suizidzahlen und-raten bedeutet dies, dass gr/SBere Differenzen zwischen einzelnen Bundeslfindem oder auch Bezirken jedenfalls aussagekrfiftig sind, dass aber Abweichungen der Hfiufigkeiten im Bereich von unter 5 % - auch bei hohen Fallzahlen - nicht als tatsfichlich feststellbare Differenzen interpretiert werden sollten, da sie auf Ungenauigkeiten in der Ermittlung beruhen kOnnten. Insbesondere zu beachten ist dies bei der Ermittlung von Suizidraten ft~r einzelne Bezirke, da hier einige wenige ,,vergessene" Ffille zu relativ hohen Unterschieden in der Suizidrate fi~hren k~nnen.
126
3 Ergebnisse der Studie
Im Folgenden sind die Suizidzahlen und-raten far die steirischen Bezirke gemfiB Todesursachenstatistik jenen anhand Aktenanalyse gegenabergestellt, um die Differenzen deutlich zu machen. Hinsichtlich der regionalen Unterschiede aussagekrfiftiger als die Differenzen far den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 sind aber jene far den Zeitraum 2001 bis 2004, da far jenen einheitlich far die gesamte Steiermark nahezu sfimtliche Suizidfalle betreffende Akten bearbeitet werden konnten, wfihrend dies far den Zeitraum bis 2000 aus weiter unten auszufahrenden Ursachen nicht der Fall war. Tabelle 16: Suizidfalle und Suizidraten nach Wohnbezirken in der Steiermark gem~,B Todesursachenstatistik und gemfiB Aktenanalyse 1995-2004288 Wohnbezirk
H TU
SR TU
H PA
SR PA
Diff H
Diff SR
Graz Stadt
518
22,9
569
25,1
51
2,2
Bruck/Mur
157
24,2
160
24,6
0,4
Deutschlandsberg
154
25,0
157
25,5
0,5
Feldbach
147
21,9
156
23,2
1,3
Ferstenfeld
45
19,6
48
20,9
1,3
Graz Umgebung
258
19,6
268
20,4
Hartberg
156
23,0
164
24,2
1,2
Judenburg
119
24,7
120
24,9
0,2
Knittelfeld
74
24,9
74
24,9
0,0
Leibnitz
175
23,2
178
23,6
0,4
Leoben
195
28,8
199
29,4
0,6
Liezen
216
26,3
221
26,9
0,6
Merzzuschlag
128
29,8
135
31,4
1,6
Murau
98
31,1
99
31,5
0,4
Radkersburg
57
23,7
59
24,5
0,8
Voitsberg
121
22,6
121
22,6
0,0
Weiz
192
22,3
195
22,7
0,4
Stmk. gesamt
2.810
23,7
2.929 A
24,8
10
113
0,8
1,0
ABeinhaltet 6 weitere Falle von Verstorbenen, die keinem bestimmten Bezirk mit Wohnort zuzuordnen waren. 288
Berechnungsgrundlage for die Suizidraten ist hier die BevOlkerunglaut Volksz~.hlung2001.
3.1 Die H~ufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
127
Tabelle 17: Suizidf'~ille und Suizidraten nach Wohnbezirken in der Steiermark gemfiB Todesursachenstatistik und gemfiB Aktenanalyse 2001-2004289 Wohnbezirk
H TU
SR TU
HPA
SR PA
Diff H
Diff SR
Graz Stadt
195
21 1
209
22,6
14
1,5
Bruck/Mur
52
202
55
21,3
11
Deutschlandsberg
51
20 7
54
22,0
1,3
Feldbach
49
182
55
20,4
2,2
F0rstenfeld
14
15,2
17
18,5
3,3
Graz Umgebung
108
20,3
115
21,6
1,3
Hartberg
60
22,2
66
24,3
21
Judenburg
39
20,4
41
21,5
1,1
Knittelfeld
28
23,6
28
236
00
Leibnitz
63
20,8
64
21 1
03
Leoben
79
29,4
80
29,8
0,4
Liezen
88
26,8
91
27,8
10
Merzzuschlag
55
32,2
57
33,4
1,2
Murau
39
31,2
40
32,0
0,8
Radkersburg
18
18,8
20
20,9
2,1
Voitsberg
36
16,8
36
16,8
0,0
Weiz
75
21,8
79
22,9
1,1
Stmk. gesamt
1049
22,1
1107
23,3
58
1,2
Wie eine Betrachtung der obenstehenden Tabellen, insbesondere von Tabelle 17, zeigt, sind gering~gige Abweichungen zwischen den in der Todesursachenstatistik angefahrten Zahlen yon Suizidf'~illen und den sicherheitsbeh0rdlichen Ermittlungsergebnissen festzustellen. Diese Unterschiede kOnnten aus Fehlern in der Datenweitergabe resultieren; die betreffenden Informationen werden zunfichst von den Polizeibeh0rden an die Standesfimter abermittelt, von dort dann weiter an die Statistik Austria, die die gesammelten und ausgewerteten Daten schliel31ich an die Steierm~irkische Landesstatistik tibermittelt.
289 Berechnungsgrundlage for die Suizidraten ist hier wiederum die Bev01kerungszahl laut Bev01kerungsfortschreibung 2001 bis 2004.
128
3 Ergebnisse der Studie
In Frage kommen insbesondere Ungenauigkeiten bei der Klassifikation der Todesursache in den amtlichen Protokollen, die von den Standesfimtern verwendet werden. So ist es etwa aufffillig, dass die offizielle Todesursachenstatistik u.a. Psychosen als Todesursache fahrt (mit insgesamt durchschnittlich etwa 50 Todesfallen pro Jahr in Osterreich im Zeitraum 2001 bis 2004), wiewohl eine psychotische Erkrankung nur unter sehr seltenen Umstfinden ,,direkte" Todesursache ist. Die Betroffenen massen also eigentlich durch Unglt~ckfalle, durch resultierende Folgeerkrankungen (etwa wegen mangelnder Nahrungsaufnahme o.fi.) oder eben auch durch Suizid verstorben sein. Die entsprechende Kategorie in der Todesursachenstatistik masste eigentlich aberdacht werden, denn far eine zutreffende Erfassung aller mittelbar wegen psychotischer Erkrankungen verstorbenen Personen erscheint sie ungeeignet, da offensichtlich der aberwiegende Anteil derselben in der Kategorie ,,Selbstmord" reprfisentiert ist. Wie aus der Tabelle zu ersehen, betreffen die entsprechenden Abweichungen auch far den gleichmfi6ig dokumentierten Zeitraum 2001 bis 2004 die einzelnen steirischen Bezirke in unterschiedlichem Ausma6; in manchen stimmen die statistisch ausgewiesenen Gesamtzahlen der Suizide - und damit auch die ermittelten Suizidraten - v6llig mit der Anzahl der beh~Srdlich ermittelten Suizidfalle aberein, in einigen sind die Abweichungen mit ein oder zwei Ffillen geringfagig, in manchen aber doch deutlich: So ergibt die Suizidrate far den Bezirk Hartberg bei Revision gemfig Aktenlage statt 22,2 einen Wert von 24,3, jene von Farstenfeld statt 15,2 18,5, die von Feldbach statt 18,2 20,4, und jene yon Radkernburg statt 18,8 20,9. Wie leicht ersehen werden kann, fielen die letzten beiden Bezirke damit bei einer neuerlichen Klassifikation, wie sie oben far die kartographischen Obersichten angewandt wurde, nun in die nfichsth6here Kategorie (Suizidrate zwischen 20 und 24,9). Far die restlichen Bezirke bliebe die Zuordnung aber zutreffend, sodass die Analysen aberregionaler Muster mit Hilfe jener Kategorien von jeweils 5 Zfih|ern der Suizidrate (10-14,9, 15-19,9 usw.) hinsichtlich ihrer Hauptergebnisse - etwa die h6heren Suizidh~iufigkeiten in der Obersteiermark gegenaber dem Rest des Landes - durch die anhand der Aktenanalyse ermittelten Unschfirfe nicht in Frage gestellt werden.Vorsicht erscheint aber beim Versuch der Interpretation nur leicht unterschiedlicher Suizidraten einzelner Bezirke gegeben. Unterschiede von 1 oder 2 im Zfihler der Suizidrate k6nnen nfimlich offensichtlich durch geringfagige Fehler entstehen und mt~ssen keinerlei tatsfichliche Differenzen widerspiegeln. Nun ist aber nochmals auf die Ermittlung der Suizidfalle anhand polizeilicher Akten zurackzukommen: Die Gesamtzahl der so ermittelten Ffille far den Zeitraum 1995 bis 2004 betrug 2929. Die tatsfichliche Suizidzahl darfte wahrscheinlich noch etwas hOher gelegen haben, da von einer gewissen ,,Dunkelziffer" (z.B. als Verkehrsunfalle ,,getarnte" Suizide) auszugehen ist. Solche Ffille konnten selbstverstfindlich nicht beracksichtigt werden, da sie eben behOrdlich unbekannt geblieben sind. Zu jenen 2929 in der vorliegenden Untersuchung analysierten Suizidffillen ist betreffend die jeweiligen Datenherkunft noch folgendes festzuhalten: 1656 Suizidffille (57 %) sind sowohl in der Todesursachenstatistik der Steiermfirkischen Landesstatistik als auch bei den Sicherheitsbeh6rden dokumentiert; 119 Todesfalle (knapp 4 %) sind nur bei den Sicherheitsbeh6rden, nicht aber bei der Statistik Austria erfasst, insgesamt 1154 (39 %) jedoch nur bei der Statistik Austria, nicht mehr aber bei den steirischen Sicherheitsbeht~rden. Hinsichtlich der Grande hierfar ist vor allem der Umstand maggeblich, dass bei den Polizei- und Gendarmeriebeh~Srden Suizide betreffende Akten im Allgemeinen nach fanf Jahren ausgeschieden werden. Dieser Umstand wurde dem Verfasser erst im Verlauf der Studie bekannt.
3.1 Die Hfiufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
129
Der Versuch, anhand der von den Polizei- und Gendarmeriebeh6rden an die Bezirkshauptmannschaften zu tibersendenden ,,Vorfallenheits-Berichte" bei ,,unnattirlichen" Todesf'~illen das Fehlen der polizeilichen Akten selbst far die Jahre 1995 bis 1999 auszugleichen, war nur teilweise von Erfolg gekrOnt, da die einzelnen Bezirkshauptmannschaften offensichtlich unterschiedliche Skartierungsvorschriften anwenden, und in einem Teil derselben Vorfallenheitsberichte, die sich auf l~inger als 5 Jahre zurackliegende Ereignisse beziehen, ebenfalls bereits vernichtet wurden. So ergibt sich der Umstand, dass von den insgesamt 1062 Suizidf~illen, welche sich in der Steiermark ereigneten und far welche bei den Sicherheitsbeh6rden keine Akten mehr eingesehen werden konnten (92 betrafen Steirer, die sich aber auBerhalb des Bundeslandes suizidiert hatten, weshalb hier auf eine entsprechende Aktenerhebung wegen des zu groBen Aufwandes verzichtet wurde), der gr6Bte Teil, nfimlich 944, auf die Jahre 1995 bis 1999 entfallen, nur 118 dagegen auf die Jahre 2000 bis 2004. Hier resultieren die fehlenden Daten vor allem aus der unweigerlich auftretenden Unauffindlichkeit einzelner Akten sowie daraus, dass zu manchen statistisch bereits gemeldeten Suizidfallen die entsprechenden Akten aber noch ,,often", das heiBt in Bearbeitung seitens der zust~indigen PolizeibehOrde waren, und daher seitens des Studienautors nicht bearbeitet werden konnten. Angesichts der relativ geringen Fallzahl far diesen Zeitraum - 119 Ffille von 1404 entsprechen 8,5 % - sind dadurch aber keine groBen Verzerrungen hinsichtlich der zu gewinnenden Informationen zu erwarten; far den Zeitraum yon 1995 bis 1999 stellt sich die Lage dagegen anders dar, da far 944 der 1525 in jenen Jahren vorgefallenen Suizidfalle k e i n e sicherheitsbeh/Srdlichen Akten mehr eingesehen werden konnten. Da diese Ausf~ille noch dazu eben nicht gleichm~iBig das Gebiet des Bundeslandes betreffen, sondern sich auf einzelne Bezirke konzentrieren, sind von einer Auswertung der s i c h e r h e i t s b e h O r d l i c h e n Akten fiir diese erste Teilperiode keine reprfisentativen Ergebnisse zu erwarten. Dementsprechend werden im Folgenden far die Periode 1995 bis 1999 die Daten der offiziellen Todesursachenstatistik ausgewertet, aber mangels solide verwertbarer Datengrundlage far die Zeit davor dartiber hinausweisende Fragestellungen lediglich anhand der Daten far den Zeitraum yon 2000 bis 2004 behandelt. Immerhin erlauben die vorhandenen Daten die Beantwortung der grundlegendsten Fragen zur Suizidalitfit in der Steiermark auch far den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004; im Folgenden wird zun~ichst die Verteilung der Suizide sowohl nach regionalen wie nach zeitlichen Kriterien prfisentiert: 29~ Wie aus Tabelle 18 und dem zugeh6rigen Diagramm nfiher zu ersehen ist, nimmt die Anzahl der Suizide in der Steiermark insgesamt trotz gewisser j~ihrlicher Schwankungen tendenziell leicht ab; dasselbe gilt auch far viele einzelne Bezirke, wenngleich hier die jfihrlichen Schwankungen aufgrund der geringeren Fallzahlen naturgemfiB st~irker ausfallen und auch deutliche regionale Unterschiede auszumachen sind. Ein zusammenfassender Vergleich der beiden 5-Jahres-Perioden 1995 bis 1999 und 2000 bis 2004 (siehe Tabelle 19) kann hierzu die jeweilige Tendenz noch besser verdeutlichen.
29oDa die Anzahl der erst durch Aktenanalyse erhobenen Suizidf~lle for den Zeitraum vor 2000 mit insgesamt 38 vergleichsweise sehr gering ist, und far keinen Bezirk einen gr/3BerenAnteil ausmacht (mit Ausnahme yon Graz h0chstens 1 bis 2 Rille pro Bezirk), wurden diese F~illeaus der Gesamtauswertungnicht nachtr~iglichausgeschlossen, da hiervon keine Verzerrungen der Ergebnisse zu erwarten waren, obwohl eben nicht mehr zu allen Bezirken diesbeztigliche Akten vorlagen.
130
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 18: Suizide in der Steiermark nach Wohnbezirken und Jahren - absolute H~iufigkeiten Wohnbezirk
1995
1996
1997
1998
1999
2000 '2001
G
63
BM
16
16
16
17
16
DL
12
20
15
12
20
'
FB
20
20
14
21
17
:
2002
2003
2004
Total
569
I !
57
57
58
FF
5
8
5
GU
30
37
18 '
,
,
,
HB
13
23
JU
18
KF
7
LB
'
LE
24
'
28
LI
16 l
12
11
21
11
160
24
11
12
17
14
157
9
17
13
11
14
156
1
5
5
6
48
30
22
31
32
268
,
16
15 9
I
,
14
6
10
6
4
9
19
11
20
30
16
'
27
,
,
10
27
26
24
4
12
,
44
25
8
20
56
4
14
,
53
14
19
'
56
5 ,
18
68
29
19
17
57
,
9
13
5
8
11
178
22
25
199
19 ,
10
13
8
9
12
7
9
11
10
7
6
,
7
,
8
25 ,
10
4
! i
VO
'
18
,
'
19
'
;
20 ,
15
1
.
Stmk.
327
322
'
.
10
,
13
17
7
11
,
,
|
284
12
294
8 ,
121 l
23 ,
59 J
9 |
99
5 |
29
135 ,
6 i
,
:
,
7
221 ,
18
|
13
2
290
7
|
18
.
302
'
,
18
,
.
11
|
22
,
k.A.
340 320 300 280 260 240 220 200
' ,
25
,
Abbildung 7."
12
,
13
25 ,
12
!
2
22 |
,
WZ
74
27
18
7
120
6
10
10
RA
8
9
20
,
|
11
16
10
,
164
13
19
,
,
16
18
MZ
,
,
12
MU ,
,
20
12 25
,
,
18
14 ,
195 i
2
-
-
1
6
250
290
302
268
2929
Anzahl der Suizide und linearer Trend - Steiermark 1995-2004
........................................................................................................................................................................................................................... ~
~l"~-"'~e- -~
I
1995
!
l
1996
I
1997
I
1998
I --o-- Anzahl Suizide
I
1999
I
2000
I
2001
I
2002
I
2003
Linear (Anzahl Suizide) I
2004
3.1 Die H~ufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
131
Tabelle 19: Suizide in den Perioden 1995-99 und 2000-04 in den steirischen Bezirken Bezirk
1995 bis 1999
2000 bis 2004
Differenz
Differenz in Prozent
Gesamte Anzahl 569
Graz Stadt
292
277
-15
-5 %
Bruck/Mur
81
79
-2
-3 %
160
Deutschlandsberg
79
78
-1
-1%
157
Feldbach F0rstenfeld
92 27
64 21
-28 -6
-30 % -22 %
156 48
Graz Umgebung Hartberg
128 84
140 80
12 -4
9% -5 %
268 164
Judenburg Knittelfeld Leibnitz
69 42 96
51 32 82
-18 -10 -14
-26 % -24 % -15 %
120 74 178
Leoben
107
92
-15
-14 %
199
Liezen
105
116
11
11%
221
M0rzzuschlag
70
65
-5
-7 %
135
Murau Radkersburg
48 31
51 28
3 -3
6% -10 %
99 59
Voitsberg
75
46
-29
-39 %
121
Weiz
98
97
-1
-1%
195
Steiermark A
1525
1404
-121
-9 %
2929
ASummeneinschlieBlich yon 6 nicht nach Wohnbezirkzuordenbaren Fallen Wfihrend in den Bezirken Voitsberg, Feldbach, Fiirstenfeld, Judenburg und Knittelfeld ein bemerkenswerter Riickgang der Suizidzahlen um jeweils mehr als 20 %, teils sogar t~ber 30 % zu bemerken ist und auch die Bezirke Leibnitz, Leoben, Radkersburg Rackgfinge von 10 und mehr Prozent aufweisen, Graz, Hartberg und Mt~rzzuschlag immerhin solche von 5 bis 10 %, blieb die Suizidhfiufigkeit in Bruck, Weiz und Deutschlandsberg nahezu unverfindert, und in Graz-Umgebung, Murau und Liezen stieg sie sogar- im letzteren Fall um 11% - an. Um diese Verfindemngen richtig bewerten zu kOnnen, sind sie aber noch in Beziehung mit der BevOlkerungsentwicklung zu setzen; zwischen den beiden Volkszfihlungen 1991 und 2001 sank die WohnbevOlkerung im Bezirk Leoben um fast 8 %, sodass die abnehmende Suizidanzahl zu einem betrfichtlichen Teil hierauf zu~ckgefahrt werden kann. TM Auch die geringere Abnahme der absoluten H~ufigkeit im Marzzuschlag ist wohl teils mit der BevOlkerungsreduktion in diesem Bezirk (1991-2001 um 4 %) zu erklfiren; im Falle von Bruck an der Mur ist die BevOlkerungsreduktion in diesem Zeitraum (der freilich mit dem Untersuchungszeitraum nicht abereinstimmt, aber doch einen guten Anhaltspunkt liefem kann) mit 4 % grOBer als die zwischen den Perioden 1995 bis 1999 und 2000 bis 2004 konstatierte Abnahme der Anzahl der Suizide, in Graz (BevOlkemngsabnahme 19912001:5 %) etwa gleich hoch. Dahingegen ist die eklatante Abnahme der Suizidzahl in 29JVgl. hierzu die Volksz~hlungsergebnisse 1991 und 2001.
132
3 Ergebnisse der Studie
Judenburg und Voitsberg nattirlich keineswegs durch die vergleichsweise geringe Bev/31kerungsreduktion (1991-2001:4 % bzw. 2 %) erkl~rbar; in Knittelfeld, Feldbach, Ftirstenfeld und Leibnitz stehen stark abnehmende Suizidzahlen sogar stabilen bzw. leicht steigenden Populationen gegentiber. Die drei Bezirke Graz-Umgebung, Liezen und Murau weisen wie erw~hnt im Vergleich der absoluten Suizidzahlen far die beiden Perioden 1995 bis 1999 und 2000 bis 2004 einen Anstieg auf (9 %, 11% und 6 %) ; nur im Falle der letzteren beiden dOrfte es sich aber um einen ,,echten", gr/3Beren Zuwachs handeln, da die Bev01kerungszahl teils etwas sank (Murau: 2 %) bzw. nur leicht stieg (Liezen: 1%); im Bezirk Graz-Umgebung handelt es sich dagegen um eine rasche wachsende Einwohnerschaft (fiber 11% zwischen 1991 und 2001), sodass das Anwachsen der absoluten Suizidzahl zum gr0Beren Teil hierauf zurackzufahren ist. Steiermarkweit sank also die Zahl der Suizide, vergleicht man die zweite Hgilfte der 1990er Jahre mit den Jahren 2000 bis 2004, um 9 %, was angesichts der insgesamt im Bundesland sehr stabilen Bev6lkerungszahl (1991-2001." Abnahme um 0,1%) einen realen Rzickgang der Suizidalitgit bedeutet. Der folgende Rangvergleich der Suizidh~ufigkeiten zwischen den einzelnen Bezirken far den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 (Tabelle 20) anhand der Suizidraten bezieht diese auf die Einwohnerzahl anhand der Volksz~hlung im Mai 2001, die in etwa in der Mitre der betrachteten Zeitspanne liegt, sodass gr/3Bere Verzerrungen durch die unterschiedlichen BevOlkerungsentwicklungen in den einzelnen Bezirken innerhalb dieses Jahrzehnts hintangehalten werden. Wie aus der umseitigen Tabelle zu ersehen ist, bewegen sich far das Jahrzehnt von 1995 bis 2004, gleichgt~ltig ob mit oder ohne Einbeziehung der in der amtlichen Todesursachenstatistik nicht registrierten Suizidfalle in der Steiermark, nut zwei Bezirke hinsichtlich der Suizidrate in einer H6he, welche vom (3sterreich-Durchschnitt von 18,7 nicht allzu stark abweicht, nfimlich Graz-Umgebung und Ftirstenfeld (nach Aktenanalyse ca. 20 bzw. ca. 21). Die durchwegs west- und oststeirischen Bezirke Voitsberg, Weiz, Feldbach, Leibnitz und Hartberg weisen gem~B Aktenanalyse, wenn auf ganze Zahlen gerundet wird, (rohe) Suizidraten von 23 oder 24 auf. Eine Suizidrate von rund 25 weisen hierbei die obersteirischen Bezirke Bruck, Judenburg, Knittelfeld und die Landeshauptstadt Graz auf (letzteres h~tte ohne die in der Todesursachenstatistik nicht gezfihlten Ffille nur eine Rate von 23), geringfagig dartiber liegt Deutschlandsberg. Nochmals deutlich h{Sher liegt die Suizidrate in Liezen mit ca. 27; die am stfirksten betroffenen Bezirke sind Leoben mit einer Rate von aber 29 sowie Mtirzzuschlag und Murau mit Raten yon mehr als 31. Bei Rundung auf ganze Zfihler lfisst sich die regionale Verteilung der Suizidraten im Land kartographisch besonders deutlich darstellen (siehe Abbildung 8). Wdhrend alle steirischen Bezirke im Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 gegeniiber dem Osterreich-Durchschnitt erhOhte Suizidraten aufweisen, zeigen sich die relativ geringsten Abweichungen nach oben m den Bezirken westlich und 6stlich von Graz (Graz-Umgebung, Voitsberg, Weiz, F~irstenfeld, Feldbach), wgihrend die obersteirischen Bezirke Liezen, Bruck, Knittelfeld und Judenburg und Graz selbst, weiters die ,,randstgindigen" siidwestbzw. siidOstlichen Bezirke Deutschlandsberg und Radkersburg und in etwas geringerem Ausmafl auch das s~dsteirische Leibnitz und das nordoststeirische Hartberg noch deutlicher erh6hte Raten aufweisen. Die mit deutlichem Abstand hOchsten Suizidraten fiir den Gesamtzeitraum von 1995 bis 2004 JTnden sich aber in den Bezirken Murau, M~rzzuschlag und Leoben.
3.1 Die H~iufigkeit der Suizide in (3sterreich und in der Steiermark 1995-2004
133
Tabelle 20: Rangfolge der Suizidraten steirischer Bezirke far den Zeitraum 1995-2004 292 Wohnbezirk
SR PA Rang SRTU
Wohnbezirk
SR PA Rang SR TU
Graz-Umgebung
20,4
1
19,6
Knittelfeld
24,9
11
24,9
FQrstenfeld
20,9
2
19,6
Graz Stadt
25,1
12
22,9
Voitsberg
22,6
3
22,6
Deutschlandsberg 25,5
13
25,0
Weiz
22,7
4
22,3
Liezen
26,9
14
26,3
Feldbach
23,2
5
21,9
Leoben
29,4
15
28,8
Leibnitz
23,6
6
23,2
M0rzzuschlag
31,4
16
29,8
Hartberg
24,2
7
23,0
Murau
31,5
17
31,1
Radkersburg
24,5
8
23,7
Steiermark
24,8
-
23, 7
Bruck/Mur
24,6
9
24,2
Judenburg
24,9
10
24,7
Abbildung 8."
Osterreich
. . . .
(Rohe) Suizidraten in der Steiermark 1995-2004 nach Bezirken 293
2I
[]
Suizidrate 20 - 24
[]
S u i z i d r a t e 25 - 2 9
9
S u i z i d r a t e 30 +
292Bezogen auf die BevOlkerungszahl laut Volkszfihlung2001. 293Entwurf und AusfOhrung der Karte: Carlos Watzka; Zahlen gemal3Aktenanalyse.
19,7
134
3 Ergebnisse der Studie
Far den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 und anhand der durch Aktenanalyse revidierten Zahlen stellen sich naturgema6 auch die geschlechtsspezifischen Suizidraten etwas anders dar, als sie sich anhand der Todesursachenstatistik allein ergeben. Die korrigierten Werte sind der folgenden Tabelle entnehmbar: Tabelle 21" Suizide und Suizidraten (roh) nach Geschlecht und Bezirk 1995-2004294
Bezirk
m~nnl. Suizidenten
Suizidrate M~nner
weibl. Suizidenten
Suizidrate Frauen
Genderratio
Graz (Stadt)
382
36,0
187
15,6
2,0
Bruck an der Mur
127
40,3
33
9,9
3,8
Deutschlandsberg
122
40,3
35
11,2
3,5
Feldbach
124
37,4
32
9,4
3,9
FOrstenfeld
45
40,5
2,5
15,0
Graz-Umgebung
211
32,8
57
8,5
37
Hartberg
132
39,4
32
9,3
4,1
Judenburg
99
42,0
21
8,5
4,7
Knittelfeld
55
37,7
19
12,6
2,9
Leibnitz
137
370
41
10,7
3,3
Leoben
149
45,7
50
14,2
3,0
Liezen
166
417
55
13,0
3,0
MQrzzuschlag
104
50,0
31
14,0
3,4
Murau
74
47,7
25
15,7
3,0
Radkersburg
39
33,2
20
16,2
2,0
Voitsberg
86
32,9
35
12,7
2,5
Weiz
145
34,1
50
115
29
Steiermark
2197
38,2
726
11,9
3,0
Auch diese Analyse zeigt wiederum das starke Uberwiegen des mfinnlichen Geschlechts unter den Suizidopfern; die gesamtsteirische Genderratio betrfigt hier 3,0, ist also mit dem anhand der Todesursachenstatistik allein (mr die Jahre 2001 bis 2004) ermittelten nahezu ident (3,1), und weicht auch vom gesamt0sterreichischen (2,9) nur wenig ab. 294Grundlage ffir die Berechnungder Suizidraten bildet die Einwohnerzahl der Volksz~hlung2001o
3.1 Die Haufigkeit der Suizide in Osterreich und in der Steiermark 1995-2004
135
A u f eine SelbsttOtung einer Frau entfallen also in der Steiermark im Zeitraum 1995 bis 2004jeweils 3 Suizide von Miinnern, in Prozentangaben ausgedriickt stellen Manner 75 %, Frauen 25 % der steirischen Suizidenten. Far die einzelnen Bezirke ergeben sich aber durchaus unterschiedliche Werte, wie dies ja bereits auch bei der t~sterreichweiten Analyse der Werte far den Zeitraum 2001 bis 2004 konstatiert wurde. Allerdings gleich der lfingere Untersuchungszeitraum kurzfristige Schwankungen starker aus; signifikante Abweichungen (+/- 0,5 vom steirischen Durchschnitt von 3,0) liegen far folgende Bezirke vor: Klar erh6hte relative Suizidh~iufigkeiten im Bezug zur mfinnlichen Suizidrate in Graz und Radkersburg (Verhfiltnis je 2,0) sowie Voitsberg (2,5), deutlich niedrigere relative Suizidrisken far Frauen dagegen in den Bezirken Deutschlandsberg, Feldbach, Graz-Umgebung, Bruck (3,5 bis 3,9), insbesondere aber in Hartberg und Judenburg (4,1 bzw. 4,7) und in Ftirstenfeld, wo 45 Suiziden von Mfinnern ,,nur" drei von Frauen gegeniiberstehen, was einem Verhfiltnis yon 15:1 entspricht. Selbstverstfindlich spielt hier die geringe Fallzahl beim Zustandekommen dieser eklatant abweichenden Genderratio eine grol3e Rolle; dass der Befund an sich aber h6chst bedeutsam ist, und doch keineswegs von einem einzigen Fall abh~ingt, zeigt besonders deutlich ein Vergleich zwischen den Bezirken Radkersburg und Ftirstenfeld: Beide weisen eine geringe Gesamtanzahl an Suiziden auf (59 bzw. 48), die freilich mit der Tatsache korrespondiert, dass es sich auch um die am wenigsten einwohnerreichen Bezirke des Landes handelt (ca. 23.000 bzw. 24.000 Einwohner gemW3 VZ 2001); in Radkersburg stehen aber 39 Suiziden von Mfinnem 20 Suizide von Frauen gegentiber, wtihrend es in Ftirstenfeld 45 Suizide von M~innern versus 3 yon Frauen waren. Gerade bei zwei in ihrer sozio/Skonomischen Struktur und geographischen Lage sehr fihnlichen Mikroregionen wie Ftirstenfeld und Radkersburg erscheint es schwierig, ftir die konstatierte Differenz plausible Erkl~imngen zu finden. Vielleicht handelt es sich bei manchen auffiilligen Genderratios zumindest teilweise um nicht mit strukturellen Gegebenheiten in Zusammenhang stehende ,,Zuf~illigkeiten", was angesichts der nicht allzu gro6en Fallzahlen flir etliche Bezirke durchaus m6glich scheint. Konsistent mit den Annahmen, die bereits an frtiherer Stelle ge~iul3ert wurden, ist jedenfalls das auch bei Betrachtung tiber den Gesamtzeitraum ~ r Frauen unverfindert ungianstige GeschlechterverhWtnis in der Landeshauptstadt, wo aufje zwei ,,m~innliche" Suizide ein ,,weiblicher" entf~illt. Eine Analyse der geschlechtsspezifischen Suizidraten zeigt ein fihnliches, aber doch verfindertes Bild: Ftir das weibliche Geschlecht nehmen auch hierbei Radkersburg und Graz-Stadt die ungtinstigsten Positionen ein (SR 15 und mehr), allerdings letzteres etwa gleichauf mit dem Bezirk Murau; das Risiko far Suizid Nr Frauen ist dort also ebenso grog wie in Graz-Stadt (und lediglich die stark erh6hte mfinnliche Suizidrate ebendort lfisst die Genderratio eine unauff~illige Hi, he annehmen). Auch Mtirzzuschlag und Leoben haben hohe weibliche Suizidraten (14), was ebenso mit den hohen Gesamtraten einhergeht, wfihrend in Radkersburg die ht~chste weibliche Suizidrate einer- far steirische Verhfiltnisse niedrigen m~innlichen gegentibersteht. Besonders niedrige weibliche Suizidraten (unter 10) ~ r den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 zeigen sich, abgesehen von Ftirstenfeld, weiters in den Bezirken Feldbach, Hartberg, Graz-Umgebung und Judenburg. Zu diesen Unterschieden siehe wiederum die kartographischen Darstellungen (Abbildung 9 und 10) umseitig. 295
295Entwurfund Ausfahrungder Karten: Carlos Watzka
136
Abbildung 9."
3 Ergebnisse der Studie Suizide von M~innern in der Steiermark 1995-2004" Jfihrliche Suizidraten
[]
S u i z i d r a t e 30 - 34
[]
S u i z i d r a t e 35- 39
9
S u i z i d r a t e 40 - 44
9
S u i z i d r a t e 45 +
Abbildung 10." Suizide von Frauen in der Steiermark 1995-2004: Jfihrliche Suizidraten
=__ Suizidra,o,O,4 []
Suizidra.e,5,9
"~
S
"
)
'~k
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
137
Betrachtet man die m~,nnlichen Suizidraten, so zeigen sich lediglich far vier - s~mtlich nicht-obersteirische - Bezirke Werte unter 35: Far Graz-Umgebung, Voitsberg, Radkersburg (je ca. 33) und far Weiz (34). Jfihrliche Suizidraten zwischen 35 und 40 je 100.000 Einwohner ergeben sich far die Stadt Graz (36), Leibnitz und Feldbach (je ca. 37) sowie Knittelfeld und Hartberg (38 bzw. 39). Suizidraten von M~,nnern tiber 40 weisen Bruck und Deutschlandsberg (je ca. 40), Ft~rstenfeld (ca. 41), Judenburg und Liezen auf (je ca. 42), wfihrend die Bezirke Leoben (ca. 46), Murau (ca. 48) und Marzzuschlag- mit dem traurigen Spitzenwert von exakt 50 - wie in der Rangordnung der Gesamt-Suizidrate auch in jener der Mfinner die prek~,rsten Positionen einnehmen. (Dieses Ergebnis war natarlich zu erwarten, wird doch die geschlechter-unspezifische Gesamtrate zum gr6Bten Teil durch die Rate der mfinnlichen Suizide bestimmt.) Auch die Altersverteilung der Suizidenten stellt sich natarlich in den einzelnen Bezirken unterschiedlich dar; diesem Aspekt soll aber, wie der Frage nach den etwaigen sozialen und 6kologischen Bedingtheiten und Ursachen der unterschiedlich hohen Suizidalitfit in den Bezirken, wie sie soeben beschrieben wurde, in den folgenden Kapiteln nachgegangen werden.
3.2. Makrosoziale Analysen zu Umstiinden und Ursachen letaler Suizidalit~it in Osterreich insgesamt und in der Steiermark im Besonderen Im Folgenden werden jene Smdienergebnisse prfisentiert, die anhand der Analyse von Aggregatdaten zur Suizidalitfit und mutmaBlich mit ihr in Verbindung stehenden sozialen und Okologischen Faktoren gewonnen wurden. Als Datengrundlage diente far die Anzahl der Suizide die 6sterreichweite Todesursachenstatistik der Statistik Austria; far die verschiedenen ,,unabh~,ngigen" Variablen wurden unterschiedliche Datenquellen herangezogen, die bei ihrer jeweiligen Besprechung angefahrt werden. An dieser Stelle sei auch nochmals auf Kapitel 2 verwiesen, in welchem alle Erhebungsparameter und die betreffenden Hypothesen far die folgenden Analysen mittels Korrelationen und Regressionen vorgestellt wurden. Als Untersuchungseinheiten fungieren, wie weiter oben nfiher dargelegt wurde, die politischen Bezirke Osterreichs, wobei aber Wien als eine Einheit behandelt und nicht nach Stadtbezirken aufgeschlt~sselt wird, der Untersuchungsrahmen erstreckt sich aufgrund der hierfar vorhandenen Datenlage auf die Jahre 2001 bis 2004; zunfichst erfolgt die Er6rterung der bivariaten Korrelationen 296 und Regressionen, danach wird auf mehrfaktorielle Zusammenhfinge eingegangen. Hinsichtlich der festgestellten Korrelationen wird h i e r - angesichts des Umstandes, dasses sich um Ergebnisse einer Vollerhebung und um Aggregatdaten (und nicht um eine Stichprobenerhebung) handelt - schon ab einem Wert von (+ bzw. -) 0,15 von einem ,,fest296 Far die Korrelationen wurden auch Signifikanzen der Ergebnisse ermittelt, obwohl es sich um eine Stichprobenerhebung handelt, und dies so nach statistischen Kriterien nicht n0tig ware, stellt dochjede Abweichung, die in einer Vollerhebung erhoben wurde, eine ,,echte" Abweichung dar und entfallt das Problem der Repr~sentativitat. Andererseits ist es dennoch denkbar, dass die zugrunde liegenden Werteverteilungen und damit auch die ermittelte Korrelation auf inhaltlich nicht relevanten ,,Zufa,llen" etwa in der Bildung der Untersuchungseinheiten beruhen. Man kann daher das Ensemble der Erhebungseinheiten (Bezirke) als ,,Zufallsauswahl" aus einer Vielzahl m0glicher Erhebungseinheiten auffassen, womit die Berechnung eines Signifikanzniveaus wieder insoweit sinnvoll wird, als dieses erlaubt, festzustellen, wie ,,sicher" sich der erhobene Zusammenhang gegent~ber solchen mOglichen anderen Erhebungsweisen darstellt. Erreichte Signifikanzniveaus werden mit 99 %, 95 % oder 90 % angegeben, ist die Signifikanz geringer, erfolgt keine Angabe.
138
3 Ergebnisse der Studie
stellbaren" statistischen Zusammenhang gesprochen; bei Werten von (+ b z w . - ) 0,20 bis 0,29 von einem ,,deutlichen" Zusammenhang, bei Werten ab (+ bzw. -) 0,30 von einem ,,starken", und bei solchen ab (+ bzw. -) 0,40 von einem ,,sehr starken".
3.2.1
Suizidrate und topographische Situation
Es wurde angenommen, dass in Regionen mit alpiner Topographie mehr Suizide (bezogen auf die Einwohnerzahlen) vorfallen als in anderen Regionen. Hierft~r dtirften wiederum mehrfache Ursachen anzunehmen sein, deren jeweils einzelner Auswirkungsgrad freilich nur durch weiterftihrende Analysen bestimmbar w~ire: Zum einen sind in alpinen Regionen die in Talem gelegenen Wohnorte des GrofSteils der Bevtilkerung am st~irksten vom Effekt der Begrenzung der tfiglichen Sonneneinstrahlung durch Gebirge betroffen, zum anderen ist aber auch die Siedlungsstruktur in hochalpinen Regionen eine andere, ntimlich durch gr6fSere Distanzen und geringere Bev01kerungszahlen gepr~igt als in anderen Landesteilen. Damit in Zusammenhang stehen geringere Auswirkungen von psychisch belastenden, aber auch von protektiven Aspekten des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses. Als geeigneter Indikator f'ur die 15berprtifung eines Zusammenhangs zwischen der Suizidrate und dem Flfichenanteil alpinen Gel~indes erschien der Anteil des Dauersiedlungsraums, wie er von der Statistik Austria erhoben w i r d . 297 Dieser Zusammenhang sollte entsprechend dem Gesagten nattirlich in negativer Richtung ausfallen, es sollte also mit wenig Dauersiedlungsraum in einer Region eine hohe Suizidrate verbunden sein.
Tabelle 22." Dauersiedlungsraum - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen (KA) SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,34
-0,40
-0,54
-0,54
SN (lS)
99%
99 %
99%
95 %
Die bivariate Korrelation zeigt einen hohen negativen Zusammenhang zwischen dem Anteil der Dauersiedlungsflfiche und der Suizidrate, und zwar sowohl f't~r Osterreich insgesamt als auch- in noch viel starkerer Weise - innerhalb der Steiermark; die entsprechende Hypothese wird durch die Daten also bestfitigt. Angesichts des Umstandes, dass es sich um Aggregatdaten handelt, kann fur die Steiermark von einem extrem hohen Zusammenhang gesprochen werden, wobei vorlfiufig nattirlich unklar bleiben muss, inwieweit die alpine Lage der betroffenen Bezirke selbst kausal fi~r erhOhte Suizidalit~it verantwortlich ist bzw. inwieweit diese Bezirke lediglich aufgrund ihrer vielfach verkehrstechnisch, sozio0konomisch und auch sozialmedizinisch und kulturell hfiufig peripheren Lage von erh0hter Suizidalit~it be297Fl~chennutzungsstatistik der Statistik Austria ft~r das Jahr 2000 (ISIS-Datenbank). Als ,,Dauersiedlungsraum" im Sinne der Statistik Austria gelten: ,,Bauflachen, landwirtschaftlich genutzte Grundflfichen, Gfirten, Weingarten [...] Ortsraum, Verkehrsfl~chen, Lagerpl~tze, Werksgelande [...] Sport- und Spielplatze, Friedh0fe, Parks, B~der [...] und andere [Flachen] [...] unter Ausschluss der alpinen Grtmland-, der Wald- und Odland- sowie der Gewasserflachen." (Statistik Austria (Hg.), Statistisches Jahrbuch Osterreichs 2005. Wien 2005, S. 44.) Somit besteht der Nicht-Dauersiedlungsraum ft~rdie meisten 0sterreichischen Bezirke im Wesentlichen aus bewaldeten und unbewaldeten Gebirgsflachen.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in t3sterreich und in der Steiermark
139
troffen sind. Jedenfalls aber sind alpine Lage eines Bezirks und Suizidrate in Osterreich insgesamt und in der Steiermark im Besonderen deutlich statistisch miteinander assoziiert (auch nach Kontrolle der Alterstruktur), wobei prfiventionspolitisch ja das blol3e Faktum schon von erheblichem Belang ist. Was bedeutet aber nun eigentlich ein Korrelationskoeffizient von 0,40 bzw. 0,54 konkret far die Unterschiede in der Suizidrate? Um dies zu verdeutlichen, wird hier- und auch im Folgenden - nach M6glichkeit folgendes Verfahren zur Anwendung gebracht: Die Gesamtheit der untersuchten Bezirke wird im Hinblick auf die Ausprfigung der unabhfingigen Variablen, deren Zusammenhang mit der Suizidrate zur Debatte steht, in drei Kategorien geteilt, nfimlich das oberste Quartil (O), das unterste Quartil (U) und eine mittlere Kategorie (M), welche die restlichen Bezirke umfasst, also far den tisterreichweiten Bezug eine Klasse mit jenen 25 Bezirken, welche die h~3chsten Anteilswerte von Dauersiedlungsraum aufweisen, eine mit den 25 Bezirken mit den niedrigsten Anteilen, und eine Restkategorie der 49 Bezirke mit mittleren Werten. Far die Steiermark ergibt dasselbe Verfahren eine Aufteilung in je 4 Bezirke mit den ht~chsten und niedrigsten Werten und eine Residualklasse mit 9 Bezirken. Far diese Klassen werden sodann jeweils die Mittelwerte der abhtingigen Variablen der Suizidrate und die dazugeh~3rigen Streuungsmal3e ermittelt. So werden die mit der jeweiligen unabh~ingigen Variablen assoziierten Differenzen in der Suizidrate anschaulich gemacht; zugleich sind die in dieser Hinsicht jeweils am st~irksten betroffenen Bezirke benennbar, was hier der Ktirze wegen nur tar die steiermarkweiten Untersuchungen erfolgt. Eine weitere Untersuchung des Zusammenhangs erfolgt sodann gew6hnlich mittels linearer Regression. Far den Aspekt ,,Anteil des Dauersiedlungsraums" ergibt ein Mittelwertvergleich, jeweils vorgenommen far die bereits altersstandardisierten Suizidraten, folgendes Ergebnis: Tabelle 23: Dauersiedlungsraum - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,7
25
2,9
8,9
22,6
M
15,9
49
3,9
3,6
25,9
U
19,6
25
5,3
10,0
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 24: Dauersiedlungsraum- Mittelwertvergleich steiermarkweit far ASR 298
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,2
4
1,6
15,5
18,9
M
18,9
9
4,5
13,5
29,0
U
23,2
4
5,1
16,0
28,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
298Im obersten Quartil befinden sich die Bezirke: Graz, Radkersburg, Feldbach, Leibnitz; im untersten die Bezirke Marzzuschlag, Leoben, Bruck, Liezen.
140
3 Ergebnisse der Studie
Wie zu ersehen ist, sind die Unterschiede in den Suizidraten je nach Anteilsklasse des Dauersiedlungsraums quantitativ tatsfichlich betrfichtlich; t~sterreichweit stehen altersstandardisierte Suizidraten von im Durchschnitt knapp 15 je Jahr und 100.000 Einwohner in den 25 Bezirken mit den h0chsten Anteilen an Dauersiedlungsraum Raten von durchschnittlich knapp 20 in den 25 Bezirken mit den niedrigsten Anteilen gegent~ber; in der Steiermark liegt der Unterschied sogar zwischen Werten von ca. 17 und ca. 23. Hinsichtlich der Bedeutung dieses Aspekts far die Suizidrate in der Steiermark insgesaint ist festzuhalten, dass sich in der Steiermark t~berproportional viele Bezirke mit besonders geringen Anteilen an Dauersiedlungsraum finden; alle sieben obersteirischen Bezirke Liezen, Mt~rzzuschlag, Bruck, Leoben, Knittelfeld, Judenburg und Murau -, also fast die Hfilfte aller steirischen Bezirke - zfihlen diesbezt~glich zum untersten Quartil im gesamt0sterreichischen Vergleich; nur Tirol - wo die Suizidraten im Mittel freilich niedriger sind hat einen noch h0heren Anteil (7 von 9 Bezirken). Weitere wichtige Aufschl%se zum Zusammenhang von unabhfingiger und abhangiger Variable, hier Anteil des Dauersiedlungsraums und altersstandardisierte Suizidrate, kann Regressionsanalyse liefern, und zwar im Hinblick auf eine exaktere Bestimmung des quantitativen Zusammenhangs im Sinne einer Funktionsgleichung. 299 Ein Streuungsdiagramm (Scatterplot) mit eingefagter Regressionsgerade soll zunachst den so ermittelten Zusammenhang visualisieren -jedes Quadrat im Diagramm symbolisiert die Lage eines Bezirks auf zwei Dimensionen, hier Dauersiedlungsfl~che und standardisierte Suizidrate:
Abbildung 11: Scatterplot A S R - Dauersiedlungsflfiche pro Bezirk O O O O 0 o 8 o
0
O
o
20
c9 o o~
o
o o
-6 C
O
O Cl
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O
O
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1o
O O 0
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o
O
O
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~
0
o
2"0
4"0
do
8"o
Anteil Dauersiedlungsfl~iche (2000)
299 Vgl. hierzu bes.: Bortz, Statistik far Sozialwissenschafl, bes. S. 173-194. FOr diese wie for die folgenden Regressionen wurde die fundamentale Annahme der Normalverteilung der Residuen t~berprtfft und jeweils far annahernd zutreffend befunden. Allerdings ist teilweise Heteroskedastizitat und ein gewisses Ma6 an Nichtlinearitat gegeben, sodass die bivariate lineare Regression sicher nicht immer als ideales Modell for die Darstellung der Zusammenhange gelten kann. Als weitere A n n ~ r u n g zum Verstandnis derselben erwies sie sich aber als sinnvoll.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in 0sterreich und in der Steiermark
141
In Form der Funktionsgleichung stellt sich der durch lineare Regression ermittelbare Zusammenhang so dar: A S R = 20,117 - O, 0748 * prozentueller Anteil Dauersiedlungsfldche. Mit einer Veranderung des Anteils der Dauersiedlungsflfiche um 10 % der Gesamtflfiche nach oben ist also gemag diesem Modell ~ r den Beobachtungszeitraum eine durchschnittliche Abnahme der standardisierten Suizidrate des betreffenden Bezirks um ca. 0,75 verbunden. Ft~r die rohen Suizidraten ergibt eine analoge Regressionsrechung einen Wert yon 0,72. Die anhand dieses Parameters alleine erklfirbare Streuung der altersstandardisierten Suizidraten (R ~) betragt beachtliche 16,1%.300
3.2.2
Suizidrate und Landschafischarakter
Der Grogteil des 0sterreichischen Bundesgebiets besteht aus )~ckern, Wiesen und sonstigen landwirtschaftlich genutzten Flfichen einerseits (ca. 32 %), aus Wald (in alpinem, aber auch nicht-alpinem Gebiet) andererseits (ca. 43 %). Obwohl im ,,Alltagswissen" oftmals ein Zusammenhang nicht nur yon topographischen Gegebenheiten wie Gebirgigkeit mit erh0hter Suizidalitfit behauptet wird, sondern vielfach auch ein Einfluss der Erdoberflfichengestalt, des ,,Landschaftscharakters", auf psychische Befindlichkeit in Erwfigung gezogen wird, fanden entsprechende Kriterien bislang keinen Eingang in die epidemiologische Suizidforschung. Dabei erscheint es durchaus wert, sie einer Oberp~fung zu unterziehen. Insbesondere gilt dies ft~r Osterreich, wo einander Regionen sehr unterschiedlichen landschaftlichen Erscheinungsbildes gegentiberstehen, von landwirtschaftlicher Nutzung gepragte Gegenden vor allem des Hi, gel- und Flachlandes einerseits, primfir forstwirtschaftlich genutzte, d.h. yon grogen Waldflfichen dominierte, oftmals alpine Gegenden andererseits. Die ,,Bedrohlichkeit", die dem Wald in der Kulturgeschichte traditionell auch zugeschrieben wird, 3~ hat heute natt~rlich an realer Grundlage verloren: Weder drohen mehr, wie dies von ,,Urzeiten" der Menschheit her der Fall war, Gefahren von ,,wilden Tieren", noch ist der Wald heute mehr ein Ort besonderer zwischenmenschlicher Bedrohung in Form von Rfiubem, Wegelagerern etc. Dementsprechend sind auch die dem Wald eigenen Dfimonen- wie andere Dfimonen auch - heute weitgehend aus der menschlichen Vorstellungswelt verschwunden, zumindest in Mitteleuropa. Es ist aber durchaus denkbar, dass das Codierungsmuster ,,dunkler Wald = Bedrohung" heute noch auf psychische Zustfinde wirksam werden kann, wenn entsprechende kollektive Dispositionen erworben wurden. Die generelle evolutionsbiologisch bedingte Tendenz yon Dunkelheit, Angstzustande hervorzurufen oder zu verstfirken, steht jedenfalls auger Streit, 3~ und es ist klar, dass auf nur kleinen ,,Rodungsinseln" inmitten groger Nadelwaldbestande lebende Menschen - was auf einige Osterreichische und insbesondere steirische Regionen heute noch weitgehend zutrifft - in ihrer alltaglichen Wahrnehmung mehr ,,dunkel" erleben als Einwohner landschaftlich anders gestalteter Regionen. 3~ Es wurde daher die Hypothese aufgestellt, dass - ceteris pari-
3ooVgl. zur Berechung des BestimmtheitsmaBesR2: Backhaus et al., Multivariate Analysemethoden, S. 20-27. 30~Vgl. WolfgangReinhard, LebensformenEuropas. Eine historische Kulturanthropologie. Mtmchen2004, S. 405s 3o2Vgl. etwa: Eugene Levitt, Die Psychologie der Angst. Stuttgart 1987. 303 Die Hypothese vom Zusammenhang grol3er Waldflachenanteile und psychischer Bedrt~ckungszust~de verdankt der Studienautor auch unmittelbaren Erfahrungen im obersteirischen Murtal, wo er Kindheit und Jugend verbrachte. Entsprechende Hinweise finden sich auch in der steirischen Literatur verschiedentlich: ,,Und wet Augen hat, sage ich ... der gehe selbst den einsamen Weg bei Berg und Baumen [...] wo das armste, hal31ichsteTier
142
3 Ergebnisse der Studie
bus, dass heil3t insbesondere innerhalb einer relativ homogenen Gesellschaft TM - Einwohner von Regionen mit hohen Waldanteilen auch h6here Suizidraten aufweisen.
Tabelle 25: Waldanteil - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen
SR O
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,43
0,41
0,44
0,43
SN (lS)
99%
99 %
95%
95 %
Die Ergebnisse bestfitigen die Hypothese klar: H6here Waldanteile pro Bezirk sind mit h6heren Suizidraten in einem sehr starken positiven Zusammenhang assoziiert, far Osterreich insgesamt bemerkenswerterweise etwa ebenso deutlich wie die Anteile der Dauersiedlungsflfichen; beide Indikatoren kOnnten wie erwfihnt natarlich auch primfir sozio6konomische Differenzen widerspiegeln. Wie hoch die statistisch jedenfalls ermittelbare Korrelation zwischen Waldanteil und Suizidrate konkret ausfallt, soll wiederum ein MittelwertVergleich verdeutlichen. Wie aus Tabelle 26 zu ersehen ist, weisen die 25 6sterreichischen Bezirke mit dem niedrigsten Waldanteil im Durchschnitt ,,nur" altersstandardisierte Suizidraten von 14 je 100.000 Einwohner und Jahr auf, jene 25 mit den h6chsten Waldanteilen dagegen im Durchschnitt Raten von 19, was etwa einer Differenz yon einem Drittel nach oben entspricht.
Tabelle 26: Waldanteil- Mittelwertvergleich 6sterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
19,3
25
4,8
11,5
29,0
M
16,3
49
4,3
3,6
25,9
U
14,3
25
2,6
7,4
18,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
,,
Tabelle 27." Waldanteil - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
22,1
25
5,5
13,5
32,2
M
18,1
49
4,7
4,3
28,6
U
16,1
25
3,1
9,0
21,7
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,3
....
sichtbar seine Krafte an die ewige Mt~hle hingibt, bis es zermalmt wird ... Und der dunkle steirische Wald sprach immer dringlicher zu ihm bei jedem Hufschlag. [...]" (Paula Grogger, Das Grimmingtor. Mtinchen 2001, S. 229) 3o4 Diese Einschrankung muss hier vielleicht besonders hervorgehoben werden, denn ein globaler Vergleich von Suizidraten in Bezug zu Waldanteilen warde wohl keinen entsprechenden Zusammenhang bringen, ein solcher ware auch wenig sinnvoll, zu unterschiedlich sind die materiellen und kulturellen Lebensbedingungen.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
143
Tabelle 28: Waldanteil - Mittelwertvergleich steiermarkweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
20,9
4
6,5
14,8
28,0
M
19,9
9
4,5
13,5
29,0
U
17,2
4
1,6
15,5
19,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Tabelle 29." Waldanteil- Mittelwertvergleich steiermarkweit far rohe Suizidraten
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
24,6
4
7,3
16,8
32,2
M
22,5
9
4,5
15,2
31,2
U
19,7
4
1,4
18,2
21,1
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
Betrachtet man die Differenzen in den rohen Suizidraten, so zeigt sich, dass der Unterschied zwischen dem obersten und dem untersten Quartil 6 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr betrfigt. Die Steiermark ist in dieser Hinsicht besonders stark betroffen, zfihlen doch 10 der 17 steirischen Bezirke zu den 25 waldreichsten Osterreichs! Far die Steiermark alleine gerechnet sind die Unterschiede in den Suizidraten geringer, aber ebenso noch deutlich: Die vier Bezirke mit den hOchsten Waldanteilen - Mt~rzzuschlag, Bruck, Leoben und Voitsberg (Anteile von 64 bis 75 % der Bezirksflfichen) - haben durchschnittlich standardisierte Suizidraten von knapp 21, jene mit den geringsten Waldflfichen - Graz, Radkersburg, Feldbach, Leibnitz (Anteile von 25-36 %) - durchschnittlich Raten in der HOhe von 17 pro Jahr und 100.000 Einwohner. Berechnet man die Differenz flir die rohen Suizidraten, so ergibt sich ein Unterschied von knapp 5 Suiziden auf 100.000 Einwohner und Jahr zwischen den stfirkst- und den am wenigsten betroffenen Bezirken. Selbstverstfindlich bedeutet dies nicht unbedingt, dass es tatsfichlich einen kausalen Zusammenhang in der vermuteten Weise geben muss; jedoch steht als Faktum fest, dass die Bezirke mit den h0chsten Waldanteilen von letaler Suizidalitfit am meisten betroffen sind. Untermauert werden kann der angenommene Zusammenhang - da die Daten in ausreichender Exaktheit und geeigneter Verteilung vorliegen - wiederum auch durch eine lineare Regressionsanalyse sowie ein Streuungsdiagramm (siehe umseitig). Anhand des Diagramms ist u.a. erkennbar, dass die Bezirke mit hohen standardisierten Suizidraten von fiber 20,0 stets auch hohe Waldanteile an den Gesamtflfichen - 30 % und m e h r - aufweisen. Die Funktionsgleichung stellt sich ftir diese Variable so dar: A S R -- 12,313 + 0,107 * prozentueller Anteil Waldfl~iche. Ein um 10 % der Gesamtflfiche h0herer Waldflfichenanteil in
144
3 Ergebnisse der Studie
einem Bezirk gegen~ber einem anderen bedeutet demnach im Modell der linearen Regression in etwa eine Steigerung der altersstandardisierten Suizidrate um den Wert 1,1. 3~
Abbildung 12: Scatterplot A S R - Anteil Waldflfiche pro Bezirk 30
o O O O
0 O
0
O
O
D
O !
o v
%
20
-o
oo
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o
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O
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o
~ 0
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10
o
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0
O
O
o
o O o o O
_
oo
0 0
O
O
O
O) (9 CO "O N
O9
0
o
s
4"0
6"o
8"o
Anteil Waldfl~iche (2000)
3.2.3
Suizidrate und Urbanisierung
Ein traditionell in Zusammenhang mit Suizidalitfit gesehenes Phfinomen ist jenes der Urbanisierung, wobei filtere Theorien von einer Zunahme von Suizidhandlungen in anwachsenden Stfidten bei zunehmenden Erscheinungen gesellschaftlicher Modemisierung ausgingen. Solche Thesen darften in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts auch tatsfichlich adfiquat gewesen sein, ~ r die letzten Jahrzehnte scheinen sich dagegen deutliche Verfinderungen ergeben zu haben. Dies ist bereits aus den eingangs prfisentierten ,,Bundesl~nderergebnissen" ableitbar, die ~ r die einzige echte ,,Grogstadt" Osterreichs, Wien, schon seit den 1970er keineswegs besonders hohe Suizidraten zeigen. Der Verfasser geht davon aus, dass mit zunehmender Diffusion der ,,Modernisierung" des gesellschaftlichen Lebens auch in rurale Regionen die dort fraher wirksamen, protektiven Faktoren gegenaber Suizidalitfit im Verlauf des 20. Jahrhunderts allmfihlich entfielen, w~hrend zugleich die Bewohner gr0gerer Stadte rascher yon Reaktionen auf mit der Modernisierung neu entstandene soziale und 305 Die Regression ft~r die rohe Suizidrate ergibt hier einen etwas hOheren Zusammenhang, der analoge Wert lage bei 1,3. Rechnerisch lassen sich hierbei bemerkenswerte 16,6 % der Streuung der altersstandardisierten Suizidrate auf den einzelnen Faktor ,,Waldflache" zurt~ckf~hren.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalit~t in Osterreich und in der Steiermark
145
medizinische Probleme profitieren konnten. Dementsprechend wird ft~r den Untersuchungszeitraum eine negative Korrelation von Urbanisierung und Suizidhfiufigkeit postuliert. Zur Operationalisierung kamen zwei Indikatoren zur Anwendung, namlich die BevOlkerungsdichte pro Bezirk 3~ sowie ein spezifisch vom Verfasser errechneter Faktor ,,Urbanisierungsgrad". Zunachst wurde der Z u s a m m e n h a n g zwischen BevOlkerungsdichte pro Bezirk und den Suizidraten der Jahre 2001 bis 2004 untersucht. Tabelle
3 0 . Bev61kerungsdichte - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen
SR 0
ASR (3
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,05
-0,09
-0,09
-0,12
SN (1S)
.
.
.
.
Die Analyse zeigt far Osterreich insgesamt nur einen sehr schwachen Z u s a m m e n h a n g , der inhaltlich nicht interpretiert werden sollte. Far die Steiermark allein zeigt sich bei Betrachtung der altersstandardisierten Raten immerhin ein Z u s a m m e n h a n g in erwarteter Richtung von mehr als 0,1. Da far die Steiermark die ,,Fallzahl" aber mit 17 Bezirken sehr gering ist, werden Ergebnisse dieser H6he aber ebenfalls (generell) nicht weiter interpretiert, wenn ihnen nicht fihnlich hohe Ergebnisse far den gesamt6sterreichischen Vergleich korrespondieren. Lineare Zusammenhfinge zwischen BevOlkerungsdichte und Suizidrate stellen sich daher a u f d e r E b e n e d e r A n a l y s e y o n B e z i r k s d a t e n als nicht gegeben dar; die betreffende Hypothese kann daher nicht a n g e n o m m e n werden. 3~ U m der zugrunde liegenden Frage, eben dem Verhfiltnis zwischen Urbanisierung und Suizidalitfit, nfiher nachzugehen, 3~ wurde sodann dem mit Mag ,,Urbanisierungsgrad" ein inhaltlich adfiquater erscheinender Indikator generiert, w e l c h e r - unabh~ngig von der Flfichengr6Be der Untersuchungseinheiten (Bezirke) - die jeweiligen BevOlkerungsanteile grOBerer (,,stadtischer") und kleinerer (,,lfindlicher") Gemeinden an der GesamtbevOlkerung eines Bezirks numerisch widerspiegelt. 3~ Die Korrelation dieses Indikators ,,Urbanisierungsgrad" mit den Suizidraten der Jahre 2001 bis 2004 ergab folgendes:
306 Nach den Angaben zur Volkszahlung 2001 in: Statistisches Jahrbuch 2005, S. 43 (Die Daten sind direkt der beigeft~gten CD-ROM entnehm- und elektronisch verarbeitbar). 3or In diesem Zusammenhang ist besonders zu beachten, dass die Wiener Gemeindebezirke bewusst nicht als gesonderte Einheiten aufgefasst wurden. Selbstverstandlich sagt diese Auswertung zudem nichts t~ber einen etwaigen Zusammenhang zwischen Suizidrate und Bev01kerungsdichte auf Gememdeebene aus! Der Aspekt der GemeindegrOfle - der oft mit der Variable BevOlkerungsdichte korrespondiert - wird im mikrosozialen Untersuchungsteil naher untersucht. 3o8 Die Untersuchung dieser Variable wurde ~r die Buchpublikation neu hinzugef0gt; die entsprechende Berechnungsm0glichkeit tat sich dem Verfasser erst nach Abschluss der zugrunde liegenden Studie auf. 309Zur Anwendung kam, angepasst an die Gr0genverhaltnisse osterreichischer Gemeinden, folgende Berechnungsformel: Urbanisierungsgrad= 1 - (pl* 0,1) - (p2* 0,2) - (p3* 0,4) - (p4* 0,6) - (ps* 0,8) - (p6* 1,0). Hierbei stellen p~- p6 die jeweiligen prozentualen Anteile der Einwohner yon Gemeinden bestimmter GroBenklassen an der Gesamteinwohnerzahl des Bezirks dar, und zwar: p~ = Einwohneranteil in Gemeinden mit 50.000100.000 Ew., P2= Anteil in Gemeinden mit 25.000-50.000 Ew., P3- Anteil in Gemeinden mit 10.000-25.000 Ew., p4- Anteil in Gemeinden mit 5.000-10.000 Ew., P5 = Anteil in Gemeinden mit 2.000-5.000 Ew., p6 Anteil in Gemeinden mit unter 2000 Ew. Die errechneten Werte liegen so zwischen 1 (Stadtbezirke, die nut aus einer Gemeinde mit mehr als 100.000 Ew. bestehen) und (nahe) 0 (Bezirke, die fast nut aus Kleingemeinden mit weniger als 2.000 Ew. bestehen). =
146
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 31" Urbanisierungsgrad - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0 KK (P)
-0,03
SN (1S)
.
ASR 0 -0,05 .
.
SR ST
ASR ST
0,03
-0,04
.
Auch diese Berechnungsform konnte demnach keinen Zusammenhang zwischen Urbanisierungsgrad und Suizidh~iufigkeit auf der Untersuchungsebene von Bezirken erzeigen, weder Osterreichweit noch innerhalb des Bundeslandes Steiermark. Es liegt also keine deutliche allgemeine Tendenz vor, weder in der vermuteten Richtung (mehr Suizide in ,,l~ndlichen" Bezirken) noch aber in der entgegengesetzten (mehr Suizide in ,,stfidtisch" geprfigten Bezirken). Allerdings zeigt die Betrachtung eines Streudiagramms, wenn auch nicht einen linearen Trend, so doch ein deutliches Muster: Sfimtliche Bezirke, die gem~i8 dieser Berechnungsmethode als ,,stark urbanisiert" (im Osterreichischen Kontext) gelten kOnnen (Werte yon 0,6 und mehr; ,,Stadtbezirke"), weisen eher oder sehr unterdurchschnittliche Suizidraten auf; das Gesamtresultat keines linearen Zusammenhangs schuldet sich dagegen dem Fehlen einer Tendenz innerhalb der lfindlicheren Bezirke mit kleineren Gemeinden. Abbildung 13" Scatterplot ASR- Urbanisierungsgrad pro Bezirk
30 0 0 O
0
O
o
O
!
o v
~
o~ 13
2O
0
[3130
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B
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13
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0
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03
0 -,2
o~o
,~_
,4
Urbanisierungsgrad (2001)
,~
,&
1~o
1~2
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in C)sterreich und in der Steiermark
147
3.2.4 Suizidrate und demographische Entwicklung Ein weiterer Faktor, von dessen Korrelation mit der Suizidrate ausgegangen wurde, ist die demographische Entwicklung, wobei hier weniger an ursfichliche Zusammenhfinge gedacht wurde, als daran, dass Bev/51kerungsentwicklung und Verfinderungen der Suizidhfiufigkeit kollektiv zumindest teilweise auf fihnlichen soziokulturellen Grundlagen fuBen kOnnten. So sollte die HOhe der Geburtenziffern in einer Region als Indikator den Grad des ,,kollektiven Optimismus" ausdrt~cken kSnnen, welcher in derselben vorherrscht, wfihrend die H6he der Sterbeziffer auf regionalspezifische Belastungslagen sozialer und/Skologischer Art hinweisen kann (die Sterbeziffer ist dabei natt~rlich ihrerseits vonder Suizidrate zu einem gewissen Grad direkt beeinflusst, was ft~r die Interpretation der entsprechenden Berechnungen zu bert~cksichtigen ist). Auch das MaB der demographischen Entwicklung der einzelnen Regionen insgesamt erscheint potentiell bedeutsam, da Migrationsbewegungen besonders gut die soziokulturelle Attraktivitfit bzw. Nicht-Attraktivitfit derselben ausd~cken sollten. Auch einer etwaigen Korrelation der Altersstruktur als solcher mit den Suizidraten wurde nachgegangen. Ft~r den Indikator der Geburtenziffern lautete die konkrete Hypothese also, dass hohe Geburtenziffern (Geburten pro Einwohner) mit niedrigen Suizidraten einhergehen sollen, und umgekehrt. Die Datenauswertungen hierzu beziehen sich auf die amtlich erhobenen Geburtenziffern der Jahre 2001 bis 2004 (Statistik Austria, ISIS-Datenbank).
Tabelle 32: Geburtenziffer - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
SR ST
KK (P)
-0,21
-0,41
SN (lS)
95 %
90 %
Die Ergebnisse der Korrelation zeigen 0sterreichweit und noch weit deutlicher steiermarkweit einen Zusammenhang zwischen ,,roher" Suizidrate und Geburtenziffer in der erwarteten Richtung. (Die Korrelationen mit den altersstandardisierten Suizidraten sind in diesem Fall nicht aussagekrfiftig, weil die Geburtenziffern selbst ja auch sehr stark von Altersstrukturen abhfingig sind, weshalb folgerichtig nur eine altersstandardisierte Geburtenziffer mit der altersstandardisierten Suizidrate zu korrelieren wfire). Es zeigt sich so, dass Bezirke mit hohen Geburtenraten tatsfichlich tendenziell geringere Suizidraten aufweisen. Ein Mittelwertvergleich mr die entsprechenden Differenzen zeitigt folgende Ergebnisse: In den obersten und untersten Quartilen gemfiB Geburtsziffern-H0he liegen deutliche Differenzen auch in der HOhe der Suizidraten vor; in der Steiermark sogar um den Wert von 4,3, wenn man rohe Raten betrachtet (siehe umseitige Tabelle)o Die vier Bezirke mit den niedrigsten Geburtenziffern in der Steiermark mr die Jahre 2001 bis 2004 (je unter 8 pro 1000 Ew. und Jahr) sind M0rzzuschlag, Leoben, Bruck und Radkersburg, jene mit den hOchsten in diesem Zeitraum sind Graz, Feldbach, Hartberg und Weiz (Werte zwischen 9,2 und 9,8 je 1000 Ew. und Jahr). Im Osterreichweiten Vergleich befinden sich 6 steirische Bezirke im untersten Quartil der am stfirksten betroffenen Regionen.
148
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 33." Geburtenziffer- Mittelwertvergleich 0sterreichweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
18,3
25
3,7
11,4
27,0
M
18,2
49
4,9
4,3
31,5
U
19,6
25
6,3
9,0
32,2
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Tabelle 34: Geburtenziffer- Mittelwertvergleich steiermarkweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
20,8
4
1,8
18,2
22,2
M
21,8
9
4,9
15,2
31,2
U
25,1
4
6,7
18,8
32,2
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
Es wird weiters, wie schon erwfihnt, angenommen, dass sowohl in Osterreich insgesamt als auch innerhalb der Steiermark soziale Probleme regional ungleich verteilt sind, und dass manche Regionen spezifische strukturelle Benachteiligungen aufweisen. 31~ Wfihrend etliche Teilfaktoren gesondert analysiert werden k0nnen (siehe Nfiheres dazu im Folgenden), lfisst sich eine Gesamtvariable ,,soziale Probleme" nicht direkt erheben. Die durchschnittliche Sterblichkeit stellt aber wohl einen guten Indikator far die Gesamtheit positiver oder negativer Lebensbedingungen, intakter oder eben beschfidigter Lebenschancen in einer Region dar. Hohe Sterbeziffern sollten daher gem~,B dieser Hypothese auch mit hohen Suizidraten einhergehen. TM Die ermittelten Korrelationen zeigen jedoch einen nur schwachen Zusammenhang far die hier relevante ,,rohe" Suizidrate in erwarteter Richtung: Bezirke mit h0herer Suizidrate weisen tendenziell insgesamt etwas h0here Sterbeziffern auf. Dies gilt sowohl far Osterreich insgesamt als auch far die Steiermark. Der Zusammenhang erscheint aber zu gering, als dass ihm angesichts der besonderen Schwierigkeiten der Interpretation hier nfiher nachzugehen wfire.
Etwa groge Entfemung von den urbanen Zentren, schlechte Verkehrsanbindungen, geringeres Lohnniveau, schlechtere Arbeitsmarktsituation, h0here Verbreitung besonders belastender Berufe, geringere 0ffentliche Hilfsangebote medizinischer und sonstiger Art, schlechteres Bildungsniveau und schlechtere Bildungschancen, durchschnittlich gr06ere innerfamili~re Spannungen usw. Vgl. zur Theorie regionalspezifischer ,,Strukturschw~iche" etwa: Sidney Pollard (Hg.), Region und Industrialisierung. Studien zur Rolle der Region in der Wirtschaftsgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte. G0ttingen 1980. 3~ Die Sterbeziffern entstammen wiederum den Daten der Statistik Austria ftir die Jahre 2001 bis 2004. 310
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitat in Osterreich und in der Steiermark
149
Tabelle 35: Allgemeine Sterbeziffer - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen 3j2 SR (~
SR ST
KK (P)
0,13
0,15
SN (1S)
90 %
-
Auch anhand der Bev01kerungsentwicklung i n s g e s a m t - welche Migrationsstr0me inkludiert - sollte die kollektive Auffassung von den Lebenschancen in einer bestimmten Region ablesbar sein, weshalb auch der Zusammenhang von Bev01kerungsentwicklung und Suizidrate untersucht wurde, wobei die aktuelle Verfinderung des Bev61kerungsstandes im Jahrzehnt vor Beginn der hier vorliegenden Erfassungsperiode der bezirksweisen Suizidraten (2001-2004) als konkreter Indikator herangezogen wurde (von der Volkszfihlung 1991 bis zur Volkszfihlung 2001). 3~3 Gem~il3 den Hypothesen des Verfassers sollte mit negativer Bevt~lkerungsentwicklung bzw. nur geringem Bev~51kerungswachstum ebenso eine hohe regionale Suizidrate einhergehen. 3~4
Tabelle 36. Bev01kerungsentwicklung - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR (~
ASR (~
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,41
SN (1S)
99 %
-0,30
-0,36
-0,27
95 %
90 %
-
Die ermittelten Korrelationen bestfitigen den in der Hypothese formulierten Zusammenhang klar: Bezirke mit Abwanderung bzw. Stagnation der BevOlkerung haben h0here Suizidraten als solche mit positiver Bevt~lkerungsentwicklung.
Tabelle 37." Bev61kerungsentwicklung- Mittelwertvergleich 0sterreichweit ftir ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,9
25
4,3
7,4
24,8
M
16,5
49
4,1
3,6
25,9
U
18,2
25
4,8
11,5
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
3~2 Da die Suizide insgesamt doch nur eine Minorit~t aller Sterbefalle ausmachen - 0sterreichweit 2 %, was mathematisch ft~r die Gesamtmortalitat wenig ins Gewicht fa[lt, inhaltlich aber natt~rlich als eine eklatante H0he erscheint -, wurde hier auf eine Herausrechnungder Falle aus der Gesamtmortalitat zur Ermittlung der Korrelation verzichtet. 313Statistisches Jahrbuch 2005, S. 43. 3~4Es sei bemerkt, dass diese Hypothese nur ft~reinen Untersuchungsraum wie die 0sterreichische Gegenwartsgesellschaft aufgestellt wird, also ft~r ein sehr hohes Niveau 0konomisch-materieller ,,Grundversorgung". Unter materiell prakereren Lagen ist durchaus denkbar, dass hohes BevOlkerungswachstum wegen verminderter Lebensaussichten mit h0herer Suizidalitat einhergeht.
150
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 38." BevOlkerungsentwicklung - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
16,2
25
4,3
8,7
25,8
M
18,5
49
4,6
4,3
31,5
U
21,4
25
5,3
13,9
32,2
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Tabelle 39." Bev01kerungsentwicklung- Mittelwertvergleich steiermarkweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,2
4
2,5
13,5
18,9
M
19,5
9
4,7
14,8
29,0
U
21,7
4
5,6
16,0
28,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Tabelle 40. BevOlkemngsentwicklung- Mittelwertvergleich steiermarkweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
19,5
4
2,9
15,2
21,8
M
22,1
9
4,6
16,8
31,2
U
25,7
4
6,0
20,2
32,2
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
Die Korrelation kann angesichts der berechneten Koeffizienten als sehr stark bezeichnet werden. Selbstverstfindlich ist hier wieder weniger von einem kausalen Zusammenhang zwischen dem Indikator selbst und der Suizidrate auszugehen, als davon, dass derselbe eben, wie in Kapitel 2 formuliert, die kollektive Einschfitzung der Lebensqualit~.t in der jeweiligen Region widerspiegelt und - wohl zutreffend - als mit wenig persOnlichen Lebensperspektiven assoziierte Wohnregionen nach MOglichkeit gemieden werden, w~.hrend genau jener Zustand zugleich zu erh~Shter Suizidalitfit bei den verbleibenden Bewohnern fiihrt. Das Ausma6 des statistischen Zusammenhangs soll wiederum ein MittelwertVergleich verdeutlichen (siehe die obenstehenden Tabellen). Selbst bei Heranziehung der altersstandardisierten Suizidraten, Dr welche die festgestellte Korrelation immer noch deutlich, aber nicht so stark wie far die rohen Raten ausf'allt, ergeben sich sehr deutlich wahrnehmbare Differenzen: Osterreichweit suizidieren sich in den 25 Bezirken mit der h0chsten BevOlkerungszunahme (zwischen +7 und +14 % im Zeitraum 1991 bis 2001) gegentiber denen mit den niedrigsten Ergebnissen (von +/- 0 bis - 10 % reichend) gema6 altersstandardisierten Suizidraten durchschnittlich um 3 Personen pro 100.000 Einwohner und Jahr weniger (Mittelwerte von ca. 15 bzw. mehr als 18); die konkreten, rohen Suizidraten weisen sogar eine Differenz von mehr als 5 auf (16 vs. mehr als 21). Auf die 25 Osterreichi-
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
151
schen Bezirke mit der unganstigsten BevOlkerungsentwicklung entfallen acht Bezirke der
Steiermark (Graz, Murau, Judenburg, Leoben, Bruck, Mt~rzzuschlag, Voitsberg, Radkersburg), also ein deutlich aberproportionaler Anteil von fast 50%! Far die Steiermark alleine genommen sind die Unterschiede zwischen obersten und unterstem Quartil gleichermal3en deutlich; die Bezirke Leoben, Bruck, Marzzuschlag und Graz-Stadt mit BevOlkerungsabnahmen zwischen 4 und knapp 8 % alleine im Dezennium 1991 bis 2001 weisen deutlich h6here Suizidraten auf als die Bezirke mit den gr6gten Be-
vOlkerungszuwfichsen, Graz-Umgebung, Leibnitz, Weiz und Farstenfeld (3 % bis 11%), in rohen Suizidraten angegeben hat die letztere Gruppe far den Zeitraum 2001 bis 2004 einen Durchschnitt von ca. 20, die erstere aber einen von ca. 26. Die Berechnung einer linearen Regression far die altersstandardisierten Daten aller Bezirke ergibt Folgendes: A S R = 17,556- 0,280 * BevOlkerungsentwicklung in Prozent (1991-2001). 3j5 Visualisiert stellt sich der Zusammenhang der beiden Faktoren so dar (Scatterplot mit linearer Regression): Abbildung 14." Scatterplot A S R - BevOlkerungsentwicklung nach Bezirken 30 o o
[3o
-----_..__._.._
(D
i
o
o
o
20
O0
-6 r
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0
cp ~
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O0
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o
o o
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o
"13 .m N ~r)
0
-20
-;0
;
;0
2"0
BevSIkerungsentwicklung 1991-2001 Entsprechend dem hOheren Suizidrisiko alterer Personen ist davon auszugehen, dass in Regionen mit hohen Seniorenanteilen auch hOhere Gesamt-Suizidraten festzustellen sind. Es wfire aber denkbar, dass hier ein nicht-linearer Zusammenhang besteht, in dem Sinn, als bei sehr niedrigen Anteilen von Menschen in jtingerem und mittlerem Alter in bestimmten Regionen die Suizidalitfit nicht nur linear proportional, sondern auch exponential hOher liegt als in anderen Regionen. Als konkrete Indikatorvariablen sollen die Anteile der l~lberDie anhand der Variable BevOlkerungsentwicklung allein - mathematisch - erklarbare Streuung der Suizidraten ist hierbei 9 % (R2 = 0,09).
315
152
3 Ergebnisse der Studie
59-Jfihrigen sowie der Unter-15-Jfihrigen pro Bezirk for die Jahre 2001 bis 2004 in Bezug zur entsprechenden Suizidrate gesetzt werden. 3~6 Trifft die Hypothese zu, mtissten mit hohen Anteilswerten ersterer Kohorte und mit niedrigen Anteilswerten zweiterer besonders hohe Suizidraten einhergehen.
Tabelle 41." Anteil der Unter-14-Jfihrigen - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen ASR C)
ASR ST
KK (P)
0,08
-0,07
SN (1S)
-
-
Die Ergebnisse der Korrelationen fiir den Anteil der Unter-14-Jfihrigen zeigen keinen Zusammenhang, die Hypothese muss demnach verworfen werden.
Tabelle 42: Anteil der Ober 60-Jfihrigen - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen ASR O
ASR ST
KK (P)
0,00
0,25
SN (1S)
-
-
FOr den Anteil der Ober-60-J~ihrigen zeigt sich t~sterreichweit kein Zusammenhang; betrachtet man die Steiermark allein ist eine gewisse Assoziation im Sinne der Hypothese aber feststellbar. Da dies nur auf die 17 steirischen Bezirke zutrifft, und damit nicht von einem stabilen Zusammenhang ausgegangen werden kann, wird diesem Phfinomen hier nicht naher nachgegangen.
3.2.5 Suizidrate und famili~ire Desintegration Untersucht wurde hier, ob auch auf kollektiver Ebene Zusammenhange zwischen familifirer Desintegration und Suizidh~iufigkeit festzustellen sind. 317 Es wurde davon ausgegangen, dass Personen mit - aktiv herbeigeNhrten oder passiv, etwa durch Tod des Partners, erlittehen - einschneidenden Partnertrennungs-Erfahrungen hfiufiger Suizid begehen. Dieser Urnstand sollte dazu Nhren, dass Regionen mit hohen Anteilen Geschiedener und/oder Verwitweter 318 von der Problematik des Suizids - zumindest geringNgig - stfirker betroffen sind als andere; zudem sollten sich auch generell verst~irkte soziale Probleme einer Region in erht~hten Raten familifirer Desintegration abbilden. Die Hypothesen lauten also: Hohe Geschiedenen-Quoten korrelieren mit hohen Suizidraten; hohe Verwitweten-Quoten korrelieren mit hohen Suizidraten.
316Statistik Austria, ISIS-Datenbank. 317 Der Zusammenhang von Suizid und ,,familiaren Problemen" auf individueller Ebene wird im folgenden Abschnitt ausft~hrlich erOrtert. 3~8Ermittelt anhand: Statistik Austria (Hg.), Volkszahlung2001. Hauptergebnisse I - 0sterreich. Wien 2002, S. 30-45.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
153
Die Betrachtung der ermittelten Korrelationen zeigt far die Geschiedenen-Quote, dass sich der erwartete Zusammenhang nicht feststellen lfisst. Die rohen Suizidraten weisen so gut wie keine Assoziation mit der Geschiedenen-Quote je Bezirk auf; die altersstandardisierten Suizidraten zeigen far die 0sterreichweite Betrachtung sogar einen zwar schwachen, aber einigerma6en verlfisslich feststellbaren negativen Zusammenhang mit der Suizidrate, also eine geringft~gige Abnahme der Suizidrate mit steigendem Scheidungsanteil! Tabelle 43. Geschiedenen-Quote - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,07
-0,13
0,00
-0,06
SN (1S)
-
90 %
-
-
Dieses unerwartete Ergebnis dt~rfte u.a. dem Umstand geschuldet sein, dass in vielen stfidtischen Bezirken die Scheidungsraten hOher sind (Wien insgesamt sowie Wiener Neustadt und Klagenfurt 10 %, Graz, Linz, Salzburg, Steyr, Krems je 9 %), die Stadtbezirke aber wenn auch insgesamt kein eindeutiger Zusammenhang von Urbanisierungsgrad und Suizidhfiufigkeit feststellbar war - eher niedrige altersstandardisierte Suizidraten aufweisen. Betreffend der Verwitweten-Quote ergibt die Datenauswertung einen eindeutigen Zusammenhang far die rohe Suizidrate, jedoch keinen aussagekrfiftigen Zusammenhang bei Betrachtung der altersstandardisierten Rate. Die Assoziation zwischen Verwitweten-Quote und roher Suizidrate ist demnach weitgehend auf das verstfindlicherweise tendenziell h0here Alter von BevOlkerungen mit h6heren Verwitweten-Anteilen zurt~ckzufahren. Die aufgestellte Zusammenhangs-Hypothese kann so nicht bestfitigt werden. Tabelle 44: Verwitweten-Quote - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,16
-0,01
0,19
0,09
SN (1S)
90 %
-
-
-
3.2.6 Suizidrate und ethnisch-kulturelle Diversitdt
Wiewohl schon deutlich wurde, welche bedeutende Rolle kulturelle Muster auch far das Phfinomen der Suizidalitfit und die Hfiufigkeit seines Auftretens innehaben, war es nicht leicht, hieraus konkrete Hypothesen far eine empirische Oberprt~fung abzuleiten, stehen in der bisherigen Forschung doch einander teils widersprechende Thesen und Befunde gegent~ber: So wird zum einen eine generell erhOhte Vulnerabilitfit von Migranten far Suizidhandlungen konstatiert, zum anderen zahlreichen - insbesondere nicht-mittel- und westeuropfiischen - Gesellschaften eine - insbesondere verglichen mit der relativen hohen ,,Suizidneigung" der 6sterreichischen ,,Stammbev01kerung" - geringere Suizidneigung attestiert.
154
3 Ergebnisse der Smdie
Nichtsdestoweniger erscheint eine Oberprafung des empirisch feststellbaren Zusammenhangs auch auf der Makroebene interessant. Als Untersuchungshypothesen seien - aufgrund des Umstandes, dass Migration nach Osterreich in den letzten Jahren und Jahrzehnten vorwiegend aus L~.ndern mit (zumindest nach offiziellen Zahlen) vergleichsweise niedriger Suizidrate erfolgte - formuliert: Regionen mit h6heren Anteilen ausl~.ndischer Staatsbarger 319 weisen niedrigere Suizidraten auf (inverser Zusammenhang): Tabelle 45: Quote auslfindischer Staatsbt~rger - Ergebnisse der bivariaten KA SR (~
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,18
-0,15
0,13
0,09
SN (1S)
95 %
90 %
-
-
Die Korrelationskoeffizienten stellen sich zu diesem Aspekt uneinheitlich dar, je nachdem, ob ganz Osterreich oder die Steiermark ~/lleine betrachtet wird. Far letztere ergibt sich bei Beracksichtigung der differenten Altersstrukturen kein relevanter Zusammenhang, far Osterreich insgesamt aber sehr wohl eine Assoziation in der vermuteten Richtung, wenngleich dieselbe - was zu erwarten war- nicht allzu stark ausf'allt. Osterreichweit - und damit natt~rlich auch far die steirischen Bezirke im Vergleich zu anderen Bezirken - gilt also, dass mit hOheren Auslfinderanteilen in einem Bezirk geringere Suizidraten verbunden sind. Innerhalb der Steiermark konterkariert offensichtlich die spezifische regionale Verteilung der Ausl~nderpopulation - relativ hohe Anteile in den obersteirischen Industriebezirken, geringe in West- und Oststeiermark- den allgemein feststellbaren Effekt. Far Osterreich insgesamt ergibt ein Mittelwert-Vergleich folgendes Ergebnis: Tabelle 46." ,,Auslfinderanteil" - Mittelwertvergleich Osterreichweit far ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
16,3
25
3,4
10,0
24,8
M
16,2
49
4,6
7,4
26,8
U
17,5
25
5,1
3,6
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Der Vergleich zeigt, dass mit einem Korrelationskoeffizienten in einer HShe, wie sie hier gegeben ist (0,15), keine sehr groBen Differenzen in den durchschnittlichen Suizidraten zwischen den stfirkst- und wenigst-betroffenen Bezirken mehr verbunden sind, aber doch noch sichtbare (die Differenz betrfigt etwas mehr als 1). Unter den 25 Bezirken mit geringstem Auslfinderanteil befinden sich nicht weniger als 10 steirische, sodass die hohe Suizidrate im Bundesland zu einem gewissen, freilich wohl nicht allzu hohem AusmaB auch dem Umstand geschuldet ist, dass in anderen Teilen Osterreichs grOBere Einwandererpopulatio-
319
Daten nach: Statistik Austria, Volksz~.hlung2001 I, S. 46-51.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in C)sterreich und in der Steiermark
155
hen mit stfirker anti-suizidaler Haltung die Suizidraten deutlicher senken als hierzulande. Die Art des feststellbaren Zusammenhangs kann auch hier mittels graphischer Darstellung der Verteilung der einzelnen Bezirkswerte und Einzeichnung der Regressionsgeraden gut verdeutlicht werden: Scatterplot ASR - Anteil auslfindischer Staatsbt~rger nach Bezirken
A b b i l d u n g 15.
30
0
n 0
0 0
[]
o I
vo
O
o
20
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~
o
O
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o
o
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0
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_
0
O
O
0
O
O
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O
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10
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0
O
0
(1) o) (1) !,....
"o N
O9
0
0
;0
20
Anteil ausl,~ndische StaatsbQrger Die zugeh0rige Funktionsgleichung lautet wie folgt: ASR - 17, 656 - O, 174 * p r o z e n t u e l l e r Anteil a u s l d n d i s c h e r Staatsbiirger. Mit jedem Prozent auslfindischer Staatsbtirger in einem Bezirk ist gemfiB diesem - die Realitfit natt~rlich nur teilweise spiegelnden, einfachen Modell- also eine Reduktion der standardisierten Suizidrate um 0,17 verbunden; dasselbe gilt auch ft~r die Verfinderungen in der rohen Suizidrate. 32~
Das lineare BestimmtheitsmaB R 2 weist den so mathematisch erklarbaren Anteil in den Schwankungen der Suizidrate aber mit nur 2 , 1 % aus.
320
3 Ergebnisse der Studie
156 3.2. 7 Suizidrate und religiOs-kulturelle Diversitdt
Die bemerkenswerte, in mehreren Studien seit Durkheim festgestellte Korrelation von h6heren Suizidraten mit (vorwiegend) evangelischer Konfession von Populationen und niedrigeren Selbstt0tungsraten in katholisch geprfigten Regionen 321 sollte auch in der vorliegenden Untersuchung thematisiert werden. Die entsprechenden Hypothesen lauten demnach: Gebiete mit hohem Katholikenanteil weisen niedrigere Suizidraten auf als Gebiete mit niedrigen Katholikenanteilen, es wird also eine negative lineare Korrelation angenommen. Gebiete mit hohem Anteil von Evangelischen weisen dagegen vermutlich hohe Suizidraten auf. Far alle anderen Konfessionen (gesonderte Oberprafungen sind hier wegen der geringen Anteilswerte wenig Erfolg versprechend) wird dagegen wiederum in Summe entsprechend den Ausfahrungen zur Variable ,,Staatsbargerschaft", denn auch bei den AngehOrigen derselben handelt es sich heute zum GroBteil um Immigranten (orthodoxe Christen, Muslime u.a.) - angenommen, dass hohe BevOlkemngsanteile derselben mit niedrigeren Suizidraten einhergingen, und umgekehrt niedrigere Anteile mit vergleichsweise hohen Suizidraten. Hinsichtlich der Konfessionslosen wurde - in der Tradition der Durkheim'schen Anomietheorie - hier zunfichst angenommen, dass h0here Anteile mit hOheren Suizidraten einhergingen (positive Korrelation). 322 Tabelle 47: Anteil der Katholiken - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,04
0,09
-0,27
-0,21
SN (1S)
.
.
.
.
Die Auswertung ft~r den Anteil der Katholiken ergibt, dass flir Osterreich insgesamt keine Zusammenhfinge in relevanter HOhe existieren; eher koinzidieren hOhere KatholikenAnteile sogar geringfagig mit hOheren Suizidraten. Far die Steiermark alleine dagegen trifft die Hypothese in beachtlichem Ausma6 zu. Obwohl also die These Osterreichweit nicht bestfitigt werden kann, ist das steiermfirkische Ergebnis beachtenswert; liefert es doch das Indiz, dass innerhalb mancher Regionen die von Forschern verschiedener Disziplinen bis heute postulierten Differenzen in der Suizidneigung unterschiedlicher Konfessionen noch feststellbar sind, wenngleich diese makrosoziale Analyse selbstverstfindlich nichts aber die konkrete ZugehOrigkeit der einzelnen Suizidenten aussagen kann. Ungeachtet dessen erscheint eine niedrigere Suizidneigung in eher katholisch geprfigten Regionen der Steiermark als ein potentiell aufschlussreicher Befund (Die vier Bezirke mit den hOchsten Katholiken-Anteilen, zwischen 94 und 95 %, sind Feldbach, Radkersburg, Hartberg und Murau - das in manchem eine Sonderstellung einzunehmen scheint; jene mit den niedrigsten Graz, Leoben, Bruck und Marzzuschlag mit Quoten zwischen 65 und 76 % gemfi6 Volkszfihlung 2001). Allerdings zeigt eine vergleichende Betrachtung etwa far Kfimten ein genau umgekehrtes Ergebnis, und zwar mit eklatant hOherem Korrelationskoeffizienten. Far die 10 Kfimtner Bezirke ergibt sich - sowohl mr die altersstandardisierte als 321Siehe 1.3.4 322 Als Datengrundlage far die 0berprafung dienten wiederum die Volksz~hlungsergebnisse 2001: Statistik Austria, Volkszahlung2001 I, S. 58-60.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitat in C)sterreich und in der Steiermark
157
auch ftir die rohe Suizidrate eine Korrelation nach Pearson von +0,69! Die Tendenz ist dabei so eindeutig, dass selbst wenn es sich um eine Zufallsauswahl handeln wtirde, ein mit 98 % statistisch signifikantes Ergebnis vorlfige. Umgekehrt zeigt sich ~ r das Burgenland allein eine Korrelation, welche inhaltlich mit der steirischen tibereinstimmt, im Ausma6 aber noch ausgepr~gter ist (-0,29 fiir die SR, -0,53 ftir die ASR). Aus diesen Feststellungen k0nnte man unter anderem die Frage ableiten, ob nicht Katholizismus in Kfirnten andere soziale Bedeutungen hat als in der Steiermark. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung kann diesen Aspekten aber nicht im Detail nachgegangen werden, jedoch bietet die Analyse des Zusammenhangs der BevOlkerungsanteile von Evangelischen und Konfessionslosen weitere ergfinzende Aufschltisse zu dieser Thematik: Tabelle 48. Anteil der Evangelischen- Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,05
0,00
0,37
0,32
S N (1S)
-
-
90 %
ca. 90 % A
ADas Signifikanzniveau lage hier bei genau 89,5 %. Die Analyse der Anteile der Evangelischen an der Gesamtbev01kerung im Hinblick auf Assoziation mit der Suizidrate zeigt ein Muster wie das bereits fiir die Analyse der Katholiken-Anteile vorgestellte: Keine Zusammenhfinge 0sterreichweit, sehr wohl aber Korrelatiohen ft~r die Steiermark allein, hier sogar noch deutlicher ausgeprfigte. Wiederum genau umgekehrt prasentiert sich dagegen das vergleichsweise ermittelte Verteilungsmuster ft~r Karnten: Hier weisen die Bezirke mit den h6heren Anteilen von Evangelischen - und dies sind bis zu 2 1 % im Fall von Villach-Land - im Durchschnitt weit geringere Suizidraten auf als Bezirke mit hohen Quoten, der Korrelationskoeffizient liegt f'tir die altersstandardisierte Suizidrate bei -0,65! Der Vergleich ftir das Burgenland zeigt dagegen wieder eine der Steiermark fihnliche Situation, wiederum mit noch ausgeprfigterem statistischen Zusammenhang (ftir SR: 0,41, fiir ASR aber sogar 0,62!). Es ist geradezu frappierend, dass von jenen drei Bezirken des Burgenlandes, welche sehr hohe Anteile an Evangelischen aufweisen - Rust: 40 %, Oberwart: 29 %, Jennersdorf: 20 % - zwei die einzigen und deutlichen negativen Ausnahmen im sonst niedrige Suizidraten aufweisenden Bundesland darstellen (und der dritte Bezirk, Rust, kann wegen der geringen Bev01kerungszahl im Hinblick auf letale Suizidalitfit nicht mit einer der anderen Bezirken entsprechenden Gtiltigkeit klassifiziert werden). Tabelle 49." Anteil der sonstigen Konfessionen - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR O
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,18
-0,15
0,04
0,01
SN (1S)
95 %
90 %
-
-
158
3 Ergebnisse der Studie
Ft~r die Anteile sonstiger Konfessionen ergibt eine Korrelationsanalyse - genau umgekehrt zu den vorgenannten Faktoren - ein, wenn auch nicht gerade stark ausgeprfigtes, Ergebnis im erwarteten Sinn ft~r ganz Osterreich, wfihrend ft~r die Steiermark allein keine aussagekrfiftigen Differenzen der Suizidraten nach diesem Kriterium ermittelbar sind. Tabelle 50. Anteil der Konfessionslosen - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen
SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
0,01
-0,06
0,22
0,17
KK (P) SN (lS)
.
.
.
.
Betreffend der Anteile der Konfessionslosen zeigt sich dagegen wieder eine nichtaussagekrfiftige Situation ft~r Osterreich insgesamt, weshalb nicht behauptet werden kann, h0here Anteile an Konfessionslosen wt~rden generell mit h0heren Suizidraten einhergehen, wohl aber ein solcher Zusammenhang ft~r die Steiermark ft~r sich genommen. Hier weisen die Bezirke mit den h0chsten Anteilen an Konfessionslosen (es sind, was zu erwarten war, dieselben, die auch die niedrigsten Katholiken-Anteile zeigen), auch besonders hohe Suizidraten auf, allerdings ist das Gesamtbild bei Mittelwert-Vergleich durchaus nicht ganz kohfirent, indem nfimlich die mittlere Kategorie der Bezirke mit den ,,unauffalligen" Raten von Konfessionslosen mit einem Wert von 18 die vergleichsweise niedrigste durchschnittlichen altersstandardisierte Suizidrate hat, jene mit den h0chsten Anteilen eine Rate yon 21,7 und jene mit den niedrigsten eine von 20,5. Tabelle 5 1 Quote der Konfessionslosen- Mittelwertvergleich steiermarkweit Dr ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
21,7
4
5,6
16,0
28,0
M
18,0
9
3,1
13,5
23,9
U
20,5
4
6,2
15,5
29,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
3.2.8
Suizidrate und Haushaltsstruktur
Ein weiterer, in der epidemiologischen Suizidforschung bislang wenig beachteter Faktor, der auf Suizidhfiufigkeiten einen Einfluss ausaben k6nnte, ist jener der Haushaltsstruktur. Dabei kOnnte aber, ausgehend von sowohl psychologischen als auch soziologischen Theorien von sozialer Desintegration und Isolation, 323 vermutet werden, dass ein vermehrtes Auftreten von Single-Haushalten mit erhOhten Suizidraten einhergeht. Andererseits sind ebensolche Haushalte gerade in solchen ,,Stadtbezirken" verbreitet, welche, wie schon dargelegt wurde, eher niedrige Suizidraten aufweisen. Dennoch wurde als Hypothese zu-
323
Siehe Kapitel 1, bes. 1.3.2. und 1.3.4.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalit~.t in Osterreich und in der Steiermark
159
nfichst postuliert, dass hOhere Anteile von Single-Haushalten mit hOheren Suizidraten, und umgekehrt h0here Anteile yon Drei- und Mehrpersonenhaushalten mit niedrigeren Suizidraten einhergehen wt~rden. Auch die durchschnittliche Anzahl der in gemeinsamen Haushalten 324 lebenden Personen sollte dementsprechend mit der Suizidrate negativ korrelieren. Diese Korrelationen wurden wiederum anhand der entsprechenden Daten der Volksz~hlungsergebnisse 2001 t~berp~ft. 325 Tabelle 52." Quote der Ein-Personen-Haushalte - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0 KK (P)
-0,03
SN (1S)
.
ASR 0 -0,10 .
.
SR ST
ASR ST
0,18
0,12
.
Wie zu ersehen ist, stellt sich der postulierte Zusammenhang hinsichtlich der Ein-PersonenHaushalte far den Bereich der Steiermark als zutreffend dar, nicht aber far Osterreich insgesamt, wo sogar ein leichter Zusammenhang in die entgegengesetzte Richtung festzustellen ist, also h6here Anteile yon Single-Haushalten mit weniger Suiziden einhergehen. Auch far die Steiermark fallen die ermittelten Werte aber nicht sehr hoch aus. Die komplementfire Betrachtung der Ergebnisse far die Drei- und Mehr-Personen-Haushalte fallt gleichsinnig aus: Osterreichweit bedeutet ein h0herer Anteil tendenziell eine hOhere Suizidrate des betreffendes Bezirks; betrachtet man die Steiermark allein, stimmt aber die Vermumng, dass Regionen mit grO6eren Hfiufigkeiten derartiger Haushalten eher geringere Suizidzahlen aufweisen: Tabelle 53." Quote der Drei- und Mehr-Personen-Haushalte - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,06
0,15
-0,20
-0,14
SN (1S)
-
90 %
-
-
Im Osterreichweiten Vergleich wird wahrscheinlich der postulierte Zusammenhang der negativen Auswirkungen von vermehrter Isolation in den Wohnverhfiltnissen durch eine Tendenz zu niedrigeren Suizidraten in Stfidten, wo der Anteil der Mehrpersonenhaushalte geringer ist, konterkariert, wfihrend auf die Steiermark allein bezogen dieser Faktor wohl nicht so ins Gewicht fallt. Ein hinsichtlich der ermittelten Korrelationskoeffizienten nahezu identes Bild liefert im Obrigen die Analyse hinsichtlich der durchschnittlichen Bewohnerzahl pro Haushalt. Far die Steiermark entspricht der feststellbare statistische Zusammenhang im Wesentlichen dem schon mehrfach deutlich gewordenen Unterschied zwischen Obersteiermark einerseits sowie Ost- und Weststeiermark andererseits. 324 Hierunter wird in diesem Abschnitt stets der Privathaushalt verstanden. Anstaltshaushalte, wie sie die Statistik Austria gesondert anfahrt, bleiben far die Zwecke der vorliegenden Untersuchung auger Betracht. 325Statistik Austria (Hg.), Volkszahlung2001. Hauptergebnisse II - Osterreich. Wien 2004, S. 148-150.
160
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 54: Bewohnerzahl pro Haushalt - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR (3
ASR (~
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,06
0,15
-0,19
-0,13
SN (1S)
-
90 %
-
-
Die vier Bezirke mit den meisten Bewohnern pro Haushalt (2,9-3,1) sind Hartberg, Feldbach, Weiz und Radkersburg, jene mit den wenigsten (2,0-2,4) Graz, Leoben, Bruck an der Mur und Marzzuschlag. Dementsprechend eindeutig sind die so ermittelbaren Unterschiede in den Mittelwerten der Suizidraten. Sie kommen im Obrigen bei den rohen Suizidraten stfirker zum Ausdruck als bei den altersstandardisierten (siehe Tabellen 55 und 56). Es gilt aber bei beiden Betrachtungsweisen, dass die Bezirke der Steiermark mit besonders hohen Suizidraten meist auch im Durchschnitt kleinere Haushalte aufweisen. Tabelle 55." Bewohnerzahl pro Haushalt - Mittelwertvergleich steiermarkweit far ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,8
4
2,5
15,5
21,2
M
19,3
9
4,8
13,5
29,0
U
21,7
4
5,6
16,0
28,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Tabelle 56." Bewohnerzahl pro Haushalt- Mittelwertvergleich steiermarkweit far SR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
20,2
4
2,0
18,2
22,2
M
21,8
9
4,9
15,2
31,2
U
25,7
4
6,0
20,2
32,2
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
3.2.9
Suizidrate und Wohnstruktur
Wenig untersucht wurde bislang auch der Zusammenhang zwischen Wohnbaustruktur und Suizidrate, obwohl die amtlichen Statistiken hierzu durchaus wertvolles Material liefern. 326 Allerdings sind auch hier bei der Auswertung teils inhaltlich m0glicherweise gegenlfiufige Tendenzen zu beachten: Einerseits k0nnen geringe durchschnittliche Bewohnerzahlen pro Wohnung auf vermehrte soziale Isolation hinweisen (analog dem im vorigen Absatz unter326 Die hier verwendeten Daten sind jene der zugleich mit der Volkszahlung durchgefahrten Erhebung: Statistik Austria (Hg.), Gebaude- und Wohnungsz~hlung2001. Hauptergebnisse Osterreich. Wien 2004, bes. S. 42-55.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
161
suchten Aspekt der Personen pro Haushalt), andererseits auf h0heren 0konomischen Wohlstand, der eher das Leben in unabhfingigen Wohnungseinheiten erm6glicht. Jedenfalls soll die entsprechende Korrelation far etwaige weitere Oberlegungen ermittelt werden, wobei von einem Zusammenhang im erstgenannten Sinn ausgegangen wird. Die Anzahl der Wohnungen pro Gebfiude k0nnte weiters positiv mit der Suizidrate korreliert sein, da Vielparteienhfiuser auf 0konomisch minderprivilegierte soziale Kontexte hinweisen und auch spezifische sozialpsychologische Probleme kreieren. Nicht nur als Ausdruck sozio0konomischer Deprivation, sondern auch als direkt psychophysisch wirkende Stressoren sind insbesondere aber beengte WohnverhNtnisse bekannt; 327 daher ist weiters anzunehmen, dass mit durchschnittlich geringeren Wohnflfichen pro Person in einer Region h6here Suizidraten assoziiert sind. Soziale Minderprivilegierung und Alltagsbelastung durch schlechte Wohnverhfiltnisse sollte weiters auch aber die jeweiligen Anteile von Wohnungen in Ausstattungskategorie A (hochqualitativ) bzw. C und D erhebbar sein (,,Substandard-Wohnungen"); auch diese Faktoren sollten daher mit der Suizidrate in einer negativen (Kategorie A) bzw. positiven (Kat. C/D) Korrelation stehen. 328 Tabelle 57: Bewohnerzahl pro Wohnung - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR O
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,06
0,15
-0,19
-0,13
SN (1S)
-
90 %
-
-
Die ermittelten Korrelationen sind in ihren Werten exakt dieselben, wie sie auch far das Kriterium ,,Bewohner pro Haushalt" ermittelt wurden. Auch h0here Anzahlen von Bewohnero pro Wohnung sind also im gesamt6sterreichischen Kontext im Gegensatz zur ursprt~nglich aufgestellten Hypothese eher mit h0heren Suizidraten verbunden, was oftensichtlich die insgesamt ht~heren Suizidraten im landlichen Raum widerspiegelt, wfihrend far den Bereich der Steiermark allein der vermutete Zusammenhang - in wenngleich eher geringem AusmaB - gegeben ist. Tabelle 58: Wohnungen pro Gebaude - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR ~
ASR O
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,04
0,01
0,17
0,10
SN (1S)
.
.
.
.
327 Vgl. hierzu etwa die Studie: Ulrich Mueller, Monika Heinzel-Gutenbrunner, Krankheiten und Beschwerden (subjektive Gesundheit) unter Bewertung der eigenen Gesundheit. Wiesbaden 2001. 328Allerdings ist zu beracksichtigen, dass gegenwartigbereits eine ganz 0berwiegende Majoritat aller Wohnungen in Osterreich der Ausstattungsklasse ,,A" zuzurechnen ist (ca. 89 %), und Wohnungen der Kategorien C und Dglacklicherweise - sehr selten geworden sind (nur 3,3 % 0sterreichweit). Daher sind m0gliche Korrelationen hier yon vornherein nur als quantitativ gering anzunehmen.
162
3 Ergebnisse der Studie
Betreffend der Anzahl der Wohnungen pro Wohngebfiude hatte die Hypothese ja gelautet, dass h6here Raten auch mit h/Sheren Suizidraten einhergehen sollten; dieselbe ist far C)sterreich insgesamt nicht zu bestfitigen, wobei diesmal gar keine Assoziation der beiden Zahlenreihen feststellbar ist. Far die Steiermark far sich genommen zeigt sich dagegen wiederum auch hier eine Korrelation in der vermuteten Richtung, die auch bei Altersstandardisierung zumindest noch geringfagig vorhanden bleibt. Tabelle 59." Wohnflfiche pro Wohnung-Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen
SR (~
ASR C)
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,32
-0,41
0,00
-0,01
SN (1S)
99 %
99 %
-
-
Die Untersuchung des etwaigen negativen Zusammenhangs zwischen WohnflfichenausmaB und Suizidrate zeigt ein besonders bemerkenswertes Ergebnis: Der vermutete Zusammenhang ist bei Osterreichweiter Analyse in einem aberraschend hohen AusmaB gegeben! Je mehr Wohnraum pro Person im Durchschnitt zur Verfagung steht, desto geringer ist die Suizidrate. Allerdings lfisst sich dieser Zusammenhang bei Beschrfinkung auf die Steiermark allein nicht nachweisen (Null-Korrelation). Im gesamt6sterreichischen Vergleich, der ja prinzipiell die steirischen Bezirke mit betrifft, sind die Unterschiede aber eklatant, wie ein Mittelwert-Vergleich verdeutlichen kann: Tabelle 60: Wohnflfiche pro Wohnung- Mittelwertvergleich Osterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,0
25
3,7
7,4
22,6
M
17,2
49
4,5
3,6
29,0
U
17,9
25
4,1
10,0
25,9
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 61: Wohnflfiche pro Wohnung- Mittelwertvergleich 0sterreichweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
16,4
25
4,5
8,7
28,6
M
19,3
49
5,2
4,3
32,2
U
19,5
25
4,6
11,1
31,5
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in C)sterreich und in der Steiermark
163
Die altersstandardisierten Suizidraten unterscheiden sich zwischen oberstem und unterstem Quartil nach Wohnflfichengr08e pro Bewohner um einen Wert von fast 4, hinsichtlich der rohen Raten ergibt sich eine durchschnittliche Differenz um 3 Suizide pro Jahr und 100.000 Einwohner. Dieses Ergebnis ist umso bemerkenswerter, als 19 der 25 Bezirke im untersten Quartil der Wohnflfichen pro Bewohner (33-37 m s) in WestOsterreich situiert sind, wo die Suizidraten insgesamt ja nicht besonders hoch sind. Dennoch ergibt eine Gegent~berstellung derselben mit den Bezirken mit den durchschnittlich gr0Bten Wohnflfichen - diese finden sich wiederum bis auf zwei Ausnahmen ausschliel31ich in Nieder0sterreich und dem Burgenland - die dargelegte Diskrepanz. Zur Einschfitzung der Bedeutung dieses Aspekts ftir die steirische Situation ist zu bemerken, dass sich insgesamt vier Bezirke - Feldbach, Hartberg, Weiz und Bruck - im untersten Quartil ftir den 0sterreichweiten Vergleich befinden; die Steiermark ist also betreffend diesen Aspekt nicht besonders stark, aber doch auch tangiert. Die Verteilung der durchschnittlichen Wohnflfichengr0f3en in allen 0sterreichischen Bezirken im Hinblick auf die deutlich assoziierten altersstandardisierten Suizidraten stellt sich im Scatterplot so dar: A b b i l d u n g 16." Scatterplot: ASR - Nutzflfiche pro Bewohner nach Bezirken
30
[] o D []
D []
(3
[]
[3 D
o! '---,-~..,,.
20
D "''~'~~--..J3
G
O ~
[]
[]
D
[3
[]
r_3
D
D
-o Oo~
o (2]
o ~
o
E
lO
~o
O
o o
O~o~
0
0
o
[]
o
~'~---~
~ o []
o
0
o
~
~
o oo
N (D
0
32
Nutzfl~iche pro Bewohner in Quadratmeter
Die Regressionsgleichung weist den Zusammenhang wie folgt aus: A S R - 4 2 , 5 - 0 , 6 7 2 * d u r c h s c h n i t t l i c h e W o h n f l t i c h e in m 2. In Worten ausgedrtickt bedeutet dies, dass die bezirksspezifischen Unterschiede statistisch gesehen eine Abnahme der standardisierten Suizidrate um etwa 0,7 mit jedem zusfitzlichen Quadratmeter Wohnflfiche, der den Einwohnern im Durchschnitt zur Ver~gung steht, nahe legen. Bemerkenswerte 16,4 % der Streuung der
164
3 Ergebnisse der Studie
alterstandardisierten Suizidraten lassen sich zudem gemfi6 diesem Regressionsmodell auf die einzelne Variable ,,Wohnflfichengr0ge" zurackfahren. Far die rohen Suizidraten ergeben sich etwas geringere Assoziationen, die Abnahme der Suizidrate pro Quadratmeter Wohnfl~che mehr pro Einwohner liegt aber hierbei auch noch bei 0,6. Tabelle 52." Anteil der A-Kat.-Wohnungen - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,09
-0,09
-0,50
-0,43
SN (lS)
-
-
99 %
95 %
Die Korrelationsstatistik far den Anteil von A-Kategorie-Wohnungen, also die bestausgestattete Wohnungsklasse (gemW3 Definition der Statistik Austria), zeigt einen sehr geringfagigen, nicht sehr verlfisslich interpretierbaren Zusammenhang in vermuteter Richtung far ganz Osterreich, aber einen sehr starken Zusammenhang bei Analyse der Differenzen innerhalb der Steiermark. Die vier Bezirke mit dem geringsten Anteil an Kategorie-AWohnungen, Graz, Leoben, Murau und Liezen, haben im Mittel eine deutlich h0here Suizidrate als die Bezirke mit den h0chsten Anteilen, Graz-Umg., Weiz, Knittelfeld, Hartberg. Tabelle 63." Anteil der A-Kat.-Wohnungen - Mittelwertvergleich steiermarkweit far ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
19,6
4
1,5
18,1
21,2
M
17,5
9
4,2
13,5
28,0
U
23,9
4
4,5
18,0
29,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Tabelle 64. Anteil der C/D-Kat.-Wohnungen - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,06
0,00
-0,08
-0,19
SN (lS)
.
.
.
.
Die Korrelation betreffend der Anteile der Wohnungen der besonders schlecht ausgestatteten Kategorien ergibt 0sterreichweit keinen feststellbaren Zusammenhang, far die Steiermark einen eher geringen Zusammenhang in die der erwarteten entegegengesetzte Richtung. Graz hat innerhalb der Steiermark gemeinsam mit Leoben den h0chsten Anteil entsprechender Wohnungen, zudem fallen die Quoten far C- und D-Wohnungen insgesamt nur noch marginal aus (1,3 bis 3,6 % in der Steiermark), sodass hierin wesentliche Ursachen far die Nicht-Feststellbarkeit eines Zusammenhangs zwischen der Verbreitung schlechter Wohnverhfiltnisse und der Suizidrate mittels dieses Indikators liegen darften.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in ()sterreich und in der Steiermark
165
3.2.10 Suizidrate und 6konomisches Niveau Es ist nahe liegend, in Okonomischer Sicherheit eine das Suizidrisiko senkende Gegebenheit zu sehen - wenn Untersuchungseinheiten innerhalb derselben allgemeinen kulturellen Rahmenbedingungen betrachtet werden. 329 Dementsprechend wurde die Hypothese formuliert, in Regionen mit durchschnittlich hOherem Wohlstand innerhalb 0sterreichs seien weniger Suizide pro Einwohneranzahl zu verzeichnen als in ,,firmeren" Landesteilen. Als geeigneter lndikator erschien eine Messung anhand des durchschnittlichen Einkommens; als Datengrundlage dienten die Informationen zum Arbeitnehmer-Brutto-Einkommen pro Kopf far das Jahr 2001, erhoben von der Statistik Austria. 33~
Tabelle 65. Arbeitnehmerdurchschnittseinkommen - Ergebnisse der bivariaten KA SR (3
ASR O
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,32
-0,33
0,05
0,02
SN (1S)
99 %
99 %
-
-
Die entsprechende Auswertung ergibt Osterreichweit einen starken Zusammenhang, sodass die Hypothese - Bezirke mit geringerem 6konomischen Wohlstand auf kollektiver Ebene weisen h0here Suizidraten a u f - angenommen werden kann. Die Unterschiede in der Suizidh~iufigkeit zwischen Bezirken mit sehr hohem und jenen mit sehr niedrigem Durchschnittseinkommen sind betrfichtlich: Die 25 Bezirke mit den hOchsten durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen in C)sterreich weisen eine rohe Suizidrate yon 16,6 auf, jene mit den niedrigsten aber eine von 20,0; die konkret fassbare Differenz betr~igt also fiber 3 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr! Der Zusammenhang bleibt auch bei altersstandardisierter Betrachtung der Suizidraten bestehen; die Raten erscheinen hierbei insgesamt niedriger, die beschriebene Differenz ist aber nahezu gleich grog.
Tabelle 66: Arbeimehmerdurchschnittseinkommen - Mittelwertvergleich 0sterreichweit f. ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,6
25
2,5
8,9
18,8
M
16,9
49
4,9
3,6
28,0
U
17,8
25
4,5
10,5
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
....
Siehe hierzu Kapitel 1. Das Argument, in ,,Landern der dritten Welt" gabe es (mindestens implizit ist gemeint: im Vergleich zu Europa) so wenig Suizide, obwohl die Menschen dort doch so arm seien, ist deswegen nicht stichhaltig bei der Diskussion von Unterschieden in den Suizidraten innerhalb homogenererUntersuchungseinheiten; ganz abgesehen von Problemen der Zuverlassigkeitentsprechender Erhebungen t~berSelbsttOtungen in nichtindustrialisierten Gesellschaften. 33o Statistik Austria, ISIS-Datenbank. Fl~,chendeckende,regional zurechenbare und fihnlich verlfissliche Daten zu Einkommen aus Unternehmensgewinnensind kaum zu erhalten und auch weniger reprasentativ; noch viel weniger lassen sich - leider- regionalspezifischeVermOgensst~ndeeinigermagenexakt eruieren. 329
166
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 67: Arbeitnehmerdurchschnittseinkommen - Mittelwertvergleich 6sterreichweit f. SR KAT
MW
O M U
H
STA
MIN
MAX
16,6
25
19,0
49
3,0
8,7
21,6
5,6
4,3
32,2
20,0
25
5,1
11,4
31,2
18,6
99
5,1
4,3
32,2
i
Gesamt
I
Interessanterweise sind zwar die steirischen Bezirke im gesamt6sterreichischen Zusammenhang yon diesem Gef'~ille nattirlich mitbetroffen - etwa ein Drittel der steirischen Bezirke, ntimlich Murau, Weiz, Hartberg, Feldbach, Leibnitz und Radkersburg - befinden sich im C)sterreich-Vergleich im untersten Quartil, Dr die Erklfirung der Differenzen in der Suizidrate innerhalb der Steiermark bietet das Durchschnittseinkommen jedoch keinen Anhaltspunkt, da der entsprechende Korrelationskoeffizient den Wert 0 annimmt (siehe oben). Offensichtlich sind die tendenziell hoheren durchschnittlichen Einkommen in der obersteirischen Industrieregion Ursache far diesen Umstand, da diese Bezirke, wie schon ausftihrlich dargelegt wurde, mit besonders hohen Suizidraten behaftet sind. Ungeachtet dessen gilt der oben beschriebene Zusammenhang, wonach tendenziell flir ganz Osterreich niedrigere Einkommen mit h6heren Suizidraten einhergehen.
Abbildung 17." Scatterplot A S R - durchschnittl. Jahresbruttoeinkommen (Arbeitnehmer) 30
D D []
D
D
DD
% 0
o! o v
%c~
2O
cl]
~
-o
cP
o o~
~D
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O
0
C
n
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o - ' ~ - - ~ p L ~ ~-
00
00
DO
O [] CO
10
(/}
[]
=
o~ O
E
D
O
o O
O~
o [] CP
O
ODD
O O
"o ,_ . _N
03
0 16000
18000
20000
22(~00
24000
Durchschnittl. Arbeitnehmereinkommen
26000
28000
30000
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalit~t in Osterreich und in der Steiermark
167
Anhand der graphischen Darstellung (siehe oben) ist u.a. deutlich sichtbar, dass sich die Bezirke mit den h0heren altersstandardisierten Suizidraten - fiber 20 - v011ig im Bereich der Bezirke mit unterdurchschnittlichen mittleren Arbeitnehmereinkommen konzentrieren. Die Errechnung der linearen Regressionsfunktion zeigt, dass die Variable ,,durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen" (brutto, pro Jahr) mathematisch 10,6 % der insgesamt auftretenden Streuung der bereits altersstandardisierten Suizidraten pro Bezirk erklaren kann. Die Funktionsgleichung lautet hierbei: ASR - 2 9 , 6 3 2 - 0,0000674 *durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen. Ein Bezirk mit einem durchschnittlichen Jahresbruttolohn seiner als Arbeitnehmer beschfiftigten Einwohner, welcher um 1000 E niedriger liegt als der eines anderen, hat entsprechend diesem Modell eine um etwa den Wert 0,7 erhOhte standardisierte Suizidrate. Far die rohe Suizidrate ergibt sich ein ahnlicher Wert, gerundet ebenfalls 0,7.
3.2.11 Suizidrate und soziookonomische Desintegration
Wohl kaum ein einzelnes Kriterium kann so deutlich das Mal3 sozioOkonomischer Desintegration in der Gegenwartsgesellschaft reprfisentieren wie die Arbeitslosenquote, gibt sie doch den Anteil jener Menschen an, die systematisch von der Produktion gesellschaftlicher Gater ausgeschlossen werden, und damit zugleich sowohl eine erhebliche Deprivation in dem ihnen zugestandenen Gaterkonsum erleiden als auch yon der einzig allgemein anerkannten Legitimationsinstanz sozialer Existenz, der Zuschreibung von ,,Leistung", exkludiert werden. Gerade flir das Phfinomen ,,Arbeitslosigkeit" ist daher anzunehmen, dass auch auf makrosozialer Ebene eine Assoziation hoher Zutreffensquoten mit hohen Suizidraten festzustellen ist. TM Die entsprechenden Datengrundlagen wurden dankenswerterweise vom Arbeitsmarktservice zur Verfiigung gestellt, 332 und beziehen sich wiederum auf die Jahre 2001 bis 2004, woraus ein Durchschnitt far diese Periode errechnet wurde. Tabelle 68. Arbeitslosenquote - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,30
0,24
-0,11
-0,04
SN (1S)
99 %
99 %
-
-
Auch die Analyse der Arbeitslosenquoten im Hinblick auf letale Suizidalit~t zeigt die schon hfiufiger festgestellte Differenz zwischen einer 0sterreichweiten und einer auf die Steiermark beschrankten Betrachtung. Far den gesamt0sterreichischen Kontext ist die Hypothese, wonach Bezirke mit h0heren Arbeitslosenquoten im Untersuchungszeitraum auch hOhere Suizidraten aufweisen, eindeutig zutreffend, wfihrend die innersteirischen Unterschiede nicht auf diesen Faktor zu~ckgeftihrt werden kOnnen.
331 332
Zum individuell erh0hten Suizidrisiko bei Arbeitslosigkeitsiehe 1.3. und 3.3. Arbeitsmarktstatistikdes AMS.
168
3 Ergebnisse der Studie
Far den Osterreichweiten Vergleich ist aber festzustellen, dass sich die Bezirke mit hoher Arbeitslosenrate (oberstes Quartil: im Durchschnitt 2001 bis 2004 7,1 bis 9,9 %) in den Suizidraten deutlich von anderen Bezirken unterscheiden, wobei dies sowohl mit als auch ohne Altersstandardisierung der letzteren gilt: Die 25 Bezirke mit den niedrigsten Arbeitslosenquoten haben, nach tatsfichlich vorgefallenen Suiziden pro Einwohnerzahl gerechnet (,,rohe Rate"), im Durchschnitt um mehr als 4 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr weniger zu beklagen als die 25 Bezirke mit den h/3chsten Anteilen arbeitsloser Menschen. 333 Tabelle 69: Arbeitslosenquote - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
18,5
25
4,5
11,5
28,0
M
16,2
49
4,7
7,4
29,0
U
15,3
25
3,4
3,6
20,7
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
MAX
Tabelle 70: Mittelwertvergleich 6sterreichweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
O
21,0
25
5,4
11,4
32,2
M
18,3
49
5,1
8,7
31,2
U
16,8
25
3,6
4,3
22,1
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Unter den steirischen Bezirken sind dabei Hartberg, Leibnitz, Ftirstenfeld, Bruck, Knittelfeld, Judenburg, Liezen und Mtirzzuschlag dem obersten Quartil zuzurechnen, also ist die HNfte aller Regionen in besonderem Ausma6 negativ betroffen. Kein einziger steirischer Bezirk ist umgekehrt dem Viertel der am wenigsten von Arbeitslosigkeit betroffenen Regionen Osterreichs zuzuzfihlen. Die lineare Regression far den 0sterreichweiten Zusammenhang ergibt ein lineares Bestimmtheitsma6 von 5,8 %, eine gegenaber anderen Faktoren nicht allzu stark hervortretende, aber doch beachtliche H0he. Die Regressionsgleichung stellt sich so dar: A S R = 12,376 + 0,686 * Arbeitslosenquote in Prozent. Mit jedem Prozent Arbeitslose (im vierj~ihrigen Durchschnitt yon 2001 bis 2004 gerechnet) in einem Bezirk mehr ist gem~ig dem Modell dieser linearen Regression im Mittel eine um etwa 0,7 erhOhte altersstandardisierte Suizidrate verbunden; ohne Beriacksichtigung der Altersstandardisierung wird eine sich jeweils um etwa den Wert 1,0 steigernde rohe Suizidrate ausgewiesen. Auch hierzu ist umseitig wiederum eine graphische Darstellung wiedergegeben.
333
Daten Far die Arbeitslosenquotennach der Arbeitsmarktstatistikdes AMS.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
169
Abbildung 18: Scatterplot A S R - Arbeitslosenquote gem~.g AMS-Definition 30
[] 0 [] 0
O
[]
!
vo
[] D
20
D
o9
C Cat) O0 L.
i~ D
i
o
~
o~
-OOoo O
0~ O
E
000
O0
[]
O []
10
0 []
O
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B o
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O
D
0
O
O
o 0
O []
[]
DD
D
[3 []
O
O
O
(D (D
". mO N
.m
E3
09
0
2
;,
Arbeitslosenquote
;
~
1B
1"2
2001-2004
3.2.12 Suizidrate und Erwerbsstruktur
Ausgehend von der Beobachtung, dass in Osterreich, wie auch in anderen mitteleurop~.ischen Staaten, vielfach nicht mehr die gr~Sgeren Stfidte, sondem lfindlichere Regionen hOhere Suizidraten aufweisen, wurde vom Verfasser vermutet, dass hierbei unter anderem ein Zusammenhang mit dem st~.rkeren Gewicht sowohl der landwirtschaftlich-traditionellen als auch der proletarisch-industriellen Subkultur in vielen solcher eher ruralen Regionen bestehen k6nnte (w~.hrend urbane Zentren gegenw~rtig hfiufig, aber nattMich nicht immer, st~irker vom Dienstleistungssektor als dominanter Erwerbsart gepr~gt sind). Sowohl der (traditionellen) mitteleurop~isch-bfiuerlichen Subkultur als auch der (traditionellen) mitteleurop~.ischen Industriearbeiter-Subkultur wird in diesem Zusammenhang, gemfi6 Forschungsergebnissen zur schichtspezifischen Sozialpsychologie, TM hier unterstellt, spezifische Defizite im Umfang mit psychischen und sozialen Problemen bei ihren Mitgliedern hervorzurufen und zu erhalten. Erscheinungen von Aggression und Selbstaggression werden in den betroffenen Gesellschaftsschichten tendenziell immer noch weniger konstruktiv verarbeitet als im Angestellten- bzw. Dienstleistungs-,,Milieu", wie generell nicht nur die 334 Vgl. hierzu die klassische, sehr instruktive Studie far den amerikanischen Raum: August Hoilingshead, Fredrick Redlich, Der Sozialcharakter psychischer StOrungen. Frankfurta.M. 1975, die aktuellere Zusammenfassung in: Johannes Siegrist, Medizinische Soziologie. Dasseldorf 1995, bes. S. 157-197, sowie nunmehr insbesondere: Andreas Mielck, Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Einfahrung in die aktuelle Diskussion. Bern 2005.
170
3 Ergebnisse der Studie
passive Gesundheitsbelastung, sondern auch aktives, negatives ,,Gesundheitsverhalten" in ,,unteren" sozialen Schichten stfirker ausgeprfigt ist. Dementsprechend sind hOhere Raten psychischer Erkrankungen und auch hOhere Suizidraten in Regionen zu erwarten, deren kollektive Mentalitfiten stfirker als andere yon land- und forstwirtschaftlicher Erwerbsweise und/oder von Beschaftigung in der Gt~terproduktion 335 bestimmt sind. 336 Umgekehrt sollten dann in - sei es lfindlichen oder urbanen - Regionen mit starker Dienstleistungskomponente geringere Suizidhfiufigkeiten festzustellen sein. Ein spezifischer Teilbereich des Dienstleistungssektors steht jedoch, im Gegensatz hierzu, wegen seines spezifischen Belastungspotentials, das insbesondere eine starke Tendenz zur Depersonalisierung zwischenmenschlicher Kontakte beinhaltet, 337 immer wieder im Verdacht, ,,suizidf6rdemd" zu sein - d e r Tourismus. Dieser Hypothese sei hier daher spezifisch nachgegangen, indem postuliert wird: Regionen mit hOherem Tourismusanteil weisen auch hOhere Suizidraten auf. Da es mOglich erscheint, dass die ONACE-Erwerbst~,tigkeitsstatistik die gemeinten Unterschiede weniger gut abbildet als die traditionelle Klassifikation nach dem Berufsstatus, sollen die analogen Hypothesen auch ft~r Selbstandigen-, Land- und Forstwirte-, Angestellten- und Beamten- sowie Arbeiteranteile an den regionalen BevNkerungen t~berw a f t werden. Hinsichtlich der Gesamtheit der Selbstfindigen ist, schon wegen der Einrechn u n g d e r Landwirte, aber wohl auch wegen spezifischer Gef~,hrdungen dieser Berufsgruppe, eine mit hOheren Bev~lkerungsanteilen steigende Suizidrate anzunehmen. Insbesondere wfiren aber bei hohen Land- und Forstwirte-Anteilen hOhere Suizidraten zu erwarten, gleichfalls bei hOheren Arbeiteranteilen, bei hOheren Beamten- und Angestelltenanteilen dagegen sollten niedrigere Suizidraten in der jeweiligen Region vorliegen. Die Gesamtrate der Erwerbstfitigen an der BevOlkerung k0nnte schliel31ich, wegen des starkeren Vorherrschens traditioneller Familienstrukturen (Mann arbeitet formell, Frau ,,ist zuhause") in Unterschicht-Segmenten der Gesellschaft, ebenso negativ mit der Suizidrate korrelieren. 338 Betreffend des erstgenannten Aspekts, des Zusammenhangs der Verbreitung von Land- und Forstwirtschaft 339 mit Suizidalitfit, zeigen die Ergebnisse der Korrelationsanalyse im 0sterreichweiten Kontext einen schwachen, abet feststellbaren Zusammenhang in der erwarteten Richtung" Bezirke mit hOheren Anteilen yon Bauem unter den Erwerbstfitigen haben hOhere Suizidraten.
335 Einschlieglich der wegen der grOgeren ,~dmlichkeit der spezifischen Berufskulturen hier zugerechneten Bereiche Bauwesen, Energie- und Wasserversorgung sowie Bergbau. 336 Zur Idee regionalspezifischer ,,Subkulturen" von Suizidalit~t vgl. auch J.C. Nyiri, Einleimng. In: Thomas Masaryk, Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation. Manchen 1982, S. 5-24. 337 Und zwar nicht nut solcher zwischen den direkt im Tourismus Beschaftigten und ihren G~ten, sondern aller Personen, die in von massenhaftem Tourismus betroffenen Regionen leben. 338 Die Daten far diese Untersuchungen von Zusammenhangen der Erwerbsstrukturen mit den Suizidraten entstammen wiederum den Ergebnissen der Volksz~hlung 2001 : Statistik Austria, Volksz~lung 2001 II, S. 54-85. 339 ONACE-Abschnitte A und B, wobei der Anteil der in Osterreich vorrangig von ,,Fischerei und Fischzucht" lebenden Personen (ONACE-Code B) mit 137 quantitativ vernachlassigbar ist; Land- und Forstwirte (ONACECode A) gab es zum Zeitpunkt der Volkszahlung 2001 153.499.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalit~.t in Osterreich und in der Steiermark
171
Tabelle 71. Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) in Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR (~
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,14
0,15
-0,02
0,02
SN (1S)
90 %
90 %
-
-
Zur Erklfirung der innersteirischen Differenzen in den Suizidraten kann dieser Faktor (far sich genommen) nicht beitragen, hier ist keine Korrelation feststellbar. Far den 6sterreichweiten Vergleich ergibt eine nfihere Untersuchung aber folgendes: Tabelle 72. Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) in Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei - Mittelwertvergleich Osterreichweit far altersstandardisierte Suizidraten KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,3
25
4,5
9,2
29,0
M
17,2
49
4,9
3,6
28,0
U
14,6
25
2,6
8,9
18,9
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 73: Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) in Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei - Mittelwertvergleich Osterreichweit far rohe Suizidraten KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
19,1
25
4,9
11,4
31,2
M
19,5
49
5,6
4,3
32,2
U
16,3
25
3,3
8,7
21,6
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Die 25 Bezirke mit den h~Schsten Anteilen an Land- und Forstwirten (8-15 %) haben, nach rohen Raten gerechnet, eine um fast 3 Suizide pro Jahr und 100.000 Einwohner h0here Suizidfrequenz, als die des untersten Quartils (0,4-2,5%). Bemerkenswert ist hierbei, dass die Rate far Bezirke mit mittlerem Anteil an Forst- und Landwirten gegenaber dem untersten Quartil ebenso unganstig ausffillt, auch bei altersstandardisierter Betrachtung. Die steirischen Bezirke sind im obersten Quartil sechsmal vertreten (Leibnitz, Feldbach, Radkersburg, Weiz, Hartberg, Murau), sodass diesem Faktor einige Bedeutung far die gesamtsteirische Situation zuzumessen ist, wenn auch die meisten Bezirke mit den h0chsten Raten innerhalb der Steiermark nicht durch besonders hohe Anteile von Landwirten hervortreten.
172
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 74: Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) in der Gaterproduktion (einschliel31ich Bergbau, Bauwesen, Energie- und Wasserwirtschaft) - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,23
0,24
-0,05
0,03
SN (1S)
95 %
99 %
-
-
Far die Verbreitung der industriell geprfigten Berufszweige ergibt die Korrelation ebenfalls einen deutlichen Zusammenhang mit der Suizidrate bei gesamtOsterreichischer Perspektive. Uberraschenderweise fehlt der Zusammenhang, betrachtet man die Steiermark allein. Hierfar darfte ausschlaggebend sein, dass zwar die Obersteiermark insgesamt eindeutig h6here Suizidraten aufweist als der Rest des Landes - ein Mittelwertvergleich ergibt die Werte 26,2 vs. 19,6 ~ r die rohe Suizidrate! -, dass abet die gegenwfirtig real bestehenden Erwerbsverhfiltnisse jene traditionelle Differenz zwischen stfirker industrialisiertem Norden und weniger stark industriell geprfigtem St~den des Landes kaum mehr widerspiegeln, insbesondere wenn neben der reinen Sachgaterproduktion auch affine Branchen wie Bauwesen u.fi. einbezogen werden: Die vier steirischen Bezirke mit den hOchsten Anteilen von Erwerbstfitigen der ONACE-Klassen C bis F sind heute Mt~rzzuschlag, Judenburg, Weiz und Deutschlandsberg. Tabelle 75." Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) in der Giiterproduktion (einschlie61ich Bergbau, Bauwesen, Energie- und Wasserwirtschaft- Mittelwertvergleich Osterreichweit far altersstandardisierte Suizidraten KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
16,0
25
4,9
3,6
28,0
M
17,7
49
4,4
7,4
29,0
U
14,8
25
3,5
8,9
24,4
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Ft~r alle 6sterreichischen Bezirke ist die Hypothese dagegen, wie erwfihnt, zutreffend; der Mittelwert-Vergleich (siehe oben) zeigt aber, dass die Unterschiede vor allem zwischen den besonders wenig industriell geprfigten Regionen (16 bis 25 % der Summe der Erwerbstfitigen) - die besonders niedrige Suizidraten aufweisen - und dem Rest des Landes bestehen; ob ein Bezirk nun mittlere oder hohe Raten (36 - 43 %) von Erwerbst~tigen der genannten Kategorie hat, ffillt offenkundig weniger ins Gewicht. Hinsichtlich der steirischen Bezirke ist zu konstatieren, dass sich im untersten Quartil Nr dieses Kriterium nur GrazStadt befindet, und dasselbe so offensichtlich eine - zumindest korrelationsstatistische Bedeutung ft~r die Suizidrate des Bundeslandes hat, da die Steiermark eine diesbezaglich eher unganstige Erwerbsstruktur aufweist.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
173
Eine Analyse der Anteile des Dienstleismngssektors (ONACE G-P) 34~ unter den Erwerbstfitigkeiten zeigt gleichsam ein spiegelbildliches Ergebnis zu der soeben prfisentierten Korrelation tar den Produktionsbereich: Eine deutliche, aber nicht allzu starke Korrelation 6sterreichweit, keinen Zusammenhang in der Steiermark allein. Tabelle 76." Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) im Dienstleistungsbereich (ONACE G-P) Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen
SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK(P)
-0,25
-0,26
0,01
0,01
S N (1S)
99 %
99 %
-
-
Die Differenzen zwischen oberstem und unterstem Quartil sind auch hier wieder nicht allzu stark ausgeprfigt, die Tendenz aber im Vergleich zu dem zuvor besprochenen Faktor einheitlicher, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich ist. Tabelle 77." Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) im Dienstleistungsbereich (ONACE G-P) Mittelwertvergleich 6sterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,9
25
3,5
8,9
24,4
M
16,7
49
4,2
7,4
26,8
U
17,9
25
5,3
3,6
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Deutlicher als an den beiden vorgenannten Indikatoren lfisst sich bei diesem ein struktureller Nachteil der Steiermark erkennen, der offensichtlich mit den hOheren Suizidraten im Bundesland zusammenhfingt: Nur ein steirischer Bezirk ist unter jenen 25 vertreten, welche den hOchsten Anteil an Erwerbspersonen im tertifiren Sektor aufweisen, dagegen 8341 unter den 25 mit dem niedrigsten Anteil (wfihrend bei gleichmfi6iger Verteilung entsprechend dem Verhfiltnis von 17 steirischen Bezirken auf 99 Bezirkseinheiten insgesamt nur vier o d e r ~ n f steirische Regionen vertreten sein darften). Die stfirkere Relevanz der beiden traditionellen Bereiche des Primfir- und des Sekundfirsektors zusammengenommen in der Steiermark erscheint so in einem deutlichen Zusammenhang mit der erh0hten Suizidrate, was tiber die mit den jeweiligen Berufswelten verbundenen Werthaltungen deutbar ist.
Die ONACE-Abschnitte G bis P umfassen folgende Sektoren: Handel (einschlie61ich Reparaturbetrieben), Beherbergungs- und Gastst~ttenwesen, Verkehr und Kommunikationswesen, Bank- und Versicherungswesen, Immobilienbereich und Unternehmerdienstleistungen, Offentliche Verwaltung, Unterrichtswesen, Gesundheitsund Sozialberufe, sonstige Dienstleistungen und Dienstboten in privaten Haushalten. 34~ Die betreffenden acht Bezirke sind Weiz, Hartberg, Feldbach, Leibnitz, Deutschlandsberg, Mtirzzuschlag, Judenburg, Murau. 340
174
3 Ergebnisse der Studie
Nun sei noch auf einen spezifischen Aspekt innerhalb des Dienstleistungssektors eingegangen: Gerade in C)sterreich besteht seit lfingerem eine Diskussion t~ber die mutma61ichert suizidogenen Auswirkungen der Tourismuswirtschaft, wobei u.a. versucht wurde, mittels einer Korrelation der zeitlichen Verfinderungen in der Nfichtigungsstatistik mit den Verfindemngen der Suizidrate auf Gemeindeebene darzulegen, dass kollektive Suizidneigung und Intensitfit des Tourismus in einer Region nicht zusammenhfingen wt]rden. 342 Anhand des Indikators der Anzahl der im Tourismus- und Gastronomiebereich beschfiftigten Personen zeigt allerdings ein Vergleich mit den jeweiligen Suizidraten aufBezirksebene sehr wohl eine positive Korrelation, insbesondere bei Betrachtung der altersstandardisierten Suizidraten. 343 Innerhalb der Steiermark berechnet ist dieser Zusammenhang sogar unter den hOchsten eruierbaren einzuordnen.
Tabelle 78." Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) im Tourismus- und Gastronomiebereich Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,12
0,20
0,42
0,40
SN (1S)
-
95 %
95 %
90 %
Zumindest far den Untersuchungszeitraum 2001 bis 2004 muss also festgestellt werden, dass Bezirke mit stfirkerer Involvierung in den Tourismus auch hOhere Suizidraten haben. Das ist nattMich, wie bei fihnlichen Gelegenheiten schon mehrfach betont, noch lange kein Beweis far des Bestehen eines kausalen Zusammenhangs, aber doch ein Indiz dafar (sonst wfire Korrelationsstatistik aberhaupt sinnlos). Die entsprechende Aufgliederung der Mittelwerte far das oberste und unterste Quartil von Bezirken nach Anteil an einschl~gig Erwerbstfitigen ergibt folgendes Bild: Osterreichweit weisen, den rohen Suizidraten nach gerechnet, die 25 Bezirke mit den wenigsten Tourismusbeschfiftigten knapp 3 Suizide pro Jahr und 100.000 Einwohner weniger auf als die 25 Bezirke mit den meisten; bei Heranziehung der altersstandardisierten Suizidrate steigt die Differenz noch etwas an. Die Steiermark ist mit drei Bezirken in der hOchsten Kategorie (Liezen, Murau, Radkersburg) hier insgesamt nicht besonders stark betroffen.
Tabelle 79: Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) im Tourismus- und Gastronomiebereich Mittelwertvergleich Osterreichweit far ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
18,1
25
4,8
10,0
29,0
M
16,4
49
4,7
3,6
28,0
U
15,3
25
2,8
10,5
22,6
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
342 Bachleitner, Weichbold, TourismusbedingterSuizid? 343 In der multivariaten Analyse stellt sich diese Korrelation allerdings, dies ist festzustellen, nur noch als gering dar. Siehe dazu in 3.2.17.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalit~,t in Osterreich und in der Steiermark
175
Tabelle 80: Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) im Tourismus- und Gastronomiebereich -
Mittelwertvergleich 6sterreichweit fiir rohe Suizidraten KAT
MW....
H
STA
MIN
MAX
O
19,8
25
5,4
11,0
31,2
M
18,8
49
5,4
4,3
32,2
U
17,0
25
3,4
11,4
28,6
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Far alle 6sterreichischen Bezirke ergibt ein Scatterplot mit Beschtiftigtenraten in Tourismus und Gastronomie folgendes Bild: Abbildung 19: Scatterplot ASR - ONACE-Anteil H nach Bezirken
0 D D
D
O O v
2O
DD O
~ D
D D rn
C" C/)
O O
O D
D
11_I_-11 T
M
D 0
Z0o E lO e5
D D DQ 121
"o
._N (/3
0
~'o
2T~
30
Anteil Besch~ftigte im Tourismus in Prozent (ONACE H)
Die zu ermittelnde Regressionsgleichung definiert den Zusammenhang so: ASR = 14,965 + 0,238 * prozentueller Anteil der Beschd:ifiigten im Tourismus. Mit jedem Prozent Beschfiftigter im Tourismus mehr ist demnach im Regressionsmodell eine Steigerung der standardisierten Suizidrate im betroffenen Bezirk um ca. 0,24 verbunden (far die rohe Suizidrate ergfibe sich eine Verfinderung von jeweils ca. 0,17). TM
344 Der Zusammenhang erscheint also auch bei dieser Betrachtung zwar eher gering - insgesamt k0nnen nur 4 % der Streuung der Suizidraten auf diesen Faktor zurtickgeftihrt werden (R 2 = 0,04) -, aber doch far Osterreich insgesamt mathematisch-statistisch nachweisbar.
176
3 Ergebnisse der Studie
Innerhalb der Steiermark far sich genommen, stellt sich die Lage so dar: Die vier Bezirke mit den hOchsten Erwerbstfitigenanteilen in der ONACE-Kategorie H, die vorgenannten Bezirke Liezen, Murau und Radkersburg sowie Farstenfeld, haben eine durchschnittliche rohe Suizidrate von 23, jene 4 mit den niedrigsten Anteilen, Graz, Graz-Umgebung, Leibnitz und Weiz, eine Rate von 21.
Tabelle 81. Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) im Tourismus- und Gastronomiebereich Mittelwertvergleich steiermarkweit mr altersstandardisierte Suizidraten KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
20,5
4
7,3
13,5
29,0
M
19,5
9
4,5
14,8
28,0
U
18,4
4
0,4
18,0
18,9
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Tabelle 82. Erwerbstfitige (Erwerbspersonen) im Tourismus- und Gastronomiebereich Mittelwertvergleich steiermarkweit fiir rohe Suizidraten KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
23,0
4
7,3
15,2
31,2
M
22,6
9
5,1
16,8
32,2
U
21,0
4
0,6
20,3
21,8
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
Wie schon erwfihnt, wurden neben den ONACE-Anteilen auch die Ergebnisse der ,,traditionellen" Klassifikation der Erwerbstfitigen in Selbstfindige, Land- und Forstwirte, Angestellte und Beamte sowie Arbeiter einer Korrelation mit den Suizidraten unterzogen; 345 die Ergebnisse stellen sich wie folgt dar:
Tabelle 83." Selbstfindigenquote - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,07
0,13
-0,08
-0,03
SN (1S)
-
90 %
-
-
345 Gegenaber der ONACE-Statistik besteht eine inhaltlich wichtige Abweichung darin, dass auch ,,mithelfende Familienangeh0rige" in die Selbst~digen- bzw. Land- und Forstwirte-Quote einbezogen sind. Die Quoten beziehen sichjeweils auf die Gesamtzahl der ,,Erwerbspersonen".
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
177
Far die Quote der Selbstfindigen insgesamt, einschliel31ich Land- und Forstwirte, zeigt sich 6sterreichweit ein schwacher Zusammenhang in der vermuteten Richtung; bei Betrachtung der Steiermark allein fehlt dieser. Far den gesamt0sterreichischen Vergleich besteht so zumindest eine geringfagige Assoziation zwischen Selbstfindigenquote und Suizidrate in dem Sinn, dass h0here Selbstfindigenanteile mit mehr Suiziden pro Einwohnerzahl einhergehen. Etwas deutlichere Ergebnisse liefert die gesonderte Betrachtung des Land- und Forstwirte-Anteils: Tabelle 84: Quote der Land- u. Forstwirte - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen
SR O
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,14
0,15
-0,07
-0,03
SN (1S)
90 %
90 %
-
-
Auch eine spezifische Korrelation des Anteils der Land- und Forstwirte an den Erwerbstfitigen mit der Suizidrate zeigt einen Zusammenhang in der erwarteten Richtung, dieser fallt aber ebenso nicht gerade stark aus. Far die Steiermark alleine ist auch hier kein Zusammenhang feststellbar. Im Osterreichweiten Vergleich ergeben sich aber folgende Unterschiede in den Mittelwerten zwischen oberstem und unterstem Quartil: Tabelle 85." Quote der Land- und Forstwirte - Mittelwertvergleich Osterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,5
25
4,4
9,2
29,0
M
16,7
49
5,0
3,6
28,0
U
15,2
25
3,1
9,7
24,7
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 86: Quote der Land- und Forstwirte - Mittelwertvergleich Osterreichweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
19,4
25
4,8
11,4
31,2
M
18,9
49
5,6
4,3
32,2
U
17,2
25
3,8
11,1
29,4
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Die zu beobachtenden Unterschiede stellen sich fihnlich dar wie jene, die weiter oben far die Variable ,,ONACE A und B-Anteil" bereits vorgestellt wurden; die Differenzen in der Suizidrate zwischen oberstem und unterstem Quartil sind aber bei dieser Betrachtung etwas geringer ausgeprfigt, dafar ist eine stfirker lineare Tendenz erkennbar (die mittlere Kategorie nimmt deutlich erkennbar einen Wert zwischen denen der beiden extremen ein).
178
3 Ergebnisse der Studie
Hinsichtlich der Relevanz dieses Aspekts tar die steirischen Bezirke ergibt sich - wenig tiberraschend - ein der Verteilung der (~NACE A- und B-Anteile v6llig entsprechendes Bild mit sechs steirischen Bezirken im obersten Quartil (siehe oben). Die DurchNhrung einer linearen Regression l~r alle Bezirkswerte in Osterreich ergibt f o l g e n d e s : A S R = 15,536 + 0,252 * prozentueller Anteil der Land- u n d Forstwirte. D e m -
entsprechend erh/Sht sich die standardisierte Suizidrate eines Bezirks im Modell mit der Zunahme des Anteils selbstfindiger Land- und Forstwirte an den Erwerbstfitigen um 1% um den Wert von 0,25. Ft~r die rohe Suizidrate ergibt sich nahezu derselbe Wert (0,255). 346 Graphisch stellt sich die Verteilung der standardisierten Suizidraten nach dem Anteil der Selbstfindigen in Land- und Forstwirtschaft im jeweiligen Bezirk so dar:
Abbildung 20: Scatterplot A S R - Anteil der Land- und Forstwirte an den Erwerbstfitigen 30 D D
0
% 0
!
DD 9
o v
2o
O []
D
C
el []
cl~ D
~
cJz] 13
cl
D
[] C~
(3
% go
o
D
[3 D D
s~ []
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lO
O []
O
o
oO oO
E
rm [] [] []
D
[3
D
!,.. ."_O . _N
co
o 0
:;
4
6
8
10
1"2
14
Anteil Selbst~ndige in Land- und F orstwirtschaft
Viel deutlichere Differenzen zwischen einer Analyse der ONACE-Anteile und jener der traditionellen Klassifizierung der Erwerbspersonen treten aber zutage, wenn das Ausmal3 der Pr~,gung einer Region durch ,,proletarisch-industrielle" Erwerbsarten erfasst werden soll. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, sind doch zwar die meisten, aber keineswegs alle Erwerbstfitigen in der Gi]terproduktion Arbeiter - auch Produktionsbetriebe haben Angestellte usw.-, und umgekehrt sind ja keineswegs alle Beschfiftigten in Dienstleistungsbetrieben Angestellte, sondern auch hier finden sich Tfitigkeiten, die dem sozialrechtlichen Status ,,Arbeiter" zugeordnet sind, und vielfach auch, ~hnlich wie jene in der Sachgtiterproduktion, stark industriell gepr~.gt sind - z.B. Lagerarbeiter im Handel, Mitarbeiter von Ver346 Der mit dieser Variable erkl~rbare Anteil an der Gesamtstreuung der Suizidraten ist gering, er betragt 2,4 %.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
179
teilerzentren der Post. Dar~ber hinaus erfasst die Kategorisierung Arbeiter vs. Angestellte aber nattirlich auch die soziale Okonomische Differenzierung innerhalb der im Dienstleistungssektor tfitigen Personen, die bei der ONACE-Klassifikation unbeachtet bleiben muss: So umfasst der ONACE-Abschnitt K -,,Realitfitenwesen und Unternehmerdienstleistungen" - so verschiedene Tfitigkeitsbereiche wie ,,Forschung und Entwicklung in den Natur- und Agrarwissenschaften und der Medizin", ,,Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung", ,,Detekteien und Schutzdienste", aber auch das ,,Reinigungsgewerbe". Und die ,,Erbringung von sonstigen 6ffentlichen und persOnlichen Dienstleistungen" (ONACE O) umfasst nicht nur ,,Abwasser- und Abfallbeseitigung", sondern u.a. auch ,,Erbringung von kulturellen und unterhalterischen Leistungen" sowie von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien beschfiftigte Personen. Das Ausma6 von in wenig qualifizierten Berufen t~tigen Personen lfisst sich daher mit dieser Klassifikation sicher weniger gut erfassen als durch die grObere, aber diesbeztiglich zutreffendere Unterscheidung zwischen Selbst~indigen, Angestellten (incl. Beamten) und Arbeitern. Tabelle 87. Arbeiterquote (Erwerbstfitige) - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR O
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,38
0,41
0,10
0,11
SN (1S)
99 %
99 %
-
-
Tatsfichlich sind ja die ausgewiesenen Werte mr die bivariate Korrelation mit der Suizidrate (siehe oben) hier noch viel deutlicher. Der Wert von 0,41 mr den gesamtOsterreichischen Vergleich unter Bert~cksichtigung der differenten Altersstrukturen kann im Grunde genommen nur als alarmierend bezeichnet werden. Far den Mittelwertvergleich ergibt sich: Tabelle 88." Arbeiterquote (Erwerbstfitige) - Mittelwertvergleich 6sterreichweit mr ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
18,6
24
5,2
10,0
29,0
M
16,5
50
4,3
3,6
26,8
U
14,6
25
2,8
8,9
21,3
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 89. Arbeiterquote (Erwerbstfitige) - Mittelwertvergleich Osterreichweit mr SR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
21,0
24
5,9
11,1
32,2
. . .
M
18,4
50
4,9
4,3
29,6
U
16,8
25
3,5
8,7
24,3
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
180
3 Ergebnisse der Studie
Wie zu sehen ist, weisen die 25 Bezirke, welche die h0chsten Anteile an Arbeitern unter den Erwerbst~tigen haben (45-51%), eine durchschnittliche rohe Suizidrate von 21 auf, jene mit den geringsten Anteilen (18-34 %) aber nur eine von knapp 17; die Differenz betr~gt also 4 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr! Die Relevanz dieses Aspekts far die H0he der steirischen Suizidrate ist so hoch wie die kaum eines anderen; unter den 25 Bezirken mit den h0chsten Arbeiteranteilen befinden sich 10 steirische, nfimlich Bruck an der Mur, Mtirzzuschlag, Judenburg, Murau, Voitsberg, Deutschlandsberg, Leibnitz, Feldbach, Hartberg und Weiz. 347 Der Faktor ,,Anteil der Arbeiter" ist zudem auch im innersteirischen Vergleich zu einem geringen Grad aussagekrfiftig. Far Osterreich insgesamt ergibt ein Scatterplot folgendes sehr deutliches Bild der Verteilung:
Abbildung 21 Scatterplot A S R - Anteil der Arbeiter unter den Erwerbst~tigen 3O
S o
D D
0
D
z /
!
o 0 v
20 1
--o c-
-i-.,,
~
o
I
!,_
E
o
o
I
o
I
/
o
O
B
[]
o
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oOO
o
10~..
oO
o
o
ooo
o
~
oo
o
=
o
-i-, !,,.. "0
o
N
r~
0
10
20
Anteil Arbeiter
3"0
4"0
5"0
60
gesamt
Wie zu ersehen ist, besteht eine deutliche lineare Tendenz; mathematisch ist sie so auszuddicken: A S R = 5,830 + 0,273 * prozentueller Anteil der Arbeiter. Ein Bezirk mit 10 % h0herem Arbeiteranteil als ein anderer hat dementsprechend im Durchschnitt im Regressionsmodell eine um 2,7 erh0hte standardisierte Suizidrate; bei Analyse betreffend der rohen Rate sind es 2,9 %. Im ersteren Bezirk fallen demnach pro Jahr und 100.000 Einwohner etwa drei Suizide mehr vor. Der Faktor ,,Arbeiterquote" trfigt auch - entsprechend der sozialen Bedeutung - sehr viel zur mathematisch ermittelbaren Erklfimng der Streuung der Suizidrate bei; far sich allein genommen bei linearer Regression 16,9 %!
347
Bemerkenswerterweise aber nicht mehr die traditionelle Industrieregion Leoben.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
181
Die Untersuchung des Zusammenhangs des Anteils von Angestellten und Beamten an der Erwerbstfitigen bietet gleichsam das Spiegelbild zu jener des Arbeiteranteils, was nicht verwunderlich ist, da sich die gesamte Erwerbsbev/51kerung doch zu wesentlichen Teilen aus diesen beiden Kategorien von Erwerbstfitigen zusammensetzt. Tabelle 90: Angestellten- und Beamtenquote - Ergebnisse der bivariaten KA
SR (~
ASR (~
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,37
-0,41
-0,06
-0,08
SN (1S)
99 %
99 %
-
-
Gewisse Abweichungen, die offensichtlich in der Selbst~.ndigenquote, insbesondere wohl jener der land- und forstwirtschaftlich tfitigen Selbstfindigen, begrandet liegen, sind aber far die rein steiermarkbezogene Analyse erkennbar, wo die Korrelation mit der Angestelltenund Beamtenquote im Gegensatz zur Arbeiterquote keine sinnvoll in eine bestimmte Richtung interpretierbaren Ergebnisse mehr liefert. Far den 0sterreichweiten Vergleich gilt aber, dass hOhere Angestellten-und Beamtenanteile eindeutig mit niedrigeren Suizidraten einhergehen, wie dies auch seitens des Verfassers postuliert worden war. Auch hierbei sind folgerichtig die steirischen Bezirke stark tangiert; acht, nfimlich Murau, Hartberg, Weiz, Farstenfeld, Feldbach, Radkersburg, Leibnitz und Deutschlandsberg fallen in die Kategorie der Bezirke mit den geringsten Angestellten- (und Beamten-)Anteilen. Tabelle 91: Angestellten- und Beamtenquote - Mittelwertvergleich Osterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,4
25
3,2
7,4
21,4
M
16,6
49
4,3
3,6
28,0
U
18,6
25
5,0
10,0
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 92: Angestellten- und Beamtenquote - Mittelwertvergleich ~Ssterreichweit far SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
16,5
25
3,8
8,7
24,3
M
18,7
49
5,0
4,3
32,2
U
20,6
25
5,6
11,1
31,5
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
182
3 Ergebnisse der Studie
Die Differenz in der Suizidrate zwischen dem niedrigsten und dem h6chsten Quartil betrfigt sowohl bei Heranziehung der altersstandardisierten als auch bei den rohen Raten etwas mehr als 4 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr. Tabelle 93." Quote der Erwerbst~tigen - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR O
ASR (~
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,44
-0,37
-0,52
-0,48
SN (1S)
99 %
99 %
95 %
95 %
Wie die obenstehenden Werte zeigen, besteht auch ein eindeutiger und starker Zusammenhang zwischen dem Anteil aller Erwerbst~tigen an der GesamtbevNkerung und der Suizidrate; und zwar sowohl mit als auch (nur geringfagig weniger hoch) ohne Einrechnung der differenten Altersstrukturen. Auch hier kann die erstellte Hypothese also bestfitigt werden. Da das Kriterium ,,Erwerbst~.tigenquote" die beiden Geschlechter ungleichmW3ig betrifft, weil es, neben der Altersstruktur und unterschiedlichen Arbeitslosenquoten, vor allem die unterschiedliche Beteiligung von Frauen am beruflichen Erwerbsleben reprfisentiert, schien es hinsichtlich dieser Variable besonders angebracht, auch Korrelationen mit den geschlechtsspezifischen Suizidraten zu berechnen. Das Ergebnis fallt einigermagen aberraschend aus (es sind nur die altersstandardisierten Raten beracksichtigt): Tabelle 94: Bivariate Korrelationen far geschlechtsspezifische Suizidraten im Konnex mit
der Erwerbstfitigen-Quote M~ n ner
F rauen
M ~in ne r
F rauen
ASR 0
ASR 0
ASR ST
ASR ST
KK (P)
-0,39
-0,07
-0,33
-0,68
SN (1S)
99 %
-
-
99 %
Ft~r den 0sterreichweiten Vergleich erscheinen unter Bedingungen der Altersstandardisierung die Suizidraten von Frauen deutlich weniger durch die Erwerbstfitigen-Quote beeinflusst als jene der M~nner (Auch far die rohen Suizidraten trifft diese Feststellung zu; die Werte liegen bei -0,13 far Frauen und -0,46 far Mfinner). Nur far das mfinnliche Geschlecht ist dabei ein inhaltlich positiver Zusammenhang, also ein Rackgang der Suizidrate bei insgesamt h/3herer Erwerbst~tigen-Quote nachzuweisen. Far den innersteirischen Vergleich zeigt sich aber ein klarer Zusammenhang far beide Geschlechter, der far Frauen sogar noch viel deutlicher ausfNlt. H6here Erwerbstfitigkeits-Quoten sind jedenfalls insgesamt mit niedrigeren Suizidraten assoziiert. Der 6sterreichweite Mittelwert-Vergleich far die altersstandardisierten Suizidraten nach den Quartilen der Bezirke mit den hOchsten und niedrigsten Erwerbst~tigen-Quoten fallt folgendermagen aus: Die Bezirke im obersten Quartil (475 1 % Erwerbst~tige) haben eine durchschnittliche Suizidrate von ca. 15, jene im untersten (41-44 % Erwerbstfitige)eine von ~iber 18.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
183
Tabelle 95." Quote der Erwerbstfitigen - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,9
25
3,1
9,7
24,8
M
16,4
49
4,0
7,8
26,8
U
18,5
25
5,7
3,6
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Auch bezaglich dieser Variable sind die steirischen Bezirke wieder besonders negativ betroffen, liegen doch acht der 17 politischen Bezirke des Landes im untersten Quartil hinsichtlich der Erwerbsquote, nfimlich Liezen, Murau, Knittelfeld, Judenburg, Leoben, Bruck, Mt~rzzuschlag - also die gesamte Obersteiermark! - und Voitsberg. Die lineare Regression far alle 0sterreichischen Bezirke zeigt folgendes Ergebnis: ASR - 51, 7 8 6 - O, 769 * Anteil der Erwerbstdtigen. Das dabei zu ermittelnde Bestimmtheitsma6 R 2 zeigt den Wert 0,135 an. Mit jedem Prozent mehr Erwerbstfitiger nimmt die altersstandardisierte Suizidrate in diesem Modell um fast 0,8 ab. Far die rohe Suizidrate ergibt sich ein noch st~rkerer Zusammenhang, der Regressionskoeffizient liegt hier bei -1,05.
3.2.13 Suizidrate und kollektives Bildungsniveau
Uber die Auswirkungen von Bildungsprozessen auf das Suizidrisiko liegen leider auch auf der individuellen Ebene noch relativ wenige Forschungsergebnisse vor; jedoch ist aufgrund mehrerer Aspekte (h6here Probleml0sungskompetenz, leichterer Zugang zu medizinischen Institutionen, durchschnittlich h0here Lebensqualitfit usw.) anzunehmen, dass intensiver gebildete und ausgebildete Menschen (in ein- und derselben Gesellschaft) im Durchschnitt seltener Suizide vollziehen als weniger gebildete. Auf kollektiver Ebene k6nnten dementsprechende Effekte dann auch nachweisbar sein, indem mit hOheren BevOlkerungsanteilen (jeweils in den Altersklassen fiber 15) von tertifir und sekundfir gebildeten Personen ceteris paribus geringere Suizidraten verbunden sein k0nnten, mit h6heren Anteilen von Personen ohne Matura dagegen hOhere Suizidraten. 348 Wegen des starken Zusammenhangs gerade der Verbreitung von ausschlie61ichem Pflichtschulbesuch mit dem Lebensalter (ausschlie61icher Volks- und/oder Hauptschulbesuch war vor einigen Jahrzehnten am Lande noch die Regel) wird dieser Aspekt zus~tzlich noch spezifischer untersucht, indem auch der BevOlkerungsanteil der erwerbstdtigen Arbeitnehmer mit ausschlie61ich Pflichtschulabschluss 349 mit der Suizidrate in Beziehung gesetzt wird. Betreffend der hinter den entsprechenden Korrelationen stehenden Effekte wfire wiederum zu beachten, dass hOhere Anteile von h0her gebildeten Personen in einer Region vielleicht nicht nur far dieselben protektive Bedeumng haben und so die durch348Auch hier gilt natarlich wieder, dass im Falle eines Zutreffens solcher Befunde daraus allein noch nicht die korrespondierende Hypothese auf individueller Ebene best~tigt ware. 349Aus Granden der Datenerhebungsstruktur der Statistik Austria beinhalten diese Zahlen alle Personen, die als angelernte Arbeiter oder Hilfsarbeiter tatig sind, selbst wenn diese aber einen h0heren Bildungsabschluss verfagen. Die entsprechenden Anteile darften abet nicht allzu grog sein.
184
3 Ergebnisse der Studie
schnittliche Suizidrate senken, sondern auch far andere Bev61kerungssegmente, indem sozusagen das kollektive Bildungsniveau erh6ht ist, und hiervon auch nur mittelbar Betroffene profitieren. 35~ Als Datengrundlage diente wieder die VZ 2001 (ISIS-Datenbank).
Tabelle 96: A k a d e m i k e r q u o t e - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR (3
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,21
-0,23
-0,02
-0,06
SN (1S)
95 %
99 %
-
-
Far die A k a d e m i k e r q u o t e ergeben die entsprechenden Korrelationen einen deutlichen Zus a m m e n h a n g im 6sterreichweiten Vergleich, aber einmal mehr keine Ergebnisse bei Beschrfinkung rein auf die Steiermark. Far den Osterreichweiten Vergleich wird die Hypothese aber bestfitigt; Bezirke mit hOheren Akademikeranteilen haben geringere Suizidraten. Der Mittelwert-Vergleich ergibt dabei folgende Differenzen:
Tabelle 97: A k a d e m i k e r q u o t e - Mittelwertvergleich Osterreichweit far A S R KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,6
25
3,6
3,6
21,4
M
16,8
49
4,3
7,4
26,8
U
17,9
25
4,9
10,5
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 98." A k a d e m i k e r q u o t e - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far rohe Suizidraten KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
16,5
25
4,3
4,3
24,3
M
18,8
49
4,7
9,0
29,6
U
20,3
25
5,9
11,4
32,2
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,23
35oUmgekehrt ware freilich auch denkbar, dass in Situationen extremer Disparitat im Sinne sehr hoher Anteile von gut ausgebildeten Personen, denen nur geringe BevOlkerungsanteile yon weitgehend ,,ungebildeten" Menschen gegentiberstehen, gerade aufgrund dieser Konstellation die gesamte Suizidrate hoch sein k0nnte, und sich dies durch eine erh0hte Suizidmortalitat in den ausgegrenzten ,,Randgruppen" erklaren liege. Von einer solchen Situation sind abet alle 0sterreichischen Bundeslander und auch alle politischen Bezirke (einzige Ausnahme ware vielleicht der 1. Wiener Stadtbezirk, doch innerhalb Wiens wurden die Bezirke nicht differenziert betrachtet, siehe dazu weiter unten) weit entfernt, liegt doch die gesamtOsterreichische Akademikerquote gema6 Volkszahlung 2001 bei 5,8 % und jene der Maturanten und Akademiker zusammengenommen (also Personen mit mindestens Matura als Bildungsniveau) bei knapp 19%! Nur die Landeshauptstadte Graz und Eisenstadt sowie der bundeshauptstadtnahe Bezirk M0dling erreichen eine summierte Maturanten- und Akademikerquote yon t~ber 30 %; in Wien selbst liegt der Anteil knapp darunter (28 %), ahnliche Werte erreichen noch Klagenfurt (28 %) und Innsbruck (29 %).
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in ()sterreich und in der Steiermark
185
Die 25 Bezirke mit den hOchsten Akademiker-Quoten (5-13 %) haben im Durchschnitt eine rohe Suizidrate von 16,5, jene 25 mit den niedrigsten (2-2,5 %) eine von 20,3, damit also fast um 4 Suizide pro Jahr und 100.000 Einwohner mehr. Bei altersstandardisierter Betrachtung der Suizidrate fallt der Unterschied zahlenmfi6ig etwas geringer aus, liegt aber t~ber 3. Auch far diesen Faktor gilt wieder, dass die steirischen Bezirke stark tangiert werden, neun der 17 steirischen Bezirke, mehr als die H~lfte, fallen in das unterste Quartil! TM Wenn man hinzufagt, dass weitere fanf Bezirke betreffend der Akademikerquote im dritten Quartil (Rfinge 50 bis 74) befindlich sind und die Zahlenwerte sich hier nur ganz geringfagig von denen des letzten Quartils unterscheiden (2,5-3 %), so nimmt es nicht wunder, dass der Faktor ,,Akademikerquote" zwar im 6sterreichweiten Vergleich sehr aussagekrfiftig in Bezug auf die Unterschiede der Suizidraten ist, innerhalb der Steiermark allein aber kein geeignetes Unterscheidungskriterium darstellen kOnnte. Noch deutlich geeigneter als die Akademikerquote erscheint aber generell eine Erfassung des Anteils der Bev61kerung mit zumindest Matura-Niveau (also der Absolventen von H6heren Schulen, von Kollegs und Universitfiten zusammengenommen): Tabelle 99." Akademiker- und Maturantenquote - Ergebnisse der bivariaten KA SR 13
ASR C)
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,26
-0,29
-0,04
-0,06
SN (1S)
99 %
99 %
-
Die Quote aller Personen mit zumindest Maturabschluss korreliert 6sterreichweit betrachtet deutlich negativ mit der Suizidrate, die entsprechende Hypothese kann damit angenommen werden. Far die Steiermark ft~r sich genommen sind die Zahlen wieder zu wenig eindeutig. Fiir den 6sterreichweiten Vergleich ergibt die Betrachtung der Mittelwerte je nach Quartil des Rangs der Ausprfigung der unabhfingigen Variablen folgende Differenzen (siehe Tabellen 100 und 101): Tabelle 100." Akademiker- u. Maturantenquote - Mittelwertvergleich 6sterreichweit f. ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,5
24
3,7
3,6
21,4
M
16,7
50
4,3
7,4
29,0
U
18,3
25
4,7
10,0
28,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Hinsichtlich der rohen Suizidraten ist ein Unterschied von 4 Suiziden pro 100.000 Einwohner und Jahr zwischen oberstem und unterstem Quartil zu erkennen, far die altersstandardisierten Raten geringfagig weniger:
351Namlich Feldbach, Radkersburg, Leibnitz, Hartberg, Weiz, Voitsberg, Marzzuschlag, Judenburg und Murau.
186
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 101." Akademiker- u. Maturantenquote - Mittelwertvergleich 6sterreichweit f. SR STA
MIN
MAX
24
4,3
4,3
24,3
18,8
50
4,8
9,0
31,5
20,4
25
5,6
11,1
32,2
18,6
99
5,1
4,3
32,2
MW
KAT
16,4
Gesamt
D e r - zumindest korrelationsstatistische - Einfluss des kollektiven Bildungsniveaus auf die regionale Suizidrate kann somit als erheblich bezeichnet werden, wobei h0here Anteile von Absolventen h0herer Schulen mit niedrigeren Suizidraten einhergehen. Insgesamt zfihlen, wie schon betreffend der Akademikerquote allein, neun steirische Bezirke zu dem Viertel der 0sterreichischen Bezirke mit den niedrigsten Quoten an personen mit Maturaabschluss in der Gesamtbev01kerung: Feldbach, Radkersburg, Leibnitz, Hartberg, Weiz, Deutschlandsberg, Voitsberg, Judenburg und Mt~rzzuschlag, also fast alle Bezirke der Ost- und Weststeiermark auger Graz und Graz-Umgebung sowie zwei obersteirische Bezirke. Die Relevanz dieses Faktors ft~r die steirische Suizidrate ist daher als sehr hoch einzustufen.
Abbildung 2 2
Scatterplot ASR - Quote der Akademiker und Maturanten in der Gesamtbev01kerung 30
3 r-I d:]
uu ~~ O
o
i
o v
O
20 " ~
~
O
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o oBP~176 o [] E
o
o
o
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10
o
o
~ ~ o
[]
[]
(D "o
.i . iN
09
0
lo
2"0
Anteil Akademiker und Maturanten
3"o
40
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
187
Eine nfihere quantitative Bestimmung des Einflusses (eine graphische Darstellung siehe auf der vorangegangenen Seite) erm0glicht wiederum eine lineare Regression; die entsprechende Funktionsgleichung lautet: A S R = 2 0 , 4 4 9 - 0,250 * p r o z e n t u e l l e r A n t e i l der P e r s o nen mit m i n d e s t e n s M a t u r a a b s c h l u s s . Entsprechend dieser Gleichung ist also statistisch mit einer um 10 % verfinderten Quote von ,,Maturanten" eine Zu- bzw. Abnahme der altersstandardisierten Suizidrate im jeweiligen Bezirk um 2,5 verbunden. Ein fast identer Wert ergibt sich - ausgehend von einer etwas h0heren Konstante von 22,58 - auch far eine analoge Regression betreffend der rohen Suizidrate (Regressionskoeffizient: -0,254). 352 (Auch hier kann eine graphische Darstellung das ermittelte Muster gut verdeutlichen, siehe Abbildung 22.) Die gesonderte Analyse des Zusammenhangs des Anteils von Pflichtschulabsolventen mit der Suizidrate zeigt dagegen nicht den erwarteten Zusammenhang, far Osterreich insgesamt ergibt sich gar keine Assoziation der beiden Zahlenreihen - egal ob altersstandardisiert oder nicht, ~ r die Steiermark allein sogar ein deutlicher Zusammenhang in die Gegenrichtung der vermuteten Richtung, also umso niedrigere Suizidraten je h0her die Anteile der Pflichtschulabsolventen ausfallen. Tabelle 102."
KK (P)
Quote der Pflichtschulabsolventen - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
0,01
0,01
-0,30
-0,24
SN (1S)
Da die Vermutung nahe lag, dass dieser seltsame Zusammenhang stark mit unterschiedlichen regionalen Ausbildungstraditionen des 20. Jahrhunderts zu tun haben k0nnte, deren Relevanz aber im Abnehmen begriffen ist, wurde der Zusammenhang von niedrigster Bildungsqualifikation und Suizidrate auch noch getrennt unter Bert~cksichtigung lediglich der (noch) erwerbstfitigen Personen durchge~hrt. Korreliert wurde hierbei der Anteil aller erwerbstatigen Nicht-Facharbeiter sowie aller erwerbstfitigen Angestellten und Beamten mit lediglich Pflichtschulabschluss mit den Suizidraten. Tabelle 103."
Quote der erwerbstfitigen Pflichtschulabsolventen - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,18
0,21
0,15
0,06
SN (lS)
95 %
95 %
-
-
Die Analyse zeigt, dass bei Fokussierung auf die Noch-Erwerbstfitigen, also Au6erachtlassung der Bildungsdifferenzen des bereits pensionierten BevOlkerungsteils, eine Assoziation in der vermuteten Richtung zumindest im Osterreichweiten Vergleich doch beobachtet wer352Der durch diese Variable mathematischerklarbare Anteil an der Gesamtstreuungbetragt bei altersstandardisierter Rate der Suizidhaufigkeit 8 %.
188
3 Ergebnisse der Studie
den kann, die abet nicht so stark ist wie jene Dr die Akademiker- und Maturantenanteile festgestellte. Ftir die Steiermark allein ist nun auch eine positive Korrelation erhebbar, deren AusmaB bei Altersstandardisierung der Suizidrate aber gegen 0 tendiert, und daher nicht weiter diskutiert werden soll. Ftir den 8sterreichweiten Vergleich ergibt eine Mittelwert-Gegentiberstellung, dass die Bezirke des obersten Quartils ftir diesen Faktor eine um den Wert 2,6 gegentiber den Bezirken des untersten Quartils erhOhte Suizidrate aufweisen. Die Differenzen sind also deutlich, allerdings ist dem AusmaB des Maturanten- (und Akademiker-)Anteils gegentiber allen Personen mit niedrigerem Bildungsabschluss eine hOhere Bedeutung beizumessen als der Differenzierung zwischen Personen nur mit Pflichtschulabschluss und jenen mit h0heren Abschltissen unter den Erwerbst~itigen. Auch kommt diesem Faktor Dr die Betrachtung der Suizidraten der steirischen Bezirke im Osterreich-Vergleich eine geringere Bedeutung zu, da sich nur zwei steirische Bezirke, Leoben und Mtirzzuschlag, hierbei 0sterreichweit im obersten Quartil befinden (aber auch nur drei im niedrigsten Quartil). Allerdings f~illt auf, dasses sich bei diesen beiden Bezirken um zwei der drei mit den hOchsten Suizidraten im Land handelt. Umgekehrt zfihlt das am st~irksten von der erhOhten Suizidhfiufigkeit im Bundesland betroffene Murau - auch hier eine Ausnahmeerscheinung - zu den Bezirken mit den geringsten Anteilen von erwerbst~itigen Nur-Pflichtschul-Absolventen (Rang 81 von 99 in Osterreich). Tabelle 104.
Quote der erwerbstfitigen Pflichtschulabsolventen - Mittelwertvergleich 0sterreichweit Dr altersstandardisierte Suizidraten
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,4
25
5,1
10,0
28,0
M
17,0
49
4,0
3,6
25,9
U
14,8
25
4,3
7,4
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Der/3sterreichweite Zusammenhang der ermittelten Werte der beiden Variablen ,,erwerbstfitige Pflichtschulabsolventen" und ,,altersstandardisierte Suizidrate" stellt sich mittels linearer Regression schlieBlich mathematisch folgendermaBen dar: ASR = 9,434 + 0,247 * Anteil erwerbstdtiger Pflichtschulabsolventen. Die standardisierte Suizidrate nimmt also im linearen Regressionsmodell mit jedem Prozentpunkt Erwerbst~itiger, welche nur Pflichtschule absolviert haben, um etwa 0,25 zu. Dies gilt auch f'tir die robe Suizidrate, wie eine gesonderte Berechnung ergibt. 4 % der gesamten Streuung der altersstandardisierten Suizidrate sind durch diese Variable mathematisch erklfirbar.
3.2.14 Suizidrate und allgemeinmedizinische Versorgungsniveau
Der Studienautor geht davon aus, dass der Grad der allgemeinmedizinischen Versorgung die relativ gut anhand der Anzahl praktischer Arzte messbar ist- negativ mit der Suizidhfiufigkeit korreliert. Die betreffende Hypothese lautet daher: Je hSher die Rate niederge-
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
189
lassener praktischer Arzte in einer Region, desto niedriger fNlt die regionale Suizidrate aus. 353 Die konkrete Messung der ,,J~rztedichte" erfolgte anhand der bezirksweisen Berechnungder Anzahl praktischer Arzte pro 100.000 Einwohner im Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2003. TM Tabelle 105.
Grad der allgemeinmedizinischen Versorgung (Arzte pro Einwohnerzahl) Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR O
ASR O
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,12
-0,16
-0,12
-0,19
SN (1S)
-
90 %
-
Wie anhand der Korrelationskoeffizienten zu ersehen ist, besteht ein zwar nicht starker, aber doch feststellbarer Zusammenhang zwischen ,,,~rzterate" und Suizidrate in der vermuteten Richtung, und zwar sowohl bei 6sterreichweiter als auch bei nur steiermarkweiter Betrachmng. Die Differenzen fallen bei Beracksichtung der Altersstandardisierung deutlicher aus (was anzunehmen war, da ja filtere BevOlkerungen hOhere firztliche Versorgungsgrade benOtigen und zugleich im Durchschnitt h6here Suizidzahlen aufweisen). Mehr Allgemeinmediziner in einer Region bringen also wahrscheinlich weniger Suizide mit sich, zumindest sind die beiden Raten statistisch miteinander korreliert. Die Differenzen bei Betrachtung der Mittelwerte fallen hier allerdings abweichend vom t~blichen Muster aus (siehe Tabelle 106), indem zwar die bestversorgten 25 Bezirke deutlich geringere Suizidraten haben als der Durchschnitt aller anderen, gerade die am wenigsten mit Allgemeinmedizinern ausgestatteten Bezirke aber in etwa ebenso niedrige Suizidraten aufweisen wie die bestausgestatteten Bezirke. Tabelle 106."
Grad der allgemeinmedizinischen Versorgung (Arzte pro Einwohnerzahl) Mittelwertvergleich 6sterreichweit far altersstandardisierte Suizidraten
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
15,4
25
4,6
3,6
25,9
M
17,6
49
4,7
7,4
29,0
U
15,6
25
3,1
10,5
20,9
Gesamt
16,5
99
4,4
3,56
29,00
Hier darfte sich u.a. das Phfinomen der ,,Umgebungs-Bezirke" verzerrend bemerkbar machen, zfihlen doch zu den 25 Bezirken in Osterreich mit den niedrigsten ,,Arzteraten" die acht Bezirke Linz-Land, Urfahr-Umgebung, Steyr-Land, Wels-Land, Villach-Land, GrazUmgebung, Salzburg-Umgebung, Innsbruck-Land, deren niedrige Werte far diese Variable 353 Es ist anzunehmen, dass ein entsprechender Zusammenhangein auch tatsachlich teilweise kausaler ware. 354Die entsprechenden Angaben far alle Osterreichischen Bezirke wurden dankenswerterweiseyon der Osterreichischen ,Xa'ztekammerin elektronischer Form zur Verfagung gestellt. Far 2004 waren keine Daten erhaltlich.
190
3 Ergebnisse der Studie
in der Realitfit nattirlich wegen der Nfihe zu den jeweiligen stadtischen Zentren mit stets relativ hoher Arztedichte geringere negative Auswirkungen haben. Die Differenzen in der Arztedichte tangieren jedenfalls auch die Steiermark, sind doch nur zwei der 17 steirischen Bezirke dem 6sterreichweit bestversorgten Quartil zuzurechnen (Graz und Radkersburg). In Form einer linearen Regression betrachtet, stellt sich der Zusammenhang so dar: ASR = 19,711- 0,044 * Rate der Allgemeinmedizinerje 1000 Einwohner. Eine Zunahme der Versorgungsdichte mit praktischen Arzten um 10 pro 100.000 Einwohner bewirkt nach diesem Modell rechnerisch also eine Reduktion der Suizidrate um ca. 0,4. Ganz fihnlich stellt sich auch das Ergebnis ftir die rohe Suizidrate dar, dort betrfigt der Regressionskoeffizient -0,039. 355 Der Scatterplot zur 0sterreichweiten Verteilung dieser Variable (Allgemeinmediziner je ! 00.000 Einwohner) in Bezug zur ASR zeigt folgendes Muster: Abbildung 23." Scatterplot: ASR - Rate niedergelassener praktischer Arzte nach Bezirken
30
o o o o
o o
o o
O
[]
i
O v
20
o
o
-6 r
o
o
o
o oOn o 0
oo
~
o
o~_o co ~oo O0~o~
o0 o
o~
o
o oo
m
0
E
[]
OP
o0
o
o
[]
o
Oo
o
o
o
O~ (D
"O N . m
09
0 40
60
80
100
120
140
160
Rate niedergelassene prakt. Arzte gesamt Dieses Kriterium ist, wie schon erw~,hnt, aber auch bei einer rein steiermarkbezogenen Betrachtung aussagekr~,ftig. Hier ergibt sich ein eindeutiges Gef~lle in der Suizidrate der am besten und der am wenigsten mit Allgemeinmedizinern versorgten Gebiete: Die vier Bezirke Graz, Radkersburg, Ftirstenfeld und Liezen (mit Arztedichten zwischen 78 und 103 pro 1000 Einwohner) hatten im Durchschnitt eine robe Suizidrate von 20,5, die Bezirke Murau, Knittelfeld, Graz-Umgebung und Feldbach (mit z~rztedichten zwischen 56 und 64) dagegen eine von 23,3. Ahnlich sind auch die Differenzen der altersstandardisierten Raten. 355FOrdie altersstandardisierteRate liegt das lineare Bestimmtheitsmagbei 2,4 %.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
191
Tabelle 107." Grad der allgemeinmedizinischen Versorgung (Arzte pro Einwohnerzahl) Mittelwertvergleich steiermarkweit far altersstandardisierte Suizidraten KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,7
4
4,5
13,5
23,9
M
19,5
9
4,3
14,8
28,0
U
21,1
4
5,6
16,4
29,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Tabelle 108.
Grad der allgemeinmedizinischen Versorgung ()krzte pro Einwohnerzahl) Mittelwertvergleich steiermarkweit far rohe Suizidraten
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
20,5
4
4,9
15,2
26,8
M
22,7
9
4,9
16,8
32,2
U
23,3
4
5,7
18,2
31,2
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
3.2.15 Suizidrate und psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutisches Versorgungsniveau Als mindestens ebenso deutlich wie der Zusammenhang zwischen allgemeinmedizinischem Versorgungsangebot und Suizidrate sollte sich der Zusammenhang zwischen psychosozialem, psychiatrischem und psychotherapeutischem Behandlungsangebot und Suizidrate erweisen, ebenso natarlich in Form einer negativen Korrelation. Auch diese Korrelation wfire sicherlich mit Recht als zumindest teilweise kausale zu interpretieren - also in dem Sinne, dass erh0htes Angebot professioneller Hilfe far psychisch kranke und belastete Menschen die Suizidalitfit derselben senkt. Konkret wird angenommen, dass mit einer hOheren Rate yon aktiv berufstfitigen Psychotherapeuten in einem Bezirk- im niedergelassenen, extramuralen und stationfiren Bereich - eine niedrigere Rate yon Suiziden einhergehen sollte. Ebenso sollte mit einer hohen Anzahl von Fachfirzten far Psychiatrie und/oder Neurologie eine niedrigere Suizidrate korrelieren. Da diese Kriterien den Aspekt des stationfiren psychiatrischen Behandlungsangebots nicht ganz zureichend abbilden, wurde ergfinzend hierfar ein zusfitzlicher indikator gesucht: Leichtere Erreichbarkeit einer Offentlich zugfinglichen Institution stationfirer psychiatrischer Versorgung sollte bessere Suizidprfivention garantieren; eine geringere rfiumliche Distanz einer Region zu einem von breiten BevOlkerungskreisen nutzbaren psychiatrischen Krankenhaus bzw. einer ebensolchen psychiatrischen Klinik sollte daher mit einer geringeren Suizidrate einhergehen. 356 356ZLlrDatenaquisition ist zu bemerken: Die bezirksweise Anzahl der Psychiater und Neurologen (far die Zwecke der vorliegenden Studie wurden beide Kategorien - in jeglicher Kombination - als versorgungsrelevant einbezo-
192
3 Ergebnisse der Studie
Der Bereich der extramuralen psychosozialen Versorgung wird durch die Gesamtrate der Psychotherapeuten pro Bezirk miterfasst; genauere bezirksweise Daten zum Versorgungsgrad je Bezirk betreffend psychosoziale Zentren und ~hnliche extramurale Einrichtungen liegen nicht far alle Bundesl~nder vor. Far die Steiermark im Besonderen war es aber mOglich, anhand der im Steirischen Psychiatriebericht dokumentierten Daten 35v zu den betreuend tfitigen Personen in den psychosozialen Beratungszentren und weiteren Einrichtungen des extramuralen Bereichs die Tfitigkeit dieser Organisationen in die Untersuchung mit einzubeziehen. Der erwartete negative Zusammenhang zwischen der Anzahl d e r - im niedergelassehen, extramuralen und/oder stationfiren Bereich tfitigen - Psychotherapeuten pro Bezirk (bezogen a u f j e 100.000 Einwohner; Werte far das Jahr 2004) und der Suizidrate lasst sich klar nachweisen. Auch bier bringt wiederum die Heranziehung der altersstandardisierten Raten deutlichere Ergebnisse, und ist der Zusammenhang Osterreichweit klarer feststellbar als far die Steiermark allein. Tabelle 109.
Grad der psychotherapeutischen Versorgung (Psychotherapeuten pro Einwohnerzahl)- Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR O
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,12
-0,15
-0,08
-0,11
SN (1S)
-
90 %
-
-
Die 25 Bezirke mit den h/Schsten Raten an Psychotherapeuten (45 bis 303 je 100.000 Einwohner) weisen im Durchschnitt eine rohe Suizidrate von 16,5 auf, die 25 Bezirke mit den niedrigsten Raten eine von 20,2, also um mehr als 3 Suizide pro Jahr und 100.000 Einwohner; fihnlich hoch liegt die Differenz bei den altersstandardisierten Raten (siehe die Tabellen weiter unten). Die steirischen Bezirke sind hier im Osterreichischen Vergleich besonders von unganstigen Bedingungen betroffen, nicht weniger als 9 Bezirke finden sich 0sterreichweit im untersten Quartil (wfire die Verteilung zufallig, so massten nur 4 oder 5 steirische Bezirke betroffen sein358); es handelt sich um die Bezirke Murau, Liezen, Judenburg, Marzzuschlag, Voitsberg, Leibnitz, Radkersburg, Feldbach und Hartberg. In allen diesen Bezirken, aber zusfitzlich auch in Deutschlandsberg, Farstenfeld und Knittelfeld stand im Jahr 2004 nicht einmal far 5000 Einwohner ein Psychotherapeut zur Verfagung, w~.hrend im Osterreich-Durchschnitt ein Psychotherapeut pro ca. 1400 Einwohner tfitig ist! 359
gen) sowie ihr Verhaltnis zur Einwohnerzahl entstammen wiederum der Statistik der Osterreichischen Arztekammer; die Zahl der Psychotherapeuten der im lnternet durch das Gesundheitsministerium zur Verf~igung gestellten Therapeuten-Liste; siehe hierzu N~,heres in Kapitel 2, wo auch der Indikator ,,Distanz zum nachstgelegenen stationar-psychiatrischen Versorgungszentrum" expliziert wird. 35vKrainz/Amt der Steierm~rkischen Landesregierung, Psychiatriebericht Steiermark 2003. 358Ein Anteil von 17 % an den 25 Bezirken, wie er dem Anteil der steirischen Bezirke an allen 99 bier unterschiedenen ,,Bezirkseinheiten" C)sterreichs (einschlie61ich Wiens als einer Einheit) entspricht. 359Berechnung des Verfassers anhand der Daten des Gesundheitsministeriums. Einbezogen wurden maximal vier Angaben jeweils zu Berufs- und Dienstort pro Psychotherapeut, im Falle der Verteilung auf mehr als einen Bezirk wurde eine gleichma6ig geteilte T~tigkeit angenommen.
193
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark Tabelle 110.
KAT
Grad der psychotherapeutischen Versorgung (Psychotherapeuten pro Einwohnerzahl) - Mittelwertvergleich 6sterreichweit ftir ASR
MW
H
STA
MIN
MAX
O
14,7
25
3,5
3,6
21,4
M
16,7
49
4,1
9,2
26,8
U
18,2
25
5,4
7,4
29,0
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 111:
KAT
Gesamt
Grad der psychotherapeutischen Versorgung (Psychotherapeuten pro Einwohnerzahl) - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far SR
MW
STA
MIN
MAX
16,5
25
4,1
4,3
24,3
18,9
49
4,6
11,4
31,5
20,2
25
6,0
9,0
32,2
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Als lineare Regression stellt sich die Assoziation zwischen psychotherapeutischer Versorgungsrate und Suizidhfiufigkeit schlieglich so dar: ASR = 17,069- 0,013 * Rate der Psychotherapeuten. Eine sehr fihnliche Funktion ergibt auch die Berechnung far die rohe Suizidrate (Koeffizient: - 0,011).36~ Besonders aufschlussreich ist auch far diese Variable wiederum das Streuungsdiagramm (siehe umseitig): Hier zeigen sich sehr groge Differenzen der Suizidraten auch innerhalb der Bezirke mit geringen Raten von Psychotherapeuten (je 100.000 Einwohner), es lasst sich aber auch belegen, dass Bezirke mit hohen Raten derselben fast immer vergleichsweise niedrige altersstandardisierte Suizidraten aufweisen. Was die Steiermark im Besonderen betrifft, ist weiters festzustellen: Da die meisten steirischen Bezirke psychotherapeutisch immer noch unzureichend versorgt sind, nehmen sich die innersteirischen Differenzen im Hinblick auf die Suizidrate geringer aus, sie sind aber auch messbar: Die vier Bezirke mit den relativ zur BevOlkerungszahl meisten Psychotherapeuten - Graz mit einer herausragenden Quote yon ca. 1:550, wobei natiarlich zu bedenken ist, dass die in Graz t/atigen Therapeuten auch viele von anderen Bezirken kommende Klienten versorgen, sowie Graz-Umgebung, Bruck und Weiz mit Verhfiltnissen von ca. 1:3300 bis ca. 1:4200 - weisen im Durchschnitt eine altersstandardisierte Suizidrate von 18 auf, die Kategorie mit den wenigsten eine Rate yon 22.
FOr die Regression mit der altersstandardisierten Rate ergibt sich ein - eher geringfagiger - Weft des Bestimmtheitsmages far die erkl~.rbare Streuung von 2,2 %. Far die rohe Rate fallt dieser Wert, wie meist, noch geringer
360
aus.
194
3 Ergebnisse der Studie
Abbildung 24." Scatterplot ASR- Rate der Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner
30
[] [] [3
O:3
O
o
!
o v
-d
2O [] []
C O0 Or)
o) m
E
10
[]
[] 0
00
(1)
"o U , B
, m
(/3
0
0
1~0
230
3~0
4~0
Rate Psychotherapeuten insgesamt
Tabelle 112." Grad der psychotherapeutischen Versorgung (Psychotherapeuten pro Einwohnerzahl) - Mittelwertvergleich steiermarkweit fiir ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,6
4
1,1
16,0
18,4
M
19,3
9
3,7
13,5
24,7
U
21,8
4
7,7
14,8
29,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Betreffend des Zusammenhangs von Suizidrate und psychiatrisch-neurologischer Versorgungsdichte ergab sich Folgendes: Die Betrachtung der Korrelationskoeffizienten zeigt einen deutlichen Zusammenhang in der erwarteten Richtung, insbesondere im 0sterreichweiten Vergleich der altersstandardisierten Suizidrate (-0,20). Die Hypothese, dass eine hOhere Anzahl von (niedergelassen und teils auch in extramuralen bzw. stationfiren Einrichtungen bemfstfitigen) Psychiatern und Neurologen in der Wohnregion mit niedrigeren Suizidraten einhergehen, ist damit zutreffend.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark Tabelle 113:
195
Grad der psychiatrisch-neurologischen Versorgung (Fachtirzte pro Einwohnerzahl) - Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,18
-0,20
-0,10
-0,12
SN (lS)
95 %
95 %
-
-
Der Zusammenhang kann auch bei Betrachtung der Steiermark allein beobachtet werden, jedoch mit geringerer Auspr~gung der zahlenmfigigen Abweichungen. Mehr als bei allen anderen Indikatoren liegt es hier nati~rlich nahe, auf einen tatsfichlichen kausalen Zusammenhang zu schliegen. Erwiesen ist der kausale Zusammenhang durch die bestehende Korrelation zwar nicht, aber er darf doch mit gutem Grund angenommen werden. Das AusmaB der bestehenden Differenzen zwischen psychiatrisch relativ gut versorgten Bezirken und jenen mit der diesbezt~glich schlechtesten Versorgungslage kann wiederum ein Mittelwert-Vergleich deutlich machen: Die 25 Bezirke mit den h6chsten Zahlenwerten far Psychiater und Neurologen (7 bis 28 pro 100.000 Einwohner) weisen im Durchschnitt eine rohe Suizidrate von 17,4 auf, wfihrend der Gesamtdurchschnitt Dr alle Bezirke bei 18,6 liegt. (Auch hier ist wieder das Phfinomen zu beobachten, dass die Bezirke im untersten Quartil - mit einer Dichte von 0 bis 2 je 100.000 Einwohner - niedrigere Suizidraten aufweisen als jene im ,,Mittelfeld".) Die Steiermark ist von dem beschriebenen Gef'~ille durchaus betroffen, da nur ein einziger Bezirk - Graz-Stadt - zu den 25 Bezirken mit der quantitativ besten ambulanten Versorgungslage in Osterreich zu zfihlen ist. Tabelle 114:
Grad der psychiatrisch-neurologischen Versorgung (Fach~irzte pro Einwohnerzahl) - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
15,3
25
4,0
3,6
22,6
M
17,4
49
5,0
7,4
29,0
U
16,1
25
3,2
10,5
21,2
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 115:
Grad der psychiatrisch-neurologischen Versorgung (Fachfirzte pro Einwohnerzahl) - Mittelwertvergleich 6sterreichweit far rohe Suizidraten
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,4
25
4,7
4,3
28,6
M
19,5
49
5,6
9,0
32,2
U
18,1
25
3,8
11,4
26,6
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
196
3 Ergebnisse der Studie
In Form einer linearen Regression ist der Zusammenhang zwischen Rate der Psychiater und Neurologen (je 100.000 Einwohner) und Suizidrate so darstellbar: ASR - 17,45 - O, 15 * Rate der P s y c h i a t e r und Neurologen. Dieses Ergebnis bedeutet, dass sich im linearen Regressionsmodell die standardisierte Suizidrate eines Bezirks pro Psychiater und/oder Neurologen, der je 100.000 Einwohner (!) in demselben tfitig ist, durchschnittlich um 0,15 Suizide pro Jahr reduziert. Derselbe Regressionskoeffizient (-0,152) ergibt sich bei Durchfahrung der Analyse far die rohe Suizidrate. Die erklfirbare Streuung liegt bei dieser bivariaten Betrachtung far die ASR immerhin bei 4,1%. Graphisch stellt sich die Streuung so dar: A b b i l d u n g 25:
Scatterplot ASR - Rate der Psychiater und/oder Neurologen 30
[3 [] [3 [3
O El
[]
o! vo
El O
2o
[~ c-
0[3
9 [] %
lO
[]
El
~ _ ' I D
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E
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[3
[30 ~ o 0%
[]
o~ o
[3o
o
[] []
[]
O
[]
O
oo (1) O') (1)
. _N
oo
o
o
1"o
s
3"0
Rate Psychiater und Neurologen gesamt Das Diagramm zeigt besonders deutlich, dass zwar keineswegs alle Bezirke mit sehr geringer psychiatrisch-neurologischer Versorgungsdichte besonders hohe Suizidraten aufweisen, dass aber umgekehrt kein einziger Bezirk mit hoher altersstandardisierter Suizidrate (tiber 20) eine einigerma6en ganstige psychiatrisch-neurologische Versorgungslage aufweist (10 entsprechende Fachfirzte pro 100.000 Einwohner oder mehr). Innerhalb der Steiermark stellen sich die Differenzen anhand eines Mittelwertvergleichs so dar: Ein Mittelwert in der rohen Suizidrate von ,,nur" 19,3 far die vier Bezirke mit den meisten Psychiatern und Neurologen pro Einwohnerzahl (4-5 je 100.000 far Deutschlandsberg, Farstenfeld, Bruck an der Mur und 19 je 100.000 far Graz), steht einem Gesamtdurchschnitt der steirischen Bezirke von 22,3 gegenaber. Die Differenz betrfigt also 3 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr. Ahnliche Verhfiltnisse ergibt auch die Analyse der altersstandardisierten Verteilung.
197
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalit~t in Osterreich und in der Steiermark Tabelle 116." Grad der psychiatrisch-neurologischen Versorgung- Mittelwertvergleich steiermarkweit far altersstandardisierte Suizidraten
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
16,1
4
1,9
13,5
18,0
M
21,5
9
5,2
14,8
29,0
U
18,3
4
2,3
15,5
21,2
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Tabelle 117."
Grad der psychiatrisch-neurologischen Versorgung- Mittelwertvergleich steiermarkweit far rohe Suizidraten MW
STA
MIN
MAX
0
19,3
4
2,75
15,2
21,1
M
24,4
9
5,7
16,8
32,2
U
20,8
4
1,5
18,8
22,2
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
KAT
Auch die Variable Distanz zum nfichstgelegenen station~.r-psychiatrischen Zentrum im Bundesland 36~ zeigt den vermuteten Zusammenhang in einigerma6en deutlicher HOhe far Osterreich insgesamt - und in eklatanter HOhe far die Steiermark allein. Bezirke, die von den Landeshauptst~dten bzw. anderen Stfidten mit grO6eren, Offentlichen psychiatrischen Krankenhfiusem weiter entfernt sind, haben mehr Suizidtote pro Bev/51kerungszahl als solche, welche nfiher zu denselben gelegen sind (siehe dazu die folgenden Tabellen). Gemfi6 Vergleich der Mittelwerte tOteten sich im Untersuchungszeitraum 2001 bis 2004 in den Bezirken mit den geringsten Entfernungen der Bezirkshauptstadt von der nfichsten grO6eren und allgemein zugfinglichen psychiatrischen Krankenanstalt (bzw. -abteilung) im jeweiligen Bundesland (max. 25 km) nach rohen Suizidraten berechnet knapp 18 Personen je 100.000 Einwohner und Jahr, in den Bezirken mit den hOchsten festgestellten Distanzen (80 bis 180 km) aber 20. Bei Altersstandardisierung sind die einzelnen Zahlenwerte jeweils niedriger, die Differenz bleibt aber so gut wie unverfindert. Tabelle 118."
Distanz zum nfichstgelegenen ,,stationfir-psychiatrischen Zentrum" im Bundesland- Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen SR (~
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,19
0,20
0,59
0,60
SN (1S)
95 %
95 %
99 %
99 %
361 Die Berechnungen erfolgten mit Hilfe von Informationen der Krankenanstaltenstatistik. Far die burgenl~_ndischen Bezirke wurden die Distanzen zu den n~,chstgelegenen Krankenanstalten in der Steiermark bzw. Nieder0sterreich und Wien errechnet.
198
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 119.
Distanz zum nfichstgelegenen ,,stationfir-psychiatrischen Zentrum" im Bundesland - Mittelwertvergleich Osterreichweit f'tir ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
17,7
25
5,6
10,0
29,0
M
16,3
49
3,8
7,4
25,9
U
15,9
25
4,3
3,6
24,8
Gesamt
16,5
99
4,4
3,6
29,0
Tabelle 120."
Distanz zum nfichstgelegenen ,,stationfir-psychiatrischen Zentrum" im Bundesland - Mittelwertvergleich 0sterreichweit ft~r SR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
19,9
25
6,1
11,0
32,2
M
18,4
49
4,6
8,7
31,5
U
17,7
25
4,6
4,3
25,8
Gesamt
18,6
99
5,1
4,3
32,2
Die steirischen Bezirke sind von der Varianz dieser Variable erheblich tangiert, zwar befinden sich ,,nur" vier Bezirke im obersten, mit den hOchsten Distanzen behafteten Quartil; yon diesen vier Bezirken Murau, Liezen, Marzzuschlag und Judenburg z~hlen aber die meisten zu denen mit den eindeutig hOchsten Suizidraten im Land. Der nur steiermarkweite Vergleich zeigt dementsprechend besonders hohe Korrelationen; in der rohen Suizidrate unterscheiden sich die vier Bezirke Graz, Graz-Umgebung, Voitsberg und Weiz, als die gemfif3 den angewandten Kriterien am meisten zentral gelegenen, yon den periphersten Gebieten - eben Murau, Liezen, Marzzuschlag und Judenburg - u m mehr als 7 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr (siehe Tabelle 121)! Tabelle 121:
Distanz zum nfichstgelegenen ,,stationfir-psychiatrischen Zentrum" im Bundesland - Mittelwertvergleich steiermarkweit ft~r ASR
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
24,5
4
5,4
17,1
29,0
M
18,2
9
3,5
13,5
24,7
U
17,3
4
1,7
14,8
18,4
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
199
Distanz zum nfichstgelegenen ,,station~r-psychiatrischen Zentrum" im Bundesland - Mittelwertvergleich steiermarkweit for SR
Tabelle 122:
KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
27,7
4
5,4
20,4
32,2
M
21,0
9
4,0
15,2
29,4
U
20,0
4
2,2
16,8
21,8
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
Eine lineare Regression for alle 0sterreichischen Bezirke erbringt folgendes Resultat" ASR = 15,202 + 0,024 * Distanz der Bezirkshauptstadt zum stationgiren Zentrum (in km).
Gem~6 dieser Funktion nimmt mit der Steigerung der Entfernung eines Bezirks vom jeweiligen ,,psychiatrischen Versorgungszentrum" gem~6 oben angeftihrter Definition um je 10 Kilometer die standardisierte Suizidrate durchschnittlich um 0,24 zu. Ftir die rohe Suizidrate ergibt die entsprechende Berechnung eine Zunahme um 0,26, wiederum ausgehend von einer h{Sheren Konstante (gerundet 17,2). Von der Gesamtstreuung der Suizidrate sind mathematisch gesehen 3,8 % alleine durch die Ver~nderungen in dieser Variable erklfirbar. Der Indikator ,,Grad der psychosozialen Gesamtversorgung", der zusfitzlich zu der Anzahl der - niedergelassen, extramural und/oder stationfir tfitigen - Psychotherapeuten und jener der psychiatrischen und neurologischen Fachfirzte pro Bezirk auch das Gesamtausmaf3 der in psychosozialen Zentren und fihnlichen extramuralen Einrichtungen betreuend tfitigen Personen bert~cksichtigen sollte, konnte aufgrund des Fehlens /3sterreichweiter Daten nur mr den steiermarkweiten Vergleich gebildet und mit der Suizidrate in Beziehung gesetzt werden. 362 Die bivariate Korrelation zeigt einen KK (P) von -0,08 Dr die ,,rohe" und -0,11 l~r die standardisierte Suizidrate. Die Ergebnisse des Zusammenhangs entsprechen in der H0he in etwa jenen, die ftir die Anzahl der Psychotherapeuten bzw. der Psychiater allein gewonnen wurden. Auch ftir den Indikator ,,Grad der psychosozialen Gesamtversorgung" kann demnach, zumindest innerhalb der Steiermark ein negativer Zusammenhang mit der Suizidrate konstatiert werden. Tabelle 123"
Grad der psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung SR ST
ASR ST
KK (P)
-0,08
-0,11
SN (lS)
-
-
Ein Mittelwertvergleich betreffend der altersstandardisierten Suizidraten zeigt hier wiederum sehr deutliche Differenzen zwischen dem obersten und dem untersten Quartil:
362 Der Indikator wurde gebildet durch Addition der in den genannten Bereichen t~tigen Personen bzw. Dienstposten, in Relation zur jeweiligen Bev01kerungszahl.
200
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 124." Grad der psychosozialen Gesamt Versorgung- Mittelwertvergleich steiermarkweit far altersstandardisierte Suizidraten KAT
MW
H
O
19,8
4
M
18,0
9
U
22,4
4
Gesamt
19,5
17
STA
MIN
MAX
3,7
16,0
24,7
3,2
13,5
23,9
7,1
15,5
29,0
4,5
13,5
29,0
Vergleicht man also die steirischen Bezirke hinsichtlich dieses Gesamt-Indikators miteinander, so zeigt sich, dass jene vier Bezirke mit der diesbezt~glich schlechtesten Position M~irzzuschlag, Judenburg, Murau und Radkersburg - eine gegenaber allen anderen Bezirken deutlich erh6hte durchschnittliche altersstandardisierte Suizidrate aufweisen (aber 22 versus knapp 20 im steirischen Gesamtdurchschnitt).
3.2.16 Suizidrate und kollektives Aggressionsniveau Schlie61ich sollte auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit makrosoziale Korrelationsstatistik Zusammenhfinge zwischen verschiedenen anderen Phfinomenen, die als Indikatoren far das Niveau sozial vorhandener Aggression und Autoaggression gelten kOnnen, und der regionalspezifischen Suizidalit~.t herstellen kann. 363 Vermutet wurde konkret, dass positive Korrelationen zwischen der Suizidrate und der Anzahl der Alkoholtoten je Einwohnerzahl, der Rate der Verkehrsunfalltoten und jener der sonstigen Unfalltoten bestehen. Auch die verschiedenen Formen von K6rperverletzungen k6nnten - vielleicht in unterschiedlichem Ausmag, weshalb gesondert korreliert wird - in ihrer sozialen Verbreitung ein Indikator far ein bestimmtes kollektives Aggressionsniveau sein, dem auch eine entsprechende Suizidalitfit korrespondiert. 364 Daher wurde die Hypothese aufgestellt, dass mit hohen Suizidraten auch hohe Raten fahrlfissiger K6rperverletzung, ,,allgemeiner" (nicht fahrlfissiger und nicht schwerer) K6rperverletzung sowie schwerer K6rperverletzung und Mord assoziiert sein kOnnten. Die Daten zu den erwfihnten Formen von Todesf'~,llen wurden, wie ja die zu den Suiziden auch, auf Grundlage einer Spezialauswertung der Todesursachenstatistik der Statistik Austria ermittelt, und zwar ebenfalls far den Zeitraum 2001 bis 2004; die Daten zu den bezirksweisen Hfiufigkeiten von K6rperverletzungen und Morden far die Jahre 2001 bis 2004 wurden vom Bundesministerium far Inneres bezogen. Ft~r den Zusammenhang von Anzahl der Alkohol- und der Suizidtoten pro Bezirk ergibt sich ein Ergebnis in der erwarteten Richtung, der Korrelationskoeffizient ist aber, besonders bei Beachtung der differenten Altersstrukturen der Bezirke, ziemlich niedrig (0,10). Bei ausschlieglicher Einbeziehung steirischer Bezirke ist der Zusammenhang etwas deutlicher, aber auch noch gering.
363AIs Motivation stand also weniger die Annahme kausaler Zusammenhange im Vordergrund als die Aufdeckung eventuell bestehender gemeinsamerregionaler Muster. 364Zur psychologischen Assoziation von Auto- und Fremdaggression siehe 1.3.2.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
201
Tabelle 125." Alkoholbedingte Todesfalle - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,15
0,10
0,12
0,15
SN (1S)
90 %
-
-
Far die Steiermark ergibt ein Mittelwert-Vergleich folgendes Bild: Tabelle 126." Alkoholbedingte Todesffille- Mittelweltvergleich steiermarkweit far ASR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
21,6
4
6,4
15,5
29,0
M
18,8
9
4,3
13,5
28,0
U
18,8
4
3,5
16,4
24,0
Gesamt
19,5
17
4,5
13,5
29,0
Die vier am stfirksten von alkoholassoziierten Todesfallen - gemfi6 Definition des Bundesinstituts far Gesundheitswesen berechnet - betroffenen steirischen Bezirke, Radkersburg, Murau, Judenburg, Leoben, haben demnach gegentiber allen anderen Bezirken eine durchschnittlich um fast den Welt 3 erh/Jhte altersstandardisielte Suizidrate. Ein fihnlicher Konnex zeigt sich auch far die rohen Suizidraten. Tabelle 127." Alkoholbedingte TodesfNle - Mittelwertvergleich steiermarkweit far SR KAT
MW
H
STA
MIN
MAX
O
25,0
4
6,3
18,8
31,2
M
21,4
9
4,8
15,2
32,2
U
21,7
4
3,7
18,2
26,8
Gesamt
22,3
17
4,9
15,2
32,2
Tabelle 128:
Verkehrsunfalltote - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,12
0,14
0,46
0,50
SN (lS)
-
90 %
95 %
95 %
Auch far den vermuteten Zusammenhang zwischen Anzahl der Verkehrstoten und Suizidtoten konnte Osterreichweit ein gewisser, jedoch schwacher Zusammenhang ermittelt werden. Oberraschend hoch stellt sich aber der Zusammenhang im Bereich der steiermarkinternen Analyse dar. Man kann also sagen, dass risikoreiches Verkehrsverhalten mit auto-
202
3 Ergebnisse der Studie
aggressivem Hintergrund und letalem Ausgang besonders in der Steiermark in denselben Regionen gehfiuft auftritt wie suizidales Verhalten mit letalem Ausgang. Die meistbetroffenen Bezirke sind dabei Murau, Liezen, Bruck an der Mur und Knittelfeld. Jene vier Bezirke sind es auch, die im 6sterreichweiten Vergleich im obersten Quartil situiert sind. Tabelle 129:
Sonstige Unfalltote - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,20
0,15
0,46
0,38
SN (lS)
95 %
90 %
95 %
90 %
Ahnliche Zahlenwerte ergeben sich auch ffir den Zusammenhang von sonstigen Unfalltoten und Suizidtoten; auch hier erscheint der Zusammenhang 0sterreichweit zumindest schwach vorhanden, bei ausschlie61ich steiermarkbezogener Betrachtung aber sehr stark. Die am stfirksten von t0dlichen Unfallen abseits des Stra6enverkehrs betroffenen Bezirke sind hierbei Murau, Leoben, Bruck und Radkersburg; auch hier gilt im Obrigen, dass genau jene vier Bezirke unter die 25 0sterreichweit meistbetroffenen Regionen fallen. Tabelle 130." Fahrlfissige K6rperverletzungen - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR (3
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,10
0,17
-0,26
-0,22
SN (lS)
-
95 %
-
-
Ft~r die Korrelationen der Hfiufigkeiten fahrlfissiger K6rperverletzungen mit der Suizidrate ergibt sich 6sterreichweit ein Resultat in der vermuteten Richtung - mehr fahrlfissige K6rperverletzungen gehen mit h0heren Suizidraten einher. Die steirischen Bezirke weisen diesbezt~glich aber im Durchschnitt keine besonders starke Betroffenheit auf, nur zwei nfimlich Graz und Ft~rstenfeld - liegen 6sterreichweit im obersten Quartil. Ft~r den steiermarkinternen Vergleich ergibt sich weiters ein unerwarteter Zusammenhang in die der angenommenen entgegengesetzte Richtung; innerhalb der Steiermark bildet das Kriterium ,,Rate fahrlfissiger K0rperverletzungen" also keinen Zusammenhang mit der Suizidrate. Tabelle 131:
,,Allgemeine" K6rperverletzungen - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,13
0,11
-0,26
-0,23
SN (1S)
.
.
.
.
Hinsichtlich der Variable Rate der ,,allgemeinen K6rperverletzungen" (ira Sinne von: nicht schwere und auch nicht fahrlfissige) ergibt sich ein dem Kriterium ,,fahrlfissige K0rperverletzungen" sehr fihnliches Bild, ein geringer Zusammenhang in die erwartete Richtung kann bei 0sterreichweiter Analyse festgestellt werden. Ft~nf steirische Bezirke zfihlen hierbei zu
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
203
den 6sterreichweit am stfirksten betroffenen 25, Graz-Stadt, Leoben, Bruck, Knittelfeld und Radkersburg. Mit innersteirischen Differenzen in der Suizidrate l~sst sich aber auch far die ,,allgemeinen" K0rperverletzungen kein positiver Zusammenhang aufzeigen.
Tabelle 132." Gravierende Ktirperverletzungen und Morde - Ergebnisse der bivariaten KA SR 0
ASR 0
SR ST
ASR ST
KK (P)
0,05
0,04
0,15
0,08
SN (1S)
.
.
.
.
Eine besondere Auswertung far die schwersten K0rperdelikte 36s bringt, wie anhand von Tabelle 132 zu ersehen ist, keine relevanten Ergebnisse. Die Korrelationskoeffizienten weisen in die erwartete Richtung, liegen aber sehr nahe bei 0,0, weshalb sie nicht zuverlassig interpretierbar sind.
3.2.17 Obersicht fiber die bivariaten Zusammenhdnge und Integration der relevanten Faktoren in ein multivariates Erkldrungsmodell Auf der folgenden Seite wird eine tabellarische Ubersicht tiber all jene der zahlreichen pr~isentierten Einflussfaktoren gegeben, far welche der mittels Korrelationsanalyse festgestellte Zusammenhang im Sinne der jeweiligen Hypothese ausf~illt und als grog genug erachtet wird, um inhaltlich verlfisslich interpretiert zu werden (+/- 0,15). 366 Die einzelnen Variablen sind dabei nach dem Betrag des Korrelationskoeffizienten, bezogen auf die altersstandardisierte Suizidrate, angeordnet. Um die Bedeutung der Faktoren im gegenseitigen Kontext zu eruieren, wurde eine multivariate Regressionsanalyse durchgeftihrt, deren Ergebnisse dann im Folgenden pr~isentiert werden. Auch von den in der umseitigen Tabelle angefahrten Variablen kommen hierf'tir nicht alle in Frage; ausgeschieden werden neben Faktoren, far die keine Hypothese eines Kausalzusammenhangs aufgestellt wurde (Raten der K0rperverletzungen und der Unfalltoten), und jenen, far welche die dem Verfasser vorliegenden Durchschnittsdaten pro Bezirk nicht die wtinschenswerte Exaktheit aufweisen, auch jene Indikatoren, hinsichtlich welcher far den zu messenden Zusammenhang im Variablen-Set noch weitere als geeigneter befundene Indikatoren vorhanden sind. 367 Die demnach verbleibenden, fur eine multivariate Analyse in Betracht kommenden Faktoren sind in Tabelle 133 kursiv markiert. 365Die Kategorie ,,gravierendeK0rperverletzungen und Morde" beinhaltet die Delikte: schwere K0rperverletzung, tOdliche K0rperverletzung, Mord und Mordversuch. ,,Totschlag" trat in der Kriminalit~atsstatistikfar den Zeitraum 2001 his 2004 insgesamt 0sterreichweitnur in einigen wenigen Fallen aufund blieb hier unberiacksichtigt. 366Korrelationskoeffizientender Gr0Benordnung von 0,15, teils bis zu 0,30, werden vieifach als schwache, wenig aussagekraftige Korrelationen erachtet. Dies betrifft aber Untersuchungen anhand von Individualdaten, w~hrend bei der Korrelation yon Aggregatdaten far gr0Bere soziale Einheiten von vornherein von niedrigeren Zusammenhangswerten ausgegangen werden muss. Da es sich um Vollerhebungen handelt, falit zudem der Faktor der statistischen Signifikanz wegen Stichprobenziehungaus. 367Der Anteil an Angestellten und Beamten wird nicht aufgenommen, da er durch die Arbeiter- sowie Land- und Forstwirte-Quote nahezu vNlig abgebildet ist; der Akademiker-Anteilfar sich genommennicht, da der gemeinsame Anteil von Akademikern und Maturanten (,,Matura-Absolventen") aussagekr~ftigerist, der Anteil der BevN-
204
3 E r g e b n i s s e der Studie
Tabelle 133:
Ubersicht zu den bivariaten K o r r e l a t i o n e n mit der Suizidrate im 6 s t e r r e i c h w e i t e n V e r g l e i c h (fiir die Jahre 2 0 0 1 - 2 0 0 4 ) 368
Variable
SR G
ASR G KK (P)
SN (1S)
+
KK (P)
StBuQ A SN (1S)
A
Waldfl~che
O,41
99 %
0,43
99 %
10
B
Arbeiter
0,41
99 %
O,38
99 %
10
-0,41
8
Angestellte und Beamte
:
99 %
-0,37
99 %
C
Wohnfl~che
-0, 41
99 %
-0,32
99 %
D
Dauersiedlungsraum
-0,40
99 %
-0,34
99 %
E
Erwerbst#tige
F
Arbeitnehmereinkommen
G
BevOlkerungsentwicklung
,
i ,
.
-0,37
99 %
-0, 33
99 %
.
-0, 30
.
-0,44 ,
.
95 %
-0, 41
,
Sonnenscheindauer Juli H
Matura-Absolventen
.
ONACE G-P /
Arbeitslose ONACE C-F
,
-0,30 ,
.
,
99 %
-0,29 .
99 %
-0, 26
6 8
,
,
99 % ,
7 8
,
99 % 99 %
-0,22 ,
99 % .
! ,
-0, 32
4 '
i i
99 %
2
9
.
-0,26
99 %
0,24
99 %
-0,25 i
i
i
:
0,30
,
,
95 %
Akademiker
-0,23
99 %
-0,21
95 %
95%
;
8 ,
99 %
0,24
,
0,23
99 % 95 %
,
,
8 5
,
9
J
Pflichtschulabsolventen S
0,21
95 %
0,18
K
Distanz psychiat. KH
0,20
95 %
O, 19
95 %
4
L
Psychiater/Neurologen
-0,18
95 %
5
M
ONACE H
.
.
.
fahrl. KSrperverletzungen
N
AIIgemeinmediziner
.
allgemeine Unfalltote i Ausl#ndische Staatsb[Jrger ,,sonstige" Konfessionen
P
Land- und Forstwirte
.
.
95%
95 %
.
.
.
.
-0,16
.
90 %
90 %
.
-0,15
,
,
.
90 % .
0,15 .
.
90 %
O, 15 .
-
3
-
2
-0,12
-
3
.
~ -0,15 ,
O, 12 0,10
.
90 %
.
Psychotherapeuten
.
.
0,20
.
95 %
0,15 -0,15
ONACE A-B
Q
.
0,17 .
0
.
-0,20
-0,18
O, 14
95 % ,
,i
,
95 % 95 %
90 %
,
,
,
4 10 9
6
.
90 % .
0,20 -0,18
90 %
.
0,14
90 %
6
-0,12
-
9
A Anzahl steirischer Bezirke im untersten (ungenstigsten) Quartil bei 5sterreichweiter Betrachtung. Die statistisch erwartbare Anzahl bei Gleichverteilung w~re hierbei 4. g Erwerbst#tige Pflichtschulabsolventen
kerung mit ,,sonstiger Konfession" (nicht katholisch und nicht evangelisch) nicht, da sein Muster weitgehend der des Anteils ausl~indischer Staatsbtirger entspricht. Die ()NACE-Anteile G-P und C-F werden schlieBlich ausgeschieden, da die interessierenden Zusammenh~inge durch den Arbeiteranteil deutlicher erfasst werden k~Snnen. 368Geordnet nach Betrag des Korrelationskoeffizienten (ftir ASR).
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in ()sterreich und in der Steiermark
205
Aus der voranstehenden Tabelle 369 wird noch einmal deutlich, wie sich die als gegeben bestfitigten Zusammenhfinge zwischen den aberpraften Faktoren und der Suizidrate darstellen, und welches AusmaB die Korrelationen bei bivariater Betrachmng jeweils annehmen. Im Folgenden werden die Daten zu jenen Variablen kurz restimiert, die gemfiB den vorgenannten Kriterien far eine weitere Integration in ein multivariates Analysemodell in Frage kamen. 37~ Als relevantester Faktor bezogen auf die Assoziation mit der altersstandardisierten Suizidrate ist der Anteil der Arbeiter unter den Erwerbstfitigen pro Bezirk (PK) zu bezeichnen, bemerkenswerterweise in der HOhe der bivariaten Korrelation gleichauf mit dem jeweiligen Anteil der durchschnittlichen Wohnfl~che pro Person (NK) und dem Waldflfichen-Anteil des Bezirks (PK), alle drei sind mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,41 far die ASR ausgestattet! Der Aspekt ,,Anteil des Dauersiedlungsraums" firmiert mit einem Koeffizienten yon -0,40 nur ganz knapp darunter. Starke Korrelationen - mit Werten des Pearsons'schen Korrelationskoeffizienten von 0,30 bis 0,39 - zeigt die bereits altersstandardisierte Suizidrate weiters in Bezug auf die Variablen ,,Anteil der Erwerbst~,tigen an der GesamtbevOlkerung" (NK), durchschnittliche HOhe des Arbeitnehmereinkommens im Bezirk (NK) sowie AusmaB der BevOlkerungsentwicklung von 1991 bis 2001 (NK). Deutliche bivariate Zusammenhfinge (von 0,20 bis 0,29) konnten weiters festgestellt werden far die Faktoren: Anteil der Personen mit zumindest Matura-Abschluss an der GesamtbevOlkerung (NK), Anteil der Arbeitslosen an den Erwerbstfitigen gemfiB Arbeitsmarktservice (PK), Anteil der Personen, die lediglich 0ber Pflichtschulabschluss verfagen unter den Erwerbstfitigen (PK), Anteil der in Tourismus und Gastgewerbe beschfiftigten Personen an den Erwerbstfitigen (PK), Rate der Psychiater und/oder Neurologen pro Einwohnerzahl (NK) sowie Distanz des Bezirks zum nfichstgelegenen stationfirpsychiatrischen Zentrum im Bundesland (PK). Die Korrelationen (und auch Regressionen) der altersstandardisierten Suizidraten (und, mit einer Ausnahme, auch der rohen) mit den genannten Variablen w~ren s~mtliche nach ablichen sozialwissenschaftlichen Beurteilungskriterien auch dann als signifikant zu erachten (Signifikanzniveau von 99 % bzw. 95 %), wenn es sich um Stichprobenerhebungen handeln wOrde, was natarlich nicht der Fall ist, da ja alle diese Daten auf Vollerhebungen far die Osterreichische Gesamtbev01kerung beruhen, die im Allgemeinen durch die Statistik Austria durchgefahrt wurden, far je eine Variable durch die OAK bzw. das AMS, far eine weitere aufbauend auf der Krankenanstaltenstatistik durch den Studienautor selbst (Distanz zum n~,chstgelegenen grOBeren psychiatrischen Versorgungszentrum). Den ermittelten Korrelationen kommt damit ausgesprochen hohe Zuverlfissigkeit und Galtigkeit zu.
Tabelle 133 enthait nur jene Parameter, far welche die erstellte Hypothese bestatigt werden konnte und der Korrelationsfaktor in der erwarteten Richtung bei mindestens 0,15 far die altersstandardisierte Suizidrate lag. Die Indikatoren, for welche im 0sterreichweiten Vergleich eine Null-Korrelation bzw. eine Korrelation unter 0,14 errechnet wurde, sind: Bev01kerungsdichte, Urbanisierungsgrad, Geburtenziffer, Sterbeziffer, Bev01kerungsanteil unter 14 Jahren und Bev01kerungsanteil t~ber 60 Jahren (bezogen auf die altersstandardisierte Rate), Geschiedehen-Quote, Verwitweten-Quote (Zusammenhang mit der rohen SR ist feststellbar, abet nicht aussagekr~,ftig), Katholiken-, Evangelischen- und Konfessionslosen-Quote,Quote der Einpersonenhaushalte, Anzahl der Wohnungen pro Geb~_ude,Anteile der Wohnungen der Ausstattungskategorie A bzw. C und D, Selbst~ndigenquote, Quote aller Pflichtschulabsolventen, Rate der alkoholassoziierten Todesf'alle, Rate der Toten durch Verkehrsunffille, Raten der allgemeinen und der gravierenden K0rperverletzungen. Eine deutliche Tendenz im Gegensinn zur urspr0nglich angenommenen Richtung ergab sich f~r: Quoten der Drei- und Mehrpersonen-Haushalte sowie Bewohnerzahl pro Haushalt und Bewohnerzahl pro Wohnung. 3v0Die Abk0rzungen in Klammern bedeuten hierbei: PK = positive Korrelation, NK = negative Korrelation. 369
206
3 Ergebnisse der Studie
Dies gilt etwas abgeschwficht auch noch for etliche weitere Korrelationen, die im Ergebnis Koeffizienten zwischen 0,15 und 0,19 aufweisen; der ermittelte Zusammenhang an sich steht auch hier an sich eindeutig fest (kein Problem der Reprfisentativitfit), da auch diese Variable in Vollerhebung gewonnene Daten betreffen: Rate der Allgemeinmediziner NK), Anteil der auslfindischen Staatsbarger an der Gesamtbev6lkerung (NK), Anteil der selbstfindigen Land- und Forstwirte an den Erwerbstfitigen (PK), Rate der Psychotherapeuten (NK). Fraglich bleibt wegen der geringeren HOhe des Zusammenhangs nur, ob derselbe nicht vielleicht dutch ,,zuffillige" Schwankungen bedingt ist, welche angesichts der relativ geringen Fallzahlen von Suizidenten im Zeitverlauf unvermeidlich auftreten, ohne notwendig mit bestimmten, inhaltlich relevanten sozialen Verfinderungen verknt~pft zu sein. Ein tatsfichlicher Zusammenhang, wenngleich schwficheren AusmaBes, ist aber auch hier wahrscheinlich. Generell besteht bei den bivariaten Auswertungen freilich das Problem, dass hierbei jeweils alle anderen als relevant betrachteten Faktoren nicht beracksichtigt werden, dass aber die einze|nen unabhfingigen Variablen natarlich realiter keineswegs v611ig unabhfingig auftreten, sondern vielmehr teils ganz erhebliche Korrelationen untereinander zeigen. So sind z.B. Arbeiteranteil und Arbeitnehmereinkommen pro Bezirk in betrfichtlicher Weise positiv miteinander assoziiert, aber auch die Rate der Allgemeinmediziner und jene der Psychiater, und der Waldanteil im Bezirk negativ mit dem Anteil der Erwerbstfitigen. Diese Zusammenhfinge sind inhaltlich naturgemfiB verschieden zu interpretieren, teils lassen sie sich als kausale auffassen, teils als gemeinsame Abhfingigkeit von einem (oder mehreren) weiteren, ,,dahinter stehenden" Faktor(en). Letzteres ist etwa far den Zusammenhang von Allgemeinmediziner- und Psychiater-Rate anzunehmen, die beide ihrerseits offensichtlich mit einem nicht als gesonderte Variable pro Bezirk geft~hrten, aber den einzelnen Bezirken leicht zuordenbaren Faktor ,,Urbanitfit" (im Sinne des Anteils der Einwohner gr/3Berer Stfidte an der Bev61kerung des Bezirks selbst sowie der Nfihe des Bezirks als solchen zu gr6Beren Stfidten) zusammenhfingen. Etliche Korrelationen, die bei bivariater Betrachtung festgestellt werden k6nnen, sind demnach - zumindest zu einem betrfichtlichen Teil - im Sinne einer ,,Interventions"-Konstellation zu deuten: Die H~She des Waldanteils eines Bezirks etwa, far den der Verfasser, wie in Kapitel 2 dargelegt, einen tatsfichlichen kausalen Einfluss auf die Suizidalitfit postuliert, drackt zugleich aber mit Sicherheit zahlreiche andere Parameter mit aus, denen ebenso - und wohl quantitativ noch gr/SBere - Bedeutung tar die Ausprfigung der Suizidrate zukommt: Waldreichere Bezirke sind meist lfindlichere Bezirke, die weniger Beschfiftigte im Dienstleistungsbereich, dafur aber h6here Arbeiteranteile, zugleich auch hOhere Arbeitslosenquoten und stfirkere Abwanderung aufweisen. Bei einer multivariaten Analyse werden solche Einflasse computergestatzt ,,gegengerechnet", um die ,,tatsfichlich" verbleibenden Auswirkungen der einzelnen Faktoren auf die Suizidrate ermitteln zu k/Snnen. Dabei kann natarlich immer nur eine genau definierte Anzahl yon Faktoren beracksichtigt werden, die inhaltlich als relevant gelten und in ihren Ausprfigungen ausreichend exakt erfassbar sind; diese werden sodann in ein Modell integriert, welches gegebenenfalls mehrmals abgewandelt werden kann, um eine m/Sglichst deutliche Fassung der Auswirkungen eines inhaltlich bedeutsamen ,,Variablen-Sets" auf die Streuung der Ausprfigungen der abhfingigen Variable (bier der Suizidrate) bei den einzelnen Beobachtungseinheiten (hier Bezirken) zu erhalten.
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
207
Tabelle 134." Korrelationsmatrix bivariater Korrelationen zur Feststellung von Multikollinearitfit bei der multivariaten Regressionsanalyse der Suizidrate
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~
Z
0
Q-
C3
208
3 Ergebnisse der Smdie
Entsprechend den vorangegangenen Ausftihrungen wurde eine multivariate Analyse im Hinblick auf die Suizidrate zunfichst mit dem vorhin bereits aufgeNhrten Variablen-Set von insgesamt 17 Faktoren durchgefdhrt (bezeichnet mit A bis Q in der obigen Tabelle). 37~ Die Ausprfigungen der bivariaten Korrelationen zwischen den einzelnen unabhfingigen Variablen - und damit des Grades von Multikollinearit~it 372 - sind im Detail der Korrelationsmatrix in Tabelle 134 zu entnehmen (sfimtliche Korrelationen zweier Variabler mit Ergebnissen von tiber 0,60 sind gesondert markiert); wie zu ersehen ist, sind starke Korrelationen hfiufig, solche nahe 1 abet kaum vorhanden. Selbst wenn man Werte von tiber 0,70 bereits als kritisch betrachtet, ergeben sich insgesamt nur sieben entsprechende Oberlappungen bei insgesamt 136 bivariaten Korrelationen unabhfingiger Variabler. Der Anteil der Arbeiter an den Erwerbst~tigen pro Bezirk korreliert mit dem Wert yon -0,85 mit dem Anteil der Personen mit mindestens Maturaabschluss in der Gesamtbev01kerung und mit dem ebenso betr~chtlichen Wert von -0,79 mit dem durchschnittlichen Arbeitnehmergehalt (dies gilt nattirlich auch jeweils umgekehrt); das durchschnittliche Arbeitnehmergehalt korreliert seinerseits zu +0,84 mit dem Anteil der Personen mit zumindest Matura-Abschluss im jeweiligen Bezirk, aber auch zu +0,75 mit der Psychiater- und zu +0,78 mit der Psychotherapeuten-Rate! Die beiden letztgenannten korrelieren wiederum untereinander mit dem ganz betrfichtlichen Koeffizienten von +0,84. Schlie61ich stehen noch der Land- und Forstwirte-Anteil und die Quote ausl~ndischer Staatsbtirger pro Bezirk in einer ausgesprochen starken negativen Korrelation (-0,74) zueinander. Mit der Benennung dieser Aspekte sind zugleich die relativen ,,Schwachstellen" des multivariaten Ansatzes der Regression der altersstandardisierten Suizidrate mit allen diesen Variablen benannt; dessen zentrale Ergebnisse lauten wie folgt: Das Regressionsmodell unter Einschluss der 17 bezirksweise erfassten Variablen - Quote des Dauersiedlungsraums, Waldfl~ichenquote, Bev01kerungsentwicklung, Quote der auslandischen Staatsbarger, 371 Auch far diese multivariate Auswertung wurde zunachst das Kriterium der Normalverteilung der Residuen aberpraft, welches auch als annahernd gegeben erscheint, wie ein Diagrammveranschaulichen kann. Histogramm- A S R - Residuen
r 09 -i O" 09
Std. D e v = ,91 Mean = 0,00 N = 99,00
U_
% % % "%-%-~o %-~o % % % Regression Standardized Residual 372
Vgl. hierzu: Backhaus et al., Multivariate Analysemethoden, S. 33f.
3.2 M a k r o s o z i a l e A n a l y s e n zur Suizidalitat in Osterreich und in der Steiermark
209
durchschnittliche W o h n f l a c h e , durchschnittliches A r b e i t n e h m e r e i n k o m m e n , Arbeitslosenquote, Quote der Beschaftigten in Tourismus und Gastgewerbe, Quote der selbstandigen Land- und Forstwirte, Quote der Arbeiter, Quote der Erwerbstfitigen insgesamt, Quote der P e r s o n e n mit z u m i n d e s t Matura-Abschluss, Quote der Personen mit lediglich Pflichtschulabschluss unter den Erwerbstatigen, Rate der A l l g e m e i n m e d i z i n e r , Rate der Psychiater und/oder N e u r o l o g e n , Rate der P s y c h o t h e r a p e u t e n sowie Distanz des Bezirks z u m nfichstg e l e g e n e n stationar-psychiatrischen Z e n t r u m - kann insgesamt tiber 37 % der Gesamtstreuung der Suizidraten z w i s c h e n den Osterreichischen Bezirken erklfiren (R 2= 0,374). 373 Die standardisierten Regressionskoeffizienten ergeben eine Rangfolge der B e d e u t u n g der einzelnen u n a b h a n g i g e n Variablen TM innerhalb des 17-Faktoren Modells, welche von der durch Gegentiberstellung der blogen bivariaten Korrelationen ermittelten deutlich unterschieden ist. Wie aus Tabelle 135 zu ersehen ist, liefern in diesem G e s a m t m o d e l l die beiden letztgenannten Variablen nur geringftigige Erklarungsbeitrage, sodass es sinnvoll erschien, ein weiteres, a u f 15 Variable reduziertes Modell unter W e g l a s s u n g der Faktoren ,,Beschaftigte im T o u r i s m u s und G a s t g e w e r b e " sowie ,,Distanz z u m stationar-psychiatrischen Z e n t r u m " zu b e r e c h n e n (siehe die letzte Spalte der Tabelle). 375 Tatsachlich weist bei der entsprechenden N e u b e r e c h n u n g das lineare Bestimmtheitsmaf5 R 2 w i e d e r u m denselben Wert 0,374 aus, tritt also kein Verlust ein. 376 Die N o r m a l v e r t e i l u n g der R e s i d u e n ist auch hier welter gegeben; das M o d e l l ware im 13brigen auch bei Vorliegen einer S t i c h p r o b e n e r h e b u n g als gesamtes hochsignifikant.
373
Der ,,Model Summary" des Analyseprogramms SPSS lautet wie folgt: Model
R Square ,612
,374
Adjusted R Square ,243
Std. Error of the Estimate 3,8664
Die zugehOrige Regressionsgleichung stellt sich so dar: ASR = 31,497 - 0,011 * Prozentanteil Dauersiedlungsraum + 0,044 * Prozentanteil Waldflache- 0,147 * BevOlkerungsentwicklung 1991-2001 in Prozent + 0,239 * Prozentanteil auslandischer Staatsbarger - 0,501 * durchschnittliche Wohnflache in m~ + 0,334 * durchschnittliches Arbeitnehmerbruttojahreseinkommen (in Einheiten zu 1000 E) + 0,344 * Prozentanteil Arbeitsiose + 0,011 * Prozentanteil Erwerbstatige in Tourismus und Gastronomie + 0,469 * Prozentanteil Selbstandige in Land- und Forstwirtschaft + 0,127 * Prozentanteil Arbeiter - 0,275 * Prozentanteil Erwerbstatige (gegentiber Gesamtbev01kerung) + 0,113 * Prozentanteil Akademiker und Maturanten -0,069 * Prozentanteil Pflichtschulabsolventen (unter Erwerbstatigen) + 0,011 * Allgemeinmediziner-Rate - 0,285 * Psychiater/Neurologen-Rate + 0,015 * Psychotherapeuten-Rate - 0,073 * Distanz zum station~ar-psychiatrischen Zentrum (in Einheiten zu je 100 km). Allerdings sind die unstandardisierten Regressionskoeffizienten nicht unbedingt far Vergleiche zum Einfluss der einzelnen Faktoren im Kontext der Gesamtrechung auf die abhangige Variable ,,altersstandardisierte Suizidrate" geeignet; auch m0ssen die Vorzeichen in der Gleichung nicht dem inhaltlichen Zusammenhang entsprechen. 374 Vgl. hierzu: Jul Martens, Statistische Datenanalyse mit SPSS far Windows. Manchen-Wien 2003, S. 201. 375 Die Streichung der Variablen aus dem Modell bedeutet nicht eine inhaltliche lrrelevanz, sondem lediglich, dass die entsprechenden Differenzen, welche aus ihren unterschiedlichen Auspr~gungen resultieren, im vorliegenden multivariaten Modell quantitativ kaum zum Tragen kommen. 376Der ,,Model Summary" in SPSS lautet: Model
R Square ,612
,374
Adjusted R Square ,261
Std. Error of the Estimate 3,8196
210
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 135:
Standardisierte Regressionskoeffizienten im 17- und im 15-VariablenRegressionsmodell zur Erklfirung der bezirksweisen A S R 377
Variable Rate der Psychiater und/oder Neurologen
Modell 1
Modell 2
(17 Var.)
(15 Var.)
SRK (Beta)
SRK (Beta)
-0,39
-0,39
I
L
II
C
Durchschnittliche Wohnfl~iche
-0,30
-0,30
A
III
P
Quote Selbst~indiger in Land-und Forstwirtschaft
0,29
0,28
IV
O
Quote ausl~indischer Staatsb0rger
0,20
0,20
V
B
Quote Arbeiter unter Erwerbst~tigen
0,19
0,19
Vl
Q
Rate der Psychotherapeuten A
0,18
0,18
VII
A
Anteil der Waldfl~iche
0,17
0,17
VIII
F
Durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen
0,16
0,17
IX
G
Bev61kerungsentwicklung 1991-2001
-0,16
-0,16
X
E
Anteil Erwerbst~tiger an der Bev61kerung
-0,13
-0,13
XI
H
Anteil der Akademiker und Maturanten
0,13
0,13
XII
I
Quote der Arbeitslosen
0,12
0,12
XIII
D
Anteil der Dauersiedlungsfl~iche
-0,06
-0,05
XIV
J
Anteil der ,,Nur-Pflichtschulabsolventen"
-,006
-0,06
XV
N
Rate der AIIgemeinmediziner
0,04
0,04
XVl
M
Anteil der im Tourismus Besch~ftigten
-0,01
-
XVll
K
Distanz zum station&r-psychiatrischen Zentrum
-0,01
A Diese beiden Variablen sind als Indikatoren for die psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungsdichte im niedergelassenen, extramuralen und station~ren Bereich von Relevanz. Wie ein Vergleich der beiden Zusammenstellungen der Regressionskoeffizienten zeigt, ~indert sich in der Reihenfolge und auch in den standardisierten Werten der Koeffizienten durch die vorgenommene Reduktion des Modells auf 15 Variable nur wenig; lediglich firmiert nun am unteren Ende der Tabelle der Anteil der ,,Nur-Pflichtschulabsolventen" unter den Erwerbst~itigen in der Relevanz vor dem Flfichenanteil der Dauersiedlungsflfichen. Die inhaltliche Interpretation soll demgemfiB im Folgenden anhand dieses zweiten Modells erfolgen: Es zeigt sich, dass bei multivariater Analyse dem Grad der Versorgung mit psychiatrisch-neurologischen Fachfirzten - die far alle Versorgungsebenen relevant ist, im niedergelassenen Bereich ebenso wie im extramuralen und nattirlich im station~iren besonders groBer Einfluss auf die Suizidrate zukommt (Beta = 0,39; NK). 378 Die Betrage sind auf zwei Nachkommastellengerundet. In Modell 2 sind gegen0berModell 1 in der Rangfolge nur die Pl~tze XIII und XIV vertauscht. 378Die Zuschreibung der positiven bzw. negativen Korrelation bezieht sich hier auf den in der bivariaten Analyse ermittelten Zusammenhang,da Vorzeichen im multivariatenAnalysemodellnicht eindeutig interpretierbarsind. 377
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
211
Danach folgt der durchschnittlich pro Person zur Verfugung stehende Wohnraum (NK), sodann der Anteil der (selbstfindigen) Land- und Forstwirte pro Bezirk (PK). Diesen beiden Faktoren mit Betrfigen der standardisierten Koeffizienten von 0,30 bzw. 0,28 folgt ein ,,Pulk" weiterer in ihrem Einfluss auf die Suizidrate bedeutungsvoller Variabler mit untereinander sehr fihnlich hohem Erklfirungswert (Betrag von Beta zwischen 0,16 und 0,20): Der ,,Auslfinderanteil" pro Bezirk (NK), der Anteil der Arbeiter an den Erwerbstfitigen (PK), die Rate der Psychotherapeuten (NK), der Anteil der Waldflfiche (PK), das durchschnittliche Einkommen der Arbeitnehmer im Bezirk (NK) und schlieBlich dessen Bev61kerungsentwicklung (NK). Als Faktoren mit gr6Berer quantitativer Relevanz firmieren gem~B diesem Modell weiter der Anteil der Erwerbstfitigen (NK), der Anteil von Personen mit zumindest Maturaabschluss (NK) und die Arbeitslosen-Quote (PK) (Betrag von Beta 0,12 oder 0,13); nur noch relativ geringe rechnerische Bedeutung kommt dagegen den Aspekten: Anteil der ,,Nur-Pflichtschulabsolventen", Anteil der Dauersiedlungsfl~che und Rate der Allgemeinmediziner zu (Beta zwischen ca. 0,04 und 0,06). Hierbei sollte nicht abersehen werden, dass die drei letztgenannten Indikatoren sfimtlich solche sind, deren inhaltliche Bedeutung auch durch andere Faktoren im Modell einigermaBen mitrepr~sentiert ist, das kollektive Bildungsniveau im Anteil der Akademiker und Maturanten, die topographische Situation im Waldflfichenanteil und der Grad der medizinischen Versorgung insgesamt in den beiden Faktoren Psychiater- und Psychotherapeuten-Rate. Das multivariate Regressionsmodell lfisst sich dementsprechend noch einmal dahingehend vereinfachen und prfizisieren, dass alle nun noch reprfisentierten, inhaltlich zusammengeh6rigen Variablen zu jeweils gemeinsamen Indikatoren zusammengefasst werden 379 (die Variable mit dem deutlich niedrigsten Erklfirungswert im 15-Variablen-Modell, die Rate der Allgemeinmediziner, wurde dabei ganz ausgeschieden, die beiden anderen Variablen mit standardisierten Regressionskoeffizienten von weniger als 0,1 jeweils in umfassendere Indikatoren integriert): So wurde aus den beiden 6kologischen Variablen ,,Anteil der Waldflfiche" und ,,Anteil der Dauersiedlungsflfiche" ein Indikator far ,,topographische und landschafiliche 6kologische Situation" gebildet, aus den Variablen ,,Anteil der Selbstfindigen in Land- und Forstwirtschafi unter den Erwerbst~,tigen" und ,,Anteil der Arbeiter unter den Erwerbst~.tigen" ein Indikator far ,,Erwerbsstruktur", aus den beiden Variablen ,,Anteil der Akademiker und Maturanten" und ,,Anteil der Nur-Pflichtschulabsolventen in der Erwerbsbev6lkerung" ein Indikator far ,,kollektives Bildungsniveau" und aus den beiden Variablen ,,Rate der Psychotherapeuten" und ,,Rate der Psychiater und/oder Neurologen" ein Indikator far das psychosozial-psychotherapeutisch-psychiatrische Versorgungsniveau. 38~ 379 Diese Erg~nzung ist im der Publikation zugrunde liegenden Bericht - der, wie wohl vielfach ablich, unter erheblichem Zeitdruck verfasst werden musste - noch nicht enthalten. Far die Anregung zu diesem weiteren Auswertungsschritt sei Max Hailer herzlich gedankt. 38oZu achten war bei den mathematischen Transformationen nat0rlich darauf, dass jeweils gleichsinnige Phanomene dieselbe numerische Richtung zugewiesen bekamen, also etwa hohe Anteile an Dauersiedlungsflachen und niedrige Anteile an Waldflachenjeweils mit ,,-" belegt wurden. Besonders zu erlautern ist noch die nicht ,,automatisch" sich ergebende Form der Indikatorbildung hinsichtlich der Erwerbsstruktur: Hier wurde eine Differenz zwischen einer ,,modernen" Struktur (relativ hohe Arbeiter- und Landwirteanteile, relativ niedrige Anteile der Erwerbstatigen insgesamt) gegen0ber einer ,,postmodernen" Struktur angenommen (relativ niedrige Arbeiter- und Landwirteanteile - zugunsten des terti~iren Sektors - und relativ hohes Gesamt-Erwerbtfitigkeitsniveau). Um unterschiedliche numerische Verh~ltnisse in den Dimensionen und Schwankungsbreiten der Daten auszugleichen (so gibt es etwa weit weniger Psychiater als Psychotherapeuten) und damit die jeweiligen Teiivariablen der Indikatoten gleichm~Big in den jeweiligen Gesamtindikator einflieBen zu lassen, wurde jeweils eine Z-Standardisierung der einzelnen Variablen mittels SPSS vorgenommen.
212
3 Ergebnisse der Studie
Diese vier neu gebildeten Variablen ergeben zusammen mit den sieben nicht weiter zusammenftihrbaren Indikatoren ftir die Faktoren ,,Wohnstruktur" (durchschnittliche Wohnflfiche), Erwerbstatigkeit (Anteil der Erwerbstfitigen an der GesamtbevOlkerung) ,,ethnisch-kulturelle Diversitfit" (Anteil auslfindischer Staatsbt~rger), 0konomisches Niveau (durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen), ,,demographische Entwicklung" (Bev01kerungsverfinderung 1991-2001) und ,,sozioOkonomische Desintegration" (Arbeitslosenquote) ein reduziertes 10-Variablen-Modell. Ftir dasselbe wurde gleichfalls wieder eine lineare Regression durchge~hrt; TM mit dem Ergebnis, dass dieses vereinfachte Modell sogar noch einen leicht verbesserten Erklfirungswert ausweist als das 17- und das 15-Variablen Modell. 382 Das vereinfachte Modell kann demnach nun 37,5 % der Streuung der standardisierten Suizidraten erklfiren; das angepasste BestimmtheitsmaB weist nun, wegen der geringeren Variablenanzahl, sogar einen deutlich h0heren Wert auf (0,30 statt 0,26 bzw. 0,24). Die Regressionskoeffizienten, und damit die Erklfirungsbeitrfige der einzelnen Variablen, im 10-Indikatoren-Modell stellen sich folgendermagen dar: Tabelle 136:
Standardisierte Regressionskoeffizienten im 10-Variablen-Regressionsmodell zur Erklfirung der bezirksweisen altersstandardisierten Suizidrate Dimension
Indikator
SRK
4
(~konomisches Niveau
5
Psychosozial-psychiatrischpsychotherapeut. Versorgun 9 Erwerbsstruktur
Indikator aus Quoten der Akademiker u. Maturanten u. Pflichtschulabsolventen BevSI keru n gse ntwickl u ng 1991-2001 Durchschnittliche Wohnfl&che pro Bewohner Durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen Indikator aus Psychiater-/NeurologenRate und Psychotherapeuten-Rate Indikator aus Quoten der Arbeiter und der selbst~ndigen Land- und Forstwirte Anteil ausl~indischer Staatsb0rger
0,53
3
kollektives Bildungsniveau Demographische Entwicklun 9 Wohnstruktur
1 2
6 7 8 9 10
Eth nisch-ku Iturelle Diversit~t Topographische und landschaftliche Struktur SozioSkonomische Desintegration Erwerbst~tigkeit
-0,33 -0,32 -0,31 -0,28 0,24 0,16
Indikator aus Anteil Dauersiedlungsraum und Anteil Waldfl~iche Arbeitslosenquote
-0,13
Anteil der Erwerbst~tigen an der GesamtbevSIkerun9
0,08
0,09
3~ Die Multikollinearitaterwies sich nun als noch geringer. Keine bivariate Korrelation t~bersteigtden Wert 0,7. 382Der ,,Model Summary"in SPSS lautet bier: Model
R Square ,613
,375
Adjusted R Square ,304
Std. Error of the Estimate 3,7059
3.2 Makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich und in der Steiermark
213
Im Vergleich mit dem 15-Variablen-Modell zeigen sich nun vor allem folgende Ergebnisse: An die Spitze hinsichtlich der Bedeutung der einzelnen Variablen ist nun - bemerkenswerterweise und mit deutlichem Abstand - der Gesamtindikator ,,kollektives Bildungsniveau" gert~ckt. Danach, in einem ,,Pulk" mit fihnlich hohen Regressionskoeffizienten (Betrfige zwischen 0,24 und 0,33) liegen nunmehr der Indikator Dr die demographische Entwicklung sowie jene ft~r die Wohnstruktur (Nutzflfiche pro Bewohner) und das 0konomische Niveau, der Gesamtindikator ,,psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung" sowie der Gesamtindikator ,,Erwerbsstruktur". Als weniger, abet ebenfalls noch bedeutsam (Betrfige zwischen 0,08 und 0,16) erweisen sich alle t~brigen in das Modell integrierten Variablen. Dass die beiden Indikatoren ft~r das Bildungsniveau durch die Zusammenfassung nun ,,pl0tzlich" an erster Stelle stehen, weist natt~rlich vor allem darauf hin, dass die Interpretation der Relevanz der einzelnen Variablen im Regressionsmodell anhand auch der standardisierten Regressionskoeffizienten stets mit Vorsicht durchzuf~hren ist. Gerade der Vergleich der verschiedenen Modelle zeigt dann aber doch auch starke Konstanzen; hierzu geh0rt insbesondere die bei allen drei Berechnungsformen relativ hohe Relevanz folgender Variablen: Psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung (Modell 1: Betrfige 0,39 bzw. 0,18, Modell 2: ebenso, Modell 3: als ein Indikator 0,28) Wohnstruktur (durchschnittliche Wohnflfiche; Modell 1 und 2: Betrag 0,30, Modell 3: 0,32 Erwerbsstruktur (Modell 1: Betrfige 0,29 bzw. 0,19 Dr Landwirte- und Arbeiteranteil, Modell 2: nahezu unverfindert, Modell 3: gemeinsamer Indikator: Betrag 0,24) Okonomisches Niveau (Arbeitnehmereinkommen; Modell 1: Betrag 0,16, Modell 2: 0,17, Modell 3: - nochmals deutlich erh0ht - 0,31) Ethnisch-kulturelle Diversitfit (,,Auslfinderanteil"; Modell 1 und 2: Betrag je 0,20, Modell 3: 0,16) Bev/Jlkerungsentwicklung (Modell 1 u. 2: Betragjeweils 0,16, Modell 3: auf0,33) Auch eine vergleichsweise geringe Relevanz der beiden Faktoren ,,Anteil der Erwerbstfitigen in der Gesamtbev01kerung" und ,,Arbeitslosenquote" zieht sich durch alle drei Modelle (erstere Variable: Modell 1 u. 2: Betrag 0,13, Modell 3: 0,08; zweitere: Modell 1 u. 2: Betrag je 0,12, Modell 3: 0,09). Eine Zwischenstellung nehmen die beiden /Jkologischen Faktoren ein, deren einer- Waldflfichenanteil - in den ersten beiden Modellen durchaus zu denjenigen mit relativ h0heren Regressionskoeffizienten zfihlte, und die erst durch ihre Integration in einen gemeinsamen Indikator einen klar geringeren Rang einnehmen. Es lag angesichts dieser Ergebnisse nahe, in einem weiteren Durchgang nochmals zu t~berprtffen, inwieweit eine neuerliche Ausscheidung v o n - im Modell - wenig relevanten Variablen m0glich sei, ohne den Erklfirungswert deutlich zu beeintrfichtigen. Ausgeschieden wurden die beiden Variablen ,,Anteil der Erwerbstfitigen" und ,,Arbeitslosenquote"; anstelle des gemeinsamen Indikators aus Waldflfiche und Dauersiedlungsflfiche wurde zudem neuerlich nur die Variable ,,Waldflfiche", als die offensichtlich deutlich relevantere, herangezogen. Tatsfichlich erreicht auch dieses adaptierte 8-Variablen-Modell ein lineares Bestimmtheitsma6 von R 2 = 0,372, sodass so gut wie kein Erklfirungsverlust gegent~ber dem 10-Variablen-Modell gegeben ist.
214
3 Ergebnisse der Studie
Dies bedeutet wiederum selbstverstfindlich nicht, dass etwa der nun ausgeschiedene Faktor ,,Arbeitslosigkeit" realiter keine Rolle bei der Genese der HOhe der regionalen Suizidraten spielen warde; die festzustellenden regionalen Differenzen sind aber offensichtlich fihnlich in anderen Variablen reprfisentiert. 383
Tabelle 137." Standardisierte Regressionskoeffizienten im 8-Variablen-Regressionsmodell zur Erklfirung der bezirksweisen altersstandardisierten Suizidrate TM
Dimension
Indikator
SRK
3/3
Wohnstruktur
4/5
6/6
Psychosozial-psychiatrischpsychother. Versorgung Demographische Entwicklung Erwerbsstruktur
7/7
Ethnisch-kulturelle
Indikator aus Quoten der Akademiker u. Maturanten u. Pflichtschulabsolventen Durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen Durchschnittliche Wohnfl~che pro Bewohner Indikator aus Psychiater-/Neurologen-Rate und Psychotherapeuten-Rate BevSIkerungsentwicklung 1991-2001 Indikator aus Quoten der Arbeiter und der selbst~ndioen Land- und Forstwirte Anteil ausl~ndischer StaatsbQrger
0,52
2/4
Kollektives Bildungsniveau C)konomisches Niveau
1/1
5/2
-0,35 -0,34 -0,29 -0,29 0,17 0,17
Diversit~t
8/8
Landschaftliche Struktur
Anteil Waldfl~che
0,12
Wie zu ersehen ist, verfindert die Reduktion auf 8 Variable auch die einzelnen Regressionskoeffizienten gegenaber dem 10-Variablen-Modell gro6teils nur mehr unwesentlich; am deutlichsten ist die Reduktion der Bedeutung der Faktoren Erwerbsstruktur (Betrag nun 0,17 statt 0,24) und ,,demographische Entwicklung" (Betrag nun 0,29 statt 0,33) und die ErhOhung der Relevanz des Okonomischen Niveaus (Betrag nun 0,3 5 statt 0,3 1).
Insgesamt erweisen sich so - innerhalb des Untersuchungsrahmens - mehrere sozialstrukturelle Aspekte als zentrale Einflussfaktoren auf die bezirksweisen Suizidraten in Osterreich, namentlich das durchschnittliche Bildungsniveau der jeweiligen Region, die jeweilige Erwerbsstruktur, der Grad an Okonomischem Wohlstand breiter BevOlkerungsschichten (gemessen am Arbeitnehmereinkommen), iiberraschenderweise auch die Wohnstruktur im Sinne des durchschnittlich zur Verfitgung stehenden Wohnraums T M sowie der 383Der Model Summary in SPSS lautet: Model
R
R Square
4
,610
,372
AdjustedR Square ,317
Std. Error of the Estimate 3,6734
Die erste Spalte der Tabelle enthalt an erster Stelle die Rangziffern der Koeffizienten im Modell 4 (8 Variable), an zweiter Stelle zu Vergleichszweckenjene des Modells 3 (10 Variable). 385 Der einen aberraschend grogen Einfluss ausabende Faktor ,,Gr06e der durchschnittlichen Wohnflache" lasst sich sowohl 0konomisch als auch kulturell interpretieren: Man kann und/oder man will sich in manchen Regionen 384
3.2 M a k r o s o z i a l e A n a l y s e n z u r Suizidalitfit in 0 s t e r r e i c h u n d in d e r S t e i e r m a r k
2 15
jeweilige Anteil von Einwohnern nicht-Osterreichischer StaatsangehOrigkeit im Bezirk. 386 Auch der BevOlkerungsentwicklung kommt deutliche Relevanz zu - zwar wohl kaum in kausaler Weise als vielmehr als Indikator f~r Anderes, insbesondere wohl f~r die soziokulturelle Attraktivitdt der jeweiligen Region als Wohn- und Arbeitsraum, die ihrerseits natiirlich mit anderen sozioOkonomischen Parametern verbunden ist; von gewisser Bedeutung ist auch der Indikator ,, Waldfldche", wobei hier die Frage der Kausalitdt verschiedene AntwortmOglichkeiten zulasst. 387 Vor allem aber zeigt sich, dass das psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungsniveau (gemessen an der Rate der- niedergelassen, extramural und/oder stationdr tdtigen - Psychotherapeuten sowie der niedergelassenen Psychiater und Neurologen pro Bezirk) auch bei multivariater Analyse einen zentralen Einfluss auf die regionale Suizidrate aus~bt.t Fiir prdventive Zwecke kommt diesem Befund fraglos ganz eminente Bedeutung zu; ein verbessertes professionelles Betreuungs- und Behandlungsangebot fiir Hilfesuchende gerade in bislang schlecht versorgten Bezirken sollte also zu signifikanten Senkungen der Suizide f~hren kOnnen. Dies gilt fiir Osterreich insgesamt, und in besonderem Marie fiir die Steiermark, deren psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutisches Versorgungsniveau deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Selbstredend sollte aber auch der Zusammenhang der vorhin genannten, im engeren Sinn ,,sozialstrukturellen" Parameter mit der Suizidrate Anlass zum Nachdenken geben. Die multivariaten Auswertungen belegen klar, dass - innerhalb eines vergleichsweise homogenen gesellschafilichen Raumes wie Osterreich- in Regionen mit hOherem Wohlstand, mit stdrker tertidr orientierter Erwerbsstruktur, insbesondere aber mit hOherem kollektiven Bildungsniveau weniger Suizide pro Einwohnerzahl veriibt werden.t Relative Deprivation, geringerer Okonomischer Wohlstand einerseits sowie bduerlich-,,traditionell" und/oder proletarisch-industriell ausgerichtete ,,Subkulturen ''s88 andererseits steigern im Rahmen der Gegenwartsgesellschafi also die kollektive Suizidalitdt. Auch hOhere regionale Niveaus von Arbeitslosigkeit korrelieren mit h6heren Suizidraten, wenn auch diese Variable sich gegeniiber anderen Faktoren - wie den soeben genannten- als quantitativ weniger einflussreich darstellt. Eine grOflere Verbreitung hOherer Bildungsabschliisse senkt dagegen die Suizidhdufigkeit. Man kann also durchaus sagen." Bildung schiitzt vor Suizid," freilich ldsst sich dies vorldufig nur auf der kollektiven Ebene feststellen. Die genannten Zusammenhdnge auf makrosozialer Ebene sind insgesamt selbstverstdndlich noch hinsichtlich ihrer etwaigen Analoga auf mikrosozialer Ebene zu ergdnzen. Fiir sich genommen ldsst sich aus den hier prdsentierten Ergebnissen eben noch nicht schlieflen, dass etwa tatsdchlich ,, drmere" und ,, ungebildetere" Menschen hdufiger Suizid begehen wiirden. weniger materiellen Aufwand bei der Gestaltung des privaten Wohn- und Lebensumfeldes leisten, und dies steht offensichtlich in einem Zusammenhang mit einer gr0geren oder geringeren Suizid-Tendenz. 386 In dieser Variable darfte sich, neben dem Umstand, dass Immigranten aus zahlreichen far Osterreich ,,typischen" Einwanderungslandern niedrigere Suizidrisiken haben, auch eine Ntihe bzw. Ferne zu ,,urbanen" Lebensmustern abbilden, da Bezirke mit hohen ,,Ausl~nder"-Anteilen gew0hnlich eher st~idtisch gepr~gt sind. Analoges gilt far den - in den letzteren Modellen als weniger wichtig ausgeschiedenen, insgesamt aber sicherlich auch relevanten - Indikator ,,Anteil der Erwerbstatigen an der GesamtbevOlkerung". 387 Hierauf wurde welter oben schon eingegangen; einerseits steht ein hoher bzw. niedriger Waldanteil eines Bezirks bis zu einem gewissen Grad natiirlich auch far andere, soziokulturelle Faktoren; das ,,Beharren" als relevanter Faktor im multivariaten Modell verweist aber durchaus auf eine etwaige Relevanz der damit verbundenen Okologischen Aspekte selbst; die Variable ,,Waldanteil" kOnnte dabei, wenn man die geographischen Gegebenheiten in Osterreich beracksichtigt, zum Tell den Faktor des Ausmages an Sonneneinstrahlung mitrepr~sentieren. s88 Diese sind zweifellos beide als ,,moderne" Lebensweisen zu begreifen.
216
3 Ergebnisse der Studie
Vor der Darstellung der Ergebnisse des mikrosozialen Untersuchungsteils sei abschliej3end und zusammenfassend aber noch eine graphische Darstellung eines multivariaten Modells zur Erklgirung der Differenzen in den bezirksweisen, altersstandardisierten Suizidraten im Osterreich der Jahre 2001 bis 2004 wiedergegeben, wie es sich anhand der soeben prasentierten multivariaten Regressionsanalysen erstellen lasst. "389
Abbildung 26." Ein Modell der sozialen Einflasse auf die regionale Suizidrate in Osterreich im beginnenden 21. Jahrhundert
regionale 6kologische Faktoren
~- . . . . . . . . .
l
regionale kulturelle Prfigung
i
i
.I
stkur
Okonomisches r Ni..... [-" ~
Psychosozialpsychiatrischpsychotherapeutisches und medizinisches Versorgungsniveau
r
I Einfluss-
E1werbs-
I/
-
~ l
~
regionale
kollektives Binl::2:s-
sozio6konomische Desintegration
Suizidrate
Wohnstruktur
Ethnischkulturelle Diversit~it demograph. Entwickhmg
I..I
Altersstruktur
1weitere, teils unbekannte Faktoren
statistische Korrelation und anzunehmender kausaler Einfluss auf die Suizidrate statistische Korrelation mit der Suizidrate hohe, im Regressionsmodell feststellbare bivariate KoITelation (fiber 0,5) zwischen Einflussgr613enauf die Suizidrate untereinander weitere (nicht genau bestimmte) anzunehmende Einfltisse auf die Suizidrate
Entwurf und Ausf0hrung: Carlos Watzka. Betont sei hierzu ausdrt~cklich, dass dieses Modell lediglich als ein besonders angemessenes far den Untersuchungsgegenstand tier regional differierenden Suizidraten in Osterreich im beginnenden 21. Jahrhundert angesehen wird. Das Modell liege sich selbstverst~indlich noch erweitern und kann vor allem keineswegs von vornherein als ad~quat zur Untersuchung der Differenzen von Suizidraten in anderen Zusammenhangen angesehen werden; dies bedarfle vielmehr n~herer 0berprt~fung.
389
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
217
3.3. Mikrosoziale Analysen zu Umst~inden und U r s a c h e n letaler Suizidalit~it fiir das Bundesland Steiermark
Der nun folgende Abschnitt stellt jene Ergebnisse der Studie vor, welche anhand der Analyse yon Individualdaten zu den Suizidenten der Steiermark in den Jahren 1995 bis 2004 gewonnen wurden. Diese Informationen wurden aus drei verschiedenen Quellen erhoben, zum einen aus der amtlichen Todesursachenstatistik far Steiermark der Statistik Austria, zur Verfagung gestellt von der Steiermfirkischen Landesstatistik (Amt der Steiermfirkischen Landesregierung, Fachabteilung 1C), zum Zweiten aus Suizidfalle betreffenden Akten der SicherheitsbehOrden in der Steiermark (Polizei, Gendarmerie, Bezirkshauptmannschaften), zum Dritten schlie61ich aus Informationen der Sozialversicherungsanstalten. 39~ Die anhand dieser Daten festgestellten Merkmalsverteilungen wurden sodann, soweit dies die Informationslage erlaubt, den entsprechenden Verteilungen in der Grundgesamtheit der steirischen BevOlkerung gegenabergestellt, wobei als Referenzjahr gewOhnlich wegen der guten Datenlage, aufgrund der Volkszfihlung in diesem Jahr, 2001 herangezogen wurde. Auf diese Weise wurde es mOglich, nach vielen Aspekten epidemiologische Indikatoren - Relative Risiken - far bestimmte BevOlkerungsgruppen zu berechnen, entweder exakt, wenn die Daten far die GesamtbevOlkerung exakt vorliegen (z.B. Familienstand, StaatsangehOrigkeit) oder zumindest approximativ, wo entsprechende seriOse Schfitzungen vorhanden sind (z.B. Alkoholabhfingige). Dementsprechend werden im Folgenden zunfichst jeweils die erhobenen Daten far die Kategorie der Suizidenten prfisentiert, und dieselben sodann nach MOglichkeit den far die GesamtbevOlkerung ermittelbaren Werten gegent~berstellt. Die Ermittlung der ,,Relativen Risken" (RR) geht dabei generell wie folgt vonstatten: Es wird eine Tabelle gebildet, in welcher die Gesamtzahl der gegenaber einem bestimmten Faktor exponierten Personen innerhalb einer Gesamtheit (Sample bzw. Population)jenen gegenabergestellt wird, die diesem Faktor nicht ausgesetzt sind. Sodann wird far beide Teilkategorien ermittelt, bei wie vielen Personen die zu beobachtende negative Folge (hier Suizid) im Beobachtungszeitraum tatsfichlich eintrat. Hieraus lassen sich zunfichst die Inzidenzraten far beiden Kategorien, die ,,Exponierten" und die ,,Nicht-Exponierten", ermitteln. Das Relative Risiko wird sodann als Verhfiltnis der Inzidenz in der als besonders gefahrdet betrachteten Kategorie gegenaber der anderen berechnet. Far dieses Ma6 wird ablicherweise eine exakte Kenntnis der GrOf3e der beiden Teilkategorien am Anfang des Untersuchungszeitraums vorausgesetzt. TM In der vorliegenden Studie kann diesem Anspruch insoweit vOllig Rechnung getragen werden, als Berechungen far den enger umgrenzten Zeitraum 2001 bis 2004 far viele Merkmale auf sehr exakte Daten zur Verteilung in der GesamtbevOlkerung zurt~ckgreifen kOnnen, welche mit den Volkszfihlungsergebnissen vorliegen (z.B. Familienstand, Religionsbekenntnis, Art der Erwerbstfitigkeit). MOchte man dagegen den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 dahingehend betrachten, existieren gewOhnlich keine exakten Daten far den Beginn des Untersuchungszeitraums mit Januar 1995, sondem allenfalls Schfitzungen. Angesichts des Umstandes, dass die steirische Gesamtbev01kerung sich im Zeitraum von 1995 bis 2001 aber nur geringfagig verfinderte und auch die Verteilungen der derart untersuchten Merkmale als in diesem Zeitraum ziemlich stabil gelten k6nnen, sowie der Tatsache, dass sich die Anzahl der zu beobachtenden Suizidffille gegenaber der Gesamtpopulation als klein darstellt, und daher geringfagige Ver~nderungen far 391)N~heres hierzu wurde in Kapitel 2 dargelegt. 39~Vgi. hierzu: Gordis, Epidemiologie,S. 190.
218
3 Ergebnisse der Studie
die Ermittlung der Ma6zahl kaum ins Gewicht fallen, kann far die Ermittlung eines ,,approximativen Relativen Risikos" auch die jeweilige Merkmalsverteilung in der Grundgesamtheit gema6 Volkszahlung 2001 herangezogen werden. Dies sei hier an einem Beispiel demonstriert, far welches sowohl far 1995 als auch far 2001 Daten vorliegen, namlich die Geschlechterverteilung:392 Tabelle 138:
Berechnung des Relativen Risikos far Manner und Frauen mit zeitlich unterschiedlichen Referenzpopulationen - A: BevNkerung d. Jahres 1995393
Faktor
ES
exp: M~nner
2.203
nexp Frauen Gesamt
Tabelle 139.
RB
GB
IR
RR
584.253
586.456
376
3,21
726
619.135
619.861
117
2.929
1.203.388
1.206.317
243
Berechnung des Relativen Risikos far Manner und Frauen mit zeitlich unterschiedlichen Referenzpopulationen - B" BevNkerung gemag VZ 2001
Faktor
ES
RB
GB
IR
RR
exp M&nner
2.203
572.229
574.432
384
3,22
nexp: Frauen
726
608.145
608.871
119
--
Gesamt
2.929
1.180.374
1.183.303
248
--
Wie aus der Gegentiberstellung ersichtlich ist, unterscheiden sich die ermittelten Relativen Risken - die in diesem Fall na~rlich in den Werten den ,,Genderratios" ahneln - j e nach Berechnungsart nur marginal. Als Annaherung an die tatsachlichen Werte erscheint es demgema6 auch far andere Variable, deren relativ hohe Konstanz in der steirischen Gesamtpopulation fiber einen Zeitraum von einigen Jahren angenommen werden kann, berechtigt, die Daten der Volkszahlung 2001 far eine approximative Berechnung des Relativen Risikos auch far den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 heranzuziehen. TM Die weiteren Er0rterungen in diesem Abschnitt folgen der in Kapitel 2 vorgestellten Reihenfolge, sodass zunachst einige basale Parameter der raumzeitlichen Verteilung der Suizide er0rtert werden, dann allgemeinere, demographische Variable, danach spezifischere Aspekte der Lebensumstande, schlieglich Umstande der Suizidhandlung selbst. 392 Daten gemfi6Volksz~hlung 2001 bzw. Bev01kerungsfortschreibungfar 1995. 393 ,,exp" steht in der Tabelle far ,,exponiert", also die ,,Risikogruppe", nexp far den nicht-exponierten BevOlkerungsteil, ES far: Eintritt Suizid, RB far ,,restliche Bev01kerung", GB far ,,Gesamtbev01kerung, IR far ,,Inzidenzrate", RR far die Magzahl ,,Relatives Risiko". Die Inzidenzraten beziehen sich hier auf den Gesamtzeitraum von l0 Jahren sowie 100.000 Einwohner, und werden durch Division der jeweils eingetretenen Suizidf~lle durch die Gesamtzahl der jeweiligen Teilpopulationen der exponierten und nicht-exponierten Bev01kerungsgruppen ermittelt. Die einfache Division der beiden sich gegen•berstehenden Inzidenzraten ergibt sodann das -je nach Datenlage exakte oder approximative - Relative Risiko. 3,)4 Dass welters die Volksz~hlungsergebnissesich auf den Mai 2001, und nicht den Jahresanfang, beziehen, erscheint angesichts der auseinander gesetzten Umstande in seinen Auswirkungen auf die Ergebnisberechnungenfiir die hier angestellten Untersuchungen quantitativ v011igvernachl~ssigbar.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
219
3.3.1 Zeitpunkte der Suizide Obwohl im Vordergrund der vorliegenden Untersuchung nicht eine Analyse zeitlicher Schwankungen in der Suizidalit~.t steht, wurden dennoch Jahr, Monat und Tag des Suizids erhoben. So lfisst sich eine ,,Trendanalyse" ft~r den Untersuchungszeitraum durchNhren, der saisonale Aspekt von Suizidalitfit beleuchten und schlieglich auch der Frage nach etwaiger H~ufung von Suiziden an bestimmten Feiertagen nachgehen. Die Frage nach der Verfinderung der Hfiufigkeit der Suizide im zeitlichen Ablauf wurde in Abschnitt 3.1. bereits ausft~hrlich erOrtert; mehr Wert als auf die Interpretation in den Schwankungen der Suizidzahlen einzelner Jahre wurde dabei auf die Ermittlung eines lfingerfristigen Trends gelegt. Sowohl eine Trendanalyse im engeren Sinn als auch eine Gegent~berstellung der beiden Fant]ahres-Periode 1995-1999 sowie 2000-2004 brachten dabei das klare Ergebnis, dass die letale Suizidalitfit in der Steiermark im Untersuchungszeitraum ~ckgfingig war, sowohl nach absoluten Zahlen als auch in Bezug zur steirischen GesamtbevOlkerung. W~hrend in den Jahren 1995 bis 1999 gem~B Aktenanalyse insgesamt 1525 Suizide im Bundesland zu verzeichnen waren, durchschnittlich pro Jahr also 305, waren es in den Jahren 2000 bis 2004 zusammen ,,nur" 1404, im Durchschnitt etwa 280 pro Jahr. Ob der Trend abnehmender Suizidzahlen ein l~ngerfristiger ist, wird sich freilich erst weisen, und h~.ngt, neben anderen Faktoren, fraglos nicht zuletzt auch vom kt~nftigen Grad der Durchfahrung gesundheits- und sozialpolitischer MaBnahmen zur Suizidpr~.vention ab. 121ber eine etwaige Saisonalit~t der Suizidhandlungen kann eine Klassifikation der Todesfalle nach Sterbemonaten Auskunft geben:
Tabelle 140: Absolute Hfiufigkeiten und prozentuale Anteile nach Sterbemonaten 395 Sterbemonat
H
%
Sterbemonat
H
%
Januar
242
8,3
Juli
271
9,3
Februa r
214
7,3
August
257
8,8
M&rz
265
9,1
September
223
7,6
April
265
9,1
Oktober
257
8,8
Mai
279
9,5
November
208
7,1
Juni
252
8,6
Dezember
194
6,6
Gesamt
2927
100,0
Die H~ufigkeitsauswertung zum jeweiligen Monat, in welchem der Suizid stattfand, zeigt tiber den Gesamtzeitraum von 1995 bis 2004 berechnet (siehe obige Tabelle) eine gewisse Ungleichverteilung, die in etwa dem in den meisten europ~.ischen Staaten prfivalierenden Muster entspricht: 396 Es zeigt sich ein gewisser Gipfel in der letalen Suizidalitfit im Frahling, wo anstelle des durchschnittlich erwartbaren Anteils der Suizide pro Monat (8,3) AnAngaben zu den Sterbedaten nach Todesursachenstatistik bzw. subsidiar nach Aktenanalyse. Far zwei der insgesamt 2929 Suizidf~.lle,die nicht in der Todesursachenstatistik enthalten waren, war kein exaktes Sterbedatum festgelegt. Hinsichtlich der in den folgenden Tabellen verwendeten Abkarzungen sei wiederum auf das Verzeichnis derselben im Anhang verwiesen. 396Vgl. etwa: Cantor, Suicide in the Western World, S. 24. 395
220
3 Ergebnisse der Studie
teilswerte von aber 9 zu verzeichnen sind. Auch die Anteile far die Monate Juli und August sowie Oktober erscheinen aber erhOht, wfihrend im September sowie in der gesamten kfilteren Jahreszeit von November bis einschliel31ich Februar vergleichsweise weniger Selbstt0tungen vorliefen. Beracksichtigt man die unterschiedlichen Monatslfingen - was besonders far die Februardaten relevant ist-, ergibt sich eine noch etwas geringere Schwankung in den. Hfiufigkeiten, die erwfihnten saisonalen Differenzen bleiben aber bestehen.
Tabelle 141." Standardisierte Anteile der Suizidfalle nach Monaten 397
Sterbemonat
%
Sterbemonat
%
Januar
8,1
Juli
9,1
Februar
7,9
August
8,6
M&rz
8,9
September
7,7
April
9,2
Oktober
8,6
Mai
9,3
November
7,2
Juni
8,7
Dezember
6,5
Gesamt
99,8
Abbildung 27." Suizide in der Steiermark 1995 bis 2004 nach monatlicher Verteilung (%)
10 / 8
7
w
~
6
i
5
. Jan
. Feb
. Mar
. . . . Apr Mai Jun
. Jul
. . . Aug Sep
I --A--- Anteile - - I - Anteile standardisiert
i Okt
Nov
Dez
Mittelwert I
Die Ursachen dieser doch relativen deutlichen, wenngleich nicht gerade eklatanten Ungleichverteilung, die wie erwfihnt in fihnlicher Form in vielen europfiischen L~ndern auftritt, sind noch nicht ausreichend erforscht; sowohl soziale als auch Okologische Faktoren werden ins Treffen gefahrt (siehe hierzu Kapitel 1). Auch eine Auswertung betreffend der etwaigen Hfiufung von Suiziden an bestimmten, kulturell in Osterreich mit besonderen Bedeutungen aufgeladenen Feiertagen wurde durchDie ursprtinglichen Anteilswerte wurden hierft~r auf ,,Normmonate" zu 30 Tagen umgerechnet, sodann die dadurch verbleibende Differenz der prozentualen Werte auf 100 % auf alle Monate aufgeteilt.
397
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
221
geFt~hrt, und zwar flir die folgenden, immer wieder - besonders in den Medien - als ,,suizidgefahrlich" genannten Feiertage: Faschingsende (Faschingsdienstag und Aschermittwoch), Ostern (Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag), Allerheiligen und Allerseelen, Weihnachten (Weihnachtstag, Christtag, Stefanitag), Jahresende (Silvester und Neujahr). 398 Far die genannten Feiertagsgruppen wurden, schon wegen der gr0Beren Reprfisentativitfit, gemeinsame Hfiufigkeitswerte ermittelt. Hierbei ergab sich, dass yon den 2927 hinsichtlich des Todesdatums zuordenbaren Suizidfallen der Jahre 1995 bis 2004 73 (2,5 %) an einem der genannten Feiertage vorfielen, 2854 (97,5 %) dagegen an anderen, ,,gew6hnlichen" Tagen. Die Suizide an Feiertagen stellen demnach nur einen sehr kleinen Anteil an der Gesamtsumme; der Frage, ob es eine t~berzufNlige H~ufung von Suiziden an den erwfihnten Tagen gab, war freilich gesondert mittels Wahrscheinlichkeitsrechnung nachzugehen: Die Summe von 2927 Suiziden im Gesamtzeitraum von Anfang 1995 bis Ende 2004 bedeutet rechnerisch ziemlich exakt ,,0,8 Suizide" pro einzelnem Tag, 399 far jeden wiederkehrenden Tag im Jahreslauf tiber der Gesamtzeit der 10 Jahre ergibt sich also eine erwartbare Hfiufigkeit von 8 Suiziden. Tabelle 142:
Tatsfichliche und erwartbare H~ufigkeiten von Suiziden an Feiertagen
Kategorie Zeitspanne/Jahr Faschingdienstag u. Aschermittwoch 2 Tage Ostern (Karfreitag bis Ostersonntag) 3 Tage Allerheiligen und Allerseelen 2 Tage Weihnachten (24.12.-25.12.) 3 Tage Silvester und Neujahr 2 Tage Zusammen 12 Tage andere Tage 353 Tage Summe 365 Tage
H (Suizide) 21 14 19 9 10 73 2854 2927
E (Suizide) 16 24 16 24 16 96 2831 2927
Wie aus Tabelle 143 zu entnehmen ist, fallt das Ergebnis der entsprechenden Auswertung je nach betrachteter Feiertagsgruppe unterschiedlich aus: Eindeutig unterdurchschnittlich hfiufig waren in der Steiermark im 10-jfihrigen Untersuchungszeitraum Suizide zu Ostern (58 % der erwartbaren Hfiufigkeit), zum Jahreswechsel (63 %), besonders aber zu Weihnachten (38 %). Der Eindruck, an diesen emotional besonders aufgeladenen Festtagen bestehe eine erhOhte Suizidgefahr, ist demnach offensichtlich unzutreffend. 4~176 Sein Zustandekommen ist relativ leicht erklfirbar, denn es finden ja sehr wohl Suizide auch an diesen Tagen statt, die sodann in der Offentlichen Wahrnehmung leicht als besonders tragisch erscheinen. Tatsfichlich gilt aber, dass- wenn auch insbesondere Weihnachten fraglos yon vielen Menschen als eine Zeit besonderer Belastung erlebt wird - die Umsetzung des radiDie Auswertung verlieB sich dabei nicht auf entsprechende Mitteilungen in den Akten o.~., sondern es wurden s~,mtliche Sterbedaten mit den jeweiligen Feiertagsdaten computergestt~tzt abgeglichen, wobei die Daten der beweglichen Feiertage (Fasching und Ostern) far den Untersuchungszeitraum mittels des Programms UNIKAL ermittelt wurden. 399 Die Summe yon 2927 dividiert durch die Anzahl yon insgesamt 3653 Tagen ergibt einen Wert von 0,8013. 400Ein gleichsinniges Ergebnis berichteten far Vorarlberg, Tirol und Wien bei jeweils 15-j~riger Beobachtungsdauer: Haller/Lingg, Vorarlberger Suizidstudie, S. 47f. 398
222
3 Ergebnisse der Studie
kalsten und endgtiltigen Schrittes des Ausscheidens aus zwischenmenschlichen Beziehungen durch Selbstt0tung an diesen Feiertagen eher selten vollzogen wird. Anders stellt sich die Situation zu Allerheiligen und Allerseelen sowie zu Faschingsende dar; in beiden Fallen ist hier ftir die Steiermark eine gewisse Abweichung der Suizidzahlen von der statistisch erwartbaren Haufigkeit nach oben hin festzustellen, die im ersteren Fall mit 19 %, im zweiteren mit 3 1 % zu beziffern ist. Freilich - und dies gilt auch ~ r die vorhin erwahnten Abweichungen nach unten - sind die Fallzahlen von Suiziden an diesen bestimmten Tagen insgesamt relativ gering, sodass Zufallskomponenten eine relativ groBe Rolle spielen k0nnten. Immerhin erscheinen die Abweichungen nach unten zu Weihnachten und Ostern jedenfalls zu groB, um inhaltlich bedeutungslos zu sein (15 bzw. 10 Suizidfalle weniger, als bei Gleichverteilung anzunehmen ware). Ob man das Vorliegen von 21 statt 16 anzunehmenden Suizidf~illen zu Faschingsende dagegen bereits als bedeutungsvolle Differenz interpretieren sollte, ist nicht eindeutig entscheidbar. Auffiillig ist aber, dass die gr0Bere der beiden konstatierten Abweichungen nach oben hin jene Feiertagsgruppe betrifft, ft~r die als einzige auch von Haller und Lingg in der ,,Vorarlberger Suizidstudie" explizit eine Haufung von Suizidf'~illen konstatiert wurde. 4~
3.3.2 Regionale Verteilung der Suizide Auch zu diesem fundamentalen Aspekt wurden, wie zur Entwicklung im Zeitablauf, aus~hrliche Ert~rterungen bereits in Abschnitt 3.1. vorgenommen, auf welche an dieser Stelle verwiesen sei. Die erwfihnten Ausftihrungen bezogen sich auf das Kriterium des ,,Wohnbezirks", also desjenigen politischen Bezirks, in welchem der Suizident vor seinem Tod wohnhaft (und, im Normalfall, polizeilich gemeldet) war. Sowohl Todesursachenstatistik als auch nattirlich die Akten der Sicherheitsbeh0rden verzeichnen dartiber hinausgehend aber den Ort, an welchem die Suizidhandlung jeweils stattgefunden hat. Die aus diesen Angaben ableitbaren Informationen tiber die jeweiligen ,,Ereignisbezirke" k0nnen durchaus auch von inhaltlichem Interesse sein, insbesondere bei Kontrastierung mit den ~ r die Wohnbezirke ermittelten Haufigkeiten, wodurch etwaige Phanomene eines innersteirischen ,,Suizidtourismus" sichtbar werden sollten, falls ein solcher existiert. Wie aus Tabelle 144 zu ersehen ist, stimmen die Anzahlen der Suizide nach Wohn- und nach Ereignisbezirken weitgehend, aber nicht v/311ig tiberein. Das ist ein Indiz da~r, dass die meisten t0dlichen Suizidhandlungen innerhalb des eigenen Wohnbezirks gesetzt wurden. Eine exakte Analyse hierzu liefert eine Kreuztabelle, in welcher die jeweiligen Merkmalskombinationen einander gegentibergestellt werden (siehe Tabelle 145). In der Diagonale der Kreuztabelle von links oben nach rechts unten befinden sich die aussagekraftigsten Werte, die jeweils die Obereinstimmung von Wohn- und Ereignisbezirk des Suizids bezeichnen; es sind durchgangig prozentuale Anteile von mehr als 80 %, meist aber bei 90 % festzustellen. Die tiberwiegende Mehrzahl der Suizide fand demnach in der jeweiligen Wohnregion statt. Etwas geringer ausgepragt erscheint dieses Muster rechnerisch ~ r die Bezirke Graz und Graz-Umgebung; die enge geographische und soziale Verzahnung dieser beiden Bezirke drtickt sich auch in einem relativ hohen Anteil von Suizidenten aus (ca. 10 % bzw. ca. 8 %), die im jeweils anderen Bezirk ihrem Leben ein Ende setzten. Weiters ist an den Ergebnissen der Kreuztabellierung auffiillig, dass von den suizidalen Einwohnern 40~Vgl. Haller/Lingg,Vorarlberger Suizidstudie, S. 47s
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark aller Bezirke ein gewisser Anteil die Tat fast alle Bezirke auch hinsichtlich von dass die h0here Dichte an medizinischen ierung der Landesnervenklinik Sigmund dazu weiter unten Nfiheres).
223
in der Landeshauptstadt umsetzte, dasselbe gilt far Graz-Umgebung. Es kann angenommen werden, Versorgungseinrichtungen, insbesondere die SituFreud in Graz, hierflir ausschlaggebend ist (siehe
Tabelle 143." Suizidfdlle und Suizidraten nach Wohn- und Ereignisbezirken 1995-20044o2
Wohnbezirk
Ereignisbezirk
H PA
% PA
SR PA
HPA
% PA
SR PA
Diff. H
Diff. %
G
569
19,4
25,1
589
20,1
26,0
20
07
BM
160
5,5
24,6
155
5,3
23,8
-5
-0,2
DL
157
5,4
25,5
148
5,1
24,1
-9
-0,3
FB
156
5,3
23,2
154
5,3
22,9
-2
FF
!
48
1,6
20,9
47
1,6
20,4
I
0,0 i
i
-1
1
15
0,6
-11
-0,4
/
0,0
GU
268
[
9,1
20,4
283
9,7
21,6
HB
164
!
5,6
24,2
153
5,2
22,6
JU
120
4,1
24,9
115
3,9
23,9
KF
74
2,5
24,9
69
2,4 .
23,3
-5
-0,1
LB
178
6,1
23,6
169
5,8
22,4
-9
-0,3
LE
199
6,8
29,4
195
6,7
28,8
-4
-0,1
LI
221
7,5
26,9
203
6,9
24,7
-18
-0,6
MZ
135
4,6
31,4
122
4,2
28,4
-13
F -0,4
MU
99
3,4
31,5
86
2,9
27,3
-13
-0,5
RA
59
2,0
24,5
57
1,9
23,7
-2
-0,1
VO
121
4,1
22,6
117
4,0
21,8
-4
'0,1
WZ
195
6,7
22,7
175
6,0
20,3
-20
-0,7
k.A.
6
0,2
2.929
100,0
-5
i
-0,2
---
nicht ST ST ges.
i
'
24,8
92
3,1
2929
100,0
24,8
Gema6 Aktenanalyse; Berechnungsgrundlage for die Suizidraten ist die Bev01kerung laut Volkszahlung 2001. Personen mit Wohnsitz auBerhalb der Steiermark wurden definitionsgem~,6 aus dem Sample ausgeschlossen, nicht abet Steirer, welche in anderen Bundeslandern Suizid begingen (siehe Kapitei 2).
402
3 Ergebnisse der Studie
224
Wohnbezirk der Suizidenten und Ereignisbezirk der Suizide in der Steiermark 1995-2004 - Kreuztabellierung 4~
Tabelle 144.
G G BM % 9D L %
' ......
''
I
FB % FF
I
%
'
GU % HB %
r
DL
483 2 : 84,91 1 , 3 , ' 3 i143' ,5 8 9 , 4 4 1 ' ,7 i ,6
%
'
BM
FB
8 3 ' 5,1 ,' 1 , 9 , ' ' 140 '89,2'
GU
150 96,2
HB
I
I
1
I
1 1 2 1' I ,4 I I 44 i ,
'
'
,6
'
'91,71
43 1 3 ,7,6 ,6 1,9 I I 1 1 I I ,6 I I ,6
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5 6 9 ' 1 6 0 1 ~157 ~i 1 5 6 ~100'10011001100
48 i' 2 6 8 100 100
I
I
I
1
~
, ,6 , I 10 J 4
I
I
I
'
' i
'
,
i 4
,
1
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I 68 2,3 168 I ~5,7
~
I
~
,
~
~6,6~
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ii
~
6,9 122 , ,5 ~ 4 , 2 , , ~86
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I
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84
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1
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I
I
1
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I
194
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I
~
88,9~ ~
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I
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i MU
,
,5
158 ' I 88,8
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1
I
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,
1 5
,
~84,81
1
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' 99 164 ' 1 2' 0 ~ 74 ' 1 7 8 1 '1 9 9 1 2 ~2 1 1 1 3J5 , 100'100'100'100,100 100 100 100
59 1J 1 2 1 1 1 9 5 1 2 9 2 3 100 100 1 0 0 ] 100
Dementsprechend sind die Bezirke Graz und Graz-Umgebung auch die einzigen, die steiermarkweit beim Vergleich der Suizidh~ufigkeiten je nach Zfihlung nach Wohn- oder Ereignisbezirken eine ,,positive" Bilanz aufweisen (siehe die beiden letzten Spalten in Tabelle 144), w~ihrend far alle anderen Bezirke ein zumindest geringftigig negatives Ergebnis ablesbar ist.
,403Wohnbezirk in den Spalten, Ereignisbezirk in den Zeilen. Die zweite Zeile far jeden Bezirk enthalt die spaltenweise, d.h. pro Wohnbezirk, berechneten prozentualen Anteile.
I
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
225
3.3.3 Mikroregionale Verteilung der Suizide Neben den Analysen im Hinblick auf bezirksweite Verteilungen erlauben die vorhandenen Daten natarlich auch Auswertungen auf Gemeindeebene; allerdings war diesbezfiglich auf die Wahrung der Anonymit~t der Betroffenen besondere Racksicht zu nehmen. Komplexe, mehrere Kriterien erfassende Untersuchungen auf Gemeindeebene hfitten aber ohnehin wenig Sinn, da die zu ermittelnden Fallzahlen dann zu gering wfiren, um noch allgemeine Aussagekraft beanspruchen zu kOnnen. Daher wurde nur summarisch untersucht, welche Gemeinden von Suizidfallen besonders stark bzw. besonders wenig betroffen waren, und im Weiteren eine Klassifikation far Analysen nach WohngemeindegrOBe durchgeft~hrt. Die Summen der Suizidfalle sind dabei gerade bei kleinen Gemeinden auch bei mehrjfihrigen Untersuchungsrfiumen nur sehr bedingt aussagekrfiftig, wie folgendes Beispiel real gegebener Zahlenverhfiltnisse verdeutlichen soll: Eine sehr kleine steirische Gemeinde mit nur etwa 300 Einwohnern ist im Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 von keinem einzigen Suizid betroffen; die zu ermittelnde Suizidrate betrfigt demnach 0. In einer anderen Gemeinde derselben GrO6e fiel dagegen ein Suizid in diesen 10 Jahren vor, die Suizidrate pro 100.000 Einwohner und Jahr betrfigt damit 33! Eine weitere Gemeinde mit ebenfalls nur etwa 300 Einwohnern hat dagegen zwei Suizide im Zeitraum von 1995 bis 2004 zu verzeichnen, die Suizidrate betrfigt damit ca. 66, erscheint also eklatant hoch. Ob man aber das Auftreten eines einzelnen oder auch zweier Suizidfalle in einer bestimmten Gemeinde mit spezifischen regionalen Verhfiltnissen in Verbindung bringen kann, erscheint hOchst fraglich. Umgekehrt muss auch das Nicht-Auftreten eines Suizidfalls in einer kleineren Gemeinde aber den Zeitraum von 10 Jahren noch nicht eine 0kologisch und/oder sozial besonders beganstigte Situation bedeuten, geben im Einzelfall doch stets persOnliche Lebensbedingungen den Ausschlag dafter, ob jemand Suizid begeht oder nicht. 4~ Beachtenswert erscheint es aber, wenn Gemeinden (etwas) grOf3erer Einwohnerzahl fiber den Untersuchungszeitraum von 10 Jahren hinweg sehr wenige oder sehr viele Suizide zu verzeichnen batten. Gemfi6 dem Steiermark-Durchschnitt der rohen Suizidrate (nach Aktenanalyse) von knapp 25 auf 100.000 pro Jahr sollte etwa eine Gemeinde mit ca. 2400 Einwohnern bei durchschnittlicher Hfiufigkeit eine Anzahl yon 6 Suiziden im Zeitraum der gesamten 10 Jahre aufweisen; liegt nun in diesem Fall die tatsfichliche Zahl der Suizide bei 10 oder mehr, oder wfiren umgekehrt ,,nur" ein oder zwei Suizide zu verzeichnen, so erschiene das Vorliegen bestimmter besonders ganstiger oder unganstiger mikroregionaler Faktoren neben den nur individuell zurechenbaren Ursachen der SelbsttOtungen durchaus plausibel. Bei steirischen Kleingemeinden mit etwa 1000 Einwohnem ist entsprechend dem Gesagten mit einer durchschnittlichen Suizidhfiufigkeit von 2 oder 3 Personen innerhalb der betrachteten 10 Jahre zu rechnen; haben nun derart kleine Gemeinden wesentlich h0here Suizidzahlen, so erscheint auch dies inhaltlich aussagekrfiftig. Tatsfichlich finden sich zwei Gemeinden mit jeweils nur knapp 700 Einwohnern, die beide im Untersuchungszeitraum 6 Suizide aufwiesen, und damit Suizidraten von fast 100 pro Jahr. Insgesamt liel3 sich f~r 71 der 544 steirischen Gemeinden feststellen, dass im Untersuchungszeitraum kein einziger Bewohner derselben Suizid begangen hatte; dabei handelt es sich in 60 F~illen um Kleingemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern, in 10 F~illenum Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 1000 und 1500 und in einem Fall um eine Gemeinde mit etwa 1600 Einwohnern. Umgekehrtergaben sich far insgesamt 42 steirische Gemeinden Suizidraten von 50,0 und mehr pro Jahr im Zeitraum 1995 bis 2004, wobei im Extremfall Raten yon bis zu fast 100 (!) erreicht wurden. In 24 F~illen, also etwas mehr als der HWfte, mt~ssendiese Abweichungen nach oben hin als inhaltlich signifikant betrachtet werden.
404
226
3 Ergebnisse der Studie
Zieht man lediglich (vergleichsweise) grOBere Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern in Betracht, so finden sich sechs Kommunen mit ,,nur" ein oder zwei Suizidfallen und dementsprechend Suizidraten von unter 10,0, eine weitere Gemeinde mit t~ber 5.000 Einwohnern erreicht ebenfalls (bei drei Suizidfallen) diese niedrigste Kategorie von Suizidraten (Vergleichsweise ebenso noch niedrige Suizidraten zwischen 10,0 und 14,9 weisen 12 Gemeinden mit zumindest 2000 Einwohnern auf). In der Kategorie der Gemeinden mit extrem hohen Suizidraten von mindestens 50,0 (also mehr als dem Doppelten des steirischen Durchschnitts) finden sich zwei Gemeinden. Far sechs weitere, etwas gr0Bere Gemeinden ergeben sich Suizidraten zwischen 40,0 und 49,9, und 22 solcher Gemeinden weisen Suizidraten zwischen 30,0 und 39,9 auf, also ebenfalls deutliche erhOhte Raten. 4~ Aufschlussreiche Untersuchungen lassen sich aber vor allem auch anstellen, wenn nicht die Suizidraten einzelner Gemeinden in Betracht gezogen werden, sondern solche von Gemeinden fihnlicher GrOBe. In diesem Zusammenhang wurde, konsistent mit den Hypothesen zur Verteilung des Suizidrisikos nach Berufsgruppen und Bildungsniveau, eine Ungleichverteilung angenommen, und zwar wurde ausgegangen von einem relativ hOheren Suizidrisiko far sehr kleine Kommunen (wegen der starken Bedeutung lfindlich-bfiuerlicher kultureller Muster) sowie (u.a. wegen des stfirkeren Einflusses einer ,,industriellen Subkulmr") far mittelgroBe Stfidte. Dagegen wurde far Kommunen mittlerer, ft~r die Steiermark typischer GrOBe und Graz eine niedrigere Suizidhfiufigkeit angenommen. Die Kategorienbildung betreffend der GemeindegrOBen wurde dabei jener der Statistik Austria angepasst, um Vergleiche mit den Einwohnerdaten tar die steirische GesamtbevNkerung zu ermOglichen. Die gefundenen Ergebnisse sind im Detail Tabelle 146 (umseitig) zu entnehmen. Die Hypothesen zu dieser Variable werden zu einem betrfichtlichen Teil, aber nicht vollst~ndig bestfitigt; Bewohner sehr kleiner Gemeinden (unter 1000 Einwohner) haben tatsfichlich ein - wenn auch nicht stark - erh6htes Suizidrisiko gegent~ber anderen Steirern (SR 25,7 versus 24,7 im Gesamtdurchschnitt); die geringsten Suizidraten lassen sich erwartungsgemfiB far die Bewohner etwas grOBerer, aber immer noch als l~ndlich bis ,,kleinstfidtisch" zu qualifizierender Gemeinden ermitteln (Einwohnerzahlen t~ber 1000, aber unter 5000); aberraschenderweise ist aber die Suizidrate in der GrOBenkategorie der Kommunen mit 20- bis 25.000 Einwohnern noch geringer; zu bedenken ist diesbezaglich aber, dass es sich hier nur um eine Gemeinde handelt, n~mlich Kapfenberg, wo offensichtlich trotz des stark industriellen Charakters andere, derzeit nicht n~her bekannte Bedingungen ganstig auf die psychosoziale Situation der Bewohner wirken. Demgegenaber zeigen sich, wie erwartet, flir die anderen steirische Stfidte mittlerer GrOBe (aber 10.000 Einwohner) erht~hte Suizidraten, am deutlichen in der Kategorie zwischen 25- und 30.000 Einwohnem, die allerdings auch nur eine Gemeinde, n~mlich die Stadt Leoben umfasst. Geringf'tigig fiber dem Landesdurchschnitt liegt die Suizidrate far die letzte GrOBenkategorie, die die Stadt Graz umfasst (siehe dazu auch bereits weiter oben); dies gilt ebenso far die Kategorie ,,mittelgroBer" Gemeinden mit 5.000 bis 10.000 Einwohnern.
405In einer nur zur behOrdlichen Verwendungbestimmten Beilage zur Suizidstudie wurden diese mikroregionalen Differenzen im Einzelnen angefOhrt, um gegebenenfalls Ansatzpunkte far spezifische SuizidpraventionsmaBnahmen zu bieten.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark Tabelle 145:
227
Verteilung der Grtif3e der Wohnorte der Suizidenten (1995-2004) 406
Einwohnerzahl
Anzahl Gemeinden
H
%
SR
ap. RR
bis 1000
187
274
9,4
25,7
1,04
1001-2000
221
745
25,5
23,9
0,96
2001-5000
106
706
24,2
24,1
0,97
5001-10.000
21
351
12,0
25,0
1,02
10.001-15.000
5
151
5,2
26,5
1,08
15.001-20.000
0
entfNIt (keine Kommunen dieser GrSl~e)
20.001-25.000
1
48
1,6
21,6
0,87
25.001-30.000
1
79
2,7
30,6
1,25
30.000-200.000
0
entfNIt (keine Kommunen dieser GrSl~e)
200.000-300.000
1
569
19,5
25,1
1,02
Total
543
2923
100,0
24,7
-
Die spezifischen Suizidrisiken je nach GrN3e des Wohnorts stellen sich so insgesamt, wie aus der Tabelle zu ersehen, far fast alle Kategorien als nicht allzu stark voneinander abweichend dar. Nach diesen Er0rterungen zu allgemein-demographischen Merkmalen der Suizidenten und den Unterschieden, die sich in der Verteilung derselben gegenaber jenen in der GesamtbevNkerung feststellen lassen, werden im Folgenden die spezifischer mit dem Phanomen ,,Suizid" zusammenh~ingenden Variablen er6rtert, jene also, die im engeren Sinn als ,,Bedingungen" oder ,,Ursachen" der Suizidhandlungen angesehen werden kOnnen.
3.3.4
Die Geschlechterverteilung der Suizidenten
Auf diesen Aspekt wurde wegen seiner grundlegenden Bedeutung bereits im ersten Abschnitt dieses Kapitels ausfahrlich eingegangen, sodass hier auf die entsprechenden Ausftihrungen verwiesen werden kann. Auch die bezirksspezifischen Unterschiede in den GeschlechterverhNtnissen der Suizidenten nach den Zahlen gemfi6 Aktenanalyse werden dort dargelegt. Die im Weiteren zusfitzlich zum Indikator der Genderratio vorgenommene Berechnung des geschlechtsspezifischen Relativen Risikos ergab ~ r die Steiermark insgesamt einen Wert von 3,2. Das Risiko, an Suizid zu versterben, war im Untersuchungszeitraum fiir mannliche Steirer also iiber dreimal so hoch wie fiir Steirerinnen. Die Geschlechterverteilung der Suizidenten blieb dabei im zeitlichen Verlauf relativ stabil und schwankte zwischen 79:21 (1996) und 72:28 (2002), bei einem Durchschnitt von 75:25 far den gesamten Untersuchungszeitraum. 2923 von insgesamt 2929 Suizidfallen waren klassifizierbar. Die angegebenen approximativen Relativen Risiken beziehen sich wiederum auf die Bev01kerungsverteilung nach Gemeindegr06en bei der VZ 2001 und steilen die Risiken der jeweiligen Einwohnerder betreffenden Gemeinden gegenaber der restlichen steirischen Bev01kerung dar.
406
228
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 146." Verteilung der Suizidenten nach Jahr und Geschlecht (1995-2004)
Sterbejahr 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Summe
M~nner
Frauen
Summe
248
79
327
75,8%
24,2%
100%
255
67
322
79,2%
20,8%
100%
219
83
302
72,5%
27,5%
100%
221
69
290
76,2%
23,8%
100%
208
76
284
73 2%
26,8%
100%
216
78
294
73,5%
26,5%
100%
191
59
250
76,4%
23,6%
100%
210
80
290
72 4%
27,6%
100%
236
66
302
78 1%
21 9%
100%
199
69
268
74 3%
25,7%
100%
2203
726
2929
75 2%
24,8%
100,0%
Eine genauere Betrachtung mittels graphischer Darstellung und Trendanalyse zeigt aber dennoch etwas unterschiedliche Muster far beide Geschlechter: Wfihrend die Suizide von Mfinnern in der Steiermark im Verlauf der untersuchten 10 Jahre tendenziell doch etwas abnahmen - und, da Mfinner drei Viertel aller Suizidenten stellen, auch den leicht rt~cklfiufigen Verlauf der Gesamtanzahl der Suizide bestimmte -, zeigt sich far Frauen ein differentes, im Vergleich nachteiliges Muster: Die Suizide von Frauen nehmen nfimlich im Zeitverlauf nicht signifikant ab; der lineare Trend zeigt vielmehr einegleich bleibende Tendenz. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, w~ren Frauen in der Steiermark im Vergleich zu Mfinnern nicht mehr derart weniger gef'ahrdet, wie dies im Untersuchungszeitraum der Fall ist, in dem steiermarkweit far weibliche Personen ,,nur" ein knappes Drittel des Suizidrisikos bestand, welches mfinnliche Personen hatten.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
229
Abbildung 28." Suizide von Mfinnern und Frauen in der Steiermark 1995 bis 2004 - Verlauf und lineare Trends 50 -1
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3ooI 250
; .....
.-.. -
200
-
~.-A-------~,.,,~
-
~.......~..
150 100 50
I
1995 -" ......
!
1996
!
1997
I
1998
!
1999
Suizide insgesamt
!
2000
!
2001
!
2002
!
2003
!
2004
Suizide von M~nnern
Suizide von Frauen
linearer Trend (Gesamtzahl)
Linearer Trend (M~nner)
Linearer Trend (Frauen)
Ein weiterer bedeutender Aspekt ist das unterschiedliche Suizidrisiko far verschiedene, geschlechterspezifische Altersgruppen; dieses wird im folgenden Absatz er6rtert.
3.3.5 Die Altersverteilung der Suizidenten Auch auf die Altersverteilung wurde in Abschnitt 3.1. bereits mehrfach Bezug genommen, allerdings unter dem Aspekt des Ausgleichs unterschiedlicher regionaler Auspr~gungen derselben zur Ermittlung yon altersstandardisierten Suizidraten zur Erm0glichung interregionaler Vergleiche der Suizidhfiufigkeiten unter Ausschaltung dieser Variable. Generell gilt in den meisten europfiischen Gegenwartsgesellschaften, dass h0here Lebensalter mit h6heren Suizidrisiken verbunden sind, weshalb auch Untersuchungspopulationen mit h6heren Seniorenanteilen stfirker von Suizidalitfit betroffen sind. Die konkrete Betroffenheit einzelner Alterskategorien von letaler Suizidalitfit lfisst sich hierbei aber natt~rlich nur durch eine gesonderte Berechnung der Suizidraten flir die jeweiligen Kohorten ermitteln. Diese Berechungen wurden far die steirischen Suizidenten der Jahre 1995 bis 2004 anhand der Daten der Todesursachenstatistik sowie, ergfinzend, der Angaben in den sicherheitsbehOrdlichen Akten vorgenommen, und erbrachten folgende Ergebnisse:
230
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 147:
Suizidraten und Suizidrisken far Alterskohorten zu 10 Jahren 1995-20044o7
Alterskohorten
Suizidenten (1995-2004)
Einwohnerzahl (2001)
Suizidrate
ap. RR
bis 9
0
122.509
0,0
0,00
10 bis 19
100
141.600
7,1
0,26
20 bis 29
293
151.019
19,4
0,76
30 bis 39
465
197.103
23,6
0,95
40 bis 49
486
169.477
28,7
1,19
50 bis 59
451
137.809
32,7
1,38
60 bis 69
387
120.045
32,2
1,35
70 bis 79
445
99.080
44,9
1,96
80 und ~ilter
299
44.661
66,9
2,90
Gesamt
2929
1.183.303
24,8
Wie aus Tabelle 148 ersichtlich wird, trifft auch fiir die Steiermark die fiir Osterreich insgesamt geltende Beobachtung klar zu, dass Menschen in hOherem Lebensalter deutlicher stdrker suizidgefdhrdet sind als alle anderen. Fiir 80 und mehr Jahre alte Einwohner des Bundeslandes Steiermark ergibt sich eine erschiitternd hohe Suizidrate von 67 auf 100. 000. Gegeniiber den jiingeren Steirerinnen und Steirern hatten sie ein nahezu dreimal so hohes Risiko des Todes durch SelbsttOtung! F~ir die Kategorie der 70 bis 79-J~hrigen ergibt die Berechnung altersspezijqscher Suizidraten ein Ergebnis von 45; im Vergleich mit allen anderen Alterskohorten ergibt sich ein relatives Risiko von nahezu 2, also die fast doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit des Todes durch Suizid. Demgegentiber weisen 50 bis 59-J~,hrige, aber auch 60 bis 69-Jfihrige ,,nur" um etwa 35 bis 40 % erh6hte relative Risiken far letale Suizidalitfit auf, bei den 40 bis 49-Jfihrigen ergibt sich ein um etwa ein Ftinftel (wiederum berechnet im Vergleich zum Durchschnitt aller anderen Kohorten) erh6htes Risiko. 4~ Die Alterskohorte der 20 bis 29-Jfihrigen zeigt demgegent~ber ein deutlich reduziertes Suizidrisiko von ,,nur" etwa drei Viertel der Gesamtheit der t~brigen Kohorten, far die 30 bis 39-Jfihrigen lfisst sich ein Ausma6 der Betroffenheit von Suiziden ermitteln, welches in etwa dem Durchschnitt aller anderen Klassen entspricht. Far die 10 bis 19-Jfihrigen ergibt sich ein approximatives Relatives Risiko Dr Suizid von ,,nur" etwa einem Viertel der sonst vorherrschenden H6he; die der Vollstfindigkeit halber angeft~hrte Kohorte der Unter-10-Jfihrigen weist im Beobachtungszeitraum Die Suizidraten sind berechnet pro 100.000 Einwohner dieser Altersklasse und Jahr. Die Gesamtsumme enthWt drei Suizidfalle, bei denen das Alter der Verstorbenen in den sicherheitsbehordlichen Akten nicht eruierbar war, und die in der Todesursachenstatistik nicht aufscheinen. Die approximativen Relativen Risken wurden dutch Gegentiberstellung derjeweiligen Alterskategorie gegenaber allen anderen berechnet. 4o8Alle Angaben zu den berechneten Risiken beziehen sich auf einen Vergleich mit den Gesamt-Einwohnerzahlen laut Volksz~lung 2001 und sind daher nicht als exakte Relative Risiken im konventionellen Sinn anzusehen, k0nnen abet mit gr06ter Wahrscheinlichkeit als bis in die erste Nachkommastelle zutreffende Annaherungen betrachtet werden. 407
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
231
keine Suizide auf. Gleichsinnige Ergebnisse lassen sich naturgemfi6 auch durch den direkten Vergleich der altersspezifischen Suizidraten untereinander bzw. gegen~ber dem Gesamtdurchschnitt gewinnen: Die Alterskohorten der 50 bis 59- und 60 bis 69-Jfihrigen liegen mit Suizidraten von ca. 32 bzw. 33 um etwa ein Drittel tiber dem steirischen Gesamtdurchschnitt, die 40 bis 49-Jfihrigen um nur etwa 15 %, und die Kategorie der 30 bis 39Jfihrigen unterschreitet ihn schon geringft~gig. Die Suizidrate der 20 bis 29-Jfihrigen liegt um 22 % unter dem Gesamtdurchschnitt, und ftir die Kohorte der 10 bis 19-Jfihrigen ergibt sich eine um tiber 70 % reduzierte Rate. Innerhalb der letzteren Kategorie bestehen freilich nochmals groBe Unterschiede zwischen der Altersklasse der 10 bis 14-Jfihrigen, die von Suiziden noch wenig betroffen ist - es gab insgesamt 12 Todesf'alle durch SelbsttOtung von Kindern bis 14 Jahren im Zeitraum 1995 bis 2004 in der Steiermark-, und jener der 15 bis 19-Jfihrigen, wo die Anzahl mit 88 durch Suizid verstorbenen Teenagern deutlich h0her ist. 4~
Tabelle 148." Suizidraten von Kindern und Jugendlichen in der Steiermark 1995-2004 ~~ Alter
Anzahl Suizide
Einwohner dieses Alters
Suizidrate
0 bis 4
56243
0,0
5 bis 9
66.266
0,0
10 bis 14
12
69.206
1,7
15 bis 19
88
72.394
12,2
Die dementsprechend ermittelten Suizidraten betragen far die Kohorte der 15 bis 19Jfihrigen 12,2 und far die der 10 bis 14-Jfihrigen 1,7. In der ersteren Altersklasse, welche psychosozial besonders kritische Phasen des Jugendalters betrifft, liegt die Rate vollendeter Suizide demnach dennoch ,,nur" bei der Hfilfte des Durchschnitts Dr die GesamtbevOlkerung des Bundeslandes. Bedenkt man aber, dass in manchen europfiischen Lfindem die Suizidalit~,t fflr die GesamtbevOlkerung niedriger ist als dies hier far die Kategorie der 15 bis 19-Jfihrigen festgestellt werden kann, so erscheint der Zahlenwert wiederum sehr wohl alarmierend! Durchschnittlich haben sich jedes Jahr 10 steirische Jugendliche unter 20 das Leben genommen, insgesamt in der Periode von 1995 bis 2004 exakt 100 Personen im Alter zwischen 10 und 19. 411
41)9 Far die anderen Alterskohorten bring eine Differenzierung in 5-Jahres-Intervalle wenig inhaltlich aussagekr~iftige Resultate, sondern verstellt durch eine aberm~.gige Vermehrung der Kategorien eher den Blick auf die relevanten Differenzen. Ausgenommen hiervon waren noch die Hochbetagten, hier fehlen aber statistische lnformationen, da in den Volkszahlungsdaten alle Personen im Alter von 85 und mehr in einer Kategorie zusammengefasst sind. Von den 299 Suizidenten in der Kategorie der Ober-80-J~rigen hatten 55 ein Alter yon zumindest 90. 4~oDie Altersklassen 0-4 und 5-9 sind nur der Vollstandigkeit halber angefahrt; aus aktueller entwicklungspsychologischer Sicht erscheint - selbst bei Vorliegen schwerer Traumen bzw. psychischer Erkrankungen - ein Suizid bei unter 5-J~rigen Kindem vOllig, bei unter 10-Jahrigen Kindern nahezu ausgeschlossen. Siehe dazu Kapitel 1. Die Suizidrate bezieht sich wiederum auf ein Jahr und 100.000 Einwohner. 4~ Die beidenjangsten Suizidenten waren 10 und 12 Jahre alt, drei waren erst 13, sieben 14 Jahre alt.
232
3 E r g e b n i s s e der Studie
G e r a d e bei der B e t r a c h t u n g der Suizidrisiken der u n t e r s c h i e d l i c h e n A l t e r s k o h o r t e n lohnt eine weitere B e r t i c k s i c h t i g u n g der e n t s p r e c h e n d e n G e s c h l e c h t e r d i f f e r e n z e n sehr: W i e aus T a b e l l e 150 ersichtlich wird, sind in den einzelnen A l t e r s k a t e g o r i e n nicht nur die allg e m e i n schon festgestellten Differenzen z w i s c h e n den beiden G e s c h l e c h t e r n reprasentiert, s o n d e m fallen dieselben durchaus unterschiedlich hoch aus:
Tabelle 149:
Geschl.
Alters- und g e s c h l e c h t s s p e z i f i s c h e Suizidraten und Suizidrisken 412
Alter
Suizidenten (1995-2004)
Einwohner (2001)
Spezifische Suizidrate
ap. RR
bis 9
0
62914
00
0,00
Verh~ltnis der SR
F
bis 9
59595
00
0,00
M
10 bis 19
81
72505
11,2
0,26
4 1:1
F
10 bis 19
19
69095
27
0,21
1:4,1
M
20 bis 29
247
77118
32,0
082
52:1
F
20 bis 29
46
73901
62
0,49
1:5,2
M
30 bis 39
372
101195
36,8
095
38:1
F
30 bis 39
93
95908
9,7
0,79
1:3,8
M
40 bis 49
363
F
40 bis 49
123
M
50 bis 59
338
F
50 bis 59
M
85162
+I ,
42,6
1 14
29:1
84315
"
14,6
1 27
1:2,9
67363
50,2
137
31:1
113
70446
16,0
1,41
1:3,1
60 bis 69
286
56551
50,6
137
3,2:1
F
60 bis 69
101
63494
15,9
1 39
1:3,2
M
70 bis 79
307
i
38707
79,3
2 24
3,5 : 1
.
T
F
70 bis 79
138
60373
22,9
2,13
1:3,5
M
80 und <er
204
12917
157,9
4,44
5,4:1
F
80 und ~lter
93
31744
29,3
2,67
1:5,4
M
Gesamt
2198
~ 574432
38,3
--
3,2:1
F
Gesamt
726
608871
11,9
--
1:3,2
/
A Berechnet innerhalb des jeweiligen Geschlechts, d.h. durch GegenOberstellung der Suizide in der geschlechtsspezifischen Alterskategorie gegentiber allen anderen Suiziden von Angeh0rigen dieses Geschlechts; unter Heranziehung der Daten der Volksz~,hlung 2001 far die Gesamtbev01kerung BRelation der m~,nnlichen und der weiblichen Suizidraten innerhalb der einzelnen Alterskategorien. Die Gesamtsummen far die beiden Geschlechter hier ohne die drei nicht nach Altersklasse zuordenbaren Suizidfalle. Von den in Abschnitt 3.1. angegebenen Gesamtsummen ergibt sich far die mannlichen Suizidenten eine Abweichung um eine Person, weil dort die Personen ohne zuordenbaren Wohnort nicht beracksichtigt sind. Die Differenz um eine Person ver~ndert die Suizidrate im Nachkommabereich hier um einen Zahler- wiederum ein Beispiel dafar, dass Differenzen um wenige Zehntel bier nicht inhaltlich interpretiert werden sollten.
412
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalit~t in der Steiermark
233
Wfihrend sich far die Gesamtheit der Suizidenten in der Steiermark im Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 ein Verhaltnis der Suizide pro Einwohnerzahl von 3,2 : 1 zuungunsten der M~inner ergibt (vergleicht man die absoluten Hfiufigkeiten, ist das Verhaltnis ,,nur" 3,0 : 1, da Frauen in der Gesamtbev61kerung leicht tiberrepr~isentiert sind?), fallen die Relationen in den niedrigsten, aber auch in den htichsten Alterskategorien noch deutlich bedenklicher Dr das mfinnliche Geschlecht aus: In den Altersklassen des ht~heren Erwachsenen- und frahen Seniorenalters (40-49, 50-59, 60-69) entspricht die Geschlechterrelation der Suizidraten grob dem Gesamtratio von 3,2, bzw. unterschreitet ihn leicht. Fiar die 30-39-jfihrigen Einwohner der Steiermark ist die Suizidrate der Manner aber etwa viermal so hoch wie jene der Frauen, dasselbe gilt far die Alterskohorte der Teenager (10-19). In der Gruppierung der 20 bis 29-Jahrigen aber begingen, bezogen auf die Bev61kerungsanteile, sogar fiinfmal mehr Manner Suizid als Frauen? Auch in der Kategorie der 70 bis 79-J~ihrigen ist der Oberhang der m~innlichen Suizide deutlicher als in der Gesamtheit, wenngleich nicht sehr stark (3,5:1), in der Kategorie der 80 bis 89-Jfihrigen dagegen ist er wiederum etwa so hoch, wie bei den Twens am Beginn des Erwachsenenalters; die Relation betr~gt 5,4:1: Far beide Geschlechter gilt ungeachtet dessen aber gem~il3 den obigen Zahlen, dass die Suizidraten mit h6herem Alter eklatant zunehmen. Die fanffach htihere Hfiufigkeit von Suiziden von 20 bis 29-j~ihrigen Mfinnern im Verhfiltnis zur Einwohnerzahl gegentiber jener von Frauen bedeutet demnach etwas ganz anderes als die entsprechende Relation unter den 80 bis 89-Jfihrigen, denn im ersteren Fall betr~igt die weibliche Suizidrate 6 und die m~,nnliche 32, im zweiteren aber die weibliche fast 30 und die m~innliche iaber 150? M~inner fiber 80 sind demnach als die Hochrisikogruppe far Suizide zu bezeichnen, was ja Dr C)sterreich insgesamt bereits durch die Studien von Sonneck, Etzersdorfer et al. aufgezeigt wurde. 413 Anschaulich lassen sich die unterschiedlichen Suizidrisiken ftir verschiedene Alterskohorten in einem Diagramm darstellen, welches die differenten altersspezifischen Suizidraten abbildet.
Abbildung 29. Geschlechts- und altersspezifische Suizidraten in Steiermark (1995-2004) 16q 14q 12q
II M~nner
10q
D Frauen
4C 2C C -9
10-.19 20-29 30-39 40-49 50-59 60-69 70-79
80+
413Vgl. Etzersdorfer/Fischer/Sonneck, Epidemiologie, Etzersdorfer et al., Epidemiology, Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von Mannern; Naheres hierzu siehe in Kapitel 1.
234
3 Ergebnisse der Studie
Der Anstieg der Suizidraten mit zunehmendem Alter fallt, wie aus dem Diagramm zu ersehen ist, also bei Mfinnern noch viel deutlicher aus als bei Frauen. Vergleicht man den ersten deutlichen Anstieg zwischen den Raten der Kohorte der 60 bis 69-Jfihrigen und jenen der 70 bis 79-Jfihrigen mathematisch, zeigt sich eine Erh6hung um 57 % bei den Mfinnem, eine um 44 % bei Frauen. Die Kategorie der Personen mit 80 und mehr Lebensjahren weist gegent~ber den 60 bis 69-Jfihrigen im Falle der Mfinner aber eine Steigerung um 212 % auf, also auf mehr als das Dreifache der Vergleichsniveaus, wfihrend die Steigerung bei den hochbetagten Frauen 84 % betrfigt. Auch Frauen im Seniorenalter zdhlen sojedenfalls zu den stark von letaler Suizidalitdt betroffenen BevOlkerungsgruppen! Allerdings liegt selbst die Suizidrate der Frauen iiber 80 noch unter der fiir Manner aller Altersstufen zu ermittelnden durchschnittlichen Suizidrate. F~tr das am meisten betroffene BevOlkerungssegment der Mginner im Lebensalter von 80 und dariiber bedeutet die ermittelte Suizidrate von 158 pro 100.000 Einwohner und Jahr konkret, dass sich im Laufe von 10 Jahren einer von 63 Miinnern, die dieses Alter erreicht hatten, selbst das Leben nimmt! Betrachtet man die in der Tabelle angegebenen approximativen Relativen Risiken - die sich jeweils auf die Suizidrisiken einer Alterskategorie innerhalb eines gegebenen Geschlechts beziehen -, zeigt sich selbstverstfindlich ein analoges Bild: Vergleichsweise deutlich geringere Suizidrisiken gegent~ber allen filteren Bev01kerungssegmenten desselben Geschlechts herrschen unter den Teenagern beiderlei Geschlechts vor (ap. RR 0,26 bzw. 0,21), bei den 20 bis 29-Jfihrigen zeigt sich dagegen ein signifikanter Unterschied zwischen jungen Mfinnem und jungen Frauen, wobei die ersteren bereits fiber 80 % des durchschnittlichen Suizidrisikos aller anderen Altersklassen erreichen, junge Frauen dagegen ,,nur" knapp 50 % desselben. In der Klasse der 30 bis 39-Jfihrigen weisen dagegen Frauen noch ein niedriges Suizidrisiko von etwa 80 % auf, wfihrend das der Mfinner bereits fast 100 %, also den Durchschnitt aller anderen Kategorien erreicht. Die entsprechenden Zahlenwerte flir die Klassen ab einem Alter von 40 Jahren weisen sodann die erh0hten Risiken aus, die anlfisslich der Diskussion der Suizidraten selbst bereits angesprochen wurden. Ab der Alterskohorte der 70 bis 79-Jfihrigen betrfigt das relative Suizidrisiko far beide Geschlechter mehr als 2, ist also doppelt so hoch, wie flir alle anderen Altersklassen. Far Frauen erreicht es in der obersten Alterskategorie etwa 2,7, bei Mfinnem 4,4. Betrachtet man aber die absoluten Summen der Suizidzahlen, die als solche natarlich ihre eigene Relevanz haben, da sie aber die Anteile der jeweiligen Bev01kerungssegmente an der Gesamtsumme aller Suizide Auskunft geben und so nicht zuletzt far die Einschfitzung der Relevanz yon spezifischen Prfiventionsmal3nahmen yon Bedeutung sind, erhfilt man ergfinzend ein etwas anderes Bild (siehe auch Tabelle 151 im Folgenden): Von der Gesamtsumme der 2926 Suizide der Jahre 1995 bis 2004 (ohne drei altersmfiBig nicht zuordenbare Sterbefalle) entfallen jeweils mehr als 450 auf die Kategorien der 30 bis 39-, der 40 bis 49-, und der 50 bis 59-Jfihrigen und nahezu 450 auf die Klasse der 70 bis 79-Jfihrigen, etwas weniger als 400 auf die 60 bis 69-Jfihrigen, und je nahezu 300 auf die beiden Kohorten der 20 bis 29- und der aber 80-Jfihrigen. Exakt 100 Suizide wurden von Personen unter 20 begangen. In allen Teilsegmenten stellen, wie mehrfach betont wurde, Mfinner den Grogteil.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
235
Tabelle 150." Suizidenten nach Alter und Geschlecht - Anteile der absoluten Zahlen an der Gesamtsumme der Suizide
Altersklasse
M~nner
Frauen
Zusammen
10-19
81 81,0% 3,7% 247 84,3% 11,2% 372 80,0% 16,9% 363 74,7% 16,5% 338 74,9% 15,4% 286 73,9% 13,0% 307 69,0% 14,0% 206 68,9% 9,3% 2200 75,2% 100%
19 19,0% 2,6% 46 15,7% 6,3% 93 20,0% 12,8% 123 25,3% 16,9% 113 25,1% 15,6% 101 26,1% 13,9% 138 31,0% 19,0% 93 31,1% 12,8% 726 24,8% 100%
100 100% 34% 293 100% 10,0% 465 100% 15,9% 486 100% 16,6% 451 100% 15,4% 387 100% 13,2% 445 100% 15,2% 299 100% 10,2% 2926 100% 100%
20-29
30-39
40-49
50-59
60-69
70-79
80+
Gesamt
Der Anteil der Frauen nimmt aber mit zunehmendem Alter zu, sodass betreffend die Senioren ab 70 fast ein Drittel der Suizide (in absoluten Zahlen) von Frauen verUbt werden! 4~4 In den Kategorien der Teenager und der jungen Erwachsenen betreffen demgegenUber ein FUnfiel der SelbsttOtungen weibliche Personen, vier FUnftel dagegen mfinnliche! Besondere Aufmerksamkeit soll hier, bevor zu einer Betrachtung der einzelnen Bezirksergebnisse fur die alters- und geschlechtsspezifischen Suizidhfiufigkeiten fortgeschritten wird, nochmals dem obersten und dem untersten Alterssegment zukommen. Die Aus414Aufgrund des h0heren Anteils der Frauen in der Gesamtbev01kerunggerade far diese Altersschichten ist dieser Umstand bei Betrachtung der Suizidraten allein nicht sichtbar.
236
3 Ergebnisse der Studie
wertung der sicherheitsbehOrdlichen Akten erlaubte natarlich eine exakte Erfassung des Alters auch innerhalb jener Kategorie der t~ber 85-Jfihrigen, die in der Volkszfihlungsstatistik nicht gesondert ausgewiesen ist. Hierbei konnte festgestellt werden, dass unter den insgesamt 299 Suiziden von Personen, die mindestens das Alter von 80 Jahren erreicht hatten, 55 Personen betrafen, die bereits 90 oder mehr Jahre alt waren. 415 Dementsprechend ist die Kategorie der ,,HOchstbetagten" - ihre Gesamtzahl in der BevOlkerung ist ja gering - ebenfalls ausgesprochen suizidgef~hrdet, und es l~,sst sich kein Alter feststellen, ab welchem die Suizidgefahr wieder deutlich abnehmen warde. Far die Kategorie der 10 bis 19-J~.hrigen ergibt eine gesonderte Zfihlung nach Geschlechterdifferenz folgendes Bild: Tabelle 151" Suizide von Kindern und Jugendlichen bis 19 in der Steiermark (1995-2004) Alter
M
10
F
Ges.
1
1
11 12
1
-
1
13
3
-
3
14
5
2
7
10-14
9
3
12
15
1
2
3
16
12
2
14
17
17
3
20
18
21
3
24
19
21
6
27
15-19
72
16
88
Die Tabellierung zeigt, dass die Suizide der Unter-15-Jfihrigen ebenso wie die der 15 bis 19-Jahrigen vorwiegend Burschen betrafen. Vor allem far die erstere Altersklasse war dies nicht unbedingt anzunehmen. Allerdings sind die Fallzahlen h i e r - gliicklicherweise - so klein, dass allgemeinere Aussagen nicht unbedingt daraus geschlossen werden sollten. Deutlich wird bei Betrachtung der Hfiufigkeiten far die einzelnen Lebensjahre auch, dass Suizidh~iufigkeiten, wie sie grOgenordnungsmfil3ig auch nur ann~hrend jenen in der jangeren erwachsenen Bev61kerung der Steiermark entsprechen, erst bei den 16 bis 17-Jfihrigen erreicht werden. 416 Nunmehr soll der Aspekt der Altersstruktur der Suizidenten auch hinsichtlich einer etwaigen unterschiedlichen regionalen Verteilung beleuchtet werden, mithin gekl~.rt, ob sich far verschiedene steirische Bezirke unterschiedliche Muster der Suizidhfiufigkeiten far einzelne Alterskategorien feststellen lassen. Da die steirischen Bezirke aber teils ziemlich unterschiedliche Altersstrukturen aufweisen, ist es auch far diese Betrachtung vorteilhaft, sich nicht an absoluten Zahlen, sondern an altersspezifischen Suizidraten zu orientieren:
4~5Der alteste Suizident, der in der Untersuchung erfasst wurde, war 99. 4~6Die Altersklasse der 20 bis 29-J~hrigen betrafen 293 Suizide, demnach im Durchschnitt etwa 29 pro einzelnem Lebensjahr.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
Tabelle 152:
237
Suizidraten nach Alterskohorten in den steirischen Bezirken 1994-2004 ~r
Bezirk
10-19
80+
Gesamt
G
7,8
21,5
24,9
31,6
36,1
24,5
32,0
62,1
25,1
BM
8,3
25,5
21,4
25,8
25,1
20,1
50,4
82,5
24,6
DL
3,9
21,7
26,0
21,1
33,5
36,2
69,8
58,9 i 25,5
FB
4,4
16,4
22,2
20,2
31,7
46,2
48,4
66,3
23,2
FF
~ 7,0
16,7
15,8
30,7
53,3
13,0
36,2
22,2
20,9
GU
i
3,0
14,9
18,9
26,3
23,0
32,9
43,4
62,5
20,3
11,6
19,0
24,4
28,0
33,9
38,9
40,3
64,6 ] 24,2
8,5
10,8
31,6,
30,4
30,2 i 25,6
40,5
80,7
24,9
KF
11,0
10,8
27,6
25,0
51,2
31,5
27,3
67,2
24,9
LB
6,2
17,4
24,2.
29,6
40,9
24,0
44,0
67,9
23,6
LE
9,9
23,9
26,0 ~ 29,2
38,9
30,8
48,4
79,2
29,4
LI
13,5
15,7
26,0
33,9
28,9
40,5
49,6
66,7
26,8
MZ
8,0
28,8
20,1
41,4
34,0
35,5,
69,0
68,4
31,4
MU
912
36,1
18,3
46,7
34,3
61,3
61,1
35,8
31,5
RA
6,7
13,2
17,9
18,1
31,0
61,6
56,7
42,2
24,5
VO
1,6
24,3
24,4
18,6
26,3
33,6
39,6
65,7
22,6
WZ
4,3
15,2
23,7
27,1
28,1
30,3
43,0
99,0
22,7
ST ges.
7,1
19,4
23,6
28,7
32,7
32,244,9
66,9
24,8
HB JU
'
2 0 - 2 9 30-39 40-49
50-59 60-69 I 70-79
Betrachtet man nun die einzelnen Raten je nach Alterskohorte, so lassen sich folgende Auffiilligkeiten feststellen' In der Kategorie der Unter-20-Jfihrigen weisen die Bezirke Liezen, Hartberg und Knittelfeld deutlich h6here Suizidraten auf als alle anderen (11,0 bis Die Gesamtraten far die Steiermark bert~cksichtigen auch die wenigen Suizidfalle, welche nicht nach Wohnbezirken zuzuordnen waren. Die Kategorie der Unter-10-Jahrigen wurde aufgrund des Fehlens von Suizidf~.llen weggelassen; die Kategorien der Personen tiber 80 zu einer Kategorie zusammengefasst. Suizidraten tiber dem Landesdurchschnitt in der jeweiligen Alterskategorie sind kursiv markiert.
417
238
3 Ergebnisse der Studie
13,5); im Fall von Knittelfeld ist der ermittelte Weft weniger aussagekrfiftig, da die Anzahl der durch Selbstt6tung Verstorbenen in dieser Altersklasse ,,nur" bei 4 liegt (aufgrund der relativ geringen Einwohnerzahl ergibt sich die erwfihnte hohe Suizidrate). Far die Bezirke Hartberg und Liezen kann man dagegen jedenfalls von einem signifikanten Ergebnis sprechen; im Bezirk Liezen, Far den die h6chste Suizidrate von Kindern und Jugendlichen zu ermitteln ist, betrfigt die Anzahl der betreffenden Suizidenten im Untersuchungszeitraum 14, wfihrend im etwa gleich einwohnerstarken Bezirk Weiz (ca. 86.000 Personen; in Liezen ca. 82.000 nach VZ 2001) im selben Zeitraum ,,nur" 5 Suizide von Personen unter 20 vorfielen. Bedenklich hohe Raten fflr die niedrigste Alterskohorte weisen auch die Bezirke Leoben, Murau, Judenburg, Bruck und Mtirzzuschlag auf (8,0 bis 9,9). Wie leicht festzustellen ist, handelt es sich bei den genannten Bezirken fast sfimtlich um solche, far welche auch die Suizidalitfit der Gesamtbev61kerung als sehr hoch einzustufen ist, und - auBer Hartberg- sfimtlich um obersteirische Bezirke! (siehe die Karte in Abschnitt 3.1. und die Werte der Gesamt-Suizidraten in der Tabelle) Ftir Hartberg liegt die Suizidrate insgesamt mit ca. 24 etwas niedriger. Von den restlichen Bezirken liegt nur die Rate der Landeshauptstadt Graz mit 7,8 noch tiber dem Gesamtdurchschnitt ftir diese Alterskohorte (7,1). Eine besonders niedrige Suizidrate unter Jugendlichen lfisst sich Dr den Bezirk Voitsberg beobachten; da die ,,erwartbare" Anzahl der Suizide im Untersuchungszeitraum, gemessen am Landesdurchschnitt bei 4 lfige, ist das tatsfichliche Vorfallen ,,nur" eines Suizids als durchaus signifikante Abweichung nach unten zu interpretieren. Far die Alterskohorte der 20 bis 29-Jfihrigen liegt der steiermarkweite Durchschnitt der Suizidrate bei 19,4; betrachtet man wiederum, welche Bezirke tiber diesem Durchschnitt liegen, zeigt sich eine Abweichung nach oben far Graz-Stadt und Deutschlandsberg (je knapp 22), eine noch deutlichere aber fiir Leoben und Voitsberg (je ca. 24) und Far Bruck (25,5). Die Suizidraten junger Erwachsener in Marzzuschlag und in Murau aber k6nnen nur als dramatisch bezeichnet werden; in diesen beiden Bezirken haben bereits die 20 bis 29-Jfihrigen Suizidrisiken, welche die Far die GesamtbevNkemng der Steiermark (die ohnehin mit hohen Suizidhfiufigkeiten behaftet ist) feststellbare (rohe) Rate von 24,8 weit tibersteigen: In Mtirzzuschlag liegt die altersspezifische Suizidrate der ,,Twens" bei knapp 29 pro 100.000 Einwohnern und Jahr, im Bezirk Murau bei 36, also um fast 50 % tiber dem Landesdurchschnitt der GesamtbevNkemng und fast doppelt so hoch wie die durchschnittliche Suizidrate derselben Altersklasse Dr die Steiermark insgesamt. Hfitte Murau eine dem Mittel der anderen steirischen Bezirke entsprechende Suizidrate der 20 bis 29-Jfihrigen, wfiren demnach von 1995 bis 2004 ,,nur" 8 Suizide von jungen Erwachsenen im Bezirk zu beklagen gewesen, tatsfichlich waren es 15. In absoluten Zahlen die h6chste Suizidhfiufigkeit weist aber der Bezirk Graz-Stadt auf, was insofern nicht verwunderlich ist, da hier j a - auch getrennt betrachtet in allen Alterskategorien - weit mehr Menschen leben als in jedem anderen steirischen Bezirk. Auffallig niedrige Suizidraten, die ,,nur" bei etwa der Hfilfte des Steiermark-Durchschnitts liegen, haben in dieser Altersklasse die Bezirke Judenburg und Knittelfeld. Far die Kategorie der 30 bis 39-Jfihrigen ist das aus Sicht des Studienautors bemerkenswerteste Ergebnis, dass die ftir die einzelnen Bezirke ermittelten Suizidraten deutlich gering~giger um den Mittelwert von 23,6 streuen - vor allem nach oben hin - als fiir die beiden vorerwfihnten, jtingeren Alterskohorten. Einzig die Bezirke Judenburg und, schon viel geringf~giger, Knittelfeld, zeigen in dieser Kategorie mit 31,6 bzw. 27,6 deutlich vom steirischen Mittel yon 23,6 nach oben bin abgesetzte Werte der Suizidrate; abet dem
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
239
Durchschnitt liegen weiters auch in dieser Kohorte - wenig aberraschend - die Raten far Leoben und Liezen, aber auch jene far Deutschlandsberg. Eine gerade in dieser Kategorie auff'allig niedrige Suizidrate weist Murau auf, wo sonst ja durchgfingig sehr hohe Suizidrisiken far alle Altersklassen vorhanden sind. Eine Interpretation dieser bemerkenswerten Abweichung erscheint gewagt; mOglicherweise gibt es keine strukturell fassbar zu machenden Ursachen hierfar; denkbar ist aber, dass die allgemein hohe Suizidhfiufigkeit in diesem Bezirk in der betreffenden Alterskohorte deswegen weniger zum Tragen kommt, weil Personen im Alter von 30 bis 39 als besonders mobil angesehen werden k6nnen und gegebenenfalls bei unganstigen Lebensumstfinden eher den Wohnort bzw. die Wohnregion wechseln als filtere, aber auch jangere Personen, wo in beiden Ffillen im Durchschnitt die familifiren Bindungen an selbst gegrandete bzw. an die Herkunfts-Familien stfirker sind. Far die Altersklasse der 40 bis 49-J~hrigen liegt das steiermarkweite Mittel der Suizidrate bei knapp 29. Oberschritten wird dasselbe eher geringfagig in den Bezirken Leoben, Leibnitz, Judenburg, Farstenfeld, deutlicher in Graz, wo die Differenz zwischen der bezirksspezifischen Rate und dem Steiermark-Durchschnitt bei nahezu 3 liegt (siehe Tabelle 153). Hoch ist die altersspezifische Suizidrate in dieser Kategorie im Bezirk Liezen mit fast 34, vor allem aber in Marzzuschlag und Murau (41,4 bzw. 46,7), wobei in letzterem Fall das Steiermark-Mittel wiederum um mehr als die H~lfte, in ersterem fast um die Hfilfte aberschritten wird. In der Altersklasse der 50 bis 59-Jfihrigen aberschreiten die Suizidraten in den Bezirken Murau und Marzzuschlag jene des gesamtsteirischen Durchschnitts auch, aber nur geringfagig (ca. 34 gegenfber ca. 33), dasselbe gilt hier far Deutschlandsberg und Hartberg (je ca. 34). Graz hat in dieser Alterskategorie eine mit 36 deutlich erhOhte altersspezifische Suizidrate, noch deutlicher aberh6ht sind jene von den Bezirken Leoben (ca. 39) und Leibnitz (ca. 41). Negative ,,Spitzenreiter" in dieser Kohorte sind aber die Bezirke Knittelfeld (fiber 51) und Ffrstenfeld (fiber 53). Obwohl es sich um einwohnerschwache Bezirke handelt, sind diese Abweichungen als signifikant zu erachten; inhaltlich sind sie dennoch schwer interpretierbar, besonders da die altersspezifischen Suizidraten far die ,,angrenzenden" Alterskohorten in diesen beiden Bezirken keineswegs besonders hoch liegen. In der Klasse der 60 bis 69-Jfihrigen weisen Graz-Umgebung und Voitsberg m~Big fiber dem Landesdurchschnitt liegende altersspezifische Suizidraten auf; far Marzzuschlag und Deutschlandsberg ergeben sich mit je ca. 36 gegenaber dem Mittel von 32,3 einigermaBen deutlich erh6hte Raten; noch hOher liegen hier aber die Suizidhfiufigkeiten in Hartberg (knapp 39) und Liezen (40,5) sowie Feldbach (aber 46). Die Suizidrate in Murau liegt in dieser Altersklasse aber wieder nochmals weit fiber den Werten far die anderen Bezirke, abertroffen aber noch von Radkersburg, was besonders bemerkenswert ist, da Radkersburg in allen niedrigeren Alterskohorten unter dem Landesdurchschnitt angesiedelte Werte aufwies! Diese beiden Bezirke erreichen mit Suizidraten von 61,3 bzw. 61,6 nahezu das Doppelte der steiermarkweiten Rate yon 32,2! Betrachtet man nun die Altersklasse der 70 bis 79-Jfihrigen, so lfisst sich bis zu einem gewissen Grad eine Fortsetzung eines in der Klasse der 60 bis 69-Jfihrigen sich abzeichnenden Musters erkennen: Wfihrend die obersteirischen Bezirke nicht mehr so homogen die schlechtesten Positionen mit den h6chsten Suizidrisiken far die betreffenden Altersklassen einnehmen, sind hier auch far einen Teil der ost- und weststeirischen Regionen extrem hohe Suizidraten festzustellen: Leoben und Feldbach haben Suizidraten von 48 in der Klasse der 70 bis 79-jfihrigen Einwohner, Bruck und Liezen solche von ca. 50. Alle vier Bezirke
240
3 Ergebnisse der Studie
liegen damit einigermaBen deutlich fiber dem Landesdurchschnitt von knapp 45. Noch weit hOher aber sind die altersspezifischen Suizidraten in Radkersburg (fast 57), Murau (61), Mfirzzuschlag (69) und Deutschlandsberg (70). Wfihrend dies bei Murau und Mfirzzuschlag im Kontext der allgemein hohen Suizidalitfit in den beiden Bezirken steht, fallen die ermittelten Werte far Radkersburg und Deutschlandsberg aus dem Rahmen einer im Durchschnitt aller Altersklassen nur mfiBig gegenfiber dem Landesdurchschnitt erh6hten Suizidrate. Ffir Radkersburg war, wie erwfihnt, Far die Klasse der 60 bis 69-Jfihrigen ,,erstmals" (von den niedrigen Altersklassen her betrachtet) ein Clberschreiten des Landesmittels zu beobachten, Far Deutschlandsberg bereits in der Kategorie der 50 bis 59-Jfihrigen (siehe Tabelle), wenn auch hierbei nur um ein geringes MaB. Mit zunehmendem Alter wird diese Tendenz aber offensichtlich ausgeprfigter. In der letzten hier unterschiedenen Alterskategorie, den Steirerinnen und Steirern mit 80 und mehr Jahren, ist der Landesdurchschnitt der Suizidrate mit gerundet 67 Suizidtoten pro 100.000 Einwohnern und Jahr an sich schon erschreckend hoch; auffNligerweise wird er in drei Bezirken sehr deutlich unterschritten, n~mlich in Ffirstenfeld (22) sowie ausgerechnet in Murau (36) und in Radkersburg (42). Ffir alle diese Bezirke ist aber die relativ geringe Einwohnerzahl zu berficksichtigen, die es mit sich bringt, dass bereits bei einem hypothetischen Auftreten von zwei SuizidFallen mehr pro Bezirk in dieser Altersklasse der Steiermark-Durchschnitt in etwa erreicht gewesen w~re, mit Ausnahme des Bezirks Farstenfeld. In diesem Bezirk ist auch die Suizidrate der 60 bis 69-J~hrigen auBerordentlich niedrig (13, versus 32 im 13sterreich-Durchschnitt) und jene der 70 bis 79-Jfihrigen ebenso zumindest unterdurchschnittlich, sodass ein kohfirentes Muster geringer Seniorensterblichkeit durch Suizid in diesem Bezirk sichtbar wird. Geringffigig aber dem Landesdurchschnitt liegt in der Alterskohorte der 80 und mehr Jahre alten Menschen die Suizidrate der Bezirke Knittelfeld, Leibnitz und Mt~rzzuschlag (67 bzw. 68), erheblich darfiber jene in Leoben (79), Judenburg (81) und Bruck (83). Die h6chste Suizidrate in dieser Altersklasse weist aber der Bezirk Weiz auf, wo eine Rate von 99 (!) erreicht wird. Dieses Ergebnis ist fiberraschend, da in allen anderen Kategorien Weiz eine unter- oder zumindest durchschnittliche Suizidrate (im steirischen Kontext) aufweist. Die vorgenommene Analyse nach 10-Jahres-Alterskategorien hat den Vorteil, dass die spezifischen Differenzen in den Suizidrisken einzelner Teilpopulationen sehr genau benennbar werden; ihr Nachteil ist aber eine relative Unabersichtlichkeit, zumal bei der Anwendung auf den regionalen Vergleich zwischen den 17 steirischen Bezirken. Daher sollen die regionalspezifisch unterschiedlichen Suizidrisiken Far die verschiedenen Alterssegmente hier auch nochmals in einer etwas zusammengefassten Weise betrachtet werden, nfimlich far die Kategorien der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (10 bis 30-Jfihrige), der Erwachsenen mit mittlerem, erwerbstfitigem Alter (30 bis 59-Jfihrige) und der Senioren (Personen im Alter von 60 und mehr Jahren). Die Ergebnisse einer entsprechenden Kreuztabellierung sind auf der folgenden Seite dargestellt. Es zeigt sich, dass ffir die umfassendere Kategorie der Jugendlichen und jungen Erwachsenen (hier definiert als 10 bis 29-J~hrige, also auch Kinder ab 10 Jahren umfassend), die Bezirke Murau (22), Mfirzzuschlag (18), Leoben und Bruck (je 17), Graz (16) sowie Hartberg und Liezen (je ca. 15) fiber dem Landesdurchschnitt von 13,4 liegende Suizidraten aufweisen. Besonders niedrige Suizidraten sind dagegen far dieses Alterssegment in den Bezirken GrazUmgebung (ca. 9) sowie Judenburg und Weiz (je knapp unter 10) festzustellen. Ffir die Kohorten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen erweisen sich also auch bei dieser
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
241
Betrachtung die meisten obersteirischen Bezirke als besonders ungt~nstig, jedoch mit der signifikanten Ausnahme der beiden Bezirke Judenburg und Knittelfeld (letzteres mit einer Rate von l 1); vergleicht man dieses Ergebnis nochmals mit der genauer differenzierenden Tabelle weiter oben, wird deutlich, dass die relativ niedrigen Suizidraten in der Altersklasse der 20 bis 29-Jfihrigen far diese beiden Bezirke hier den Ausschlag geben. M6gliche Ursachen tar diesen gegentiber den Nachbarbezirken signifikanten, positiven Unterschied w~ren noch nfiher zu untersuchen. (Vielleicht spielen hier spezifische Abwanderungsph~,nomene eine Rolle; es k6nnten abet auch tatsfichlich vergleichsweise bessere Lebensperspektiven far die Angeh6rigen dieser Alterskohorte in den genannten Bezirken vorliegen.) Tabelle 153:
Suizidzahlen und Suizidraten bei Kategorisierung in drei Altersklassen u18
lO-~
3o-~
6o,,-,.e-am SR
Ew
H
SR
Ew
H.
SR
99844 302.
30,2
51523
181
35,1
226244
569
2,.51
17,0
27991
67
23,9
16376
68
41,5
64,991
16024,6
20
12,8
26249
69
26,3
12994
68
523
61498
157
18145
19
10,5
27287
65
23,8
14292
72
5(2,4
67200
156 i 232
FF
5850
7
12,0
9501
29
,.32,5
5145
12
23,3
23301
48
GU
32071
28
8,7
59016
133
22,5
2.565-7 106
41,3
131304
267
20,3
HB
18925
29
153
27510
77
28~0
13395
58
43,3
67778
164
242
JU
11408
11
9,6
20140
62
30,8
11763
47
40,0
48218
120
24,9
KF
7"360
8
10,9
12634
42
33,2
6616
24
36,3
29661
74
24,9
LB
19502
23
11,8
32387
98
30,3
14899
57
38,3
75328
178
23,6
IF
14633
25
17,1
28727
89
31,0
18687
85
455
67767
199
29,4
U
20576 30
14,6
34260
101
29,5
18451
89
48,2
822"35
22O 26,8
MZ
9867
18
18,2
17801
56
31,5
11324
61
53,9
42943
135
31,4
MU
8504
19
223
12628
41
325
6838
39
57,,0
31472
99
31,5
RA ' 5995
6
10,0
9809
21
21,4
5663
32
56,5
24(X~
59 '24,5
VO
17
132
23134
53
22,9
12444
51
41,0
53588
121
22,6
22
9,6
35471
92
25,9
17719
81
457
88337
195
22,7
Bez.
Ew
H
SR
G
53786
86
16,0
BM
14720
25
DL
15571
FB
i
12841
WZ 1 ::228s
ST '292619 393
Ew
H
13,4 504,389 1402 27,8 263786 1131 42,9
4
4 i
255
20,9
1183303 2926 24,8
4~ Die steirischen Gesamtraten beracksichtigen auch jene ft~nfSuizidfalle, in welchen zwar das Alter, nicht aber der Wohnbezirk eruierbar waren.
242
3 Ergebnisse der Studie
Far die tibergreifende Klasse der 30 bis 59-jfihrigen Steirerinnen und Steirer zeigen sich die hOchsten Suizidraten - bei einem Landesmittel von 27,7 - far die Bezirke Knittelfeld (33,2), Murau (32,5), Mtirzzuschlag (31,5), Leoben (31,0), Judenburg (30,8), Ftirstenfeld (30,5), Graz (30,2) und Liezen (29,5). Die Suizidrate dieser mittleren Altersklasse far Hartberg (28) liegt noch geringfagig tiber dem Durchschnitt, alle restlichen Bezirke darunter. Auffallig ist, dass der Bezirk Bruck an der Mur eine positive Ausnahme unter den obersteirischen Regionen darstellt (Rate von knapp 24), dass ansonsten alle obersteirischen Bezirke stark betroffen sind, dass aber auch die Bezirke Leibnitz Farstenfeld und Graz-Stadt in dieser Altersschicht klar erh0hte Suizidhfiufigkeiten aufweisen. Verg|eicht man wieder mit der Tabe|le far die einzelnen 10-Jahres-Alterskohorten, zeigt sich, dass dieser Befund far die Landeshauptstadt Graz und far Leibnitz ein durchgfingiger ist (sfimtliche drei Kohorten: 3039, 40-49 und 50-59-J~hrige zumindest leicht fiber dem Landesdurchschnitt); far Farstenfeld aber auf die beiden Kategorien der 40-49 und 50-59-Jfihrigen beschrfinkt bleibt. In der Klasse der ,,Senioren" (ab 60 Lebensjahren berechnet) zeigen sich besonders beachtenswerte Daten: Wenig verwunderlich angesichts der insgesamt hohen Suizidraten sind die Ergebnisse far Murau (57) und Mtirzzuschlag (54), aber auch die Bezirke Radkersburg (fast 57), Deutschlandsberg (52) und Feldbach (50) weisen hier eklatant tiber dem ohnehin hohen Landesmittel liegende altersspezifische Suizidraten auf, die noch aber den Raten von Liezen (48) und Leoben (46) liegen. Ebenfalls etwa eine Suizidrate von 46 weist far die Gesamt-Klasse der Senioren der Bezirk Weiz auf; knapp tiber dem steiermarkweiten Durchschnitt liegt schlie61ich noch Hartberg (fiber 43). Diese erh~Shten Werte gehen far den Bezirk Weiz, wie schon erwfihnt, nur auf die - allerdings sehr hohe - Suizidhfiufigkeit der Ober-80-Jfihrigen zurack, bei den Bezirken Deutschlandsberg und dagegen - genau umgekehrt - vorwiegend auf die hohen Raten in den Kohorten der ,dtingeren Senioren" im Alter von 60 bis 79 (siehe Tabelle 154). Dasselbe Muster findet sich auch far den Bezirk Murau. Alle diese Bezirke k6nnen als stfirker lfindlich-bfiuerlich gepr~gt charakterisiert werden, wogegen jene Bezirke der Obersteiermark, welche zwar insgesamt hohe Suizidraten aufweisen, aber gerade in der Klasse der 60 bis 69-Jfihrigen eher niedrige - Bruck, Leoben, Judenburg und Knittelfeld- traditionelle Industriebezirke darstellen. M6glicherweise hfingen die unterschiedlichen Suizidrisiken far einzelne Alterskohorten also auch mit solchen Unterschieden in den regionalen Erwerbskulturen zusammen. Viele Differenzen zwischen einzelnen Bezirken bleiben ohne sehr eingehende Detailanalysen, welche hier nicht angestellt werden k6nnen, dennoch kaum erklfirbar: Warum weisen etwa die beiden Bezirke mit den steiermarkweit deutlich h6chsten Gesamtraten an Suiziden, Murau und Mtirzzuschlag, in der Hochrisiko-Kategorie der 80- und mehr Jahre alten Personen v011ig verschiedene Daten auf?. Nun ist zwar Murau, im Gegensatz zu den anderen obersteirischen Bezirken, kulturell viel deutlicher einem lfindlich-bfiuerlichen Lebensstil zuordenbar, und einige ost- und weststeirische Bezirke (vor allem Deutschlandsberg und Radkersburg, wie soeben beschrieben, aber auf niedrigerem Niveau auch Farstenfeld) weisen diesbeztiglich ein fihnliches Muster auf, aber in Weiz und, abgeschwficht, auch Leibnitz, sind gerade die Suizidraten der 80- und mehr Jfihrigen deutlich erh6ht. Die im Vorangegangenen festgestellten regionalen Differenzen in den altersspezifischen Suizidraten sind aber zweifellos als far kanftig verstfirkte Prfiventionsarbeit ausgesprochen relevant zu erachten, zeigt sich doch, dass auch in Bezirken mit insgesamt eher niedriger Suizidrate einzelne Alterskohorten aberdurchschnittlich suizidgefahrdet sein kOnnen, und dies nicht nur die allgemein besonders betroffenen Senioren, sondern auch jangere
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
243
Altersschichten betrifft. So lfisst sich etwa im Bezirk Farstenfeld, der steiermarkweit die zweitniedrigste (rohe) Suizidrate aufweist, die Kategorie der 50 bis 59-Jfihrigen als stark von Suiziden betroffen benennen; der Bezirk ist zwar hinsichtlich der Einwohnerzahl eher klein, das Datum - es handelt sich im Beobachtungszeitraum um 13 Ffille - erscheint dennoch signifikant. Zahlreiche weitere Beobachtungen far einzelne Bezirke wurden im Vorangegangenen bereits beschrieben, hier sei nur noch Bezug auf die bemerkenswerte Verteilung far Graz und einige damit zusammenhfingende Aspekte genommen: Bei einer insgesamt etwa im Landesdurchschnitt liegenden Suizidrate erscheinen hier vor allem die altersspezifischen Raten der Bev01kerung im jangeren und mittleren Alter hoch, wfihrend far die Kohorten der 60-69 und 70-79-J~.hrigen ein bemerkenswerter absoluter Abfall der Suizidrate gegenaber dem Wert far die Klasse der 50 bis 59-Jfihrigen zu konstatieren ist. Far das Verhfiltnis zwischen den Kohorten der 50-59 und der 60-69-Jfihrigen allein lfisst sich ein solches Abnehmen der altersspezifischen Suizidrate neben Graz (Differenz um einen Wert von ca. 12) in insgesamt 6 weiteren Bezirken beobachten, in Farstenfeld (Differenz: aber 40), Knittelfeld (Differenz: fast 30), Leibnitz (Differenz: 17), Leoben (Differenz: 8), Bruck (Differenz: 5) und Judenburg (Differenz: knapp 5). Auch dieses merkwardige Ph~,nomen betrifft demnach alle ,,klassischen" obersteirischen Industriebezirke von Judenburg bis Bruck (es ist diesbezaglich interessant, dass auch in Marzzuschlag der Anstieg der Suizidrate zwischen diesen beiden Kohorten mit 1,5 nur gering ausfallt), daneben aber noch Leibnitz, Ftirstenfeld und eben Graz. Es ist denkbar, dass zumindest bei einem Teil dieser Bezirke die Einwohner im Durchschnitt einem (vergleichsweise) besonders hohen psychosozialen Druck im Berufsleben ausgesetzt sind, welcher vergleichsweise unganstige Suizidraten in den letzten Erwerbsjahren, und damit in der Kohorte der 50 bis 59-Jfihrigen, mit sich bringen k6nnte, w~.hrend dann der Obergang in die Pension in der 6. Lebensdekade von sehr vielen als deutliche Entlastung erlebt wird, und dementsprechend Suizidalitfit weniger oft auftritt. In fast allen Bezirken erht~ht sich die Suizidrate dann aber in der Kohorte der 70 bis 79-Jfihrigen, was insgesamt sicherlich mit einem in diesem Lebensalter vielfach deutlich verschlechterten physischen und auch psychischen Allgemeinzustand zusammenhfingt. Bemerkenswert erscheint, dass gerade in Graz in dieser Altersklasse eine dennoch - relativ geringe Suizidrate vorliegt, dies k6nnte mit einer besseren psychosozialen Versorgung bzw. einer breiteren Inanspruchnahme derselben - gerade far ~ltere Menschen in Graz zusammenhfingen. Warum gerade in Knittelfeld die bei weitem niedrigste Suizidrate unter den 70 bis 79-Jfihrigen und in Farstenfeld eine sehr niedrige unter den 80- und mehr Jfihrigen auftritt, ist demgegenaber schwerer erklfirbar. Zumindest far Knittelfeld sollte dieser Umstand inhaltlich nicht aberinterpretiert werden, ergfibe doch ein Vorliegen von ,,nur" zwei Suiziden mehr im Beobachtungszeitraum in diesem einwohnerschwachen Bezirk schon ein anderes Bild.
3.3.6
Familienstand der Suizidenten
Eine weitere grundlegende Erhebungsvariable war die des Familienstandes, wobei gemfi6 den in zahlreichen Untersuchungen far verschiedene europ~ische Lfinder festgestellten Ergebnissen auch far die Steiermark davon ausgegangen wurde, dass Geschiedene und Verwitwete h0heren Suizidhfiufigkeiten aufweisen warden als Ledige und Verheiratete,
244
3 Ergebnisse der Studie
was insbesondere auch unter Bert~cksichtigung der unterschiedlichen Altersstrukturen dieser Personengruppen gelten sollte. 419 Auch ft~r diese Variable war es mOglich, die erhobehen Hfiufigkeiten unter den Suizidenten in Bezug zur jeweiligen Verteilung in der Grundgesamtheit der BevOlkerung - mit Bezugsjahr 2001 - zu setzen. Auch eine gesonderte Analyse nach Alterkohorten wurde durchgefi~hrt, da dieser Faktor mit jenem des Familienstandes stark interferiert. Tabelle 154." H~.ufigkeiten der Familienstfinde unter den Suizidenten
Familienstand
H~iufigkeit
Prozent
ledig
852
29,3
verheiratet
1288
44,4
verwitwet
419
14,4
geschieden
344
11,8
zusammen
2903
100,0
k.A.
26
Gesamt
2929
Wie aus der obenstehenden Tabelle zu ersehen ist, war der grOBere Teil der Suizidenten in der Steiermark im Zeitraum 1995 bis 2004 verheiratet, nfimlich mehr als 44 O//o420,also fast die Hfilfte. An zweiter Stelle rangieren die Ledigen, die fast ein Drittel der Suizidenten stellen, danach folgen Verwitwete (14 %) und Geschiedene (12 %). Die weitaus meisten Suizide - in absoluten Zahlen - werden demnach von Verheirateten und Ledigen vert~bt, und nicht etwa yon Geschiedenen und Verwitweten. Eine gesonderte Betrachtung der beiden geschlechterspezifischen Hfiufigkeiten (siehe Tabelle 156) zeigt hierbei, dass die Geschlechterverteilung in der Kategorie der Geschiedenen in etwa der Gesamtverteilung entspricht (74:26 gegent~ber 75:25), wfihrend unter den Verheirateten die Mfinner noch etwas deutlicher unter den Suizidenten t~berreprfisentiert sind (78:22); insbesondere aber ist unter den Ledigen das Oberwiegen von mfinnlichen Suizidenten nochmals erh0ht; in dieser Kategorie sind im Durchschnitt von 5 Suizidopfern 4 mfinnlich (82:18). Unter den verwitweten Suizidenten stellen dagegen die Frauen einen jenem der Mfinner fast gleich groBen Anteil (53:47). Wfihrend der besonders hohe Anteil von mfinnlichen Suizidenten unter den Ledigen noch nfiher erklfirungsbedt~rftig wfire denkbar ist u.a., dass Mfinner mit schweren psychosozialen Problemen noch schwerer dauerhafte Partner finden als Frauen mit entsprechenden Schwierigkeiten -, ist der hohe Anteil der Frauen unter den verwitweten Suizidenten offensichtlich auf den weit gr0Beren Anteil yon weiblichen Personen unter Verwitweten in der GesamtbevOlkerung zurt~ckzuft~hren.
Siehe dazu und zur n~heren Begrtmdungdieser Annahmen die zugehOrigenAusft~hrungen in Kapitel 1. 42oBerechnet0 wie auch die folgenden Prozentanteile, ohne die FWlefehlender Angaben (insgesamt26, weniger als 1% der Gesamtheitder Suizidenten).
419
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalit~it in der Steiermark
245
Tabelle 155." Geschlechtsspezifische Hfiufigkeiten der Familienstfinde der Suizidenten 421
M~nner
Frauen
Familienstand
H
%
H
%
ledig
700
82,2%
152
17,8%
verheiratet
1006
78,1%
282
21,9%
verwitwet
221
52,7%
198
47,3%
geschieden
255
74,1%
89
25,9%
Gesamt
2182
75,2%
721
24,8%
Betrachtet man nun die Suizidraten je nach Familienstand, so zeigt sich erwartungsgemfil3 ein v611ig anderes Bild als bei Betrachtung der absoluten Hfiufigkeiten: Die Suizidrisiken sind, wie postuliert, far Verwitwete und Geschiedene erheblich h6her als far Verheiratete und Ledige; die Suizidrate far verheiratete Steirerinnen und Steirer betrfigt 25,0, jene far Verwitwete aber 45,8 und far Geschiedene 49,8. 422 Die approximativen Relativen Risiken betragen gerundet 2,0 bzw. 2,2 (siehe untenstehende Tabelle). Far die Ledigen ergibt sich nicht zuletzt aufgrund ihres durchschnittlich jt~ngeren Lebensalters, siehe dazu weiter unten - wiederum aber eine auch gegentiber den Verheirateten deutlich begiinstigte Situation, ihre Suizidrate liegt bei ,,nur" etwa 17, das approximative Relative Risiko gegentiber allen anderen Familienstfinden betrfigt nur etwa 0,6. Ftihrt man dieselben Analysen nochmals getrennt nach Geschlechtern durch, zeigen sich neuerlich sehr wichtige Phfinomene: Tabelle 156:
Suizidraten und Suizidrisiken nach Familienstfinden - Gesamt
Familienstand
Suizidenten
Einwohner
SR
ap. RR
ledig
852
508.497
16,8
0,55
ve rhei ratet
1.288
514.204
25,0
1,04
verwitwet
419
91.469
45,8
2,01
gesch ieden
344
69.133
49,8
2,17
Tabelle 157:
Suizidraten und Suizidrisiken nach Familienstfinden - Mfinner
Familienstand
Suizidenten
Einwohner
SR
ap. RR
ledig
700
272.404
25,7
0,52
ve rheiratet
1.006
258.340
38,9
1,05
verwitwet
221
13.982
158,1
4,52
geschieden
255
29.706
85,8
2,43
42~Ohne 26 betreffend des Familienstandes nicht zuordenbare Falle. 422Referenz bildetjeweils die Bev01kerungszahl 2001 laut Volkszahlung.
246
3 Ergebnisse der Smdie
Tabelle 158:
Suizidraten und Suizidrisiken nach Familienstanden - Frauen
Familienstand
Suizidenten
Einwohner
SR
ap. RR
ledig
152
236.093
6,4
0,42
verheiratet
282
255.864
11,0
0,89
verwitwet
198
77.487
25,6
2,60
gesch ieden
89
39.427
22,6
2,03
Wie zu ersehen ist, sind die relativen Suizidrisiken, innerhalb des jeweiligen Geschlechts im Vergleich zu den anderen Familienstanden betrachtet, bei den ledigen Frauen doch nochmals deutlich geringer als unter den ledigen Mannern (0,4 zu 0,5), und unter den verheirateten Frauen geringer als unter den verheirateten Mannem (0,9 zu 1,0). Auch die geschiedenen Frauen haben ein etwas geringeres relatives Suizidrisiko als die geschiedenen Manner (2,0 zu 2,1); vor allem aber ist das relative Suizidrisiko der Verwitweten bei den Frauen zwar auch vergleichsweise das h6chste, aber mit 2,6 im Vergleich zu den anderen Familienstanden weniger hoch als jenes von 4,5, welches verwitwete Manner im Vergleich zu Mannern anderen Familienstandes aufweisen. Insgesamt hat demnach der Familienstand bei Frauen einen etwas geringeren Einfluss auf das Suizidrisiko als bei Mannem; insbesonders verwitwete Manner mtissen als Hochrisiko-Gruppe gelten. Ihre Suizidrate betragt in der Steiermark 158 auf 100.000 pro Jahr! Berechnet man die einfache Ratio der im Zeitraum 1995 bis 2004 durch Selbsttt~tung verstorbenen, verwitwet gewesenen mannlichen Steirer in Bezug zur Anzahl der Witwer im Bundesland (wiederum mit Referenzjahr 2001), ergibt sich, dass im Beobachtungszeitraum etwa jeder 63. Witwer Suizid begangen hat! Natiirlich sind ein Gro6teil der Witwer zugleich altere Menschen, was bei der Interpretation dieser Ergebnisse mitberacksichtigt werden muss. Insgesamt gilt Dr beide Geschlechter, dass Verwitwete und Geschiedene deutlich hi, here Suizidraten aufweisen als Verheiratete und Ledige. Da die letzteren beiden Familienstande aber das Gros der Bev/31kerung stellen (86 % der steirischen Bevt~lkerung bei der VZ 2001), werden die in absoluten Zahlen meisten Suizide dennoch von Ledigen und Verheirateten vertibt (2140 von 2903 klassifizierbaren Suizidfallen, 74 %). Schlief31ich sei an dieser Stelle der Frage n~iher nachgegangen, in welchem Grad die unterschiedlichen Suizidrisiken far die verschiedenen Familienstande durch die unterschiedliche Altersstruktur der ihnen jeweils angeh6rigen Personen bedingt sind. Hierzu wurden die Suizidraten und-risken der einzelnen Auspragungen der Variable ,,Familienstand" getrennt far drei Alterskategorien berechnet, far die 10 bis 29-Jahrigen, die 30 bis 59-Jahrigen und die 60 und mehr Jahre alten Personen. 423 Wie die folgenden Tabellen ausweisen, kommt selbst diese relative grobe Unterteilung nach Altersklassen zu wesentlich anderen Ergebnissen als die Berechnung der Suizidraten und-risken Dr die Gesamtheit aller Alterskohorten.
423 Die Angaben zur Altersverteilung der steirischen Gesamtbev01kerung nach Familienstanden stammen aus: Statistik Austria (Hg.), Volksz~hlung2001. Hauptergebnisse I - Steiermark, Wien 2003, S. 146f.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitat in der Steiermark
Tabelle 159:
247
Suizidraten und Suizidrisiken nach Familienstfinden - 10 bis 29-Jfihrige
Familienstand
Suizidenten
Einwohner
SR
ap. RR
ledig
365
262.835
13,9
1,53
verheiratet
19
27.190
7,0
0,50
verwitwet
1
72
138,9
10,39
gesch iede n
7
2.522
27,8
2,09
Tabelle 160:
Suizidraten und Suizidrisiken nach Familienstfinden - 30 bis 59-Jfihrige
Familienstand
Suizidenten
Einwohner
SR
ap. RR
ledig
402
103.891
38,7
1,57
verheiratet
677
337.552
20,1
0,47
verwitwet
41
10.845
37,8
1,38
geschieden
269
52.101
51,6
2,08
Tabelle 161." Suizidraten und Suizidrisiken nach Familienstfinden - 60- und mehr Jfihrige Familienstand
Suizidenten
Einwohner
SR
ap. RR
ledig
85
19.262
44,1
1,04
ve rh e iratet
592
139.462
42,4
1,00
verwitwet
377
80.552
46,8
1,15
gesch ieden
67
14.510
46,2
1,09
Zum einen steigen erwartungsgemfil3 die Suizidraten, vergleicht man die Ergebnisse far jeweils denselben Familienstand zwischen den unterschiedenen Alterskategorien, im Allgemeinen kontinuierlich a n . 424 Aufschlussreich ist nun abet vor allem der Vergleich der Suizidraten b z w . - r i s k e n der Familienst~inde innerhalb der einzelnen Alterskategorien: Hierbei zeigt sich, dass der allgemein festgestellte Zusammenhang des erh/3hten Suizidrisikos von Verwitweten und Geschiedenen vor allem aus den stark erhOhten Raten im Bereich der Bev61kerung jangeren und mittleren Lebensalters resultiert: Geschiedene haben sowohl in der Altersklasse der Unter-30-Jfihrigen als auch in jener der 30 bis 60-Jfihrigen jeweils ein doppelt so hohes relatives Suizidrisiko im Vergleich zum Rest der Bev61kerung desselben Alters (ap. RR jeweils ca. 2,1). Dagegen weisen geschiedene Senioren zwar, wie Senioren jedes Familienstandes, ein insgesamt gesehen hohes Suizidrisiko a u f - mit einer Suizidrate von 46 -, unterscheiden sich diesbeztiglich von Senioren anderen Familienstandes aber nur mehr geringfagig (ap. RR 1,1). Es lasst sich eine Ausnahme feststellen, namlich die Suizidrate der Verwitweten, die in der niedrigsten Altersklasse hOher als in den folgenden ist. Man beachte aber die sehr geringe Fallzahl - es handelt sich um einen Suizidenten in Bezug auf insgesamt steiermarkweit72 Verwitwete im Alter unter 30.
424
248
3 Ergebnisse der Studie
Auch ftir die Verwitweten gilt, dass ein h6heres Suizidrisiko in den niedrigeren Alterskategorien deutlicher ausgeprfigt ist. Ftir die Kategorie der 30 bis 60-Jfihrigen ergibt sich eine Suizidrate von knapp 38, also fast das Doppelte der Rate der Verheirateten (20), das approximative Relative Risiko gegentiber allen anderen Familienstanden belauft sich auf ca. 1,4, das Suizidrisiko fi~r Verwitwete mittleren Alters ist demnach gegentiber der restlichen Bev01kerung um etwa 40 % erh/3ht. Ftir die Klasse der Unter-30-Jahrigen ist das ermittelte Suizidrisiko der Verwitweten eklatant hoch, man beachte aber die sehr geringen Fallzahlen, die das Ergebnis der Richtung nach zwar durchaus aussagekraftig erscheinen lassen; der H6he der ermittelten Zahlenwerte jedoch kommt hier bei weitem nicht dieselbe Aussagekraft wie bei den anderen Raten zu. Auch die verwitweten Senioren haben, wie erwartet, ein h/3heres Suizidrisiko; der Unterschied der ftir diese Kategorie ermittelten Suizidrate gegentiber jener ftir die anderen Familienst~,nde ist aber geringer; das Suizidrisiko wird als um ca. 15 % erh/3ht ausgewiesen (ap. RR 1,15). Beachtenswert erscheint es, dass sich ftir die Kategorie der geschiedenen 30 bis 59-Jfihrigen eine h0here Suizidrate ergibt, als ftir die geschiedenen Personen im h0heren Alter, dasselbe gilt ftir einen Vergleich zu den Verwitweten im h0heren Alter. Die deutlichsten Verschiebungen bei altersspezifischer Betrachtung ergeben sich aber im Verhfiltnis zwischen Ledigen und Verheirateten: Wahrend insgesamt gesehen Ledige ein weit geringeres Suizidrisiko aufweisen und die ftir diese Gruppierung ermittelte Suizidrate knapp 17 betr~gt, wfihrend sie sich Dr die Verheirateten auf 25 belauft (siehe weiter oben), zeigt die altersspezifische Untersuchung klar, dass dies ein Effekt der unterschiedlichen Alterszusammensetzung ist; getrennt nach den drei Kategorien der Unter-30-Jfihrigen, der 30 bis 59-Jahrigen und der 60- und mehr Jfihrigen kehrt sich dieses Verhfiltnis urn: Bei altersspezifischer Betrachtung - selbst mit dieser groben Klassifikation - weisen die Ledigen h0here Suizidraten auf als die Verheirateten; auch die relativen Suizidrisiken gegentiber dem Gesamt der anderen Familienst~nde (!) zeigen sie als ein fiberdurchschnittlich suizidgefahrdetes Bev01kerungssegment: Am wenigsten ausgeprfigt ist dies wiederum in der Klasse der Uber-60-Jahrigen (ap. RR nur knapp tiber 1), sehr deutlich aber bei den Persohen jtingeren und mittleren Alters. Hier betragen die approximativen Relativen Risiken 1,5 bzw. 1,6; der unmittelbare Vergleich gegentiber der Kategorie der Verheirateten zeigt sogar ein doppelt so hohes Suizidrisiko ftir Ledige derselben Alterskategorie! Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass zwar insgesamt nach absoluten Zahlen weniger Ledige als Verheiratete Suizid begehen, dass aber bei Be~cksichtigung der unterschiedlichen Altersstruktur Verheiratete weit geringere Suizidrisiken aufweisen als Ledige, dass weiter erwartungsgemfi6 auch Verwitwete h0here Suizidrisiken haben als Verheiratete - und zwar auch unter Berticksichtigung der Altersstruktur - und dass Geschiedene in allen Alterssegmenten au6er den Senioren die h0chsten Suizidraten aufweisen. Zu beachten ist bei dieser Klassifikation nattirlich, dass ,,Verheiratete" auch Wiederverheiratete beinhalten. Nicht das Kriterium eines Vorliegens einer Scheidung tiberhaupt in der jeweiligen Biographie ist demnach hier Grundlage der Differenzierung, sondern der aktuelle Familienstand, sodass nur Geschiedene, die keine neuerliche Heirat vollzogen, in der Statistik des Familienstandes als solche firmieren. Nicht ableitbar ist aus den prfisentierten Daten demnach eine Quantifizierung des Suizidrisikos ftir Jemals-Geschiedene. Aufgrund der vorliegenden Daten ist aber anzunehmen, dass dasselbe unter dem Risiko Dr die Kategorie der Aktuell-Geschiedenen, jedoch fiber jenem ftir die Kategorie der hie geschiedenen, verheirateten Personen liegt.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
249
Sowohl Scheidung als auch Verwitwung stellen den erhobenen Daten nach, wie sie im Obigen prfisentiert wurden, jedenfalls deutliche Suizidrisiken dar (wie dies in der entsprechenden Hypothese postuliert worden war). Insgesamt waren 26 % der Suizidenten in der Steiermark in den Jahren 1995 bis 2004 bei ihrem Tod verwitwet oder geschieden, in der GesamtbevOlkerung stellen (nicht wiederverheiratete) Verwitwete und (nicht wiederverheiratete) Geschiedene aber nur knapp 14 %. Auch Ledige haben aber, mit gleichaltrigen Verheirateten verglichen, ein deutlich erhOhtes Suizidrisiko, wobei aber natfirlich auch nicht alle Ledigen tatsfichlich partnerlos lebende Menschen waren, worauf im folgenden Absatz nfiher einzugehen ist. 3.3.7 Partnerschaft und Elternschafi der Suizidenten Inhaltlich aufschlussreicher, aber weniger gut erhebbar stellt sich gegent~ber dem Kriterium des formalen Familienstandes jenes der tatsfichlichen Partnerschaftsverh~iltnisse dar. Hierfiber berichtet die offizielle Todesursachenstatistik natfirlich nichts, aber anhand der sicherheitsbehOrdlichen Akten konnten entsprechende Informationen erhoben werden. Da far diese Informationsquelle vor allem far den Zeitraum vor 2000 zahlreiche Fehldaten auftraten, werden im Folgenden sowohl die Verteilungen der erhobenen Merkmale ffir den Gesamtzeitraum als auch far die vollstfindiger dokumentierte Periode 2000 bis 2004 wiedergegeben: Tabelle 162:
Hfiufigkeiten betr. den ,,Partnerschaftsstatus" der Suizidenten (1995-2004)
P a rtn e rsch aft
H~ ufig k eit
P roze nt
keine feststellbar
222
13,9
bestehend
844
52,8
ehemalig
534
33,4
Zusammen
1600
100
k.A.
1329
Gesamtsumme
2929
Tabelle 163:
Hfiufigkeiten betr. den ,,Partnerschaftsstatus" der Suizidenten (2000-2004)
Partnerschaft
H~ufigkeit
Prozent
keine feststellbar
146
13,1
bestehend
592
53,1
ehemalig
377
33,8
Zusammen
1115
100
k.A.
289
Gesamtsumme
1404
250
3 Ergebnisse der Studie
Wie zu ersehen ist, unterscheiden sich die beiden Verteilungen, obwohl im ersteren Fall fast die Hfilfte der Ffille nicht klassifizierbar waren, far die Periode 2000 bis 2004 aber ,,nur" ca. 20 %, nur sehr geringftigig voneinander: In je 53 % der zuordenbaren Ffille war bei den Suizidenten zum Todeszeitpunkt eine bestehende Partnerschaft gegeben, in 33 bzw. 34 % der F~lle lag eine Situation nach Partnertrennung vor; bei 13 bzw. 14 % der Verstorbenen konnte anhand der sicherheitsbehOrdlichen Angaben weder eine bestehende noch eine zurt~ckliegende Partnerschaft erschlossen werden. 425 Aufschlussreich ist bier aber besonders ein Vergleich der Ergebnisse mit den far die Variable ,,Familienstand" erhobenen Daten: Wfihrend insgesamt nur 44 % der Suizidenten verheiratet waren, befanden sich sicherlich aber 50 % (53 % der zuordenbaren Ffille) beim Todeszeitpunkt in einer aufrechten Partnerschaft, also ein doch merklich hOherer Anteil. Deutlich hOher f'allt aber auch der Anteil der Betroffenen aus, welche in einer persOnlichen Situation nach Partnerverlust gelebt hatten: Wfihrend sich far die Summe der Anteile der Verwitweten und der Geschiedenen (siehe weiter oben) ein Prozentwert von 26,2 ergibt, zeigt die Aktenanalyse einen prozentualen Anteil far ,,ehemalige Partnerschaften" von deutlich aber 30 % (33 % der zuordenbaren Ffille far den Gesamtzeitraum). Der Anteil der Menschen ohne dauerhafte Partnerbindungen in ihrer Biographie fallt demgegent~ber mit nur ca. 14 % weit geringer aus als jener der Ledigen mit 29 %. Alle diese Verschiebungen waren der Richtung nach zu erwarten, insbesondere die letztgenannte Differenz ist in ihrer HOhe aber ausgesprochen bemerkenswert. Die Bedeutung von Partnerverlust im Zusammenhang mit Suizidhandlungen ist anhand dieser Betrachtung noch hOher einzuschfitzen, als es die Analyse der Familienstfinde allein mit sich bringen wt~rde. Der Anteil derjenigen Personen, welche aufgrund psychosozialer Defizite niemals Partnerbeziehungen eingehen konnten, ist dagegen so doch viel geringer anzusetzen, als dies eine blo6e Betrachtung des Ledigen-Anteils vielleicht suggerieren kOnnte! Eine geschlechtsspezifische Betrachtung zeigt hierzu im Wesentlichen den hinsichtlich des Familienstandes bereits konstatierten Unterschieden entsprechende Ergebnisse: Die Geschlechterverteilung entspricht in der Kategorie der Personen mit bestehender Partnerschaft in etwa der Gesamtverteilung, wfihrend unter den Personen mit ,,ehemaliger Partnerschaft" Frauen etwas stfirker reprfisentiert sind (der Vergleich mit den Erhebungen zum Familienstand zeigt, dass dies v.a. auf die hOhere Anzahl von Witwen als Witwern in der GesamtbevOlkerung und demnach auch unter den verwitweten Suizidenten beiden Geschlechts zurackzufahren ist); demgegent~ber sind unter den Personen ohne bekannte bestehende oder zurackliegende - Partnerschaft die mfinnlichen Suizidenten noch deutlicher aberreprfisentiert als in der Gesamtheit der Suizidopfer (ein der Analyse der Geschlechterverteilung unter den Ledigen analoger Befund). Suizidraten und Suizidrisiken lassen sich far diese Variable aufgrund des Fehlens entsprechender Daten far die Gesamtbev6lkerung, wie schon erwfihnt, nicht berechnen; es gelten aber gemfi6 den obigen Ausfahrungen wohl die far die Familienstfinde erhobenen Befunde analog auch hier, sodass von deutlich erhOhten Suizidraten von Personen in Lebenssituationen nach Partnerverlust - sei es durch Trennung oder durch Tod des Partners - ausgegangen werden muss.
425 Differenziert wurde nach der aktenm~6igen Bekanntheit einer als Partnerschaft (nicht: flt~chtigen Bekanntschaft) ansehbaren, sexuellen Beziehung, wobei die etwaige Zeitspanne zwischen Ende der Partnerschaft und Suizid nicht weiter beracksichtigt wurde, also auch bei lange zurackliegenden Partnerschaften hier eine Klassifikation als ,,Situation ehemaliger Partnerschaft" vorgenommenwurde.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark Tabelle 164.
251
Geschlechtsspezifische Hfiufigkeiten des Partnerschaftsstatus der Suizidenten 1995-2004
M~nner
Frauen
Partnerschaft
H
%
H
%
keine feststellbar
184
82,9
38
17,1
bestehend
647
76,7
197
23,3
ehemalig
361
67,6
173
32,4
Zusammen
1192
74,5
408
25,5
Tabelle 165:
Geschlechtsspezifische Hfiufigkeiten des Partnerschaftsstatus der Suizidenten 2000-2004
M~nner
Frauen
Partnerschaft
H
%
H
%
keine feststellbar
120
82,2
26
17,8
beste hend
448
75,7
144
24,3
ehemalig
265
70,3
112
29,7
Zusammen
833
74,7
282
25,3
Weitere Aufschlt~sse erbringt eine getrennte Berechnung nach Altersklassen: Tabelle 166:
Suizidenten nach Altersklassen und Partnerschaftsstatus/Familienstand (%)u26
Alter
10-29
30-59
60+
keine Partnerschaft
4&8
14,3
4,4
ledig
93,1
28,9
7,6
bestehende Partnerschaft
30,8
56,3
54,6
verheiratet
4,8
48,7
52,8
ehemalige Partnerschaft
20, 3
29, 4
41, 0
geschieden oder verwitwet
2,0
22,3
39,6
Wie aus der Zusammenstellung zu ersehen ist, betreffen die Differenzen in den Verteilungen zwischen ,,offiziellem" Familienstand und tatsfichlichem Partnerschaftsstatus vor allem Personen jt~ngeren und mittleren Alters. Unter den - insgesamt ca. 13 % aller Suizidfalle stellenden - Suizidenten im jugendlichen und jungen Erwachsenenalter (unter 30) war nur Dr etwa die Hfilfte tatsfichlich keine dauernde Partnerschaft in der Lebensgeschichte festzustellen; wfihrend t~ber 90 % ,,ledig" waren und nur ca. 5 % verheiratet, lebten doch t~ber 426
Jeweils Anteile an den vorhandenen Angaben ft~rden Gesamtzeitraum 1995 bis 2004.
252
3 Ergebnisse der Smdie
30 % der Betroffenen vor ihrem Suizid in einer Partnerschafi, und 20 % hatten bereits eine missglt~ckte Partnerbeziehung hinter sich. Diese Differenzen haben natarlich vor allem mit der allgemein-gesellschaftlich geringen Verbreitung von Eheschliel3ungen unter Personen jfingeren Alters, auch wenn dauerhafie Partnerbeziehungen vorliegen, zu tun. Die festgestellten Unterschiede sind aber nattMich far eine inhaltliche Beurteilung von grN3ter Bedeutung: Da nur ein kleinerer Tell der ledigen Suizidenten tatsachlich partnerlos gelebt hatte, kann dieser Umstand nicht mehr im vollen Ausmal3 far die im vorigen Absatz konstatierte, h~Shere Suizidrate der Ledigen, verglichen mit den Verheirateten innerhalb des jeweiligen Alterssegments, verantwortlich gemacht werden. Auch muss die Relevanz von Partnertrennungen nach diesen Informationen eben bereits far die Unter-30-jahrigen Suizidenten weit hOher eingeschatzt werden, als dies anhand der Daten zum Familienstand der Fall ware. Hinsichtlich der Suizidenten im mittleren Alter (30 bis 59) zeigt die Auswertung wiederum Ergebnisse, wie sie tar die Gesamtheit der Suizidenten bereits vorgestellt wurden: H~Shere Anteile von Personen in zum Todeszeitpunkt bestehenden Partnerschafien, aber auch von Personen, die Partnerverluste hinter sich hatten, dafar nur halb so groge Anteile von Personen, die (zumindest nach aktenmal3iger Lage) nie in Partnerschaften gelebt hatten. In der Kategorie der 60 und mehr Jahre alten Suizidenten sind der Richtung nach dieselben Unterschiede eruierbar, jedoch sind sie weit weniger ausgepragt. Noch welt lfickenhafier als zu nur informell bestehenden Partnerschafien gestaltete sich die Erhebung hinsichtlich einer etwaigen Elternschafi der Suizidenten. Nicht nur enthalt die Todesursachenstatistik selbstverstandlich keine Angaben hierzu, sondern auch die Informationen aus den Akten der SicherheitsbehOrden sind diesbeztiglich kaum aussagekrafiig, denn eine Erwahnung von Kindern findet in denselben nur dann statt, wenn diese im Zuge der Erhebungen eine Rolle spielten. Insbesondere bei Vorhandensein eines Ehepartners und Abwesenheit von minderjahrigen, im gleichen Haushalt mit dem Suizidenten lebenden Kindern bestand meist augenscheinlich kein Anlass, iiber etwaige Nachkommen der Suizidenten Aktenvermerke anzulegen (keine Zeugenschafi, keine Notwendigkeit der unmittelbaren Information durch die BehOrden). Als verlassliche Daten zu diesem Aspekt erschienen daher nut Angaben der Sozialversicherungsanstalten fiber etwaig bestehende Mitversicherungen, die natfirlich i.A. nur Nachkommen, welche selbst noch nicht berufstatig waren, erfassen; 427 diese Informationen konnten, wie erwahnt, lediglich far die Jahre 2002 bis 2004 zur Verfagung gestellt werden. Eine Auswertung zeigt, dass der Grol3teil der Suizidenten keine mitversicherten Kinder hatte (74,2 %); aussagekraftiger ist hier aber eine Untersuchung nur des Alterssegments der 20 bis 59-Jahrigen, da der grN3te Anteil aberhaupt vorfallender Mitversicherungen von eigenen Kindern sicherlich diesen Bev6lkerungsteil betriffi (Nachkommen yon Senioren sind i.A. bereits selbst berufstatig, der Anteil der Personen, welche bereits als Teenager Eltern werden, ist in der Gegenwartsgesellschafi gering). Far diese Teilkategorie der Suizidenten ergibt sich Folgendes:
427Die abermittelten, anonymenDaten aber Mitversicherte beinhalteten vielfach keine explizite Angabe aber den Verwandtschafisbezug, sondern nur Geburtsjahr und Geschlecht; vom Studienautor wurden s~mtliche Mitversicherte, die zumindest 15 Jahre jtinger als die Suizidenten selbst waren, als ,,Nachkommen" klassifiziert, Personen geringeren Altersunterschieds dagegen als ,,Partner". Es ist nicht auszuschlieBen, dass hierbei einige Fehlzuordnungen vorfielen, welche insbesondere Paare mit groBem Altersunterschied betreffen kOnnten. Die Anzahl dieser F~lle dtirfie aber gering sein, und auf die ermittelten Zahlenwerte nur geringen verzerrenden Einfluss ausaben.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
253
Tabelle 167." Mitversicherte Kinder bei Suizidenten im Alter von 20 bis 59 (2002-2004)
Kinder
H~ufigkeit
Prozent
keine
273
81,3
1
28
8,3
2
22
6,5
3 oder 4
13
3,9
zusammen
336
100
k.A.
80
Gesamt
416
Ober 80 % der Suizidenten im Erwachsenenalter unter 60 Jahren hatten demnach zumindest keine mitversicherten Kinder; in etwa einem Fanftel der Suizidf'alle yon Personen zwischen 20 und 59 in den Jahren 2002 bis 2004, die in dieser Hinsicht auswertbar waren, hatten die Verstorbenen mitversicherte, also meist wohl noch minderj~hrige Kinder, im GroBteil der Falle eines oder zwei. Um den Anteil der Suizidenten mit Kindem noch verlfisslicher abgrenzen zu kOnnen, bietet sich weiters aber noch eine auf die Klasse der 20 bis 35-Jfihrigen eingeschrankte Analyse an; denn ft~r dieses Alterssegment kann davon ausgegangen werden, dass tatsfichlich die meisten Kinder zumindest der mfinnlichen Betroffenen, soweit diese im selben Haushalt lebten, tatsfichlich auch als Mitversicherte gezfihlt werden, wfihrend far Personen im hOheren Alter ja von einem betrfichtlichen Anteil von Kindern auszugehen ist, die bereits selbst berufst~tig und daher nicht mitversichert waren. Entsprechend dem Gesagten soll weiters eine Differenzierung hinsichtlich des Geschlechts der Suizidenten vorgenommen werden: Tabelle 168:
Mitversicherte Kinder bei Suizidenten im Alter von 20 bis 35 (2002-2004) 428 Gesamt
M~nner
Frauen
Kinder
H
%
H
%
H
%
keine
87
87,0
76
90,5
11
68,8
1
6
6,0
4
4,8
2
12,5
2
5
5,0
3
3,6
2
12,5
3 oder 4
2
1,0
1
1,2
1
6,3
zusammen
100
100
84
100
16
100
Wie zu ersehen ist, ist bei dieser altersmfiBig eingeschr~nkteren Betrachtung der Anteil der insgesamt eruierbaren, mitversicherten Kinder nicht grt~Ber, sondern sogar geringer; far 428Ohne 26 nicht auswertbare F~lle.
254
3 Ergebnisse der Studie
87 % der Suizidenten des jt~ngeren Erwachsenenalters bis 35 kann festgestellt werden, dass sie keine mitversicherten Kinder hatten. Betrachtet man die Kategorie der mfinnlichen Suizidenten allein, kann festgestellt werden, dass t~ber neun Zehntel keine mitversicherten Kinder, und damit in den meisten Ffillen wohl gar keine mit ihnen im selben Haushalt lebenden Kinder hatten. Bemerkenswert ist weiter, dass sich demgegent~ber bei den Frauen im Alter von 20 bis 35 ein mit t~ber 30 deutlich hOherer prozentualer Anteil yon Suizidenten mit mitversicherten Kindern ergibt, obwohl ja auch heute noch Mitversicherungen von Kindern insgesamt Ofter bei den hfiufiger erwerbstfitigen Mfinnern erfolgen. Die Fallzahlen sind hierbei aber zu gering, als dass hieraus verlfissliche allgemeine Schlussfolgerungen gezogen werden kOnnten. In explorativer Weise wurde schlieBlich noch t~berprt~ft, ob sich hinsichtlich der Geschlechtsverteilung der mitversicherten Kindern oder der Altersdifferenz derselben zum Suizidenten bei statistischer Betrachtung irgendwelche Besonderheiten zeigen wt~rden, die etwa hinsichtlich der familifiren psychosozialen Konstellation von Belang sein kOnnten; dies ist jedoch nicht der Fall. 429
3.3.8
Versicherungszugeh6rigkeit der Suizidenten
Auch die Daten zur Versicherungszugeh0rigkeit der Suizidenten selbst stellen potentiell relevante Informationen dar. Dieselben wurden f't~r die Verstorbenen des Zeitraums 2002 bis 2004 erhoben ( ~ r die Zeit davor war eine ausreichend vollst~,ndige Erhebung seitens der Sozialversicherungsanstalten nicht mOglich) und sind in der umseitigen Tabelle ihrer Hfiufigkeit nach zusammengefasst. Die Gesamtheit der Suizidf~,lle in der Steiermark in diesem Teilzeitraum betrug 860; 43o ft~r insgesamt 103 dieser Sterbefalle (12 %) konnten aus verschiedenen Grfinden - insbesondere der Nicht-Verffigbarkeit nfiherer sicherheitsbeh~rdlicher Daten (94 Ffille) - keine ausreichenden Informationen erlangt werden, die es ermOglicht hfitten, den Versicherungsstatus verlfisslich zu t~berprtffen. Ft~r die verbleibende Menge von 757 Suizidf~,llen der Jahre 2002 bis 2004 ergibt sich eine absolute und prozentuelle Hfiufigkeitsverteilung der VersicherungszugehOrigkeit zum Todeszeitpunkt, welche Tabelle 170 entnommen werden kann. Der GroBteil der Suizidenten war, wie dies ja auch der Verteilung in der GesamtbevOlkerung entspricht, bei der steiermfirkischen Gebietskrankenkasse versichert. GrOBere Anteile stellen weiters die BVA-, SVB-, SVA- und VAEB-Versicherten. Betreffend die relativ wenig Versicherte aufweisenden Betriebskrankenkassen ragt v.a. eine eher hohe Anzahl von Suizidenten hervor, die bei der BKK Donawitz versichert war. Kleinere Krankenkassen, die keine Betriebskrankenkassen sind, treten bei dieser Auswertung quantitativ nicht hervor. Jedoch lfisst sich konstatieren, dass eine zahlenmfiBig mit 51 zugeordneten Ffillen ganz betrfichtliche Kategorie von Suizidenten zum Todeszeitpunkt gar keine SozialUnter den insgesamt 69 Fallen, in welchen eine Mitversicherung von Kindern bei Suizidenten (jedes Alters) registriert wurde, betrafen 10 eine Anzahl yon 3 oder 4 Kindern, mit insgesamt nahezu vOIlig gleichm~Biger Geschlechterverteilung (17 S0hne, 15 TOchter) und ebensolcher Aufteilung auf verschiedene Konstellationen; in 19 F~,llen batten die Verstorbenenje 2 mitversicherte Kinder (bekannten Geschlechts), wobei alle drei m0glichen Kombinationen (2 TOchter, 1 Tochter und 1 Sohn, 2 SOhne) etwa gleich h~,ufig auftraten. 17 Suizidenten hatten einen mitversicherten Sohn, 16 eine mitversicherte Tochter; es lieBen sich also keine Ungleichverteilungen beobachten. (In 7 zus~tzlichen Fallen war das Geschlecht nicht bekannt). 43o Gem~.Bden ft~rdas Sample insgesamt angewandten Kriterien, siehe dazu Kapitel 2. 429
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
255
versicherung hatte. Dies entspricht immerhin etwa 7 % aller Suizidenten (!) und stellt ein gerade im Hinblick auf kanftige Prfivention hochrelevantes Ergebnis dar, selbst wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass in einigen wenigen dieser Kategorie zugeordneten Ffillen realiter doch ein VersicherungsverhNtnis vorgelegen hatte, welches aufgrund des ziemlich komplizierten E r h e b u n g s v e r f a h r e n s dem Studienautor nicht bekannt wurde. 43~
Tabelle 169:
Versichertenstatus der steirischen Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 u32
Versicherungsstatus
H
%
Steierm&rkische Gebietskrankenkasse (STGKK)
455
60,1
Versicherungsanstalt 6fffentlich Bediensteter (BVA)
54
7,1
Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB)
62
8,2
Sozialversicherungsanstalt d. gewerbl. Wirtschaft (SVA)
38
5,0
Versicherungsanstalt f0r Eisenbahnen u. Bergbau (VAEB)
47
6,2
Betriebskrankenkasse Donawitz
11
1,5
Betriebskrankenkasse Kapfenberg
5
0,7
Betriebskrankenkasse Zeltweg
5
0,7
Kleine Betriebkrankenkassen
2
0,3
Gebietskrankenkassen anderer Bundesl~inder
4
0,5
Andere kleine Krankenkassen
2
0,3
Keine Sozialversicherung
51
6,7
Unklare, uneindeutige Versicherungszugeh6rigkeit
21
2,8
Summe
757
100
Die Frage, ob b e s t i m m t e Versichtertengruppen unter den Suizidenten aberreprfisentiert waren, ist dutch einen Vergleich mit den Versichertenzahlen in der steirischen GesamtbevOlkerung beantwortbar, wobei hier Daten der grOBeren Sozialversicherungsanstalten ft~r den Jahresbeginn 2001 als Referenz herangezogen wurden:
43~Zu bemerken ist diesbezaglich auch, dass far weitere 21 Personen zwar - im Gegensatz zu den oben erwahnten ca. 100 F~llen, far die gar keine sozialversicherungsbezogenen Daten erhebbar waren - Informationen aus dem Sozialversicherungsbereich bezogen werden konnten, aber hinsichtlich der VersicherungszugehOrigkeit zum Todeszeitpunkt widersprtichliche bzw. uneindeutige Angaben vorlagen (wobei dies nicht F~lle von eindeutig bestehenden Mehrfach-VersicherungszugehOrigkeiten betrifft); diese Fglle sind in Tabelle 169 als cigene Kategorie angeftihrt. 432Wegen des unverh~.ltnism~,Bighohen Erhebungsaufwandes im Verh~ltnis zur geringen quantitativen Bedeutung wurden far die weiteren Erhebungen von sozialversicherungsbezogenen Informationen die beiden Suizidffille der Kategorie ,,andere kleine Krankenkassen" nicht beracksichtigt, sodass die Summe der im Folgenden diesbezaglich untersuchten Suizide 755 betr~,gt. Im Falle von MehrfachzugehOrigkeiten wurden die Versicherten, wo auch eine STGKK-Versicherung vorlag, derselben zugezfihlt. In den restlichen F~llen von MehrfachzugehOrigkeit (2 Personen) wurde die Klassifikation so vorgenommen, dass die wahrscheinlich als Hauptberuf ausgetibte Tatigkeit repr~sentiert ist.
3 Ergebnisse der Studie
256
Als Ergebnis der entsprechende Berechnungen kann festgehalten werden, dass sich far die VAEB-Versicherten mit einer Suizidrate von 30,6 der hOchste Wert ergibt - d e r oftensichtlich mit dem hohen Anteil von Senioren in dieser Versichertenkategorie zusammenh~ingt-, gefolgt von den SVB-Versicherten mit einer Suizidrate von 28,2 und den GKKVersicherten mit einer Rate von 25,5 Suiziden pro 100.000 Einwohner und Jahr. Ftir SVAVersicherte liegt dagegen mit einem Wert yon 19,3 eine deutlich geringere Hfiufigkeit vor.
3.3.9
Erwerbsstatus der Suizidenten
Die Frage nach dem Einfluss des Vorhandenseins von Erwerbstfitigkeit und ihren Formen auf die Suizidalitfit wurde als eine zentrale auch far den mikrosozialen Untersuchungsteil erachtet. Zugrunde lag die Almahme, dass insbesondere Pensionisten und Beschfiftigungslose tiberdurchschnittlich oft Suizid begehen wtirden; aber auch Selbst~indige (insbesondere Landwirte) k6nnten Ofter betroffen sein als andere Personenkategorien, vor allem gegentiber der Gesamtmenge der Arbeitnehmer. Studenten und Schtiler wiederum sollten eher geringe Suizidrisiken aufweisen. 433 Die Hfiufigkeitsauswertung, klassifiziert nach den Kategorien: erwerbst~itige Arbeitnehmer, erwerbsf~ihige Beschfiftigungslose, (aktive) Selbstfindige (ohne Landwirte), (aktive) Landwirte (einschliel31ich mithelfender Familienangeh6riger), Pensionisten, Personen in Ausbildung (Schiller, Studenten) sowie einer Residualkategorie mit unzuordenbaren Fallen sowie haushaltsf't~hrenden Personen bringt bedeutende Ergebnisse (siehe hierzu die Tabellen 171 und 172 umseitig. 434 Die Gegeniaberstellung der Tabellen far die beiden Zeitrfiume 1995-2004 und 20002004 zeigt nicht zuletzt deutlich das Datenerhebungsproblem far den Zeitraum vor 2000; da die entsprechenden Angaben nicht aus der Todesursachenstatistik hervorgehen, sondern nur den sicherheitsbeh6rdlichen Akten zu entnehmen waren, fehlen far insgesamt 40 % der Suizidenten die betreffenden Daten. Innerhalb des zweiten Teilperiode (2000 bis 2004) ist dagegen der GroBteil der betreffenden Informationen eruierbar; die folgenden ErOrterungen beziehen sich daher nur auf diese Zeitspanne, obwohl ein Vergleich der in der Spalte ,,gtiltige %" angefahrten Anteile zeigt, dass zwischen den far die Gesamtperiode und jenen ftir die zweite Teilperiode ermittelten Werten nur eher geringe Differenzen bestehen. Betreffend die insgesamt 1404 steirischen Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004 konnte in 88 % der Ffille der sicherheitsbeh6rdliche Akt eingesehen werden; innerhalb dieser Summe war aber wiederum in einer nicht unerheblichen Zahl von F~illen (160) keine Angabe zu einer (vorhandenen oder nichtvorhandenen) Berufst~itigkeit verzeichnet; der Grol3teil 433 Die Ursachen far diese angenommene Verteilung sind wahrscheinlich komplexer Natur; bei Pensionisten (sowohl Alters- ais Frahpensionisten) sind schlechtere kOrperliche und mentale Verfassung in Rechnung zu stellen, weiters soziale Isolation, bei Besch~ftigungslosen soziale Deprivation, Frustration sowie gleichfalls haufigere k0rperliche und psychische Beschwerden. Bei Selbstandigen und Landwirten sind hingegen eher spezifische ,,Milieu"-Faktoren, besondere subkulturelle Werthaltungen und Einstellungen in Betracht zu ziehen. Die hypothetisch geringere Suizidrate auch haushaltsfahrender Personen ist vor allem als Effekt ungleicher Geschlechterverteilung zu begreifen, da die meisten derselben Frauen sind und diese generell weniger suizidgefahrdet sind. Die wahrscheinlich geringe Suizidrate von Schalern und Studenten dagegen ist vor allem als Alterseffekt aufzufassen. 434Da die entsprechenden Daten auf den Akten der SicherheitsbehOrden beruhen, und in denselben nut sehr selten Personen als ,,Hausfrauen" bzw. ,,Hausmanner" bezeichnet werden, sondern in solchen Fallen offensichtlich meist keine n~ere Angabe zur etwaigen Berufst~tigkeit gemacht wurde, ist die Kategorie der haushaltsfahrenden Persohen nicht sinnvoll yon jener der Personen mit fehlenden Angaben zur Erwerbst~_tigkeitabtrennbar, und werden die entsprechenden Zahlenangaben hier zusammengefasst prasentiert.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
257
der Betroffenen darften entweder Pensionisten, insbesondere Frahpensionisten, gewesen sein (nur 25 fallen in die Altersklasse ab 60) oder haushaltsfahrende Personen (68, also ein ungewOhnlich gro6er Anteil, waren Frauen); da eine genaue Zuordnung aber eben nicht mOglich war, wurden diese SuizidfNle gemeinsam mit jenen eher seltenen, welche explizit ,,Hausfrauen" betrafen (26 im Zeitraum von 2000 bis 2004) zur Residualkategorie ,,k.A./ haushaltsfahrende Personen" zusammengefasst. Dieser Kategorie sind betr~chtliche 15 % aller Suizidfalle, in welchen Akten eingesehen werden konnten, zuzuordnen. Tabelle 170:
Erwerbsstatus der Suizidenten - H~iufigkeiten und Anteile (1995-2004) Erwerbsstatus
H
%
gQIt. %
Pensionisten
819
28,0
46,2
Besch~iftigungslose
205
7,0
11,6
Arbeitnehmer (berufst~itig)
361
12,3
20,3
Selbst~indige
68
2,3
3,8
Landwirte
56
1,9
3,2
Scheler und Studenten
51
1,7
2,9
k.A./haushaltsfQhrende Personen
214
7,3
12,1 100
Tabelle 171:
Zusammen
1774
60,6
keine Erhebung m6glich
1155
39,4
Gesamtsumme
2929
100
Erwerbsstatus der Suizidenten - Hfiufigkeiten und Anteile (2000-2004) Erwerbsstatus
%
gQIt. %
Pensionisten
554
39,5
44,7
Besch~iftigungslose
134
9,5
10,8
Arbeitnehmer (berufst&tig)
251
17,9
20,3
Selbst~ndige
47
3,3
3,8
Landwirte
40
2,8
3,2
SchQler und Studenten
27
1,9
2,2
k.A./haushaltsfQhrende Personen
186
13,2
15,0
Zusammen
1239
88,2
100,0
keine Erhebung m6glich
165
11,8
Gesamtsumme
1404
100,0
Es ist wahrscheinlich, dass diese Summe auch einen gewissen Anteil von Personen beinhaltet, die weder tiber ein aktives Erwerbseinkommen oder eine Pension verfl~gten noch von anderen Familienmitgliedern erhalten wurden. Daher ist auch der tatsfichliche Anteil der
258
3 Ergebnisse der Studie
entsprechend zu definierenden ,,Beschfiftigungslosen ''435 noch etwas hOher anzusetzen als dies in Tabelle 172 ausgewiesen ist, dasselbe gilt flir den Anteil der Pensionisten. Pensionisten (einschlie61ich Frahpensionisten sowie in den Akten als ,,Pensionisten" bezeichnete, jedoch tatsfichlich von Familienmitgliedem erhaltene Personen im Pensionsalter) stellen mit einem Anteil von knapp 45 % aller Suizidfalle, far welche Akten greifbar waren, den weitaus grO6ten Anteil der Suizidenten in der Steiermark. Dieser Befund geht natarlich konform mit den bereits vorgestellten Ergebnissen hinsichtlich der Altersverteilung, wo stark zunehmendes Suizidrisiko far Menschen im Seniorenalter konstatiert wurde. Unter den 554 Pensionisten, welche im Zeitraum von 2000 bis 2004 Suizid begangen hatten, finden sich aber neben 458 Menschen im Alter von 60 und mehr Jahren auch 96 jangere Personen, die daher jedenfalls als Fr~hpensionisten anzusprechen sind. 436 Die meisten dieser durch Suizid verstorbenen Steirer befanden sich im Alter zwischen 40 und 59 und waren mfinnlichen Geschlechts, wie dies der untenstehenden Liste zu entnehmen ist:
Tabelle 172." Alters- und Geschlechtsverteilung der als ,,Pensionisten" klassifizierten S. Anzahl
m
20-29
2
2
30-39
9
7
40-49
20
50-59
65
Alter
Alter
10-19
Anzahl
m
f
60-69
133
99
34
70-79
200
141
59
2
80-89
98
70
28
10
10
90+
27
21
6
52
13
Summe
554
402
152
Die zweithfiufigste Kategorie nach den Pensionisten stellen, wenig aberraschend, die Arbeitnehmer, mit einem Anteil von 20 % der ,,galtigen FWle" (d.h. hier jener, in welchen Akten vorhanden waren). Hierauf folgt bereits die Kategorie der Beschfiftigungslosen mit einem Anteil von nahezu 1 1%! Auch far diese beiden Kategorien sei untenstehend wiederum die Alters- und Geschlechtsverteilung wiedergegeben:
Tabelle !73" Alter
Alters- und Geschlechtsverteilung der als ,,Arbelt9 n ehmer " klassifizierten S. Anzahl
m
f 3
Alter
Anzahl
m
f
8
10-19
17
14
50-59
46
38
20-29
37
33
4
60-69
2
2
30-39
76
63
13
70+
40-49
73
60
13
Summe
251
210
41
Arbeitslose, Notstands- und Sozialhiifebezieher sowie alle anderen Personen ohne Erwerbseinkommen, Pension oder Erhalt durch Familienmitglieder im gleichen Haushalt. 436Nach rechtlichen Kriterien waren weiters fraglos auch etliche Personen im h0heren Alter als ,,Frt~hpensionisten"zu definieren gewesen. Wegen der in den polizeilichen Akten nicht immer vorgenommenenDifferenzierung und der inhaltlich geringeren Bedeutung wurde hier aber keine weitere Unterscheidung vorgenommen.
435
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitat in der Steiermark Tabelle 174: Alter
Alters- u. Geschlechtsverteilung der als ,,Beschaftigungslos" klassifizierten S. Anzahl
rn
f 2
50-59
Alter
10-19
5
3
20-29
36
32
4
60-69
30-39
33
28
5
70+
40
31
9
Summe
40-49
259
Anzahl
rn
f
19
16
3
133
110
23
Wie zu erkennen ist, betreffen Suizide von Arbeitnehmern vorwiegend das ,,mittlere" Alter zwischen 30 und 60 Jahren (195 von 251 Fallen im Zeitraum 2000 bis 2004), und - wie letale Suizidalitfit insgesamt- vorwiegend Manner; das Geschlechterverhaltnis liegt in diesem Bereich sogar bei fiber 5:1 (!) zuungunsten der Manner. Ein nahezu ebenso groBer Geschlechterunterschied (GR 4,8) besteht in der Kategorie der als ,,Beschaftigungslose" erkennbaren Suizidenten. Der altersmaBige Schwerpunkt ist hier aber ein anderer, die 20 bis 29-Jahrigen stellen hier schon einen Anteil, der dem der 30-39 und 40-49-Jahrigen in etwa entspricht. Jugendliche Arbeitslose sind demnach besonders aberdurchschnittlich suizidgefahrdet, wenn man sie mit Gleichaltrigen, die einer Arbeit nachgehen kt~nnen, vergleicht. In absoluten Zahlen nur geringe Anteile unter den Suizidenten in H~Shen zwischen zwei und vier Prozent stellen Selbstandige, Landwirte sowie Schaler und Studenten. Unter den insgesamt 47 Suizidfallen von Selbstandigen (ohne Landwirte) betrafen 43 Manner, nur 4 dagegen Frauen (GR: 10,8!), wobei 31 Manner und 3 Frauen im Alter zwischen 40 und 60 waren, also im fortgeschrittenen Erwerbsalter. ,,Nur" 8 Suizide von mannlichen Unternehmern und einer einer Unternehmerin betrafen Personen im Alter unter 40. Vier mannliche Unternehmer unter den Suizidenten hatten bereits das 60. Lebensjahr erreicht (aber keine einzige Unternehmerin). Unter den 40 erwerbstatigen Landwirten, die sich im Zeitraum von 2000 bis 2004 in der Steiermark selbst t/3teten, waren 31 Manner und 9 Frauen (GR: 3,4); 20 der mannlichen Landwirte waren im Alter zwischen 40 und 60, 5 alter und 6 janger. Unter den Landwirtinnen waren bis auf eine altere Person alle im Alter zwischen 40 und 60. Hinsichtlich der Kategorie ,,Schaler und Studenten" ergibt eine altersund geschlechtsspezifische Auswertung, dass es sich in 18 Fallen um mannliche, in 9 um weibliche Personen handelte (GR: 2,0), wobei von den insgesamt 27 durch SelbsttiStung Verstorbenen in dieser Kategorie 13 - 9 mannliche und 4 weibliche Personen - offensichtlich noch Schaler waren, da sie maximal 18 Jahre alt waren (ein weiterer mannlicher Suizident war 19); 7 mannliche und 4 weibliche Suizidenten dieser Kategorie waren Studenten im Alter von 20 bis 29, ein weiterer Student und eine weitere Studentin waren zwischen 30 und 39 Jahren alt. Auch far diese Variable gilt aber natarlich, dass die volle Bedeutung der erhobenen Haufigkeiten der Suizidfalle sich erst erschlieBt, wenn dieselben in Relation zur jeweiligen Gesamtzahl von Personen mit denselben Merkmalen in der Bev/31kerung gesehen werden. Far die Residualkategorie ,,keine Angabe und haushaltsfahrende Personen" wurde wegen mangelnder Vergleichbarkeit von Daten far die Gesamtbevt~lkerung kein solcher Vergleich vorgenommen; wegen der Unscharfen in der Zuordnung wurde gleichermaBen von einer Ermittlung far die Kategorie der ,,Pensionisten" verzichtet, da far diesen Bereich die Auswertungen zu den unterschiedlichen Altersklassen als deutlich verlasslicher erscheinen.
260
3 Ergebnisse der Studie
Festzustellen bleibt aber anhand der Zahlenverteilung nach Altersklassen innerhalb der Kategorie der ,,Pensionisten", dass Frt~hpensionisten zweifellos ein erh0htes Suizidrisiko aufweisen. Die ermittelten Suizidraten far die ~ibrigen Kategorien des Erwerbsstatus sind unten wiedergegeben; sie sind als Mindest-Raten zu betrachten, da keine ,,Aufschl~ge" far j e n e n Anteil yon Suizidenten v o r g e n o m m e n wurden, die hinsichtlich ihrer Erwerbstfitigkeit anhand der Polizeidaten nicht zuordenbar waren (12,2 %; aufgrund dieser Unschfirfe erfolgt hier auch keine B e r e c h n u n g von approximativen Relativen Risiken.
Tabelle 175:
Mindest-Suizidraten nach Erwerbskategorien gem~B polizeilichen Akten 437
Erwerbsstatus
ermittelte Suizidenten
Anzahl in der Gesamtbev~lkerung bei VZ 2001
spezifische Suizidrate
Besch &ftig ung slose
134
37.756
71,0
(aktive) Arbeitnehmer
251
465.285
10,8
(aktive) Selbstandige
47
40.951
23,0
(aktive) Landwirte
40
24.011
33,3
Sch01er, Stud. (ab 10 J)
27
133.578
4,0
Die Auswertung der vorhandenen Daten zu den Erwerbspersonen zeigt ganz erhebliche Unterschiede in spezifischen Suizidraten, die, wie erwdhnt, nur als Mindest-Raten zu betrachten sind. Die bei weitem hOchste spezifische Suizidrate weisen die Beschdfiigungslosen (Arbeitslose, Notstands- und Sozialhilfeempfdnger sowie sonstige Personen, die weder durch eigene Einkommen noch aufgrund yon Finanzierung durch AngehOrige ihren Lebensunterhalt bestreiten konnen) aus; sie liegtjedenfalls f2ber 70 pro 100.000 Personen und Jahr, womit die Betroffenen jedenfalls als Hochrisikogruppe fiir Suizidalitdt zu betrachten sind. Ausgesprochen hoch, wenn auch bei weitem niedriger als die Suizidraten fiir Beschdfiigungslose, sindjene fiir Landwirte, die im Zeitraum 2000 bis 2004 mindestens mit 33 auf IO0.OO0 Landwirte und Jahr zu veranschlagen sind. Auch die Kategorie der Selbstdndigen weist mit einer Rate von 23 ein Ergebnis weit ~berjenem der Suizidh~iufigkeiten von Arbeitnehmern auf sodass selbst unter Beriicksichtigung der gegebenen Unschdrfen wegen des Fehlens der Daten f~r 12 % aller Suizidfdlle jedenfalls von einer real gegebenen, deutlichen Diskrepanz zuungunsten der als Unternehmer tdtigen Personen ausgegangen werden kann. F~ir Sch~ler und Studenten ergibt sich- im Hinblick auf die betreffend der Altersverteilung angestellten ErOrterungen wenig iiberraschend- eine sehr niedrige Suizidrate, die ,,nur" 4 pro I O0.OO0 und Jahr betrdgt. Zudem ist von so gut wie keinen Fehldaten in dieser Kategorie auszugehen.
Die Anzahlen der den einzelnen Kategorien zuzuordnenden Personen in der steirischen Gesamtbevolkerung beziehen sich auf die Ergebnisse der Volksz~hlung 2001; vgl. hierzu: Statistik Austria (Hg), Volkszfihlung 2001, Hauptergebnisse II - Osterreich, Wien 2004, bes. S. 44s und 78f., Statistik Austria (Hg.), Volkszahlung 2001, Hauptergebnisse II - Steiermark, Wien 2004, S. 42 u. 144f., sowie: Statistik Austria (Hg.), Volksz~hlung 2001, Schtiler und Studenten, Wien 2005, S. 44; es handelt sich durchwegs um Stichtagspr~valenzen for den 15.05.2001, die daher als Ersatz ft~r die nicht bekannten Verteilungen zu Jahresanfang 2000 gut geeignet sind. Die ft~r die Kategorie ,,Schiller und Studenten" angegebene Zahi bezieht sich auf Personen im Alter von 10 und mehr Jahren.
437
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
261
Der Tendenz nach dieselben, in den Differenzen aber etwas geringer ausgeprfigte Unterschiede zwischen den angesprochenen Kategorien zeigt eine Kontroll-Auswertung anhand der Sozialversicherungsdaten ~ r den Zeitraum 2002 bis 2004 (siehe dazu weiter unten). Da die Kategorien der Selbstfindigen und der Landwirte wegen ihres geringen Anteils an der Gesamtbev/51kerung aber trotz der ermittelten hohen Risken in absoluten Zahlen jeweils ,,nur" einige Dutzend Suizidenten im betrachteten Zeitraum von 2000 bis 2004 stellen, ist es wenig sinnvoll, innerhalb der einzelnen Erwerbskategorien nochmals altersspezifische Suizidraten und -risiken zu ermitteln. Aus der oben wiedergegebenen Zahlenverteilung resultiert abet, dass Unternehmer bzw. Landwirte im h6heren Erwerbsalter (t~ber 40) besonders stark suizidgef'~hrdet sind, Beschfiftigungslose dagegen bereits im jt~ngeren Alter hohe Suizidhfiufigkeiten aufweisen - und Mfinner in allen Kategorien ,,natt~rlich" weit hfiufiger als Frauen Suizide durchft~hren. Berechnet man anhand der hochgerechneten Gesamtzahlen von Suiziden in den einzelnen Erwerbskategorien geschlechterspezifische Suizidraten, so ergeben sich folgende Werte: Tabelle 176:
Geschlechterspezifische Mindest-Suizidraten nach Erwerbskategorien 438
Erwerbsstatus
ermittelte Suizidenten
Anzahl in der Gesamtbev6lkerung bei VZ 2001
spezifische Suizidrate
besch~iftigungslose Mtinner
110
18.167
121,1
besch~iftigungslose Frauen
23
16.191
28,4
m~innliche Arbeitnehmer
210
279.796
15,0
weibliche Arbeitnehmer
41
219.847
3,7
m~innliche Selbst~indige
43
26.879
32,0
weibliche Selbst~indige
4
14.072
5,7
m~nnliche Landwirte
31
11.673
53,1
weibliche Landwirte
9
12.338
14,6
,,
Die geschlechterspezifische Betrachtung zeigt, abgesehen vom allgemeinen Bestehen gro6er Geschlechterdifferenzen innerhalb der einzelnen Kategorien, dass mfinnliche Landwirte eine besonders stark betroffene Teilkategorie darstellen, nochmals mehr als doppelt so hoch liegt die Suizidrate aber bei den mfinnlichen Beschfiftigungslosen. Auch die mindestens gegebene, spezifische Suizidrate von beschfiftigungslosen Frauen ist mit 28 erschreckend hoch und erreicht einen Wert, der schon nahe der ft~r das mfinnliche Geschlecht insgesamt zu ermittelnden Rate ft~r diesen Zeitraum liegt. Verhfiltnisse sozio0konomischer Deprivation k0nnen so das geringere Suizidrisiko von Frauen nahezu aufheben; gegen~ber Mfinnern in derselben Lage der Beschfiftigungslosigkeit erscheint die Suizidalitfit der betroffenen Frauen ffeilich wiederum erheblich geringer (die Genderratio der absoluten Zahlen liegt, wie erwfihnt, bei 4,8:1, die Suizidraten verhalten sich zueinander wie 4,3:1). Diesbezt~glich sollte schlieBlich auch den geschlechtsspezifischen Suizidraten der Selbstfindigen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden: Hier zeigt die Berechnung ein Verhfiltnis von 5,6:1, 438Berechnetanhand der zur Tabelle 175 angegebenen Informationsquellen.
262
3 Ergebnisse der Studie
in absoluten Zahlen fallt die Relation aufgrund der deutlich grOgeren Anzahl von selbstfindig erwerbstfitigen Mfinnem noch unganstiger aus. Mit einer Mindest-Suizidrate von 32 weisen auch selbstfindige Mfinner eine bedenklich hohe Suizidh~iufigkeit auf, die mehr als doppelt so hoch wie jene der als Arbeitnehmer tfitigen mfinnlichen Personen liegt. Weibliche Selbstfindige haben demgegent~ber in Bezug zu weiblichen Arbeitnehmern eine geringer erhOhte Suizidhfiufigkeit. Dagegen ist unter den Landwirten auch das weibliche Geschlecht eklatant stfirker betroffen als weibliche Arbeitnehmer. Neben diesen Differenzierungen wurde wiederum auch eine Untersuchung der unterschiedlichen Hfiufigkeiten nach Bezirken vorgenommen; ein Vergleich der prozentualen Anteile der verschiedenen Kategorien von Erwerbstfitigen an der Gesamtsumme der Suizidenten pro Bezirk zeigt folgende Besonderheiten: Deutlich aber dem Landesdurchschnitt von ca. 45 % liegende Anteile yon Pensionisten unter den Suizidopfern lassen sich far Radkersburg, Weiz, Leoben und Deutschlandsberg feststellen; mOgliche Ursachen hierft~r lassen sich derzeit kaum benennen. In der Kategorie der Beschfiftigungslosen ragt vor allem der mit ca. 2 1 % gegenaber dem Landesdurchschnitt nahezu doppelt so hohe Anteil in der Stadt Graz hervor; diesbez~glich kann sicherlich ein Zusammenhang mit den besonderen Lebensbedingungen angenommen werden; insbesondere unganstige Auswirkungen einer grOBeren Anonymitfit, aber auch eine grOgere Attraktion der bei weitem einwohnerstfirksten steirischen Stadt far Menschen mit psychosozialen Problemen k6nnten hierbei ins Treffen gefahrt werden. Die hOchsten Anteile yon Arbeitnehmern unter den Suizidenten weisen die Bezirke Leibnitz, Feldbach und Liezen auf (28-31%, gegeniiber 20 % im Landesdurchschnitt); demgegent~ber beging im Zeitraum von 2000 bis 2004 im Bezirk Radkersburg kein einziger aktiver Arbeitnehmer Suizid. Hier erscheint wiederum fraglich, ob diesen Unterschieden inhaltliche Bedeutung beigemessen werden kann. Dies gilt umso mehr far die zahlenmfiBig geringen Kategorien der Selbstfindigen und der Landwirte feststellbaren Anteilsunterschiede, die im Allgemeinen zudem gering sind. Eine Ausnahme stellt jedoch der t~beraus hohe Anteil von nahezu 20 % Selbst~ndigen (ohne Landwirte) unter den Verstorbenen im Bezirk Murau dar, der erklfirungsbedt~rftig write, liegt doch der Landesdurchschnitt bei 3 o~.439 Betreffend Schalem und Studenten sind die Fallzahlen gleichfalls zu gering, um bezirksweise Differenzen seri/Ss interpretieren zu kOnnen. Wie bereits betont wurde, stellen die Pensionisten die zahlenmfiBig gr0gte Kategorie bei Differenzierung nach dem Erwerbsstatus; far den Zeitraum von 2000 bis 2004 554 von 1234 zuordenbaren Suizidenten, was einem Anteil yon ca. 45 % entspricht. Selbstverstfindlich ist es auch von Interesse, diese Klasse hinsichtlich der unterschiedlichen vorangegangenen Bemfstfitigkeiten zu differenzieren. Hierzu liefern die sicherheitsbeh0rdlichen Akten aber zu wenig Anhaltspunkte, da aus denselben bei bereits pensionierten Personen vielfach keine eindeutigen Angaben aber die frahere Berufstfitigkeit hervorgeht. Eine MOglichkeit zur Klassifikation boten hierzu aber die Informationen der Sozialversicherungsanstalten. Dieselben erlauben zudem auch innerhalb der Kategorie der Arbeitnehmer eine klare Unterscheidung zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern gem fiB arbeitsrechtlichem Status. Die Ergebnisse einer entsprechenden Ausz~hlung der Hfiufigkeiten far die Periode von 2002 bis 2004 ste|len sich so dar:
Eine eingehende Analyse der einzelnen F~lle, die hierzu nOtig w~re, kann im vorliegenden Bericht aber nicht vorgenommen werden.
439
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
263
Tabelle 177." Erwerbsstatus der Suizidenten gemfil3 Sozialversicherungsdaten 2002-04
Erwerbsstatus
H
%
Pensionisten insgesamt
343
45, 4
pensionierte Arbeiter
146
:
19,3
pensionierte Angestellte
63
~
8,3
pensionierte Beamte
27
3,6
pensionierte Landwirte
45
6,0
pensionierte Selbst~indige
16
2,1 I
Pensionisten o.n.A.
25
3,3
Bezieher von Hinterbliebenenpension
21
2,8
!
Arbeitslose insgesamt
37
4,9
arbeitslose Arbeiter
24
3,2
arbeitslose Angestellte
13
1,7
Akfive Arbeitnehmer insgesamt
197
26,0
Arbeiter
132
17,5
Angestellte
36
4,8
Beamte
29
3,8
Landwirte
15
2, 0
Selbst#ndige
22
2,9
Mitve rsiche rte
55
7, 2
!
sonstige Versicherte
35
4, 6
keine Sozialversicherung, keine Angabe
51
6, 8
Summe
755
100
Wie zu ersehen ist, stellen sich die Hauptkategorien bei dieser Erhebung far die Jahre 2002 bis 2004 in ihrer Verteilung fihnlich dar wie bei der anhand der sicherheitsbeh0rdlichen Akten far den Zeitraum 2000 bis 2004; entsprechend dem Umstand, dass bei letztgenannter ein gr013erer Anteil yon nicht klassifizierbaren Ffillen konstatiert werden musste, als dies hier der Fall ist, fallen die Anteilswerte far die einzelnen Kategorien teils h0her aus: Gemfi6 dieser Analyse waren im Zeitraum 2002 bis 2004 45 % der Suizidenten Pensionisten (PA: 45 %) und insgesamt 26 % Arbeitnehmer (davon knapp 18 % Arbeiter, aber ,,nur" 5 % Angestellte sowie 4 % Beamte).
264
3 Ergebnisse der Studie
Dieser Anteilswert liegt also deutlich h6her als bei der Analyse der sicherheitsbeh0rdlichen Akten (20 %); das Suizidrisiko und die Suizidrate ft~r Arbeitnehmer sind gemfi6 diesen Daten nach oben zu revidieren. Die betrfichtliche Differenz ist offensichtlich auf eine relativ gro6e Anzahl yon Ffillen zurt~ckzu~hren, die gemfif3 sicherheitspolizeilichen Akten nicht klassifizierbar waren, nunmehr aber dem Arbeiternehmer-Sektor zuzuordnen waren. Der Anteil der Landwirte und Selbstfindigen ist bier dagegen jeweils etwas geringer als bei der Auswertung der sicherheitsbeh0rdlichen Akten. Deutlich geringer als bei den Auswertung e n d e r polizeilichen Akten nimmt sich hier der Anteil der Beschfiftigungslosen aus, er umfasst aber nur die tatsfichlich Arbeitslosengeld beziehenden Personen, und ist demnach definitorisch enger gefasst. Dem entsprechende n Anteil von 5 % dt~rfte demnach noch ein wesentlicher Teil der Suizidenten zuzurechnen sein, die als ,,sonstige Versicherte" klassifiziert sind bzw. ft~r die gar keine sozialversicherungsmW3igen Daten zu erhalten waren, was auf eine fehlende Versicherung, und damit ja auf Sozialhilfeempfanger und andere Personen ohne Erwerbstfitigkeit und Versicherungsschutz hinweist (6,8 %). Besonders bedeutsam erscheint aber, dass die Sozialversicherungsdaten, wie erwfihnt, nfihere Differenzierungen erlauben: Unter den 37 Suizidenten der Jahre 2002, 2003 und 2004, die zum Todeszeitpunkt Arbeitslosenunterstt~tzung bezogen hatten, waren 24 ehemalige Arbeiter, aber ,,nur" 13 arbeitslose Angestellte. 44~ Ahnlich stellt sich die Verteilung unter den Pensionisten dar; hier stellen ebenso die ehemaligen Arbeiter mit 146 von 343 Suizidfallen das Gros, dem 63 pensionierte Angestellte und 27 pensionierte Beamte gegent~berstehen. Neben etlichen Ffillen, die nicht nfiher zuordenbar waren, und Beziehern von Hinterbliebenenpensionen stellen in der Kategorie der Pensionisten aber auch die ehemaligen Landwirte mit 45 Suizidfallen einen betrfichtlichen Anteil, deutlich geringer sind ehemalige Selbstfindige vertreten (16 Ffille). Gleicherma6en stellen unter den erwerbstfitigen Suizidenten die Arbeiter mit 132 von 197 Verstorbenen den Gro6teil dar, dem ,,nur" 36 Suizidffille von Angestellten und 29 von Beamten gegen~berstehen. Auch hierzu lassen sich, zumindest ft~r einen Gro6teil der unterschiedenen Kategorien, spezifische Suizidraten berechnen (siehe umseitig). Wie aus Tabelle 179 zu ersehen ist, ergeben die Berechnungen fur die spezifischen Suizidraten auch anhand dieser Daten eklatante Unterschiede zwischen den einzelnen Kategorien; als Gesamtkategorie weisen hier, wenig t~berraschend, die Pensionisten mit ca. 41 die h0chste Suizidrate auf, gefolgt von den aktiven Arbeitern, deren Suizidrate dreimal so hoch ist wie jene der aktiven Angestellten und Beamten. (Eine Berechnung der Suizidrate erschien hier mOglich, weil die Angaben der Sozialversicherungsanstalten zu den Suizidenten in diesem Punkt mit den Daten der Statistik Austria betreffend der GesamtbevOlkerung kompatibel sind, was Dr den Bereich der sicherheitsbeh0rdlichen Daten nicht gesagt werden kann.) Innerhalb der Kategorie der Pensionisten zeigen sich ebenso gro6e Unterschiede; die Kategorie der pensionierten Landwirte weist mit 54 eine weit hOhere Suizidrate auf als die anderen Kategorien, wfihrend die Suizidrate der pensionierten Arbeiter mit GKKVersicherungsverhfiltnis mit 40 etwa im Gesamtdurchschnitt, aber wesentlich t~ber jenen ft~r GKK-versicherte, pensionierte Angestellte (34) und pensionierte Selbstfindige (ca. 33) liegt. Pensionierte Landwirte, aber auch pensionierte Arbeiter sind demnach als besonders suizidgeffihrdet einzustufen.
~o Arbeitslose Beamte gibt es aus rechtlichen Grtmdennicht.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalit~t in der Steiermark T a b e l l e 178."
265
Suizidraten nach Erwerbsstatus gem. Sozialversicherungsdaten (2002-04) 441
ermittelte Suizidenten
Anzahl in der Gesamtbev~51kerung gem. VZ 2001
spezifische Suizidrate
alle Pensionisten
343
281.731
40,6
Erwerbsstatus
pens. Arbeiter GKK
146
120.761
40,3
pens. Angestellte GKK
63
61.527
34,1
pensionierte Landwirte
45
27967
53,6
, , .
pens. Selbst~ndige
16
ca. 16300
ca. 32,7
Aktive Arbeitnehmer ges.
19 7
469.922
14,0
Arbeiter
132
209.003
21,1
Angestellte und Beamte
65
260.819
8,3
Selbst#ndige
22
40.951
17,9
Landwirte
15
24.011
20,8
Gefolgt wird die Kategorie der Pensionisten insgesamt in der HOhe der spezifischen Suizidraten auch hier von den Landwirten; die Berechnung der Suizidrate mr die Kategorie der ,,Landwirte" im sozialversicherungsmW3igen Sinn und unter Beschrfinkung auf die Jahre 2002 bis 2004 weist hier aber eine deutlich geringere Abweichung nach oben hin auf als die vorhin pr~sentierte anhand der sicherheitsbeh0rdlichen Daten. Eine nfihere O b e r p ~ f u n g ergibt, dass tatsfichlich auch anhand der sicherheitsbeh0rdlichen Akten eine deutlich hOhere Suizidrate far Landwirte in den Jahren 2000-2001 als in den Jahren 2002-2004 zu ermitteln ist; dasselbe gilt far Selbstfindige, wfihrend bei den Arbeitnehmer die Verh~ltnisse bemerkenswerterweise genau umgekehrt liegen (siehe Tabelle 180). Der Vergleich zeigt, dass die Diskrepanzen zwischen sicherheitsbeh0rdlichen und Sozialversicherungs-Daten zum einen in einer deutlich unterschiedlichen Verteilung der Erwerbspersonen, die Suizid begangen hatten, flir die Zeitrfiume 2000 bis 2004 respektire 2002 bis 2004 begrandet lagen, dass aber zum anderen auch bei Betrachtung jeweils desselben Zeitraums Unterschiede auftreten, die sich auf die zu konstatierenden MindestSuizidraten deutlich auswirken. Insbesondere scheinen die meisten derjenigen Personen, welche in den sicherheitsbeh0rdlichen Akten hinsichtlich des Erwerbsstams nicht klassifi441 Wegen der schwierigen Datenlage betreffend der Gesamtbev01kerung, insbesondere betreffend einer trennscharfen Abgrenzung der betreffenden Personenkategorieyon anderen, und ihrer heterogenen Zusammensetzung nicht berechnet wurden spezifische Suizidraten und -risiken far Arbeitslose im engeren Sinn, far Mitversicherte, Bezieher yon Hinterbliebenenpensionen, ,,sonstige Selbstversicherte" und jene Falle, in welchen keine Sozialversicherungsdaten zu ermitteln waren. Far die weitere Berechnung wurden die Suizidffille der Kategorie ,,Pensionisten ohne nahere Angabe" proportional den anderen definierten Kategorien (einschliel31ich Bezieher yon Hinterbliebenenpensionen) zugerechnet. Die Kategorien der Angestellten und Beamten wurden wegen der besseren Vergleichbarkeit mit den Volksz~hlungsdaten hier zu einer Gesamtkategoriezusammengefasst. Die Gesamtzahl der ,,aktiven Arbeitnehmer" wurde aus der Summe der Arbeiter, Angestellten und Beamten gem~13VZ 2001 abzaglich der Summe der zu diesem Zeitpunkt Beschgftigungslosen(im Sinne der Statistik Austria) errechnet. Die Anzahlen der Teiikategorien yon Pensionisten erfolgen nach den Angaben der jeweiligen Sozialversicherungstr~ger far den Stichtag 01.01.2001, alle anderen Angaben gemfil3der Volksz~hlung 2001.
266
3 Ergebnisse der Studie
zierbar waren, Arbeitnehmer gewesen zu sein, wfihrend umgekehrt einige Personen in den Sozialversicherungsdaten nicht als Landwirte oder Selbstfindige aufscheinen, obwohl sie anhand der Polizeidaten als solche zu kategorisieren waren. Im letzteren Fall handelt es sich nur um wenige Personen (siehe Tabelle), da die Gesamthfiufigkeiten in diesen Kategorien aber gering sind, resultiert doch ein merklicher Einfluss auf die ermittelten spezifischen Suizidraten. Jedoch ist die Rangordnung zwischen den drei unterschiedenen Kategorien von Erwerbst~.tigen in beiden FNlen dieselbe, lediglich die Spannbreite zwischen der geringsten Suizidrate - j e n e r der Arbeitnehmer - und der hOchsten - j e n e r der Landwirte erscheint unterschiedlich hoch. Eine v011ig exakte Verteilung lfisst sich mit dem vorliegenden Informationsmaterial nicht ermitteln; die These, dass Selbst~,ndige und Landwirte h0here Suizidrisiken aufweisen als Arbeitnehmer, wird jedoch durch beide Betrachtungsweisen bestfitigt. Tabelle 1 79." Suizidenten und Mindest-Suizidraten nach Erwerbsstatus gemfil3 polizeilichen Akten t't~r die Perioden 2000-2001 und 2002-2004 und Vergleich mit den Daten der Sozialversicherungen Polizeidaten Zeitraum
2000-2001
2002-2004
Sozialversicherungsdaten
Erwerbsstatus
ermittelte Suizidenten
spezifische Suizidrate
ermittelte Suizidenten
spezifische Suizidrate
Arbeitnehmer
91
9,8
-
-
Selbst~ndige
22
26,9
-
-
Landwirte
22
45,8
-
-
Arbeitnehmer
160
11,5
197
14,0
Selbst~ndige
25
20,3
22
17,9
Landwirte
18
25,0
15
20,8
3.3.10 Art der Berufstdtigkeit der Suizidenten Abgesehen vom ,,Erwerbsstatus" selbst hat wohl auch die jeweilige Art der Erwerbstfitigkeit einen Einfluss auf das Suizidrisiko: Manche Berufsgruppen sind, wie verschiedene Studien ergaben (siehe hierzu Kapitel 1), t~berproportional vertreten, darunter Personen in hochqualifizierten Tfitigkeiten mit hohem Ausbildungslevel - etwa Arzte - ebenso wie Menschen, die psychisch und/oder somatisch stark belastende Tfitigkeiten mit geringen Ausbildungsanforderungen aust~ben, etwa Fabrikarbeiter. 442 Hinsichtlich dieser Variable steht in der vorliegenden Studie aber ein explorativer Ansatz im Vordergrund, da zu spezi442Hinsichtlich des Ursachengeft~gesist bei allen diesen Kategorienneben der Belastung dutch die T~.tigkeitselbst auch eine Pr~selektion einschl~gig ,,vorbelasteter" Individuen ins Kalkal zu ziehen. Besondere Bedeutung wird man solchen Effekten bei einigen Berufsgruppen zuschreiben k0nnen, die speziellen Subkulturen zuzurechnen sind.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitat in der Steiermark
267
fischen Suizidrisiken einzelner Berufe in Osterreich kaum empirische Daten vorliegen. Es sollte daher versucht werden, anhand der Daten der Sicherheitsbeh/3rden und Sozialversicherungen etwaig besonders gef~ihrdete Berufsgruppen zu eruieren. Die Bearbeimng dieser Fragestellung erwies sich als relativ aufwandig, da die sehr vielf~iltigen Daten zur Berufstatigkeit aus den sicherheitsbehOrdlichen Akten erst in ein einheitliches Codierungsschema tibertragen werden mussten. Als solches wurde wegen der erwtinschten Vergleichbarkeit mit Daten for die GesamtbevOlkerung die ISCO-Klassifikation der Berufe gemaB Statistik Austria gewahlt. 443 Die folgende Tabelle 181 enthalt die Haufigkeiten und prozentualen Anteile far die ISCO-Kategorien mr alle jemals erwerbst~itigen gewesen Suizidenten. Tabelle 182 enthalt dieselben Daten far die zum Todeszeitpunkt erwerbstatigen bzw. arbeitslos gewesenen Personen (also ohne Pensionisten). Nur far diese letztere Tabelle war ein Vergleich mit der Verteilung innerhalb der allgemeinen (Erwerbs-) BevOlkemng m0glich, sodass auch spezifische Suizidraten errechnet werden konnten (siehe unten). Die Untergliederung nach ein-, zwei- oder dreistelliger ISCO-Systematik erfolgte hierbei neben inhaltlichen Aspekten auch nach ZweckmaBigkeit hinsichtlich der Anzahl der jeweiligen Suizidenten und m0glicher Zuordnungsgenauigkeit. 444 Es ist hierbei zu betonen, dass diese Auswertung wohl bestimmte, deutliche Abweichungen der Suizidraten einzelner Berufsgruppen vom Gesamtdurchschnitt aufzeigen kann, dass aber geringe Differenzen nicht inhaltlich interpretiert werden dtirfen, da die Zuordnung zu den einzelnen Kategorien anhand der vorhandenen sicherheitsbehOrdlichen Informationen unweigerlich gewisse Unscharfen bedeutete und zudem manche Kategorien nur mit sehr wenigen Fallen ,,besetzt" sind. Zunachst soll die far die Gesamtheit der jemals Berufstatigen ermittelte Berufsverteilung besprochen werden. Far dieselbe lassen sich leider, da ausreichend verlassliche Vergleichdaten far die Gesamtbev6lkerung fehlen, keine spezifischen Suizidraten ermitteln. Immerhin ist feststellbar, dass drei Erwerbskategorien den Hauptanteil der Suizidenten stellen, namlich (1.),,Anlagen- und Maschinenbediener" (,,sonstige" Fabrikarbeiter, Kraftfahrer usw.) und Hilfsarbeiter in industriellen Erwerbszweigen (ISCO 8 und 93), (2.) Metallarbeiter, Bergarbeiter, im Bau- und Ausbaugewerbe tatige Personen sowie sonstige Handwerker (ISCO 7), sowie (3.) Land- und Forstwirte. In diesen drei Erwerbskategorien zusammen tatige bzw. tatig gewesene Personen stellen 60 % der Suizidenten. Far eine Interpretation dieses Sachverhalts ist nattirlich zu bedenken, dass genau diese Erwerbskategorien wohl auch die am meisten verbreiteten in der Gesamtbev/31kerung darstellen. 443 Vgl. hierzu: Statistik Austria (Hg.), Volkszahlung 2001, Hauptergebnisse II - (3sterreich, S. 29, Volkszahlung 2001, Hauptergebnisse II - Steiermark, S. 232-234. 444Die ISCO-Codes for Leiter groBer und kleiner Unternehmen (12 und 13) sind zusammengefasst, weil aufgrund der sicherheitsbehOrdlichen Akten keine zuverlassige Trennung dieser beiden Kategorien mOglich war, die Universitatslehrer wiederum von den anderen ,,wissenschaftlichen" Lehrkraften wegen der Unterschiedlichkeit des Berufsfeldes und der MOglichkeit getrennter Erfassung geschieden; ebenso ist die heterogene zweistellige Kategorie ,,Sonstige Fachkrafte" naher aufgegliedert; dagegen die Kategorie ,,4" - Barokrafte und kaufmannische Angestellte - nicht naher differenziert, weil die meisten Angaben in den sicherheitsbeh0rdlichen Akten eine entsprechende nahere Unterteilung (mit oder ohne Kundenkontakt usw., siehe die ISCO-Klassifikation der Statistik Austria) nicht erlaubt hatten. Detaillierter unterschieden ist wegen ihrer Heterogenitat dagegen wieder die Kategorie tier ,,Personenbezogenen Dienstleistungsberufe"; die 1SCO-Kategorien 52 (Verkaufer usw.) und 91 (Hilfskrafte im Verkauf) sowie 614 (Forstarbeiter) und 92 (landwirtschaftliche Hilfsarbeiter) sind wegen nicht durchg~_ngig eindeutiger Zuordenbarkeit der einzelnen Falle zwischen den jeweiligen Altemativen zusammengefasst, aus demselben Grund sind auch die Kategorien 7 und 8 nicht naher differenziert, und zu letzterer (,,Anlagen- und Maschinenbediener") auch die ISCO-Kategorie 93 hinzugerechnet (Hilfsarbeiter in industriellen Berufen u.a.).
268
Tabelle 180:
3 E r g e b n i s s e der Studie B e r u f s v e r t e i l u n g der j e m a l s berufstfitigen Suizidenten gemfif3 I S C O - S y s t e m a t i k ( 2 0 0 0 - 2 0 0 4 ) uu5
Kurzbezeichnung Politiker und leitende Beamte Unternehmer und Manager Wissenschafter im technischen Bereich Mediziner und Biowissenschafter Wissenschaftler an Universit~ten Lehrkr~fte mit ,,wissenschaftlicher" Ausbildung Sonstige Personen in akademischen Berufen Fachangestellte im technischen Bereich Fachangestellte im Gesundheitsbereich Sonstige Fachangestellte im Lehrbereich Fachkr~fte im Finanz- und Handelsbereich Verwaltungsfachkr~fte Sonstige Fachkr~fte B0rokr~fte und kaufm~nnische Angestellte Dienstleister im Gastgewerbe und Tourismus Dienstleister im Gesundheitsbereich Andere personenbezogene Dienstleister Sicherheitskr~ifte (Polizei u.a.) Verk~ufer (und Vorf0hrer), Hilfskr&fte in Verkaufsund Dienstleistungsberufen 611-613 Land- und Forstwirte und einschl~gige Fachkr~ifte 614-615, 92 Forstarbeiter, J~ger, Fischer, landwirtschaftliche Hilfsarbeiter 7 Bergarbeiter, Arbeiter im Bau- und Ausbaugewerbe, Metallarbeiter, Handwerker i 8; 93 Sonstige Fabrikarbeiter, Kraftfahrer, Montierer, Hilfsarbeiter in Bergbau, Baugewerbe, Fertigung, Transport 0 Berufssoldaten X Personen mit unzuordenbaren Berufen (,,Halbwelt" u.&.) Zusammen Fehlende Angaben und nie Berufst~tige (Sch01er u.~.) Gesamt ISCO-Code 11 12/13 21 22 231 232-235 24 31 32 33 341-342 343-344 345-348 4 511-512 513 514 516 52, 91
H 3 36 2 13 10 13
g01t. % 0,6 7,0 0,4 2,5 0,6 19 0,8 2,5 06 0,4 0,4
16 0 33 12 8 0 10 17
31 00 6,4 23 16 00 19 33
102
19,8
8
1,6
95
18,4
112
21,7
5 7 516 724 1240
1,0 1,4 100
445 Umfasst aktive, arbeitslose und ehemalige Erwerbst~tige gemaB sicherheitspolizeilichen Akten. Die angegebene Gesamtzahl bezieht sich auf alle Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004 in der Steiermark, fur welche t~berhaupt Akten auswertbar waren. Die Gesamtzahl aller ermittelten Suizidfalle in diesem Zeitraum betrug 1404.
3.3 M i k r o s o z i a l e A n a l y s e n zur Suizidalitfit in der S t e i e r m a r k
269
Tabelle 181" B e r u f s v e r t e i l u n g der , , E r w e r b s p e r s o n e n " unter den Suizidenten gemfi6 I S C O - S y s t e m a t i k ( 2 0 0 0 - 2 0 0 4 ) und spezifische Suizidraten 446
IS C O-Code
Ku rzbezeich n u ng
11 12/13 21 22 231 i 232-235 24 31 32 33 341-342 343-344 345-348 4 511-512 513 514 516 52, 91
Politiker und leitende Beamte Unternehmer und Manager Wissenschafter im technischen Bereich Mediziner und Biowissenschafter Wissenschaftler an Universit~iten Lehrkr~ifte mit,,wissenschaftlicher" Ausbildung Sonstige Personen in akademischen Berufen Fachangestellte im technischen Bereich Fachangestellte im Gesundheitsbereich Sonstige Fachangestellte im Lehrbereich Fachkr~afte im Finanz- und Handelsbereich Verwaltungsfachkr~ifte Sonstige Fachkr~ifte B0rokr~ifte und kaufm~innische Angestellte Dienstleister im Gastgewerbe und Tourismus Dienstleister im Gesundheitsbereich Andere personenbezogene Dienstleister Sicherheitskr~fte (Polizei u.a.) Verk~iufer (und VorfOhrer), Hilfskr~ifte in Verkaufsund Dienstleistungsberufen 611-613 Land- und Forstwirte i und einschl~igige Fachkr~ifte 614-615, 921 Forstarbeiter, J~iger, Fischer, landwirts. Hilfsarbeiter 7 Bergarbeiter, Arbeiter im Bau- und Ausbaugewerbe, Metallarbeiter, Handwerker 8" 93 0 X
H i gQIt. mSR gSR
J %
4
1,0
9 2 2 2 14 0 29 12 5 0 6
2,3 0,5 0,5 0,5 3,6 0,0 7,5 3,1 1,3 0,0 1,6
68 (102) 14 20 3 3 26 36 19 29 11 16 9 13 7 10 3 4 7 11 1 2 17 25 0 0 9 12 10 15 6 9 0 0 24 32
15
3,9
5
7
43 11,1 6 il,5
31 33
43 44
80 20,8
17
24
95 24,6 Berufssoldaten 4 1,0 Personen mit unzuordenbaren Berufen (,,Halbwelt" u.~i.) 7 1,8 Zusammen 386 100
26 11 17
36 17 hoch 19
Sonstige Fabrikarbeiter, Kraftfahrer, Montierer, Hilfsarbeiter in Bergbau, Baugewerbe, Fertigung, Transport
2 29 1 8 2 9
0,5 7,5 0,3 2,1 0,5 2,3
Umfasst erwerbstatige und besch~ftigungslose Suizidenten im angegebenen Zeitraum. Die Daten ft~r die ISCOBerufsverteilung in der GesamtbevOlkerung wurden entnommen: Statistik Austria (Hg.), Volkszahlung 2001, Hauptergebnisse II - Steiermark, S. 232-234. Die gesch~tzten Suizidraten beziehen jeweils proportional die Anteile derjenigen Suizidfalle ein, in welchen keine Berufsangaben vorhanden waren (86 Falle) oder gar keine Akten eingesehen werden konnten (165 F~lle, davon hochgerechneter Anteil von Erwerbstatigen und Beschaftigungslosen: 69). Wegen der teils sehr geringen Fallzahlen sind hier die Suizidraten in ganzen Zahlen wiedergegeben, um auf die fraglos nur annahernde Genauigkeit (auch der Mindest-Raten) hinzuweisen. 446
270
3 Ergebnisse der Studie
Ft~r die steirische Erwerbsbev01kerung liegen ihre Anteile zusammengenommen gemW3 VZ 2001 bei 34 %; ~ r die Gesamtbev01kerung ist aber wegen des unzweifelhaft betrfichtlich hOheren Anteils von Landwirten, aber auch Industriearbeitern unter den ehemalig Erwerbst~itigen eine deutlich hi, here Quote anzunehmen. Die Anteile der anderen Kategorien zeigen, da ein direkter Vergleich zu Anteilen in der GesamtbevOlkerung fehlt, nur einzelne Auffalligkeiten, so etwa, dass mehr (aktive oder ehemalige) Unternehmer und Manager unter den Suizidenten befindlich sind als Btirokrfifte und kaufmfinnische Angestellte, oder mehr Mediziner als Wissenschafter aller sonstigen Professionen (21, 231, 24) zusammengenommen (siehe Tabelle 182). Viel aufschlussreicher sind eben wegen der vorhandenen Vergleichbarkeit zur Berufsverteilung in der ErwerbsbevOlkerung aber die ermittelten Quoten ftir die verschiedenen Erwerbszweige unter den ,,erwerbsf'~ihigen" Suizidenten (aktiv beschfiftigte und beschfiftigungslose Berufsangeht~rige): Auch wenn, wie schon betont wurde, wegen Unschfirfen in den ZuordnungsmOglichkeiten die errechneten Suizidraten nicht als vt~llig exakt betrachtet werden kt~nnen, l~isst sich doch eine deutliche Rangordnung ablesen: Die Suizidrate fiar alle Erwerbstfitigen einschlie61ich Beschfiftigungslosen in diesem Zeitraum liegt gemfi6 den vorliegenden Daten und einer Hochrechnung ftir den Anteil der nicht-zuordenbaren Suizidf~ille bei etwa 19 pro 100.000 Personen und Jahr (535 bis 540 Suizidf~ille auf knapp 568.000 Erwerbspersonen - nach VZ 2001 - innerhalb von 5 Jahren); der ht~chste ermittelte Wert ~ r eine bestimmte Berufsgruppe, jener ~ r die ISCO-Kategorie 11, Politiker und leitende Beamte, liegt mehr als ein Ftinffaches dartiber. Hierbei ist aber zu bedenken, dass es sich lediglich um zwei Suizidf~ille handelt, weshalb keine allgemeinere Gtiltigkeit ftir diesen Befund beansprucht werden kann. Sehr wohl signifikant und kohfirent mit etlichen tihnlich gelagerten, bereits pr~isentierten Befunden ist dagegen der Umstand, dass die Landund Forstwirte sowie die im land- und forstwirtschaftlichen Bereich beschfiftigten Fachund Hilfsarbeiter auch nach dieser Berechungsweise sehr hohe Suizidraten aufweisen, 43 die erst-, 44 die zweitgenannte Berufskategorie; dies best~itigt die Hypothese hierftir. Ebenso noch eindeutig dem Bereich der Hochrisiko-Berufe hinsichtlich Suizidalitfit sind weiters drei Berufsgruppen zuzurechnen, die ansonsten - wenigstens auf den ersten Blick - wenig miteinander gemeinsam haben, nfimlich (akademische) Mediziner und Biowissenschafter (ISCO 22), staatliche und private Sicherheitskrfifte (Polizei, Justizwache, Zollwache, Mitarbeiter von Wachdiensten; ISCO 516) sowie Fabrikarbeiter (ohne Metaller), Kraftfahrer sowie sonstige Arbeitskrfifte und Hilfsarbeiter im Bereich von Industrie und Transport (ISCO 8 und ISCO 93). Diese drei Kategorien von Erwerbspersonen weisen im Beobachtungszeitraum 2002 bis 2004 spezifische Suizidraten von 36 (Mediziner und mittel oder wenig qualifizierte Arbeitskr~ifte in der Industrie) bzw. 32 (Sicherheitskrfifte) auf. Gemeinsam sind diesen drei Berufskategorien aber folgende Merkmale: Spezifischer Berufsethos, verbunden mit - in je sehr verschiedener Weise - hfiufig ausgesprochen belastenden Arbeits- und Lebensbedingungen. Ftir die Kategorie ISCO 8/93, also Fabrikarbeiter, Hilfsarbeiter usw., ist dabei zusfitzlich von soziot~konomischer Deprivation bei einem erheblichen Teil der Betroffenen auszugehen. Im Hinblick auf die Mediziner ist an die insbesondere im Krankenhausbereich viel zu langen Arbeitszeiten und ein vielfach schlechtes Arbeitsklima als wahrscheinlich erhebliche Teilursachen der erhOhten Suizidgefahr zu erinnern. Dartiber hinaus spielt sicherlich die hohe Verantwortung in diesem Beruf eine teils belastende Rolle. Im Hinblick auf die im Sicherheitswesen tfitigen Personen - nahezu alle hier klassifizierten F~ille betrafen den staatlichen Bereich - sind wohl weniger lang-
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
271
fristig zu lange als unregelm~igige Arbeitszeiten sowie an sich belastende Tfitigkeiten in Rechnung zu stellen. Far alle drei Berufskategorien ist daneben auch der Aspekt einer gewissen Vorselektion suizidgef'~ihrdeter Personen durch die Berufswahl in Betracht zu ziehen, die einen gewissen zusfitzlichen Einfluss ausfiben k/3nnte. Die nfichsthOheren Suizidraten weisen die Berufsgruppen ,,Wissenschafter an Universitfiten" (ohne Mediziner; SR: 29), Verwaltungsfachkrfifte (SR: 25), die ISCO-Kategorie 7 (Bergarbeiter, im Bau- und Ausbaugewerbe Besch~iftigte, Metallarbeiter, Handwerker; SR: 24) sowie Unternehmer und Manager (SR: 20) auf. Auch far diese ebenso noch fiber dem Gesamtdurchschnitt der Suizidrate far alle Erwerbst~itigen, welche bei dieser Berechnungsform bei 19 liegt, angesiedelten Erwerbskategorien gilt wohl, was far die weiter oben angefahrten bereits gesagt wurde, n~imlich dass spezifische, belastende Arbeitsbedingungen die hohen Suizidraten in diesen Bereichen zumindest teilweise erkl~iren dfirften. Wfihrend die Ausprfigung der Suizidrate unter Unternehmern und Managern weniger iaberrascht, und wohl nur aufgrund der Einrechnung zahlreicher Inhaber kleiner Firmen noch vergleichsweise niedrig sein dfirfte, erscheint besonders die ziemlich hohe Suizidrate der ,,Verwaltungsfachkrfifte", also vor allem der Beamten im tfffentlichen Dienst, weiters yon Personen mit vergleichbaren Tatigkeiten in privaten Institutionen, bemerkenswert. M/Sglicherweise drfickt sich in ihr eine spezifische Sozialpathologie der Institution ,,Beamtentum" aus, die gerade in Osterreich insbesondere in der Literatur bereits seit langem bemerkenswerte Darstellungen gefunden hat; 447 ohne nfihere Analysen zu den individuellen Suizidumst~inden unter eingehender Einbeziehung psychologischer Aspekte kann die Frage nach den Ursachen der erh6hten Suizidalitfit unter Beamten freilich nicht definitiv geklfirt werden. Weiter erscheint beachtenswert, dass die Suizidrate auch far Angehtirige der ISCOKategorie 7 hoch ist, allerdings deutlich niedriger als ffir jene der ISCO-Kategorien 8 und 93; wahrscheinlich drficken sich hier innerhalb der Berufe des industriellen Sektors bestehende Unterschiede sowohl des sozialen wie des 6konomischen Status aus; die ISCOGruppe 7 wird ja auch gemfil3 dieser internationalen Berufssystematik statutsht~her angesiedelt als die ISCO-Gruppen 8 und 9; offensichtlich ist diese Differenz hinsichtlich der Unterscheidung yon Hilfs- und Facharbeitern, aber auch die Trennung zwischen ,,Metallern", welche in die ISCO-Kategorie 7 fallen, und ,,sonstigen" Fabriksarbeitern, die in ISCO 8 und 9 eingeordnet sind - die auf den ersten Blick vielleicht eher willkiirlich anmuten mag k6nnte solche Rangunterschiede abbilden, sind Metallarbeiter doch im Durchschnitt besser bezahlt als Arbeiter in anderen industriellen Berufen. Ffir alle bislang genannten Berufsgruppen gilt aber weiters, dass ein hoher Anteil von Mannern die berufsspezifische Suizidrate fraglos erheblich hebt. V/511ig deutlich wird dies bei einer Gegenfiberstellung mit den niedrigsten Suizidraten: Abgesehen von den Wissenschaftern im technischen Bereich, wo aber wieder die Fallzahlen zu gering sind, um eindeutig interpretiert werden zu kt~nnen, handelt es sich durchwegs um Berufe mit hohen Frauenanteilen: ,,Sonstige personenbezogene Dienstleister" und ,,Sonstige Fachkrfifle" (v.a. im Sozial- und im kfinstlerischen Bereich) (mit je 0 Suizidenten im Untersuchungszeitraum), im Bereich von Finanzen und Handel, Verkaufsfach- und Hilfskrfifle und (nichtakademische) Angestellte im Gesundheitsbereich; diese Erwerbskategorien weisen alle spezifische Suizidraten unter 10 auf.
Vgl. hierzu: Helmut Kuzmics, Roland Axtmann, Autoritfit, Staat und Nationalcharakter. Der Zivilisationsprozeg in Osterreich und England 1700-1900.Opladen2000.
447
272
3 Ergebnisse der Studie
Immer noch unterdurchschnittliche, zwischen den Werten yon 10 und 14 gelegene Raten ergeben sich far folgende ISCO-Kategorien: Technische Fachangestellte, Barokrfifte und kaufm~nnische Angestellte, nicht akademisch ausgebildete Lehrkrfifte, ,,sonstige" Akademiker (in aufsteigender Folge); nur leicht unter dem Gesamtdurchschnitt gelegene Suizidraten in der H/She zwischen 15 und 18 wurden far die folgenden Kategorien ermittelt: Dienstleister in Tourismus und Gastgewerbe, Lehrkr~fte mit akademischer Ausbildung und Berufssoldaten. Zu letzterer ist anzumerken, dass aus erhebungstechnischen Grt~nden lediglich die Akten der ,,gewOhnlichen" SicherheitsbehOrden, nicht aber jene der Militfirpolizei beracksichtigt wurden; zudem sind die Fallzahlen im Beobachtungszeitraum, wie auch bei einigen anderen Kategorien, gering. Die tatsfichliche Suizidrate unter den Berufssoldaten kOnnte also durchaus auch um einiges hOher liegen als die hier ausgewiesene. Beachtenswert ist welter, dass gemfil3 den pr~sentierten Daten die akademisch gebildeten Lehrkrfifte eine deutlich hOhere Suizidrate aufweisen als die restlichen Fachkrfifte im Lehrbetrieb (16 versus 11), und dass im Bereich der Dienstleistungsberufe nach den Sicherheitskrfiften die Beschfiftigten in Tourismus und Gastgewerbe die hOchsten Suizidraten aufweisen, was die entsprechenden, weiter oben gefiul3erten Thesen des Studienautors stt~tzt. (Die Differenzen sind nicht eklatant, aber doch deutlich.) Schliel31ich sei hervorgehoben, dass sich unter den Suizidenten eine mit sieben nicht gerade kleine Anzahl von Personen befand, die sich kaum sinnvoll der ISCOKategorisierung einordnen lassen, wie Bordellbetreiber, ,,Berufsverbrecher" u.fi. Ft~r diese Personenkategorie ist, obwohl Vergleichsdaten far die GesamtbevOlkerung naturgemfig fehlen, jedenfalls von einer hohen Suizidrate auszugehen. Gemfil3 den soeben vorgestellten Beobachtungen erschien es nattMich h/Schst angebracht, auch far die einzelnen Berufsklassen geschlechtsspezifische Suizidraten zu berechnen; angesichts der relativ geringen Fallzahl far das weibliche Geschlecht sind diese hier aber nur bedingt aussagekrfiftig. Wie aus Tabelle 183 zu ersehen ist, ergeben sich deutlich t~ber dem Durchschnitt der Suizidrate far erwerbstfitige Frauen gelegene, berufsspezifische Raten von SelbsttOtungen far Medizinerinnen und andere Wissenschafterinnen an Universit~ten (hier sind die Fallzahlen aber sehr klein, sodass grol3e Vorsicht bei der Verallgemeinerung des Ergebnisses angebracht ist), welters bei Beamtinnen, Landwirtinnen, Fabriks- und Hilfsarbeiterinnen (ISCO 8 und 93) und weiblichen Beschfiftigten in Gastgewerbe und Tourismus. Far alle genannten Berufskategorien sind die ermittelten Suizidraten mindestens doppelt so hoch, wie far erwerbstfitige Frauen insgesamt, im Falle der Beamtinnen fast dreimal so hoch, bei den Medizinerinnen mehr als viermal so hoch. Klar fiber dem Durchschnitt von 7 liegen weiters noch die Suizidraten far Unternehmerinnen und Managerinnen (1 1) sowie von Krankenpflegerinnen (ISCO 513; 9), wfihrend die Suizidraten far alle anderen Erwerbsgruppen unterhalb des Durchschnitts liegen. Ft~r zahlreiche Kategorien wurde wegen des g~nzlichen Fehlens weiblicher Suizidenten eine Suizidrate von 0 ermittelt, welche in der Tabelle nicht ausgewiesen ist. Selbstverstfindlich masste bei grOl3eren Fallzahlen bzw. l~ngerem Beobachtungszeitraum auch far diese Kategorien von ,,tatsfichlichen", wenn auch mutmal31ich geringen, Suizidraten von Frauen in den betreffenden Erwerbszeigen ausgegangen werden.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
Tabelle 182:
ISCOCode 12/13 22 231 232-235 32 33 343-344 4 511-512 513 52, 91 611-613 8; 93 X
273
Berufsverteilung der ,,Erwerbspersonen" unter den weiblichen Suizidenten gemfiB ISCO-Systematik (2000-2004) und spezifische Suizidraten 448
Kurzbezeichnung
H
Unternehmer und Manager Mediziner und Biowissenschafter Wissenschaftler an Universit,~ten Lehrkr~ifte mit ,,wissenschaftlicher" Ausbildung Fachangestellte im Gesundheitsbereich Sonstige Fachangestellte im Lehrbereich Verwaltu ngsfachkr~fte B0rokr~ifte und kaufm~innische Angestellte Dienstleister im Gastgewerbe und Tourismus Dienstleister im Gesundheitsbereich Verk~iufer (und Vorf0hrer), Hilfskr~ifte in Verkaufs- und Dienstleistungsberufen Land- und Forstwirte und einschl~gige Fachkr~ifte Sonstige Fabrikarbeiter, Kraftfahrer, Montierer, Hilfs-arbeiter in Bergbau, Baugewerbe, Fertigung, Transport Personen mit unzuordenbaren Berufen (,,Halbwelt" u.~i.) Zusammen
4 3 1 2 1 1 7 11 8
7 23 36 4 2 5 14 5 10
11 30 36 5 2 5 20 7 14
4
6
9
3
1
2
9 8
12 10
(18) 14
62
6
7
mSR gSR
Betrachtet man nun die flir Mfinner erstellte Tabelle 184 (siehe umseitig), so lfisst sich erkennen, dass bei einer insgesamt mit 28 hohen Suizidrate unter den mfinnlichen Erwerbspersonen hinter den leitenden Beamten und Politikern wiederum Land- und Forstwirte sowie land- und forstwirtschaftliche Arbeiter die h0chsten Rfinge einnehmen, gefolgt von Fabrikarbeitern und Hilfsarbeitern, Medizinern, Lehrern an h0heren Schulen, Beamten und Sicherheitskrfiften; an der Reihenfolge in den h6chsten R~.ngen hat sich durch die geschlechterspezifische Betrachtung also wenig ge~.ndert, mit der Ausnahme, dass die akademisch ausgebildeten AHS- und BHS-Lehrer in diese Kategorie aufgestiegen sind; auch bei ausschlieglicher Z~.hlung der m~nnlichen Suizide stellen sich so aber Berufe der ,,obersten" und der ,,untersten" Schichten sowie Tfitigkeiten im Staatsdienst als mit den hOchsten Suizidraten verbunden dar. Alle genannten Berufsgruppen weisen spezifische Suizidraten von aber 35 auf, mithin eindeutig aberdurchschnittliche.
44~Zu den Details der Berechnungen siehe die Anmerkung zur Tabelle 181. In Tabelle 182 sind nur die ,,besetzten" Kategorien dargestellt. Hinzuweisen ist welter darauf, dass bei denjenigen Kategorien, die mit einem einzigen Suizidfall besetzt sind, deswegen die gesch~tzte Suizidrate yon der Mindest-Rate nicht abweicht, da auch far die Errechnung letzterer stets von ganzen Zahlen, die ja einzelne Personen repr~sentieren, ausgegangen wurde; eine gesch~tzte Erh0hung um 40 % bleibt so bei einer H~ufigkeityon 1 nach Rundung folgenlos.
274 Tabelle 183:
.
3 Ergebnisse der Studie Berufsverteilung der ,,Erwerbspersonen" unter den mfinnlichen Suizidenten gemfi6 ISCO-Systematik (2000-2004) und spezifische Suizidraten 449
IS C O-Code 11 12/13 21 22 231 232-235 24 31 f 32 33 L 341-342 i 343-344 345-348 4 511-512 513 514 516 52, 91
Ku rzbezeich n u ng Politiker und leitende Beamte Unternehmer und Manager Wissenschafter im technischen Bereich Mediziner und Biowissenschafter Wissenschaftler an Universit&ten Lehrkr~fte mit ,,wissenschaftlicher" Ausbildung Sonstige Personen in akademischen Berufen Fachangestellte im technischen Bereich Fachangestellte im Gesundheitsbereich Sonstige Fachangestellte im Lehrbereich Fachkr~fte im Finanz- und Handelsbereich Verwaltungsfachkr~fte Sonstige Fachkr~fte Berokr~fte und kaufm~nnische Angestellte Dienstleister im Gastgewerbe und Tourismus Dienstleister im Gesundheitsbereich Andere personenbezogene Dienstleister Sicherheitskr~fte (Polizei u.a.) Verkaufer (und Vorfehrer), Hilfskr~ifte in Verkaufs- und Dienstleistungsberufen 611-613 Land- und Forstwirte und einschl~igige Fachkr~fte 614-615, 92 Forstarbeiter, J~ger, Fischer, landw. Hilfsarbeiter Bergarbeiter, Arbeiter im Bau- und Ausbaugewerbe, Metallarbeiter, Handwerker 8; 93 iSonstige Fabrikarbeiter, Kraftfahrer, Montierer, Hilfsarj beiter in Bergbau, Baugewerbe, Fertigung, Transport / Berufssoldaten 0 X ' Personen mit unzuordenbaren Berufen I Zusammen
H 2 25 1 5 1 7 4 9 1 1 2 7 0 19 4 1 0 6 12
mSR (85) 16 3 28 13 27 15 8 10 13 3 26 0 18 11 8 0 27 16
gSR (127) 23 3 40 13 39 23 12 10 13 4 37 0 25 "7 8 0 36 23
32
48
(67)
6 80
47 19
63 26
87
30
42
12
17
25
28
4 6 324
,
,
.
,
Die nfichsthOheren Suizidraten finden sich, bereits deutlich abgesetzt und knapp unter dem Gesamtdurchschnitt gelegen, far die ISCO-Kategorie 7 (Berg-, Bau-, Metallarbeiter u.fi.; SR: 26) sowie far mfinnliche Bt~rokrfifte und kaufm~nnische Angestellte (SR: 25). Dies ist besonders bemerkenswert, da die Suizidrate in dieser Berufskategorie insgesamt, d.h. far beide Geschlechter berechnet, erheblich stfirker unter dem Durchschnitt far alle Erwerbspersonen liegt (12 versus 19). Suizidraten tiber 20 weisen in ihren mfinnlichen Komponen449
Zu den Details der Berechnungen siehe wiederum die Anmerkungzur Tabelle l Sl.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalit~t in der Steiermark
275
ten weiters die Berufsgruppen der Unternehmer und Manager, der ,,sonstigen akademischen Berufe" (ISCO 24) und der Verkfiufer und Hilfskrfifte in Verkauf und fihnlichen Dienstleistungsberufen auf. Far die restlichen Berufskategorien ergeben sich klar unterdurchschnittliche Suizidraten. Neben den sicherheitsbeh6rdlichen Akten standen far die Frage nach der Berufstfitigkeit der Suizidenten auch Daten der Sozialversicherungen zur Verfagung, allerdings wiederum nur far den Zeitraum 2002 bis 2004; zudem war, da diese Daten bereits in codierter Form abermittelt wurden, nicht eine Zurechnung nach ISCO-Codes m0glich, wie sie soeben dargestellt wurde, sondern wurde vielmehr, in Anlehnung an die von den meisten Sozialversicherungsanstalten gebrauchten Codierungsschemas, eine Klassifizierung gemfiB Erwerbszweigen nach ()NACE-Codes durchgeflihrt, die jedoch mit den Angaben zum ,,Erwerbsstatus", also der Einteilung in Selbstfindige, Beamte, Angestellte, Arbeiter, kombiniert werden kann, um nfihere Aufschlasse zu erlangen. Insgesamt ereigneten sich in den Jahren 2002 bis 2004 860 Suizide, von denen, wie schon nfiher ausgefahrt wurde, far 755 (88 %) eine Erfassung von Informationen der Sozialversicherungen mOglich wurde; 51 dieser Suizidenten (7 % der Summe von 755) hatten jedoch, wie bereits ausgefahrt wurde, offensichtlich keine Sozialversicherung und waren demnach - zumindest nach offiziellen und juristischen Kriterien - nattMich nicht erwerbstfitig; von den abrigen, sozialversicherungsmfiBig erfassten Verstorbenen waren nur insgesamt 238 vor ihrem Tod tatsfichlich formal erwerbst~tig (Arbeitnehmer, Landwirte, Selbstfindige sowie einige Personen aus der Kategorie der ,,sonstigen Selbstversicherten); 343 waren Pensionisten, davon waren die meisten ehemals Erwerbst~tige, die restlichen Suizidenten waren mitversicherte AngehOrige und Arbeitslose. Allerdings sind nur die Informationen t~ber die Erwerbstfitigen in koh~renter Weise far alle Berufsgruppen vorhanden; hinsichtlich der Pensionisten lassen sich anhand der vorliegenden Daten allgemein ehemalige Angestellte sowie BVA- und VAEB-Versicherte nicht nach ONACE-Berufszweigen untergliedern; auch ehemalige Unternehmer sind nur unzureichend erfassbar. Die verl~sslicheren Informationen aber die ehemalige Berufstfitigkeit von Suizidenten, die bereits pensioniert waren, bieten demnach insgesamt die sicherheitsbehOrdlichen Akten. Ft~r die bis unmittelbar bzw. bis kurz vor ihrem Suizid noch erwerbstfitig gewesenen Personen lassen sich aber anhand der Sozialversicherungsdaten detaillierte Differenzierungen nach der Art der Erwerbstfitigkeit durchfahren. Die entsprechenden Hfiufigkeiten nach Erwerbsstatus und ONACE-Kategorien sowie die spezifischen Suizidraten (unter Einberechnung eines proportionalen Anteils far nicht erfasste Ffille) sind umseitig wiedergegeben. 45~ Auch far Tabelle 185 ist dabei zu bedenken, dass manche ermittelten Suizidraten aufgrund der geringen Fallzahlen der in diesen Bereichen Beschfiftigten respektive der ihnen zuzuordnenden Suizidenten kaum verallgemeinerungsffihig sind, vielmehr u.a. aufgrund des eingeschrfinkten zeitlichen Untersuchungsrahmens auch ,,zuffillige" zeitliche Schwankungen abbilden darften. Dies gilt besonders far die hohe ermittelte Suizidrate von Angestellten im Bergbauwesen, sie ful3t auf,,nur" zwei Suizidfallen
45o Die Tabelle beinhaltet neben den 238 bis zum Zeitpunkt des Todes als erwerbstatig gemeldeten Personen weitere 26 Falle, in welchen die Betroffenen erst kurz vor ihrem Suizid beschaftigungslos geworden waren und die ausgeabte Tatigkeitbekannt war.
276
3 E r g e b n i s s e der Studie
Tabelle 184:
V e r t e i l u n g der Berufstfitigkeiten erwerbstfitig g e w e s e n e r Suizidenten gemfig S o z i a l v e r s i c h e r u n g s d a t e n far die Jahre 2002 bis 2004451 Code
H
%
A - Land- und Forstwirtschaft
1101
7
L 2,7
B - Fischerei
1102
-
Kategorie
H H
H Ew
mSR
gSR
7
6662
35
35 56
1. Arbeiter 17
-
C - Bergbau
1103
3
1,2
3
1791
56
D - Sachg0terproduktion
1104
40
15,6
43
80649
17
18
E - Energie- u. Wasserversorg.
1105
3
1,2
2
2100
48
32
F - Bauwesen
1106
22
[ 8,6
23
35109
21
22
G - Handel und Reparatur
1107
18
7,0
19
28312
21
22
9
3,5
10
21429
14
16
10
3,9
11
11290
30
32
H - Gastst~tten u. Hotelwesen
1108
I - Transport und Nachrichten
1109
1
1233
0
J - Bank- und Versicherung
1110
-
-
K - Unternehmerdienstleistungen
1111
14
5,4
15
12345
38
41
L - (~ffentliche Verwaltung
1112.
13
5,1
14
3457
(125)
(135) 9
M - Unterrichtswesen
1113
1
0,4
1
3557
9
N - Gesundheits- u. Sozialwesen
1114
1
0,4
1
10009
3
3
O - Andere Dienstleistungen
1115
6
2,3
6
9280
22
22
P - in Privathaushalt angestellt
1116
-
-
677
A - Land- und Forstwirtschaft
1201
-
-
11220
B - Fischerei
1202
-
-
C - Bergbau
1203
2
0,8
2
592
113
113
D - Sachg0terproduktion
1204
4
1,6
4
36097
4
4
6
6
0
2./3. Angestellte und Beamte [
3
E - Energie- u. Wasserversorg
1205
-
-
F - Bauwesen
1206
2
0,8
2
10574
3230
0
G - Handel und Reparatur
1207
11
4,3
12
50618
7
8
H - Gastst~tten u. Hotelwesen
1208
2
0,8
2
6334
11
11
I - Transport und Nachrichten
1209
11
4,3
12
19935
18
20 13
J - Bank- und Versicherung
1210
5
1,9
5
13174
13
K - Unternehmerdienstleistungen
1211
4
1,6
4
22699
6
6
L - (~ffentliche Verwaltung
1212
13
5,1
14
31884
14
15
45~ Die Buchstaben am Beginn der Kategorienbeschreibung bezeichnen die jeweilige C)NACE-Klasse. FOr die Erwerbskategorien der Land- und Fortwirte und Untemehmer sind der Einfachheit halber nur die tats~chlich relevanten, von Suizidf~llen betroffenen ONACE-Kategorien in der Tabelle aufgefahrt. Die gesch~tzten Suizidraten beziehen wiederum proportional die erwartbaren F~.lle innerhalb der Menge yon nicht-zuordenbaren Suizidfallen ein; Daten far die GesamtbevOlkerung wiederum gemaB Statistik Austria (Hg.), Volksz~.hlung 2001. Hauptergebnisse II - Steiermark, S. 226-231. Die ONACE-Kategorie Q (Exterritoriale Organisationen) ist wegen quantitativer Irrelevanz far die Steiermark (57 Erwerbspersonen, 0 Suizide) nicht angefahrt.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
277
Kategorie
Code
H
%
H H
H Ew
mSR
gSR
M - Unterrichtswesen
1213
6
2.3
6
30233
7
7
N - Gesundheits- u. Sozialwesen
1214
9
3,5
10
34526
9
10
O - Andere Dienstleistungen
1215
6
2,3
6
10341
19
19
P - i n Privathaushalt angestellt
1216
-
-
1401
16
6,2
210
0
4. Land- und Forstwirte A - Land- und Forstwirtschaft
17
23981
22
24
5. Untemehmer D - Sachg~Jterproduktion
1504
3
1,2
3
4623
22
22
F - Bauwesen
1506
4
1,6
4
3090
43
43
G - Handel und Reparatur
1507
5
1,9
5
9817
17
17
H - Gastst~tten u. Hotelwesen
1508
3
1,2
3
5934
17
17
K - Unternehmerdienstleistungen
1511
4
1,6
4
6798
20
20
Summe
257
100
Gesamt (incl. 7 unzuordenbare F~lle)
264
274
567993
15
16
Der Anteil ist damit jedenfalls als hoch zu qualifizieren, die Rate selbst aber nicht aussagekrfiftig. Etwas anders gelagert ist die Situation im Bereich der als Arbeiter in der 0ffentlichen Verwaltung tfitigen Personen; obwohl nicht ausgeschlossen werden kann, dasses hier wegen mangelnder nfiherer Informationen teils zu Fehlklassifikationen kam (man beachte die geringe Fallzahl von Suizidfallen in den Kategorien 1113 und 1114, die zahlreiche ebenso im ,,0ffentlichen Dienst" als Arbeiter besch~ftigte Erwerbspersonen enthalten wie die ,,Offentliche Verwaltung" betitelte Kategorie; daher ist dieser Wert in der Tabelle in Klammern gesetzt), ist die Suizidrate jedenfalls ziemlich hoch anzusetzen. Berechnet man etwa eine gemeinsame Suizidrate Dr die Arbeiter in den ONACE-Kategorien L, M und N, ergibt sich ein Weft yon 31. Nach diesen nut mit Vorsicht zu interpretierenden Extremfallen zeigen sich die nfichsth0heren spezifischen Suizidraten ft~r Bergarbeiter (56; jedoch auch hier geringe Fallzahl), bei im Bereich von ,,Unternehmerdienstleistungen und Realitfitenwesen" beschfiftigten Arbeitern (41), land- und forstwirtschaftlichen Arbeitskrfiften (ohne selbstfindige Landwirte, 35), Arbeitern im Bereich der Wasser- und Energieversorgung (32, geringe Fallzahl) und im Transport- und Nachrichtenwesen (32, diese Kategorie umfasst u.a. OBB- und PostBedienstete im Status von Arbeitern). Neben diesen sfimtlich der Arbeiterschaft zuzuordnenden Hochrisikobereichen von Erwerbstfitigkeiten im Hinblick auf Suizid (die durchschnittliche Rate f~r die Erwerbstfitigen dieses Samples liegt bei 16) ist diesem Segment auch eine Gruppe von Unternehmern einzuordnen, nfimlich die Bauunternehmer (43), auch hier ist die Fallzahl aber zu gering (4 Suizidfalle in den Jahren 2002 bis 2004 auf 3090 in diesem Bereich tfitige Unternehmer nach Stand der Volkszfihlung 2001), um einen hohen ,,Zufallsanteil" etwa im Hinblick auf zeitliche Schwankungen beim Zustandekommen dieser Ziffer ausschlieBen zu k6nnen. Deutlich gegent~ber dem Gesamtdurchschnitt erhOhte Suizidraten finden sich dann weiter noch Dr die meisten ONACE-Gruppierungen von als Arbeitern beschfiftigten Personen (siehe Tabelle 185); bert~cksichtigt man die erwfihnten Unschfirfen in der Kategorisie-
278
3 Ergebnisse der Studie
rung ft~r die Kategorien L, M, N, verbleiben eigentlich nur die im Gaststatten und Hotelwesen beschfiftigten Arbeiter(innen), far die sich hier eine durchschnittliche Rate ergibt, alle anderen Suizidraten (Arbeiter im Sachgt~terbereich, im Bauwesen, in Handels- und Reparaturbetrieben, im Bereich ,,sonstiger" Dienstleistungen) fallen gegent~ber dem Gesamtdurchschnitt respektive gegent~ber den ft~r Angestellte zu ermittelnden Raten erh6ht aus, insoweit die Kategorien t~berhaupt besetzt sind. Unter den in den (DNACE-Bereichen Fischerei, Bank- und Versicherungswesen und Lohnarbeit in Privathaushalten beschfiftigten Arbeitern fielen im Beobachtungszeitraum 2002 bis 2004 gar keine Suizide vor; in Privathaushalten sind aber insgesamt so wenige Menschen als Arbeiter beschaftigt, dass hieraus nicht vorschnell der Schluss gezogen werden darf, Arbeiter in diesen Tatigkeitsbereichen wt~rden gt~nstigere Verhfiltnisse vorfinden. Allenfalls far die Kategorie der im Bank- und Versichertenwesen beschfiftigten Arbeiter wird man eine entsprechende Tendenz konstatieren k6nnen; auf knapp 1800 Bergarbeiter (laut VZ 2001) entfielen in den Folgejahren bis 2004 drei Suizide, auf etwas mehr als 1200 Arbeiter in jener ONACE-Kategorie (J) keiner. Wie zu sehen ist, sind aber auch hier die absoluten Hfiufigkeiten ausgesprochen klein. Fischerei als Arbeitszweig spielt in der Steiermark schliel31ich so gut wie gar keine Rolle. Im Bereich der Angestellten zeigt sich eine - insbesondere im Vergleich zu anderen Angestelltensegmenten - erh6hte Suizidrate Dr den Transport- und Nachrichtenbereich (20, OBB, Speditionen, Post, andere Kommunikationsdienste) sowie im der Rubrik der ,,sonstigen Dienstleistungen" (19), die eine sehr heterogene Kategorie darstellt, und sowohl Kulturschaffende und Berufssportler, wie Angestellte von Kirchen und Parteien, Erwerbstfitige in der Abfall- und sonstigen Entsorgungswirtschaft sowie nicht naher definierte ,,sonstige Dienstleister" umfasst. Hoch f'allt zwar nicht im Gesamtvergleich, aber gegenfiber anderen Sektoren im Angestelltenbereich auch die Suizidrate von Angestellten in der 6ffentlichen Verwaltung aus (15, hier ist eine Konfundierung mit Angestellten in den Kategorien M und N, wenn sie gegeben sein sollte, geringfugiger ausgeprfigt), weiters jene der Angestellten im Bank- und Versicherungswesen (13) sowie im Yourismusbereich (11). Im Gesamtvergleich deutlich erhOht stellt sich auch bei dieser Betrachtung die Suizidrate der erwerbstatig gewesen Landwirte dar (24), und auch die Suizidraten der insgesamt haufiger auftretenden Unternehmerzweige sind durchwegs zumindest etwas t~ber dem Gesamtdurchschnitt angesiedelt, und bewegen sich damit eher in der H6he der Suizidraten der Arbeiter als jener der Angestellten. 3.3.11 Berufsposition der Suizidenten Hinsichtlich der Berufsposition als Einflussfaktor auf die Suizidalitat wurde als Hypothese formuliert, dass sich - wie auch bei fihnlichen Indikatoren des sozio6konomischen Status Dr Menschen mit gesellschaftlich gering geachteten und schlecht bezahlten Berufstfitigkeiten ein h6heres Suizidrisiko zeigen sollte als fur Angeh6rige des ,,Mittelstandes" mit entsprechenden beruflichen Situierungen. In den obersten sozialen Schichten k6nnte dagegen wieder eine Zunahme des Suizidrisikos zu beobachten sein, womit dann insgesamt ein (mehr oder weniger) U-f6rmiger Zusammenhang vorliegen wt~rde.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
279
Zur Analyse wurde anhand der vorliegenden Informationen zur Berufst~tigkeit der 452 Suizidenten gemfiB der ISCO-Gliederung eine weitere Klassifikation vorgenommen, wobei leitende Beamte und Ausiibende akademischer Berufe einerseits, Unternehmer und leitende Angestellte andererseits die beiden ,,oberen" Berufspositions-Klassen bilden (I), die ,,oberen mittleren" Klassen (II) setzen sich zusammen aus Fachangestellten mit i.A. Maturaniveau, Bt~ro- und kaufmfinnischen Angestellten sowie Mitarbeitern staatsnaher Betriebe, die ,,unteren mittleren" Klassen (III) aus sonstigen Besch~ftigten im Dienstleistungssektor (einschlieBlich Soldaten), aus Land- und Forstwirten (einschlieBlich von Fachkrfiften in diesem Sektor) sowie aus Facharbeitern und Aust~benden von Handwerksberufen. Die ,,unteren" Berufspositionen (IV) dagegen setzen sich dieser Klassifikation gem~B zusammen aus: Fabrikarbeitern, Kraftfahrern und Hilfsarbeitern sowie Personen, die anhand ihrer Berufstfitigkeit ausgeprfigten, sozial ausgegrenzten Subkulturen zuzuordnen sind (z.B. Prostituierte, Tfitowierer, Totengrfiber). Innerhalb der Kategorie der Erwerbspersonen (Erwerbstfitige und Beschfiftigungslose) ergibt eine Berechnung der spezifischen Suizidraten for die genannten Kategorien folgende Verteilung:
Tabelle 185."
Berufspositionen der Erwerbspersonen unter den Suizidenten (2000-2004) und spezifische Suizidraten 453
Bezeichnung (ISCO Codes)
H
%
Ep.
mSR
gSR
I-A Akademiker und leitende Beamte (11 u. 2)
26
6,7
41510
12,5
17,3
I-B Unternehmer und Manager (12 u. 13)
29
7,5
41901
13,8
19,6
II-A Fachangestellte mit hSherem Schulabschluss (3)
29
7,5
96630
6,0
8,5
II-B B0ro- und kaufm~nnische Angestellte (4)
29
7,5
66475
8,7
12,3
III-A Andere Dienstleistungsberufe incl. Milit&r (5 u. 0)
34
8,8
83720
8,1
11,5
III-B Land- und Forstwirte u. einschl. Fachkr~fte (6)
47
12,2
29010
32,4
(45,5)
III-C Facharbeiter und Handwerker (7)
80
20,7
92472
17,3
24,2
IV Fabrikarbeiter, Hilfskr~fte, Stigmat. Berufe (8/9)
112
29,0 112617 19,9
27,9
Gesamt
386
100 567993 13,6
19,0
Die Ergebnisse der Hfiufigkeitsauszfihlung l~ die zusammenfassenden Kategorien nach ISCO-Schema ergeben ein Gesamtbild, welches in etwa der These einer U-f6rmigen Verteilung entspricht: relative hohe Suizidraten in den obersten sozialen Schichten (UnternehEine ahnliche Zuordnung nach Position in der Berufstatigkeiterfolgte auch in der klassischen Studie: Hollingshead/Redlich, Sozialcharakterpsychischer Storungen. 453Anzahl der Erwerbspersonen gemaBVZ 2001. Unter den 1404 Suizidcnten der Jahre 2000 bis 2004 befanden sich insgesamt zumindest 472 ,,Erwerbspersonen", also Selbstandige, Landwirte, Arbeitnehmer und Beschaftigungslose, wovon 86 Falle hinsichtlich der Berufsposition nicht zuordenbar waren. In 165 weiteren Fallen waren die Akten nicht einsehbar. Die anhand der feststehenden Haufigkeiten (H) ermittelten Anteile stellen daher nur Mindestwerte for die Suizidraten dar; die geschatzten Suizidraten berOcksichtigen zusatzliche geschatzte Anteile in gleichmaBigerWeise far alle Kategorien, die dem Anteil der Falle fehlender Daten innerhalb der Teilkategorie der Erwerbspersonen entsprechen (40 % als Differenz von 386 zu einer hochgerechneten Gesamtsummevon ca. 541). Die so geschatzte Rate far Landwirte ist, da wahrscheinlich vergleichsweisezu hoch gegriffen (siehe dazu weiter oben), in Klammern gesetzt.
452
280
3 Ergebnisse der Studie
met, Akademiker), eher niedrige Suizidhfiufigkeiten pro Personenanzahl far die ,,obere Mittelschicht" der Angestellten (II), aber auch in Teilen der ,,unteren Mittelschicht" (III A); wiederum deutlich h6here Suizidraten. Eher gering unterscheiden sich aber gemfi6 dieser Berechnung die Suizidraten von Facharbeitern und Handwerkern einerseits, Fabrikarbeitern und sonstigen Hilfskrfiften andererseits. Eine Ausnahme im angenommen U-f6rmigen Verlauf stellt aber die enorm hohe Suizidrate von Land- und Forstwirten (sowie einschlfigigen Fachkrfiften) dar, welche selbst die Rate der ,,Unterschicht" (ISCO 8/9) noch bei weitem t~bertrifft (auch wenn man be~cksichtigt, dass hier die tats~.chliche Suizidrate vielleicht nahe der ,,Mindest-Suizidrate" liegt, und nicht, wie bei anderen Berufsgruppen, deutlich h/Sher, weil Landwirte in den sicherheitsbeh6rdlichen Akten leichter identifizierbar sind und daher der Anteil von anzunehmenden Fehldaten far diese Kategorie geringer ist). Der insgesamt deutliche Zusammenhang mit dem linearen Ma6stab der ,,sozialen Schichtung" kann gut anhand eines Diagramms veranschaulicht werden; die Land- und Forstwivte sind hierbei angesichts ihrer offensichtlichen Sonderstellung ausgeklammert. Schichtung und Suizidalitfit - spezifische Suizidraten (2000-2004) 454
Abbildung 30:
0
. . . . . . . . . . . . . . .
9
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III A
III C Suizidrate
IV I
Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich innerhalb dieses Beobachtungszeitraums die anzunehmenden Suizidraten in der Steiermark in den mittleren Rfingen der Dienstleistungsberufe zwischen 8 und 12 pro 100.000 Personen und Jahr bewegen, jene far die ,,Oberschicht" dagegen zwischen 17 und 20 und jene far Arbeiter und Hilfskrfifte zwischen 24 und 28. Auch ftir diese Kategorisierung gilt nattMich wieder, dass die unterschiedliche 454Zur Bedeutungder Karzel siehe Tabelle 186.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalit~it in der Steiermark
281
Zusammensetzung nach Geschlechtem die Suizidraten in den einzelnen Schichten von Erwerbspersonen mitprfigt; daher erschien auch hier eine ergfinzende, geschlechterspezifische Analyse angebracht. Tabelle 186:
Berufspositionen der m~innlichen Erwerbspersonen unter den Suizidenten (2000-2004) und spezifische Suizidraten Bezeichnung (ISCO Codes)
H
%
Ep.
mSR
gSR
I-A Akademiker und ieitende Beamte (11 u. 2)
20
6,2
21908
18,3
25,6
I-B Unternehmer und Manager (12 u. 13)
25
7,7
30713
16,3
22,8
II-A Fachangestellte mit hSherem Schulabschluss (3)
20
6,2
49281
8,1
11,4
II-B B0ro- und kaufm~nnische Angestellte (4)
19
5,9
21372
17,8
25,3
III-A Andere Dienstleistungsberufe incl. Milit~r (5, 0)
19
5,9
27672
13,7
19,5
III-B Land- und Forstwirte u. einschl. Fachkr~fte (6)
38
11,7
14369
52,9
(73,8)
III-C Facharbeiter und Handwerker (7)
80
24,7
84538
18,9
26,5
IV Fabrikarbeiter, Hilfskr~fte, Stigmat. Berufe (8/9)
103
31,8
68495
30,1
42,0
Gesamt
324
100
319981
20,3
28,4
Tabelle 187.
Berufspositionen der weiblichen Erwerbspersonen unter den Suizidenten (2000-2004) und spezifische Suizidraten Bezeichnung (ISCO Codes)
H
%
Ep.
mSR
gSR
I-A Akademiker und leitende Beamte (11 u. 2)
6
9,7
19602
6,1
8,2
I-B Unternehmer und Manager (12 u. 13)
4
6,5
11188
7,2
10,7
II-A Fachangestellte mit h0herem Schulabschluss (3)
9
14,5
47349
3,8
5,5
4,4
6,2
II-B B0ro- und kaufm~nnische Angestellte (4)
10
16,1
45103
III-A Andere Dienstleistungsberufe incl. Milit~r (5, 0)
15
24,2
56048
5,4
7,5
III-B Land- und Forstwirte u. einschl. Fachkr~fte (6)
9
14,5
14641
12,3
(17,8)
III-C Facharbeiter und Handwerker (7)
0
0
8204
0,0
0,0
IV Fabrikarbeiter, Hilfskr~ifte, Stigmat. Berufe (8/9)
9
14,5
44122
4,1
5,9
Gesamt
62
100
248012
5,0
7,1
Eine Betrachtung der geschlechtsspezifischen Verteilungen nach Schichten zeigt, dass sich in ihnen das far die Gesamtverteilung der Suizide konstatierte Muster nur teilweise widerspiegelt; die Suizidh~iufigkeiten der erwerbst~itigen M~inner folgen weitgehend dem Gesamtmuster; sie prfigen dasselbe ja auch zum gr0gten Teil wegen der tiberproportionalen Anteile von Mfinnem unter den Suizidenten tiberhaupt. Allerdings ist die Rate der Suizidenten unter den Btiro- und kaufm~innischen Angestellten bei M~innem hOher als jener unter Unternehmem und nicht viel niedriger als die der Facharbeiter. Insgesamt l~isst sich dennoch wiederum konstatieren, dass in Dienstleistungsberufen besch~iftigte Menschen mittle-
282
3 Ergebnisse der Studie
rer (nicht-akademischer) Ausbildung (Klassen II A und II B) niedrigere Suizidraten auch bei ausschlieBlicher Betrachtung des mfinnlichen Geschlechts vorherrschen als bei statush6heren und statusniedrigeren Personen, mit Ausnahme der ,,sonstigen Dienstleistungsberufe" (III A), die ebenfalls von relativ niedrigen Suizidraten geprfigt sind. Singulfir hoch ist auch in dieser Analyse wieder die Suizidrate von mfinnlichen Landwirten. Der postulierte Unterschied in den Suizidraten zwischen Fach- und Hilfsarbeitern (III C bzw. IV) tritt bei dieser geschlechtsspezifischen Betrachtung deutlicher zutage, scheint also vor allem bei Mfinnern bzw. in ,,Mannerberufen" zu gelten. Vergleicht man nfimlich diese Daten mit der Verteilung der Berufspositionen unter erwerbstatigen Frauen, zeigt sich, dass hier die Suizidrate in den sozioOkonomisch ,,niedrigsten" Schichten von Erwerbstfitigen ahnlich niedrig ist wie bei den Dienstleistungsberufen, die hOhere (nicht-akademische) Qualifikationen erfordern. In Segment III C (Facharbeiter) ist sogar eine Suizidrate von 0 verzeichnet; hier gilt ffeilich wieder, dass aufgrund der geringen Anzahl von berufstfitigen Frauen in diesem Bereich aberhaupt dieser Wert nut eingeschrfinkt aussagekrfiftig ist. Auch bei lfingerfristiger Betrachtung dt~rfte die spezifische Suizidrate in diesem Sektor far weibliche Personen abet eben auch nicht besonders hoch sein. In Ziffern geringer als bei den mfinnlichen Erwerbspersonen, proportional aber in ~hnlicher Weise erhOht, zeigen sich die Suizidraten unter erwerbst~tigen weiblichen ,,Oberschicht"-AngehOrigen. Weibliche Land- und Forstwirte haben auch nach dieser Quantifizierung eine weitaus geringere Suizidh~ufigkeit als mfinnliche, aber dennoch die bei weitem hOchste unter den hier unterschiedenen Schichten.
3.3.12 Ausbildungsniveau der Suizidenten Die zugrunde liegenden Hypothesen gestalteten sich hier sehr ~,hnlich, wie bei der zuletzt diskutierten Variable: 455 Suizid stellt wahrscheinlich eine je nach Ausbildungsniveau unterschiedlich hfiufig auftretende Erscheinung dar, wobei der Studienautor annimmt, dass Personen mit mittlerem Ausbildungsniveau (AHS, BHS, BMS) die geringsten Suizidrisiken aufweisen, Personen mit niedrigerem bis ganz niedrigem Ausbildungsniveau (Lehre, Pflichtschule) sowie mit sehr hohen Qualifikationen (Akademiker) dagegen hOhere. 456 Anhand des zur Verfagung stehenden Datenmaterials liegen sich diese Hypothesen aber leider nur teilweise untersuchen; insbesondere war eine Differenzierung zwischen Personen mit mittlerem und niedrigem Ausbildungsniveau nicht mOglich. Denn weder die sicherheitsbehOrdlichen Akten noch auch die den Sozialversicherungen zur Verfagung stehenden Daten enthalten im Normalfall eindeutige Hinweise auf das Ausbildungsniveau. 457 Lediglich far die akademisch ausgebildeten Betroffenen konnte, aufgrund des 455 Berufsposition, Berufstatigkeit und Bildungsniveau, teils auch noch Einkommensh0he werden bekanntlich vielfach zu einem gemeinsamen Indikator ,,soziale SchichtzugehOrigkeit" zusammengefasst. Hier erfolgen die Analysen aber wegen der unterschiedlichen Datenlage getrennt. 456 Als Ursachen hierft~r kommen v.a. in Betracht: Bei niedrig-qualifizierten Personen: Geringe ProblemlOsungskompetenz, deprivierte, belastende Lebens- und Arbeitsverhaltnisse, die auch zu hOherer Morbiditat im somatischen und psychischen Bereich fahren, bei hoch-qualifizierten Personen: zu hohe Anspruchsniveaus im persOnlichen und beruflichen Bereich, im Vergleich zur ,,Durchschnittsbev01kerung"starkere Arbeitsbelastung. 457 lmplizite Informationen im Hinblick auf ihr wahrscheinliches Bildungsniveau iiegen anhand der Daten zur Berufstatigkeit der Suizidenten vor; sie erscheinen aber nicht verlasslich genug, zudem wurde die Art der Berufstatigkeit ja bereits als gesonderte Variable ausgewertet.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
283
Umstandes, dass akademische Titel einen f6rmlichen Namensbestandteil darstellen, von einer ausreichend hohen Verlfisslichkeit der Wiedergabe entsprechender Abschlasse in den Akten ausgegangen werden. Damit wurde es gleichzeitig aber immerhin mOglich, die Suizidhfiufigkeit jenes BevOlkerungsteils der ,,Akademiker" dem der ,,RestbevOlkemng", also der Personen ohne universitfire Bildungsabschlt~sse, gegenaberzustellen, und damit zu prafen, ob Personen mittlerer und niedriger Bildung zusammengenommen ein hOheren Suizidrisiko aufweisen warden als Menschen mit Universitfitsabschluss. Far die Gesamtheit der Suizidenten in der Steiermark im Zeitraum 2000 bis 2004458 ergab sich folgende Verteilung des Merkmals ,,akademischer Titel": Tabelle 188." Ausbildungsniveau der Suizidenten im Alter ab 15 Jahren (2000-2004) 459
% gesamt
H M~inner
1184
96,1
48
3,9
16
1,3
Akademischer Titel
H gesamt
Nein da Davon Mag.
%
%
M~inner
H Frauen
Frauen
892
96,1
292
96,1
36
3,9
12
3,9
12
1,3
4
1,3
Davon DI
5
0,4
5
0,5
-
-
Davon Dr.
27
2,2
19
2,0
8
2,6
Gesamt
1232
100
928
100
304
100
Das Ergebnis der Hfiufigkeitsauszfihlung ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich: Zunfichst ist festzustellen, dass der Anteil der Akademiker unter den Suizidenten insgesamt relativ gering ist; mr die steirische GesamtbevOlkerung ab 15 Jahren weisen die Volkszfihlungsergebnisse des Jahres 2001 einen Akademikeranteil von 4,9 % aus, also eine doch deutlich hOhere Quote; eine geschlechterspezifische Betrachtung zeigt aber, dass nur die mfinnlichen Akademiker einen hOheren BevOlkerungsanteil aufweisen - 6,2% -, als er der Quote unter den mfinnlichen Suizidenten entsprechen warde, wfihrend der Anteil der weiblichen Akademiker in der HOhe von 3,7 % ungefahr der Quote der Akademikerinnen unter den weiblichen Suizidenten entspricht. Die entsprechenden Suizidraten lauten: Tabelle 189.
Suizidraten bei Akademikern und Nicht-Akademikern, bezogen auf die BevOlkerung ab 15 Jahren (2000-2004)
Akademischer Titel
SR G
SR M
SR F
Nein
25,1
39, 9
11, 8
Ja
19,9
24,5
12,6
Gesamt
24, 8
39, 0
11, 8
Wegen des hohen Anteils von fehlenden Daten far die Zeit vor 2000 fand auch bei der Auswertung zu dieser und etlichen der folgenden - Variablen eine Beschrankung auf die Periode ab 2000 statt. 459 Auswertung far 1232 yon 1404 Fallen; in 164 Fallen waren keine sicherheitsbehOrdlichen Akten verfagbar; 8 SuizidfWlebetrafen Kinder unter 15 (6 Buben, 2 Madchen).
458
284
3 Ergebnisse der Studie
Die Suizidrate von Akademikern in der Steiermark liegt demnach insgesamt bei 20, die der Nicht-Akademiker aber bei 25, also um ein Viertel h6her. Innerhalb des mfinnlichen Bev6lkerungsteils betr~igt die Diskrepanz der Suizidrate sogar 15 Suizide pro 100.000 Einwohner und Jahr; mfinnliche Akademiker weisen eine Suizidrate von ca. 25 auf, mfinnliche NichtAkademiker aber eine von fast 40. Bei Frauen dagegen liegt die Suizidrate unter den Akademikerinnen sogar etwas tiber jener der Nicht-Akademikerinnen. Protektive Effekte akademischer Bildung sind daher derzeit- in der Steiermark- nur ffir Mfinner anzunehmen. Betrachtet man allerdings die Verteilung der Suizidenten nach den genauen akademischen Titeln, so zeigt sich, dass bei M~nnern wie bei Frauen ein fiberraschend groger Anteil innerhalb der Akademiker den Doktorgrad erworben hatte, insgesamt fiber die Hfilfle der durch Suizid verstorbenen Akademiker. Dieses Phfinomen ist teilweise durch die besondere Suizidhfiufigkeit von Medizinern erklfirbar- zumindest 12 der 27 Suizidenten mit Doktorgrad waren Mediziner -, dieser Aspekt allein scheint diese Ungleichverteilung aber nicht erklfiren zu kOnnen - der Anteil der Doktoren an den Akademikern insgesamt ist far die Steiermark nicht genau bekannt, liegt aber sicher sehr weit unter 50 %.
3.3.13 Einkommen der Suizidenten Analog zu den obigen Ausfahrungen sollte die relative Suizidh~iufigkeit auch bei einer Betrachtung hinsichtlich des Einkommens in den niedrigsten Kategorien am h6chsten sein, aber vielleicht auch bei den am besten verdienenden Schichten h/Sher als bei Menschen mit mittlerem Einkommen. 46~ Diese Variable lfisst sich, da sie ausschlieBlich anhand von Sozialversicherungsdaten ausreichend genau eruierbar ist, nur far die Jahre 2002 bis 2004 untersuchen. Insgesamt befanden sich unter den 755 durch Selbstt6tung verstorbenen Einwohnern der Steiermark in diesem Zeitraum, far welche Sozialversicherungsdaten untersucht werden konnten (die Gesamtzahl der Suizidenten in diesem Zeitraum in der Steiermark betrug 860), 343 Pensionisten, 197 Arbeitnehmer, 15 Landwirte, 22 (sonstige) Unternehmer, 37 Arbeitslose (im engeren, sozialversicherungsrechtlichen Sinn), 55 Mitversicherte und 51 Personen, die (zumindest zum gr(SBten Teil) fiber keine Sozialversicherung verfagt hatten; nur far die drei erstgenannten Gruppierungen, also Arbeitnehmer, Landwirte und Pensionisten sowie far bis kurz vor ihrem Tod erwerbst~tig gewesene Personen unter den 35 ,,sonstigen Versicherten" konnte ein zuletzt bezogenes Einkommen in der Majoritfit der Suizidfalle eruiert werden. Die anderen Suizidenten verfagten entweder fiber kein (offizielles) eigenes Berufseinkommen (Mitversicherte, Arbeitslose etc.) oder dasselbe konnte nicht ermittelt werden (Unternehmer). 46~ Da Pensions- und aktives Einkommen im Durchschnitt ziemlich unterschiedlich gestaltet sind, erschien eine gesonderte Betrachtung angebracht; betreffend die Pensionisten unter den Suizidenten konnte das letzte Einkommen vor dem Suizid in 289 Ffillen eruiert werden, im Bereich der aktiv erwerbst~tigen Arbeitnehmer standen Informa46o Interessant w~ireselbstverst~indlich auch ein Einbezug der Kategorie ,,Verm0gen" gewesen; hierzu liegen sich aber keine verl~isslichen Daten in ausreichender Repr~isentativit~iterheben. 461 Far den Bereich der Beamten musste auf Durchschnittswerte der Einkommen (getrennt in zwei Kategorien: Akademiker und Nicht-Akademiker, berechnet aus der Gesamtverteilung in Klassen der Einkommen der im Staatsdienst gestandenen Suizidenten) zurOckgegriffen werden, da seitens der BVA hierzu keine individualfallbezogenen Informationen abermittelt wurden. Dennoch schien auf die beschriebene Weise eine einigermaBen ad~iquate Einbeziehung der Suizidenten dieser ErwerbskategoriemOglich.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
285
tionen ~ r 229 Verstorbene zur Verff~gung. Diese Daten wurden dem Studienautor in Form von Zuordnung zu ,,Gehaltsklassen" (Brutto-Monatsgehfilter in Euro) in Schritten zu je 300 C t~bermittelt; mittels des Operierens mit Klassenmittelpunkten lassen sich auch aus diesen Daten aufschlussreiche und ausreichend genaue Angaben zur Einkommenssituation der Suizidenten im Vergleich zur Allgemeinbev61kerung deduzieren. Zunfichst sei hier die Gesamtverteilung der erw~ihnten Gehaltsklassen, wie sie ~ r die Suizidenten insgesamt erhoben werden konnte, wiedergegeben (siehe folgende Tabellen, die Zahlen beinhalten keine Daten ~ r Unternehmer, wohl aber far Land- und Forstwirte); aufgrund der teils besseren Vergleichbarkeit mit statistischen Daten betreffend die allgemeine BevOlkerung seien im Weiteren auch jene Verteilungen betrachtet, die sich ausschlief31ich auf Arbeitnehmer beziehen (d.h. unter Ausschluss der Land- und Forstwirte). Tabelle 190:
Letztbeztige der pensionierten Suizidenten (2002-2004; Bruttomonatseinkommen in Klassen zu je 300 C)
EinkommenshThe
H
%
0-300
8
2,8
301-600
42
14,5
601-900
103
35,6
901-1200
77
26,6
1201-1500
28
9,7
1501-1800
26
9,0
1801-2100
1
0,3
(2101-3000)
-
-
0ber 3000
4
1,4
Gesamt
289
100
o
Tabelle 191:
Letztbeztige der pensionierten Arbeitnehmer unter den Suizidenten (2002-2004; Bruttomonatseinkommen in Klassen zu je 300 C)
EinkommenshShe
H
%
0-300
8
3,2
301-600
32
13,0
601-900
75
30,4
901-1200
73
29,6
1201-1500
28
11,3
1501-1800
26
10,5
1801-2100 (2101-3000)
1 -
0,4 -
0ber 3000
4
1,6
Gesamt
247
10
286
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 192."
Letztbeziige der erwerbstfitig gewesenen Suizidenten (2002-2004; Bruttomonatseinkommen in Klassen zu je 300 6)
EinkommenshShe 0-300 301-600 601-900 901-1200 1201-1500 1501-1800 1801-2100 2101-2400 2401-2700 2701-3000 0ber 3000 Gesamt Tabelle 193.
H 28 18 22 21 29 39 25 11 8 16 12 229
% 12,2 7,9 9,6 9,2 12,7 17,0 10,9 4,8 3,5 7,0 5,2 100
Letztbezage der als Arbeitnehmer erwerbstfitig gewesenen Suizidenten (2002-2004; Bruttomonatseinkommen in Klasen zu je 300 6)
EinkommenshShe 0-300 301-600 601-900 901-1200 1201-1500 1501-1800 1801-2100 2101-2400 2401-2700 2701-3000 0ber 3000 Gesamt
H 26 15 18 17 29 39 23 11 8 16 12 214
% 12,1 7,0 8,4 7,9 13,6 18,2 10,7 5,1 3,7 7,5 5,6 100
Die wiedergegebenen Verteilungen lassen sich nun mit den Durchschnittseinkommen vergleichen, welche ft~r Pensionisten bzw. Erwerbstfitige insgesamt statistisch erhoben werden. Nach den Daten der Statistik Austria Dr das Jahr 2003 (mittleres Jahr des dreijfihrigen Untersuchungszeitraums) hat das standardisierte Brutto-Jahreseinkommen yon unselbstfindig Erwerbstfitigen in der Steiermark im arithmetischen Mittel 26.192 6 betragen, umgelegt auf (14) Bruttomonatsgehfilter ergibt dies 1871 6. 462
462Statistik Austria (Hg.), StatistischesJahrbuch Osterreichs 2005, S. 220.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
287
Das entsprechende standardisierte Brutto-Median-Einkommen (das heiBt, jene EinkommenshOhe, die genau von 50 % der Arbeitnehmer nicht erreicht, von den anderen 50 % dagegen t~berschritten wird), liegt im Jahr bei 23.088 E,463 demnach monatlich bei 1649 (~ (bei Umrechung auf 14 Monatsgehfilter). Klassifiziert man nun die EinkommenshOhen der als Arbeitnehmer erwerbstfitig gewesenen Suizidenten je nachdem, ob sie unter oder aber diesem Medianeinkommen lagen bzw. annfihrend dessen HOhe hatten, ergibt sich folgende Verteilung: Tabelle 194:
Letztbeztige der als Arbeitnehmer erwerbstfitig gewesenen Suizidenten (2002-2004) (Bruttobezage) im Verhfiltnis zum Medianeinkommen (2003) %
EinkommenshShe deutlich unter Medianeinkommen (bis zu 1500 (Z)
105
49,1
in etwa gleich Medianeinkommen (1501-1800 C)
39
18,2
deutlich 0ber Medianeinkommen (ab 1801 (~)
70
32,7
Gesamt
214
100
Diese Kategorisierung zeigt also deutlich, dass die Mehrheit der als Arbeitnehmer beschfiftigt gewesenen Suizidenten unterdurchschnittliche Einkommen hatte - bezogen auf das Medianeinkommen ergibt sich, dass nahezu die HNfte der bezogenen Einkommen klar unterhalb desselben angesiedelt waren, wfihrend ein knappes Fanftel der Einkommen in etwa im Bereich des Medianeinkommens lag, nur etwa ein Drittel aber deutlich dart~ber. 464 Die unselbstfindig erwerbstfitig gewesenen Suizidenten waren also im Durchschnitt firmer als andere unselbstfindig Erwerbstfitige in der Steiermark, 105 Personen (49 %) hatten ein Bruttomonatseinkommen bis maximal 1500 C. 59 dieser Verstorbenen, also mehr als ein Viertel der erwerbstfitig gewesenen Arbeitnehmer, die sich selbst t0teten (28 %), hatten sogar nur ein monatliches Bruttoeinkommen von maximal 900 (~ und massen damit als ,,arm" gelten; etwa jeder 5. als Arbeitnehmer erwerbstfitig gewesene Suizident (41 Personen, 19 %) hatte weniger als 601 (~ Brutto-Monatseinkommen, die Bezage dieser Verstorbenen lagen damit deutlich unter dem Richtsatz far Mindestpensionen (654 6 im Jahr 2003)! 465 Eine deutlich erhOhte Suizidgefahrdung 6konomisch schwacher Personen ist damit evident. Zu bedenken bleibt aber auch, dass Personen im obersten Einkommensbereich unter den Suizidenten wiederum ebenso relativ hfiufig vertreten sind (siehe die Tabelle weiter oben). Die Land- und Forstwirte blieben hier zur besseren Vergleichbarkeit ausgeklammert; flir diese spezifische und, wie schon gezeigt wurde, mit besonders hohen Suizidrisiken behafiete Berufsgruppe ergibt eine Analyse der Einkommen der Suizidenten folgendes:
Statistik Austria (Hg.), Statistisches Jahrbuch Osterreichs 2005, S. 220. Da das standardisierte Brutto-Medianeinkommenbei 1649 tF liegt, koinzidiert es nahezu v011igexakt mit dem Klassenmittelpunkt der Einkommenskategorie ,1501-1800" E, sodass Verzerrungen in den Ergebnissen des Vergleichs dutch eine ,,schiefe" Zuordnung der konkreten Einkommenzu einzelnen Kategorien ausgeschlossen sind. 465Statistik Austria (Hg.), Statistisches Jahrbuch Osterreichs 2005, S. 231. 463
464
288
3 Ergebnisse der Studie Letztbezage der erwerbst~,tig gewesenen Land- und Forstwirte unter den Suizidenten (2002-2004; Bruttomonatseinkommen in Klasen zu je 300 6)
Tabelle 195.
Einkommensh5he
H
%
0-300
2
13,3 20,0
301-600
3
601-900
4
26,7
901-1200
4
26,7
(1201-1800)
-
-
1801-2100
2
13,3
Gesamt
15
100
Tabelle 196."
Letztbezage der pensionierten Land- und Forstwirte unter den Suizidenten (2002-2004; Bruttomonatseinkommen in Klassen zu je 300 6)
EinkommenshShe
H
%
301-600
10
23,8
601-900
28
66,7
901-1200
4
9,5
Gesamt
42
100
Wie zu ersehen ist, waren auch die Einkommen der Land- und Fortwirte, welche sich in der Steiermark im Zeitraum von 2002 bis 2004, suizidierten, im Regelfall gering. Unter den 15 verstorbenen, aktiv gewesenen Landwirten hatten 13 maximal ein Einkommen yon 1200 6 brutto pro Monat, 9 hatten gem~.6 den Daten der Sozialversicherungsanstalten weniger als 900 6 Bruttoeinkommen. 466 Nur zwei der Verstorbenen verft~gten aber relativ hohe Einkanfte aus land- und forstwirtschaftlicher Tfitigkeit (siehe Tabelle 196). Hinsichtlich der pensionierten Landwirte, die Suizid begangen hatten, stellt sich der Befund betreffend das Einkommen noch homogener dar; keine einzige Landwirte-Pension betrug in den 42 erfassten Ffillen mehr als 1200 6 brutto pro Monat, 38 (fiber 90 %) betrugen gar maximal 900 6. Betreffend der pensionierten Arbeitnehmer ergibt eine zusammenfassende Betrachtung der tabellarischen Zusammenstellung, dass 115 der 247 Suizidenten dieser Kategorie (47 %) Brutto-Pensionsbezt~ge pro Monat unter 900 6 aufwiesen; 73 (30 %) solche in der H6he von 901 bis 1200 6, und 59 Personen (24 %) h(Shere Bezage ab 1501 6; hohe Bruttopensionen yon mehr als 1800 6 im Monat waren dabei aber sehr selten (5 F0,11e, 2 %). Umgekehrt hatten aber 16 % der Pensionisten, die sich selbst getOtet hatten, mit PensionshOhen von maximal 600 6 brutto pro Monat deutlich geringere Pensionsbezage als der Mindest-Pensions-Richtsatz vorsieht (2003:643,54 6) und waren demnach ,,Ausgleichszulagen-Bezieher"; wobei die tatsfichliche Quote der Mindestpensions-Bezieher jedenfalls hOher lag, da auch in der Kategorie der Pensionen in der H6he von 601 bis 900 6 sicherlich ein gewisser Teil unter jener Einkommensgrenze zu liegen kam. 466Nebenerwerbslandwirte, far welche ein anderes unselbstgndiges Einkommen bekannt ist, sind hier nicht berticksichtigt, sondern als Arbeitnehmerkategorisiert.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
289
3.3.14 Berufliche Biographie der Suizidenten Einige zentrale Aspekte tiber den sozioOkonomischen Status der Suizidenten k0nnen nicht nur f~r den Zeitraum unmittelbar vor dem Suizid eruiert werden, sondern greifen auch etwas weiter zurt~ck. Hieraus k/Snnten sich wichtige Aufschlt~sse ableiten lassen. So ist etwa in der Forschungsliteratur verschiedentlich besonders hfiufiger Arbeitsplatzwechsel als Indikator f~r psychische Probleme genannt worden, und kOnnte auch ft~r Suizidalitfit einen Hinweis liefern. Bekannt ist weiter die Annahme, dass in der Lebensphase unmittelbar nach Pensionierung hOheres Suizidrisiko auftritt; auch hierzu sollen die Daten nach MOglichkeit ausgewertet werden. Ein weiterer Aspekt der biographischen Entwicklung, welcher mit Suizidalitfit assoziiert sein k/Jnnte, ist ganz allgemein eine soziale Abstiegstendenz, wie sie bei chronisch (k0rperlich und/oder psychisch) kranken Menschen hfiufig auftritt. Diese kann sich nicht nur in Arbeitslosigkeit fiuBern, sondern auch im Fehlen jeglicher Erwerbsbiographie oder in einem allmfihlichen beruflichen ,,Absinken" zu immer schlechter bezahlten und weniger angesehenen Tfitigkeiten. Die Auswertung der Daten der Sozialversicherungsanstalten erlaubte, zumindest Dr den Zeitraum 2002 bis 2004, tats~,chlich auch eine gewisse Rekonstruktion der Erwerbsbiographien der durch Suizid Verstorbenen. So lieB sich feststellen, dass von den zusammen 237 Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004, die bis unmittelbar vor ihren Tod erwerbstfitig waren, die sehr hoch erscheinende Anzahl von 73 (31%, also fast ein Drittel) im Zeitraum ab 1999 zumindest einer weiteren Erwerbstfitigkeit vor ihrer letzten Erwerbstfitigkeit nachgegangen war, also den Arbeitsplatz zumindest einmal gewechselt hatte! Dieses Phfinomen ist dabei eindeutig spezifisch fflr wenig qualifizierte Personen, denn von den besagten 73 Suizidenten waren 56 (77 %) in ihrer vorherigen Erwerbstfitigkeit als Arbeiter angestellt, nur 17 dagegen als Angestellte. Insgesamt mindestens 20 Betroffene mussten bei diesem letzten Arbeitsplatzwechsel auch in einem anderen politischen Bezirk erwerbstfitig werden als zuvor. Aufschlussreich erscheint weiters ein Vergleich der jeweils bezogenen Gehfilter Dr diese besondere Teilkategorie der Suizidenten: W~,hrend ftir 22 Suizidenten im Hinblick auf die Einkommenslage ein ,,Aufstieg" festgestellt werden kann, der sich von einer Differenz um eine Einkommensklasse (in 300 C-Schritten) bis - in sieben Ffillen - hin zu einem Einkommensgewinn von jedenfalls t~ber 1000 C pro Monat (brutto) erstreckte, war in einer doch grOBeren Zahl der Ffille, bei 30 Personen, eine absteigende Tendenz feststellbar, die ebenfalls von Verlusten im Bereich einer Einkommensklasse bis hin zu solchen von mit Sicherheit mehr als 1000 C pro Monat (10 Suizidenten) reichte. Ft~r 15 jener 73 Suizidenten ergab sich ein zumindest ungefahrlich gleich bleibendes Einkommen bei dem angesprochenen Arbeitsplatzwechsel, d.h. ihre Gehfilter lagen beide Male in derselben Einkommensklasse. 467 Besonders bemerkenswert erscheint weiter aber, dass yon diesen 73 Verstorbenen 33 ihren Arbeitsplatz im Zeitraum ab 1999 nicht nur einmal, sondern mindestens zweimal gewechselt hatten! Bezogen auf die Gesamtsumme yon 237 bis direkt vor ihrem Tod Erwerbstfitigen (gerechnet einschlieBlich Landwirten und Selbstfindigen) ergibt sich ein Anteil yon 14 %! Hfiufiger Arbeitsplatzwechsel - der zu einem nicht bekannten, wahrscheinlich aber betrfichtlichen Anteil unfreiwillig erfolgte - kann demnach jedenfalls als ein Symptom, vielleicht auch als eine ursfichliche Bedingung von Suizidalitfit betrachtet werden. In weiteren sechs F~llen war zwar die Tatsache eines Arbeitsplatzwechsels im Zeitraum ab 1999 bekannt, abet die H0he eines der beiden Gehfilter nicht.
467
290
3 Ergebnisse der Studie
Ein weiteres Kriterium, dessen Untersuchung von Interesse schien, ist jenes des Pendlertums, welches ja immer wieder mit erh0hter Suizidalitfit in Zusammenhang gebracht wird. Von den 237 Erwerbstfitigen im Sample der Jahre 2002 bis 2004 konnten ftir 212 Daten sowohl zu Wohn- als auch zum Erwerbsort erfasst werden; eine Tabellierung ergibt, dass 71 (34 %) tiber Bezirksgrenzen hinweg zum Arbeitsplatz hatten pendeln mt~ssen. Dieser Wert liegt jedoch unterhalb der ~ r die gesamte Erwerbsbev01kerung zu ermittelnden Bezirks-Auspendler-Quote. 468 Dies bedeutet nicht, dass lange Anfahrtszeiten zum Arbeitsplatz nicht eine starke psychische Belastung darstellen k0nnen; zumindest bei Betrachtung ihrer letzten Lebensphase scheinen aber unter den spfiteren Suizidenten nicht aul3ergew0hnlich viele Auspendler (tiber Bezirksgrenzen gerechnet) zu sein. Die Kategorie der pensionierten Suizidenten kann wiederum hinsichtlich des Aspekts des Zeitpunkts der Pensionierung naher betrachtet werden; hierzu ergibt eine Auswertung der Sozialversicherungsdaten aber, dass lediglich 19 von 306 Verstorbenen (ftir weitere als Pensionisten durch Suizid verstorbene Personen fehlten die betreffenden Informationen), also ca. 6 %, erst im Beobachtungszeitraum 2002 bis 2004 selbst in den Ruhestand versetzt worden waren. Diesbeztiglich ist abet zu bedenken, dass etwa ein Drittel der Suizide dieses Zeitraums ja schon 2002 stattgefunden hatte; betrachtet man daher zusfitzlich gesondert die im Jahr 2004 verstorbenen Suizidenten, die Pensionisten waren, ergibt sich ein etwas erh0hter Anteil, n~imlich 9 von 109 Personen, was ca. 8 % entspricht. So ist festzustellen, dass die Pensionierung zwar zweifellos als eine psychosozial kritische Phase gelten muss, dass aber der Grol3teil der Suizide von Menschen im Ruhestand (mehr als 90 %) - zumindest in der Steiermark im Untersuchungszeitraum - doch in sehr deutlichem zeitlichen Abstand zur Pensionierung erfolgt (mindestens zwei Jahre Differenz). Was die Zusammenh~inge von Erwerbsbiographie und letaler Suizidalitfit betrifft, sei an dieser Stelle schlieBlich nochmals auf den gravierenden Umstand verwiesen, dass ftir fast 7 % der Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004, ~ r welche Informationen der Sozialversicherungsanstalten angefordert werden konnten, die Antworten ,,negativ" waren, also keinerlei Sozialversicherungsstatus, weder als Arbeitnehmer bzw. Unternehmer noch als Pensionist oder mitversicherte Person nachgewiesen werden konnte. Ein nicht unbetrachtlicher Teil der spfiteren Suizidenten war also offensichtlich im Verlauf seines Lebens aus dem ,,Sozialversicherungsnetz" herausgefallen oder gar nie in dasselbe integriert worden, formell beschfiftigungslos und von Sozialhilfe - die bekanntlich bis dato keine Kranken- und Unfallversicherung inkludiert - und/oder von Schwarzarbeit abh~ingig bzw. von dem Erhalt durch Angeh0rige oder sonstigen nahe stehenden Personen. Einzelne sicherheitsbeh0rdliche Akten, deren systematische Er0rterung hier zu weit ~hren wtirde, geben zu diesem spezifischen Bereich erschtitternde Aufschltisse; unter den Menschen, die sich in der Steiermark im Verlauf der letzten Jahre selbst t0teten, finden sich etliche Obdachlose und Gelegenheitsarbeiter mit hfiufig wechselnden Aufenthaltsorten. Massive und chronische psychische und/oder Sucht-Erkrankungen, die ja ganz allgemein eine zentrale Rolle im Entstehen suizidaler Tendenzen spielen, sind beim Studium der Akten tiber diese Suizidenten vielfach besonders deutlich erkennbar.
468
Vgl. StatistikAustria (Hg.), Volkszahlung2001. Hauptergebnisse II - Osterreich, S. 126.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
291
3.3.15 Geburtsregion der Suizidenten
Analog der schon Dr den Makrobereich gefiuBerten These wurde auch hier davon ausgegangen, dass Personen mit ,,Migrationshintergrund" relativ selten unter den Suizidenten vertreten sind, da die far Osterreich ,,typischen" Einwanderungslfinder insgesamt eher niedrige Suizidraten aufweisen. Innerhalb der Kategorie der ,,geborenen Osterreicher" kann zudem auch untersucht werden, ob - was wegen Belastungen durch den Wechsel des Lebensumfeldes denkbar erscheint- Personen, die im Laufe ihres Lebens grSBere Ubersiedlungen hinter sich brachten, unter den Suizidenten besonders h~ufig vertreten sind. Allerdings ist hier nur eine bloBe H~ufigkeitserhebung m6glich, da Vergleichszahlen far die Allgemeinbev6lkemng fehlen. Der Frage, wie viele der Suizidenten auf3erhalb Osterreichs geboren waren, konnte hierbei - da diese Information in der Todesursachenstatistik erfasst wird - far den Gesamtzeitraum 1995 bis 2004 nachgegangen werden; 2720 der 2929 Suizidffille (93 %) waren hierbei auswertbar. Die Hfiufigkeitsauszfihlung ergibt, dass der aberwiegende GroBteil aller Suizidenten gebartige Osterreicher waren, insgesamt knapp 97 %. Far den Teilzeitraum ab 2000 ist dabei aber eine geringfagig reduzierte Rate gegent~ber der Periode von 1995 bis 1999 festzustellen (siehe Tabelle 198), die sicherlich auch mit den im Untersuchungszeitraum insgesamt zunehmenden Bev61kerungsanteilen von Einwanderern zusammenh~ngt. Tabelle 197." Geburtsland der Suizidenten (1995-2004 und in Teilperioden) Geburtsland
1995 bis 2004
1995 bis 1999
2000 bis 2004
0sterreich
2634
1370
1264
In %
96,8
97,4
96,3
Andere Staaten
86
27
49
In %
3,2
2,6
3,7
Gesamt
2720
1407
1313
In %
100
100
100
Vergleicht man die Anteile der im Ausland geborenen Suizidenten mit der Quote der im Ausland geborenen Personen in der steirischen Gesamtbev6lkerung, wie sie ftir die Volkszfihlung 2001 ermittelt wurde, so zeigt sich, dass die im Ausland geborenen Bewohner der Steiermark im Durchschnitt eine geringere Suizidhfiufigkeit aufweisen, womit die entsprechende Hypothese bestfitigt wird: Wfihrend der Anteil der nicht in Osterreich geborenen unter den durch SelbsttOtung Verstorbenen aber den gesamten Untersuchungszeitraum bei ca. 3 % liegt, waren nach den Volkszfihlungsergebnissen etwa 7 % der Gesamtbev01kerung im Ausland geboren. In Osterreich geborene Menschen haben daher eine h6here Suizidtendenz als zugewanderte Personen. Unter den im Ausland geborenen Suizidenten stellen bemerkenswerterweise aus Slowenien stammende Personen den gr0Bten Anteil, es handelt sich um 18 Personen, aber ein Fanftel aller im Ausland geborenen Suizidenten respektive 0,7 % aller Suizidenten. Der BevOlkerungsanteil der in Slowenien geborenen Bewohner der Steiermark entspricht (wie-
292
3 Ergebnisse der Studie
derum nach VZ 2001) ebenfalls 0,7 %.469 Eine genauere Untersuchung erweist, dass 10 dieser Suizidenten zum Zeitpunkt ihres Todes bereits mindestens 60 Jahre alt waren; zu einem betrfichtlichen Teil handelte es sich, was das Studium der einzelnen Akten genauer belegte, um so genannte ,,Volksdeutsche", insbesondere Untersteirer, die nach 1918 bzw. nach 1945 in die/3sterreichische Steiermark gekommen waren. Die zweitgrt~Bte Gruppierung unter den im Ausland geborenen Suizidenten stellen, weniger tiberraschend, in Deutschland geborene Personen mit einer Anzahl von 15 bzw. 0,6% aller Suizidenten. Da der Anteil derselben an der steirischen Gesamtbevtilkerung 1,2 % betrug, ergibt sich for sie aber ebenso kein gegentiber in ()sterreich Geborenen erht~htes, sondern vielmehr ein reduziertes Risiko far Suizid. An dritter und vierter Stelle stehen Menschen, die in Serbien bzw. Montenegro einerseits, Kroatien andererseits geboren waren (10 bzw. 9 Ffille), gefolgt von in Bosnien gebtirtigen Personen (8 F~ille). Auch far diese Personenkategorien ergibt ein Vergleich mit den Bev61kerungsanteilen keine tiberproportionalen Anteile an den Suizidenten. 47~ Mehr als for Personen aus anderen Herkunftsregiohen gilt hier aber, dass eine hOhere ,,Dunkelziffer" als ftir die Bev6lkerung t~sterreichischer Staatsangeh6rigkeit anzunehmen ist; wer namlich keinen fOrmlichen Wohnsitz in (3sterreich aufweist, dessert Tod wird auch in der Todesursachenstatistik nicht verzeichnet. Eine gewisse Anzahl yon Suiziden von auslfindischen Staatsbtirgern ohne Aufenthaltstitel in C)sterreich wurde nattirlich tiber die sicherheitsbehOrdlichen Akten in der vorliegenden Studie dennoch registriert; es ist aber denkbar, dass der Erfassungsgrad dennoch gegentiber den Suiziden ,,Einheimischer" zurticksteht. Gegentiber der Suizidrate von ,,Inlfindern" deutlich erh6hte Suizidhfiufigkeiten sind aber dennoch auch ftir im ehemaligen Jugoslawien geborene Personen mit Aufenthalt in (3sterreich als unwahrscheinlich anzusehen. 47~ Dasselbe gilt far in Tschechien Geborene (4 Suizidf~ille; vergleichsweise geringe Anzahl in der Steiermark); w~ihrend auff~illt, dass unter den in Rumfinien geborenen Bewohnern der Steiermark trotz ihrer zahlenmfiBigen Stfirke, die in etwa der der in Kroatien Geborenen entspricht (ca. 6000 vs. ca. 6500 gemfiB VZ 2001), ,,nur" halb so viele Suizide, nfimlich 4, vorfielen. Freilich sind die betreffenden Fallzahlen im Beobachtungszeitraum, wie zu ersehen ist, hierbei zu gering, um solide Schltisse zu erlauben. Weitere in der Steiermark von 1995 bis 2004 vorgefallene Suizide wurden von in der Schweiz (drei Personen), in Ungarn (zwei) sowie in je einem Fall von in Italien, Spanien, Slowakei, Polen, Bulgarien, Russland und Schweden geborenen Personen begangen, was die europaischen Herkunftsltinder betrifft. AuBereurop~iische Herkunftsl~inder von Suizidenten sind ausnahmslos maximal mit je einem Suizidfall betroffen; 472 auch hier gilt; dass wegen des relativ hohen Anteils von ,,illegal" in Osterreich lebenden Personen die tatsfichliche Suizidhaufigkeit tiberproportional gr6Ber sein kSnnte als die erfasste, jedenfalls aber handelt es sich einschlieBlich der ,,Dunkelziffer" quantitativ ,,nur" um einen sehr geringen Anteil aller Suizide im Bundesland. Dies schlieBt aber erhOhte Suizidrisiken far gewisse, unter besonders prekfiren Lebensbe469Statistik Austria, Volksz~lung 2001, Hauptergebnisse I - Osterreich, S. 54f. 470 Auf die Ermittlung spezifischer Suizidraten wurde hier verzichtet; eine solche wird in der Folge aber far das sowohl yon seiner inhaltlichen Bedeutung her als auch hinsichtlich der Zahlenverteilung sehr ahnlich gelagerte Kriterium ,,StaatsangehOrigkeit" durchgefOhrt. 471Ft~rin Kroatien Geborene etwa lag 2001 ein BevOlkerungsanteil in der Steiermark yon 0,6 % vor; innerhalb der erfassten Suizidenten stellten sie im Zeitraum 1995-2004 dagegen einen Anteil yon ,,nut" 0,3 %. 472Je ein im Gesamtsample erfasster Suizident stammte aus den USA, Honduras, Argentinien, Agypten, Somalia und dem Iran.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
293
dingungen in Osterreich befindliche Immigrantengruppen nicht aus. ,,Migration" k0nnte aber auch innerhalb der den hauptsfichlichen Anteil aller Suizidenten stellenden Kategorie der in Osterreich geborenen Menschen in einem Zusammenhang zur Suizidalitfit stehen. Untersucht wurde diesbezaglich die Kombination von Geburts- und Wohnbezirk der durch Selbstt0tung Verstorbenen, um so die in den Biographien feststellbare Binnenmigration zahlenmfi6ig wenigstens annfiherungsweise fassbar zu machen. Tabelle 198." Verteilung von Wohn- und Geburtsorten der Suizidenten
Geburtsort
im selben Bezirk
in anderen steirischen Bezirken
nicht in Steiermark
Wohnort
H
%
H
%
H
%
H
Gesamt
%
Graz Stadt
204
47,4
130
30,3
96
22,3
430
100
Bruck/Mur
24
68,6
7
20
4
11,4
35
100
Deutschlandsberg
22
64,7
11
32,4
1
2,9
34
100
Feldbach
50
76,9
10
15,4
5
7,7
65
100
F0rstenfeld
8
53,3
5
33,4
2
13,3
15
100
Graz-Umgebung
41
38,3
52
48,6
14
13,1
107
100
Hartberg
75
86,2
7
5
5,7
87
100
Judenburg
27
79,4
5
14,7
2
5,9
34
100
Kn ittelfeld
10
62,5
4
25
2
12,5
16
100
Leibnitz
35
64,8
15
27,8
4
7,4
iI 8,1
keoben
87
60,8
40
28
16
, 11,2
Liezen
62
73,8
7
8,3
15
17,9
M0rzzuschlag
45
67,2
18
26,9
4
5,9
54 '
!
143
i 100 i
~ 100
84
100
67
100
Murau
26
63,4
6
14,6
9
22
41
100
Rad kersbu rg
7
70
2
20
1
10
10
100
Voitsberg
27
77,1
5
14,3
3
8,6
35
100
Weiz
38
, 62,3
18
29,5
5
8,2
61
100
Durchschnitt
(46)
' 65,7
(20)
23,4
(11)
10,9
(78)
100
Wie aus Tabelle 199 ersichtlich wird, waren im steiermarkweiten Durchschnitt zwei Drittel (66 %) der Suizidenten im selben Bezirk geboren, in dem sie auch unmittelbar vor ihrem Tod lebten. Dies ist natarlich kein exakter Nachweis dafur, dass im Leben derselben nicht auch Wohnsitzwechsel tiber gr06ere Distanzen stattgefunden hatten; ein Gro6teil darfte aber doch keine entsprechenden Migrationen tiber Bezirksgrenzen hinweg hinter sich gehabt haben, und damit stets in der Nfihe desjenigen sozialen Umfelds, in welchem er sozialisiert wurde, verblieben sein.
294
3 Ergebnisse der Studie
Ffir den beachtenswert hohen Anteil eines Drittels der Suizidenten gilt dies allerdings nicht: 24 % der durch Suizid verstorbenen waren zwar ebenso in der Steiermark geboren, lebten aber nun in einem anderen Bezirk als demjenigen der Geburt (wobei zu beachten ist, dass ein Teil derselben bloB in einem anderen Bezirk- insbesondere bei Krankenhausgeburten - zur Welt gekommen sein kOnnte, jedoch dennoch im spfiteren Wohnbezirk aufgewachsen ist). 11% der Suizidenten schlieBlich waren in anderen Bundeslfindem (8 %) bzw. im Ausland (3 %) geboren worden. Ob die Anteile der Zuwanderer aus anderen Bundeslfindern bzw. Bezirken unter den Suizidenten fiber dem Bev61kemngsdurchschnitt liegen oder nicht, wfire erst n~iher zu untersuchen, da dem Studienautor hierzu keine Daten Dr die Verteilung in der GesamtbevOlkerung vorlagen.
3.3.16 Staatsbiirgerschafi der Suizidenten Nicht-Osterreichische Staatsbfirgerschaft kann zwar bei in Osterreich lebenden Personen im Allgemeinen eindeutig als Ausdruck von Minderprivilegierung aufgefasst werden, jedoch ist far die Situation in Osterreich die geringere ,,Suizidneigung" der far unser Land typischen Herkunftsgesellschaften zu be~cksichtigen, weshalb von einer insgesamt niedrigeren Suizidrate der ausl~indischen Staatsbfirger" gegenfiber den ,,Inlfindern" ausgegangen wurde. Zudem sollte betrachtet werden, ob spezifische Einwanderergruppen besonderer Suizidgefahrdung unterliegen. Der Aspekt der Staatsbfirgerschaft der durch SelbsttOmng Verstorbenen war sehr gut untersuchbar, da hierzu ebenso Volkszfihlungsdaten als Vergleichsgrundlage far die AllgemeinbevOlkemng herangezogen werden konnten, und auch die Informationen der Todesursachenstatistik fiber die Suizidenten selbst (vorliegend wiederum far den Gesamtzeitraum von 1995 bis 2004) in diesem Punkt als sehr verlfisslich gelten k6nnen. In der Gegent~berstellung von ,,Inlfindem" und ,,Auslfindern" ergibt sich, dass sich unter den insgesamt 2929 Suizidenten 2866 Osterreichische StaatsangehOrige befanden und 55 Personen anderer Staatsbfirgerschaft; zu 8 Suizidffillen (0,3 %; diese schienen in der Todesursachenstatistik nicht auf, sondern konnten nur fiber die Akten der SicherheitsbehOrden erhoben werden) konnte die StaatszugehOrigkeit der Verstorbenen nicht definitiv festgestellt werden. In prozentualen Anteilen der auswertbaren Angaben bedeutet dies eine Quote yon 9 8 , 1 % ,,Inlfindem" und 1,9 % ,,Auslfindern"; der Anteil auslfindischer Staatsbfirger betrug in der Steiermark gemfiB Volkszfihlung 2001 aber 4,5 o~,473 sodass die Hypothese, wonach in Osterreich lebende Personen ohne 6sterreichische Staatsbargerschaft von Suiziden weniger betroffen sind, eindeutig bestfitigt wird. Ft~r diese zentrale demographische Kategorie sind untenstehend weiters die zu ermittelnden, spezifischen Suizidraten far Staatsbt~rger und Nicht-Staatsbarger sowie die resultierenden, (approximativen) Relativen Risiken angegeben: Bei dieser Gelegenheit kann im Obrigen aufgrund der guten Datenlage far die GesamtbevOlkemng nochmals demonstriert werden, wie wenig hoch selbst bei derartigen demographischen Variablen die Schwankungen gerade der relativen Risiken ausfallen, die sich ergeben, je nachdem, ob man die tatsfichliche Verteilung in der BevOlkerung zu Beginn des Untersuchungszeitraums (1995) oder die Verteilung zu einem etwas spfiteren Zeitpunkt im Untersuchungszeitraum (2001) heranzieht:
473
Statistik Austria (Hg.), Volksz~hlung2001. Hauptergebnisse I - Osterreich, S. 48.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark Tabelle 199."
295
Staatsangeh6rigkeit der Suizidenten (1995-2004)- Berechnungsvariante I auf Grundlage der BevOlkerungsverteilung 1995
Staatsangeh~Srigkeit
Suizidenten
Bev~51kerung (1995)
Spezifische SR
RR
,,Inl&nder"
2.866
1.151.879
24,9
2,46
,,Ausl~nder"
55
54.438
10,1
0,41
Gesamt
2.921
1.206.317
24,2
Tabelle 200:
Staatsangeh/Srigkeit der Suizidenten (1995-2004) - Berechnungsvariante II auf Grundlage der Bev/31kerungsverteilung gem~6 VZ 2001
StaatsangehSrigkeit
Suizidenten
Bev~51kerung (2001)
Spezifische SR
Ap. RR
,,In I&nder"
2.866
1.129.791
25,4
2,46
,,Ausign d e r"
55
53.512
10,3
0,41
Gesamt
2.921
1.183.303
24,7
Wie zu ersehen ist, ergeben sich in den beiden Berechnungsvarianten leicht differente spezifische Suizidraten; far die ,,Inlfinder" 24,9 im ersteren, 25,4 im zweiteren Fall, ft~r Auslgnder 10,1 bzw. 10,3. Dies resultiert natarlich aus der - wenn auch geringen - BevNkerungsabnahme in der Steiermark wfihrend des Untersuchungszeitraums. Insofem ist far den Gesamtzeitraum die Heranziehung der Bev61kerungszahlen zu einem ,,mittleren" Zeitpunkt, wie ihn das Volkszfihlungsjahr 2001 darstellt, auch reprfisentativer als die Berechnung auf Grundlage der relativ hohen BevNkerungszahl am Beginn der Untersuchungsperiode 1995. Die Berechnung des exakten Relativen Risikos erfordert abet nach epidemiologischer Definition eine solche Bezugnahme auf die zu Beginn der Untersuchung gegebenen Verteilung aus theoretisch-methodologischen Granden. Allerdings zeigt der Vergleich zwischen den ermittelten Werten nach den beiden Berechnungsvarianten, dass - selbstverst~ndlich nur unter der Voraussetzung, dass in der Grundgesamtheit wfihrend des Untersuchungszeitraums keine gravierenden Verschiebungen in den betreffenden Merkmalsverteilungen eintreten! - die bei Heranziehung der Werte eines spfiteren Erhebungstermins ermittelten approximativen Relativen Risiken nur sehr geringft~gig von den exakten abweichen - im vorliegenden Fall ist die Differenz im zweistelligen Nachkommabereich noch nicht fassbar. Aber nun zu den inhaltlichen Resultaten: Die Berechnung der Relativen Risiken zeigt klar, dass in Osterreich lebende 6sterreichische Staatsbarger eine deutlich h6here Wahrscheinlichkeit haben, durch Selbstt6tung zu versterben als ebenso in Osterreich lebende auslfindische Staatsbarger; das Risiko far Osterreicher ist den vorliegenden Daten nach fast zweieinhalb mal so hoch! Selbst wenn nun in 0sterreich aufgrund des Erfassungssystems der Todesursachenstatistik, dem die Verteilung nach Wohnorten gemfi6 amtlichen Meldedaten zugrunde liegt, tendenziell eine geringere Erfassungsquote von Suiziden von ,,Ausl~ndern" vorliegt, was anzunehmen ist, erscheint angesichts der erheblichen Differenz eine
296
3 Ergebnisse der Studie
tatsfichlich h6here Suizidtendenz unter Osterreichischen Staatsangeh6rigen gegenaber Zuwanderern als h6chstwahrscheinlich. Hinsichtlich der StaatsangehOrigkeiten der auslfindischen Suizidenten ergibt eine Hfiufigkeitsausz~hlung folgendes Bild: Tabelle 201:
StaatsangehOrigkeiten der auslfindischen Suizidenten 47~
StaatsangehSrigkeit
1995-2004
1995-1999
2000-2004
Deutschland
10
7
3
Kroatien
9
2
7
Bosnien-Herzegovina
6
3
3
Rum~nien
5
4
1
Slowenien, Schweiz: je
3
-
3
Italien
2
2
-
Serbien, Grol~britannien, USA: je
2
1
1
Ukraine, Schweden, Spanien; Honduras: je
1
-
1
zusammen
55
28
27
Ungarn, Slowakei, Polen, Bulgarien, Andorra; Ghana, Somalia: je
Aufschlasse lassen sich aus diesen Daten nicht zuletzt im Vergleich mit der bereits vorgestellten Verteilung der im Ausland geborenen Suizidenten nach Herkunftslfindern ziehen: Das hinsichtlich derselben mit 18 Suizidenten am hfiufigsten vertretene Land (nach Osterreich), Slowenien, ist in der H~ufigkeitsauszfihlung nach Staatsangeh6rigkeiten nur dreimal vertreten. Dieser Befund untermauert die bereits getroffene Feststellung, dass es sich bei diesen Personen vor allem um ehemalige ,,Untersteirer" bzw. ,,Volksdeutsche", die nach 0sterreich emigriert waren, gehandelt hatte, da dieselben durchg~ngig bald die t~sterreichische Staatsbargerschaft erhalten hatten. Der Anteil der slowenischen Staatsbarger unter den Suizidenten liegt so deutlich unter dem Anteil slowenischer Staatsbarger an der steirischen Gesamtbevt~lkerung (0,1% vs. 0,2 %). Far die zahlreichste Kategorie von Suizidenten auslfindischer Staatsbargerschaft, die Deutschen (10 Suizidf'alle), ergibt eine spezifische Berechnung der Suizidrate den Wert von 15,3; zu bedenken ist hier wie far die flir Staatsbarger anderer Nationen zu ermittelnden Raten aber, dass die Migranten-Populationen im Allgemeinen im Durchschnitt deutlich janger sind als jene der schon ,,einheimischen" BevOlkerung. Deutlich unter der far/Ssterreichische Staatsbt~rger in der Steiermark zu errechnenden Rate von ca. 25 (Bezugsbevt~lkerung: Volkszfihlung 2001) liegen auch die spezifischen Suizidraten far in der Steiermark lebende Staatsbtirger Kroatiens (9 Suizidfalle, SR = 10,9), Bosniens (6,6) und Rumfiniens (12,4), um hier diejenigen Teilpopulationen nach Staatsangehtirigkeit anzuflihren, die unter den Suizidenten am hfiufigsten vertreten sind (siehe Tabelle 202). Die Berechnung der spezifischen Suizidraten far Kategorien, die ,,nur" mit einem oder zwei Suizidfallen vertre474 Die Kategorie ,,Serbien" bezieht sich auf Serben und Montenegriner bzw. StaatsangehOrige des ehemaligen Jugoslawiens, die nicht als Slowenen, Kroaten, Bosnier oder Mazedonier klassifiziert sind.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
297
ten sind, erscheint nicht sinnvoll. Bemerkenswert ist aber, dass sich unter den Suizidenten 3 Schweizer Staatsbfrger befanden, obwohl in der Steiermark insgesamt - wiederum gemfiB den Volkszfihlungsdaten von 2001 - nur 638 Personen mit Schweizer Staatsbfrgerschaft leben; FOr dieselben ergibt sich so eine spezifische Suizidrate von 47! Demgegenfber ist unter den tfrkischen Staatsbfrgen, die mit einer Anzahl von 4793 (VZ 2001) nach Bosnien (fber 9100), Kroaten (fiber 8200), Deutschen (fber 6500) sowie Serben und Montenegrinern (fiber 5200) den ~nftgrO$ten Einwohneranteil auslfindischer Staatsbfrger in der Steiermark darstellen, im Untersuchungszeitraum 1995-2004 kein einziger Suizid aktenkundig geworden. Hfitten die ~rkischen Staatsbfrger eine den Osterreichern gleichkommende Suizidhfiufigkeit, wfirde die Anzahl der SelbsttOtungen in diesem Zeitraum aber 11 bis 12 betragen; dieser Vergleich zeigt die offensichtlich bestehenden kulturellen Differenzen im Hinblick auf SelbsttOtungen besonders deutlich. 475
3.3.17 Konfession der Suizidenten Bedauerlicherweise lieB sich im Rahmen der vorliegenden Studie der Faktor der ,,Religiositfit" an sich nicht im Hinblick auf seine Auswirkungen auf die Suizidneigung untersuchen, da das zur Verf~gung stehende Aktenmaterial hierzu - von seltenen Ausnahmef~,llen abgesehen - kaum etwas aussagt. Immerhin konnte aber die traditionelle These, wonach (schon formale) Zugeh0rigkeit zur katholischen Konfession zumindest zu einem gewissen Grad protektiv gegen Suizid wirken sollte, anhand der Daten der Todesursachenstatistik untersucht werden. Der Wert der diesbezfglichen Daten wird aber dadurch erheblich gemindert, dass die Todesursachenstatistik nicht zwischen fehlenden Angaben zum Religionsbekenntnis und nicht vorhandener konfessioneller Zugeh0rigkeit unterscheidet. Weiters konnte auch Dr diejenigen SuizidFfille, zu welchen ausschlie$1ich sicherheitsbehOrdliche Akten vorlagen, hinsichtlich dieser Variablen nicht von dem ansonsten gegebenen hohen Grad an Verlfisslichkeit der jeweiligen Merkmalszuordnung ausgegangen werden, da der Konfession im Allgemeinen keine Relevanz Dr die Ermittlungen im Todesfall zugeschrieben wird, und ihre Erhebung auch in administrativer Hinsicht vielfach schwierig ist. 476 Insbesondere der Anteil von Personen ,,ohne Bekenntnis" unter den Suizidenten ist daher mit den vorliegenden Daten seriOs nicht ermittelbar. Die Gesamtsumme der durch SelbsttOtung Verstorbenen, Ft~r die sich die KonfessionszugehOrigkeit nicht verlfisslich ermitteln lief3, betrfigt 565, was einem Anteil von 19 % der 2929 Suizide im Untersuchungszeitraum von 1995 bis 2004 entspricht. Ffr die als Katholiken ausgewiesenen Personen ergibt sich eine Summe von 2230, 76 % der Suizidenten. 115 Verstorbene (3,9 %) geh0rten den Evangelischen Konfessionen nach Augsburger bzw. Helvetischem Bekenntnis an, nur 19 Suizidenten (0,6 %) aber anderen Konfessionen (v.a. Islam - 10 Personen -, weiters Orthodoxe und andere christliche Kirchen, sonstige anerkannte Religionsgemeinschaften).
475Dies gilt nach Auffassung des Verfassers wahrscheinlich auch dann, wenn man bei gewissen Einwandererpopulationen eine h0here Verschleierungstendenz von Suiziden konzedieren m0chte. 476 Freundliche Mitteilung von ~r die Ermittlung in Suizidfallen zust~digen steirischen Sicherheitsbeamten.
298
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 202:
Konfessionelle ZugehOrigkeit gemfiB Todesursachenstatistik und sicherheitsbehOrdlichen Akten Konfession
H
%
rSmisch-katholische Kirche
2230
76,1
evangelische Kirchen (AB und HB)
115
3,9
andere anerkannte Gemeinschaften
19
0,6
k.A. und ohne Bekenntnis
565
19,3
Summe
2929
100
In der steirischen Gesamtbev61kerung bekennen sich demgegent~ber nach dem Stand der Volkszfihlung 2001 (zumindest formal) 8 1 % zur katholischen Kirche, 4,3 % zu den evangelischen Kirchen nach Augsburger und Helvetischem Bekenntnis, zu sonstigen christlichen und nichtchristlichen Konfessionen 3 , 1 % ; fiber 1 1 % waren ohne Bekenntnis bzw. hatten keine Konfession bekannt gegeben. Die AngehOrigen ,,sonstiger" Konfessionen neben Katholizismus und Protestantismus sind demnach, trotz der beschriebenen Unsicherheiten in der Datenlage, sehr wahrscheinlich unter den Suizidenten unterreprfisentiert; sie setzen sich ja zu einem betr~.chtlichen Grad aus Zuwanderern zusammen, deren relativ geringere Suizidhfiufigkeit bereits er0rtert wurde. Far die Evangelischen lfisst sich aufgrund der vorliegenden Daten eine in etwa dem steirischen Gesamtdurchschnitt entsprechende Suizidhfiufigkeit annehmen, eine signifikante ErhOhung kann jedenfalls angesichts des Umstandes, dass die bekannte Quote von Evangelischen unter den Suizidenten geringfugig unter jener in der GesamtbevOlkerung liegt, far die Steiermark nicht angenommen werd e n . 477 Ob die Differenz zwischen dem Anteil der Katholiken unter den Suizidenten und jenem der katholischen Einwohner in der GesamtbevOlkemng als eine tatsfichlich gegebene und damit als ein vermindertes Suizidrisiko flir Katholiken gegent~ber AngehOrigen anderer Glaubensrichtungen bzw. konfessionslosen Personen - interpretiert werden darf, erscheint angesichts der angesprochen, unzulfinglichen Erfassung dieser spezifischen Variable in der Datenbasis fraglich. Zum Aspekt der konfessionellen ZugehOrigkeit kOnnten also nur detailliertere Untersuchungen unter Einbeziehung von standesamtlichen und kirchenbehOrdlichen Daten verlfisslich Auskunft geben. Ob solche aber lohnen warden, erscheint fraglich, da die Religionspsychologie und -soziologie mittlerweile mehrheitlich davon ausgehen, dass weniger das formale Kriterium der KonfessionszugehOrigkeit, sondem viel stfirker der Grad und die Ausrichtung der religi0sen Einstellungen und Verhaltensweisen die psychische Gesundheit positiv oder negativ beeinflussen. 47s Derartige Parameter kOnnen aber nur unter eingehender Auseinandersetzung mit individuellen Ffillen sinnvoll erhoben werden, kaum aber in epidemiologischen Untersuchungen. -
47v Siehe zu dieser Thematik aber auch die Er0rterungen weiter oben zu den feststellbaren Differenzen in den Suizidraten zwischen Bezirken mit hohen Anteilen von Evangelischen und solchen, die diese nicht aufweisen, sowohl far die Steiermark als auch far das Burgendland. 478 Vgl. Human-Friedrich Unterrainer, Spiritualit~t & Sucht. Glaube als Ressource in der Alkoholismustherapie. Saarbrt~cken 2006.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
299
3.3o 18 Delinquenz und Suizide Wie weiter oben ausgefahrt, wird in der Forschungsliteratur verschiedentlich eine Korrelation von delinquentem Verhalten, also Gesetzesbruch, und Suizidalitfit postuliert; h0heres Aggressionspotential, welches zugleich eine h0here Autoaggressivit~t mit sich bringen kann, aber auch schwierigere soziale Lebensumstfinde, k0nnten hierfur verantwortlich sein. Daher schien es von Interesse, dieses Merkmal auch in der vorliegenden Studie zu be~cksichtigen. Die beh0rdlichen Akten tiber Suizide enthalten aber nur in Ausnahmef~,llen Hinweise auf vorangegangene Straftaten der Verstorbenen, etwa wenn dieselben unmittelbar zuvor ausgeabt wurden oder in einem ,,AbschiedsbrieP' explizit genannt wurden. Die Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung erforderte daher zusfitzlich die Untersuchung, ob zu den spfiteren Suizidenten bereits fraher sicherheitsbeh0rdliche Akten relevanten Inhalts angelegt wurden; dieser Teilaspekt wurde ausschliel31ich far die Stadt Graz bearbeitet, wobei den Beamten der ehemaligen Bundespolizeidirektion G r a z - heute Stadtpolizeikommando Graz-, die mich bei der Realisierung meines Anliegens unterstatzten - an dieser Stelle herzlich Dank gesagt sei. Von den 569 im Gesamtzeitraum von 1995 bis 2004 vorgefallenen Suizidf~.llen von Personen, die in Graz ihren Wohnsitz hatten, waren 420 in dieser Hinsicht untersuchbar (74 %), mit dem bemerkenswerten Ergebnis, dass tatsfichlich bei 146 Suizidenten, das hei_gt in 35 % der Ffille (!), polizeilich erhobene, erheblichere Gesetzesverst613e (Verbrechen und Vergehen) in der Biographie rekonstruiert werden konnten. 479 Mindestens ein Viertel aller Grazer, die sich im Untersuchungszeitraum suizidiert hatten wahrscheinlich aber etwa ein Drittel- waren demnach wfihrend ihres Lebens mindestens einmal von den Sicherheitsbeh0rden wegen krimineller Handlungen belangt worden. Auch die verschiedenen Strafhandlungen wurden in diesem Zusammenhang erfasst; hierbei zeigte sich die umseitig wiedergegebene Verteilung. In der Mehrzahl der Ffille, in welchen Personen, die sich spfiter selbst t0teten, in ihrer Lebensgeschichte zuvor ,,kriminell" geworden waren, handelte es sich um Gesetzesbrache vor allem aus dem Bereich der Verm0gens- und Gewaltdelikte, die nicht als schwerste Verbrechen zu klassifizieren sind, wie Sachbeschfidigung oder geffihrliche Drohung - diese Vergehen treten besonders hfiufig auf, und sind offensichtlich Ausdruck mehr oder weniger zielgerichteten Ausagierens von vehementer Aggression -, aber auch Diebstahl, Betrug, versuchte und tatsfichliche K0rperverletzungen sind oft feststellbar. Zusammen mit ,,sonstigen", geringeren Delikten, wie verbotenem Waffenbesitz, Drogenvergehen u.fi. stellen diese Ffille 60 % derjenigen, in welchen eine Delinquenz eruiert werden konnte (90 von 149 Suizidenten); auch die meisten derjenigen 25 Ffille, in welchen zwar das Faktum einer fraheren Delinquenz, nicht aber deren Art eruiert werden konnte, sind wohl diesem Bereich zuzuordnen; zusammen ergibt dies einen Anteil von 77 %. Die abrigen Ffille betreffen Suizidenten, welche schwere Verm0gensdelikte wie Raub oder Einbruch verabt hatten (14 Personen, 9 %), Sexual- bzw. sexuelle Gewaltdelikte (9 Ffille, 6 %) sowie schwerste Gewaltdelikte, also t0dliche Angriffen auf andere Menschen (13 Personen, 9 %).48o
Nicht einbezogen sind hier Verwaltungsdelikte. 4~0Die letztgenannten Kategorien 0berschneiden sich teils.
479
300 Tabelle 203:
3 Ergebnisse der Studie Eruierbare Delikte in den Biographien von Suizidenten (Graz, 1995-2004) 48~
Form der Delikte
H
%I
% II
ausschliel31ich geringere Verm6gensdelikte (Sachbesch~digung, Diebstahl, Betrug u.~i.) ausschliel~lich minderschwere Gewaltdelikte (gef~ihrliche Drohung, N6tigung, KOrperverletzung u.~i.) ausschliel31ich geringere Verm6gens- und minderschwere Gewaltdelikte (wie oben definiert) ausschliel~lich schwerere Verm6gensdelikte (Raub, Einbruch, Erpressung) ausschlie61ich schwerere Verm6gens- und minderschwere Gewaltdelikte ausschlieBlich schwerste Gewaltdelikte (tOdliche KOrperverletzung, Mord) schwerste Verm6gens- und schwerste Gewaltdelikte ausschlieBlich Sexualdelikte ausgenommen Vergewaltigung (geschlechtliche N6tigung u.~.) Sexualdelikte ausgenommen Vergewaltigung sowie minderschwere Gewalt- und Verm6gensdelikte Vergewaltigung sowie schwerste (nicht-sexuelle) Gewaltdelikte andere Delikte (verbotener Waffen- oder Drogenbesitz u.,~.)
28
6,7
19,2
24
5,7
16,4
32
7,6
21,9
8
1,9
5,5
5
1,2
3,4
8
1,9
5,5
0,2
0,7
3
0,7
2
0,5
1,4
4
1,0
2,7
6
1,4
4,1
keine n~ihere Angabe eruierbar
25
6,0
17,1
Summe
100
149
35,5
keine Delikte feststellbar
271
64,5
Gesamtsumme
420
100
i
2,1
Es lfisst sich also auch anhand der Untersuchung etwaiger Gesetzesverst0f3e der nachmaligen Suizidenten feststellen, dass einem erheblicher Teil von ihnen ein betrfichtliches Aggressionspotential zu eigen gewesen sein muss; dies stt~tzt die These vom Zusammenhang von Hetero- und Autoaggression in der Genese von Suizidalitfit stark (siehe hierzu Kapitel 1); abgesehen von einem Teil der Diebstahlsf~.lle und einigen anderen weniger schweren Delikten wird man eine solche Aggressionskomponente ft~r alle ange~hrten Deliktgruppen annehmen k0nnen, und damit ~ r 25 bis 35 % aller Suizidenten. Etwaige ,,Dunkelziffern" nicht zur polizeilichen Anzeige gebrachter (insbesondere familifirer) Gewaltdelikte sind hier natt~rlich noch nicht inbegriffen.
4~ Die Spalte ,,% I" gibt die prozentualen Anteile an der Gesamtsumme der untersuchten Suizidfalle wieder, die Spalte .% II" die Prozente innerhalb der Gesamtmengeder Personen mit festgestellten Delikten in der Biographie.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
301
Besonders bemerkenswert erscheint dem Studienautor auch, dass for t~ber 70 der 420 (16,7 %) diesbezt~glich untersuchten Suizidenten Verm0gensdelikte in der Vorgeschichte erhoben wurden; dies verweist einerseits nochmals deutlich auf die t~berproportionale Betroffenheit von ,,Unterschichtangeh0rigen" vom Phfinomen der Suizidalitfit, k0nnte zum anderen aber auch auf eine ,,antisoziale" Verhaltenstendenz eines bedeutenden Teilsegments von Suizidgef~ihrdeten hinweisen. Hervorgehoben sei auch nochmals der Umstand, dass 13 der hier untersuchten 420 Suizidenten (3 %) irgendwann einen anderen Menschen get0tet hatten, bevor sie sich selbst t0teten. In 9 der 420 Suizidf~ille ( 2 , 1 % ) enthalten die Akten weiters Hinweise, dass die Betroffenen selbst- in Abschiedsbriefen oder Gesprfichen ihre Delinquenz als Grund for ihren nachmaligen Suizid anft~hrten. In der Gesamtheit der Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004 betrifft dies sogar 49 Suizidfalle (4 % von 1239 auswertbaren Ffillen).
3.3.19 Psychische Krankheiten und Suizide Psychische Krankheit ist einer, wenn nicht der wesentliche Risikofaktor far suizidale Handlungen, weshalb sich unter den Suizidenten mit Sicherheit signifikant mehr psychisch Kranke befinden als in der steirischen GesamtbevOlkerung, wobei Dr letztere nati~rlich nur von allgemeinen epidemiologischen Schfitzungen ausgegangen werden kann. Auch sollten psychiatrisch bzw. psychotherapeutisch behandelte Personen unter den Suizidenten demnach sehr h~iufig vertreten sein. Weiters ist es von Interesse zu eruieren, ein wie gro6er Anteil der spfiteren Suizidenten in stationdrer psychiatrischer Behandlung gewesen war. Besonders hfiufig sollten aufgrund der Schwere und spezifischer, suizidogener Symptome bei den Suizidenten Depressionen aufgetreten sein. 482 Gerade im Hinblick auf Prfiventionsma6nahmen sollen zu diesem Aspekt auch weitere Details, wie die H~iufigkeit stationfirer psychiatrischer Behandlungen, die Behandlungsdauern, das gesamte Diagnosespektrum und der zeitliche Abstand zwischen letzter psychiatrischer Krankenhausbehandlung und Suizid referiert werden. Hinweise auf psychische Erkrankungen wurden sowohl anhand der sicherheitsbehOrdlichen Akten wie aufgrund der von den Sozialversicherungsanstalten zur Verfiigung gestellten Daten erhoben. Betreffend der polizeilichen Akten beschrfinkt sich die Auswertung wegen der zahlreichen fehlenden Daten far die Zeit vor 2000 wiederum auf den Zeitraum 2000 bis 2004; unter den 1235 anhand von Akten n~iher auswertbaren Suizidf~illen ftir diese Periode (88 % der Gesamtsumme von 1404 Suiziden) finden sich in 635 explizite Hinweise auf eine psychische Erkrankung der Verstorbenen, was einem Anteil von 5 1 % entspricht. Dieser liegt damit deutlich unter jenen Werten, welche in Studien, die mit retrospektiven psychiatrischen Diagnosen arbeiten, erhoben werden, und die alleine far depressive Erkrankungen Anteile bis zu etwa 95 % ermitteln. Diese Diskrepanz ist nicht weiter verwunderlich, da in den polizeilichen Akten eben nur solche Erkrankungen aufscheinen, die entweder schon durch friihere sicherheitsbehOrdliche Einsfitze ,,aktenkundig" waren oder zumindest bei den Erhebungen zum Todesfall im persOnlichen Umfeld der Verstorbenen erhoben werden konnten - etwa wenn auf vorangegangene psychiatrische oder psycho482Hinsichtlich der kausalen Zusammenh~nge ist hierbei aber nicht nur an den mit den Beeintr~.chtigungenper se verbundenen Leidensdruck zu denken, sondern auch an die daraus vielfach folgenden sozialen Isolations- und Stigmatisierungsprozesse.
302
3 Ergebnisse der Studie
therapeutische Behandlungen der Suizidenten oder frtihere Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten hingewiesen wurde. Nur in wenigen F~illen wurde in den Akten dartiber hinausgehend retrospektiv eine psychische Erkrankung konstatiert, welche zu Lebzeiten der Verstorbenen noch nicht sozial ,,manifest" war. Daher ist der Anteilswert von ca. 50 % festgestellter psychischer Erkrankungen in dieser Erhebung keinesfalls als ,,reale" Quote psychisch Kranker unter den Suizidenten zu deuten; diese diarfte vielmehr weit h0her gelegen haben und wohl den in psychiatrischen Retrospektivstudien erhobenen Verhfiltniswerten von nahe 100 % entsprechen! Dennoch erscheint die Erhebung anhand der sicherheitsbehOrdlichen Akten auch ftir diese Variable nicht wertlos, bezeichnet der Anteil der ,, aktenkundig" psychisch Kranken doch in etwa jenen Teil unter den Suizidenten, der eben in offensichtlicher Weise auch far seine pers6nliche Umgebung unter deutlichen psychischen StOrungen litt. Zu berticksichtigten ist allerdings, dass ein kleinerer Teil der polizeilichen Akten (ca. 10 bis 15 %) sehr knapp verfasst ist, sodass angenommen werden muss, dass hier den erhebenden Beamten psychische Erkrankungen der Suizidopfer zwar vielleicht bekannt wurden, diese aber nicht in das Erhebungsprotokoll einflossen. Die Quote der Personen, die vor dem Suizid auch Dr medizinische Laien erkennbare psychische St0rungen aufwiesen, ist demnach noch etwas h0her anzusetzen als 51%, und dtirfte wohl mindestens zwischen 55 und 60 % liegen. In jedem Fall liegen damit aber, was den weiter oben ge~iu6erten Erwartungen entspricht, unter den Suizidenten weit haufiger manifeste psychische St0rungen vor als in der GesamtbevOlkerung; eine Einschfitzung der Verbreitung psychischer St0rungen in der 0sterreichischen Gesamtbev01kerung anhand von Befragungen zum psychischen Wohlbefinden ermittelte etwa eine Pravalenz von 16 % Dr Depressionen, Angstst0rungen und psychosomatische Erkrankungen (bei Betrachtung tiber einen vierwOchigen Zeitraum). 483 Tabelle 204:
Explizite Hinweise auf psychische Erkrankungen der an Suizid Verstorbenen in den sicherheitsbehOrdlichen Akten (2000-2004) H
%
nein
600
48,6
ja
635
51,4
Summe
1235
100
Einen sehr deutlichen Hinweis darauf, dass die in den behOrdlichen Akten beschriebenen psychischen St/3rungen nur einen Teil der tats~ichlich vorliegenden erfassen, liefert im Obrigen eine geschlechtsspezifische Betrachtung: In mehr als zwei Drittel der Suizidf~ille, die Frauen betrafen, wurden in den Akten psychische StOrungen angeftihrt, bei jenen, die Mfinner betrafen, geschah dies aber in weniger als der Halfte der Falle. Da nicht anzunehmen ist, dass Frauen, die Suizid begehen, tatsachlich signifikant haufiger psychisch krank sind als M~inner, die dies auch tun, kann geschlossen werden, dass die soziale Wahrnehmung psychischer Erkrankungen eine geschlechtsspezifische ist: Frauen werden in ihrem sozialen Umfeld eher als psychisch krank wahrgenommen, und gestehen sich auch selbst
483
Vgl. Heinz Katschnig et al., OsterreichischerPsychiatriebericht2001, Teil 1. Wien 2001, S. 4f.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
303
psychische P r o b l e m e eher ein als Manner, bei welchen Schwierigkeiten h~,ufiger als rein ,,augenbestimmt" betrachtet werden. 484
Tabelle 205:
Explizite Hinweise auf psychische Erkrankungen der an Suizid Verstorbenen in den sicherheitsbeh6rdlichen Akten nach Geschlecht (2000-2004)
nein ja Summe
M
F
G
506
94
600
54,4%
30,8%
48,6%
424
211
635
45,6%
69,2%
51,4%
930
305
1235
100%
100%
100%
Trotz dieser Unschfirfen erschien es von Interesse, auch die angegebenen Arten psychischer Erkrankungen zu erfassen; die entsprechenden Hfiufigkeiten stellen sich wie folgt dar:
Tabelle 206." In den sicherheitsbeh6rdlichen Akten genannte Arten psychischer Erkrankungen (2000-2004) klassifiziert nach ICD 10485
Diagnosekategorie
H
%
F 0- Organische psychische St6rungen (v.a. Demenzerkrankungen)
15
1,2
F 20- ,,Schizophrenie" (umfasst auch die Angabe ,,Paranoia")
23
1,9
F 21-25 - sonst, schizotype u. wahnhafte St6rungen (auch ,,Psychose")
17
1,4
F 31 -,,bipolare affektive St6rung" (Manie-Depression)
19
1,5
F 32-33- Depressionen (episodisch und rezidivierend)
563
45,6
F 4-5 - Angst- u. Zwangsst5rungen, dissoziative u. somatoforme St5rungen
18
1,5
F 6-7 - PersSnlichkeitsst5rungen und IntelligenzstOrungen
8
0,6
Psychische Krankheiten ohne n~ihere Angabe
22
1,8
484 Vgl. hierzu etwa die Osterreichbezogene Ubersicht: Bundesministerium far soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz (Hg.), Psychosoziale und ethische Aspekte der Mannergesundheit. Wien o.J. sowie die Studie: Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von M~nem in Osterreich. 485 Zahlung genannter Krankheitsformen, auch Mehrfachangaben pro Person wurden erfasst. Die Summe der ausgewerteten Akten betr~gt 1235. Die Gesamtsumme der Nennungen betr~,gt 685, jene der Suizidenten, die sie betreffen 635. Selten genannte Krankheitsformen wurden hier in einer Kategorie zusammengefasst, auch wenn mehrere ,,einstellige" ICD-Klassen dabei umfasst werden. In Kombination traten in den sicherheitsbehOrdlichen Akten folgende Krankheitsformen auf: Depression und Demenz (6 Falle), Depression und Delir (3 Falle). Depression und Schizophrenie bzw. Paranoia (9 Falle), Depression und ,,Psychose" bzw. explizit bezeichnete schizoforme StOrungen (14 Falle), Depression und StOrungen aus dem Bereich ICD 4 und 5 (15 F~lle), Depression und PersOnlichkeitsstOrung (1 Fall), Depression und Intelligenzminderung (2 F~.lle), Schizophrenie und Manie (1 Fall).
304
3 Ergebnisse der Studie
Wie zu ersehen ist, dominieren die Hinweise auf,,Depressionen" in den sicherheitsbeh0rdlichen Akten weitaus; in 563 von 635 Fallen (89 %), in welchen aberhaupt auf psychische Erkrankungen Bezug genommen wird, wird auf,,Depression" verwiesen (teils mit Angaben aber die ungef'ahre Zeitdauer der Erkrankung, aber nie unter Verweis auf einen ICDDiagnose-Code). 388 dieser SuizidfNle betrafen abrigens Manner und 175 - also eine weit geringere Anzahl- Frauen. Innerhalb der jeweiligen Gesamtzahl von klassifizierbaren Suizidenten im Untersuchungszeitraum ergibt dies aber einen Anteil von 42 % bei mannlichen, und 57 % bei weiblichen Suizidenten, was wiederum auf die geschlechterspezifischen Wahrnehmungsdifferenzen beztiglich psychischer St6rungen hinweist (siehe dazu oben). In 22 Fallen der insgesamt 1235 hierzu untersuchten Suizidf'alle wird zwar eine ,,psychische Krankheit" erwahnt, fehlen aber nahere Angaben vOllig. Die am zweithaufigsten erwfihnte, konkrete StOrungsform ist die ,,Schizophrenie" (die man vielleicht besser als kognitive Psychose bezeichnen sollte, analog zu den affektiven StOrungen), wenn unter dieselbe auch jene Akteneintrage subsummiert werden, in denen von ,,Paranoia" die Rede ist. Zusammen mit nicht naher definierten ,,Psychosen", die hier der Kategorie F21-25 zugerechnet sind, und den wenigen explizit als ,,schizoaffektive St0rung" o.a. bezeichneten Fallen ergibt sich ft~r die Diagnosegruppe F 2 ein Anteil von etwas mehr als 3 % bezogen auf die Gesamtsumme der erfassten Akten aber Suizidenten. In 19 Fallen (1,5 %) werden explizit manisch-depressive Erkrankungen der Verstorbenen angesprochen; seltener werden andere Krankheitsformen des psychiatrischen Bereichs genannt, wobei insgesamt for alle StOrungen, wie oben schon hervorgehoben, yon einer ganz betrachtlichen Dunkelziffer nicht erfasster Krankheitsfalle ausgegangen werden muss; dies dtirfte aber in besonderem Mage fOr die haufig im Seniorenalter auftretenden Demenzerkrankungen gelten, da dieselben sozial - und damit auch sicherheitsbehOrdlich - weniger auffallig sind; nur in etwas mehr als 1 % der Ffille wird in eindeutiger Weise auf solche Krankheitsformen Bezug genommen. Auch fOr Angst- und Zwangsst/3rungen, somatoforme St0rungen sowie Pers0nlichkeitsst/3rungen sind aber sicher welt hOhere Anteile unerkannt gebliebener Erkrankungen anzunehmen als etwa for ,,Schizophrenien" oder manischdepressive Erkrankungen, deren Erscheinungsbild eben meist welt auff'alliger ist. Neben den Hinweisen auf verschiedene Krankheitsbilder enthalten die sicherheitsbeh0rdlichen Akten zu Suizidf'allen vielfach auch Angaben dart~ber, dass die Verstorbenen in psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung gestanden hatten; in immerhin 299 Fallen ist eine solche Behandlung - in irgendeiner Lebensphase, meist aber in den Jahren bzw. Monaten vor dem Suizid - eindeutig feststellbar; bezogen auf die Summe yon 1235 untersuchten Suizidakten der Jahre 2000 bis 2004 ergibt dies einen Anteil yon 24 %. Dies erscheint nicht viel, obwohl auch hiezu natarlich bedacht werden muss, dass der tatsfichliche Anteil yon in facharztlicher oder psychotherapeutischer Behandlung gestandenen Personen sicher h/3her war. Auch hier lasst sich im Obrigen eine deutliche Geschlechterdifferenz feststellen: for 187 mannliche sowie fOr 112 weibliche Suizidenten ist eine entsprechende Behandlung in der Vorgeschichte aktenmW3ig bekannt, dies entspricht 20 % der untersuchten Suizide yon Mfinnern (930), aber 37 % derjenigen von Frauen. Eine grOgere Annfiherung an die tatsfichlichen Anteilswerte darfte aber bei der Fragestellung zu erreichen sein, wie viele Suizidenten jemals in stationarer psychiatrischer Behandlung gestanden hatten, denn eine solche gilt gemeinhin als einschneidendes Ereignis, und wurde dementsprechend von den anlasslich der Suizide befragten AngehOrigen bzw. sonstigen dem Toten nahe gestandenen Personen wohl haufig als relevantes Faktum ge-
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalit~it in der Steiermark
305
nannt. Auch bier ist aber sicherlich - gerade was allein stehende Personen unter den Suizidenten betrifft, von einem gewissen Anteil nicht aktenkundig gewordener Aufenthalte auszugehen, denn nur in einer Minoritfit der Ffille fand anlfisslich der Erhebungen eine explizite Nachfrage in den stationfiren psychiatrischen Institutionen des Landes statt (oft im Zuge der Identit~tsfeststellung bzw. bei Suiziden von zum Todeszeitpunkt Anstaltspatienten gewesenen Personen, kaum aber zur blogen Abklfirung einer ,,psychiatrischen Krankengeschichte"). Dennoch ergibt die Auswertung der sicherheitsbehOrdlichen Akten den betrfichtlichen Anteil von 17 % far diejenigen Suizidenten, die mit Sicherheit bereits irgendwann einmal in stationfirer Anstaltsbehandlung gestanden hatten, bevor sie sich t6teten (209 von 1235 untersuchten Ffillen der Jahre 2000 bis 2004). Der tatsfichliche Anteil wfire aber auch hier sicher ht~her anzusetzen (wahrscheinlich mindestens 20 %), kann aber anhand der sicherheitsbeh/3rdlichen Akten kaum nfiher eingeschfitzt werden. Weitaus verlfisslichere Daten zum gesamten Fragenkomplex der psychischen Erkrankungen der Suizidenten liefern jedoch - wenn auch wieder nut far den eingeschrfinkteren Zeitraum von 2002 bis 2004, da far die Zeit davor in den wichtigsten Sozialversicherungsinstimtionen keine betreffenden Informationen elektronisch abrufbar waren - naturgemfig die Daten der Krankenversicherungsanstalten. Deren Erhebung lohnte gerade far diesen Bereich jedenfalls, da zumindest far die stationdren Krankenhausaufenthalte mit den Daten aus dem Sozialversicherungsbereich hochverlfissliche Informationen vorliegen, deren Vollstfindigkeitsgrad far diese Fragestellung jenen der sicherheitsbeh6rdlichen Akten welt fibertrifft, kann doch davon ausgegangen werden, dass der aberwiegende Grol3teil aller stationfiten Krankenhausaufenthalte im Inland in den entsprechenden Datenverarbeitungssystemen der Versicherungsanstalten dokumentiert ist. Auch far die Feststellung, inwieweit die Suizidenten an k6rperlichen Erkrankungen sowie an Suchterkrankungen litten, ist dies hochrelevant, worauf aber welter unten eingegangen wird. An dieser Stelle seien zunfichst jene Ergebnisse prfisentiert, die sich far den Bereich der psychiatrischen Krankheitsformen feststellen liegen: Wie schon mehrfach erw~hnt, liegen sich far 755 von 860 Suiziden in der Steiermark in den Jahren 2002 bis 2004 Abfragen bei den Sozia|versicherungsanstalten durchfahren, wobei 51 Verstorbene (7 %) offensichtlich nicht sozialversichert waren, und dementsprechend far sie generell keine nfiheren Informationen zu erlangen waren. Ft~r den Bereich der Krankenhausaufenthalte fehlen far weitere 76 Suizidenten Daten, worunter u.a. sfimtliche BVA-Versicherte begriffen sind; hieraus darften aber keine gr/3beren Verzerrungen der gefundenen Verteilung resultieren. Far die verbleibenden 628 Suizidenten lfisst sich feststellen, dass 539 (86 %) im Zeitraum von 2002 bis Ende 2004 nicht wegen psychiatrischer Erkrankungen hospitalisiert waren, 89 (14 %) waren dies aber zumindest einmal. Da nun aber die Suizidenten ja im Zeitraum von 2002 bis 2004 verstorben sind, erscheinen diese Anteile nicht besonders aussagekrfiftig, beziehen sie sich doch sowohl auf Personen, die schon 2002 Suizid begangen hatten, als auch auf solche, bei denen dies 2003 oder 2004 der Fall war. Sinnvoller erschien es daher, die Hfiufigkeit von Krankenhausaufnahmen aufgrund psychiatrischer Diagnosen far einen bestimmten Zeitraum vor dem jeweiligen Suizid zu berechnen, was anhand der vorliegenden Daten mt~glich war. Als Zeitspanne wurde hierbei ein Jahr gew~.hlt; die gefundene Verteilung ist im Folgenden wiedergegeben:
306 Tabelle 20 7:
3 Ergebnisse der Studie Aufnahmen in Krankenanstalten aufgrund psychiatrischer Diagnosen 486 im letzten Lebensjahr der Suizidenten (Untersuchungszeitraum 2002-2004) Anzahl Aufnahmen
10 Summe
H 545 56 12 6 2 2 2 2 1 628
% 86,8 8,9 1,9 1,0 0,3 0,3 0,3 0,3 0,2 100
Bei Beschrfinkung auf einen einheitlichen Beobachtungszeitraum von einem Jahr vor dem Tod ergibt sich demnach eine Quote von 87 % unter den Suizidenten, die nicht in stationfirer psychiatrischer Behandlung gestanden hatten; 13 % der Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 waren dagegen in ihrem letzten Lebensjahr zumindest einmal wegen psychischer Krankheiten in einer Krankenanstalt behandelt worden. Selbstverst~.ndlich liegt dieser Wert weit tiber dem Anteil der innerhalb eines Jahres wegen psychiatrischer St0rungen behandelten Personen in der steirischen Gesamtbev01kerung, der jedoch nicht genau bekannt ist. Ft~r {3sterreich insgesamt wurde ftir das Jahr 2002 eine Summe von tiber 233.000 Krankenhausentlassungen festgestellt, in welchen psychiatrische Diagnosen gestellt wurden, was etwa 10 % aller Krankenhausentlassungen (t) entspricht; 487 bezogen auf die Gesamtzahl der Bev01kerung ergfibe sich ein Anteil von knapp 3 %, wenn diese Entlassungen stets verschiedene Personen betrfifen, was aber nattirlich nicht der Fall ist. Geht man realistischerweise von etlichen Personen aus, die mehrfach im Jahr wegen psychiatrischer Krankheiten station~.r behandelt werden, und nimmt einen Durchschnitt von 1,5 Krankenhausaufnahmen pro t~berhaupt mit psychiatrischen Diagnosen erfassten Krankenhauspatienten an, ergibt sich ein Anteil von knapp 2 %. So wenig diese Oberlegungen exakte Quoten ermitteln k0nnen - leider werden in den Krankenanstaltenstatistiken Erstund Folgeaufnahmen bzw. -entlassungen gew0hnlich nicht unterschieden, was aus epidemiologischer und soziologischer Sicht ein schweres Manko darstelltt -, so deutlich wird doch, dass der Anteil von Personen, die mit psychiatrischen Diagnosen in Krankenhfiusern behandelt werden, in der Gesamtbev01kerung jedenfalls relativ gering ist; er liegt f'tir Osterreich insgesamt mit Sicherheit unter 3%, wahrscheinlich unter 2 % pro Jahr; diese Werte dtirften in etwa auch ft~r die Steiermark Gtiltigkeit haben, und liegen damit, wie zu erwarten war, weit unter dem Anteil von 13%, der l~r die Kategorie der Suizidenten in der Steiermark in ihrem jeweils letzten Lebensjahr ermittelt werden konnte.
Hier einschlieBlich Suchterkrankungen (wenige F~lle, siehe hierzu weiter unten). 457Vgl. Heinz Katschnig, Peter Denk, Michael Scherer, Osterreichischer Psychiatriebericht 2004. Analysen und Daten zur psychiatrischen Versorgungder 0sterreichischen Bev01kerung.Wien 2004 (Internetressource), S. 62-64.
486
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
307
Die Mehrzahl jener wegen psychischer St0rungen hospitalisiert gewesenen Suizidenten waren dabei einmal in einer Krankenanstalt aufgenommen gewesen (56 von 83; 63 %), etwa ein Drittel aber mindestens zweimal. In der Gesamtsumme der untersuchbaren Suizidfalle stellen jene 27 Suizidenten zwar ,,nur" 4 %; insbesondere betreffend jener 11 Personen, die im Laufe ihres letzten Lebensjahres sogar vier- bis zehnmal (!) in stationfirer Behandlung wegen psychischer Erkrankungen gestanden hatten, stellt sich doch die Frage, ob hier nicht der Rationalisierungsdruck und die Tendenz zur ambulanten Betreuung zu weit geFt~hrt haben und man Menschen, die als stark suizidgefahrdet gelten hfitten mt~ssen, dennoch mehrmals aus stationfirer Behandlung entlassen hatte. Freilich lfisst sich hierauf aus der Position einer ex-post-Analyse mit sozialwissenschaftlichen, nicht psychiatrischen Methoden, sicher keine definitive Antwort geben; die Befunde sollten aber vielleicht doch zu vermehrter Wachsamkeit im Umgang mit der so genannten ,,Drehtt~rpsychiatrie" bei schwer psychisch kranken und suizidgef'ahrdeten Personen Anlass geben. Hierbei muss aber festgehalten werden, dass diese Problematik eben nur auf einen sehr geringen Anteil der Suizidenten zutrifft: In 17 von 628 untersuchten Suizidf'allen lagen drei oder mehr Anstaltsaufnahmen mit psychiatrischen Diagnosen im letzten Lebensjahr vor (2,7 %). Demgegeni~ber waren aber 87 % der Suizidenten in ihrem letzten Lebensjahr gar nicht wegen psychischer Starungen in stationarer Behandlung gestanden, was noch weit mehr als ein dramatischer Befund gelten muss." Trotz der vielen Anstrengungen, welche im Bereich der Psychiatriereform in Osterreich insgesamt und in der Steiermark im Besonderen bereits unternommen wurden, hatte dementsprechend bei den meisten psychosozialen Krisen von Steirerlnnen, die schliefllich tadlich endeten, wahrscheinlich gar keine oder nur unzureichende psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung stattgefunden, denn bei adaquater Behandlung ware wohl ein weit graflerer Anteil der spateren Suizidenten, bei welchem die Suizidgefahrdung fiir den Experten manifest gewesen ware, einer vorzibergehenden stationaren Anstaltsaufnahme zugefi2hrt worden. Diesem Befund korrespondiert der weiter oben schon erwfihnte Umstand, dass die sicherheitsbeh0rdlichen Akten ft~r nur 24 % der auswertbaren Suizidfalle eine fachfirztliche oder psychotherapeutische Behandlung (gleichgt~ltig ob ambulant oder stationfir) der Betroffenen irgendwann in ihrem Leben berichten! Selbst wenn man die tatsfichliche Rate der in Behandlung gestandenen Personen weit h0her annimmt, und vonder doppelten Anzahl ausgeht- was wohl schon zu hoch gegriffen ist - zeigt sich so doch deutlich, wie viele der Menschen mit ernsthaften, ja mit letztlich tadlichen psychischen Problemen immer noch t~berhaupt nicht mit psychotherapeutisch-psychiatrischen Hilfestellungen in Bert~hrung kommen! Ft~r diejenigen Suizidenten, die in psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung gestanden hatten, lassen sich anhand der Sozialversicherungsdaten noch detailliertere Informationen t~ber dieselbe gewinnen; so lfisst sich feststellen, dass 75 Personen vor ihrer SelbsttOtung bei ihrer letztmaligen Krankenhausaufnahme psychiatrisch diagnostiziert worden waren (davon 70 im letzten Lebensjahr), wobei folgende Diagnosen gestellt wurden:
308
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 208:
Psychiatrische Diagnosen bei der letzten Krankenhausaufnahme vor dem Suizid (klassifiziert nach ICD 10) 488
Diagnosekategorien
H
%
Organische und symptomatische psychische St5rungen (F 0)
5
6,7
Schizophrene Psychosen (F 20)
14
18,7
Abh~ngigkeitserkrankungen und Substanzmissbrauch (F1)
5
6,7
Affektive Psychosen (F 3)
30
40,0
Andere Psychosen (F 21-25) Neurosen, Verhaltensauff~lligkeiten, PersSnlichkeitsstSrungen (F 4, 5, 6)
8 13
10,7 17,3
Summe
75
100
Auff'fillig ist insbesondere, wie oft keine depressiven Erkrankungen oder sonstigen psychotischen Krankheitsformen festgestellt wurden, sondern Neurosen, nicht nfiher klassifizierte psychische St0rungen u.fi. Bemerkenswerterweise scheinen aber auch Krankenhausaufnahmen wegen Abhfingigkeitserkrankungen und Substanzmissbrauch nur hOchst selten auf (5 F~lle). Bedeutsam erscheint weiters die Frage, in welchen Abstfinden zur letztmaligen Krankenhausaufnahme wegen psychischer StOrungen die Suizide erfolgten; hierzu ergibt die Datenauswertung, 489 dass 13 der 75 betreffenden Suizide noch w~hrend eines Krankenhausaufenthalts stattgefunden hatten, 14 im Laufe von maximal zwei Wochen danach (je 7 in der 1. bzw. 2. Woche nach Entlassung, und weitere 9 im Abstand zwischen zwei und vier Wochen, also im Zeitraum yon maximal einem Monat nach Entlassung insgesamt 23. Bezogen auf die Gesamtsumme von 628 diesbezaglich auswertbaren Suizidf~.llen ergibt dies einen Anteil yon 3,7 %. Etwa jeder 27. Suizid in der Steiermark im Zeitraum von 2002 bis 2004 fand demnach innerhalb eines Monats nach der Entlassung aus einem Krankenhaus statt, in welchem dem Verstorbenen eine psychische St6rung diagnostiziert worden war. Leider erlauben die vorhandenen Daten keine Differenzierung nach den jeweiligen Anstalten, anzunehmen ist aber, dass ein nicht unerheblicher Teil dieser Suizide nicht nach einem Aufenthalt an einer psychiatrischen Klinik, sondern nach einem solchen in einem Allgemeinkrankenhaus verabt wurde. Obwohl derartige Ffille, wie psychiatrische Experten versichern, niemals ganz zu verhindern sein werden, wenn man nicht dazu abergehen m6chte, sfimtliche etwaig suizidgeffihrdete Personen andauernd zu internieren, 49~ sollte diese Quote doch zu denken geben. In den zweiten Monat nach letztmaliger Krankenhausentlassung (bei psychiatrischer Diagnose) fallen weitere 12 Suizide, in die Zeit von mehr als zwei bis zu vollen sechs Monaten nochmals 15. Genau 50 der 628 Suizidenten (8 %), far welche Daten tiber Krankenhausaufenthalte eingeholt werden konnten, waren demnach im Zeitraum yon bis zu 6 Monaten vor ihrer Selbstt6tung stationfir behandelt und psychiatrisch diagnostiziert worden. 488Originale Diagnosen nach ICD 9; recodiert durch den Studienautor. 489 Vorgenommen anhand einer Verknapfung der Daten der Sozialversicherungen mit jenen der Todesursachenstatistik bzw. der Sicherheitsbeh0rdenzum Datum der Selbstt0tung. 490 Vgl. hierzu bes. Finzen, Patientensuizid.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
309
Nur sieben Suizidenten waren demgegent~ber letztmalig zwischen einem halben und einem Jahr vor ihrem Suizid stationfir wegen psychischer StSrungen behandelt worden; das aberwiegende Gros der Verstorbenen (545 von 628) war dagegen, wie schon festgestellt wurde, mindestens ein Jahr lang nicht einschlfigig stationfir behandelt worden. Die meisten Suizidgefahrdeten setzen ihrem Leben also offensichtlich in lfingerem zeitlichen Abstand zu psychiatrisch indizierten Krankenhausaufenthalten, oder ohne aberhaupt jemals wegen ihrer psychischen Beschwerden stationfir behandelt worden zu sein, ein Ende; eine relativ groBe Anzahl - etwa jeder 12. - suizidierte sich aber auch innerhalb eines zeitlichen Rahmens von nur 6 Monaten nach der letztmaligen Anstaltsentlassung, der eine Behandlung wegen psychischer Erkrankung vorausgegangen war. Dieses besonders hohe Suizidrisiko nach Entlassung aus psychiatrischen Anstalten bzw. Abteilungen ist dabei eine von der epidemiologischen Forschung bereits hfiufig thematisierte Erscheinung. Tabelle 209." Abstfinde zwischen letztmaliger Entlassung aus einem Krankenhaus mit psychiatrischer Entlassungsdiagnose und Durchft~hrung des Suizids491
Abstand zwischen Entlassung und Suizid 0 Tage (Anstaltssuizid) 1-7 Tage 8-14 Tage 15-21 Tage 22-28 Tage 29-60 Tage 61-90 Tage 91-180 Tage 181-365 Tage Gesamt
H
%
13 7 7 5 4 12 6 9 7 70
2,1 1,1 1,1 0,8 0,6 1,9 1,0 1,4 1,1 11,1
Ein weiterer Aspekt der zu den Krankenhausaufenthalten wegen psychischer StOrungen thematisiert werden soll, ist jener der Aufenthaltsdauern; wiederum flir die letztmaligen Aufenthalte vor dem Suizid ergibt sich dazu folgendes Bild (siehe auch Tabelle 211): Der GroBteil der Suizidenten, die aberhaupt im letzten Lebensjahr stationfir unter psychiatrischem Gesichtspunkt behandelt worden waren - und dies ist eine absolute Minoritfit -, war bei seinem letztmaligen Krankenhausaufenthalt wegen psychischer Probleme nur ausgesprochen kurz in Anstaltsbehandlung, in 63 % der Ffille maximal drei Wochen, in 27 % sogar h6chstens 7 Tage! Auch dieser Befund sollte wohl Anlass dazu geben, eine intensivere fach~rztliche Behandlung bei Patienten, die sich wegen psychischer StOrungen in Krankenhfiusem (Allgemeinkrankenhfiusern oder psychiatrischen Anstalten) befinden, herbeizufahren, auch wenn, wie oben schon festgestellt, sicher auch unter den besten Betreuungsbedingungen nicht jede SelbsttOtung verhindert werden kann (Auf die Problematik des Anstaltssuizids selbst wird weiter unten noch nfiher Bezug genommen). Erhebungszeitraum 1 Jahr, jeweils rtickgerechnet vom Sterbedatum. Die angegebenen Prozentwerte beziehen sich auf die Gesamtzahlvon 628 untersuchbaren Suizidfallen der Jahre 2002 bis 2004.
491
310 Tabelle 210.
3 Ergebnisse der Studie Letztmalige Aufenthaltsdauern in Krankenanstalten yon Personen mit psychiatrischen Diagnosen, die im Zeitraum eines Jahres nach Entlassung aus denselben Suizid begingen Aufenthaltsdauern 1 bis 7 Tage 8 bis 14 Tage 15 bis 21 Tage 22 bis 28 Tage 29 bis 60 Tage 61 bis 90 Tage Gesamt
H 19 13 12 8 16 2 70
% 27,1 18,6 17,1 11,4 22,9 2,9 100
AbschlieBend zu diesem Punkt sei aber nochmals der Befund hervorgehoben, dass trotz gewisser Unwfigbarkeiten in der Interpretation des Datenmaterials insbesondere far den Bereich der sicherheitsbehOrdlichen Akten offensichtlich davon ausgegangen werden muss, dass ein ganz erheblicher Teil der Suizidenten niemals in psychiatrischer, psychotherapeutischer oder auch allgemeinmedizinischer Behandlung im Hinblick auf psychische StOrungen gestanden hat, selbst wenn man von einer erheblichen ,,Dunkelziffer" ausgeht; wenn man annimmt, dass zwar nicht alle, aber ein GroBteil der Personen, welche irgendjemandem in ihrer Umgebung und damit retrospektiv auch den erhebenden Sicherheitsbeamten explizit als psychisch krank galten, auch in einschlfigiger Behandlung waren, umgekehrt aber auch etliche Personen, von welchen dies niemandem bekannt wurde, kann ein Anteil von ca. 50 % bis 60 % von Personen, die in psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung gestanden haben, geschfitzt werden. Verlfissliche, genauere Zahlenangaben hierzu sind anhand des vorliegenden Datenmaterials aber nicht m6glich.
3.3.20 Suizidversuche und Suizide
Eng im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen stehen Suizidversuche, deren Hfiufigkeit bei den spfiteren Suizidenten ebenfalls erhoben wurde, insoweit sie eben in den sicherheitsbeh/Srdlichen Akten dokumentiert ist. 492 Far den Zeitraum 2000 bis 2004 ergeben sich dabei folgende Verteilungen: Unter 1220 auswertbaren Ffillen finden sich 182 (15 %), in welchen durch die behOrdlichen Erhebungen vorangegangene Suizidversuche dokumentiert sind. Auch hier ist die Geschlechterverteilung sehr unterschiedlich, innerhalb der weiblichen Suizidenten betrifft dies fast ein Viertel der Verstorbenen, unter den mfinnlichen nicht einmal ein Achtel. Die Daten der Sozialversicherungsanstalten t~ber Krankenhausaufenthalte bieten hierzu kaum systematisch auswertbare Aufschlasse; so ist in Entlassungsdiagnosen der spateren Suizidenten bei ihrem letztmaligen Krankenhausaufenthalt nur ein einziges Mal explizit eine ,,Selbstbeschadigung" angefahrt. Auf die Haufigkeit von Verletzungen u.a. bei Krankenhausaufenthalten spaterer Suizidenten wird im Folgenden noch eingegangen; die Differenzierung zwischen Unfall- und Selbstmordversuchs-Folgen ist hierbei ohne nahere Informationen zu den einzelnen Fallen aber nicht trennscharfmOglich.
492
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
31 1
Tabelle 211." Bekannt gewordene Suizidversuche der spfiteren Suizidenten
nein ja gesamt
809
229
1038
88,1%
75,8%
85,1%
109
73
182
11,9%
24,2%
14,9%
918
302
1220
100%
100%
100%
Die ~ r die Suizidenten ermittelten Quoten von Suizidversuchen liegen damit weir tiber jener Verbreitung von Suizidversuchen, welche ffir die GesamtbevOlkerung angenommen werden kann; 493 so zeigt der ~sterreichische Teil der WHO-Multicenter-Studie t~ber Suizidversuche, welcher auf der Basis von Daten ft~r die Einwohner der Bezirke Innsbruck und Innsbruck-Land durchgeffihrt wurde, 494 im Zeitraum von 10 Jahren (1989-1998) eine Hfiufigkeit von 3013 Suizidversuchen, welche von 2151 verschiedenen Personen begangen wurden, bei welchen die Betroffenen nachfolgend im Psychiatrischen Krankenhaus Hall oder in der Psychiatrischen Universitfitsklinik Innsbruck behandelt wurden. Bezogen auf die Einwohnerzahl jener Bezirke ergibt sich so ein Anteil von knapp 1 % der BevOlkerung, welche im zehnjfihrigen Untersuchungszeitraum einen Suizidversuch vert~bt hatten. Zu beachten ist aber, dass der erwfihnte Anteilswert yon 15 % feststellbarer Suizidversuche, wie er anhand der Akten ~ r die steirischen Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004 ermittelt werden kann, wahrscheinlich bei weitem nicht die tatsachliche Verbreitung von vorangegangenen Suizidversuchen unter den spfiteren Suizidenten wiedergibt; setzt die Aktenkundigkeit doch voraus, dass dieselben irgendjemandem bekannt wurden - was bei vielen Suizidversuchen wohl nicht der Fall ist-, und dann auch noch den Sicherheitsbeamten mitgeteilt wurden. Der tats~,chliche Anteil von Personen, die bereits Suizidversuche begangen hatten, bevor sie tatsfichlich durch Selbstt~tung verstarben, ist aber nicht nfiher quantifizierbar; bei der ,,Vorarlberger Suizidstudie" hatte die eingehende retrospektive Untersuchung der Suizidfalle mittels Hinterbliebenenbefragung jedenfalls bei etwa einem Drittel der Suizidenten vorausgegangene Suizidversuche belegen kOnnen. 495
3.3.21 A bhdngigkeitserkrankungen und Suizide Wie psychische Krankheiten im engeren Sinn sind Suchterkrankungen ein wesentlicher Risikofaktor ft~r suizidale Handlungen (siehe Kapitel 1), weshalb davon ausgegangen wurde, dass sich unter den Suizidenten in Relation deutlich mehr Suchtkranke befinden sollten als in der steirischen GesamtbevOlkerung. 493 Ft~rdie Steiermark im Speziellen liegt t~berdie Epidemiologie des Suizidversuchs noch keine Studie vor. 494 Dirk Dunkel et al., Suicidal Behaviour in Austria. In: Armin Schmidtke et al. (Hg.), Suicidal Behaviour in Europe. Gottingen u.a. 2004, S. 113-122. ~95Siehe dazu Kapitel 1.
312
3 Ergebnisse der Studie
Aufgrund des allgemeinen Gebrauchsprofils von Suchtmittelsubstanzen in Osterreich sollte hierbei der Alkohol die wichtigste Rolle unter den substanzgebundenen Erkrankungen spielen. Anhand der Daten der Sozialversicherungsanstalten aber Krankenhausaufnahmen und ihre Diagnosen ergaben sich im Hinblick auf Suchterkrankungen leider wenig Aufschlasse; in den sicherheitsbehOrdlichen Akten wird zu insgesamt 175 yon 1237 auswertbaren SuizidfNlen der Jahre 2000 bis 2004 vom Vorliegen einer Suchterkrankung berichtet, was einen betrfichtlichen Anteil von 14 % ergibt! Auch hier ist wiederum eine Dunkelziffer zu veranschlagen, deren HOhe aber kaum gesch~,tzt werden kann. Insbesondere im Vergleich mit der medizinischen Definition von Alkoholismus und Medikamentenabh~.ngigkeit darften aber zahlreiche Abhfingigkeitserkrankungen bei den beh6rdlichen Erhebungen zur Selbstt0tung unbeachtet geblieben sein, da das Verhalten der Verstorbenen niemandem in seinem pers0nlichen Umfeld als auffallig erschien, obwohl nach medizinischen Kriterien Abhfingigkeit vorlag. Ginge man davon aus, dass der Anteil von wenig auff~,lligen Alkoholikern und Medikamentensachtigen auch unter den Suizidenten grO6er sei als jener der extremen, nicht mehr verheimlichbaren Ffille, so wfire ein Mindestanteil von aber 3 5 % Suchtkranken unter den Suizidenten anzunehmen, was durchaus realistisch erscheint, aber vorlfiufig eine Sch~,tzung bleiben muss. Die Vorarlberger Suizidstudie fand in ihrer detaillierter Erhebung aber Hinterbliebenenbefragungen jedoch sogar, dass circa die Hfilfte der Suizidopfer als suchtkrank zu klassifizieren war, wobei Alkoholabhfingige mit etwa 30 % den Hauptanteil stellten, gefolgt yon Medikamentensachtigen mit 12 %; das Osterreichische ,,Handbuch Alkohol - Osterreich" geht ,,angesichts gro6er Mess- und Schfitzprobleme" von einem Anteil ,,zwischen 1/3 und 2/3" a u s . 496 Die erhobenen Anteilswerte von Suchtkranken unter den Suizidopfern in der Steiermark sind weiters, wie zu erwarten war, nach Geschlechtern ausgesprochen ungleich verteilt, bei deutlichem Oberwiegen der Mfinner: ,,Nur" far knapp 5 % der weiblichen, aber far 17 % der mfinnlichen Suizidenten, far welche auswertbare Materialen vorlagen, wurde in den polizeilichen Akten eine Suchterkrankung verzeichnet (siehe auch folgende Tabelle). Tabelle 212." Aktenkundig gewordene Suchtkrankheiten von Suizidenten (2000-2004)
nein ja gesamt
M
F
G
771
291
1062
82,7%
95,4%
85,9%
161
14
175
17,3%
4,6%
14,1%
932
305
1237
100%
100%
100%
Eine n~here Aufgliederung nach der jeweiligen Form der Suchterkrankung zeigt, wie erheblich das Problem des Alkoholismus gerade auch in seinen Auswirkungen auf Suizidalitfit einzuschfitzen ist, und dass demgegenfiber die quantitative Bedeutung illegaler Drogen 496 Alfred Uhl et al., Handbuch Alkohol - Osterreich. Zahlen Daten Fakten Trends. Euroangepasste und aktualisierte Internetversion Stand Janner 2002: Internetressource: http://www.api.or.at/akis/download/01_lhbao.pdf(S. 85). Vgl. welters: Haller/Lingg, Vorarlberger Suizidstudie, S. 67-101.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
313
gering ausfallt; Vorsicht ist allerdings bei der Interpretation des far die Kategorie ,,Medikamentenmissbrauch" ermittelten Wertes angebracht; hierzu ist anzunehmen, dass besonders zahlreiche Ffille unbemerkt blieben, da nur selten eine deutliche soziale Auff~,lligkeit der Betroffenen aus dem Substanzmissbrauch resultiert.
Tabelle 213.
Suchterkrankungen von Suizidenten nach ihrer Art (2000-2004) 497
keine (bekannte) Suchterkrankung Alkoholismus (allein) Abh~.ngigkeit von illegalen Drogen Alkoholismus und Abh&ngigkeit von illegalen Drogen Medikamentenabh~ngigkeit (allein) Alkoholismus und Medikamentenabh~ngigkeit Nicht substanzgebundene Suchterkrankung (allein) Alkoholismus und nicht-substanzgebundene Sucht Gesamt
M 771 82,7% 135 14,5% 10 1,1% 3 0,3% 3 0,3% 3
F 291 95,4% 8 2,6% 2 0,7% 1 0,3% 2 0,7% -
G 1062 85,9% 143 11,6% 12 1,0% 4 0,3% 5 0,4% 3
0,3% 6 0,6% 1
1 0,3% -
0,2% 7 0,6% 1
0,1% 932 100%
305 100%
0,1% 1237 100%
Wie aus der voranstehenden Tabelle ersichtlich ist, ist auch die Anzahl belegter kombinierter Suchterkrankungen mit 8 Ffillen ziemlich gering (wenn illegale Drogen als eine gemeinsame Kategorie betrachtet werden; hier ist eine Kombination verschiedener Suchtmittel hfiufig), wobei hier aber wiederum eine hohe Rate nicht bekannt gewordener Ffille (etwa Alkoholismus und Medikamentenmissbrauch oder auch Alkoholismus und suchthaftes Glacksspiel) anzunehmen ist. Gegentiber der Verbreitung der Suchterkrankungen in der GesamtbevOlkerung kann insgesamt jedenfalls eine erhOhte Rate des Auftretens unter den Suizidenten konstatiert werden - und damit im Umkehrschluss ein h6heres Suizidrisiko far Suchtkranke, wie es einschlfigige Studien international, aber auch far Osterreich im Besonderen ja auch bereits ermittelt haben: 498
497,,Nicht substanzgebundene Sucht" bezeichnet v.a. Glticksspielsucht, in einem Fall auch suchthaftes Spielen von (nicht glticksspielartigen) Computerspielen. 49sVgl. bes. das ,,Handbuch Alkohol - Osterreich", S. 84f.
314
3 Ergebnisse der Studie
Geht man for eine grobe Schtitzung davon aus, dass der Anteil der Alkoholiker in der Steiermark in etwa jenem in Osterreich insgesamt entspricht, dann ergibt sich anhand der im Handbuch Alkohol pr~isentierten Schfitzung der Pr~ivalenz von Alkoholkranken im gesamten Bundesgebiet (330.000 Personen; berechnet for Jahr 2000) eine Anzahl von ca. 48.600 Alkoholikern in der Steiermark, was 4 % der GesamtbevOlkerung entspricht! Da nun anhand der polizeilichen Akten mindestens 12 % der Suizidenten als Alkoholabhfingige zu gelten haben (151 von 1237 untersuchten Fallen; siehe die oben stehende Tabelle), ergibt sich schon ohne Einbezug der wahrscheinlich sehr erheblichen Dunkelziffer ein wesentlich erhOhtes Suizidrisiko for Alkoholiker: FOr die Gesamtzahl der 1404 Suizide in der Steiermark in den Jahren 2000 bis 2004 ist, wenn man die vorhandenen Daten for die fehlenden Ffille hochrechnet, mit 171 Alkoholkranken unter den Suizidenten zu rechnen; bezogen auf die geschfitzte Anzahl der Alkoholiker im Land ergibt dies eine Suizidrate von 70 (t) pro 100.000 Einwohner und Jahr, wfihrend die Suizidrate for die restliche BevOlkerung nach dieser Berechnung bei knapp 22 liegt. Das hierbei sch~.tzungsweise zu errechnende relative Risiko for Alkoholiker, an Suizid zu versterben, lfige dabei bei 3,2. Da tatsfichlich aber von weit h/Sheren Anteilen von Alkoholikern unter den an Suizid Verstorbenen auszugehen ist, erscheint das in anderen Studien genannte, sechsfache (!) Suizidrisiko ohne weiteres auch for die Steiermark mOglich. Nimmt man den realen Anteil der Alkoholabhfingigen unter den Suizidenten mit dem Doppelten der aktenmfi6ig belegten Anzahl an, ergfibe sich for die Steiermark im Zeitraum 2000 bis 2004 sogar bereits ein siebenmal hOheres Suizidrisiko. Tabelle 214." Mindest-Suizidrate for Alkoholiker in Steiermark anhand polizeilicher Daten Suizidenten
(2000-2004)
BevSIkerung (2001)
Suizidrate
gesch~itztes relatives Risiko
Alkoholiker
171
48.600
70,4
3,2
Andere
1.233
1.134.703
21,7
Gesamt
1.404
1.183.303
23,7
Es kann also festgehalten werden, dass auch in der Steiermark die Alkoholabhfingigen unter den Suizidenten deutlich t~berreprfisentiert sind, nfimlich um mindestens das Dreifache (ca. 12 % unter den Suizidopfern vs. ca. 4 % in der GesamtbevOlkerung); 499 wahrscheinlich aber besteht for diese BevOlkerungsgruppe ein deutlich mehr als fonffaches Suizidrisiko! Mit einer ermittelten Mindest-Suizidrate von 70 pro 100.000 Betroffenen und Jahr zfihlen die Alkoholkranken jedenfalls zu den absoluten Hochrisikogruppen for letale Suizidalitfit. In ~,hnlicher Weise kann for Medikamentenabh~ngige, Personen, die regelmfi6ig illegale Drogen konsumieren (,,DrogensOchtige"), aber auch for GlOckspielsOchtige und andere Kategorien von Suchtkranken von gegenOber der GesamtbevOlkerung jedenfalls ganz erheblich erhOhten Suizidraten und Suizidrisiken ausgegangen werden, wenn auch aufgrund der im Vergleich zu Alkoholismus geringeren Verbreitung dieser AbhfingigkeitserkrankunSowohl Alkoholismus als auch Suizidalitat treten in den allermeisten Fallen erst ab der Pubertat auf, weshalb hier auf eine zusatzliche Untergliederung der BevOlkerunghinsichtlich Erwachsener und Kinder verzichtet werden konnte.
499
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
315
gen in der GesamtbevOlkerung und den hier noch gravierenderen Problemen der epidemiologischen Datenerhebung, wie auch aufgrund der kleinen Fallzahlen von ermittelten Betroffenen unter den Suizidenten, hierzu keine Berechnungen erfolgen sollen. Was die alkoholkranken Suizidenten betrifft, sei hier abschlie6end aber noch der Frage nachgegangen, in welchem Alter Suizide Alkoholabhfingiger vornehmlich vorgefallen sind, da diese Frage nicht zuletzt im Hinblick auf mOgliche Prfiventionsarbeit hochrelevant erscheint. Eine entsprechende Kreuztabellierung zeigt, dass unter den Ober-70-Jfihrigen Suizidenten aber auch unter den Unter-30-Jfihrigen Suizidopfern der Anteil der als Alkoholabhfingig bekannten Personen eher gering ist; noch deutlicher gilt dies Dr die Ober-80und die Unter-20-Jfihrigen; die Ursachen hierf~r dt~rften wohl verschieden sein; unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich selbst t~teten, dt~rften, wie unter ihren Altersgenossen t~berhaupt, Ffille von ausgeprfigtem und aufffilligem Alkoholismus wohl noch relativ seltener aufgetreten sein, wfihrend in den Kategorien der hochbetagten Suizidenten wahrscheinlich nicht zuletzt deswegen weniger Alkoholiker auszumachen sind, weil mit exzessivem Alkoholkonsum eine deutlich reduzierte Lebenserwartung verbunden ist, und die Betroffenen - sei es eben durch Suizid oder auch durch kOrperliche Folgeerkrankungen - t~berdurchschnittlich oft schon vor dem 70. Lebensjahr versterben, wfihrend umgekehrt Neuerkrankungen an Alkoholismus im hohen Alter eher selten sein dt~rften. Die grO6ten Anteile von bekannterma6en Alkoholabhfingigen finden sich dementsprechend unter den Suizidenten im mittleren, erwerbsfahigen Alter: Ober 20 % (!) der 30- bis 50-Jfihrigen Suizidenten (80 von 390 Verstorbenen dieser Altersklasse, Dr welche die behOrdlichen Akten auswertbar waren) galten bei den Erhebungen zum Todesfall als Alkoholabhfingige; der tatsfichliche Anteil dt~rfte demnach jedenfalls mindestens bei einem Drittel, wahrscheinlich aber wohl bei nahezu der Hfilfte der Suizidenten dieses Alters liegen! Auch unter den 50 bis 59-Jfihrigen Suizidenten ist der ermittelte Anteil von Alkoholkranken mit 17 % eklatant hoch, unter den 60 bis 69-Jfihrigen betrfigt er 12 %, also etwa soviel, wie sich ft~r den Gesamtdurchschnitt aller Altersklassen ergibt. Tabelle 215:
Aktenmfi6ig bekannter Alkoholismus nach Altersklassen der Suizidenten
Alter
keine Nennung
ja
10-19
41
20-29 30-39 40-49 50-59
Gesamt
Alter
1
42
60-69
97,6%
2,4%
100%
103
8
111
92,8%
7,2%
100%
145
34
179
81,0%
19,0%
100%
165
46
211
78,2%
21,8%
100%
165
33
198
83,3%
16,7%
100%
70-79 80-89 90+ Gesamt
keine Nennung
ja
Gesamt
141
19
160
88,1%
11,9%
100%
198
9
207
95,7%
4,3%
100%
99
1
100
99,0%
1,0%
100%
26
-
26
100,0%
-
100%
1083
151
1234
87,8%
12,2%
100,0%
316
3 Ergebnisse der Studie
Erinnert sei an dieser Stelle auch nochmals daran, dass die meisten der Suizidenten insgesamt, insbesondere aber die meisten der alkoholkranken Suizidenten, Mfinner waren; bei getrennter Betrachtung far beide Geschlechter ergeben sich folgende Verteilungen (siehe Tabelle 217): Insgesamt gelten nach Aktenbefund 15 % der mfinnlichen, aber nur 3 % der weiblichen Suizidenten als Alkoholiker; unter den Frauen sind dabei vor allem die mittleren Alterskategorien zwischen 30 und 60 Jahren vertreten; eine erhebliche Dunkelziffer ist aber far alle erwachsenen Suizidentinnen anzunehmen, auch far Seniorinnen. Tabelle 216:
Bekannter Alkoholismus von Suizidenten nach Geschlecht und Alter
Alter
10-19
20-29
30-39
40-49
50-59
60-69
70-79
80-89
90+
Gesamt
M~inner
Alter
nein
ja
gesamt
32
1
33
97 0%
3,0%
100%
87
8
95
91 6%
8,4%
100%
110
31
141
78,0%
22,0%
113
43
156
72,4%
27,6%
100%
119
31
150
79,3%
20,7%
100%
100
18
118
84,7%
15,3%
100%
134
9
143
93,7%
6,3%
100%
71
1
72
98,6%
1,4%
100%
21
-
21
100%
-
787
142
929
84,7%
15,3%
100,0%
Frauen nein
ja
9
-
9
100%
-
100%
16
-
16
100,0%
-
100%
35
3
38
92,1%
7,9%
100%
52
3
55
94,5%
5,5%
100%
46
2
48
95,8%
4,2%
100%
41
1
42
97,6%
2,4%
100%
64
-
64
100%
-
100%
.,
28
-
28
.
100%
-
100%
,
5
-
5
10-19
20-29
30-39
~ 100% 40-49
50-59
60-69
70-79
80-89 i: 90+
100%
!
Gesamt
100%
-
296 97,0%
i
gesamt
100%
9
305
3,0%
100,0%
Vor allem aber kann diese Tabellierung aufzeigen, dass unter den mfinnlichen Steirern, welche sich im Zeitraum von 2000 bis 2004 selbst t6teten, der Anteil derer, die gemfil3 sicherheitsbeh6rdlichen Akten als Alkoholiker galten, in allen 10-Jahres-Kategorien des mittleren Alterssegments zwischen 30 und 60 bei fiber 20 % liegt; in der Klasse der 40 bis
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
317
49-Jfihrigen liegt sogar ein Anteil bekanntermaflen Alkoholabhfingiger von 28 % vor. In Anbetracht der anzunehmenderweise zahlreichen, unerkannt gebliebenen F~ille stellt sich also Alkoholismus jedenfalls als eine zentrale, mit letaler Suizidalitfit bei Mannem im mittleren Alter assoziierte Devianzerscheinung dar.
3.3.22 K6rperliche Krankheiten/Beeintrdchtigungen und Suizide Schwere, insbesondere schwere chronische Krankheiten sind ebenfalls als ein wesentlicher Risikofaktor mr suizidale Handlungen aufzufassen (siehe Kapitel 1). Daher sollten sich ftir zahlreiche Suizidenten entsprechende Informationen eruieren lassen, wobei weniger der Gesamtanteil von ernstlich kOrperlich Kranken unter den nachmaligen Suizidenten aufschlussreich sein kOnnte, da hier keine Vergleichsdaten mr die Gesamtbev01kerung vorliegen, als Hinweise auf ein h~iufiges Vorkommen bestimmter Krankheitsformen. Weiters kOnnten sich prfiventiv wertvolle Informationen aus einer Aufbereitung der Behandlungsdauem, der individuellen Anzahl von Krankenhausaufnahmen wegen somatischer Erkrankungen und des zeitlichen Abstands zum Suizid ergeben. Auch schwere kOrperliche Behinderungen, insbesondere wenn es sich um erworbene Defekte handelt, kOnnten zu erhOhtem Suizidrisiko mhren. Ausgehend von diesen Uberlegungen wurde im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zum einen tiberprtift, wie oft die sicherheitsbeh0rdlichen Erhebungsakten Hinweise auf k0rperliche Erkrankungen der Suizidenten liefern, zum anderen wurden Daten tiber stationfire Krankenhausaufenthalte sowie tiber Pflegebedtirftigkeiten nachmaliger Suizidenten von den Sozialversicherungsanstalten bezogen und ausgewertet:
Tabelle 217: Nennung erheblicher k0rperlicher Erkrankungen in den sicherheitsbeh0rdlichen Akten zu Suizidf'~illen (2000 bis 2004) 500
nein ja gesamt
M
F
G
653
221
874
70,0%
72,5%
70,6%
280
84
364
30,0%
27,5%
29,4%
933
305
1238
100%
100%
100%
Anhand der polizeilichen Erhebungsakten ergibt sich ein Anteil von 29 % von Suizidenten, welche unter erheblichen kOrperlichen Erkrankungen litten, wobei diese vielfach auch explizit als ein Suizidmotiv angemhrt werden. Die Verteilung auf beide Geschlechter ist hierbei nahezu homogen; von den insgesamt 364 von 1238 hierzu auswertbaren Erhebungsakten von Suizidf'~illen, in welchen auf k0rperliche Erkrankungen hingewiesen wird,
5ooEinschliel31ichdauernder Verletzungsfolgen berechnet.
318
3 Ergebnisse der Studie
entfallen 280 auf mannliche Suizidenten, was einem Anteil yon 30 % entspricht, und 84 auf weibliche, womit knapp 28 % der Suizide von Frauen mit diesem Aspekt verbunden sind. Wie zu erwarten war, differieren die Quoten der kOrperlich krank gewesenen Suizidenten aber stark nach den einzelnen Alterskategorien, wenn man hierzu eine spezifischere Untersuchung durchftihrt; Wie zu aus der folgenden Tabelle zu ersehen ist, bewegen sich die Mindestanteile der erheblich kt~rperlich kranken Personen unter den Suizidenten, wie sie sich durch die Aktenanalyse erschlie6en lassen, bei den erwachsenen Unter-50-Jahrigen durchwegs zwischen 8 und 12 %, was angesichts der bislang eher geringen Beachtung dieses Faktors ohnehin schon als ein ziemlich hoher Wert gelten muss, steigern sich mit zunehmendem Alter dann aber noch vehement: Tabelle 218.
Aktenkundig gewordene k6rperliche Krankheiten von Suizidenten nach Altersklassen (2000-2004)
Alter
nein
ja
Summe
Alter
nein
ja
Summe
10-19
42
-
42
60-69
99
61
160
100%
-
100%
61,9%
38,1%
100%
100
11
111
92
116
208
90,1%
9,9%
100%
44,2%
55,8%
100%
164
15
179
27
73
100
91,6%
8,4%
100%
27,0%
73,0%
100%
186
25
211
10
16
26
88,2%
11,8%
100%
38,5%
61,5%
100%
20-29 30-39 40-49 50-59
153
45
198
77,3%
22,7%
100%
70-79 80-89 90+ Gesamt
873
362
1235
70,7%
29,3%
100%
Unter den 50- bis 59-jfihrigen Suizidenten litten bereits mindestens 23 % an schweren und/oder chronischen k(Srperlichen Erkrankungen, unter den 60- bis 69-jahrigen Suizidenten 38 %, unter den 70- bis 79-jahrigen Suizidenten aber sogar mehr als die Halfte, und unter den Ober 80-Jahrigen fast drei Viertel! 5~ Die hohen Suizidraten der Senioren stehen also, wie es zu erwarten war, in engem Zusammenhang nicht zuletzt mit k0rperlichen Beeintrachtigungen, deren Verbreitung unter Personen h0heren Alters trotz aller medizinischen Fortschritte nattirlich weit starker ist als unter jtingeren Menschen. Dieser Befund gilt im Obrigen far beide Geschlechter, wie eine gesonderte Kreuztabellierung zeigen kann.
501 Dass sich far die Kategorie der tlber 90-j~hrigen Suizidenten wiederum ,,nur" eine Quote von 62 % ergibt, erscheint angesichts der geringen Fallzahlen inhaltlich wenig belangvoll.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
319
Tabelle 219." Aktenkundig gewordene kOrperliche Krankheiten von Suizidenten nach Geschlecht und Alter (2000-2004) Alter 10-19
M~nner
Alter
33
-
33
100%
-
100%
85
10
95
10-19
Frauen 9
-
9
100%
-
100%
15
1
16
93,8%
6,3%
100%
34
4
38
89,5%
10,5%
100%
49
6
55
89,1%
10,9%
100%
41
7
48
85,4%
14,6%
100%
,
,
20-29
20-29 ,
30-39 40-49 50-59 60-69 70-79 80-89
89,5%
10,5%
100%
130
11
141
92,2%
7,8%
100%
137
19
156
87,8%
12,2%
100%
112
38
150
74,7%
25,3%
100%
30-39 40-49 50-59
66
52
118
55,9%
44,1%
100%
I
60-69
62
82
144
i
43,1%
56,9%
100%
,
20
52
72
27,8%
72,2%
100%
70-79 80-89
33
9
42
78,6%
21,4%
100%
30
34
64
46,9%
53,1%
100%
7
21
28
25,0%
75,0%
100%
3
2
5
,
90+
7
14
21
33,3%
66,7%
100%
652
278
930
90+
i 60,0%
40,0%
100%
221
84
305
72,5%
27,5%
100%
,
Gesamt
Gesamt ,
70,1%
29,9%
100%
Die beiden Verteilungen unterscheiden sich offensichtlich am stfirksten in den Kategorien der 50- bis 59- und der 60- bis 69-Jfihrigen; in diesen beiden Altersklassen ist der Anteil der mfinnlichen Suizidenten, t~ber welche k0rperliche Erkrankungen bekannt wurden, wesentlich h0her als der respektive Anteil unter den weiblichen Suizidenten. (Die prozentualen Differenzen in den Kategorien der 20- bis 29- und der 90- und mehr Jahre alten Verstorbenen sollten wegen der geringen Fallzahlen im Bereich der weiblichen Suizidenten nicht inhaltlich interpretiert werden.) Auch hierzu sei nochmals betont, dass die tatsfichlich Quote von Personen, welche an erheblichen kOrperlichen Erkrankungen litten, sicher flir fast alle einzelnen Alterssegmente doch um einiges hOher einzusch~tzen ist als die aktenmfi6ig bekannten Anteile; gerade die Aufgliederung nach Altersklassen zeigt aber deutlich den Wert auch dieser Angaben, da die zunehmende Hfiufigkeit festgestellter Erkrankungen mit hOherem Alter der tatsfichlichen Verteilung tendenziell korrespondieren dt~rfte.
320
3 Ergebnisse der Studie
Nach diesen Ausfahrungen zu kOrperlichen Erkrankungen und Beeintrfichtigungen im Allgemeinen sei nfiher auf die Art der Erkrankungen, an welchen die Suizidopfer litten, Bezug genommen. Eine Analyse der sicherheitsbehOrdlichen Akten unter Klassifikation mOglichst nach ICD-Schema ergibt hierzu folgendes: Tabelle 220:
Bekannte somatische Erkrankungen der Suizidenten nach sicherheitsbeh6rdlichen Akten (2000-2004) 502
Kategorie
ICD- 10- Bez.
H
%
Krebserkrankungen
C; D0-D9
58
4,7
Diabetes
E10-E14
22
1,8
Krankheiten des Nervensystems
G
41
3,3
(darunter,,Schlaganfallfolgen")
(G)
19
1, 5
Augenerkrankungen
H0-H59
11
0,9
Ohrenerkrankungen
H60-H95
12
1,0
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
I
65
5,3
Krankheiten des Atmungssystems
J
23
1,9
Krankheiten des Verdauungssystems
K
23
1,9
Muskel-, Gelenks- und Skeletterkrankungen
M
40
3,2
Krankheiten des Urogenitalsystems
N
27
2,2
Invalidit~t, Pflegebederftigkeit o.n.A.
55
4,4
Sonstige und nicht n&her bezeichnete kSrperliche Krankheiten
70
5,7
Die am hfiufigsten verzeichneten kOrperlichen Erkrankungen der Suizidenten betrafen das Herz-Kreislauf-System; mehr als 5 % der durch SelbsttOtung Verstorbenen litten in diesem Bereich an erheblichen gesundheitlichen Beschwerden; die zahlenmfigig n~ichstgrO6te Kategorie von Krankheitsformen sind Krebserkrankungen, von welchen die Verstorbenen in mindestens 5 % aller Suizidf'~ille betroffen waren. Mehr als 4 % der Suizidenten wurden explizit als invalide, pflegebedfirftig o.~i. bezeichnet; hierbei dtirfte der tatsfichliche Anteil weit fiber dem verzeichneten gelegen haben, dies gilt aber sicherlich auch far alle schon genannten bzw. noch anzufahrenden Erkrankungsgruppen im engeren Sinn. Auf einen Anteil von mehr als 3 % summieren sich die neurologischen Erkrankungen, wenn man ,,Schlaganfallfolgen", die in den Akten gew6hnlich nicht nfiher definiert werden, unter diese Kategorie subsummiert (siehe die Tabelle 221). Ebenfalls zu 3 % der Suizidf~ille enthalten die Akten Hinweise auf Muskel-, Gelenks- und Skeletterkrankungen (u.a. Bandscheibenvorffille) der Verstorbenen, in je ca. 2 % der Ffille wird von vorangegangenen 502 Die prozentualen Werte beziehen sich jeweiis auf die Summe von 1238 klassifizierbaren Suizidfallen aus der Gesamtheit von 1404 Suiziden der Jahre 2000 bis 2004 in der Steiermark. Es wurden alle Angaben in den Akten registriert, das heigt, dass auf einen Suizidenten auch mehrere Krankheitskategorien entfallen konnten.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
321
Krankheiten des Urogenital-, des Atmungs- und des Verdauungssystems berichtet. Auch Diabetes als einzelne Krankheitsform lfisst sich Dr 1,8 % aller Suizidenten feststellen; auf 1,9 % belaufen sich Augen- und Ohrenerkrankungen zusammengerechnet. Sfimtliche dieser Angaben sind wiederum jedenfalls nur als Mindestwerte zu betrachten, denen realiter tells sicher deutlich hOhere Anteile gegentiberstehen; neben gar nicht bekannt gewordenen Erkrankungen ist diesbeztiglich auch auf 53 SuizidfNle - t~ber 4 % der hierzu untersuchten 1238 Suizide - zu verweisen, betreffend derer die sicherheitsbehOrdlichen Akten zwar das Vorliegen einer Erkrankung konstatieren, aber keine nfiheren Angaben hierzu machen. Wichtige weitere Aufschliisse fiber das Ausmal3 somatischer Erkrankungen und Beeintr~ichtigungen der spfiteren Suizidenten liefern die Daten der Sozialversicherungsanstalten; so lfisst sich anhand derselben feststellen, dass unter 568 diesbezaglich klassifizierbaren Suizidfallen der Jahre 2002 bis 2004 77 Personen betrafen, die Pflegegeld bezogen, also an deutlichen gesundheitlichen Einschrfinkungen litten; dies ergibt einen Anteil von 13,6 % (zusammen mit 8 weiteren Suizidenten, bei denen eine ,,Minderung der Erwerbsf~ihigkeit" aus gesundheitlichen Granden vorlag, ist ein Anteil von 15 % erreicht). Etwa jeder 7. Suizident galt also nach sozialversicherungsrechtlichen Kriterien als pflegebedarftig; bemerkenswerterweise dominieren hierbei geringere Pflegestufen von 1 bis 4, lediglich zwei Suizidenten waren vor ihrem Tod der Pflegesmfe 5 zugeordnet, kein einziger einer h0heren. Tabelle 221.
Einstufung der PflegebedOrftigkeit unter den Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 nach Informationen der Sozialversicherungsanstalten Pflegestufe
H
%
keine
483
85,0
Minderung der Erwerbsf~ihigkeit
8
1,4
Pflegestufe 1
21
3,7
Pflegestufe 2
23
4,0
Pflegestufe 3
19
3,3
Pflegestufe 4
12
2,1
Pflegestufe 5
2
0,4
Gesamt
568
100
Eine wesentliche Erklfirung hierftir darfte sein, dass Personen in den hOchsten Graden der Pflegebedarftigkeit schlicht nicht mehr in der Lage sind, eine SelbsttOtung auszufahren, wfihrend dies bei ,,leichteren" Graden von Pflegebedarftigkeit sehr wohl mOglich ist. Die Angst vor einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation dtirfte gerade bei diesem Teilsegment der Suizidenten ein zentrales Motiv zur Durchftihrung der Tat darstellen, gerade weil schwer kOrperlichen Kranken vielfach sicherlich bewusst ist, dass mit einer Zustandesverschlechterung auch die MOglichkeit der willentlichen Lebensbeendigung schwinden kOnnte. 5~ Beachtenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass ftir 19 der insgesamt 77 Suizidenten (25 %), welche Pflegegeld bezogen, eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes anhand einer Verfinderung der Pflegesmfe im Untersuchungszeitraum 2002 5o3Naheres hierzu siehe auch im Folgendenbei der ErOrterungexplizit genannter Suizidmotive.
322
3 Ergebnisse der Studie
bis 2004 dokumentiert ist. Dem steht lediglich in einem einzigen Fall eine Senkung der Pflegestufe, die einer Verbesserung der k0rperlichen Zustandes entsprechen sollte, gegentiber. Auch der Zeitpunkt der erstmaligen Gewfihrung von Pflegegeld bzw. Feststellung geminderter Erwerbsfahigkeit (bei noch aktiven Land- und Forstwirten) - und damit des Eintritts der Erkrankung bzw. Behinderung - konnte erhoben werden; in insgesamt 22 von 85 Ffillen (26 %) lag derselbe mindestens 5 Jahre vor Beginn des Untersuchungszeitraums und damit des Suizids (also im Jahr 1996 oder davor), ,,nur" 8 Betroffene (9 %) t~teten sich im Untersuchungszeitraum im selben Kalenderjahr, in welchem ihnen erstmalig Pflegegeld bzw. Erwerbsminderung zugesprochen wurde; der Anteil derjenigen, die im Laufe von bis zu 3 Jahren nach diesem Datum Suizid begingen, ist dagegen mit 36 hoch; Suizide werden demnach teils nach vielj~hriger Pflegebedt~rftigkeit, teils aber auch innerhalb einer relativen kurzen Zeitspanne von einigen Jahren nach Eintreten derselben begangen. Tabelle 222:
Zeitpunkte der Zuerkennung von Pflegegeld bzw. ErwerbsffihigkeitsMinderung und der Suizide Gew,~hrung Pflegegeld/Erwerbsminderung
Todesjahr
vor 1997 1997-2000
2001
2002
2003
2004
Gesamt
6
5
-
-
25
2002
7
2003
9
7
5
9
0
-
30
2004
6
3
10
2
6
3
30
Summe
22
17
21
16
6
3
85
7
Weitere Daten konnten auch ft~r den Bereich der k0rperlichen Erkrankungen tiber die Krankenhausaufenthalte der Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 Dr ihre jeweils letzte Lebensphase erhoben werden; bei wiederum 628 auswertbaren Suizidfallen dieses Zeitraums ergibt eine Analyse folgende Verteilung: 475 der betreffenden Suizidenten, also drei Viertel (75,6 %) waren in den letzten 12 Monaten vor ihrem Tod nicht wegen k0rperlicher Erkrankungen hospitalisiert gewesen, 153 (24 %) schon. Dieser Anteil erscheint ausgesprochen hoch; etwa die Hfilfte jener Suizidopfer (73, 11,6 %) war in diesem Zeitraum mindestens zweimal wegen k0rperlicher Erkrankungen in stationfirer Behandlung gewesen, 14 Personen sogar mindestens ft~nfmal. Tabelle 223:
Aufenthalte in Krankenhfiusern bei Diagnosen kOrperlicher Erkrankungen von Suizidenten wfihrend ihres letzten Lebensjahres %
Anzahl
%
Anzahl
475
75,6
0,8
80
12,7
0,3
41
6,5
16
2,5
10+
0,3
Total
0,6
0,2 0,3 628
100,0
323
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
Zur nfiheren Interpretation dieser Zahlen ist es nattirlich auch von Interesse, die Gesamtquote der tiberhaupt - ob mit psychischen und/oder somatischen Diagnosen - stationfir behandelten Patienten zu kennen; die diesbeztigliche H~iufigkeitsauszfihlung zeigt, dass insgesamt etwa ein Drittel aller Suizidenten im letzten Lebensjahr zumindest einmal in Krankenhausbehandlung war; 15 % einmal, 7 % zweimal, 6 % drei- oder viermal, und 4 % ftinfmal oder 0fter. Ktinftige Suizidprfivention mtisste so sicherlich noch weit stfirker als bisher bei Krankenhauspatienten ansetzen, auch bei solchen, die wegen k0rperlicher Erkrankungen behandelt werden, waren doch gemfiB den oben vorgestellten Daten 24 %, also etwa ein Viertel aller Suizidenten (!), im letzten Lebensjahr wegen k6rperlicher Krankheiten in krankenanstaltlicher Behandlung, ,,nur" 13 % aber wegen psychischer StOrungen! 5~ Zu bedenken bleibt aber auch, dass, wie schon hervorgehoben wurde, offensichtlich eine sehr grof3e Anzahl von Suizidenten weder wegen psychischer noch wegen somatischer Beschwerden in firztlicher bzw. therapeutischer Behandlung stand, sei es nun ambulant oder stationar. Unter denjenigen Suizidenten, welche in ihren letzten Lebensmonaten in stationfirer Behandlung gestanden hatten, betraf dies bei den meisten nur ktirzere Zeitrfiume; in 69 % der Ffille maximal 4 Wochen, in 43 % maximal 2Wochen). Betrachtet man die Abstfinde zwischen der letztmaligen Krankenhausaufnahme und dem Suizid bei den Patienten, die mit k6rperlichen Diagnosen behandelt wurden, so zeigt sich bei einer Gesamtzahl von 628 Ffillen folgende Verteilung:
Tabelle 224:
Abst~nde zwischen letzter Krankenhausaufnahme (Beobachtungszeitraum 1 Jahr) und Suizid bei Vorliegen somatischer Diagnosen 5~ Abstand Entlassung - Suizid
H
%
0 Tage (Anstaltssuizid)
24
3,8
1-7 Tage
14
2,2
8-14 Tage
7
1,1
15-21 Tage
4
0,6
22-28 Tage
3
0,5
29-60 Tage
14
2,2
61-90 Tage
11
1,8
91-180 Tage
17
2,7
181-365 Tage
34
5,4
Gesamt
128
20,3
Wie zu ersehen ist, ist auch bei Personen, die wegen kOrperlichen Erkrankungen station~r behandelt werden, mit Anstaltssuiziden zu rechnen; in Summe traten mit 24 derartigen Todesf~illen in der Steiermark im Zeitraum 2002 bis 2004 sogar deuttich mehr auf, als dies bei Patienten mit psychiatrischen Diagnosen der Fall war. Diese tiberraschend hohe Anzahl 5o4Siehe hierzu die Ausft~hrungen im betreffenden Absatz. 5o5Prozentuale Angaben in Bezug auf die Gesamtsummeyon 628 untersuchten Fallen.
3 Ergebnisse der Studie
324
wurde zur Sicherheit anhand der Daten der Todesursachenstatistik mr die Jahre 2002 bis 2004 nochmals gegengecheckt, mit dem Ergebnis, dass sie als zutreffend zu erachten ist: Insgesamt verzeichnet die offizielle Todesursachenstatistik mr die Jahre 2002 bis 2004 60 Suizide in Krankenanstalten; die Sozialversicherungsdaten zum selben Zeitraum beinhalten Informationen zu insgesamt 37 Suiziden in Krankenanstalten; die tatsfichliche Anzahl von Anstaltssuiziden liegt demnach sogar noch h6her, was auch ffir die Teilkategorie der wegen k6rperlicher Erkrankungen behandelten Patienten gelten dtirfte. Nach den oben prfisentierten Daten suizidierten sich jedenfalls zahlreiche weitere Patienten kurz nach ihrer Anstaltsentlassung; die ausgewiesenen Anstaltssuizide und die Suizide im Zeitraum von bis zu 4 Wochen nach Krankenhausentlassung summieren sich auf 52; 8 % bzw. jeder 12. Suizident in der untersuchten Menge t6tete sich also entweder wfihrend oder innerhalb eines Monats nach einer station/aren Behandlung wegen einer kOrperlichen Erkrankung! Was die Dauer der Krankenhausbehandlung betrifft, welche im letzten Lebensjahr den Suiziden vorangegangen war, so ergibt eine Klassifizierung, dasses sich in der tiberwiegenden Zahl der Falle um sehr kurze Behandlungen gehandelt hatte; 82 sptitere Suizidenten (13 % der Gesamtzahl von 628) waren nur zwischen ein und sieben Tagen stationfir wegen k6rperlicher Krankheiten aufgenommen gewesen, 37 weitere (6 %) zwischen 8 und 14 Tagen; 13 (2 %) far zwei bis drei Wochen, 14 (2 %) schlie61ich mr einen Zeitraum zwischen 3 Wochen und 2 Monaten. 5~ Zur Art der k6rperlichen Erkrankungen, welche zu den Anstaltsaufnahmen geNhrt hatten, lfisst sich Folgendes feststellen:
Tabelle 225:
Diagnosen kOrperlicher Erkrankungen bei spateren Suizidenten w~ihrend Krankenhausaufenthalten in ihrem letzten Lebensjahr
Kategorie Bestimmte infekti6se und parasit~ire Krankheiten Krebserkrankungen Sonstige Neubildungen Krankheiten des Blutes/der blutbildenden Organe Endokrin-, Ern~ihrungs-u. Stoffwechselkrankheiten Krankheiten des Nervensystems Au ge ne rkra n k unge n Ohrenerkrankungen Herz-Kreislauf-Erkrankungen Krankheiten des Atmungssystems Krankheiten des Verdauungssystems Krankheiten der Haut/Unterhaut Muskel-, Gelenks- und Skeletterkrankungen Krankheiten des Urogenitalsystems Verletzungen Vergiftungen, Folgen ~iu6. Einwirkungen Sonstiges (Symptome, abnorme Befunde u.a.)
5(16Einige Falle waren nicht klassifizierbar.
ICD-10 A/B C; D0-D9 D10-D48 D50-D89 E G H0-H 59 H60-H95 I J K L M N SFF R, V-Z
. . . . .
H 3 7 2 4
2 9 6 2 19 8 19 3 13 8 29 12
% 0,5 1,1 0,3 0,6 0,3 1,4 0,9 0,3 3,0 1,3 3,0 0,5 2,1 1,3 4,6 1,9
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
325
Vergleicht man die Daten far Krankenanstaltsbehandlungen im letzten Lebensjahr mit jenen, die sich weiter oben anhand der sicherheitsbehOrdlichen Akten far das Vorliegen einzelner Krankheitsformen tiberhaupt ergeben, so sind die Anteilswerte im erstgenannten Falle naturgemfiB meist deutlich niedriger; die Relationen sind aber ebenso nur teils fihnlich; zwar sind die Herz-Kreislauferkrankungen auch unter jenen, die zu Krankenhausaufnahmen gefahrt hatten, am zahlreichsten, wenn man die exogenen Ursachen (Verletzungen etc.) zunfichst ausklammert; in den Sozialversicherungsdaten zeigt sich aber auch ein vergleichsweise sehr hoher Anteil von Aufnahmen wegen Erkrankungen des Verdauungssystems - nicht weniger als 3 % aller untersuchten Suizidenten waren wegen derartiger Beschwerden im letzten Lebensjahr hospitalisiert. Far tiber 2 % gilt dies in Bezug auf Muskel-, Gelenks- und Skelett-Erkrankungen; relativ gering nimmt sich dagegen der Anteil der in der letzten Phase stationar behandelten Krebspatienten unter den Suizidenten aus (ca. 1 %), gerade wenn man bedenkt, dass jedoch sicherlich 5 % der Suizidenten an Krebserkrankungen gelitten hatten (siehe dazu weiter oben). Etwas hfiufiger waren demgegentiber auch noch Krankenhausaufnahmen yon nachmaligen Suizidenten wegen neurologischen Erkrankungen, Krankheiten des Atmungs- und des Urogenitalsystems (siehe Tabelle 226). Beachtenswert hoch erscheint auch der Anteil von Personen, die wegen ,,sonstiger" Grande, ungeklfirter Symptome etc. station~ir aufgenommen wurden. Dass 30 der 628 untersuchten Suizidenten wegen Verletzungen, Vergiftungen u.fi. w~ihrend ihres letzten Lebensjahres in Krankenhausbehandlung waren (einschlieBlich nur einer Person, die explizit nach einem Suizidversuch behandelt wurde und in Tabelle 226 unter ,,sonstige" firmiert), erscheint wiederum nicht als eine besonders hohe Quote, wenn man bedenkt, dass in diesem Anteil von knapp 5 % zweifelsohne zahlreiche Behandlungsf~ille enthalten sind, die nach ,,missgltickten" Suizidversuchen stattfanden. Dieser Umstand bekrfiftigt die These, dass zahlreiche Suizidversuche unentdeckt bleiben, und viele Betroffene in Krankenanstaltsstatistiken nicht aufscheinen, nicht als wegen Suizidversuch behandelte Personen, aber auch nicht als Verletzungs- oder Vergiftungsopfer. Dies dtirfte nfimlich vorwiegend nur dann der Fall sein, wenn die gesundheitlichen Folgen des nicht erfolgreichen Suizidversuchs so gravierend waren, dass eine Krankenhausbehandlung dem Betroffenen selbst bzw. seinem personlichen Umfeld unvermeidlich schien. AbschlieBend hinsichtlich der Er6rterung der anhand des Datenmaterials feststellbaren Zusammenh~inge k/3rperlicher Beeintr~ichtigungen mit letaler Suizidalitfit sei an dieser Stelle noch ausdrticklich auf den Umstand hingewiesen, dass wahrscheinlich auch kOrperliche Behinderung als das Suizidrisiko erh0hend angesehen werden muss. In der Darstellung der Befunde zu den sicherheitsbehOrdlichen Daten wurde bereits erw~ihnt, dass 55 von 1238 Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004 in den Akten explizit als ,,altersschwach", pflegebediirftig bzw. invalid bezeichnet wurden; beschrfinkt man eine Auszahlung auf die als ,,invalide" gekennzeichneten Personen, und hierbei auf die Unter-70-Jfihrigen, sodass Erscheinungen der Altersdegeneration weitgehend ausgeschlossen erscheinen, ergibt sich eine Summe von 25 Suizidenten - bezogen auf die Gesamtzahl von fiber 1230 hierzu untersuchten Suizidf~illen eine eher geringe Anzahl (2 %), in Relation zur anzunehmenden Haufigkeit von - erheblich - k0rperbehinderten Menschen in der steirischen GesamtbevOlkerung im Alter unter 70 aber wahrscheinlich ein tiberproportionaler Weft. 5~
5o7 Dem Studienautor standen hinsichtlich dieser Fragestellung keine ausreichend vergleichbaren Daten far die Gesamtbev01kerungzur Verfagung.
326
3 Ergebnisse der Studie
3.3.23 Weitere psychosoziale Bedingungen der Suizidhandlungen Neben den bisher beschriebenen Merkmalen der Suizidenten, fiir welche zumindest grof3teils eine Vergleichbarkeit auch mit Daten f'tir die Gesamtbev01kerung m0glich war, erlaubten die sicherheitsbeh0rdlichen Akten auch noch die Erfassung zahlreicher weiterer Umstfinde der Suizidhandlungen, insbesondere zu von den erhebenden Beamten als ftir die Suizidhandlung kausal relevant angesehenen Lebensumst~inden der Verstorbenen. Zu diesen Informationen ist freilich kein sinnvoller Vergleich mit Verteilungen in der Gesamtbev01kerung mit exakten quantitativen Methoden mt~glich; dennoch k6nnen die erhobenen Daten nach Auffassung des Studienautors einiges dazu beitragen, das Problem der letalen Suizidalitfit besser fassbar zu machen. Im Folgenden werden die Erhebungsergebnisse zu den folgenden Bereichen vorgestellt: o o o o o o o o
soziale Isolation belastende Familienverhfiltnisse belastende Wohnverh~iltnisse belastende Arbeitsverhaltnisse belastende 0konomische Verhfiltnisse sonstige belastende soziale Verh~iltnisse belastende mentale Zustande mentale Zust~inde reduzierter Selbstkontrolle vor dem Suizid
Soziale Isolation wird immer wieder als ein besonderer Risikofaktor fiir Suizidalitfit genannt, und dt~rfie tatsfichlich, einhergehend mit anderen belastenden Faktoren, wie psychischen und/oder kOrperlichen Erkrankungen, Armut usw. eine wichtige Komponenten bei einem Teil der Suizidhandlungen darstellen; explizite Hinweise auf soziale Isolation in den sicherheitsbehOrdlichen Akten nach Suiziden sind j e d o c h - jedenfalls in der Steiermarkeher selten; insgesamt wurde in 35 von 1240 Suizidf~illen der Jahre 2002 bis 2004, in welchen Akten bearbeitet werden konnten, einschlfigige Hinweise gefunden, was einem Anteil von nur knapp 3 % entspricht (,,lebte sehr zurtickgezogen", ,,hatte mit niemandem Kontakt usw."). Der tatsachliche Anteil von weitgehend isoliert lebenden Menschen unter den Suizidenten ist aber mit Sicherheit h0her anzusetzen, wohl mindestens zwei- oder dreimal so hoch, d.h. bei ca. 5 bis 10 %. Hierbei handelt es sich aber nur um eine Schfitzung anhand der bei Aktenstudium gewonnenen Kenntnisse. In der Majoritat der Suizidf~ille lebten die Betroffenen aber jedenfalls keineswegs isoliert (Nicht mit eingerechnet wurde hier eine soziale Rtickzugstendenz in den letzten Lebensmonaten oder-wochen, wie sie ftir viele Suizidopfer typisch ist! 5~ Eine solche wurde auch in den Suizidakten immer wieder konstatiert). 15ber die Hfilfie der Ffille, in welchen eine lfingerfristige soziale Isolation der nachmaligen Suizidenten in den beh0rdlichen Akten festgestellt wurde, betrafen Senioren ab einem Alter von 60 (19 von 35 Personen). Ein etwas anderes Bild ergibt sich, wenn man nicht jene Ffille, in welchen tatsfichliche soziale Isolation konstatiert wurde, z~ihlt, sondern jene, in welchen den Verstorbenen eine l~ingerfristig bestehende - charakterliche Verschlossenheit, eine so genannte ,,Introversion" zugeschrieben wurde. Eine solche ,,innerliche Zurtickgezogenheit" ist dabei nattirlich durchaus auch bei in Familienzusammenhfingen lebenden bzw. ,,Freundeskreise" aufwei5o8Siehe hierzu Kapitel 1.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
327
senden Personen mOglich, ja kann meist erst dann iaberhaupt - und sei es nachtr~glich festgestellt werden (die Schnittmenge von sowohl als ,,isoliert" als auch ,,introvertiert" beschriebenen Suizidenten ist mit 5 Ffillen gering): 64 Suizidenten, 5 % aller Untersuchten, wurden in den Akten als ,,introvertiert" beschrieben, ein nicht unerheblichen Anteil, zumal bedacht werden muss, dass derselbe hauptsfichlich wohl nur besonders auffiillige FNle von ,,Introvertiertheit" abdeckt, und auch hier mit psychologischen Diagnosen anhand detaillierter Einzelfall-Untersuchungen sicherlich ein hOherer Anteil aufzudecken w~ire. Weit hfiufiger Bezug nehmen die sicherheitsbehOrdlichen Akten zu Suizidf~illen aber noch auf den Bereich der ,,familifiren Probleme", eine freilich welt gefasste Kategorie, welche Probleme in Eltern-Kind-Beziehungen genauso umfassen kann wie - am hfiufigsten - Probleme zwischen (Sexual-)Partnem, oder andere Konflikte im nfiheren und weiteren Verwandtenkreis. Ganz abgesehen davon ist natarlich mit der Bezeichnung ,,famili~re Probleme" noch nichts iaber die n~heren Umstfinde und Ursachen derselben ausgesagt. Dennoch erscheint es von Interesse, auch die Gesamtzahl der diesem Problemkreis zuzuordnenden Aktenhinweise anzugeben, diese bel~iuft sich bei 1240 auswertbaren SuizidfNlen der Jahre 2000 bis 20045o9 auf 508, was 4 1 % entspricht. Die sicherheitsbehOrdlichen Akten zu Suizidf~illen verweisen demnach - obwohl in ihnen keineswegs immer eine n~here Auseinandersetzung mit den Suizidmotiven schriftlich niedergelegt wird - in vier Zehntel aller SuizidfNle auf familifire Schwierigkeiten der Betroffenen! Betrachtet man nun diesen Bereich differenzierter, so zeigen sich folgende Anteilswerte (Registriert wurden nur diejenigen FNle, in welchen explizit ein motivationaler bzw. kausaler Zusammenhang mit dem Suizid hergestellt wurde (d.h. es wurde nicht etwa jeder Suizid eines Pflegeheimbewohners mit dessen Trennung von seiner Familie in Zusammenhang gebracht, sondern eine entsprechende Zuordnung nur vorgenommen, wenn dies seitens der erhebenden Beamten angenommen wurde). Die Betrachtung der ermittelten Quoten (siehe umseitige Tabelle) zeigt, dass Trennungen yon Parmerbeziehungen (seien es nun Scheidungen oder Trennungen ,,informeller", aber l~ingerfristiger Beziehungen) sowie ernsthafte und andauernde Probleme in bestehenden Partnerbeziehungen (von Eheleuten wie Unverheirateten) innerhalb des Komplexes der ,,famili~iren Probleme" am haufigsten als aktenkundig auftauchen; 5~~ auch ihre tatsfichliche Verbreitung in der Gruppe der Suizidenten ist hoch einzusch~tzen, insbesondere im Bereich von Problemen in bestehenden Beziehungen wohl deutlich hOher, als dies behOrdlicherseits festgestellt wurde, da sicher nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle Hinterbliebenen often yon Schwierigkeiten innerhalb der Familie berichteten; auf3erdem wurden wohl seitens der ermittelnden Beamten nicht alle entsprechenden Angaben als far eine schrift|iche Niederlegung relevant erachtet. Allein die vorhandenen Angaben weisen aber schon ein Zutreffen von entweder ,,Partnertrennung" oder ,,Partnerproblemen" auf nahezu ein Viertel aller untersuchten Suizidenten aus (23 %) (der Anteil von ffilschlichen Zuschreibungen tats~chlich nur als geringftigig zu erachtender Partnerprobleme ist wohl gering).
5o9Die Gesamtzahl der Suizidfalle in der Steiermark in diesem Zeitraum betrug 1404; in 164 Fallen standen keine sicherheitsbehOrdlichen Akten far eine Analyse zur Verft~gung. 5to Der ,,romantische" Suizid aufgrund eines unerfallt gebliebenen Partnerwunsches ist demgegent~bersicherlich selten; genannt wird dieses Suizidmotiv in den Akten insgesamt achtmal (0,6 %); Probleme wegen ,,Dreiecksbeziehungen" werden insgesamtzehnmal angegeben (0,8 %).
328
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 226:
Belastende Familienverhfiltnisse als Motive von Suiziden - Anteile gemfiB sicherheitsbeh/Jrdlichen Akten (2000 bis 2004) TM H
%
Belastende Familienverh~ltnisse insgesamt
508
41,0 %
Tod von FamilienangehSrigen
114
9,2 %
darunter: Suizid von AngehSrigen
23
1,9 %
Schwere Krankheit oder Behinderung von AngehSrigen
43
3,5 %
unfreiwillige r~umliche Trennung von AngehSrigen A
24
1,9 %
Ende einer Partnerbeziehung durch Trennung
151
12,2 % 10,6 %
dauerhafte Probleme in bestehender Partnerbeziehung
132
dauernde Streitigkeiten bzw. Probleme mit Vater und/oder Mutter
42
3,4 %
dauernde Streitigkeiten bzw. Probleme mit Kind(ern)
55
4,4 %
dauernde Streitigkeiten bzw. Probleme mit anderen Angeh~rigen
19
1,5 %
Gewaltt~tigkeit von FamilienangehSrigen gegen Suizidenten g
10
0,8 %
Gewaltt,~tigkeit des Suizidenten gegen AngehSrige g
36
2,9 %
A
wegen Verbringung in Pflegeheim, Strafhaft, Internatsaufenthalt usw. entweder des Suizidenten oder von Angeh5rigen B Bei diesen Aspekten ist die ohnehin sicher hoch einzusch~tzende ,,Dunkelziffer" wohl besonders hoch, die erhobenen Werte d0rfen daher keinesfalls als ,,tats~chliche" Anteile missverstanden werden!
Tod von FamilienangehOrigen wurde ebenso in einem ganz betrfichtlichen AusmaB als den Suizid bedingendes Ereignis verzeichnet, nfimlich in 114 von 1240 Ffillen, also bei fast jedem zehnten Suizidenten. Auch hier ist eine nicht unbetrfichtliche ,,Dunkelziffer" unbeachtet gebliebener Todesfalle im Vorfeld der SelbsttOtung anzunehmen (insbesondere bei Senioren, wo in den Akten oftmals zwar auf den Umstand des Verwitwet-Seins hingewiesen wird, aber keine expliziten Zusammenhfinge mit dem Suizid hergestellt werden, sodass seitens des Studienautors auch keine entsprechende Zuordnung erfolgte, gem~.B den oben erlfiuterten Kriterien). Bei jedem 50. Suizidenten wurde ein vorangegangener Suizid eines Familienmitglieds seitens der ermittelnden Beamten als (Teil-)Ursache seiner SelbsttOtung angesehen; schwere Krankheit oder erhebliche Behinderung eines FamilienangehOrigen wurden in 43 Ffillen verzeichnet (3,5 %), unfreiwillige und dauernde rfiumliche Trennung von einem oder mehreren Familienmitgliedern in wiederum in 2 % der Suizidfalle als ein Motiv konstatiert. Dauerhafte innerfamilifire Auseinandersetzungen, welche nicht Partner, sondern Eltern oder Kinder der Suizidenten betrafen, wurden in insgesamt fast 8 % der Ffille als relevant mr den erfolgten Suizid vermerkt, zusammen mit Streitigkeiten und Problemen mit anderen Familienangeh/Srigen (Geschwistern, Schwiegereltern, Schwagern, GroBeltern, Enkel der Verstorbenen) ergibt sich ein Anteil yon fast 10 %! Nachhaltig gest6rte Familienverhfiltnisse auch t~ber den Bereich der Partnerbeziehungen hinaus sind demnach jedenfalls ebenso als 5~ 1240 auswertbare Akten bei gesamt 1404 Suizidf~lle in diesem Zeitraum; pro Person konnten natOrlichmehrere Umstfinde famili~rer Probleme aktenm~Biggenannt sein (bis zu fOnfverschiedene traten in den Aufzeichnungen au~); die Summe der einzelnen Aspekte ist daher grOBerals die Gesamtsumme ft~rdiesen Bereich.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
329
ein sehr wichtiger Bestandteil von Situationen, welche zu Suiziden ftihren, zu betrachten. Die tats~chliche Verbreimng derselben dtirfte gemW3 Erkenntnissen der psychologischen Forschung weit fiber den hier far die spezifische Kategorie der Suizidenten registrierten Anteil hinausreichen. Eine erhebliche Dunkelziffer muss also angenommen werden, was umso mehr far den spezifischen Aspekt der Gewalttfitigkeit innerhalb der Familie gilt, der ,,nur" in knapp 4 % der F~lle aktenm~6ig dokumentiert ist, wobei sich der Grof3teil auf Gewaltakte der Suizidenten gegentiber den AngehOrigen bezieht, und nur ein geringerer Anteil umgekehrt auf Gewalterfahrungen der Verstorbenen durch AngehOrige. Gerade im letzteren Fall ist aber, da Kinder als weitgehend wehrlose Personen besonders von familifirer Gewalt betroffen sind, jedoch Suizide im Allgemeinen erst ab dem Jugendlichenalter begangen werden, von einer ganz erheblichen Anzahl nicht dokumentierter Ffille auszugehen: Von den 10 Suizidf~llen, in welchen eine innerfamilifire Gewalttfitigkeit gegen den Suizidenten aktenmfi6ig bekannt wurde, betraf kein einziger Gewaltausabung im Kinderalter; was neben starken Verheimlichungstendenzen sicherlich auch damit zu tun hat, dass sich die behOrdlichen Erhebungen bei Suizidfallen - anders als psychologische Anamnesen - gew0hnlich auf den letzten Lebensabschnitt des Betroffenen konzentrierten; weiter zurackliegende Lebensphasen wie die Kindheit bereits erwachsener Suizidopfer werden ganz generell so gut wie nie thematisiert, was aus der Perspektive der sicherheitsbehOrdlichen Erkenntnisinteressen, denen es ja vor allem um die Feststellung des ob eines Suizids, und nicht des warum geht, auch verstfindlich ist. Allerdings massen diese Faktoren bei der Interpretation der behOrdlichen Akten eben zureichend beracksichtigt werden. Einen speziellen Aspekt familifirer Probleme stellen schlie61ich noch Streitigkeiten dar, die sich vor allem anhand finanzieller Angelegenheiten manifestieren; derartiges wird in 9 Suizidfallen explizit als Suizidmotiv angefahrt. Ein weiterer zentraler Lebensbereich, auf dessen unganstige Ausgestaltung in behOrdlichen Suizidakten relativ hfiufig hingewiesen wird, ist jener der Wohnverhfiltnisse; hierzu sind nicht nur ,,Extremfalle" wie Wohnungsverlust (Delogierung u.fi.) bzw. dauernde Obdachlosigkeit zu zfihlen, sondem auch das vielfach psychisch belastende Leben unter Anstaltsbedingungen, wie es in Straf- und sonstigen Internierungsanstalten, aber auch in Pilege- und Heilanstalten (!) gegeben ist. 512 Auch eine - sei es freiwillige oder unfreiwillige - Verfinderung der Wohnverhfiltnisse durch Umzug kann als erhebliche Belastung fungieren, besonders wenn damit die ZerstOrung vormaliger Sozialbeziehungen verbunden ist. Oberpraft man die Hfiufigkeit der Nennung solcher belastender Wohnverhfiltnisse in den behOrdlichen Akten, ergibt sich eine Gesamthfiufigkeit von 225 Ffillen (!), was einem Anteil von 18 % der 1240 untersuchten Suizidenten entspricht. Zu beachten ist aber, dass hier sfimtliche in den Akten genannten Gegebenheiten gezfihlt wurden, und nicht nur jene, die explizit als Suizidmotive angefahrt wurden. Auch hierzu seien im Folgenden die einzelnen Aspekte gesondert mit den jeweils erhobenen Anteilswerten angefahrt (siehe auch Tabelle 228 umseitig): Andauernde Obdachlosigkeit ist relativ selten eruierbar (2 von 1240 Ffillen), was nicht zuletzt wohl mit dem kleinen Anteil der Betroffenen an der Gesamtbev61kerung zusammenhfingt; allerdings kann davon ausgegangen werden, dass einige Ffille diesbezaglich undokumentiert geblieben sind.
512Vgl. hierzu bes. Goffman, Asyle.
3 Ergebnisse der Studie
330
Tabelle 227:
Potentiell belastende WohnverhNtnisse von Suizidenten - Anteile der in polizeilichen Akten registrierten FNle in der Steiermark (2000-2004) 513
% Belastende WohnverhNtnisse insgesamt Dauerhafte Obdachlosigkeit Wohnungsverlust durch Delogierung oder Wegweisung (unmittelbar gegeben oder direkt bevorstehend) Wohnungswechsel (bevorstehend oder kurz zurOckliegend) g Untersuchungs- oder Strafhaft (bei Suizid gegeben) Unterbringung in Pflege-oder Seniorenheim (bei Suizid) Unterbringung in psychiatrischer bzw. neurologischer Anstalt, Klinik oder Einrichtung (bei Suizid) Unterbringung in allgemeinem Krankenhaus (bei Suizid) c Unterbringung in sonstigen Anstalten des Sozialund Gesundheitswesens (bei Suizid) Unterbringung in psychiatrischer bzw. neurologischer Anstalt, Klinik oder Einrichtung (zureckliegend) Unterbringung in allgemeinem Krankenhaus (zur0ckliegend) c Unterbringung in sonstigen Anstalten des Sozialund Gesundheitswesens (zureckliegend) Unterbringung in psychiatrischer bzw. neurologischer Anstalt, Klinik oder Einrichtung (bevorstehend) Unterbringung in allgemeinem Krankenhaus (bevorstehend) c Unterbringung in sonstigen Anstalten des Sozialund Gesundheitswesens (bevorstehend)
225
18,1%
28
0,2 % 2,3%
25
2,0%
37 44
0,7% 3,0% 3,5%
11
0,9% 0,2 %
13
1,0%
27
2,1% 0,2 %
11
0,9%
10
0,8% 0,2 %
a Einschlie61ich zweier F~ille, in welchen die Wohnung durch Strom- oder Wasserabschaltung in ihrer Bewohnbarkeit erheblich eingeschr~inkt wurde; 6 F~ille aus der genannten Summe betrafen eine Wegweisung. BKurz zur0ckliegend meint einem Zeitraum von einem Monat c ohne psychiatrische Kliniken an allgemeinen Krankenanstalten Eine beachtliche HOhe erreicht dagegen die feststellbare Quote von Personen, die entweder kurz vor ihrem Suizid delogiert oder amtlich aus ihrer Wohnung verwiesen wurden oder denen eine entsprechende Ma6nahme angektindigt worden war: 28 derartige Ffille sind aktenmfi6ig belegt, was einen Anteil von mehr als 2 % ergibt; jeder 50. Suizid stand also mit Wohnungsverlust in engem Zusammenhang, der in solchen Ffillen sicher als zentraler, auslOsender F a k t o r - wenn auch wohl nie einzige Ursache! - angesehen werden kann. 5~3 1240 auswertbare Akten bei gesamt 1404 Suizidfallen in diesem Zeitraum; pro Person konnten mehrere Umst~mde aktenma6ig genannt sein; die Summe der einzelnen Aspekte ist daher grO6er als die Gesamtsumme far diesen Bereich. Auf die unzweifelhaft hohe ,,Dunkelziffer" nicht registrierter F~,lle far zahlreiche der angefahrten Aspekte sei ausdracklich hingewiesen.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalit~t in der Steiermark
331
Spezifische Suizidprtivention bei Menschen, die aufgrund 6konomischer oder familiarer Umstfinde (im Falle von Wegweisungen handelt es sich ja um gewaltt~itige Personen, deren Familie tempor~r vor denselben geschtitzt werden soll) ihre Wohnung verlieren, ware demnach unbedingt vonnOten. ,,Gew6hnliche" Wohnungswechsel, also Umztige von einer privaten Wohnung in eine andere, fallen gegenaber zwangsweisen Wohnungsraumungen weit h~ufiger vor, sodass ein in 25 Ffillen feststellbarer zeitlicher Zusammenhang als vergleichsweise geringe Anzahl anmutet; dennoch ist es beachtenswert, dass auch solche Lebensperioden wohl mit hOheren Suizidrisiken verbunden sind (eine exakte Ermittlung erscheint hier unmOglich). Auch Untersuchungs- oder Strafhaft z~hlen zu besonders suizidgef~hrdenden Situationen (siehe dazu Kapitel 1); mindestens 9 Suizidfalle der Jahre 2000 bis 2004 ereigneten sich in diesem Kontext. Deutlich hfiufiger stellen sich demgegenaber aber die Suizide in Pflege- und Seniorenheimen dar; zwar erfolgte sicher nur ein kleiner Tell dieser SelbsttOtungen primar ,,wegen" des Aufenthalts ebendort - es ist ja schon das erh6hte Suizidrisiko von Senioren generell in Betracht zu ziehen -, nichtsdestoweniger erscheint es im Hinblick auf pr~iventive Mal3nahmen jedenfalls angebracht, auch hervorzuheben, dass 3 % aller untersuchten Suizide in derartigen Einrichtungen begangen wurden. Noch h~ufiger fanden SelbsttOtungen von Patienten psychiatrischer Einrichtungen statt; anhand der sicherheitsbehOrdlichen Akten ergibt sich eine Anzahl von 44 Suiziden in den Jahren 2000 bis 2004, wobei 26 Suizidenten im LNKH, heute Landesnervenklinik Sigmund Freud, untergebracht waren (nur ein kleinerer Teil der Suizide ereignete sich aber auf dem Anstaltsgel~nde), 12 bei Patienten von (sonstigen) psychiatrischen, neurologischen und neurochirurgischen Kliniken und 6 bei Bewohnern anderer Einrichtungen wie betreuter Wohngemeinschaften Nr psychisch Kranke u.~i. Der Anteil der ,,Anstaltssuizide" yon psychiatrischen und neurologischen Patienten an der Gesamtheit aller Suizide ist so mindestens mit 3,5 % zu veranschlagen. Mindestens 11 Personen t6teten sich nach den sicherheitsbehOrdlichen Akten im Zeitraum yon 2000 bis 2004, wfihrend sie Patienten in allgemeinen (d.h. nicht-psychiatrischen oder neurologischen) Abteilungen yon Krankenhfiusem in der Steiermark waren, was einem Anteil yon fast 1 % entsprfiche, die tatsfichliche Rate war aber deutlich hOher, da schon far den Teilzeitraum yon 2002 bis 2004 nach den Daten der Sozialversicherungsanstalten 24 derartige Ffille, also mehr als doppelt so viele, vorliegen. 5~4 Drei weitere Suizide fielen nach sicherheitsbehOrdlichen Daten bei Bewohnern sonstiger Anstalten (Blinden- und Taubstummeneinrichtungen, Rehabilitationszentren u.~i.) vor. Summiert man die Zahlen der Suizide, welche die Insassen von Anstalten jeglicher Art betrafen (unter Abzug der Suizide in nicht-anstaltlichen psychosozialen Einrichtungen), ergibt sich eine Anzahl von 98, was einem Anteil von fast 8 % aller Suizide entspricht. Zahlreiche weitere Suizide stehen aber im Kontext yon Anstaltsaufenthalten und fallen entweder in die Zeit unmittelbar nach 5~5 oder vor solchen; hierzu ist nattirlich yon einer besonderen Lackenhaftigkeit der aktenkundig gewordenen Angaben auszugehen; so kann etwa hinsichtlich karzlich - das heil3t maximal einen Monat - zurackliegender Aufenthalte 514Eine der Erklarungen hierfar darfte sein, dass nicht in allen Fallen, in welchen die Verstorbenen das Krankenhaus unmittelbar vor ihrem Suizid verlassen hatten, in den Akten auf diesen Umstand der bestandenen Unterbringung hingewiesen wird. 515 Dass eine Entlassung aus einer psychiatrischen Einrichtung oder aber auch aus einer anderen Anstalt als belastende Situation erlebt werden kann - als welche sie hier begriffen wird - mag auf den ersten Blick unverstandlich anmuten, ist aber eine gesicherte Tatsache der sozialwissenschaftlichen und psychologisch-psychiatrischen Forschung (siehe hierzu Kapitel 1).
332
3 Ergebnisse der Studie
in psychiatrischen Anstalten eine entsprechende Angabe lediglich in 13 Suizidakten der Jahre 2000 bis 2004 gefunden werden, wfihrend die tatsfichliche Anzahl von Personen, die kurz nach solchen Aufenthalten Suizid begingen, aber sicherlich h0her sein muss, da schon ~ r den Zeitraum 2002 bis 2004 ein Vergleich der Daten der letztmaligen Entlassungen mit psychiatrischen Diagnosen mit den Sterbedaten eine Anzahl von 36 innerhalb eines Monats nach Austritt aus der jeweiligen Institution durch Selbstt0tung verstorbenen Kranken ausweist. 516 Auch hinsichtlich der zurt~ckliegenden Krankenhausaufenthalte wegen somatischer Erkrankungen muss anhand der Daten der Sozialversicherungen von einem deutlich hOherem Wert als dem in der Tabelle ft~r die sicherheitsbeh0rdlich vorhandenen Angaben ausgegangen werden (siehe hierzu weiter oben). Was aber wiederum nur aus den polizeilichen Akten erhellt, und anhand der Sozialversicherungsdaten zu Krankenhausaufenthalten nicht greifbar wird, ist der Umstand, dass auch bevorstehende Anstaltsunterbringungen, sei es im psychiatrischen Bereich oder anderswo, als krisenhafte Situationen erlebt werden, und zu Suizidhandlungen beitragen k0nnen. Entsprechendes ist in den untersuchten Akten 11-mal ~ r bevorstehende Hospitalisierungen in psychiatrischen Einrichtungen und 10-mal f~r bevorstehende Aufenthalte in Allgemeinkrankenhfiusern dokumentiert, drei weitere Male hinsichtlich sonstiger anstaltlicher Institutionen des Sozial- und Gesundheitswesens. Insgesamt muss also festgehalten werden, dass nicht nur aktuelle Aufenthalte in Anstaltseinrichtungen, sondern auch die ,,Obergfinge" in und aus solchen Einrichtungen ~ r die Betroffenen - die ja gew0hnlich auch unter sonstigen psychosozialen Belastungen leiden, weshalb sie diese Einrichtungen ja in Anspruch nehmen sollen - als kritische Phasen begriffen werden mtissen, in welchen Suizidrisiken wahrscheinlich oftmals erh0ht sind, weshalb suizidprfiventive Maf3nahmen auch in solchen Situationen besonders angebracht wfiren. Ein weiterer Aspekt, der in den Akten t~ber Suizidfalle immer wieder zur Sprache kommt, ist jener yon belastenden Ereignissen und Zustanden in Zusammenhang mit Berufstfitigkeit, wobei gew0hnlich entweder Arbeitsplatzverlust oder grof3er und andauernder Druck im Rahmen eines bestehendes Arbeitsverhfiltnisses angesprochen werden; solche ,,berufliche Probleme" im letzteren Sinn - seien sie nun auf zu grol3en Leistungsdruck und/oder auf ,,Mobbing" zurt~ckzuft~hren, was aus den Akten meist nicht deutlich ersichtlich wird -, konstatierten die erhebenden Sicherheitsbeamten bei 50 (bis kurz vor ihren Tod) erwerbstfitig gewesenen Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004; da die Gesamtzahl der Erwerbst~.tigen unter 1240 Fallen aber bei nur 338 lag, stellt dies einen Anteil yon 14,8 % an denselben dar! Mindestens jeder 7. Suizid von aktiv erwerbstd~tig gewesenen Personen stand so auch mit beruflichen Schwierigkeiten in Zusammenhang. Betrachtet man die einzelnen Kategorien von Erwerbstfitigen gesondert, so zeigt sich, dass berufliche Probleme bei Selbstfindigen (ohne Landwirte) am hfiufigsten explizit als Suizidmotive in den Akten angegeben werden - n~,mlich bei fast einem Ft~nftel aller Suizidenten dieser Kategorie -, gefolgt von den Arbeitnehmern mit einem Anteil von 15 % und den Landwirten mit einer Quote von 10 %. In den Kategorien Selbstfindige und Landwirte sind die Fallzahlen aber relativ gering, sodass diese Reihung durchaus auch durch Zufallskomponenten mitbedingt sein kann.
s16Zu beachten ist, dass diese Entlassungen teilweise sicher aus nicht-psychiatrischen bzw. nicht-neurologischen Abteilungen erfolgten; dennoch dt~rfteeine Diskrepanz im oben festgestellten Sinn vorliegen.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
Tabelle 228:
333
H~ufigkeiten der Registrierung beruflicher Schwierigkeiten erwerbstfitig gewesener Suizidenten in den beh6rdlichen Akten (2000-2004) nein Arbeitneh mer Selbst~indige Landwirte Gesamt
ja
gesamt
214
37
251
85,3%
14,7%
100%
38
9
47
80,9%
19,1%
100%
36
4
40
90,0%
10,0%
100%
288
50
338
85,2%
14,8%
100%
In weiteren 134 von 1240 untersuchbaren Suizidfallen waren die Verstorbenen besch~iftigungslos; dies entspricht einem Anteil von knapp 1 1 % . In der grogen Mehrzahl dieser Suizidf~ille wird man die Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen Okonomischen wie sozialen Deklassierung wohl als eine Teilursache, aber nicht als eine ,,alleinige Ursache" des erfolgten Suizids begreifen massen. Explizit von den erhebenden Sicherheitsbeamten in den Akten als Suizidmotiv genannt wird Arbeitsp|atzverlust bzw. schon l~inger andauernde Besch~iftigungslosigkeit in 34 dieser 134 FNle, einem Viertel der Gesamtzahl. In vier weiteren Ffillen wurde bei noch berufstfitigen Arbeitnehmern der bevorstehende Verlust des Arbeitsplatzes als ein Grund far die Selbstt0tung angegeben. Gesondert erhoben wurde weiters - als Analogon zu ,,beruflichen Problemen" von Erwerbstatigen - die Registrierung von sozialem oder psychischem Druck im Rahmen von Schule bzw. Universitfit als Suizidmotiv bei Schalem und Studenten: Entsprechende Angaben finden sich in den Suizidakten zu 9 durch SelbsttOtung verstorbenen Schtilern bzw. Studenten, was einem Drittel der Gesamtzahl von 27 dieser Kategorie zuzuordnenden Suizidenten entspricht. Ebenfalls untersucht wurde - abgesehen v o n d e r Frage nach Berufstfitigkeit oder Arbeitslosigkeit - wie oft in den Akten zu den Selbstt6tungen explizit wirtschaftliche Notlagen als ein Suizidmotiv angegeben wurden; das Ergebnis, das wohl nur als bedrtickend bezeichnet werden kann, lautet: In 131 yon 1240 Suizidfdllen, also bei mehr alsjedem zehnten
Todesfall dutch SelbsttOtung, wird in den behOrdlichen Erhebungsakten auf die wirtschaftliche Notlage des Verstorbenen als ein Motiv des Suizids hingewiesen. Die tats~chliche Anzahl der Suizidenten, die unter Okonomisch und sozial deprivierten Bedingungen gelebt hatte, ist demgegenUber natiMich noch deutlich hOher einzusch~itzen, wie aus den vorangegangenen ErOrterungen (Beschfiftigungslosigkeit, niedrig qualifizierte und bezahlte Berufstfitigkeiten usw.) schon hervorgegangen ist. Betrachtet man die 131 Suizidf~ille, in we|chen Okonomische Grtinde explizit angefahrt wurden, n~her, so zeigt sich, dass in 50 Ffillen von ,,hohen Schulden" berichtet wird, 517 in 5 dieser Todesf~ille in 517Nicht in allen Fallen wurde dabei die HOhe dieser Schulden in den Akten auch nur annahrend quantifiziert; es kann aber angenommen werden, dass es sich jeweils um Betr~agehandelte, die mehrere Jahreseinkommen der Betroffenen darstellten. Solche finanziellen Abhangigkeiten haben natarlich die Bedeutung starke, gewOhnlich langfristig wirkender und psychisch belastender Einschrankungen der HandlungsmOglichkeiten.
334
3 Ergebnisse der Studie
Zusammenhang mit einem Firmenkonkurs von Selbstandigen, die danach Suizid begingen. In den restlichen 81 Ffillen wird allgemein eine ,,finanzielle Notlage" konstatiert, die sicherlich zu einem betrfichtlichen Teil ebenfalls mit vorhandenen Schulden verbunden war, sowie fast immer mit einem niedrigen, tatsfichlich zur Lebenshaltung zur V e r ~ g u n g stehenden Einkommen. 5~8
Tabelle 229:
Registrierte Ffille von Okonomischen Notlagen der Suizidenten
H
%
keine
1109
89,4
finanzielle Notlage aligemein
81
6,5
hohe Schulden
50
4,0
Total
1240
100
Klassifiziert man die Suizidenten, hinsichtlich derer das Vorliegen Okonomischer Suizidmotive konstatiert wurde, nach ihren Erwerbstfitigkeiten, zeigt sich, dass unter den Suizidenten, die selbstfindig waren, finanzielle Notlagen besonders hfiufig als Suizidursachen angefftihrt wurden (in 25 von 47 Todesfallen, 53 %),5~9 gefolgt - wenig tiberraschend - v o n den beschfiftigungslos gewesenen Suizidenten, hinsichtlich deren in 43 von 134 Ffillen (32 %) Okonomische Motive ausdr~cklich a n g e ~ h r t werden; in der Klasse der berufstfitigen Arbeitnehmer trifft dies auf 3 5 von 251 Suiziden zu (14 %), bei den Landwirten auf 4 von 40 (10 %); eher gering sind die entsprechenden Anteile in der Residualkategorie (7 %), aber besonders auch unter den Pensionisten (2 %) sowie Schtilern und Studenten (0 %). Neben den Angaben zu diesen Hauptbereichen menschlichen Lebens - familifire Verhfiltnisse, Wohnsituation, Berufstfitigkeit und allgemein Okonomische Verhfiltnisse (es fehlt die im engeren Sinn sexuelle Sphfire, weil tiber sie bezeichnenderweise in fast keinem Einzelfall Informationen zu erheben waren 52~ - wurden schlieBlich auch Angaben zu anderen Problemen im sozialen Bereich, welche gemaB den sicherheitsbeh6rdlichen Akten als suizidffordemd bzw.-auslOsend betrachtet wurden, erfasst. Gemeinsam ist diesen Hinweisen, dass sie relativ selten auftreten; sie lassen sich in folgende Gruppen zusammenfassen: Probleme im zwischenmenschlichen Bereich, die weder Partner bzw. Familie, noch Arbeitsplatz und Berufstfitigkeit oder staatliche Organe betreffen; es handelte sich vomehmlich um Konflikte im Freundeskreis bzw. mit Nachbam; solche werden 24mal genannt (ca. 2 % der untersuchbaren Suizidfalle 2000-2004)
5~8In vier weiteren Fallen, die in jener Gesamtzahl von 131 nicht inkludiert sind, wurde ein ,,finanzieller Verlust" als ein Suizidmotiv genannt, welcher abet offensichtlich nicht die OkonomischeExistenz bedroht hatte. 519 Us ist aber anzunehmen, dass die finanzielle Lage von Unternehmern bei Todesfallen im Durchschnitt auch genauer betrachtet wird als die von Arbeitnehmern, sodass ein Teil des erhOhten Anteils von derartigen Angaben auf diesen Bias zurtickzuftihren sein k6nnte. Nichtsdestowenigerwird man aber wegen der spezifischen Risiken dieser Erwerbstfitigkeitenjedenfalls eine t~berproportionale Quote von durch finanzielle Probleme mitbedingten Suiziden bei Selbst~digen annehmen k0nnen. 52oAusgenommen sind die - sehr selten auftretenden - Falle, in welchen der SelbsttOtungsakt vom Suizidenten in einem expliziten sexuellen Bezug (insbesondere Erregung dutch Strangulation) gesetzt wurde. Siehe dazu weiter tlnten.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark 9
9
9
33 5
Probleme durch Kontakte mit Vertretern 6ffentlicher Institutionen (Beamte des Sozial-, und Gesundheitswesens, Sicherheitsorgane, Beamte der allgemeinen Verwaltung usw.), die als dematigend erlebt wurden; derartiges wird insgesamt 26-mal berichtet, was ebenso 2 % der untersuchten 1240 SuizidfNle entspricht. TM Offensichtlich als traumatisch erlebte Abnahmen des Ftihrerscheins bzw. Beschlagnahmungen des Kraftfahrzeugs der Betroffenen; in 27 Suizidf'allen lassen sich entsprechende Geschehnisse im Vorfeld des Suizids anhand der Akten dokumentieren; auch hiervon ist also etwa jeder 50. Suizidfall (2 %) tangiert. SchlieBlich wurde noch der Aspekt bevorstehender ambulanter medizinischer Behandlung als explizit genanntes Suizidmotiv erfasst (zu bevorstehenden Anstaltsaufnahmen als AuslOser flit Suizide siehe welter oben); hierauf wird in 15 Todesf~illen durch SelbsttOtung hingewiesen (mehr als 1% der 1240 analysierten Ffille).
Neben Hinweisen auf sozia|e Bedingungen der Suizidhandlungen enthalten die untersuchten Akten, wie eingangs schon festgestellt wurde, nattirlich immer wieder auch Angaben zu psychischen Problemen der Suizidenten, und nicht nur auf psychische Erkrankungen, sondem auch auf einzelne Symptome bzw. Devianzerscheinungen, die allenfalls als Symptome psychischen Krankseins begriffen werden kOnnen, zum Tell aber auch PersOnlichkeitsmerkmale darstellen. Auch auf den Aspekt der Introversion wurde welter oben schon Bezug genommen; daneben wurden in den Akten vielfach dauerhafte Aggressivitfit sowie stfindige ,~ngste thematisiert. Die entsprechenden Hfiufigkeiten sind im Folgenden zusammengefasst: Tabelle 230."
In den Suizidakten thematisierte mentale Charakteristika bzw. Zustfinde der Suizidenten s22 Mentale Charakterisierungen
H
%
,,Introve rtie rt h eit"
64
5,2
dauerhafte Aggressivit~it
79
6,4
st&ndige Angste
99
8,0
darunter." Angst vor Krankheit bzw. Krankheitsfolgen
69
5, 6
psychisches Trauma nach Unf~illen
40
3,2
chronische Schmerzen
105
8,5
Ein betrfichtlicher Tell der Suizidenten zeigte diesen Daten nach also betrfichtliche psychische AuffNligkeiten; klassifiziert man diese Ffille nochmals, je nachdem, ob auch das Vorliegen einer psychischen Erkrankung in den Akten konstatiert wurde, oder nicht, ergibt sich folgendes Bild: 523
Ohne Fahrerscheinabnahmen und behOrdlicheBeschlagnahmungdes PKW, siehe dazu den folgenden Punkt. 522Die prozentualen Angaben beziehen sichjeweils auf die Gesamtzahl von 1240untersuchten Suizidfallen. 523Die hier angegebenen Prozentwerte beziehen sich auf die Verteilung auf als psychisch krank bezeichnete bzw. nicht als psychisch krank bezeichnete Personen.
521
336
3 Ergebnisse der Studie
Tabelle 231."
In den Suizidakten thematisierte mentale Charakteristika bzw. Zustande und ihr Zusammenhang mit der Verzeichnung psychischer Erkrankungen
Psychische Erkrankungen
als psychisch krank bezeichnet
nicht als psychisch krank bezeichnet
Mentale Charakterisierungen
H
%
H
%
,,Introvertiertheit"
33
52
31
48
dauerhafte Aggressivit~it
31
61
48
39
st~ndige ,~,ngste
45
45
54
55
darunter: Angst vor Krankheit(sfolgen)
32
46
37
54
psychisches Trauma nach Unf~llen
17
42
23
58
chronische Schmerzen
39
37
66
63
Es lasst sich also feststellen, dass keineswegs nur far Personen, die ,,ohnehin" auch als psychisch krank betrachtet wurden, in den Akten Beschreibungen auff~.lliger psychischer Symptome gemacht wurden; auch dies ist im Ubrigen ein deutlicher Hinweis dafter, dass die tatsachliche Rate psychisch Kranker unter den Suizidenten jedenfalls weit h/3her einzuschatzen ist als die der Falle, in welchen dies explizit ange~hrt wird. Nichtsdestoweniger sollten die angeftihrten Merkmale keinesfalls ,,blo6" als Ausdruck psychischer Erkrankungen gewertet werden; am klarsten verst~.ndlich ist dies wohl far die Kategorie ,,chronische Schmerzen", denn wie schon ausge~hrt wurde, litt ja ein betrachtlicher Anteil der Suizidenten an erheblichen k0rperlichen Erkrankungen; tatsachlich ergibt eine entsprechende Kreuztabellierung, dass ft~r 88 der 105 Suizidenten, ftir welche das Vorliegen erheblicher und dauernder Schmerzen in ihrer letzten Lebensphase konstatiert wurde, auch eine k0rperliche Erkrankungen in den Akten verzeichnet ist. In den 17 restlichen Fallen ist dies allerdings nicht der Fall. Insgesamt ergibt sich eine Quote von 8,5 % der Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004, in welchen das Merkmal ,,Schmerzen in der letzten Lebensphase" registriert wurde, mindestens jeder 12. Suizident war also hiervon betroffen; eine erhebliche Dunkelziffer ist auch hier wiederum anzunehmen. Relativ haufig konnte den Akten welters andauernde Aggressivitat der Suizidenten entnomrnen werden; insgesamt trifft dieses Merkmal auf mehr als 6 % zu; noch haufiger wurden aber mit einem Anteil yon 8 % - und damit ahnlich oft wie k/3rperliche Schmerzen vehemente Angste festgehalten; hier ist aber jedenfalls ein tatsachliches Vorwalten bei einem Vielfachen der ausgewiesenen Anzahl anzunehmen. Beachtenswert erscheint aber, dass sich ein gro6er Anteil der bekannt gewordenen Angste auf Erkrankungen (k0rperlicher oder psychischer Art) und deren Folgen - wie Anstaltsunterbringungen, Pflegebedarftigkeit u.a. - bezogen; die Angste der Suizidenten - die insbesondere die ,,Abhangigkeit" von anderen Menschen tangieren - waren dabei sicherlich teils berechtigt; im Hinblick auf diese Problemstellung erscheinen suizidpraventive Maf3nahmen besonders gefordert. 524
524 Angst vor Kontrollverlust erscheint dem Studienautor als ein wichtiges gemeinsames Merkmal zahlreicher Situationen, in welchen Suizidalit~ttauftreten kann.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
337
Absolut bemerkenswert ist auch, dass in den Suizidakten fiir 3 % der untersuchten Ffille ein vorangegangenes (oft erst kurz davor stattgefundenes) Trauma durch einen Unfall rekonstruiert werden konnte. Zu 16 Suizidffillen (fiber 1 % ) ist weiters bekannt, dass die Betroffenen sich durch medizinische Eingriffe und Behandlungen (Operationen, Chemotherapie, Dialyse u.a.) schwer beeintrfichtigt fahlten. Was das im Zusammenhang mit Suiziden medial immer wieder besonders thematisierte Ph~inomen des Satanismus betrifft, ist festzuhalten, dass unter den 1240 untersuchbaren Suizidfallen der Jahre 2000 bis 2004 lediglich 1 Suizidfall auszumachen war, in welchem von Seiten der SicherheitsbehOrden eine eingehende Besch~iftigung mit entsprechenden Ideologien festgestellt werden konnte. 525 Neben den erOrterten Merkmalen, die sich sfimtlich auf lfingerfristig Bestand habende mentale Zustfinde beziehen, wurde auch untersucht, inwieweit die sicherheitsbehOrdlichen Akten kurzfristige mentale Beeintr~ichtigungen unmittelbar vor dem Suizid - insbesondere durch Drogengebrauch - dokumentieren; auch fiar diese Fragestellung ist aber yon einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen, da erstens keineswegs alle Suizidenten obduziert werden und zweitens nicht alle Ergebnisse von Obduktionen in die Erhebungsberichte einfliegen, sondern nur jene, die als ermittlungsrelevant betrachtet werden. Bei weitem am hfiufigsten, nfimlich in 70 Suizidf~illen, wurde diesbezaglich der Konsum einer erheblichen Menge Alkohols konstatiert (ca. 6 % von 1240 Akten zu Todesf~illen), in 10 F~llen (knapp 1%) die Einnahme illegaler Drogen (teils kombiniert mit Alkohol); ein Suizidfall fand kurz nach einer Gehirnoperation statt. Erwfihnt sei auch, dass in drei der 1240 Suizidf~ille (0,2 %) bei der Suizidhandlung eine eindeutige Komponente sexueller Erregung (bei Strangulation) vorlag. 526 Schwangerschaft als eine besondere, auch mentale Verfindemngen hervorrufende Lebensphase ist lediglich in einem Suizidfall dokumentiert; auch hier muss aber eine gewisse - wenn auch wohl nicht allzu hohe - Dunkelziffer angenommen werden.
3.3.24 Ndhere Umstdnde der Suizidhandlungen selbst Auch die n~heren Umstfinde der Suizidhandlung sollten in der vorliegenden Studie erfasst werden, wobei zum einen die in der offiziellen Todesursachenstatistik integrierten Aspekte der (3rtlichkeit, wo der Suizid verfibt wurde, sowie der Suizidmethode betrachtet wurden, zum anderen auch der Fragestellung nach Suizidanktindigungen sowie Abschiedsbriefen und dem Vorfallen so genannter ,,erweiterter Suizide" nachgegangen wurde. Die im Hinblick auf mOgliche PrfiventionsmaBnahmen wichtige Frage nach der H~iufigkeit etwaiger Ankandigungen der Suizide ist zugleich eine besonders schwer beantwortbare, ist doch die Grenze zwischen eindeutigen ,,Suizidanktindigungen" und weniger deutlichen Hinweisen auf eine mOgliche Suizidgefahr nicht klar zu ziehen, vor allem nicht bei der hier ausschlief31ich m6glichen Bearbeitung von Aktenmaterial. Aus diesen Granden vom Studienautor zunfichst nicht far eine Erfassung im Rahmen der vorliegenden Studie vorgesehen, wurde dieser Aspekt nach einer ersten Arbeitsphase, welche die Bearbeitung der SuizidfNle im Wirkungskreis der Bundespolizeidirektion Graz umfasste, nachtrfiglich 525Nicht berficksichtigt sind hier F~lle, in welchen von irgendeiner Seite eine Involvierung in satanistische Zirkel 0.~. behauptet wurde, dies abet nicht verifiziert werden konnte; auch solche Suizidfalle gab es in der Steiermark im Zeitraum von 2000 bis 2004 abet nur einige wenige; sicherlich unter 10. 526Zwei dieser Todesfalle k0nnten hierbei eventueil auch als Unfalle angesehen werden, wurden aber behOrdlicherseits und auch seitens des Studienautors als intentionale Selbstt0tungen klassifiziert.
33 8
3 Ergebnisse der Studie
hinzuge~gt, sodass die verft~gbaren Daten hierzu die Suizide von Grazern weitgehend nicht ber~cksichtigen. Ft~r diese Gesamtmenge von 1044 Suizidakten lfisst sich eine Mindest-Hdufigkeit von Suizidankt~ndigungen von 24 % rekonstruieren, denn in 246 Suizidfallen enthalten die betreffenden Akten eindeutige Hinweise auf entsprechende - in den meisten Ffillen mt~ndliche - Mitteilungen an andere Personen, gew0hnlich Angeh0rige oder sonstige ihnen nahe stehende Menschen. 527 In mindestens etwa einem Viertel der Suizidfalle in der Steiermark - denn ft~r Graz wird man sicher ebenso hohe Raten postulieren kOnnen - in den Jahren 2000 bis 2004 gab es demnach vor der Durchfi3hrung der Suizidhandlung von diesem Vorhaben informiert gewesene Personen. EinschlieOlich der zahlreichen Ffille von nicht eindeutigen Suizidandeutungen, die hier nicht mitgerechnet sind, liefert dies jedenfalls ein erscht~tterndes Bild dar~ber, wie zahlreiche nachmalige Suizidenten offensichtlich von ihrem sozialen Umfeld nicht ernst genommen oder bzw. im Ausdruck ihrer Geft~hlen und NOte nicht verstanden wurden. Abschiedsbriefe (ebenfalls Dr Graz nicht erhoben) hinterlief3en 276 Suizidenten, was bei 1033 diesbezt~glich klassifizierbar gewesenen Todesfallen eine Rate von 27 % ergibt. Hinsichtlich der Ortlichkeit der Suiziddurchf'tihrung wurde die in der amtlichen Todesursachenstatistik insgesamt t~bliche Klassifikation beibehalten, welche Todesfalle in Krankenanstalten solche in anderen Anstalten, Sterbef~lle in der eigenen Wohnung der Verstorbenen, sowie sonstige Sterbef~ille unterscheidet. Im Unterschied zur Todesursachenstatistik der Statistik Austria wurde aber wegen der spezifischen Zwecke der vorliegenden Studie die Zuordnung jeweils nach dem Ort vorgenommen, an welchem die letale Suizidhandlung durchgefuhrt wurde, und nicht nach jenem, an welchem der Tod letztlich eintrat. Daher sind auch ft~r diesen Bereich nur diejenigen Suizide bei der Auswertung bert~cksichtigt worden, zu welchen sicherheitsbehOrdliche Akten auswertbar waren. Die hierzu zu ermittelnde Hfiufigkeitsverteilung ergibt, dass 42 Suizide (ca. 3 % von 1238 auswertbaren Ffillen) tatsfichlich im Gelfinde von Krankenanstalten (psychiatrischen und allgemeinen) stattgefunden hatten und 22 in anderen Anstalten (ca. 2 %); die allermeisten Suizide - 760 wurden aber in den Wohnungen der Verstorbenen ausgef't~hrt ( 6 1 % ) , ein betrfichtlicher Anteil von 414 Selbstt0tungen (33 %) erfolgte aber auch an ,,sonstigen" Orten, worunter sehr verschiedene Ortlichkeiten begriffen sind, hfiufig 0ffentlich zugfingliche Grundstt~cke in der Nfihe der Wohnadresse der Suizidenten, aber auch Verkehrsanlagen, relativ abgelegene Wald-, Grt~n- oder Wasserflfichen, in selteneren Ffillen Arbeitsstfitten, Wohnungen anderer Personen oder Offentliche Plfitze. SchlieOlich ist an dieser Stelle noch die prfiventionsbezogen etwaig ebenso relevante Verteilung der Suizidmethoden anzuft~hren; aufgrund des Umstandes, dass dieselbe sowohl in der amtlichen Todesursachenstatistik enthalten ist, wie auch in den beh0rdlichen Ermittlungsakten im Hinblick auf die Feststellung, ob ein Suizid vorliegt, eine zentrale Rolle einnimmt, sind hierzu die Daten nahezu vollstfindig vorhanden (2923 von 2929); mr den Gesamtzeitraum von 1995 bis 2004 sowie die beiden Teilperioden 1995 bis 1999 und 2000 bis 2004 ergeben sich hierbei die umseitig im Detail wiedergegebenen Verteilungen. Die Anteile der einzelnen Suizidmethoden in den beiden Teilperioden haben sich hierbei nicht wesentlich verfindert; nahezu die Hfilfte der Personen, welche sich selbst t0teten, taten dies durch Erhfingen, Strangulieren b z w . - in seltenen Ffillen - andere Formen des Erstickens; 503 Suizidf~ille ereigneten sich allerdings durch ErschieOen (i.A. mit Faust527 Nicht als Suizidank0ndigung wird hierbei das Hinterlassen eines Abschiedsbriefes verstanden, der erst nach erfolgtem Tod aufgefunden werden konnte.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
339
oder Langfeuerwaffen bzw. Schlachtschussapparaten) 528, was jedem 6. Suizid entspricht. Gegentiber anderen verbreiteten Suizidformen, bei welchen die Verbreitung der zur SelbsttOtung gebrauchten Instrumente kaum eingeschrankt werden kann (Erh~,ngen, Sturz aus groBer HOhe, Vergiftung mit Medikamenten, Ertrfinken), verdient diese Form des Suizids demnach sicher besondere Aufmerksamkeit im Hinblick auf mOgliche Prfiventionsstrategien. Dies auch deshalb, weil der Schusswaffengebrauch durchaus die MOglichkeit eines ,,raschen", relativ schmerzlosen Todes suggerieren kann. Tabelle 232." Methoden der Suizide in der Steiermark 1995-2004 Suizidmethode
1995-2004
1995-1999
2000-2004
H
%
H
%
H
%
Erh~ingen bzw. Ersticken
1428
48,9
761
49,9
667
47,7
Erschiel~en
503
17,2
280
18,4
223
15,9
Sturz aus gr61~erer H6he
240
8,2
121
7,9
119
8,5
Selbstvergiftung
231
7,9
116
7,6
115
8,2
Ertr~inken
146
5,0
76
5,0
70
5,0
Gastod
85
2,9
48
3,1
37
2,6
Erstechen u.~i.
70
2,4
27
1,8
43
3,1
vors~itzliche Unf~lle A
107
3,7
23
1,5
84
6,0
andere Suizidmethoden A
113
3,9
72
4,7
41
2,9
Gesamt
2923
100,0
1524
100,0
1399
100,0
A FOr den Zeitraum 1995 bis 1999 und damit auch for den Gesamtzeitraum beinhaltet die Kategorie ,,andere Suizidmethoden" zum Teil auch Suizide, die als ,,vors~tzliche Unftille" zu klassifizieren w~iren. Da diese Kategorie aber in der offiziellen Todesursachenstatistik teils noch nicht bestanden hatte, konnten nur jene Suizidfalle diesbez0glich anders klassifiziert werden, for welche sicherheitsbeh6rdliche Akten eingesehen werden konnten.
Die nfichst hfiufigen Suizidmethoden stellen das Sich-Hinabstarzen aus grOBeren HOhen sowie die intentionale Selbstvergiftung - i.A. mit Medikamenten-Oberdosen - dar, diese kamen in jeweils ca. 8 % der letalen Suizidhandlungen zur Anwendung. 5 % der Verstorbenen setzten ihrem Leben durch Ertrfinken ein Ende, knapp 3 % durch das Einatmen von tOdlichen Gasen (meist Autoabgase); 2 % durch ,,C)ffnen von BlutgefaBen", gewOhnlich durch Messerstiche. Andere Suizidmethoden waren in insgesamt 220 Todesfallen festzustellen (ca. 7 %), wobei mindestens 107 hiervon (knapp 4 %) vorsfitzliche ,,Verkehrsunffille" waren, die meisten davon durch absichtliches Auf-die-Gleise-legen vor herannahenden Zagen. Sonstige Suizidmethoden umfassen u.a. SelbsttOtung durch tOdliche Stromschlfige.
528Die entsprechende Kategorie der Todesursachenstatistik umfasst weiters auch ,,Gebrauch von Sprengmitteln", die Anzahl der derartigen SelbsttOtungenist aber ausgesprochen gering; aktenm~Bigdokumentiert ist ein Fall.
340
3 Ergebnisse der Studie
Ein besonders tragischer Aspekt von Suiziden ist der immer wieder vorkommende Fall so genannter ,,erweiterter Suizide", also Suizidhandlungen, denen die TOmng einer oder mehrerer anderer, meist dem Triter nahe stehenden Personen vorangeht. Immerhin sind derartige F~ille in Osterreich insgesamt, und so auch in der Steiermark, nicht allzu hfiufig, bezogen auf die Gesamtzahl der Selbstt6mngshandlungen. Betrachtet man hingegen die hierzulande relativ seltenen F~ille von Fremdt6tungen (Mord, Totschlag, tOdliche KOrperverletzung), so wird klar, dass die TOtung anderer vor Suiziden daran einen nicht unbetr~ichtlichen Teil einnimmt. Im Untersuchungszeitraum 2000 bis 2004, far welchen die polizeilichen Akten zu Suizidf'~illen groBteils analysiert werden konnten, kam es in 14 von 1237 untersuchbaren Filllen, also in etwas mehr als 1 % der Suizide, zu derartigen TOtungshandlungen; in zwei weiteren F~illen lagen Mordversuche vor, die ,,missgltickten. Bei diesen Zahlen ist aber zu berticksichtigten, dass wahrscheinlich einige weitere Fremdt0mngen von Personen, die bald danach Suizid begingen, vorgefallen sind, iiber welche die polizeilichen Akten aber- etwa wegen noch nicht abgeschlossener Ermittlungen - nicht bearbeitet werden konnten. Die tatsfichliche Anzahl der ,,erweiterten Suizide" in der Steiermark ist daher hOher einzuschfitzen und erreicht einschlieBlich der versuchten FremdtOtungen vor Suizid vielleicht einen Anteil von 1,5 % bis 2 % aller Suizide, wohl aber kaum mehr. Nicht eingerechnet sind hier aber jene Suizid-Todesf'~ille, in welchen eine Person, die einen Mord bzw. eine tOdliche KOrperverletzung begangen hat, sich ,,erst" l~ingere Zeit danach, etwa w~ihrend einer Untersuchungs- oder Strafhaft, selbst t6tet. Ebenso nicht hinzugez•hlt wurden hier die F~,lle so genannter ,,Doppelsuizide", also mehr oder weniger gleichzeitiger SelbsttOtungen zweier einander nahe stehender Personen; solche Todesf~ille sind aber extrem selten; anhand der polizeilichen Akten konnte far den Zeitraum 2000 bis 2004 lediglich eine derartige Konstellation eruiert werden. Die 14 erhobenen, tats~ichlich erfolgten ,,erweiterten Suizide" betrafen in der Mehrzahl Ehe- bzw. Lebenspartner (8 Ffille), ansonsten andere FamilienangehOrige, insbesondere Kinder oder Elternteile (6 Ffille). Der tiberwiegende Teil dieser Fremdt0tungen vor Suizid wurde von Mfinnern begangen (12 Ffille), die meisten T~iter waren zwischen 30 und 60 Jahre alt (8 Personen) oder Senioren (5 Personen), nur einer war unter 30. Tabelle 233:
,,Erweiterte Suizide" - Fremdt0tungen und Fremdtt~tungsversuche vor Suizid (2000-2004) H
%
nein
1221
98,7
ja
16
1,3
Gesamt
1237
100
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
341
3.3.25 Multivariate Analysen zu den Lebensbedingungen der Suizidenten." Clusteranalyse und thesengeleitete Kategoriebildungen Nach diesen umfangreichen ErOrterungen zur Hfiufigkeit einzelner Merkmale unter den Suizidenten und zum Vergleich derselben mit der far die GesamtbevOlkerung feststellbaren Hfiufigkeit soil nun eine tatsfichlich multifaktorielle Betrachtung erfolgen, um zu einer Typologisierung der Suizidenten nach epidemiologischen Kriterien voranschreiten zu kOnnen, welche prfiventiv zweifelsohne von groBem Nutzen wfire. Hierbei erschien es am sinnvollsten, zunfichst eine automationsgestt~tzte Methode der explorativen Gruppenbildung anzuwenden, wie sie die Clusteranalyse bietet. 529 Eine solche wurde auf Grundlage der durch das Studium der Akten der SicherheitsbehOrden gewonnenen Daten N r den Zeitraum 2000 bis 2004 durchgefahrt; als Gesamtmenge der in die Analyse einbezogenen Suizidfalle verblieben nach Ausscheidung dreier Ffille, in welchen nur unzureichend knappes Aktenmaterial vorlag, 1237. 530 Als ein wesentliches Kriterium far die entsprechenden Analysen wurde die Einbeziehung mOglichst aller inhaltlich relevant erscheinenden Parameter der Untersuchung angesehen. Es wurden verschiedene Modelle von Clusteranalysen durchgefahrt, wobei sich als prfignantester Ansatz der folgende erwies: Samtliche relevante Erhebungsparameter wurden als binfire Variable codiert, um eine Ahnlichkeitsanalyse in mOglichst einheitlicher Form zu ermOglichen; bei Parametern mit mehreren einzelnen Ausformungen, die zugleich inhaltlich von sehr verschiedener Bedeutung erschienen, wurde hierbei nicht eine, sondern wurden mehrere binomiale Variable gebildet, die jeweils das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der entsprechenden Ausprfigung ausdrackten. Dieser Modus kam hinsichtlich der Alterskategorien, der WohngemeindegrOBen, der Familienst~,nde und des Partnerschaftsstatus, der Berufspositionen und des Erwerbsstatus sowie der psychischen Erkrankungen zur Anwendung; insgesamt wurden so 62 einzubeziehende Parameter erstellt. TM Als die geeignetste 529 Vgl. hierzu bes.: Backhaus et al., Multivariate Analysemethoden, Martens, Statistische Datenanalyse. Eine aufschlussreiche Clusteranalyse yon Suizidversuchen im deutschsprachigen Raum stellt dar: Heinz Katschnig et al., Gibt es verschiedene Typen von Selbstmordversuchen? In: Rainer Welz, Hermann Pohlmeier (Hg.), Selbstmordhandlungen. Suizid und Suizidversuch aus interdisziplinarer Sicht. Weinheim-Basel 1981, S. 13-42. 53oVon den insgesamt 1404 Suizidfallen dieser Periode waren far 164 gar keine Akten verftigbar, die verbleibende Summe betrug demnach 1240. 531 In das Gruppenbildungsverfahren aufgenommen wurden: Geschlecht, StaatsangehOrigkeit, Alter (-29; 30-59; 60 +), Wohngemeindegr0Be(his 2000 Ew., 2.000-10.000 Ew., 10.000-25.000 Ew., 200.000-300.000 Ew.), Familienstand (ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden), Partnerschaft (keine bekannte, bestehend, ehemalig), Berufsposition (I-II, Ill-V, VI, VI-VIII), Erwerbsstatus (unklar/haushaltsfahrend, Pensionist, ohne Besch~ftigung, Schtiler und Studenten, Arbeitnehmer, Untemehmer, Landwirt), Bekanntheit psychiatrischer Behandlung, Bekanntheit stationarer psychiatrischer Behandlung, bekannter Suizidversuch, bekannte Suizidankandigung, bekannte psychische Erkrankung, bekannte depressive Erkrankung, bekannte sonstige psychische Erkrankung, bekannter Alkoholismus, bekannte sonstige Suchterkrankung, bekannte somatische Erkrankung, Gewalttatigkeit des Suizidenten, Suizid in der Familie des Suizidenten, unfreiwillige raumliche Trennung von AngehOrigen, Krankheit innerhalb der Familie, Todesfall innerhalb der Familie, Vorliegen yon Partnertrennung, bekanntc Partnerprobleme, bekannte Probleme mit Eltem, bekannte Probleme mit Kindern, Wohnungsverlust, Unterbringung in einer nichtpsychiatrischen Anstalt, Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt, soziale Isolation, augerberufliche Probleme, berufliche Probleme, Entlassung bzw. Arbeitslosigkeit, negative Folgen yon Delinquenz, Fahrerschein- bzw. PKW-Verlust, Okonomische Probleme, bekannte Introversion, bekannte Aggressivitat, Vorliegen yon psychischen Unfallfolgen, bekannte k0rperliche Schmerzen chronischer Art, bekannte Angstsymptome allgemein, bekannte krankheitsbezogene Angstsymptome. Nicht aufgenommen wurden hier in die Gruppenbildung selbst die regionale Zuordnung innerhalb der Steiermark sowie solche Parameter, die sich auf die Art der Suiziddurchfahrung selbst beziehen (Methode, Ort, Zeitpunkt).
342
3 Ergebnisse der Studie
Berechnungsmethode der Ahnlichkeitsanalyse erwies sich die Zurechnung nach dem ,,furthest neighbor"-Prinzip unter Heranziehung der euklidischen Distanz als EntfernungsmaB; 532 wobei zun~,chst davon ausgegangen wurde, dass eine Berechnung von mindestens flinf verschiedenen Clustern sinnvoll, eine tiber mehr als 20 Cluster hinausschreitende Analyse aber kaum mehr fruchtbar sei. Um die inhaltlichen Zusammenhfinge zwischen den einzelnen Clustern besser fassen zu k0nnen, wurde jedoch mit einer Zweiteilung der Gesamtmenge durch das automatische Analyseverfahren begonnen, dann zu einer Drei-, dann Vier-, Ft~nf- usw. Teilung fortgeschritten; bei Erreichen der 11-Teilung sowie auch der 12Teilung begannen die ermittelten Cluster aber teilweise zu klein zu werden, um nach Auffassung des Studienautors noch reprasentative Teilmengen darstellen zu k0nnen (unter 25 Personen), sodass das Verfahren beendet wurde und die 10-Teilung als am meisten detaillierte unter den sinnvollen Gruppenbildungen betrachtet werden kann. Die beim Voranschreiten der Clusterbildung von 2 bis zu 10 Kategorien ermittelten Ahnlichkeitsverhfiltnisse sind im umseitigen Diagramm (Abbildung 31) zusammengestellt: Die r()mischen Zahlen bezeichnen hierbei die ermittelten Gruppen, wie sie im Laufe des Fortschreitens von nur zwei bis hin zu zehn Clustern auftreten; die hochgestellten Indices hinter ihnen beziehen sich auf den jeweiligen Schritt der Gruppenbildung (1. Zahl; der Platzersparnis halber steht in der letzten Zeile, in welcher 10 Cluster angef'uhrt sind, ,,0", anstelle ,,10") sowie die jeweilige Ordnungszahl, welche dem entsprechenden Cluster bei automatischer Nummerierung zukommt (2. Zahl); in Klammern folgt die jeweilige Anzahl der zugeordneten Suizidfalle. Da die folgenden Er/Srterungen hauptsfichlich auf der 10-gliedrigen Clusterbildung basieren, wurde weiters eine Benennung der einzelnen hierbei ermittelten Gruppen vorgenommen (Buchstaben von A bis J). Betrachtet man das Diagramm, so zeigt sich, dass die zehn unterschiedenen Cluster ihrer Ahnlichkeit untereinander nach besonders gut in vier bzw. sechs Verbande zusammenfassbar sind, welche eben den Clusterbildungen in 4 bzw. 6 Kategorien entsprechen; bei ersterer ergeben sich 3 Gruppen mit annfihernd hoher Fallzahl zwischen 200 und 260 und eine groBe Kategorie, welche t~ber 500 Suizidfalle beinhaltet; bei der Gliederung in 6 Kategorien spaltet sich jene letztgenannte in zwei Teilcluster auf, welche bis zur 10Gliederung unverfindert bleiben. Die Cluster (bei 10er-Gliederung) A, B und C, D und E, F und G sowie H, Iund J bilden somit besonders zu beachtende Ahnlichkeitsverbfinde. In der Clusterbildung mit 10 Gruppen beinhalten die einzelnen derselben zwischen 44 und 351 Suizidf~,lle, sind also ihrem Umfang nach durchaus inhomogen; nach diesen Vorbemerkungen sollen nun die inhaltlichen Resultate vorgestellt werden, wobei im Haupttext nur Kurzcharakteristiken der ermittelten Cluster gegeben werden. Die ermittelten Merkmalsverteilungen im Detail sind im Folgenden je nach Interesse den jeweiligen Anmerkungen zu entnehmen, die Cluster fihneln einander nfimlich in etlichen Parametern doch sehr, sodass eine Aufzfihlung sfimtlicher Parameter im Haupttext allzu viele Wiederholungen mit sich gebracht und den Lesefluss wohl zu sehr gehemmt hfitte.
532Vgl. hierzu im Detail: Martens, Statistische Datenanalyse, S. 245-266, Backhaus, Multivariate Analysemethoden, S. 260-321.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
343
Abbildung 31" l]lbersicht fiber die Clusterbildungen zu den Suiziden in der Steiermark (2000-2004)
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3 E r g e b n i s s e der Studie C l u s t e r A (I), 151 F N l e ; 12 % der G e s a m t h e i t ( 1 2 3 7 S u i z i d f N l e in der S t e i e r m a r k 2 0 0 0 - 2 0 0 4 ) : D e p r e s s i v e , p e n s i o n i e r t e alte M e n s c h e n b e i d e r l e i G e s c h l e c h t s n a c h T o d des P a r t n e r s , in K r a n k h e i t s - und I s o l a t i o n s s i m a t i o n e n , m e i s t ohne s c h w e r e O k o n o m i s c h e P r o b l e m e 533
533 In dieser Kategorie befanden sich etwa gleich viele Manner wie Frauen (52% vs. 48%; wahrend im Gesamtdurchschnitt aller Cluster die Manner 75 % stellen. Hinsichtlich des Alters befanden sich 0 im Alter zwischen 10 und 29 und nur 17 (11%) zwischen 30 und 59; dagegen der aberwiegende Tell, 134 Personen, in der Altersklasse aber 60 (89 %); das Durchschnittsalter far diesen Cluster betragt 74 Jahre (Standardabweichung 13), ein deutlich abet den Werten aller anderen Cluster gelegenes Datum. Bis auf 1 Person waren alle Inlander. Dem Familienstand nach waren die Suizidenten dieses Clusters in drei Vierteln der Falle (74 %) verwitwet, sonst fast immer geschieden (21%); jedenfalls zu 99 % (!) in einem Zustand des vorangegangenen Partnerverlustes lebend (gegenOber ds. 30 %). Zudem waren die Suizidenten dieses Clusters fast alle bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden (92 % Pensionisten), ansonsten am haufigsten noch als Unternehmer tatig (5 %); sie gehorten tendenziell eher den mittleren und hOheren Sozialschichten an (von 25 vorhandenen Berufsangaben in dieser Kategorie lassen sich nut 2 den Arbeiterschichten zuordnen, 12 dagegen abten akademische Berufe, Leitungsfunktionen und selbst~ndige Tatigkeiten aus). Hinsichtlich der WohnortgrOge ist vor allem zu bemerken, dass diese Teilkategorie yon Suizidenten aberproportional haufig in der Landeshauptstadt Graz lebte (31% gegenaber ds. 19 %) und seltener als im Durchschnitt in landlichen Kleingemeinden. Die Personen in diesem Cluster befanden sich etwas seltener als andere Suizidenten bekanntermagen in facharztlich-psychiatrischer Behandlung, galten in den Erhebungsakten der Sicherheitsbehorden aber besonders haufig, namlich in 76 % der Falle (versus ds. 51%), als psychisch krank, wobei Depression die bei weitem h~ufigste Diagnose darstellt (69 %). Andere psychische Erkrankungen werden etwa gleich haufig genannt wir far den Gesamtdurchschnitt, Alkoholismus dagegen deutlich seltener angegeben (5 % gegenaber 12 %) und andere Suchterkrankungen gar nicht. Vorangegangene Suizidversuche und Suizidankandigungen sind nut wenig seltener angemerkt als far den Durchschnitt; etwaige Unterbringung in psychiatrischen Anstalten zum Zeitpunkt der Suizidhandlung spielt in dieser Suizidentenkategorie gar keine Rolle. Dagegen sind bei aber der Halfte der Betroffenen dieses Clusters (54 %) gravierende k~rperliche Erkrankungen bekannt (gegenabet 29 % in der Gesamtheit), und 16 % der Personen dieses Clusters befanden sich zum Zeitpunkt der letalen Suizidhandlung in Kranken- Pflege- oder Versorgungsanstalten (ds. 4 %). Was Hinweise der Sicherheitsbeht~rden betrifft, so sticht vor allem der Verlust yon Angeh/3rigen (meist des Partners) durch Tod hervor, der in 27 % der Falle in den Erhebungsakten explizit als Suizidfaktor vermerkt wird (gegent~ber ds. 9 %), aber tatsachlich - 74 % waren ja verwitwet - in welt mehr Suizidfallen eine Rolle gespielt haben darfte. Suizide innerhalb der Familie, Gewaittatigkeit des Suizidenten selbst sowie Krankheit und Behinderung von Familienangeh~rigen spielen in Cluster A dagegen keine gr/3gere Rolle als in der Gesamtheit; Probleme mit bestehenden Partnerbeziehungen werden bei den diesem Cluster zugeordneten Suizidenten so gut wie nie angefahrt (1 Person). Entsprechend dem hohen Durchschnittsalter werden auch problematische Beziehungen gegent~ber den eigenen Eltern als ,,Suizidfaktoren" kaum angegeben (1 Nennung); dagegen werden persOnliche Probleme mit den eigenen Kindern in 8 % der Falle angefahrt. Was das aul3erfamiliare Umfeld betrifft, so wird vor allem soziale Isolation far Cluster A relativ haufig als Kausalfaktor angegeben, n~mlich in 5 % der Falle, wahrend berufliche Probleme, Probleme im Freundeskreis usw. gar keine Rolle spielen (jeweils 0 Nennungen) und auch etwaig kurzfristig eintretende Krisensituationen wie Ftihrerschein- und Wohnungsverlust nut eine marginale (je 1 Nennung). Allgemeine Okonomische Schwierigkeiten (Schulden, Armut) sind im Vergleich zu den anderen Teilgruppen seltener (4 % gegenaber ds. 10 %). Hinsichtlich der beobachteten mentalen Zust~de der Betroffenen vor ihrer Suizidhandlung ist bei zwei Aspekten, bei Aggressivitat wie auch bei psychischen Beeintr~chtigungen durch Unfalle, etwa durchschnittliche Hfiufigkeit festzustellen; wahrend Introversion selten angegeben wird. (Diese Relation ist abet mit besonderer Skepsis zu betrachten, da angenommen werden kann, dass angesichts der in der gegenwartigen Gesellschaft geltenden Verhaltensnormen ein zurackgezogener Lebensstil u.a. bei alten Menschen weniger augenfallig wird als bei jangeren.) ~mgste verschiedenster Art, insbesondere aber Angste vor Krankheit und/oder Anstaltsunterbringung spielen dagegen als mentale Begleitfaktoren eine besonders grol3e Rolle (15 % aktenmagige Nennungen vs. ds. 8 %); akute Schmerzen in der letzten Lebensphase werden etwas haufiger festgehalten. Betreffend der konkreten Suizidumstfinde, die zwar nicht als determinierende Variable in die Berechnungen far die Clusterzuordnung einbezogen wurden, jedoch nachtraglich mit der Clusterverteilung kreuztabelliert, ergibt sich folgendes: Die Betroffenen des Cluster A suizidierten sich h~ufiger in den eigenen Wohnungen (68 %) und zu einem gewissen Anteil auch in Pflegeanstalten u.a. (5 %), durchschnittlich haufig (3 %) in Krankenhausern. Unter den angewandten Suizidmethoden sind Ertranken (12 %) und Sturz in die Tiefe (13 %) aberproportional vertreten. In diesen Zahlen spiegeln sich zweifellos die eingeschr~kten physischen M0glichkeiten alterer Menschen wider.
3.3 M i k r o s o z i a l e A n a l y s e n z u r S u i z i d a l i t f i t in d e r S t e i e r m a r k
345
C l u s t e r B ( X ) , 6 4 Ffille, 5 % d e r S u i z i d e n t e n : M e n s c h e n m i t t l e r e n A l t e r s , hfiufig in psychiatrischer Behandlung, mit bekannten vorangegangenen Suizidversuchen nach Ende einer Beziehung
TM
534 Hinsichtlich des Geschlechts verteilen sich die dem Cluster B zuzuordnenden Suizidenten exakt nach dem Gesamtdurchschnitt, also 75 % m~nnlichen und 25 % weiblichen Geschlechts. Charakteristisch ist zun~.chst die sehr homogene Altersstruktur im mittleren Bereich: 94 % der Suizidenten waren zwischen 30 und 60 (ds. 48 %), nut 2 unter 30, in die Kategorie ,60 Jahre und alter" f'allt kein einziger (in 2 Fallen ist das Alter unbekannt). Das Durchschnittsalter liegt bei 45 Jahren. Der Cluster ist auch hinsichtlich der StaatsangehOrigkeit fast vOllig homogen (1 Ausl~,nder). Die Analyse des Familienstandes zeigt, dass diesem Cluster ein ganz betrgchtlicher Anteil von Geschiedenen zuzurechnen ist ( 6 1 % vs. ds. 12 %), wohingegen alle anderen Familienstande viel seltener aufireten, als im Gesamtdurchschnitt (9 % Ledige, 22 % Verheiratete, 6 % Verwitwete). Besonderes Unterscheidungskriterium far diesen Cluster ist aber offensichtlich der Status der ,,ehemaligen Partnerschaft" zum Suizidzeitpunkt, der auf 92 % der Betroffenen zutriffi (allgemein 30 %), wahrend nur in einem einzigen Fall eine bestehende Partnerschaft angegeben ist. Betreffend der WohnortgrOBe ist hier ein gewisses Uberwiegen der etwas grOBeren Gemeinden mit 2-10.000 Einwohnern festzustellen, auch Graz ist etwas aberdurchschnittlich vertreten. Die wenigen vorhandenen genaueren Berufsangaben zeichnen kein auffalliges Bild; bemerkenswert ist abet, dass auch hinsichtlich des sonst meist eruierbaren Erwerbsstatus hier in fast der H~lfie der F~lle keine klaren Angaben oder die Angabe ,,Hausfrau" zu finden sind (48 % vs. ds. 15 %). Pensionisten sind in diesem Cluster, sicher auch in Zusammenhang mit der Altersstruktur, selten (13 % vs. 45 %), Studenten und Schaler, abet auch Landwirte gar nicht vertreten, Arbeitnehmer sind etwas unterreprasentiert, explizit Arbeitslose dagegen wieder eher haufig, ebenso abet Unternehmer (8 % vs. 4 %). Ein sehr groBer Anteil der Betroffenen befand sich bekanntermal3en in psychiatrischer Behandlung (56 % vs. 24 %), dies gilt ebenso far den spezifischeren Bereich der station~,ren Behandlung ( 4 1 % vs. 17 %). Auch Suizidversuche lassen sich in diesem Cluster h~ufig feststellen, mit 3 1 % gleich haufig wie in Cluster i, und damit doppelt so off als im Gesamtdurchschnitt (15 %). Im Unterschied zu Cluster i sind hier jedoch auch die registrierten Suizidankandigungen mit 27 % besonders hgufig (Durchschnitt: 20 %). Folgerichtig zur hohen Zahl bekannter psychiatrischer Behandlungen ist aber auch der Prozentsatz der aberhaupt festgestellten psychischen Erkrankungen hier sehr hoch (77 % vs. 51%), wobei, wie gewOhnlich, die Depressionen den Hauptanteil stellen (64 % vs. 45 %). Auch sonstige schwere psychische StOrungen werden in diesem Cluster abet off genannt (13 % vs. 7 %), dasselbe gilt far diverse Suchterkrankungen auBer Alkoholismus (8 % vs. 3 %), w~.hrend der letztere als insgesamt am meisten verbreitete Drogensucht hier in etwa durchschnittlich haufig ist. KOrperliche Krankheiten werden in 17 % der F~,lle vermerkt (ds. 29 %). Unterbringung in allgemeinen Krankenanstalten spielt far diese Kategorie yon Suizidenten abet keine Rolle, jene in psychiatrischen Anstalten durchschnittlich off. Wahrend vorangegangene Suizide in der Familie hier gar keine Rolle spielen, wird Gewaltt~tigkeit des Suizidenten selbst relativ haufig vermerkt (5 % vs. 3 %), relativ deutlich stechen auch unfreiwillige Trennungssituationen yon FamilienangehOrigen in diesem Cluster als disponierender Faktor hervor (6 %). Krankheit yon Familienmitgliedern wird dagegen vergleichsweise selten angegeben, gleichfalls Todesf~,lle von AngehOrigen. Hervorstechendes Charakteristikum des Clusters B ist aber eine mit 58 % Nennungen extreme H~,ufigkeit yon Partnertrennungen als sicherheitsbehOrdlich erhobener Suizidumstand, dem ein Gesamtdurchschnitt yon nur 12 % gegenabersteht. Partnerprobleme - was sich im Allgemeinen auf noch bestehende Beziehungen bezieht - werden hier dagegen nicht genannt. Probleme mit Eltern oder eigenen Kindern sind ebenfalls unterdurchschnittlich off angegeben, soziale Isolation und Probleme in Freundeskreis und Nachbarschaft etwa durchschnittlich off. Auffallig ist in dieser Kategorie abet der ziemlich hohe Anteil yon 8 %, in welchem Verlust der Wohnung als ein zum Suizid fahrender Faktor genannt ist (vs. ds. nur 2 %) - dieser Umstand steht zweifelsohne mit der hohen Haufigkeit yon Partnertrennungen in Zusammenhang. Berufsbezogene Probleme, Arbeitslosigkeit, aber auch Fahrerscheinverlust treten hier gar nicht oder nut in einem Einzelfall als genannte Faktoren auf; Okonomische Probleme werden aber doch in 9 % der Ffille angefahrt (Durchschnitt: 10 %). Bemerkenswert ist welter der mit 8 % hohe Anteil yon registrierten Leidenssituationen aufgrund eigener Delinquenz (Gesamtheit: 4 %). Im mentalen Bereich ist hier ein unterreprasentativer Anteil yon Charakterisierungen als ,,introvertiert" zu bemerken, w~,hrend Aggressivit~t mit 9 % Nennungen einen hohen Wert erreicht (vs. 6 %). Fast keine Rolle spielen hier Angste und traumatische Unfallfolgen (je nur 1 Nennung), aber auch Schmerzen sind selten angefahrt (5 % vs. ds. 9 %). Far die konkreten Suizidumst~nde ergibt die Zuordnung des Clusters folgendes Bild: Far die Verteilung der Inzidenzorte zeigt sich ein geringerer Anteil von Wohnungssuiziden (52 % vs. 62 %) und ein erhOhter Anteilswert ,,sonstiger" Orte (44 % vs. 33 %), far den Anstaltsbereich eine durchschnittliche Verteilung. Bei den Suizidmethoden treten vors~tzliche Verkehrsunfalle mit 11%, Vergifiungen mit 14 % und Gastod mit 6 % jeweils etwa doppelt so haufig als im Gesamtdurchschnitt auf, ErschieBen und Erh~gen dagegen um einiges seltener.
346
3 E r g e b n i s s e der Studie C l u s t e r C (VII), 44 Ffille, 4 % der G e s a m t h e i t : M e n s c h e n m i t t l e r e n A l t e r s m i t p s y c h i s c h e n E r k r a n k u n g e n , oft a u c h S u c h t e r k r a n k u n g e n , s o w i e familifiren P r o b l e m e n , hfiufig a u c h b e r u f l i c h e n und O k o n o m i s c h e n P r o b l e m e n s3s
535 Dieser quantitativ kleinste Cluster umfasst 44 Personen, die sich zu 80 % aus M~nern, zu 20 % aus Frauen zusammensetzen. Die Alterstruktur gleicht jener in Cluster B stark: Es handelt sich fast ausschlieBlich um Personen mittleren Alters zwischen 30 und 60 (93 % vs. in der Gesamtheit 48 %; nut 1 bzw. 2 Falle betreffen hier 15bet60- bzw. Unter-30-J~rige). Das Durchschnittsalter liegt bei 43 Jahren. Nut ein einzelner Fall betrifft einen NichtOsterreicher. Betreffend den Familienstand ergibt sich ein sehr hoher Anteil Geschiedener (36 % vs. 12 %), wahrend Verwitwete gar nicht (sonst im Durchschnitt 14 %) und Ledige auch deutlich unterrepr~sentiert sind (16 % vs. 28 %). Verheiratete sind etwas ~berdurchschnittlich vertreten (48 % vs. 44 %). Damit in Zusammenhang ergibt sich auch ein t~berdurchschnittlicher Anteil von Personen mit ehemaliger Partnerschaftsbeziehung (39 % vs. 30 %), abet auch von solchen mit bestehender Partnerschaft (59 % vs. 48 %), wahrend ,,keine eruierbare Partnerschaft" so gut wie nicht vorkommt (1 Fall). Das Kriterium der WohnortgrOBe zeigt hier ein Oberwiegen von Kleingemeinden (46 % vs. 34 %), mittelgroBe Gemeinden sind etwa durchschnittlich vertreten, die grOBeren Stadte dagegen nur gering und auch Graz etwas unterdurchschnittlich (16 % vs. 19 %). Ft~r diese Kategorie sind trotz ihres geringen Umfangs zahlreiche Berufsangaben vorhanden; diese ergeben, dass fast alle Suizidenten dieser Kategorie entweder Angesteilte und Dienstleister (57 %) oder Arbeiter (41%) waren. Die Betrachtung hinsichtlich des Erwerbsstatus zeigt, dass tatsachlich auch alle diesem Cluster Zugeordneten erwerbstatige Arbeitnehmer waren. Hinsichtlich einer ,,psychiatrischen Vorgeschichte" ist bier ein Anteil von 34 % (vs. im Durchschnitt 24 %) feststellbar, ft~r stationare Behandlung ergeben sich 20 % (vs. 17 %). Suizidversuche sind etwas h~ufiger als im Gesamtdurchschnitt, Suizidankt~ndigungen etwas seltener festzustellen. Der Anteil yon bekannten psychischen Erkrankungen liegt dagegen mit 86 % eklatant hoch (wie sonst nur die Cluster H und i; Durchschnitt: 51%). Auch bier stellen dabei die Depressionen den Hauptanteil (77 %, allgemein. 45 %); andere psychische Erkrankungen im engeren Sinn sind nicht besonders haufig angegeben; jedoch ist ein Anteil von 25 % festgestelltem Alkoholismus absolut auffallig (hOchster Weft; Durchschnitt 12 %) und sind auch andere Suchterkrankungen t~berproportional (5 % vs. 3 %). Somatische Erkrankungen sind hier weniger relevant, aber doch auch in 14 % der F~lle festzusteilen (vs. 29 %). Unterbringung in ailgemeinen Krankenanstalten ist bier kein gesonderter Faktor (0 Nennungen), sehr wohl aber der aktuelle Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung (9 % vs. 4 %). Suizid in der Familie des Suizidenten ist bier auch vergleichsweise haufig verzeichnet (7 % gegent~ber durchschnittlich 2 %), gleichfalls Gewalttatigkeit des Suizidenten, aber auch unfreiwillige Trennungssituationen der Familie, Krankheit und Tod von FamilienangehOrigen. Partnerprobleme sind durchschnittlich oft genannt, Partnertrennungen dagegen mit 30 % eklatant gehauft (Aligemein: 12 %). Auch Probleme mit den eigenen Eltern finden sich - vor allem angesichts des Alters der Betroffenen t~berraschenderweise - oft angegeben (9 % vs. 3 %), weiters sind auch Probleme mit den Kindern t~berdurchschnittlich vertreten (7 % vs. 4%). Keine Auffalligkeiten zeigen sich in diesem Cluster betreffend Wohnungsverlust, sozialer Isolation und nachbarschaftlichen Problemen, diese werden jeweils nut einmal genannt, was einem etwa durchschnittlichen Anteil entspricht. Probleme am Arbeitsplatz werden dagegen hier so haufig wie in keiner anderen Kategorie angeft~hrt ( 2 1 % gegenOber in der Gesamtheit 6 %), und auch aktenmaBig bekannte wirtschaftliche Probleme generell erreichen den betrachtlichen Wert yon 18 % Nennungen, (gegent~ber einem Durchschnittsanteil yon 10 %). Entlassungen werden hier abet nicht speziell angefOhrt; Delinquenzfolgen treten nicht besonders hervor; Ft~hrerscheinverlust wird ebenfalls zweimal angegeben. Was mentale Probleme belangt, so zeigt sich bier, abgesehen von Schmerzen und krankheitsbezogenen Angsten, die nur selten angegeben werden, stets eine gewisse Oberreprasentiertheit: Aggression wird in 9 % der Falle angegeben (vs. 6 %), Introversion in 7 % (vs. 5 %), diverse Angste ebenso in 7 % der F~lle (allgemein 2 %), und psychische Unfallfolgen kommen zweimal vor (5 %, sonst: 3 %). Die Verteilung der Orte des Suizids zeigt hier keine st~xkeren Abweichungen vom Gesamtdurchschnitt; die Suizidmethoden Selbstvergiftung (14 % vs. 7 %), Gastod (7 % vs. 3 %) und Erh~gen (57 % vs. 50 %) sind h~ufiger, ErschieBen und tOdlicher Sturz dagegen seltener, Ertr~_nken und andere seltenere Methoden hier dagegen gar nicht vertreten. Auff~llig ist in diesem Cluster der mit 14 % bei weitem hOchste Anteil yon registriertem Alkoholgebrauch vor dem Suizidakt (vs. 6 %).
3.3 M i k r o s o z i a l e A n a l y s e n z u r Suizidalitfit in der S t e i e r m a r k
347
C l u s t e r D (IV), 148 Ffille, 12 % der G e s a m t h e i t : A l l e i n s t e h e n d e , m e i s t n i c h t e r w e r b s tfitige M e n s c h e n , S e n i o r e n , a b e r auch j u n g e E r w a c h s e n e , die nie in p s y c h i a t r i s c h e r B e h a n d l u n g w a r e n , j e d o c h v i e l f a c h an k O r p e r l i c h e n K r a n k h e i t e n litten 536 536 Cluster D umfasst weitere 12 % der Suizidenten, wobei die Geschlechterverteilung hier 79 % M~ner und 21% Frauen betr~gt, also etwas mehr M~.nner vertreten sind, als eine gleichm~13ige Geschlechterverteilung der Suizidenten auf alle Cluster ergeben warde. Bemerkenswerterweise teilen sich die diesem Cluster zuzuordnenden Personen hinsichtlich ihres Alters, trotz eines ,,unauff~lligen" Mittelwertes von 57 Jahren (Ds. 54) weitgehend in zwei sehr heterogene Teilgruppen, n~.mlich in 60 % 12/ber-60-J~hrige (vs. ds. 40) und 30 % Unter-30-Jahrige (vs. 12 %), w~,hrend die mittlere Alterskohorte der 30 bis 59-J~rigen mit 10 % hier vOllig unterrepr~sentiert ist (Ds. 48 %). Keine Besonderheiten ergeben sich far die StaatszugehOrigkeit (2 % auslandische Staatsbarger). Die diesem Cluster zugehOrigen Suizidenten sind fast alle entweder ledig (56 %, ds. 28 %) oder verwitwet (35 %, ds. 14 %), Verheiratete und Geschiedene sind bier nur Einzelf~lle (1 bzw. 4 Nennungen bei 148 Personen) und lebten dementsprechend zu einem ganz aberwiegenden Teil nicht in einer Partnerschaft (nur 10 % gegent~ber 48 % im Gesamtdurchschnitt), wobei 44 % (vs. 30 % im Durchschnitt) dem Status ,,ehemalige Partnerschaft" zugeordnet werden kOnnen. Hinsichtlich des Erwerbsstatus dominieren Pensionisten diesen Cluster klar (60 %, ds. 45 %), was ja grob auch der Altersverteilung entspricht, Besch~ftigungslose sind mit 14 % leicht aberrepr~sentiert (ds. 11%), dagegen aktive Arbeitnehmer mit gleichfalls 14 % gegenaber einem Durchschnittswert von 20 % hier deutlich seltener vertreten. Unternehmer und aktive Landwirte spielen hier so gut wie keine Rolle (0 bzw. 2 Falle); die restlichen Personen verteilen sich auf die Kategorien ,,Hausfrauen/Personen mit undefiniertem Status" (7 %) sowie ,,Schaler und Studenten" (5 %). Die vorhandenen Angaben zu den Berufen lassen eine gewisse Tendenz zu sozial ,,niedrigeren" Schichten erkennen. Betreffend der WohnortgrOBen ergibt sich, dass die diesem Cluster ZugehOrigen besonders haufig in Kleingemeinden unter 2000 Einwohnern lebten ( 4 1 % vs. 34 %), seltener dagegen in (nach steirischen Verh~.ltnissen) mittelgroBen Kommunen mit 2-10.000 Ew. (nur 30 % vs. ds. 38 %), und etwa durchschnittlich h~.ufig in grOBeren Stfidten sowie der Landeshauptstadt Graz. Das die diesem Cluster zugeordneten Suizidenten haupts~.chlich verbindende Merkmal ist augenscheinlich das einer fehlenden ,,psychiatrischen Vorgeschichte" - zumindest gem~g den Akten der SicherheitsbehOrden war kein einziger (!) der 148 Suizidenten dieser Kategorie vor seinem Tod in einschl~,giger fach~.rztlicher Behandlung, weder ambulant noch station~,r. Dem korrespondiert eine ziemlich geringe Rate sicherheitsbehOrdlich festgestellter psychischer Erkrankungen (18 %, im Gesamtdurchschnitt sind es 51%), die fast ausschlieglich auf,,Depressionen" entfallen (16 %, ds. 45 %). Dieser Cluster weist auch die geringste Quote von bekannten vorangegangenen Suizidversuchen auf (6 %, vs. ds. 15 %), w~rend Suizidanldlndigungen aber nicht viel seltener registriert wurden, als im Gesamtdurchschnitt (18 % vs. 20 %). Auch das Vorliegen von Drogen- und Medikamentensucht erscheint durchschnittlich haufig (3 % Nennungen), wenn man den Alkoholismus ausgeklammert, dessen gesondert erhobene Quote bier nur bei 3 % liegt, also weit unter dem Durchschnitt von 12 % aktenm~Big als Alkoholiker bekannten Suizidenten. Dafar ist der Anteil von Personen mit bekannten kOrperlichen Erkrankungen mit 40 % in diesem Cluster wiederum ausgesprochen hoch (ds. 30 %), ahnliches gilt far die Rate der unter dem Tod von FamilienangehOrigen Leidenden unter den Suizidenten, die hier 16 % betr~gt (ds. 9 %). Zumindest durchschnittlich oft spielen in diesem Cluster auch Partnertrennungen eine Rolle (12 %). Spezifischere Erscheinungen wie Suizidalit~.t in der Familie, Krankheit oder Behinderung yon FamilienangehOrigen, Gewaltt~tigkeit des Suizidenten im Familienkreis, oder unfreiwillige r~umliche Trenhung yon FamilienangehOrigen sind dagegen in diesem Cluster deutlich seltener zu beobachten als in anderen (1%, 2 %, 2 %, 0 %), und auch Probleme in bestehenden Partnerbeziehungen spielen bier, dem geringen Anteil solcher entsprechend, natarlich kaum eine Rolle (1% vs. 11%). Durchschnittlich hfiufig finden sich Probleme der Suizidenten mit Eltern bzw. Kindern. Hinsichtlich der Wohnsituation l~sst sich far diesen Cluster nur eine leicht erhOhte Rate von in Kranken- und Pflegeanstalten Untergebrachten feststellen (6 %; in einer psychiatrischen Anstalt war niemand untergebracht). Ein nicht unbetrachtlicher Anteil von 5 % der Suizidenten dieser Kategorie wird in den Erhebungsakten als introvertiert beschrieben, und mindestens 11 der 148 bier zusammengefassten Personen hatten offensichtlich schwer unter den Folgen eigener Delinquenz zu leiden (7 %, ds.4 %). Berufliche Probleme, einschlieglich Entlassung, treten dagegen in den Akten zu diesen Fallen etwa gleich oft auf wie im Gesamtdurchschnitt, ~.hnliches gilt far Okonomische Probleme insgesamt und Probleme im Freundeskreis u.~. Auch betreffend mentaler Zust~mde lassen sich in Cluster D far etliche Parameter keine Auffalligkeiten beobachten, so far Aggressivitfit und Introversion sowie Angste verschiedener Art. Die gesondert betrachteten, krankheitsbezogenen Angste sind dagegen in diesem Cluster mit 10 % besonders h~ufig vertreten, ebenfalls registriertes Leiden an somatischen Schmerzen (14 % vs. 9 %), welches in diesem Cluster den hOchsten Anteilswert erreicht. Der Anteil yon zum Zeitpunkt des Suizids in Krankenanstalten, Pflegeheimen u.a. untergebrachten Menschen ist hier mit zusammen 9 % deutlich aberproportional (ds. 5 %). Betreffend der Suizidmethoden ergibt sich eine in etwa durchschnittliche Verteilung.
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3 Ergebnisse der Studie
C l u s t e r E ( V I I I ) , 58 Ffille, 5 % d e r G e s a m t h e i t : M~,nner m i t t l e r e n A l t e r s , m i t o f t m a l s aggressivem bzw. introvertiertem Charakter, ohne bekannte psychische Erkrankung, a b e r off m i t S u c h t e r k r a n k u n g e n s o w i e m i t 6 k o n o m i s c h e n u n d b e r u f l i c h e n P r o b l e m e n ( A r b e i t s l o s i g k e i t ) , b e s o n d e r s n a c h E n d e e i n e r P a r t n e r b e z i e h u n g 537
537 Cluster E beinhaltet 5 % der Suizidenten, wobei hier die Geschlechterdifferenz am starksten ausgepragt ist: 93 % sind M~nner, nur 7 % Frauen. Auch hinsichtlich des Alters ist diese Kategorie eine der homogensten: 57 von 58 zugerechneten Personen batten ein Lebensalter zwischen 30 und 60 Jahren (98 %, vs. 48 % in der Gesamtheit, nut einer war alter). Das durchschnittliche Alter liegt bei 44 Jahren. Hier stellen auslandische Staatsbarger einen Anteil yon 5 % (3 Falle, vs. 2 % allgemein). Die Betrachtung des Familienstandes zeigt bei dieser Kategorie, wie bei Cluster B, einen ganz aberproportionalen Anteil von Geschiedenen (60 % vs. 12 %), wahrend Ledige (7 % vs. 28 %) und Verwitwete (3 % vs. 14 %), abet auch Verheiratete (28 % vs. 44 %) klar unterreprasentiert sind. Noch deutlicher zeigt die Analyse des Partnerschafis-Status, dass hier ein far diesen Cluster distinktives Merkmal vorliegt: 93 % lebten in einem Zustand ,,ehemaliger Partnerschaft" (allgemein: 30 %), ein Wert der lediglich yon Cluster A abertroffen wird, wobei dort allerdings das Verwitwet-Sein den Hauptgrund darstellte. Die restlichen 7 % lebten in einer bestehenden Partnerschafi (Gesamtheit: 48 %). Diese Suizidenten wohnten eher in etwas grOBeren Gemeinden mit 2.000-10.000 Einwohnern (45 % vs. 38 %), seltener dagegen in Kleingemeinden (26 % vs. 34 %), in den grOBeren Stadten und Graz sind sie ungefahr durchschnittlich vertreten. Hinsichtlich der vorhandenen Informationen zu Berufstatigkeiten ergibt sich eine klare Tendenz zur Arbeiterschafi (mindestens 48 % der Suizidenten des Clusters), die sich sonst nirgends so ausgepragt finder. Die Verteilung des Erwerbsstatus zeigt einen enorm hohen Anteil Arbeitsloser (31%, vs. 11%), 4 1 % sind als Arbeitnehmer anzusehen (allgemein nut 20 %), und 9 % als Landwirte (vs. 3 %); demgegent~ber ist hier der Pensionistenanteil sehr niedrig (5 % vs. 45 %), unklarer Status bzw. ,,Hausfrau" als Angabe liegen etwas unterdurchschnittlich oft vor, Schaler und Studenten sind bier gar nicht zugeordnet, Unternehmer nur in einem Einzelfall. Seltener als im Durchschnitt waren diese Suizidenten zuvor schon in bekanntermal3en psychiatrischer Behandlung gewesen (14 % vs. 24 %, far den stationaren Bereich 12 % vs. 17 %), auch vorangegangene Suizidversuche sind seltener bekannt (10 % vs. 15 %), Suizidankandigungen circa durchschnittlich haufig. Noch deutlicher heben sich aber die far das Vorhandensein einer psychischen Erkrankung vor dem Suizid ermittelten Werte yon denen der Gesamtheit ab: Nur 10 % Nennungen far diesen Cluster stehen einem Durchschnitt von 5 1 % gegenaber. Bei diesen Erkrankungen handelte es sich ausnahmslos um Depressionen (9 %, vs. 45 %) bzw. nicht definierte Krankbeitsformen. Eine ganz betrachtliche Rolle spielen dagegen der Alkoholismus (22 %, vs. 12 %) sowie andere Suchtkrankheiten (7 % vs. 3 %). Nur in einigen Fallen liegen zudem kOrperliche Krankheiten vor (7 % vs. 29 %). Keine Rolle als spezifische Faktoren spielen hier, korrespondierend mit dem Gesagten, aktueller Aufenthalt in allgemeinen oder psychiatrischen Krankenanstalten (0 Nennungen); Suizid in der Familie wird nur in einem Fall angefahrt, gleichfalls Tod im Familienkreis (2 %, vs. 9 %); Krankheit von AngehOrigen fehlt bier ganz als ermitteltes Motiv. Allerdings sind unfreiwillige Trennungen vergleichsweise oft genannt, insbesondere aber Gewalttatigkeit des Suizidenten selbst (9 % vs. 3 %). Einen sonst nicht erreichten Wert erzielen hier aber Partnertrennungen als explizite Suizidmotive (67 % vs. 12 %), Partnerprobleme in einer Beziehung werden nur einem Fall genannt, Probleme mit Kindern gar nicht, Probleme mit den Eltern etwas haufiger als im Durchschnitt. Den hOchsten Weft aller Kategorien erreicht bier auch der Faktor Wohnungsverlust, der in 10 % der Falle angegeben ist (Durchschnitt: 2 %). Durchschnittlich oft, also eher selten, werden noch Probleme in Freundeskreis bzw. Nachbarschaft angefahrt, dasselbe gilt far soziale Isolation als spezifisches Kriterium. Delinquenzfolgen werden etwas seltener genannt, Fahrerscheinverlust in 5 % der Falle (allgemein: 2 %). So haufig wie in keinem anderen Cluster tauchen hier Okonomische Umstande als explizite Suizidfaktoren auf ( 3 1 % vs. 10 %), Entlassung und Arbeitslosigkeit ist mit 14 % (vs. 3 %) bier am zweithaufigsten angefahrt. Auch andere berufsbezogene Probleme sind mit 9 % Nennungen aberproportional vertreten. Im psychischen Bereich werden Angste fast hie angegeben (1 Nennung), Schmerzen nur selten (3 % vs. 9 %); psychische Unfalltraumen sind durchschnittlich haufig, die charakterlichen Merkmale Introversion und Aggressivitat dagegen besonders oft genannt (10 % bzw. 14 %). Betreffend die konkreten Suizidumst~de zeigen die Inzidenzorte keine abweichende Verteilung, auger dem Fehlen von Kranken- und anderen Anstalten. Die Suizidmethoden zeigen ein besonders seltenes Vorkommen allgemein eher seltener Vorgangsweisen wie Ertranken und Erstechen, auch das sonst etwas haufigere Hinabstarzen findet sich hier nur in einem Fall, wahrend Gastod etwas haufiger ist als im Durchschnitt. Vergiftungen und vorsatzliche Unfalle finden sich durchschnittlich off (je 7 %). Seltener dagegen wieder trat ErschieBen auf (9 % vs. 16 %); dagegen kam es in Cluster E besonders haufig, in 66 % der Falle, zu Erh~gen (allgemein 50 %).
3.3 M i k r o s o z i a l e A n a l y s e n z u r Suizidalitfit in der S t e i e r m a r k
349
C l u s t e r F (III), 351 F N l e , 28 % der G e s a m t h e i t : V e r h e i r a t e t e , m e i s t s c h o n p e n s i o n i e r t e M e n s c h e n hOheren, teils m i t t l e r e n A l t e r s , m i t D e p r e s s i o n e n , teils a u c h m i t kOrperlic h e n E r k r a n k u n g e n 538
538 Bei Cluster F handelt es sich um den weitaus grOgten der l0 in dieser Analyse gebildeten Teiikategorien; er umfasst 351 steirische Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004, also fast ein Drittel der untersuchten Gesamtheit (28 %). Hinsichtlich der Geschlechterverteilung aberwiegen auch hier die M~ner, wenn auch mit 69 % nicht so deutlich wie im Gesamtdurchschnitt. Das durchschnittliche Alter in diesem Cluster liegt mit 64 Jahren 10 Jahre aber dem Gesamtdurchschnitt (54 Jahre), die Untergliederung in drei Alterskategorien zeigt ebenso deutlich das 15berwiegen von Senioren in dieser Kategorie: 68 % der Betroffenen waren 60 oder alter, nur 32 % zwischen 30 und 60 Jahre alt, und nur ein einziger Fall (0 %) betraf einen Unter-30-Jahrigen (vs. ds. 12 %). Der Auslanderanteil entspricht dagegen mit 2 % jenem der Gesamtheit. Ein diesen Cluster auszeichnendes - und insbesondere von Cluster A unterscheidendes - Merkmal ist dagegen jenes des Familienstandes: Fast alle hier zugeordneten Suizidfalle betrafen Verheiratete (96 %), wahrend im Gesamtdurchschnitt ja nur 44 % aller Suizidenten verheiratet waren. (Die restlichen 4 % teilen sich ziemlich gleichmaNg auf Ledige, Verwitwete und Geschiedene auf). Nahezu alle Suizidenten dieses Clusters lebten, den vorliegenden Informationen nach, auch tatsachlich in einer bestehenden Partnerschaft (94 % vs. ds. 48 %). Hinsichtlich der WohngemeindegrN~en unterscheidet sich Cluster F nur leicht yon der Gesamtheit, indem sehr kleine Gemeinden (unter 2000 Ew.) zu einem gewissen Grad aberprasentiert sind (40 % vs. 34 %), Graz dagegen etwas unterreprasentiert. Einen deutlichen Unterschied gegent~ber den meisten anderen Clustern kann man hier aber in der Verteilung des Erwerbsstatus erkennen: Pensionisten stellen mehr als zwei Drittel der diesem Cluster zugeordneten Personen (69 %, vs. ds. 45 %), wohingegen alle anderen Kategorien deutlich unterreprasentiert sind, mit Ausnahme der etwa durchschnittlich repr~entierten Kategorien ,,Landwirte", ,,Hausfrauen/k.A." und ,,Selbstandige". Nur 10 % der Personen in diesem Cluster waren Arbeitnehmet. Explizit als ,,Beschaftigungslos" bezeichnete Menschen und solche, die noch in Ausbildung standen (Schiller, Studenten), sind in diesem Cluster so gut wie nicht vertreten (2 bzw. 0 Falle). Die vorhandenen Berufsangaben zeigen einen starken Anteil von Landwirten (17 % aller bekannten Angaben). Jemals in psychiatrischer Behandlung befanden sich anteilsmaNg mehr diesem Cluster zugeordnete Personen, als gemaB dem Gesamtdurchschnitt anzunehmen ware ( 3 1 % vs. ds. 24 %), dies betrifft abgeschwacht auch die stationare Behandlung ( 2 1 % vs. 17 %); noch deutlichere Unterschiede zeigen sich aber hinsichtlich von bekannten psychischen Erkrankungen aberhaupt, wo dieser Cluster einen Weft von 68 % gegent~ber einem Durchschnittswert von 51% aufweist. Innerhalb der Krankheitsformen t~berwiegen bier wieder deutlich die Depressionen (62 %, ds. 45 %); andere Erkrankungsformen werden ungefahr durchschnittlich haufig angegeben. Alkoholismus wird in 8 % der Falle genannt, damit seltener als in der Gesamtheit (12 %), andere Suchterkrankungen kommen nur ftmfmal vor (1% der Falle). Bekannte Suizidversuche und Suizidankandigungen sind bier nut geringfagig haufiger als im Gesamtdurchschnitt. Dagegen spielt (gravierende) kOrperliche Krankheit der Suizidenten in diesem Cluster wieder eine besonders starke Rolle, eine solche wird in 4 1 % der Falle in den Akten angeft~hrt (vs. 29 % insgesamt). Auch Krankheit bzw. Behinderung von FamilienangehOrigen ist in diesem Cluster ein relativ haufig angegebenes Suizidmotiv (7 %, ds. 4 %), ebenso unfreiwillige raumliche Trennung von Familienmitgliedern. Tod von FamilienangehOrigen wird bei diesem Cluster aber nur selten als Suizidfaktor angefahrt (3 %; nicht zuletzt hierin liegt ein wichtiger Unterschied zu Cluster A). Keine Rolle spielt hier weiters Gewalttatigkeit des Suizidenten selbst im Familienkreis (0 Falle) und far den Suizidenten nachteilige Folgen von Delinquenz (3 Faile); auch Partnertrennung als problematische Situation ist in diesem Cluster ziemlich selten (3 % Nennungen vs. ds. 12 %); Probleme in der Partnerbeziehung werden etwa durchschnittlich oft genannt, ebenso familiare Schwierigkeiten der Suizidenten mit ihren Kindern. Keine Rolle spielen bei den Betroffenen dieser Kategorie, entsprechend ihrem meist hOheren Alter, schwierige Beziehungen zu den eigenen Eltern (1 Nennung, 0 %). Hinsichtlich einer etwaigen Anstaltsunterbringung ergibt sich ~ r diesen Cluster eine etwa dem Gesamtdurchschnitt entsprechende Verteilung, dasselbe gilt far berufliche Probleme, Probleme im Freundeskreis und soziale Isolation. Okonomische Probleme als gesonderter Faktor werden ft~r die Suizidenten dieses Clusters sehr selten angegeben (2 % vs. ds. 10 %, der diesbezt~glich niedrigste Cluster-Wert), und auch Jobverlust und Entlassung spielen als spezifischer Faktor hier keine Rolle (1 Nennung bei 351 Fallen). Was die mentale Ebene des suizidalen Geschehens betrifft, so erscheint besonders bemerkenswert, dass in den Akten betreffend die zahlreichen dieser Kategorie zuzuordnenden Personen haufig aber Schmerzen (13 %, vs. 9 %) und recht oft auch abet Angste vor (schwerer) Erkrankung bzw. Anstaltsunterbringung berichtet wird (8 % vs. 6 %). Andere Angste und Aggressivitat werden dagegen bier kaum jemals angefahrt (je 1%), charakterliche Introversion immerhin in 4 % der Falle (ds. 5 %). Betreffend der naheren Suizidumst~de ist hier v.a. eine besondere Haufung von Suiziden in der eigenen Wohnung zu bemerken (70 % der Falle dieses Clusters, vs. ds. 62 %); das ,,Methodenspektrum" zeigt einen etwas erhOhten Anteil des Erh~gens (55 %).
350
3 E r g e b n i s s e der Studie C l u s t e r G ( V I ) 196 Ffille, 16 % der G e s a m t h e i t : M e i s t v e r h e i r a t e t e M f i n n e r m i t t l e r e n A l t e r s o h n e b e k a n n t e p s y c h i s c h e E r k r a n k u n g , die a b e r oft in p r o b l e m a t i s c h e n P a r t n e r s c h a f t s b e z i e h u n g e n lebten, v i e l f a c h als a g g r e s s i v g a l t e n s o w i e 0 k o n o m i s c h e u n d ber u f l i c h e P r o b l e m e h a t t e n 539
539 Dieser Cluster yon Suizidenten ist der zweitgrOl~te und umfasst 16 % aller erfassten Falle; er besteht zu 87 % aus Mannern, nut zu 13 % aus Frauen. Hinsichtlich der Alterskategorien t~berwiegen hier bei weitem Menschen zwischen 30 und 60, sie machen hier einen Anteil yon 88 % aus, gegenOber nur 48 % in der Gesamtheit der Suizidenten. Demgegentiber sind Unter-30-J~,hrige (5 % vs. 12 %) sowie 121ber 60-J~rige (7 % vs. 40 %) deutlich unterreprasentiert; das Durchschnittsalter liegt bei 47 Jahren. Nicht-Osterreicher spielen in diesem Cluster mit einem einzigen Fall so gut wie keine Rolle. Betreffend den Familienstand dominieren hier verheiratete Personen, die drei Viertel der Falle stellen (76 % vs. 44 %); verwitwete fehlen vOllig, ledige und geschiedene sind gegent~ber der Gesamtheit deutlich geringer vertreten. Ein noch deutlicheres Bild ergibt aber die Betrachtung hinsichtlich bestehender Partnerschaflen: Ein Anteil von 86 % Personen mit aktuell vorhandenen Partnerschaflsbeziehungen (vs. 48 % im Durchschnitt) steht nut in 2 % der Falle vOlliges Fehlen yon Partnerschaften sowie ein Anteil von 4 % ehemaligen Partnerschaflsbeziehungen gegent~ber. Die Verteilung nach WohngemeindegrOl3en zeigt nut geringe Abweichungen vom Durchschnitt, wenn man vonder Landeshauptstadt Graz absieht, die hier deutlich seltener vertreten ist (10 % vs. 19 %), alle anderen GemeindegrOl3enkategorien treten dagegen jeweils etwas haufiger auf. Die Berufsklassen lassen sich in diesem Cluster haufiger als in anderen nach den polizeilichen Angaben bestimmen; sowohl hochqualifizierte Berufe als auch in der sozialen Skala niedrig eingestufle Tatigkeiten sind relativ haufig vertreten. Die Analyse nach Erwerbsstatus ergibt hier eine gewisse Pravalenz berufstatiger Arbeitnehmer (35 % vs. 20 % insgesamt), besonders bemerkenswert ist aber auch der mit 10 % singular hohe Unternehmeranteil (vs. ds. 4 %). Landwirte sind in etwa durchschnittlich off vertreten, Beschaftigungslose etwas geringer als im Durchschnitt. Unklarer Erwerbsstatus bzw. ,,Hausfrau" sind t~berproportional (25 % vs. 15 %), Pensionisten dagegen ziemlich selten vertreten (19 % vs. 45 %), Studenten und Schiller gar nicht. Nur in Einzelfallen (3 Personen) standen die diesem Cluster zugerechneten Personen in psychiatrischer Behandlung, und nur in einer Minderheir von Fallen (12 %) wurde t~berhaupt eine psychische Erkrankung aktenkundig (12 % vs. ds. 51%), wobei es sich charakteristischerweise wiederum vorwiegend um Depressionen handelte (11%, vs. ds. 45 %), wahrend andere Diagnosen nur in 2 % der Falle auftauchen (im Gesamt: 7 %). Auch verschiedene Suchterkrankungen sind unterdurchschnittlich vertreten, dagegen war in 19 % (!) der Falle Alkoholismus bekannt (Gesamtheit: 12 %). Vorangegangene Suizidversuche wurden ft~r die Betroffenen dieses Clusters nur ziemlich selten bekannt (7 % vs. im Durchschnitt 15 %), Suizidankt~ndigungen dagegen durchschnittlich off. KOrperliche Erkrankungen der Suizidenten sind mit 17 % Nennungen nicht wirklich selten, abet deutlich seltener als im Gesamtdurchschnitt (29 %). Hervorstehendes Charakteristikum dieses Clusters ist jedoch die ausgesprochen hohe Frequenz von Partnerproblemen als genanntem Suizidmotiv; diese finden sich in 36 % der Falle (vs. gesamt 11%). Wohl nicht zuletzt in Zusammenhang damit ist hier auch der bei weitem hOchste Anteil von bekanntermal~en gewalttatigen Suizidenten zu finden (10 % vs. 3 %). Partnertrennungen werden nur in 8 % der Falle dieses Clusters angeft~hrt, wahrend sie insgesamt bei einem Anteil von 12 % auftreten. Vorangegangene Suizide in der Familie und unfreiwillige Trennungen yon AngehOrigen spielen hier nur eine sehr geringe Rolle (1 bzw. 2 Falle), und auch Krankheiten von AngehOrigen sowie Todesfalle im Familienkreis sind als Suizidfaktoren unterreprasentiert. Dasselbe gilt far Konflikte mit den eigenen Eltern, wahrend Probleme der Suizidenten mit ihren Kindern etwas Oberdurchschnittlich oft angefOhrt werden. Wohnungsverlust tritt durchschnittlich oft in den Akten auf, akute psychiatrische Unterbringung spielt hier gar keine, der Aufenthalt in einer Krankenanstalt (1 Nennung) nur eine marginale Rolle. Soziale Isolation und Probleme in Freundeskreis bzw. Nachbarschaflen sind selten (je 2 Falle), Arbeitslosigkeit wird durchschnittlich oft angegeben, dagegen allgemeine berufliche Probleme etwas haufiger. Interessanterweise findet sich in dieser Kategorie das Leiden an den Folgen eigener Delinquenz besonders haufig als Suizidfaktor angegeben (10 %, vs. ds. 4 %), noch grOl3ere quantitative Bedeutung haben aber allgemein Okonomische Probleme, die in diesem Cluster far ein Viertel der Suizidenten angegeben werden (vs. ds. 10 %). Entsprechend dem Vorangegangenen findet sich, bezogen auf den mentalen Bereich, hier Aggressivitat sehr haufig (12 % vs. 6 %), Introversion ist durchschnittlich off vertreten (5 %). Auf psychische Unfallfolgen wird ebenfalls etwa durchschnittlich oft hingewiesen. Verschiedene Angste sind mit 5 % deutlich haufiger genannt als in der Gesamtheit, speziell krankheitsbezogene Angste dagegen seltener. Auch Schmerzen werden relativ selten als Faktoren angeft~hrt. Was die naheren Suizidumstande betrifft, so sind hier Suizide in der eigenen Wohnung etwas seltener (54 % vs. 62 %), aul3erhalb derselben dagegen haufiger (44 % vs. 33 %) als in der Gesamtverteilung; die Suizidmethoden verteilen sich etwa dem Gesamtdurchschnitt entsprechend, nut sind Vergiftungen, Ertranken und C)ffnen der Blutgefal3e noch seltener, Erschiel3en jedoch mit 23 % hier am haufigsten festzustellen (vs. 16 %).
3.3 M i k r o s o z i a l e A n a l y s e n z u r Suizidalitfit in der S t e i e r m a r k
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C l u s t e r H (II), 90 Ffille; 7 % der G e s a m t h e i t : P a r t n e r l o s e , m e i s t n i c h t erwerbstfitige Mfinner m i t t l e r e n A l t e r s m i t b e k a n n t e n p s y c h i s c h e n E r k r a n k u n g e n u n d relativ oft int r o v e r t i e r t e m C h a r a k t e r , teils n a c h t r a u m a t i s c h e n E r l e b n i s s e n (Unffille, T o d v o n A n g e hOrigen) 54~
54o Die Suizidenten dieses Clusters, der mit einem Anteil von 7 % etwa jeden 14. Suizidfall umfasst, waren grOl3tenteils Manner (92 %), mit einem durchschnittlichen Alter yon 42 Jahren (gegent~ber 54 im Gesamtdurchschnitt) und nur minoritaren Anteilen von Personen unter 30 (13 %) bzw. t~ber 60 (12 %), dahingegen aber einem mit einem mit 74 % sehr deutlichen Schwerpunkt im mittleren und hOheren Erwerbsalter von 30 bis 59 Jahren (vs. 48 % in der Gesamtheit). Der Auslanderanteil liegt in dieser Kategorie bei 0. In den allermeisten Fallen waren die Betroffenen ledig (92 % gegent~ber durchschnittlich 28 %), nur drei Verheiratete (3 % vs. 44 % im Gesamtdurchschnitt) und ein Geschiedener wurden im Clusterverfahren ebenso dieser Suizidenten-Kategorie zugeordnet. In 59 % der Falle ist aus den Akten zudem nailer zu eruieren, dass wahrscheinlich noch nie eine langerfristige Partnerbeziehung bestanden hatte. Die Suizidenten dieses Clusters sind tendenzieli unteren sozialen Schichten zuzuordnen (nur 8 % der Betroffenen sind klar den mittleren und hOheren Berufsklassen zurechenbar, gegent~ber zumindest 16 % in der Gesamtheit der erfassten Suizidenten); weiters fallt auf, dass die beruflich aktiven unter den Personen dieser Gruppe haufig (9 % der Falle vs. 3 % in der Gesamtheit) als Landwirte bezeichnet wurden, nur in 10 Fallen dagegen als berufstatige Arbeitnehmer (11 vs. 20 %), und dass, wahrend Unternehmer bier so gut wie nicht vertreten sind (1 Nennung), voile 22 % als beschaftigungslos erfasst wurden (gegen~ber ds. 11%; dazu kommen noch 23 % Pensionisten, was angesichts eines Anteils von nur 12 % Ober-60-Jahrigen viel erscheint). Die Betroffenen dieser Kategorie lebten am haufigsten in Kleingemeinden bis 2000 Ew. (47 %, ds. 34 %); dagegen auffailig selten in der Landeshauptstadt(4 % vs. 19 %). Psychische Erkrankungen waren hier besonders haufig derart bekannt, dass sie auch aktenkundig wurden, namlich in 84 % der Falle (Gesamtheit: 51%), und fast vier Zehntel der Betroffenen (39 % gegent~ber ds. nur 24 %) standen aktenkundigerweise in psychiatrischer Behandlung, davon 24 % auch in stationarer Behandlung (vs. 17 % insgesamt). Depressionen werden dementsprechend in t~berdurchschnittlicher Haufigkeit konstatiert (72 % versus 45 %), aber andere schwerere psychische Erkrankungen (insbesondere Schizophrenie) treten noch t~berproportionaler auf, namlich in 18 % der Falle (vs. ds. 7 %). 22 % (!) galten welters als alkoholkrank, also mehr als doppelt so viele als in der Gesamtheit, wahrend sonstige Suchterkrankungen nicht besonders zahlreich genannt werden. Vorangegangene Suizidversuche wurden in 2 1 % der F~aile dieses Clusters behOrdlich registriert; Suizidanktmdigungen in derselben Frequenz. Die bekannten Suizidversuche sind damit in dieser Gruppe gleichfalls klar t~berproportional vertreten, w~hrend eine Unterbringung in psychiatrischen Anstalten unmittelbar vor dem Suizid bier nicht besonders haufig vorlag. Auch kOrperliche Erkrankungen sind bei den Betroffenen dieser Kategorie recht haufig verzeichnet, namlich in 18 % der Falle, was abet unter dem Durchschnittswert (29 %) for alle Suizidenten der Jahre 2000 bis 2004 liegt; in station~arer Behandlung in Krankenhausern befanden sich zum Suizidzeitpunkt nur drei dieser Betroffenen. Hinsichtlich der familiaren Umstande spielen Partnertrennung und Partnerprobleme, entsprechend dem oben erwahnten Oberwiegen partnerloser Manner in der Kategorie, nur eine marginale Rolle (4 Erwahnungen); Tod yon FamilienangehOrigen wird in 11% der FaMe, also etwa durchschnittlich oft, als Suizidfaktor angegeben. Krankheit und unfreiwillige Trennungen yon FamilienangehOrigen sowie Suizide im Familienkreis sind in diesem Cluster nicht von Bedeutung, zumindest was ihre aktenmaBige Erwahnung anlangt (0 oder 1 Falle), dasselbe gilt for Gewalttatigkeit des Suizidenten gegent~ber FamilienangehOrigen. Auch Probleme mit eigenen Kindern treten als negativer Faktor nicht hervor; in 6 % der Suizidfalle dieser Kategorie (vs. nur 3 % insgesamt) wird in den Akten aber von schwerwiegenden Problemen mit den Eltern berichtet. Probleme mit Freundeskreis, Nachbarschaft usw. sind in diesem Cluster am haufigsten yon allen vertreten (7 % vs. ds. 2 %); auch soziale Isolation wird in 4 % der Falle explizit vermerkt. Berufliche Probleme sind in 5 Fallen ausdrt~cklich angegeben, was in etwa dem Gesamtdurchschnitt entspricht; Analoges gilt for Entlassung und Arbeitslosigkeit im Speziellen (3 % Nennungen). C)konomische Schwierigkeiten sind hier seltener als in anderen Teilkategorien explizit genannt (7 %); Wohnungsverlust spielt hier keine, und Probleme mit delinquentem Verhalten so gut wie keine Rolle (2 Nennungen). FOhrerscheinverlust als etwaiger ,,auslOsender" Faktor wird in drei F~llen genannt, und ist damit selten, aber anteilsmaBig etwas haufiger als in der Gesamtheit tier 1237 Falle. Besonders oft, namlich in 12 % der Falle (vs. 5 % in der Gesamtheit), wird aber von den Erhebungsbeamten auf einen Charakterzug der Introvertiertheit der Verstorbenen hingewiesen; Aggressivitat und Angste werden dagegen selten angefohrt (3 % ft~r Aggression; 0 Falle diverser Angstphanomene und nur 2 auf Krankheitsphanomene bezogene). Betreffend der konkreten Suizidumstande lasst sich fOr Cluster H hinsichtlich der Inzidenzorte nur ein gewisses Oberwiegen ,,sonstiger" Orte - also solcher aul3erhalb der eigenen Wohnung sowie von Anstaltsorganisationen - feststellen; die Auswertung hinsichtlich der TOtungsarten zeigt eine etwas grOBere Haufigkeit ,,barter" Suizidmethoden (ErschieBen: 19 %; vorsatzlicher ,,Unfall" 10 %).
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3 E r g e b n i s s e der Studie C l u s t e r i (IX), 55 F N l e , 4 % der S u i z i d e n t e n : M e i s t im u r b a n e n B e r e i c h l e b e n d e u n d r e l a t i v hfiufig d e l i n q u e n t g e w e s e n e s o w i e als a g g r e s s i v c h a r a k t e r i s i e r t e , a r b e i t s l o s e b z w . n i c h t - e r w e r b s t ~ , t i g e M e n s c h e n jt~ngeren und m i t t l e r e n A l t e r s , die sehr oft vor b z w . wfihrend der S u i z i d h a n d l u n g I n s a s s e n p s y c h i a t r i s c h e r A n s t a l t e n w a r e n ( a b e t Suizid fast nie ankt~ndigten) TM
541 In diesem Cluster t~berwiegen gleichfalls die M~ner mit 69 %, jedoch nicht so deutlich wie im Gesamtdurchschnitt. Altersm~Ng t~berwiegen jangere, im Erwerbsalter stehende Suizidopfer eindeutig: Nur 7 % (4 Personen) waren hier 60 Jahre oder alter, dagegen 58 % im mittleren Alter zwischen 30 und 60, vor allem abet waren mehr als ein Drittel (35 %) noch jtmger als 30. Das Durchschnittsalter liegt ergo mit 39 Jahren deutlich unter dem Gesamtdurchschnitt. Der Ausl~nderanteil ist mit 4 % etwas erh0ht, angesichts der Fallzahl von nur 2 Personen kann diesem Umstand aber keine nahere Interpretationswardigkeit zugesprochen werden. Hinsichtlich des Familienstandes dominiert in Cluster i eine Kombination aus Ledigen und Geschiedenen, mit Anteilen von 76 % bzw. 18 % (nur je eine Person war verheiratet bzw. verwitwet.) Hinsichtlich einer etwaigen Partnerschaft ergibt sich aber ein etwas anderes Bild: Immerhin 38 % lassen sich als zum Todeszeitpunkt in einer Partnerschaft lebend klassifizieren (Durchschnitt: 48 %). Betreffend der Wohnorte kann eine besonders auff~,llige Beobachtung gemacht werden: Diese Suizidenten sind zum gr01~ten Teil in der Landeshauptstadt Graz wohnhaft gewesen (80 % vs. 19 % im Durchschnitt aller Cluster). Hinsichtlich der beruflichen Zuordnung ergibt sich ein kaum vom Gesamtdurchschnitt abweichendes Bild, mit einer wichtigen Ausnahme: Wahrend im Gesamtdurchschnitt 9 % der Ffiile auf Landwirte entfallen, finder sich in diesem Cluster kein einziger. Das vollst~ndiger zuordenbare Kriterium des Erwerbsstatus weist jedoch auf ein zentrales Charakteristikum dieses Clusters hin: Er besteht zu 38 % aus explizit als besch~ftigungslos bezeichneten Personen (vs. ds. 11%) und zu 11% aus Schalern und Studenten, beide Gruppen sind damit hier eminent aberrepr~,sentiert. Die restlichen F~lle verteilen sich vor allem auf einen in etwa durchschnittlich hohen Arbeitnehmeranteil und einem mit 27 % vergleichsweise geringen Prozentsatz von Pensionisten (von denen zudem nut ein Bruchteil im regul~ren Pensionsalter war). Das diesen Cluster aus der Gesamtheit heraushebende Moment ist aber offenkundig ein anderes: Bei der Gesamtheit der Suizidenten finden sich in 24 % der sicherheitsbehOrdlichen Akten Hinweise auf vorangegangene psychiatrische/neurologische Behandlung, ft~r dieses Cluster dagegen bei 9 1 % der F~_lle, wobei in 82 % auch eine station~re Unterbringung in der Vorgeschichte dokumentiert ist. Bei 89 % wird von auch explizit das Vorliegen einer psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt des Suizids angefahrt. Grund hierfar ist vor allem die hohe Rate von schwerwiegenden, vielfach chronischen psychischen Erkrankungen in diesem Cluster (Depressionen: 64 % , sonstige psychiatrische Krankheitsbegriffe aber 31%). Hierzu passt, dass diese Suizidenten auch besonders h~ufig aktenkundige Suizidversuche hinter sich batten (31%); sie kandigten ihre SelbsttOtung aber besonders selten an! (nur 6 %). Ein betr~chtlicher Anteil von 16 % wird zudem als Alkoholiker bezeichnet. An k0rperlichen Erkrankungen litten vergleichsweise wenige Personen (13 %, ds. 29 %). Hinsichtlich weiterer Suizidfaktoren ist zu bemerken: Gewaltt~tigkeit des Suizidenten selbst bzw. das Leiden an eigener Delinquenz, abet auch Krankheit bzw. Behinderung von Familienmitgliedern und unfreiwillige r~umliche Trennung von denselben werden hie bzw. fast hie angegeben (0 bis 1 F~lle). (Betreffend der in Graz lebenden Suizidenten, die ja den Grogteil dieses Clusters darstellen, l~sst sich aber der ganz betr~chtliche Anteil von 35 % yon Delinquenz gemal~ polizeilichen Vorakten feststellen!) Probleme mit Partnern, Eltern oder Kindern werden wiederum kaum angefahrt (je 1 Fall; auch Partnertrennungen spielen mit 4 % Nennungen nur eine untergeordnete Rolle); was freilich nicht bedeutet, dass solche Probleme nicht auch existiert haben daftten, sie traten aber wohl in der Wahrnehmung gegenaber anderen Umst~nden in den Hintergrund. Relativ haufig findet sich ein Hinweis auf vorangegangene Suizide in den Familien tier Suizidenten (6 % vs. ds. 2 %). Fragt man nach den Wohnverhaltnissen zum Todeszeitpunkt, so zeigt sich hier eine weitere deutliche Differenz: 38 % (!) waren Insassen psychiatrischer Anstalten bzw. Abteilungen (gegent~ber ds. 4 %). Wohnungsverlust oder Unterbringung in allgemeinen Kranken- bzw. Pflegeanstalten sind demgegenaber nicht relevant (kein bzw. ein Fall). Entsprechend dem geringen Anteil von Erwerbstfitigen in Cluster i werden berufliche Probleme hier hie angegeben, auch Arbeitslosigkeit bzw. 0konomische Probleme werden interessanterweise so gut wie nie als suizidfordernd vermerkt (1 bzw. 2 F~,lle) - bier ist bei der Interpretation aber wieder Vorsicht angebracht. Durchschnittlich oft wird von einer Introvertiertheit der Suizidenten berichtet, dagegen galten 20 % (!) als ,,aggressiv" (ds. 6 %). Schmerzen und ~mgste werden dagegen etwas seltener als im Gesamtdurchschnitt angegeben. Betreffend der nfiheren Suizidumstfinde ergibt sich hier, abgesehen von einem hohen Anteil von innerhalb von Krankenanstalten durchgefahrten Suizidhandlungen vor allem eine singul~re H~ufung von Abschiedsbriefen (60 %, vs. ds. 27 %) sowie ein besonderes Muster der H~ufigkeiten von Suizidmethoden: Erh~gen (einschlieglich Ersticken) wurde mit 33 % deutlich seltener als sonst angewandt (ds. 50 %), ebenso war Erschiel~en relativ selten (7 %). Dafter sind aber Selbstvergiftungen, Sturz in die Tiefe, absichtlich herbeigefahrter Verkehrsunfall sowie besonders ungew0hnliche Suizidmethoden (z.B. Selbstverbrennung, Stromtod) hier h~_ufiger.
3.3 M i k r o s o z i a l e A n a l y s e n z u r Suizidalitfit in d e r S t e i e r m a r k
3 53
C l u s t e r J ( V ) 80 Ffille, 7 % d e r G e s a m t h e i t : J u n g e M f i n n e r ( u n d teils a u c h F r a u e n ) , die m e i s t als k O r p e r l i c h u n d p s y c h i s c h g e s u n d g a l t e n , hfiufig o h n e B e s c h ~ f t i g u n g w a r e n bzw. Okonomische Schwierigkeiten hatten und problematische Beziehungen zu Eltern u n d / o d e r P a r t n e r n h a t t e n 542 542 Cluster J besteht aberwiegend, zu 83 % aus Mannern und weist mit 4 Fallen (5 %) einen relativ hohen Ausl~,nderanteil auf. Sein hervorstechendes Charakteristikum liegt in der Altersstruktur: Er umfasst ausschlieglich Suizidenten unter 60, yon denen 79 % zum Todeszeitpunkt zudem weniger als 30 Jahre air waren (ds. 12 %) und nur 2 1 % zwischen 30 und 59 (ds. 48 %). Das Durchschnittsaiter betr~,gt nur 26 Jahre (!). Hinsichtlich des Familienstandes aberwiegt folgerichtig das Ledig-Sein bei weitem (94 %; ds. 28 %), nut 3 Personen waren verheiratet, eine geschieden, keine einzige verwitwet. Immerhin 26 % der Suizidenten dieser Kategorie lebte abet in einer bestehenden Partnerschaft, 6 % hatten eine Partnerschaft hinter sich; far 38 % lieB sich aber feststellen, dass keine I~_ngerfristige Partnerschaft bestand oder zuracklag (ds. 12 %). Weiteres auffalliges Charakteristikum dieses Suizidenten-Typus ist seine eklatante Haufung in mittelgroBen Gemeinden - 70 % der F~.lle betreffen Kommunen mit 2-10.000 Einwohnern, 13 % der F~lle 10-25.000 Einwohner umfassende Gemeinden, wahrend sowohl Kleingemeinden (13 % vs. 34 %) als auch die Landeshauptstadt (5 % vs. 19 %) klar unterproportional vertreten sind. Genauere Angaben zu den Berufen sind selten, und bringen keine genaueren Aufschltisse, die grObere Klassifikation nach Erwerbsstatus zeigt aber sehr deutlich die groge Bedeutung der Frage der Berufstatigkeit far die Etablierung dieses Clusters: Ganze 34 % der hierin enthaltenen Suizidt'alle betrafen Personen ,,ohne Beschaftigung" (ds. 11%), auch ist der Anteil der Kategorie ,,unklarer Erwerbsstatus/Hausfrauen" mit 20 % ziemlich hoch. Ansonsten finden sich hier hauptsachlich Arbeitnehmer (36 %, vs. ds. 20 %), jedoch keine Landwirte und nur ein Unternehmet. Auch Pensionisten fehlen hier ganz, was der Altersstruktur entspricht, dagegen findet sich ein Anteil yon 9 % Schalern und Studenten. Nur selten ist far die Suizidenten dieses Clusters eine vorangegangene psychiatrische Behandlung bekannt (13 %), insbesondere was den station~xen Bereich betrifft (4 %). Nut in 18 % der F~_llewurde aberhaupt jemals das Vorliegen einer psychischen Erkrankung konstatiert (ds. 51%), auch betrafen diese fast nur Depressionen (18 %; eine einzige sonstige Nennung). Frt~here Suizidversuche wurden far 11% festgehalten, also etwas seltener als im Durchschnitt, Suizidankandigungen dagegen mit 26 % bekannter Ffille bemerkenswert oft. Des Weiteren spielt Alkoholismus in diesem Cluster mit einer Rate yon 14 % bekannter F~.lle eine Rolle, die abet den Gesamtdurchschnitt von 12 % nur geringfagig t~bersteigt. Dazu treten 5 % Falle yon behOrdlich registrierten Abhangigkeitserkrankungen betreffend andere Substanzen bzw. T~tigkeiten. Durchschnittlich h~ufig finden sich far die Betroffenen dieses Clusters Tod bzw. Krankheit oder Behinderung von Familienmitgliedern als belastender Faktor genannt, in 3 F~,llen wird ein Suizid im Familienkreis registriert. Keine Rolle spielen hier dagegen somatische Krankheiten der Suizidenten selbst (1 Nennung, 1%) - was einen diesen Cluster yon den anderen deutlich abhebenden Umstand darstellt-, welters auch unfreiwillige Trennungen yon FamilienangehOrigen ( 1 % ) und Gewalttatigkeit des Suizidenten gegen seine Familie (0 %). Partnertrennungen werden in 8 % der F~lle explizit als Suizidfaktor genannt, haufiger sind in dieser Kategorie aber Probleme in bestehenden Partnerschaften (15 %, vs. ds. 11%). Mit eigenen Kindern hatte gem~B den Akten nur einer der hier zusammengefassten Suizidenten ernsthafte Schwierigkeiten, mit einem oder beiden Elternteilen dagegen mindestens 25 % (!) (ds. 3 %). Betreffend der Wohnsituation ist bei dieser Teilgruppe yon Suizidenten nut der Wohnungsverlust aberproportional h~ufig angegeben, n~mlich in 5 % der F~lle, w~.hrend allgemeine Krankenhausunterbringung gar nicht und stationfire psychiatrische Behandlung nut zweimal (3 %) genannt werden. Die groBe Bedeutung yon beruflichen Schwierigkeiten zeigt sich, neben dem erwahnten hohen Anteil yon Beschaftigungslosen, auch an einem mit 19 % singul~,r hohen Prozentsatz von Suizidf~.llen, in welchen Jobverlust und Arbeitslosigkeit explizit als Suizidursachen genannt werden. Auch andere berufliche Probleme sind mit 9 % t~berproportional oft angegeben und Okonomische Probleme insgesamt summieren auf 20 % der Nennungen. Soziale Isolation dagegen spielt, zumindest in der Wahrnehmung der SicherheitsbehOrden, in Cluster J keine Rolle, Probleme mit Freundeskreis und Nachbarschaft werden etwa so h~ufig genannt wie im Gesamtdurchschnitt, dasselbe gilt far nachteilige Folgen yon Delinquenz der Suizidenten. 4 Falle von Fahrerscheinverlust in der unmittelbaren Vorgeschichte des Suizids betreffen Personen aus diesem Cluster, was einem Anteil yon 5 % entspricht (ds. 2 %). Die psychologische Ebene betreffend sind niedrige Raten festgestellter Aggressivitat, abet vergleichsweise hohe Anteile von introvertierten Personen zu konstatierten, welters insbesondere 7 Falle von traumatischen Unfallfolgen, was 9 % entspricht. Allgemeine Angste sind durchschnittlich hfiufig genannt, Angste vor Krankheit sowie akute Schmerzen nur in je einem Einzelfall vorkommend. Was die Suizidumst~de betrifft, so fehlen hier Suizide in Kranken- und anderen Anstalten ganz, wahrend solche in der eigenen Wohnung mit 48 % gegent~ber jenen an anderen Orten (52 %) zuracktreten. Unter den Suizidmethoden sind vor allem die singular hohen Anteile an vorsatzlichen Unf~llen (18 %) und Tod durch Gas (10 %) bemerkenswert; auch die Frequenz t0dlicher Starze ist klar erhOht (13 %); Ertr~nken und Erstechen kommen hier nur in je einem Einzelfall vor.
354
3 Ergebnisse der Studie
Zusammenfassende Bemerkung zur Clusteranalyse. Wfihrend sich in vielen Einzelaspekten also bemerkenswerte Unterschiede zwischen den einzelnen Clustern feststellen lassen, die durchaus auf inhaltlich kohfirente Gruppierungen schlieBen lassen, so ergeben sich doch nur in Teilbereichen deutliche Gegenfiberstellungen; die beschriebenen Cluster fihneln einander teils stark und unterteilen die Gesamtheit der Suizidenten gerade hinsichtlich einiger besonders interessierender Komponenten - Alter, Geschlecht, bekannte psychische oder Suchterkrankung, Partnertrennungssituation, Okonomische Probleme - nicht durchgfingig im wUnschenswerten AusmaB. Obwohl also die vorgenommene Typologisierung far eine Exploration von typischen Merkmalskombinationen jedenfalls von Nutzen ist, und zahlreiche bedeutende Aspekte der Binnendifferenzierung der Suizidenten verdeutlichen konnte, erscheint es angebracht, nach zentralen Kriterien, nach welchen die Suizidenten sich in grOBere Teilgruppen scheiden lassen, auch noch eine genuin kategorial differenzierende Analyse durchzufahren. Thesengeleitete Kategoriebildungen." Die MOglichkeiten der plurivariaten Analysen zu spezifischen Merkmalskombinationen, welche sich far die untersuchten Parameter inner~ halb der Suizidenten feststellen lassen, sind immens; angesichts der praktischen Notwendigkeit einer Beschrankung seien hier nur einige als besonders relevant erachtete Untersuchungen prfisentiert, welche an die bereits durchgefahrten Analysen anschlieBen. Als geeignete Vorgangsweise, einen Oberblick fiber besonders relevante Merkmalskombinationen herzustellen, erwies sich hierbei die Methode, innerhalb definierter Teilkategorien der Suizidenten nach den besonders interessierenden Kriterien Hfiufigkeitsauszfihlungen zum Vorliegen yon Untersuchungsparametern durchzufahren. Hierbei fand eine Beschrfinkung nicht nur nach inhaltlichen Relevanzkriterien, sondern auch hinsichtlich des Aspektes der zu erwartenden H~,ufigkeiten far einzelne Auspr~,gungen statt; untersucht wurden nur Aspekte, in denen zumindest far eine zentrale Ausprfigung einer Teilkategorie von einer ,,Zellenbelegung" mit mehreren Dutzend FNlen ausgegangen werden konnte. 543 Die wichtigsten Ergebnisse dieser H~ufigkeitsauszfihlungen seien im Folgenden noch kurz diskutiert. TM Hinsichtlich der Geschlechterdifferenz lieB sich u.a. ein Obergewicht jangerer Mfinner und eine starke Reprfisentation Verwitweter unter den Frauen feststellen (was sich zu einem betrfichtlichen Teil auf deren lfingere Lebenserwartung zurackfahren lfisst, siehe hierzu weiter oben); der Anteil der Beschfiftigungslosen unter den Suizidenten 543 Da sich einige wesentliche Faktoren, wie die EinkommenshOhe, lediglich in den Sozialversicherungsdaten festmachen lieBen, wurden for diese Analysen beide Daten-Teilmengen herangezogen, und fand eine Beschrankung auf den Untersuchungszeitraum2002 bis 2004 statt. Als Parameter, for welche die speziellen Merkmalsverteilungen Oberpraftwerden sollten, wurden ausgew~.hlt:Geschlecht mannlich bzw. weiblich, Alter in drei Kategorien: 10-29 Jahre; 30-59 Jahre; Ober 60 Jahre, die anhand der sicherheitsbehOrdlichen Daten erhobenen Faktoren: Partnerschaftsstatus, aktenm~BigeBekanntheit einer psychischen Erkrankung, Suchterkrankung bzw. kOrperlichen Erkrankung, Feststellung yon belastenden Verhaltnissen im famili~xen Bereich allgemein, betreffend den Tod eines AngehOrigen, betreffend Partnertrennung und Partnerprobleme, Feststellung yon belastenden Verhaltnissen im Wohnbereich und von Okonomischen Problemen, weiters die anhand von Informationen der Sozialversicherungen erhobenen Parameter: Krankenhausaufenthaltmit somatologischerDiagnose im letzten Lebensjahr, Krankenhausaufenthalt mit psychiatrischer Diagnose im letzten Lebensjahr, Klassifikation als erwerbstatiger Arbeiter, Klassifikation als pensionierter Arbeiter, sowie Erwerbstatigen-Einkommenbzw. Pensionisten-Einkommenin der untersten Kategorie (bis 900 E). FOrjede dieser Dimensionen wurde die Verteilung aller anderen Merkmalskombination auf die jeweiligen Kategorien der Variable untersucht; zudem noch die Verteilungen etlicher anderer Parameter des mikrosozialen Untersuchungsteils. 544 Die umfangreichen Tabellen mit den erhobenen H~,ufigkeiten und Merkmalsverteilungen far die einzelnen Kategorien konnten in dieser Publikation nicht in ihrer Gesamtheit wiedergegeben werden, ebenso wenig wie die Tabellen mit den Daten for die einzelnen Cluster.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitat in der Steiermark
355
gemfig sicherheitsbeh6rdlichen Akten ist dagegen in der Kategorie der Manner deutlich ht~her als in jener der Frauen, ebenso derjenige aktiver Arbeitnehmer, was auch bei Heranziehung der Sozialversicherungsdaten gilt. Betreffend der Gr6Be der Wohngemeinden der Suizidenten zeigt sich auch bei dieser Betrachtung, was schon festgehalten wurde, namlich dass in Graz Frauen ein h6heres Suizidrisiko haben als anderswo in der Steiermark. Psychische Erkrankungen werden in den Polizeiakten relativ zur jeweiligen Gesamtsumme deutlich haufiger far Frauen als far Manner festgestellt, bei Suchterkrankungen verhalt sich dies umgekehrt. Ein Vergleich mit den Daten der Sozialversicherungsanstalten zeigt, dass tatsachlich ein gr6Berer Anteil der Frauen unter den Suizidenten im letzten Lebensjahr stationar in einer Krankenanstalt mit einer psychiatrischen Diagnose behandelt worden war, als dies bei den Mannern der Fall war (21% vs. 11%). Auch Suizidversuche sind in der Teilkategorie der Frauen haufiger als in jener der Manner aktenkundig; Abschiedsbriefe scheinen von Frauen, die sich selbst t6ten, gleichfalls deutlich haufiger verfasst zu werden, explizite Suizidankandigungen dagegen seltener gemacht zu werden. Belastende Familienverhaltnisse finden sich in den sicherheitsbehOrdlichen Akten wiederum insgesamt haufiger bei Mannem als bei Frauen angegeben, besonders gilt dies far Partnertrennungen, die in der Kategorie der Manner bei 15 % aller Suizidfa.lle als ein relevanter Umstand genannt wird, in jener der Frauen aber bei 7 %. Geschlechtsspezifische Unterschiede lassen sich auch hinsichtlich anderer behOrdlich festgestellter Suizidmotive eruieren; insbesondere wirtschaftliche Schwierigkeiten werden bei Mannem viel haufiger als (Teil-)Grund far die Selbstt~tung genannt, als bei Frauen (13 % vs. 3 %); dies, obwohl die Einkommensverhaltnisse der weiblichen Suizidenten im Durchschnitt keineswegs besser gelagert waren als jene der mannlichen, sondern im Gegenteil schlechter, wie ebenfalls der entsprechenden Gegent~berstellung zu entnehmen ist: 39 % der erwerbstatig gewesenen weiblichen Suizidenten hatten nur maximal 900 C monatlichen Bruttolohn, aber unter den mannlichen trifft dies ,,nur" auf 28 % zu. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass der Anteil der Erwerbstatigen unter den Frauen kleiner als unter den Mannern ist (36 % vs. 26 % nach Sozialversicherungsdaten), weshalb die konstatierte Einkommensdifferenz far weniger Suizidf~lle von Frauen Relevanz hat. Auch Probleme mit eigener Delinquenz und Aggressivitat konnten, wenig Uberraschend, in der Gruppe der mannlichen Suizidopfer 6fter erhoben werden als in jener der weiblichen. In der Forschungsliteratur schon 6fter angesprochene Differenzen ergeben sich weiters auch in der vorliegenden Studie hinsichtlich der Suizidmethoden, wobei bei Frauen Selbstvergiftung, Hinabstarzen und absichtlich herbeigefahrte Verkehrsunfalle relativ haufiger sind, bei Mannern Erhangen und ErschieBen. Bemerkenswerterweise ergibt sich eine relativ deutliche Differenz auch hinsichtlich der ()rtlichkeiten der Selbstt6tung, wobei unter den Mannern 65 % in der eigenen Wohnung stattfanden, unter den Frauen aber 57 %. Auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede innerhalb der Berufsverteilung der Suizidenten wurde weiter oben schon ausfahrlich eingegangen; die Auswertung der Sozialversicherungsdaten zeigt u.a. deutlich den weit gr/3Beren Anteil von nicht-erwerbstatigen Frauen unter den Suizidenten im erwerbsfahigen Alter, was freilich eine Analogie zur Gesamtbev6lkerung darstellt. Besonders hervorzuheben ist schlieBlich aber nochmals die unterschiedliche Haufigkeit von Krankenhausaufenthalten aufgrund psychischer Probleme zwischen mannlichen und weiblichen Suizidenten, die in der Haufigkeit von Krankenhausaufenthalten wegen somatischer Erkrankungen kein Pendant hat. Offensichtlich begehen weit mehr Manner Suizid, ohne zuvor noch versucht zu haben, intensive psychiatrische Hilfe-
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3 Ergebnisse der Studie
stellung in stationfiren Kontexten in Anspruch zu nehmen, als dies bei Frauen der Fall ist. Insgesamt ist aber zu betonen, dass der Gesamtanteil von 13 % im Laufe des letzten Lebensjahres noch stationar psychiatrisch behandelten Suizidenten tiberraschend niedrig ausfallt! Was die Untersuchung der unterschiedlichen Altersgruppen betrifft, so gilt hier ebenfalls, dass die entsprechenden Zusammenhange weiter oben zum Teil schon dargelegt wurden; insbesondere auch auf nicht weiter Erklfirungsbedtirftiges - wie etwa den zunehmenden Anteil von Pensionisten nach den h/3heren Alterskohorten hin - wird daher hier nicht nochmals eingegangen. Jedenfalls inhaltlich bedeutsam erscheint demgegentiber, dass der Anteil der nach polizeilichen Angaben beschfiftigungslos gewesenen unter den Suizidenten im jugendlichen und jungen Erwachsenenalter eklatant hoch ist und 29 % betragt, wahrend er in der Gesamtheit der Suizidenten ,,nur" 1 1 % betragt. Arbeitslosigkeit stellt demnach bei jungen Menschen wahrscheinlich ein besonderes Suizidrisiko dar, was psychologisch ja auch leicht verstandlich ist. Wenig Auff'alligkeiten zeigt dagegen die prozentuelle Verteilung der Altersklassen nach Wohnortgr~6en, wobei hier allerdings die unterschiedliche Altersverteilung der GesamtbevOlkerung in den einzelnen Wohngemeindegr~56enklassen zu be~cksichtigen ware, um definitive Aussagen zu treffen. Hinsichtlich der sicherheitsbehOrdlich festgestellten Erkrankungen der Betroffenen ist vor allem die unterschiedliche Verteilung der Suchterkrankungen hervorzuheben, die vor allem bei Personen mittleren Alters ausgesprochen haufig vorkommen, namlich in 22 % der Falle. Hinsichtlich der k~Srperlichen Erkrankungen war nattirlich yon einem mit dem betrachteten Alterssegment ansteigenden Anteil auszugehen, die Differenz zwischen 15 % Nennungen betreffend der 30-50 jahrigen Suizidenten und 54 % (!) Nennungen ftir die Suizidenten im Alter von 60 und mehr Jahren erscheint dennoch tiberraschend hoch, und wirft ein wichtiges Licht auf die spezifischen Bedingungen von Suizidalitat im Seniorenalter. Analog hierzu stellen sich auch die in dieser Hinsicht zweifelsohne verlasslicheren Daten aus dem Sozialversicherungsbereich dar, die ftir die Suizidenten der hOchsten Alterskategorie einen Anteil yon 37 % ausweist, die im Laufe ihres letzten Lebensjahres wegen k{Srperlicher Erkrankungen in Spitalsbehandlung waren, wahrend dieser Anteil in den anderen Alterskategorien nur bei 14 bzw. 15 % liegt. Konform geht diesen Befunden, dass volle 32 % der Suizidenten im Alter von 60 und mehr Jahren wegen k/3rperlicher Gebrechen bzw. Krankheiten Pflegegeld bezogen (gegent~ber 15 % im Gesamtdurchschnitt). Hinsichtlich der Krankenhausaufenthalte mit psychiatrischen Diagnosen zeigt diese Altersgruppe dagegen einen gegentiber den anderen einigerma6en deutlich reduzierten Anteil. Dieselbe Tendenz zeigt eine Betrachtung der polizeilichen Daten zu bekannten stationaren Aufenthalten in psychiatrischen Einrichtungen; altere Suizidenten sind also tendenziell noch seltener in stationarer psychiatrischer Behandlung gewesen als jtingere, wobei ja die Gesamtquote schon gering erscheint, selbst wenn man nattirlich eine gewisse ,,Dunkelziffer" einkalkulieren muss. Auch hinsichtlich bekannter vormaliger Suizidversuche stellt sich die Kategorie der 60 und mehr Jahre alten Suizidenten am klarsten - nach unten hin - vom Gesamtdurchschnitt ab ( 1 1 % vs. 15 %). Ebenso sind Suizidanktindigungen von den dieser Alterskategorie zugehOrigen Suizidenten am seltensten dokumentiert, wahrend sich hier die Kategorie der 10 bis 29-jahrigen Suizidenten am starksten vom Gesamtdurchschnitt abhebt, dasselbe gilt auch ftir hinterlassene ,,Abschiedsbriefe". Ein gr{513eres Bedt~rfnis der Kommunikation mit anderen Menschen auch noch kurz vor dem Suizid bei den jtingeren Betroffenen dt~rfte hierbei wohl die Grundlage ft~r diese Differenz bilden.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
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Gerade in dieser Hinsicht ist es erschattemd, dass mindestens 35 % der Personen im Alter unter 30, die sich sp~ter tatsfichlich selbst t/Steten, ihre Tat anderen gegent~ber angekandigt hatten. Betreffend belastenden Verhfiltnissen im famili~ren Bereich, welche nach den polizeilichen Aufzeichnungen zum Suizid beigetragen hatten, unterscheiden sich die Alterskategorien ebenso deutlich; wenig t~berraschend ist hierbei, dass der Tod von Angeh(Srigen, insbesondere Partnern, unter den Senioren eine deutlich grOl3ere Rolle spielt, als bei jt~ngeren Suizidenten; auch betreffend Partnertrennungen und Problemen in noch bestehenden Beziehungen sind hier aber deutliche altersspezifische Unterschiede feststellbar: Ft~r 20 % der Suizidenten im Alter zwischen 30 und 60, aber nur far 4 % der ~lteren Suizidenten wurde seitens der SicherheitsbehOrden eine Partnertrennung als ein Suizidmotiv eruiert. Hinsichtlich von besonderen VerhNtnissen im Wohnbereich sind Differenzen vor allem betreffend der Hfiufigkeiten von Anstaltssuiziden festzustellen: diese sind in allgemeinen Krankenanstalten ausgesprochen h~ufig unter den Senioren (9 % aller Suizide in dieser Alterskategorie!), w~hrend von den - insgesamt freilich relativ ,,wenigen" - Unter30-j~hrigen Suizidenten 9 % die Suizidhandlung w~hrend einer Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt bzw. Abteilung setzten. Arbeitslosigkeit, aber auch Probleme mit BehOrden bzw. Fahrerscheinentzug als Suizidmotiv wurden am h~ufigsten in den jangsten Alterskohorten konstatiert, ,,berufliche Probleme" dagegen am hfiufigsten in der Alterskategorie der 30 bis 60-J~hrigen. Betreffend mentaler Aspekte fallt eine Hfiufung der Charakterisierungen als ,,introvertiert", aber auch als ,,aggressiv" in den jangsten Alterssegmenten, und eine der Angstsymptome bei den Suizidenten im Alter von 60 und mehr Jahren auf. Dasselbe gilt, zweifelsohne im Konnex mit der gr6geren Haufigkeit von k6rperlichen Erkrankungen, far chronische Schmerzen, die bei 15 % der Suizidenten im Alterssegment von 60 und mehr Jahren konstatiert wurden. Far diese Alterskategorie ist auch ein besonders hoher Anteil von Suiziden in der eigenen Wohnung festzustellen; betreffend der Suizidmethoden lassen sich bei altersspezifischer Betrachtung die gr6gten Differenzen hinsichtlich der Anteile absichtlich herbeigefahrter Unffille feststellen, die mit zunehmendem Alter weniger hfiufig praktiziert werden. Hinsichtlich der Sozialversicherungsdaten ist vor allem noch auf den hohen Anteil Arbeitsloser in der Kategorie der Unter-30-jfihrigen Suizidenten hinzuwesen, der 13 % betrfigt (!), dann auf den Umstand, dass in derselben Alterskategorie der Anteil derjenigen, die trotz Erwerbstfitigkeit sehr geringe Einkommen - unter 900 C brutto im Monat - hatten, ausgesprochen hoch ist. Nach der Kategorisierung in Altersklassen wurde auch eine Unterscheidung danach vorgenommen, ob die Suizidenten (gem~ig sicherheitsbehOrdlichen Angaben) in einer bestehenden Partnerschaft gelebt hatten, das Ende einer Partnerbeziehung hinter sich hatten oder keine jemals bestandene Beziehung bekannt ist; als wichtigste Ergebnisse der in dieser Hinsicht differenzierenden Betrachtung kann gelten: die Suizidenten ohne bekannte bestehende oder ehemalige Partnerschaft waren aberdurchschnittlich oft Manner und - erwartungsgemfiB - hfiufig in jangerem Alter ; mit 27 % ist der Anteil der beschfiftigungslos gewesenen unter ihnen besonders hoch. Far dieses Kriterium ist zudem eine gewisse H~ufung von Personen, die in Kleingemeinden lebten festzustellen: 37 % der Suizidenten ohne bekannte bestehende oder ehemalige Partnerschaft hatten in Gemeinden mit maximal 2000 Einwohnern gelebt, im Gesamtdurchschnitt aller Suizidenten waren es knapp 33 %. Dagegen hatten aberdurchschnittlich viele Suizidenten, die eine Partnertrennung hinter sich hatten (und keine neue Beziehung eingegangen waren) in Graz gelebt. Wie zu erwarten
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3 Ergebnisse der Studie
war, sind auch ftir die Kriterien polizeilich bekannter psychischer Erkrankungen und Suchterkrankungen in der Kategorie der Personen ohne dokumentierte Partnerschaft erh0hte Anteilswerte feststellbar, im Bereich der Suchterkrankungen mit 23 % gegent~ber einem Durchschnitt von 14 % for alle erfassten Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 nahezu doppelt so hfiufig. Nur eher geringe Unterschiede ergibt diese Betrachtung betreffend Suizidversuchen und Suizidanktindigungen, f~r das Vorliegen von Abschiedsbriefen erscheint bemerkenswert, dass solche im Falle von bestehenden Partnerbeziehungen deutlich seltener eruiert wurden. Bezt~glich des summarischen Kriteriums ,,belastende Familienverhfiltnisse" ergibt sich erwartungsgemfiB der h0chste prozentuale Wert in der Kategorie ,,Personen mit ehemaliger Partnerbeziehung"; relevanter ist hier der Vergleich der einzelnen Kriterien ,,Tod von Angeh0rigen", ,,Partnertrennung" und ,,Probleme in bestehender Beziehung". Hierzu zeigt sich, dass letztere - die definitionsgemfiB nur in der Personenkategorie ,,bestehende Partnerbeziehung" vorfallen k0nnen - dort einen Anteil von 20 % stellen. Das bedeutet also, dass Dr ein Ftinftel der Suizidenten, welche in einer aufrechten Partnerbeziehung gelebt hatten, erhebliche Probleme innerhalb derselben bei den polizeilichen Erhebungen festgestellt wurden; der tatsfichliche Anteil ist natfirlich auch hier h6her einzuschfitzen. Ftir die Kategorie ,,Suizidenten mit ehemaliger Partnerbeziehung" wiederum zeigt die getrennte Berechnungder Anteilswerte eine Quote yon nahezu 20 %, in welchen der Tod eines Angeh6rigen meist des Partners - als ein Suizidmotiv gewertet wurde; der Anteil der Verwitweten in dieser Kategorie betrfigt tiberhaupt 45 %. Partnertrennung als ein Suizidmotiv ist in dieser Kategorie fi3r 3 1 % der Ffille erhoben worden. Das Kriterium der sozialen Isolation zeigt sich, wenig tiberraschend, vor allem Dr die Suizidenten ohne bestehende Partnerbeziehung als relevant, und wurde in den beiden Kategorien in 6 bzw. 7 % der Ffille konstatiert; etliche andere Kriterien aus dem Bereich sozialer Lebensbedingungen, die anhand der sicherheitsbeh6rdlichen Daten erhoben wurden, zeigen dagegen betreffend des ,,Partnerschaftsstatus" nur geringftigige Varianz. Hinsichtlich der behOrdlich eruierten Pers0nlichkeitsmerkmale der Suizidenten fallt vor allem auf, dass unter denjenigen, f'tir welche weder bestehende noch ehemalige Partnerbeziehungen dokumentiert sind, der erheblich ~berdurchschnittliche Anteil von 11% ,,Introvertierten" festgestellt wurde; dieser Konnex erscheint dabei auch inhaltlich ausgesprochen plausibel. Was die Daten aus dem Sozialversicherungsbereich betrifft, erscheint bedeutsam, dass der Anteil der Arbeiter unter den Personen ohne (bekannt gewordene) vorhandene oder ehemalige Partnerbeziehung tiberproportional hoch ist; ebenso derjenige der Arbeitslosen. Die schon erwfihnten Zusammenhfinge mit der Altersverteilung (jtingere Personen waren hfiufiger arbeitslos und hfiufiger partnerlos) hier mit zu bedenken. Partnerlos gewesene Suizidenten verf'ugten auch weit hfiufiger als andere tiber besonders niedrige Einkommen, gleichgtiltig ob es sich um aktive Erwerbseinkommen oder Pensionsbeztige handelte. Hfiutiger als Suizidenten, die in bestehenden Partnerbeziehungen gelebt hatten, waren sie in ihrem letzten Lebensjahr wegen psychischer Erkrankungen hospitalisiert gewesen, deutlich seltener aber wegen k0rperlicher Erkrankungen. Unterteilt man die Suizidenten hinsichtlich des Kriteriums, ob eine psychische Erkrankung sicherheitsbeh6rdlich festgestellt worden war oder nicht, zeigen sich nur in einigen Bereichen klare und inhaltlich relevante Abweichungen von den Dr die Gesamtheit der Suizidenten erhebbaren Verteilungen: Zum einen sind Frauen hfiufiger und junge Menschen seltener vertreten, was weiter oben schon nfiher besprochen wurde; wichtig erscheint wei-
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
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ters, dass Probleme in bestehenden Partnerbeziehungen deutlich seltener angegeben werden (6 % vs. 11%), obwohl der Anteil der betreffenden Suizidenten, welche eine Partnerbeziehung hatten, kaum geringer war als im Gesamtdurchschnitt. SchlieBlich ist feststellbar, dass Personen, die polizeilich als ,,psychisch krank" klassifiziert wurden, tats~chlich auch in ihrer letzten Lebensphase deutlich hfiufiger in anstaltlicher Behandlung wegen psychischer Erkrankungen gewesen waren (22 % vs. 13 % im Gesamtdurchschnitt). Insgesamt weisen die relativ geringen Abweichungen der far diese Kategorie ermittelten Verteilungen betreffend etlicher Kategorien jedoch auf die eher geringe Unterscheidungskraft dieser Variable hin, und eben darauf, dass auch von den nicht als ,,psychisch krank" klassifizierten Personen der GroBteil fraglos unter ebensolchen Erkrankungen gelitten hatte. Hinsichtlich der Variable ,,bekannte Suchterkrankung" stellen sich demgegent~ber viel deutlichere Unterschiede heraus; abgesehen von der schon diskutierten, spezifischen Altersund Geschlechtsverteilung sind dies: ein gegent~ber der Gesamtheit der Suizidenten erh6hter Anteil von Personen, die augenscheinlich nie Partnerbeziehungen hatten (23 % vs. 14 %) und ein noch deutlicher erhOhter Anteil von beschfiftigungslos gewesenen (27 % vs. 11%), dann ein aberdurchschnittlich hoher Anteil von festgestellten belastenden Familienverhfiltnissen, insbesondere Partnertrennungen, als Suizidmotive, eine mit 7 % erhebliche Rate von Wohnungsverlusten im Vorfeld des Suizids, ebenso aberproportionale Raten von Problemen mit Beh6rden, vor allem auch - wie anzunehmen war- betreffend Fahrerscheinentzug im Vorfeld des Suizids. Ebenso sind Okonomische Probleme in dieser Kategorie der Suizidenten betrfichtlich hfiufiger als insgesamt dokumentiert, nfimlich in 22 % der Ffille! Auch Aggressivitfit wurde betreffend 14 % der als suchtkrank klassifizierten Suizidenten festgestellt (6 % im Gesamtdurchschnitt). Die suchtkranken Suizidenten befanden sich aber auch noch relativ hfiufig in Erwerbstfitigkeit (49 % vs. 34 % im Gesamtdurchschnitt far die Jahre 2002 bis 2004), und sie waren sehr hfiufig Arbeiter (32 % aktive Arbeiter vs. 19 % insgesamt). Zugleich sind auch die nach sozialversicherungsmfiBigen Kriterien arbeitslos gewesenen aberdurchschnittlich hfiufig vertreten, n~mlich mit 10 %. Erwfihnt sei diesbezaglich auch, dass 84 % der Suchtkranken als Alkoholiker galten, und 48 % gem~B sicherheitsbeht~rdlichen Daten auch an einer psychischen Erkrankung im engeren Sinn (d.h. ohne Suchtkrankheiten) litten, insbesondere an Depressionen (die Dunkelziffer ist naturgemfiB wiederum hoch anzusetzen), und 26 % zudem erhebliche kOrperliche Erkrankungen aufwiesen (Gesamtdurchschnitt: 30 %). Analysiert man die spezifischen Verteilungen far die sicherheitsbeh6rdlich als kOrperlich krank bezeichneten Suizidenten, zeigen sich wiederum folgende Besonderheiten: Wfihrend die Geschlechtsverteilung etwa jener far alle Suizidenten entspricht, waren 75 % der Suizidopfer dieser Kategorie mindestens 60 Jahre alt (insgesamt: 42 %); 80 % waren Pensionisten. Hinsichtlich der Raten festgestellter psychischer oder Sucht-Krankheiten ergeben sich far diese Kategorie in etwa durchschnittliche Werte; belastende Familienverhfiltnisse wurden seltener erhoben, was aber zumindest zum Teil auch auf eine Fokussierung des Ermittlungsinteresses auf die k~rperlichen Erkrankungen zurackzufahren sein kt~nnte, sodass die erhobenen Werte nicht unbedingt tatsfichliche Differenzen im vollen AusmaB reflektieren massen. Dasselbe gilt far wirtschaftliche Probleme, die for die Suizidenten, die als k6rperlich krank galten, ebenfalls seltener konstatiert wurden. Dass chronische Schmerzen, aber auch Angstsymptome far die Suizidenten dieser Kategorie viel hfiufiger erhoben wurden als im Gesamtdurchschnitt, erscheint demgegent~ber jedenfalls folgerichtig und darfte tatsfichliche Unterschiede widerspiegeln. Bemerkenswert ist auch, dass die T6tungs-
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3 Ergebnisse der Studie
methode des Erschief3ens in dieser Kategorie deutlich hfiufiger auftrat. Nur 10 % jener Suizidenten, fflr welche polizeilich schwere kOrperliche Erkrankungen erhoben wurden, waren nach Sozialversicherungsdaten noch erwerbstfitig; 3 % galten als arbeitslos, 33 %, also ein Drittel, waren Pflegegeldbezieher, und mindestens 38 % in ihrem letzten Lebensjahr noch wegen kOrperlicher Leiden stationfire Patienten in einer Krankenanstalt. Relativ wenige deutliche Abweichungen v o n d e r Gesamtverteilung der hier ausgewfihlten Kriterien zeigt eine gesonderte Betrachtung all jener Suizidenten, bei welchen ,,familifire Probleme" - irgendeiner Art - konstatiert wurden; sie waren hfiufiger mfinnlich und tendenziell jt~nger als andere Suizidenten. Leicht t~berdurchschnittlich oft lebten sie in kleineren Gemeinden bis maximal 10.000 Einwohner. Andere Zusammenhfinge wurden teils im Voranstehenden bereits diskutiert und sind hier gleichsam in ,,Umkehrung" ausgewiesen; hervorgehoben sei, dass innerhalb der Kategorie der Personen, ftir welche t~berhaupt belastende familifire Verhfiltnisse eruiert wurden, in 30 % eine Partnertrennung vorlag, in 24 % der Tod eines AngehOrigen und in 26 % Probleme in einer bestehenden Beziehung. Betrachtet man nun gesondert jene Suizidenten, in welchen eines dieser drei Kriterien sicherheitsbehOrdlich erhoben worden war, zeigen sich folgende signifikant erscheinende Abweichungen vom Gesamtdurchschnitt: Personen, ~ r welche der Tod AngehOriger als Suizidmotiv rekonstruiert wurde, waren meist filter, in t~ber 60 % der Ffille Pensionisten, psychische Erkrankungen wurden ~ r diese Personenkategorie hfiufiger behOrdlich festgestellt, und sie litten hfiufig unter sozialer Isolation (10 % vs. 4 % im Gesamtdurchschnitt); 0konomische Probleme werden auch ft~r Suizidenten aus dieser Kategorie festgehalten, aber seltener als insgesamt. 20 % der Suizidopfer dieser Kategorie waren selbst Pflegegeldbezieher, also k/Srperlich erheblich beeintrfichtigt; stationfire Aufenthalte in Krankenanstalten in der letzten Lebensphase lagen gleich hfiufig vor wie bei anderen Suizidenten. Betreffend der Suizidenten, ~ r die eine Partnertrennung als Suizidmotiv rekonstruiert wurde, ergibt die Analyse, dass diese besonders oft Mfinner waren (88 %) und sich im mittleren Lebensalter befanden (72 % zwischen 30 und 60 Jahre alt); der Anteil der aktiv erwerbstfitigen Selbstfindigen fallt in dieser Kategorie mit 6 % doppelt so hoch aus wie im Gesamtdurchschnitt, aber auch aktive Arbeitnehmer sind mehr als doppelt so hfiufig reprfisentiert. In sehr kleinen Gemeinden wurde dieses Suizidmotiv offensichtlich seltener konstatiert; sehr hfiufig sind unter den Betroffenen dieser Kategorie Suchterkrankungen, was wiederum die Umkehrung eines oben schon erwfihnten Befundes darstellt, eher selten erhebliche k0rperliche Krankheiten. Die Suizidenten dieser Kategorie kt~ndigten ihre Selbstt6tung hfiufiger an als andere und hinterlieBen weit 6fter ,,Abschiedsbriefe". Seltener waren sie zum Suizidzeitpunkt Patienten einer allgemeinen oder psychiatrischen Krankenanstalt. Der Anteil derjenigen unter ihnen, die auch an den Folgen eigener Delinquenz litten, war deutlich hOher als im Gesamtdurchschnitt und erreicht fast 10 %; auch Okonomische Probleme, introvertierter Charakter und Aggressivitfit sind ~ r die Suizidenten dieser Kategorie besonders oft erhoben worden (15 % ~ r letzteres Kriterium). Deutlich hfiufiger als ft~r andere Suizidenten trat hier Sturz in die Tiefe als Suizidmethode auf, seltener dagegen Erhfingen. Ebenfalls hfiufiger im mittleren Erwerbsalter waren diejenigen Suizidenten, ft~r welche Probleme in einer bestehenden Partnerschaft als Suizidmotiv erhoben wurde; auch hier ist der Anteil der Unternehmer relativ hoch, aber auch jener der aktiven Landwirte. Suizidenten dieser Kategorie lebten seltener in der Landeshauptstadt; kOrperliche und psychische
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in der Steiermark
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Krankheiten (im engeren Sinn) wurden far sie seltener, Suchterkrankungen h~ufiger konstatiert als far andere Suizidenten. Wie die Suizidenten, bei denen Partnertrennung als Suizidmotiv erhoben wurde, ist auch unter jenen der Anteil derer, die delinquent geworden waren und unter den nachteiligen Folgen far sich selbst gelitten hatten, viel h6her als im Gesamtdurchschnitt. Analoges gilt far festgestellte Aggressivitfit und Probleme finanzieller Art. Als Suizidmethode tritt hier das gezielte Herbeifahren von Verkehrsunfallen hfiufiger auf. Oberdurchschnittlich oft handelte es sich bei den Suizidenten, die bekannterma6en stark unter Problemen in bestehenden Partnerbeziehungen litten, gemfi6 Sozialversicherungsdaten um erwerbstfitig gewesene Arbeiter (30 % vs. 19 % im Gesamtdurchschnitt), proportional noch st~rker erh6ht sind aber die Anteile der aktiven Landwirte und Selbstfindigen unter ihnen (6% vs. 2 % bzw. 9 % vs. 3 %). Krankenhausaufenthalte wegen somatischer sowie insbesondere psychiatrischer Erkrankungen in der letzten Lebensphase waren bei Suizidenten dieser Kategorie tatsfichlich deutlich seltener, sodass wohl eine geringere Hfiufigkeit manifester psychischer Erkrankungen (ohne Suchterkrankungen) far diese Personenkategorie rt~ckgeschlossen werden kann. Betrachtet man die Suizidenten danach, ob gemfi6 sicherheitsbehOrdlichen Akten besondere belastende Lebensbedingungen im Bereich des Wohnens vorgelegen hatten, ergeben sich folgende Aufffilligkeiten: Deutlich hOhere Anteile von Einwohnern von Graz; h6here Anteile von als aggressiv charakterisierten Personen, eine hOhere Quote von Pensionisten, und dabei vor allem von pensionierten Arbeitern, ein mit 27 % sehr hoher Anteil von Pflegegeldbeziehern; folgerichtig natarlich auch weit h6here Anteile von Personen, die in der letzten Lebensphase Krankenhausaufenthalte hatten. 23 % der Suizidenten dieser Kategorie t6teten sich, wfihrend sie Patienten von Kranken-, Pflege- oder sonstigen (nichtpsychiatrischen) Anstalten waren, 20 % waren Patienten psychiatrischer bzw. neurologischer Institutionen. ,,Nur" 23 % der Suizide erfolgten aber insgesamt auf Anstaltsgelfinde, was auf eine hohe Anzahl von Suiziden wfihrend Ausgfingen, unbemerktem oder unerlaubtern Verlassen von Krankenanstalten usw. hinweist. In 15 % der Suizidfalle dieser Kategorie bestand der ,,besondere Umstand" im Wohnbereich in dem Verlust der eigenen Wohhung (ohne Anstaltseinweisungen gerechnet, d.h. durch Delogierung, Wegweisung u.fi.). Der Er6rtemng der/3konomischen Probleme von Suizidenten ist im Vorangegangenen bereits viel Raum gewidmet worden, sodass hier anlfisslich der Besprechung der Ergebnisse flir die getrennte Untersuchung der Merkmalsverteilungen Dr die spezifische Kategorie der Suizidenten, in welcher solche Probleme als Suizidmotiv festgestellt wurden, das meiste nur kurz zu rest~mieren ist: Wirtschaftliche Schwierigkeiten als Suizidmotiv wurden beh6rdlich 6fter bei Mfinnern festgestellt und selten bei Menschen im Seniorenalter; dies mag der Sache nach zutreffend sein, obwohl die Pensionisten unter den Suizidenten noch hfiufiger aber sehr niedrige Einkommen verfagten als die Erwerbstfitigen unter ihnen. Die Suizidenten dieser Kategorie war auch h~ufiger ledig und - wenig verwunderlich - besonders oft beschfiftigungslos, nfimlich in 37 % der F~lle. Das Suizidmotiv ,,6konomische Probleme" tritt unter den Suizidenten, die in sehr kleinen Gemeinden wohnten, deutlich seltener auf als in gdSf3eren. Seltener werden k/3rperliche und psychische Erkrankungen in den polizeilichen Akten verzeichnet, und die Suizidenten dieser Kategorie waren auch nach den Daten der Sozialversicherungen in der letzten Lebensphase weit seltener Krankenhauspatienten - sei es wegen somatischer oder psychischer Probleme - als der Gesamtdurchschnitt aller Suizidenten. Suchterkrankungen wurden dagegen sehr oft konstatiert (29 %), gleichfalls Partnertrennungen und Probleme in bestehenden Beziehungen als Suizidmotive; das-
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3 Ergebnisse der Studie
selbe gilt hinsichtlich beruflicher Probleme und negativer Folgen eigener Delinquenz als Suizidmotiven sowie Introversion und Aggressivitfit als Kennzeichen im mentalen Bereich. Hinsichtlich der Suizidmethoden sind hier deutliche Hfiufungen der ,,harten" Varianten des ErschieBens und Erhfingens zu beobachten, betreffend des Erwerbsstatus ein deutliches 15bergewicht der aktiv gewesenen Arbeiter und der Arbeitslosen. Ft~hrt man eine gesonderte Betrachtung der Anteilswerte ~ r diejenigen unter den Suizidenten durch, welche im letzten Lebensjahr wegen kOrperlicher Erkrankungen in Anstaltsbehandlung waren, zeigen sich folgende wichtige Abweichungen von den Gesamtdurchschnitten: HOheres Alter (66 % t~ber 60 Jahre, insgesamt sind es 42 %), noch deutlich hOherer Pensionistenanteil ( 7 1 % versus 47 % bzw. nach Sozialversicherungsdaten 7 1 % vs. 49 %) - dies spricht ~ r einen hohen Anteil von F~hpensionisten -, wesentlich erhOhter Anteil von Berichten t~ber k~Srperliche Erkrankungen auch in den Polizeiakten (49 % vs. 30 %), weniger Berichte t~ber Partnertrennungen oder Probleme in bestehenden Partnerbeziehungen der spfiteren Suizidenten, weniger Hinweise auf wirtschaftliche Probleme (5 % vs. 11%), durchschnittlich geringere Gehfilter unter den noch Erwerbstfitigen, und einen hohen Anteil auch von Krankenhausaufenthalten wegen psychischer Probleme im Verlauf des letzten Lebensjahres. Weiters begingen 11% der Suizidenten dieser Kategorie wfihrend eines Aufenthalts in einer allgemeinen Krankenanstalt Suizid, wohingegen in der Gesamtheit der Suizidenten der entsprechende Anteil 4 % betrug; t~ber chronische Schmerzen liegen in 14 % der Ffille Berichte vor, wfihrend dies insgesamt bei 10 % zutrifft. Betrachtet man die Suizidenten, welche im letzten Lebensjahr wegen einer psychiatrischen Erkrankung hospitalisiert waren, gesondert, ergeben sich besonders aufschlussreiche Befunde: Diese waren im Durchschnitt etwas jt~nger als andere Suizidenten und zu einem weit h6heren Anteil weiblich (39 % vs. 25 %); der weiter oben konstatierte ,,Bias" in der polizeilichen Berichterstattung, der in der Kategorie der zuvor psychiatrisch behandelten Personen ebenfalls einen vergleichsweise hOheren Anteil von weiblichen Suizidenten erbringt, ist also zum Teil wohl auf ein tatsfichlich vonder Gesamtverteilung der Geschlechter unterschiedenes Verhfiltnis zwischen Mfinnern und Frauen in der Kategorie derjenigen Suizidenten, welche fachfirztliche Hilfe in Anspruch genommen hatten, zurt~ckzu~hren. Besonders hfiufig war f~r die Suizidenten dieser Kategorie in der Biographie keine Partnerschaft, weder eine zum Todeszeitpunkt aufrechte noch eine spfiter getrennte, eruierbar (20 % vs. 14 %); der Anteil der Pensionisten unter ihnen ist ebenfalls hOher als im Gesamtdurchschnitt, was besonders angesichts des offensichtlich jt~ngeren Durchschnittsalters bemerkenswert, und nur durch einen besonders hohen Anteil von Frt~hpensionisten erklfirbar ist. Wichtig erscheint auch, dass die Suizidenten, welche mit psychiatrischen Diagnosen behandelt worden waren, extrem t~berdurchschnittlich oft in Graz gewohnt hatten (31% vs. 17 % f't~r den Gesamtdurchschnitt aller Suizidenten). Dass die Personen dieser Kategorie zu einem t~berwiegenden Teil auch nach den polizeilichen Daten als psychisch krank eingestuft waren, t~berrascht nicht, bestfitigt aber die inhaltliche Relevanz dieser Variable. Geringere Anteilswerte ergeben sich dagegen ~ r beh/Srdlich eruierte k/Srperliche Erkrankungen, wobei hier ein Missverhfiltnis zu den Sozialversicherungsdaten offenbar wird, denn unter denjenigen Suizidenten, die wegen psychischer Erkrankungen noch in ihrer letzten Lebensphase hospitalisiert gewesen waren, war auch ein t~berdurchschnittlicher Anteil in dieser Zeitspanne wegen somatischer Erkrankungen in anstaltlicher Behandlung gewesen, nfimlich 46 %, wfihrend der Anteil in der Gesamtheit der Suizidenten ,,nur" bei 24 % lag.
3.3 Mikrosoziale Analysen zur Suizidalitit in der Steiermark
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Bekannte Suizidversuche sind zu dieser Teilkategorie aber in den polizeilichen Akten viel hfiufiger vermerkt, gleichfalls das Vorhandensein yon ,,Abschiedsbriefen"; so gut wie keine Differenz dagegen ist bei der Frequenz von Suizidankfindigungen feststellbar. Belastende Familienverhiltnisse insgesamt werden far diese Gruppierung von Suizidenten seltener genannt, soziale Isolation hiufiger. Auch 6konomische Probleme werden far die Suizidenten dieser Kategorie in den beh6rdlichen Akten seltener angefahrt, was aber auf die Konzentration auf die evidenten psychischen Erkrankungen zurackzufahren sein dfirfte, da die Anteile sowohl der erwerbstitig gewesenen wie der pensioniert gewesenen Personen mit sehr geringem Einkommen in dieser Kategorie besonders hoch sind (47 % vs. 29 % und 67 % vs. 53 %), und auch der Anteil Arbeitsloser doppelt so hoch ausfallt wie unter allen Suizidenten insgesamt. Verstindlicherweise befanden sich besonders viele dieser Suizidenten bei ihrem Tod als Patienten in einer psychiatrischen Einrichtung ( 2 1 % vs. 4 %); bemerkenswert ist, dass die Suizidmethode des Hinabstfirzens in dieser Gruppierung weit hiufiger auftritt als far den Gesamtdurchschnitt. Bei einer Analyse der spezifischen Verteilungen far die Kategorien der aktiven Arbeiter zeigt sich, dass hier Suchterkrankungen besonders oft bekannt waren, ebenso Suizidankt~ndigungen sowie Partnerprobleme und Partnertrennungen als Motive der Selbstt6tungen. Ebenso sind die prozentualen Anteile far berufliche Probleme, Arbeitslosigkeit, Delinquenzfolgen und Probleme mit Beh6rden durchgingig fiberdurchschnittlich hoch. In 17 % der SuizidfWle von erwerbstitig gewesenen Arbeitern werden von polizeilicher Seite wirtschaftliche Schwierigkeiten als ein Suizidmotiv genannt, im Gesamtdurchschnitt trifft dies auf knapp 1 1 % der Suizide zu. Hinsichtlich der mentalen Charakteristika werden besonders hiufig Aggressivitit, aber auch psychische Probleme nach Unfallen vermerkt (letzteres in 9 % der Suizidf~lle dieser Kategorie). Die durchschnittlichen Gehilter dieser Teilkategorie von Suizidenten waren noch geringer als die des Gesamtdurchschnitts. Betreffend der bereits pensionierten Arbeiter unter den Suizidenten zeigt sich, dass hier psychische Erkrankungen besonders oft manifest waren, Suchterkrankungen ebenso noch fiberdurchschnittlich oft verzeichnet wurden und vergleichsweise oft die Suizide wihrend Aufenthalten in allgemeinen Krankenanstalten stattfanden; die Suizidenten dieser Teilkategorie litten auch, den Polizeiberichten nach, hiufiger unter chronischen Schmerzen und Angstsymptomen. SchlieBlich wurden auch die Kategorien derjenigen Suizidenten, die fiber besonders geringe Einkommen verfagten, gesondert betrachtet; far den Bereich der noch erwerbstitig gewesenen zeigt sich hierbei, worauf schon hingewiesen wurde, insbesondere ein hoher Anteil Jugendlicher und junger Erwachsener, weiters ein hoher Anteil von Suchtkranken, von Personen, far welche als Suizidmotive Probleme in Partnerbeziehungen bzw. Partnertrennungen angegeben wurden, und - erwartungsgemi6 - sind hohe Quoten von Nennungen von beruflichen und 6konomischen Problemen als Suizidmotive festzustellen. Letzteres trifft in dieser Kategorie auf 18 % der Suizidfalle zu. Auch Unfalltraumata und Aggressivitilt werden hier hiufiger angegeben, ebenso negative Folgen von Delinquenz far die Betroffenen. Als Suizidmethode ist hier vorsitzlich herbeigefahrter Verkehrunfall fiberdurchschnittlich oft zu verzeichnen; der gr/56te Anteil der Suizidenten dieser Gmppierung waren Arbeiter, aber auch Landwirte sind stark fiberdurchschnittlich vertreten. Krankenhausaufenthalte wegen somatischer Erkrankungen lagen dagegen seltener vor. Ffir die Kategorie der Pensionisten mit geringen Einkommen (unter 900 (~) ergibt sich dagegen: h6herer Frauenanteil, sehr hoher Anteil Verwitweter, hoher Anteil polizeilich bekannter psychischer und
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3 Ergebnisse der Studie
somatischer Erkrankungen, niedriger Anteil von bekannten Suchterkrankungen, geringe Rolle von Partnerproblemen und Partnertrennungen als Suizidmotive, ebenso seltene Nenhung von Okonomischen Problemen - obwohl es sich eben um Personen mit sehr geringen Einkommen handelte -, hoher Anteil von berichteten chronischen Schmerzen und Angstsymptomen. Arbeiter und Landwirte in Ruhestand sind in dieser Kategorie besonders zahlreich vertreten, Beamte und Selbstfindige so gut wie gar nicht. Volle 42 % der Suizidenten dieser Tei|kategorie waren Bezieher von Pflegegeld (Gesamtdurchschnitt: 15 %). Nach diesen Er/3rterungen zu sehr spezifischen, nichtsdestoweniger aufschlussreichen Fragestellungen im Zusammenhang mit den sozialen Situierungen der Suizidenten gilt es abschlieBend, die groBe Menge von Ergebnissen zu einem Gesamtbild zusammenzufligen.
4
Zusammenschau und Relevanz fiir die Suizidpr~ivention
Nach den vorangegangenen Er6rterungen zu den zahlreichen Einzelaspekten der makround mikrosozialen Analysen soll hier, soweit dies eben m6glich ist, ein zusammenfassendes Bild der Bedingungen letaler Suizidalitfit in der Steiermark bzw. in Osterreich gezeichnet werden, das sich insbesondere auch dazu eignen soll, als Leitlinie epidemiologischsozialmedizinischer Art far kanftige Verbesserungen in der Suizidprfivention herangezogen zu werden. Die folgenden Ausfahrungen sollen daher die fundamentalen Daten und wichtigsten Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel zusammenfassen sowie insbesondere eine Zusammenschau des makro- und mikrosoziologischen Abschnitts leisten. In einem gesonderten Abschnitt erfolgen sodann noch einige 121berlegungen zur kfinftigen Suizidprfivention und weiteren Fragestellungen der epidemiologischen Suizidforschung.
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse In Abschnitt 1.1. wurden die basalen Parameter der Osterreichischen Suizidstatistik prfisentiert, welche Anlass far die vorliegende Untersuchung gaben: GemfiB der amtlichen Todesursachenstatistik tOteten sich im Laufe der 35 Jahre von 1970 bis 2004 fiber 62.500 Osterreicher selbst, darunter tiber 11.100 Steirer. 545 Umgelegt auf die BevOlkemngszahl ergibt sich hierbei far diesen langfristigen Zeitraum in keinem anderen Bundesland eine so hohe Suizidrate wie in der Steiermark (26,8 Suizide je 100.000 Einwohner und Jahr). Insgesamt ist die Suizidhfiufigkeit zwar innerhalb dieses Zeitraums erfreulicherweise in allen 6sterreichischen Bundeslandem, auch in der Steiermark, zurfickgegangen, in Relation zu den anderen Bundeslfindem sterben hier aber immer noch deutlich mehr Menschen durch absichtliche SelbsttOtung: In der ersten Hfilfte der 1990er Jahre lag die steirische Suizidrate bei 26,7 Suiziden pro 100.000 Einwohnern und Jahr und damit um 18 % fiber der gesamt6sterreichischen Rate von 22,6, in der zweiten Hfilfte der 1990er Jahre lag sie bei 25,1, wfihrend die Gesamtrate for Osterreich 20,8 betrug, und damit um 2 1 % hOher, und in der ersten Hfilfte des laufenden Jahrzehnts (2000 bis 2004),,nur" mehr bei 22,2, was aber gegenfiber einer auf nunmehr 18,6 gesunkenen gesamt6sterreichischen Rate eine um nahezu gleich viel, nfimlich um 19 %, fiberproportionale Suizidsterblichkeit bedeutet (siehe auch das umseitig dargestellte Diagramm). Hingewiesen wurde weiter auf den Umstand, dass die Suizidraten zweier benachbarter Bundeslfinder, nfimlich Kamtens und Salzburgs, lange in fihnlichen HOhen wie jene der Steiermark lagen. Im intemationalen Vergleich sind alle diese Suizidhfiufigkeiten nach den ablichen Kriterien als ,,hoch" zu bezeichnen.
545Berechnung des Studienautors anhand der Daten in: Sonneck/Stein/Voracek, Suizide von M~mnern,Anhang, sowie - far die Jahre ab 2000 - yon Daten, die direkt yon der StatistikAustria bezogen wurden.
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4 Zusammenschau und Relevanz f~r die Suizidprfivention
Abbildung 32. Suizidraten in Osterreich insgesamt und in der Steiermark (1970-2004) TM
130sterreich BSteiermark I 5 -
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1970-74 1975-79 1980-84 1985-89 1990-94 1995-99 2000-04 In Kapitel 1wurde weiters auch daraufhingewiesen, dass die offiziellen Zahlenangaben zu den Suizidhaufigkeiten f~r Osterreich zwar als sehr verlfisslich gelten k0nnen, aber dennoch sicher nicht die ,,volle Realitfit" widerspiegeln, da manche Suizidfalle unweigerlich unerkannt bleiben und auch die statistischen Erfassungsprozeduren nicht v~llig fehlerfrei ablaufen k0nnen. Besonderes Augenmerk wurde weiters der Er0rterung der verschiedenen Indikatoren ~ r Suizidhfiufigkeiten yon Populationen gewidmet, wobei betont wurde, dass ,,altersstandardisierte Suizidraten" zwar wichtige Informationen liefern, aber nicht als alleinige Ma6zahlen zur Abschfitzung der Suizidalitfit einer Population herangezogen werden sollten, sondern vielmehr als Ergfinzung zu den so genannten ,,rohen", den tatsfichlichen Suizidhfiufigkeiten. Auch wurde auf die bislang zu wenig genutzte M0glichkeit der Berechung eines Ratios hingewiesen, welcher die Bedeutung einer bestimmten Todesursache wie eben des Suizids - anhand des prozentualen Anteils derselben an der Gesamtsumme der Todesfalle innerhalb eines bestimmten Zeitraums in einer Population misst. Die Berechnung dieser sehr instruktiven Maflzahl besagt, dass in Osterreich noch im Zeitraum 20012004 2 % aller TodesfCille Suizide waren, in der Steiermark sogar 2,3 %. Jeder 50. Todesfall in Osterreich undjeder 44. in der Steiermark ist demnach eine gezielte SelbsttOtung. Bliebe diese Frequenz dieselbe, w~rde dies folgerichtig bedeuten, dass 2 % der derzeit lebenden 6sterreichischen Bev~lkerung ihr Leben irgendwann einmal durch Suizid beenden wt~rden. Diese erschreckende Uberlegung macht deutlich, wie n0tig gerade hier weitere Anstrengungen zur Suizidpravention sind - nicht nur in humanitfirer Perspektive, sondern auch in gesellschaftlicher, und, wenn man m0chte, in volkswirtschaftlicher Hinsicht, trotz der erreichten Reduktion der Suizide im Vergleich zu den 1980er Jahren, als in Osterreich wie in den meisten Lfindern des westlichen Europa ein H0chststand erreicht war. s46 Berechnungsgrundlage: Jeweilige Jahresdurchschnittsbev01kerungen der einzelnen Jahre gema6 Statistik Austria, verglichen mit der Anzahl an Suiziden nach Todesursachenstatistik.
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
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Ebenso wurde in Kapitel 1 auf den grundlegenden Umstand hingewiesen, dass sich Suizidraten stark nach Alters- und Geschlechtskategorien unterscheiden: Obwohl in der Gesamtbev01kerung nahezu gleich viele Frauen wie M~nner vorhanden sind (sogar etwas mehr Frauen), sind drei Viertel aller Suizidopfer mdnnlich; die so genannte ,,Genderratio" liegt seit langem 0sterreichweit (und auch steiermarkweit) bei etwa 3:1 Auch dieser Befund gilt im Obrigen Par andere europ~iische Staaten in ~hnlicher Weise. Hinsichtlich des Alters wurde vor allem auf die welt h0heren Suizidrisiken hingewiesen, die sich far Senioren feststellen lassen, und hierbei wiederum insbesondere Par mfinnliche Senioren. Die weiteren AusFuhrungen widmeten sich sodann der Vorstellung medizinischer, psychologischer und soziologischer Thesen und empirischer Befunde, wie sie in der Forschungsliteratur zu spezifischeren Aspekten der Epidemiologie des Suizids prfisentiert wetden. Hierbei wurden vor allem auch die Ergebnisse der far Osterreich im Besonderen bislang vorliegenden Untersuchungen zu diesem Thema diskutiert (1.3.6.). In Kapitel 2 wurden sodann die unterschiedlichen Aspekte der ,,0ko-somato-psychosozialen" Bedingtheit von Suizidalit~it im Hinblick auf die konkret durchzuPahrenden empirischen Untersuchungen operationalisiert und nfihere Darlegungen zur Methodik der Studie gegeben: Kurz gefasst, wurden zum einen makrosoziale Analysen der Zusammenhfinge der Suizidraten der politischen Bezirke Osterreichs mit den jeweiligen regionalen Auspr~igungen anderer, vornehmlich soziologischer Parameter durchgePahrt, und zum anderen mikrosoziale Untersuchungen der Suizide in der Steiermark (nach dem Kriterium des Wohnsitzes) in den Jahren 1995 bis 2004 anhand sekund~r-statistischer Analysen der amtlichen Todesursachenstatistik und einer retrospektiven Erhebung der Lebenssimationen der Suizidenten mittels der Auswertung sicherheitsbeh0rdlicher Akten sowie Informationen der Sozialversicherungsanstalten. Abschnitt 3.1 widmete sich sodann nochmals eingehender der Feststellung der H~iufigkeit von Suiziden in Osterreich insgesamt und in der Steiermark im Besonderen, einschlieBlich der Er0rterung der diesbezaglichen alters-, geschlechts- und regionalspezifischen Differenzen. Hierbei wurden zun~ichst die anhand der offiziellen Todesursachenstatistik Par den Zeitraum 1995-2004 ermittelten ,,rohen" und altersstandardisierten Suizidraten er0rtert, wobei als zentrale Ergebnisse festzuhalten sind: Im Zeitraum 1995-2004 lag das Risiko, durch SelbsttOtung zu versterben, flit Bewohner der Steiermark um 25 % hOher als flit Einwohner des restlichen Osterreich. Die steirische Suizidrate betrug gemdj3 Todesursachenstatistik 23, 7, jene flit ganz Osterreich 19, 7. Bei Einrechnung der unterschiedlichen Altersstrukturen ergeben sich flit den Zeitraum 2001 bis 2004 OCiir den allein die erforderlich exakten Daten zu erhalten waren) altersstandardisierte Suizidraten yon 19,2 flit die Steiermark und 16,2 flit Osterreich insgesamt. Die letztere Information ist vor allem insofern yon Bedeutung, als sie zeigt, dass die unterschiedliche Altersverteilung nut einen geringen Teil der h0heren Suizidalitfit in der Steiermark ,,erkl~ren" kann: Die rohe Suizidrate (SR) der Steiermark Par die Jahre 2001 bis 2004 liegt etwa 2 1 % aber der 0sterreichweiten Rate, die altersstandardisierte Suizidrate (ASR) aber um ca. 19 %. Daher kann geschlossen werden, dass zwar die etwas h0heren Bev61kerungsanteile von Nteren Menschen in der Steiermark auch einen gewissen Einfluss auf die h0here Suizidrate haben, sie aber keineswegs ausschlaggebend Par dieselbe sein k0nnen. Weiters wurden die geschlechtsspezifischen Suizidraten far Osterreich einerseits und die Steiermark andererseits ermittelt, die hier in einem Diagramm zusammengestellt sind:
4 Zusammenschau und Relevanz ftir die Suizidprfivention
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Abbildung 33." Geschlechtsspezifische Suizidraten in Osterreich und in der Steiermark (2001-2004)
I D Osterreich D Steiermark I 35- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30-" 25- " 2 0 r ' - ~- ...... 15105O-
SR G
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Besonders ausftihrlich wurde sodann - in den Abschnitten 3.1.2. und 3.1.3. - die Frage nach den ,,mikroregionalen" Unterschieden in den Suizidhfiufigkeiten im Untersuchungszeitraum gestellt, wobei ein Vergleich zwischen den steirischen Bezirken und jenen anderer Bundeslfinder zunfichst wiederum anhand der Daten der amtlichen Todesursachenstatistik f~r den Zeitraum 2001 bis 2004 erfolgte. Als wichtigste Ergebnisse in diesem Bereich sind festzuhalten: Innerhalb der Bundeslfinder unterscheiden sich die Suizidraten einzelner Bezirke oft sehr betrfichtlich, betrachtet man die Daten aber tibergreifend im Kontext geographischer Nfihe - was am besten durch eine kartographische Darstellung geschehen kann (siehe hierzu die Abbildungen 3 bis 9), so zeigt sich, dass diejenigen Bezirke mit besonders hohen Suizidraten - rohen Raten yon 20,0 und mehr bzw. altersstandardisierten Raten von 18,0 und mehr- eine nahezu einheitliche ,,Masse" bilden, welche sich vom Bezirk Schwaz im 0stlichen Tirol - sozusagen entlang der Alpen - nach fast ganz Salzburg, Kfirnten und Steiermark, aber auch in einen Teil des stidlichen Ober- und in das westliche Nieder0sterreich sowie das stidliche Burgenland erstrecken. Demgegent~ber setzen sich der Gro6teil der ober6sterreichischen Bezirke sowie das n0rdliche und 6stliche Nieder0sterreich einschliel31ich Wiens, das n6rdliche Burgenland, der Gro6teils Tirols und alle Bezirke Vorarlbergs durch deutlich niedrigere Suizidraten ab. Benachbarte Bezirke fihneln einander also tendenziell in den Suizidraten, wobei es allerdings manchmal auch schroffe Unterschiede gibt sowie ,,Ausrei6er" innerhalb relativ homogener Regionen. Dieselben Berechnungen, wie sie anhand der Gesamt-Suizidrate vorgenommen wurden, wurden sodann auch getrennt f'tir die ,,m~innliche" und die ,,weibliche" Suizidrate durchgef'uhrt. Diese Untersuchung zeigt die besonders hohen Differenzen, die hinsichtlich der mfinnlichen Suizidrate zwischen einzelnen Bezirken bestehen k0nnen, wobei in manchen Bezirken Hfiufigkeiten von tiber 40 Suiziden pro 100.000 mfinnlichen Einwohnern und Jahr erreicht werden, im Bezirk Murau sogar eine Suizidrate der mfinnlichen Einwoh-
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
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ner von mehr als 50. Hinsichtlich der Suizide von Frauen konnten im gesamtOsterreichischen Vergleich nicht zuletzt relativ niedrige ,,Genderratios", also h0here Anteile von Frauen unter den Suizidopfern, in gr013eren, als eigene Bezirke fungierenden Stfidten festgestellt werden. Die zunehmende Angleichung ,,m~nnlicher" und ,,weiblicher" Lebensstile, die in urbanen Kontexten schneller voranschreitet, wirkt sich hier wohl zuungunsten yon Frauen aus. Im Weiteren wurde sodann er6rtert, inwieweit diese Befunde anhand der lnformationen der sicherheitsbeh6rdlichen Akten Korrekturen zu unterziehen wfiren: Die Todesursachenstatistik der Statistik Austria weist fiir die Steiermark (nach Wohnsitzkriterium) f~r den Zeitraum von 1995 bis 2005 2810 Suizide aus; der Studienautor konnte anhand der Akten der Sicherheitsbeh6rden jedoch 2929 Todesffille von in der Steiermark lebenden Personen eruieren, welche als Suizid zu klassifizieren waren. Die erhobene Differenz entspricht einem Anteil von 4 % der in der Todesursachenstatistik festgehaltenen Anzahl von Suiziden, wobei ein kleinerer Teil hiervon auf Diskrepanzen in den Erhebungsweisen zur{ickgef~hrt werden kann; der verbleibende Unterschied von etwas mehr als 3 % ist zwar bemerkenswert, aber nicht als eklatant anzusehen. F~r den Gesamtzeitraum von 1995 bis 2004 zeigt sich auch ein deutliches geographisches Muster der Suizidraten fiir die einzelnen Bezirke innerhalb der Steiermark: W~ihrend die Suizidh~iufigkeiten aller obersteirischen Bezirke zumindest bei ca. 25 pro 100.000 Einwohner und 3ahr lagen, teils aber noch deutlich dar~ber, wurden derart hohe Raten in der restlichen Steiermark nur von den Bezirken Deutschlandsberg und Radkersburg sowie Graz-Stadt erreicht. Die relativ ,,g~nstige" Position der Landeshauptstadt in der Rangordnung der Suizide, die gemfil3 offizieller Todesursachenstatistik f~r die Jahre 2001 bis 2004 konstatiert wurde, ist demnach fi~r den Zeitraum 1995-2004 und bei Einbeziehung der anhand der polizeilichen Akten eruierten, weiteren Suizid-Todesffille nicht gegeben. Analysiert wurde sodann auch der jeweilige Trend der Suizidzahlen, wobei sich zeigte, dass bei Gegen~berstellung der beiden Teilperioden 1995 bis 1999 und 2000 bis 2004 in einigen steirischen Bezirken erfreulicherweise sehr betrfichtliche Abnahmen zu registrieren waren. Andere steirische Bezirke blieben dagegen vom 6sterreichweiten Trend der Reduktion der Suizidzahlen so gut wie unber~hrt und in drei steirischen Bezirken stieg die Zahl der Suizide im Vergleich zwischen der zweiten Hfilfte der 90er Jahre und den 3ahren 20002004 sogar an. Im gesamten Bundesland betrug die Reduktion der Suizide im Vergleich zwischen den beiden Teilperioden 9 %. Auf die m6glichen Ursachen der ausgepr~igten regionalen Unterschiede, und damit auch auf m6gliche spezifische Ansatzpunkte der Suizidpr~ivention, wurde dann in den Abschnitten 3.2. und 3.3. ausffuhrlich eingegangen. Zunfichst wurden makrosoziale Analysen zur Suizidalitfit in Osterreich insgesamt und der Steiermark im Besonderen durchgef'tihrt, indem die Suizidraten aller politischen Bezirke zu anderen, auf kollektiven Niveau erhebbaren Faktoren in Beziehung gesetzt wurden, von denen ein Einfluss auf die Suizidh~iufigkeiten angenommen wird. Hierbei wurden einige 0kologische, vor allem aber soziologische Variable erOrtert; die gefundenen Ergebnisse lassen sich nun abschlieBend weitgehend in einer Zusammenschau mit jenen Befunden diskutieren, die fiir die jeweils analogen Untersuchungen im mikrosozialen Untersuchungsteil resultierten. Innerhalb des letzteren wurde zunachst (in 3.3.1.) auf Aspekte zeitlicher Ungleichverteilung von Suiziden innerhalb des Untersuchungszeitraums Bezug genommen, und zwar insbesondere auf die Frage nach der Saisonalit~it von letalen Suizidhandlungen, wobei eine
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4 Zusammenschau und Relevanz far die Suizidprfivention
Hfiufigkeitsverteilung errechnet wurde, die etwa dem bereits vielfach beobachteten gesamteuropfiischen Muster entspricht (mehr Suizide in F~hsommer und Sommer, wenige im Winter); die Schwankungen sind deutlich, aber nicht extrem groB. Auch die Frage nach der Hfiufung von Suiziden an Feiertagen wurde untersucht, wobei hier far die Steiermark fiberdurchschnittliche Hfiufungen von Suizidf'~.llen an zwei Feiertagsgruppen festgestellt werden mussten, nfimlich zu Faschingsende (Faschingdienstag, Aschermittwoch) und Allerheiligen/ Allerseelen. Auffallig wenige Suizide fielen dagegen an den Weihnachtsfeiertagen vor. Im Weiteren wurde die regionale Verteilung der Suizide nochmals thematisiert; insbesondere konnte anhand der fallbezogenen Daten erhoben werden, dass die weitaus meisten SelbsttOtungen innerhalb des jeweiligen Wohnbezirks der Betroffenen gesetzt wurden. Daneben erlaubten die vorhandenen Daten auch eine Analyse der Hfiufigkeiten von Suiziden je nach Grofle der Wohnorte, wobei allerdings innerhalb der Steiermark nur geringfagig unterschiedliche Suizidrisiken far die verschiedenen Kategorien von Gemeinden zu verzeichnen waren. In den Unterabschnitten 3.3.4. und 3.3.5.wurde dann nochmals, mit speziellen Bezug auf die Daten der SicherheitsbehOrden far die Steiermark, auf die Geschlechts- und Altersverteilung der Suizidenten Bezug genommen: Das Risiko, an Suizid zu versterben ist fiir mdnnliche Steirer mehr als dreimal so hoch wie fiir weibliche, und die Suizidrate steigt mit zunehmendem Alter deutlich an, bei Mdnnern zudem viel mehr als bei Frauen. Senioren haben demnach auch in der Steiermark ein besonders hohes Suizidrisiko, Jugendliche dagegen ein relativ niedriges. Ab einem Alter von 15 Jahren nfihert sich die Suizidrate abet jener junger Erwachsener an. Im Bereich der makrosozialen Daten wurde mit der ErOrterung der etwaigen Einflasse 6kologischer Faktoren auf die Suizidrate begonnen: Sehr deutlich bestfitigt wurden herbei die angenommenen Zusammenhfinge zwischen den bezirksweisen Anteilen von Dauersiedlungsraum bzw. Waldfldche und Suizidrate: Osterreichweit wie auch steiermarkweit gilt, dass Bezirke mit niedrigeren Flfichenanteilen von Dauersiedlungsraum bzw. hOheren Anteilen von Waldfl~,chen tendenziell hOhere Suizidraten aufweisen. Von diesen anscheinend negativ wirksamen Faktoren ist die Steiermark in besonders hohem MaBe betroffen, insbesondere die obersteirischen Bezirke. Nicht bestfitigt werden konnte der dagegen vermutete Zusammenhang zwischen Urbanisierungsgrad bzw. BevOlkerungsdichte pro Bezirk und Suizidrate. Als Ursachen far die Zusammenhfinge zwischen den topographischen Indikatoren ,,Dauersiedlungsraum-Anteil" und ,,Waldflfichen-Anteil" und der H6he der Suizidrate sind wohl mehrere Mechanismen anzunehmen, wozu u.a. die geringere Sonneneinstrahlung in Teilen jener hochalpinen Regionen zu zfihlen ist, welche auch niedrige Anteile von Dauersiedlungsflfichen aufweisen, dann aber auch ein stfirkeres Prfivalieren rural-,,traditioneller" im Sinne von: traditionell-moderner- Lebensformen in diesen Regionen, was erh0hte Suizidrisiken bedeutet, und na~rlich schlechtere medizinische und insbesondere psychiatrischpsychotherapeutische Versorgungslage. Hinsichtlich der Bedeutung groBer Waldflfichenanteile kOnnte vielleicht zudem ein genuiner, negativer Effekt auf der psychologischen Ebene wirksam sein, der freilich noch n~,her zu beforschen wfire. Sodann wurden zun~,chst die Ergebnisse zu den Zusammenh~.ngen zwischen demographischen Faktoren und Suizidrate er6rtert, wobei festgestellt werden konnte, dass sowohl allgemeine Sterbe-, als auch Geburtenziffem in der vermuteten Weise mit den Suizidraten korrelieren, wenn auch vor allem erstere nicht in starkem AusmaB. Sehr klar zeigte sich aber eine Assoziation der bezirksweisen BevOlkerungsentwicklung (bezogen auf den Zeit-
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
371
raum 1991-2001) in ihrer Gesamtheit mit der jeweiligen Suizidrate. In dieser Variable spiegelt sich wohl auch die Einstellung der Einwohner zu ihrer jeweiligen Wohnregion: Bezirke mit starken Abwanderungserscheinungen werden offenkundig als Gebiete erlebt, in denen vergleichsweise schlechte Lebensbedingungen und vor allem schlechte Zukunftsperspektiven gegeben sind, wfihrend solche mit deutlich wachsender BevOlkerung sicherlich von besonders vielen Menschen als vorteilhafte Wohnregionen beurteilt werden. Auch hinsichtlich dieses Kriteriums schneidet die Steiermark schlecht ab, liegt doch ein Drittel aller 6sterreichischen Bezirke mit besonders ungt~nstiger BevOlkemngsentwicklung (Stagnation, Rackgang) in der Steiermark. Ein aberraschendes Ergebnis brachte die Untersuchung des Zusammenhangs von Familienstand und Suizidrate: Hinsichtlich der Rate der Verwitweten konnte bei altersstandardisierter Betrachtung kein deutlicher mathematischer Zusammenhang erhoben werden, und betreffend der Scheidungsrate ergab sich sogar, dass bei einer hOheren Anzahl von Scheidungen in einem Bezirk die Anzahl der Suizide eher etwas geringer ist. Dies bedeutet aber selbstverstfindlich nicht, dass Scheidung far die individuell Betroffenen nicht dennoch ein erheblicher Risikofaktor far Suizid wfire. Die Auswertung der mikrosozialen Daten zeigte - wie dies auch dem allgemeinen Forschungsstand zu diesem Thema entspricht-, dass geschiedene Personen sehr wohl ein deutlich h6heres Suizidrisiko haben als Verheiratete oder Ledige. 547 Die Ursache far diese Diskrepanz der makro- und der mikrosozialen Zusammenhfinge liegt wahrscheinlich in dem Umstand, dass Bezirke mit sehr hohen Scheidungsraten vielfach Stadtbezirke sind, in denen sich zahlreiche andere Parameter suizidprfiventiv auswirken (bessere medizinische Versorgung, grOBere Aufgeschlossenheit der BevOlkerung gegent~ber derselben auch bei psychischen Problemen, hOhere Anteile von qualifizierten Berufen, besonders im Dienstleistungssektor usw.). Auf der pers6nlichen Ebene sind weiters na~rlich nicht nur Scheidungen, sondem ebenso auch Trennungen zwischen nicht verheirateten Partnern als besonderes Suizidrisiko zu betrachten; insgesamt wurde tar den Zeitraum 2000-2004 in 12 % der eingesehenen polizeilichen Akten auf eine Partnertrennung als (Teil-)Ursache des Suizids Bezug genommen; eine nicht unbetrfichtliche ,,Dunkelziffer" wfire zudem sicherlich noch hinzuzurechnen. Bezaglich des Aspekts der Immigrantenpopulation gehen die Befunde auf makro- und mikrosozialer Ebene dagegen konform: H6here Anteile auslfindischer Staatsbarger in einem Bezirk sind mit - wenn auch nicht um vieles - niedrigeren Suizidraten verbunden (3.2.6.) und ,,Auslfinder" veraben in Osterreich auch -jedenfalls den Daten far die Steiermark im Zeitraum 1995 bis 2004 nach zu urteilen - deutlich seltener SelbsttOtungen als Inlfinder (3.3.16); die ermittelte Differenz ist hierbei so grog, dass selbst bei weiterer Beracksichtigung der unterschiedlichen Altersstrukturen und einer vielleicht hOheren Dunkelziffer yon Suiziden von auslfindischen Staatsbargern jedenfalls die unganstigere Lage der ,,Inlander" bestehen bleibt. 548 Da in der Steiermark der Anteil auslandischer Staatsbarger im 6ster547Die far dieses Kriterium far den Zeitraum 1995-2004 ermittelten Suizidratenje nach Familienstanden und Alter betragen in der Steiermark: In der Alterskategorie der 10-29-J~rigen: Far Verheiratete 7 Suizide je 100.000 Personen und Jahr, far Ledige 14, far Geschiedene 28; far Verwitwete kann wegen der geringen Anzahl der Falle die ermittelte Rate - 139 - nur eingeschr~kt interpretiert werden. In der Alterskategorie der 30-59-Jghrigen betragen die Raten: Far Verheiratete 20, far Ledige 39, far Verwitwete 38, far Geschiedene 52; in der Klasse der 60 und mehr Jahre alten Personen: Far Verheiratete 42, far Ledige 44, far Verwitwete 47, far Geschiedene 46. 548Bei gesonderter Berechnung far einzelne Altersklassen ergeben sich folgende approximative Relative Risiken: Far Steirer mit 0sterreichischer Staatsbargerschaft im Alter von 10 bis 29 gegent~berEinwohnern ohne 0sterreichische Staatsbargerschaft gleichen Alters: 2,3, far 30-59-Jahrige 1,9, far 60- und mehr- J~rige 2,2.
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4 Zusammenschau und Relevanz f~r die Suizidprfivention
reichweiten Vergleich besonders niedrig ist, kommt der so potentiell resultierende Reduktionseffekt der Suizidrate den steirischen Bezirken wenig zugute. Komplexer stellen sich wiederum die Ergebnisse der Untersuchung des Faktors ,,religi6s-kulturelle Diversitdt" dar; auf makrosozialer Ebene lfisst sich ein Zusammenhang von Suizidrate und Anteil der Katholiken eines Bezirks im 0sterreichweiten Vergleich nicht bestfitigen, wohl aber im innersteirischen Vergleich. Ft~r den innersteirischen Vergleich lfisst sich auch die komplementfire Durkheim'sche Hypothese bestfitigen, dass Regionen mit h0heren Anteilen von Personen evangelischer Konfession h0here Suizidraten aufweisen. Interessanterweise ergeben sich aber ~ r andere 6sterreichische Bundeslfinder teils kontrfire Resultate, was auf die grof3e Bedeutung regionaler kultureller Spezifika ~ r die soziale Bedeutung von Konfessionszugeh0rigkeiten hinweist. 549 Offensichtlich in Zusammenhang damit lassen sich 6sterreichweit auch keine klaren Zusammenhfinge zwischen der Verbreitung von Konfessionslosigkeit und Suizidalitfit feststellen; innerhalb der Steiermark haben aber Bezirke mit h6heren Raten Konfessionsloser- wozu v.a. die obersteirischen Industriebezirke zu zfihlen sind - auch h0here Suizidraten. Innerhalb der Menge der steirischen Suizidenten der Jahre 1995 bis 2004 stellen aber jedenfalls, wie dies ja zumindest grob der Verteilung in der Gesamtbev61kerung entspricht, die Katholiken eindeutig die Majoritfit. Exakte Daten hierzu sind im mikrosozialen Bereich leider nicht erhebbar, da die Verwendung der Residualkategorie ,,unbekanntes Religionsbekenntnis und Personen ohne Bekenntnis" in der Todesursachenstatistik dem entgegensteht. Weitere Parameter des makrosozialen Untersuchungsteils waren regionale Haushaltsund Wohnstrukturen (3.2.8 und 3.2.9.); die Untersuchungen der Zusammenhfinge zwischen der Anzahl der gemeinsam in einem Haushalt bzw. in einer Wohnung lebenden Personen zeigten eher schwache Korrelationen, die zudem ~ r den Osterreichweiten Vergleich genau gegenteilig wie ft~r den nur steiermarkweiten ausfielen: In der Steiermark sind die Bezirke mit kleineren Haushalten jene mit den h6heren Suizidraten, 6sterreichweit gesehen sind es aber Bezirke mit h0heren Mitgliederzahlen. Eine wesentliche Ursache ~ r diese Diskrepanz k0nnte der Umstand sein, dass 0sterreichweit Urbanitfit- die tendenziell mit geringeren Haushaltsgr0f3en verbunden ist- heute tendenziell protektiv gegen Suizid wirkt, in der Steiermark aber der Faktor, dass die obersteirischen Industriebezirke eher kleine Haushaltsgr013en aufweisen, die Auswirkungen dieses Umstandes t~berdeckt. Im mikrosozialen Untersuchungsteil liel3 sich leider die Anzahl der gemeinsam mit den Suizidenten in einem Haushalt lebenden Personen anhand der beh0rdlichen Akten nicht ausreichend verlfisslich erheben; dass aber das Vorhandensein einer Lebenspartnerschaft bzw. Ehe jedenfalls tendenziell protektiv wirkt, wurde schon mehrfach hervorgehoben. Jedoch ist festzuhalten (siehe hierzu 3.3.7), dass t~ber die Hfilfte der Suizidopfer in der Steiermark in einer formellen oder informellen Partnerschaft gelebt hatte. Ein Drittel befand sich zum Zeitpunkt des Suizids im Status ,,ehemaliger" Partnerschaft, sei es, wegen einer Trenhung oder weil der Partner verstorben war. Bei der Untersuchung der von den Sicherheitsbeamten spezifisch erhobenen Suizidmotive ergab sich weiters, dass in 12 % der Suizidfalle der Jahre 2000 bis 2004 eine Partnertrennung, in 9 % aber der Tod eines Angeh0rigen (meist, aber nicht immer der Partner) als Suizidmotiv eruiert wurde. Ft~r weitere etwa 11% der Suizidenten wurden aber schwere Probleme in einer noch aufrecht gewesenen Partnerbeziehung als Suizidmotiv beschrieben. 549 ,,Protestant" zu sein bedeutet offensichtlich in Karnten etwas anderes als in der Steiermark, in Wien etwas anderes als im Burgendland usw.
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
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Auch Probleme mit Eltern bzw. Kindern wurden immer wieder als Suizidmotive genannt; was die Frage nach der Elternschaft von Suizidenten betrifft, so kann immerhin festgestellt werden, dass 19 % der Verstorbenen, die im Alter yon 20 bis 59 waren, bei ihnen mitversicherte Kinder hatten. Wenn hieraus auch nicht der Anteil der Personen, die t~berhaupt Kinder hatten, errechnet werden kann, zeigt sich jedenfalls doch, dass Elternschaft zwar vielleicht einen protektiven Faktor gegen Suizid darstellt, aber dennoch oftensichtlich auch zahlreiche FNle vorfallen, in welchen sich Eltern auch von noch jt~ngeren Kindern selbst das Leben nehmen. Hinsichtlich der Wohnungsstrukturen erscheint aber vor allem noch jenes Ergebnis der makrosozialen Untersuchung bedeutungsvoll, wonach/Ssterreichweit kleinere Wohnflfichen pro Person sehr stark mit h6heren Suizidraten assoziiert sind! (KK [P] -0,41 bei altersstandardisierter Berechnung); die Steiermark erscheint hier zwar nicht iiberdurchschnittlich stark betroffen, nichtsdestoweniger sollte dieses Resultat im Hinblick auf sozial- und wohnbaupolitische Prfiventionsmagnahmen sehr zu denken geben. Verstfindlicherweise liegen keine speziellen Angaben zu den Wohnflfichen vor, welche den Suizidenten zur Verfagung gestanden hatten, sodass hier kein Analogon mikrosozialer Erhebung existiert. Jedoch kann der spezifische Aspekt der Suizidalitfit von Anstaltsinsassen durchaus in diesem Zusammenhang gesehen werden, sind doch beengte Wohnverhfiltnisse - neben dem Zwang, eng mit nicht nfiher bekannten, auch hfiufiger wechselnden Mitbewohnern zusammenzuleben - ein wesentliches Kriterium des ,,Anstaltslebens". Allerdings darf nicht vergessen werden, dass Insassen psychiatrischer, aber oftmals auch jene von Straf- und allgemeinen Kranken- bzw. Pflegeanstalten auch aufgrund von psychischen Erkrankungen bzw. Pers6nlichkeitsst6rungen als Hochrisikogruppen far Suizide anzusehen sind. Insgesamt hatten 8 % aller Suizide in der Steiermark der Jahre 2000-2004 wfihrend Anstaltsaufenthalten stattgefunden haben (3.3.24), wovon der Grogteil auf psychiatrische Anstalten (3,5 %) bzw. Pflege- und Seniorenheime (3 %) entfallt. Ein erheblicher weiterer Anteil der Suizidenten setzte seinem Leben aber kurz nach solchen Aufenthalten ein Ende: zieht man die Daten der Sozialversicherungsanstalten far die Jahre 2002 bis 2004 heran, ergibt sich far 3,7 % aller Suizide, dass sie im Zeitraum von maximal einem Monat nach Entlassung der Betroffenen aus einer psychiatrischen Einrichtung stattfanden (siehe 3.3.19.). Auch unmittelbar vor einer Einweisung in eine Anstalt werden aber offensichtlich hfiufig Selbstt6tungen begangen (mindestens 2 % der Suizide in der Steiermark gemfig den polizeilichen Informationen). Ein weiterer Aspekt des Lebensbereichs ,,Wohnen" - der direkt mit dem Bereich 6konomischen Wohlstands verknt~pft ist - konnte wiederum auf makrosozialer Ebene mit der Frage nach den Anteilen von bestausgestatteten Wohnungen (,,Kategorie A") pro Bezirk untersucht werden. Wie erwartet, konnte eruiert werden, dass mit hOheren Quoten solcher Wohnungen die Suizidrate tendenziell sinkt, wobei far C)sterreich insgesamt dieser Zusammenhang nur schwach ausfallt; innerhalb des Bundeslands Steiermark ist er aber sehr deutlich. Der Zusammenhang ist inhaltlich nach Auffassung des Studienautors sicher weniger kausal denn symptomatisch zu deuten, indem durchschnittlich schlechtere Wohnungsausstattungen eben auf insgesamt schlechtere 6konomische Verhfiltnisse sowie auch auf spezifische, (sub-)kulturelle Muster verweisen, welche dem langfristigen eigenen Wohlbefinden weniger Bedeutung zumessen.
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4 Zusammenschau und Relevanz ft~r die Suizidprfivention
Bemerkenswerterweise ist das durchschnittliche Arbeitnehmereinkommen, welches so direkt wie kaum ein anderer der einbezogenen Indikatoren die 6konomische Potenz der Einwohner einer Region misst, zwar ftir Osterreich insgesamt - wie erwartet wurde - klar negativ mit der Suizidrate assoziiert - es bringen sich also in ,,reicheren" Bezirken weniger Menschen um -, dies gilt aber nicht im steiermarkinternen Vergleich, denn die obersteirischen Bezirke, welche die h/Schsten Suizidraten aufweisen, sind nicht jene mit den geringsten Durchschnittseinkommen. Betont werden muss so zweierlei: Zum einen stellt eine ungt~nstige wirtschaftliche Lage ~ r viele Menschen zweife|los auch in der Steiermark einen kausalen Faktor ~ r die erh/Shte Suizidrate dar; zum anderen ist eben ein relativ hohes durchschnittliches Einkommen allein noch keine ,,Garantie" f~r eine niedrige Suizidrate in der jeweiligen Region, da zahlreiche weitere Faktoren interferieren. Nicht zuletzt sagt das Durchschnittseinkommen auch nicht so viel tiber die Verteilung des Wohlstandes aus. Anhand der im mikrosozialen Erhebungsteil erhobenen Daten kann jedenfalls klar belegt werden, dass Okonomische Probleme ein erhebliches Suizidrisiko darstellen; ein Urnstand der in der medizinischen und psychologischen Suizidforschung viel zu wenig beachtet wird: Kein Suizid geschieht wohl - insbesondere in Osterreich - ,,rein" aufgrund einer materiellen Notlage. Insbesondere der Anteil, den die relative Deprivation, die soziale Deklassierung von Wenig-Verdienern und Beschfiftigungslosen, schon am Entstehen psychischer Erkrankungen und in der Folge auch von Suizidalitfit hat, sollte aber keinesfalls unterschfitzt werden. In 10 % der Suizidfalle der Jahre 2000 bis 2004 in der Steiermark nennen die polizeilichen Akten finanzielle Notlagen explizit als ein Suizidmotiv (siehe 3.3.23), und 1 1 % der Suizidenten waren beschfiftigungslos (3.3.9.). Gegentiber Menschen im erwerbsfahigen Alter, die eine - selbstfindige oder unselbstfindige - Erwerbstfitigkeit austibten, hatten Beschdfiigungslose (Arbeitslose im engeren Sinn, Notstands- und Sozialhilfeempf~nger u.a.; ohne Pensionisten) somit ein weit erh6htes Suizidrisiko, die spezifische Suizidrate ist mindestens mit 71 pro 100.000 und Jahr anzugeben! Gleicherma6en lie6 sich feststellen, dass sich unter den als Arbeitnehmer tfitigen Suizidenten t~berproportional viele erwerbstfitige Bezieher geringer Einkommen (,,working poor") befanden: 49 % hatten einen Lohn, der deutlich unter dem Medianeinkommen lag, aber nur 33 % einen, der deutlich dart~ber lag. Mehr als ein Viertel der noch aktiv gewesenen Arbeitnehmer unter den Suizidenten hatten ein monatliches Bruttoeinkommen von weniger als 900 Euro zur Ver~gung gehabt. Betreffend der pensionierten Arbeitnehmer ergab sich Analoges: Mindestens ca. 20 % waren ,,Ausgleichszulagen-Bezieher", nahezu die Hfilfte (!) hatte Bruttopensionen von maximal 900 C im Monat zur Verftigung (3.3.13.). Auf makrosozialer Ebene lassen sich gleichsinnige Befunde anhand der Korrelation yon Arbeitslosenquote und Suizidrate dokumentieren, die 0sterreichweit 0,24 betrfigt. 55~ In den langfristig erh0hten Anteilen von Arbeitslosen sowie von Beschfiftigungslosen insgesamt, in vielen steirischen Regionen ist demnach sicherlich auch eine Ursache der erh0hten Suizidalitfit der Steiermark zu sehen. Noch weit deutlicher als mit der Arbeitslosenquote - und dies ist angesichts der quantitativen Bedeutung ft~r die Gesamtbev01kerung keineswegs t~berraschend - korrelieren auf makrosozialer Ebene aber Arbeiter- und Angestelltenanteile mit der Suizidrate - und zwar 55oRein innerhalb der Steiermark gilt im Untersuchungszeitraum aber nicht, dass Bezirke mit h0heren Quoten von Arbeitslosen auch h0here Suizidraten aufweisen w0rden. Zu beachten ist hierbei aber, dass diese nach dem sozialversicherungsrechtlichen Kriterium des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gemessenen Werte keineswegs das volle Ausmal3 der Besch~.ftigungslosigkeitreprasentieren.
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
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erstere positiv, letztere negativ. Die altersstandardisierte Suizidrate ist Osterreichweit mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,41 mit dem Anteil der Arbeiter unter den Erwerbstfitigen assoziiert (und negativ in derselben HOhe mit der Quote der Angestellten; siehe 3.2.12.). Kaum ein anderer Faktor betrifft die Steiermark in so hohem AusmaB wie dieser, denn unter den 25 Osterreichischen Bezirken mit den hOchsten Arbeiteranteilen befinden sich 10 steirische! Aber auch Bezirke mit hohen Anteilen von Land- und Forstwirten sind tendenziell von hOherer Suizidalitfit betroffen (KK [P] 0,15 ~ r (3sterreich insgesamt), und auch hierbei nimmt die Steiermark eine exponierte Lage ein (6 Bezirke unter den 25 mit den Osterreichweit hOchsten Landwirteanteilen). Besonders hervorzuheben ist aber, dass diese Zusammenh~,nge auf makrosozialer Ebene sich im mikrosozialen Bereich wiederfinden lassen; es haben also nicht nur Bewohner yon Bezirken mit h6heren Arbeiteranteilen statistisch erhOhte Suizidrisiken, sondem es sind tatsfichlich auch Arbeiter deutlich h~iufiger Suizidopfer als Angestellte." GemfiB den Daten der Sozialversicherungsanstalten ~ r die Jahre 2002 bis 2004 betrfigt die Suizidrate der aktiv erwerbstfitigen Arbeiter in der Steiermark 21, jene ~ r Angestellte und Beamte aber ca. 8, also etwa nur ein Drittel. Selbst wenn man bedenkt, dass der Anteil der Mfinner unter den Arbeitem deutlich hOher ist als unter den Angestellten (66 % vs. 48 %), und daher das h6here Suizidrisiko f~r Mfinner mit zu bert~cksichtigen ist, bedeutet dies eine ganz eklatante Differenz. TM Annfiherungsweise bestimmen lieBen sich auch die Suizidraten einzelner ,,BerufsCluster" (,,Berufspositionen") unter Bert~cksichtigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede; die entsprechende Analyse (3.3.11.) zeigte, dass unter den erwerbstfitig gewesenen Personen mfinnliche Fabrikarbeiter und Hilfsarbeiter eine Suizidrate von mindestens 30 je 100.000 Personen und Jahr aufweisen, 552 im Dienstleistungsbereich beschaftigte M~,nner dagegen ,,nur" Mindest-Suizidraten- je nach Qualifikationsniveau - zwischen 8 und 18. Fabrikarbeiterinnen und weibliche Hilfskrfifte haben demgegent~ber im Vergleich mit weiblichen Beschfiftigten im Dienstleistungsbereich eine fihnliche Suizidrate (mindestens 4). Etwas gt~nstiger stellt sich die Lage auch ft~r mannliche Facharbeiter und Handwerker dar; sie weisen in der Steiermark eine Mindest-Suizidrate von 19 auf. ,~hnlich hoch liegen bemerkenswerterweise auch die Suizidraten f~r Angestellte und Beamte in Leitungsfunktionen sowie f't~r Selbst~indige (mindestens 16 f't~r Untemehmer und Manager, mindestens 18 ft~r leitende Beamte). Als die hinsichtlich Suizid am meisten gef'ahrdete Berufsgruppe (ohne Pensionisten) erweisen sich aber die mfinnlichen Landwirte, die im Zeitraum von 2000 bis 2004 eine Suizidrate von 53 aufweisen! Auch Landwirtinnen haben in der Steiermark aber, verglichen mit anderen erwerbstatigen Frauen, eine extrem t~berh6hte Suizidmortalitfit von mindestens 12 pro 100.000 Personen und Jahr. Die beschriebenen Differenzen lassen sich weitgehend auch innerhalb der pensionierten Suizidenten wiederfinden; pensionierte Landwirte haben ein weit hOheres Suizidrisiko als andere Pensionisten (54 im Zeitraum 2002 bis 2004), ~ r pensionierte Arbeiter mit GKK-Versicherung ist eine deutlich hOhere Suizidrate (40) als ~ r pensionierte, GKK-versicherte Angestellte (34) festzustellen. 551 Gleicht man dieses Ungleichgewicht rechnerisch aus, und nimmt eine gleichm~.Bige Geschlechterverteilung zwischen Angestellten und Arbeitern an (je 57 % M~ner, 43 % Frauen), ergaben sich diesbezt~glich standardisierte Suizidraten von ca. 18,5 (Arbeiter) versus ca. 9,4 (Angestellte), also eine etwa doppelt so hohe Suizidrate ft~r aktive Arbeiter als ft~raktive Angestellte. 552Von ,,Mindest-Raten" wird gesprochen, da eine gewisse Anzahl yon Suizidenten aus verschiedenen Grtmden hinsichtlich des ausget~bten Berufs nicht zuordenbar war, und daher keine exakte Relation zur Gesamtbev01kerung, sondern eben nur ein zumindest erreichter Anteil eruiert werden konnte.
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4 Zusammenschau und Relevanz ftir die Suizidprfivention
Insgesamt lfisst sich f~r das Kriterium der beruflichen Schichtung somit sagen, dass sowohl Personen in besonders wenig qualifizierten und wenig Gestaltungsspielraum bietenden Berufen - vor allem im Industriebereich - als auch solche in hochqualifizierten und stark eigenverantwortlichen Berufen stfirker suizidgefahrdet sind als der ,,Mittelstand" von vornehmlich im Dienstleistungsbereich beschfiftigten Angestellten. Dies bedeutet, dass ein Zusammenhang zwischen Schichtung und Suizidrisiko vorliegt, der sich aber nicht linear, sondern etwa U- (bzw. J-)formig darstellt. Bei der Betrachtung der Suizidhfiufigkeiten hinsichtlich der nfiheren Art der Berufstfitigkeiten der Verstorbenen (33.10) zeigte sich insbesonders, dass neben den Land- und Forstwirten auch die land- undforstwirtschafilichen Arbeiter eine sehr hohe Suizidrate aufweisen (mindestens 33), und dass auch die Suizidraten unter Medizinern und Sicherheitsbeamten sehr hoch sind. Durchaus analoge Ergebnisse lieferte die Auseinandersetzung mit dem Bildungsniveau." Auf der makrosozialen Ebene konnte eruiert werden, dass mit zunehmenden Anteilen von Maturanten und Akademikern an der Bev61kerung eines Bezirks deutlich niedrigere altersstandardisierte Suizidraten verbunden sind (KK [P] -0,29), und umgekehrt mit h0heren Anteilen von Nur-Pflichtschulabsolventen unter den Erwerbstfitigen h6here Suizidraten. Insbesondere von geringen Maturanten- und Akademikerquoten ist wiederum auch die Steiermark in einem besonderen Ausma6 betroffen, neun steirische Bezirke zfihlen zu den Osterreichweit 25 diesbeztiglich am ungtinstigsten positionierten Regionen. Auf der mikrosozialen Untersuchungsebene konnten bedauerlicherweise aus Mangel an betreffenden Daten die Anteile der Maturanten- bzw. Nicht-Maturanten nicht erhoben werden; der postulierte Zusammenhang zwischen geringerer Bildung und h6herem Suizidrisiko lfisst sich abet anhand der Akademikerquote unter den Suizidenten nachweisen: Denn obwohl Personen in akademischen Berufen, wie schon hervorgehoben, h6here Suizidraten aufweisen als nicht-akademische Angestellte im Dienstleistungsbereich, haben doch Akademiker, wenn man sie der Gesamtheit der restlichen BevOlkerung (ab 15 Jahren) gegenfiberstellt, zumindest in der Steiermark der Jahre 2000 bis 2004 ein deutlich niedrigeres Suizidrisiko als Nicht-Akademiker (20 versus 25). Neben diesen im engeren Sinn sozialen Faktoren wurden nattirlich auch medizinische und psychologische Aspekte von Suizidalitfit untersucht; auf der makrosozialen Ebene geschah dies durch die Analyse der bezirksweisen Daten zur allgemeinmedizinischen sowie zur psychosozialen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, sowie durch die Betrachtung von Indikatoren Dr das regionalspezifische Aggressionsniveau und Risikoverhalten. Hierbei konnte zunfichst nachgewiesen werden, dass - sowohl bei i3sterreichweiter wie bei ,,innersteirischer" Analyse - Bezirke mit h0heren Raten niedergelassener Allgemeinmediziner niedrigere Suizidraten aufweisen (KK -0,16 6sterreichweit). Noch stfirker ist der Zusammenhang aber f~r den psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsgrad im niedergelassenen, extramuralen und stationfiren Bereich, der Osterreichweit durch die Quote (je Einwohnerzahl) der in einem Bezirk tfitigen Psychotherapeuten einerseits, die Quote der psychiatrischen und neurologischen Fachfirzte pro Bezirk andererseits gemessen wurde. Der Korrelationskoeffizient betrfigt im 0sterreichweiten Vergleich - f'tir die altersstandardisierte Suizidrate - betreffend der Psychotherapeuten-Quote 0,15, betreffend die Psychiater- und Neurologen-Quote sogar - 0,20. Gleichsinnig, wenn auch etwas weniger stark, zeigt sich die Assoziation innerhalb der Steiermark allein. Von geringen Quoten an psychiatrisch-neurologischen Fachfirzten, insbesondere aber an Psychotherapeuten ist die Steiermark aber im Osterreich-Vergleich sehr betroffen, die Bezirke
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
377
Murau, Liezen, Judenburg, Mt~rzzuschlag, Voitsberg, Leibnitz, Radkersburg, Feldbach und Hartberg zfihlen zu den 25 6sterreichweit am schlechtesten mit Psychotherapeuten ausgestatteten. Bezogen auf die Einwohnerzahl stand in diesen Regionen, weiters auch in den Bezirken Deutschlandsberg, Ft~rstenfeld und Knittelfeld, im Jahr 2004 nicht einmal pro 5.000 Einwohner ein Psychotherapeut zur Verfagung, w~hrend der 6sterreichische Durchschnitt ca. 1:1.400 betrug. Im steiermarkinternen Vergleich war es zudem m6glich, auch die Anzahl der in psychosozialen Zentren und ~hnlichen Einrichtungen des extramuralen Bereichs betreuend tfitigen Personen insgesamt (Psychotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter u.a) in eine Korrelationsberechnung mit einzubeziehen. Auch far den entsprechenden Gesamtindikator zur psychosozialen Versorgung in der Steiermark zeigt sich der Zusammenhang mit der Suizidrate in erwarteter Richtung. Einbezogen in die Analyse zu diesem Aspekt wurde schliel31ich noch das Kriterium ,,Distanz des Bezirks zum n~chstgelegenen stationfirpsychiatrischen Zentrum"; auch hierfar konnte in einer 6sterreichweiten Analyse ein eindeutiger Zusammenhang mit der Suizidrate ermittelt werden: Je welter ein Bezirk von demselben (definiert als Ort, an welchem stationfire Einrichtungen mit mindestens 100 psychiatrischen Krankenhausbetten vorhanden sind; gew6hnlich die jeweilige Landeshauptstadt) entfernt ist, desto h/3her ist die Suizidrate; dies gilt far Osterreich insgesamt (KK [P] 0,20), in eklatant hohem Ma6 aber far die Steiermark (KK [P] 0,60). Regionalspezifische Aggressionsniveaus wurden im Weiteren anhand der Kriminalitilts- und Mortalititsstatistik untersucht; die Suizidrate zeigt schwache, aber doch feststellbare Zusammenhfinge zur Rate alkoholbedingter Todesfdlle sowie zur Anzahl der Verkehrs- und sonstigen Unfalltoten, wobei letztere Zusammenh~nge innerhalb der Steiermark sogar ausgesprochen stark ausfallen. Hinsichtlich der ebenso als Indikator herangezogenen Raten yon KOrperverletzungen ergaben sich jedoch keine eindeutigen Ergebnisse. Zum Bereich medizinisch-psychologischer Merkmale der Verstorbenen waren erwartungsgemfi6 auch in den polizeilichen Akten zu den einzelnen Suizidenten von Sicherheitsbeh6rden und den Informationen der Sozialversicherungsanstalten reichhaltige Daten vorhanden (siehe 3.3.19-3.3.23); als wichtigste Befunde hierzu lassen sich zusammenfassen: Ein ganz erheblicher Anteil der Suizidenten, etwa ein Drittel, war - zumindest nach den in diesem Fall nur far Graz erhobenen Informationen - irgendwann einmal straffNlig geworden, hauptsfichlich durch eher geringfugige bis mittelschwere Verm6gens- und Gewaltdelikte; die Betroffenen waren also schon in ihrer Vorgeschichte ,,auffallig" geworden. Explizit als psychisch krank (ohne Suchterkrankungen) werden in den polizeilichen Erhebungsakten zu Suiziden nur 5 1 % der Verstorbenen bezeichnet; diesbezt~glich ist freilich klar, dass von einer ganz erheblichen Dunkelziffer auszugehen ist, und bei eingehender psychiatrischer Diagnose wahrscheinlich 90-100 % der Suizidenten als psychisch krank h~tten gelten massen. Die erhobene Quote von etwa 50 % ist aber insofern aussagekrfiftig, als sie einen Anhaltspunkt dafar liefert, wie viele der Suizidenten in sozial auffNliger Weise an psychischen Erkrankungen litten. Die meistgenannten Krankheitsformen in den sicherheitsbeh6rdlichen Akten sind hierbei bei weitem Depressionen. Anhand der Daten der Sozialversicherungsanstalten lie6 sich aber erheben, dass ca. 13 % der Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 in ihrem letzten Lebensjahr mit einer psychiatrischen Diagnose in einer Krankenanstalt behandelt worden waren - ein aberraschend geringer Anteil! Jemals in stationfirer psychiatrischer Behandlung hatten nach polizeilichen Daten mindestens 17 % der Verstorbenen gestanden, der tatsfichliche Wert wfire aber deutlich h6her zu schfitzen.
378
4 Zusammenschau und Relevanz far die Suizidprfivention
Bei Krankenhausaufenthalten wegen psychiatrischer Probleme gem~6 Sozialversicherungsangaben stellten ebenfalls Depressionen die hfiufigsten Diagnosen dar (40 % der bekannten Diagnosen im psychiatrischen Bereich entstammten dem Diagnosekapitel F 3 nach ICD 10), gefolgt von schizophrenen Psychosen (19 %) und sonstigen Psychosen aus dem ICDBereich F 2 (11%) sowie einem aberraschend hohen Anteil von Diagnosen auf Neurosen, Verhaltensauffalligkeiten, Pers6nlichkeitsst/Smngen u.fi. Eine betrfichtliche Zahl von Personen hatte kurze Zeit nach ihrer Anstaltsentlassung Suizid vert~bt, die Aufenthaltsdauem bei den bekannten psychiatrischen Aufenthalten der spfiteren Suizidenten waren im Allgemeinen kurz gewesen. Vorangegangene Suizidversuche liegen sich anhand der sicherheitsbeh0rdlichen Akten nur in 15 % der Ffille der Jahre 2000 bis 2004 feststellen, eine sehr hohe Dunkelziffer ist anzunehmen. Ebenso nach polizeilichen Daten massen 14 % der Suizidenten als Suchtkranke gelten, auch hier ist von einer tatsfichlich noch viel h0heren Verbreitung auszugehen; insbesondere die gefundenen Hfiufigkeiten von Medikamentenabhfingigkeit (weniger als 1 % ) stellen sicher nur einen Bruchteil der tatsfichlichen Quote dar. Die meisten Suchtkranken waren aber jedenfalls Alkoholiker (mindestens 12 % aller Suizidenten, wahrscheinlich deutlich mehr); einen kleinen Anteil stellten von illegalen Drogen abhfingige Personen (1,3 %), auch nichtsubstanzgebundene Suchtkrankheiten werden manchmal erwfihnt, insbesondere Glacksspielsucht. Alkoholiker und andere Suchtkranke sind so unter den durch Selbstt0tung Verstorbenen jedenfalls weit aberreprfisentiert, far alkoholkranke Bewohner der Steiermark ist von einer Suizidrate von mindestens 70 pro 100.000 Einwohner auszugehen und damit von einem Suizidrisiko, das mehr als dreimal so hoch ist wie das Nicht-Alkoholabhfingiger. Die weitaus meisten polizeilich als Alkoholiker charakterisierten Personen unter den Suizidenten befanden sich im mittleren Lebensalter zwischen 30 und 60 Jahren. Einen quantitativ wohl noch gr6geren Faktor als Suchterkrankungen stellen abet kOrperliche Krankheiten dar, die nach den psychischen Erkrankungen sicher einen der hfiufigsten - und oft zu wenig beachteten - Einzelfaktoren far letale Suizidhandlungen darstellen; fast ein Drittel der Suizidenten (29 %) hatte den polizeilichen Erhebungen nach unter erheblichen k0rperlichen Beschwerden gelitten! Eine Aufgliederung nach Altersklassen zeigte, wie zu erwarten war, eine Zunahme dieses Anteils mit hOherem Lebensalter; wfihrend ernsthafte, meist chronische kt~rperliche Krankheiten bei den Suizidenten in den Alterskohorten zwischen 20 und 50 in ca. 10 % der Ffille als Suizidmotiv genannt wurden, steigt der Anteil in jeder folgenden Kohorte deutlich an, bis er schlie61ich bei 56 % in der Kategorie der 70 bis 79-jfihrigen bzw. 73 % der 80 bis 89-jfihrigen Suizidenten liegt. KOrperliche Erkrankungen treten demnach als ein Suizidmotiv bei Senioren sehr hfiufig auf. Voile 14 % aller steirischen Suizidenten der Jahre 2002 bis 2004 bezogen zudem nach Angaben der Sozialversicherungsanstalten Pflegegeld, litten also jedenfalls an erheblichen gesundheitlichen Beeintrfichtigungen dauerhafter Art; 24 % waren wegen somatischer Erkrankungen im letzten Lebensjahr in Krankenhausbehandlung gewesen. Mit 8 % der Gesamtsumme aller Suizidenten erschreckend hoch ist hierbei der Anteil jener Personen, welche sich innerhalb eines Monats nach Entlassung aus einem allgemeinen Krankenhaus, wo sie wegen k6rperlicher Beschwerden behandelt worden waren, t6teten! In Abschnitt 3.3.23 wurden sodann weitere Bedingungen der Suizidhandlungen diskutiert, wie sie in den polizeilichen Akten erhoben wurden. Auf die groge Bedeutung belastender Familienverhdlmisse wurde schon mehrfach eingegangen; insgesamt registrierten die beh6rdlichen Suizidakten in 4 1 % der Suizidfalle der Jahre 2000 bis 2004 erhebliche
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
379
Probleme im familifiren Bereich; auch hier ist der tatsfichliche Anteil natfirlich noch weit h6her einzuschfitzen; insbesondere sind langfristig zur~ckliegende psychische Traumata der spfiteren Suizidenten (etwa der Kindheit) hier so gut wie niemals be~cksichtigt, wenn nicht auch aktuelle familifire Schwierigkeiten kurz vor der Suizidhandlung manifest waren. Auf das hfiufige Vorliegen belastender Verhdltnisse im Wohnbereich der Suizidenten wurde ebenso weiter oben schon hingewiesen; dasselbe gilt Dr 6konomische Probleme. Sehr hfiufig wurden weiters auch Probleme in Zusammenhang mit der Berufstdtigkeit - groBer psychischer Druck, Arbeitsplatzverlust u.a. - als Suizidmotive angegeben; unter den bis kurz vor ihren Tod erwerbstfitig gewesenen Suizidenten betraf dies mindestens 15 %. Andere Faktoren, die explizit als Suizidmotive genannt werden, sind extreme soziale Isolation (3 % Nennungen, sicher sehr hohe ,,Dunkelziffer"). Erhebliche Probleme mit Menschen auBerhalb des Familienkreises und des beruflichen Umfeldes wurden in 4 % der Suizidfalle angegeben, jeweils etwa zur Hfilfte bezogen auf Konflikte im Freundeskreis bzw. unter Nachbarn einerseits, Probleme mit BehOrdenvertretern, Angeh6rigen medizinischer Institutionen usw. andererseits. In etwa 2 % der Suizide spielte ein kurz davor erfolgter Verlust des F~hrerscheins bzw. des PKWs eine klare Rolle. Auch betreffend mentaler Charakteristika der Suizidenten wurde die Hfiufigkeit der Nennung gewisser Merkmale in den polizeilichen Akten erhoben; als aggressiv wurden etwa 6 % der Betroffenen gekennzeichnet, als introvertiert etwa 5 %; unter chronischen Angstsymptomen litten offensichtlich mindestens 8 %, mindestens 3 % hatten den Erhebungsakten zufolge irgendwann Unfalltraumata psychischer Art davongetragen. Weitere Erhebungsvariablen betrafen sodann die Umstdnde der Suizidhandlungen selbst, die ebenso als prfiventiv belangvoll gelten k6nnen: In 24 % der bearbeiteten Suizidakten wird von eindeutigen Suizidanktindigungen berichtet - auch hier ist wieder von einer erheblichen Unvollstfindigkeit der Daten auszugehen, und vor allem sind hier uneindeutige Suizidandeutungen nicht mitgerechnet; schon dieser Mindest-Anteil aber stimmt sehr bedenklich und widerlegt jedenfalls die populfire These, wonach, wer darfiber spreche, sich nicht wirklich umbringen wtirde. Was die Ortlichkeiten der Suiziddurchfohrung betrifft, wurde festgestellt, dass sich t~ber 60 % in den Wohnungen der Suizidenten ereignet hatten, 3 % auf dem Gelfinde psychiatrischer Einrichtungen, 2 % in anderen Kranken- und sonstigen Anstalten, und ein Drittel an ,,sonstigen" Orten, wozu insbesondere 6ffentlich zugfingliche Wald-, Grtin-, Wasser- und Verkehrsflfichen zfihlen. Betreffend der Suizidmethode wurde erhoben, dass nahezu die Hfilfte aller SelbsttOtungen durch Erhfingen bzw. Ersticken ve~bt wurden, eine Methode, die so gut wie gar keine spezifische Prfivention erlaubt (auBer in besonderen institutionellen Kontexten wie Gef~.ngnissen oder psychiatrischen Anstalten). Dies gilt aber nicht fur die zweithfiufigste Suizidmethode, das Erschieflen, welches in 503 von 2923 klassifizierbaren Suizidf~.llen durchgef'Ohrt worden war (17 %). Nfichsthfiufige Suizidmethoden waren das SichHinabsttirzen aus gr0Beren H0hen sowie die Selbstvergiftung, gew0hnlich mit Medikamenten-Oberdosen (je ca. 8 %). Einen relativ hohen Anteil nimmt weiters die Methode des gezielten Herbeifdhrens t0dlicher Unfalle ein, die nicht im gesamten Zeitraum in der Todesursachenstatistik gesondert erfasst ist; ftir die Periode 2000 bis 2004, konnte ein Anteil von 6 % aller Suizide errechnet werden. Der Grol3teil dieser Selbstt6tungen geschieht durch das Sich-Oberrollen-Lassen durch Eisenbahnztige, was ein gewisses Indiz daftir darstellt, dass etliche tOdliche Verkehrsunfalle mi PKW unerkannte Suizide sind. Diese konnten in der vorliegenden Studie nattirlich nicht weiter be~cksichtigt werden.
380
4 Zusammenschau und Relevanz tar die Suizidprfivention
Schlie61ich wurde der Aspekt des so genannten ,, erweiterten Suizids" thematisiert; im Zeitraum 2000-2004 lief3en sich in der Steiermark 16 derartige F~ille aktenmfi6ig nachvollziehen, einige weitere dtirften in der Studie unregistriert geblieben sein, etwa weil die Akten noch in Bearbeitung waren oder unter ,,Mord", aber nicht unter ,,Selbstmord" archiviert worden waren. Bezogen auf die Anzahl untersuchter polizeilicher Akten ergibt sich ein Anteil von 1,3 % aller Suizide. Nach der Diskussion der einzelnen vorgenannten Faktoren erschien es besonders wtinschenswert, eine multifaktorielle Analyse durchzuNhren, also auch das Gewicht der einzelnen Aspekte im Verhaltnis zueinander zu bestimmen. Hierbei kamen zwei im engeren Sinn multifaktorielle Verfahren zur Anwendung, eine multivariate Regression im Bereich der makrosozialen Analyse und eine Clusteranalyse anhand der fallbezogenen, mikrosozialen Daten. Anhand der letzteren konnten 10 verschiedene Klassen yon Suizidenten gebildet werden (mit recht unterschiedlichen Gr6gen zwischen 44 und 351 Suizidf'~illen), die hinsichtlich mancher Merkmale sehr deutlich voneinander abgrenzbar waren, vielfach aber auch fihnliche Charakteristiken aufwiesen (siehe 3.3.25). Angesichts dessen wurde sodann ~ r einige inhaltlich besonders interessierende Parameter noch eine spezifische, thesengeleitete Untersuchung einzelner Teilsamples der Suizidenten durchge~hrt. Bevor nun die Ergebnisse auch der multivariaten Analyse im makrosozialen Bereich hier zusammengefasst werden, sei hier, abschlie6end f'dr den mikrosozialen Untersuchungsteil, noch eine Ubersichtstabelle mit den wichtigsten Ergebnissen prfisentiert: Tabelle 234:
Hauptergebnisse des mikrosozialen Untersuchungsteils ss3
Auswertungen der Todesursachenstatistik Anzahl der Suizide in der Steiermark 1995-2004 (rohe) Suizidrate Osterreichs 1995-2004 (rohe) Suizidrate der Steiermark 1995-2004 Suizidratio Osterreich 2001-2004 Suizidratio der Steiermark 2001-2004
2810 20,8 23,7 2,0% 2,3%
Auswertungen der sicherheitsbeh6rdlichen Akten und Informafionen der Sozialversicherungsanstalten Anzahl der Suizide 1995-2004 (rohe) Suizidrate Steiermark 1995-2004 Ver~inderung der Anzahl der Suizide 2000-2004 gegeneber 1995-1999 Anteil der m~nnlichen Suizidenten (1995-2004) Anteil der weiblichen Suizidenten (1995-2004) Anteil der Suizidenten im Alter von unter 30 Jahren Anteil der Suizidenten im Alter von 30 bis 59 Jahren Anteil der Suizidenten im Alter von mindestens 60 Jahren . . . .
2929 24,8 -9% 75% 25 % 13,4 % 47,9% 38,6 %
553Wo nicht anders angegeben, beziehen sich die Daten auf die Steiermarkinsgesamtsowie die Jahre 1995-2004.
4. l Zusammenfassung der Ergebnisse
3 81
Auswertungen der sicherheitsbehOrdlichen Akten und Informationen der Sozialversicherungsanstalten (Fs.) Suizidrate unter den steirischen M&nnern insgesamt Suizidrate unter den steirischen Frauen insgesamt Suizidrate unter den 80 und mehr Jahre alten steirischen M~nnern Suizidrate unter den 80 und mehr Jahre alten steirischen Frauen
38,3 11,9 157,9 29,3
Suizidraten der steirischen Bezirke gem~l~ Aktenanalyse (1995-2004) Murau M0rzzuschlag Leoben Liezen Deutschlandsberg Graz Stadt Judenburg Knittelfeld Bruck/Mur Radkersburg Hartberg Leibnitz Feldbach Weiz Voitsberg Ferstenfeld Graz-Umgebung
31,5 31,4 29,4 26,9 25,5 25,1 24,9 24,9 24,6 24,5 24,2 23,6 23,2 22 7 22 6 209 20,4
Anteil der Ledigen an den Suizidenten Anteil der Verheirateten an den Suizidenten Anteil der Verwitweten an den Suizidenten Anteil der Geschiedenen an den Suizidenten
29 % 44 %
14% 12%
Suizidrate f0r Ledige mittleren Alters (30-60) Suizidrate f0r Verheiratete mittleren Alters (30-60) Suizidrate fer Verwitwete mittleren Alters (30-60) Suizidrate for Geschiedene mittleren Alters (30-60)
39 20 38 52
Anteil der Pensionisten (2002-04) Anteil der Besch&ftigungslosen (2000-04) Anteil der Arbeitslosen (im engeren Sinn; 2002-04) Anteil der Personen ohne Sozialversicherung
45 % min. 11% 5% ca. 7%
382
4 Zusammenschau und Relevanz fiJr die Suizidprfivention Auswertungen der sicherheitsbeh6rdlichen Akten und Informationen der Sozialversicherungsanstalten (Fs.) Suizidrate der aktiv gewesenen Arbeiter (2002-04) Suizidrate der aktiv gewesenen Angestellten und Beamten (2002-04) Suizidrate der aktiv gewesenen Landwirte (2002-04) Suizidrate der aktiv gewesenen Selbst~indigen (2002-04)
21,1 8,3 20,8 17,9
Suizidrate der pensionierten Arbeiter (2002-04; GKK) Suizidrate der pensionierten Angestellten (2002-04; GKK) Suizidrate der pensionierten Landwirte (2002-04) Suizidrate der pensionierten Selbst~indigen (2002-04)
40,3 34,1 53,6 ca. 33
Suizidrate der Personen mit Universit~itsabschluss (2000-2004) Suizidrate der Personen ohne Universit~itsabschluss (2000-2004)
19,9 24,8
Anteil der Personen mit max. 900 (~ Bruttoeinkommen pro Monat unter den aktiven Arbeitnehmern unter den Suizidenten (2002-04) Anteil der Personen mit max. 900 (~ Bruttoeinkommen pro Monat unter den Pensionisten unter den Suizidenten (2002-04) ds. Suizidrate in Gemeinden bis 1.000 Ew. (1995-2004) ds. Suizidrate in Gemeinden mit 1.000-10.000 Ew. (1995-2004) ds. Suizidrate in Gemeinden mit 10.000-30.000 Ew. (1995-2004) ds. Suizidrate in Graz (2001: ca. 226.000 Ew.;1995-2004) Anteil von jemals delinquent gewesenen Suizidenten (nach Polizeiangaben; nur Graz, 1995-2004) SicherheitsbehSrdlich registrierte psychische Erkrankungen (Achtung: tats#chficher Anteil wahrscheinlich bei 90-100 %) davon Depressionen Suizidenten, die im letzten Lebensjahr mit einer psychiatrischen Diagnose in Krankenhausbehandlung waren (2002-2004) SicherheitsbehSrdlich registrierte Abh~ngigkeitserkrankungen (Achtung: hohe Dunkelziffer anzunehmen) davon Alkoholkranke SicherheitsbehSrdlich registrierte, erhebliche k6rperliche Krankheiten Anteil der Pflegegeldbezieher (2002-04) Suizidenten, die im letzten Lebensjahr mit einer somatischen Diagnose in Krankenhausbehandlung waren (2002-2004)
27% 53 % 25,7 24,2 26,5 25,1 min. 35 % i
51%
89 % 13 % 15%
88 % 29 % 14 % 24 %
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
3 83
Auswertungen der sicherheitsbehdrdlichen Akten und Informationen der Sozialversicherungsanstalten (Fs.) Polizeilich erhobene famili&re Probleme insgesamt als Suizidmotiv (hier und fLir die folgenden zwei Aspekte hohe Dunkelziffern zu vermuten) Partnertrennung als polizeilich erhobenes Suizidmotiv Probleme in bestehenden Partnerbeziehungen als erhobenes Suizidmotiv Tod von Familienangeh6rigen als polizeilich erhobenes Suizidmotiv Berufliche Probleme als erhobenes Suizidmotiv 0konomische Notlagen als erhobenes Suizidmotiv
41% 12 % 11% 9% 15 % 11%
Unterbringung in einer psychiatrischen bzw. neurologischen Einrichtung Unterbringung in einer and. Einrichtung des Sozial- u. Gesundheitswesens Delogierung oder Wegweisung spielte eine Rolle Suizide w~ihrend Untersuchungs- oder Strafhaft
t
Suizide, denen eindeutige SuizidankQndigungen vorangingen (nach polizeilichen Akten, Achtung" Dunkelziffer) Suizide, die in den eigenen Wohnungen ausgef0hrt wurden Suizide, denen Fremdt6tungen direkt vorangegangen waren h~iufigste Suizidmethoden (1995-2004) Erh~ingen (einschlieBlich Ersticken) Erschiel~en Sturz aus gr66erer H6he Selbstvergiftung (v.a. durch Medikamente)
3,5 % 4,1% 2,3 % 0,7 %
24 % 60 % rain. 1,3%
,
i
!
49 % 17 % 8% 8%
,
i
Nach dieser Zusammenstellung der fundamentalen Befunde des mikrosozialen Untersuchungsteils gilt es nun noch, die makrosozialen Analysen in synoptischer Perspektive darzulegen. In Unterabschnitt 3.2.17. wurden zun~ichst die Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalysen verglichen, zusammengefasst und nochmals auf ihre jeweilige Bedeutung far die Erklfirung der erh6hten Suizidrate des Bundeslandes Steiermark hin diskutiert. Als Mal3zahl wurde hierbei die Anzahl der steirischen Bezirke im - i m Hinblick auf die Assoziation der jeweiligen Variable mit der altersstandardisierten Suizidrate - am ungtinstigsten positionierten Quartil (Viertel) aller Osterreichischen Bezirke herangezogen (,,StBuQ"). 554 Als far die steirische Situation innerhalb Osterreichs besonders ungtinstige Faktoren zeigten sich hierbei: Der hohe Waldflfichenanteil, die vergleichsweise hohe Quote von Arbeitem an der BevOlkemng, der vergleichsweise niedrige Anteil yon Immigranten, der niedrige Anteil von Personen mit zumindest Mamra-Bildungsniveau, das geringe Mal3 der psychosozialpsychotherapeutisch-psychiatrischen Versorgung, die geringe Quote der Erwerbstatigen 554Die Summe der 6sterreichischen politischen Bezirke (Wien wurde hierbei als eine Einheit aufgefasst) betragt 99, ein Quartil setzt sich daher aus 25 Bezirken zusammen. Die zu erwartende Anzahl steirischer Bezirke pro Quartil bei zufalliger Verteilung ware 17/4~-4.
384
4 Zusammenschau und Relevanz fur die Suizidprfivention
insgesamt, die ungt~nstige Bev61kerungsentwicklung, die vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote, der geringe Anteil des Dauersiedlungsraums, das im Vergleich geringe Arbeitnehmerdurchschnittseinkommen, der relativ hohe Anteil von Land- und Forstwirten, und die geringe Quote psychiatrisch-neurologischer Fachfirzte. Far alle diese Faktoren weisen die steirischen Bezirke im /3sterreichweiten Vergleich t~berproportional hfiufig besonders ungt~nstige Werte auf. Die entsprechenden Ergebnisse seien hier nochmals, geordnet nach dem Kriterium ,,StBuQ", tabellarisch dargestellt.
Tabelle 235." Bivariate Korrelationen mit der altersstandardisierten Suizidrate nach Bezirken Osterreichweit, geordnet nach der Relevanz far steirische Bezirke StBuQ 10 10 10
6 5 4 4 3 3 2
Parameter Waldfl~chenanteil Anteil der Arbeiter an Erwerbst~tigen Anteil ausl&ndischer Staatsb0rger Anteil von Matura-Absolventen Quote der Psychotherapeuten Quote der Erwerbst,~tigen Bev61kerungsentwicklung 1991-2001 Arbeitslosenquote Anteil des Dauersiedlungsraums durchschn. Arbeitnehmereinkommen Anteil der Land- und Forstwirte Quote der Psychiater und/oder Neurologen durchschnittliche Wohnfl~iche Distanz zu station~ir-psychiatrischem Zentrum Anteil der im Tourismus Besch~iftigten Quote der AIIgemeinmediziner Anteil erwerbst~tiger Pflichtschulabsolventen
KK (P) 0,41 0,41 -0,15 -0,29 -0,15 -0,37 -0,30 0,24 -0,40 -0,33 0,15 -0,20 -0,41 0,20 0,20 -0,16 0,21
Besonders wichtig erschien es im Weiteren, die entsprechenden Faktoren im engeren Sinn multivariat, das heiBt unter Bert~cksichtigung ihrer wechselseitigen Interferenzen, zu analysieren. Hierbei ergab sich zunfichst bei einem alle 17 oben genannten Variablen umfassenden linearen Regressionsmodell eine Gleichung, mit welcher mathematisch gesehen 37 % der Gesamtstreuung der altersstandardisierten Suizidraten erklfirt werden kann. Bedeutungsvoll sind hierbei insbesondere die standardisierten (multivariaten) Korrelationskoeffizienten, welche ein MaB far die jeweilige quantitative Relevanz der einzelnen Parameter bieten: Die Ergebnisse dieser Auswertung besagen, dass bei multifaktorieller Betrachtung im Rahmen dieses Modells im 6sterreichweiten Vergleich der Rate der psychiatrisch-neurologischen Fachfirzte pro Bezirk im Hinblick auf die H6he der Suizidrate besonders groBe Bedeutung zukommt - was sowohl die ambulante, als auch die extramurale und stationfire Versorgung betrifft - (Betrag des SRK []131]:0,39), weiters sodann der durchschnittlichen Wohnflfiche pro Einwohner (1131:0,30), dem Anteil der (selbstfindigen) Landund Forstwirte im jeweiligen Bezirk (1131:0,29), dem Anteil auslfindischer Staatsbarger (1131:
4.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
385
0,20), dem Anteil der Arbeiter an den Erwerbstatigen (113[: 0,19), der Rate der (niedergelassen, extramural und/oder in stationaren Einrichtungen t~tigen) Psychotherapeuten (1131: 0,18), dem Anteil der Waldflfiche (1131: 0,17), dem durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen (1131: 0,16), der BevOlkemngsentwicklung der Jahre 1991-2001 (1131: 0,16), dem Anteil der Erwerbstatigen insgesamt (1131:0,13), dem Anteil der Maturanten und Akademiker (1131: 0,13) und der Arbeitslosenquote pro Bezirk (1131: 0,12). Zu bedenken ist bei der Interpretation dieser Daten aber die unterschiedliche inhaltliche und praktische Bedeutung der genannten Variablen; der Anteil der Land- und Forstwirte in allen Bezirken ist weitaus geringer als jener der Arbeiter, die durchschnittliche Wohnflache pro Person je Bezirk variiert nur geringffigig usw. Auch ist zu beachten, dass ein Teil der genannten Parameter, etwa der Waldflfichenanteil, einen starken Indikatorcharakter hat und auch andere Ph~inomene als die jeweils direkt bezeichneten miterfasst (hier etwa ,,Abgelegenheit" eines Bezirks). Aul3erdem sind manche zentrale Analysebereiche in diesem Modell mit mehreren Parametern vertreten, so das Bildungsniveau (Anteil der Akademiker und Mamranten und Anteil der Nur-Pflichtschulabsolventen) und der psychosozialpsychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungsgrad (Rate der Psychiater und/oder Neurologen sowie der Psychotherapeuten). Weiter ist zu beachten, dass es sich bei den genannten Parametern eben nur um eine Auswahl aus einer begrenzten Summe von Variablen handelt, deren Osterreichweite, bezirksweise Untersuchung anhand quantitativer Daten far den Untersuchungszeitraum m6glich war. Das Nicht-Aufscheinen bestimmter Faktoren in dieser Liste besagt also keineswegs eine inhaltliche Irrelevanz far die Suizidhfiufigkeit, sondern ist zum Teil dem Fehlen ,flfichendeckender", ad~iquater Daten geschuldet. So ware es wohl aufschlussreich gewesen, die bezirksweisen Erkrankungshfiufigkeiten im psychiatrischen Bereich (Inzidenzen oder Prfivalenzen) im Modell zu beracksichtigen, oder etwa auch die durchschnittlichen Sonnenscheindauern; hierzu fehlten aber ausreichend exakte Datengrundlagen. Auch hinsichtlich der Hilfsangebote far psychisch Kranke, deren suizidpraventive Wirkung durch die obigen Ergebnisse eindeutig nachgewiesen werden kann, ware eine detailliertere Erfassung fraglos von Nutzen. Aufgrund des derzeitigen Fehlens vergleichbarer Daten far ganz C)sterreich konnte insbesondere die Tatigkeit der extramuralen psychosozialen Einrichtungen (psychosoziale Beramngszentren, Arbeitsassistenz-Angebote, Wohnplattformen usw.) im 6sterreichweiten Vergleich nicht gesondert erhoben werden, obwohl far die Steiermark selbst hierzu eine austiihrliche, auch quantitative Daten bietende Dokumentation vorliegt. 555 Far den innersteirischen Vergleich zeigt eine Einbeziehung des personellen Ausstattungsgrades der extramuralen psychosozialen Einrichtungen in den Indikator zum psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgungsgrad, dass diesem Faktor ebenso hohe suizidprfiventive Bedeutung zukommt. Das 1 7-Variablen Modell der bezirksweisen Differenzen der Suizidraten in Osterreich wurde sodann reduziert, indem zum einen jene Faktoren, deren Erklarungsbeitrag allzu gering erschien (131unter 0,1), ausgeschieden wurden, zum anderen, indem in jenen Fallen, in welchen mehrere Parameter ~ r inhaltlich ~ihnliche Phfinomene vorhanden waren, dieselben in einen Gesamtindikator integriert wurden. So wurde schlief31ich ein 8-VariablenRegressionsmodell entwickelt (,,Modell 4"), dessen mathematischer Erklfirungswert dem ursprtinglichen 17-Variablen-Modell um nichts nachsteht (R 2 gleichfalls 0,37, der Wert ,,adjusted R:" liegt nun bei 0,32), das sich aber deutlich iabersichtlicher prasentiert: 555Amt der Steiermarkischen Landesregierung - FA8B Gesundheitswesen - Susanna Krainz, Psychiatriebericht Steiermark 2003. Graz 2004.
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4 Zusammenschau und Relevanz far die Suizidprfivention
Tabelle 236:
Parameter des 8-Variablen-Modells zur Erklfimng der Differenzen in den Suizidraten der 0sterreichischen Bezirke mit Angabe der jeweiligen Relevanz far die steirischen Bezirke 556
Dimension
Indikator
SRK
StBuQ
Kollektives Bildungsniveau
Indikator aus Quoten d. Akademiker u. Maturanten und d. Pflichtschulabsolventen
0,52
4A
Okonomisches Niveau
Durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen
-0,35
6
Wohnstruktur
Durchschnittliche Wohnfl~iche pro Bewohner
-0,34
4
Psychosozial-psychiat.psychother. Versorgung
Indikator aus Psychiater-/Neurologen-Rate und Psychotherapeuten-Rate
-0,29
6 B
Demographische Entwicklung
BevSIkerungsentwicklung 1991-2001
-0,29
8
Erwerbsstruktur
Indikator aus Quoten der Arbeiter und d. selbst~indigen Land- und Forstwirte
0,17
8
Ethnisch-kulturelle Diversit~t
Anteil ausl~indischer Staatsberger
0,17
10
Landschaftliche Struktur
Anteil Waldfl~iche
0,12
10
A Far die Variable ,~,kademiker und Maturanten-Quote" allein befinden sich aber sogar 9 steirische Bezirke unter den 25 5sterreichweit am ungQnstigsten positionierten. BFQr die Variable ,,Psychotherapeuten-Rate" allein befinden sich sogar 9 steirische Bezirke unter den 25 5sterreichweit am schlechtesten gestellten.
Im reduzierten 8-Variablen Modell scheinen im Wesentlichen wieder jene Faktoren als besonders bedeutungsvoll auf, welche bereits im 17-Variablen Modell als die wichtigsten identifiziert worden waren; lediglich die Reihenfolge hat sich teilweise ver~ndert, wobei nun bemerkenswerterweise der Gesamtindikator far das Bildungsniveau an allererster Stelle steht. Okonomisches Niveau, Wohnstruktur, Niveau der psychosozial-psychiatrischpsychotherapeutischen Versorgung, demographische Entwicklung, Erwerbsstruktur, Anteil auslfindischer Staatsbarger und landschaftliche Struktur erscheinen auch in diesem reduzierten Modell sfimtlich stark relevant (bei weiteren Reduktionsversuchen trat eine deutliche Verminderung des Erkl~rungswertes far die Streuung der Suizidraten ein). Den genannten Dimensionen kommt also auch bei komplexer, multivariater Analyse jedenfalls eine sehr hohe Bedeutung far das Zustandekommen regionaler Differenzen in den Suizidraten zu. Da hier mit altersstandardisierten Suizidraten operiert wurde, ist weiters natarlich die regional unterschiedliche Altersstruktur als ein zusfitzlicher Faktor far Differenzen in den realen, ,,rohen" Suizidhfiufigkeiten mit zu beracksichtigen. 556 Die Spalte ,,SRK" gibt wiederum den Erklarungsbeitrag im betreffenden Regressionsmodell an. Vorzeichen sind dabei inhaltlich nicht unbedingt aussagekraftig. In der Spalte ,,StBuQ" findet sich die Relevanz des Faktors far die steirische Situation, ausgedrt~cktdurch die Anzahl der jeweils stark betroffenen steirischen Bezirke.
4.2 Perspektiven ft~r die Suizidprfivention
387
Wie groB die Bedeutung dieser Faktoren gerade auch mr das Zustandekommen der hohen steirischen Suizidrate ist, zeigt deutlich die Betrachtung der Spalte ,,StBuQ": Bei gleichmfif3iger Verteilung der Ausprfigungen der jeweiligen Parameter t~ber Osterreich ware eine Anzahl von 4 Bezirken zu erwarten, die unter die jeweils 25 6sterreichweit am schlechtesten gestellten fallen. Tatsfichlich betreffen solche ungt~nstigen Situierungen aber hinsichtlich fast aller als besonders relevant erachteten Dimensionen deutlich mehr steirische Bezirke, teils doppelt so viele und mehr.
4.2 P e r s p e k t i v e n fiir die Suizidpr/ivention Die bisherigen ErOrterungen wiesen zum Teil ja schon deutlich in die Richtungen, welche eine gezieltere Suizidprfivention - in (Ssterreich respektive in der Steiermark - auf Grundlage der nunmehrigen Kenntnisse einschlagen k6nnte; einige dazugeh0rige Oberlegungen seien an dieser Stelle noch explizit gemacht, wobei dieselben sicher nicht als mr diese Thematik ersch0pfend erachtet werden k6nnen. Selbstverstfindlich kommt nicht allen erhobenen Einzelergebnissen dieselbe Bedeutung im Hinblick auf mOgliche Verbesserungen in der Suizidpr~.vention zu. Manche Befunde sind wenig eindeutig 557 - manche potentiell relevanten Umstfinde waren im Rahmen der vorliegenden Studie auch gar nicht erhebbar _,558 andere Befunde sind zwar eindeutig, aber nur fur kleinere Teilbereiche der Gesellschaft von Relevanz (in welchen sie aber Beachtung finden k6nnten), 559 wieder andere schliel31ich sind zwar deutlich und von offensichtlicher allgemeiner Bedeutung, aber lassen kaum grOl3ere Anderungen zu, so etwa der ermittelte - zumindest statistische - Zusammenhang von Waldflfichenanteilen und Suizidraten, sondem allenfalls individuelle Vorkehrungen. 56~ Andererseits lassen sich aber etliche Merkmale benennen - v o n denen die meisten in der Forschungsliteratur durchaus bereits bekannt sind -, welche auf zahlreiche suizidgefahrdete Personen zutreffen, und zwar meist mehrere zugleich, weshalb den betroffenen Teilpopulationen besondere Aufmerksamkeit zu widmen wfire. Zum einen sollten unbedingt die psychotherapeutisch-psychiatrischen Betreuungsangebote f~r diese Bev01kerungsgruppen verbessert werden, zum anderen k6nnten teils aber sicherlich auch primfirprfiventive MaBnahmen zur m0glichsten Beseitigung der jeweils belastenden Lebensbedingungen gesetzt werden: Generell sind Mdinner viel stfirker suizidgef'fihrdet als Frauen; das besonders im ,,Mittelstand" verbreitete traditionelle Rollenverstfindnisses vom ,,starken Mann", der sich keine B1013e geben darf, ft~r sein Schicksal allein selbst verantwortlich ist, und - sexuell wie 6konomisch - immer ,,Erfolg" haben muss, ist hierfur sicherlich zu einem betrachtlichen Teil verantwortlich. Der Abbau solcher Rollenverstfindnisse sollte im Hinblick aufbessere Suizidprfivention, soweit mOglich, gef6rdert werden. 557So etwa zur Bedeutung bestimmter konfessioneller Zugeh0rigkeiten 558So die Bedeutung sexueller Praferenzen und sexueller St0rungen far die Suizidalitat. 559So die spezifischen Suizidrisiken bei bestimmten Berufstatigkeiten. 56o Der Studienautor warde es far m0glicherweise nicht sinnlos erachten, in manchen Fallen depressiven Menschen zu so radikalen MaBnahmen wie einer 15bersiedlung, etwa aus besonders schattigen Talseiten, zu raten. Eine praktische Durch~hrbarkeit solcher Ideen ware natarlich im Einzelfall zu prafen und 13bersiedlung kann andererseits selbst wieder einen Risikofaktor far Suizid darstellen.
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4 Zusammenschau und Relevanz far die Suizidprfivention Sozial schwache Menschen haben ein h0heres Suizidrisiko als sozio6konomisch besser gestellte; Beschfiftigungslose weisen weit h0here Suizidraten auf als Erwerbstfitige und Arbeiter deutlich h0here als Angestellte. Bei sozi0konomisch deprivierten Menschen ist (im Kontrast zum oben Festgestellten auch bei M~nnern) hfiufig ein Weltbild der weitgehenden Fremdbestimmtheit anzutreffen, 561 welches die prekfire soziale Lage perpetuie~ und auch als suizidfordernd angesehen werden muss. Psychosoziale Betreuung ft~r sozial schwache Menschen sollte daher in besonderem Ma6e ausgebaut werden, wobei sehr darauf zu achten wfire, auch Personengruppen, die nicht von sich aus einschleigige Hilfe suchen, zu erreichen. Dart~ber hinaus sollten ft~r spezifische Risikogruppen gezielte Maf3nahmen ergriffen werden. Arbeitslosigkeit stfirker vorzubeugen sowie insbesondere auch schon lfingerfristig beschfiftigungslosen Menschen in einer ihren M0glichkeiten entsprechenden Weise Beschfiftigungs- und Verdienstm0glichkeiten zu bieten, hfitte zweifelsohne einen die Hfiufigkeit von Suiziden reduzierenden Effekt. Auch yon dem nunmehr 0sterreichweit geplanten Mindesteinkommen ist ein solcher zu erwarten, wobei aber wichtig w~,re, dass die vorgesehenen Prt~fungen der ,,Arbeitswilligkeit" realistisch ausfallen. Sehr viele angeblich nicht ,,arbeitswillige" Menschen, insbesondere aus sozial schwachen Schichten, sind tatsfichlich aufgrund ihrer psychisch-mentalen Verfassung zumindest zeitweilig als nicht arbeitsf~ihig zu erachten. Eine bessere Absicherung der materiellen Grundbedt~rfnisse auch ft~r diese Personen k0nnte sicherlich helfen, viele Suizide zu vermeiden. In diesem Zusammenhang wfire es besonders wichtig, in Krisensituationen - also insbesondere bei Entlassungen - spezifische Hilfestellungen anzubieten. Natt~rlich ist bei weitem nicht jede/r, der seinen Arbeitsplatz verliert, suizidgefahrdet; ein erh0htes Risiko besteht aber zweifellos, sodass spezifische Ma6nahmen angebracht erschienen. Da Personen, die Arbeitsplatzverlust erleiden, in Osterreich gro6teils rasch an das Arbeitsmarktservice als Ansprechpartner verwiesen werden, wfire insbesondere eine Zusammenarbeit zwischen AMS und psychosozialen Einrichtungen denkbar; schon die standardm~,f3ige Beift~gung einer Broscht~re zu den allgemeinen Informationsmaterialien ftir Arbeitssuchende, welche - mOglichst regionalspezifisch je nach Bezirkt~ber die M0glichkeiten professioneller Hilfe bei psychischen Problemen, aber auch in sozio0konomischen Fragen (Schuldnerberatung u.fi.) - informiert, k0nnte hier vielleicht manchen spfiteren Suizid schon im Ansatz verhindern helfen. Weitergehende Mal3nahmen wfiren selbstverstfindlich t~berlegenswert. Eine besondere Krisensituation stellt vielfach, wie deutlich geworden ist, der Verlust der gewohnten Wohnumgebung dar. W~,hrend bei Entlassungen aus psychiatrischen Anstalten, aber auch Strafanstalten dieser Aspekt zumindest den zustfindigen Betreuern bekannt ist, und eine Begleitung ft~r die Obergangszeit vielfach vorgesehen ist, fehlt in anderen Kontexten eine solche Hilfestellung wohl oft ganz. Wie gezeigt wurde, finden immerhin t~ber 2 % der Suizide im Zusammenhang mit Delogierungen und Wegweisungen statt. Bei den hiervon Betroffenen handelt es sich vielfach um im sozialen Umgang gest0rte, oftmals auch aggressive Menschen, denen wohl auch aus diesere Grund vielfach keine adfiquaten Hilfsangebote unterbreitet werden; solche wfiren aber von besonderer Wichtigkeit und vielleicht wfire es psychologischen Experten - zu
Vgl. etwa die sehr plastischen Beschreibungen in: Hollingshead/Redlich, Sozialcharakter psychischer St0rungen, S. 74-87.
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4.2 Perspektiven far die Suizidprfivention
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denen der Smdienautor nicht zahlt - auch hier mOglich, geeignete Vorgangsweisen zu entwickeln. Dass von Delogierungen und Wegweisungen betroffene Menschen aber auf psychosoziale Einrichtungen und abergangsmfiBige WohnmOglichkeiten aufmerksam gemacht werden sollen, erscheint evident. Eine andere im Vorfeld von Suizid immer wieder auftauchende Krisensituation sind amtliche Fiihrerscheinentziige und PKW-Beschlagnahmungen (in fast 2 % aller Suizide!). Das entsprechende Problembewusstsein bei der Exekutive ist, wie der Verfasser im Rahmen seiner Kooperation mit den steirischen SicherheitsbehOrden feststellte, durchaus vorhanden, umfangreichere spezifische MaBnahmen wfiren aber angebracht. Insbesondere am Tag, an dem ein solcher Vorfall geschieht, sowie am ersten Tag danach kOnnte - vielleicht sogar, nach entsprechenden rechtlichen Vorkehrungen, zwangsweise; immerhin geben ja gewOhnlich schwere Verkehrsdelikte zu solchen Mal3nahmen Anlass - eine gewisse psychosoziale Betreuung erfolgen, die schon durch schlichte Prfisenz Suizidhandlungen unter Rest-Alkoholeinfluss hintanhalten kOnnte. Quantitativ noch viel bedeutsamer als typische Krisensimation, 562 die zu Suizid fahren kann, ist aber die Trennung einer Partnerbeziehung. Ein solches Ereignis kann bei Betroffenen aller Altersgruppen und sozialen Schichten, vor allem, wenn generell schon psychische Probleme vorliegen, zu Suizidalitfit fahren. Spezifische Suizidprfivention k6nnte hierbei u.a. darin bestehen, bei Scheidungsverfahren schon im Vorfeld tiber Rechtsanwfilte usw. standardmfigig mit Informationsmaterial auf psychosoziale Hilfsangebote aufmerksam zu machen. Ein solches Vorgehen wt~rde aber eben nur formale, als Ehen geschlossene Beziehungen einbeziehen; im Bereich der immer hfiufigeren Partnerbeziehungen ohne Eheschliel3ung erscheint ein derart systematischer Zugang zu den Betroffenen kaum m6glich; es k6nnte lediglich die allgemeine Pr/~ventionsarbeit hierzu tiber Medien usw. intensiviert werden, sodass vermehrt auf die M6glichkeit enormer psychischer Belastung durch Partnertrennungssituationen hingewiesen und die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten propagiert wird. Eine solche Strategie wfire hierbei prinzipiell natarlich nicht nur far den Bereich der Krisen bei Partnertrennung m6glich, sondem k6nnte auch andere Krisensimationen, insbesondere berufliche Probleme wie unertrfiglichen Leistungsdruck, Bum-out, Mobbing, Arbeitsplatzverlust u.a. ansprechen. Von herausragender Wichtigkeit wfire aus Sicht des Studienautors jedenfalls, insgesamt ein erhOhtes gesellschaftliches Problembewusstsein far die Bedeutung und Gefahr psychischer Erkrankungen, besonders von Depressionen, aber auch von psychotischen Krankheitsformen generell sowie von Abhfingigkeitserkrankungen zu schaffen und eine hOhere Akzeptanz der spezifischen Behandlungsformen - medikament6ser Behandlungen, psycho- und soziotherapeutischer Verfahren - in der Bev61kerung zu erreichen. Die Ergebnisse der Smdie zeigen eindeutig, dass Bev61kemngsteile, in welchen diesbezaglich aufgeschlossenere Haltungen vorhanden s i n d - Menschen mit h6herer Bildung, qualifizierten Berufstfitigkeiten - seltener Suizid begehen.
562 Insgesamt sei zum Thema ,,Krisensituationen" hier nochmals verwiesen auf: Gernot Sonneck, Krisenintervention und Suizidverhatung. Wien 2000, sowie auf die Publikation mit praxisrelevantem Steiermark-Bezug: Susanna Krainz (Hg.), Menschen in Krisensituationen. Ein sozial-psychiatrischerLeitfaden. Graz 2004.
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4 Zusammenschau und Relevanz far die Suizidprfivention In diesem Zusammenhang ist hier vor allem auch nochmals in aller Deutlichkeit auf die suizidprdventive Wirkung erhOhter Versorgungsniveaus im psychosozialpsychiatrisch-psychotherapeutischen Bereich hinzuweisen, die far Osterreich insgesamt wie auch far das Bundesland Steiermark deutlich belegt werden konnte. Far die Steiermark wfire eine intensive, weitere Verbesserung der Versorgungssituation besonders notwendig. Eine Vermehrung der Anzahl der im psychosozialen Bereich tfitigen Personen wfire fraglos eine relativ leicht umsetzbare und fiul3erst effiziente Mal3nahme. Insbesondere sollten die Personalstfinde der direkt in den einzelnen Bezirken wirksamen Strukturen der psychosozialen Beratungszentren und sonstigen extramuralen Einrichtungen auf den vom Osterreichischen Bundesinstimt far Gesundheitswesen festgelegten Standard angehoben werden (1 Dienstposten pro 7000 Einwohner; 2003/2004 lag die Relation in den am schlechtesten gestellten Bezirken bei ca. 1:65.000 bzw. 1:45.000) sowie die Versorgungsdichte mit niedergelassenen Psychotherapeuten und Psychiatern in allen Bezirken aul3erhalb der Landeshauptstadt deutlich ausgebaut werden, zunfichst zumindest auf den Osterreich-Durchschnitt von einem Psychotherapeuten pro 1400 Einwohner bzw. einem niedergelassenen Psychiater/ Neurologen je 10.000 Einwohner. 563 2003/2004 lag die Psychotherapeuten-Rate in manchen steirischen Bezirken bei nur 1 je 10.000-20.000, die Psychiater/NeurologenRate lag in einigen steirischen Bezirken bei 1:90.000 bzw. 1:100.000! 564 Zudem sollte die schon lange avisierte Regionalisierung auch der stationiiren Psychiatrie baldigst realisiert werden. Wesentliche Reduktionen der Suizidraten wfiren weiters von einer Senkung der Alkoholikerquote in der GesamtbevOlkerung sowie natarlich einer Einbeziehung von mehr Alkoholkranken in Entzugs- und Therapieprogramme zu erwarten. Wie sehr Alkoholabhdngigkeit Suizidalit~t fordert, ist ja anhand zahlreicher Studien nachgewiesen, und die Bedeutung dieses Faktors konnte auch in der vorliegenden Untersuchung far die Steiermark im Speziellen erhoben werden. Wie Alkoholkranke stfirker zu Therapien motiviert werden kOnnten, und wie vor allem Suchtprfivention verbessert werden kOnnte, muss den Experten far diese Themenbereiche aberlassen sein; Informationsinitiativen zur Verfinderung der zu permissiven Offentlichen Meinung aber regelmfil3igen (und dabei nicht unbedingt exzessiven) Alkoholkonsum - bei Jugendlichen, vor allem aber auch bei Erwachsenen! - wfiren aber sicher aberlegenswert. Analoges gilt natarlich auch far andere Suchtformen, die Abhfingigkeit von illegalen Drogen ebenso wie Glacksspielsucht und Medikamentenabhfingigkeit. Als besonders geffihrdete BevOlkerungsgruppe, deren psychosoziale Versorgung speziell zu verbessern wfire, massen neben den schon genannten vor allem die Senioren gelten. Insbesondere Mfinner im fortgeschrittenen Alter haben ein erschtitternd hohes Suizidrisiko, aber auch far Frauen im hOheren Alter ergibt sich eine vielfach hOhere Suizidrate als far Frauen jangeren und mittleren Alters. Im Sozial- und Gesundheitsbereich sollte viel mehr als bisher auf die Depressivitfit vieler alter Menschen geachtet und entsprechende therapeutische Mal3nahmen ergriffen werden; insbesondere gilt dies aul3erhalb des psychiatrisch-neurologischen Bereichs - wo ein entsprechendes
563 Die Zahlen beziehen sich insgesamt auf niedergelassene sowie in psychosozialen und psychiatrischen Einrichtungen tatige Experten. 564Far den Bezirk Radkersburg war das Verhaltnis nicht einmal berechenbar, da hier kein einziger psychiatrischer Facharzt tatig war.
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Problembewusstsein schon viel stfirker vorhanden ist -, also etwa far niedergelassene Allgemeinmediziner, far die Betreuung in Pflege- und Seniorenheimen und bei der Krankenhaus-Behandlung kOrperlicher Erkrankungen. Nicht weniger als 24 % der spfiteren Suizidenten (insgesamt, darunter waren naturgemfi6 besonders viele filtere Menschen) waren im Laufe ihres letzten Lebensjahres wegen kOrperlicher Krankheiten in Anstaltsbehandlung, mehr als wegen psychischer! Hier wfire also zweifelsohne ein sehr wichtiger Ansatzpunkt zur Verbesserung der Suizidprfivention gegeben, denn Depressionen entwickeln sich ja meist aber mehrere Monate, bevor es zu Suizidversuchen kommt. Krankenhauspatienten mit schwereren kOrperlichen Erkrankungen sollten viel intensiver, als dies bisher der Fall ist, auch psychotherapeutisch und psychosozial betreut werden, wfihrend und vor allem auch nach Krankenhausaufenthalten. Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang chronische Kranke und Menschen mit kOrperlichen Behinderungen: 15 % der Suizidenten in der Steiermark in den Jahren 2002 bis 2004 waren Pflegegeldbezieher! Andere von Suizidalitfit besonders gefahrdete BevOlkerungsgruppen sind die Berufsgruppen der Land- und Forstwirte sowie der Selbstdndigen insgesamt. Gemeinsam mit Arbeitern, hierunter besonders mit wenig qualifizierten Arbeitern (besonders im technisch-industriellen Bereich sowie in der Land- und Forstwirtschaft), weisen sie unter den verschiedenen Berufskategorien die hOchsten Suizidraten auf. 565 Pensionierte AngehOrige dieser Berufsgruppen haben dabei meist noch weit hOhere Suizidraten als aktiv Erwerbstfitige. Spezifische Prfiventionsma6nahmen - so zur Verstfirkung des Problembewusstseins far psychische Erkrankungen (speziell des Wissens um und der Akzeptanz von BehandlungsmOglichkeiten) - wfiren sicherlich sehr sinnvoll, wobei hier vielleicht auch die Sozialversicherungsanstalten Ansatzpunkte bOten. Besonders wichtig erscheint dem Studienautor weiters der nochmalige Hinweis, wie sehr Autoaggression mit Fremdaggression assoziiert ist. Dass aber ein Drittel (!) der Suizidenten in Graz irgendwann einmal in ihrem Leben delinquent geworden ist (v.a. durch leichtere bis mittelschwere Verm6gens- und Gewaltdelikte), sollte sehr zu denken geben und bietet vielleicht einen weiteren Ansatzpunkt far Suizidprfivention. Der Studienautor ist sich bewusst, dass viele der Betroffenen gerade dieser Kategorie nur sehr schwer von der Sinnhaftigkeit therapeutischer Angebote zu aberzeugen sind; auch hier mt~sste aber t~ber Verbessemngsm6glichkeiten nachgedacht werden; eine engere Zusammenarbeit von SicherheitsbehOrden und psychosozialen Einrichtungen bei verhaltensauff'alligen Delinquenten - auch jenen, die nicht prima vista als suizidgef'ahrdet oder psychotisch erscheinen - wfire der Suizidprfivention sicher f6rderlich. Auch far regionale und lokale Schwerpunktsetzungen in der Suizidprfivention bieten die Ergebnisse der vorliegenden Studie Ansatzpunkte, diesbezaglich sei hier nur nochmals auf die besonders hohen Suizidraten in den Bezirken Murau, Miirzzuschlag, Liezen und Leoben verwiesen, und auf den Umstand, dass auch far die Gemeindeebene Suizidhfiufigkeiten und Suizidraten erhoben wurden (im Hinblick auf die Anonymitfit aber ohne nfihere Angaben zu den sozialen Lagen der Betroffenen) und der far das Gesundheitswesen zustfindigen Fachabteilung der Steiermfirkischen Landesregierung zur Verfagung stehen.
565Bei n~erer Differenzierungerweisensich auch Medizinerund Sicherheitsbeamteals besonders suizidgefahrdet.
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4 Zusammenschau und Relevanz far die Suizidprfivention Hinsichtlich der Ergebnisse der makrosozialen Analysen erscheinen schlieglich noch folgende Zusammenhfinge von Parametern mit der Suizidrate im Hinblick auf m6gliche Prfiventionsmaf~nahmen hervorhebenswert: HOhere Anteile yon Personen, die im Dienstleistungsbereich arbeiten, und hOhere Anteile von Personen, die zumindest Matura abgeschlossen haben, sowie h/Shere durchschnittliche Arbeitnehmereinkommen senken mittel- und langfristig gesehen offenkundig die Suizidrate. Suizidprfivention aufgesellschaftlicher Ebene sollte daher trachten, die teilweise ohnehin vorhandenen Trends in diese Richtung zu f6rdem: hin zu qualifizierteren Bemfstfitigkeiten und besserer Ausbildung (hier ist es freilich mit bloger Hebung der Mamranten- und Akademikerquote nicht getan, sondem es kommt natarlich auf die tats~.chliche Qualitfit der jeweiligen [Aus-]Bildung an). Auch eine Umkehr des/Skonomischen Trends zur Verarmung erheblicher BevNkerungsschichten warde selbstverstfindlich zur Reduktion der SelbsttOtungen beitragen. Wie schon gesagt, tOtet sich zwar niemand ,,allein" aufgrund finanzieller Probleme, doch Armut- und sei sie auch, wie in Osterreich gewOhnlich der Fall, ,,nur" eine relative Armut, die nicht drohenden Hungertod bedeutet - stellt eine ganz erhebliche psychische Belastung dar, und erhOht das Risiko depressiver Erkrankungen, von Suizidversuchen sowie von tOdlichen Suizidhandlungen erheblich. Absolut beachtenswert erscheint gerade in diesem Zusammenhang auch der Umstand, dass die durchschnittliche Wohnflfiche pro Person selbst bei einer statistischen, bezirksweisen Betrachtung als einer der wichtigsten Parameter ~ r die HOhe der Suizidrate ermittelt wurde! Beengte Wohnverhdlmisse sind daher offensichtlich als erheblicher Suizidfaktor anzusehen; dieselben sind wiederum nattMich stark mit der Okonomischen Lage, aber auch mit subkulturellen Einstellungsmustern assoziiert. Die Schaffung von mehr Wohnraum auch ~ r sozial schwfichere BevNkerungsteile erscheint so auch als ein mOglicher Weg der generellen, langfristigen Suizidprfivention. Was die Prfiventionsm~glichkeiten betrifft, die sich durch die Beschaffenheit der hfiufigsten Suizidmethoden ergeben, so sei hier vor allem auf einen Aspekt verwiesen: 17 % der Suizide in der Steiermark von 1995 bis 2004 wurden durch ErschieJ3en begangen. Es ist schlichter Unsinn, pauschal zu behaupten, dass, wer sich oder andere tOten wolle, dies ohnehin tun werde, egal welche Mittel ihm zur Ver~gung stehen! Dies trifft auf ,,kaltblt~tig" geplante Handlungen zu, die nur eine Minderheit der Suizide, aber auch der FremdtOtungen darstellen. Die meisten TOtungshandlungen geschehen in hochgradig emotional aufgeladenen Situationen, und das Vorhandensein einer mit hoher Wahrscheinlichkeit tOdlichen Waffe, steigert zum einen die Bereitschaft zur Durchf'uhrung, zum anderen erh~ht sie die Wahrscheinlichkeit des ,,Erfolges". Denn wenn es auch richtig ist, dass man mit einem Messer ebenso wie mit einer Schusswaffe tOten kann, ist ersteres doch sowohl psychologisch als auch ,,technisch" bedeutend schwieriger. Bei anderen Suizidmethoden kommen zudem eher auch MOglichkeiten des ,,Es-sich-nochmals-anders-15berlegens" sowie des Gerettet-Werdens zum Tragen, etwa wenn Suizidgeffahrdete von Dfichern oder aus Flassen gerettet werden oder nach der Einnahme von Medikamentenaberdosen noch selbst einen Arzt anrufen oder aus anderen Granden rechtzeitig gefunden werden. Nach Kopf- oder Herzschassen, mit denen Suizide durch ErschieBen fast immer durchgeffuhrt werden, sind die medizinischen MOglichkeiten dagegen begrenzt und hinterlassen selbst bei erfolgreicher medizinischer Behandlung nicht selten schwerst behinderte Menschen. Ein rigideres Vorgehen bei der Erlaubnis zum Schusswaffenbesitz far Privatpersonen warde so mit
4 . 3 0 f f e n e Forschungsfragen
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Sicherheit zu einer Reduktion der Suizidraten beitragen. Besonders zu beachten wfire im Obrigen der Gebrauch von Schlachtschussgeraten zur Selbstt6tung v.a. in b~iuerlichen Haushalten, d e r - Hausschlachtungen sind ja selten g e w o r d e n - wohl auch durch geeignete legistische Ma6nahmen wie das Verbot des Besitzes solcher Gerfite bei fehlendem Bedarf wenigstens teilweise hintan gehalten werden k/3nnte. Diesen Oberlegungen sei abschlie6end hinzugefagt, dass sich auch bei optimaler Suizidprfivention sicher niemals der Suizid als Phanomen v611ig beseitigen lassen wird k6nnen; eine mOglichste Reduktion der Suizide ist aber zweifelsohne das angemessene Ziel eines vom Ideal der Menschlichkeit geleiteten Handelns in der Konfrontation mit Suizidalitfit.
4 . 3 0 f f e n e Forschungsfragen ,,Der Suizid findet sich schon bei Steinzeitmenschen. Eine deutliche Zunahme von Suiziden zeigt sich in europfiischen Lfindem im Laufe des 19. Jahrhunderts durch den Einfluss yon Sfikularisierung, Industrialisierung und - damit verbunden der Individualisierung in den betreffenden Gesellschaften. Suizide gehOren zu den hfiufigsten Todesursachen in westlichen Gesellschaften und die Suizidrate iibersteigt die Rate an t6dlichen Verkehrsunfallen. Suizidraten weisen in den einzelnen Gesellschaften eine erstaunliche Konstanz fiber Jahrzehnte und Jahrhunderte auf. Dennoch k6nnen gesellschaftliche Umbrache wie Kriege [...] zu einer deutlichen Vedinderung der Suizidquoten ftihren. In den letzten 30 Jahren konnte eine Zunahme von Suiziden bei infirmlichen jungen Erwachsenen in Europa und Nordamerika beobachtet werden. Im Alter findet sich die h6chste Anzahl an Suiziden, im jugendlichen Alter treten die meisten Suizidversuche auf. Geschlechterdifferenzen sind ausgeprfigt, mit einem 121berwiegen des mfinnlichen Geschlechts bei Suiziden und einem Oberwiegen des weiblichen Geschlechts bei Suizidversuchen. Als Risikofaktoren ftir Suizid und Suizidversuch gelten ein vorausgegangener Suizidversuch, psychiatrische Erkrankungen wie Depression, Sucht, Psychose und Pers6nlichkeitsst6rungen, [weiter die Umstfinde] allein zu leben, geschieden, getrennt lebend und verwitwet zu sein sowie Arbeitslosigkeit. Ein[en] weitere[n] Risikofaktor for Suizidversuche stellt die Zugeh6rigkeit zur unteren sozialen Schicht dar. ''566 Das voranstehende Zitat entstammt der hervorragenden Einleitung in die Thematik ,,Suizid" von Thomas Bronisch und fasst sehr klar zentrale bisherige Ergebnisse der Epidemiologie des Suizids zusammen, wobei auch die Langzeitperspektive, also die Frage nach der Zunahme psychischer Erkrankungen im Verlauf des Modernisierungsprozesses angesprochen wird. Dieser bedeutungsvollen Thematik sowie auch den Ursachen far die erhOhte Suizidalitdt in Osterreich insgesamt im internationalen Vergleich, einer offensichtlich ebenso eminent langfristig wirksame, kulturelle Faktoren tangierenden Fragestellung, konnte in der vorliegenden Studie nicht eingehend nachgegangen werden. 567 Manche. Ergebnisse dieses Werkes k/Snnten sich far weitere Analysen zu diesen Fragestellungen aber durchaus als bedeutsam erweisen, wenn man etwa an die Befunde tiber die Zusammenhfinge von Bildungs- und Erwerbsstruktur sowie Vorhandensein von psychosozial-psychotherapeutischpsychiatrischen Betreuungsangeboten mit der Suizidrate denkt.
Thomas Bronisch, Zur Epidemiologieyon Suizidalitat, S. 1. Selbstverst~ndlich konnten auch innerhaib der hier zugrunde gelegten Fragestellungnach den Ursachen far die regionalen Differenzen der Suizidraten in der 0sterreichischenGegenwartsgesellschaftkeineswegsalle aufgeworfenen Teilaspekte einer eindeutigen Klarung zugefahrt werden, wie aus den jeweiligen Abschnitten hervorgehensollte. 566 567
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4 Zusammenschau und Relevanz fft~r die Suizidpravention
Die Sozial- und Kulturgeschichte respektive auch Historische Soziologie des Suizids im Verlauf des europdischen Modernisierungs- und Zivilisierungsprozesses ist, trotz der Existenz einiger hervorragender Arbeiten zu diesem Thema, eine auf weiten Strecken gerade wenn man dabei auch quantitative Untersuchungen vor Augen hat - erst zu schreibende. 568 Von ihr wfiren wichtige Aufschlt~sse auch fft~r die gegenwfirtige und kt~nftige Situation zu erwarten. Insbesondere gfilte es, die von ~ h r e n d e n Suizidologen seit Durkheim konstatierte Zunahme von Suizidhandlungen seit dem 19. Jahrhundert (siehe hierzu auch die obenstehenden A u s ~ h r u n g e n von Bronisch) noch nfiher durch empirische Befunde abzusichem, gerade was regional differente Verlaufsmuster betrifft. GleichermaBen ist die seit etwa der Mitte der 1980er Jahre erfolgte Abnahme der Suizidzahlen in den meisten Lfindem des westlichen Europa 569 (das heiBt ohne die Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes, wo meist ganz andere Verlaufe, nfimlich eine starke ErhOhung der Suizidzahlen festgestellt werden) hinsichtlich ihres kausalen Zustandekommens noch wenig untersucht. Es scheint jedenfalls so, als ob sich nicht nur die kulturell-soziale Wahrnehmung von Suizid - so wie fast aller Phfinomene - in Vormodeme, Modeme und Postmodeme jeweils grundlegend voneinander unterschiede, sondem auch jeder dieser historischen Perioden eine bestimmte, typische H~iufigkeit von Suizidhandlungen (natt~rlich nur im Sinne einer gewissen Bandbreite) entsprechen wt~rde. Die spezifischen psychischen Leiden, welche die Modemitfit hervorruft, wandeln sich zweifellos in der Postmodeme, 5v~ und wenn sie auch soweit dies derzeit absehbar ist - dabei in ihrer sozialen Verbreitung nicht gerade geringer werden, so scheinen sie doch in dem Sinne ertrfiglicher zu werden, als die zunehmenden Anstrengungen auf psycho-therapeutischem Gebiet - im weiteren Sinn, hierzu ist also insbesondere auch die Psycho-Pharmakologie zu zfihlen - eine grOBer werdende Anzahl von psychisch stark leidenden Menschen vor der intentionalen Selbstvernichtung bewahren und ihnen ein Weiterleben in der Gesellschaft ermOglichen kOnnen. Diese Thematiken systematisch weiterzuverfolgen, ist sicherlich nicht nur Dr eine Soziologie des Suizids bzw. der psychischen Devianz relevant, vielmehr rt~hren sie an zentrale Aspekte der Vergesellschaftung in der Gegenwart insgesamt.
568Verwiesen sei an dieser Stelle, neben bereits zitierten Werken - wie jenen Durkheims und Masaryks sowie dem ft~r Osterreich im Besonderen wichtigen Aufsatz von Ortmayr - nut auf: JOrn Ahrens, Selbstmord. Die Geste des illegitimen Todes. Mtmchen 2001, Ursula Baumann, Vom Recht auf den eigenen Tod. Die Geschichte des Suizids vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Weimar 2001, George Minois, Geschichte des Selbstmords. D0sseldorf 1996, Gabriela Signori (Hg.), Trauer, Verzweiflung und Anfechtung. Selbstmord und Selbstmordversuche in mittelalterlichen und frt~hneuzeitlichen Gesellschaften. Tt~bingen 1994, sowie das dem Verfasser erst nach Abschluss dieser Studie zugfinglich gewordene, insbesondere ft~r die Dimension des internationalen Vergleichs von Suizidraten im Modernisierungsprozess h0chst relevante Werk: Oliver Bieri, Suizid und sozialer Wandel in der westlichen Gesellschaft. Determinanten und Zusammenh~ge im Zeitraum von 1950 bis 2000. Zt~rich o.J. (2005/2006). 569Vgl. insbesondere die t~bersichtliche Zusammenstellung in: Bieri, Suizid und sozialer Wandel, S. 127. 57o Vgl. hierzu bes.: Alain Ehrenberg, Das erschOpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart. Frankfurt a.M. 2004.
5 Anhang
5.1 Suizidh/iufigkeiten und Suizidraten in den Bezirken Osterreichs 2001-2004 Auf den folgenden Seiten werden die absoluten Zahlen der Suizide, die rohen und die altersstandardisierten Suizidraten, insgesamt sowie getrennt far beide Geschlechter, far alle politischen Bezirke C)sterreichs im Zeitraum 2001-2004 wiedergegeben; auch Genderratio und die Differenz zwischen der rohen und der altersstandardisierten Gesamtrate der Suizide werden jeweils genannt. Datengrundlage der vom Verfasser der Studie erstellten Tabellen bildete die Todesursachenstatistik der Statistik Austria. Zu den Abkarzungen in den Tabellen siehe das Abkarzungsverzeichnis (5.6.)
396
Tabelle 237:
5 Anhang Todesursachenstatistik: Suizidhfiufigkeiten und Suizidraten in den Osterreichischen Bezirken 2001-2004 - Ordnung nach Bundeslfindern/Bezirken
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5 Anhang
5.2 Queilenverzeichnis A) Akten der SicherheitsbehOrden in der Steiermark Polizeiliche Erhebungsakten zu den Suizidf~illen in der Steiermark in den Jahren 2000 bis 2004, zur Verfogung gestellt dutch das Landespolizeikommando Steiermark Polizeiliche Erhebungsakten zu den Suizidfallen in Graz in den Jahren 1995 bis 2004, zur Verfogung gestellt durch die Bundespolizeidirektion Graz (nunmehr Stadtpolizeikommando Graz) Vorfallenheitsberichte zu Suizidfallen in steirischen Bezirken in den Jahren 1995 bis 2000, zur Verfogung gestellt von den Bezirkshauptmannschaften Deutschlandsberg, Feldbach, GrazUmgebung, Hartberg, Leoben, Liezen und Marzzuschlag.
B) Informationen der Sozialversicherungsanstalten mit TOtigkeitsbereich in der Steiermark (fibermittelt auf Anfrage zum Zweck der vorliegenden Studie) Informationen der Steiermfirkischen Gebietskrankenkasse (STGKK) Informationen der Pensionsversicherungsanstalt (PVA), Landesdirektion Steiermark Informationen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA), L.dion. Steiermark Informationen der Sozialversicherungsanstalt der Bauem (SVB), Landesdirektion Steiermark Informationen der Versicherungsanstalt fOr Eisenbahnen und Bergbau (VAEB), Landesstelle Steiermark Informationen der Versicherungsanstalt 6ffentlich Bediensteter (BVA), Hauptstelle Wien Informationen der Betriebskrankenkasse Donawitz Informationen der Betriebskrankenkasse Kapfenberg Informationen der Betriebskrankenkasse Kindberg Informationen der Betriebskrankenkasse Zeltweg
C) Publikationen und Daten der Steiermgirkischen Landesstatistik Amtliche Todesursachenstatistik der Suizidffille far Steiermark in den Jahren 1995 bis 2004 Publikationsreihe Steirische Statistiken 1995-2004, darin insbesondere die BeitNige: Ernst Burger, Martin Mayer, Nat0rliche BevOlkerungsbewegung 1995 mit Trendbeobachtungen. In: Steirische Statistiken 1996/2, S. 85-109. Ernst Burger, Martin Mayer, Nat0rliche Bev(Jlkerungsbewegung 1997 mit Trendbeobachtungen. In: Steirische Statistiken 1998/4, S. 10-62. Bernhard Klug, Ernst Burger, Martin Mayer, Todesursachen in der Steiermark 1986 bis 1996. In: Steirische Statistiken 1998/4, S. 93-148, Ernst Burger, Walter Meissner, Todesursachen Steiermark 1978/84 und 1988/94. Eine steiermarkspezifische Aufarbeitung des Todesursachenatlasses 1988/94 des 0sterreichischen Statistischen Zentralamtes. In: Steirische Statistiken 2000/2, S. 3-148. Martin Mayer, Nat0rliche Bev61kerungsbewegung 2003 mit Trendbeobachtungen. In: Steirische Statistiken 2003/4, S. 5-88.
5.2 Quellenverzeichnis
405
D) Publikationen und Daten der Statistik Austria Daten der Statistik Austria in elektronischer Form; bezogen aus der ISIS-Datenbank (siehe www.statistik.at/isis/current/isis_gui) sowie tiber Spezialanfragen; insbesondere: Todesursachenstatistik der politischen Bezirke Osterreichs in den Jahren 2001 bis 2004 Osterreichisches Statistisches Zentralamt (Hg.), Osterreichischer Todesursachenatlas 1988/94. Wien 1998 Statistik Austria (Hg.), Demographisches Jahrbuch 2004. Wien 2005. Statistik Austria (Hg.), Jahrbuch der Gesundheitsstatistik 2002. Wien 2004. Statistik Austria (Hg.), Jahrbuch der Gesundheitsstatistik 2003. Wien 2005. Statistik Austria (Hg.), Jahrbuch der Gesundheitsstatistik 2004. Wien 2006. Statistik Austria (Hg.), Gebfiude- und Wohnungszfihlung 2001. Wien 2004. Statistik Austria (Hg.), Gemeindeverzeichnis. Wien 2004. Statistik Austria (Hg.) - Barbara Leitner, Methodik der 6sterreichischen Todesursachenstatistik. Wien 2004. Statistik Austria (Hg.), Statistisches Jahrbuch C)sterreichs 2005. Wien 2005. Statistik Austria (Hg), Volkszfihlung 2001, Hauptergebnisse I - 13sterreich. Wien 2002. Statistik Austria (Hg.), Volkszfihlung 2001, Hauptergebnisse II - Steiermark. Wien 2004. Statistik Austria (Hg.), Volkszfihlung 2001, Schtiler und Studenten. Wien 2005. Statistik Austria (Hg.), Volkszfihlung 2001. Hauptergebnisse I - Steiermark. Wien 2003. Statistik Austria (Hg.), Volkszfihlung 2001. Hauptergebnisse II - Steiermark. Wien 2004.
E) Sonstige statistische Daten, Karten und Klassifikationen Arbeitsmarktservice Austria: Arbeitsmarkstatistik far Osterreich, gegliedert nach Geschfiftsstellen, ftir die Jahre 1995-2004 (auf Anfrage erhfiltlich). Bundesministerium far Inneres: Kriminalitfitsstatistik ftir Osterreich, gegliedert nach politischen Bezirken, ftir die Jahre 2001-2004 (auf Anfrage erhfiltlich). Bundesministerium ftir Gesundheit und Frauen: Datenbank der PsychotherapeutInnen, klinischen PsychologInnen und GesundheitspsychologInnen: Intemetressource (abrufbar unter: www.bmgf.gv.at; sowie: Osterreichische Krankenanstaltenstatistik (auf Anfrage erhfiltlich). Bundesministerium Mr 6ffentliche Wirtschaft und Verkehr (Hg.): Postleitzahlenkarte Osterreich (Karte). Deutsches Institut far Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD; International Classification of Diseases), 10. Revision und 9. Revision: Intemetressource (abrufbar unter: www.dimdi.de). Eduard HOlzel Verlag (Hg.): Politische Bezirke Osterreichs (Karte), Wien 2002. Osterreichische A~rztekammer: Statistik der medizinischen Versorgung mit niedergelassenen Allgemeinmedizinern sowie Fachfirzten (Fachbereiche Psychiatrie und/oder Neurologie), far Osterreich gegliedert nach politischen Bezirken far die Jahre 2001 bis 2003 (auf Anfrage erhfiltlich). Zentralanstalt ftir Metereologie und Geodynamik, Abteilung ftir Klimatologie: Karten der relativen Sonnenscheindauer in Osterreich (1961 - 1990). Wien o.J.
406
5.3
5 Anhang
Literaturverzeichnis
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412
5.4
5 Anhang
Summarium
Die vorliegende Studie untersucht Suizide in Osterreich sowie insbesondere in der Steiermark in den Jahren von 1995 bis 2004 im Hinblick auf ihre biopsychosozialen Bedingtheiten. Besonders wurde dabei der Frage nachgegangen, warum die Suizidraten in der Steiermark seit Jahrzehnten deutlich t~ber jenen far Osterreich insgesamt liegen. Weiters sollten durch die Analyse der spezifischen Lebensumstfinde der an Suizid Verstorbenen in der Steiermark der Jahre 200-2004 m(Sglichst genaue Anhaltspunkte far eine gezieltere Prfiventionsarbeit gefunden werden. In Kapitel 1 wurde zunfichst der Forschungsstand zur Epidemiologie des Suizids dargelegt, insbesondere betreffend der Gegebenheiten in Osterreich und in der Steiermark. Hierbei wurdem die zentralen Parameter der Messung der Suizidhfiufigkeit er6rtert und die multifaktorielle Bedingtheit von Suizidalitfit herausgestrichen. AbschlieBend wurde ein 6ko-somato-psycho-soziales Modell der Suizidalitfit skizziert. In Kapitel 2 wurden die Methoden und Hypothesen des empirischen Untersuchungsteils expliziert und spezifische Schwierigkeiten der empirischen Suizidforschung thematisiert. Kapitel 3 prfisentierte schliel31ich die Studienergebnisse, wobei zunfichst die basalen Parameter der Suizidhfiufigkeit in einzelnen Regionen, Geschlechts- und Altersklassen behandelt wurden (3.1.) und die jeweils besonders geffihrdeten Bev6lkerungsteile benannt wurden: Mfinner, Senioren und - innerhalb der Steiermark - Bewohner der obersteirischen Bezirke, allen voran von Murau, MiJrzzuschlag, Leoben und Liezen. In Abschnitt 3.2. wurden sodann die auf makrosozialer Ebene mit quantitativen Methoden feststellbaren Zusammenhfinge zwischen der Suizidrate und verschiedenen sozialen und 6kologischen Parametern dargelegt, betrachtet im 6sterreichweiten Vergleich jeweils anhand yon politischen Bezirken als Untersuchungseinheiten, zunfichst in Form einer bivariaten Analyse mittels Korrelationen und Regressionen, sodann im Rahmen von multivariaten Regressionsmodellen zur Erklfirung der regionalen Differenzen in der H~he der altersstandardisierten Suizidrate. Als - auch im Hinblick auf m/Sgliche SuizidprfiventionsmaBnahmen- zentrale Einflussfaktoren erwiesen sich hierbei das psychosozial-psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgungsniveau, die Bildungsstruktur (h6here Anteile von Personen mit zumindest Maturaabschluss korrelieren mit niedrigeren Suizidhfiufigkeiten), das Okonomische Niveau (gemessen am Arbeitnehmereinkommen), die Erwerbsstruktur (h6here Raten von Arbeitern, aber auch von Land- und Forstwirten gehen tendenziell mit h6heren Suizidraten einher) und die Wohnstruktur (gemessen an der durchschnittlichen Wohnflfiche pro Person). Weiters iiben auch das MaB sozio6konomischer Desintegration (Arbeitslosigkeit u.a.), der Grad der allgemeinmedizinischen Versorgung, der Anteil ausl~indischer StaatsbiJrger pro Bezirk (und zwar in reduzierender Weise), die demographische Entwicklung sowie 6kologische Faktoren (bes.: Anteil der Waldflfichen im Bezirk) deutliche Einfliisse auf die H6he der regionalen Suizidraten aus. In Abschnitt 3.3. erfolgte dann die Darlegung der Befunde der mikrosozialen Analysen und damit die nfihere Identifizierung besonderer Risikogruppen far letale Suizidalit~it. Als solche sind, neben Personen mfinnlichen Geschlechts und Personen im Alter fiber 60 Jahren, vor allem zu nennen: Personen mit manifesten psychischen Erkrankungen, Suchtkranke und Personen mit chronischen k6rperlichen Erkrankungen bzw. Behinderungen, Beschfiftigungs- bzw. Arbeitslose, unqualifizierte Arbeiter, Land- und Forstwirte, aber auch Mediziner und Selbstfindige, sodann Personen, die eine Scheidung oder auch die Trennung einer informellen Partnerbeziehung hinter sich hatten, Personen, die Angeh6rige durch Tod verloren haben, die unter dauerhaflen schweren Konflikten in familifiren Beziehungen leiden, Straftfiter und generell Personen, die durch Aggressivitfit auffallen, isoliert lebende Personen und solche mit stark introvertiertem Charakter sowie Menschen mit geringen Einkommen bzw. mit schweren finanziellen oder beruflichen Problemen. In Kapitel 4 erfolgte eine abschlieBende Zusammenschau der in der Studie ermittelten Ergebnisse sowie eine nfihere Thematisierung m~glicher Verbesserungen in der kt~nftigen Suizidprfivention.
5.5 Abktirzungsverzeichnis 5.5 Abkiirzungsverzeichnis
ap. RR AMS ASR ASR (~ ASR ST B IBI BKK BM BPD BVA Diff DL ds. E Ep. EDV ES EU Ew exp F FB FF G G GB GKK GR gSR GU g01t. % H H Ew HH HB ICD IR ISCO ISIS JU K KA KAT KF KK (P) L.dion LB LE
= approximatives Relatives Risiko = Arbeitsmarktservice = Altersstandardisierte Suizidrate = Korrelation mit d. bezirksweisen altersstandardisierten Suizidrate, ~sterreichweit = Korrelation mit d. bezirksweisen altersstandardisierten Suizidrate, steiermarkweit = Burgenland = Betrag des S RK = Betriebskrankenkasse = Bezirk Bruck an der Mur = Bundespolizeidirektion = Versicherungsanstalt 5ffentlich Bediensteter = Differenz zwischen zwei Zahlenreihen = Bezirk Deutschlandsberg = durchschnittlich = Erwartbare H~ufigkeit bei Zufallsverteilung = Erwerbspersonen = Elektronische Datenverarbeitung = Eintritt Suizid = Eisenstadt-Umgebung =Einwohner(zahl) = exponiert = Anzahl bzw. Rate f0r Frauen = Bezirk Feldbach = Bezirk F0rstenfeld = Bezirk Graz [in Auflistungen der steirischen Bezirke] = Gesamtzahl bzw. Gesamtrate f0r beide Geschlechter = GesamtbevSIkerung = Gebietskrankenkasse = Genderratio = gesch~tzte Suizidrate = Bezirk Graz-Umgebung =prozentualer Anteil innerhalb der auswertbaren Daten = absolute H~ufigkeit =Haufigkeit einer spezifischen Teilpopulation der Gesamtbev5lkerung = hochgerechnete H~ufigkeit (unter Einbezug von Fehldaten) = Bezirk Hartberg = International Classification of Diseases = Inzidenzrate = International Standard Classification of Occupations = Integriertes Statistisches Informationssystem (Datenbank der Statistik Austria) = Bezirk Judenburg = K~rnten = Korrelationsanalyse(n) = Kategorien (im Mittelwertvergleich) = Bezirk Knittelfeld = Korrelationskoeffizient nach Pearson = Landesdirektion = Bezirk Leibnitz = Bezirk Leoben
413
414 LI M M MAX MIN mSR MU MW MZ nexp NK NO NUTS O OO OAK ONACE PA PK PVA RA RB RR S. S SN (1S) SR SRO SR ST SRK ST STA StBuQ STGKK SVA SVB T TU U UG V VAEB VO VZ W WB WU WZ
5 Anhang = = = = = = = = = = = = = = = = =
Bezirk Liezen Anzahl bzw. Rate for M~nner mittlere bzw. Residualkategorie [bei Mittelwertvergleichen] Maximaler ermittelter Wert innerhalb einer Kategorie Minimaler ermittelter Weft innerhalb einer Kategorie Mindest-Suizidrate Bezirk Murau Mittelwert Bezirk Marzzuschlag nicht exponiert Negative Korrelation NiederSsterreich Nomenclature des unites territoriales statistiques oberstes Quartil OberSsterreich (3sterreichische Arztekammer (3sterreichische Version der NACE (Nomenclature g6nerale des activites economiques dane le communautes europeennes) = (gem~l~) polizeiliche(n) Akten = Positive Korrelation = Pensionsversicherungsanstalt = Bezirk Radkersburg = Restliche BevSIkerung = Relatives Risiko = Suizident(en) = Salzburg (Bundesland) = (Hypothetisches) Signifikanzniveau bei einseitigem Signifikanztest = Rohe Suizidrate bezogen auf 100.000 Einwohner und ein Jahr = Korrelation mit der bezirksweisen rohen Suizidrate, 5sterreichweite Berechnung = Korrelation mit der bezirksweisen rohen Suizidrate, steiermarkweite Berechnung = Standardisierter Regressionskoeffizient (,,Beta") = Steiermark = Standardabweichung = Anzahl steirischer Bezirke im ungiJnstigsten Quartile. 5sterreichweiten Verteilung = Steierm~rkische Gebietskrankenkasse = Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft = Sozialversicherungsanstalt der Bauern = Tirol = (gem~l~) Todesursachenstatistik = unterstes Quartil = Ungleichverteilung = Vorarlberg = Versicherungsanstalt f0r Eisenbahnen und Bergbau = Bezirk Voitsberg = Volksz~hlung = Wien = Wiener-Neustadt Land = Wien-Umgebung = Bezirk Weiz
5.6 Register
415
5.6 Register Das Register enthfilt im Haupttext genannte Personennamen und geographische Bezeichnungen; nicht aufgenommen wurden: ,,()sterreich" und ,,Steiermark". Adler, Alfred 52 Amdry, Jean 24 Amstetten (Bezirk) 74, 113 Andorra 296 Antretter, Elfi 17, 62 Axtmann, Roland 52 Baden (Bezirk) 91 Becker, Thomas 60 Belgien 15 Blumenthal, Susan 78 Bosnien-Herzegovina 292, 296, 297 Bronisch, Thomas 39, 53,393,394 Bruck an der Leitha (Bezirk) 117 Bruck an der Mur (Bezirk) 72-75, 114123, 126-127, 131-137, 140, 143, 147, 151,156, 160, 163,168, 180, 183, 193, 196, 202-203,223-224, 237-243, 293, 381 Bulgarien 292, 296 Burgenland 19-22, 32, 107-120, 123, 157, 163,368,413 Burger, Ernst 62, 74 Bark, Friedemann 53 Catull (Gaius Valerius Catullus) 40 China 33 Dfinemark 15 Deutschland 15, 35-36, 56, 292,296-297 Deutschlandsberg (Bezirk) 72-75, 114123,126-127, 131-137, 172, 180-181, 186, 192, 196, 223-224, 237-243,262, 293,369, 377, 381 Donautal 115, 117 Dunkel, Dirk 17, 62 Durkheim, Emile 17, 47-51, 59, 101, 156, 394 Eferding (Bezirk) 113, 124 Eisenstadt 113, 118, 123 Eisenstadt Umgebung (Bezirk) 113, 123
England 53, 58 Estland 15 Etzersdorfer, Elmar 17, 62, 65-66 Europa 15-17, 30, 33, 35, 37, 51-52, 58, 292,393-394 Feldbach (Bezirk) 72-75, 114-123, 126128, 131-137, 143, 147, 156, 160, 163, 166, 171,180-181,186, 190, 192, 223-224, 237-243,262, 293,377, 381 Feldkirchen (Bezirk) 74 Finnland 15, 35-37, 52 Fischer, Peter 17, 62 Frankreich 35-36 Freistadt (Bezirk) 118 Freud, Sigmund 40-41, 52 Frahwald, Stefan 62 Ft~rstenfeld (Bezirk) 72-75, 114-122, 126-128, 131-137, 151,168, 176, 181, 190, 192, 196, 202, 223-224, 237-243, 293,377, 381 Gfinserndorf(Bezirk) 113 Ghana 296 Gmand (Bezirk) 113, 123 Graz 8, 70-75, 114-124, 126-127, 131137, 143, 147, 151, 153, 156, 160, 164, 172, 176, 186, 190, 193, 195-198, 202-203,222-226, 237-243,262, 293, 299-300, 331,337-338,355,357, 360362, 369, 377, 381-382, 391 Graz-Umgebung (Bezirk) 72-75, 114122, 131-137, 151, 164, 176, 189, 190, 193, 198,222-224, 237-243, 381 Grof3britannien 296 Gassing (Bezirk) 91, 117 Habsburgermonarchie 52 Hall in Tirol 62, 311 Hallein (Bezirk) 114 Haller, Reinhard 62, 67-69
416 Haring, Christian 17, 62 Hartberg (Bezirk) 72-75, 114-123, 126128, 131-137, 147, 156, 160, 163-164, 166, 168, 171,180-181,186, 192, 223-224, 237-243,293,377, 381 Hawton, Keith 53 Honduras 296 Horn (Bezirk) 113 Innsbruck 114-115, 311 Innsbruck-Land (Bezirk) 120, 189, 311 Italien 35-36, 53,292, 296 Jahoda, Marie 53 Jennersdorf (Bezirk) 91, 113, 117, 120, 123, 157 Judenburg (Bezirk) 72-74, 114-123, 126-127, 131-137, 140, 151, 168, 172, 180, 183, 186, 192, 198,200-201, 223-224, 237-243,293,377, 381 Jugoslawien 292 Kapusta, Nestor 17, 62, 65 Kfimten 7, 19-22, 32, 72, 74, 106-118, 120, 123, 156-157, 368 Katschnig, Heinz 63 Kirchdorf (Bezirk) 113, 117 Kitzbahel (Bezirk) 120 Klagenfurt 153 Knittelfeld (Bezirk) 72-74, 114-123, 126-127, 131-137, 140, 164, 168, 183, 190, 192, 202-203,223-224, 237-243, 293,377, 381 Krainz, Susanna 63 Krasser, Gerda 70 Kreitman, Norman 54 Krems 153 Krems-Land (Bezirk) 117 Kroatien 15,292, 296, 297 Kupfer, David 78 Kuzmics, Helmut 52 Landeck (Bezirk) 114, 118, 123 Lazarsfeld, Paul 53 Leibnitz (Bezirk) 72-75, 114-123, 126127, 131-137, 143, 151, 166, 168, 171, 176, 180-181, 186, 192,223-224,237243,262,293,377, 381
5 Anhang Leoben (Bezirk) 72-74, 114-123, 126127, 131-137, 140, 143, 147, 151,156, 160, 164, 183, 188, 201-203,223-226, 237-243,262, 293, 381, 391, 412 Lettland 15 Lienz (Bezirk) 114, 118 Liezen (Bezirk) 72-75, 114-123, 126127, 131-137, 140, 164, 168, 174, 176, 183, 190, 192, 198,202, 223-224, 237-242, 262,293,377, 381,391,412 Lilienfeld (Bezirk) 113, 123 Lingg, Albert 62, 67-69 Linz 113,115, 117, 120, 124, 153 Linz-Land (Bezirk) 189 Litauen 15, 33 Mayer, Martin 62 Meissner, Walter 74 Merton, Robert 56 Mistelbach (Bezirk) 113, 117 M611er, Hans-Jargen 53 Montenegro 292,297 Murau (Bezirk) 72-74, 114-123, 126127, 131-137, 140, 151,156, 164, 166, 171,174, 176, 180-183, 188, 190, 192, 198, 200-202, 223-224, 237-242, 262, 293,368,377, 381, 391, 412 Mt~rzzuschlag (Bezirk) 72-74, 114-123, 126-127, 131-137, 140, 143, 147, 151, 156, 160, 168, 172, 180, 183, 186, 188, 192, 198,200,223-224, 237-243, 293,377, 381,391,412 Niederlande 35-36 Nieder6sterreich 19-22, 32, 74, 107108, 112-115, 118, 120, 123, 163,368 Nordamerika 393 Ober(Ssterreich 19-22, 32, 107-108, 112115, 118, 120, 123,368 Oberpullendorf (Bezirk) 113, 123 Obersteiermark 74-75, 114, 120, 128, 159, 172, 183,238-239, 242, 372, 412 Oberwart (Bezirk) 113, 117, 120, 123, 157 Oststeiermark 114, 120, 154, 159, 186, 239
5.6 Register Pinzgau 74 Piribauer, Franz 62 Platt, Stephen 53 Polen 33,292, 296 Pongau 74 Radkersburg (Bezirk) 72-75, 114-123, 126-127, 131-137, 143, 147, 151,156, 160, 166, 171, 174, 176, 181,186, 190, 192, 200-203,223-224, 237-243, 262,293,369, 377, 381 Reutte (Bezirk) 114, 123 Ried (Bezirk) 123 Ringel, Erwin 16, 24, 40, 52, 69 Rohrbach (Bezirk) 113 Rumfinien 296 Russland 15,292 Rust 120, 157 Salzburg (Bundesland) 7, 19-22, 32, 7274, 106-108, 112-115, 118, 120, 123124, 153,368 Salzburg (Stadt) 113 Salzburg-Umgebung (Bezirk) 113, 189 Sartorius, Norman 60 Schfirding (Bezirk) 113, 123 Scheibbs (Bezirk) 74 Schweden 292, 296 Schweiz 35-36, 292,296-297 Seibl, Regina 17, 62 Serbien 292, 296-297 Skandinavien 52, 58 Slowakei 292, 296 Slowenien 15,291,296 Somalia 296 Sonneck, Gernot 17, 34, 59, 62, 65-66 Spanien 35-36, 292, 296 Sri Lanka 37 St. Johann im Pongau (Bezirk) 114 Stein, Claudius 17, 34, 59, 62 Stengel, Erwin 69 Steyr 153 Steyr-Land (Bezirk) 189 Stidsteiermark 74, 114, 120 Tamsweg (Bezirk) 114
417 Tirol 19-22, 32, 62, 67, 107-108, 112118, 120, 123, 140, 311,368 Tschechien 113, 115,292 Ttirkei 297 Ukraine 15,296 Ungarn 15, 35-36, 292,296 Untersteiermark 292, 296 Urfahr-Umgebung (Bezirk) 113, 189 USA 296 Villach 123 Villach-Land (Bezirk) 117, 123, 157, 189 Voitsberg (Bezirk) 72-75, 114-123, 126127, 131-137, 143,151,180, 183,186, 192, 198,223-224, 237-243,293,377, 381 V01kermarkt (Bezirk) 74, 117 Voracek, Martin 17, 34, 59, 62, 65 Vorarlberg 19-22, 32, 62, 67-68, 70, 107-110, 112, 115-118, 120,311,368 Waidhofen an der Thaya (Bezirk) 113, 117, 123 Waidhofen an der Ybbs 113, 123 Wancata, Johannes 62 WeifSrussland 15 Weiz (Bezirk) 72-75, 91, 114-123 126127, 131-137, 147, 151,160, 163-164, 166, 171-172, 176, 180-181, 186, 193, 198, 223-224, 237-243,262, 293, 381 Wels-Land (Bezirk) 189 Welz, Rainer 55, 77 West6sterreich 21, 117, 163 Weststeiermark 114, 120, 154, 159, 186, 239 Wien 19-22, 32, 67, 92, 107-110, 112, 115, 117, 120, 137, 144, 153,368 Wiener Neustadt 153 Wien-Umgebung (Bezirk) 113 Wolfsberg (Bezirk) 113, 117, 123 Zeisel, Hans 53 Zell am See (Bezirk) 114 Zwettl (Bezirk) 113, 123