Peter J. Brenner Grimmelshausen: Simplicissimus Teutsch
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Peter J. Brenner Grimmelshausen: Simplicissimus Teutsch
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Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch Von Peter J. Brenner
Grimmelshausen publiziert seinen Simplicissimus zwei Jahrzehnte nach dem Dreißigjährigen Krieg, im Jahre 1668, vordatiert auf 1669; 1669 erscheint auch die zweite Fassung, ergänzt um die Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi. Wann der Roman geschrieben wurde, bleibt ungewiss; begründete Vermutungen, die sich auf spätere Hinweise Grimmelshausens stützen können, gehen davon aus, dass erste konzeptionelle Überlegungen schon auf die Jahre um 1650 zurückgehen und dass Grimmelshausen zu Beginn der 60er-Jahre mit der Niederschrift begonnen hat. Wie auch immer es sich mit der Entstehungsgeschichte verhalten mag – es ist unübersehbar, dass die Erfahrung des Dreißigjährigen Krieges den Roman wie auch die späteren Schriften Grimmelshausens nachhaltig geprägt hat. Weniger deutlich ist freilich dem ersten Blick, dass auch die Nachkriegszeit ihre Spuren in dem Roman hinterlassen hat. Er geht nicht auf in der Beschreibung der Kriegswirren; sie erscheinen vielmehr in doppelter Brechung: als Gegenstand der Reflexion ebenso wie als Gegenstand artifizieller literarischer Darstellung. In dieser Spannung von Beschreibung und Deutung der Wirklichkeit entfaltet sich der Roman; ihre kunstvolle Verschränkung markiert seinen Rang, sie wirft aber auch die Interpretationsprobleme auf, über die sich die philologische Forschung bis heute uneins geblieben ist. Es ist eines der Hauptprobleme der Grimmelshausen-Forschung gewesen festzustellen, in welchem Verhältnis Wirklichkeitsdarstellung und Weltdeutung in dem Roman zueinander stehen. Richard Alewyn hat schon 1932 das Verdikt gegen eine © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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realistische Lektüre des Romans ausgesprochen. Er ernennt Grimmelshausen zu einem »Phantasiemenschen«, der die Welt aus einer subjektiven Perspektive beschreibt und nicht an ihrer realen Erscheinungsweise interessiert ist. Dabei bevorzuge der Autor jene Bereiche der Wirklichkeit, die weder seiner eigenen Lebenswirklichkeit noch der seiner Zeit entsprächen; die Darstellung des Entfernten, des Extremen und des Grotesken stehe im Vordergrund. Das hat ihm den Vorwurf Alewyns eingetragen, eine Verfälschung der Lebenswirklichkeit des Barockzeitalters zu betreiben. Er verdränge die »bürgerlichen Normalzustände« des 17. Jahrhunderts, in denen Grimmelshausen selbst in den Jahrzehnten nach dem Krieg gelebt habe.1 In der Tat: Bürgerliche Normalzustände sind nicht die Welt des Simplicissimus. Der Roman ist durchgehend geprägt von Erfahrungen des Niedergangs, der Not und des Elends. Dieses Thema wird schon in den Anfangskapiteln angeschlagen. Die Schilderung des Überfalls der Reiter auf den Hof des Knans ist ein früher dramatischer Höhepunkt, der kaum überboten wird. Die »Grausamkeiten in diesem unserm Teutschen Krieg« (27)2 bleiben ein Leitthema, das immer wieder beschrieben und auch kommentiert wird: »Summa Summarum, da war nichts anders als ein elender jämmerlicher Anblick!« (216) Der Krieg ist die drastischste, aber nicht die einzige Facette jener Phänomene, welche die Darstellung im Roman beherrschen. Seine Welt ist durchtränkt vom Pessimismus. Der Einwand ist sicherlich berechtigt, dass dieser Pessimismus nicht »realistisch« sein müsse, sondern es nur zu sein scheine.3 Dass diese Momente derart in den Vordergrund gerückt werden, ist dennoch keine Willkür des »Phantasiemenschen«. Die biographische Erfahrung des Simplicissimus-Autors mag mit hineinspielen. Allerdings kommt nur seine zwanzig und dreißig Jahre zurückliegende Jugendzeit dabei in Betracht; seine späteren Lebensjahre als »Schaffner«, Wirt und Schultheiß in der Umgebung von Offenburg waren nicht nur friedlich, sondern nachgerade langweilig verlaufen. Dass der Roman aber dennoch auf die Wirklichkeit © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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seiner Zeit bezogen ist, lässt sich schwerlich von der Hand weisen; trotz aller Einwände bleibt die Auffassung richtig, dass er die Wirklichkeit seiner Zeit darstelle – nicht als Abbildung realer Ereignisse, wohl aber als eine Schilderung, welche den »Eindruck der Authentizität« mache.4 Grimmelshausen gestaltet mit seinen Schilderungen einer verwilderten Welt weniger eine Wirklichkeitserfahrung – sei es die eigene, oder sei es die seiner Zeit – als vielmehr eine Wirklichkeitsauffassung; jene nämlich, welche das Weltbild der frühen Neuzeit bestimmt hat. Denn der Dreißigjährige Krieg ist nicht etwa ein singuläres Ereignis. Die frühe Neuzeit ist seit ihren Anfängen im 14. und 15. Jahrhundert gekennzeichnet von Phänomenen, die sich unter dem Stichwort der »atrocitas« fassen lassen: von Erscheinungsformen des »Wilden«, welche dem mühseligen Prozess der Zivilisation entgegenlaufen und ihn immer wieder durchkreuzen. Die Literatur- und Kulturgeschichtsschreibung hat diese Tatsache lange Zeit aus den Augen verloren; sie blieb geblendet von jenem Glanz, den die Renaissance mit ihren kulturellen Errungenschaften und mehr noch die Renaissanceforschung seit Jacob Burckhardt ausgestrahlt haben. Es wurde dabei übersehen, dass die gesamte frühe Neuzeit, auch die Renaissance, bis ins 18. Jahrhundert geprägt ist von »Menschenvernichtung und Menschenverachtung«,5 aber auch durch die »Herrschaft der Natur«, durch Klima und Wetter, Naturkatastrophen, Hungersnöte und Epidemien.6 Hervorstechend ist eine »Allgegenwart der Angst«;7 die Erfahrung oder Befürchtung realer oder vermeintlicher Bedrohungen jeder Art. Auch dem deutschen Barockzeitalter sind diese Bedrohungen geläufig – Grimmelshausen spielt gleich im ersten Satz darauf an, wenn er jene Stimmen anführt, die von seiner Zeit sagen, »daß sie die letzte seye«. Diese Prophezeiung muss nicht seine eigene Auffassung sein; sie ist wohl eher als eine Anspielung auf die zeitgenössischen Katastrophenbefürchtungen und die daraus abgeleiteten Endzeiterwartungen zu verstehen. Im Roman verdichten sich diese Erfahrungen und Erwartungen in der alles © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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beherrschenden Beschreibung des Dreißigjährigen Krieges. Er steht pars pro toto für die »atrocitas«-Befürchtungen der Zeit, ist also weniger in Bezug auf seinen Realitätsgehalt zu interpretieren denn in seiner Verweisfunktion. Hin und wieder werden auch andere Erfahrungen der »atrocitas« weniger beschrieben als erwähnt: »Hunger / Durst / Hitz / Kälte / und grosse Arbeit« (47); auch von »Theurung« (463) ist die Rede. Neben die physischen Bedrohungen treten die spirituellen: Der Teufel ist ein klassisches Zeichen der Angst im Abendland, der »böse Feind« (453) wird auch im Roman öfters angesprochen, ohne aber dominierend in den Vordergrund zu treten. Die realen physischen Bedrohungen herrschen vor. Das Resümee gegen Ende der Continuatio fasst noch einmal zusammen: [. . .] als ich noch in Europa lebte / war alles (ach Jammer! daß ich solches von Christen zeugen soll) mit Krieg / Brandt / Mord / Raub / Plünderung / Frauen und Jungfrauen schänden etc. erfüllt; Alß aber die Güte GOTTes solche Plagen sambt der schröcklichen Pestilentz und dem grausamen Hunger hinweck nahm / und dem armen betrangten Volck zum besten den edlen Frieden wider sendete / da kamen allerhand Laster deß Wollusts / als Fressen / Sauffen / und Spielen; huren / buben und ehebrechen; welche den gantzen Schwarm der anderen Laster alle nach sich ziehen / biß es endlich so weit kommen / daß je einer durch Unterdruckung deß andern sich groß zumachen / offentlich practicirt. (695) Der Roman lässt sich auf einer ersten Lektüreebene lesen als ein Panorama der realen und auch der spirituellen Ängste der Zeitgenossen. Der »atrocitas«-Katalog ist fast vollständig; ob er dem aktuellen Erfahrungshorizont des Autors und seiner Zeit entspricht, ist zweitrangig gegenüber der Tatsache, dass in diesen Bedrohungen und vor allem den mit ihnen einhergehenden Befürchtungen die mentalitätsgeschichtliche © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Situation der Zeit eingefangen wird. In ihrer Summe sind diese Phänomene erfahren worden als elementare Verunsicherung; sie begründen jene Erfahrung einer destabilisierten Welt, auf die in keiner Hinsicht Verlass ist. Die Einsicht in die Unbeständigkeit der Welt wird zum einprägsamsten Leitmotiv im Simplicissimus: »Also wurde ich bey Zeiten gewahr / daß nichts beständigers in der Welt ist / als die Unbeständigkeit selbsten« (271). Der Lebenslauf des Simplicissimus ist geprägt vom ständigen Wechsel von Glück und Unglück – das ist der stets betonte, augenfälligste und in der Rezeptions- wie Forschungsgeschichte hinlänglich hervorgehobene Eindruck, den der Roman hinterlässt. Es ist nun eigenartig, wie der Roman und sein Held mit dieser Unsicherheit und Unbeständigkeit umgehen. Das Sicherheitsbedürfnis ist erstaunlich schwach ausgeprägt. Grimmelshausen propagiert kaum eine der Vermeidungs- und Gegenstrategien, wie sie in der zeitgenössischen Literatur seiner Zeit üblich sind. Der Roman trägt zunächst nichts bei zur Weltorientierung durch Weltdeutung, sondern ist im Gegenteil bemüht, durch umfassende Kritik der realen Verhältnisse die Unsicherheit zu verstärken. Die frühe Neuzeit, und in Deutschland vor allem das 17. Jahrhundert, zeichnet sich aus durch ihre Bemühungen um eine theoretische wie praktische Neufundierung des sozialen Lebens. Sie stehen unter dem Leitgedanken der »Sekurität«; die staatliche wie die gesellschaftliche Ordnung wird Regulierungen unterworfen, die Rechtssicherheit und überhaupt Berechenbarkeit des alltäglichen Lebens gewährleisten wollen.8 Dass diese Ordnungsbemühungen durch den Dreißigjährigen Krieg außer Kraft gesetzt wurden, liegt auf der Hand; dass die im Westfälischen Frieden geschaffene Neuordnung Deutschlands – die dem Autor Grimmelshausen bei der Publikation seines Simplicissimus ja hinreichend bekannt gewesen war –, mit ihrer Aufwertung der Territorien und überhaupt mit ihrer
© 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Grundlegung einer modernen Staats- und Gesellschaftsordnung nicht die Zustimmung Grimmelshausens gefunden hat, geht aus dem Roman hervor. Seine »Gesellschaftskritik« ist nahezu universal. Am heftigsten wendet sich Grimmelshausen gegen die älteste der ordnungsstiftenden Institutionen: die Kirche. Immer wieder zeigt sich Simplicisssimus überrascht, enttäuscht oder entsetzt über das Auseinanderfallen von Wort und Tat; der Feldkaplan »Dicis & non facis« (193) steht exemplarisch für diese Erscheinung. Daneben kritisiert Grimmelshausen selbstverständlich die Uneinigkeit der Konfessionen als eine stete Quelle des Streites und der Unsicherheit. Die Kritik ist eindeutig und handfest; sie ist im Leben der Zeit fundiert und kaum interpretationsbedürftig. Das gilt entsprechend für Grimmelshausens Adelskritik, die gleich zu Beginn des Romans an exponierter Stelle auftritt. Die »Ständebaum«-Allegorie, welche den Adel als Parasiten und das einfache Volk, insbesondere das Bauerntum, als Grundlage der Gesellschaft und des Wohlstandes vorstellt, ist freilich konventionell und steht in einer langen Tradition. Eine generelle Aufwertung des Bauernstandes, wie sie gelegentlich behauptet wurde, lässt sich aus ihr nicht ableiten, wohl aber eine Umwertung der realen Gesellschaftsordnung. Auch die Sicherheiten des einfachen bürgerlichen Lebens, dessen Darstellung Alewyn im Roman zu Recht vermisste, üben keinen Reiz auf Simplicissimus aus. Der Versuch, eine Familie und einen Hausstand zu begründen, scheitert kläglich; und regelmäßige Arbeit ist seine Sache auch nicht: Er verlässt Moskau schleunigst, als dort alle Fremden zur Arbeit verpflichtet werden sollen (vgl. 533). Von besonderem Interesse ist die noch nicht hinreichend untersuchte Rolle des Geldes im Simplicissimus: Es gibt wohl keinen Roman in dieser Zeit, in dem so viel vom Geld die Rede ist; von Geld aber, das nicht erarbeitet wird und das seinem Besitzer auch nicht jene Sekurität der Lebensführung zu verleihen mag, nach der er strebt – es wird gewonnen und verloren, ohne bleibende Spuren zu hinterlassen. Zentrale Aspekte des gesellschaftlichen Alltagslebens werden © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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von Grimmelshausen also nicht nur vernachlässigt, sondern bewusst als Möglichkeiten der Lebensführung abgewiesen – übrigens ganz im Gegensatz zu Grimmelshausens Biographie –; als ordnungsstiftende Momente kommen sie offensichtlich nicht in Frage. Ähnlich verhält es sich mit der Sphäre des Staates, dessen Etablierung und Konsolidierung eine der wesentlichsten und zukunftsprägenden Leistungen der frühen Neuzeit war. Grimmelshausen steht der »Idee der Staatsräson« eindeutig ablehnend gegenüber. Im Simplicissimus wird nur vereinzelt auf sie angespielt. Grimmelshausen lehnt die Mittel ab, welche die neuzeitliche Staatstheorie für die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung angeboten hat. Nicht Lug und Trug, auch nicht List und »Klugheit« sind die Maximen, an denen sich der Herrscher orientieren soll, sondern das Staatsideal ist nur erreichbar auf der Basis religiöser Normen. An diesem Ideal wird der aktuelle Staat des 17. Jahrhunderts gemessen, und vor ihm versagt er. Die lange und satirische Lobrede von Simplicissimus’ Gegenspieler Olivier auf den Staat und seine Regenten wie auf die adlige Herrschaftsschicht stellt die Wirklichkeit des Staates der einer Räuberbande gleich, und Machiavelli wird als Eideshelfer für diese Auffassung herangezogen (vgl. 406 f.). Im 1670 erschienenen Ratio Status, einem der zwei Texte, die Grimmelshausen unter seinem eigenen Namen veröffentlichte, wird er deutlicher: Dem Herrscher obliegt es, »seines Reichs [. . .] selbst Erhaltung und Wohlstand zubeobachten«; er darf sich dabei aber nur der von Gott und der Natur legitimierten Mittel bedienen und nicht den »Machiauellischen gottlosen Regeln« folgen.9 Die Wirklichkeit ist von dem Ideal einer Herrschaft weit entfernt, welche Frieden und Wohlstand mit gottgefälligen Mitteln sichern könnte. Dieses Ideal tritt im Roman in utopischer Form auf. Vor allem dem wahnsinnigen Jupiter, »der sich überstudirt / und in der Poëterey gewaltig verstiegen« (253), wird es als Vision in den Mund gelegt. Er entwirft in der Tradition frühneuzeitlichen utopischen Denkens einen idealen Weltzustand, in dessen Zentrum eine städtische Gemeinschaft auf der Basis sozialer © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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und politischer Gleichheit steht, fundiert auf der Idee des ewigen Friedens. Es ist schwer zu beurteilen, wie Grimmelshausen zu dieser Vision steht; aber immerhin wird sie an anderen Stellen des Romans neuerlich aufgegriffen. Sie liegt nicht fernab von jeder Realisierungsmöglichkeit; die Beschreibung der idealen ungarischen Wiedertäufer-Gesellschaft weist in diese Richtung. Die Lobrede auf die Wiedertäufer ist wohl ernst gemeint, aber die von Simplicissimus erwogene Möglichkeit, selbst ein solches Projekt neuerlich zu realisieren, wird im Roman negativ beurteilt (vgl. 527). Die Mummelsee-Episode, in der Simplicissimus das Sylphen-Reich vorfindet, bietet auch keine rechte Utopie; mit einiger Skepsis fragt Simplicissimus, wie denn in diesem Reich Freiheit herrschen könne, wenn ein König regiere (vgl. 498). Die verschiedenen Utopie-Entwürfe sind allesamt problematisch; dennoch findet Simplicissimus an anderer Stelle noch sein »irdisch Paradis« – nicht als theoretische Vision, sondern als erlebbare Realität: Das Land kame mir so frembd vor gegen andern Teutschen Ländern / als wenn ich in Brasilia oder in China gewesen wäre / da sahe ich die Leute in dem Frieden handlen und wandlen / die Ställe stunden voll Viehe / die Baurn-Höf lieffen voll Hüner / Gäns und Endten / die Strassen wurden sicher von den Räisenden gebraucht / die Wirthshäuser sassen voll Leute die sich lustig machten / da war gantz keine Forcht vor dem Feind / keine Sorg vor der Plünderung / und keine Angst / sein Gut / Leib noch Leben zu verlieren / ein jeder lebte sicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum / und zwar gegen andern Teutschen Ländern zu rechnen / in lauter Wollust und Freud. (449) Diese Erfahrung macht Simplicissimus bei seiner Reise durch die Schweiz; hier findet er alles, was er von einer gesellschaftlichen Ordnung erwartet: Frieden, Sicherheit und © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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bescheidenen bürgerlichen Wohlstand. Das war auch das Ideal der frühneuzeitlichen Staatstheorie, die aber mit ihrem absolutistischen Regime einen Preis forderte, den Grimmelshausen nicht zu zahlen bereit war. Die Utopien werden im Roman nicht bevorzugt behandelt; sie stellen diverse Möglichkeiten dar, werden aber nicht ernstlich als Ordnungsentwürfe in Erwägung gezogen. Das einzige Gegenmodell, das der Roman zunächst gegen die universale Unbeständigkeit der Welt anbieten kann, ist die Berufung auf jene christlich-antiken Tugenden, die der Einsiedler dem Simplicissimus mit auf den Lebensweg gegeben hat: Erkenne dich selbst, sei beständig und meide schlechte Gesellschaft. Die Satire bezieht ihren Maßstab aus diesen christlichen Vorstellungen: Simplicissimus ist »erzogen und gewehnet worden / die Gegenwart GOttes allezeit vor Augen zu haben / und auffs ernstlichst nach seinem heiligen Willen zu leben / und weil ich denselben wuste / pflegte ich der Menschen Thun und Wesen gegen demselben abzuwegen / in solcher Ubung bedünckte mich / ich sehe nichts als lauter Greuel« (86). Die GrimmelshausenForschung hat sich daran gewöhnt, vor dem Hintergrund solcher Selbstäußerungen den Roman als einen Aufruf zur christlichen Selbstbesinnung zu lesen. Das ist er auch – zumindest der Intention seines Autors nach. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass es Grimmelshausen ernst meint, wenn er in seiner nachgeschobenen poetologischen Vorrede zu Beginn der Continuatio von der Lehre spricht, die dem Leser in verzuckerter Form gereicht werden soll. Es geht um das »Seelen Hail« (563). Die Lehre ist klar: Es handelt sich um jene Maximen eines christlichen Lebenswandels, die der Einsiedler schon Simplicissimus mit auf den Weg gibt und über deren Missachtung zu klagen das ceterum censeo des ganzen Romans ist. Der Schluss des Romans ist konsequent: Der neuerliche und diesmal freiwillige Rückzug in die eremitische Einsamkeit am Ende des fünften Buches, begleitet von einer beredten Klage, die im
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»Adjeu Welt« mündet, íst die Maßregel, die dem Leser mit auf den Lebensweg gegeben wird. Im Lichte dieses Selbstverständnisses wird der Roman zur Allegorie. Die quantitativ dominierenden realistischen oder atroxischen Momente hätten in diesem Interpretationskonzept nur noch funktionale Bedeutung; der Roman zeigte sich an der »Wirklichkeit« nicht interessiert, sondern benutzte sie nur als Material zur Demonstration der Verwerflichkeit der Welt; »hinter der realistischen Darstellung verbirgt sich eine allegorische Bedeutung«.10 Die Dinge der Welt wie auch der Roman selbst werden ausgelegt auf ihren heilsgeschichtlichen Sinn. So kann der Roman gelesen werden, und so sollte er wohl, den Absichten seines Verfassers entsprechend, auch gelesen werden, und so wird er immer noch gelesen – ein Großteil der germanistischen Grimmelshausen-Kontroversen ist durch die Frage inspiriert, ob die »realistische« oder die »allegorische« Lesart die richtige sei, wobei die eine und andere sich wechselseitig ausschließen oder aber unverbunden nebeneinander stehen. Die beiden Lesarten stehen freilich nicht in jenem unversöhnlichen Verhältnis zueinander wie die Germanisten, die die eine oder andere verfechten. Der Romanist Erich Auerbach hat im Zusammenhang mit seinen stilgeschichtlich fundierten Realismus-Studien gezeigt, dass eine lange, bis ins Mittelalter zurückreichende christliche Literaturtradition genau diese beiden Momente miteinander verbindet. Auerbach beschreibt eine durch das Christentum eingeleitete und sich gegen die klassisch-antike Forderung nach »Stiltrennung« richtende Entwicklung, in deren Verlauf sich eine Stilmischung durchsetzt, die das Erhabene und das Alltägliche oder »Kreatürliche« nebeneinander stellt.11 Der Alltags-Realismus hat überhaupt nur in die Literatur des Abendlandes eindringen können, weil die »Wirklichkeit« immer schon als heilsgeschichtlich gedeutete erfahren wird, denn eine christlich-allegorische Interpretation der Welt bedeutet keine Entwertung, sondern im Gegenteil eine © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Aufwertung der Realität. Das realistische Detail ist dann in der literarischen Darstellung nicht nur »Zeichen«, das auf eine übergeordnete heilsgeschichtliche Wirklichkeit verweist; es ist immer auch sinnlich-geschichtliche Tatsache, deren empirischer Eigenwert durch die Einbindung in eine theologische »figurale« Weltdeutung nicht nur unangetastet bleibt, sondern aufgewertet wird.12 Vor dem Hintergrund dieser christlichabendländischen Literaturtradition löst sich der bis in die Gegenwart geführte germanistische Interpretationsstreit um Allegorie und Realismus im Simplicissimus, der immer nur das eine oder das andere gelten lassen wollte, auf. Denn allegorische Weltdeutung und realistische Weltdarstellung gehören literarhistorisch zusammen; es besteht keine Notwendigkeit, das eine auf das andere zu reduzieren. Freilich ist in der Tradition ein hierarchisches Verhältnis zwischen figuraler und realistischer Darstellung angesetzt. Die sinnliche Wirklichkeit wird zwar nicht »entwertet« zugunsten der figuralen Deutung, aber sie ist doch nicht gleichen Ranges mit ihr. Im Simplicissimus kehrt sich das Verhältnis um. Nicht die »Wirklichkeit« in ihrer verkehrten Erscheinungsweise wird funktionalisiert, um die Überlegenheit der Heilsgeschichte zu demonstrieren, sondern die figurale Deutung wird benutzt, um die »niedere« Stilebene zu legitimieren. Grimmelshausen stellt die allegorische Weltdeutung in den Dienst seiner pessimistisch-realistischen Wirklichkeitsdarstellung, die dadurch veredelt wird, dass sie verbunden mit einer heilsgeschichtlichen Weltauslegung auftritt. Das Problem des Verhältnisses von Allegorie und Wirklichkeit im Simplicissimus verdichtet sich in der Continuatio. Die Continuatio hat Deutungsprobleme aufgeworfen, die bis heute noch nicht einvernehmlich entschieden sind. Schon buchtechnisch ist schwer zu entscheiden, ob sie zum Haupttext gehört. Sie wurde zur Ostermesse 1669 publiziert; in ihrer ersten Fassung erschien sie mit eigenem Titelblatt und ohne Seitenzählung, so dass sie sowohl separat verkauft wie auch dem Haupttext beigebunden werden konnte; die Ausgabe, die zur Frankfurter Herbstmesse 1669 © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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angekündigt wurde, behandelt die Continuatio als sechstes Buch des Simplicissimus; sie wird durchpaginiert, behält aber auch hier ihr eigenes Titelblatt. Die chaotischen Entstehungs- und Druckumstände – der Druck wurde offensichtlich in aller Eile und ohne Korrektur der Setzerversehen vorgenommen – hängen damit zusammen, dass Grimmelshausen in letzter Minute noch einen Text eingearbeitet hat, der der Continuatio ihre spezifische Färbung gibt. Es handelt sich um die 1668 erschienene deutsche Übersetzung von Henry Nevilles satirischer Reisebeschreibung The Isles of Pines oder: die neu-entdeckte Insul Pines.13 Mit ihrer Verarbeitung ergänzt Grimmelshausen die Reiseberichte de Brys über den Fünfften Theil der Orientalischen Indien, die er zuvor schon aufgearbeitet hatte. Die Tendenz ist deutlich: Mehr noch als in den ersten fünf Büchern spielt die Verarbeitung der zeitgenössischen Welterfahrung und Entdeckungsgeschichte in der Continuatio eine Rolle. Diese Welterfahrung wird indes auf eine merkwürdige Weise dargeboten; es ist jedenfalls nicht falsch zu konstatieren, dass die Continuatio stilistisch wie inhaltlich eher um eine Abkoppelung von der Realitätsdarstellung bemüht ist. Es dominieren die Allegorien und Träume; und wiederum wird das Einsiedlertum als Konsequenz eines christlichen Lebens beschrieben. Simplicissimus kann Bilanz ziehen: [. . .] zuletzt als ich mit hertzlicher Reu meinen gantzen geführten Lebens-Lauff betrachtete / und meine Bubenstück die ich von Jugend auff begangen / mir selbsten vor Augen stellte / und zu Gemüth führete / daß gleichwohl der barmhertzige GOtt unangesehen aller solchen groben Sünden / mich bißher nit allein vor der ewigen Verdambnuß´ bewahrt / sonder Zeit und Gelegenheit geben hat mich zu bessern[.] (677)
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Mit seinem neuerlichen Einsiedler-Leben ist Simplicissimus an sein christliches Ende gekommen; insofern erscheint es nicht verfehlt, den Simplicissimus als Roman eines christlichen Lebensweges zu begreifen, der in der Bewährung endet. Die christlichen Maximen werden in der Tat nicht in Frage gestellt; sie werden nicht ironisiert und nicht satirisch konterkariert – aber dennoch lässt sich der Roman lesen als eine einzige Demonstration der Vergeblichkeit dieser Ideale. Nicht nur die zeitgenössische Wirklichkeit hat sich von ihnen entfernt; auch Simplicissimus macht die Erfahrung, dass ihre Befolgung seine sozialen wie moralischen Kräfte überfordert. Gewiss finden sich auch im Simplicissimus jene konventionellen Selbstermahnungen und religiösen Berufungen, die zum Bestand der Barockliteratur gehören. Immer wieder kommt er zur Besinnung und bekundet er Reue; aber stets wird er auch rückfällig, so dass schließlich auch diese Bekundungen zum Beweis des Gegenteils dessen werden, was sie aussagen. Sie dokumentieren wiederum die Unbeständigkeit der Welt und des Menschen und nicht etwa jene letzte Sicherheit, die sich die Märtyrer bei Gryphius mit ihrer constantia erwerben und mit dem Tod bezahlen. Grimmelshausen gibt diese letzte Sicherheit auf – nicht formell und ausdrücklich, wohl aber faktisch. Dass christliche Tugenden wenig taugen zur Selbstbehauptung in einer aus den Fugen geratenen Welt, dokumentiert sein Roman. Die guten Vorsätze des Simplicissimus werden zur Makulatur; und dass Gottvertrauen vielleicht eine notwendige, aber keinesfalls eine hinreichende Voraussetzung für die Behauptung in einer Welt der Unbeständigkeit ist, demonstriert der Roman in jedem Kapitel und bekundet damit eine Einsicht der Neuzeit: »Das Pensum der Welt lässt sich nicht durch fromme Entschlüsse überschlagen.«14 So ist es nicht überraschend, dass neben den regelmäßig wiederkehrenden demonstrativen moralischen Bekenntnissen und Deklamationen die Berufung auf die Lenkung Gottes marginal bleibt. Das Vertrauen auf die »Providenz«, die göttliche Vorsehung, wird kaum einmal formuliert; in seinem Leben beweist Simplicissimus ganz andere Tugenden. Sein © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Lebenslauf steht unter dem Diktat der »Selbstbehauptung«.15 Simplicissimus entwickelt Strategien des Überlebens, die ihr Fundament durchaus nicht in christlichen Wertvorstellungen haben. Er demonstriert vielmehr genuin neuzeitliche Tugenden und Verhaltensformen, die sich am Ende als erfolgreich erweisen; auch wenn sie durchaus nicht immer die Billigung des Erzählers finden. Der Roman endet keinesfalls mit dem »Adjeu Welt« am Schluss des fünften Buches. Schon im vorletzten Satz des Romans heißt es: »ob ich aber wie mein Vatter seel. Biß an mein End darin verharren werde / stehet dahin« (551). Ein Jahr später – mit der Continuatio – erfahren die zeitgenössischen Leser es genau. Simplicissimus verlässt sein Einsiedlerdasein im Schwarzwald und nimmt sein Wanderleben wieder auf. Das aber ist nicht als bloßes Verfallensein an die »Welt« zu deuten. Simplicissimus weiß gute Gründe anzugeben. Seinen Rückzug aus der Welt hatte er mit deren Unbeständigkeit begründet. Die Allegorie des »Baldanders«, jener Figur, die ihrem Namen entsprechend ständig ihre Gestalt wechselt, belehrt ihn jedoch in der Continuatio darüber, dass die Unbeständigkeit zum Wesen der Welt gehört, mit dem sich der Mensch abfinden und das er als Herausforderung begreifen muss: Auch die Continuatio endet mit der Weltabkehr, aber auch sie ist noch nicht das letzte Wort: Im Seltzamen Springinsfeld von 1670 taucht er schon wieder auf; er trifft, angeblich geläutert, im Wirtshaus mit Springinsfeld zusammen und spielt dann eine erhebliche Rolle auch in diesem Roman.16 Grimmelshausen ist sich der Tatsache bewusst, dass das »Adjeu Welt« – bei aller Verführungskraft, die es auszuüben scheint – keine adäquate Haltung mehr ist. Ihr Gegenbild ist die forcierte Welterfahrung, welche den Roman sehr viel deutlicher prägt als die formelhaften moralischen Sentenzen und die gelegentliche Weltabkehr. Des Simplicissimus Weltverhalten ist geprägt von »Fürwitz«. Die Ächtung der Neugierde durch Augustinus im 10. Buch seiner Confessiones hat eine lange Nachwirkung gehabt; bei Grimmelshausen sind kaum noch Spuren von ihr zu erkennen. Vereinzelt wird © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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darauf hingewiesen, dass das Bedürfnis, »die Welt zu sehen«, zu den »schändlichen Begierden« (75) gehört; aber über solche Bedenken setzt sich Simplicissimus stets umstandslos hinweg. Im Roman benutzt Grimmelshausen mehrfach eine Formel, die charakteristisch ist für die neuzeitliche Form der Welterfahrung: die »Begierde / die Welt auch zu beschauen« (52) oder der »Fürwitz / Franckreich zu besehen« (351), treiben ihn um. Grimmelshausen hat die geographischen Entdeckungen der frühen Neuzeit intensiv rezipiert, aber in seinem Roman doch immer nur kursorisch behandelt, wenn nicht schon satirisch abgehandelt: »Wer lügen will der leug von ferne« (611), zitiert er eine alte Erzählerweisheit. Simplicissimus besucht fremde Völker, und von Amerika ist gelegentlich die Rede, aber besonderes Interesse zeigt der Roman an diesen Erscheinungen nicht mehr. Der Reiz der geographischen Fremde beginnt zu verblassen. Im Teutschen Michel greift Grimmelshausen 1673 diese Aspekte auf, wenn er die Daheimgebliebenen jenen entgegen stellt, die »die Weißheit in der Frembde« suchen.17 Der Abstieg in den Mummelsee zeigt die Neuorientierung, welche der »Fürwitz« erfährt. Die Episode ist regelrecht als Konfrontation zweier Weltauffassungen, einer alten und einer neuen, beschrieben: Den Warnungen der einheimischen Bevölkerung und des Knans stellt Simplicissimus nichts als »DJe Begierde den Mummelsee zu beschauen« (489) entgegen, die ihn dazu veranlasst, ohne weitere Gründe den See zunächst durch das Werfen von Steinen zu provozieren und schließlich in ihn hinabzusteigen. Grimmelshausen baut die Episode noch weiter aus; er gibt Simplicissimus Gelegenheit, seine Fertigkeiten zu erproben: »ich nahm oder masse die Länge und Breite deß Wassers vermittelst der Geometriae, weil gar beschwerlich war umb den See zu gehen / und denselben mit Schritten oder Schuhen zu messen / und brachte seine Beschaffenheit vermittelst deß verjüngten Maaßstabs in mein Schreibtäfelein« (490). Simplicissimus bedient sich modernster Methoden der Feldvermessung, nämlich des © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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»Pantometrum«;18 und, was genauso wichtig ist, er gibt keinen Grund, geschweige denn eine Rechtfertigung für diese Vermessung an: Die geometrische Erfassung der Welt ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit dem Hinabsteigen in den Mummelsee erschließt Simplicissimus seiner Neugierde eine weitere Dimension. Das Interesse an einer neuen und fremden Welt tritt in der Gestalt des »innerweltlich Unsichtbaren« auf.19 Seine eigentlich neuzeitliche Gestalt gewinnt dieses Interesse in der Benutzung von wissenschaftlichen Instrumenten. Mit ihrem Einsatz erfährt die neuzeitliche Wirklichkeitserfahrung einen Innovationsschub. Die Instrumente, welche die Reichweite der Sinne erweitern, beginnen eine neue Faszination für die Entdeckung des Unbekannten auszuüben und bereiten ein neues Welt-»Bild« vor: Sie zerbrechen die »Jahrtausende alte Konstanz des kosmischen Erfahrungshorizontes«.20 In diesem Kontext ist es wohl kein Zufall, dass im Simplicissimus mehrfach die Benutzung solcher Instrumente hervorgehoben wird. Simplicissimus greift gerne auf sein »Perspectiv« zurück (267, 282); und er erfindet auch noch sein akustisches Pendant, ein »Instrument, mit welchem ich bey Nacht / wann es Windstill war / ein Trompet auff drey Stund Wegs von mir blasen« (244) hören konnte. Simplicissimus bedient sich dieser Instrumente zur Selbstbehauptung, meist in militärischen Zusammenhängen. Die Tatsache jedoch, dass gerade diese sinneserweiternden Instrumente von Simplicissimus – neben etlichen anderen nützlichen und unnützen Erfindungen (vgl. 243 f., 622–624) – benutzt und erfunden werden, verweist auf das neue Weltbild, in dem sich Simplicissimus zurechtfinden muss. Im gleichen Jahrzehnt, in dem Grimmelshausen seinen Simplicissimus publizierte, hat Robert Hooke seine Micrographia veröffentlicht – eine Sammlung kommentierter Kupferstiche, welche die Welt durch das Mikroskop besehen und eine ungeahnte Wirklichkeit entdecken. Hooke formuliert in seiner Vorrede sehr klar und programmatisch die Herausforderung, die damit verbunden ist. Der Mensch ist nicht © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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nur in der Lage, die Natur zu betrachten und in ihr zu überleben; er kann sie vielmehr unter theoretischen Gesichtspunkten anschauen, und vor allem: Er kann sie zu seinem eigenen Nutzen verbessern.21 Hooke reflektiert damit genau jenen Prozess, den Blumenberg als ein konstituierendes Moment der Neuzeit beschrieben hat. Die Vorstellung, dass die Welt auf den Menschen zugerichtet sei und zu seinem Nutzen bereit stehe, wird abgelöst von der Erfahrung, dass sie ihm gleichgültig gegenübersteht und er sich in ihr durch eigene Leistung behaupten muss. Der »Mangel der Natur« muss durch eigene Tätigkeit überwunden werden.22 Das markiert die Ablösung eines anthropozentrischen durch ein »azentrisches« Weltbild, wie es auch in der Astronomie und der Philosophie der Zeit diskutiert wurde.23 Simplicissimus beweist jene Tugenden, welche ihm die »Selbstbehauptung« in einer widrigen, von der »atrocitas« geprägten Welt erlauben. Dazu gehören auch die von Grimmelshausen in seinen staatstheoretischen Überlegungen ausdrücklich geächteten Verhaltensformen wie List und Verstellung, mit denen Simplicissimus aber souverän und erfolgreich umzugehen weiß: Als Narr in Hanau (138) ebenso wie im angeblich vertrauten Umgang mit dem feindlichen Olivier bewährt er diese Fertigkeit (405, 422); und auch seine Verkleidung als »Teufel«, mit der er sich die Teufelsangst der Zeit zunutze macht (172, 235 f.), zeugt weniger von spirituellen Ängsten als vielmehr von Strategien zu ihrer Bewältigung. Um christliche Tugenden handelt es sich dabei kaum. Keine der drei Leitregeln seines Einsiedler-Vaters wird von ihm durchgehend beherzigt, und keine bewährt sich: Es gelingt ihm nicht, schlechte Gesellschaft zu vermeiden – das wäre nur in der Einsiedelei möglich, und das Eremitendasein wird ausdrücklich und mehrfach als unangemessen gekennzeichnet; Simplicissimus ist alles andere als »beständig«, und auch mit dem »nosce te ipsum«, dem erkenne dich selbst, ist es nicht weit her – zumindest dann nicht, wenn dieser Leitsatz in seinem antik-christlichen Sinn verwendet wird. Es kann aber auch anders gemeint sein. Immerhin kommt © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Grimmelshausen und mit ihm sein Simplicissimus zu der Einsicht, dass die feindliche Wirklichkeit eine Herausforderung zur Selbstbehauptung darstellt. Unter dieser Perspektive gewinnt zunächst das Eremitendasein problematische Züge. Es ist keinesfalls so idealisiert geschildert, wie es die allegorisierende Interpretation des Romans glauben machen will. Die »acedia«, die Verführung zur Trägheit als der klassischen Sünde des Mönches, wird von Grimmelshausen immer wieder angeführt; und als Simplicissimus zu Beginn der Continuatio seine Einsiedelei wieder verlässt, weiß er gute Gründe dafür anzuführen, die auch vor einem christlichen Weltverständnis Bestand haben: »ists nicht besser du dienest deinen Neben-Menschen und sie dir hingegen hinwiederumb«? (607) Das Einsiedler-Leben entspricht ganz offensichtlich nicht dem Menschenbild, das Grimmelshausen vor Augen hat. Das Eremitendasein erscheint zunächst idealisiert: hier weiß ich nichts von Hoffart / vom Geitz / vom Zorn / vom Neyd / vom Eyfer / von Falschheit / von Betrug / von allerhand Sorgen beydes umb Nahrung und Klaydung noch umb Ehr und Reputation; hier ist eine stille Einsame ohne Zorn / Hader und Zanck; eine Sicherheit vor eitlen Begierden / ein Vestung wider alles unordentliches verlangen; ein Schutz wider die vielfältige Strick der Welt und ein stille Ruhe[.] (695) Das hört sich gut an; aber es ist trotz aller Verführungskraft eben nicht mehr das Modell der neuzeitlichen Anthropologie. Dieses Modell sieht inzwischen anders aus; es findet sich in einem lapidaren Satz, der alle Einsiedel-Phantasien beiseite schiebt: Simplicissimus »nam gewahr / daß ein Mensch / der ohne Sorgen dahin lebt / fas wie ein Vieh seye« (299). Die Continuatio bestätigt diese Auffassung nachdrücklich. Die einsame Insel entspricht dem vorneuzeitlichen Weltbild; in ihr ist von der Vorsehung © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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alles auf die Bedürfnisse des Menschen zugerichtet, der sich der Natur ohne Mühe bedienen kann. Aber der Mensch erträgt das ideale Leben nicht. Der Gefährte des Simplicissimus trinkt sich zu Tode (vgl. 673), und Simplicissimus sucht sich schleunigst eine Beschäftigung, um dem Müßiggang zu entgehen. Es bleibt dabei: An Simplicissimus werden verschiedene Möglichkeiten des Weltverhaltens demonstriert angesichts einer Wirklichkeit, welche dem Individuum Selbstbehauptung abfordert, weil sie unbeschränktes Gottvertrauen nicht mehr zulässt. Diese Möglichkeiten sind angesiedelt zwischen den beiden extremen Polen der »Weltneugierde« und des »Adjeu Welt«. Die Extreme erscheinen als unvereinbar, und der Simplicissimus steht ihnen unentschieden gegenüber. Wenn der Autor in seinen sentenziösen Reflexionen vielleicht die religiöse favorisiert, so verweist der Roman selbst in seiner Handlungskonzeption eher auf Weltneugierde und Selbstbehauptung. Die Gegensätze scheinen unversöhnlich zu sein; so wurden sie jedenfalls in der Germanistik gesehen. Dennoch gibt es eine vermittelnde Position, die im Roman deutlich thematisiert wird. Die enorm emsige Grimmelshausen-Philologie, die jeden Winkel des Romans durchforscht hat, scheint ein zentrales Motiv übersehen oder es doch in seiner Bedeutung nicht erkannt zu haben: das Motiv des »Lesens« und, etwas weniger exponiert, auch das des »Schreibens«. Immer wieder wird erwähnt, dass Simplicissimus Bücher liest. Entscheidend ist dabei nicht die Frage, was er liest – darüber wurde in der neueren Forschung gelegentlich diskutiert –, sondern dass er überhaupt liest. Der Ewig-währende Calender lässt den dort wiederum im Gespräch mit seiner Mutter auftretenden Simplicissimus auf den Vorwurf, er gebe Geld für unnütze Bücher aus, erklären: »Liebe Mutter, besser umb Bücher als verspielt: ich hab doch sonst kein Frewd in der Welt als lesen.«24 So ist es kein Zufall, dass im Simplicissimus unter den neuzeitlichen Errungenschaften ausdrücklich der Buchdruck als die wichtigste von allen gewürdigt wird (vgl. 153). © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Das Lesen ist eine Form des Weltverhaltens, das eine Mittelposition zwischen der Welterfahrung des Abenteurers und der Einsamkeit des Eremiten erlaubt. In seiner neuzeitlichen Form ähnelt es der Zurückgezogenheit des Eremitendaseins. In dieser Weise wird es auch im Simplicissimus als Kontrastprogramm zur Weltverfallenheit vorgestellt: »Jm übrigen hielte ich mich sehr still und eingezogen / also daß sich die Leut verwunderten / wann sie sahen / daß ich stets über den Büchern sasse wie ein Student / da ich doch Raubens und Blutvergiessens gewohnt gewesen« (312). Es gehört nun aber zur Eigenart des neuzeitlichen Lesens von gedruckten Büchern, dass die Einsamkeit des Lesens immer auch ein sozialer Akt ist. Der kindliche Simplicissimus sieht das noch ganz richtig, wenn er versucht, mit den Buchstaben und Bildern seiner illuminierten Bibelausgabe in ein Gespräch einzutreten (vgl. 43). Der einsame Leser und Schreiber, der gedruckte Bücher liest, ist immer schon vergesellschaftet; seine individuelle Tätigkeit ist ein Akt der Kommunikation nicht nur mit dem abwesenden Autor des Buches, sondern auch mit jener Masse von anonymen Lesern, denen das gedruckte Buch in genau der gleichen Ausstattung vorliegt.25 Grimmelshausens Simplicissimus stellt indes weniger diese kommunikative Komponente in den Vordergrund. Er begreift vielmehr das Lesen als eine Form der Erfahrung von und des Umgangs mit Wirklichkeit. Was die Grimmelshausen-Forschung dem Autor des Simplicissimus nachgewiesen – und manchmal auch vorgeworfen – hat, wird von Simplicissimus wiederholt und legitimiert: Er eignet sich die Welt durch Bücher an. Das Lesen steht gleichberechtigt neben der Erfahrung; die kindheitlichen Erfahrungsdefizite, die durch eine weltabgeschiedene Kindheit hervorgerufen wurden, kann er mühelos durch Lektüre nicht nur ersetzen, sondern auch überbieten. Durch das Lesen weiß er so viel, als sei er »sein Lebtag in der Welt gewesen« (165). Andererseits werden auch die heilsgeschichtlichen Maximen nach dem Tod des Einsiedlers aus Büchern erfahren – aus Büchern lässt sich eben alles lernen. Im Lesen schreitet © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Simplicissimus unsystematisch, aber enzyklopädisch den Horizont des Wissens seiner Zeit ab,26 ohne freilich aus irgendeiner Lektüre nachhaltigen und entscheidenden Gewinn zu ziehen – auch die Nichtigkeit des Bücherwissens ist Gegenstand der Reflexion. Grundsätzlich ist das Wissen aber weltzugewandt. Im Teutschen Michel hat Grimmelshausen diese Forderung ausdrücklich erhoben: Wer etwas gelernt hat, soll es »seinem Vatterland zum besten: und seinem Nächsten zum Nutzen anzulegen genaigt und beflissen« sein.27 Mit dem Lesen gewinnt die »curiositas« eine neue Form; sie wird zu einer Weltaneignung, die nicht mehr auf Erfahrung angewiesen ist. Im Simplicissimus tritt das Lesen in doppelter Gestalt auf: als inhaltliches Motiv im Handlungszusammenhang wie auch als Reflexion über das Lesen des Romans selbst. In gelegentlichen selbstreflexiven Äußerungen und Leseranreden gibt Grimmelshausen zu erkennen, wen er als Leser erwartet und was der Leser erwarten darf. Der Roman visiert den »curiosen« Leser, vielleicht nicht als idealen, wohl aber in nüchterner Einschätzung der Verhältnisse als realen Leser an. Der Erzähler im Simplicissimus richtet sich an den »curiosen Leser / der auch offt das geringste wissen will« (44 f.); und auch an anderen Stellen wird der neugierige Leser apostrophiert (584). Grimmelshausen vollzieht hier eine Bewegung nach, die sich bereits seit einem Jahrhundert durch die Erfindung des Buchdrucks durchgesetzt hat. Die nahezu beliebige Vermehrbarkeit von gedruckten Büchern ebenso wie ihre beliebige Verbreitbarkeit und nicht zuletzt der mit beiden Entwicklungen zusammenhängende Vermarktungszwang stellen an den Inhalt von Büchern andere Anforderungen als nur die ewige Wiederholung der immer gleichen heilsgeschichtlichen Wahrheiten: »Neben die Gesetze der himmlischen Ordnung sind neue Leitbilder der irdischen Ökonomie getreten.«28 Darauf reagiert auch der Simplicissimus. Den Beteuerungen, mit dem Roman eine moralische Wahrheit zu sagen, steht der Anspruch des Lesers gegenüber, © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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»Neues« erfahren zu wollen. Dieser Anspruch wird von Grimmelshausen ausdrücklich als legitim anerkannt; er lässt sich nicht damit einlösen, dass die jahrhunderte- und jahrtausendalten Wahrheiten des Christentums nur noch einmal wiederholt werden. Der »curiose« Leser fordert vom Autor mehr als nur das ewig Gleiche. Dieses Bedürfnis hat Grimmelshausen in seinem Ewig-währenden Calender befriedigt, der entgegen seinem Titel gerade nicht die ewigen Wahrheiten – diese allenfalls in Form von Bauernweisheiten –, sondern die neuen und interessanten Tatsachen berichtet. Der von der Neuzeit geadelte Begriff der »curiositas« wandelt sich zu dem des »curiosen«. Die »curiositas« als Weltverhalten ist zur »curiosität« als Leseverhalten geworden. Im 17. Jahrhundert werden die gedanklichen, technischen und geographischen Errungenschaften der Neuzeit nicht mehr als dramatischer Umbruch erfahren, sondern als Gegenstand einer interessierten Neugierde, die sich durch das Lesen von Büchern leicht befriedigen lässt. In diesem Zusammenhang ist auch das Buch eingeordnet, das vor dem Leser liegt und in dem er über das Lesen – und Schreiben – liest. Der Simplicissimus ist ein Text, der seine eigene Entstehung fiktional darstellt: Der Einsiedler berichtet in der Continuatio über die Niederschrift ebendieses Textes, den der Leser gerade liest; und der holländische Schiffskapitän berichtet seinem Freund German Schleiffheim von Sulsfort – alias Grimmelshausen – über den Fund dieses Manuskriptes. Möglicherweise ist dieses Eingeständnis der eigenen Fiktionalität im Roman noch tiefer verankert; es gibt Indizien für die Annahme, dass Grimmelshausen die Continuatio daraufhin angelegt habe, den gelegentlich erhobenen Wahrheitsanspruch aufzulösen und die Fiktionalität bloßzulegen.29 Wie auch immer: Der Roman denkt über sich selbst als die kreative Leistung seines Schreibers nach. Er bildet die Welt nicht ab, sondern stellt sich ihr gegenüber.30
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Grimmelshausen hat eine schöne Beschreibung dieses Vorgangs, der sich im Schreiben vollzieht, gegeben. Der Sekretär erklärt Simplicissimus die Funktion eines Tintenfasses: »auß demselben lange er herauß was er begehre / die schönste Ducaten / Kleider / und in Summa was er vermöchte / hätte er nach und nach herauß gefischt«. (98) Mit dem Tintenfass kann man reich werden, aber nicht jeder beherrscht diese Kunst. In dieser Beschreibung des Tintenfasses denkt Grimmelshausen eher an die Verwaltungs- sowie juristische und merkantile Tätigkeiten, die alle auf das »Schreiben« angewiesen sind – und von deren Bedeutung der vormalige Regimentsschreiber und spätere Verwaltungsbeamte Grimmelshausen eine präzisen Begriff hat –, aber selbstverständlich ist auch die Tätigkeit des Romanschreibers mitgemeint. Mit der Fiktionalitätsthematik gewinnt der Roman Anschluss an eine Entwicklung, die bereits viel früher eingesetzt hatte. Das Buch – nicht nur der fiktionale Roman – tritt in ein neues Verhältnis zur Welt, ein Vorgang, der durch den Buchdruck nicht eingeleitet, aber beschleunigt und universalisiert worden ist. Es ist »nicht mehr das Fenster zur Welt oder zu Gott«, es wird »von einem Verweis auf die Welt zu einem Verweis auf den Verstand«.31 Am Ende kann alles »gelesen« werden; das Lesen wird zum universalen Medium der Weltaneignung, durch das sich der kulturelle Kosmos ebenso erschließen lässt wie der natürliche. Es ist seit langem schon gesehen worden, dass die Metapher vom »Buch der Natur« im Simplicissimus eine herausragende Rolle spielt. Die Metapher ist alt, und Grimmelshausen bezieht sich ausdrücklich auf die christliche Tradition, in der sie steht: auf jenen heiligen Antonius, der, weil er des Lesens in Büchern nicht mächtig war, in der Natur liest wie in einem Buch, um die Wunder Gottes zu erkennen. Diese Passage in der Continuatio, in der der Einsiedler in der Natur liest wie in einem »Buch«, wurde von germanistischer Interpretationskunst oft als Paradebeleg für die »heilsgeschichtliche« Ausdeutung des Romans verstanden – die »Dinge sind ihm © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Zeichen, die auf eine höhere Wahrheit verweisen«.32 Aber abgesehen davon, dass die Metapher vom »Buch der Natur« im 17. Jahrhundert längst säkularisiert und von dem modernen naturwissenschaftlichen Weltbild vereinnahmt wurde, spricht der Kontext dieser gern zitierten Romanpassage eine andere Sprache. Zunächst wäre die Frage zu stellen, ob der Aufzählung jener allegorischen Ausdeutungen natürlicher Phänomene nicht ein Hauch von Parodie unterlegt ist – »und kochte mir niemahl keine Speiß / daß mich das gegenwertige Feur nicht an die ewige Peyn der Höllen erinnert hätte« (677). Aber selbst wer das noch ernst nimmt, wird von Grimmelshausen darüber belehrt, dass das Lesen in der Natur nur ein Surrogat ist: Der Einsiedler liest nur deshalb im Buch der Natur, weil er kein gedrucktes Buch zur Hand hat; und die Natur, aus der er liest, hat er zuvor selbst geordnet. Die »Natur« selbst hat keine Ordnung, auch keine geistliche; den Einsiedler auf der Insel der Continuatio stört die »natürliche Unordnung der Gewächse«, und er setzt an ihre Stelle einen Garten, der eine »wolständigere Ordnung« repräsentiert (676). Da auch aus dieser Ordnung noch kein heilsgeschichtlicher Sinn hinreichend deutlich zu erkennen ist, beschriftet Simplicissimus schließlich die Natur vorsichtshalber; »alle Bäum / die von Art eine glatte Rinden trugen / hatte er mit Biblischen und anderen schönen Sprüchen gezaichnet« (682). Erst so wird aus der »Natur« das »Buch«, in dem der Einsiedler lesen kann, aber er liest nur, was er vorher hineingeschrieben hat. Die einsiedlerische Kontemplation wird durch andere Motive überlagert. Selbst hier, im zurückgezogenen Dasein auf der einsamen Insel, treten die Motive der »Selbstbehauptung« wieder hervor. Simplicissimus unterwirft sich der »Arbeit«, weil »der Mensch zur Arbeit wie der Vogel zum fliehen geboren ist« (676); er schafft sich eine Natur nach seinem eigenen Geschmack, er liest mangels gedruckter Bücher in der Natur, er schreibt seinen Lebenslauf (vgl. 677 f.). Auch die »Neugierde« fehlt nicht:
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Selbst der Einsiedler fühlt sich offensichtlich noch gedrängt, eine Höhle auf der Insel zu erforschen, die ihm bei der Ankunft der Seefahrer als unangreifbares Versteck dient. Die vom Simplicissimus verfolgte Linie ist klar: Er stellt die Destabilisierungserfahrungen der frühen Neuzeit dar, und er demonstriert das Programm der »Selbstbehauptung« zu ihrer Überwindung. Der Roman »zerbricht« nicht etwa die »Ordnung der Dinge«, sondern er unternimmt den Versuch, sie wiederherzustellen. Dem Simplicissimus wurde neuerdings bescheinigt, seine »Instabilität der Zeichen, ihre Bereitschaft, in wechselnde Ordnungsgefüge einzutreten und durch Umsortierung der Elementarbestandteile nach Belieben die Gestalt zu verändern«, sei »Index einer semiotischen Praxis«, die zur Auflösung von Identität führe.33 Diese Beschreibung ist sicherlich gut gemeint; sie weist den Simplicissimus als einen Roman aus, der seiner Zeit um etwa ein Vierteljahrtausend voraus ist und eher der Postmoderne als der frühen Neuzeit angehört. Aber was der Simplicissimus betreibt, ist kein spielerisches Auflösen von Realität in einer Welt wechselseitig auf sich verweisender Zeichen, sondern eine in gedanklicher wie erzähltechnischer Hinsicht eher hilflos anmutende Auseinandersetzung mit den Herausforderungen dieser Realität. Grimmelshausen verarbeitet die Erfahrung, dass die Welt ebenso brüchig geworden ist wie die traditionellen Weltorientierungen. Das ist kein »semiotisches« Problem, sondern ein historisches, das entsteht durch den Wandel der Wirklichkeit und der Wirklichkeitsauffassung. Seinem Selbstverständnis nach bevorzugt Grimmelshausen wohl eine Lösung, die in einer – unangemessenen – modernen Sprache als »konservativ« zu bezeichnen wäre; der Schlusssatz des Teutschen Michel macht das noch deutlicher als der Roman: »man soll aber der Alten Sitten: vornemblich aber ihrer Standhafftigkeit und Tugend nachfolgen.«34 Dieser Wandel führt zu Destabilisierungserfahrungen, die sehr viel tiefer greifen als die gängige Rede vom »Auf und Ab« des Welt- und Lebenslaufes. Nicht nur die © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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physische Welt, sondern auch die Strategien der Welterfahrung sind unsicher geworden. Das Verhältnis von Sein und Schein ist ein zentrales Problem des Barockzeitalters, das die Lebens- und Wirklichkeitserfahrung bestimmt: »Das Leben erweist sich als Verwirrspiel, das nur mühsam beherrschbar ist«.35 Der Roman redet von kaum etwas anderem. Die ständigen Verwirrspiele und Irrtümer, die Simplicissimus teils inszeniert und denen er teils ausgesetzt ist, haben ihren tiefen Grund in der Einsicht, dass die bewährten Modelle der Erfahrung und der Sprache nicht mehr zureichen zur Weltbewältigung. Das Problem der Sprache wird ausdrücklich thematisiert. Die Welt wird durch die Sprache erfassbar und angeeignet; ohne die Sprache steht ihr Simplicissimus hilflos gegenüber: In den ersten Kapiteln muss er erst die »Namen« der Dinge lernen, um sich in der sozialen wie der natürlichen Welt zurechtzufinden (vgl. 33, 36). Später, gegen Ende des Romans, wird er darüber belehrt, dass auch die Sprache trügerisch ist. Das »Adjeu Welt«, mit dem sich Simplicissimus in sein Einsiedlerleben verabschiedet, stellt ausdrücklich fest, dass in der Welt »niemand mit seinem rechten Nahmen genennet« (545) wird. An der Zersetzung der alten Ordnung hat die neuzeitliche Naturwissenschaft und überhaupt das neuzeitliche Weltbild mitgearbeitet; sie fördern eine Wirklichkeitsauffassung, die das naturwissenschaftlich-abstrahierende Denken der Natur gegenüberstellt und die den Kosmos in eine Fülle von atomisierten Einzeleinsichten auflöst – so kommt es nicht von ungefähr, dass der Simplicissimus einerseits seinen Protagonisten sich der modernsten technischen Errungenschaften bedienen lässt und andererseits ebendiese Errungenschaften in seinen teilweise skurrilen Listen von Erfindungen auch satirisch desavouiert. Nicht nur die Lebensformen werden durch die atrocitas-Erfahrungen destabilisiert; auch die Erkenntnismöglichkeiten der Wirklichkeit und die traditionellen Ordnungsmodelle erscheinen in Frage gestellt. Auf diesen Wandel reagiert © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Grimmelshausen, und ihn verarbeitet er. Aber er verarbeitet ihn nicht nur, sondern er gibt ihn auch wieder. Die Struktur des Romans ist tief geprägt von den Phänomenen, die er beschreibt. Die überzuckerte Pille, von der die Vorrede der Continuatio spricht, hat keinen »Kern«. Speziell mit dieser Einsicht hat sich die Grimmelshausen-Philologie schwer getan. Sie hat immense Mühe darauf verwendet, über den christlichen Moralgehalt hinaus und in Überwindung der »Realismus«-These den Beweis zu führen, dass der Roman eine verborgene strukturelle Einheit aufweise. Das Bedürfnis nach einer solchen Beweisführung ist das Erbe einer klassizistischen Poetik, die sich nicht vorstellen kann, dass ein offensichtlich bedeutender Roman eine Reihung einzelner Episoden und verschiedener Bedeutungsebenen darstellt. Im Wesentlichen wurden zwei Positionen vertreten, die in dem Roman eine durchgängige strukturelle Komposition ausmachen wollten: Die eine sieht im Simplicissimus eine Art hermeneutischen Roman, der darauf angelegt ist, nach dem Verfahren des »vierfachen Schriftsinns« verstanden zu werden, weil bei ihm »die mittelalterliche Interpretations- und Kompositionsweise« nachwirke.36 Die andere Richtung sieht bei Grimmelshausen – nicht nur im Simplicissimus – Momente eines aktuellen, christliche mit modernen naturwissenschaftlichen Elementen verbindenden, astrologischen »Systemdenkens« wirksam werden.37 Beide Thesen, insbesondere die des astrologischen Romans, haben sich auf vielfältige Hinweise im Text stützen können. Dass Grimmelshausen sich sowohl auf die hermeneutische Tradition wie vor allem auf das astrologische Wissen seiner Zeit bezieht und beide Momente als Strukturelemente nutzt, lässt sich wohl mit guten Indizien belegen – nicht belegen aber lässt sich die Annahme, dass eines dieser Verfahren vom Autor systematisch durchgeführt sei. Die Einzelmomente weisen nicht jene Konsistenz auf, die es erlauben würde, in ihnen die verborgene Einheit des Romans zu finden. Was für die Struktur des Romans gilt, kann auch für seinen Protagonisten geltend gemacht werden. Das führte zu der viel- und immer noch nicht © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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abschließend diskutierten Frage, ob es sich im Simplicissimus um einen Bildungs- oder gar einen Entwicklungsroman handele. Melitta Gerhard hat diese Frage schon früh behandelt und dem Roman eine Stelle irgendwo zwischen Parzival und Wilhelm Meister zugewiesen: Wie Parzival ist Simplicissimus an ein höheres, religiös definiertes Ziel gebunden, das er mit seinem Eremitendasein auch erreicht; aber es finden sich, so deutet es Gerhard, in den Selbstreflexionen des Simplicissimus auch schon vereinzelte Momente einer Psychologisierung, die auf die spätere Befreiung des RomanIndividuums von heteronomen Zielsetzungen verweisen, die freilich nach Gerhards Interpretation im Simplicissimus als das »göttliche Gebot« noch deutlich sichtbar seien. Die These von dem wenn auch nur zaghaften Auftreten »eines psychologischen Moments« hat nur wenig Anhänger gefunden.38 Günter Rohrbach hat ihr kategorisch widersprochen und Simplicissimus als eine »Figur« bestimmt, die »nur im Hinblick auf ihre Funktion« innerhalb des Romans von Interesse ist und keine Kontinuität aufweist.39 Diese forschungsgeschichtlichen Kontroversen spielen bis heute in der Grimmelshausen-Philologie eine Rolle, die Forschung hat sich hartnäckig darauf kapriziert, auf irgendeiner inhaltlichen oder strukturellen Ebene eine »Einheit« des Romans zu finden. Dabei ist es längst bekannt, dass es nicht in Grimmelshausens Absicht gelegen hat, einen solchen »komponierten« Roman zu schreiben. Das geht bündig aus dem Titelkupfer hervor, dessen Konzeption dem Autor selbst zugeschrieben werden kann. Das Bild zeigt eine groteske, aus menschlichen und tierischen Elementen zusammengestellte und mit emblematischen Figuren umgebene Mischgestalt auf. Sie verweist eindeutig, so wurde argumentiert, auf die satirische Darstellungsabsicht des Autors, die sich keinem Form- und Stildiktat beugt. Der Roman realisiert dieses Programm – denn als eine Art programmatischer Vorrede darf der Titelkupfer verstanden werden – moderat, aber deutlich. Es ist das Programm der »Stilmischung«, in dem zwar vorwiegend »niedere« Gegenstände im satirischen Stil beschrieben © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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werden, in dem aber ernsthafte Erörterungen nicht fehlen. Die Forschung hat sich wegen der Bevorzugung der »niederen« Gegenstände daran gewöhnt, den Roman der Einfachheit halber als »Schelmenroman« einzuordnen und ihn damit als »niederen« Roman dem »hohen« höfischen Roman entgegenzustellen. Das wird unterstützt durch die Tatsache, dass Grimmelshausen sich durch ein französisches Vorbild aus der »Schelmen«- oder pikaresken Tradition inspiriert fühlte. Er beruft sich im »poetologischen« Abschnitt seines Satyrischen Pilgram ausdrücklich auf den Roman La vraye histoire comique de Francion seines Zeitgenossen Charles Sorel;40 unmittelbare spanische Vorbilder haben sich nicht nachweisen lassen. Mit der Einordnung des Simplicissimus in den Traditionszusammenhang des »pikarischen« Roman wäre aber auch wenig gewonnen, wenn sie sich besser belegen ließe. Sie hat nie recht befriedigen können, denn sie wird offensichtlich der Komplexität des Simplicissimus nicht gerecht. Die von Alewyn für Grimmelshausen konstatierte Bevorzugung des Entfernten, Grotesken und Verzerrten gegenüber dem Alltag verweist auf ein Vorbild, dessen Einfluss auf Grimmelshausen allerdings nur vage nachweisbar ist: auf Rabelais’ Gargantua et Pantagruel. Dass Grimmelshausen Werke des Rabelais-Übersetzers Johann Fischart gelesen hat, darf als sicher gelten; ob er auch dessen fast kongeniale Gargantua et Pantagruel-Übersetzung und -Adaptation Geschichtklitterung von 1575 gekannt hat, kann nur vermutet werden.41 Die Frage nach der direkten oder indirekten Rabelais-Kenntnis Grimmelshausens ist indes weniger wichtig als die Tatsache, dass er eine Weltauffassung literarisch gestaltet, die mit Rabelais deutliche gemeinsame Züge aufweist. Die groteske Verzerrung realistischer Darstellung, die sich in moderater Form bei Grimmelshausen findet, hat ihre Ahnen in Rabelais und Fischart.42 Die Gemeinsamkeiten gehen über eine verwandte Stilhaltung weit hinaus. Beide Autoren, dem deutschen mit anderthalbjahrhundertjähriger Verspätung, eröffnen sich neue Welten; nicht nur in © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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geographischer, sondern auch in sozialer und kosmologischer Hinsicht. Diese Einsicht, dass die »Welt« in einem Umbruch begriffen ist, hat Rabelais vor allem zum Ausdruck gebracht durch die Verzerrung der räumlichen Proportionen; ihre eindrucksvollste Gestaltung findet sie mit der »Welt in Pantagruels Mund«. Hier macht der erstaunte Autor die Erfahrung, dass er in eine »nouveau monde« verschlagen wurde und dass hinter den Bergen auch Leute wohnen: »ainsi comme nous avons les contrées de deçà et delà les montz, aussi ont-ilz deçà et delà les dentz« –43 wie wir den Gegensatz zwischen »diesseits und jenseits der Berge« haben, so unterscheiden sie zwischen »diesseits und jenseits der Zähne«. Bei Rabelais ist diese Formel noch gegen die enge geographische Weltsicht der Zeitgenossen gerichtet; bei Grimmelshausen erhält sie auch eine soziale Komponente: »hinder den Bergen wohnen auch Leut« (142), stellt Simplicissimus standesbewusst fest. Beiden Autoren eröffnet sich die Einsicht in ebendiese Tatsache, dass die Welt sich nicht in dem erschöpft, was man bisher über sie gewusst hat und wie sie vorher gewesen ist: die geographische wie die soziale Einteilung in eine Welt »vor und hinter den Bergen« ist hinfällig geworden. Beide Romane zeigen den Verlust von äußeren und inneren Ordnungsstrukturen; Rabelais’ Roman ist geprägt vom »Prinzip des Durcheinanderwirbelns der Kategorien des Geschehens, des Erlebens, der Wissensbezirke, der Proportionen und der Stile«.44 Grimmelshausens Roman ist gewiss etwas schwerfälliger; aber der Konzeption nach findet sich auch bei ihm dieses Prinzip. Beide Autoren sind geprägt von der Einsicht, dass ein konsistenter Bestand an geistigen Traditionen, seien sie christlicher oder gelehrter Herkunft, nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Grimmelshausens Umgang mit diesen geistigen Traditionen ist ein eigenes Kapitel. Es wurde schon früh festgestellt, dass Grimmelshausen keinesfalls der ungelehrte »Bauernpoet« war, als den ihn die Rezeptionsgeschichte lange gelesen hat – er war es in keiner Hinsicht: Seine Herkunft, sein sozialer Status, sein Selbstverständnis und sein © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Bildungsstand weisen ihm eine andere Stellung zu.45 Vor allem dieser letzte Aspekt ist von zentralem Interesse für das Verständnis des Simplicissimus. Mit enormem Aufwand hat sich die Grimmelshausen-Philologie der Frage gewidmet, was der Autor gelesen hat; immer umfangreicher wurden die Kataloge der nachgewiesenen oder vermuteten Lektüre, bis hin zu 150 oder zuletzt 200 Titeln. Grimmelshausen, der großen Wert darauf legte, den gelehrten Poeten seiner Zeit an die Seite treten zu können, hätte sich über diese Annahme gefreut. Genauere Forschungen sind freilich ernüchternder. Sie haben demonstriert, dass Grimmelshausen vieles nur ungenau und aus zweiter Hand kannte und dass speziell seine Antike-Aneignung auf tönernen Füßen steht.46 Die gewaltige Systematik der Rhetorik, auf der die barocke Gelehrsamkeit noch aufruhte und die in den Bildungsinstitutionen des 17. Jahrhunderts noch gelehrt wurde, beginnt zu zerbröckeln, Grimmelshausen hat in seinem Teutschen Michel die niedergehende humanistische Tradition auch ausdrücklich satirisch kritisiert und den eigenen Rang der »teutschen« Bildungstradition dagegen ausgespielt. Der Wissensbestand Grimmelshausens – und der seines Simplicissimus – ist nicht mehr systematisch angelegt und erhebt auch nicht diesen Anspruch. Er ist eklektisch zusammengetragen und enzyklopädisch konzipiert. Grimmelshausen hat sich darauf eingestellt. Er hat sich für einige Zeit unter Germanisten den Ruf eines gebildeten Autors erworden; aber einen guten Teil dieses Rufes verdankt er der geschickten Benutzung von Kompendien. Eine seiner Hauptquellen, auf die eine Vielzahl seiner Zitate und gelehrten Anspielungen zurückführbar ist, war die Übersetzung von Thomas Garzonis Piazza Vniversale de tutti professione del mondo, zuerst 1585 in Venedig publiziert und im 17. Jahrhundert zweimal in Deutschland erschienen. Dieses Kompendium gibt einen Überblick über 153 Stände und Berufe, von König bis zu Ketzern und Schauspielern – es ist eine Kumulation beliebig kompilierten Wissens, aus der sich Grimmelshausen ebenso beliebig bedient hat. © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Ein letztes Mal bestätigt sich in diesem Verfahren der Aneignung von Wissensbeständen die azentrische Konstellation des Simplicissimus. Auch die Bildungstradition vermag ihm nicht jenes strukturelle Gerüst einzuziehen, welches die Grimmelshausen-Interpretation seit ihren Anfängen in ihm gesucht hat. Dass sich dieses Zentrum nicht findet, darf eigentlich nicht überraschen; es entspricht dem Typus des gedanklichen Zugangs zur Wirklichkeit, den das 17. Jahrhundert ausgeprägt hat. In seiner berühmten Interpretation von Velasquez’ Bild Las Meninas hat Foucault das Verfahren beschrieben, mit dem sich das 17. Jahrhundert eine Ordnung des Wissens geschaffen hat. Er hat es das Verfahren der »Repräsentation« genannt. Die Wirklichkeit wird aufgehoben in einer Welt von Zeichen, welche die Dinge »repräsentieren« und ihnen eine Ordnung geben. Diese zeichenhafte »Ordnung der Dinge« ist künstlich, aber sie erhebt doch den Anspruch, die Ordnung der Wirklichkeit zu vergegenwärtigen. Die Pointe von Foucaults Beobachtungen ist die Feststellung, dass in dieser »Repräsentation« sie selbst nicht enthalten ist; sie kann das Zentrum oder das Prinzip ihres Verfahrens nicht in ihre eigene Ordnung mit aufnehmen. Dieses Prinzip wird erst später sichtbar und benennbar: Es ist der »Mensch«, der den Akt der Repräsentation vollzieht, sich aber in ihm nicht als Zentrum erkennen und sich deshalb nicht in ihn einbeziehen kann. Foucault erfasst diese Vorgänge in seiner Beschreibung der »Repräsentation« im 17. Jahrhundert nicht sehr präzise, aber es wird doch erkennbar, dass Grimmelshausens Simplicissimus auf eine vergleichbare Weise verfährt. Er beschreibt eine barocke Wirklichkeitsauffassung, deren Zentrum noch nicht klar erkennbar ist: »Der Mensch als dichte und ursprüngliche Realität, als schwieriges Objekt und souveränes Subjekt jeder möglichen Erkenntnis findet darin keinen Platz.«47 Der Simplicissimus glaubt nicht mehr an einen durch umfassende Ähnlichkeitsbeziehungen geordneten Kosmos. Als Roman, der sich seiner Fiktionalität bewusst ist, steht er der Wirklichkeit gegenüber und © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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entwirft ein Ordnungsmodell, mit dem diese Wirklichkeit repräsentierend erfasst werden soll, ohne dass das ordnende Prinzip in ihr erkennbar ist. In ihm treten jene großen Themen auf, welche das Weltbild der Neuzeit bestimmen werden; er verhandelt die Probleme von Natur, Subjekt und Gesellschaft in literarischer Darstellung, deren sich in den westlichen Nachbarländern die Philosophie und die modernen Naturwissenschaften angenommen haben. Ein großer Teil der heftigen Kontroversen, die sich um den Simplicissimus entsponnen haben, spitzte sich zu auf die Frage, ob der Simplicissimus rückwärts gewandt ist oder vorwärts weisend. Die Antwort ist wahrscheinlich einfacher, als die Forschung sie sich gemacht hat: Der Roman gehört weder der Vergangenheit noch der Zukunft an, sondern seiner Zeit. Es ist für Deutschland eine Zeit des Übergangs, in der sich die Grundlagen des neuzeitlichen Weltverständnisses ebenso wie die einer neuen Staats- und Lebensordnung und nicht zuletzt auch die einer neuen Literaturauffassung herausbilden, aber noch nicht herausgebildet haben; und diesen Prozess stellt der Roman mit seinen Mitteln dar.
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Literaturhinweise Ausgaben Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen: Werke. 3 Bde. Hrsg. von Dieter Breuer. Frankfurt a. M.: Deutscher Klassiker Verlag, 1989 ff. [Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch in: Bd. 1,1: Simplicianische Schriften I.] – Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch und Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi. Hrsg. von Rolf Tarot. 2., durchges. und erw. Aufl. Tübingen: Niemeyer, 1984. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben.) – Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Mit einer Einl. von Volker Meid. Stuttgart: Reclam, 1986 [u. ö.]. (Universal-Bibliothek. 761.) Forschungsliteratur Argenis. Internationale Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 1 (1977). [Grimmelshausen-Sonderheft zum Gedenkjahr 1976.] Aylett, Robert P. T.: The Nature of Realism in Grimmelshausen’s Simplicissimus Cycle of Novels. Bern / Frankfurt a. M. 1982. Battafarano, Italo Michele: Grimmelshausen-Bibliographie 1666–1972. Werk – Forschung – Wirkungsgeschichte. Unter Mitarb. von Hildegard Eilert. Neapel 1975. Breuer, Dieter: Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen. In: Deutsche Dichter. Leben und Werk deutschsprachiger Autoren. Hrsg. von Gunter E. Grimm und Frank Rainer Max. Bd. 2: Reformation, Renaissance und Barock. Stuttgart 1988. S. 277– 300. – Grimmelshausen-Handbuch. München 1999. © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Anmerkungen 1
Richard Alewyn, Johann Beer. Studien zum Roman des 17. Jahrhunderts, Leipzig 1932, S. 196, 208–210. 2 Der Roman wird zitiert nach der Ausgabe Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Werke I,1, hrsg. von Dieter Breuer, Frankfurt a. M. 1989. – Zur Einführung in das literatur- und zeitgeschichtliche Umfeld, die Biographie sowie die Forschungs- und Rezeptionsgeschichte vgl. Volker Meid, Grimmelshausen. Epoche, Werk, Wirkung, München 1984. 3 Vgl. Richard Alewyn, »Gestalt als Gehalt: Der Roman des Barock«, in: R. A., Probleme und Gestalten. Essays, Frankfurt a. M. 1974, S. 117–132, hier S. 127 f. 4 Christoph E. Schweitzer, »Grimmelshausen und der realistische Roman«, in: Handbuch des deutschen Romans, hrsg. von Helmut Koopmann, Düsseldorf 1983, S. 80–89, 600–602, hier S. 83. 5 Karl Georg Zinn, Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, Opladen 1989, S. 265, 149. – Vgl. auch Peter J. Brenner, »Montaigne oder Descartes? Die Anfänge der Neuzeit im Lichte einer Neuinterpretation«, in: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993) S. 335–358, hier S. 355–358. 6 Christof Dipper, Deutsche Geschichte 1648–1789, Frankfurt a. M., 1991, S. 9–41. 7 Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, 2. Aufl., Reinbek 1985, S. 49. 8 Vgl. Peter J. Brenner, »Individuum und Gesellschaft«, in: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, hrsg. von Horst Albert Glaser, Bd. 3: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock. 1572–1740, hrsg. von Harald Steinhagen, Reinbek 1985, S. 44–59. 9 Grimmelshausen, Simplicianischer Zweyköpffiger Ratio Status, hrsg. von Rolf Tarot, © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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in: Grimmelshausen, Gesammelte Werke in Einzelausgaben, unter Mitarb. von Wolfgang Bender und Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot, Tübingen 1968, S. 9 f. 10 Peter Heßelmann, Gaukelpredigt. Simplicianische Poetologie und Didaxe. Zu allegorischen und emblematischen Strukturen in Grimmelshausens Zehn-BücherZyklus, Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1988, S. 168. 11 Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, 5. Aufl., Bern/München 1971, S. 44–49, 73 f., 113 f., 146 f., 150–155, 236–238. 12 Erich Auerbach, »Figura «, in. E. A., Neue Dantestudien, Istanbul 1944, S. 11–71, hier S. 28 f., 65 f. 13 Vgl. Dieter Breuer, »Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi« [Kommentar], in: Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Werke I,1 (s. Anm. 2), S. 985–987. 14 Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M. 1981, S. 109. 15 Unter diesem Aspekt wird der Roman konsequent interpretiert von Jan Knopf, Frühzeit des Bürgers. Erfahrene und verleugnete Realität in den Romanen Wickrams, Grimmelshausens, Schnabels, Stuttgart 1978, S. 59–83, 155–170. 16 Vgl. Grimmelshausen, Der seltzame Springinsfeld, hrsg. von Franz Günter Sieveke, in: G., Gesammelte Werke in Einzelausgaben, unter Mitarb. von Wolfgang Bender und Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot, Tübingen 1969, S. 15. 17 Grimmelshausen, Deß Weltberuffenen Simpliccissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel, hrsg. von Rolf Tarot, in: G., Gesammelte Werke in Einzelausgaben, unter Mitarb. von Wolfgang Bender und Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot, Tübingen 1976, S. 15. 18 Vgl. Alexander Weber, »Über Naturerfahrung und Landschaft in Grimmelshausens Simplicissimus«, in: Daphnis 23 (1994) S. 61–84, hier S. 64–72. 19 Vgl. Hans Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, erw. und überarb. © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Neuausg. von Die Legitimität der Neuzeit, Tl. 3, Frankfurt a. M. 1973, S. 166–170. Engelhard Weigl, Instrumente der Neuzeit. Die Entdeckung der modernen Wirklichkeit, Stuttgart 1990, S. 34; Hans Blumenberg, »Das Fernrohr und die Ohnmacht der Wahrheit«, in: Galileo Galilei, Sidereus Nuncius (Nachricht von neuen Sternen), hrsg. und eingel. von Hans Blumenberg, Frankfurt a. M. 1980, S. 7–75, hier S. 15–17. 21 Vgl. Robert Hooke, Micrographia, or some Physiological Descriptions of Minute Bodies Made by Magnifying Glasses with Observations and Inquiries thereupon, London 1665, reprograph. Nachdr. Lincolnwood, Ill., 1987, Vorwort (unpaginiert; erste Seite). 22 Hans Blumenberg, Säkularisierung und Selbstbehauptung, erw. und überarb. Neuausg. von Die Legitimität der Neuzeit, Tle. 1 und 2, Frankfurt a. M. 1974, S. 160. 23 Vgl. Arthur O. Lovejoy, Die große Kette der Wesen. Geschichte eines Gedankens, Frankfurt a. M. 1985, S. 123–175, bes. S. 135 f. 24 Des Abenteurlichen Simplicissimi Ewig=währender Calender, mit einem erklärenden Beih. hrsg. von Klaus Haberkamm, Konstanz 1967, reprogr. Nachdr. der Ausg. Nürnberg 1670, S. 42. 25 Vgl. Michael Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit. Eine historische Fallstudie über die Durchsetzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien, Frankfurt a. M. 1991, S. 431–436, 589 f. 26 Eine Auflistung der Lektürestoffe, die sich locker nach Themenkreisen ordnen lassen, gibt Walter Busch, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch, Frankfurt a. M. 1988, S. 47 f. 27 Grimmelshausen, Deß Weltberuffenen Simpliccissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel (s. Anm. 17), S. 7. 28 Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit (s. Anm. 25), S. 486. 29 Vgl. Hubert Gersch, Geheimpoetik. Die ›Continuation des abentheurlichen 20
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Simplicissimi‹ interpretiert als Grimmelshausens verschlüsselter Kommentar zu seinem Roman, Tübingen 1973, S. 34, 44–60; John Heckman, »Emblematische Strukturen im ›Simplicissimus Teutsch‹«, in: Emblem und Emblematikrezeption. Vergleichende Studien zur Wirkungsgeschichte vom 16. bis 20. Jahrhundert, hrsg. von Sibylle Penkert, Darmstadt 1978, S. 242–256, hier S. 254 f. 30 Vgl. Peter J. Brenner, Die Krise der Selbstbehauptung. Subjekt und Wirklichkeit im Roman der Aufklärung, Tübingen 1981, S. 26–30. 31 Ivan Illich, Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand. Ein Kommentar zu Hugos ›Didascalicon‹, Frankfurt a. M. 1991, S. 126 f. 32 Heßelmann, Gaukelpredigt (s. Anm. 10), S. 266. 33 Waltraud Wiethölter, »›Baltanderst Lehr und Kunst‹. Zur Allegorie des Allegorischen in Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch«, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 68 (1994) S. 44–65, hier S. 61, 64. 34 Grimmelshausen, Deß Weltberuffenen Simpliccissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel (s. Anm. 17), S. 65. 35 Thomas Kleinspehn, Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit, Reinbek 1989, S. 94. 36 Clemens Heselhaus, »Grimmelshausen: Der abenteuerliche Simplicissimus«, in: Der deutsche Roman. Vom Barock bis zur Gegenwart, Bd. 1: Struktur und Geschichte, hrsg. von Benno v. Wiese, Düsseldorf 1963, S. 15–63, hier S. 29. 37 Vgl. Günther Weydt, Nachahmung und Schöpfung im Barock. Studien um Grimmelshausen, Bern / München 1968, S. 243–301. 38 Melitta Gerhard, Der deutsche Entwicklungsroman bis zu Goethes »Wilhelm Meister«, Halle 1926, S. 71, 85. 39 Günter Rohrbach, Figur und Charakter. Strukturuntersuchungen an Grimmelshausens Simplicissimus, Bonn 1959, S. 78. © 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart.
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Grimmelshausen, Satyrischer Pilgram, hrsg. von Wolfgang Bender, in G.: Gesammelte Werke in Einzelausgaben, unter Mitarb. von Wolfgang Bender und Franz Günter Sieveke hrsg. von Rolf Tarot, Tübingen 1970, S. 92–94. 41 Breuer zieht in seinem Kommentar eine Kenntnis des Textes in Betracht, allerdings aufgrund einer nur sehr vagen Anspielung: vgl. Breuer, »Simplicissimus Teutsch« [Kommentar] (s. Anm. 2), S. 832. 42 Vgl. Meid, Grimmelshausen (s. Anm. 2), S. 108. 43 François Rabelais, Œuvres complètes, Texte établi et annoté par Jacques Boulenger, édition revue et commentée par Lucien Scheler, Paris 1955, S. 306, 308. 44 Auerbach, Mimesis (s. Anm. 11), S. 259. 45 Manfred Koschlig, »Der ›Mythos‹ vom Bauernpoeten Grimmelshausen«, in: M. K., Das Ingenium Grimmelshausens und das ›Kollektiv‹. Studien zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Werkes, München 1977, S. 116–192. 46 Vgl. Herbert Scheuring, ›Der alten Poeten schrecklich Einfäll und Wundergedichte‹. Grimmelshausen und die Antike, Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1991, S. 29–32. 47 Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1980, S. 375, auch S. 45.
© 1996, 2001 Philipp Reclam jun., Stuttgart. Erstdruck: Interpretationen. Romane des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart: Reclam, 1996. (Reclams Universal-Bibliothek. 9474.) S. 7–46.
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