Alexander Kröger
Sieben fielen vom Himmel Wissenschaftlich-phantastischer Roman
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Alexander Kröger
Sieben fielen vom Himmel Wissenschaftlich-phantastischer Roman
ISBN 3-355-00705-6 © Verlag Neues Leben, Berlin 1969 4. Auflage, 1988 Lizenz Nr. 303 (305/247/88) LSV 7503 Einband: Karl Fischer Typografie: Hannelore Lange Schrift: 10 p Garamond Gesamtherstellung: Karl-Marx-Werk Pößneck V15/30 Bestell-Nr. 641 238 5 00640
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1 Langsam kroch die Kälte in alle Räume. Zunächst war sie in den Arbeitsräumen spürbar, breitete sich dann aber rasch bis zur Mitte des Schiffes aus, bis sie schließlich alle Lebewesen den eisigen Hauch eines ewigen Schattens ahnen ließ. Min kauerte auf ihrer Liege. Sie fror. Sie fror schon seit Stunden, schon seit sie wieder in ihrer Kabine war und obgleich zu diesem Zeitpunkt das Thermometer noch die normale Bordtemperatur anzeigte. Sie lag bereits einige Zeit, als die Heizaggregate abgeschaltet wurden. Ausruhen sollte sie, sie und die anderen – bis auf den Wachhabenden. Wenn ich doch einschlafen könnte. Schlaf täte wirklich gut, überlegte Min. Die letzten Tage boten wenig Gelegenheit dazu. Oder bewegen müßte ich mich. Min gab den Gedanken sogleich wieder auf. Vielleicht ist ohnehin bald alles vorbei… Sie starrte an die gegenüberliegende Wand der Kabine und zuckte nur leicht zusammen, als das Hauptlicht erlosch. Im Schein der Notbeleuchtung wirkte die Zweckeinrichtung des Raumes kalt, gespenstisch. Min lächelte. Es wird angenehmer sein, dachte sie, wenn es in den letzten Stunden nicht so hell ist. Dann richtete sie sich mit einem Ruck auf. Ist es überhaupt gerechtfertigt, daß ich resigniere? Ich lebe, und mit mir noch sechs. Der Kommandant und die Ingenieure sind zuversichtlich. Und gerade Chalo! Er hätte Grund, niedergeschlagen, ja sogar verzweifelt zu sein – aber gerade er ist es, der uns aufmuntert, uns Hoffnung gibt. Schluß mit den Grübeleien! Min stand auf. Es sind noch Analysen zu machen. Chalo wird verstehen, daß ich nicht ruhe, nicht ruhen kann, daß ich auch nach dem Dienst noch arbeiten möchte. Aber – ob es wirklich noch einen Sinn hat? Sind tatsächlich
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die anderen so zuversichtlich, oder geben sie sich nur so? Habe nur ich diese unbestimmte Angst vor dem Kommenden? Unsinn! Eines Tages werden die Unsrigen unsere Spur finden. Und schon dafür lohnt es sich, alles zusammenzutragen, was nur möglich ist.
Min betrat den Kommandoraum. Chalo blickte auf. „Nanu, Min“, sagte er, „du müßtest doch schlafen.“ „Ja“, antwortete sie. „Bitte, Chalo, ich weiß, daß du auch nicht immer schläfst, wenn du frei hast. Und ich könnte noch einige Analysen machen. Die Stürme gestern gingen bis in die Hochatmosphäre. Vielleicht gelingt mir eine genauere Aussage über die Bodenbestandteile der Wüstengebiete.“ „Es ist doch zu kalt“, sagte Chalo. „Es wird schon gehen“, sagte Min. „In den Kabinen ist es auch ungemütlich – dazu das trübe Licht.“ „Ich denke, daß die Heizanlagen in einigen Stunden repariert sein werden“, sagte Chalo nach einem Blick auf den Zeitautomaten. Min trat an ein Bordfenster und sah hinaus. Schwarze Nacht. Wie weißglühende Funken gleißten die Sterne. Ob einer unsere Sonne ist? Sie blickte flüchtig zum Kursanzeiger, ging, ohne dessen Angabe zu erfassen, zum nächsten Fenster und legte den Kopf an die Scheibe. In ihren Augen erglomm ein rötlicher Schein. Min blinzelte. Nur langsam überwand sie die Blendung. Unverändert das Bild des Planeten: riesige Wüsten, langgestreckte Gebirgsgrate, aus der Entfernung, wie mit dem Lineal gezogen, öde, einförmige blau-grün-graue Flächen. Und du gabst uns Hoffnung, hast uns, nur weil du ein wenig Sauerstoff in deiner Atmosphäre hast, annehmbare Lebensbedingungen vorgegaukelt und empfängst uns mit Sandstürmen und Dürftigkeit. Nein, du bekommst uns nicht. Lieber bleiben
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wir hier im Schiff… Chalo trat neben Min an das Fenster. „Traurig?“ fragte er. „Nein“, antwortete sie. „Ich habe ein wenig Angst, Chalo.“ Chalo schwieg. Er schaute mit hinüber zu der leuchtenden Scheibe. Dann sagte er leise: „Wenn wir dort gelandet wären, Min, wie wir ursprünglich wollten, dann müßten wir fürchten, daß weder wir uns selbst noch daß andere uns retten könnten. Aber jetzt – es ist alles vorbereitet. Wir haben die Chance zu leben. Der Dritte Planet, nicht der Vierte, bietet Leben. Du weißt das! Und sind wir nicht besser dran als unsere Gefährten von der J 2? Wir haben eine Hoffnung, aber sie?“ Chalo blickte starr aus dem Fenster. „Ob sie überhaupt leben?“ fügte er leise, wie zu sich selbst, hinzu. Min schaute geradeaus. Sie wußte, daß sich der Mann neben ihr schon tausendmal diese Frage gestellt hatte, daß er dabei an seine Gefährtin dachte, die mit siebenundzwanzig Kameraden und dem interstellaren Schiff, der stolzen J 2, verschollen war. Und Min kam sich in diesem Augenblick mit ihrer Angst und ihren Zweifeln kleinmütig vor angesichts des stillen Schmerzes Chalos, der trotz persönlichen Leids anderen den Glauben an die Zukunft erhielt. Chalo gab sich gleichsam einen Ruck, schaute Min an und sagte sachlich: „Ich habe übrigens erst vorhin mit Mangk noch einmal alles Für und Wider durchgesprochen. Wir wollen nun doch versuchen, eine Lastkabine mitzunehmen. Überleg dir schon, welche Dinge du mit hineingibst. Bedenke aber auch, daß bei dieser Kabine das Landerisiko größer ist als bei den unsrigen.“ Min blickte auf. „Und du meinst, daß in den fast hundertvierzig ER, die wir zum Planeten Drei unterwegs sein werden, nichts in unseren Weg kommt? Eine einzige Kurskorrektur, ein Ausweichmanöver, und wir sind ein Satellit der hiesigen Sonne.“
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„Nanu – hat die Jugend kein Vertrauen mehr?“ Chalo lächelte jetzt. „Die schlimmste Wegstrecke dürften wir hinter uns haben. Vom Fünften Planeten bis hierher haben wir zweiunddreißig Planetoiden geortet. Zwischen dem Planeten hier und dem Dritten, unserem Ziel, bisher keinen einzigen!“ „Weißt du, Chalo, was ich denke? Ob nicht die J 2 mit solch einem Brocken kollidierte? Sie befand sich zwar, von hier aus gesehen, jenseits des Fünften. Aber ganz frei war dort der Raum auch nicht. Vielleicht waren wir auf der Parkbahn zu sorglos geworden?“ Chalo schwieg. Er starrte auf die Planetenoberfläche, als suche er in den öden Gebirgen und Wüsten etwas Bestimmtes. „Warum, Min, haben wir dann nichts von ihnen gefunden? Gar nichts! Ich habe mir diese Frage oft gestellt. Es war unser größtes Schiff. Das kann nicht einfach verschwinden. Wir hätten wenigstens – Trümmer finden müssen.“ „Wir kamen zu spät“, sagte Min. „Dennoch“, erwiderte Chalo, „so weit reicht unser Radar. Es sei denn“, Chalo zögerte, „die J 2 hat mit der höchsten Stufe beschleunigt – aber warum sollte sie das? Und warum funkt sie nicht? – Lassen wir das, Min. Unsere Fragen kann zur Zeit niemand beantworten. Nimm dich bitte Surkis an. Sie scheint mir am niedergeschlagensten zu sein“, fuhr Chalo fort. „Ich erinnere mich an meinen ersten Flug. Es war kein interstellarer, und doch begleitete mich ständig eine Art Angst, obwohl alles normal verlief. Surki, unsere jüngste, wird gleich auf eine wesentlich härtere Probe gestellt. Wir müssen ihr helfen!“ Wieder änderte Chalo den Tonfall. Beinahe dozierend sagte er: „Es besteht wirklich kein Grund zur Unruhe oder – Angst, Min. Wir haben Glück. Wir schneiden dem Dritten Planeten den Weg ab. Unsere Energie reicht daher bis in seine Nähe, jedenfalls bis in seinen Anziehungsbereich.“ „Ja, aber dann…“ Min blickte wieder auf den Planeten. „Eine Landung ohne Bremsraketen hat noch niemand gewagt.“
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„Nun, dann sind wir eben die ersten“, sagte Chalo lächelnd. In diesem Augenblick betrat Borl den Kommandoraum. „Na“, sagte er fröhlich, „habt ihr euch unser rotes Irrlicht wieder einmal betrachtet?“ Er trat an das Bordfenster. „Bald werdet ihr keine Gelegenheit mehr dazu haben. In vier ER des Vierten müssen wir starten, wenn wir den Dritten auf seiner Bahn treffen wollen, ohne ihm hinterhergucken zu müssen.“ „Du hast bis zur Ablösung noch etwas Zeit, Borl“, bemerkte Chalo. „Ja, ja“, sagte Borl zerstreut. „Ich komme nicht weiter. Die Funksignale sind so verworren, daß ich keines eliminieren kann. Hat Kark schon wieder etwas auffangen können?“ „Nein, erst in etwa drei Stunden haben wir wieder die Position, in der wir die Zeichen empfingen. Ein Zweifel besteht nicht, Borl, daß sie vom Dritten Planeten kommen?“ „Nein“, sagte Borl. „Es ist das einzige, was wir so ziemlich sicher wissen. Übrigens, Chalo, ich sprach vorhin Rilt. Sie hat Bedenken wegen der tiefen Temperaturen.“ „Sage ihr, daß alles programmgemäß verläuft“, entgegnete Chalo. „Sie braucht wegen der vorübergehenden Kühle für unsere Gesundheit nicht zu fürchten.“ Min ging in das Laboratorium. Chalo hat nicht viel gesagt, dachte sie. Aber irgendwie versteht er es, seine Zuversicht anderen mitzuteilen. Sie bereitete das Spektrometer vor, legte die Aestuogramme in die Halter, drehte die Okulare in den richtigen Abstand und begann mit der Auswertung. Sie sah in das helle Durchlicht der Verdampfungsbilder, schaltete die Dispersionssysteme zu und suchte nach charakteristischen Linien, den Magnetspeicher aufnahmebereit neben sich. Das Bild vor ihren Augen verblaßte; ihre Gedanken glitten ab. Deutlich vermeinte sie das Gleißen der Außenhaut von J 2 wieder zu sehen, wie damals, als ihr Landeschiff ablegte. J 2 zog ruhig seine Parkbahn am äußersten Rand der Ökosphäre
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des Systems der gelben Sonne. Auch das Ziel ihres Landeschiffes, der Fünfte Planet, der Riese mit seinen zwölf Monden, versprach wenig Aufregendes. Min erlebte noch einmal die Landung auf dem ihn am nächsten umkreisenden Mond. Die Arbeit! Bei dem Gedanken an die vielen Analysen damals erinnerte sich Min, daß sie eigentlich auch jetzt arbeiten wollte. Für einen Moment konzentrierte sie sich wieder auf das Bild im Spektrometer. Doch das Gespräch mit Chalo, das Erinnern an die jüngste Vergangenheit, die allein die Zukunft der sieben bestimmte, ließ die beschworenen Bilder und Eindrücke nicht verblassen. Min lehnte sich zurück. „Wieso?“ fragte damals Chalo unaufmerksam, als Kark meldete, daß nach Verlassen des Funkschattens hinter dem Riesenplaneten keine Verbindung mehr mit J 2 bestünde. Auch nach Stunden, als feststand, daß sich J 2 nicht mehr auf der Parkbahn befand, konnten sie es nicht fassen. Min empfand noch einmal die unsinnige Hoffnung, die sie befiel, als sich das Landeschiff mit höchster Beschleunigung dem errechneten Standort von J 2 näherte, die Hoffnung, daß vielleicht durch ein nicht bekanntes technisches oder natürliches Phänomen lediglich der Kontakt abgerissen war und der Radarreflex jede Sekunde auf dem Schirm aufblitzen mußte. Min sah das steinerne Gesicht Chalos, als er die hoffnungslose Suche einstellen ließ. Kein Widerspruch erhob sich. Ihm, der seine Gefährtin auf J 2 hatte, mußte diese Entscheidung am schwersten fallen. J 2 war verschwunden, aber im Landeschiff waren sieben am Leben. Für die sieben galt es zu handeln; und Chalo handelte. „Min“, fragte er, „sind die Ergebnisse über die Atmosphäre des Planeten Vier geprüft? Ist tatsächlich Sauerstoff vorhanden?“ Beinahe hätte Min auch jetzt wieder „ja“ gesagt, so gegenwärtig stand die Erinnerung vor ihr. „Also Kurs auf den Vierten Planeten. Wir stehen noch nicht
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ganz in Quadratur zu ihm. Jede Minute ist kostbar, der Abstand vergrößert sich. Mangk, Borl, bitte Kurs berechnen, so daß wir ohne Risiko durch den Planetoidengürtel kommen und mit einer solchen Beschleunigung, daß die Energie für eine sichere Landung reicht.“ Das sorgenvolle Gesicht Mangks schob sich in Mins Bewußtsein, als er unterwegs meldete, daß durch die komplizierte Bahn und die hohe Beschleunigung beim Einholen des Planeten Vier mehr Treibstoff verbraucht worden war, als ursprünglich vorgesehen. Min durchlebte noch einmal die sich steigernde Niedergeschlagenheit, die sich, je näher sie dem Vierten kamen, mehr und mehr ausbreitete: Die Hoffnung, ausreichende Lebensbedingungen vorzufinden, erfüllte sich nicht. Und wieder war es Chalo, der Zuversicht verbreitete. Min erinnerte sich an die erste Beratung nach dem Einsteuern in die Umlaufbahn um den Planeten Vier. Sie rief den Speicher an, wählte das Datum und schaltete den Lautsprecher ein. Nach den üblichen knappen Bordberichten der Wachhabenden klang Chalos Stimme vom Band des Speichers durch das Laboratorium: „Der Vorschlag, den ich jetzt machen werde – Mangk und ich haben ihn vereinbarungsgemäß aus dem, was wir bisher wissen, erarbeitet –, bringt, sagen wir vorsichtig, mit achtzigprozentiger Sicherheit die Rettung. Ich will und darf hier nichts beschönigen. Die Situation, in der wir uns befinden, ist ernst, aber es besteht kein Grund zur Resignation. Der Plan ist einfach: Ihr wißt, daß wir den Planeten vor uns in der Hoffnung angesteuert haben, daß wir hier einigermaßen brauchbare Lebensbedingungen vorfinden, um trotz der Katastrophe unseren Auftrag zu erfüllen und um unser Leben zu retten. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Wir wissen jedoch, daß der hiesige Planet einen Nachbarn hat. Dieser befindet sich zur Zeit diesseits der Sonne, und seine Bahn verläuft für uns günstig. Er bietet aller Voraussicht nach
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Bedingungen, unter denen wir zumindest eine Zeitlang leben können. Er hat eine Atmosphäre, in der ebenfalls Sauerstoff, und zwar über zwanzig Prozent, nachgewiesen werden konnte. Wir haben weite Flächen gesichtet, die wahrscheinlich mit Wasser bedeckt sind. – Das kann natürlich eine Täuschung sein; denn soviel Wasser wäre beinahe unglaubhaft. Andere Teile haben eine ziemlich einheitliche Färbung, die auf eine Art Vegetation schließen läßt, wenn sie auch von der unserer Heimat – schon der Farbe nach – verschieden sein dürfte.“ Mins Aufmerksamkeit glitt ab. Es beschlich sie wieder so etwas wie Angst. Noch lag eine große Entfernung zwischen ihnen und dem vielleicht lebensfreundlichen Planeten. Min mußte an das Sonnensystem ihrer Heimat, an ihre Eltern denken. Vor Jahren, als die Randplaneten erforscht wurden, steuerten sie den Sechsten an. Berichte, die von Bodenstationen des Heimatplaneten und unbemannten Sonden stammten, lauteten günstig. Man war überzeugt, gute Lebensbedingungen vorzufinden. Das Schiff drang in die Atmosphäre ein; bis wenige hundert Meter über der Oberfläche stand die Besatzung mit der Heimat in Funkverbindung. Dann verstummten die Signale, die Mannschaft blieb verschollen. Ein zweiter Versuch mit einer unbemannten Rakete scheiterte ebenso. Erst als die Raumtechnik so weit war, daß mit großen Schiffen in die Nähe des Planeten geflogen werden konnte und von dort aus eine systematische Erforschung begann, konnte festgestellt werden, daß sich in einigen Niederungen der Planetenoberfläche Kohlenwasserstoffgemische angesammelt hatten. Die Raketen zündeten bei der Landung diese Gasgemische. Die Frauen und Männer, ihre Eltern, kamen mit jenem ersten Schiff um. Die Gasansammlungen waren so gering, daß sie aus größerer Entfernung mit den Spektralapparaten der damaligen Zeit nicht festgestellt werden konnten. Min verscheuchte ihre Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die Worte Chalos. „Nun das Wichtigste für den Weiterflug: Der Treibstoff
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unserer Haupttriebwerke reicht gerade so weit, daß wir bei aller Sparsamkeit nur bis in die Nähe des Dritten Planeten kommen. Wir werden also dann, wenn der Treibstoff der Antriebswerke restlos verbraucht ist, auch den der Bremstriebwerke für den Weiterflug ausnutzen. Damit werden wir in die Wirkungssphäre des Dritten Planeten kommen und von diesem Augenblick an ihm entgegenstürzen. Zwischenfälle – vielleicht Begegnungen mit Meteoriten oder schädliche Strahlungsfelder – darf es nicht geben. Wir können nicht ausweichen. Die größte Unsicherheit im Plan tritt in dem Moment ein, an dem wir in die Atmosphäre eindringen. Da auch der Treibstoff der Bremsraketen verbraucht sein wird, kann das Schiff nicht mehr abgefangen werden. Wir müssen auch ziemlich zentral ansteuern, damit die Gefahr des Vorbeifliegens so gering wie möglich wird. Ihr wißt, was es bedeutet, wenn wir den Anziehungsbereich des Planeten wieder verließen. Das Schiff wird, bedingt durch das steile Anfliegen, fast senkrecht in dichte Schichten der Atmosphäre eindringen und trotz der Schutzverkleidung rasch glühen. Zu diesem Zeitpunkt muß die Besatzung das Schiff verlassen haben!“ Min empfand auch jetzt bei nochmaligem Zuhören wieder deutlich die Pause, die Chalo nach diesen Worten einlegte. Ihr war damals wie jedem klar, daß Chalo wußte, daß er eigentlich etwas Unmögliches vorgeschlagen hatte. Min erinnerte sich, wie Rilt, immer etwas impulsiv und energisch, erregt eine Zwischenfrage stellen wollte, als Chalo bereits fortfuhr: „Ich bin durch die Ereignisse der letzten Tage nicht verrückt geworden. Aber bitte, sagt selbst, was zu tun ist? Ohne Bremsraketen können wir nicht landen, weil wir ohne sie gar nicht bis zur Planetenoberfläche kämen, also bleibt uns als einzige Möglichkeit das Aussteigen. Es war uns, als wir diese Möglichkeit erwogen, klar, daß wir nicht einfach unsere Schutzanzüge überstreifen, aussteigen und die Fallschirme ausklinken können. Das Aussteigen wird in großer Entfernung
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von der Planetenoberfläche erfolgen. Wir können daher nicht erwarten, daß die Atmosphäre dann schon so dicht ist, daß sie unsere Schirme trägt. Wir haben also mit einem freien Fall zu rechnen und müssen uns daher gegen eine mögliche Reibungswärme schützen. Ich schlage dazu vor, daß wir in der nächsten Zeit einen Teil des Wärmeschildes unseres Schiffes abmontieren. Wir werden aus diesem Material und den Reserveplatten sieben kleine, doppelwandige Kabinen herstellen, sieben für uns und vielleicht eine große für Vorräte. Der Aufenthalt in den Kabinen wird auch bei hohen Außentemperaturen eine gewisse Zeit erträglich sein. Und nun das Wichtigste: Es ist möglich…“, noch einmal empfand Min die Tragweite der Worte, die Chalo langsam betont sprach, „… daß der Dritte Planet von vernunftbegabten Wesen bewohnt wird. Kark hat vor wenigen Stunden Funksignale aufgefangen, die darauf hindeuten. Im Weltraum nach einer so langen Fahrt und nach dieser Katastrophe auf vernünftige Wesen zu stoßen, Freunde, das wäre ein Ereignis und ein Ergebnis unserer Expedition, das wir uns damals beim Start nicht zu erträumen wagten. Dafür sollten sich alle Mühen, Entbehrungen und Ängste gelohnt haben. Aber – wir landen in Not, und wir wissen nicht, auf welcher Stufe und in welcher gesellschaftlichen Formation diese Wesen leben. Es ist daher – jedenfalls nach meiner Meinung – äußerste Vorsicht geboten. Wo sich solche Wesen zeigen sollten – noch ist nicht erwiesen, daß es sie tatsächlich gibt –, muß bei aller Vorsicht versucht werden, mit ihnen Verbindung aufzunehmen. Tritt man uns feindlich entgegen, ziehen wir uns zurück. Nur im äußersten Notfall, zur Verteidigung unseres Lebens, werden wir Gewalt anwenden. Für einen solchen Fall ist jeder mit dem Handstrahler ausgerüstet. Es ist anzunehmen, daß diese Lebewesen, auch wenn sie hochentwickelt sind, doch den
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Stand unserer Technik noch nicht erreicht haben, sonst hätten wir in ihrem Sonnensystem etwas von ihnen bemerken müssen. Deshalb dürften unsere Strahler, die selbst bei uns Neuentwicklungen sind, wirksame Waffen sein. Aber wie gesagt: Nur bei höchster Gefahr für das eigene Leben dürfen sie gegen Lebewesen eingesetzt werden. Freunde, wir sind vom Rat unserer Planeten beauftragt worden, dieses Sonnensystem zu erforschen. Wir waren fünfunddreißig. Fünfunddreißig der besten Wissenschaftler und Techniker unserer Völker. Wir sind noch sieben. Ob unsere Gefährten am Leben sind, den Weg in die Heimat zurückfinden, wissen wir nicht. Wir haben die Pflicht, den Auftrag zu erfüllen – auch im Namen der verschollenen Kameraden. Wir müssen weiterforschen und alles Neue registrieren, solange wir am Leben sind. Solange wir am Leben sind, ist es die Pflicht eines jeden einzelnen, danach zu trachten, auf unseren Heimatplaneten zurückzukehren oder dorthin eine Verbindung herzustellen, schon, um die bisherigen Ergebnisse der Expedition zu übermitteln. Es ist die Pflicht eines jeden einzelnen von uns, sein Leben so lange wie mö glich zu erhalten. Auch wenn nur einer zur Oberfläche des unbekannten Planeten gelangt, hat er diese Aufgabe. Möglicherweise stoßen wir auf die Hilfe bisher unbekannter Wesen. Aber zunächst sind wir auf uns allein angewiesen – vielleicht jeder auf sich allein…“ Die letzten Worte waren leise und mit Zwischenräumen aus dem Lautsprecher gekommen. Min empfand noch einmal den ernsten Blick, mit dem Chalo jeden einzelnen der kleinen Mannschaft ansah. Sie schaltete die Speicheranlage aus. Ich werde noch ein wenig zu schlafen versuchen, dachte Min, für die Analysen wird schon noch Zeit bleiben.
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2 Die wenigen Tage im Raumschiff, die bis zum Start nach dem bläulich leuchtenden Dritten Planeten verblieben, vergingen schnell. Die Besatzungsmitglieder arbeiteten unter Einsatz aller Kräfte. Es blieb nur kurze Zeit für persönliche Gespräche bei Tätigkeiten, die dieses zuließen. Alle übrigen Stunden wurden für die notwendige Regenerierung des Organismus, für den Schlaf, benötigt. Nur einer kleinen Gruppe, gebildet aus dem Chefingenieur, dem Mathematiker und dem Funker, oblag die Überwachung des Standortes. Sie beobachteten ständig den Planeten Vier, den Roten, wie sie ihn nannten, seine beiden kleinen Monde und den Raum in unmittelbarer Nähe des Schiffes. Ferner hatte diese Gruppe Daten über den nun sichtbaren Dritten Planeten zu sammeln, soweit das aus der riesigen Entfernung mit den wenigen Hilfsmitteln des Schiffes möglich war. Die weitere Beobachtung des Vierten Planeten bekräftigte den Eindruck, den sie sofort nach dem Einsteuern in die Kreisbahn bekamen: Eine Landung ohne die Möglichkeit eines Starts wäre gleichbedeutend mit einem langsamen Tod. Im gleißenden Sonnenlicht, im Teleskop deutlich sichtbar, bot sich den Kosmonauten ein trostloses, unheimliches Bild von Sandwüsten, zerklüfteten Felsen und Trockenrissen. Öde, blaugrau gefärbte Flächen, die im steten Kampf mit den roten Sandwüsten ringsum zu liegen schienen, zeugten von niederer Vegetation. Die sichtbare weiße Polkappe bestätigte auch, daß Wasser in der Atmosphäre nicht gänzlich fehlte. „Es wird wenigstens vierzehn Umläufe des Planeten Vier dauern, bevor ein Entsatzschiff der Heimat den ehemaligen Standort der J 2 erreichen wird. Wenn sie dann gleich die von uns auf eine Kreisbahn um den Fünften Planeten gebrachte Sonde finden, brauchen sie mehr als einen weiteren Umlauf bis hierher zum
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Roten Planeten. Die Konstellation wird dann nicht so günstig sein wie jetzt.“ Ernst, sachlich berichtete Mangk, als er nach dem Abschluß des Einteuermanövers seine Berechnungen vorlegte. „Theoretisch würden wir etwa zehn Jahre hier leben können – außerhalb des Landeschiffes ausschließlich im Skaphander und vorausgesetzt, daß die Verflüssigungsmaschine zur zusätzlichen Sauerstoffgewinnung aus der Atmosphäre niemals versagt. Nahrung müßte aus der dürftigen Vegetation des Planeten gewonnen werden. Dauernde Regeneration des Wassers, der Nährstoffe, das Bestehen unbekannter Gefahren, dieses ewige Wandern der Sandwüsten, und das Wesentlichste, das Fehlen von vier Jahren in der Sauerstoffregenerationskette bewegen mich zu dem Vorschlag, nicht zu landen! Der Dritte Planet des Systems hat genügend Sauerstoff. Ich meine, wir sollten versuchen, zu ihm zu gelangen!“ Deutlich erinnerte sich Min dieses Berichts. Sie stand neben Surki am Fenster, wenige Stunden vor dem Start zum Dritten Planeten. Die leuchtende Scheibe des Vierten nahm das Bild ein. Mangk hat recht, wir alle haben recht, dachte Min, es ist so logisch, daß wir wegfliegen, aber was erwartet uns? Erreichen wir den Dritten? Wie empfängt er uns? Surki starrte in das Bild, sah zu Min auf und senkte dann den Blick. Zwei große Tränen lösten sich aus ihren Augen. „Was wird werden, Min?“ fragte sie. „Es wird alles gut, Surki!“ sagte Min. „Trauere diesem roten Koloß nicht nach, komm…“ Min sprach laut, um das Würgen in ihrer Kehle zu überrumpeln. Der Start zum Planeten Drei verlief normal. Langsam zog das Schiff seine Bahn, gerade so beschleunigt, daß es mühelos dem Gravitationsfeld des Vierten Planeten entrinnen konnte. Borl hatte die Eigenrotationszeit des Dritten berechnet. Danach verblieben bis zum Umsteuern in die Landebahn 139 ER, eine Zeit, die den Kosmonauten viel zu kurz erschien, um alle
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möglichen und notwendigen Daten ihrer Umgebung und des näher kommenden Dritten Planeten mit seinem Mond aufzunehmen und zu verarbeiten. Am 51. Tag zerriß ein weittragendes Ereignis den Rhythmus der Arbeit und ließ das Ziel, den Dritten Planeten, übermächtig in den Mittelpunkt treten: Kark, dem der gesamte Funkdienst oblag, hatte bei seinen täglichen radiometrischen Messungen während einer unbeabsichtigten Veränderung des Frequenzbereiches auf dem Bildschirm des Oszillographen neben den Meßimpulsen ein rhythmisches Aufleuchten bemerkt. Er unterbrach sofort die Routinearbeiten, verständigte durch ein Summersignal den Kommandanten und war gleichzeitig bemüht, die Zeichen auf dem Schirm zu verdeutlichen. Eine Kontrolle der Frequenz ergab, daß sie nicht mit jener übereinstimmte, auf der schon einmal über eine kurze Zeitspanne unverständliches, aber systematisches Signalgewirr empfangen worden war. Dieses Signalgewirr und einzelne Daten über die Beschaffenheit der Planetenoberfläche und der Atmosphäre waren Anlaß zu der Vermutung, daß der Dritte Planet möglicherweise von vernunftbegabten Wesen bewohnt sei. Das Gewirr war auch wiederholt bei der Annäherung an ihren jetzigen Standort aufgefangen worden. Der Kommandant kam sofort in den Funkraum und beobachtete ebenfalls gespannt die Handgriffe Karks, der sich bemühte, durch vorsichtiges Bewegen des Außenreflektors in zwei Richtungen die Impulse zu verdeutlichen. Als die Zeichen auf dem Bildschirm ein Optimum an Schärfe erreicht hatten, legte er einen Schalter an der Apparatur um, der die Impulse auf einen Lautsprecher gab. Sofort war die kleine Kabine von einem starken Rauschen erfüllt, in welches rhythmische Signale in ungleichmäßigen Abständen mit einer eigenartigen Tonfarbe eingelagert waren. Vorsorglich hatte Kark einen Magnetspeicher zugeschaltet, der die Zeichen festhielt.
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Die merkwürdigen, immer in einer Tonhöhe bleibenden Laute verstärkten sich. Gespannt lauschten die beiden Männer. Die Zeichen, obgleich sie an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen, blieben völlig unverständlich. „Es klingt zumindest so ähnlich wie einige Laute aus dem Signalgemisch, das wir letztens auffingen“, unterbrach der Kommandant die lastende Atmosphäre, die durch flackernde Kontrollampen, überlautes Summen, vor allem aber durch die unverständlichen Zeichen in der engen Kabine herrschte. „Die Frequenz ist anders.“ Der Kommandant überzeugte sich mit einem schnellen Blick zur Skala. „Entfernung?“ „Schwer zu sagen“, der Funker machte eine unschlüssige Bewegung, „der Reflektor zeigt genau auf Planet Drei… Wenn man wüßte, mit welcher Intensität die Zeichen ausgestrahlt werden.“ „Jedenfalls steht nunmehr eindeutig fest“, Chalo sprach ruhig, ohne aber seine innere Erregung völlig verbergen zu können, „daß diese Zeichen nicht zufällig durch Schwingungsüberlagerungen, Reflexion der eigenen Entfernungsmeßwellen oder durch einen anderen, uns nicht bekannten elektromagnetischen Effekt hervorgerufen werden, sondern daß vernünftige Wesen ihre Urheber sind.“ Ein starkes Rauschen und das langsame Abklingen der Signale lenkte die Aufmerksamkeit Karks auf die Apparatur. Durch schnelles Umschalten auf den Oszillographen und Überprüfung der Feinregulierung überzeugte er sich, daß die Apparatur immer noch optimal eingestellt war. Die Richtung, aus der das Raumschiff die Zeichen auffing, hatte sich nicht geändert. Ständig nahm die Lautstärke ab, bis schließlich, auch bei angestrengtestem Hören, nur noch das eintönige Rauschen aus dem Lautsprecher drang. „Nicht weiter suchen.“ Chalo berührte Kark, der fast verzweifelt an der Apparatur herumschaltete. „Laß das Gerät mit
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voller Lautstärke auf Empfang stehen und suche über die Leitkanäle weiter. Ich rufe alle zu einer kurzen Aussprache. Du bleibst hier, weißt ja ohnehin, um was es gehen wird. Die Aufzeichnungen nehme ich einstweilen mit. Schalte bitte die Ersatzspule ein.“ Während Kark bereits das Funkleitsystem einschaltete, montierte Chalo mit einigen Griffen das Magnetspeichergerät aus und verließ damit den Raum. Sie waren sich alle in den letzten Tagen noch nähergekommen. Wenn auch keine Zeit blieb, um Gespräche über die persönliche Sphäre des einzelnen zu führen, über sein Leben oder seine Pläne, so hatten sie doch das gleiche Schicksal, das gleiche Ziel und die Tatsache, auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen zu sein, einander nähergebracht, als es die langjährige Bekanntschaft auf der J 2 vermocht hatte. Die plötzlich anberaumte Zusammenkunft löste bei den einzelnen Besatzungsmitgliedern Erstaunen aus. Es mußte schon ein sehr wichtiges Ereignis sein, das den Kommandanten veranlaßte, in der knapp bemessenen Vorbereitungszeit eine Zusammenkunft einzuberufen. Die Spannung ließ sich aus den einzelnen Gesichtern ablesen. Sie kamen, wie sie waren – meist in Arbeitskitteln – aus der Werkstatt, in der die Landekabinen ihrer Vollendung entgegengingen. Der Chefingenieur hatte ein zangenähnliches Werkzeug in der Tasche seines Kittels, das bei jeder Bewegung an den Körper schlug. Er hatte in der Eile vergessen, es abzulegen. Nachdem Chalo sich überzeugt hatte, daß außer dem Funker alle anwesend waren, erklärte er den Grund der Zusamme nkunft: „Nur kurz zur Information und Beratung. Wir wollen nicht viel Zeit damit verlieren, es ist jedoch möglich, daß schnellstens Beschlüsse gefaßt werden müssen, und da diese mit weittragenden Folgen verbunden sein können, hat die gesamte
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Besatzung darüber zu entscheiden. Kurz: Es ist zur Gewißheit geworden, daß in nicht allzugroßer Entfernung von uns vernunftbegabte Wesen beheimatet sind oder sich zumindest aufhalten. Diese Signale“, er drückte auf eine Taste des Wiedergabegerätes, „hat Kark vor ganz kurzer Zeit aufgefangen.“ Im Raum war es still. Sie blickten gespannt auf die sich langsam drehenden Spulen. Plötzlich ertönte wieder das Rauschen, aus dem wenig später überlaut die Signale hervortönten. Der Kommandant verringerte die Lautstärke und flüsterte mit Mangk. Dieser ging, wie es schien ein wenig widerwillig, aus dem Raum. Schließlich wollte keiner gern auf die zu erwartende wichtige Beratung verzichten, obgleich der Bordfunk zugeschaltet werden konnte. Keiner sprach. Die Zeichen klangen noch laut und deutlich aus den Lautsprechern, als Kark im Gemeinschaftsraum erschien. Er sollte als Fachmann, während Mangk seinen Posten ausfüllte, funktechnische Fragen klären helfen. Als die Zeichen verklungen waren, schaltete der Komma ndant eine zweite Magnetspule für die Protokollierung ein und wandte sich an Borl mit der alle bewegenden Frage: „Siehst du eine Möglichkeit, die Zeichen zu entziffern?“ Borl überlegte. Er hatte eine langjährige Praxis als Ingenieur für Mechanik. Sein Hobby lag jedoch auf dem Gebiet der Analogierechnung. „Gewiß“, meinte er nun bedächtig, „aber nicht so bald, da ich den Schlüssel nicht kenne. Wie ich meine“, damit wandte er sich an Kark, „sind die Zeichen hinsichtlich ihrer Länge moduliert.“ Der Funker bestätigte durch eine Kopfbewegung. „Wenn es uns gelingt“, fuhr Borl fort, „weitere Zeichen aufzufangen, sehe ich eine Möglichkeit, wenigstens den Sinn einiger Einzelinformationen oder einzelner Zeichen zu erfassen.“ „Wir versuchen es. Es kann jedoch ein Zufall sein, daß uns diese Aufnahme gelungen ist.“ Die Worte des Funkers klangen
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wenig optimistisch. „Ist es denn sicher“, meldete sich Surki, „daß die Zeichen vom Planeten kommen?“ Chalo erklärte: „Es gibt meiner Meinung nach drei, nein, vier Möglichkeiten. Vielleicht können wir die eine oder andere davon ausklammern, aber zunächst sind es so viele: Erstens, die Zeichen stammen vom Mond des Dritten Planeten. Zweitens, die Signale kommen vom Dritten Planeten, und wir haben sie direkt empfangen. Drittens, mögliche Bewohner des Planeten unternehmen die ersten Schritte zur Erforschung des Weltraumes, und sie haben zu diesem Zweck künstliche Satelliten gestartet, die nunmehr den Planeten umkreisen und Forschungsergebnisse zu den Stationen auf seiner Oberfläche senden. In diesem Falle müßten sich die Zeichen eigentlich periodisch wiederholen. Das wird die Zukunft zeigen. Viertens, nicht der vor uns liegende Planet ist bewohnt, sondern ein anderer der hiesigen Sonne – oder es sind außer uns noch Raumfahrer eines anderen Systems in der Nähe. Und diese Wesen, gleichgültig, wo sie herstammen mögen, unterhalten Funkverbindungen mit ihrer Heimat, oder sie haben eine unbemannte Station ausgesetzt, die Warnzeichen oder andere Informationen sendet. Von diesen vier Möglichkeiten kommen nach meiner Ansicht jedoch nur die beiden letzten in Betracht – obgleich die ersten nicht völlig ausgeschlossen sind.“ „Der Ansicht bin ich auch“, schaltete sich Rilt ein. „Wenn die erste Variante zuträfe, müßten bei unserer Empfangsanlage die Zeichen noch deutlicher sein und vor allem nicht so kontinuierlich verklingen. Es wäre natürlich denkbar, daß, wenn schon keine bemannte, so doch eine unbemannte automatische Station auf dem Mond des Dritten steht. Der Planet hat eine ziemlich dichte Atmosphäre, deren oberste Schichten ganz gewiß ionisiert sind. Es ist daher kaum
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anzunehmen, daß Funkzeichen mit dieser Frequenz in einer solchen Intensität von dort zufällig zu uns dringen. Es müßten schon stark gebündelte Strahlen sein, die aber normalerweise nur auf bestimmte Objekte gerichtet werden. Ein solcher Richtstrahl könnte nur durch eine Kette von Zufällen zu uns gelangen, und das ist unwahrscheinlich…“ „Und wenn wir das Objekt sind, dem die Wellen gelten?“ warf Min erregt ein. „Auch dann dürften die Zeichen nicht schwinden. Außerdem glaube ich nicht daran. Unser winziges Schiff aus dieser Entfernung zu entdecken setzt eine außerordentlich hochentwickelte Radartechnik voraus, und die können wir nach alldem, was wir hier bisher festgestellt haben, nicht annehmen. Dann dürfte nämlich im Raum um die Planeten schon regerer Funkverkehr herrschen. Der Vierte Planet zum Beispiel bietet sich für die Einrichtung einer Raumstation geradezu an. Ich meine, daß die Signale nicht direkt vom Blauen Planeten kommen. Ich glaube an einen künstlichen Satelliten!“ „Ich halte auch die vierte Version für sehr unwahrscheinlich“, nahm Borl nach dem Funker das Wort. „Es wäre wiederum ein ausgesprochener Zufall, wenn gerade zum Zeitpunkt unseres Eintreffens hier auch noch andere Weltenwanderer in der Nähe wären. Ich bin auch…“ Plötzlich ertönte ein Summerton. Sie blickten überrascht zum Lautsprecher. Aufgeregt meldete sich Mangk aus der Funkkabine: „Achtung, ich habe mit der Anlage zwei wieder Signale eingefangen, ich lege sie gleich auf den Bordfunk, Moment…“ Wieder starkes Rauschen aus dem Lautsprecher, dann ganz leise Töne. Der Rhythmus und auch die Tonlage waren im Vergleich zu den ersten Zeichen anders, der Empfang schlechter. Aber unverkennbar, es mußte ein ähnliches System sein. Aber auch diese Zeichen verklangen allmählich, bis das starke Rauschen der Apparatur den Raum wieder ganz
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ausfüllte. Eine starke Erregung hatte sich der Anwesenden bemächtigt. „Ein zweiter Satellit.“ „Versuche, mit uns auf einer anderen Frequenz in Verbindung zu kommen.“ Erregt gingen die Vermutungen hin und her. Der Kommandant schaltete eine Verbindung mit der Funkkabine. Als mit einem hörbaren Knacken aus dem Lautsprecher die Sprechbereitschaft Mangks angekündigt wurde, verstummten alle. „Bitte die Frequenz und die Richtung.“ Der Stimme Chalos merkte man die Erregung nicht an. „Frequenz fast hundert mehr als die ersten Zeichen, Richtung nur um weniges verschieden. Die Intensität geringer. Anlage eins zeigt nichts Neues“, ertönte es knapp aus dem Lautsprecher. „Apparatur zwei ebenfalls eingeschaltet lassen. Aufnahmegeräte und Bordfunk anschließen, dann kannst du herkommen, Ende.“ Es knackte wieder im Lautsprecher, das Rauschen ertönte abermals. Der Bordfunk war mit den beiden Empfängern verbunden. „Ich bin vorhin durch das Einsetzen der neuen Signale unterbrochen worden“, sagte Chalo ruhig, „die neuen Zeichen bestätigen die Ansicht, daß es sich um Satelliten handelt, die in der Nähe des Planeten Drei kreisen. Vielleicht handelt es sich um mehrere, die unterschiedliche Aufgaben haben und auf unterschiedlichen Frequenzen senden. Merkwürdig finde ich nur, daß sich die Impulse des ersten Signals von denen des zweiten unterscheiden. Selbst bei verschiedenen Aufgaben der Satelliten müßten die Einzelzeichen ziemlich gleich sein, es sei denn, es läge ein anderer Schlüssel zugrunde, und das wäre wieder unverständlich.“ Während der Kommandant sprach, war Mangk eingetreten.
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Er hatte die letzten Worte mitgehört. Als Chalo schwieg, sagte er zögernd: „Beim Suchen über die Leitkanäle war es mir mehrmals so, als ob in dem starken Rauschen – ich hatte die gesamte Lautstärke eingesetzt – wieder ähnliche Signalgewirre, wie wir sie schon einmal empfangen hatten, eingelagert gewesen wären. Das Bemerkenswerte daran ist, daß es sich immer um den gleichen Frequenzbereich handelt. Und zu diesem Bereich gehören auch die Frequenzen der beiden Signale.“ „Schade, daß wir nicht noch eine Anlage haben“, bedauerte Kark, „wir könnten damit noch weitersuchen.“ „Das werden wir auch so. Wir müssen nur erst einmal feststellen, ob sich die Signale wiederholen.“ „Wichtiger ist“, antwortete die Ärztin dem Chefingenieur, „gleichgültig, ob sich die Signale wiederholen oder nicht, was wir un…“ „Still!“ Kark war an den Bordlautsprecher getreten. Die Ärztin verstummte. Alle lauschten. Und jetzt hörten sie es auch: Kaum vernehmbar ertönten wieder die Signale, die von der Apparatur eins als erste aufgefangen worden waren; der Unterschied zu den zweiten Zeichen ließ sich deutlich erkennen: größere Zwischenräume, tiefere Tonlage und besserer Empfang. Die Töne schwollen in ihrer Lautstärke an. Sie erhoben sich langsam über das Rauschen, wurden noch lauter. Die kurzen und langen Impulse füllten den Raum. Min hatte den Eindruck, als ob sich die Töne auf ihre Atemorgane legten, als ob ihr die leichte Kombination zu eng Wäre. Sie blickte zu Mangk, auch er war erregt. Deutlich ließ sich das Einsetzen und Abreißen der einzelnen Impulse unterscheiden. Sie schienen ihr Lautstärkemaximum erreicht zu haben. Eine ganze Weile hielten sich die Zeichen in gleicher Intensität. Dann gingen ganz allmählich Härte, Schärfe und Lautstärke zurück.
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„Ein Satellit!“ Bestimmt sagte das Chalo in das allgemeine Schweigen hinein. „Bin auch der Meinung.“ „Kaum anders denkbar.“ Von allen kam Zustimmung. „Und ob das zweite Signal auch von einem Satelliten kommt, wird sich feststellen lassen“, sagte Kark, „es müßte sich dann ebenfalls wiederholen.“ „Und warum ist es schwächer?“ fragte Min. „Vielleicht ein schwächerer Sender, oder sein Bahnradius ist kleiner und er ist weiter von uns entfernt – ach, da gibt es viele Erklärungen.“ „Aber es kann nur ein Satellit sein“, sagte Borl. „Das langsame Anschwellen und das Abklingen beweisen es. Einmal befindet sich der Dritte Planet zwischen uns und dem Satelliten und einmal der Satellit zwischen uns und dem Planeten. Und da wir die ungefähre Masse des Planeten kennen und demnächst auch die Umlaufzeit des Satelliten, könnten wir doch noch einige Daten bekommen. Möglicherweise gelingt es, einiges über die Aufgaben des Satelliten herauszubekommen.“ Er hatte sich in Eifer geredet. Man sah es ihm an, daß er am liebsten gleich losgegangen wäre, um sich in die Arbeit zu stürzen. Aber noch war die Beratung nicht zu Ende. Der Kommandant war nachdenklich geworden. Er wußte, daß die Gefährten von ihm jetzt Vorschläge über das weitere Verhalten erwarteten. Er hatte aber auch die Verantwortung: Jeder voreilige Entschluß konnte katastrophale Folgen haben. „Es steht nunmehr fest“, sagte er, „daß in unserer Nähe, wahrscheinlich auf dem Dritten Planeten, vernunftbegabte Wesen leben. Da wir nicht wissen, wie sie auf unser Kommen reagieren werden, sollten wir zunächst vorsichtig sein. Ich ordne deshalb an: Ab sofort absolute Funkstille! Die Landevorbereitungen so schnell wie möglich beenden! Die Messungen unserer Bahnparameter nehmen wir von nun an nur noch optisch vor. Die Tatsache, daß unsere Sendefrequen-
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zen zu denen der Satelliten sehr unterschiedlich sind, dürfte uns bisher vor einer Entdeckung bewahrt haben.“ „Wäre es nicht vielleicht richtiger und – nützlicher“, gab Rilt zu bedenken, „schon jetzt zu versuchen, mit diesen Wesen Verbindung zu bekommen? Es muß doch auch für sie – noch dazu, wo es sich erwiesen hat, daß sie auf einer hohen Entwicklungsstufe stehen – ein höchst erfreuliches Ereignis sein, mit Wesen ferner Welten Kontakt aufzunehmen. Vielleicht könnten wir in unserer schwierigen Lage Hilfe erhalten.“ „Du hast sicher recht“, entgegnete Chalo ernst, „und ich hoffe sehr, daß es so kommen wird. Ich bezweifle jedoch einerseits die technischen Möglichkeiten zur Aufnahme einer Funkverbindung.“ Kark bestätigte durch eine Kopfbewegung. „Zum anderen bitte ich dich folgendes zu bedenken: Wären uns vor 150 oder 200 Jahren Gäste aus dem Weltall immer willkommen gewesen? Hätte es nicht auch Bedenken geben können, zum Beispiel wegen der technischen Überlegenheit solcher Besucher? Außerdem ist nicht gesagt, daß diejenigen, die einen hohen Stand der Technik erreicht haben, auch eine hohe Ethik besitzen. Es ist vorstellbar, daß sich auf irgendeinem Planeten eine Entwicklung vollzieht, die außerhalb der eigenen keine andere Lebensform anerkennt oder – was schlimmer ist – nicht erkennt. Wer sagt uns nun, daß die hiesigen Lebewesen nicht in einer derartigen Entwicklung stehen oder daß nicht schon vor uns Wesen anderer Welten hier waren und einen schlechten Eindruck hinterließen? Landen müssen wir, es bleibt uns keine Wahl. Ist es da nicht klüger, zunächst die Oberfläche des Planeten zu betreten, die Verhältnisse ein wenig kennenzulernen und dann erst Kontakt aufzunehmen? Wir sind doch in jedem Fall im Nachteil! Selbst die Ausrüstung unseres kleinen Schiffes ist, gemessen an dem technischen Arsenal, das uns in unserem interstellaren Raumschiff J 2 zur Verfügung stand, primitiv – und das wenige
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müssen wir noch zurücklassen. Wir haben dann nur das, was wir tragen können. Allerdings möchte ich die Entscheidung, keine Funkverbindung aufzunehmen, nicht allein treffen. Ich bitte nachher um eine Abstimmung. Mich bedrückt nämlich folgendes: Unsere Landung ist risikoreich. Wenn die Planetenbewohner nun in der Lage wären, uns zu helfen, und uns unter geringeren Gefahren auf die Oberfläche brächten, wäre unserem Auftrag und vor allem unserer Sicherheit mehr Genüge getan. Ich persönlich glaube an eine solche Möglichkeit nicht, möchte aber meine Meinung niemandem aufzwingen. Wenn die Wesen nämlich das Rendezvousproblem gelöst hätten, kreisten um den Planeten größere künstliche Raumstationen, und davon hätten wir etwas merken müssen. Und ohne diese Fähigkeiten können wir weder auf Rettung durch Umsteigen noch durch Abschleppen hoffen.“ Es entstand eine Pause. „Ich glaube, eine Abstimmung ist nicht nötig.“ Mangk blickte von einem zum anderen. „Wir landen, wie festgelegt. Es ist in jedem Fall das kleinere Risiko.“ Es herrschte allgemeine Zustimmung. „Eines noch“, warf Chalo ein, „unser Leben wird in Zukunft eng mit dem unbekannten Planeten verbunden sein – oder glaubt einer an einen Mißerfolg der Landung?“ Er blickte lächelnd in die Runde. „Ich schlage deshalb vor, daß Mangk schnellstens noch fehlende Parameter des Planeten errechnet, auch solche, die uns zur Zeit nur am Rande interessieren. Hier stehen uns noch Hilfsmittel zur Verfügung. Wir können natürlich den Rechner nicht mitnehmen.“ „Dann bleibt uns nur zu hoffen, daß es auf dem Planeten tatsächlich Rechenautomaten gibt. Ich fürchte sonst für Borls Gesundheit. Wenn er nicht rechnen kann, wird er melancholisch.“ Kark grinste. Die anderen fünf lächelten und Borl zog eine tragikomische Miene. „So, nun aber an die Arbeit! Ich kann es kaum mehr erwar-
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ten, hier aus dem Käfig herauszukommen. Ich möchte auch bald den Schönen des Blauen Planeten meine Reverenz erweisen!“ „Warte ab“, entgegnete Chalo, auf den scherzhaften Ton Karks eingehend, „vielleicht sind die Schönen nach unserem Geschmack alles andere als schön – vielleicht gibt es überhaupt keine Zweigeschlechtlichkeit. Ich glaube, wir sollten versuchen, nicht mit unseren Maßstäben zu messen. Möglicherweise sind die Überraschungen sonst zu groß und zu unangenehm. Wenn auch die Entwicklung des Lebens überall dort, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind, annähernd gleich sein mag, so können sich doch die Lebensformen grundlegend voneinander unterscheiden. Aber wem sage ich das!“ Damit war die Zusammenkunft zu Ende. Jeder nahm seine Arbeit wieder auf, voller Gedanken und gespannt auf die kommenden Ereignisse.
3 Die letzten Tage bis zum Hinsteuern in die Kreisbahn um den Dritten Planeten rückten heran. Bald waren die Vorbereitungen getroffen. Die Kabinen standen bereits im Steuerraum. Es blieb gerade soviel Platz, um die einzelnen Armaturenstände betreuen zu können. Der Chefingenieur und der Mechaniker brachten zu beiden Seiten der Trennwand, die die Steuerzentrale von den übrigen Räumen abschloß, hochisolierte Spulenkörper an. Sie würden das Raumschiff in zwei Teile spalten und die Landekabinen ausstoßen. Zur Kabine des Kommandanten wurde auch schon das Schaltkabel verlegt. Allerdings sollten die Kontakte erst in
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letzter Minute vor dem Einstieg in die Kabinen geschlossen werden. Jeder hatte seinen Behälter. Die Wände waren gepolstert und paßten sich den Körperformen des jeweiligen Insassen an. Die Skaphander standen im Gemeinschaftsraum bereit. Heizungen und Funkgeräte waren überprüft, die meisten Räume des Schiffes hermetisch gesperrt. Es war Essenszeit. Sie trafen sich im Gemeinschaftsraum. Bis auf Kark, der Wachdienst hatte, saßen alle um den Tisch. Surki hatte aus den Konserven ein lukullisches Mahl bereitet. In den letzten Tagen lebten die Mitglieder der Mannschaft nur von auserlesenen Speisen. Im Schiff lagerten Vorräte für ein Jahr Aufenthalt. Sie mußten ja fast alles zurücklassen, und da kam es nicht darauf an, einige Leckereien mehr zu servieren, als das sonst der normale Speiseplan vorgesehen hätte. Natürlich blieb das Menü im Rahmen des Mäßigen, worüber die Ärztin streng wachte. Der Mannschaft hatte sich eine ausgeglichene Heiterkeit bemächtigt. An das Risiko der Landung dachte keiner mehr mit Angst. Die Vorfreude auf das Neue, das sie erwartete, überlagerte die Wehmut, die jeden befiel, wenn er daran dachte, mit dem Schiff das letzte Stück der Heimat zu verlassen. Sie hatten sich mit dem Unabdingbaren abgefunden. „Übrigens, habe ich überhaupt schon bekanntgegeben, daß jeder von uns auf dem Blauen Planeten einskommazweimal schwerer sein wird?“ Borl schob genießerisch eine kugelförmige Frucht in den Mund. „Wir können uns zwar im Zustand der Schwerelosigkeit, den wir ja häufig haben, über zu großes Gewicht wahrhaftig nicht beklagen, aber ich ziehe eine Situation, in der ich weiß, wo oben und unten ist, doch vor. Ja, der Planet ist größer als unser Heimatplanet und hat eine größere Gravitation. Wir werden also keine Sprünge machen können. Beim Schleppen der Vorräte dürfte uns dieser Gewichtszugang ebenfalls zu schaffen machen.“ „Wenn die großen Flächen aus Wasser bestehen, dann ist
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eine Landung im Meer nicht ausgeschlossen – auch in einem solchen Fall ist das höhere Gewicht nicht gerade nützlich. Versinken kann zwar nichts, aber die Fortbewegung ist schwerer.“ „Nun, eine solche Landung könnte immerhin einen tagelangen Aufenthalt im Wasser mit sich bringen. Es wird dann etwas schwierig sein, den Vorratsbehälter zu öffnen. Schließlich müssen wir ja auch mal etwas essen.“ „Na“, Min lächelte, „wer wird denn immer nur ans Essen denken, Borl!“ Der Chefingenieur lachte. Dann setzte er seine Überlegungen fort: „Immerhin hätte eine Landung im Ozean den Vorteil, daß wir uns schnell finden. Wenn wir in dichter Vegetation, in Sümpfen oder in den weißen Gebieten – möglicherweise Eiswüsten in der Nähe der Pole des Planeten – niedergehen, dann wird es mit dem Wiederfinden schwieriger. Auf alle Fälle erleichtern uns die Sender das Suchen erheblich.“ „Und wenn wir mitten unter den Planetenbewohnern landen, was dann?“ „Ja, dann nützt alle Vorsicht nichts. Aber sicherlich landen wir nicht alle auf der gleichen Stelle. Und in einem solchen Falle wäre es wohl das günstigste, wenn diejenigen von uns, die etwas abseits niedergehen, sich zunächst im Verborgenen halten, um festzustellen, wie die Kameraden von den Planetenbewohnern aufgenommen werden.“ „Aber“, Min trank einen Schluck Fruchtsaft, „sie wissen dann doch, daß außer denen, die mitten unter ihnen gelandet sind, auch noch andere von uns irgendwo den Planeten betreten. Unsere Fallschirme sind so riesengroß, daß man sie auf weite Entfernungen hin ausmachen kann.“ „Und außerdem“, setzte die Ärztin Mins Gedanken fort, „dürften die Bewohner, wenn sie künstliche Satelliten haben, eine hochentwickelte Fahrzeugtechnik besitzen, so daß sie uns mit Flugapparaten oder anderen schnellen Fortbewegungsmit-
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teln sicher bald einfangen können – vorausgesetzt, daß sie das wollten.“ „Immerhin ist aber das Risiko, mitten unter ihnen zu landen, kleiner, als wenn wir schon jetzt alle möglichen Versuche machten, mit ihnen Verbindung aufzunehmen. Dann wären wir ihnen – setzen wir einmal feindseliges Verhalten voraus – restlos ausgeliefert. So besteht die große Wahrscheinlichkeit, daß wir ziemlich unbemerkt landen können. Was wir bisher von dem Planeten wissen, läßt vermuten, daß weite Teile nicht besiedelt sind. Denken wir an die riesigen Flächen, die wir zunächst als Wasser gedeutet haben. Wenn es Wasser ist, stoßen wir dort bestimmt nicht auf vernunftbegabte Wesen – das heißt: Genau weiß man das auch nicht…“ Der Kommandant brach ab, setzte dann aber fort: „Es ist zu dumm, man kann eben nicht mit der Beschaffenheit einer Welt spekulieren, wenn man sie nicht kennt.“ „Schon die hiesige Sonne unterscheidet sich von der unsrigen in der Strahlungsintensität. Wir haben Glück, daß ihr der Planet nicht näher steht. So dürfen wir mit einigermaßen bekömmlichen Temperaturen rechnen.“ „Es ist schade, daß wir nicht mehr Zeit für optische Beobachtungen in unserer Umgebung hatten“, bedauerte Surki, „möglicherweise hätten wir einiges mehr über die anderen Planeten erfahren können. Unser Teleskop müssen wir ja nun auch hier lassen.“ Es trat eine kleine Pause im Gespräch ein. Surki hatte einen Punkt berührt, der wieder ein wenig die wehmutige Stimmung heraufbeschwor, die jeden der Mannschaft irgendwie befiel, wenn der Abschied vom Schiff, vom letzten Stück ihrer Heimat, im Gespräch anklang und das Ungewisse, das trotz aller Zuversicht in der nahen Zukunft lag, wieder mehr in den Vordergrund treten ließ. Surki gewahrte, daß ihre letzte Bemerkung die Stimmung drückte. Etwas verlegen machte sie sich mit ihrem Besteck zu
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schaffen. Auch Min merkte, als die Unterhaltung stockte, daß die Heiterkeit, mit der das bisherige Gespräch geführt worden war, abzuebben drohte. Etwas zu betont fröhlich platzte sie in das Schweigen: „Übrigens – es stört mich, daß wir von dem Planeten immer nur vom ‘unbekannten Blauen Planeten’ oder vom ‘Dritten’ sprechen. Wir leben bereits nach seiner Zeit, sprechen andauernd von ihm, wissen, daß wir für lange seine Gäste sein werden und haben es bisher nicht für nötig gehalten, ihm einen richtigen Namen zu geben.“ Dankbar, daß Min den Anstoß gab, die aufgekommene Niedergeschlagenheit zu überbrücken, ging der Kommandant auf den Ton ein: „Dann mußt du aber gleich selbst einen Vorschlag machen.“ Min überlegte. „Wie wäre es mit ‘Wasserstern’“, warf Borl ein. Die anderen lachten. „Na ja, wenn doch so viel Wasser dort zu erwarten ist“, verteidigte er seinen Vorschlag. „Geben wir ihm doch einfach den Namen unseres Heimatplaneten, schließlich wollen wir uns doch hier für eine Weile einrichten. Er wird unsere zweite Heimat.“ „Das ist richtig.“ Der Chefingenieur machte eine zustimme nde Bewegung. „Aber ich glaube, es geht nicht, wir bringen künftige Sternkataloge durcheinander, wenn zweimal der gleiche Name auftaucht.“ „Wir könnten dann ja einen Index einführen“, sagte Rilt. „Ich schlage vor“, unterbrach Min diesen theoretischen Streit, „da wir nicht wissen, was uns erwartet, aber hoffen, daß wir gute Lebensbedingungen vorfinden, daß wir gut aufgenommen werden und daß er die Basis zum Start oder zum Kontakt zu unserer Heimat sein soll, ihn einfach ‘Planet der Hoffnung’ oder kurz ‘Hoffnung’ zu nennen.“ „Hm, nicht schlecht“, brummte Borl, der seinem ‘Wasserstern’ anscheinend nicht weiter nachtrauerte.
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„Angenommen“, sagte der Kommandant. „Also taufen wir ihn.“ Bei diesen Worten erhob sich der Chefingenieur von seinem Sitz, die anderen folgten mit komisch-feierlichen Mienen seinem Beispiel. „Taufen wir ihn auf den Namen ‘Hoffnung’.“ „Möge er halten, was der Name verspricht“, bemerkte der Kommandant.
Chalo überflog nach der letzten Eintragung noch einmal den Bordbericht der vergangenen Tage: Nach den Angaben von Borl und Kark stehen wir sieben Planetentage vor dem Einsteuern, eine Zeitspanne, die ausreichen wird, alle Vorbereitungen abzuschließen. Die Landekabinen sind fertig, es beginnt das Sortieren der Vorräte und Apparaturen, die auf das sorgfältigste ausgewählt werden müssen. Am schwierigsten ist die Auswahl für die Lastkabine. Jeder von uns versucht aus seinem Fachgebiet soviel wie möglich unterzubringen. Wir haben uns geeinigt, daß in ihr enthalten sein müssen: der Kleinrechner, Wissenschroniken, Reservestoffe, leere Speicher und ein Wiedergabegerät, Werkzeuge, Chemikalien, optische Geräte – alles Dinge, die nach der Landung sehr gebraucht werden, aber im Falle eines Verlustes unsere Existenz nicht gefährden. Die lebensnotwendigen Gegenstände müssen wir aufteilen. So werden Mangk und ich neben zwei Fotoausrüstungen je ein Exemplar der Pläne des interstellaren Schiffes mit uns nehmen. Rilt muß natürlich ihr Arztbesteck, Kark das Funkgerät, Min Präparierutensilien, Surki die für Sofortreaktionen notwendigen Chemikalien, Borl Ersatzstrahler, Kleidung und Körperpflegemittel bei sich haben. Das Gepäck eines jeden wird also sehr umfangreich sein. Wir haben uns entschlossen, daß wir jeder eine Sauerstoffanlage zusätzlich mitnehmen, jeder hat natürlich leere Speicher, Ersatzkleidung und Dinge – wenn auch wenige
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– für seinen persönlichen Bedarf. Wenn ich mir dabei überlege, daß wir selbst und alle Gegenstände auf ‘Hoffnung’ schwerer sein werden als gewohnt, so kommen mir doch gewisse Bedenken – zumal auch noch die Lastkabine zu transportieren sein wird. Mindestens fünfzehn Jahre wird uns ‘Hoffnung’ beherbergen müssen, bis die Unsrigen da sein könnten – wenn nicht die J 2 wieder auftaucht… Die J 2. Chalo hob den Blick vom Bordbuch. Wenn sie jetzt funkte, könnten wir sie noch hören, dachte er, aber warum kommt kein Zeichen von ihr? – Es wäre vielleicht besser, wir hätten ihre Trümmer gefunden. Diese quälende Hoffnung, diese Furcht vor der möglichen Gewißheit, sie treiben irgendwo durchs All, verzweifelt, ohne Aussicht auf Rettung. Und Dong, meine Dong dabei. Sie wird tapfer sein, das weiß ich. Sie wird nicht aufgeben, bis…. bis… Chalo strich sich über die Augen und wandte sich wieder dem Bordbuch zu: Da unsere Gewichtszunahme nicht so erheblich ist, werden wir keine körperlichen Schäden zu befürchten haben. Aber ich stelle mir die Frage, was geschieht, wenn nach diesen fünfzehn Jahren die Unsrigen nicht kommen oder uns nicht finden? Gesetzt den Fall, der Dritte Planet des Systems hier ist annähernd so reich an Bodenschätzen wie unserer, und angenommen, wir treffen nicht auf Hilfe anderer Wesen oder können keine Funkverbindung nach Hause aufnehmen, so brauchten wir nach meiner Schätzung, Mangk hat ähnliche Gedanken, etwa hundert Planetenjahre, um aus eigener Kraft ein der J 2 entsprechendes interstellares Schiff zu bauen. Die fachlichen Voraussetzungen zum Bau einer Großfunkanlage und des Schiffs praktisch aus dem Nichts haben wir. Dabei müssen wir jedoch bedenken, daß Mangk, ich und Rilt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leben und daß unsere vier jungen Gefährten Surki, Borl, Min und Kark beizeiten eine
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vernünftige, zielgerichtete Nachkommenplanung betreiben. – Eigentlich hätten die vier noch Zeit, Familien zu gründen – und dann: Min und Borl, ja. Aber Surki und Kark? Dürfen solche Überlegungen überhaupt eine Rolle spielen? Sind hier Moralbegriffe dem Bewußtsein unterzuordnen? Das sind für uns Fragen, die über Leben und Tod entscheiden, Fragen, die in der nächsten Zukunft zu Problemen anwachsen können oder – sich von selbst klären? Wann hat jemals ein Kommandant in der langen Geschichte unserer Raumfahrt vor ähnlichen Problemen gestanden? Es gibt kein Beispiel. Wie einfach auf der J 2: Ein den Raum durchmessendes Großlaboratorium, jeder hat seine Aufgabe – und seine persönliche Sphäre. Manchmal bekomme ich Angst bei dem Gedanken, daß wir auf ‘Hoffnung’ wohl imstande sein werden, die notwendige Technik aufzubauen und zu beherrschen, daß uns aber die natürlichen Probleme überrennen könnten. – Wir müssen uns glücklich schätzen, daß bei der Auswahl der J 2Besatzung auf ausgewogene, sympathisierende Zweigeschlechtlichkeit gedrungen wurde. Leider nicht mehr bei der Auswahl der Besatzung der Landeschiffe. – Vielleicht ein Hinweis für künftige Expeditionen. – Wäre Dong, meine Frau, meine Kameradin, hier, es fiele mir vieles leichter. Mangks Frau Londi ist nicht mitgeflogen. Ich glaube, er fühlt sich wohler, wenn er sie nicht in Gefahr weiß, selbst bei einer Gefahr, die er mit ihr teilte. Nach der Kartei sind Kark und Surki schwach sympathisierend. Aber weiß man, nach welchen Gesetzen sich unser künftiges Zusammenleben gestalten wird? – Nach denen der Gewöhnung? Die Eintragungen im Bordbuch zeigten einen Absatz. Chalo stand auf, kontrollierte den Kursautomaten und trat an den Bildschirm. Im Mosaik der rötlich und weiß gleißenden Sterne stand als riesige Kugel ‘Hoffnung’, umhüllt von einer verwischten, bläulichen Aureole. Kleiner, als silbrig helle Sichel
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sichtbar, näherte sich scheinbar der Mond. „Laß es wahr werden, ‘Hoffnung’“, sagte Chalo leise, „daß auf dir vernünftige Wesen wohnen, die uns helfen können – und durch ihre Hilfe vermeiden, daß unseren jungen Freunden schweres Leid widerfährt.“ Chalo wandte sich vom Schirm ab, nahm in Gedanken das Bordbuch wieder auf, konzentrierte sich jedoch rasch und las die nächste Seite: Die fremden Funkzeichen können weiter in regelmäßigen Abständen mit zunehmender Deutlichkeit empfangen werden. Zu sehen ist nichts. Möglicherweise ist der Abstand der Satelliten vom Planeten sehr klein. Kark, der unermüdlich hört, konnte mehrfach auch noch andere, jedoch meist stark gestörte Zeichen auffangen, die mitunter auch Geräusche enthielten, die eigenartig melodisch anmuteten, und wieder andere, die aus hellen und dunklen Tönen bestanden. Borl nimmt an, daß es sich möglicherweise um eine Art Musik und Fetzen von Sprache handeln könnte. Auf alle Fälle steht es fest, daß vernunftbegabte Wesen auf dem Planeten oder in seiner unmittelbaren Nähe wohnen. Die gut empfangbaren Signale stammen mit ziemlicher Bestimmtheit von kreisenden Satelliten. Eine Entzifferung war bisher nicht möglich, es könnte sich um irgendwelche Informationen über die physikalische Beschaffenheit des Raumes um den Planeten handeln. Eigenartig bleibt weiterhin die Verschiedenheit der Signale der beiden Satelliten. Heute traf ich Min und Borl beim Training mit der Fallschirmharpune. Wenn mich nicht alles täuscht, möchte Borl Min gern näherkommen, als es unter Kameraden und Leidensgenossen der Fall zu sein pflegt. Ich weiß noch nicht, wie ich das Verhalten Mins dazu einschätzen soll. Ob es der richtige Zeitpunkt für den Beginn einer Liebe wäre? Fragen Gefühle nach Zeitpunkten?
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Nur noch sechs Planetentage. Als wichtigstes Ereignis ist heute das Verstummen des zweiten, schwächer funkenden Satelliten zu nennen. Trotz eifrigen Bemühens – auch außerhalb der normalen Empfangszeit – waren die Zeichen nicht mehr zu hören. Ob er nicht mehr existiert? Ob er durch Meteoriten zerstört wurde? In der Zeit unseres Hierseins konnten wir keine nennenswerten Spuren von Meteoriten in diesem Raum feststellen – von den bahngebundenen Trümmerstücken abgesehen. Jetzt, im Zustand der fast absoluten Funkstille, ist es uns natürlich nicht möglich, kosmische Flugkörper zu orten. Die Oberfläche des Mondes des Dritten Planeten, den wir jetzt gut beobachten können, zeugt allerdings davon, daß Meteoritenfälle vorkommen. Möglicherweise geschieht dies periodisch mit dem Wiederauftauchen bestimmter Schwärme in diesem Teil des hiesigen Sonnensystems. Gestern habe ich keine Eintragung gemacht. Es sind also nur noch vier Planetentage. Auch der gestrige Tag verlief ruhig. Die Vorbereitungen sind so gut wie abgeschlossen, die Kabinen fertig. Mir gefällt Surki nicht. Gestern abend ist es mir zum erstenmal aufgefallen, daß sie bedrückt scheint. Ich werde mit Min sprechen. Sie ist, glaube ich, am geeignetsten, Surki ein wenig Mut zuzusprechen. Min ist ein feiner Kerl. Fast denke ich, daß sie jetzt, wo alles entschieden ist, von uns die wenigste Angst vor dem Kommenden hat. Ja, ich habe auch welche. Der laute Satellit, wie ihn Kark nennt, sendet nach wie vor periodisch. Der andere bleibt stumm. Borl hat seine Bahnberechnungen für die Landung abgeschlossen. Wir werden uns nun darauf konzentrieren, soviel verwertbare Daten wie möglich von ‘Hoffnung’ zu sammeln. Leider können wir nur einen winzigen Bruchteil von dem erforschen, was uns tatsächlich erwarten wird. Rilt muß herausfinden, wie wir uns gesundheitlich schützen können, vordringlich gegen
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uns unbekannte Mikroben. Darin sehe ich nach der Landung mit die größte Gefahr. Unsere Atemvorräte reichen nicht ewig. Wir müssen dann sehen, wie wir die Atmosphäre des Planeten verwerten können. Bakterien könnten verheerend werden. Chalo legte das Bordbuch beiseite. Die Ereignisse der letzten Tage waren noch zu gegenwärtig, um nachlesen zu müssen. Nachdenklich starrte er vor sich hin. Morgen, morgen ist es also soweit. Morgen werden wir die Mondbahn passieren. Morgen werden wir zum letzten Male für wenige Minuten die Triebwerke zünden. Ein einziger Bremsstoß, dann… Ich werde zu den anderen gehen. Wir wollen noch einige Zeit zusammen sein.
Min stand mit Surki am Bordfenster im Bugraum. Sie blickten schweigend auf die große leuchtende Scheibe, die unbeweglich seitlich vor ihnen in der schwarzen Finsternis hing. Und doch war sie merklich näher gekommen. „Min“, Surki sprach leise, „hast du auch solche Angst wie ich?“ „Jetzt geht es, ich glaube aber, daß es bei mir noch kommt, nachher, wenn wir in der Kabine liegen.“ „Wenn nur die Ungewißheit nicht wäre.“ „Nun, Surki“, Min dachte an die kurze Unterredung, die sie mit Chalo hatte, „daß wir ein wenig Angst haben – alle von uns –, das ist doch nur natürlich, aber schau, bisher hat alles ganz ausgezeichnet geklappt. Wir haben uns bestens vorbereitet, haben unsere Ausrüstung beisammen. Selbst der lange Flug, der mir doch ein wenig bange machte, ging so gut. Nun sind wir hundertsechsunddreißig Tage unterwegs, und nichts ist passiert. In wenigen Zeiteinheiten sind wir in der Kreisbahn um ‘Hoffnung’, und bald haben wir dann auch wieder festen Boden unter uns.“ „Ja, Min, du hast recht, es ist töricht, Angst zu haben, aber
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wenn ich mir überlege, daß unsere weite Reise, die Einsamkeit im Raum, die Entbehrungen, die wir hatten, vergebens gewesen sein sollten, daß alles nur an einem Faden hängt.“ Surki wandte sich erneut zum Fenster und blickte intensiv in die Finsternis. Min bemerkte, daß sie ihre Bewegtheit zu verbergen suchte. Kurzentschlossen faßte sie Surki unter. „Komm, Schluß mit dem Trübsinn! Als ob wir nichts anderes zu tun hätten! Wir wollen die vorläufige Endstation unserer Reise mal etwas genauer unter die Lupe nehmen.“ Sie gingen den schmalen Gang, der zum Heck führte, entlang. In ihrem Raumanzug kam sich Min etwas unbeholfen und unsicher vor. Sie merkte aber, daß es der vor ihr gehenden Surki nicht viel anders erging. Am Ende des schmalen Korridors mußten sie noch einige Sprossen einer metallenen Leiter erklimmen, bevor sie die Luke zu dem Raum aufstoßen konnten, in dem das Teleskop stand. Sie waren nicht die einzigen, die den Wunsch hatten, den langsam näher rückenden Planeten gemeinsam zu beobachten. Im Raum befanden sich bereits Chalo, Kark und Rilt. Mangk und Borl hatten im Steuerraum Wache. Um allen gerecht zu werden, hatte Chalo die im Teleskop eingebaute Fernsehkamera in Tätigkeit gesetzt. Die große, zu drei Vierteln hell leuchtende Scheibe nahm fast die gesamte Höhe des Bildschirmes ein. Deutlich war die Trennlinie zwischen der Tag- und Nachthälfte zu sehen. Durch eine wie weicher Flaum anmutende Aureole erschien die Taghälfte größer, die Scheibe wirkte unsymmetrisch. Einzelne kleine Wolkenfelder waren auszumachen. „Schade, daß wir nicht elektromagnetisch abtasten können“, bedauerte Kark. „Wir könnten damit eher etwas erkennen – aber die Gefahr, vorzeitig entdeckt zu werden, ist wirklich zu groß.“
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„Wir werden noch früh genug Einzelheiten kennenlernen“, warf Min ein. „Mir machen die riesigen Flächen Sorge, die vermutlich doch Meere sind.“ Sie trat näher an den Schirm und wies auf die sich von der Umgebung deutlich abzeichnenden grauen Flecke. „Stellt euch nur einmal vor, wie riesig solche Meere wären. Wir haben noch nichts Vergleichbares in unserer Galaxis angetroffen. Wenn wir da mittendrin landen… Es könnte eine sehr lange Schwimmerei werden, bevor wir auf festes Land gelangten.“ „Aber das ist nicht das schlimmste“, bemerkte Rilt, „Hauptsache, wir kommen heil runter.“ „Das meine ich auch“, bekräftigte Surki. „Zweifelt da überhaupt jemand?“ Min blickte sich herausfordernd in der kleinen Runde um. Noch bevor einer etwas sagen konnte, tönte Borls Stimme aus dem Bordlautsprecher: „Kark, bitte sofort in den Funkraum. Ich wiederhole: Kark, bitte sofort in den Funkraum.“ „Hm, da muß etwas los sein“, murmelte Kark, bereits an der Luke. „Kommt, wir gehen alle mit“, forderte Chalo auf. „Jede Neuigkeit ist jetzt für alle gleich wichtig, und jeder muß sie sofort erfahren.“ Sie tappten schwerfällig hinter Kark her, der bereits die Funkkabine erreicht hatte. Borl saß am Schaltpult. Er blickte auf, als hinter Kark die kleine Gruppe der Kameraden den Raum betrat, lächelte Min aufmunternd zu und räumte Kark den Sitz ein. Allen war sofort klar, daß etwas Gefährliches nicht eingetreten sein konnte. „Das Gewirr im Äther verstärkt sich. Vielleicht können wir etwas Klares auffangen“, erklärte Borl. Kark begann bereits den nunmehr bekannten Frequenzbereich abzusuchen. In der Tat erklangen aus dem Lautsprecher die merkwürdigsten Töne in einer Deutlichkeit, wie sie bisher noch nicht vernommen werden konnten. Plötzlich hielt Kark in der Suche inne. Er bemühte sich, ein bestimmtes Geräusch, das
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verhältnismäßig klar schien, von den anderen zu isolieren. Es war Eigenartiges, nie Gehörtes, das nunmehr laut den Raum erfüllte. In bestimmte Rhythmen gekleidet folgte ein harmonisches Tongemisch einer in ihren Höhen und Tiefen offenbar gesetzmäßig sich verändernden Linie. „Eigenartig“, wandte sich Rilt an die Kameraden, „ich weiß nicht, ob ich das als schön empfinden soll. Die hohen Töne sind mir beinahe ein wenig unangenehm. Und dieses vom Rhythmus ausgehende Zwingende, das mich beinahe verleitet, es durch irgendeine Bewegung zu unterstreichen.“ „‘Hoffnung’ tönt, er ist nicht tot, jetzt wissen wir es ganz genau. Wir haben Glück, Freunde!“ Chalo rief die Worte beinahe. Man sah ihm an, daß er erleichtert war. „Und wie er tönt“, Kark ergriff wieder den Drehknopf und veränderte die Frequenz. Eine Vielfalt ähnlicher Geräusche erfüllte den Raum. „Merkwürdig ist, daß keines dem anderen gleicht, aber anscheinend dieselben Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen.“ Kark hielt wieder inne. Andere Töne klangen jetzt aus dem Lautsprecher. Tiefe Töne, hell und dunkel moduliert, Zischlaute drangen abrupt in den Raum. Plötzlich wechselten sie. Das Abgerissene, Unmelodische, überhaupt der gesamte Charakter blieb, aber die Tiefe hatte sich verändert. Die Schattierung war um vieles höher. Eine Pause trat ein, danach ein Ton, wie er entsteht, wenn eine große Metallplatte freischwingend angestoßen wird. Dann begann es wieder rhythmisch zu tönen. „Ich bleibe dabei“, unterbrach Borl, „das, was wir jetzt hören, muß eine Art Musik sein, die von uns nicht bekannten Instrumenten erzeugt wird. Auch die Gesetzmäßigkeiten kennen wir nicht. Das andere ist Sprache, ganz einfach Sprache, wie ich es unlängst schon sagte.“ „Wir hätten also nach deiner Meinung nichts anderes als den normalen Rundfunk des Planeten empfangen.“ An alle gewandt
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fuhr Chalo fort: „Wir wissen nunmehr nicht nur mit Bestimmtheit, daß ‘Hoffnung’ tatsächlich bewohnt ist, wir wissen auch, daß wir auf Wesen treffen werden, die eine verhältnismäßig hochentwickelte Technik haben.“ Kark war nachdenklich geworden. „Die Signale des Satelliten klangen anders. Und zwischen den Geräuschen, die wir jetzt hören, sind manchmal Töne, die denen der Satelliten ähneln. Wir müssen also annehmen, daß – genau wie bei uns auch üblich – neben dem Sprechfunk auch ein Signalfunkverkehr stattfindet. Wir müßten deshalb versuchen, die Zeichen zu entschlüsseln. Wir hätten dann die Möglichkeit, falls sie uns entdecken, Informationen abzufangen, und könnten so gewarnt werden.“ „Du hast leicht reden“, brummte Borl, „ich versuche es schon die ganze Zeit – ohne Erfolg. In der kurzen Zeit, die wir noch hier sind, wird es uns kaum gelingen.“ „Eines ist merkwürdig“, sagte Mangk, „wir haben doch nun schon einiges von jenen Wesen gehört. Und wenn wir es auch nicht verstehen können, habe ich den Eindruck, als ob die Töne – sei es nun Sprache oder Musik – von jedem Sender ein wenig anders klängen, so, als ob es sehr viele verschiedene Sprachen wären.“ „Du hast ganz recht“, pflichtete Borl bei. „Ich glaube, bisher habe ich fünf verschiedene Sprachen identifiziert.“ „Tatsächlich?“ warf Rilt verwundert ein. „Wenn sie ihre Sendungen in verschiedenen Sprachen bringen“, sagte besorgt Mangk, „dann heißt das, daß die bewohnte Zone des Planeten in verschiedene Regionen aufgeteilt ist und…“ „Da könnte es wohl auch unterschiedliche Formen des Zusammenlebens geben?“ unterbrach ihn Surki. „Muß nicht, kann aber“, sagte Chalo. Sie hörten noch eine Weile schweigend den aus dem Lautsprecher quellenden fremdartigen Klängen zu, jeder seinen
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Gedanken nachhängend. Min merkte Surki an, daß das eben Besprochene ihre Angst keineswegs verkleinert hatte – im Gegenteil. Auch ihr war klar, daß unterschiedliche Formen des Zusammenlebens der Wesen auch ihr Vorhaben beeinflussen könnten, ja vielleicht sogar eine Rückkehr in die Heimat gefährdeten. Gewaltsam riß sich Min von diesen unerfreulichen Gedanken los. „Wie lange brauchen wir noch bis zum Aussteigen?“ fragte sie Mangk. „Knapp ein Viertel des Planetentages.“ „Oh, da muß er ja schon wieder näher gekommen sein. Komm, Surki, wir schauen noch ein wenig.“ „Gut“, sagte Surki, „gehen wir.“ Min schien, als ob ihre Worte unfrisch und wenig interessiert klangen.
Alle saßen in der letzten Zeit, die sie noch im Raumschiff waren, vor dem Bildschirm und betrachteten den näher rückenden Planeten; bis auf Chalo und Mangk, die Wache hatten. „Achtung, bitte fertigmachen!“ Leise gab Chalo über den Bordfunk diese Weisung. Er wiederholte sie und fügte hinzu: „In einer Viertelstunde treffen wir uns vor den Kabinen. Der Bordfunk wird abgeschaltet!“ Min warf noch einen letzten Blick auf den Bildschirm. Da stand der Planet, strahlend, einladend. Sie sagte laut: „Wir erwarten einiges von dir, enttäusche uns nicht, ‘Hoffnung’!“ Über das Bild lief ein Zucken, der Schirm wurde weiß, und langsam, den hellen Fleck gleichsam der Mitte zu drängend, floß Finsternis über die Mattscheibe. Chalo hatte abgeschaltet.
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4 Eine endlos erscheinende Zeit war jeder für sich – eingeschlossen in seiner winzigen Kabine, allein mit seinen Gedanken, seiner Hoffnung und Furcht. Min kämpfte verbissen gegen die aufkommende Angst. Augenblicke des Zitterns eines panischen Schreckens wechselten mit solchen künstlicher, gewaltsam erzwungener Ruhe. Alle Vorsätze und während des Vorbereitens angelernten Verhaltensregeln schienen vergessen. Sie meinte ersticken zu müssen, obgleich sie wußte, daß ihr Luftvorrat zur Zeit noch überreichlich und von ausgezeichneter Qualität war. Sie starrte durch das Fenster ihres Helmes auf die unmittelbar darüber im trüben Licht des Signallämpchens matt blinkende Metallwand der Kabine. Vor kurzer Zeit hatte sich der Kommandant über die Funkanlage zum letztenmal mit allgemeinen Informationen von Bord gemeldet. Nur unmittelbar vor dem Herausschleudern der Kabinen würde noch einmal seine Stimme aus dem Helmlautsprecher ertönen, um das Startkommando zu geben. An Min glitten die Bilder der letzten Tage in ungeordneter Reihenfolge wie eine bunte Szenerie vorbei. Immer weiter zurückliegende Ereignisse umflossen sie. Sie sah aus dem Bordfenster die Oberfläche ihres Heimatplaneten – fühlte sich von ihren Angehörigen umfaßt, damals, unmittelbar vor dem Start. Gewaltsam raffte sie sich zusammen. Was ist mit mir los? Sie versuchte sich zu konzentrieren, horchte auf das leise, monotone Summen ihres Heimlautsprechers. Ihre Gedanken glitten zum Kommandanten. Er hatte jetzt die volle Verantwortung. Sie sah ihn vor sich, wie er in seiner Kabine lag, die sich nicht von der ihren unterschied – mit Ausnahme zweier kleiner, aber lebenswichtiger Instrumente: eines, das zeigt, wie sich der
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Außenmantel des Raumschiffes beim Eintauchen in die Planetenatmosphäre erhitzt, und ein anderes, das er bedienen wird, wenn der Zeiger des Thermometers den roten Strich erreicht haben wird. Er wird einen Knopf drücken, und die einzelnen Kabinen werden selbständige Flugkörper… Wieder überfiel Min das Zittern. Was wird mich und die Kameraden erwarten? Borl, ob er auch so zittert wie ich? Als er ihr beim Hineinkriechen in die enge Kabine behilflich war, schien er ein wenig traurig. Er sagte nur: „Bis bald!“ Ein langer Blick durch die beiden Skaphanderscheiben, dann schloß sie den Deckel der Kabine. Habe ich mich ihm gegenüber richtig verhalten? Ich habe ihn doch gern – und er mich auch. Aber ist es denn echte Zuneigung? War das Gefühl füreinander nicht aus dem engen Beisammensein im Raumschiff geboren? Was wird, wenn wir wieder zu Hause sind? Zu Hause! Der Gedanke an das, was sie von zu Hause trennte, jagte Min erneut einen Schauer durch den Körper. Sie tastete noch einmal die außen an ihrem Raumanzug hängenden Ausrüstungsgegenstände ab: die Harpune, den Strahler, die Fallschirmgurte. „Achtung!“ Jäh unterbrach Min ihre Bewegung. Sie preßte sich in die Polster der Kabine, griff instinktiv nach den Haltern. „Noch zehn Sekunden – neun – acht – sieben – sechs -“ Die Stimme des Kommandanten klang ruhig wie bei einer Übung. In Min tropften die Silben wie riesige Bleiklumpen hinein. Sie fühlte sich immer tiefer in die Polster gedrückt, obgleich sich physikalisch in ihrer Umgebung noch nichts geändert hatte. Sie krallte sich in die Griffe, es war, als bäume sich in ihr etwas auf. „Fünf – vier – drei – zwei -“ Plötzlich durchflutete sie Ruhe. Blitzschnelle Konzentration. Sie stemmte sich in die Gurte,
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wie sie es gelernt hatte. „Eins – Start!“ Immer mehr hatte der Kommandant seine Stimme erhoben. Das ‘Start’ schrie er förmlich ins Mikrophon. Min konnte nicht mehr denken. Ein Ruck veränderte plötzlich den Schwerezustand in der Kabine. Eine gewaltige Kraft preßte sie gegen die Polsterwand. Es nahm ihr den Atem. Endlich schien das Gewicht abzunehmen, aber ungleichmäßig. Die Kabine taumelt, stellte sie fest. Trotz ihrer Ohnmacht, aktiv in das Geschehen eingreifen zu können, fühlte Min keine Angst mehr. Bald muß es brenzlig werden, gleich liegt es mit an mir… Eine ungeheure Spannung bemächtigte sich ihrer. Gleich kommt der freie Fall. Sie verstärkte ihren Griff in den Halteschlaufen. Kurz darauf fühlte sie sich gleichsam leicht angehoben. Ein wenig später wurde ihr bewußt, wie nach einigem Hin- und Herschwanken der Kabine langsam ihr Orientierungsvermögen wiederkehrte. Die Kabine stabilisiert sich, jetzt keinen Fehler machen! Sie tastete nach dem Auslösering im Skaphander und verfolgte gespannt den Zeiger des Thermometers, dessen Skala über ihrem Kopf an der Kabinenwand einen kleinen milchigen Lichtschein verbreitete. Langsam kroch der schwarze Strich auf die rote Marke zu. Keinen Fehler machen, sagte sich Min immer wieder, nicht zu früh, aber auch nicht zu spät. Noch empfand sie keinen Temperaturanstieg. Angespannt verfolgte sie das Klettern des Zeigers. Der Zeiger erreichte die rote Marke, überschritt sie. Jetzt schmilzt der Außenmantel. Min zögerte einen Augenblick. „Jetzt!“ Sie schrie es gegen das Helmfenster und riß am Auslösering. Sie spürte noch, wie sie durch eine riesige Kraft schmerzhaft
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nach oben gezogen wurde und daß sie flog. Gleißende Helle traf sie, dann wurde es Nacht… Min öffnete die Augen und schloß sie sofort wieder. Blendende, stechende Lichtflut. Sie blinzelte. Eine große weiße Kuppel wölbte sich über ihr. Noch etwas benommen versuchte Min mehr von ihrer Umgebung wahrzunehmen. Plötzlich war sie hellwach. Blitzartig standen die letzten Ereignisse vor ihr. Was ist geschehen? Ich muß die Besinnung verloren haben. Ein Schreck durchzuckte sie. Wo war sie? Sie bemerkte, daß sie schwebte. Die Kuppel war ihr geöffneter Fallschirm. Ich lebe. Aber wie lange war ich besinnungslos? Wo sind die Gefährten? Sie versuchte einen größeren Ausblick zu gewinnen. Warum sehe ich eigentlich immer nur die Kuppel meines Fallschirmes? Sie merkte, daß sie nicht richtig in den Gurten hing. Während des Ausschleuderns aus der Kabine mußte sie sich in den Seilen verfangen haben, so daß sie jetzt nur in eine Richtung blicken konnte. Ungeduldig zerrte sie an den Leinen. Sie drehte sich und versuchte ihren Körper gewaltsam zu wenden, so gut es der Raumanzug zuließ. Plötzlich gab es einen Ruck; sie schaukelte ein wenig und hing gerätgerecht in den Gurten. Min war überwältigt von dem Anblick, der sich ihr bot: Eine einzigartige dunkelgrüne, an den Rändern ins Schwärzliche und dann in bläulichen Dunst übergehende Weite, von silbrigen und bleigrauen Bändern und Fädchen durchzogen, breitete sich unter ihr aus – eingehüllt in einen strahlenden Lichtmantel, der sich nach oben in einem unendlich zarten Blau verlor. Über dem Grün schwammen grellweiße, plastisch schattierte Bäusche. Rechts unter ihr zeichneten sich, beleuchtet von
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einem tiefstehenden großen goldenen Feuerball, vor dessen Glanz und Lichtflut Min unwillkürlich die Augen schloß, dunkelrote stumpfe Zacken wie die Rückenpanzerung eines riesigen Fabelungeheuers ab. Über dem Ganzen lag eine beglückende Ruhe, die augenblicklich alle Mühsal, Angst und Spannung der letzten Zeit vergessen ließ. Gerettet! Min schloß die Augen. Langsam glitt sie so durch die unbewegte, lichtdurchflutete Atmosphäre. Sie gab sich ganz einem überwältigenden Glücksgefühl hin. Die Gefährten, Borl, wo sind sie? Jäh war sie aus ihren Träumen gerissen. Sie empfand plötzlich nüchtern, daß der große goldene Feuerball die Sonne dieses Planeten war, die gleißenden Bäusche sicher Wolken und die von Horizont zu Horizont reichende riesige dunkelgrüne Fläche unter ihr möglicherweise eine Art Vegetation und daß sie sich nun bald konzentrieren mußte, um sicher zu landen und die Kameraden zu finden. Sie begann ihr Gesichtsfeld sorgfältig zu durchforschen. Gleichzeitig schaltete sie die Heizung ein. Es drang von außen kalt durch den Skaphander. Sie bedauerte den Beschluß, während des Landevorganges das Funkgerät unbenutzt zu lassen. Die Bedenken waren zwar einleuchtend: Je höher sie sich über der Planetenoberfläche befanden, desto weiter reichten die ausgestrahlten Funkwellen und desto größer war die Gefahr einer Entdeckung. Aber sollten dort unten in dem dichten grünen Meer tatsächlich vernunftbegabte Wesen leben? Und wenn, hatte man sie dann nicht schon längst entdeckt? Ein weißer Fleck hob sich schräg vor ihr von einer Wolke ab und war nun über dem dunklen Untergrund gut auszumachen. Unweit vom ersten entdeckte Min noch einen zweiten Schirm, der – wie es schien – schon tiefer gesunken war. Wieder empfand sie große Freude.
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Wir leben – wenn drei am Leben sind, werden die anderen auch irgendwo dem grünen Meer entgegenschweben. Min schaltete die Funkanlage und das Außenmikrophon ein – vielleicht hatte ein anderer ebenso wie sie das Bedürfnis zu sprechen –, sie konnte dann wenigstens hören. Aber außer einem leisen, monotonen Summen drang kein Laut an ihr Ohr. Min suchte nach ihrer Schreibtafel, um eine grobe Skizze anzufertigen, aus der die Positionen der von ihr gesichteten Schirme hervorgingen. Jäh zuckte sie zusammen. Ein leichter Knall drang durch das Außenmikrophon. Es folgte ein leises, scharfes, aufdringliches Zischen. Wenig später vermeinte Min einen Ruck an ihrem Schirm zu verspüren. Ob etwas gerissen ist? Besorgt kontrollierte sie die Leinen. Seitwärts, am Rande des Schirmes, sah sie einen länglichen, dunklen Gegenstand, der dort nicht hingehörte. Ihr war, als ob sich dort das Gewebe trichterförmig nach außen drückte. Schlagartig fiel ihr ein, was geschehen war: Ich bin harpuniert worden! In meiner unmittelbaren Nähe, wahrscheinlich über mir, schwebt ein weiterer Gefährte – der vierte. Wir sind zusammen – schon jetzt. Wir werden gemeinsam landen. Wer es wohl ist? Gespannt horchte sie. Aber der Lautsprecher schwieg. Hoffentlich halten die Widerhaken. Noch einmal überzeugte sie sich durch einen Blick, daß das dunkle Geschoß noch in ihrem Schirm steckte. Warum sinken wir nicht schneller? Ihr schien die Planetenoberfläche kein bißchen näher gekommen. Doch, die Bänder sind breiter geworden – ob es Wasserläufe sind? Die Atmosphäre scheint ziemlich ruhig zu sein. Min stellte fest, daß die Sonne dunkler wurde und tiefer am Horizont stand. Sie strahlte jetzt in einem tiefen Dunkelrot. Die zwischen Min und der Sonne befindlichen Wolken nahmen eine fahlgraue Färbung an, während das Schwarz von
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den Rändern des grünen Meeres immer mehr der Mitte zukroch. Nach kurzer Zeit konnte Min kaum mehr die Bänder, die längst ihren silbernen Schimmer eingebüßt hatten, ausmachen. Es wird Nacht, stellte sie fest, und zwar ziemlich schnell, wie es scheint. Min warf einen Blick auf die kleine Armaturenskala innerhalb ihres Raumanzuges. Überrascht gewahrte sie, daß sie erst 15 Zeiteinheiten unterwegs war, seit sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war. Nunmehr schien aber das Schwarzgrüne unter ihr immer schneller auf sie zuzuschweben. Min griff fester in die Gurte und starrte in die zunehmende dunstige Dämmerung. Die Gewißheit, mit einem Kameraden durch das dünne, zuverlässige Seil der Harpune verbunden zu sein, flößte ihr Kraft und Mut für die bevorstehende Landung ein. Auf einmal knackte es im Lautsprecher. Min horchte gespannt, ohne dabei das ständig näher rückende grüne Meer, in dem nunmehr Konturen zu erkennen waren, die an erstarrtes Wassergekräusel erinnerten, aus den Augen zu lassen. „Hallo, hier ist Kark. Wen habe ich an meiner Angel?“ „Hier ist Min – ich bin ja so froh!“ „Achtung, Min, ich habe die Abmachung, während des Niedergangs nicht zu funken, deshalb gebrochen, weil mir eine Landung mit unseren beiden verbundenen Schirmen zu gefährlich erscheint. Ich kappe jetzt das Seil. Wir nehmen nachher sofort wieder Verbindung auf. Viel Glück!“ „Ja, dir auch!“ Min verspürte einen kleinen Ruck. Ihr Schirm war frei. Sie bemerkte im Dämmerlicht, wie neben ihr ein hohes, schemenhaftes Gebilde emporwuchs, wie sie in geringem Abstand daran vorbeiglitt und wie unter ihr ähnliche Gegenstände schnell näher kamen.
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Und jetzt wurde Min auch bewußt, daß sich um sie herum schon seit einiger Zeit etwas geändert hatte. Sie wußte nicht, was es war, aber es war anders als vorher, als vor einigen Minuten. Min war sich nicht im klaren, wie sie die Beschaffenheit des ihr Entgegenfliegenden einschätzen sollte. Die einheitliche, jetzt schwarzgrüne Fläche hatte sich aufgelöst. Es ragte ihr merkwürdig bizarr entgegen. Starre, krumme, knotige, nach oben sich immer mehr verjüngende schwärzliche Stäbe mit einer Unzahl Verzweigungen trugen an den dünnen Enden papierstarke, geformte und, wie es schien, sich leicht bewegende Täfelchen, die in ihrer Grundform übereinstimmten und offenbar auf der Unter- und Oberseite verschieden gefärbt waren. Jetzt gewahrte Min, daß neben den Einzelstrukturen dunkle, von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne nicht mehr ausgeleuchtete Schlünde weiter in die Tiefe führten. Blitzschnell gewann Min diese Eindrücke, dann tauchte sie ein. Augenblicklich hatte sie die oberen Regionen durchstoßen, fast völlige Dunkelheit umgab sie. Splittern, Brechen, Rauschen, dazu das Scheppern der Metallteile des Raumanzuges, der gegen harte Gegenstände schlug, umgab sie. Hartes Aufprallen wechselte mit sanftem Abbremsen. Einige Male schien es, als sei der Sturz beendet, aber immer wieder gab es unter ihr nach, und sie fiel weiter. Sie fuhr zusammen, als dicht neben ihr mehrere schattenartige Wesen unter merkwürdig schrillen Geräuschen, die sie unwillkürlich veranlaßten, das Außenmikrophon leiser zu schalten, anscheinend die Flucht ergriffen. Mehr konnte Min davon nicht wahrnehmen. Sie empfand einen harten Stoß, unter ihr brach es, sie fiel weiter, doch plötzlich ruckte es in den Gurten, ihr Flug war beendet, jedoch ohne daß sie unter sich etwas Festes verspürte. Sie hing an den Seilen ihres Schirmes, der sich offenbar in dem Gewirr über ihr verfangen hatte. Sie
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stak mitten in einem Dickicht aus dünnen bizarren Stäbchen und Täfelchen, aus dicken, mit Dornen besetzten seilartigen Gebilden und hatte kaum Sicht. Sie schaukelte noch ein wenig, dabei schabende Geräusche verursachend. Auf einmal wurde ihr bewußt, was sich, schon bevor sie in das grüne Gewirr eintauchte, in ihrer Umgebung geändert hatte: Die von ihr hoch oben in der Atmosphäre so beglückend empfundene Ruhe war allmählich – und daher von ihr während des nervenbelastenden Niederganges nicht bewußt wahrgenommen – in ein ebenmäßiges Lärmen übergegangen. Jetzt empfand sie es plötzlich, weil sich aus dem gleichförmigen Tumult, gebildet aus einem tausendfältigen Chor von Stimmen aller Tonschattierungen, einzelne schrille Schreie, Zirptöne, Fauchen und lautes Knacken in unmittelbarer Nähe herauslösten. Min wurde es unheimlich. Sie schaltete den Scheinwerfer ein, danach die Funkanlage auf volle Lautstärke. Das Gewirr vor ihr blieb trotz des gleißenden Lichtstrahls undurchdringlich, erglänzte aber jetzt in einem Wechselspiel von Grün in allen Schattierungen. Schon im Hintergrund, halb verdeckt von herabhängenden seilartigen Gegenständen, gewahrte Min ein herrliches Etwas von roter und violetter Farbe. Unweit von ihrem Standpunkt setzte ein von Krachen und blechernen Geräuschen begleitetes Rauschen ein, dem ein dumpfer Laut folgte. Das Geprassel ließ nach. Gleichzeitig vernahm sie aus ihrem Lautsprecher ein von Anstrengung zeugendes Keuchen. „Hallo, Kark, hier ist Min. Hast du es auch geschafft?“ „Hallo, Min!“ Kark atmete schwer. „Wo steckst du? Warte, ich peile dich gleich an, ich muß mich erst aus meinen Gurten schälen. Ich bin hier etwas plötzlich auf – wie es scheint – festen Untergrund gefallen, nachdem ich schon dachte, in
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diesem merkwürdigen Gewirr hängenzubleiben.“ „So wie ich.“ Min fühlte sich froh und glücklich, in dieser unheimlichen, von den absonderlichsten Geräuschen durchdrungenen grünen Finsternis einen Kameraden nahe zu wissen. „Ich muß erst einmal ergründen, Kark, wie weit ich es noch bis zum Boden…“ Min stockte. Nach einem Schaben unmittelbar neben ihrem Helm wurden plötzlich die grünen Täfelchen und Schnüre bewegt. Mehrere längliche, an den Spitzen durch eine besondere Masse geschützte gliederartige Gebilde umfaßten ein vor ihrem Helm herabhängendes Seil und schoben es behutsam zur Seite. In die Lücke glitt etwas, bei dessen Anblick Min ein Grauen beschlich. Sie zwang sich, keine jähe Bewegung zu machen – ganz langsam tastete sie zu ihrem Strahler. Es muß das Gesicht eines Lebewesens sein, ruhig bleiben, abwarten. Zwei im Widerschein ihrer Lampe phosphoreszierend leuchtende, quicklebendige gelbliche Lichter richteten sich auf sie, darunter zwei sichelförmig gebogene Reihen gefährlich anzusehender, gelbbrauner Reißwerkzeuge. „Min, was ist?“ Karks Stimme klang besorgt. Blitzschnell verschwand das unheimliche Gesicht. Ein Rascheln und Knacken, das sich schnell von Min entfernte, danach setzte nicht weit von ihr ein ohrenbetäubendes Gekreische ein. „Kark, hier war eben etwas“, Mins Stimme klang belegt, sie flüsterte beinahe. „Hörst du auch dieses Gekreische? Ich glaube, das hängt damit zusammen. Es war ein schreckliches Gesicht, Kark.“ „Nur Mut, Min, ich bin sicher, daß hier in dem Gewirr kaum hochentwickelte Wesen existieren. Auch große Tiere dürften es in diesem Dickicht schwer haben. Gegen kleinere müßte unser Anzug zunächst Schutz genug sein. Ich höre das Geheul auch. Möglicherweise eine Herde gleichartiger Tiere – sei aber vorsichtig!“
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Min überdachte ihre Lage. Offenbar schwebte sie, verfangen in den eigenartig elastisch-starren Gebilden, doch noch recht hoch über dem festen Boden. Im Helmlautsprecher unterschied sie neben den vom angestrengten Atmen Karks herrührenden Geräuschen Rufe und Sprachfetzen. „Die Freunde!“ Erleichtert lauschte sie den verworrenen Lauten. „Min, versuche dich von deinem Schirm zu befreien. Ich werde mich langsam zu dir durchschlagen und gleichzeitig Verbindung zu den anderen aufnehmen. Bitte, gib ab und zu ein Zeichen, damit ich dich finde.“ „Ist gut, ich komme schon zurecht.“ Min drehte sich einmal um sich selbst. Ringsum im Scheinwerferkegel das gleiche grüne Gewirr, düster, glänzend, ab und an farbig aufleuchtend, gefahrdrohend. Sie überlegte, wie sie ohne Risiko festen Boden erreichen konnte. Ein Seil müßte ich haben. – Ihr fiel die Harpune ein. Rasch hatte sie das Gerät vom Raumanzug gelöst; mit einem kurzen scharfen Knall sauste das Seil in die Tiefe. „Min, was ist? Hast du den Knall gehört?“ Karks Stimme klang besorgt. „Das war meine Harpune. Ich brauche das Seil, um nach unten zu kommen.“ Min sah in Reichweite einen starken Stumpf. Ob das hält? Sie erhangelte den Stumpf, hielt sich daran fest und wippte. Ein elastisches Nachgeben, Federn, aber kein Brechen. Schnell hatte sie das Seil verknotet. Schade um den Schirm, dachte sie. als sie die Gurte kappte. Langsam ließ sie sich am Harpunenseil in die Tiefe. Im tanzenden Lichtkegel veränderte sich das Bild um sie herum zunächst nicht. Sie zwängte sich durch enge Gabelungen der Gewächse, blieb an dünnen stachligen Gebilden hängen, kam aber doch langsam tiefer. Im dichten Gewirr konnte sie dort, wo das Licht des Schein-
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werfers hintraf, ausmachen, daß die Gewächse nach unten zu säulenähnlich wurden, umwuchert von allerlei dünnen Ranken und Dornengestrüpp. Ein leichter Ruck beendete das Abseilen. Min stand auf der festen Oberfläche des Planeten. Ob er seinem Namen gerecht werden wird? Sie hörte, wie Kark abwechselnd mit Surki und Borl sprach. Eine Unzahl der verschiedensten Gewächse, teils mit dem Boden fest verbunden, teils aus Stämmen und Moderbergen hervorquellend, umgab sie. Die grünen Täfelchen herrschten vor. Dazwischen wucherten Zweige mit Nadeln, Dornen, Fächern und langen messerartigen Blättern. Hunderte verschiedenartige kleine und größere Lebewesen tanzten im Lichtkegel auf, umschwirrten wütend oder versöhnlich summend den Eindringling, stürzten sich auf ihn oder flohen ins Dunkel. Ein näher kommendes Knacken, blechernes Schaben mit zunehmendem lautem Atmen im Lautsprecher unterbrach Mins Betrachtung. Sie richtete den Scheinwerfer dorthin, wo die Geräusche am stärksten waren. Zwischen den Pflanzenteilen zwängte sich Kark in seinem Raumanzug hindurch. Ein Fremdkörper in Form und Farbe in der grünen Wildnis. Zwischen den angestrengten Atemzügen hörte Min deutlich halblautes Schimpfen. „Hierher, Kark!“ Sie richtete den Scheinwerfer voll auf ihn. Eingehüllt in eine Wolke kleiner Lebewesen, die im Lichtschein weiß aufleuchteten, trat Kark näher. Als sie sich trafen, sahen sie sich freudig bewegt durch die Sichtscheiben ihrer Raumanzüge in die Augen. Kark teilte mit, daß er in der Zeit, in der Min sich aus den Pflanzen befreite, Verbindung zu Surki und Borl hergestellt habe. Die beiden waren unweit von hier gelandet und hatten sich bereits gefunden. Die anderen drei Gefährten mußten abgetrieben sein. Borl hatte kurz eine zwar schlechte, aber verständliche Verbindung mit Chalo gehabt, einmal vermeinte er auch Rilt zu hören.
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Min veränderte die Feineinstellung ihres Funkgerätes. Langsam drehte sich der Peiler. „Diese Richtung etwa“, wies Kark sie ein. Min lauschte. „Hallo, Kark“, ertönte es nach einer Weile schwach aus dem Lautsprecher. Es war deutlich Borls Stimme. „Hallo, Borl, ich grüß dich, hier ist Min.“ Ihre Stimme zitterte merklich. „Min“, auch Borl schien von dem Augenblick des Wiederfindens berührt. Nach einer kleinen Pause fuhr er aufgeregt fort: „Min, Kark, wir sind hier in unmittelbarer Nähe einer Lichtung. Wir schlagen vor, daß ihr zunächst versucht, zu uns vorzudringen. Die Verbindung von uns zu Chalo und von ihm zu Rilt ist gut. Wir befinden uns in der Mitte zwischen euch und Chalo. Chalo kommt auch hierher.“ „Was ist mit Mangk – hat er sich schon gemeldet?“ warf Min erregt ein. Borl schwieg. Surki antwortete anstelle von Borl. „Noch nicht – wir versuchen es ständig. Chalo und Rilt, die noch beide einzeln in dem Gewirr stecken, rufen auch immer wieder – bisher ohne Erfolg.“ „Wir dürfen nicht gleich das Schlimmste annehmen“, sagte Kark. Offenbar hatte auch er die Niedergeschlagenheit aus Surkis Worten herausgehört. „Es kann so viel passiert sein, wodurch Mangk gehindert wird zu funken. Er braucht deshalb noch lange nicht zu Schaden gekommen zu sein. Eine Störung des Gerätes, weites Abtreiben, oder die Nähe von Planetenbewohnern erklärt bereits das Schweigen – also, kein Grund zu übertriebener Besorgnis. Natürlich rufen wir ihn.“ „Wir beschränken den Funkverkehr auf das Notwendigste“, entschied Borl. „Wir rufen alle zehn Minuten Mangk; das genügt auch für unsere Richtpeilung. Moment – Surki spricht mit Chalo. Offenbar etwas Wichtiges – wir kommen gleich wieder.“
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Min lauschte, sie drehte auf volle Lautstärke. Außer den kurzen, zustimmenden Antworten Surkis vernahm sie nur wenige unzusammenhängende Worte. Auch Kark, wie sie sich durch einen Blick vergewisserte, verstand Chalo nicht. Nach kurzer Zeit gab Surki erregt Chalos Informationen weiter: „Chalo und Rilt nähern sich getrennt unserer Lichtung. Beim Überqueren einer freien Stelle vernahm Chalo plötzlich ein sich aus dem allgemeinen Lärm herausschälendes, von scharfem Pfeifen begleitetes donnerndes Geräusch. Chalo suchte unwillkürlich Schutz hinter einer Pflanze. Wenig später sah er drei verschiedenfarbige Lichter über die Wipfel am gegenüberliegenden Rand der Lichtung huschen. Chalo ist der Meinung, daß es nur ein technisches Geräusch, und zwar das eines Flugapparates, gewesen sein kann. Er weist deshalb an, den Sprechfunk soweit als möglich einzustellen, in gewissen Abständen Mangk zu rufen und sich nur nach diesen Rufen zu orientieren. Bis bald, Freunde.“ Surki schaltete ab. Kark und Min teilten die Aufgaben. Während Min in den vereinbarten Abständen Mangk anrief und auf dessen mögliche Antwort lauschte, richtete Kark den Peiler nach den Rufen, die vom Standort Surkis ausgingen. Mühsam bahnten sich die beiden Raumfahrer in der Wirrnis einen Pfad. Dabei stellte es sich bald heraus, daß dies nicht nur mühevoll und äußerst beschwerlich, sondern auch gefährlich war. Ständig verfingen sich die umgehängten Geräte, einmal der Tragesack, Strahler und Scheinwerfer oder Karks Funkgerät an den kreuz- und querstehenden Pflanzenteilen. Wenn auch die Dornen den metallenen Raumanzügen nichts anhaben konnten, behinderten sie doch das Vorankommen, und es bestand die Gefahr, daß Ausrüstungsteile hängenblieben. Nach einer Stunde waren Min und Kark kaum einige hundert Körperlängen vorgedrungen; die Signale erschienen gleich fern.
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Kark ging voran. Er bog die von kleinen Lebewesen mitunter förmlich wimmelnden Pflanzenteile zur Seite, zwängte sich hindurch und wartete, bis Min heran war. Nur die Lichtkegel der beiden Scheinwerfer fraßen sich ein kurzes Stück weiter in das Gewirr. Immer mehr der seltsamen geflügelten Lebewesen verschiedenster Art, die offenbar von dem Licht angelockt wurden, umschwärmten Min und Kark. Es waren meist mehrflügelige, großäugige, vielgliedrige Tiere, anscheinend bar jeder Vernunft. Sie stürzten sich direkt auf die Scheinwerfer, taumelten, verloren ihre Flugrichtung, zogen wilde Spiralen und stürzten sich, sobald sie sich wieder orientieren konnten, erneut auf die Lichtquellen. Form und Farbe der Tiere wechselten. Von prächtigen Colorzeichnungen bis zum unscheinbaren Grau, von harten, glänzenden Panzern bis zu samtiger Weichheit umschwirrten sie die Weltraumfahrer. Gern hätte Min jetzt ihre Eindrücke fixiert und einige der prachtvollsten Exemplare konserviert. Aber sie fand einen solchen Gedanken unter den gegenwärtigen Umständen selbst absurd. Sie hatte weder die Mittel zur Hand, noch war die Zeit dazu gegeben. Eines wurde immer klarer: Auf hochentwickeltes, vernunftbegabtes Leben war in dieser Wildnis schwerlich zu treffen. Ansässig war es hier auf keinen Fall. Vernünftige Wesen schaffen sich Raum, bequeme Lebensbedingungen. Wer künstliche Satelliten baut, kriecht nicht den Tieren gleich durch Urgestrüpp. Klebrige Fäden, Bestandteile kunstvoller Fangnetze, in denen mitunter die Hersteller, achtbeinige, dickleibig-borstige Tiere hingen, legten sich über die Sichtfenster der Skaphander. Obgleich geschützt, schauerte Min jedesmal zusammen, wenn unmittelbar vor ihren Augen ein solches Tier baumelte. Nur gut, daß wir den Raumanzug anhaben. Mehrmals konnte
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sie beobachten, wie wehrhafte Zangen und Stachel gegen die schützende Hülle gerichtet wurden. Min mußte an Surki denken. Ein Glück, daß sie vorerst mit Borl auf die anderen warten mußte, daß sie jetzt keinen Marsch in dieser wilden Finsternis vor sich hatte. Immer schwerer fiel den beiden das Vorwärtskommen. Min strauchelte. Kark drehte sich um, erwartete sie und blickte sie hilflos an. Sie sah, daß auch er erschöpft war. „So kommen wir nicht weiter, Min, ich schaffe es nicht mehr.“ Ganz nahe beugte er sich zu ihr, so daß sich die Antennen beinahe berührten. „Ich habe mir überlegt, Kark, wir können hier auf keine Siedlung vernunftbegabter Wesen stoßen. – Nehmen wir die Strahler.“ „Aber wir müßten damit doch einiges Leben hier vernichten, Pflanzen und andere Lebewesen, von deren psychischem und physischem Aufbau wir nicht das geringste wissen.“ „Kark, es tut keinem mehr weh als mir. Ich weiß, was wir unter Umständen anrichten können. Aber noch ein oder zwei Stunden so weiter, und wir bleiben liegen – und die Gefährten haben ihre Last mit uns.“ Kark nahm wortlos den Strahler. Min leuchtete voraus. „Also los.“ Kark zögerte noch, dann löste er aus. Kleine aufspringende weiße Funken markierten den Weg der Strahlen. Langsam wurden sie von Kark im Viereck gelenkt. Es zischte auf, winzige Rauchsäulen mischten sich mit Funkenregen, und wie durch ein riesiges Messer abgeschlagen, prasselten Zweige, grüne Seile und Stämme nieder. Schwarze Schnittflächen, Aschehäufchen und Staub kennzeichneten die Wirkung des Strahlers. Die Flämmchen verloschen augenblicklich. Das Material war nicht in der Lage, so schnell die Wärme aufzunehmen und zu entflammen. Nur der Rauch zog in schweren Schwaden durch den Lichtschein, hier und dort aufgewirbelt, wo neue Zweige
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herunterstürzten. Kark hielt einen Moment ein, als schämte er sich, die Natur eines fremden Planeten entweiht zu haben, dann richtete er entschlossen den Strahler erneut gegen den grünen Schild und schnitt ein Viereck heraus. Unten türmte sich ein wildes Durcheinander. Zwei-, dreimal glitt der unsichtbare Strahl hinein, abermals Rauch und Funken. Ein schwarzer, fast viereckiger Tunnel entstand in der üppiggrünen Wildnis, in dem Kark und Min schweigend voranschritten. Immer wieder trat der Strahler in Tätigkeit, immer wieder das gleiche Bild: Üppiges, lebendiges Wuchern zerrann zu Asche. „Kark, das Schwarze hier, hier – Kark, das ist Kohlenstoff. Weißt du, was das bedeutet?“ Aufgeregt hatte Min Kark eingeholt, hielt ihm einen durch den Strahl abgetrennten Ast vor das Sichtfenster des Helmes und wies auf die schwarze Schnittfläche. „Annehmbare Temperatur, viel Sauerstoff, Wasser und nun Kohlenstoff – Voraussetzungen für hochentwickeltes Leben“, dozierte Kark laut, übermütig.
5 Pjotr Iwanowitsch Oglobin starrte in den zunehmend schwärzer werdenden Himmel. Er befand sich in der Stimmung, in der der Mensch mit sich nichts Rechtes anzufangen weiß. Ich könnte lesen, sagte er sich, oder Irena einen Brief schreiben oder einen Angelhaken auswerfen. Ach, Irena und der kleine Juri – ob er fleißig Schularbeiten macht? Seit Tagen kreuzte das Schiff in den Gewässern des Stillen Ozeans, fünfhundert Seemeilen vor der peruanischen Küste. Es
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hatte keine andere Aufgabe, als Schiffe oder Flugzeuge, die sich trotz allseitiger Warnung dem Raketenzielgebiet näherten, rechtzeitig zum Abdrehen zu veranlassen. Unablässig und unhörbar rotierte gespenstisch das Gitterwerk der großen Radarantenne, die unermüdlich über weite Strecken den Pazifik auf reflektierende Körper absuchte. Ganz behutsam, so, als wollte sie es einschläfern, ließ die leichte Dünung das träge schwimmende Fahrzeug schwanken. So weit das Auge reichte, bleierne Kräusel, die sich nach der Ferne zu immer mehr glätteten, um schließlich als unendliche Fläche ohne sichtbare Trennungslinie in den Himmel überzugehen. Pjotr legte sich auf den Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und starrte gedankenverloren in das Grau über sich. Die harten Schiffsplanken spürte er nicht. Er drehte ein wenig den Kopf: Dort sank die Sonne ins Meer. Langsam näherte sich der Feuerball dem Horizont. Pjotr drehte den Kopf nach der anderen Seite: Dort, hinter dem Dunstschleier, hinter Meilen Wasserwüste liegt der Kontinent Amerika, Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dachte Pjotr bitter. Er mußte an den unglücklichen Negerjungen denken, den erst vor kurzem in Alabama Terroristen umbrachten, heimtükkisch aus dem Hinterhalt. Er war so alt wie Juri. Pjotr richtete sich auf. Ich werde an Irena schreiben, beschloß er. Er warf noch einen langen Blick dahin, wo Amerika sein mußte, und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als er wie angewurzelt stehenblieb: Obgleich der Himmel noch ziemlich hell war, zeichnete sich die Erscheinung deutlich ab: Fast gleichzeitig erstrahlten zwei Punkte, wurden rasch größer und verlöschten plötzlich. Schon wandte sich Pjotr zum Gehen, im Glauben, zwei besonders schöne Meteorite gesehen zu haben, als wenig unterhalb der Stelle, an der die ersten aufgetaucht waren, ein
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Schwarm kleinerer erschien – vielleicht zehn, vielleicht mehr, vielleicht aber auch weniger. Es war eigentlich nur ein kurzes Aufblitzen, so wie beim Feuerwerk die Knaller, die den Schluß ankündigen. Aber deutlich war noch die Tendenz des Fallens wahrzunehmen. So viele Meteoriten um diese Jahreszeit, wunderte sich Pjotr. Er starrte noch lange auf die Stelle, aber es zeigte sich nichts Ungewöhnliches mehr. Der Himmel wurde zunehmend schwärzer. Eine kleine Brise tat sich auf und vertrieb die Schwüle, die wie eine Käseglocke tagsüber Schiff und Menschen umschlossen gehalten hatte. Pjotr wandte sich endgültig zum Gehen, in Gedanken schon mit dem Brief an seine Familie beschäftigt.
Zur gleichen Zeit trieben die Meteorite den beiden Wachhabenden in der Radarzentrale Schweißperlen auf die Stirn. Fest stand eines: Das Beobachtungsgebiet lag weit außerhalb ihres Bereiches, brauchte sie also nicht zu kümmern. Was über dem südamerikanischen Festland vor sich geht, hatten sie nicht zu erkunden. Aber was sie unsicher machte war die Tatsache, daß nach der verhältnismäßig dichten Wärmestrahlung, die den Infrarotschirm zuerst an zwei, danach noch an mehreren Stellen zum Aufglühen brachte, keineswegs ein Verlöschen zu verzeichnen war, wie es bei Meteoriten der Fall ist, sondern daß sich jedes Pünktchen, bedeutend langsamer zwar, aber deutlich wahrnehmbar, noch eine Weile verfolgen ließ. Auf den Radarschirmen erloschen dagegen die Pünktchen. „Was meinst du, Iwan“, wandte sich der Radaringenieur, Sergej Komrow, an seinen Kollegen, „müssen wir das melden? Mit unserer Aufgabe hat es ja nichts zu tun, aber weil es so merkwürdig ist?“ „Weiß ich“, brummte Iwan, „merkwürdige Meteorite waren
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es ja, aber ich meine, daß es weiter nicht interessant ist.“ „Und notfalls haben wir ja die Aufzeichnungen“, sagte Sergej und schaute auf die noch eingeschaltete Apparatur. Mit einem Blick auf die Uhr, deren Zeiger nur träge auf die Ablösungsstunde zurückten, holte sich Sergej das Rapportbuch. Lustlos schlug er es auf, wischte mit der Linken den Schweiß von der Stirn – die Schwüle des Tages stand noch immer schwer in der Kabine –, angelte den Stift, schrieb das Datum, überlegte unkonzentriert und lange und schrieb dann lapidar: „2. Wache, Komrow, Sergej und Strach, Iwan. Keine besonderen Vorkommnisse.“ Und dann, sich einen leichten Ruck gebend, trug er unter Bemerkungen ein: „Gegen 20.50 Uhr Ortszeit Richtung Ost nicht ganz gewöhnlicher Meteorfall.“ Befriedigt klappte er das Buch zu, schritt noch einmal die Armaturen ab, ging schon zur Tür, als draußen Schritte näher kamen. Die Übernahme durch die dritte Wache geschah formlos. „Apparate einwandfrei. Keine besonderen Vorkommnisse.“ Hundertmal gesprochene Worte, hundertmal der gleiche Vorgang. Gleichgültigkeit? – Nein, gewiß nicht. Jedes außergewöhnliche Ereignis risse die Männer in Augenblicksschnelle hoch. Jeder Griff säße, jede Faser auf äußerste Leistung eingestellt. Aber die Gewißheit, nur als soundsovielte Sicherheit hier liegen zu müssen, zu wissen, daß nichts passieren wird, dazu die schon seit Tagen anhaltende tropische Schwüle hatten die strengen Reglements und die bewußte Wachheit des einzelnen angenagt. Ja, wenn man zur Beobachtertruppe gehörte, zu jenen, die die Raketeneinschläge direkt anzumessen und das Experiment zu verfolgen hatten. Aber hier, im äußeren Absperrgürtel… Sie schlenderten über das Deck. Schon brannte die Beleuchtung, ein dämmriges Zwielicht verbreitend. Selbst hier, weitab von jedem Festland, kreisten einige unermüdliche Insekten
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sinnlos um das Licht.
Kapitän Lejew sog mißmutig an seiner Zigarre. Berichte waren ihm seit jeher etwas Verhaßtes – aber es nützte alles nichts. Wenn wenigstens etwas vorgefallen wäre! Noch nicht mal ein lumpiger Disziplinverstoß! Er schmunzelte. Prächtige Burschen, die Besatzung. Schade, daß der Dienst so langweilig ist. – Ich werde sehen, daß wir nächstens etwas näher rankommen, beschloß Lejew im stillen. Schon das zweitemal im Außenring. Jetzt sollen auch mal die anderen… Mißmutig blätterte er in den Rapportbüchern, wie einer, der genau weiß, daß nichts Erregendes mehr auf ihn zukommen kann. Nächste Woche werden wir in Wladiwostok sein. Mutter wird sich freuen. Ein paar Tage frei, und dann wieder hinaus. Solche Versuche werden es ja nicht gleich wieder sein. Er starrte auf das fast leere Blatt vor sich, legte das eine Buch zur Seite, nahm ein anderes auf und fing wieder an zu blättern. Nur einen winzigen Moment zog sich die linke Augenbraue hoch, als er über eine Eintragung hinweglas: Gegen 20.50 Uhr Ortszeit Richtung Ost nicht ganz gewöhnlicher Meteorfall. Komische Formulierung, dachte er. Nicht ganz gewöhnlich – was soll denn so was heißen. Ungewöhnlicher Meteorfall könnte man doch sagen. Nein, das ist etwas Besonderes. Nicht ganz gewöhnlich schwächt die Sache ab. Ein Schlauberger, dieser Komrow. „Ach, Pawel Nikolajewitsch“, wandte er sich an den nach kurzem Klopfen, das unbeantwortet blieb, eintretenden Ersten Offizier. „Sind Sie auch der Meinung, daß ‘ungewöhnlich’ mehr ausdrückt als ‘nicht ganz gewöhnlich’?“ Pawel Sjemkin blickte den Kapitän erstaunt an. „Gucken Sie nicht so! Ich habe hier eine Eintragung gefunden – irgendwie muß man sich ja in der Freizeit beschäftigen“,
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fügte er mit leisem Lächeln hinzu. „Na, ich würde Ihre Meinung teilen“, sagte Sjemkin. Er verstand den Kapitän, ging es ihm doch selbst ähnlich. Die Bücher der Bordbücherei waren gelesen – Radio hören oder Schach spielen konnte man nicht die ganze Zeit, blieben Sport und gelegentliche Unterhaltungen, manchmal auch Haarspaltereien. Mehr um etwas zu sagen als aus Interesse fragte Sjemkin: „Was war denn nicht ganz gewöhnlich, Kapitän?“ „Ach, ein Meteorfall, die Jungs wußten eben auch nicht, was sie berichten sollten – und da haben sie es eingeschrieben.“ „So“, sagte Sjemkin. Er goß sich aus der Siphonflasche ein Mineralwasser ein und trat an eines der Bullaugen. „Messen Sie dem etwa Bedeutung bei?“ fragte der Kapitän, als Sjemkin dem ‘so’ keine weiteren Worte folgen ließ. „Bedeutung – ach wo, ich fand es nur im ersten Moment etwas merkwürdig, daß in hiesigen Breiten zu dieser Jahreszeit Meteorite fallen – aber warum sollten sie nicht.“ Es klopfte abermals. Da der Einlaß Begehrende die Tür nicht öffnete, rief Lejew kräftig: „Herein!“ „Genosse Kapitän, ein Telegramm aus Wladiwostok“, mit diesen Worten hielt der Eintretende dem Kapitän einen Zettel hin. „Danke“, sagte der Kapitän, nahm den Zettel und blickte flüchtig auf. „Ach“, sagte er, „sind Sie nicht der ‘nicht ganz gewöhnliche’ Komrow, Sergeant?“ „Zu Befehl, Genosse Kapitän. Sergej Michailowitsch Komrow.“ „Stehen Sie bequem, Mann“, brummte der Kapitän. „Sagen Sie, Komrow, was war das für ein nicht ganz gewöhnlicher Meteorfall?“ „Ach so, Genosse Kapitän.“ Komrow atmete auf. Die merkwürdige Anrede des Kapitäns hatte ihn unsicher gemacht.
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„Das war am, am“, er dachte angestrengt nach, konnte sich aber offensichtlich nicht mehr an das Datum erinnern. „Am Achtzehnten des vergangenen Monats“, unterstützte ihn der Kapitän, der das Rapportbuch zur Hand genommen hatte. Er hielt es sich vor das Gesicht, um ein leichtes Gähnen zu vertuschen. „Auf dem Infrarotschirm tauchten zwei große Herde auf, die rasch erloschen – ja, und dann danach – nach einigen – vielleicht dreißig oder vierzig Sekunden – vielleicht auch länger – tauchten unterhalb weitere kleinere Punkte auf – eine ganze Menge – einige stärker, einige schwächer… Aber danach setzten sie sich merklich schwächer fort…“ „Aha“, sagte der Kapitän amüsiert. Sjemkin hatte sich herumgedreht; zuerst belustigt, dann aufmerksamer, verfolgte er den Disput. Da der Kapitän nichts sagte, warf er ein: „Und Radar?“ „Tja, Radar“, es fiel Komrow sichtbar schwer, sich auf Einzelheiten zu besinnen, „auf dem Schirm war alles zu erkennen – Strach, Iwan hat ihn beobachtet. – Nur die schwächeren Punkte, nach dem intensiven Leuchten der kleinen, waren mit Radar nicht zu sehen.“ „Ach, Komrow“, ein schalkhaftes Lachen spielte um die Augen des Kapitäns, „Ihr Bericht – ich meine Ihre Art zu berichten ist wirklich nicht ganz gewöhnlich.“ Er wandte sich an den Ersten Offizier: „Haben Sie das alles verstanden, dort verschwunden, hier aufgetaucht, da soll einer schlau werden. – Wissen Sie was, Sergeant, schreiben Sie mir das alles mal verständlich und kurz auf. Sozusagen zur Auffrischung.“ „Zu Befehl!“ Komrow machte zwei Wendungen und ging, sichtlich froh, weiteren Fragen zu entrinnen. „Was halten Sie von der Geschichte, Pawel Nikolajewitsch?“ „Der Mann hat nicht unrecht, nicht ganz gewöhnlich der Vorfall.“
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„Was sollten wir tun?“ „Erst mal den Bericht abwarten, Genosse Kapitän. Danach könnten wir uns ja mal die Bänder ansehen – sozusagen als Freizeitgestaltung –, vielleicht können wir den Astronomen ein Kuriosum bieten.“ Nur eine Stunde nach diesem Gespräch brachte Komrow den Bericht. Er hatte ihn auch von Strach unterzeichnen lassen und auch dessen Erinnerungen noch mit einflechten können. Der Kapitän rief den Ersten Offizier zu sich, und beide berieten das Vorgefallene, immer noch das Ganze als eine unbedeutende, aber willkommene Abwechslung im täglichen Einerlei ansehend. Sie kamen zu folgendem Bild: Am besagten Abend, gegen 20.50 Uhr Ortszeit, leuchteten gleichzeitig der Infrarot- und der Radarschirm der Luftabsuchgeräte auf. Beide zeigten die gleichen Leuchtpunkte. Die Intensität am Infrarotempfänger ergab, daß eine außergewöhnliche Wärmestrahlung von den Körpern ausgehen mußte – eine Tatsache, die bei einem verglühenden Meteoriten nicht weiter verwunderlich ist. Aber schon im zweiten Abschnitt des Berichtes tauchten Widersprüche auf. Offenbar hatte das Gedächtnis der beiden Funker hier Lücken. Immerhin war ein knapper Monat verstrichen, seit sie die Beobachtungen machten. „Wissen Sie was, Pawel Nikolajewitsch“, entschied der Kapitän, „nach dem Abendessen gehen wir in die Station und schauen uns den Zauber einmal an.“ Das Erscheinen des Kapitäns mit dem Ersten Offizier in der Beobachtungsstation löste Erstaunen aus. „Behalten Sie Platz, Genossen“, sagte der Kapitän, „lassen Sie sich nicht stören.“ Die beiden Wachhabenden starrten intensiv auf die leeren Schirme, ab und zu einen Seitenblick auf die zwei Besucher
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werfend, die sich an den automatischen Registraturen der Geräte zu schaffen machten. Der Erste Offizier löste den Deckel, entnahm dem Behälter das Magnetband, machte auf einer neuen Spule einige Bandeintragungen und legte diese anstelle der entnommenen ein. Den gleichen Vorgang wiederholte er an der Registratur des Radargerätes. Sie gingen mit den beiden Spulen in den Nebenraum, ließen zwei Vorführgeräte anlaufen und setzten sich gemütlich – wie Leute, die nun etwas zu ihrer Unterhaltung geboten bekommen sollen – in die Sessel. Als die Lampe erlosch, ließ der Erste Offizier beide Geräte anlaufen. Auf beiden Bildschirme n erschien das gleiche Datum, danach das Datum des folgenden Tages und so fort. Die Reihenfolge wurde nur selten unterbrochen durch kleine Pünktchen, Flugzeuge, die, weitab vom damaligen Standort des Schiffes, außerhalb der Gefahrenzone ihren Kurs flogen. „Lassen Sie vorlaufen“, sagte der Kapitän. Die Daten wechselten in rascher Folge, schließlich zeigten beide Schirme den genannten 18. Und da sich an diesem Tage nichts weiter ereignet hatte, erschienen die beiden Leuchtpunkte sofort nach der Datumsanzeige. Beide Schirme begannen mit der Zeitangabe 20.51.23 Uhr. Rasch rannen die Sekunden. Das Band des Infrarotempfängers gab die Lichtpunkte wieder, daß es beinahe in den Augen schmerzte. „Halten Sie an“, rief der Kapitän plötzlich. „Sehen Sie, die fallen nicht gleichmäßig; der eine Teil bewegt sich im flachen Bogen, der andere fällt fast senkrecht.“ Der Kapitän war an den Bildschirm getreten und demo nstrierte seine Beobachtung. Sjemkin ließ das Band zurücklaufen. „Mir war so, als ob ich auf meinem Schirm vorher noch etwas gesehen hätte“, sagte er. „Bitte, lassen Sie es langsamer ablaufen“, sagte ein wenig erregt der Kapitän. Wieder erschien das Datum.
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„Da, ich hatte recht“, rief Sjemkin, „es war erst einer, sehen Sie nur.“ Er hatte das Band angehalten. Zwar schwach, aber eindeutig zeichnete sich ein Fleck ab. Sjemkin schaltete auf langsamste Geschwindigkeit. Der Fleck bewegte sich und teilte sich plötzlich. Erst danach leuchtete auch der Schirm des Kapitäns auf. Jetzt zeigte der Radarschirm die Zeitangabe. Offenbar hatte die Intensität der ersten Aufzeichnungen nicht ausgereicht, den Zeitgeber zuzuschalten. Erregung hatte die beiden gepackt. Sie wurden Zeugen eines kosmischen Ereignisses, Zeugen, wie ein großer Meteor in die Erdatmosphäre eindrang, platzte, verglühte.
„… die beiden Teilstücke fielen ungleichmäßig. Und danach begann das Merkwürdige.“ Der Kapitän lehnte sich in den Sessel zurück und ließ sich erneut von der Erregung packen, die gestern die Entdeckung an den Bildschirmen ausgelöst hatte. Ein Rätsel, hatten sie sich immer wieder gesagt. Eine Unzulänglichkeit der Apparatur – oder vielleicht eine kosmische Erscheinung, noch unerforscht? Na, wir werden sehen, sollen sich die Astronomen streiten. Er wandte sich erneut seinem Bericht zu. „Die zwei Teile verschwanden auf beiden Schirmen. Durchaus verständlich. Aber schon vor dem Verlöschen zeigte der Radarschirm eine Reihe kleiner Punkte, wieviel, ist nicht ohne weiteres zu zählen. Der Infrarotschirm zeigt diese Punkte nicht! – Also sendeten diese Teile keine Wärmestrahlen aus. Die neuen Punkte fielen schnell nach unten. Plötzlich leuchteten sie auch wieder auf dem Infrarotschirm auf, erreichten ein Strahlenmaximum, um sich dann in kaum wahrnehmbaren winzigen Punkten langsam weiter zu bewegen. Wir kommen zu folgender Einschätzung:
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Ein großer, länglicher Meteor dringt in die Erdatmosphäre ein und zerfällt in zwei Teilstücke. Die Teile verglühen, aber vorher lösen sich kleinere Stücke davon ab, von denen wiederum ein Teil verbrennt, während etwa die gleiche Anzahl, verhältnismäßig kalt, wahrscheinlich auf die Erde prallt. – Allerdings mit unerheblicher Geschwindigkeit, soweit sich der Vorgang verfolgen ließ. Der Ort des Niedergangs der Meteoriten kann nach der bisherigen Auswertung nur sehr ungenau angegeben werden. Die mutmaßlichen Koordinaten des Aufschlages: 74° 20’ westlicher Länge und 01° 50’ südlicher Breite. Das Bandmaterial liegt dem Bericht bei.“ „So“, brummte der Kapitän, als er den Bericht noch einmal durchgelesen hatte, „gerade kein Meisterwerk der Klarheit. Aber schließlich bin ich kein Astronom – sollen die sich damit rumschlagen.“ Ich werde noch eine Partie Schach mit dem Doktor spielen, überlegte er. Vielleicht hat er auch Lust auf ein Gläschen. Bald sind wir in Wladiwostok – wir werden ja von unseren sonderbaren Meteoriten hören. Er brannte sich eine Zigarre an und verließ seine Kajüte. Tags darauf mußte der Kapitän seinen Bericht noch um einen kleinen Absatz ergänzen. Der Meteoritenfall hatte sich herumgesprochen. Gleich früh meldete sich der Maschinist Pjotr Iwanowitsch Oglobin und erzählte, er hätte den Meteoritenfall mit bloßem Auge beobachtet. Im großen und ganzen deckten sich seine Aussagen mit den Aufnahmen des Infrarotgerätes. Der Kapitän dankte Oglobin für die Meldung, war etwas ärgerlich, daß er die Angaben unten an den Bericht noch anhängen mußte, konnte sich aber nicht entschließen, den gesamten Bericht noch einmal zu schreiben, und tröstete sich mit dem Gedanken, daß über den Vorfall ohnehin noch mindestens ein Bericht angefertigt werden mußte – aber nicht von ihm…
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6 Was für ein Rauschen und Dröhnen – was ist mit meinem Kopf? Das kreist und saust – diese Feuerräder. Mangk, Mangk – was ist mit dir? Langsam – langsam. Der Schädel. Was war – wo bin ich? Oh, verdammt, die Landung, der Planet. Ich bin auf dem Planeten. Ich war ohnmächtig. Was ist passiert? Der Schirm ging nicht auf. Im letzten Moment die Lastkabine, der zu schnelle Flug – die Kabine abgeschnitten, zu spät. Aufprall, Klirren, Nacht. Bin ich heil? Der rechte Arm geht, links offenbar Prellung. Ich muß die Augen aufmachen – muß schauen. Finster? Was für ein modriger Geruch und der Lärm. Dieses Zittern – Mangk, du hast Angst. Die achte, nein siebte Raumfahrt und jetzt Angst. Aber was soll denn werden? Ich bin erledigt – das Helmfenster – das Fenster ist offen, ich darf den Kopf nicht heben. Mein Sauerstoff – ist er noch da? Und mein Funkgerät – die Kameraden! „Hallo, Chalo, Min, Borl, wo seid ihr?“ Sinnlos – die Kontrollampe brennt nicht. Hier war der Strahler. Wo ist denn der Strahler, der Scheinwerfer? Weg, alles weg, alles weg, auch der Akkumulator! Das Gestrüpp hat ihn aus der Halterung gerissen. Aber ich muß das doch haben – ich muß, ich will leben! Lonti – liebe Lonti, du wirst traurig sein – was du immer befürchtet hast, ist eingetroffen: Ich komme nicht zurück. Die Pläne – ich muß sie sichern. Ich kann nicht einfach so liegen, bis es zu Ende ist.
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Ruhig muß ich werden, ganz ruhig. Wenn nur der Schädel nicht so schmerzte. Irgend etwas drückt mich im Gesicht. Es hat das Fenster aufgerissen. Ich atme ja die Planetenluft. Also giftig ist die Atmosphäre nicht. Aber es kann noch kommen. Vielleicht habe ich noch ein paar Stunden. Ich muß die Pläne sichern – aufzeichnen, was mir zugestoßen ist. Einmal wird mich jemand finden. Zu Haus wird man erfahren, wo Mangk geblieben ist, einmal werden sie es erfahren. Der Strahler ist weg – der Scheinwerfer. So ein Hohn – ausgerechnet die Harpune ist da. Immerhin ein Schuß. Der Arm ist vorläufig nicht zu gebrauchen. Nun, zu tragen habe ich nichts, das Stehen geht – wenn der Kopf nicht so brummte, wäre beinahe alles in Ordnung. Vielleicht liegt hier noch etwas, was mir gehört – dazu brauche ich Licht. Ich muß hierbleiben, bis die Sonne aufgeht. Was bedeuten wohl die Schreie, so schmerzlich laut in der drückenden Stille. Tiere? Vielleicht gefährliche Tiere? Ah, Sterne da oben – Sterne. Von einem komme ich. Ich grüße dich, Lonti – der helle, gelbe da –, vielleicht sehen wir ihn von zu Hause auch, vielleicht siehst du ihn jetzt. Ich verspreche dir, Lonti, ich will leben, leben. Ich bin es dir, den Kindern unserer Heimat schuldig – ich will nicht aufgeben. Es wird heller! Eingenickt war ich, und ich lebe noch. Die Luft ist atembar. Große Pflanzen, ein Dickicht, Gewirr und ich mittendrin, allein. Die Lastkabine ist bestimmt geborsten oder in den Boden eingedrungen. Auf alle Fälle ist ihr Sender auch verstummt, das hält er nicht aus. Die Gefährten hätten sonst die Kabine angepeilt, sie kann nicht weit von hier sein. Aber selbst wenn sie sich nähern, finden sie mich nicht. Es wäre ein Zufall. Was ist das überhaupt für ein Lärm? Es wimmelt hier von
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Leben. Und wie das glitzert – die Sonne muß schon aufgegangen sein. Da, ein Strahl – demnach steht sie dort. Wohin soll ich nun gehen? Vielleicht finde ich den Akku? Warum habe ich nicht eher daran gedacht! Der verdammte Arm. – Ja, die Kontaktplättchen abgerissen. – Man sollte ihn künftig im Innern des Anzugs unterbringen – auch wenn das Auswechseln noch so umständlich wird. Sinnlos, die kleine Zelle hier zu suchen. Was hat Chalo gesagt: Und wenn nur einer lebend landet – er muß alles versuchen! Und wenn ich nun dieser eine bin? Ich kann es nicht glauben, aber ich werde so handeln! Bloß – wohin soll ich gehen? – Gehen! Kriechen, mich zwängen. Überall die gleiche grüne Mauer. Die eiserne Ration ist da. Wenn ich sie sehr einteile, kann ich fünf Tage davon essen. Noch einmal so lange könnte ich am Leben bleiben. Aber die Tiere, die müssen doch auch leben. Ich werde mich ‘Hoffnung’ anvertrauen – ich atme schon fünf Zeitgrade seine Luft und lebe. Aber wohin soll ich gehen? Zum Sonnenaufgang? Da, der Stamm. Er ist auf der einen Seite bewachsen, also kommen die Niederschläge von dort. Dort muß etwas sein, das sie bildet: ein großes Wasser, ein Meer oder Erhebungen, ein Gebirge, an dem die Luft nach oben steigt und abgekühlt wird. Dorthin muß ich. Ob Wasser oder Berge – dort hört die Wirrnis auf. Also dem Sonnenuntergang entgegen.
Tiere, Pflanzen, Pflanzen, Tiere, noch nie gesehene oder schon seit drei Tagen bekannte. Mangk hatte für neuauftauchende Lebensformen kaum noch Interesse. Er beachtete sie nur so lange, bis er herausfand, ob sie ihm gefährlich werden konnten. Sein Streben war nach vorn gerichtet, die spärlich durch das
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Dickicht dringenden Sonnenstrahlen zeigten ihm die Richtung. Wie eine programmgesteuerte Maschine: dicken Stämmen ausweichen, dünne Äste, Ranken, Wurzeln, Blätter zur Seite drücken, sich hindurchzwängen, den nächsten Stämmen ausweichen, dünne Äste, Wurzeln, Ranken, Blätter zur Seite drücken, sich hindurchzwängen, wieder und wieder. Dazwischen kaum eine Körperlänge Sicht. Immer ruhten die Augen auf Grün, Grün, ab und zu farbige Tupfen und wieder Grün. Dazu die stickige, drückende Wärme, feucht, beklemmend. Mehrmals beschloß Mangk, sich von seinem lästigen, undichten Skaphander zu trennen. Ebensooft verwarf er den Gedanken wieder. Myriaden von summenden, brummenden, geflügelten Lebewesen umschwirrten ihn, Dornen hakten nach ihm, Zweige spießten, kriechende Tiere stachen. Die Luftflaschen, das zerbrochene Funkgerät und alles andere Unnutze hatte er zurückgelassen – nicht, ohne es sorgfältig zu verbergen. Immer mehr quälte ihn ein Gedanke: Was geschieht mit den Raumschiffplänen, wenn ich liegenbleibe? Und wenn ich allein durchkomme? Wenn Chalo, der die einzige Kopie hat, nicht mehr lebt? Wenn ich auf vernünftige Wesen stoße – eine Chance, die Heimat wiederzusehen. Ich habe noch etwa sechzig dieser Planetenjahre zu leben. Vielleicht aber nur noch ebenso viele Tage. Die Pläne des interstellaren Raumschiffes J 2 wurden seine fixe Idee. Immer wieder überzeugte er sich von ihrem Vorhandensein. Die Pläne waren Rettung und waren sein Motor, der ihn unaufhaltsam durch das Dickicht trieb. Sie peitschten ihn hoch von den kurzen Rasten, die er sich gönnte, sie gaben Kraft, wenn er meinte, vor Kopfschmerzen aufgeben zu müssen, sie rissen ihn fort, wenn er, von Hitze und Hunger erschöpft, niederzustürzen drohte, sie verdrängten jeden tieferen Gedanken, sie gaben ihm die Wut, die allein ihn durch
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das Chaos zu treiben vermochte. Wie aus weiter, weiter Ferne zogen die Frau, die Kinder, die Freunde und Gefährten in Gedanken vorbei, wirre, ungeordnete Gedanken. Immer seltener mahnte die Vernunft, langsamer, überlegter zu handeln, immer mechanischer wurden die Bewegungen – ein Stamm, dünnes Geäst – Ranken zur Seite – blechernes Schaben – der nächste Schritt, der nächste Stamm. Immer weniger oft meldete der Verstand die Richtung, immer unregelmäßiger wurde der Rhythmus. Er blieb liegen, wo er erschöpft zusammenbrach, schlief, bis der nahe Schrei eines Tieres ihn weckte, taumelte auf. Die Tiere flüchteten vor ihm. Einmal verfolgte ihn eine Herde hoch im Geäst – unter lautem Kreischen warfen sie Früchte nach ihm. Nur entfernt kam Mangk der Gedanke, daß es hochentwickelte Tiere sein müßten, die Gegenstände zum Werfen verwenden. Bunte geflügelte Tiere stießen erschreckt schreiend empor, andere gaukelten lautlos vor ihm her, glucksende, girrende Schreie ringsum. Nur das Schaben des Raumanzuges störte mißtönend die überquellenden Lebensäußerungen. Mangk lehnte an einem Stamm am Rande einer winzigen Lichtung. Er setzte sich. Ein dicker Wurm kroch über die ausgestreckten Beine. Am ersten Tage hätte er ihn erschreckt abgeschüttelt. Gleichgültig ließ er es jetzt geschehen. Schwarze, mehrgliedrige Tierchen folgten. Der zweite Tag ohne Nahrung – also schon sieben Tage unterwegs! Und was siehst du, Mangk? Grün, Grün und immer noch das gleiche Gewirr – nichts hat sich geändert. Ich wunderte mich nicht, wenn ich plötzlich den roten Schirm der Lastkabine im Geäst über mir sähe und im Kreise gelaufen wäre. Es kann nicht mehr lange dauern, ich werde die Pläne vernichten – ja, das wird das beste sein. Und wenn ich vernunftbegabten Wesen helfen könnte damit?
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Ach, was muß das für ein Zufall sein, mich hier zu finden. Und wenn – wer weiß, ob sie sie lesen könnten und was ihnen zur Verwirklichung noch alles fehlt. Und wer weiß, was es für Wesen sind, was sie damit machten. Halt, was ist das? Mangk starrte auf die andere Seite der Lichtung. Ein Fels, hier? Und so regelmäßig? Mißtrauisch, hellwach trat er näher. Umwuchert von Ranken und Dornen stand er da. Kein Zweifel, ein Stein, ein Quader. Alle Erschöpfung war von Mangk gewichen. Er starrte auf den Stein, und nur ganz langsam wurde er sich der Bedeutung des Fundes bewußt. Berge, Berge müssen nicht weit sein – und wie kommt dieser glatte, eckige Stein hierher? Und wer hat seine Kanten genau senkrecht eingerichtet? Zufall? Es ist doch kein Kristall – das würde die Regelmäßigkeit erklären –, die Punkte und Färbungen bedeuten doch ein Gestein, ein Mineralgemisch. Erregt drang Mangk in das Dickicht ein, um auch die verdeckten Seiten des Quaders zu betrachten. Ungeduldig riß er Ranken und Zweige zur Seite und erstarrte. Siedendheiß durchlief es ihn. Deutlich hoben sich Zeichen und Figuren ab, die, roh in den Stein gemeißelt, alles Überwuchern und jeden Wettereinfluß überstanden hatten. Mangk starrte auf den Stein. Zwei Möglichkeiten: Entweder hiesige Lebewesen haben diesen Stein gesetzt und vor Jahren den Platz wieder verlassen – aber wozu? Wozu sollten sie hier einen Stein setzen – nur einen Stein? Oder fremde Weltraumfahrer waren hier – so wie ich – und haben für andere ein Zeichen hinterlassen. Von seinem ersten Gedanken gefangen, sah sich Mangk um. Grüne Mauern. In der gewohnten dichten Unregelmäßigkeit standen die Stämme und Stämmchen kurz vor ihm. Nur an einer Stelle, überwachsen von Buschwerk, schien es lichter. Mangk ging darauf zu, zwängte sich durch das Gestrüpp. Dort – dort, die Platte!
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Mit einem schnellen Schritt hatte Mangk sie erreicht. Aus dem Mulm des Bodens hob sich, zerbrochen auf einer dicken Wurzel aufliegend, eine Gesteinsplatte ab. Mit den Händen kratzte er sie frei. Sie stieß an andere Platten, die unter vermoderten Pflanzen lagen. Ein befestigter Weg! Mangk ließ von den Platten ab. Er ging schnell, so schnell es das Gestrüpp erlaubte, der weniger bewachsenen Schneise nach. Es zeichnete sich abermals eine Lichtung ab. Mit einem Ruf des Erstaunens blieb er stehen. Aus ähnlichen Steinen türmten sich vor ihm riesige Stufen auf, bewachsen und zersprengt von großen und kleinen Pflanzen, aber erstaunlich regelmäßig und unverkennbar das Werk vernunftbegabter Wesen. Die Steine lagen so dicht aneinander, daß kein Blatt dazwischen paßte. Mangk überschritt ein wallähnliches Bauwerk und befand sich auf einem Platz, der, übersät mit Gesteinstrümmern und verkrüppelten Pflanzen, ein Bild des Verfalls bot. Der äußere Wall schien ringsherum zu führen. Plötzlich gewahrte Mangk unter einer Pflanzengruppe einen schwarzen Fleck. Schwarze und graue Stückchen lagen auf einem flachen Haufen zwischen ebenso gefärbtem Pulver. Ein Gedanke durchfuhr Mangk. Er griff in den Haufen und roch an der Substanz. Kein Zweifel: Er erinnerte sich an das heftige Gewitter, das ihn am vierten Tag der Wanderung plötzlich überraschte, und er sah deutlich den gestürzten Pflanzenriesen vor sich, den ein Blitz getroffen hatte, und er erinnerte sich der kleinen Flämmchen, die zwar bald erloschen, die aber ebensolche Substanz zurückließen und gleichartig rochen. Hier hatte also ein Feuer gebrannt. Wie war es entstanden? Erneut sah sich Mangk um. Die zwischen den Gesteinstrümmern wachsenden Halme waren stellenweise abgeknickt und zertrampelt. Die Form der Feuerstätte war fast kreisrund,
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die Anordnung der nicht ganz verbrannten Pflanzenteile sternförmig. Kein Zweifel: Hier war irgend jemand und hatte ein Feuer. Was mache ich jetzt? Hier waren vernunftbegabte Wesen – es kann noch nicht lange her sein. Verzweifelt sah sich Mangk um. Die Steinwälle schwiegen, von den Wipfeln jenseits der Lichtung klangen Schreie von Tieren wie Hohn. Werden sie wiederkommen? Trostlosigkeit überfiel Mangk. Die Spannung, die ihn aufgerüttelt hatte, verflog, gleichzeitig packte ihn wieder die gleichgültige Erschöpfung der letzten Tage. Er raffte sich auf. Ihnen nachgehen, ihnen nach! Sie müssen einen Weg haben! Doch sosehr er auch suchte, auf dem steinernen Wall fanden sich keine Spuren. Mit Mühe, von der Müdigkeit fast übermannt, fertigte Mangk eine Skizze der seltsamen Bauwerke. Er ging zum Stein zurück und begann die Zeichen und Figuren abzuzeichnen. Es wurde immer dunkler, die Sonne sank. Plötzlich horchte er auf. Er saß über seiner Skizze – es war noch dunkler geworden. War ich eingeschlafen? Aber was war das, das war doch ein Laut, ein anderer…? Müde stand er auf und lauschte. Wieder empfand er den starken Kopfschmerz. Da war es wieder: Ein Geräusch, ein anderer Ruf als die, die täglich zu hören waren. Mangk lauschte angespannt. Ein Schlagen und Rascheln mischte sich in die Tierlaute. Es kam aus der Richtung, aus der auch er vor einiger Zeit kam. Er sah zum Chronometer. Ja, fast zwei Zeitgrade habe ich mich hier aufgehalten. Das Geräusch kam näher. Unschlüssig stand Mangk und
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blickte über die Lichtung. Wieder ein kurzer Ruf, diesmal deutlicher. Plötzlich tauchte an der Stelle, von der aus Mangk zum erstenmal den Stein sah, eine hohe Gestalt auf, im Licht der untergehenden Sonne rötlich glänzend. Mangk unterdrückte einen Schrei. Die Gestalt hielt sich aufrecht, spähte, und – kein Zweifel – sie hatte in jeder der oberen Gliedmaßen einen Gegenstand. Der eine blitzte wie metallen in den letzten Sonnenstrahlen. Das Wesen trat zur Seite. Gleich darauf traten zwei weitere, ähnliche, auf die Lichtung. Sie schleppten zwischen sich ein rotes Bündel. Das ist doch…. durchfuhr es Mangk. Unwillkürlich machte er eine heftige Bewegung. Die Harpune stieß an den Stein. Ein häßliches Geräusch drang durch die Dämmerung. Wie vom Dickicht verschluckt, waren die drei Gestalten verschwunden. Das sind sie, das sind sie, also doch! Doch vernünftige Wesen hier. Sie werden mir helfen, ich werde gerettet, sie werden mich verstehen! Was mache ich jetzt? Ob ich sofort Kontakt aufnehme? Mangk wurde von einem Glückstaumel erfaßt. Er rannte auf die Lichtung hinaus und fuchtelte freudig um sich; er schrie und gestikulierte. Plötzlich blieb er stehen. Was mache ich denn? Habe ich vergessen, was Chalo immer wieder sagte, was oberstes Gesetz sein muß: Vorsicht und nochmals Vorsicht! Ach, Mangk, mit dir ist nicht mehr viel los. Aber jetzt ist es zu spät. Sie müssen mich gesehen haben. Außerdem sind sie genau aus der Richtung gekommen, aus der auch ich kam. Was schleppen sie Rotes mit sich herum? Den Fallschirm der Lastkabine? Sie sind hinter mir her – schon die ganze Zeit, sie sind mir gefolgt. Aber vielleicht haben sie keine bösen Absichten, nein, warum sollten sie? Zögernd ging Mangk wieder ein paar Schritte vor und blieb
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unschlüssig stehen. Nichts rührte sich. Unsicher sah er sich um. Ihn beschlich das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden. Sosehr er sich auch anstrengte, er konnte niemanden sehen. „Wo seid ihr? Kommt doch heraus!“ schrie Mangk. Nichts, nichts – nur die Laute der Tiere ringsum. Mangk nahm den Helm des Skaphanders ab, rief seinen Namen und spreizte die Arme ab, um zu zeigen, daß er keinerlei Waffen trug. Seine Stimme verschluckte das Gestrüpp. Sie mischte sich in die anderen Laute der Dämmerung. Langsam breitete sich Mutlosigkeit über Mangk. Er ließ die Arme sinken, blickte sich noch einige Male niedergeschlagen um, ergriff den Helm und ging schleppenden Schrittes, ohne sich noch einmal zu wenden, zu dem Stein zurück. Langsam stieg er über den Wall und setzte sich unweit der Feuerstelle an einen Stamm. Für immer verschollen, Mangk, erfahrener Weltraumfahrer. So wird es in der Chronik lauten. Sein Blick glitt über die schwarzen Wipfel; am schmutzighellen Himmel ließen sich die ersten Sterne ahnen. Mangk schloß die Augen. Seine Frau, die Kinder, der Abschied von der Heimat mit herber Gefaßtheit. – Und plötzlich sah er die Gefährten vor sich, wie sie gleich ihm in diesem Gestrüpp, diesem Pflanzenchaos landen, wie sie sich finden, beraten und einen Weg einschlagen. Sie werden den Strahler verwenden, überlegte Mangk, Chalo wird ruhig und sicher die Gruppe führen. Was wird die kleine, unerfahrene Surki machen? Wenn sie durchkommen, ist sie danach ein ganzer Kerl, ein Raumfahrer wie kaum einer. Sie werden durchkommen! Wie wird Kark die mißliche Lage ertragen? Mangk lehnte den Kopf an den Stamm. Er sah Kark, jung, draufgängerisch. Keiner von uns sechs kennt ihn so wie ich,
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dachte er. Wird er sich bewähren? – Der Gedanke an Kark beschwor in Mangk jene Erinnerung herauf, eine Erinnerung, die unausgesprochen dann zwischen Mangk und Kark stand, wenn Parallelen zu jenem Ereignis auftraten. Mangk erlebte wieder, wie er vergeblich vom Steuerpult des interplanetaren Schiffes Kark befahl, wegen eines aufkomme nden Ionensturms umzukehren – damals, auf der Parkbahn um den 11. Planeten des Heimatsystems. Kark hatte ihn noch gehört, trotzdem kehrte er nicht um. Er wollte als erster den 11. Planeten betreten. Die Verbindung riß ab. Kark ging auf der Suche nach einem Landeplatz immer tiefer, wollte die Wolken durchstoßen. Er kannte die Schallausbreitung nicht, erreichte die kritische Geschwindigkeit eher als erwartet, der Auftrieb der Maschine änderte sich, und er konnte sie aus dem Tiefflug heraus nicht mehr abfangen. Mangk sah wieder die staubige Ebene, in der sie ihn nach Tagen in dem beschädigten Landeschiff fanden, sah das von Kark in einem Anfall von Depression zerschlagene Funkgerät und sah Kark selbst, apathisch, den Tod erwartend, ohne Energie, ohne Lebenswillen. Und er sah ihn vor der Kommission, obenauf, den Vorfall bagatellisierend und mit wenig Verständnis für die Bestrafung. Das ist lange her, dachte Mangk. Er strich sich müde über das Gesicht. Er ist ein ausgezeichneter Fachmann, und er ist älter geworden – außerdem sind diesmal junge Leute um ihn: Surki, Min, Borl. Langsam, zögernd öffnete Mangk die Augen. Da – was war das? Obgleich fast dunkel, war es deutlich: Ein Gesicht zwischen dünnem Gestrüpp in einer Lücke des Walls. Bruchteile von Sekunden, bis es verschwand, aber es war da. Und wie zur Bestätigung, daß es keine Halluzination war, knackte aus der gleichen Richtung ein Zweig. Mangk sprang auf. Er zwang sich zur Ruhe. Aufmerksam spähte er über den Wall.
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Warum kommen sie nicht hervor, dachte er. Sie sehen, daß ich wehrlos bin. Langsam nahm er seinen Helm auf und ging auf die Stelle zu, an der das Gesicht aufgetaucht war, darauf bedacht, keine hastige Bewegung zu machen. Schritt für Schritt erklomm er den Wall, immer das Gestrüpp im Auge. Er erreichte die Krone, verharrte kurze Zeit, setzte den linken Fuß vor, um auf der anderen Seite hinabzusteigen. Unverwandt starrte er auf das Gesträuch. Er fühlte den Stein unter seinem Fuß, verlagerte das Körpergewicht, und da gab es unter ihm nach. Er riß haltsuchend die Arme zur Seite, hörte deutlich, wie sein Helm scheppernd davonsprang, dann schlug sein Hinterkopf auf die Kante der oberen Stufe. Er fühlte einen heftigen Schmerz und dachte, soll das das Ende sein? Verzeiht, Freunde, dachte er, verzeih, Lonti – ich habe es versucht. Dann wurde es Nacht um ihn.
7 Der neue Tag brach an. Unmerklich verblaßten die Sterne, als ob sie nur widerwillig dem fahlen Lichtstreifen, der vom Osten her über die Lichtung aufzog, wichen. Die Wipfel der riesigen Pflanzen hoben sich vom heller werdenden Himmel immer mehr ab. Das Lärmen ringsum, das während der Nacht fast völlig verstummt war, klang wieder auf, aber anders, freundlicher, beinahe jubilierend. Auch häßlich-laute, krächzende Schreie, tausendfältig, schienen Grüße an den neuen Tag zu sein. In den Wipfeln regte es sich. Dunkle silhouettenhafte Körper huschten: hie und da brach ein Zweig. Es wurde schnell heller. Plötzlich durchbrach ein schräger
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Strahl gleißend die Wirrnis, verfing sich im Buschwerk und blieb als weißlicher, von dem sachten Wogen der Zweige modulierter Lichtbalken starr stehen. Dort, wo er auftrat, entstand ein millionenpunktiges weißes Glitzern und Funkeln, gleichsam die Wiedergeburt des Lichts festlich schmückend. Der Boden dampfte. Durchscheinende Schleierschwaden leiteten vom Dämmerlicht zum Dunkel des Dickichts über. Dort wird es wohl nie ganz hell werden, dachte Min. Sie lag mit den anderen am Rande der Lichtung und beobachtete mit wachen Augen das Tagwerden. Neben ihr lag Surki noch im tiefen Schlaf. Im Laufe der Nacht hatten sich alle zusammengefunden. Sechs der sieben, von Mangk fehlte bisher jede Spur. Wie ein Schatten legte sich sein Schweigen auf die Wiedersehensfreude. Die Sorge um Mangk überlagerte den Verlust der Lastkabine. Bald war der Lagerplatz lichtdurchflutet. Min empfand selbst im Skaphander die wärmende Kraft der Strahlen. Sie sehnte sich nach Wärme. Am liebsten hätte sie den schweren Anzug von sich geworfen, um die bleiernen Glieder voll der Sonnenwärme auszusetzen. Rilt stöhnte. Sie hatte sich beim Aufprall eine Stauchung zugezogen, hatte Chalo, als sie ihn traf, nichts davon gesagt und sich verbissen zum Lagerplatz geschleppt. Auch der Kommandant und Rilt hatten die Strahler benutzt, um voranzukommen. Min hatte noch in der Nacht ihre Beobachtung mitgeteilt. Ein kleines Experiment bestätigte: Die Pflanzen bestanden aus kohlenstoffhaltiger Substanz. Der Sauerstoff der Atmosphäre reichte aus, um diese Substanz zu verbrennen. Begeistert hatten die sechs diese Tatsache aufgenommen. Heute sollte eine Analyse klären, ob für die Atmung genügend Sauerstoff vorhanden und ob die Luft frei von schädlichen Gasen und Mikroben war. Vielleicht konnte dann wenigstens zeitweise der
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Skaphander abgelegt werden. Min blickte nach oben in Tausende von glitzernden Wassertröpfchen, die im Gestrüpp über ihr hingen. Welcher Reichtum! Soviel Wasser in der Atmosphäre – das bedeutet üppiges, vielfältiges Leben. Wie reich mußten die Primaten dieses Planeten sein! Dieses Wuchern mußte zur vollen, unbeschwerten Entfaltung aller schöpferischen Kräfte führen. Min wußte aus der Schule, daß in der Vorgeschichte ihrer Heimat selbst um unfruchtbare, öde Landstriche Streit entbrannt war, so lange, bis eine humanistische Weltanschauung siegte und mit moderner Technik, unter Mithilfe aller, ihre jetzige Welt aufgebaut wurde. Wieviel besser und schneller müßte es hier im Überfluß gehen. Zwei, drei – eine Schar kleiner, zart zirpender Bällchen schwirrte über Min. Sie wechselten ihren Standort so schnell, daß sie mit den Augen kaum verfolgbar waren. Plötzlich hatte Min das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie blickte zu Borl, der Wache hatte. Er starrte ins Dickicht, offenbar war er mit seinen Gedanken weit weg. Ein Knurren ließ sie den Kopf wenden. Da war es! Aus einem furchterweckenden Gesicht mit entblößten, bösartig gefletschten Reißzähnen richteten sich zwei gelbe Augen auf Min. Ihr fiel das Gesicht ein, das sie einen Augenblick während der Landung sah. Das hier war anders, gefährlicher, drohender. Das Wesen zog rings um das Maul die Haut faltig, dabei sträubten sich die langen, seitwärts stehenden Borsten. Wieder ließ es ein dumpfes Knurren vernehmen. Plötzlich tanzten vor dem vorderen Beinpaar des ungebetenen Gastes Flämmchen auf. Das muß Borl mit dem Strahler sein, stellte Min erleichtert fest. Ein urwüchsiges Aufjaulen ließ sie dennoch zusammenfahren. Die Gefährten schreckten hoch. Offenbar hatte der Strahl das Wesen berührt. Mit einem
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mächtigen Satz rettete es sich ins Gestrüpp. „Borl, was machst du da!“ schrie Chalo. Mit ein paar Schritten war er bei ihm und schlug ihm den Strahler aus der Hand. „Weißt du denn, was das gewesen sein kann?“ Borl blickte etwas beschämt zu Boden. „Es sah so gefährlich aus, so groß und in unmittelbarer Nähe von Min. – Ich wollte es auch nicht verletzen. Ich muß es nur ganz unbedeutend getroffen haben.“ „Beruhigt euch“, rief Rilt, die unterdessen die Stelle absuchte, auf der das Wesen gestanden hatte. „Auf keinen Fall hatten wir es mit einem vernunftbegabten Planetenbewohner zu tun, Chalo. Falls du das annimmst, komm mal her.“ „Na ja, ich habe es auch nicht richtig gesehen, aber prinzipiell müssen wir derartige Zwischenfälle vermeiden. Es steht außer Zweifel, daß dieses Lebewesen bedeutend höherentwikkelt war als die vielen hundert Arten der hier umherschwirrenden und -kriechenden.“ Er stutzte. Die letzten Worte bezog er offenbar auf etwas, was er gerade vor sich erblickt hatte. Er stand vor einem Hügel und starrte diesen an. Er winkte. Langsam kamen die Gefährten näher. Auch Rilt ließ von ihrem Vorhaben ab und ging auf den Hügel zu. Zunächst unterschied sich dieser in nichts von vielen anderen Stellen des Waldbodens. Im Näherkommen jedoch schien es, als ob seine Begrenzungslinien nicht fixiert seien, sondern schwämmen. „Unwahrscheinlich“, flüsterte Kark, der als erster den Hügel erreichte. Ähnlich erging es den anderen. Tausende und aber Tausende Lebewesen bildeten den Hügel. Erst bei näherem Hinsehen war zu erkennen, daß noch ein Untergrund, offenbar aus Pflanzenteilen bestehend, vorhanden war. Scheinbar planlos quirlten die Tiere durcheinander. Min war begeistert. Sie versuchte mit einem Griff ein solches Tier, um es näher zu betrachten, zu fangen. Es gelang nur mit Mühe, ein einzelnes zu isolieren und hochzunehmen. So gut es ging,
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beugten sich die sechs darüber. Drei Kügelchen, nur durch eine dünne Verbindung gehalten, war alles. Eines davon schien der Kopf zu sein, es hatte Zangen und kurze, eingeknickte Taster. Aus dem zweiten wuchsen sechs vielgliedrige Beine. Das letzte Kügelchen, das größte, wies, außer daß es in einer Spitze auslief, keine Besonderheiten auf. Wütend wand sich das Tier in Mins vorsichtigem Griff. Immer wieder versuchte es, seine Zangen zu gebrauchen, dabei bog es den Hinterleib so, daß es die etwaige Bißstelle mit der Spitze berührte. Mit der Zeit bildete sich an dieser Spitze ein kleines Tröpfchen. „Das kann ein Gift sein“, konstatierte Rilt. Min setzte das Tier vorsichtig auf den Hügel. „Da!“ schrie plötzlich Surki auf. Wortlos deutete sie nach unten. Vom Boden her krochen an ihren hellen Raumanzügen Hunderte der Tiere hinan, die Skaphander dunkel färbend. Die sechs sprangen zurück, schüttelten die Tiere ab und lachten. „So was kann natürlich übel ausgehen, wenn wir den Raumanzug nicht mehr anhaben“, bemerkte Rilt. Bei näherem Betrachten löste sich das wirre Durcheinander im Hügel. Offenbar hatte jedes der kleinen Wesen eine bestimmte Aufgabe: Strahlenförmig führten Wege von dem Hügel fort. Auf ihnen herrschte reger Verkehr. Mit irgendeiner Beute beladen, die an Größe oft den eigenen Körper um das Mehrfache übertraf, kehrten die Tiere aus dem Dickicht zurück und verschwanden im Inneren des Baues. Eine gewisse Organisation war nicht abzuleugnen. „So, nun will ich euch aber meine Entdeckung vorführen“, kam Rilt auf ihr ursprüngliches Vorhaben zurück. „Hier hat das große Tier gestanden. Bitte, die Fußabdrücke.“ An mehreren Stellen waren im morgenfeuchten Boden am Rande der Lichtung Abdrücke zu sehen. Demnach hatte der Besucher vier Beine und an jedem Fuß fünf ballenartige
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Gebilde, die mit harten Bewehrungen versehen sein mußten. Aus den Dimensionen der Abdrücke bekamen die anderen einen Begriff von der Größe des Tieres. „Entschuldige, Borl, ich glaube, ich hätte auch den Strahler genommen“, wandte sich Chalo an Borl. „Im Falle eines Angriffs hätte vielleicht schon das Gewicht des Tieres ausgereicht, einen von uns trotz des Skaphanders zu erdrücken.“ „Hier ist noch etwas.“ Min stand dort, wo das Wesen im Dickicht verschwunden war. Sie hielt ein gelbes Büschel in der Hand. „Das habe ich hier von den Dornen abgelesen. Es stammt meiner Meinung nach von seiner Haut, die Farbe stimmt jedenfalls.“ Das Büschel setzte sich aus einer Vielzahl feiner Fäden zusammen, die offenbar mit Gewalt irgendwo herausgerissen waren. „Sein Kleid“, bemerkte sinnend Min. „Aber warum kann es nicht doch ein vernunftbegabtes Wesen sein?“ fragte Kark. „Es hat vier Beine, kann also wegen der geringen Entfernung der Augen vom Boden keinen größeren Bereich überblicken. Es hat ferner mächtige Reißer im Maul, außerdem Füße, die sehr wohl als Waffen zu gebrauchen sind. Guck uns an. Wir haben derartiges nicht. Wir müssen damit rechnen, daß vernünftige Wesen körperliche Funktionen durch Werkzeuge ersetzen. Im gleichen Maße dürften sich die Gliedmaßen und Muskeln verfeinern“, erklärte Min. Kark war offenbar mit der Auskunft nicht ganz zufrieden: „Und wenn hier die Entwicklung auf Grund der anderen, ich möchte sagen, besseren Lebensbedingungen ganz anders verlaufen ist, als wir uns das vorstellen?“ „Ich meine, daß bei der großen Zahl von Lebensformen hier – wir werden Jahre brauchen, um sie alle kennenzulernen – nur solche zu intelligenten werden können, die auf Grund ihrer Umweltbedingungen und der körperlichen Entwicklung dazu
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am ehesten in der Lage waren, und dazu gehört eben das, was ich dir vorhin sagte. – Aber ich denke, früher oder später werden wir es erfahren.“ Die Analyse, an der sich alle mit gespannter Aufmerksamkeit beteiligten, ergab, daß die Lufthülle des Planeten aus über 25 Prozent Sauerstoff, über 70 Prozent Stickstoff, einer geringen Menge Kohlendioxid und einem verschwindenden Bruchteil von Reingasen bestand. „Für uns zuviel Sauerstoff“, bemerkte Rilt. „Es könnte sein, daß wir ihn auf die Dauer nicht vertragen.“ „Besser zuviel als zuwenig“, warf Chalo ein. „Was mir mehr Sorgen macht, sind die Mikroben. Kannst du darüber auch etwas sagen, Surki? Oder du, Min?“ „Leider nicht“, antwortete Min, „du weißt, daß fast alle optischen Geräte, darunter auch das Mikroskop, verloren sind.“ „Dennoch“, sagte Chalo. „Wir müssen es riskieren – und zwar sofort! Rilt, lege mir bitte die Instrumentenfühler an. Wir werden hier noch eine Weile lagern, die Zeit müssen wir nützen.“ „Das stimmt“, sagte Borl und trat zwischen Chalo und Rilt, die, unschlüssig, überrascht von Chalos plötzlicher Aufforderung, von einem zum anderen sah. „Aber nicht du wirst das Experiment machen. Das ist eine Sache für einen von uns, für mich, aber nicht für den Kommandanten. Bitte, Rilt, lege mir die Fühler an.“ „Könnte nicht eine von uns Frauen?“ Min war mit dieser Frage zu der Gruppe getreten. „Ich habe zum Beispiel nicht soviel zu tragen auf dem Marsch.“ „Nicht doch, Min.“ Borl schob Min sanft beiseite und machte Anstalten, den Verschluß des Skaphanders zu lösen. „Chalo, du auf keinen Fall“, sagte Rilt. „Du bist der Kommandant und hast dich als solcher bei derartigen Versuchen zurückzuhalten. Wer es sein soll, müssen wir beschließen.“ „Kommandant war ich im Raumschiff“, sagte Chalo leise.
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„Hier wäre Min als Biologin geeigneter.“ „Unsinn“, warf Min ein. „Was nützt mir beispielsweise unsere heimatliche Biologie, wo hier Lebensformen existieren, die nicht nur von unseren verschieden, sondern auch unendlich zahlreicher sind als bei uns.“ „Lassen wir das“, sagte Kark. „Wir sind uns einig, daß Chalo das Experiment nicht macht. Es kommen nur Borl und ich in Frage.“ „Ist schon klar, Kark“, sagte Borl. „Wenn wir vernünftig überlegen, kann nur ich es sein. Ich bin derjenige von uns, der unserer Gruppe in der nächsten Zeit fachlich am wenigsten nützt. Und so ist auch unser Prinzip.“ Er blickte die Freunde an. Sie wußten, daß er recht hatte. Rilt wandte sich wortlos um und entnahm ihrem Tragebehälter die Instrumente. Borl lächelte durch die Scheibe des Helmfensters Min zu, löste mit schnellen Griffen den Helm und nahm ihn ab. Wie genießerisch sog er die Luft von ‘Hoffnung’ ein und sagte: „Es riecht aber eigenartig hier – und warm ist es. – So“, fuhr er in leichtem Tonfall fort, „was wird nun mit der Nahrung?“ „Das mußt du ja wissen“, neckte ihn Kark. Alle lächelten. Borl aß gern und gut und viel, was ihm auch anzusehen war. „Wir werden heute noch alle Vorräte sichten und rationieren. Ich nehme aber an, daß uns Surki bald angeben kann, welche von den Pflanzen genießbar sind. Sicher finden wir hier auch eine Unzahl Früchte. Ich bitte aber darum, nichts davon zu essen, solange keine Untersuchungen gemacht sind. Kark, du baust gleich das Funkgerät auf“, ordnete Chalo weiter an. „Wir werden zwar wegen der schlechten Antennenleistung keinen besonderen Empfang haben, aber wir müssen ständig hören. Beispielsweise können wir so unsere Annäherung an ein Wohngebiet, von dem elektromagnetische Wellen ausgestrahlt werden, feststellen.“ Mit einem besorgten Blick auf Borl, der jedoch sichtlich vergnügt unter Aufsicht von Rilt allerlei Blüten vorsichtig
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beroch, wandte sich Chalo ab. Er ging zu seinem Gepäck, nahm den Strahler auf und las die Skala ab. „Bitte“, rief er dann den anderen zu, „kontrolliert eure Strahler ebenfalls. Wir müssen leider auch die Energie einteilen. Ich habe gestern etwa den zehnten Teil verbraucht. Regenerieren können wir nicht.“ „Seid mal ruhig!“ rief Kark plötzlich. „Ich habe Empfang! Ziemlich gestört zwar, aber es sind zweifellos wieder ihre Stimmen.“ Sie liefen zu Kark und warfen sich vor dem Gerät auf den Boden, um dem Lautsprecher möglichst nahe zu sein. „Die Außenmikrophone müßt ihr schon ordentlich aufdrehen, wenn ihr es so hören wollt“, forderte Kark auf. Ein Rauschen, unterbrochen von Prasseln und gelegentlichem Heulen drang aus dem Gerät; daneben aber unverkennbar eine Stimme, genauso eigenartig rauh und fremd wie vor kurzem im Kosmos. „Also, brechen wir auf zu ihnen“, sagte Borl, „denn jetzt ist es wohl klar, daß es sie gibt, ich meine hier auf dem Planeten gibt! Oben“, dabei deutete er unbestimmt in den Raum über sich, „hätte uns noch irgendein physikalisches Phänomen einen Streich spielen können, aber hier nicht.“ Oft unterbrachen die Raumfahrer ihre Aufbruchsvorbereitungen, um neue Lebensformen zu bestaunen. Einmal überflog eine große Schar herrlich bunter Tiere die Lichtung und ließ sich unweit im Gebüsch nieder. Neben dem krächzenden Lärm, den sie verursachten, fielen die kräftig gebogenen, hornartigen Kopfansätze auf, offenbar natürliche Zerkleinerungswerkzeuge, mit denen sie hartschalige Früchte knackten. Auch das Gesicht, das Min während der Landung begegnete, tauchte wieder auf. Eine Herde kleiner, possierlicher Wesen tummelte sich in dem Pflanzengewirr, kreischte und bestaunte neugierig das Geschehen auf der Lichtung. Alle hatten das Gesicht, das Min bei der Landung einen Schreck eingejagt hatte, worüber sie jetzt beim Betrachten der ungefährlichen
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Wesen lachte. Trotzdem machte das Erscheinen dieser Tiere Min und die anderen nachdenklich. Sie hatten ebenfalls vier Gliedmaßen, die sie jedoch nicht ausschließlich für die Fortbewegung gebrauchten. Sie hangelten damit an den Zweigen, rutschten an den grünen Seilen herunter, bewarfen sich mit Früchten und Pflanzenteilen oder kraulten sich die Haut, die zum größten Teil mit längeren, dichtstehenden braunen Fädchen bedeckt war. Jungtiere hielten sich mit diesen Gliedern an großen Tieren fest, die möglicherweise die Mütter waren. Die sechs waren sich darin einig, daß diese Wesen zwar Tiere waren, aber die bisher weitestentwickelten, die sie auf diesem Planeten getroffen hatten. Bestätigt wurde diese Meinung, als eines der Tiere den Boden der Lichtung erreichte und dort, nicht wie zu erwarten, mit gesenktem Körper auf allen vieren lief, sondern halbaufgerichtet auf den hinteren Gliedmaßen ging und nur zur Unterstützung eine der beiden vorderen Extremitäten zum Laufen gebrauchte. Die Freunde beschlossen, am kommenden Tag gemeinsam die Lichtung in westlicher Richtung zu verlassen. Sie waren sich darin einig, während der Landung einen Gebirgszug gesehen zu haben. Eine Erhebung würde aber bedeuten, daß der schier undurchdringliche Vegetationsstreifen, in dem sie gelandet waren, lichter wurde und daß damit eher die Möglichkeit bestand, auf Ansiedlungen der hochentwickelten Planetenbewohner zu stoßen oder zumindest günstigere Lebensbedingungen zu finden. Der Vorrat an Nahrungsmitteln, den jeder bei sich hatte, reichte für 15 Planetentage, ohne daß kräftezehrendes Sparen eingeführt zu werden brauchte. Die sechs rechneten damit, durch irgendwelche Früchte oder Pflanzen ihren Vorrat zu ergänzen. Zu Mins Freude wurde festgelegt, daß während des Marsches angetroffene Eigenheiten des Planeten registriert und untersucht werden sollten, ein Unternehmen, das die Weltraumfah-
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rer befähigen sollte, Handlungen von Tieren und möglicherweise höherentwickelten Wesen zu verstehen und vorausbestimmen zu können. Nichts außer den viereckigen schwarzen Tunneln, die auf die Lichtung mündeten, zeugte von der Anwesenheit der Raumfahrer. Mins Meinung darüber, daß diese gewaltsam geschaffenen Durchbrüche von der strotzenden Natur sehr bald beseitigt sein würden, wurde von den anderen geteilt. Trotzdem setzten sie beim Verlassen der Lichtung nicht sofort den Strahler ein, sondern legten ein gutes Stück Wegs durch das Dickicht zurück. Es wurde sehr warm im Skaphander. Borl hatte auch den seinen wieder angelegt, um sich gegen Kleinlebewesen zu schützen. Nur die Helmscheibe hatte er offen. Ein Zwischenfall hatte ihn davon überzeugt, daß es doch besser war, den lästigen Schutzanzug zu tragen. Eines von den possierlichen Tieren, die fast den ganzen letzten Tag am Rande der Lichtung blieben, schrie plötzlich auf und stürzte wenig später von einem Zweig zu Boden. Als Min und Kark hinzueilten, konnten sie nur den Tod des Tieres feststellen. Zwischen Kopf und Rumpf saß ein beborstetes Tier mit acht Beinen, ähnlich jenen, die sie schon als Netzbauer kennengelernt hatten, nur bedeutend größer, und hatte sich dort festgebissen. Unmöglich konnte der Biß zum Tod des großen Tieres geführt haben, wenn nicht ein starkes Gift in seinen Körper eingedrungen war. Übrigens hatte dieser Vorfall auch eine gute Seite: Rilt und Min machten sich daran, das tote Tier auf die lebenswichtigen Organe hin zu untersuchen. Sie sezierten und stellten fest, daß der innere Aufbau, wenn auch in Form und Farbe verschieden und auf bestimmte, dem Tier eigene Lebensfunktionen zugeschnitten, dem ihren entsprach. Diese Tatsache löste Diskussionen über das mögliche Aussehen der höchstentwikkelten Wesen des Planeten aus. Während Surki und Kark der
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Meinung waren, daß diese Wesen auch ein jenseits ihrer Vorstellung liegendes Aussehen haben könnten, stimmten die anderen Min zu, die behauptete, daß auf diesem Planeten, der etwa eine gleiche Entwicklung durchgemacht haben mußte wie ihr Heimatplanet, wenn auch viel formenreicher, die hochentwickelten Wesen ihnen etwa ähnlich sein müßten.
Kark und Borl gingen voran. Sie schafften mit zwei Strahlern schnell und präzis freie Bahn für die Nachfolgenden. Chalo ging als letzter. Auch er hatte für alle Fälle den Strahler bereit. Min ging vor ihm. Sie hatte zusammen mit Surki und Rilt die Aufgabe, in bestimmten Zeitabständen auch während des Marsches Mangk anzurufen. Drei Tage lang sollten die Funkzeichen nach ihm suchen. Chalo war der Meinung, daß Mangk bei einem Defekt der Funkanlage in drei Tagen den Schaden auf alle Fälle behoben haben müßte, wenn er dazu in der Lage gewesen war. Nach dieser Frist war auf dem Funkwege nichts mehr zu machen. Sein Schicksal mußte im Ungewissen bleiben. Am meisten machte das Schweigen Mangks Surki zu schaffen. Die anderen waren reicher an Erfahrung, sie kannten die Gefahren der Raumfahrt und rechneten bei jeder Expedition im All mit ernsten Zwischenfällen. Ihnen war klar, daß auch durch den Verlust eines Gefährten, und sei er noch so schmerzlich und unerwartet, das Ziel nicht aus den Augen verloren werden durfte. Sie hatten auch erlebt, wie sich Kameraden in den ausweglosesten Situationen bewährt und sich gerettet hatten. Surki dagegen befand sich zum erstenmal in einer ernsten Gefahr, zudem hing sie an Mangk, er war ihr Lehrer und hatte sie für diese Expedition vorbereitet. Sie war stets von seiner Ruhe und der Wärme, die von ihm ausgingen, beeindruckt. Als Lehrer hatte sie ihn korrekt, sachlich und gerecht kennengelernt.
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Sie war damals sehr stolz, als Mangk sie für diese große interstellare Expedition vorschlug. Mangk, einer der Pioniere der modernen Weltraumfahrt, schlug sie als Teilnehmerin vor! Sollte es für ihn, der so vieles meisterte und gut überstand, tatsächlich die letzte Fahrt gewesen sein? Surki sah sich um. Rilt schritt hinter ihr, aufmerksam in das Dickicht spähend, nach neuen Geheimnissen des fremden Planeten. Dahinter Min, Min, die großartige Freundin, deren Kenntnisse für sie alle jetzt von so großer Wichtigkeit waren. Von ihren Entscheidungen konnte ihrer aller Wohl abhängen, dabei war sie so gelassen, suchte nach neuen Erkenntnissen wie auf einer Exkursion mit Studenten. Es wäre schön, wenn Min und Borl ein Paar würden, dachte Surki. Er ist ein feiner Kerl. Ihr war aufgefallen, daß Min das Zusammensein mit Borl seit der Landung mied. Borl warb, zumindest mit seinen Blicken, aber Min wich aus. Warum nur? Ob ich als Jüngste mit ihr darüber sprechen kann? „Hallo, Surki, hier hab ich etwas für dich.“ Rilt kam schnell heran. Sie hielt Surki ein gebogenes dreikantiges Etwas vor die Scheibe, braun und hart aussehend. „Was ist das?“ fragte Surki und griff danach. „Eine Frucht, Tausende gibt es davon. Ich sah auch, daß Tiere davon fressen. Vielleicht untersuchst du sie nachher einmal.“ Chalo warnte: „Nicht so laut bitte! Immerhin haben unsere Funkwellen eine große Reichweite. Und da wollen wir uns doch einigermaßen vorsehen. Es genügt, wenn wir laufend Mangk rufen.“ Surki steckte die Frucht in einen Beutel. Sie beschlich bei Chalos Worten wieder das Unheimliche des sie umgebenden dämmrigen Dickichts. Sie teilte den Forscherdrang der Gefährten, vor allem Rilts und Mins nicht, die sich begeistert auf alles Neue stürzten, ohne zunächst etwas Gefährliches darin zu sehen. Sie dachten offenbar auch nicht so sehr daran,
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was sie noch erwarten könnte. Wohin geht der Marsch? Was wird an seinem Ende sein? Was geschieht, wenn nichts Eßbares gefunden wird und sich die Luft doch als schädlich erweist? Ob Chalo auch so war? Letzte Nacht starrte er lange in den Sternenhimmel, als suche er dort etwas, als könne jeden Augenblick die J 2 mit ihrem Feuerschweif auftauchen und seine Dong zurückbringen. Aber tagsüber war ihm nichts anzumerken von seinem Schmerz. Nach wie vor verhielt er sich bewunderungswürdig. Umsichtig bedachte er jedes Unternehmen, verantwortungsbewußt und vorausblickend, obgleich er als Techniker in dieser Umwelt sprudelnden Lebens doch noch fremder sein mußte als sie, Surki. Er vertraute offenbar völlig Min, die durch ihre Kenntnisse jede Gefahr, die von Lebewesen drohte, rechtzeitig erkennen würde.
Tagelang waren sie mit kleineren Unterbrechungen unterwegs, ohne daß sich ihre Umgebung wesentlich verändert hätte. Immer wieder riesige, dicke Pflanzensäulen, umwuchert von zahllosen Ranken verschiedenartiger Gewächse, behangen von Wurzeln, seilartigen Geflechten und bevölkert von tausendfachem tierischem Leben. Der Tunnel wurde immer länger und zeigte beinahe schnurgerade nach West. Nur kleine Bogen waren unumgänglich, um den riesigen Pflanzensäulen aus dem Weg zu gehen. Mittags erreichten die Außentemperaturen Höchstwerte. Trotz der hermetisch abgeschlossenen Skaphander und der Klimaregelung spürten sie die Hitze. Sie bewunderten Borl, der auf diesen Schutz verzichten mußte, jedoch ohne zu klagen das Ungewöhnliche, Anstrengende ertrug – allerdings ständig überwacht durch Rilts Instrumente. Sie sahen, wie durch die Wärme die tafelförmigen Blätter der Pflanzen matt und glanzlos wurden. Selbst der Lärm ebbte in der Mittagszeit ab.
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Unbarmherzig strahlte hellgelb glühend die Sonne, das Land in eine Hitzewolke einhüllend. Ihr sengendes Licht fehlte zwar im Dickicht, aber der Schatten, das Halbdunkel, spendete keine Kühle. Sie hatten den Tagesrhythmus auf die größere Gravitation eingerichtet. Sie rasteten öfter, so daß keiner übermäßig beansprucht wurde. Nur Kark, der es sich nicht nehmen ließ, das Funkgerät dauernd zu tragen, um auch während des Marsches zu hören, schien erschöpft. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde dort, wo sie gerade waren, Lager bezogen, ein paar konzentrierte Nahrungsmittel verzehrt und geruht. Bei Sonnenaufgang ging es weiter. Immer wieder genossen sie das Erwachen des neuen Tages mit glitzernden Wassertropfen, strotzendem Grün und den tausendfältigen Stimmen. Am Nachmittag des sechsten Marschtages veränderte sich die Vegetation: Die Blätter wurden größer, fleischig-üppiger. Dort, wo der Strahl auftraf, mischte sich in die Rauchfontänen Wasserdampf. Die riesigen Pflanzen traten etwas spärlicher auf, dafür nahm das Buschwerk zu. Die Stengel wurden weicher, saftiger. In den allgemeinen Lärm der Tiere mischten sich Laute, die auf andere Arten hindeuteten. „Achtung!“ rief Borl. Er deutete nach unten. Dort, wo er hintrat, bildete sich eine trübe Wasserlache. Sie erreichten den Fluß. Überschattet von mächtigen Pflanzen, die an seinem Ufer überhingen, floß er träge, grau und glitzernd, kaum merklich dahin. Ein paar Zweige schwammen darauf und zeigten die Richtung. Auf einer in den Fluß hineinragenden Landzunge bezogen sie Lager. Borl atmete immer noch als einziger die Luft von ‘Hoffnung’. Rilt untersuchte ihn gründlich, verglich die Diagramme, kontrollierte den Körperhaushalt und stellte fest: keine Schädigung! Ungeduldig warteten die anderen auf Surki, die
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das Wasser des Flusses prüfte. „Es ist abgekocht genießbar“, gab sie nach einer Weile bekannt. Und nach einiger Zeit: „Die Frucht, die du mir gabst, Rilt, enthält meiner Ansicht nach auch nichts, was uns schaden könnte.“ Sie legten nach einer kurzen Beratung die Skaphander ab, banden widerspruchslos die von Rilt vorbereiteten Masken um und richteten den Lagerplatz her. Chalo suchte ihn gründlich nach Tieren ab, Kark streckte einen Pflanzenriesen so nieder, daß er von der Landzunge zum Ufer fiel und eine kleine Bucht vom Fluß abtrennte. Mit einem großen Zweig stocherte er danach in dem so entstandenen Becken herum, um sich zu vergewissern, daß sich keine gefährlichen großen Tiere dort aufhielten. „Fertig“, verkündete er nach einer Weile. „Ich versuche es als erster.“ Erwartungsvoll sahen alle zu. Kark streifte die hautenge Kombination und die Leibwäsche ab und ging vorsichtig ins Wasser. „Schlamm, aber nicht zuviel“, berichtete er. „Eine Wohltat!“ Kark planschte und spritzte, dann warf er sich in das Wasser, schwamm, so weit die kleine Bucht es gestattete, und tauchte unter. Die anderen hatten ebenfalls die Kleider abgeworfen. Chalo hielt sie zurück. Erst als Kark aus dem Wasser kam und sein Körper von Rilt auf Stich- und Bißwunden untersucht war, stiegen sie hinein. Außerdem lehrten die Erfahrungen, daß ständig einer Wache halten mußte. Acht Tage hatten sie in den schwerfälligen Skaphandern gesteckt. Acht Tage ungepflegt, ohne Erfrischung. Sie tummelten sich ausgelassen in dem lauwarmen, trüben Wasser. „Zu Hause erblaßten sie vor Neid“, rief prustend Surki. „Soviel Wasser! Welche Verschwendung!“
Sie lagerten drei Tage, drei Tage, die mit intensiven Forschun-
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gen und Untersuchungen ausgefüllt waren. Unter anderem stellten sie fest, daß das spezifische Gewicht der meisten Pflanzen geringer als das des Wassers war. Diese Tatsache brachte Surki auf den Einfall, eine Art Plattform zu bauen und sich darauf dem Wasser des Flusses anzuvertrauen. Die Marschrichtung müßte zwar von West nach Südsüdwest geändert werden, aber Min war der Meinung, daß jener Fluß sich mit einem treffen müsse, der aus dem Gebirge kam. Und würde man auf diesem dann stromauf fahren, müßte sich die Landschaft ändern, sie müßten auf besiedelte Gebiete treffen. Froh, auf diese Art den Marsch durch das Dickicht zu beenden, stimmten die anderen dem Plan zu. Sie suchten eine besonders leichte Pflanze aus und bauten aus mehreren Schichten eine Plattform und darauf eine Hütte, die vor Witterungsunbilden schützen sollte. Die Plätze für jene, die das Fahrzeug mit einem flachgebrannten Pflanzenstück voranzutreiben hatten, erhielten zum Schutz gegen ein Herabstürzen von der Plattform eine feste Seitenwand. Zur ersten genießbaren Frucht fand sich eine leicht gebogene zweite mit gelber Schale und weichem, aromatischem Fleisch. Nachdem sie von Rilt gründlich untersucht war, nahm Kark eine Probe. Es zeigten sich auch nach zwei Tagen keine Symptome eines Schadens. Sie versuchten es alle und fanden die Früchte wohlschmeckend. In der kühlen Morgendämmerung und am Spätnachmittag wurden die Skaphander abgelegt. In dieser Zeit wurden auch die körperlich schwersten Arbeiten verrichtet. Auch Borl paßte sich diesem Turnus wieder an. Rilt machte eine Entdeckung: Sie hatte mehrfach beobachtet, wie Tiere von anderen, meist kleineren, angefallen wurden. Die Angreifer saugten Blut. Mitunter hatten solche Tiere ganze Wolken Schmarotzer um sich. Die sechs blieben davon verschont. Rilt war der Meinung, daß wahrscheinlich ihre Blutzusammensetzung die Ursache sei. Sie waren sehr froh darüber. Die Möglichkeit, irgendwelche
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Krankheitserreger übertragen zu bekommen, wurde dadurch geringer. Einmal wurde Borl von einem kleinen, geflügelten Tier gestochen, als er es versehentlich berührte. Die Stelle schwoll an und juckte. Rilt und die anderen waren besorgt. Aber schon nach Stunden ging die Schwellung zurück. Min registrierte Hunderte von Tierarten. Deutlich unterschieden sich niedere von höheren. Zu den niederen zählte Min die Vielzahl der gekerbten Tiere, geflügelte, kriechende, sechsund achtbeinige. Die höheren teilte sie nach der Beschaffenheit der äußeren Bedeckung ein. Die Hüllen der meisten größeren fliegenden Tiere bestanden aus kleinen, luftweichen Einzelgebilden, die sich aus um einen Stiel zweizeilig stehenden, ineinandergehakten Fädchen zusammensetzten. Sie bildeten um das Tier einen wasserdichten, hauchzarten, flauschigen Mantel, der gleich einer ringförmig angeordneten Jalousie bewegt werden konnte und der vom unscheinbarsten Grau bis zur prächtigsten, das ganze Spektrum umfassenden Farbigkeit bei den einzelnen Arten wechselte. Eine andere Art der Hautbedeckung erkannte Min in den äußerst dicht stehenden, feinen Fädchen, die auch unterschiedlich gefärbt, aber mehr dem Aussehen des Bodens angepaßt schienen und einen glänzenden weichen Umhang bildeten. Eine dritte Gruppe hatte entweder eine glatte, unscheinbare graue oder braune, seltener gefärbte Haut oder Schuppen. Diese Tiere lebten meist im Wasser oder in dessen Nähe. Die Fortpflanzung der Arten gab den Raumfahrern Rätsel auf, die sich erst allmählich lösten. Sie stellten Zweigeschlechtigkeit fest, dazu auch eine Form, bei der aus ovalen Gebilden – vor allem bei den größeren fliegenden Tieren – die Nachkommen krochen. Sowohl bei den Lebendgebärenden als auch bei den anderen kamen meist mehrere der Tiere gemeinsam zur Welt, bei den niederen Arten schienen es mitunter unzählige zu sein. Die
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Weltraumfahrer fanden zunächst nur eine Erklärung für die so massenhaft auftretenden Lebewesen: Sie dienten einander als Nahrung! Zunächst erschreckte Min diese Erkenntnis. Es war für sie und die Gefährten aus heimatlicher Sicht zwar nicht neu, daß sich Tiere bekämpften, ja aus irgendwelchen Rivalitäten sogar töteten – aber ihre Äsung waren ausschließlich Pflanzen. Und hier? Selbst innerhalb einer Gattung, ja manchmal Art, riß der Stärkere den Schwächeren, um ihn zu verzehren. Aber selbst Tiere, denen von Natur aus Pflanzen als Nahrung dienten, wurden von anderen angefallen und, falls sie sich nicht zur Wehr setzen konnten, getötet und gefressen. Schauerlich und logisch zugleich löste hier die Natur den Widerspruch, der sich bei oberflächlichem Hinsehen aus dem Überfluß an Neuentstehendem ergeben mußte. Den sechs drängte sich die Vorstellung auf, daß es für jede Lebensform auf ‘Hoffnung’, gleichgültig, ob Tier oder Pflanze, eine gab, die zu ihr im unversöhnlichen Widerspruch stand. Den Kosmonauten wurde immer klarer, daß sie in einen strotzenden, in seiner grandiosen Fruchtbarkeit einmaligen Zyklus des Sprießens und Absterbens, des Fressens und Gefressenwerdens, des Entstehens und Vergehens geraten waren. „Und was meinst du, Min, erwartet uns in dieser Hinsicht bei den Primaten des Planeten?“ Borl formulierte am Abend vor dem Aufbruch die Frage, die mehr oder weniger jeden der sechs bewegte. Sie saßen auf ihrer Schwimmplattform, wie sie ihr kleines Fahrzeug nannten, unmittelbar am Fluß und genossen den jähen Wechsel der Tageszeit, das Farbenspiel der untergehenden Sonne in den Pflanzen, die Ablösung der Tierstimmen des Tages durch die der Nacht. „Wenn ich dich richtig verstehe“, antwortete Min mit dem Versuch eines Lächelns, „möchtest du wissen, ob sie sich eventuell gegenseitig…“ Sie beendete den Satz nicht, fuhr dann jedoch fort: „Ich glaube nicht. So etwas müßte wohl auch
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hier ethischen Grundsätzen widersprechen. Dagegen meine ich, daß die hiesigen Primaten möglicherweise Tiere essen – und nicht nur in äußersten Notlagen, wie es bei uns auch schon vorgekommen ist, sondern gewohnheitsmäßig.“
8 Professor Sunday wischte sich zum wiederholten Male den Schweiß von der Stirn. „Wir bekommen heute sicher noch ein Gewitter“, sagte er schnaufend. Vorn hackten, im Rhythmus der Schläge sich auf- und niederbeugend, zwei Indianer eine Gasse in das Dickicht. „Sag ihnen, Miguel, sie sollen bei der nächsten lichten Stelle für heute Schluß machen und den Lagerplatz herrichten“, wandte sich der Professor an den vor ihm gehenden Mann, der ein ehemals weißes, durch den wochenlangen Urwaldmarsch arg zerschlissenes Hemd über einer in Aussehen und Zustand dazu passenden Hose trug. „Ist gut, Herr“, sagte Miguel, dem Professor sein stoppelbärtiges Gesicht zuwendend, aus dem kleine, behende Augen und ein breites, gelbes Pferdegebiß hervorstachen. „Ich glaube auch, daß regnen wird.“ Er beschleunigte seinen Gang, um den zwei Indios die Anordnung des Expeditionsleiters zu übersetzen. Der Professor trat zur Seite und ließ die Gruppe an sich vorbei. Er lächelte Mabel Fresh aufmunternd zu; auf ihrem jugendlich-frischen Gesicht begannen sich die Strapazen der letzten Tage abzuzeichnen. Sie lächelte etwas müde, aber zuversichtlich zurück, als wollte sie sagen, er solle sich um sie keine Sorgen machen. Die neun Träger zogen vorbei. Es
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schien, als merkten sie die schweren Lasten nicht, als hätten sie einige Sinne völlig abgeschaltet. Mechanisch fiel ein Schritt vor den anderen – sicher, wie traumwandlerisch. „Meine Herren, wir machen heute vorzeitig halt. Ich befürchte ein Gewitter.“ Die drei Angesprochenen blieben stehen. „Bitte, Doktor Brand, sorgen Sie dafür, daß alles regensicher verpackt wird. Ich möchte nicht wieder erleben, daß uns etwas verdirbt!“ „Gut.“ Dr. Brand, ein hochgewachsener, kräftiger Mann, wandte sich zum Gehen. „Und Sie beide bleiben noch so lange hinten, bis wir den Lagerplatz erreicht haben.“ Es waren drei in ihrem Aussehen völlig verschiedene Männer, die in der engen Urwaldschneise standen: Der massige, fast weißhaarige Professor mit faltigem, kantigem Gesicht, in dem die kleinen, ruhelosen stahlblauen Augen, beschattet von buschigen grauen Brauen, auffielen. Die hohe Stirn, die sich in der Mitte zu einer steilen Falte zusamme nschob, der gekniffene schmale Mund zeugten von Energie. Ganz anders sein Gegenüber. Walker war ein kleiner unscheinbarer Mann schwer schätzbaren Alters. Ein spitzes, abgemagertes Gesicht, darüber spärlicher, gekräuselter, semmelfarbener Haarwuchs, der zum Hinterkopf zu immer lichter wurde, um schließlich gänzlich einer kahlen Stelle, auf der jetzt kleine Schweißperlen blitzten, Platz zu machen. Hängende schmale Schultern, zu lang anmutende Arme, knochige, schmale Hände, dazu schlotternde Kleidung vervollständigten das Bild. Während die beiden trotz ihrer Verschiedenheit noch irgendwie in die Umgebung zu passen schienen, stach der dritte ab. Obwohl wie die anderen in fester, khakifarbener Tropenkleidung, wirkte er frischer. Das glatte, gut rasierte Gesicht, die gepflegten – obwohl jetzt an der Stirn schweißverklebten
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dunklen Haare und die sorgfältig manikürten Fingernägel ließen eher auf ein eben bestrittenes scharfes Tennismatch schließen als auf einen tagelangen Urwaldmarsch. Die Strapazen der letzten Tage waren ihm kaum anzumerken. Mit angenehmer, dunkler Stimme wandte er sich an den Professor: „Herr Professor, entschuldigen Sie, aber ich muß Sie nochmals darauf aufmerksam machen, daß wir zu langsam vorwärts kommen. Ich glaube, unsere Unternehmung kostet – im Vergleich zum Erfolg – schon zuviel! Die meiste Zeit, in der wir die Indios bezahlen, ziehen wir durch die Wildnis. Und das geht – verzeihen Sie – zu langsam.“ „Ich weiß, daß es Ihnen nicht schnell genug geht, Helston. Mir auch nicht.“ Professor Sundays Stimme klang leicht gereizt. „Aber ich kann und will die Leute bei diesen mörderischen Verhältnissen nicht zu größerer Eile auffordern. Schließlich machen sie die Arbeit, und wir spazieren mit.“ „Sie werden dafür gut bezahlt.“ „Ich bitte Sie! Für die paar Cents macht Ihnen in den Staaten keiner einen Handschlag.“ „Wir sind nicht in den Staaten“, gab Helston verärgert zurück. „Na ja, Sie sind der Leiter der Expedition, Herr Professor, und werden zum Schluß sicher alles verantworten“, fügte er leicht spöttisch hinzu. „Stimmt“, bemerkte Professor Sunday und wandte sich zum Gehen. „War das nötig, Helston?“ wandte sich Walker, nachdem der Professor außer Hörweite war, an Helston. „Ich denke schon. – Was soll ich meinen Leuten sagen, wenn wir ohne greifbare Ergebnisse wieder in den Staaten sind? Ich bin fast davon überzeugt, daß wir nichts mehr finden. Unsinn, nochmals diesem Indiogeschwätz nachzurennen.“ „Aber das wußten Sie doch vorher!“ „Hören Sie auf! Vorher sah die Sache viel aussichtsreicher aus. Wo bleiben die Städte und Festungen, von denen die Rede
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war? Die paar Steine, die wir bisher haben – kein Mensch kann sagen, daß sie tatsächlich aus der Zeit stammen, in der sich die Inkas zurückzogen! Vielleicht waren diese Brocken schon früher da – und dann sind wir erst recht auf der falschen Fährte.“ „Warten Sie ab. Spätestens morgen sind wir im Dorf. Vielleicht weiß man dort wirklich etwas.“ „Ich habe bald genug davon. Vor allem sollte sich Sunday nicht so aufblasen.“ „Er ist immerhin der Leiter und hat die Verantwortung – auch für uns.“ „Ja, ja – aber ich glaube nicht, daß das allein genügt, um nur die Dollars zu rechtfertigen, die das Unternehmen an einem Tag kostet.“
Sie kamen angemeldet. Es war daher kein Wunder, daß ihre Anwesenheit bereits in der Nähe des Dorfes entdeckt wurde. Von einer Schar nackter Kinder umringt, zogen sie in die Siedlung ein, in der die gesamte Einwohnerschaft versammelt war. Scheu standen die Indios in kleinen Gruppen vor den Hütten und betrachteten die Ballen und Boote, die die Weißen mit sich schleppen ließen. Nach der umständlichen und – wie es Professor Sunday schien – nicht allzu freundlichen Begrüßungszeremonie bekamen sie eine Hütte in der Mitte des Dorfes zugewiesen. Dort eingezogen, beobachtete der Professor sofort unauffällig den Dorfplatz. Es fiel ihm bald auf, daß sich ständig vier oder fünf Krieger in der Nähe der Hütte aufhielten, verspielt und nachlässig mit dem Blasrohr beschäftigt. „Wir müssen äußerst vorsichtig sein“, wandte sich Professor Sunday an die Gefährten. „Sie mißtrauen uns offenbar. Miguel, pack bitte ein paar von den Geschenken aus, wir wollen sehen, ob wir damit die Stimmung bessern können.“
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„Ich denke“, meldete sich Helston, „die wollen wir erst geben, wenn wir gewisse Auskünfte erhalten haben?“ „Es ist möglich, daß wir, ohne unsere lauteren Absichten zu bekunden, nicht nur nichts erfahren, sondern…“ Sunday unterbrach sich mit einem Blick auf Mabel, fuhr dann jedoch entschlossen fort:, „Wir wären nicht die erste Expedition, die im Urwald spurlos verschwindet.“ „Schließlich sind wir bewaffnet.“ Helston schlug an den Schaft seines Schnellfeuergewehrs. „Vor allem keine unbedachten Handlungen“, mischte sich Dr. Brand ein. „Sie sind von Natur aus friedfertig. Wenn wir sie erst einmal für uns gewonnen haben, gehen sie für uns durchs Feuer – aber erst muß das Eis gebrochen werden. – Allerdings erscheinen sie mir auch besonders zurückhaltend.“ „War vielleicht vor zehn Jahren oder mehr letzter Weißer hier“, sagte Miguel. „Viele haben noch nie gesehen Weißen, aber viel gehört und – nicht viel gut.“ „Beeil dich mit dem Auspacken, Miguel. Zunächst drei Buschmesser und einige Nadeln. Ich denke, das genügt fürs erste. Sie, Helston, und Sie, Brand, kommen dann gleich mit zum Kaziken. Wie er die Geschenke aufnimmt, ist entscheidend.“ Mit diesen Worten nahm der Professor eines der bereits ausgepackten Messer prüfend in die Hand. „Hoffentlich zerhacken sie uns heute nacht nicht damit“, bemerkte sarkastisch Walker. „Das ist nicht zum Scherzen“, entgegnete der Professor zurechtweisend. Sie gingen. Draußen schlossen sich ihnen sofort drei der umherstehenden Krieger an. Zwei blieben vor der Hütte. „Ich staune über den Professor. Bisher ist er bei seinen Expeditionen nie so tief in den Mato eingedrungen. Ich bin zwar nicht ängstlich, aber wir sind immerhin zweihundert Kilometer Luftlinie von der nächsten Mission entfernt, gut und gern zehn Tage Gewaltmarsch, dazwischen noch Sumpf und
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Flüsse.“ Walker stand mit Mabel am Eingang der Hütte. Sie blickten der Gruppe nach. „Ob sie uns wirklich umbringen?“ fragte Mabel besorgt, unwillkürlich einen Schritt näher an Walker heranrückend. „Ich glaube nicht“, sagte er mit einem leisen Lächeln. „Es wird allerdings im wesentlichen auf uns ankommen. Mir gefällt Helstons Haltung nicht.“ „Sie waren doch schon vor ihm Assistent bei Sunday, kennen ihn also länger als ich. Wie kommt es, daß er sich dem Professor gegenüber auf einmal soviel herausnimmt? Anfangs war er doch verträglich.“ „Tja, ohne Helston wäre die Expedition vielleicht nicht zustande gekommen. Sie wissen, er stammt aus einflußreichen Kreisen, wie man so sagt. Seine Familie sitzt unter anderem im Aufsichtsrat der Texas Hardsteel Company, und sein Vater gehört wohl mit seinen Werken zur Nevada Aircraft Corporation – ich kenne mich da auch nicht so aus. Jedenfalls hat diese Gruppe die Mittel zu dieser Expedition gegeben, und Helston hat da wohl ein gutes Wort für den Alten eingelegt. Wenn nun aber nichts rauskommt?“ Mabel blickte Walker an, sie legte dabei die Nasenwurzel in winzige Fältchen, so daß sich ihre Sommersprossen verdichteten. „Es wäre nicht die erste Expedition, bei der nichts herauskommt. Man wird deshalb niemandem den Kopf abreißen, weder Helston noch dem Professor.“ „Schon gut, Mabel, Sie sind neu in unserer Truppe. Jeder der beiden ist außerordentlich ehrgeizig. Mein Gott, wer ist das nicht! Aber für Sunday bedeutet Erfolg hier die Bestätigung seiner Theorie – und er ist alt. Helston ist aus der Art geschlagen. Er will vielleicht beweisen, daß er fähig ist, einmal höchste Positionen – wenn auch nicht als Industriemanager – einzunehmen.“ Mit diesen Worten ging Walker in die Hütte zurück, eine kleine Stummelpfeife in der Hand. Offenbar hatte
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er keinen Tabak in der Tasche. Mabel folgte ihm nachdenklich. Wenig später trat der Professor ein, einen künstlerisch geflochtenen Korb mit Früchten in der Hand, den er triumphierend hochhielt. „Fürs erste scheinen wir sicher zu sein. Sie haben die Präsente angenommen und uns Gegengeschenke gemacht. Und nun wollen wir uns die Hütte gemütlich machen.“ „Ich weiß nicht“, sagte Dr. Brand, „so ganz gefallen sie mir noch immer nicht. Sie verbergen etwas, sind mißtrauisch. Wir müssen weiter vorsichtig sein.“ „Unken Sie nicht, Brand, ich kenne die Indios besser. Vorerst haben wir nichts zu befürchten. Los, packen Sie mit an!“ Professor Sunday war ausgelassen und fröhlich, als sei ein großer Druck von ihm gewichen. „Den Raum hier nehmen die Träger, wir nehmen den anderen“, ordnete er an. „Hier teilen wir den Verschlag für Mabel ab.“ „Und Sie, Helston, sind nicht erleichtert?“ fragte Walker Helston, der ein wenig nachdenklich, beinahe mürrisch durch einen Schlitz in der Lattenwand den Dorfplatz betrachtete. „Doch“, sagte er, „aber ich finde, wir machen viel zuviel Federlesens mit diesen – diesen Indios. Übrigens hat der Alte keine Silbe über den Zweck unseres Hierseins verloren“, fügte er leise hinzu. „Ich möchte wissen, wieviel Zeit wir noch verplempern wollen. Ich sehe es schon kommen, daß wir noch während der Regenperiode hier sitzen.“ „Überlassen Sie das ruhig dem Professor. Er weiß, wie man die Indios zu nehmen hat. Er hat seine Erfahrungen. Schließlich liegt es auch in seinem Interesse, schnell ans Ziel zu kommen.“
Professor Sunday ging den schmalen, von tausend nackten
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Sohlen festgestampften Pfad zum Fluß hinunter. Er ging langsam, wie gedankenversunken, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Plötzlich drehte er sich um und sah gerade noch seitwärts hinter sich einen Busch schwanken! Also doch! Wir werden beobachtet, man traut uns nicht. Warum nur? dachte er. Schon auf dem Dorfplatz, als man mich nicht zum Südrand der Siedlung gehen ließ. Sie haben etwas, etwas Besonderes. Wenn ich nur wüßte, was. Ob es für uns gefährlich werden kann? Oder ob sie nur bemüht sind, es vor uns zu verbergen? Ich werde den anderen vorerst nichts sagen. War es richtig, die Expedition so weit auszudehnen? Aber es wäre unweigerlich die letzte, verliefe sie ergebnislos – man mußte was riskieren. Für eine weitere Exkursion finde ich keinen Geldgeber mehr. Helston – wie er sich aufspielt. Aber was soll ich machen? Er hat ja recht. Man wird mir vorwerfen, ich wäre Indiomärchen nachgejagt. Einige liebe Kollegen werden sich die Hände reiben über Sunday, den Inka-Phantasten. Und selbst wenn später eine Exkursion aussichtsreicher wäre – kein Mensch würde auf einen erfolglosen Forscher auch nur einen Dollar setzen. Nun gut, bis zur Emeritierung werde ich sicher im Amt bleiben. Ein paar Vorlesungen und die Theorie – von keinem richtig ernst genommen, weil ohne Beweis. Der junge ehrgeizige Helston, der aus der Art Geschlagene, aus der Industriellen-Dynastie Ausgebrochene – der wird es dann geschafft haben. Aber er braucht erst den Erfolg – jetzt und hier. Mein Erfolg wird auch sein Erfolg sein. Professor Sunday war am Fluß angekommen, der, merkwürdig klar, langsam dahinfloß. Am gegenüberliegenden Ufer reckte sich wieder undurchdringlich das Dickicht. Wurzeln und Lianen hingen in den Fluß, Kolibris und Schmetterlinge umgaukelten grellfarbene Blüten. Irgendwo, unsichtbar, zankte eine Affenherde. Glucksen, Schmatzen, Schnarren, dazwischen laute Schreie. Wie schon bei früheren Aufenthalten im Mato
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nahm den Professor diese eigenartige, die Sinne betäubende Atmosphäre gefangen. Eine Bewegung am Ufer flußauf schreckte ihn auf. Undeutlich, durch Buschwerk verdeckt, nahm er eine Gruppe Indios wahr, die zwischen sich etwas zum Fluß trugen und in einem Boot verstauten. Vier stiegen ein und paddelten mit schnellen Schlägen hastig stromauf.
Die Indianer rüsteten zum Fest. Frauen saßen vor den Hütten und kauten Maniok für das Festgetränk. Männer gingen zum Fischfang und zur Jagd. Es herrschte fröhliche Ausgelassenheit. Die größeren Jungen zerrten dürres Holz für das Festfeuer in der Mitte des Dorfplatzes zusammen. Morgen wird das große Fest zu Ehren der Gäste sein – morgen. Bis dahin war noch viel zu tun. Die Gäste, denen zu Ehren das Fest stattfinden sollte, betrachteten das geschäftige Treiben mit gemischten Gefühlen. Vor allem Mabel beschlich ein Grausen bei dem Gedanken, daß sie das, was die Frauen heute noch kauten und in große Schüsseln spuckten, morgen trinken mußte. Sie konnten sich jetzt frei im Dorf bewegen, das Mißtrauen schien völlig gewichen zu sein. Miguel hatte dem Professor gleich nach dessen Rückkunft vom Fluß erzählt, daß aus einer Hütte am Südrand des Dorfes offenbar etwas in Richtung des Flusses entfernt wurde – etwas Schweres. Und etwas metallisch Glänzendes hätten sie hinterhergetragen. Natürlich hatte Miguel seine Wahrnehmungen auch den anderen mitgeteilt, so daß der Professor keine Veranlassung mehr sah, seine Beobachtungen zu verhehlen. In der Gruppe herrschte danach beträchtliche Erregung und Neugier. „Etwas metallisch Glänzendes? Hier? Außer zwei bereits sehr mitgenommenen Buschmessern habe ich hier nichts
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Metallisches gesehen“, äußerte sich Dr. Brand. „Vielleicht haben sie irgendwelche Forscher getötet oder ausgeraubt und fürchten jetzt unsere Rache? Das erklärte auch das anfängliche Mißtrauen und die Geheimnistuerei mit der Hütte. Die Beweisstücke haben sie nun fortgeschafft und meinen, die Angelegenheit damit bereinigt zu haben“, sagte Mabel ängstlich. „Ach, warum denn so kompliziert und blutrünstig“, wandte sich Helston an die Gefährtin. „Sie werden vielleicht einen von einem Flugzeug abgeworfenen Treibstoffkanister oder so etwas gefunden haben, meinen nun weiß Gott was zu besitzen und denken, wir nehmen ihnen das Ding wieder ab. Und deshalb benahmen sie sich auch so kindisch. Wir sollten solche Halbmenschen nicht so ernst nehmen.“ „Bedenken Sie, was Sie sagen!“ Ungewöhnlich scharf parierte Professor Sunday. „Halten Sie sich immer vor Augen, daß es unsere Vorfahren waren – Ihre und meine –, die die Indios in die Wälder getrieben haben, die ihre Kultur sinnlos zerstörten.“ Gleichgültig tuend, mit dem Anflug eines verlegenen Lächelns, zuckte Helston die Schultern und ging hinaus. „Weshalb der Inkaforschung betreibt, möchte ich wissen“, sagte halblaut Dr. Brand. Mabel blickte von ihm zum Professor, doch keiner sagte mehr etwas. Der Professor zog eine Karte hervor und bemühte sich mit Dr. Brand, den zurückgelegten Weg einzutragen. Walker hing sich den Fotoapparat um und schlug die Eingangsmatte zurück. „Kommen Sie mit, Mabel?“ fragte er. Sie folgte ihm.
Es versprach ein großes Fest zu werden. Die Jäger brachten drei prächtige Wasserschweine, große Fische hingen in der Sonne zum Trocknen.
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Schon am Mittag saßen Männer, Frauen und Halbwüchsige vor den Hütten und schmückten sich. Sie suchten sorgfältig nach etwaigen nachgewachsenen Körperhaaren, rissen sie sich gegenseitig aus, legten sich prachtvolle Ketten aus bunten Federn und schillernden Insektenpanzern an und bemalten sich mit einem Eifer Gesicht und Körper, als gälte es, einen Rekord im Farbenverbrauch zu brechen. Große Freude lösten nach anfänglicher Scheu die von Professor Sunday verteilten Taschenspiegel aus, mit deren Hilfe die Festbemalung noch trefflicher gelang. Auch die Forschergruppe bereitete sich vor. Professor Sunday gab Verhaltensmaßregeln für das Fest. Er mahnte, die gastfreundlichen Indios nicht durch schroffe Ablehnung von Gaben zu verletzen und sie nicht in ihrem urwüchsigen Feiern zu stören. Miguel sollte die zu erwartende Ausgelassenheit dazu benutzen, sich an den Sohn des Zauberers heranzumachen, dessen begehrliche Blicke auf die Gewehre der Gruppe dem Professor nicht entgangen waren. Er bekäme ein Gewehr, schärfte der Professor Miguel ein, wenn er den Fremden heilige Steine zeigte! Das Fest begann mit einer Überraschung für die Expeditionsteilnehmer. Kaum hatten sie in der Runde der Indianer am Feuer zum Essen Platz genommen, als der Kazike, begleitet vom Medizinmann, erschien. Und die Kleidung des Zauberers war es, die den Professor fast von seinem Sitz hochriß und auch die anderen in nicht geringe Verwunderung versetzte. An einem Kopfputz im Nacken befestigt, umwallte ihn ein faltenreiches Gewand von strahlendem Rot. Es umhüllte von Kopf bis zu den Füßen seine hagere Gestalt und gab ihm gleichsam etwas Majestätisches. Stolz seine Wirkung auf die Fremden auskostend, ließ er sich, das Prachtgewand lässig raffend, auf dem festgestampften Lehm nieder. „Auf keinen Fall ist das auf hiesigem Mist gewachsen“,
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bemerkte Helston und blickte, die beschwichtigende Handbewegung des Professors verstehend, gleichgültig ins Feuer. „Ich meine auch, daß sie das nicht selbst hergestellt haben“, raunte Dr. Brand. „Miguel, versuch in die Nähe des Zauberers zu kommen und beschreibe uns dann das Gewebe. Aber nicht danach fragen und – unauffällig! Fragen hat heute keinen Sinn.“ Das Fest begann mit dem Essen. Dazu wurden Schüsseln mit Fleisch herumgereicht. Die Gäste saßen – mit Ausnahme der Träger – in der Runde der Indianer und wurden wie ihresgleichen behandelt. Mabel bekämpfte tapfer den in der Kehle aufsteigenden Ekel und trank ebenfalls einen Schluck, von Professor Sunday mit einem freundlichen Schulterklopfen belohnt. Dem Ritual folgend, wurde nach dem Essen der Raum um das Feuer geräumt. Äste, die die Funken hoch aufsprühen ließen, wurden nachgelegt, und die Krieger formierten sich zum Tanz. Trommeln und Klanghölzer wurden in eigenartigem Rhythmus geschlagen. Die Tänzer begannen sich zu wiegen, kleine Schritte zu machen, immer schneller, immer rasender. Die Frauen standen abseits, wiegten sich im Rhythmus und starrten wie hypnotisiert auf die Tanzenden. Auch die Gäste blickten fasziniert dem unheimlichen Schauspiel zu. Auch sie konnten sich dem wilden Zauber, der von den Tanzenden ausging, nicht gänzlich entziehen. Bald heller, bald dunkler im roten Licht der züngelnden Flammen, bot sich auf dem Dorfplatz ein mitreißendes Bild urwüchsiger Lebensfreude. Hier und da setzte sich einer der Tänzer erschöpft zu Boden. Frauen reichten ihm gefüllte Schalen, aus denen er hastig trank. Gestärkt sprang er dann auf, reihte sich wieder ein. Nach Mitternacht zogen sich die Gäste unbemerkt zurück. Keiner nahm mehr von ihnen Notiz. Die Indianer waren gefangen in ihrem Ritual, das sie die Umwelt vergessen ließ.
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An Schlaf war nicht zu denken. Erst gegen Morgen, die Stimmen der Tiere kündigten ihn an, lichtete sich der Reigen. Berauscht und erschöpft brach einer der Krieger nach dem anderen zusammen und schlief dort, wo er gerade lag, ein. Miguel, der als einziger trotz des Lärmens schlief, löste nach seinem Erwachen eine Sensation aus. Lässig griff er in die Tasche, nachdem er durch ein lautes „Herr Professor, ich habe für Sie was“, die Aufmerksamkeit aller auf sich gelenkt hatte, und zog, sichtlich stolz, einen Faden aus der Tasche, an dem lauter kleine, unregelmäßige Fähnchen hingen, zweifellos der Arm- oder Beinschmuck eines Indianers. Zunächst wußten die vier nichts damit anzufangen. Im Dämmerlicht der Hütte erkannten sie es nicht gleich, bis schließlich Helston den eigenartigen Schimmer wahrnahm und mit einem Ausruf des Erstaunens mit den Fähnchen zum Ausgang rannte. „Teufelskerl“, rief er, „wo hast du das her? Wie hast du das angestellt?“ Die anderen waren nachgekommen. Helston hielt ein Knöchelband aus lose eingeknüpften Fähnchen in der Hand, die aus dem gleichen Stoff bestanden wie der Mantel des Zauberers. Miguel berichtete: „Saß ich neben Zauberer und hatte er um Fuß das da. Und war so locker, daß Bindfaden an Erde lag. – Na, da hab ich beim Essen Bindfaden mit Messer geschnitten. Als Zauberer tanzen ging, hat er verloren und ich eingesteckt – das alles.“ Mehrere Hände griffen nach dem Stoffetzen. Weich und schmiegsam wie beste Honanseide glitt der Stoff durch die Finger. Professor Sunday löste eines der Fähnchen und betrachtete es gegen das Licht. „Es ist ganz dicht – vielleicht sogar wasserdicht.“ „Also eines muß noch einmal betont werden“, entschied Dr. Brand, „hier ist das auf gar keinen Fall entstanden.“
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Helston entzündete sein Feuerzeug. Sie erkannten sein Vorhaben und sahen gespannt zu, wie er eines der Fähnchen über die Flamme hielt. Nichts, kein Kräuseln, kein Schrumpfen, kein Brennen, nichts. Die vier sahen sich an, als wollten sie sich zurufen: Das gibt es doch gar nicht! Der Professor nahm das Stück, das eben noch der Flamme widerstand, und betrachtete es. Nach wie vor der schimmernde rote Glanz, gleichsam von innen leuchtend. Keine Spur einer Zerstörung. „Ein Messer“, forderte er ungeduldig. Miguel reichte seinen Dolch. Der Professor faltete das Stückchen, steckte die Klinge in die entstandene Schlaufe und zog kräftig durch. Danach betrachtete er kopfschüttelnd den gewiß scharfen Dolch und den fast unversehrt gebliebenen Stoff. „Das begreife ich nicht“, murmelte er. „Aber irgendwie müssen die Indios das doch klein bekommen haben“, sagte Helston. „Sehen Sie doch die merkwürdig gezackten Ränder. Dort ist der Stoff sogar farblich ein wenig verändert, er erscheint heller“, bemerkte Mabel. „Ich denke, er ist auseinandergeschlagen“, sagte Walker. Erläuternd fuhr er fort: „Der Stoff wird über eine scharfe Kante, zum Beispiel über ein Messer, einen Stein oder ähnliches gespannt, und dann wird mit einem harten, schweren Gegenstand das Gewebe zerschlagen. Und da gibt es solche Ränder – jedenfalls bei normalem Stoff.“ „Eine Technologie, die den Indios durchaus würdig wäre“, sagte Helston. „Nicht doch“, hielt der Professor Sunday Miguel zurück, der aus der Feuerstelle Steine herauskramte, ohne Zweifel mit der Absicht, zu probieren. „Wir dürfen jetzt keinen Krach machen, die meisten schlafen noch. Außerdem würden sie sich wun-
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dern, was wir zu klopfen haben.“ Er setzte die Untersuchung fort. „Es scheint ein an den Kreuzungspunkten der Fäden verschmolzenes Gewebe zu sein.“ „Aber woher haben sie es?“ fragte Mabel. „Mir ist etwas Derartiges nicht bekannt – weder aus Modejournalen noch aus meinen Chemiekenntnissen. In den Staaten ist ein derartiges Gewebe nicht auf dem Markt. Das kann ich mit Bestimmtheit sagen.“ „Vielleicht bei der Armee?“ warf Dr. Brand ein. „Auch nicht“, antwortete Helston mit einer Sicherheit, die jeden Zweifel ausschloß. „Bleiben nur noch die – Russen“, sagte zögernd Walker. „Unsinn“, entgegnete Helston, „die sind mit ihrer Textilindustrie doch nicht weiter als wir! Und wenn – wie käme das Zeug in den südamerikanischen Urwald?“ Walker zuckte die Schultern. „Sagen Sie mir doch, wo es herkommt“, meinte er dann. „Wir werden die Indianer fragen“, sagte Professor Sunday, „aber ohne zu verraten, daß wir schon eine Probe haben. Vielleicht – vielleicht hängt ihr merkwürdiges Gebaren damit zusammen.“
9 Sie paddelten stromab und kamen täglich um das Mehrfache weiter als während des Marsches, obgleich die Fahrt nicht völlig reibungslos verlief. Im Fluß waren oftmals Hindernisse in Form von umgestürzten, weit hineinragenden Pflanzen zu umgehen; einmal gerieten sie in eine Untiefe und saßen längere Zeit auf, ein zweites Mal mußte das Floß mühsam um ein
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Gewirr aus Pflanzenteilen, das den gesamten Flußlauf überspannte, herumgetragen werden. Sie waren nun den vierten Tag unterwegs; die Umgebung änderte sich kaum. Links und rechts grüne, undurchdringliche, bald hervorspringende, bald zurückweichende, mit Blüten und bunten Tieren betupfte Mauern, hier und da leichte und stärkere Flußkrümmungen und Zuflüsse von kleineren und größeren Nebenflüssen, die das Wasser bald grau, bald braun färbten. Sie hüteten sich, dem Wasser zu nahe zu kommen, nachdem auf einer Sandbank mehrere längliche, Pflanzenstämmen ähnelnde Tiere gesichtet wurden mit riesigen, von scharfen Zähnen flankierten Rachen. Träge ließen sie sich beim Nahen des Floßes ins Wasser, erwiesen sich dort aber als behende Schwimmer und Taucher. Sie saßen in ihren leichten Kombinationen, die sie sonst unter dem Skaphander trugen, auf den Stämmen des Floßes. Borl und Kark paddelten gleichförmi g, nur ab und zu das Fahrzeug leicht korrigierend, wenn es aus der Mitte des Flusses trieb. Min sortierte kleine, mit einem selbstgefertigten Kescher aus dem Wasser gefangene Tiere und registrierte sie. Surki vervollständigte ihre Notizen und half ab und an Chalo, der sämtliche Luftbehälter auf die Menge des Inhalts prüfte. Rilt saß gedankenversunken am Heck des Floßes; sie hatte Wache. Gleichmäßig monoton plätscherten die Paddel. Sengende, schwüle Hitze lastete, obgleich die Sonne bald versinken mußte. Eine gedankentötende, bleierne Hitze. Plötzlich hob Surki den Kopf. „Hört ihr nichts?“ fragte sie. Min und Rilt sahen auf, sie lauschten. „Nichts“, sagte Rilt. Chalo, der im Aufbau kramte, kroch hervor. „Ich weiß nicht“, sagte er, „mir ist schon seit einiger Zeit, als ob sich ringsherum etwas verändert hätte.“ Borl und Kark hielten inne. Das Floß trieb; ganz leise murmelte das Wasser. Von den Ufern tönten Ketten von Schreien,
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Geschnatter, Zirpen und Rascheln, eine längst gewohnte Kulisse. Alle lauschten. „Doch“, sagte Surki, „ich glaube, es rauscht.“ „Ja, das ist es. Ein langsam zunehmendes Rauschen vor uns“, bestätigte Chalo. „Die Ufer ziehen schneller vorbei“, rief plötzlich Rilt. Tatsächlich hatte das Floß die Geschwindigkeit vergrößert. „Ans linke Ufer halten“, kommandierte Chalo sofort. Die Paddel bremsten. Das Floß drehte sich, ließ sich aber in der zunehmenden Strömung nur wenig dem Ufer zutreiben. Immer schneller ging die Fahrt. Borl und Kark verdoppelten die Schlagzahl, aber stärker und stärker wurde das Floß flußabwärts gerissen, unheildrohender hörte man das Rauschen. „Das Ersatzpaddel – hier, Rilt.“ Chalo hielt es Rilt als der Kräftigsten hin. Er selber stemmte sich mit dem zweiten links gegen den Strom. Nach der nächsten Krümmung sahen sie es: Vor ihnen brodelte und schäumte der Fluß, große, dunkle Körper behinderten seinen Lauf. „Schneller!“ schrie Chalo. Min und Surki lagen flach und schaufelten wie wild Wasser. Surki fing an zu weinen. „Keine Angst“, schrie Min durch das Tosen und versuchte ein aufmunterndes Lächeln, „wir haben es bisher immer geschafft!“ Sie schafften es. Buchstäblich im letzten Moment konnte Borl einen weit vom Ufer über den Fluß ragenden Zweig erfassen. Wild bog sich dieser unter der plötzlichen Last. Das Floß bäumte sich auf, Wasser schlug über, und in einem scharfen Kreisbogen schlingerte das leichte Fahrzeug dem Ufer zu, ständig vom Kentern bedroht. Chalo hielt Borl und hatte sich selber in den Stämmen des Floßes festgeklammert. „Das Funkgerät!“ schrie Kark. Mit weitaufgerissenen Augen starrte er wie gelähmt in das Wasser, das gurgelnd den kostbaren Apparat verschlang.
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Die Gefahr war nicht vorüber. Wenn der Zweig unter der Last brach, war alles vorbei. Min, Surki und Kark sprangen deshalb sofort nach neuem Halt, als weitere Zweige in greifbare Nähe rückten. Langsam kam das Fahrzeug zum Stehen. Durch Hangeln an den Zweigen trieben sie es in eine von überhängendem Gestrüpp verdeckte Bucht, die im Strömungsschatten lag. Völlig erschöpft, aber glücklich sahen sie sich an. Nur Kark starrte niedergeschlagen in den Fluß. „Na?“ schrie Min Surki zu, die völlig erschöpft, froh und ein wenig beschämt auf den Stämmen saß. Knapp vor ihnen brauste und tobte der Fluß. Plötzlich machte Chalo eine jähe Bewegung. Er drückte Min, Borl und Kark, die vorn auf dem Floß standen, heftig zurück in den Schatten der überhängenden Zweige. Sie folgten seinem Blick. Da – ein, zwei, drei dunkle Stämme schießen den Fluß hinab auf das Brodeln zu. Aber nicht das ist das Erregende! Sehnige, große rotbraune Gestalten halten die Paddel. Mit aufmerksamen Augen blicken sie voraus in den Strom. Die sechs halten den Atem an. Jetzt ist das erste Boot auf gleicher Höhe und in Sekundenschnelle vorbei. Es taucht in Gischt, schnellt empor, kraftvoll getrieben, taucht wieder ein und durchquert hochschnellend den Brodem. Die beiden nächsten folgen. Rilt schauert. Aus dem letzten Boot, das ganz nahe am Versteck vorbeigleitet, blicken aus einem braunen, streifigen Gesicht zwei dunkle Augen herüber – einen winzigen Augenblick. Dann saust auch dieses Boot in das Wasser- und Steinchaos und verschwindet wie ein Schemen hinter Gischt und Staub. Die sechs sind erstarrt. Da löst sich Chalo, kriecht nach vorn und blickt stromauf. Dann dreht er sich langsam um und flüstert: „Das waren sie.“ Keiner verstand ihn im Wassergebrause, aber jeder empfand,
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was er sagte. Das waren die Primaten von ‘Hoffnung’, die Herren dieses Planeten. Plötzlich redeten alle durcheinander. Jeder wollte dem anderen seine Meinung, seine Eindrücke mitteilen, keiner verstand den anderen. Chalo gebot energisch Ruhe. Er machte sich verständlich, die fünf begriffen. Sie kletterten in die Skaphander, luden die Behälter aus und hoben das Floß aus dem Wasser. Alle schwiegen, berstend vor Fragen und überquellend vor Mitteilungsbedürfnis. Aber alle beugten sich der Notwendigkeit. Sie schleppten das Floß und verzweifelten, jeder Ruck vorwärts verlangte alle Kräfte. Sie rissen den Aufbau ab und zwängten es hochgestellt durch die Pflanzen. Immer wieder schlug sich einer zum Fluß durch und spähte. Außer den tosenden Wassermassen rührte sich nichts. Sie trafen auf einen kahlen, aus dem Moder herausragenden Gesteinsrücken. Hier ließ sich das Floß besser transportieren, aber es war gefährlicher: Es bestand direkte Sicht zum Fluß. Sie hielten sich am Rande des Dickichts, jederzeit bereit, im Gestrüpp zu verschwinden. Nach kurzer Zeit waren sie am Fuß des Wasserfalls, dort, wo die schmalen Boote ihren Blicken entschwunden waren. Das Wasser stob über die letzten herausragenden Steine, Wirbel tanzten, der Schaum kräuselte sich drehend. Weiter flußab beruhigte sich das Wasser – noch einige Blasen und Schaumstreifen, leiser werdendes Rauschen. „So“, brach Chalo, immer noch sehr laut sprechend, das lange Schweigen, „hier setzen wir wieder ein.“ Sie setzten das Floß ab, Chalo machte Anstalten es umzukippen, Surki half zaghaft. Die anderen rührten sich wie auf Verabredung nicht. „Laßt uns beraten“, sagte Kark. Chalo ließ vom Floß ab und blickte verwundert auf. Zögernd sagte er: „Bitte – aber hier ist es noch zu laut.“ Und wieder
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seinen Platz am Floß einnehmend: „Gehen wir noch ein Stück.“ Wortlos schleppten sie weiter. Das Rauschen wurde zunehmend schwächer, Chalo sah sich nach einem Lagerplatz um. Urplötzlich erhob sich über ihnen ein stärkeres, wilderes Rauschen. Fast gleichzeitig wurde es dunkel. Ein Sturm zerrte an den Pflanzen, bog die Zweige nieder, riß an den Blättern. Aus dem Dickicht scholl Bersten. Und dann brach es unmittelbar los. Es war, als ob der gesamte Fluß in die Höhe gestiegen wäre und sich nun über sie ergösse. Die herabstürzenden Wassermassen umspannten sie wie ein Vorhang und verhinderten die Sicht. Plötzlich durchzuckte bläulich-hartes Licht das Gewirr. Für einen Moment sahen sie den blasenwerfenden, brodelnden Fluß, bis ein ohrenbetäubendes Krachen und Bersten sie zusammenfahren ließ. Und dann kam es Schlag auf Schlag. Pflanzen zerspellten in der Nähe, Blitze durchzuckten das Dunkel, von bellendem Krachen umtobt. Zweige fielen und Stämme. Da war die Gefahr! Das Wasser konnte den Skaphandern nichts anhaben, auch nicht den Vorräten in den dichten Tragesäcken. Aber die Zweige und Stämme. „Auf den Fluß“, schrie Chalo so laut, daß sich seine Stimme überschlug und in den Lautsprechern pfeifende Rückkopplung entstand. „Schnell, auf den Fluß!“ Widerspruchslos packten sie das Floß und schoben es hinaus. Sie warfen sich hin mit den Tragesäcken. Chalo stieß ab. Im Bogen trieb das Floß hinaus, von der immer noch starken Strömung fortgetragen. Um sie sprangen Blasen auf. Unzählige schwere Tropfen trommelten auf die Helme der Skaphander. Chalo blickte angestrengt voraus. Nur keine Hindernisse jetzt, fieberte er, und versuchte so zu steuern, daß das gebrechliche Fahrzeug in Ufernähe blieb. Blaugrelle Blitze zerrissen in ungebändigtem Zickzack das Dunkel, fuhren in die Wipfel der Pflanzen, gefolgt von berstendem Krachen.
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So schnell, wie es kam, verging es wieder. Fast plötzlich versiegte der Wassersturz, es wurde zunehmend heller, und selbst das unerträgliche laute Krachen verlor sich bald in fernes dumpfes Grollen. Eine schwarze Wolke vor sich her schiebend, erstrahlte hell die Sonne, tausendfach gebrochen in den überall aufsitzenden Wassertropfen. Die Farbe des Flusses hatte sich verändert. Er wirkte jetzt rotbraun, Zweige und Blätter trieben auf seiner dampfenden Oberfläche, und er war breiter geworden. Der vorher am linken Ufer herausragende Gesteinsrücken war verschwunden. „Ich hatte angenommen, daß es auf dem Planeten elektrische Entladungen geben könnte, aber in solcher Stärke?“ bemerkte Borl. Chalo steuerte das Ufer an, suchte einen geeigneten versteckten Lagerplatz, und sie machten fest. Die Sonne stand schon tief über den Wipfeln. Schweigsam wurden die nötigen Arbeiten verrichtet. Nach der Mahlzeit setzten sie sich, immer noch schweigsam, zusammen. „Wir wollen beraten“, sagte Chalo, er blickte von einem zum anderen. „Was wollen wir machen?“ Borl blickte starr ins Wasser. Min sah Kark an. Der fühlte die Verpflichtung, etwas sagen zu müssen. Er begann stockend: „Du hast uns immer gewarnt, hast von Vorsicht geredet, und jetzt? Du hast sie gesehen. Sie sind fast doppelt so groß wie wir und fahren mit ihren Booten dreimal so schnell. Wären sie ein paar Minuten früher aufgebrochen, hätten sie uns eingeholt. Ich meine, solange wir nicht wissen, wie sie sich uns gegenüber verhalten, sind wir auf dem Fluß nicht sicher.“ „Wir dürfen tags nicht fahren“, ergänzte Rilt. „Aber wir müssen hier aus diesem Chaos raus“, warf Chalo erregt ein. „Begreift doch! Wir kennen so gut wie nichts von dem Planeten. Es kann noch andere gefährliche Tiere geben, Naturkatastrophen, Krankheiten – was weiß ich. Auf dem Fluß
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sind wir sicher, wir können die Gefahr eher erkennen…“ „…und vom Ufer aus eher entdeckt werden“, sagte Min. „Die drei Boote waren Zufall“, erwiderte Chalo. „Vier Tage sind wir unterwegs, und nichts hat sich gezeigt. Sie wohnen nicht hier in dem Gestrüpp und sind jetzt weit vor uns.“ Sie berieten noch lange, bis sie sich einigten. Es sollte nur noch nachts in Ufernähe gefahren werden. Borl hatte den UV-Scheinwerfer zusammenzubauen und an Tieren auszuprobieren, ob deren Augen den ultravioletten Bereich des Spektrums wahrnahmen. Um schneller voranzukommen, sollten vier Paddel eingesetzt werden. Chalo war schließlich einverstanden. Jetzt brandeten die Fragen über das Gesehene und Erlebte auf. Jeder hatte einen anderen Eindruck gewonnen. Zu schnell und unerwartet tauchten die Wesen auf, und zu kurz war der Zeitraum für die Wahrnehmungen. Sie waren sich in einigen Punkten einig: glatte Haut, Kopf, Rumpf, Gliedmaßen etwa ähnlich den ihren, nur größer, mit andersgearteten Gelenken – aber dort gingen die Meinungen schon auseinander. Chalo blieb einsilbig, beteiligte sich nur wenig an der Diskussion. Er grübelte. Habe ich etwas falsch gemacht? Warum sonst die geschlossene Reaktion, die Haltung der Gefährten gegen mich? Noch dazu in einem Augenblick der höchsten Erregung und Spannung? Ist ihre Angst so groß, oder bin ich nicht mehr vorsichtig genug? Ist mein Bestreben, so schnell wie möglich aus dieser Wildnis herauszukommen, schlecht? Haben die Gefährten kein Vertrauen mehr zu mir, dem Leiter? Ich könnte befehlen, aber was soll das jetzt nützen, wo jeder jeden mehr denn je braucht? Was bewog die ruhige, gefaßte, sachliche Min, gegen meine Weisung stillen Protest auszudrücken?
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Wie sie sich damals verbissen und ernst in die Arbeit stürzte, als die Nachricht von der Katastrophe, bei der ihre Eltern ums Leben kamen, eintraf. Als ob sie dem Kosmos den Kampf angesagt hätte. Und nun war es schon ihre dritte Reise, bei der sie nur ihre Arbeit sah, oder? Der gutmütige Borl, der sich meist gefühlsmäßig der richtigen Meinung anschloß, ohne viel Worte. Er stand zu Kark, entschlossen und überzeugt. Wie betroffen Borl war, als er feststellen mußte, daß er die elektrischen Entladungen des Planeten nicht richtig eingeschätzt hatte. Eigentlich der typische Multiwissenschaftler – ein klein wenig fremd in der Welt. Er wird bald zu tun bekommen, sehr viel. Der einzige, der etwas von Sprachwissenschaft versteht. Der spontane Protest paßt eigentlich nur zu Rilt, der energischen Rilt. Skeptisch, willenvoll und rasch entschlossen. Aber trifft sie immer das Richtige? Angst hat sie gewiß nicht. Sie kennt den Tod in all seinen Schattierungen. Sie muß schon manchen Kameraden gerettet oder seine Schmerzen bis zum unabdingbaren Ende gelindert haben. Und Kark? Es ist schon die dritte große Reise nach seinem Ausrutschen damals. Er hat doch Erfahrung. Er müßte mich doch verstehen, er muß wissen, welche Verantwortung ich habe – oder gerade deshalb? Kark war der Sprecher, mit ihm stimmten sie überein. Vielleicht sollte er die Leitung übernehmen? – Ob der Verlust des Funkgerätes ihm zu schaffen macht? Keiner von uns war in einer ähnlichen Situation. Steht Surki zu mir? Sie wollte mir helfen. Sie ist die Jüngste, braucht sicher Halt – ob ich ihn ihr geben kann? Die erste Reise, und dann gleich so. Sie läßt sich leiten. Hat sie den stillen Widerstand der anderen überhaupt gespürt? Was hätte Mangk gesagt? Mangk, der Erfahrenste von uns allen? Ob er am Leben ist – allein in dieser Wildnis?
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Was sage ich, wenn ich wieder zu Hause bin, und er ist nicht dabei? Hätten wir suchen oder wenigstens noch länger funken sollen? Alle anderen und die Aufgabe gefährden? Aber was mache ich jetzt? Die Boote waren Zufall! In dieser Wildnis können denkende Wesen auf die Dauer nicht leben, wenn sie sich keinen Raum schaffen. – Obwohl – ich glaube, sie waren nackt. Das kann zweierlei bedeuten. Entweder ihre Haut ist so widerstandsfähig, daß sie hier existieren können, oder sie stehen auf einer so niedrigen Entwicklungsstufe, daß sie nicht in der Lage sind, sich Kleider zu fertigen. Jedenfalls – es waren drei Boote – in vier Tagen drei Boote, und nun tut Kark so, als ob der Fluß von ihnen wimmelte. Muß ich mir überhaupt so viele Gedanken über einen geringfügigen Zwischenfall machen? Flußab begann ein dumpfes, rhythmisches Dröhnen, hart und abgerissen. Es erhob sich aus den gewohnten Stimmen der Umgebung und stand plötzlich um sie herum, unterbrach Gespräch und Gedanken. „Was ist das?“ flüsterte Surki und blickte hilfesuchend auf Chalo. Sie lauschten. In das Dröhnen mischten sich Schreie, absterbend, auffliegend – nie gehörte Stimmen. Sie saßen starr und horchten, jeder den gleichen Gedanken: Da sind sie, die aus den Booten! Chalo stand auf, löste das Floß, ergriff einen Zweig und zog sich langsam aus dem Versteck. Kark, das Vorhaben erkennend, kroch bis zum Floßrand und beugte sich weit vor. Als er den Fluß einsehen konnte, gab er Chalo ein Zeichen. Es begann zu dämmern. Schon verschwammen die Umrisse. Weiter unten verschmolz der Fluß mit den Ufern zu einem dunklen, dunstigen Vorhang. Rechts über dem Fluß, schon im Schleier, färbte die Sonne einige Wipfel undeutlich, scheme nhaft rot. „Noch zu hell“, sagte Kark, indem er zurückkroch,
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„wir müssen noch warten.“ „Wir dürfen nicht alle zugleich“, sagte Min. „Du hast recht“, sagte Chalo, „ich werde fahren. Wer kommt mit?“ „Du wirst nicht fahren“, sagte Rilt bestimmt. Chalo blickte auf. „Du wirst nicht fahren“, wiederholte sie, „wo gibt es denn so etwas, daß der Kommandant spähen geht. Wenn dir etwas zustößt, was dann? Kannst du das verantworten?“ „Es sind noch andere da, vielleicht bessere“, antwortete Chalo. „Rilt hat recht“, warf Kark ein. „Ich werde fahren.“ „Und ich“, meldete sich Borl mit einem Seitenblick auf Min. „Gut“, sagte Chalo gedankenvoll. Was bewog die Gefährten auf einmal wieder, so zu reagieren? Sie hatten recht, und so lautete auch der Auftrag. Sie warteten. Das Dröhnen blieb, bald anschwellend, bald leiser, hart, abgerissen – dazwischen die Schreie, geheimnisvoll, unheimlich. Sie saßen schweigend, abwartend, gespannt. Dann entluden sie das Floß. Kark und Borl verständigten sich kurz, danach legten sie die Skaphander ab. Sie konnten hinderlich sein. Kark kroch mit Mins Unterstützung noch einmal zum Floßrand. Über dem Fluß lagerte Dunkelheit, oben schälten sich Sterne hell aus der Finsternis; weiter unten die Wipfel immer noch rot von den Strahlen der Sonne. Sonne, durchfuhr es Kark. Bin ich verrückt, wo soll jetzt noch Sonne herkommen? Er kroch aufgeregt zurück, sprang zu seinem Tragesack und turnte mit einem Fernglas wieder auf das Floß, von gespannten Blicken begleitet. Der rote Schein blieb, zuckte jedoch auf und ab, bald heller, bald dunkler. „Ein Feuer“, raunte Kark.
Leises Plätschern verriet den Wartenden die Rückkehr des Floßes. Kark und Borl vertäuten das Floß und kamen heran.
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„Sie sind es“, sagte Kark. Die wißbegierig auf sich gerichteten Augenpaare mehr fühlend als sehend, fuhr er fort: „Viele sind es. Sie haben ein großes Feuer. Die meisten gehen eigenartig hüpfend und schreiend darum herum. Ich glaube, sie tanzen – ja, ein Tanz wird es sein. Die anderen stehen und schlagen auf Gefäße – das ist das Dröhnen. Uns ähnlich sind sie. Zwei Beine, zwei Arme – der Kopf im Verhältnis zum Körper klein. Borl, was hattest du für einen Eindruck? Ob sie immer nackt gehen? – Oder nur beim Tanz?“ Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr Kark fort: „Ich glaube, immer. Die in den Booten waren auch nackt. Die Streifen im Gesicht müssen künstlich sein, sie sahen so verschieden aus. Im Hintergrund sahen wir Behausungen aus Stämmen und großen Blättern; am Fluß liegen viele dieser länglichen Wasserfahrzeuge.“ Er überlegte. „Ein totes Tier hing an einem Zweig, ein rundliches, schwarzes mit Hängeohren, kurzen Beinen, wie wir es neulich am Fluß sahen. Du erinnerst dich, Min? Es sah aus, als hätten sie davon gegessen.“ „Schwarze Schöpfe haben sie auf dem Kopf“, ergänzte Borl, „ich glaube, sie bestehen aus ebensolchen Fädchen wie bei den Tieren, die wir gesehen haben. Aber wir waren nicht nahe genug. Im Feuerschein sah alles so grotesk aus.“ Als Borl stockte, fragte Chalo: „Ihr meint, sie wohnen da?“ Es klang ungläubig. „Primitive Bauwerke aus Pflanzen stehen da, der Platz ist festgestampft. Auch die Bucht dürfte schon lange als Anlegestelle dienen“, antwortete Borl. „Habt ihr Geräte, Maschinen gesehen?“ „Nichts – draußen jedenfalls nicht.“ „Nackt in dieser Wildnis, primitive Häuser, keine sichtbare Technik, ich kann es nicht glauben, daß das die Wesen sind, die Satelliten und Flugapparate bauen und einen so intensiven Funkverkehr haben“, warf Min ein.
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„Der Flugapparat kann Täuschung sein“, antwortete Chalo, „ich habe damals nur huschende Lichter wahrgenommen. Aber in dem anderen pflichte ich dir bei. Vielleicht sind die Satelliten doch fremden Ursprungs?“ „Aber es sind vernünftige Wesen und keine Tiere“, sagte Borl. „Sie paddeln und haben Gefäße. Manche tragen Dinge um den Hals, die vielleicht Schmuck sein könnten. Sie haben auch eine Sprache, sie spiegelt sich deutlich in den Schreien wider. Es sind die Herren des Planeten, bestimmt.“ „Wir brauchen nicht zu streiten, wir werden sehen“, sagte Rilt. „Freunde“, sagte unvermittelt Chalo, „ihr hattet recht. Es wäre eine Fehlentscheidung von mir geworden, hättet ihr mich nicht gehindert. Sie hätten uns entdeckt, das ist nicht verzeihlich…“ „Unsinn“, schnitt Borl ihm das Wort ab. „Wir sind hier fremd, das wird noch öfter passieren.“ „Es zeigt lediglich, Chalo“, sagte Min, „daß wir jeden, auch den kleinsten und unbedeutend erscheinenden Schritt abwägen müssen. Wir müssen lernen, nicht unsere gewohnten Maßstäbe anzulegen, das ist alles.“ „Redet nicht soviel müßiges Zeug“, meldete sich Rilt wieder. „Was geschieht weiter?“ „Wir nehmen Kontakt auf“, sagte Min. Sie berieten noch lange über das Wie.
Langsam in der Strömung treibend, glitt das Floß auf die Bucht zu. Kark korrigierte ab und zu die Richtung, während Min und Borl aufrecht stehend das vorbeiziehende Ufer musterten. Sie hatten die Skaphander angelegt – als Schutz und als Zeichen ihrer Herkunft. Kark gab den drei anderen Gefährten, Chalo, Surki und Rilt, die noch während der Nacht nach einem Fußmarsch am Ufer gegenüber der Bucht eingetroffen waren,
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verabredete Zeichen. Chalo wußte nun, daß sie am anderen Ufer anlegen würden. Da lagen die Boote, schlanke, lange, offenbar aus einem Stück bestehende Fahrzeuge. Nichts rührte sich. Kark bremste das Floß, es stand wenige Körperlängen vom Ufer, das wie ausgestorben schien. Außer den Tierschreien und dem leisen Murmeln des Wassers war nichts zu hören. Borl empfand den Gegensatz zum Vorabend. Hier hatten sie in der Dunkelheit das Dröhnen und Schreien genau vor sich, so daß das Paddelgeräusch völlig darin versank. Das Floß stieß ans Ufer. Sie gingen zögernd an Land und zogen das Fahrzeug ein Stück nach, immer nach allen Seiten spähend, jeden Augenblick gewärtig, auf die Wesen zu treffen. Der Boden trug Spuren fortwährenden Begehens. Deutlich waren einzelne große Fußabdrücke auszumachen, länglich, mit fünf kleinen Ballen in einer Reihe. Hier soll eine Wohnstatt sein? dachte Min. Wenn die Boote nicht wären, ich glaubte es nicht. Hintereinandergehend drangen sie langsam durch einen Gebüschstreifen, der die Behausungen vom Ufer trennte. Kark führte, Min ging am Schluß. Sie drehte sich noch einmal um zu den Kameraden, die sie auf der anderen Seite des Flusses wußte und deren Blicken sie nun entschwanden… Was war das? Seitlich, dort, wo das Dickicht am Rande der Bucht bis zum Fluß hinunterreichte, verschwand etwas Dunkles. Nur das Schwanken einiger Zweige bewies, daß keine Täuschung möglich war. Eines der Wesen oder ein Tier? Min beschleunigte den Schritt und war erst beruhigt, als das Leuchten von Borls Skaphander unmittelbar vor ihr auftauchte. Borl hatte sie erwartet. Er ließ sie vorgehen und übernahm selbst den Schluß. Sie standen vor der von vielen Füßen festgestampften Lichtung. In der Mitte ein Haufen Asche, aus dem eine dünne Rauchfahne emporkräuselte. Nichts, kein
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Lebewesen, kein Laut. Fast im Halbkreis standen die Hütten, einfach, primitiv. Ernüchtert stellte Borl fest, daß im grellen Licht der Vormittagssonne alles noch primitiver, unzivilisierter anmutete als nachts im Feuerschein. Sie standen dicht beisammen und berieten leise. Sie beschlossen zu rufen. Kark nahm den Helm ab und rief laut, einmal, zweimal. Dünn klang seine Stimme und verhallte. Nur einen kurzen Moment setzten die Laute ringsum aus, als lauschten die Tiere erstaunt einem neuen Artgenossen. Keine Resonanz, nichts. „Es hat keinen Sinn“, flüsterte Borl, „wahrscheinlich sind sie in den Hütten und warten ab. Wir müssen sie dort aufsuchen.“ Kark setzte seinen Helm wieder auf. Dicht zusammengerückt gingen sie auf die größte Hütte zu. Kark zögerte. Dann schlug er entschlossen die den Eingang verdeckende Matte zur Seite und ging hinein, gefolgt von Min und Borl. Es war dämmrig in der Hütte. Durch zahlreiche Ritzen und Löcher drang das Licht von draußen herein. Allmählich gewöhnten sie sich an das Dunkel. Die Hütte war leer – das heißt, sie beherbergte keine lebendigen Wesen. Einige Gefäße standen auf dem Boden, an einer Wand eine große Schütte von Blättern, von der niedrigen Decke hingen Bündel trockener Kräuter und Früchte herab und einige aus Pflanzenteilen gefertigte Geräte standen umher – nichts weiter. Da bückte sich Min und hob etwas auf. Einen kleinen runden Gegenstand, an dem der Rest eines Gewebes hing, im Halbdunkel schlecht zu erkennen. Sie hielt den Gegenstand ins Licht. Eine metallene, flache runde Scheibe, in der Mitte vier Löcher, durch die dünne Fäden gezogen waren, die auf der Unterseite einen ausgefransten Geweberest hielten. Auf dem kleinen runden Ding waren Zeichen eingeprägt. Min steckte es nachdenklich in ihre Außentasche. „Gehen wir“, sagte sie und schlug die Matte zurück.
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Mit einem unterdrückten Schrei ließ sie sie fallen und stieß mit Kark zusammen, der ihr gefolgt war. Sie deutete nach draußen, erschrocken sah sie die Gefährten an. „Da sind sie“, flüsterte sie. „Also doch“, sagte Kark zögernd und klappte die Matte zur Seite. Er blieb unentschlossen stehen. Im weiten Halbkreis standen sie dicht an dicht, eine braune, glänzende Mauer, und starrten reglos zu ihnen her. Sie hatten Streifen im Gesicht und ausgefranste Gebilde um Hals und Arme. Jeder hielt einen mannshohen Stock in den Händen. Sie gingen zögernd auf den Kreis zu. Plötzlich hoben einige, gefolgt von den anderen, den langen Stock an den Mund, und kurz vor den Füßen der Raumfahrer sprangen, ohne daß außer einem leisen Zischen ein Laut zu hören gewesen wäre, kleine Staubfontänen hoch, hervorgerufen von dünnen, aufschlagenden Stiften. „Aha, bis hierher und nicht weiter“, sagte Borl. Sie blieben stehen. Kark machte Anstalten weiterzugehen, sofort hoben sich die Rohre. Es war unmißverständlich. „Wenn sie keine anderen Waffen haben“, meinte Kark, „brauchen wir keine Angst zu haben. Die Stifte durchdringen unseren Anzug nicht.“ „Sie blasen sie mit dem Mund durch ein Rohr“, bemerkte Min. „Wir müssen vorsichtig sein. Schließlich gibt es große Tiere, und mit denen müssen sie auch fertig werden. Entweder sie haben noch andere Waffen, oder diese sind gefährlicher, als wir meinen.“ Sie hob einen der Stifte auf. Sofort machte sich ihnen gegenüber eine Unruhe bemerkbar. Etliche Rohre wurden drohend erhoben. „Also doch“, bemerkte Min und ließ den Stift, der an einem Ende eine Art Flaum trug und am anderen Ende in einer Spitze auslief, fallen. „Wie nun weiter?“ fragte Borl. „Es muß etwas geschehen.“
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„Wir gehen zurück in die Hütte“, entschied Kark. Kaum schloß sich die Matte hinter ihnen, als draußen ein Gemurmel und Rufen begann. Sie blickten durch den Spalt und bemerkten, daß sich die Kette in kleine Gruppen aufgelöst hatte. Aufgeregt redeten die braunen Gestalten aufeinander ein. „Sie wissen auch nicht weiter“, bemerkte Borl. „Das sieht genau nach einer Beratung aus.“ „Ich habe mir die Begegnung mit vernunftbegabten Wesen einer anderen Welt ganz anders vorgestellt“, sagte Kark. „Es ist bloß die Frage“, sprach Min nachdenklich aus, was sie schon die ganze Zeit bewegte, „wie vernunftbegabt Wesen sind, auf welcher Stufe sie stehen. Wir werden nur mit denen Kontakt finden, die sich in ihrem Denken vom bloßen Selbsterhaltungstrieb gelöst haben und die beginnen, die sie umgebende Natur nicht hinzunehmen, sondern sie zu ihrem Wohl zu verändern. Und das tun diese hier nicht. Schaut euch nur diese Werkzeuge an. Ich weiß nicht, wozu sie dienen, aber sie dürften wohl nur primitivste Zwecke erfüllen. Oder diese Behälter, roh, uneben, nur so weit bearbeitet, daß man etwas hineintun kann. Und die Waffen, sicher gefährlich, aber keine Spur von Mechanik, nichts Technisches. Ich meine jedenfalls, daß wir die Erbauer der von uns entdeckten Satelliten und des Flugapparates nicht auf diesem Planeten suchen dürfen.“ Enttäuscht und entmutigt klangen Mins letzte Worte. Borl ahnte, was in ihr vorging. Wenn keine vernünftigen Wesen hier anzutreffen waren, die auf der nach den Anzeichen vermuteten Entwicklungsstufe standen, dann reichte ihr Leben nicht aus, um mit eigenen Mitteln den Planeten jemals verlassen zu können. Und daran dachte Min. Borl trat zu ihr. Er sah ihr durch das Helmglas ins Gesicht und sagte leise, aber so, daß es Kark auch noch hören konnte: „Und wenn es hier noch andere gibt, außerhalb dieser Wildnis, andere, die wir finden werden? Sie müssen Sender hier haben, und zwar viele!“
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„Und die da draußen?“ antwortete Min skeptisch. „Warum sollten die in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sein? So etwas gibt es nicht. Es kann auf ein und demselben Planeten nicht solche Extreme geben. Nein, Borl, wenn wir auf Wesen treffen, dann sind sie nicht von hier. Und wenn sie den Planeten nicht besiedelt haben, sondern nur erforschen, dann ist es ein großer, großer Zufall, wenn sie uns oder wir sie finden.“ „Hallo“, meldete sich unerwartet über Funk Chalo. Die drei horchten auf. „Hallo, ich habe euch die ganze Zeit über Funk gehört, wie wir es ausgemacht hatten. Wir können über das Problem hier weitersprechen. Kommt jetzt schnell zu uns. Surki ist krank. Geht einfach los. Ich glaube, es kann nichts passieren. Ende.“ Die drei sahen sich an. Was war mit Surki? Sie traten hinaus. Sofort fuhren die Gestalten auseinander und formierten sich zur Kette. „Es sind weniger geworden“, sagte Kark. „Hoffentlich hat das nichts zu bedeuten.“ Sie zögerten. „Also los“, ordnete Kark an, „zum Fluß und – beisammen bleiben!“ Er wandte sich dem Gebüsch zu. Vor dem Pfad, der zum Fluß führte, war die Kette besonders dicht. Sie gingen geradewegs darauf zu. Kark drehte sich noch einmal um. „Nicht den Strahler nehmen, solange es irgend geht“, sagte er. Min sah nicht links noch rechts, sie hielt sich mit dem Blick an Karks Skaphander fest und achtete nur auf den Boden, um nicht über Wurzeln zu straucheln. Sie sah nicht, wie sie die Rohre hoben. Sie hörte dann nur harte, klingende Aufschläge, erst vorn bei Kark, fast gleichzeitig bei Borl, und dann merkte sie es an sich. Auch ihr Skaphander wurde getroffen. Der Hagel währte nur wenige Augenblicke. Plötzlich erhob sich ein Geschrei. Min, auf alles gefaßt, blickte auf.
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Sie sah nicht mehr viel. Panikartig sprangen die Wesen ins Dickicht, einige warfen die Rohre weg. Es war ein Angstgeschrei, das sie ausstießen. Der Weg zum Fluß war frei. Als sie ihn erreichten, blieben sie erstaunt stehen. Die Boote waren verschwunden. Nur ihr Floß lag einsam, halb aus dem Wasser ragend, in der Bucht. Beim Näherkommen bemerkten sie einen eigenartigen Ring auf dem Boden rings um das Floß, und es roch nach Rauch. Sie schoben es ins Wasser und paddelten schnell über den Fluß. Chalo erwartete sie am Ufer. Er erklärte knapp: „Gleich nachdem ihr im Gebüsch verschwunden wart, regte es sich drüben. Sie umzingelten euch. Später, als ihr in die Hütte zurückgingt, kam eine Gruppe an den Fluß und ruderte mit den Booten stromauf. Auch das Floß wollten sie mitnehmen, da mußte ich eingreifen. Ich habe mit dem Strahler einen Ring herumgezogen. Zum Glück lief keiner hinein. Schon der aufsprühende Staub und Rauch schreckte sie.“ „Was ist mit Surki?“ fragte Min besorgt. „Kommt zum Lagerplatz, vielleicht weiß Rilt inzwischen mehr.“ Surki hatte den Skaphander an. Trotz der Temperierung im Inneren standen dicke Tropfen in ihrem Gesicht. Sie hielt die Augen geschlossen. „Wie kam es?“ fragte Borl. „Ganz plötzlich. Wir lagen hier seit dem Sonnenaufgang und warteten auf euer Kommen. Drüben regte es sich, einige Boote legten ab, einige der Wesen badeten, und da sahen wir zu und achteten nicht aufeinander. Surki klagte nicht, bis ich zufällig einmal hinsah. Da lag sie, mit dem Gesicht nach unten, und erkannte mich nicht mehr. Hohe Temperatur, Mattigkeit. Ich habe ihr natürlich etwas gegeben, aber solange ich nicht weiß, was sie haben könnte…“ „Wir müssen hier weg, schleunigst weg!“ sagte Chalo. „Wir haben nur noch für etwa 40 Tage unsere Luft und noch weniger
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Verpflegung. Bis dahin müssen wir hier raus, und bis dahin atmen wir die Planetenluft nur kurzzeitig und rühren nichts von den Früchten wieder an.“ „Und wie wollen wir so schnell rauskommen?“ fragte Min. „Da wir jetzt wissen, daß die Waffen dieser Dickichtbewohner uns nichts anhaben können, wir sie aber andrerseits mit den Strahlern auf Distanz halten können, schlage ich vor, Tag und Nacht flußab zu fahren, und zwar so lange, bis wir entweder den größeren Fluß treffen, der aus dem Gebirge kommt, oder bis wir aus diesem dichten Wald heraus sind. Es bleibt uns keine andere Wahl.“ „Gut“, pflichtete Kark bei, „wir sollten uns aber noch ein anderes, schnelleres Fahrzeug bauen. Lieber noch den einen Tag hiergeblieben, aber dann doppelt so schnell gefahren.“ „Einverstanden“, sagte Chalo, „siehst du eine Möglichkeit?“ „Ich habe mir die Boote angesehen. Sie sind aus einer Pflanze, wie sie hier überall wachsen. Die Höhlungen scheinen ausgebrannt zu sein. Das dürften wir mit unseren Strahlern in kurzer Zeit schaffen.“ „Gut“, sagte Chalo, „fangen wir an. Rilt bleibt bei Surki. Min übernimmt die Wache, und wir drei machen das Boot. Ich denke, daß wir am Abend aufbrechen können.“ Sie fällten einen Baumriesen, schnitten ihn zurecht und begannen an drei Stellen zugleich, ihn vorsichtig auszubrennen. Durch Rauch und Funken fragte Borl: „Du, Chalo, weshalb haben sie uns in der Siedlung nicht offen empfangen?“ „Sie sind uns in ihrer Umgebung sehr überlegen. Und da sie offenbar Angst vor uns haben, müssen wir auf der Hut sein. Sie sehen sich bedroht und werden sich wehren wollen, zumal sie nun sahen, daß ihre Waffen wirkungslos sind. Vielleicht denken sie auch, daß wir uns des unfreundlichen Empfangs wegen rächen wollen.“ Min hatte einen der Stifte untersucht. Sie lief zu Chalo:
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„Hier, seht her, die Spitze ist anders gefärbt, ich glaube, Gift haftet daran.“ „Wir werden eine Analyse machen – schade, Surki kann uns nicht helfen“, sagte Chalo. „Übrigens habe ich den Gegenstand noch einmal untersucht, den ich mitnahm. Der ist nicht von hier.“ Borl ließ sich die kleine Scheibe mit dem Geweberest geben. Sie beugten sich darüber. „Metall und aus zwei Teilen zusammengestanzt, die Löcher exakt rund. Min, du hast recht, ausgeschlossen, daß sie das hergestellt haben, das setzt Maschinen voraus. Borl, was können das für Zeichen sein, die hier eingeprägt sind?“ fast rief Chalo diese Worte, er war freudig erregt, und irgendwie sprang diese Freude auf die anderen über. „Eine Art Schrift“, sagte Borl.
10 Die lehmigen, mit Dornenhecken übersäten Hänge der Schlucht machten vor allem den Trägern zu schaffen. Und dann kam wieder der Wald, dichter und üppiger denn je. Vorn das Bild wie in den Tagen vorher. Nur langsam wich unter den wuchtigen Schlägen der Macheten der Mato zur Seite und gab einen schmalen, dunklen Tunnel frei. Sie stolperten über Wurzeln; die Füße klatschten in Morast, hier und da verhedderte sich ein sperriges Gepäckstück im Geäst und – das Schlimmste – Myriaden von Insekten stürzten sich auf die Eindringlinge, ließen sich gierig auf freie Hautstellen nieder oder durchstachen die durchschwitzten Blusen. Helston ging hinten. Er fluchte halblaut vor sich hin, immer
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wieder mit der flachen Hand in den Nacken schlagend, wo sich trotz des herabhängenden Moskitoschleiers auf der Haut, große gerötete Quaddeln abzuzeichnen begannen. Mabel ging langsamer. Sie dachte an das Gespräch mit Walker. Helston, was war das für ein Mensch? Treibt ihn wirklich nur der Ehrgeiz durch den Urwald? Sind ihm echter Forscherdrang und die Kraft, damit verbundene Rückschläge hinzunehmen, tatsächlich fremd? Warum der Streit mit Sunday? Und warum reagiert der Professor so lasch? Hatte Walker mit seiner Skepsis gegenüber Helston recht? Oder war es ein gewisser Neid des Sich-Durchschlagen-Müssenden gegenüber einem, dem schon von der Wiege an ein sorgenfreies Leben beschieden war? Mabel wollte sich ihr eigenes Urteil bilden. Trotz gewisser unangenehmer Eigenschaften war ihr Helston sympathisch. Sie drehte sich halb um. Helston setzte sich, wie weiland Don Quichote gegen die Windmühlen, mit wild fuchtelnden Armen gegen einen Schwarm von Mücken verzweifelt zur Wehr. Mabel zückte ihren Fotoapparat und knipste. Dabei lachte sie über das ganze Gesicht. Helston grinste etwas süßsauer zurück. „So toll wie heute war es noch nicht“, sagte er. „Das macht die Nähe des Flusses“, bestätigte Mabel. Sie ging jetzt unmittelbar vor ihm. „Ich finde es einfach albern vom Alten, uns hier entlangzujagen. Anstatt die Boote ins Wasser zu setzen und zu fahren, schleppen wir sie hier herum. Immer diese blödsinnige Rücksicht auf die Indios.“ „So dürfen Sie nicht reden. Der Professor hat Erfahrung.“ „Ja, ja, das kenn ich schon“, sagte Helston maulend. „Wenn es nach mir ginge, wären wir längst an dem sicher nicht existierenden Ort der vielen Steine. Vielleicht sogar schon auf dem Heimweg – oder glauben Sie etwa noch an einen sensationellen Fund? Bei Ihrem Kinderglauben würde ich mich gar
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nicht darüber wundern“, fügte er bissig hinzu. Mabel überhörte die Bemerkung. Sie wunderte sich. Jedem anderen hätte sie einen solchen unmotivierten Ausbruch sicher übelgenommen. Schweigend gingen sie hintereinander. „Sie hätten nicht mitmachen sollen“, sagte sie plötzlich. „Mitmachen ist gut“, sagte er. „Wenn ich hier nicht mitmachte, wäre vielleicht das ganze Unternehmen geplatzt.“ Mabel erschien Helston in diesem Augenblick unwahrscheinlich überheblich. Gegenüber Walker war er schon häufig so aufgetreten. Deshalb mag der ihn nicht, dachte Mabel. Aber ist Helston wirklich so, oder ist es die allgemeine Gereiztheit, die jeden mehr oder weniger beherrscht in den letzten Tagen? Das würde zwar von wenig Selbstdisziplin zeugen, wäre aber immerhin verzeihlich. Die Spitze machte halt. Professor Sunday wartete, bis alle heran waren, dann sagte er: „Ich glaube, wir sind nun weit genug entfernt, wir können zum Fluß durchbrechen. Wir werden die Schlucht weitergehen, sie muß schließlich am Ufer münden.“ „Und wenn die Indios uns entdecken?“ fragte Mabel. „Nun, wir können uns im Wald frei bewegen. Ich glaube kaum, daß sie uns nunmehr, nach zwei Wochen Aufenthalt bei ihnen und den Geschenken, die wir ihnen machten, noch angreifen werden“, bemerkte Walker. „Wenn sie etwas zu verbergen haben, werden sie uns den Zutritt dazu sicher offen verwehren“, setzte er noch hinzu. „Und warum dann erst der Umweg?“ wollte Helston wissen. „Lassen Sie das endlich, Helston.“ Der Professor schien wütend. „Wir wissen ja, daß Sie nicht einverstanden sind.“ „Helston, seien Sie nicht störrisch“, mischte sich Dr. Brand vermittelnd ein. „Die Indios sind tatsächlich schneller als wir im Urwald. Und wenn sie etwas flußauf zu verbergen haben, dann wären, wenn sie unsere Absicht durchschaut hätten, die Chancen, etwas zu finden, noch geringer. Und bedenken Sie, in
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welche Situation wir den Sohn des Zauberers gebracht hätten. Außerdem haben wir es in der Mehrheit beschlossen.“ „Schon gut“, brummte Helston und machte sich an seinem Gewehr zu schaffen. Sie formierten sich wieder. „Er wird immer unleidlicher“, raunte Walker Mabel im Vorübergehen zu. Sie antwortete nicht. Schweigend schlugen sie sich zum Fluß durch. Nach zwei Stunden sahen sie ihn nach dem Durchbrechen des außerordentlich dicht verwachsenen Uferstreifens vor sich. Es zeigte sich, daß Professor Sundays Entschluß, der Schlucht zu folgen, von Erfolg gekrönt war: An dieser Stelle hatte sich der Wasserlauf tief in den Untergrund eingegraben, und nur die Schlucht durchbrach das steile, überhängende Ufer. Die Träger warfen die Lasten ab. „Wir können noch ein Stück vorankommen heute“, sagte Professor Sunday mit einem Blick zur Sonne, die noch ziemlich hoch stand. Walker kümmerte sich um die Schlauchboote. Bald strömte die Luft in sie hinein. Wie unförmige Würste wälzten sich die Hüllen, bis sie prallglänzend startklar am Ufer lagen. „Auf geht’s“, munterte Walker die übrigen auf, die müde und abgespannt auf den Gepäckstücken herumsaßen und seine Fröhlichkeit offenbar nicht teilten. Schnell war das Gepäck verstaut. Der Professor stieß mit drei Trägern und Miguel als erster ab. Im zweiten Boot folgten Mabel und Helston und ebenfalls drei Paddler. Den Schluß im dritten Boot bildeten Dr. Brand und Walker mit den restlichen Trägern. Auch hier war der Fluß klar, so daß stellenweise der braune Grund mit darüber huschenden, glitzernden Fischleibern zu sehen war. Jeweils zwei der drei Indianer paddelten. Der dritte hielt mit Ausschau. In bestimmten Intervallen wechselten sie die Plätze,
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um sich an den Paddeln abzulösen. Träge gluckste der Fluß. Trotz der geringen Strömung schoben sich die ungefügen Fahrzeuge nur langsam stromauf. Der Professor dämmerte vor sich hin, sich dann und wann aufraffend, um wieder die Ufer aufmerksam zu mustern. Auch ihn hatte der Marsch angegriffen. Jetzt hatte er sich ein Moskitonetz umgehängt, um die lästigen Insekten abzuhalten. Müde hielt er das Gewehr auf den Knien. Er drehte sich um. Den anderen ging es anscheinend nicht besser. Mehr oder weniger dösten sie vor sich hin, ab und an den Schweiß wischend. Nur Helston schien verhältnismäßig munter. Der Professor lächelte. Einen unwahrscheinlichen Ehrgeiz muß dieser Mensch haben, dachte er. Er sucht den Erfolg, er hat trotz seiner abfälligen Äußerungen noch nicht aufgegeben. Er will nicht ohne Ergebnis kommen, aber – es muß auch mein Ergebnis sein. Der Professor dachte zurück, dachte an die Verteidigung seines Antrages und an die Empfehlung des Vorsitzenden, den jungen Helston mitzunehmen. Nur daß er Archäologie studiert hatte, war bekannt. Ihm war noch die erste Begegnung gegenwärtig, als ihm Helston frei und ohne Scheu die Hand drückte. Damals war Sunday angenehm enttäuscht. Er hatte einen eigenbrötlerischen, zurückhaltenden Mann erwartet, einen Sonderling, der zum Industriellen nicht taugte. Statt dessen begrüßte ihn ein selbstbewußter, durchtrainierter Sportsmann, der gewiß kameradschaftlich sein würde und zweifellos ein Gewinn für die Unternehmung zu werden versprach. Ein Vertreter seines Milieus, dachte ich damals, spann der Professor den Erinnerungsfaden fort. Er genießt gedankenlos die Vorteile, die ihm Vermögen und Einfluß des Vaters verschalten. – Ist er deshalb schlecht? Er selbst machte damals den Eindruck, als ob er durchaus mit beiden Beinen in der Wirklichkeit stünde. Er stürzte sich mit Elan in die Vorberei-
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tung der Expedition, zerstreute mit seinem Optimismus viele der ewigen Bedenken Walkers und zeigte große Umsicht bei der Auswahl der Ausrüstungsgegenstände. Die ersten Wochen im Urwald war er voller Zuversicht. Mit Feuereifer barg er die spärlichen Funde. Und jetzt? Ist seine Ungeduld, sein mitunter verletzendes, undiszipliniertes Auftreten eine andere Form, in der sich sein Ehrgeiz äußert? Sollte aber ein gebildeter junger Mann nicht soviel Selbstbeherrschung aufbringen, wie sie der Umgang mit anderen Menschen gebietet? Warum meint er, es nicht nötig zu haben? Sind der joviale Sportsmann, der kameradschaftliche Fachexperte Tünche? Ist er weiter nichts als ein junger Mann, der den Erfolg wünscht und alles, was ihn hemmt – darunter, wie er meint, auch mich –, zur Seite schieben möchte? Wer tut das heute nicht in unserer Welt? Über Professor Sundays Gesicht huschte der Hauch eines bitteren Lächelns. „Hallo, Herr Professor“, raunte plötzlich Miguel, der vorn im Boot hockte. Der Professor schreckte auf. „Was ist?“ fragte er. Gleichzeitig fiel ihm auf, daß das Boot langsam dem rechten Ufer zugetrieben wurde, wobei die Indios sorgsam das Plätschern der Ruder zu vermeiden suchten. Der Professor drehte sich um. Die anderen Boote folgten ihrem Beispiel. Unauffällig hatten sich die Indios verständigt. „Dort vorn -“, Miguel wies mit der ausgestreckten Rechten flußauf, „Boote sind, Indioboote.“ Der Professor strengte sich an, er konnte jedoch außer dem dämmrigen, hohen Uferstreifen mit wirrem, in den Fluß hineinragendem Gestrüpp nichts entdecken. Den anderen schien es ähnlich zu ergehen. Er sah, wie auch sie von den Booten aus angestrengt nach vorn schauten, ohne Zeichen eines Erkennens von sich zu geben. Langsam hob er
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das Fernglas. Es dauerte auch jetzt noch eine Weile, ehe er im Uferschatten die beiden Boote liegen sah – oder besser ahnte. Sie lagen versteckt im Ufergestrüpp und schienen leer zu sein. Gleichzeitig sah der Professor jedoch den Baum. Er stimmte genau mit der Beschreibung des Sohns des Zauberers überein. Weiß und gespenstisch reckte er seine mächtigen dürren Zweige über das Wasser. Sein Stamm stand so schräg, als fiele er jeden Moment in den Fluß. Voller Hochachtung betrachtete der Professor die wie teilnahmslos vor sich hin paddelnden Indios, die die Boote mit bloßem Auge vielleicht besser sahen als er mit dem Feldstecher. Sie waren angelangt – und es mußten Indios in der Nähe sein, ein Umstand, der die letzte Unternehmung dieser Exkursion gefährden konnte. Die beiden anderen Boote glitten näher, lautlos prallten sie zusammen. Sie berieten leise. Schließlich wurden sie sich einig, Miguel als Späher vorzuschicken. Bevor er nicht zurückkam, sollte nichts unternommen werden. Miguel zog sich die Kleider aus, band einen Strick um den Leib, steckte einen Dolch hindurch und glitt lautlos ins Wasser. Mit ein paar raschen Stößen hatte er das Ufergestrüpp erreicht und war darin verschwunden. Es dauerte lange, bis er zurückkam. Der Professor erschrak, als das Boot plötzlich schwankte. Er griff zur Pistole, um gleich wieder innezuhalten. Triefend tauchte Miguels Kopf über dem Bootsrand auf. Sein Lachen ließ die ganze Reihe gelbbrauner Zähne sehen. „Bin ich wieder da“, bemerkte er überflüssigerweise. „Los, was ist“, drängte Helston. „Hab ich meinen Dolch verloren“, sagte Miguel. „Muß neuen kaufen.“ „Laß doch den Dolch, verdammt noch mal“, fluchte Helston.
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„Dolch für armen Miguel sehr wichtig“, gab er blinzelnd zurück. „Hier, Miguel, damit kaufst du dir einen neuen.“ Der Professor hatte verstanden. Er reichte Miguel eine Münze. Miguel schwang sich ins Boot, langte sich eine Zigarette, brannte sie umständlich an, tat ein paar tiefe Züge, sah durch den ungeduldigen, sich nur mühsam beherrschenden Helston hindurch und sagte dann in einem Ton, als spräche er von der Ziege eines Bekannten: „Viel Steine dort“, unbestimmt wies er in den Wald zur Rechten. „Viel große Steine – eine Burg.“ „Was sagst du da?“ Der Professor war aufgesprungen und hätte beinahe das Boot zum Kentern gebracht. Helston lauerte wie ein sprungbereiter Tiger. „Weiter“, herrschte er Miguel an. Der tat wieder einen tiefen Zug und sagte dann: „Nichts weiter, schon alles.“ „Und die Indios?“ rief Helston. „Pst!“ zischte Miguel, plötzlich munter geworden. „Und die Indios?“ raunte Helston ungehalten. „Red schon!“ Miguel war wieder in seinen Gleichmut zurückgesunken. „Indios auch da“, sagte er. „Ach“, sagte der Professor enttäuscht. „Wie viele?“ fragte Helston. „Zweimal fünf“, sagte Miguel. „Sind sehr ernst, Medizinmann ruft Geister. Nicht gut zu ihnen gehn. Sind böse!“ „Das laß nur unsere Sorge sein“, gab Helston zurück. „Wie groß ist die Burg, von der du sprachst?“ mischte sich Dr. Brand ein. „Sehr groß.“ Miguel umschrieb mit einer Armbewegung einen Kreis. „So groß wie ganze Mission von Don Padre – ach, wie zwei Mission…“ Sie sahen sich an. „Ausgeschlossen!“ entfuhr es Mabel.
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Miguel streifte sie mit einem halb belustigten, halb verächtlichen Blick, worauf er ins Wasser spuckte und nichts sagte. Helston sah zur Uhr. „Worauf warten wir?“ fragte er. Ohne zu antworten, wandte sich der Professor erneut an Miguel: „Du sagst, sie beschwören Geister am hellerlichten Tage? Das muß etwas bedeuten! So was ist mir im Mato noch nicht begegnet.“ „Vielleicht einer sehr krank“, sagte nachdenklich Miguel, „vielleicht Kazike oder Zauberer.“ „Das ist doch jetzt unwichtig“, mischte sich Helston ein. „Wir verlieren kostbare Zeit, lassen Sie uns aufbrechen!“ „Ich habe die Verantwortung!“ Unerwartet heftig und so laut, daß Miguel beschwörend die Hände hob, herrschte der Professor Helston an. „Meinen Sie, ich will kurz vor dem Ziel riskieren, daß alles umsonst war? Wer weiß, welche Heiligtümer die Indios in den Ruinen sehen. Und wenn wir sie in ihren Zeremonien stören…“ „Ach, Geschwätz“, murmelte Helston, und lauter fortfahrend im Tone eines trotzigen Jungen: „Bitte, wenn Sie Angst haben. Ich bin mein eigener Herr. – Mabel, Sie wollen doch sicher aussteigen – bitte, tun Sie sich keinen Zwang an.“ Mit diesen Worten lud er seine Winchester durch, sah lässig den Browning nach und griff – da die Indios zögerten – zum Paddel. „Helston, Sie werden doch nicht!“ rief der Professor. „Und ob ich werde! Meinen Sie, ich lasse mir alles verderben?“ Er setzte das Boot in Bewegung. „Halten Sie an, Idiot!“ rief empört mit einem Temperament, das ihr keiner zugetraut hätte, Mabel. „Rennen Sie allein in ihr Unglück!“ „Ach, Sie wollen doch noch aussteigen? Aber bitte!“ Er stieß das Boot an das des Professors und ließ Mabel umsteigen. Unterdessen redeten die anderen auf ihn ein, abzuwarten, mit
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ihnen zu beraten. Helston blieb starrköpfig. Als die Indios immer noch zögerten, reichte er jedem von ihnen eine Münze. In den Missionen hatten sie den Wert des Geldes kennengelernt. Sie steckten es ein und ergriffen die Paddel. Noch einmal versuchte der Professor ihn zurückzuhalten. „Helston, nehmen Sie Vernunft an. Wir wollen genau wie Sie das erforschen, was es zu erforschen gibt. Aber lassen Sie uns überlegen und nicht übereilt handeln!“ „Ich habe genug, Professor, von all den Überlegungen und Rücksichten. Ich bin ein freier Amerikaner und mein eigener Herr, leben Sie wohl!“ Mit einem Ruck stieß das Boot ab und hielt genau auf den dürren Baum zu, an dessen Fuß ein Wildpfad in den Urwald führen sollte. Eine Weile saßen die anderen schweigend. Und dann redeten sie durcheinander. „Wir warten ab“, entschied der Professor. „Vielleicht sieht er die Nutzlosigkeit seines Alleinganges ein und kommt zurück. Ich würde nicht vor morgen früh mit der Besichtigung der Ruine beginnen.“ Er biß sich auf die Lippen, um seine aufsteigende Wut zu bekämpfen. Konnte es nicht einmal glatt gehen? Es war bis vor kurzem ein so ausgeglichenes Team. – Nun gut, der bisherige Mißerfolg konnte schon zu einer gewissen Gereiztheit führen – aber jetzt, so nahe am Ziel? Mußte es denn immer so einen Quertreiber geben? Ich hatte ihn nicht fahren lassen dürfen, der Professor sah dem davoneilenden Boot nach, aber was soll ich machen, hier auf dem Fluß und die Indios in der Nähe… Andrerseits ist er jung, ungeduldig – vielleicht wird doch noch ein echter Forscher aus ihm, der sich, alles ringsum vergessend, in die Aufgabe stürzt. – Aber es geht nicht ohne Disziplin. Ich werde ihn zur Rechenschaft ziehen! „Walker und Miguel – gehen Sie mit!“ entschloß sich der Professor plötzlich. „Versuche den Indios zu erklären, Miguel,
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daß wir die Steine nur anschauen wollen, und Sie, Walker, überzeugen Helston, daß wir erst morgen anfangen. Ich denke, wenn er die Ruinen gesehen hat, wird mit ihm vernünftiger zu sprechen sein. Los, machen Sie schon, daß Sie ihn noch einholen!“ setzte er ungeduldig hinzu. Unterdessen war Helston an dem Baum angekommen. Er sprang ans Ufer und zog das Boot, nachdem auch die Träger ausgestiegen waren, in ein Versteck. Die drei Indios wies er durch Zeichen an, sich in der Nähe des Bootes zu verstecken und ruhig zu verhalten. Durch die Ferngläser war deutlich zu erkennen, daß sie mit dieser Lösung durchaus einverstanden schienen. An Miguel gewandt, der noch dabei war, in Walkers Boot zu klettern, fragte der Professor: „Wie weit ist es bis zu den Steinen, Miguel?“ „Na, auf Pfad zwei Zigarett“, sagte Miguel. Offenbar war seine Zeiteinheit eine Zigarettenlänge. Der Streit hatte ihn nicht im geringsten berührt. „Das sind, wenn man so wie du raucht, etwa fünfhundert Meter. – Kommen Sie“, wandte er sich an die anderen, „wir fahren bis zu dem Baum, bleiben aber in den Booten.“ Der Professor stand im Boot und winkte dem zurückblickenden Helston heftig zu. Der zögerte, entschloß sich aber, als er sah, daß sich das Boot mit Walker und Miguel in Bewegung setzte, zu warten. Er akzeptierte wortlos die Begleitung Walkers, nachdem der mit Miguel angekommen war, und betrat als erster den schmalen Tierpfad. Dr. Brand hatte die Boote an einem überhängenden Ast vertäut, so daß die Indios die Paddel weglegen konnten und sie dennoch nicht abgetrieben wurden. Mabel saß vorn im Boot des Professors. Sie kämpfte gegen aufsteigende Tränen und riß wütend an ihrem Taschentuch. So ein verrückter, ungehobelter Kerl, dachte sie, wie er mich behandelt, wie ein kleines Kind. – Und ich dumme Gans ärgere
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mich auch noch darüber! Dabei benimmt er sich selber wie ein trotziger, ungezogener Junge. Der Teufel soll ihn holen. Hoffentlich passiert ihm nichts, dachte sie erschrocken weiter, das hätte ja gerade noch gefehlt. Sie starrten, beunruhigt durch das von Miguel geschilderte Verhalten der Indios, gespannt dorthin, wo die drei Gefährten wieder auftauchen mußten. Plötzlich bellten Schüsse auf. Zwei in dichter Folge, der dritte nach einer kleinen Pause. „Los, raus – wir müssen helfen!“ rief Dr. Brand. Schnell kappte er das Seil, ergriff ein Paddel und steuerte dem Ufer zu. „Mabel, Sie bleiben mit den Trägern hier, bewachen die Boote. Verstecken Sie sich! Sollten die Indios fliehen, kommen sie hierher zu ihren Booten. Seien Sie also vorsichtig.“ Sie verschwanden in Abständen im Dickicht. Vorn ging, das entsicherte Gewehr im Anschlag, Dr. Brand, danach folgte der Professor. Der Pfad, schmal und verwachsen, von zahlreichen Tierspuren gezeichnet, zog sich windungsreich in das Dickicht. Sie gingen so, daß sie einander nicht aus den Augen verloren. Plötzlich winkte Brand und blieb stehen. Mit raschen Schritten kam der Professor näher. Walker stand unter einem Ast, darunter lag, überdeckt von einem gelbbraunen, gefleckten Körper, Helston. „Ein Jaguar“, flüsterte der Professor. „So helfen Sie mir doch“, zischte Walker, der sich bemühte, den Körper des toten Tieres von Helston hinwegzuzerren. Dr. Brand packte zu. Sie warfen die Raubkatze herum. Helston sah mitgenommen aus, aber er lebte. Offenbar hatte der Jaguar auf dem Ast gelauert und Helston von hinten angesprungen. „So ein verdammter Idiot“, raunte Sunday. Die Raubkatze hatte die Pranken in Helstons Schultern geschlagen. Stark blutende Fleischwunden wurden unter der
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zerfetzten Bluse sichtbar. „Es ist keine Zeit zu verlieren“, sagte Dr. Brand. „Professor, sichern Sie die Gegend, ich muß mich schleunigst um Helston kümmern. Walker, Sie helfen mir.“ Sie rissen die Verbandpäckchen auf, streiften Helston die zerfetzte Bluse ab, und Dr. Brand legte einen Verband an. Helston stöhnte. Die Schmerzen lösten seine Benommenheit. „Bitte, Wasser“, flüsterte er. Walker setzte ihm die Flasche an. Erst jetzt schien dem Verletzten voll das Bewußtsein wiederzukehren. „Vorsicht – die Indios, ich habe doch geschossen – sie müssen es gehört haben…“ „Beruhigen Sie sich.“ „Was ist das, halt!“ schrie plötzlich der Professor. Auf dem Pfad sprang eine Gestalt zur Seite. Der Schuß krachte, ohne zu treffen. „Halt, Professor, ich, Miguel“, schrie es aus dem Dickicht zurück. „Das hätte schiefgehen können!“ schnaubte der Professor. „Indios sein nicht mehr da“, sagte Miguel, sich sorgfältig einen Dorn aus dem Arm ziehend, so, als sei nichts geschehen. „Schnell zurück zu den Booten“, ordnete Professor Sunday an. „Sie werden versuchen, zum Fluß zurückzukehren.“ Dr. Brand und Walker faßten Helston, der tapfer die Schmerzen verbiß, unter. Wie ein Schatten war Miguel verschwunden. Er eilte zum Fluß voraus. Am Ufer angelangt, sahen sie die Schlauchboote fast am anderen Ufer zu einem Pulk zusammengeschlossen. Nur zwei, drei Indioköpfe ragten, aufmerksam spähend, über die Bordwände. Jetzt erhob sich Mabel. Professor Sunday staunte über ihre Umsicht. Sie hatte, die Gefahr erkennend, die Boote aus dem Bereich der Indiopfeile
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herauspaddeln lassen. Viel zu langsam für die Wartenden kamen die Schlauchboote über den Fluß. Hastig verluden die Gefährten Helston, immer ins Dickicht spähend, gewärtig, daß jeden Augenblick die winzigen, schwirrenden, mit Sicherheit treffenden und todbringenden Pfeile aus dem Dickicht auf sie zuflögen. Nur Dr. Brand schien Hast und Befürchtungen der anderen nicht zu teilen. Sie fuhren in die Mitte des Flusses. Hier waren sie einigermaßen sicher. Am Ufer rührte sich nichts. Auch die scharfen Augen der Indios schienen nichts zu bemerken. Ruhig wiegten sich die zwei Indioboote in ihrem Versteck. Offenbar hatten die Eigentümer nicht den Wunsch, sobald zu ihnen zurückzukehren. „Wir müssen ein Stück wegpaddeln – vielleicht haben sie Angst. Wir müssen ihnen Gelegenheit geben, verschwinden zu können. Miguel, du fährst am Schluß. Wir fahren weiter stromauf.“ Mit einem Blick zur Uhr fuhr der Professor fort: „Wir werden auch gleich einen geeigneten Ankerplatz für die Nacht suchen. Heute unternehmen wir nichts mehr“, fügte er bestimmt mit einem Blick auf Helston hinzu, der bleich und noch ein wenig schwach an der Bordwand von Sundays Boot lehnte. Er widersprach nicht. Es war ihm jedoch unschwer anzusehen, daß er mit der Regelung auch jetzt noch nicht einverstanden war, obgleich ihm der klare Verstand sagen mußte, daß es, nach dem mißglückten, gefahrbringenden Ausflug das einzig Mögliche war. Als sich die Boote am Ankerplatz aneinanderrieben, neigte sich Dr. Brand zu Helston, zog aus seiner Kartentasche einen gefiederten Pfeil hervor, wickelte ihn vorsichtig aus einem Tuch und sagte: „Hier, Helston, ein Gruß von Ihren Halbmenschen, wie Sie zu sagen pflegen.“ Helston nahm verständnislos den Pfeil. „Sind Sie beschossen worden, Brand?“ fragte erregt der
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Professor. „Keine Spur“, sagte Dr. Brand. „Ich habe das Ding aus dem Jaguar gezogen. – Lediglich einer Ihrer Schüsse hatte dem Tier das Fell gestreift. Ohne den Indiopfeil wären Sie wahrscheinlich jetzt in den ewigen Jagdgründen.“ Die letzten Worte Dr. Brands klangen unverhohlen ironisch. Helston sagte nichts. Er betrachtete den Pfeil, legte ihn dann gedankenvoll neben sich und wandte sich ab. Bittend sah Mabel zu Brand, als wollte sie sagen, daß es nun genug sei. Dr. Brand nickte ihr – kaum merklich lächelnd – zu. Sie lagerten an einer breiten Stelle inmitten des Flusses. Walker hatte die erste Wache. Helston fieberte leicht. Mabel saß bei ihm, tauchte ab und an ein Tuch ins Wasser und legte es ihm auf die heiße Stirn. Nach einer geraumen Zeit sagte er, matt spöttelnd: „Sie hätten Ärztin werden sollen.“ „Sie werden lachen, das wollte ich auch, aber Pa zuliebe habe ich mich für die Archäologie entschieden“, ging sie ernsthaft, offenbar froh, daß das lastende Schweigen gebrochen wurde, auf seine Bemerkung ein. „Und, bereuen Sie es?“ Auch er fragte jetzt ernsthaft. „Nein, zumal es heute schwierig ist, als Arzt bestehen zu können ohne ein“, sie zögerte, „gewisses Anfangskapital.“ „Sie sind eigentlich ein feiner Kerl, Mabel“, sagte er leise. Er sah sie dabei nicht an. Sie lachte verlegen. „Was Sie nicht sagen.“ Er ging auf ihren humorigen Ton nicht ein, sah weiter in den immer dunkler werdenden Himmel, den Nacken auf der Bordwand. „Habe mich wohl ziemlich scheußlich benommen, was?“ fragte er unvermittelt. „Hm.“ „Ich glaube, vor allem Ihnen gegenüber. Bitte, entschuldigen Sie – war nicht so gemeint.“ Er griff nach ihrer Hand und drückte flüchtig ihre Finger.
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„Schon gut“, sagte, seltsam angerührt, Mabel. „Versuchen Sie ein wenig zu schlafen. Sie müssen morgen kräftig sein – in der Festung.“ Er sah sie an, nickte leicht und drehte den Kopf gehorsam zur Seite. Mabel saß noch lange und blickte auf den unruhig Schlafenden. Was für ein Mensch, dachte sie, so unstet, widerborstig und arrogant – und doch ein guter Kern? Oder war es Augenblicksstimmung? Fürsorglich, beinahe zärtlich, breitete Mabel eine Decke über Helston, zupfte das Moskitonetz zurecht und rollte sich dann selbst am Boden des Bootes zusammen. Es schliefen nur wenige in dieser Nacht. Die Gedanken weilten flußab bei der Burg. Ob es tatsächlich der Fund werden sollte, der mit einem Schlag alle Mühen und Strapazen aufwog? Es wäre zu schön, überlegte der Professor. Er lag im Boot und starrte in den samtschwarzen Himmel über sich, von dem die Sterne blitzten, deren Strahlen, am Moskitonetz gebeugt, Myriaden von bunten Lichtpünktchen erzeugten. Unbewußt rieb der Professor in seiner Hosentasche Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Glatt und geschmeidig verlief diese Bewegung. Ah, der Stoff! Aus weiter Ferne kehrten die Gedanken zurück. Der Stoff! Ob es gelingen wird, seine Herkunft zu ermitteln? Wie bereitwillig der Sohn des Zauberers von den heiligen Steinen sprach, was ihm auch bestimmt den Zorn des Stammes eingebracht hätte, wenn sein Verrat bekannt geworden wäre. Und wie er dagegen geschwiegen hatte, als er nach der Herkunft des Stoffes gefragt wurde. Dem Professor fiel wieder die Geheimnistuerei der Indios ein, als sie ins Dorf kamen. Etwas stimmte hier nicht. Mit diesem Gedanken schlief er, durch das leise Murmeln des Flusses und die Strapazen des Tages ermüdet, ein. Das Geschrei des neuen Tages weckte die Teilnehmer der Expedition.
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Helston brannte bereits wieder vor Ungeduld. Aber er sagte nichts. Vielleicht war er sich bewußt, in welche Gefahr er durch sein unbesonnenes Verhalten nicht nur sich, sondern die ganze Expedition gebracht hatte. Nach einer schnellen Konservenmahlzeit setzte sich die Gruppe langsam flußab in Bewegung. Die Augen aller waren gespannt auf das linke Ufer gerichtet. Schon lugte der dürre Baum über den Uferstreifen. Und viel früher als der Professor sah Miguel die Boote. „Boote noch da sein“, sagte er. Offenbar war auch er darüber verwundert. „Nun weiß ich wirklich nicht, was ich davon halten soll“, raunte der Professor den Gefährten zu. Bis zum gestrigen Anlegeplatz war noch eine hervorstehende Buschgruppe zu umfahren. Professor Sunday beugte sich im Boot überrascht vor: Am Ufer saß, zum Zeichen seiner friedlichen Absicht das Blasrohr sichtbar in einiger Entfernung aufrecht in den Boden gesteckt, ein Indio. Ruhig sah er den Ankommenden entgegen, ohne das geringste Zeichen einer Überraschung, ganz so, als ob Zeit und Ort des Treffens vereinbart worden wären und als ob es sich um eine alltägliche Begegnung handelte. Die übrigen Expeditionsteilnehmer in den anderen Booten waren nicht minder erstaunt. Zögernd folgten sie dem Boot des Professors, das langsam auf das Ufer zuhielt. Schußbereit hielt der Professor das Gewehr. Eine Falle? Aber das entspräche in keiner Weise indianischen Kampfmethoden. Professor Sunday gab Miguel Anweisungen. Dieser rief den Indio noch vom Boot aus an. Der stand langsam auf. Erst jetzt meinte der Professor in ihm einen der Krieger aus dem Dorf zu erkennen. Es entspann sich ein langer Disput, in dessen Verlauf der Ausdruck auf Miguels Gesicht immer erstaunter wurde. Der Indio gestikulierte außerordentlich viel mit beiden Händen. Er
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zeigte mehrmals zum Himmel, machte Bewegungen, als ob er flöge – offenbar fehlten in seiner Sprache Ausdrücke für das, was er sagen wollte. Angespannt verfolgten die übrigen das, was sich vor ihnen, noch völlig unverständlich, abspielte. Plötzlich wandte sich Miguel um. „Herr Professor“, sagte er stockend, „ich kann nicht genau verstehen. Habe ich aber Dämmerung. Gib das Stoffstück.“ Während die anderen erregt auf Miguel einfragten, was von ihm nur mit einem ungeduldigen Achselzucken quittiert wurde, wühlte der Professor neben zerknüllten Geldscheinen und einem Feuerzeug einen von jenen geheimnisvollen roten Fetzen aus der Tasche. Die Reaktion des Indianers war eine Mischung aus Erstaunen, Ehrfurcht und Schrecken. Schließlich gab er durch das Neigen seines Kopfes zu erkennen, daß er die unausgesprochene Frage Miguels, der ihm das rote Etwas entgegenhielt, bejahte. Nun erst bequemte sich Miguel, eine nach seinen Begriffen zusammenhängende Darstellung dessen zu geben, was er von dem Indio erfahren hatte: Danach war ein Gott, getragen von einer Wolke aus jenem roten Stoff, vom Himmel gestiegen, der sich jedoch zum Leidwesen der Indios von ihnen völlig abgekehrt hatte und in einen tiefen Schlaf gefallen war. In der Annahme, daß nunmehr großes Unheil über den Stamm kommen werde, versuchten sie ihn wieder zu versöhnen, jedoch ohne Erfolg. Zunächst wollten sie ihn völlig für sich behalten und hatten ihn aus dem Dorf, als sich die Fremden näherten, entfernt und zu den heiligen Steinen transportiert. Aber als er nach wie vor nicht zu ihnen sprach und plötzlich die freundlichen Fremden, die ebenfalls mit großer Macht ausgestattet schienen, wieder auftauchten, hatten die Indios beschlossen, die Fremden in ihr Geheimnis einzuweihen und sie zu bitten, ihnen den Gott versöhnlich zu
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stimmen. Auf die Frage Miguels, wieso die Indios wußten, daß sie wieder zurückkehren würden, zuckte der Indio nur mit den Schultern. Er wußte es eben. In der anschließenden kurzen Beratung waren sich die Expeditionsmitglieder einig, daß die „Gottstory“ der Indios – wie Helston formulierte – sicher irgendein natürliches Ereignis widerspiegelte, das offenbar für die Indios nicht faßbar war, sich aber ganz gewiß als harmlos aufklären würde. Nachdenklich stimmte alle das unleugbare Vorhandensein des geheimnisvollen Stoffes – aber auch das würde schließlich seine Aufklärung finden. Wichtig schien eines: Der Weg zu den heiligen Steinen war frei.
11 Ein Gewirr nie gehörter Laute drang aus weiter Ferne in Mangks Bewußtsein. Ist mir elend. Ich kann sicher nicht stehen. Was war eigentlich mit mir? Langsam kam Mangk die Erinnerung. Er sah das Gesicht, sah sich mühsam den Wall erklimmen. Gestürzt! Schwer gestürzt bin ich. Ich hätte den Helm nicht abnehmen sollen. Sie waren hinter mir her, die Rötlich-Glänzenden von der Lichtung – mir dem roten Fallschirm… Also nun haben sie mich, die Geräusche sind sicher ihre Stimmen. Sie sind um mich herum und warten, bis ich aufwache. Mangk, sie sind da, die du so herbeigesehnt hast! Du lebst, lebst!
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Es ist schwer, ich könnte jubeln, aber ich muß mich jetzt beherrschen. Den Augenblick, den ungeheuren Augenblick, mit Wesen einer anderen Welt vielleicht als erster Kontakt aufzunehmen, muß ich hinauszögern. Wenn ich nur nicht solchen Hunger hätte. Ob ich einmal kurz die Augen öffne? Sie sind zu nah, ich werde bestimmt beobachtet. Es muß Tag sein, sonst schiene es nicht so hell durch das Lid. Also mindestens eine Nacht war ich ohnmächtig. Die Pläne – habe ich sie noch? Halt, keine Bewegung. Was ist das? Ruhig weiteratmen! Jemand muß mir ganz nah sein. Das ist doch eine Art Atmen. Es berührt mich. Man hält etwas auf meine Brust. Eine Untersuchung – ein Arzt? Ein Arzt! Ich bin unter intelligenten Wesen, hier in der Wildnis! Es ist nicht zu fassen – sie haben einen Arzt hier. Trotzdem, ich will noch warten. Unmittelbar neben ihm erklang eine tiefe, abgehackte Stimme. Er hörte ein Rascheln, danach ein Tappen. Sie gehen! Ob sie einen Wächter zurückgelassen haben? Er lauschte, er hörte dieselben Tierstimmen wie die Tage vorher, allerdings gedämpfter. Aber nichts deutete mehr auf die unmittelbare Nähe eines der Wesen hin. Ich werde bis hundert zählen und dann die Augen aufmachen. Eins, zwei, drei… Warum haben sie mich verfolgt, ohne sich zu zeigen? … vierzehn, fünfzehn… Wenn sie sich hier im Urwald angesiedelt haben, dürfen wir mit einer hochentwickelten Technik rechnen! … achtundzwanzig, neunundzwanzig, dreißig… Ihre Stimme und Sprache sind so ganz anders. Es wird schwer werden, sich mit ihnen zu verständigen. Sie werden unsere Laute nicht artikulieren können und wir nicht die ihren.
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… vierundfünfzig, fünfundfünfzig… Borl müßte hier sein. Aber wer weiß, vielleicht haben die Gefährten schon lange Kontakt. Ob sie mich schon suchen? Ich muß zuerst einmal herausbekommen, warum die Waldbewohner sich so merkwürdig betragen haben. Sie müssen doch gesehen haben, daß ich nicht zu ihrem Planeten gehöre, daß ich von weit her komme. Sie müssen sich doch auch freuen. Wenn ich mir überlege, welches Ereignis es bei uns wäre, wenn fremde Wesen auf unserem Planeten in friedlicher Absicht gelandet wären. Nicht auszudenken! … siebzig, einundsiebzig, zweiundsiebzig… Wie verhalte ich mich? Ich kann sicher vor Entkräftung nicht stehen – aber das begreife ich nicht. Ich war zwar erschöpft, als ich zusammenbrach, aber nicht entkräftet. Sollte ich etwa tagelang ohnmächtig gewesen sein? Jetzt möchte ich etwas essen. Wenn sie mir etwas geben – werde ich es vertragen? Die Pläne – vielleicht haben sie die Pläne! Langsam, ganz langsam öffnete Mangk die Augen, erst zu einem Schlitz, dann allmählich weiter. Sein erster Eindruck von der neuen Umwelt waren Streifen, langgezogene Streifen, die das gesamte Gesichtsfeld einnahmen. Dann formte sich ein Bild: Stäbe, dünne Pflanzenstämme, umschlossen ein Oval. Zwischen ihnen drang Licht von außen ein und erhellte den dämmrigen Raum. Der zu überblickende Ausschnitt ließ auf einen fast runden Bau schließen. Der Boden, kahl und festgestampft, schien direktes Verwitterungsprodukt zu sein. Plötzlich wurden von außen die den Eingang verdeckenden Pflanzengeflechte bewegt. Langsame Schritte kamen näher. Das Wesen stand so nahe, daß Mangk es nicht ganz ohne den Kopf zu bewegen erfassen konnte. Ein runder Kopf, zwei dunkle Augen, darunter rötlich glänzende Haut, die straff den
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Körper umschloß. Mehr nahm Mangk nicht wahr, denn kaum, daß er die Augen offen hatte, stieß das Wesen einen Schrei aus, drehte sich blitzschnell um und war verschwunden. Ich wollte nach den Plänen sehen. Hier sind sie, ich habe sie noch! Vorsichtig richtete sich Mangk auf. Ihn schwindelte, und er meinte jeden Moment wieder zusammensacken zu müssen. Er drehte langsam den schmerzenden Kopf. Na also, da liegt ja meine ganze Habe. Auch der Helm, den hatte ich doch verloren. Sogar der Strahler ist da. Plötzlich drangen von draußen Laute herein, eine Gruppe, eine größere Gruppe näherte sich. Sie sehen uns etwas ähnlich – aber was sie nur für eine Haut haben, und der kleine Kopf. Mangk unterbrach seine Überlegung und starrte auf die sich bewegende Matte am Eingang. Der große Augenblick, er war da. Spontan wollte Mangk aufstehen, aber er hatte nicht die Kraft. So versuchte er wenigstens, so gerade wie möglich zu sitzen. Gegen das helle Licht, das durch die Eingangsöffnung fiel, wirkten die Gestalten silhouettenhaft dunkel. Trotzdem erkannte Mangk zwei Besonderheiten sofort: Sie unterschieden sich von denen, die er bereits gesehen hatte. Sie waren vollständig bekleidet und hatten eine andere Hautfarbe. Sie waren zu dritt, offenbar warteten die anderen vor dem Bau. Zögernd traten sie näher – bis zur Mitte des Raumes. Sie breiteten die Arme aus, vielleicht, um zu zeigen, daß sie keine Waffen bei sich hatten. Die erste Verständigung, dachte Mangk. Solche Riesen und der kleine Kopf – uns in vielem so ähnlich und doch ganz fremd. Diese glatte glänzende Haut und auf ihr, vor allem aber auf dem Kopf, so einen merkwürdigen Wuchs. Aber nun muß ich auch etwas machen. Mangk breitete ebenfalls die Arme aus.
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Der größte von den dreien, mit grauweißem Wuchs auf dem Kopf, vielleicht der würdigere, beugte leicht den Körper vor und richtete sich wieder auf. Eine Begrüßung? Mangk machte erneut Anstalten, aufzustehen und es seinem Gegenüber nachzutun. Dieser zweite Versuch verlief genauso kläglich wie der erste. Sofort sprang einer der Besucher hinaus und kam gleich darauf mit einem dampfenden Gefäß zurück. Er hielt es in den ausgestreckten Armen, verständigte sich durch einen Blick mit den anderen und näherte sich langsam Mangk. Er knickte die Beine ein, um seinen Körper zu verkürzen, und reichte Mangk das Gefäß. Eine Speise! Ich muß etwas essen. Mangk zögerte. Er betrachtete mit wachen Augen sein Gegenüber. Helle, bräunliche Gesichtshaut, glatt mit zwei strahlenden graublauen Augen. Darunter ein Höcker mit zwei Körperöffnungen, darunter noch eine dritte, durch anders aussehende Haut umschlossen. Offenbar gleiche Funktion des Gesichtes wie bei uns, aber das Aussehen! Man wird sich daran gewöhnen müssen – abstoßend sind sie nicht. Und wie recht Min hatte, als sie meinte, sie müßten uns ähnlich sein. Mangk sah nun auch, daß sich der Kopfwuchs aus der Nähe betrachtet, in lauter hauchdünne Fädchen auflöste, von denen jedes einzelne in der Haut verwurzelt schien. Mangk bemerkte einen ähnlichen Bewuchs auch auf den ihm entgegengestreckten Armen, die bis zu einem Gelenk nackt waren. An jedem Arm umklammerten fünf vielgliedrige Fortsätze den Behälter, an ihren Enden schimmerten rötliche Plättchen. Flüchtig dachte Mangk an einige Tiere, die er auf seiner Wanderung getroffen hatte. Vielleicht ist der Körper dieser Tiere mit dem gleichen Bewuchs umgeben gewesen wie hier der Kopf des Wesens. In dem Gefäß schwankte eine trübe Flüssigkeit, auf der
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einige glänzende, farblose Punkte schwammen. Flüssige Nahrung, warum nicht – sicher das Beste in meinem Zustand. Die entstandene Pause schien dem anderen zu lange. Er stieß einige abgehackte, tiefe Laute aus, die Mangk flüchtig an das von Kark noch im Raumschiff aufgefangene Geräusch erinnerten, und machte mit dem einen Arm eine Bewegung auf sein Gesicht zu und deutete auf die unterste Öffnung. Dabei zog er den Kiefer nach unten, machte die Öffnung auf und fuhr mit einem der Armfortsätze hinein. Mangk bemerkte, daß er eine stattliche Reihe von Zähnen hatte. Aha, ich soll das essen. Also, dann los. Vorsichtig griff er nach der Schale. Ein eigenartiger Geruch entstieg ihr, und sie war warm, sehr warm. Vorsichtig prüfte Mangk die Temperatur, dann tauchte er zögernd den Mund hinein und kostete. Ganz eigenartiger Geschmack, aber nicht unangenehm. Er sah, daß Pflanzenteilchen in der Flüssigkeit schwammen. Eine Brühe, die Temperatur annehmbar. Langsam schlürfte Mangk, dann wurden seine Züge heißhungriger, begieriger. Wohlig durchrieselte ihn die Wärme. Plötzlich nahm ihm der Bewohner von ‘Hoffnung’ die Schale mit sanfter Gewalt weg, obgleich sie noch nicht leer war. Mangk schämte sich seiner Gier und wunderte sich gleichzeitig über den Gleichklang der Handlungen. Er hätte in einem ähnlichen Fall genauso gehandelt. Ein Halbverhungerter – und so fühlte sich Mangk jetzt mehr denn je – darf sich nicht plötzlich den Magen füllen. Wir werden uns verständigen, es wird gehen, sie empfinden wie ich. Der andere – vielleicht der Arzt – hielt ihm erneut das Gefäß hin. Mangk nahm es und blickte zögernd auf. Die Besucher bewegten die Köpfe auf und nieder. Ob das Zustimmung ist?
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Gleichgültig, wenn sie mir die Schale reichen, darf ich essen. Behutsam, in winzigen Schlucken leerte er das Gefäß, mit größeren Pausen. Geduldig warteten die Gäste. Er konnte sie mit Muße betrachten. Die Kleider hingen lose an ihnen herab und bestanden aus mehreren nach Art und Muster verschiedenen Einzelstücken ungleichartiger Gewebe. Ob die verbogenen, trichterartigen Gebilde am Kopf zum Gehörsinn gehören? Sprech- und Eßöffnung liegen zusammen – das scheint doch überall so zu sein, bei den Tieren auch. Die beiden Öffnungen darüber dienen wohl der Atmung – na ja, das wäre eine mehr. Die Augen sind schön, so strahlend, sie gefallen mir. Aber gleichartig sind sie nicht. Wie überhaupt das Gesicht des einen von dem des anderen sich unterscheidet. Das ist verblüffend. Es wird ihnen anfangs schwerfallen, uns voneinander zu unterscheiden. Für fremde Augen, na, ich weiß nicht, dürften wir wenig Unterscheidungsmerkmale haben. So, die Schale ist leer, was jetzt? Der mit dem dunklen Wuchsring um den kahlen Kopf nahm die Schale, richtete sich auf und trat etwas zurück. Langsam kam der Große auf Mangk zu. Er zog aus der Kleidung einen Stapel viereckiger weißer Blätter und einen Stift. Er hielt das oberste Blatt so, daß Mangk daraufsehen konnte. Langsam glitt der Stift darüber hin, seine Spur zeichnete sich deutlich auf dem weißen Untergrund ab. Er schreibt, kein Zweifel. Aber das ist doch, natürlich, der Satz über die Summe der Quadrate über dem rechtwinkligen Dreieck. Und jetzt schreibt er seine Symbole dazu. Großartig! Ein intelligentes Wesen einer anderen Welt, und wir verstehen uns, verstehen uns ohne Umschweife.
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So, jetzt ich! Mangk riß dem anderen förmlich die Blätter aus der Hand. Eifrig setzte er seine Zeichen und ergänzte damit die Darstellung, gespannt verfolgt von den Besuchern. Eine Veränderung ging in deren Gesichtern vor. Die Enden der Mundöffnungen verzogen sich nach oben, die Zähne wurden sichtbar, das ganze Gesicht erstrahlte in einem neuen, vertrauenerweckenden Ausdruck. Mangk war überrascht. Sie freuen sich sicher genauso wie ich. Und das ist das äußere Zeichen! Was für eine ungeheure Ausdrucksfähigkeit, welche Vielfalt der kleinsten, verändernden Bewegungen in diesem Gesicht. Das macht die Glätte, die Weichheit der Haut. Es ist unwahrscheinlich. Ob sie meinen Augen auch meine Freude ansehen können, sie, die sicher gewohnt sind, im Gesicht ihres Gegenübers Empfindungen wahrzunehmen? Meine Miene muß ihnen ja starr und ausdruckslos vorkommen. Aber sie kennen sicher meinen Organismus schon einigermaßen und werden mich verstehen, werden begreifen, daß ich anders bin. Aber schon zeichnete der Große mit dem weißen Kopfwuchs wieder. Er stellte eine Anzahl Punkte auf einem Fleck dichtgedrängt dar, zeichnete um diesen Punkthaufen einige Kreise und auf die Umfanglinien der Kreise wieder verschiedene Punkte. Mangk sah in dem Dargestellten noch keinen Sinn. Es muß etwas sein, von dem sie annehmen, daß ich es auch kennen muß. Eine Gesetzmäßigkeit des Universums. Ah, was macht er jetzt. Er tippt mit seinem Stift nacheinander jeden Punkt im Punkthaufen an. Zählt er sie? Er malt ein Symbol daneben. Und jetzt tippt er die Punkte auf den Kreisen an. Ja, er zählt, er malt das gleiche Symbol – es sind acht Punkte. Mangk überlegte fieberhaft.
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Der andere nahm den Stift und zog mit schneller Bewegung immer wieder einen der Kreise nach, so, als ob sich die Punkte auf der Kreisbahn drehen sollten. Ja, drehen, kreisen! Ist gut, ist gut! Mangk nahm den Stift und zeichnete einen Punkt und einen Kreis darum, auf dessen Peripherie einen Punkt. Wieder das lebhafte Mienenspiel bei den Besuchern. Sie hatten sich verstanden! – Vereinfachte Darstellung von Wasserstoff- und Sauerstoffatomen! Glücklich lehnte Mangk sich zurück. Erstaunlich, wie gut wir uns verständigen, wenn auch nicht über die Sprache. Wir verstehen uns! Durch Lichtjahre getrennt, findet Vernunft zu Vernunft über das Wissen um die Bewegungsgesetze der gemeinsamen Natur, über die Materie, den Kosmos, das Universum – auch wenn die Gesichter, die Haut, der Wuchs, die Pflanzen und Tiere sich unterscheiden. Die Sprache der Materie ist die gleiche, überall die gleiche. Sie läßt uns zusammenfinden, schneller, als wir es zu träumen wagten, schneller und präziser. Ich muß auch einen Beitrag liefern. Mangk deutete auf sich und sagte: „Mangk.“ Wieder änderte sich der Ausdruck in den Gesichtern. Sie sahen erstaunt aus, und Mangk schien es, als läge auch etwas Enttäuschung darin. Ihm fiel ein, daß es möglicherweise der erste Laut war, den sie von ihm hörten. Er wiederholte seine Geste und sagte: „Mangk.“ Sie sahen sich an und wiegten die Köpfe hin und her. Dann deutete der Große auf sich und sagte auch etwas, tief, dumpf, abgehackt. Mangk versuchte sich das Lautbild einzuprägen. Auch die anderen, ein wenig höher in der Tonlage, sagten etwas. Jetzt wies jeder auf den nächsten, und sie sprachen vertauscht das gleiche noch einmal.
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Sie haben mich wieder verstanden, frohlockte Mangk. Sie haben verstanden, daß es mein Name war und haben die ihren genannt. Plötzlich verlangte er stürmisch das Blattbündel und den Stift. Mit schnellen Strichen skizzierte er das Raumschiff, kreuzte es durch und malte darunter sieben Fallschirme mit einem Pfeil nach unten. Er übergab, mit den Augen um Verständnis flehend, die Skizze. Sie betrachteten sie aufmerksam. Leise tauschten sie Bemerkungen aus. Auf einmal schienen sie den Sinn begriffen zu haben. Sie traten an Mangk heran, deuteten auf einen der Schirme und dann auf Mangk. Mangk tippte auf einen gezeichneten Schirm und sagte wieder „Mangk“. Langsam, mit Nachdruck zeigte der Bewohner von ‘Hoffnung’ auf die anderen sechs Schirme, malte darunter ein wirres Strichchaos und brachte an jedem Schirm einen Pfeil an, der dorthinein zeigte, Mangk begriff. Das Gekritzel muß das Pflanzenchaos sein. Er wiederholte schnell die Skizze, zum Zeichen, das er verstand. Wieder sprachen die Besucher miteinander. Der eine eilte davon und kehrte kurze Zeit später mit einem flexiblen Gebilde, das er auseinanderfaltete und vor Mangk ausbreitete, zurück. Eine Karte des Gebietes, grob gezeichnet. Mangk sah darauf, sah die drei an und drehte die Karte. Sie begriffen wieder. Mit dem Stift malte einer an einem Rand einen Kreis mit radialen Strahlen und deutete gleichzeitig nach oben. Die Sonne, registrierte Mangk. Danach fuhr Mangks Gegenüber mit dem Stift über die Karte, den Weg der Sonne beschreibend, malte dann einen Ring und deutete auf den Fußboden. Aha, da sind wir, verstand Mangk. Sein Blick ruhte auf der Karte. Der Ring war in ein Viereck eingezeichnet. Er deutete darauf. Die beiden überlegten. Dann ging der eine zu Mangks
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Skaphander, hob den Helm auf und klopfte daran. Der Wall, das Viereck ist der Wall! Der Wall, von dem ich stürzte, wo ich den Helm verlor! Bis dorthin war ich sieben Tage unterwegs, sie werden wissen, wie weit ich da gekommen bin. Wie sag ich es ihnen, wie lange ich unterwegs bin?! Er malte einen Kreis, darauf die Sonne und zog den Kreis siebenmal, deutlich abgesetzt, nach. Die drei nickten heftig. Sie hatten verstanden. Der eine zog einen Stab aus der Kleidung und sah darauf und schob daran herum. Ein Rechenhilfsmittel, bemerkte Mangk für sich. Mit dem gleichen Stab machten sie einen Strich auf der Karte, an dessen Ende sie ein Gebiet durch einen Umrißstrich kennzeichneten. Also dort vermuteten sie das Landungsgebiet. Mangk sah, daß es unweit eines eingezeichneten Bandes lag, vielleicht ein Fluß. Der mit dem dunklen Kranz auf dem Kopf trat auf Mangk zu, drückte ihn sanft auf das Lager, deutete auf ihn und schloß die Augen. Ich soll schlafen. Aber die Gefährten, sie müssen sie suchen! Die drei zeigten auf sich und danach auf das umrissene Gebiet. Sie gehen dorthin, sie werden sie suchen! Die drei beugten sich knapp vor und verließen den Raum. Erst jetzt wurde Mangk bewußt, daß noch weitere Wesen leise den Raum betreten und die Unterhaltung verfolgt hatten. Geräuschlos verschwanden sie nach draußen, sich leise entfernend, Mangk in seinem Glück, in seiner Freude allein lassend. Er lehnte sich zurück, erschöpft, überglücklich. Er dachte an die Gefährten, an Lonti. Wir werden uns wiedersehen, alle wiedersehen. Jetzt ist alles überstanden. Sie werden ein Raumschiff bauen! Zärtlich strich er über die Kleidung, unter der die Pläne an seinem Körper lagen. Wir werden das Schiff bauen. Wenn es
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auch lange dauern wird, eines Tages fliegen wir mit einigen von ihnen heim, heim zu uns. Es wird viel Arbeit geben, und wir müssen bald beginnen! Mangk schlief ein.
12 David Plogontschik sprang auf und rannte mit auf dem Rücken verschränkten Armen im Zimmer umher. Erstaunt verfolgte Wera Poleshajewa, die am zweiten Schreibtisch im gleichen Zimmer saß, sein Gebaren. „Was ist denn in dich gefahren, David? Ist dir das Frühstück nicht bekommen?“ fragte sie verwundert. „Sei mal ruhig“, erwiderte er unwirsch, machte eine letzte Wende, setzte sich auf ihren Schreibtisch, sah zu ihr hinunter, überlegte noch wenige Sekunden und platzte dann, überquellend vor Mitteilungsbedürfnis, heraus: „Wera, halte mich nicht für verrückt! Aber wenn das stimmt, was mir eben aufgegangen ist, dann, dann…“ Er suchte nach Worten. „Was ist dann?“ fragte Wera leicht belustigt, aber auch neugierig. In einem solchen Zustand hatte sie ihren Kollegen noch nicht erlebt. „Dann…“ Er sprang aufgeregt hoch, lief zu seinem Schreibtisch, raffte einen Packen Papiere und Filme zusammen und türmte alles vor ihr auf. „Sieh doch selbst! Hier, das Radiogramm – einmal Radar und einmal Infrarot. Was sagt dir das, hm? – Na bitte!“ „Entschuldige, aber das sagt mir gar nichts!“ „Na hier“, rief er ungeduldig. Er begann in dem ohnehin
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unsortierten Papier- und Filmberg vor ihr zu wühlen, zerrte daraus Registrierstreifen hervor und erging sich eifrig in Erläuterungen. Nach einer Weile unterbrach ihn Wera: „Sag, kannst du mir nicht schlicht und einfach sagen, was du als Quintessenz hier herauszulesen glaubst?“ Er sah sie erschüttert an. „Aber das ist doch so einfach!“ sagte er vorwurfsvoll. „Ich kann an keinen Meteor glauben. Ich glaube überhaupt nicht daran, daß es etwas Natürliches ist. Ein Raumexperiment ist das, jawohl, davon bin ich nunmehr fest überzeugt!“ Wera strich nachdenklich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Weißt du, was du da sagst?“ „Ja, das weiß ich“, erwiderte David ernst. „Hast du das dem Chef schon mitgeteilt?“ „Nein, ich war noch nicht sicher. Ich wollte erst mit jemandem darüber sprechen. – Ich dachte, daß du vielleicht…“ „Ja, natürlich. Entschuldige“, beeilte sich Wera zu versichern, „aber ein wenig Zeit möchtest du mir dazu schon lassen. Jetzt kommt mir das zu plötzlich. – Wo hast du das Material eigentlich her? Es wundert mich, daß ich es bei dir noch nicht bemerkt habe.“ „Das ist eine ulkige Geschichte, Pawel Alexandrowitsch hat mir unlängst die Radiogramme zwischen Tür und Angel in die Hand gedrückt mit dem Bemerken, nebenbei einen Blick darauf zu werfen. Irgendein Kapitän, der sich wohl wichtig machen wolle, murmelte er, hätte das Material über seine Dienststelle eingeschickt. Ein Meteoritenfall. Na ja, ich habe das Zeug mit nach Hause genommen. Vorgestern früh fiel es mir wieder in die Hände und ich dachte, bevor der Alte mich mahnt, erledige ich es lieber. Und dabei bin ich auf diese Geschichte gestoßen.“ „Ach, deshalb warst du wohl auch gestern schon so unnahbar?“ Wera lächelte.
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David ging auf ihren Ton nicht ein. „Siehst du das Material einmal durch?“ fragte er. „Ich traue mich damit noch nicht zum Chef. Ich meine, mit dieser Entdeckung. Andrerseits brenne ich natürlich darauf, ihm das zu sagen.“ „Verstehe“, sagte sie lächelnd und strich flüchtig über seine Hand. „Ich beeile mich.“ David Plogontschik ging vor dem Zimmer Pawel Alexandrowitsch Wyschniaks hin und her. Er blies in die Rolle, zu der er den knappen Bericht gedreht hatte. Was wird er sagen, dachte er. Eigentlich merkwürdig, wie schlecht man die Reaktionen unseres Chefs einschätzen kann. Er lächelte, als er auf dem Linoleum konzentrische Kreise entdeckte, die er durch seine plötzlichen Wendungen beim Hin- und Hergehen mit den Sohlen zeichnete. Wie vor einer Prüfung, dachte er amüsiert. Er schrak leicht zusammen, als mit einem Knall die Tür aufgestoßen wurde und die Sekretärin sagte: „Sie können reinkommen – aber machen Sie es kurz! Wenig Zeit!“ „An mir liegt’s nicht“, lachte David sie an. „Er wird mich schon rausschmeißen, wenn er es für richtig hält.“ „Ja, Kollege Plogontschik?“ fragte Pawel Alexandrowitsch Wyschniak, ohne das Durchblättern einer Unterschriftenmappe zu unterbrechen. Schwungvoll setzte er seinen Namen unter einige Schreiben. „Bitte, nehmen Sie Platz, ich bin gleich soweit.“ „Ich habe – Sie haben mir neulich…“ David fühlte, wie sein Herz schneller ging, „…diese Meldung des Kapitäns zur Bearbeitung gegeben.“ „Ach ja, ich erinnere mich.“ Pawel Alexandrowitsch blickte auf. Er richtete die klaren, wasserhellen Augen zwingend auf David Plogontschik. „Was ist damit? Wollen Sie Terminaufschub? Das sage ich Ihnen gleich, daß ich bei dieser – na – kleinen Sache nicht zustimme. Aber bitte.“ „Es ist kein Meteor“, platzte David Plogontschik heraus. „Ich wollte es auch erst nicht glauben, habe es deshalb noch mal
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überprüfen lassen – von Wera Poleshajewa. Sie sagt es auch – es ist kein Meteor!“ „Was soll es sonst sein? – Was schlagen Sie vor?“ Oje, dachte David. Wenn er „was schlagen Sie vor“ sagt, wird es ernst. Meist hat er dann bereits einen Schlag im Hinterhalt, mit dem er klar und sachlich schon so manche himmelstürmende Illusion seiner Mitarbeiter wieder auf wissenschaftlichen Boden gestellt hatte. „Es ist ein Weltraumexperiment – künstlich –, und zwar größeren Ausmaßes“, beeilte sich David, einem Einwurf Pawel Alexandrowitschs zuvorkommend, zu sagen. „Und nicht registriert.“ „Soso!“ Pawel Alexandrowitsch war aufgestanden. Er strich nachdenklich über sein nicht brillant rasiertes Kinn. David hörte es schaben. „Hm – den Bericht haben Sie fertig?“ „Ja, hier ist er – einige Fotos fehlen noch.“ Pawel Alexandrowitsch blickte überlegend aus dem Fenster. „Haben noch andere Stationen den Fall beobachtet?“ Als David Plogontschik betreten schwieg, drehte er sich mit einem Ruck um. „Na? – Nicht nachgefragt! Menschenskind“, polterte er los, „wissen Sie, was Sie da eben sagten? Wissen Sie um die Tragweite? Ja? Können Sie die Reaktion der Weltöffentlichkeit abschätzen? Ja? – Ja, ja, Sie wissen alles…!“ setzte er belustigt-bissig hinzu, als David Plogontschik bei jedem „Ja“ verlegen nickte. „… nur nicht, daß eine solche Sache Hand und Fuß haben muß. Na, nun lassen Sie nicht gleich den Kopf hängen. Während ich den Bericht prüfe, haben Sie Zeit, das nachzuholen. Übermorgen“, er sah auf seinen Kalender, „um zehn Uhr sehen wir weiter.“
„Na endlich!“ David Plogontschik blickte auf. „Wieso?“ fragte Wera erstaunt.
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Er war aufgestanden, auf sie zugetreten und half ihr aus dem Mantel. Sie sah ihm an, daß er geradezu barst vor Mitteilungsdrang. „Was macht deine Sache?“ fragte sie und gab ihrer Stimme bewußt einen gleichgültigen Klang. „Es wird, es wird, Wera!“ Er sah sie strahlend an und sagte unvermittelt: „Wera – ich – weißt du – ich wollte dich etwas fragen. Hast du heute abend ein wenig Zeit? Können wir nicht – ich meine, hast du Lust… Wir könnten doch einmal zusammen ausgehen, ja? Und da könnte ich dir alles erzählen. Jetzt, weißt du, muß ich in die Fernschreibzentrale. Kommst du?“ Wera hatte erst überrascht David angesehen. Als sie jedoch merkte, daß er unter ihrem Blick immer unsicherer wurde, begann sie auf ihrem Schreibtisch herumzukramen. Nun sagte sie möglichst unbefangen: „Warum nicht? Wir könnten uns im Restaurant drüben treffen. Wann kommst du?“ Er strahlte. „Um sieben, ganz pünktlich – und – danke!“ Er sprang wie ein Junge aus dem Zimmer. Wera sah ihm lächelnd nach. Wie ausgewechselt, dachte sie, noch nie habe ich trotz der zwei Jahre, die wir hier im Amur-Kosmodrom schon zusammensitzen, von David so etwas erlebt. Noch nie hat er mich oder eines der anderen Mädchen eingeladen. Mußte erst diese merkwürdige Erscheinung entdeckt werden, um das letzte Relais zu schalten? Wera lächelte bei diesem Vergleich. Ist es sein Ereignis, das, worauf jeder Wissenschaftler im stillen hofft? Ich würde es ihm wünschen.
„Bitte, lesen Sie vor“, forderte Pawel Alexandrowitsch. „Alle?“ fragte David Plogontschik zurück. „Ja, alle und im vollen Wortlaut.“ Er stand wieder mit dem Rücken zu David, wippte mit den Zehen, hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt und blickte zum Fenster hinaus. David las:
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„‘Santiago de Cuba: Fraglichen Meteorfall beobachtet. Fotografien vorhanden. Erbitten Nachricht, ob Funkübermittlung erwünscht.’ ‘Hawaii-Inseln: Mit unbewaffnetem Auge etwa zum genannten Zeitpunkt Vorgang wahrgenommen. Unbedeutender Meteoritenfall. Bitten Amur-Kosmodrom um Erklärung des ungewöhnlichen Aufrufes.’ ‘Kronozkaja-Sopka…’“ „Ist das nicht der Dreitausender auf Kamtschatka?“ fragte Pawel Alexandrowitsch dazwischen. „Ja“, bestätigte David, „und was sie telegrafieren, ist bemerkenswert: ‘Ausführlichen Bericht über Satellit R 7 bereits vor einer Woche an Akademie der Wissenschaften übermittelt. Halten natürliche Entstehung für unwahrscheinlich. Senden Ihnen heute nach 23 Uhr Moskauer Zeit diesen Bericht über Satelliten. Erbitten Untersuchungsergebnis.’“ „Ist der Bericht da?“ wollte Pawel Alexandrowitsch wissen. „Ja, vergangene Nacht, fast störungsfrei.“ „Und? – Lassen Sie sich nicht jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen, Mann!“ Offenbar war Pawel Alexandrowitsch erregt. „Er bestätigt den Bericht des Kapitäns Lejew – wenn auch nicht ganz so ausführlich.“ „So“, sagte Pawel Alexandrowitsch, „haben Sie noch weitere Meldungen?“ „Ja, noch drei. ‘High-Station Kalifornien: Erscheinung am 18. Juni 21.20 Uhr Ortszeit beobachtet. Zweite Phase fotografiert. Großer Meteorit. Messen Vorgang jedoch keine Bedeutung bei.’ ‘Japan, Asahigawa: In Hochatmosphäre ungewöhnliche Meteoriten zum genannten Zeitpunkt beobachtet. Ungewöhnlich, weil beim Zerfall auch Dunkelkörper kleinen Ausmaßes auftraten. Halten künstliche Entstehung für möglich. Vermuteten zunächst Apparatefehler. Erbitten Auskunft über Ursprung
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und Bedeutung der Erscheinung.’ Nun die letzte Meldung: von den Desventuradas.“ David blickte ein wenig listig hoch. Prompt fragte Pawel Alexandrowitsch: „Wo ist das denn?“ „Eine chilenische Inselgruppe im Stillen Ozean“, sagte David in einem Tonfall, als beschäftige er sich täglich mehrfach gedanklich mit diesen Inseln. „Na und, was melden sie?“ fragte Pawel Alexandrowitsch. „‘Meteor automatisch registriert. Fotomaterial vorhanden. Erbitten Angabe über Anfragegrund.’“ „Da hätten wir also praktisch noch zwei Bestätigungen Ihrer Entdeckung“, sagte Pawel Alexandrowitsch, indem er sich langsam umdrehte. „Japan und Kamtschatka. Was schlagen Sie vor?“ fragte er mit einem Lächeln in den Augenwinkeln. „Ich, ich, ich denke“, stotterte David, „man muß im Institut sofort den Bericht bestätigen und schnellstens die Regierung informieren.“ „Ja, das auch, sicher!“ erwiderte Pawel Alexandrowitsch zerstreut. Er fuhr bestimmt fort: „Bilden Sie sofort einen Mitarbeiterkreis und machen Sie einen hieb- und stichfesten Bericht für Montreal, für die Astronautische Weltföderation, unter dem Aspekt der Verletzung bestehender Abkommen. Bis zur nächsten Sitzung, die ist – warten Sie mal…“, er blätterte in seinem Kalender, „… im Januar. Also, Sie haben knapp sechs Wochen Zeit! Sie berichten mir morgen, wie Sie vorgehen wollen.“
David Plogontschik ließ sich durch die City Montreals treiben. Es war schön, im hereinbrechenden Abend unter den aufflammenden Neonlichtern, inmitten des Meeres der Passanten, Autos, umgeben von dumpfem, nicht zum Bewußtsein dringendem Lärm dahinzuschwimmen. Unzählige Lichter spiegelten sich verzerrt in den funkelnden
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Oberflächen der vorbei surrenden Autos, huschten über die Gesichter, rot, grün, das Spektrum hinauf und hinunter, verlöschten, erstrahlten neu. David Plogontschiks Gedanken konzentrierten sich mehr und mehr auf das, was er morgen sagen mußte; und sein Puls schlug schneller, wenn er sich die möglichen Reaktionen vorstellte. Sein Herz machte jedesmal einen Hopser, wenn er daran dachte, welche stichhaltigen Antworten er auf welche Fragen geben würde. Er beschwor noch einmal die Kommissionszusammenkunft in Moskau herauf, sah sich aufgeregt zwischen Professoren und den Vertretern der Regierung sitzen und hörte Pawel Alexandrowitsch die so beglückenden und folgenschweren Worte sprechen: „Ich schlage vor, wir entsenden David Nikolajewitsch Plogontschik nach Montreal. Er ist am besten vorbereitet. Seine Begleiter – ich denke zwei weitere Kollegen – mag er selbst bestimmen…“ Wie Wera ablehnte, als er daran dachte, sie mitzunehmen. Hat sie recht gehabt? Aber wenn sie Bedenken hat, daß man es falsch auslegen könnte, dann – dann… David Plogontschik sah sich um, als fühlte er sich in seinen Gedanken ertappt. Eine warme Freude breitete sich in ihm aus. Ich werde mit ihr sprechen, wenn ich zurückkomme. Er durchschritt mehrere Häuserschluchten, blickte, ohne viel zu sehen, in Schaufenster, stieß an eilige Passanten und kehrte schließlich, müde vom Laufen und von der Reise, in sein Hotel zurück, entschlossen, vor der Sitzung nicht mehr an seine Anfrage zu denken.
Nach der Pause füllte sich langsam der Saal. Einige der Delegierten saßen bereits wieder auf ihren Plätzen hinter dem Schild, auf dem der Name ihrer Nation in lateinischen Buchstaben stand. David Plogontschik saß zwischen seinen Begleitern, vor sich
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das Schild UdSSR. Von seinen Bedenken, die ihn gestern noch plagten, zeigte sich nichts. Aufmerksam war er den bisherigen wissenschaftlichen Ausführungen gefolgt. Erst jetzt, unter dem Tagesordnungspunkt „Sonstiges“ kam er. Erst jetzt konnte es etwas höhere Wogen geben. Schon hatten die Anwesenden aufmerksame Blicke auf die sowjetische Delegation gerichtet, die die selten benutzte Filmapparatur vorführbereit gemacht hatte. Das allgemeine Gemurmel hatte seinen Höhepunkt erreicht, ein Zeichen, daß sich der Saal wieder gefüllt hatte. Professor McDonald, der Erste Sekretär der AWF, ein kleiner, völlig kahlköpfiger Engländer, stand hinter dem Pult des Versammlungsleiters, putzte umständlich mit einem riesigen Taschentuch seine Brille, blickte in die Runde, wartete, bis einige der Anwesenden den Ohrklipp der Simultananlage befestigt hatten, und sagte dann sehr betont und langsam: „Meine Herren! Die Delegation der Sowjetunion hat den Antrag gestellt, unter dem Punkt ‘Sonstiges’ der Tagesordnung nur den von ihr eingereichten Beitrag ‘Beobachtungen in der Stratosphäre’ mit einer anschließenden Diskussion und Beschlußfassung aufzunehmen. Herr David Plogontschik…“, bei der Aussprache des Namens stockte McDonald, blickte rasch auf einen kleinen Zettel und fuhr dann wieder sicher fort: „Doktor der Astronomie am Institut für Astrophysik im AmurKosmodrom, wird die Tagung mit seinem Vortrag fortsetzen. Einer daran anschließenden Aussprache wurde stattgegeben. Der Sprecher wird jedoch gebeten, sich kurz zu fassen.“ David Plogontschik erhob sich. Seine hellblauen Augen richteten sich für einen kurzen Augenblick auf den Sprecher der amerikanischen Delegation, dann strich er sich mit einer energischen Handbewegung eine Haarsträhne aus der Stirn und begann mit ruhiger, tiefer Stimme: „Meine Herren, ich kann mich tatsächlich kurz fassen“, er lächelte, „viel mehr Aussagekraft wird ein Film haben, den ich Ihnen zeigen werde. Zum
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Verständnis zunächst folgende Fakten: Am achtzehnten Juni des vergangenen Jahres gelang einem sowjetischen Sicherungsschiff im Pazifik eine außerordentlich merkwürdige Beobachtung.“ Erst jetzt wandten sich die Zuhörer David Plogontschik voll zu. Das Thema des Vortrages war zunächst zu nichtssagend. Aber nun, da ein Sprecher der sonst sehr zurückhaltenden Sowjetunion von einer außerordentlich merkwürdigen Beobachtung sprach, konnte schon etwas erwartet werden. David Plogontschik fühlte die Blicke auf sich gerichtet. Er fuhr fort: „Um 20.53 Uhr Ortszeit drang ein Körper von etwa tausend Kubikmeter Rauminhalt in die Erdatmosphäre ein und zerfiel in zwei Teile, die kurz darauf verglühten – also scheinbar ein ganz normaler, wenn auch etwas großer Meteorit. Aber während des Zerfalls lösten sich aus der Masse sieben bis neun verhältnismäßig kalte kleine Einzelkörper. Der größte Teil davon erhitzte sich und verglühte, setzte sich jedoch – und das, meine Herren, ist das nächste Kuriosum – nach dem Verglühen als langsam schwebende kalte Körper nach unten fort. Aber bitte, überzeugen Sie sich selbst!“ David Plogontschik trat an die Filmapparatur, drückte den Verdunkelungsknopf und ließ den Projektor ansurren. Auf der Leinwand erschienen gleichzeitig zwei Bilder. Das eine gab den Infrarot-Aufnahmeschirm wieder, das andere zeigte die Radarbeobachtungen. Beide Bilder liefen synchron, über Trick eingeblendete Hinweispfeile ergänzten das Vorgetragene. David Plogontschik war an die Leinwand getreten und unterstrich mit Gesten und knappen Worten die Bilder. Als der Film mit rasselndem Ende in die Kassette sprang und das Tageslicht wieder in den Raum strömte, wandte sich David Plogontschik, er stand noch immer an der Leinwand, an die Anwesenden: „Meine Herren, wir alle, die wir hier versammelt sind, haben uns in der Astronautischen Weltföderation zur
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gemeinsamen Erforschung des Kosmos deshalb vereinigt, weil wir meinten, daß wir nur zusammen mit dem geringsten Aufwand und dem größten Nutzen für die Menschheit den Weltraum erobern können. Den vernünftigen Zielen der AWF haben sich ausnahmslos alle an den Forschungen beteiligten Staaten angeschlossen. Und – das können wir mit Stolz sagen – , wir haben vereint schon sehr viel geschafft und schneller geschafft als vordem. Damit erzähle ich Ihnen keine Neuigkeiten. Nun, Sie haben meinen Vortrag gehört, Sie haben die Bilder gesehen. Sie sind mit mir sicher einer Meinung, daß hier ein sehr absonderlicher Meteoritenfall beobachtet wurde. Wir neigen zu der Ansicht, daß hier entweder von einem Staat unserer Vereinigung in flagranter Verletzung der Statuten oder von einem Staat außerhalb der AWF ein umfangreiches Raumexperiment vorgenommen wurde. Ich persönlich halte das letztere für ausgeschlossen, da ein solches Experiment von einem technischen Stand Zeugnis ablegt, wie er lediglich von wenigen Staaten, die alle der AWF angehören, erreicht wird. Von der Sowjetunion bin ich beauftragt zu betonen, daß sie sich an die internationalen Verträge gehalten hat und daß sie auf das entschiedenste gegen den Bruch der Vereinbarungen durch ein Mitglied der AWF protestiert.“ Während der letzten Sätze David Plogontschiks trat im Saal leichte Unruhe ein. Mehrere Anwesende sahen zur amerikanischen Delegation. Frank Drughster, der Leiter der US-Gruppe, schien nervös zu werden. Gleich als Plogontschik geendet hatte, sprang er auf und rief: „Soll das etwa heißen, daß Sie die USA dieses angeblichen Verstoßes verdächtigen?“ „Meine Herren, ich muß um Mäßigung bitten“, schaltete sich McDonald ein. „Das habe ich nicht gesagt“, nahm Plogontschik erneut das Wort. „Wir fordern lediglich Maßnahmen zur Untersuchung
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des Falles!“ Er ging auf seinen Platz. Im Saal kam erneut Gemurmel auf, das eine Weile ununterbrochen anhielt. Schließlich erhob sich der Erste Sekretär, Professor McDonald, hielt ruhegebietend beide Hände hoch und erklärte: „Meine Herren, in Anbetracht des außergewöhnlichen Anliegens unserer sowjetischen Kollegen schlage ich vor, eine Pause von dreißig Minuten einzuschieben. Ich bitte um pünktliches Wiedereinnehmen der Plätze.“ Spontan erhoben sich die einzelnen Gruppen, um die Beratungszimmer aufzusuchen, allen voraus Professor Drughster von der amerikanischen Delegation. Den meisten war anzusehen, daß sie den schweren Vorwurf der Sowjetunion sehr ernst nahmen. Ein solches Vergehen eines Mitgliedes der Föderation konnte deren weiteres Bestehen ernsthaft gefährden. Mit dieser Bewußtheit verließen die Delegationen den Saal, um sich zu beraten, um – soweit möglich – sofort Blitzkonsultationen mit ihren Regierungen abzuhalten. Bemerkungen wie „unerhört“, „Heimtücke“, „Mißachtung der AWF“, aber auch solche wie „Phantasterei“, „unverschämte Anschuldigung“ wurden gemurmelt. Die sowjetische Delegation blieb zunächst geschlossen im Saal. David Plogontschik sah die folgenden Anfragen voraus. Er legte die Originalbänder bereit, spulte mit Unterstützung seiner Begleiter den Film zurück und legte Auffindzeichen in seine Protokolle. David Plogontschik war guter Dinge. Die Arbeit der AWF erfreute sich in der Welt großen Respekts. Es war sicher, daß der sowjetische Antrag keinesfalls bagatellisiert werden würde. Lang ausgestreckt saß er im Sessel, allein in dem großen Saal – seine Begleiter waren gegangen, um sich draußen die Beine zu vertreten. Wie erstaunt die Männer der Schiffsbesatzung waren, als sie erfuhren, welche Bedeutung wir ihrem Meteor beimaßen, ließ
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er seine Gedanken zurückgleiten. Prachtjungen, daß sie es entdeckt haben… Und ich durfte unter all den berühmten Raumforschern hier den Vortrag halten – meinetwegen – nein, unsretwegen beraten sie jetzt… Professor Frank Drughster, Leiter der amerikanischen Delegation bei der AWF, ein hochgewachsener, schlaksiger Endvierziger, erreichte als einer der ersten eine der geräumigen Fernsprechkabinen. Er wählte hastig, sagte einige Worte, wartete, klopfte nervös mit den Knöcheln an die Scheibe, setzte sich schließlich und versuchte, ohne den Hörer abzulegen, sich eine Zigarette anzuzünden. Die Verbindung kam mitten in diese Handlung hinein. Das Streichholz versengte seine Finger; ärgerlich warf er es auf den Fußboden. Dann sprach er konzentriert wenige Sätze und mußte wieder warten. Unbewußt drückte er die eben entzündete Zigarette aus. Nach etlichen Minuten meldete sich sein Teilnehmer wieder. Drughster hörte nur, sagte mehrmals „ja“ und legte dann auf. Er schnippte zufrieden mit den Fingern und griff erneut zu den Zigaretten. Dann verließ er die Kabine und schlenderte zum Büfett.
Zuerst kamen die Begleiter Plogontschiks in den Saal zurück. Langsam füllten sich die Sitze. Dumpfes, von Spannung zeugendes Gemurmel lag über den Reihen. Professor McDonald erklomm das Rednerpult, putzte abermals mit seinem Riesentaschentuch die Brille, ließ das Geraune abklingen und kündigte danach als ersten Diskussionsredner den Sprecher der amerikanischen Delegation an. Professor Drughster trat lässig hinter das Rednerpult. Ohne daß sich seine Lippen sehr bewegten, begann er: „Meine Damen und Herren! Wenn ich mich recht erinnere, hat Herr Plogontschik in seinem bemerkenswerten Vortrag recht deutlich gemacht, daß nach seiner Ansicht für ein
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derartiges – hm – Experiment heute nur wenige Länder in Frage kämen – was den technischen Aufwand betrifft. Nun, wenn es sich tatsächlich um kein natürliches Ereignis handelt, was meiner Ansicht nach durchaus noch nicht eindeutig ist, so kann ich hier versichern – und ich bin dazu autorisiert –, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika, nach Informationen aus Washington, die ich soeben erhielt, nicht an einem solchen Experiment beteiligt waren, weder im eigenen Land noch als Unterstützer eines anderen innerhalb und außerhalb der AWF. Nun zur anderen Seite: In der Tat, das Ereignis mutet merkwürdig an. Es ist meines Wissens beispiellos. Aber zu schließen, daß es nicht natürlichen Ursprungs ist, halte ich für verfrüht. Ich will unseren sowjetischen Kollegen nicht unterstellen, daß sie uns täuschen wollen – das liegt mir fern. Aber was sind die Aufnahmen schon für Beweisstücke. Ich erinnere Sie daran, daß die Beispiele, in denen unseren technischen Augen grobe Irrtümer unterliefen, in die Hunderte gehen. Können nicht auch diese Aufzeichnungen auf einem Irrtum beruhen? Auf einem Irrtum der Apparaturen? Sämtliche Beobachtungen sind von einem einzigen Punkt der Erde aus gemacht. Haben Sie schon aus anderen Teilen der Welt etwas von der rätselhaften Erscheinung gehört? Oder meinen Sie, daß man zu diesem Zeitpunkt in allen anderen Stationen geschlafen hat? Zugegeben, das russische Schiff hatte Spezialausrüstungen an Bord und war ständig auf das Beobachten fliegender Ziele eingerichtet. Ich bin also der Meinung – der sich übrigens meine Fachkollegen voll angeschlossen haben –, daß wir hier in der AWF mit Maßnahmen noch so lange warten sollten, bis ein Aufruf an alle Beobachtungsstationen beantwortet ist. Gesetzt den Fall, die Beobachtungen werden bestätigt, sollten wir eine Kommission bilden, die mit außerordentlichen Vollmachten unserer Föderation ausgestattet wird und den Vorfall untersucht. Ich bin auch ermächtigt, allen in dieser
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Angelegenheit gefaßten Beschlüssen, solange sie sich innerhalb der Statuten der AWF bewegen, im Namen der USA zuzustimmen.“ Drughster hatte seinen letzten Satz mit einer weitausholenden Armbewegung unterstrichen. Er ließ nun die Hand wie kraftlos sinken und ging unter allgemeinem Beifall an seinen Platz zurück. Es bestand kein Zweifel, daß die meisten Anwesenden ähnlicher Meinung wie Drughster waren. Schon während des Beifalls war David Plogontschik aufgesprungen. Ungestüm wedelte er mit einem Päckchen Papier, sich gleichsam damit zu Wort meldend. „Bitte, Herr Plogontschik“, rief McDonald. „Wir haben mit einem solchen Einwand gerechnet“, sagte David. Er konnte nicht ganz verhindern, daß Triumph in seiner Stimme mitschwang. „Hier sind Funksprüche und Fernschreiben von sieben Beobachtungsstationen, von denen zwei auch die Möglichkeit eines Raumexperimentes einschließen. Bitte, hören Sie!“ Er verlas die Telegramme. Wieder erfüllte Gemurmel den Saal. Einige unverständliche Zwischenrufe sprangen auf. Energisch verschaffte sich McDonald Ruhe. „Diese Tatsache, Herr Doktor Plogontschik, hätten Sie bereits in Ihrem Bericht mit vortragen können“, tadelte er. „Bitte weitere Wortmeldungen.“ Die Diskussion machte deutlich, daß die Mehrheit der Versammelten nach den letzten Argumenten der sowjetischen Gruppe der Version zuneigte, daß es sich bei der Beobachtung um ein künstliches Ereignis handelte. Das bedeutete, eine Nation mußte das Abkommen der AWF gebrochen haben. „…aber“, schloß der Sprecher Englands seinen Beitrag, „bevor die Weltöffentlichkeit aufmerksam gemacht wird, brauchen wir Beweise! Ich schließe mich hierin den Ausführungen unseres amerikanischen Kollegen Drughster an, eine Kommission zu bilden, die an Ort und Stelle den Tatbestand
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untersucht. Erst wenn wir Gewißheit haben, daß es tatsächlich kein natürliches Ereignis war, können wir Sanktionen gegen einen von uns einleiten, und zwar bin ich dann für größte Härte!“ Nach der der Diskussion folgenden Pause warteten die Versammelten gespannt auf den Beschlußentwurf des Präsidiums. Es herrschte völlige Ruhe, als McDonald erneut das Rednerpult betrat. Er hatte es offenbar auch gar nicht eilig. Wieder putzte er seine Brille, räusperte sich, nahm einen Bogen Papier auf und las: „Die bemerkenswerten Feststellungen der Sowjetunion veranlassen das Präsidium, den Mitgliedstaaten der AWF folgenden Beschlußentwurf zur Abstimmung zu unterbreiten: ‘Erstens: Es wird unverzüglich eine Expedition ausgerüstet, die das mutmaßliche Niedergangsgebiet der Erscheinung aufsucht. Der Expedition sollen folgende Mitglieder der AWF angehören: Doktor Sudiman, Indische Union, als Leiter, Doktor Plogontschik, Sowjetunion, Professor Drughster, USA, Doktor Berqué, Frankreich, Diplomastrophysiker Kamienski, Polen. Die Gruppe wird mit zwei Helikoplanen ausgerüstet. Zweitens: Die Gruppe sammelt Beweise über die Erscheinung und legt sie dem Präsidium vor. Drittens: Wird festgestellt, daß es sich um ein Raumexperiment handelt, muß versucht werden, an Ort und Stelle Hinweise auf die betreffende Nation zu erlangen, ohne Kontakt mit deren Regierung aufzunehmen. Viertens: Das Präsidium wird ständig per Funk über den Fortgang der Arbeiten verständigt. Fünftens: Die Regierungen der für die Untersuchung in Frage kommenden Länder, Peru, Brasilien und Kolumbien, werden vom Präsidium unterrichtet und zur Unterstützung des Unternehmens aufgefordert. Sechstens: Die Mitglieder der Astronautischen Weltföderation führen Konsultationen mit ihren Regierungen durch, um die
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eventuell schuldige Staatsführung zum Bericht an das Präsidium der AWF zu veranlassen. Siebentes: Die Weltöffentlichkeit wird zunächst ausgeschlossen. Der Beschluß bleibt bis auf Widerruf streng vertraulich!’ Soweit, meine Herren, der Entwurf. Ich bitte um Ihre Vorschläge.“ McDonald setzte die Brille ab und sah über die Köpfe der Versammelten hinweg. „Ja, bitte – der Vertreter Frankreichs.“ „Eine Frage.“ Ein junger Mann mit Brille und schütterem Haar war aufgestanden. „Was hat das Präsidium bewogen, die Weltöffentlichkeit auszuschließen?“ „Wir wollen einer eventuell schuldigen Regierung den Weg zum Bekenntnis erleichtern“, erwiderte McDonald, sich die Brille wieder auf die Nase schiebend. „Weitere Anfragen? Keine? Bitte Abstimmung.“ Die Anwesenden erhoben sich von den Plätzen. „Danke. Ich stelle Einstimmigkeit fest. Damit ist der Beschluß gültig. Die Expeditionsteilnehmer bitte ich, Blitzverbindungen mit ihren Ländern aufzunehmen. Heute abend um 20 Uhr tritt das Präsidium zusammen. Dort legen wir Einzelheiten fest.“ Nach der Blitzinformation gab David Plogontschik noch ein längeres Telegramm an Pawel Alexandrowitsch Wyschniak auf, aus dem das Resultat der Sitzung hervorging. Nach einem kleinen Imbiß machte er einen Spaziergang. Dabei dachte er an Wera. Nun würde er sie für längere Zeit nicht sehen.
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13 Sie standen auf dem Wall und versuchten das gesamte Bauwerk zu überblicken. Es gelang nicht. Busch- und Baumgruppen, die im Laufe der Jahrhunderte die gewaltigen Steine gesprengt und so karge Nahrung gefunden hatten, versperrten die Sicht. Eines stand jedoch fest: Es war eine der bedeutendsten InkaSiedlungen im Mato, die jemals entdeckt wurde. Und alle Zerstörung rührte nicht von spanischen Usurpatoren her, sondern hatte ihren Ursprung im Wuchern des Urwaldes. Es bestand daher Hoffnung, daß neben den Bauwerken auch Gebrauchsgegenstände, Schmuck und andere Zeugen jener vergangenen Epoche unter dem losen Erdreich und den Trümmern schlummerten. Ganz gewiß hatte noch keines Weißen Fuß die Stätte je betreten. Helston drängte zu einem Rundgang. Skizzenblock und Bleistift hielt er bereit. „Wenn wir systematisch vorgehen“, sagte Professor Sunday, „dann schaffen wir es bis zum Beginn der Regenzeit. – Seien Sie nicht unvorsichtig, Mabel“, wandte er sich seiner Assistentin zu, die gerade den Fuß auf den Quader eines Torbogens setzte, der eine Lücke im Wall überbrückte. Brand und Walker hatten bereits kleine Geologenhämmer und Spachtel in Händen. Die Spannungen der letzten Tage, das Nervöse, Gereizte im Umgangston schienen vergessen. „Wir gehen auf dem Wall entlang, ich denke, es ist ein Viereck“, entschied der Professor. „Aber bevor wir Brücken oder ähnliches betreten, wie es Mabel vorhin wollte, prüfen wir die Standfestigkeit. Und wir gehen einzeln darüber!“ Nach den Worten des Professors setzten sie sich längs des Walles in Bewegung. Noch immer stand der Indio, der sie zu den Ruinen geführt
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hatte, auf einer der unteren Stufen und wartete geduldig, bis sich die Señores wieder an ihn wenden würden. Da er aber nunmehr merkte, daß er offensichtlich vergessen worden war, rief er, als Helston an der Spitze der Gruppe schon etliche Meter zurückgelegt hatte, Miguel an. Aufmerksam, aber auch ein wenig unwillig drehte sich Professor Sunday um und blieb stehen. Zwischen dem Indio und Miguel entspann sich ein kurzer Disput. Wie um Vergebung bittend, wandte sich darauf Miguel an den Professor: „Er sagt, sollen wir helfen, Gott gesund machen, gleich.“ Schon wollte der Professor ablehnen, völlig darauf versessen, den endlich erzielten Erfolg auszukosten, als sein Blick jenseits des Walles eine Gruppe Indianer einfing, die mit drohend erhobenen Waffen die Bitte ihres Stammesgenossen nachdrücklich unterstrichen. „Es ist zum…“, murmelte er und sah sich um. Neben ihm standen Dr. Brand und Mabel. Walker und Helston waren weitergegangen und hinter einer Buschgruppe verschwunden. „Gut, gehen wir zu dem Gott“, entschloß sich Professor Sunday. „Miguel, die Träger sollen hier warten. Du kommst mit uns. Kommen Sie, Brand, Mabel, wir sehen uns den Zauber mal an. Seien Sie aber vorsichtig, die Indios sind in solchen Fällen reizbar. – Ich hätte sie beinahe vergessen… Ist ja auch kein Wunder – bei dem da!“ Dabei wandte er sich um, wies auf die Ruinen. Mit einer komisch-fatalistischen Geste ließ er die Arme sinken und folgte dem Indio, der ungeduldig voranschritt. Sie gingen in den Innenraum des Gebäudekomplexes, um mehrere Gemäuer herum. Immer wieder erregten Reliefs und ins Gestein gemeißelte Zeichen des Professors und Mabels Aufmerksamkeit. Mehrmals blieben sie stehen, um sich über das eine oder andere auszutauschen. Dr. Brand war es, der, von einer eigentümlichen Unruhe erfaßt, mahnte, die Indios nicht
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zu lange warten zu lassen. „Was haben Sie, Doktor?“ fragte Mabel. „Sind Sie so erpicht, Ihre Kenntnisse an den Mann zu bringen? Ich würde mich ja freuen, wenn er sich lediglich überfressen hätte oder so was, die Indios neigen mitunter dazu – nicht wahr, Herr Professor?“ Professor Sunday schmunzelte. „Na gut, gehen wir etwas schneller, dann haben wir es hinter uns. Allerdings, Doktor, nehmen Sie es nicht allzu leicht. Wenn er stirbt, kann es für uns schlimme Folgen haben.“ Sie näherten sich einer größeren Umfassungsmauer. Am Durchgang standen zwei Indios, die zur Seite traten, als die kleine Gruppe herankam. „Nanu, Ehrenposten oder Wachen – das ist die Frage“, sagte Mabel. Sie betraten einen Hof, in dessen Mitte aus Stangen und Palmblättern eine geräumige Hütte errichtet worden war, an deren Eingang wiederum zwei Indios wachten. Zufällig drehte sich Professor Sunday um. Durch den Hofeingang drängten weitere Indios. Sie postierten sich so an der Mauer, daß sie einen Ring um die Hütte bildeten. „Sieht ja nicht gerade nach einem Diner aus“, versuchte der Professor zu scherzen. Mabel sah, wie er dabei ohne ein Geräusch den Sicherungshebel seines Gewehres herumdrückte. Gleichzeitig ordnete er jedoch ernst an: „Handeln Sie um Himmels willen nicht unbedacht. Wir sind wie die naivsten Anfänger hier hereingetappt. Nicht mal Helston haben wir verständigt.“ „Glauben Sie, daß es zu Feindseligkeiten kommen könnte?“ Mabel sprach in einem Tonfall, aus dem die nicht völlig unterdrückte Angst hervorklang. „Ach“, sagte Dr. Brand, „das hätten sie einfacher haben können – zum Beispiel im Dorf.“ „Zum Teufel mit dem Gott“, entfuhr es dem Professor. Aus
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der Hütte trat ihnen der Zauberer, den sie bereits kannten, in vollem Schmuck entgegen. Nur den prächtigen Mantel hatte er nicht an. Er sagte einige Worte zu Miguel, dabei mehrmals auf Dr. Brand weisend. „Don Doktor soll helfen Gott, weil er Indiokinder geholfen hat in Dorf. Von Zauberer hat Gott Blick genommen. Hört er nicht auf ihn.“ Der Zauberer blickte lauernd auf Dr. Brand. „Die Sache gefällt mir nicht“, flüsterte der Professor. „Wahrscheinlich fürchtet er sich vor der Rache des Stammes, wenn er den Wundergott sterben läßt. Wir müssen doppelt vorsichtig sein, daß es dann nicht über uns hereinbricht.“ „Gehen wir hinein“, entschloß sich der Arzt. Sie betraten das im gedämpften Licht liegende Innere der Hütte, gingen einige Schritte vor und blieben wie erstarrt stehen. Nur Mabel hatte die Situation nicht sogleich erfaßt. Sie trat noch einen Schritt näher, sah auf die Gefährten, auf das Lager von Palmfasern inmitten der Hütte und rief dann: „Das ist doch…“ Erschreckt hielt sie sich die Hand vor den Mund. Auch ihr wurde das Ungeheure plötzlich bewußt. Langsam faßte sich der Professor. Er riß seinen Blick von dem Lager los und sah zu Dr. Brand, als wollte er sich vergewissern, ob er träume oder wache. Aber auch das Gesicht Brands drückte grenzenloses Erstaunen aus. Ohne ein Wort schritt er langsam auf das Lager zu, beugte sich über die reglose Gestalt, kniete nieder und griff nach einem schlaff herunterhängenden handähnlichen Glied, in der Absicht, den Puls zu fühlen. Obgleich Mabel ahnte, was hier vorging, erschien ihr die Wahrheit so unfaßbar, daß sie, vor Erregung stoßweise flüsternd, den Professor fragte: „Ist das, ist das… ein Mensch, Professor?“ Langsam schüttelte Professor Sunday den Kopf. Zögernd, als ob er die Worte weit, weit herholen müßte, antwortete er: „Ich
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glaube, ein Mensch ist es nicht…“ In weiche Pflanzenfasern eingebettet lag ein in eine graue, enganliegende Kombination gekleidetes Wesen, modelliert wie ein Mensch, aber doch so anders. Wenn ich nicht wüßte, daß ich im Urwald bin, Hunderte Meilen von jeder Zivilisation entfernt, dann müßte ich an einen Fastnachtsscherz glauben. Aber ein Tier ist es nicht, bestimmt nicht. Dieses Gesicht, der Anzug, dachte Sunday. „Kommen Sie her, Professor“, rief leise Dr. Brand, den Professor aus seinen Gedanken reißend, „helfen Sie mir, das aufzumachen.“ Mabel stand noch immer fassungslos. Sie starrte abwechselnd auf das Lager und an eine Seitenwand der Hütte, an der ein metallisch glänzender Anzug und ein fast kugelrunder Helm mit verschiedenen anderen Gegenständen lagen. Auch die am Eingang stehenden Indios verhielten sich still, als ob das Große des Augenblicks sie ebenfalls ergriffen hätte. Scheu nestelte der Professor mit Dr. Brand an ihnen fremden Verschlüssen herum, um das Kleidungsstück unterhalb des Kopfes zu öffnen. Es dauerte lange, ehe Brand, der Schweiß perlte bereits von den Stirnen, durch Drehen eines winzigen Knebels eine Art Reißverschluß betätigte, der sich fast bis zur Körpermitte öffnete. Wieder sahen sich die beiden an. Kein Wort wurde gewechselt. Zaghaft schob Dr. Brand ein mit eigenartigen Zeichen und geometrischen Figuren bemaltes Folienbündel zur Seite, das das Wesen auf dem Leib trug, und legte dann sein Ohr auf den fremden Körper. Er bekam eine Gänsehaut, als er damit die durch feine Linien, die in ihrer Anordnung an Dachziegel erinnerten, unterbrochene weiche Haut des Wesens berührte. „Es lebt…“, sagte er nach Sekunden, die wie Ewigkeiten in der Hütte standen. Professor Sunday wankte, stützte sich auf Mabel, die ihn erschrocken ansah. Er hatte einen hochroten Kopf, seine
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Lippen bebten. „Es kann doch nicht sein, es kann doch nicht sein…“, flüsterte er immer wieder. Erst jetzt kam die Reaktion auf die ungeheure Anspannung der letzten Minuten und das Bewußtsein, an der Schwelle eines neuen Zeitalters zu stehen. Wie aus weiter Ferne vernahm er die Anordnung Dr. Brands, die Hütte zu räumen. Erst draußen sammelte er sich wieder. Er nahm die Indios wahr, die in einer Gruppe in respektvoller Entfernung vor der Hütte standen, und hörte, wie Dr. Brand eindringlich auf Miguel einsprach. Jetzt wandte er sich an den Professor: „Na, Herr Professor, ich dachte, ich soll einen Gott behandeln, und nun machen Sie schlapp.“ Aber auch die humorvoll gemeinten Worte konnten seine eigene Erregung nicht verbergen. „Menschenskind, Brand, das kann doch nicht sein…“, stammelte, immer noch benommen, der Professor. Ohne auf die Worte des Professors zu achten, gab Dr. Brand bereits weitere Anweisungen: „… und Sie, Mabel, holen irgendwie die Träger mit sämtlichem Gepäck herbei. Wie, ist Ihre Sache. Miguel brauche ich hier. Los, Miguel, übersetze nun meine Fragen! Und sage ihnen gleich, wenn sie nicht die Wahrheit sagen, kann ich ihnen nicht helfen.“ Nach langen Disputen, während derer Dr. Brand vor Ungeduld von einem Bein auf das andere hüpfte und zwischendurch die Hände rang, erzählte Miguel: „Waren Indios auf Jagd, weit, wo Sonne aufgeht – auf Jagd nach Faultier…“ Professor Sunday, wieder einigermaßen beruhigt, nickte verstehend mit dem Kopf. „Als an ein Tag Sonne schon im Wald, hat plötzlich Krach gemacht und Gott lag auf Boden. Und dazu, an anderer Stelle ein groß lang Stein. Kamen an roter Wolke. Gott hat nicht bewegt sich lange Zeit. Dann war aufgestanden und in Wald gegangen und gegangen, gegangen. Und Indios ihm nachgegangen und trugen Wolke.
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Und sind siebenmal Sonne auf- und abgegangen und Gott ist gegangen und gefallen und aufgestanden und gegangen und ging in seine Stadt, in alte Stadt hierher. Und Indios denken, alter Gott kommt heim zu Indios. Indios wollten Gott grüßen, und da war Gott gefallen und hatte Blick von Indios genommen, und schon fünfmal war Sonne neu gekommen und hat Gott noch nicht auf Indios gesehen. Und er war im Dorf bei Indios. Sollte all seine Kinder sehen. Und als Dons kamen, haben Indios ihn in sein Stadt gebracht und hat er auch nicht gesprochen. Und weil Dons gute Menschen, soll Dons mit Indiogott sprechen…“ Nach Miguels Bericht entstand eine Pause. Dr. Brand überlegte fieberhaft, überdachte noch einmal die von Miguel genannten Fakten, fragte zurück und sagte dann zögernd: „Ich vermute, daß eine starke Erschöpfung, durch Überanstrengung und Hunger hervorgerufen, die Ursachen sind, vielleicht auch eine Gehirnerschütterung. Wenn die Angaben stimmen, ist keine Zeit zu verlieren. Zumindest die letzten fünf Tage hat es keine Nahrung mehr aufgenommen.“ Völlig unbewußt gebrauchte Dr. Brand das Neutrum. Offensichtlich dachte er dabei an „Wesen“. Er war völlig von seiner Aufgabe gefangen, vielleicht das kostbarste Leben zu retten, das bisher je ein Arzt gerettet hatte. Die Träger trafen mit dem Gepäck ein. Dr. Brand zerwühlte die Ballen, suchte sein Besteck hervor und einige Konserven. Er gebot, ein kleines Feuer zu entfachen und eine nach seinen Angaben zusammengesetzte Speise zu bereiten. „Meinen Sie, daß das richtig ist?“ fragte besorgt der Professor. Dr. Brand zuckte die Schultern: „Können Sie mir etwas anderes raten? Soll ich vielleicht zusehen, wie es verhungert? Es steht zumindest fest, daß es“, hier zögerte Dr. Brand lange, bevor er fortfuhr, „unsere Erdatmosphäre verträgt – also kann der übrige Organismus nicht so sehr von unserem abweichen.“ „Sie glauben also auch, daß es – nicht von hier, von der Erde
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ist?“ Wieder zuckte Dr. Brand mit den Schultern. „Haben Sie schon etwas Derartiges gehört oder gesehen? – Mir bleibt keine andere Wahl, als anzunehmen, daß wir Besuch aus – dem Kosmos haben. Jawohl!“ „Ja, wissen Sie denn, was das bedeutet, Mann?“ Wieder überkam den Professor eine große Erregung. „Ich kann es mir ungefähr vorstellen“, sagte Dr. Brand ruhig. „Aber vorerst besteht Gefahr für sein Leben. Und ich sehe meine vordringlichste Aufgabe darin, es zu retten. – Ich muß versuchen, jedes Gefühl dabei zurückzudrängen.“ „Ja, ja“, sagte überflüssigerweise der Professor. Er fühlte sich etwas beschämt. Im Geiste sah er bereits die riesigen Schlagzeilen der Zeitungen, die die großartige Entdeckung in Verbindung mit seinem Namen brachten. Und hier stand der Doktor vor einer der schwierigsten Aufgaben, die ein irdischer Arzt je hatte, unter einer Bürde von Verantwortung, und er blieb ruhig und beherrscht, sah nur das eine Ziel – alles zu versuchen, das Leben zu erhalten, ein ihm in seiner Funktion völlig fremdes Leben. „Miguel“, wandte sich der Professor an den Dolmetscher, „frage, ob noch mehr Götter in den Wald gekommen sind.“ Aus den Gesten der Indios sah der Professor, daß sie nichts Derartiges gesehen hatten. Mabel rührte bereits in dem dampfenden Topf. „Das Wasser gut abkochen“, mahnte Brand. „Haben Sie das Hühnerfleisch? Ganz klein schneiden – und geben Sie alle Sülze aus der Büchse dazu. Gut aufkochen lassen!“ Mabel versuchte aufgeregt, die Weisungen des Arztes genau zu befolgen. Bald verbreitete sich ein appetitlicher Bouillonduft. Noch einmal ging Dr. Brand in die Hütte. Vom Eingang her beobachtete Professor Sunday. Mit dem Stethoskop hörte Dr. Brand den Oberkörper ab. Schwache, rhythmische Töne mit dem Lautoptimum in der
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Mitte zeugten vom funktionierenden Kreislauf. Einmal war es Dr. Brand, als zuckten die festgeschlossenen Lider. „Ich glaube, es kommt bald zu sich.“ Ohne sich umzudrehen, sagte es Brand halblaut zum Professor, der behutsam näher trat. Wieder beugte sich Brand mit dem Hörapparat über den Körper des Daliegenden. „Wenn nicht anders, müssen wir ihm die Brühe mit Gewalt einflößen. Kräftigungsspritzen möchte ich auf keinen Fall geben. Kommen Sie, wir gehen hinaus. Ich möchte mit dem Füttern noch ein wenig warten.“ Vor der Hütte waren Helston und Walker eingetroffen. „Was ist denn nun schon wieder, wir warten und warten, und hier wird die Zeit mit den Indios vertrödelt“, erboste sich Helston. „Es gibt eine Unmenge Arbeit – lohnende Arbeit!“ Walker sagte nichts. Ihm war gleich die eigenartige Gespanntheit der auf dem Platz Versammelten aufgefallen. Nun stutzte auch Helston. „Was ist denn? Was habt ihr für einen komischen Gott ausgegraben – etwa einen Inka persönlich?“ versuchte er in den alten Ton zu fallen. Da niemand auf seinen Scherz einging, schritt er langsam auf die Hütte zu, dicht gefolgt von Walker. Sie verschwanden im Inneren, kamen jedoch nach wenigen Augenblicken wieder heraus; Walker blaß, Helston äußerlich ruhig, aber seine Augen verrieten die Erregung, in der auch er sich befand. „Wie ist der Befund, Doktor?“ fragte besorgt Walker. „Was soll ich Ihnen sagen? Der Patient ist ohnmächtig, aber ich erwarte, daß er bald von allein zu sich kommt. – Ach, Miguel, schicke doch einen von den Indios hinein. Er soll drin wachen und sofort melden, wenn das Wesen die Augen aufmacht.“ Professor Sunday hatte sich von der zusammenstehenden Gruppe abgesondert. Er musterte die Gepäckstücke, zerrte unter einem Proviantsack die Kiste hervor, die das zerlegte Funkgerät barg, öffnete sie und begann auszupacken. Dabei
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beschlichen ihn plötzlich Zweifel: Wenn es nun kein Gast aus dem Kosmos ist, wenn es die Folge eines antihuma nen Mutationsversuches ist? Aber auch das wäre eine Sensation, der Tätigkeit eines gewissenlosen Forschers hier im Urwald auf die Spur zu kommen. Aber das ist ja ausgeschlossen, dachte der Professor weiter. Das fremdartige Gewebe, der Raumanzug und die Umstände, die zur Entdeckung des Wesens führten. Es muß ein Kosmonaut, ein Kosmonaut einer anderen Welt sein. Die Erde muß es erfahren, die Presse muß her, direkt hierher! Professor Sunday baute sorgsam die einzelnen Elemente des Funkgerätes zusammen. Erst als er Miguel rief, der einen Indio zum Anbringen der Antenne in einer Baumkrone bewegen sollte, wurden die anderen auf sein Tun aufmerksam. Helston kam mit einem Gesicht näher, das kaum verhohlenen Unwillen ausdrückte. „Bitte, Herr Professor, wollen wir nicht überlegen, ich meine alle zusammen, was jetzt zu tun ist, bevor wir irgend jemandem eine Meldung machen?“ „Ich wüßte nicht, was da zu überlegen ist“, sagte, über Helstons Eingreifen aufgebracht, der Professor. „Oder möchten Sie der Welt den Gast vorenthalten? – Wir brauchen außerdem Hilfe; denn es ist sehr unwahrscheinlich, daß er allein gekommen ist. – Im übrigen weiß ich immer noch selber, was ich zu tun und zu lassen habe.“ „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, Herr Professor“, sagte Helston kalt, „daß Sie als Leiter einer Gruppe in den Urwald gingen, die Inkaforschung betreiben sollte. Die Situation hat sich völlig verändert. Für diesen Fall sind Sie – jedenfalls als Leiter – nicht kompetent. Und jeder unbedachte Schritt kann für die Welt, kann für die Vereinigten Staaten von Amerika und für den Gast unübersehbare Folgen haben.“ Sunday schwieg. Er fühlte, daß Helston in gewissem Sinne recht hatte. Mit einem Ton, in dem noch verhaltener Unwille
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mitschwang, sagte er: „Was würden Sie also vorschlagen?“ „Wir werden beraten, alle fünf, und dann beschließen. Danach können wir immer noch…“ Er konnte den Satz nicht vollenden. Wild gestikulierend kam der als Wache in die Hütte geschickte Indio auf den Platz gerannt und rief immerzu dieselben für die Weißen unverständlichen Worte. „Gott hat geöffnet Augen“, raunte, ebenfalls erregt, Miguel. „Halt, Doktor Brand!“ rief Helston dem davoneilenden Arzt nach. „Nichts überstürzen. Wir möchten erst festlegen, wer von uns mit ihm verhandelt.“ „Was fällt Ihnen ein?“ zischte Walker. „Sie sind wohl größenwahnsinnig geworden, daß Sie meinen, hier herumkommandieren zu können!“ Dr. Brand war stehengeblieben. Nachdenklich sah er von einem zum anderen. Im Gesicht Walkers stand heller Zorn, während das des Professors Unentschlossenheit ausdrückte. Dr. Brand sah etwas mitleidig auf den Professor und sagte dann ruhig: „Ich glaube, Helston hat recht – wir sind uns, denke ich, der Tragweite des Geschehnisses gar nicht recht bewußt. Ich schlage vor, daß wir den – Professor und Helston ermächtigen, zunächst mit ihm zu verhandeln. Falls das überhaupt möglich ist! Mir selbst ist es recht. Ich kann so ungestört den Zustand studieren.“ „Gut, gehen wir hinein“, sagte Sunday, sichtlich froh, daß ihm die Entscheidung abgenommen worden war. Walker sagte nichts. Er zögerte, als überlege er, ob er den anderen folgen sollte, gab sich dann einen Ruck und ging ihnen nach. Sie traten ein. Während Mabel und Walker am Eingang stehen blieben, schritten Professor Sunday, Dr. Brand und Helston langsam auf den Kosmonauten zu. Im Lager etwas aufgerichtet, die Kombination immer noch
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weit geöffnet, erwartete sie der Gast aus dem Weltraum. Wie fasziniert starrten der Professor und Helston in dieses Gesicht, das von zwei strahlenden, fast runden Augen völlig bestimmt war. Das fremde Wesen machte Anstalten, sich vom Lager zu erheben. Es war offensichtlich, daß die Glieder ihren Dienst versagten. Professor Sunday handelte wie im Traum: Ich muß zeigen, daß ich friedliche Absichten habe, sagte er sich, und breitete die Arme von sich. Helston, des Professors Absicht verstehend, tat es ihm gleich. Bei der Geste war es dem Professor, als leuchteten die Augen des Wesens auf – sonst zuckte in dem starr auf sie gerichteten Gesicht nichts. Aber jetzt – der Fremde wiederholte die Geste. Mit dem Ausbreiten der Arme wurde deutlich, daß die Gelenke des Gastes anders funktionierten als die der Menschen. Wie zur Begrüßung beugte Professor Sunday den Oberkörper vor. Erneut machte der Kosmonaut einen Versuch aufzustehen und sank auf das Lager zurück. Wieder bewegte sich in dem starren Gesicht nichts. Nur das Strahlen der Augen glitt gleichsam hinter einen Schleier. Plötzlich eilte Dr. Brand hinaus, kam wenig später mit der dampfenden Schüssel zurück und hielt sie dem Fremden entgegen. Der zögerte, bewegte langsam den Kopf und sah in die Schüssel. Ob er merkt, daß es etwas zum Essen ist? fragte sich Dr. Brand. Ich muß es ihm zeigen. Er hielt die Schüssel mit einer Hand, machte den Mund auf und deutete mit der anderen Hand hinein. Dann sagte er laut: „Bitte, essen Sie, Essen.“ Und wieder wurde er verstanden. Vorsichtig griff der Gast nach der Schüssel, zögerte noch einen Augenblick und setzte zum Trinken an.
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In dem starr wirkenden Gesicht des Kosmonauten hatte sich bisher der Mund kaum abgezeichnet. Erst jetzt, da er ihn in das Gefäß tauchte, hob er sich deutlich fast lippenlos ab. Das Wesen trank immer heftiger, gierig, ausgehungert. Dr. Brand faßte die Schüssel und entzog sie dem Gast mit sanfter Gewalt. Sofort ließ dieser los. Dabei glitten die hautigen Finger wie widerwillig von dem Gefäß. Nach kurzer Zeit bot Dr. Brand erneut die Speise an. Der Gast nahm die Schüssel, blickte zögernd auf. Sowohl Helston als auch der Professor nickten ermunternd mit den Köpfen. Behutsam, mit winzigen Schlucken trank er. Beinahe triumphierend sahen sich der Professor und Helston an: Sie wurden verstanden. Das Wesen trank die Schüssel mit Pausen bis auf den Grund leer. Helston nahm sie an sich und sah sich hilfesuchend nach dem Professor um. Offenbar fand er keinen Anknüpfungspunkt. Na, Jüngelchen, jetzt weißt du wohl nicht weiter, konnte sich der Professor nicht verkneifen, mit einer gewissen Genugtuung zu denken. Er ging langsam auf das Lager zu, einen Notizblock aus der Tasche ziehend. Er hielt den Block so, daß der halb Sitzende ihn mit einsehen konnte, und zeichnete ein rechtwinkliges Dreieck, dazu Quadrate über die Katheten und die Hypotenuse, danach begann er die Symbole an die einzelnen Größen zu schreiben. Ein Fuchs, dachte Helston, dabei gespannt den Kosmonauten ansehend, der wie fasziniert auf das Papier starrte, es dann dem Professor in einem plötzlichen Verstehen förmlich aus der Hand riß und nun selbst das ergänzte, wozu der Professor nicht mehr gekommen war. Unvermittelt lachte der Professor. In sein Lachen stimmten Helston und Dr. Brand ein. Ein erstaunter, aber hell strahlender Blick des Wesens traf sie. Wieder blieb das Gesicht unbeweglich. Nur die Augen,
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diese Augen schienen mit einem in allen Schattierungen schwankenden Leben erfüllt. Und schon flog des Professors Stift wieder über das Papier. Konzentriert schaute der Fremde zu. Ohne Zweifel rang er um Verständnis. Aber Punkte und Kreise nahmen auf dem Blatt immer mehr zu, ohne daß eine Regung des Begreifens durch den Kosmonauten gegangen wäre. Trotz des unbeweglichen Gesichts empfanden selbst die weiter hinten Stehenden, wie sich der Blick des Gastes immer mehr verfinsterte, wie er sich anstrengte, das Dargestellte zu erfassen. Der Professor zog einen der Kreise immer in der gleichen Bahn nach. Und plötzlich war es da, das Verstehen. Wieder nahm der Fremde den Block und zeichnete etwas Ähnliches wie der Professor. Die Zeichnungen stellten vereinfachte Modelle des Wasserstoff- und des Sauerstoffatoms dar. Und wieder lachten die Menschen. Mabel drückte im Hintergrund unsinnig die Hand Walkers, der es jedoch nicht zu merken schien. Vor Erregung, diesen einmaligen Augenblick in der Menschheitsgeschichte miterleben zu dürfen, schlug ihr das Herz bis zum Halse. Der Professor dachte in diesem Augenblick immer wieder: Es ist wahr, es ist wahr – eine Brücke ist geschlagen von Vernunft zu Vernunft, eine Brücke zwischen zwei Welten, gewiß um Lichtjahre voneinander getrennt. Wie durch einen Schleier sah er nunmehr das Wesen auf sich selbst zeigen, und ein merkwürdiges, moduliertes Singen erfüllte für wenige Augenblicke den Raum. Wieder sahen sich die Menschen an. Überrascht und ein wenig enttäuscht. Sie waren sich einig: Es wird kaum möglich sein für einen Menschen, solche Laute zu formen. Noch ein zweites Mal wiederholte der Gast seine Geste, und wieder standen die seltsamen Laute um sie herum.
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Aber die Anwesenden hatten begriffen: Es war sein Name! Der Professor folgte dem Beispiel des Fremden. Er zeigte auf sich und sagte: „Sunday.“ Helston und Brand nannten auch ihre Namen. Sie empfanden selbst, daß neben den kaum verklungenen melodiösen Lauten des Kosmonauten ihre Stimmen wie Stahlraspeln klangen. Sunday tat ein übriges, indem er auf Helston und Brand wies und diese gleichsam vorstellte. Auch hier ahmte es ihm Helston nach. Wieder leuchteten die Augen des Unbekannten. Er hatte verstanden. Plötzlich ging eine Veränderung in ihm vor: Sein Blick wurde glanzlos. Er verlangte dringend den Schreibblock des Professors und zeichnete mit schnellen Strichen. „Eine Art Raumschiff und sieben Fallschirme“, deutete Helston die Malerei als erster. „Das könnte heißen, daß außer ihm noch sechs gelandet sind!“ Wie um sich zu vergewissern, deutete Helston auf einen der Schirme und auf den Gast. Und wieder sagte dieser seinen Namen. „Warten Sie“, sagte der Professor, „wir müssen erfahren, wo sie gelandet sind.“ Er kritzelte etwas auf das Papier, der Gast ergänzte die Zeichnung. „Sie sind im Urwald gelandet“, erläuterte der Professor dem ratlos dreinschauenden Helston. Plötzlich eilte Helston hinaus und kam wenig später mit einer Karte der Umgebung zurück. Der Weltraumfahrer verfolgte gespannt sein Beginnen. Und zum Zeichen, daß er sich noch nicht orientieren konnte, drehte er die Karte. Sofort zeichnete der Professor die Sonne und deren Bahn auf das Papier. Danach trug er einen Kreis ein und deutete auf den Fußboden. Um den Kreis zog er ein Viereck, ging zu dem Kosmonautenhelm des Fremden, deutete darauf und markierte den Punkt an der Wallmauer, wo die Indios den Helm gefun-
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den hatten. Der Fremde verstand. Aber er war ungeduldig. Schnell malte er die Sonne auf den Block und zog siebenmal deren Bahn. Wie auf Kommando nickten Helston und Sunday. Die Aussagen deckten sich mit denen der Indios. Helston nahm einen Rechenstab aus der Brusttasche, beriet kurz mit dem Professor über die mögliche Tagesleistung im Urwald, tippte sich an die Stirn, daß er für die simple Rechnung den Rechenstab verwenden wollte, und trug die Entfernung auf der Karte ein. Schnell war das mutmaßliche Landungsgebiet umrissen. Unvermittelt sagte Dr. Brand: „Es ist genug. Bitte, er ist zu müde.“ Scheu drückte Helston, die Weisung des Arztes respektierend, den Kosmonauten in das Lager. Der schien mit der Maßnahme nicht einverstanden und setzte dem Druck Helstons leichten Widerstand entgegen. Sein Blick, glitt unruhig über die Gesichter. Der Professor verstand. Lächelnd wies er auf sich, auf Helston und auf den Eingang der Hütte, machte eine alles umschreibende Bewegung und zeigte auf das auf der Karte umrissene Gebiet. Erst jetzt ließ sich mit einem strahlenden Blick der Kosmonaut auf das Lager zurückgleiten. Die Geste drückte soviel Vertrauen zu den Menschen aus, Vertrauen darauf, daß sie seine Gefährten suchen werden, daß es dem Professor heiß in die Augen stieg. Er wandte sich ab und verließ die Hütte. Helston warf noch einen langen Blick auf den nunmehr mit geschlossenen Augen Daliegenden und folgte.
Aus dem Hubschrauber kletterten zwei Männer. Harries zuerst. Klein und untersetzt, mit den Zähnen eine Zigarre haltend, stieg er schnaufend die wenigen Sprossen der Strickleiter
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herab. Trotz der schon tiefstehenden Sonne glitzerten auf seiner Stirn Schweißperlen. Helston, der neben dem stark qualmenden Signalfeuer gestanden hatte, ging Harries entgegen. Der zweite Mann verschmähte die Leiter. Er sprang auf den Boden, zupfte ein Stäubchen von seiner Hose und hatte Harries mit einigen schnellen Schritten eingeholt. Er war mittelgroß, mit dunklem, angegrautem Haar und verriet den Typ, der in seiner Jugend viel Sport getrieben hatte. Er trug eine unauffällige Brille, ging praktisch und gepflegt gekleidet und hatte eine Aktentasche lässig unter den Arm geklemmt. Während sich Helston und Harries mit Handschlag begrüßten und sich Helston höflich nach dem Flugverlauf erkundigte, sagte der zweite Mann lediglich „hallo“ und musterte im übrigen scharf die Umgebung. Der Hubschrauber stand auf einem Platz, der von Moosen, kleinen Sträuchern und kriechenden Pflanzen überwuchert war. Vor einem größeren Ruinenkomplex stand ein Zelt. Helston lud die Ankömmlinge in das Zelt ein. Außer einem Tisch, vier Klappstühlen und einem Funkgerät befand sich nichts darin. Auf dem Tisch standen ein kleiner Imbiß und einige Whiskygläser sowie eine noch nicht entkorkte Flasche bereit. Wuchtig ließ sich Harries auf einen der Stühle fallen, wischte den Schweiß von der Stirn, wartete schnaufend, bis die anderen ebenfalls saßen, und sagte dann zu Helston, der die Flasche öffnete, in bestimmtem Ton: „Nun schießen Sie schon los, und ich rate Ihnen, lassen Sie sich ja etwas Gescheites einfallen, das diesen üblen Flug und die Zeit, die wir darangesetzt haben, rechtfertigt.“ „Ich will es kurz machen, Mister Harries“, erwiderte Helston. „Sie befinden sich hier in einer alten Inka-Stadt, die von uns entdeckt wurde…“ „Gratuliere“, spöttelte der zweite Besucher. „Aber das hätten Sie uns auch zu einem anderen Zeitpunkt mitteilen können.“
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Helston bedachte ihn mit einem abschätzenden Blick, sagte dann aber: „Sehr wohl, Mister…“ „Fergus“, sagte der Mann lässig. „Ja, das ist Robert Fergus“, holte Harries das vorhin versäumte Bekanntmachen nach. „Einer meiner engsten Mitarbeiter.“ „Wir haben hier“, setzte Helston scheinbar gleichgültig seine Rede fort, „ich meine hier in dieser Stadt einen Kosmonauten aus einem fernen Planetensystem vorgefunden und müssen nun seine sechs Gefährten suchen. Deshalb und auch noch aus einigen anderen Gründen habe ich Sie so dringend hergebeten.“ Harries blieb der Bissen im Halse stecken. Fergus blickte bedauernd auf Helston wie auf einen armen Irren, wiegte den Kopf hin und her und pfiff durch die Zähne. „Sie wollen uns wohl auf den Arm nehmen?“ fragte er. „Lassen Sie Ihre unangebrachten Hänseleien, Fergus“, fauchte Harries. „Und Sie, Helston, erzählen mal schön der Reihe nach.“ „Wollte ich ja die ganze Zeit“, sagte Helston mit einem Seitenblick auf Fergus. Dann gab er einen ausführlichen Bericht. Nach anderthalb Stunden erhob sich der Hubschrauber wieder, nunmehr in den bereits nachtschwarzen Himmel. Helston ging in Gedanken versunken langsam dem Lager zu, schlug mit dem Fuß einen Stein, der im Lichtkegel seiner Taschenlampe auftauchte, unzufrieden zur Seite, fluchte halblaut, weil er sich weh getan hatte, und stolperte zum Überfluß noch über die Leine des großen Zeltes. Nur Mabel machte sich drin noch zu schaffen. Sie räumte das Abendbrotgeschirr zur Seite und schaute überrascht auf, als Helston eintrat. Ohne sie anzusehen, grüßte er mürrisch und machte sich an einer Saftbüchse zu schaffen. „Ist was?“ fragte Mabel.
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„Was soll schon sein?“ sagte er abweisend. Mabel blickte auf. Seit jenem Abend auf dem Fluß war ihr Verhältnis zueinander anders. Im stillen wünschte sie, sie seien Freunde geworden. Helston hatte seitdem öfter mit ihr Federball gespielt; sie hatten einige Abendspaziergänge durch die Ruinenstadt gemacht, tauschten sich über ihre Studienerlebnisse aus und konnte auch über Belangloses plaudern. Auch den anderen gegenüber hatte sich Helston geändert. Seit sie den Kosmonauten fanden, hatte er eine solche Umsicht bewiesen, daß alle, selbst Walker, der Meinung waren, daß er nunmehr wieder der alte sei, und sie hatten ihn stillschweigend zum Leiter der Suchaktion nach den sechs Gefährten des Weltraumgastes gemacht. Professor Sunday war es zufrieden, konnte er sich doch so ganz der Stadt widmen. Er streifte den ganzen Tag mit Walker und Mabel durch die Ruinen, während sich Dr. Brand ausschließlich um seinen Patienten und Helston um das Auffinden von dessen Gefährten bemühte. Wir schienen ein wirkliches Team zu werden, dachte Mabel, alles verlief in bester Harmonie – und nun, heute? Er hatte doch Besuch! Mabel gestand sich ein, daß sie neugierig war auf das, was die Zusammenkunft Helstons mit „seinen Leuten“, wie er sie nannte, gebracht hatte, hing doch davon das gesamte weitere Programm ab. Ob etwas schiefgegangen war? Hatte er mit seinem Plan, die Kosmonauten zunächst ohne die Weltöffentlichkeit zu suchen – aus Sicherheitsgründen, wie er meinte –, den Mund zu voll genommen? Hatten ihn seine Leute im Stich gelassen? Das würde seine jetzige Haltung begreiflich machen. Warum sagte er auch nichts darüber? Wenn alles glatt gegangen wäre, er hätte doch sicher davon gesprochen und sich gefreut, daß nunmehr die aktive Suche losging. „Ist etwas schiefgelaufen?“ fragte sie zögernd. Er sah auf. „Nein, wieso? Morgen in aller Herrgottsfrühe fangen sie mit der Suche an.“ „Und Ihr Vorschlag mit den Fotos?“
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„Übermorgen wird ein Flugzeug einige Zehntausend abwerfen. Außerdem steht uns auf Abruf ein Hubschrauber zur Verfügung. Zwei Sportflugzeuge suchen im Tiefflug.“ Er machte diese Angaben zögernd, mehr aus einem Höflichkeitszwang heraus als aus einem echten Mitteilungsbedürfnis. Er trank seinen Fruchtsaft und ging dann, ohne Mabel noch einmal anzusehen, grußlos hinaus. Mabel blickte ihm nach, zuckte dann mit den Schultern und ordnete das restliche Geschirr in das Regal. Spinner, dachte sie.
14 „Sie suchen etwas, kein Zweifel“, sagte Kark und blickte gespannt dem Flugapparat hinterher, „sonst kämen sie nicht so regelmäßig, Streifen für Streifen.“ „Wir bleiben erst einmal hier“, entschied Chalo, das Versteck des schmalen Bootes musternd. „Sehen können sie uns von oben hier nicht. Vorsichtig müssen wir aber trotzdem sein, wer weiß, welche Hilfsmittel sie haben.“ „Ich bin nur froh“, sagte nach einer Weile Min, „daß es sich nun doch zeigt, daß vernünftige Wesen hier sind, richtig vernünftige.“ Nachdenklich drehte sie den in der Hütte gefundenen runden Gegenstand hin und her. „Da ist bestimmt Schrift drauf. Vielleicht von denen da oben?“ Borl deutete bei seinen Worten auf das Flugzeug, das erneut den breiten Fluß überflog. „Sollten wir nicht doch hinausfahren und uns zeigen? Vielleicht suchen sie uns!“ „Das glaube ich nicht, Surki.“ Rilt drehte sich Surkis provi-
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sorischem Lager zu. „Woher sollten sie von uns Kenntnis haben.“ „Von denen, die wir aufsuchten.“ „Kaum anzunehmen“, mischte sich Borl wieder ein. „Kein Nachrichtensystem – oder hast du etwas gesehen? Keine schnellen Fahrzeuge – ich glaube nicht, daß die Nackten überhaupt zu denen da oben Verbindung haben. Der Unterschied ist zu groß – natürlich, genau kann man es nicht wissen.“ „Was meinst du, Chalo?“ „Nichts, wir werden sehen“, antwortete er wortkarg. Gleichzeitig gebot er durch eine Bewegung Ruhe. Er horchte. Das Flugzeug kam wieder näher. Sie sahen durch die Zweige nach oben. Schmerzend hell erstrahlte der Himmel, blau, unendlich. „Es hat eine andere Farbe!“ rief Kark. „Es fliegt höher und etwas schneller als das, das wir schon kennen.“ „Ich begreife das nicht, auf einmal gibt es hier hochentwikkelte Flugapparate, also Technik. Vorher sind wir tagelang gefahren und gefahren – von dem Marsch im Dickicht ganz zu schweigen –, und nichts von irgendwelchen Primaten.“ „Stimmt nicht ganz, Min, du vergißt die Nackten“, bemerkte Kark. „Na ja, aber die sind von Flugzeugen so weit entfernt wie wir im Augenblick von einem flugfähigen Raumschiff.“ „Das müssen ganz andere sein da oben. Vielleicht doch nicht von diesem Planeten? Vielleicht sind sie so wie wir einmal gekommen und haben sich hier niedergelassen? Ich kann nicht glauben, daß es hier Primitivismus und Raketentechnik nebeneinander geben soll. Das wäre doch widersinnig!“ Borl sprach sich in Rage, ließ dabei das längs des Flusses fliegende Flugzeug nicht aus den Augen. „Vielleicht sind sie Vergessene, die Nackten?“
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„Oder Ausgestoßene?“ „Das letztere glaube ich nicht. Errungenschaften einer Zivilisation lassen sich nicht rückgängig machen. Etwas hätten sich Ausgestoßene geschaffen, da gibt es keinen Zweifel. Ganz davon abgesehen, daß Ausgestoßene einer zivilisierten Welt höchst unwürdig wären.“ „Vorsicht mit solchen Urteilen! Wer weiß, welche Überraschungen noch auf uns warten“, warf Chalo ein. „Redet nicht soviel, schaut lieber nach oben“, rief Kark, der das Flugzeug immer noch mit dem Fernrohr verfolgte, obgleich es jeden Augenblick über den Wipfeln wegtauchen mußte. „Es sieht so aus, als hätten sie etwas abgeworfen, guck mal, Chalo, die tanzenden weißen Pünktchen.“ Weiße, wippende Punkte senkten sich langsam auf das Dickicht, ein eigenartiger Reigen, lustig, erregend und grotesk zugleich. In mehreren Gruppen schwebte es herunter. Die Punkthaufen lösten sich zusehends in einzelne weiße Flächen auf. Das Flugzeug war verschwunden, das Geräusch ließ nach. Noch immer hatte keine der weißen, wippenden Merkwürdigkeiten das Dickicht erreicht. Gespannt starrten sechs Augenpaare nach oben. Der gesamte sichtbare Himmelsausschnitt war locker betupft. Je tiefer es sank, desto weitmaschiger wurde das Netz, bis schließlich im Gesichtsfeld der sechs noch zwei oder drei der weißen Gegenstände herumschwebten. Und diese gingen weit von ihrem Standort nieder, zwei am jenseitigen Ufer, einer in der Mitte des Flusses. Es war lediglich zu sehen, daß es viereckig und offenbar sehr leicht war. Sie konnten noch ausmachen, daß es schwamm. Enttäuscht blickten sich die sechs an. „Ich frage mich nur, aus welchem Grunde werfen vernunftbegabte Wesen solche Dinge, was immer es auch sein mag, in diese Wildnis. Es ist ein Stoff, auf dem man sicher auch“, Borl machte eine Pause, setzte dann seinen Gedanken fort, „schrei-
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ben kann.“ „Und wem sollten sie etwas mitteilen wollen? Vielleicht diesen bunten Fliegtieren oder dem überall herumkrabbelnden Viehzeug?“ fragte, durch die Enttäuschung ärgerlich, Kilt. „Uns“, sagte leise Surki. Verblüfft sahen sie zu ihr hin. „Ja, uns!“ betonte Surki noch einmal. Sie richtete sich etwas auf, sah von einem zum anderen. „Sie müssen uns suchen. Wir gehen sonst zugrunde, alle, wie Mangk.“ „Surki!“ rief Rilt und kletterte in dem schmalen Fahrzeug zu ihr. „So darfst du nicht sprechen!“ Surki lächelte. „Mach dir keine Sorgen, Rilt, ich habe es nicht so gemeint. Aber überlegt einmal: Wer ist denn außer uns noch hier? Wir waren doch die einzigen außer den Nackten, und in siebzehn Tagen kein Zeichen von Vernunft, von Intellekt.“ Sie schüttelte resigniert den Kopf. „Sie müssen uns meinen.“ Plötzlich griff Kark zum Paddel. „Was machst du da, Kark, bleib hier!“ rief Chalo. „Es ist zu gefährlich, die Flugzeuge können zurückkommen.“ Wie zur Bestätigung seiner Worte erklang in der Ferne wieder das dumpfe Brummen. „Egal“, erwiderte eigensinnig Kark. „Ich muß wissen, was es ist. Laßt mich allein fahren, wenn ihr Angst habt. Ich halte es so nicht mehr aus.“ Unentschlossen blickten die anderen. Kark und Chalo sahen sich schweigend an. Plötzlich sagte Chalo: „Gut. Zieh aber den Skaphander aus. Vielleicht hält man dich für einen von den Nackten, wenn man dich sieht. Die braune Kombination dürfte von oben etwa so aussehen.“ Wortlos kramte Kark in seinem Tragesack. Chalo zog das Boot vollends ans Ufer und half Surki, es hinauszutragen. „Sei vorsichtig, Kark“, die Besorgnis um den Gefährten klang aus Boris Stimme.
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„Ich suche so lange, bis ich so ein Ding finde“, sagte Kark und stieß ab. Sie sahen ihm nach. Langsam, die Uferstreifen musternd, paddelte er stromauf, bis sie ihn hinter der Krümmung aus den Augen verloren. Der Fluß gluckste. Ab und zu sprang ein glänzendes Tier aus dem Wasser und verursachte beim Wiedereintauchen einen konzentrischen Wellenring. Sie saßen und starrten ins Wasser, jeder hing seinen Gedanken nach. Geraume Zeit war verstrichen, in der weder von Kark noch von den Flugzeugen etwas zu vernehmen war. Brütende Mittagshitze breitete sich aus. Die Tiere verstummten nach und nach, als verkröchen sie sich in die dunkelsten, weil kühlsten Höhlen des Dickichts. „Da kommt er“, sagte auf einmal Chalo. Das Boot beschrieb merkwürdige Kurven, wirbelte um sich selbst, schwankte und schaukelte. Im Fernrohr war deutlich auszumachen, daß sich Kark vergeblich bemühte, etwas aus dem Wasser zu fangen. Seine Arme waren zu kurz. Nach einer Weile sahen sie es deutlicher. Eins von diesen weißen Blättern trieb im Fluß. Kark versuchte zum wiederholten Male, es mit dem Paddel herauszuangeln, aber immer wieder fiel es zurück. Nun schlug er wild das Wasser auf und trieb es immer mehr dem Ufer zu. Er näherte sich der Gruppe. Sie hörten ihn rufen: „Achtung, ich bekomme es nicht, helft, laßt es nicht vorbei!“ Chalo kroch hastig aus dem Skaphander, ließ das Boot näher treiben und hangelte an einem Zweig über den Fluß. „Paß auf, es ist glitschig“, warnte Kark. Aber da ließ sich Chalo schon fallen. „Chalo“, schrie Surki auf. Er tauchte auf. Fest hielt er ein weißes Knäuel. Kark zog ihn ins Boot und legte an. Chalo triefte. Er trat ans Ufer; sie umringten ihn. Kark, ohne das Boot irgendwo festzubinden, hielt die Leine und starrte voll
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Erwartung auf das Knäuel. Chalo setzte sich, betrachtete es und sagte: „Es ist so weich.“ Behutsam löste er die Knitter, nahm seinen Helm, breitete darauf das weiße Etwas und versuchte es zu glätten. Eine nasse, weiße Fläche. „Die andere Seite, die andere Seite hat schwärzliche Töne, ich habe es deutlich gesehen im Wasser“, rief Kark. Vorsichtig hob Chalo eine Ecke an, zog das feuchte Blatt vom Helm und wendete es. Sie beugten sich darüber, das dämmrige Licht noch mehr verdunkelnd. „Da ist etwas abgebildet.“ „Ein Bild, ein natürliches Bild!“ „Das ist doch…“ Wie ein Besessener sprang Chalo plötzlich hoch und rannte mit dem Helm, auf dem das Papier klebte, dorthin, wo ein Sonnenstrahl bis zum Boden drang. Vor Erregung keines Wortes mächtig, starrte er auf den Fund. Die anderen traten heran. Schweigend drückte Chalo Min den Helm in die Arme. Min warf einen Blick auf das Bild, schaute ein zweites Mal hin und schrie laut heraus: „Das ist doch Mangk!“ Surki, die auf Rilt gestützt herankam, riß Min den Helm förmlich weg. „Mangk, Mangk, schaut doch, das ist Mangk, unser Mangk!“ Sie brach in lautes, glückliches Weinen aus. Sie faßten es nicht. Immer wieder sahen sie auf das Bild, lachten, reichten den Helm, auf dem das Papier klebte, herum und waren keines vernünftigen Gedankens fähig. Rilt war die erste, die auch den Hintergrund der Fotografie aufmerksam betrachtete: „Er ist bei ihnen. Hier hinten, das ist einer von den hiesigen Primaten! Er hält eine Art Schale.“ Chalo war herangetreten. „Mangk liegt“, sagte er. „Vielleicht ist er krank.“ „Und es ist keiner von den Nackten“, setzte Rilt ihren Gedanken fort, „nicht nur, weil er angezogen ist. Er hat ein
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anderes Gesicht als die, die wir hier trafen. Er scheint auch eine andere Hautfarbe zu haben.“ „Also doch – zwei Sorten, die Nackten und die mit den Flugzeugen. Und sie sind sich so ähnlich“, ergänzte Min. Chalo stand etwas abseits. Er grübelte. Plötzlich wandte er sich an die anderen: „Warum haben sie das abgeworfen? Das muß doch einen Sinn haben!“ Surki blickte Chalo fest an. „Sie suchen uns, Chalo, glaub es mir, sie suchen uns“, sagte sie leise. „Genau das denke ich auch“, bestätigte überraschend Chalo. „Wie spät ist es?“ „Die Sonne hat kulminiert, Mittag vorbei“, antwortete Min. „Da haben wir noch viel Zeit.“ Chalo schien seine alte Sicherheit wiedergefunden zu haben. „Bitte die Skaphander anziehen, in wenigen Minuten brechen wir auf.“ Kark blickte erstaunt auf, Rilt nickte, während sich Min bereits um Surki kümmerte und deren Ausrüstung zusamme npackte. Borl. begeistert, lud sich Gepäckstücke auf, um sie zum Boot zu schaffen, und rief: „Auf zu Mangk und zu den richtigen Herren von ‘Hoffnung’. Ich brenne darauf, sie kennenzulernen!“ „Und wenn das mit der freundlichen Geste auf dem Bild – ich meine das Reichen der Schale – eine Falle ist, wenn sie Mangk gefangen haben?“ Kark war es, der fragte. Chalo sah zu ihm hin. „Wir müssen hier heraus! Schau dir Surki an. Besser, wir treffen sie jetzt, als daß sie uns irgendwo entkräftet auflesen oder – als daß wir hier überhaupt nicht mehr rauskommen. Und jetzt geht es um Mangk!“ Sie stießen ab. Die Mittagsglut prallte von den Skaphandern ab, die Klimaanlagen arbeiteten. Das Paddeln fiel daher nicht zu schwer, zumal sich der Fluß nur träge, kaum merklich dahinwälzte.
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Sie fuhren flußauf, dorthin, wo das Flugzeug verschwunden war. Sie sehnten das Flugzeug herbei, vor dem sie sich nur wenige Stunden zuvor verbargen. Jedoch – der Himmel schwieg. Endlos blendend hellblau spannte er sich über den Fluß. Gleißend, weißgelb blitzend, hing glutspeiend die Sonne darüber. Nach geraumer Zeit zeigte Chalo, der aufmerksam beobachtete, plötzlich an das rechte Ufer. Ein weißes Blatt hing im Ufergestrüpp. Sie hielten darauf zu und nahmen es auf. Es war das gleiche Bild, wie sie es aus dem Wasser gefischt hatten. „Es waren alle, die sie abwarfen, die gleichen“, mutmaßte Borl. „Eigentlich sind sie recht dürftig. – Sogar Unschärfen darin“, sagte Rilt. „Vielleicht ein Zeichen der Eile, mit der sie gemacht wurden“, nahm Min die unbekannten Fotografen in Schutz. „Es waren auch so viele.“ Sie fuhren schweigend weiter, jeder hoffte, daß die Strapazen, die Anstrengungen und die quälenden Erwartungen bald ein Ende haben würden. Die Sonne begann sich den Wipfeln zu nähern. In einigen Stunden würde sich die Nacht wieder über den Fluß senken. Sie hörten es fast gleichzeitig, das schon vertraute Brummen des Flugzeuges. Sie legten die Paddel weg und starrten nach oben. Das Brummen kam näher, erreichte seinen Höhepunkt und entschwand – aber ohne ganz abzureißen kam es wieder. „Sie fliegen erneut Streifen ab, rechts von uns, ohne den Fluß zu überqueren“, sagte enttäuscht Rilt. „Wenn wir das Funkgerät hätten“, ärgerte sich Kark, „ich funkte wie ein Besessener auf ihren Frequenzen.“ „Achtung“, rief auf einmal Chalo, „wenn sich das Brummen wieder nähen, richten wir gemeinsam die Strahler auf das
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Wasser hinter uns, aber genügend weit weg. Vielleicht hilft uns das.“ Im Augenblick entfernte sich das Brummen von ihnen. Gespannt warteten sie auf den Wendepunkt. Es wurde leiser, noch leiser, schien zu schweben, schwerfällig in der Luft zu hängen, zu schwinden, erstickt in dem Lärmen der Ufer. Dann erholte es sich langsam und kam deutlich näher. „Jetzt“, rief Chalo. Im Augenblick verwandelte sich der Fluß hinter ihnen in einen Kessel entfesselter Gewalten. Hochauf zischte das Wasser, in wallenden Dampf verwandelt. Die Ufer unterhalb ihres Standortes im Nu einhüllend, die Wipfel umschließend, weiß, dunkel schattiert, eigenartig plastisch, stand es über dem Fluß. Das Brodeln übertönte alle Geräusche. Nach einer Weile, in der sich ein großer Teil der Himmelsbläue hinter der Wolke zurückgezogen hatte, und nachdem auch das Boot drohte eingehüllt zu werden, gebot Chalo Einhalt. Das Brummen entfernte sich wieder. Sie paddelten weiter. „Wenn das Flugzeug wiederkommt, versuchen wir es noch einmal zu viert. Borl und Kark paddeln weiter!“ Chalo sprach leise, eigenartig erregt. Er lauschte zwischen den Worten dem sich entfernenden Brummen. Sein Erregtsein teilte sich den anderen um so mehr mit, als sie es bei ihm nicht gewöhnt waren. Nur zaghaft tauchten die Paddel ein. Immer noch entfernte sich das Brummen. „Ich bin mir noch nicht über den Antrieb des Flugapparates im klaren“, sagte unvermittelt Borl, „vielleicht irgendeine Verbrennung?“ Keiner antwortete. Sie lauschten. Das Problem des Flugzeugmotors stand im Augenblick außerhalb des Allgemeinin-
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teresses. Borl bemerkte das Unpassende seiner Frage zu diesem Zeitpunkt. Er paddelte ein wenig beschämt weiter. „Jetzt“, gab Chalo das Zeichen. Wieder zischte es auf – nicht ganz so gewaltig wie vorher, aber weißer, wallender Dampf trieb in Schwaden in die Höhe. Chalo machte plötzlich eine Bewegung, das Zischen verstummte: ein dumpfes Dröhnen direkt in der Dampfwolke war zu hören. Schemenhaft löste sich das Flugzeug aus der Wolke. Es kam direkt, nur weniges über den höchsten Wipfel, auf sie zu. Bis auf Surki, die sich hoch aufstützte, standen alle aufrecht im Boot, mit erhobenen Armen. Rilt und Kark schwangen die Bilder. Schnell überflog sie die Maschine, wendete jedoch stromauf, nahm eine gefährlich anmutende Schräglage ein und kam dicht über dem Fluß zurück. „Sie haben uns erkannt!“ schrie Min glücklich. Sie lachten und winkten. „Sie grüßen uns“, rief Kark, auf das Hin- und Herwackeln des Apparates deutend, „das machen sie mit Absicht!“ Das Flugzeug zog eine steile Kurve nach oben, beschrieb einen Kreis und schlug plötzlich mit erhöhter Geschwindigkeit Kurs West ein. „Was machen sie, warum fliegen sie fort?“ Hochaufgerichtet saß Surki im Boot, die Arme dem entschwindenden Flugzeug nachgestreckt. „Sie kommen wieder, Surki“, beruhigte sie Rilt. „Sie konnten nichts tun, nicht landen, sie werden Hilfe holen“, bekräftigte Chalo. Borl und Kark waren unschlüssig, nur zögernd tauchten sie die Paddel ein. Gerade soviel, daß das Boot nicht flußabwärts trieb. Sie warteten mit künstlich erzwungener Ruhe. Jeder verbarg seine Ungeduld, seine bange Erwartung hinter gespielter Gelassenheit.
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„Wenn sie kommen, Borl“, nahm Chalo das Wort, „dann hältst du dich im Hintergrund, immer bereit, dich irgendwo im Dickicht in Sicherheit zu bringen.“ „Und wie bleiben wir im Ernstfall in Verbindung?“ fragte Borl. „Per Helmfunk, solange es geht. Reißt die Verbindung ab, schlägst du die Richtung ein, in der das Flugzeug entschwunden ist. Sie werden zu ihren Stützpunkten kürzeste Wege fliegen. Sollte also ein Absondern nötig werden, dann hast du äußerste Vorsicht walten zu lassen. Aber sei bitte besonnen und unternimm nur dann etwas, wenn du deiner Sache sicher bist und die Situation klar erkennst. Das wird nicht immer leicht sein.“ Min war weh zumute. Obgleich sie hoffte, daß es sich nicht als notwendig erweisen würde, war ihr klar, was es im Ernstfall für Borl bedeutete, allein in dieser Wildnis zu bleiben. Würde sie ihn dann jemals wiedersehen? Auch Borl bewegten ähnliche Gedanken. Er sah Min lange an – und einen Augenblick war ihm, als ob in Mins Blick eine unendliche Wärme und Angst um ihn lag, große Angst, nicht nur um den Gefährten, sondern wie man sie nur um einen Nahestehenden empfindet. „Wenn ich weg muß, ich komme wieder, Min“, sagte er bewegt, ein wenig verlegen. „Vergeßt den Proviant nicht!“ mahnte Chalo. Sie rafften die zum Teil verstreut im Boot liegenden Gegenstände zusammen und teilten sie unter sich auf. Sie schnallten die Tragesäcke um und waren gerade damit fertig, als vom Westen her ein Brummen zu hören war. „Sie kommen“, sagte Chalo. Und an Borl gewandt: „Du verhältst dich so, daß du uns immer vor dir hast. Und wir anderen bleiben stets eng zusammen. Sollte mir etwas zustoßen, nimmst du, Min, die Pläne. Hier habe ich sie am Körper. Ich führe alle Verhandlungen allein, bis wir mehr wissen.“
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Ein merkwürdiger Apparat näherte sich dem Boot. Ein plumper Rumpf mit einem langen dünnen Auswuchs hing an einem rotierenden Propeller. Ein überlautes Brummen lag über dem Fluß. Der Apparat überflog das Boot in geringer Höhe und verursachte dabei einen Luftwirbel, daß das Wasser ringsum aufwallte. Er wendete noch in der Luft und setzte dann flußab auf. Noch einmal heulten die Motore auf, und nach einigen hilflos anmutenden Umdrehungen stand der große Propeller. Der Apparat schwankte noch, als aus seinem Leib ein Seil mit einem schweren Gegenstand in den Fluß plumpste. Im Rumpf ging eine Luke auf, aus der ein unförmiger Koloß geschoben wurde, der aber erstaunlicherweise leicht schwamm. Dahinein stiegen drei Gestalten. Die Raumfahrer hatten das Boot gewendet. Es trieb nun langsam mit der Strömung dahin. Chalo stand vorn, hinter ihm Surki und Rilt. Min und Kark hielten sitzend die Paddel – jederzeit bereit, sie kräftig zu gebrauchen. Und ganz hinten stand Borl, gewärtig, jeden Augenblick in den Fluß springen zu müssen. Über ihnen brummte es erneut. Chalo nahm flüchtig wahr, daß hoch oben das Flugzeug, dem sie sich zuerst gezeigt hatten, Kreise zog. Das unförmige Gefährt der Fremden wurde von einer der Gestalten langsam flußauf, dem Boot der Raumfahrer entgegen, gepaddelt. Die beiden anderen standen aufrecht. Ihre Hände waren leer und wie zum Zeichen der Friedfertigkeit weit vom Körper abgespreizt. Schon waren aus der lose um den gesamten Körper liegenden Kleidung deutlich die Gesichter zu erkennen, ein faltiges, mit hellen, klaren Augen, und ein glatteres. „Ihre Gesichter sehen einander überhaupt nicht ähnlich“, flüsterte leise Min, „aber zwei gleiche sind es.“ „Achtung“, raunte Chalo, „aus dem Apparat halten sie irgendwelche Rohre auf uns gerichtet, vermutlich Waffen. Wir
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halten den Strahler bereit – aber nur bei unmittelbarer Lebensgefahr anwenden!“ Die Boote waren auf gleicher Höhe angelangt und trieben, nur wenige Körperlängen voneinander entfernt, langsam stromab. „Wie groß sie sind“, flüsterte Min. Im Lautsprecher war auch ihr Flüstern von jedem deutlich zu vernehmen. Chalo hob die Arme langsam an, damit eine schnelle Bewegung nicht mißdeutet werden konnte, und neigte zur Begrüßung den Oberkörper nach vorn. Sofort wurde diese Geste auf der anderen Seite von beiden erwidert, begleitet von einer Armbewegung, die nur bedeuten konnte, die Raumfahrer sollten längsseits an das unförmige Boot anlegen. Das fremde Boot bestand aus einem elastischen Stoff. Beim Anlegen entstand ein schabendes Geräusch, sie lagen zusammen. Die beiden ‘Hoffnung’-Bewohner traten einen Schritt zurück. „Das ist sicher ein Zeichen des guten Willens“, raunte Chalo. „Sie wollen nicht, daß wir so steil zu ihnen aufsehen müssen.“ Mit schnellen Griffen löste Chalo seinen Helm. „Ihr nicht, nur ich“, befahl er. Er hielt den Helm so, daß seine Stimme noch das Mikrophon erreichte. Wieder machten die anderen eine Verbeugung. Offenbar würdigten sie damit Chalos Verhalten. Sie zogen aus der Kleidung weiße Blätter und reichten eines davon Chalo. „Die Bilder, die wir schon kennen – mit Mangk“, unterrichtete er nach einem Blick darauf die Gefährten. Chalo deutete auf das Bild und umschrieb mit einer Bewegung die Gruppe, Mangks Zugehörigkeit dadurch kennzeichnend. Der andere lud mit einer unmißverständlichen Geste die Kosmonauten ein, in den Flugapparat zu kommen.
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„Er will, daß wir einsteigen“, sagte Chalo, „sie wollen uns offenbar zu Mangk bringen. Borl, du weißt Bescheid. Wir kommen ihrem Wunsch nach.“ Er beugte wieder den Oberkörper vor zum Zeichen des Verstehens. Beide Fahrzeuge strebten dem Flugapparat zu. Chalo überzeugte sich mit einem schnellen Blick, daß die vorher auf sie gerichteten Rohre verschwunden waren. Sie kamen an den Rumpf heran, über ihnen befand sich die Einstiegsöffnung. Dahinter zeichneten sich zwei weitere der Wesen ab. Ein Seilgebinde hing herab, offenbar ein Hilfsmittel zum Hochsteigen. „Geh du zuerst, Min“, ordnete Chalo an, „und warte oben in der Luke, bis der nächste da ist, so daß wir uns immer sehen.“ Min stieg nach oben. Zwei Arme streckten sich ihr entgegen. Ein scharfer Laut, den einer der ‘Hoffnung’-Bewohner aus dem Boot ausstieß, ließ sie sich jedoch augenblicklich zurückziehen. Die Kosmonauten zuckten zusammen. „Ruhe“, mahnte Chalo. „Sie wollen nicht, daß wir ihre Handlungen mißdeuten. Wahrscheinlich wollten sie Min helfen.“ Diese war inzwischen oben angelangt, sie stand in der Luke und erwartete Chalo, der als nächster kletterte. Als er die Luke erreicht hatte, warf sie noch einen langen Blick auf Borl und verschwand im Inneren des Flugapparates, während Chalo auf Rilt wartete. Min bemerkte, daß nur zwei der Wesen in dem Raum waren. Sie standen in der äußersten Ecke und beobachteten den Einstieg. Sie stellte sich so, daß sie die beiden nicht aus den Augen verlor, und überwachte den Einstieg der Gefährten. Als letzter kam Borl.
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15 Walker sah der davonziehenden Gruppe mißvergnügt nach. Ausgerechnet heute habe ich Funkdienst, heute, wo die Grabkammer freigelegt wird. Sogar Helston und Brand sind dabei. Die ganze Zeit haben sie sich mit anderen Dingen befaßt, dachte er. Er blickte zum Eingang der Hütte. Unter einem schattenspendenden Dach saß der Kosmonaut. Er schrieb. Zum erstenmal hatte ihn der Doktor allein gelassen. Er blickte herüber, Walker glaubte in seinen Augen ein Leuchten zu bemerken. Er lächelte zurück und winkte. Wie lange wirst du noch in deiner sicher schweren Ungewißheit verharren müssen? Werden die Gefährten gefunden? Sind sie am Leben? Er vertraut uns – und wir? Ist es wirklich richtig, daß wir uns allein auf Helston und seine Leute verlassen? Ein Weltereignis höchsten Ranges zum Abenteuer, zum Sport, zur willkommenen Abwechslung einer kleinen Gruppe degradieren? Aber was würde ein größerer Einsatz jetzt bewirken? Mehr als zwei Flugzeuge in dem verhältnismäßig kleinen Gebiet einzusetzen ist sinnlos. Die Sache mit den Fotos ist gut gemeint, hätte aber nur Sinn, wenn sich die Fremden vor den Suchflugzeugen verbergen. Sie müßten auf einem Fluß zu suchen sein – undenkbar, daß sie sich so lange im Urwald aufhalten. Wieder blickte Walker zur Hütte. Wie zierlich sie sind – und Frauen haben sie auch dabei. Aber wer weiß, vielleicht ist es bei ihnen grade umgekehrt, vielleicht haben die Frauen die kräftigeren Körper? Vielleicht hätten wir Helston mit seinen Leuten nicht allein verhandeln lassen dürfen. Aber der Alte ist ja wie wild hinter
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den Ruinen her. Walker lächelte. Ich fluche ja selber auf den Funkdienst, der mich am Mitmachen hindert. Irgendwie ist Helston verändert. Ob er wieder seinen Koller bekommt? Aber was läge für ein Grund vor? Schon beim Frühstück der einsilbige Bericht, beim Mittagessen machte er den Mund auch nur für die Speisen auf. Es läuft doch alles nach Wunsch! Ah, er macht seinen Spaziergang. Der Kosmonaut hatte sich erhoben und ging langsam über den Platz. Walker beobachtete ihn. Scheu blickten die Indianer, die ihr Lager unmittelbar an der Umfassungsmauer aufgeschlagen hatten. Ehrfurchtsvoll zogen sie sich zurück, als der Fremde näher kam. So ganz glauben sie dem Professor wohl doch nicht, Walker grinste, daß es nicht ihr Gott ist. Er wird wohl erneut in die Geschenkekiste greifen müssen. Wie hartnäckig sie auch hierbleiben. Plötzlich wurde Walker aus seiner Betrachtung gerissen. Der Summer des Geräts ertönte. Er stülpte rasch die Hörer über, die er nachlässig um den Hals hängen hatte. „Achtung, Ruine, hören Sie, hier Adler drei, hier Adler drei, bitte kommen!“ „Hier Ruine, hier Ruine, wir hören.“ Hastig hatte Walker das Gerät bedient. Voller Spannung lauschte er. Er sah, wie sich der Außerirdische mit schnellen Schritten näherte. „Wir sichten ungewöhnliche Dampfwolke, wahrscheinlich auf dem Fluß. War beim vorigen Überqueren noch nicht da. Wir halten darauf zu, bleibt auf Empfang.“ Walker lag auf den Knien, er lauschte in die Apparatur hinein, hörte deutlich das Brummen des Flugzeugmotors. Nach vorn gebeugt stand über ihm der Kosmonaut. Obgleich er nichts verstand, war sich Walker im klaren, daß ihn jetzt höchste Erregung beherrschte. Er wußte, daß die Menschen alles taten, um die Gefährten zu suchen. Und jetzt schien sich etwas anzubahnen!
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Aus dem Kopfhörer drangen Satzfetzen, der Pilot berichtete: „Habe Fluß erreicht, riesige Dampfwolke rechts von mir. Entstehungsherd weiter stromauf. Fünfzig Meter Höhe. Da, ein Boot, ein Boot mit ein, zwei, drei – mit sechs glänzenden Gestalten. Sie winken. – Sie könnten es sein, sie könnten es sein!“ Nach einer Pause, in der Walker fieberhaft die Regelung betätigte, in der Meinung, es sei eine Störung eingetreten, meldete sich der Pilot wieder förmlich: „Achtung, Ruine, Achtung, Ruine, habe Objekt erneut überflogen, ich bin sicher, die Gesuchten gefunden zu haben. Achtung, sofort den Hubschrauber starten lassen. Fliege Stützpunkt entgegen, bis Hubschrauber in meinem Sendebereich. Lotse ihn hierher, bitte kommen!“ „Adler drei, Adler drei, habe verstanden, sofort Hubschrauber starten, gebe Weisung, Ende.“ Mit größter Konzentration wählte Walker die Frequenz des Stützpunktes, gab die Weisung durch, ließ sich den Empfang bestätigen, schaltete zurück und streifte die Hörer ab. Er sprang auf, sah dem Kosmonauten ins Gesicht und sagte: „Wir haben sie“, und als der andere noch ein wenig verständnislos blickte, schrie Walker: „Wir haben sie gefunden, haben sie gefunden“, und laut zählend hielt er dem Kosmonauten seine Hand vors Gesicht, und mit jeder Ziffer streckte er einen Finger. Schon beim dritten hatte Mangk begriffen. Er wartete mit großer Anspannung, die ihn sichtlich Kraft kostete, bis Walker bei sechs angelangt war. Dann schloß er die Augen und wankte leicht. Walker griff zu, aber da hatte sich der andere schon gefangen. Mit einem Leuchten in den Augen, wie es Walker noch nie gesehen hatte, fing er an zu sprechen, er nahm Walkers Hände, drückte sie an seinen Körper, aus den großen, strahlenden Augen lösten sich zwei Tropfen. „Ich freue mich so“, sagte Walker warm, drückte dem Fremden die handartigen Glieder und führte ihn langsam zur Hütte.
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Er hatte das Gefühl, als ob der immer noch Erschöpfte nun Ruhe brauchte.
Wenig später feuerte Walker mehrere Schüsse ab, das vereinbarte Signal, das die anderen rief. Nach zehn Minuten kamen sie. Vorn lief Dr. Brand, dann kamen Mabel und der Professor, den Schluß bildete eigenartigerweise Helston, der als einziger die Strecke vielleicht in der Hälfte der Zeit geschafft hätte. „Sie sind gefunden!“ schrie Walker den Ankommenden entgegen, „gefunden!“ Nicht achtend der auf ihn einstürmenden Fragen, rannte er auf Helston zu und drückte ihm überschwenglich die Hand. „Gratuliere, Helston, Sie haben das meiste Verdienst daran!“ Danach berichtete Walker. Überall freudige Gesichter, sie liefen zum Kosmonauten und beglückwünschten ihn, bis Dr. Brand dem Einhalt gebot. Der Professor hatte die Grabstätte vergessen, einige wunderbar gearbeitete goldene Gefäße ließ er achtlos liegen und lagerte sich in der Nähe des Funkgerätes, um als erster die Peilzeichen des ankommenden Hubschraubers wahrzunehmen.
Nach dem Abendessen im großen Zelt stand zuerst der Professor auf. „War ein wenig viel für mich heute“, sagte er. „Gute Nacht allerseits.“ Mabel kaute noch an ihren Sandwiches. Helston rührte mit der Gabel mißmutig auf seinem Teller. Ich werde ihn noch mal fragen, nahm sich Mabel vor, hoffentlich gehen die anderen bald. Wenig später erhoben sich Walker und Dr. Brand, murmelten einen Gruß und verließen das Zelt. Plötzlich hatte Mabel Furcht, den grantigen Helston anzusprechen. Sie hatte Furcht, daß er etwas Patziges sagen, sie
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kränken würde, wie sie das an ihm schon kannte. Sie erschrak daher fast, als er plötzlich sagte: „Sind Sie nicht müde, Mabel?“ „Es geht – ein Wunder wär’s nicht, nach dem Tag heute.“ Sie trat an das Fenster und sagte wie zu sich selbst: „Drüben sind sie auch noch wach. Man kann sich gar nicht vorstellen, was das für eine Freude sein muß, sich so wiederzutreffen, auf einer fremden Welt, tot geglaubt…“ „Mabel.“ Er sagte es zögernd, inhaltsschwer, so daß sie sich ihm sofort zukehrte. „Mabel“, wiederholte Helston, „ich glaube, ich habe eine Dummheit gemacht.“ Er griff über den Tisch nach ihrer Hand und sah zu ihr hoch. Obgleich sie eine derartige Vertraulichkeit nicht erwartete, ließ sie ihn gewähren. In seinem Blick lag etwas Trauriges, beinahe Verzweifeltes. „Aber wieso denn“, sie lachte. „Es hat doch bisher alles großartig geklappt. Hier, trinken Sie noch einen Schluck Bier, es ist eine der letzten Büchsen.“ Obgleich Mabel mehr als je wünschte, er möge sich ihr anvertrauen, wollte sie die Situation doch nicht ausnutzen. „Das ist es nicht“, sagte er und drehte die Büchse in den Händen. „Harries wendet mehr auf, als ich selbst zu hoffen wagte, und, Mabel, das macht er nunmehr nicht mehr mir zu Gefallen. Jetzt wittert er was.“ „Ich verstehe nicht“, sagte Mabel. „Sie verstehen nicht, verstehen nicht“, äffte er sie nach. Zum Glück noch der alte, dachte sie. „Ich hätte den Professor nicht hindern sollen zu funken“, brach es aus ihm heraus. „Dann würde es hier wimmeln von Zeitungsfritzen, und es wäre nicht mehr gegangen. Aber jetzt habe ich ihnen zugearbeitet, und nun stecke ich mit drin. Verstehen Sie das?“ „Nein!“ sagte Mabel ehrlich. Er sah sie lange an und sagte dann wieder ganz ruhig: „Ha-
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ben Sie keine Angst, es wird keinem ein Haar gekrümmt, unserer Gruppe nicht und denen nicht“, er nickte mit dem Kopf in Richtung der Hütte. „Es ist besser, daß Sie nicht verstehen. Mabel, es würde Sie nur mitbelasten. Vergessen Sie das, was ich gesagt habe, ich bin vielleicht durch die letzten Ereignisse ein wenig durcheinander. Sprechen Sie mit keinem darüber, ja!“ Er sah sie an. Sie nickte unter seinem bittenden Blick. Dann sah er weg, seine Hand fuhr unstet über den Tisch. „Schlafen Sie gut.“ Er ging. Mabel saß noch eine Weile und überdachte den Disput. Nun hat er gesprochen – aber was weiß ich? Nichts. Was soll schon geschehen, schließlich sind wir eine Menge Leute. Und wenn etwas Unlauteres im Gange ist – dem kann man immer noch rechtzeitig entgegentreten. Ob sich Helston nur wichtig machen will? – Nein, dazu war alles zu echt. Er hat wirklich Sorgen, aber warum vertraut er sich keinem an, mit allem, was ihn bedrückt? Oder ist er tatsächlich nervlich überlastet? Bei seiner Mentalität und seinem Einsatz schon während der gesamten Expedition wäre das auch kein Wunder. Mabel seufzte. Es wird Zeit, daß wir aus dem Urwald herauskommen. Sie gähnte, reckte sich, löschte das Licht und ging in ihr Zelt.
„Ich protestiere auf das entschiedenste gegen Ihr Vorgehen, Helston!“ Heftig stieß Professor Sunday diese Worte hervor, kaum daß er sich in die Polsterung des Sitzes geworfen hatte. „Und ich gegen Ihre sträfliche Kurzsichtigkeit“, gab Helston zurück. Das Aufdonnern der Rotoren machte zunächst jede weitere Rede unmöglich. Langsam, Gräser, Büsche und Bäume im Wind der Propeller biegend, erhob sich der Hubschrauber von der Lichtung. Ruinen, Urwald und einige zaghaft winkende Indios unter sich zurücklassend. Später, nach Drosselung der
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Hubmotoren, wurde der Lärm erträglicher. Mabel faßte des Professors Arm. „Beruhigen Sie sich, Herr Professor, vielleicht ist es wirklich besser für die Gäste, wenn wir auf Helstons Vorschlag eingehen. Es ging doch bisher alles gut.“ „Hat sich was, Vorschlag! Es ist beschlossene Sache! – Haben Sie etwa gesehen oder gehört, daß jemand dem Piloten den Kurs angegeben hätte? Der hatte bereits feste Order, als er herkam. Hätten wir Greenhorns Helston doch das Funkgerät nicht so großzügig überlassen. Ich kann mir nicht helfen, Mabel, hier wird ein faules Spiel vorbereitet.“ „Vielleicht sehen Sie zu schwarz. Die Gäste langsam auf die Verhältnisse der Erde vorzubereiten ist doch nicht schlecht. Doktor Brand unterstützt den Vorschlag doch auch.“ „Ja, Brand, ich werde aus ihm nicht ganz schlau. Wissen Sie übrigens, wohin wir fliegen? – Sehen Sie, auch so ein Punkt! Ich hätte mich weigern sollen, mitzufliegen, ja, ich hätte mich weigern sollen. Aber man ist in manchen Situationen zu feige. Und dann, was sollen die Kosmonauten denken. Wenn sie uns auch nicht verstehen, aber merken müßten sie, wenn wir uns streiten. Ach, Mabel, ich möchte alle Menschen zusammenholen und ihnen die Möglichkeit geben, die Gäste der Erde zu begrüßen – meine Güte, das ist doch ein Ereignis! War es schon sensationell, als die Russen seinerzeit die Funksignale aus dem All auffingen, um wie vieles sensationeller ist nun dieser Besuch! Aber statt ihnen unsere Welt zu zeigen, sollen sie vergraben werden – und was wird, wenn sie es sich nicht gefallen lassen?“ Was ist nur mit dem Professor, er ist so bewegt, so mitteilsam, wie ich ihn nicht kenne, dachte Mabel. Es scheint fast, als hätte Helston recht, daß der Professor aus einem großen Geltungsbedürfnis heraus mit dem Vorschlag nicht einverstanden ist. Er sähe nur den Ruhm, den er als Mitentdecker der
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Besucher aus dem All sofort einheimsen könnte, ein eigensüchtiger, alter Mann, der im Leben bisher mit kargem Erfolg der Anerkennung nachgejagt ist, hatte Helston gesagt, an das Wohl der vielleicht völlig von uns verschiedenen Wesen dächte er nicht. Wer weiß, welche Strapazen sie hinter sich haben. Der Professor gönne ihnen nicht die Ruhe, die sie zum Gewöhnen an die völlig neue Welt benötigten, er wolle sie dem Kreuzfeuer der Presse, der aufdringlichen Neugier fanatischer Wissenschaftler ausliefern… Laut sagte sie: „Schließlich sind wir auch noch da, Sie, Walker“, sie zögerte, „Doktor Brand und ich.“
Unter dem Hubschrauber rann der endlose Urwald dahin. Min saß an einem der Fenster und blickte nach unten. – Sie mußte unwillkürlich an die Landung denken, damals, als sie voller Ungewißheit in das wie erstarrtes Wassergekräusel anmutende grüne Meer tauchte. Sie hatte wieder den gleichen Eindruck wie damals, nur daß es jetzt nicht auf sie zuwuchs, sondern wie ein endloses Band dahinglitt. Sie hatten sich gefunden, die Herren von ‘Hoffnung’ und sie, aus einer um mehrere Lichtjahre von hier entfernten Welt. Und wie gut die Verständigung war, ohne Sprache, ohne daß Laute sie verbanden. Nur die gemeinsame Sprache der Naturgesetze, der Technik hatte eine Brücke geschlagen. Verstehen wir uns wirklich? Was geht in den hochgewachsenen Wesen da vorn in dem Flugapparat vor? Was haben sie beschlossen? Wohin bringen sie uns? Fragen, über die wir uns nicht verständigen können, noch nicht. Min blickte zu den Gefährten. Chalo. Er sah nachdenklich auf das gleitende Dickicht. Mangk, immer noch schwach und angegriffen, hielt die Augen geschlossen. Sein Gesicht schien glücklich, entspannt, als drückte es noch die große Freude aus,
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in der es erstrahlte, als sie sich in den merkwürdigen Ruinen wiederfanden. Surki, wieder voller Zuversicht, blickte gespannt dem Flug voraus, begierig, neue, nie gesehene Objekte sofort zu erfassen und mit den Augen bis zum Wiederverschwinden zu verfolgen. Rilt wie immer rastlos tätig: Von einem der Gastgeber hatte sie ein fest zusammengebundenes, säuberlich beschnittenes Bündel solcher mit Zeichen bedruckter Bogen erhalten, das offenbar medizinischen Inhalts war: Es zeigte Körperteile und Organe der Wesen. Sie blätterte darin herum, besah die Zeichnungen und versuchte hinter den Sinn der gedruckten Worte und Symbole zu kommen. Ähnlich Borl. Auch er hatte ein solches Bündel. Er malte jedoch darin herum, bestrebt, in seiner Schrift die Laute der Wesen auszudrücken; der Anfang eines Wörterbuches. Borl, der liebe Borl! Wie er sich etwas scheu nach seinem Geständnis damals, als sie vom Fluß Abschied nahmen, zurückhielt und vermied, das Gespräch wieder auf jenes Thema kommen zu lassen – wie er auf einen Anstoß von mir wartet. Und da ist Kark. Unruhig, nicht schnell genug zum Zentrum des Wohngebietes der Gastgeber kommend. Wie er schon in der Ruinenstadt neugierig, Verstehen suchend herumgestreift ist, wie er durch immer wieder neue Diskussionen den Ursprung der so gleichartig aussehenden, aber doch so verschiedenen zwei Arten der Wesen zu ergründen trachtete. Gewiß, nicht nur er allein, auch die anderen, aber er mit besonderer Intensität. Überhaupt, das ist schon interessant: Die einen nackt, von dunkler Farbe, rückständig, keine nennenswerte Zivilisation, der Technik völlig verständnislos gegenüberstehend, unfähig, primitivste Hilfsmittel selbst zu bauen – und die anderen, helle Farbe, bekleidet, verhältnismäßig technisiert, sicher die Konstrukteure der entdeckten Satelliten. Daneben diese Ruinen mit teilweise erhaltenen Darstellungen, die Wesen zeigen, die den Nackten sehr ähnlich sind.
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Weshalb aber Ruinen, und weshalb waren solche Wesen nicht zu sehen? Woher die aus riesigen, bearbeiteten Steinen zusammengesetzten Wohnstätten und die primitiven Hütten der Nackten? Fragen, die einer Beantwortung harrten, Fragen, für deren Lösung Borl so intensiv einen Schlüssel suchte, die Kark jetzt vorsichtig zum Führerstand des Flugapparates gehen ließen, wo er keine Bewegung des Piloten außer acht ließ. Wie man ihm anmerkte, daß er zu gern die Funktion der einzelnen Bedienungselemente erfahren hätte, wie er grübelte, von selbst auf ihren Sinn zu kommen. Min empfand deutlich, wie er sich bemühte, eine Reaktion des Piloten in einer Bewegung des Flugapparates wiederzuentdecken. Immer noch starrte Chalo unbeweglich in die Tiefe. Er war wieder wie früher und war es doch nicht. Er grübelte mehr, beteiligte sich nur einsilbig an den Gesprächen. Min schien es, als haderte er irgendwie mit sich selbst. Natürlich verschloß auch er sich nicht dem unaufhörlich Neuen der Umgebung. Auch er versuchte möglichst alles zu erfassen, sich mit den Gefährten auszutauschen, möglichst schnell Kontakt und Verständnis zu finden. Aber er blieb, im Gegensatz zu allen sechs anderen, gegenüber den Bewohnern von ‘Hoffnung’ zurückhaltend, beinahe mißtrauisch. Er verbarg es geschickt vor den Gastgebern, aber die Gefährten konnte er nicht täuschen. Warum freute er sich nicht auch ungeteilt, daß ‘Hoffnung’ seinem Namen alle Ehre machte? Daß sie Gefährten, Helfer gefunden hatten, die das neue Raumschiff bauen würden. Gewiß, er wird noch mit allen eine Aussprache führen. Er weiß bereits, daß wir sein Verhalten merkwürdig finden. Aber er läßt sich viel Zeit. Wenn er von der Notwendigkeit ständiger Vorsicht überzeugt ist, warum befiehlt er uns nicht, vorsichtig und zurückhaltend zu sein? Schließlich ist er Kommandant. Oder befürchtet er etwa Disziplinschwierigkeiten?
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Min löste sich von ihren Gedanken und wandte sich Surki zu, die sich mit einer Bemerkung herüberbeugte: „Min, du hattest recht, sie können in dieser Wildnis nicht leben.“ Sie mußte die Worte fast schreien. „Was meinst du, wie weit wir schon geflogen sind?“ „Na, ich denke drei- bis vierhunderttausend von ihren Einheitsmaßen. Wie unendlich groß dieser Wald dort unten ist. Wie schön wäre es, Surki, wenn wir in unserer Heimat nur einen Bruchteil dieses Überflusses hätten! Wieviel einfacher und reicher wäre dann unser Leben!“ „Und trotzdem, Min“, Surki sprach auf einmal leise, Min ahnte mehr die Worte, als daß sie sie verstand, „und trotzdem, Min, habe ich ein wenig Sehnsucht nach zu Hause. Weißt du, so ein kleines bißchen nachts, vor dem Einschlafen – oder jetzt, wenn nicht zu viel Unbekanntes auf uns einstürmt. Und du, Min, gar nicht?“ „Ach weißt du, Surki, es ist besser, solches Gefühl erst gar nicht aufkommen zu lassen. Ich denke dann an die vielen Aufgaben, die wir hier zu erfüllen haben. An die Zeit, die uns durch die Finger rinnen wird, wenn wir uns erst eingelebt haben. Und an die Stunde, in der wir mit unserem Raumschiff starten und um jede müßige Stunde trauern werden, die wir nicht für die Forschung auf diesem wunderbaren Planeten verwendet haben. Schau, wie sagte Graukopf, etwa achttausend hiesige Jahre besteht das höherentwickelte Leben auf diesem Stern. Gewiß, das ist nicht viel. Aber wir werden Jahre brauchen, bevor wir soweit sind, daß wir den Unsrigen zu Hause auch nur einen einigermaßen realen Eindruck von der Entwicklung hier vermitteln können. Wer weiß, was in dieser Hinsicht noch alles an Überraschungen auf uns wartet.“ „Schau, Min, das Dickicht lichtet sich.“ Froh, etwas Ablenkendes gefunden zu haben, wies Surki nach unten. Sie war verlegen, daß sie gegenüber Min so viel von ihren Gefühlen gezeigt hatte, während Min nur an die Möglichkeit dachte, den
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Ihren zu Hause soviel wie möglich von hier mitzubringen. Ob sie es ganz ehrlich meint, oder hat sie es nur gesagt, um mir Mut zu machen? Aber auch dann wäre sie eine echte Freundin. „Wir landen“, sagte Min. Graugrüne Flächen, unterbrochen von kleinen Pflanzengruppen, selten von einem Wasserrinnsal durchzogen, glitten unter dem Flugapparat dahin. Plötzlich tauchten am Horizont ein, zwei, mehrere weiße regelmäßige Körper auf, auf die sie direkt zusteuerten. Sie hatten beträchtlich an Höhe verloren. Es ließen sich kaum mehr Einzelheiten unterscheiden. Ein schmales, graues, glattes, mit Sicherheit künstliches Gebilde glitt rasch auf sie zu. Es mündete in einen ebensolchen Platz, an dessen Rand einige niedrige weiße Bauwerke standen und verschiedene Flugapparate unterschiedlicher Bauart. Der Flug verlangsamte sich zusehends, bis die Maschine über dem Platz in der Luft schwebte. Jetzt bot sich die Gelegenheit, die Umgebung zu überblicken. „Wahrscheinlich ein Flugstützpunkt“, sagte Min. „Ich glaube auch.“ Borl, der vor ihr saß, drehte sich um. „Unser Apparat hat wohl nur einen kleinen Aktionsradius. Ich glaube nicht, daß sie hier schon ihre Wohnstatt haben. Es ist nur eine Basis, um das riesige Pflanzengebiet zu erforschen.“ Der Hubschrauber senkte sich. Helston sprang, kaum daß die großen Flügel zum Stehen gekommen waren, auf den Boden und ging leichten Schrittes auf einen uniformierten Mann zu, der aus einer der Baracken getreten war. Chalo sah sich um. Eine weite, ebene Fläche breitete sich nach allen Himmelsrichtungen aus. Wahrscheinlich ein Hochplateau. Trüb, vom aufgewirbelten Staub überschleiert, neigte sich die Sonne zum Horizont. Außer einigen Flugmaschinen und klobigen, eckigen Kolossen auf Rädern, wahrscheinlich Versorgungsfahrzeugen, und den Baracken war
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nichts zu sehen. Sollte einer allein das gesamte Objekt betreuen? Sofort verwarf Chalo diesen Gedanken. Waren doch allein zwei für die Leitung des Flugapparates notwendig gewesen, der sie hierhergebracht hatte. Ist es eine Vorsichtsmaßnahme? Unwillkürlich war Chalo zurückgeblieben und ging hinter der Gruppe her, die sich langsam dem Wartenden näherte. Wenn ich Schwarzkopf richtig verstanden habe, sollen wir uns zunächst akklimatisieren und mit Besonderheiten des Planeten vertraut machen, bevor wir an die Öffentlichkeit treten. Keine schlechte Idee – wir hätten Ruhe zum Eingewöhnen. Und doch: Über drei Milliarden Bewohner soll der Planet haben – und hier steht ein einziger von ihnen, um uns zu empfangen? Bin ich etwa enttäuscht, daß man uns nicht triumphal willkommen heißt? Ist es nicht so zweckmäßiger? Die Gruppe hatte den Wartenden erreicht. Die Kosmonauten, die dicht zusammengedrängt standen, waren sich ohne Worte einig, daß sie in dem neuen Planetenbewohner irgendeinen Würdenträger vor sich hatten. An seiner Kleidung hafteten bunte Abzeichen, überhaupt schien er gegenüber seinen Artgenossen aus dem Dickicht strenger gekleidet, und auch seine Verbeugung, die er jetzt zur Begrüßung der Gäste vollführte, war zurückhaltend. Die sieben erwiderten die Verbeugung; sie nahmen wahr, daß auch die mit ihnen gekommenen Gastgeber, mit Ausnahme von Schwarzkopf, dem Würdigen eine Art Ehrerbietung entgegenbrachten. Mit einer Armbewegung lud er jetzt zum Mitkommen ein. Alle folgten ihm in eines der Gebäude. In der Mitte des Raumes stand ein bereits gedeckter Tisch. In der Mitte der Tafel waren für die Gäste niedrigere Tische eingeordnet worden, ihrem kleineren Wuchs Rechnung tragend.
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Der amerikanische Oberst, der sie empfangen hatte, sprach ein paar Worte der Anerkennung aus, die von den Gästen höflich, aber unverstanden aufgenommen wurden, und bedeutete, daß den Speisen und Früchten zugesprochen werden sollte. Die Fremden hatten sich in den fünf Tagen des Zusamme nseins mit der Gruppe um Professor Sunday an einige der Speisen gewöhnt. Sie blieben beim Genuß der fremden Nahrung jedoch äußerst vorsichtig, aßen wenig davon, ergänzten vielmehr immer noch durch die eigenen Vorräte. Professor Sunday sah sich immer wieder um. Er hielt Ausschau nach den anderen im Stützpunkt anwesenden Personen. Er konnte jedoch weder draußen noch in den Nebenräumen eine Menschenseele entdecken. Er sah seine Befürchtungen bestätigt und kaute daher mißmutig an den erlesenen Speisen herum. Warum frage ich nicht einfach den Oberst, was hier gespielt wird? Immer öfter drängte sich ihm diese Frage auf, aber ebensooft verwarf er sie. Warum soll gerade ich mir den Mund verbrennen? Alle anderen scheinen das ja normal zu finden. Selbst der sonst so kritische Walker – also bitte. Ich warte ab. Er ärgert sich auch ein wenig, daß die anderen kräftig zulangten und es sich nach der nicht gerade lukullischen Ernährung im Urwald zum erstenmal wieder richtig schmecken ließen. Die Tafelbewirtung übernahmen der Oberst und Helston. Dann regte sich in Mabel der Hausfrauengeist, und sie unterstützte die beiden. Professor Sunday, der zufällig aus dem Fenster sah, bemerkte auf dem erleuchteten Vorplatz drei Männer, die zum Hubschrauber gingen und darin verschwanden. Als er noch unentschlossen überlegte, was da wohl vor sich ginge, wandte sich Chalo an ihn. Er legte ein Blatt Papier auf den Tisch und zeichnete einen Pfeil, der auf den Oberst wies. Mit schnellen Strichen zeichnete der Professor. Als er fertig
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war, bemerkte er, daß der andere ihm gar nickt zusah, sondern angestrengt zum Fenster hinaus starrte. Nun sah auch der Professor, was der Fremde beobachtete: Ein Lastwagen war an den Hubschrauber herangefahren, und einige Arbeiter luden längliche Gegenstände aus. Der Professor wußte, daß es nur das Gepäck der Gäste sein konnte, was dort umgeladen wurde. Er spürte, daß der Kosmonaut unruhig wurde. Beschwichtigend legte der Professor dem „Chef“ die Hand auf den Arm. „Was geht draußen vor sich, Helston?“ Laut, die Gespräche und Bewegungen am Tisch unterbrechend, rief er über den Tisch hinweg Helston an. Der blickte erstaunt und ungehalten hoch und dann zum Fenster hinaus. „Ach so. Bitte beruhigen Sie sich, Herr Professor“, sagte er. „Wir laden um, oder wollen Sie mit dem Hubschrauber im Schneckentempo weiterfliegen? – In einer Stunde übrigens“, er wandte sich nun auch an die anderen, „müssen wir weiterfliegen, wie mir der Oberst gerade mitteilte.“ „Ich verbitte mir Ihre Heimlichtuerei, schließlich haben wir und besonders unsere Gäste ein Recht darauf, informiert zu werden“, schnaubte der Professor. „Ich pflichte Ihnen völlig bei“, antwortete Helston ruhig, „aber schließlich wissen Sie genau wie ich, daß wir von der Armee betreut werden, und immerhin befinden wir uns hier nicht zu Hause, sondern in Peru, und können nicht machen, was wir wollen. Über den Einsatz der Flugzeuge bestimmt der Oberst und nicht ich.“ „Aber bitte, meine Herren“, mit sonorer Stimme wandte sich der Oberst an die Streitenden, „kein Grund zur Aufregung. In einer Stunde fliegen Sie alle mit einer bequemen und schnellen Düsenmaschine weiter. Und in der Tat, Herr Helston hat recht, wir müssen uns ein wenig auch nach unseren peruanischen Freunden richten. Wir wollten auch die Gäste nicht dem Temperament hiesiger Journalisten aussetzen, denen selbst
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unsere Absperrungen nicht heilig wären, wenn sie erführen, welch sensationellen Besuch wir haben. Deshalb haben wir alles, auch das Umladen, ein wenig im verborgenen gemacht. Denn schließlich, wem kann man denn heute noch trauen? – Unsere Männer hier sind zwar in Ordnung, aber der lange Aufenthalt, die Langeweile – einige haben gute Beziehungen zu den Einheimischen. Tja, und es braucht nicht immer Absicht zu sein, wenn etwas ausgeplaudert wird. Wenn die Freunde aus dem Kosmos beunruhigt sein sollten, sind Sie so liebenswürdig, Professor, und verdolmetschen Sie ihnen das, was ich jetzt sagte.“ „Gut, Oberst“, damit wandte sich der Professor wieder an Chalo, der noch immer unruhig nach draußen sah, wo sich das Fahrzeug gerade in Bewegung setzte. Der Professor malte, so gut es ging, ein Flugzeug, einen Pfeil und die Gepäckstücke der Kosmonauten. Dann machte er eine umschreibende Handbewegung auf alle, die am Tisch saßen, und wies nochmals auf sein gezeichnetes Flugzeug und schrieb daneben ein schon bekanntes Symbol, das eine Stunde bedeutete. Chalo wandte sich an die Gefährten. Erstaunt blickte der Oberst auf, als er zum erstenmal die unbeschreibbar melodiöse Sprache der fremden Kosmonauten vernahm. „Sie haben unser Gepäck umgeladen“, sagte er. „Wenn ich Graukopf richtig verstanden habe, fliegen wir in etwa einer Stunde weiter.“
Rilt hatte bald herausgefunden, schon in der Ruinenstadt, daß der Mann der Planetenbewohner, dessen Kopfbewuchs wie ein ringförmiges Gebilde eine fast spiegelblanke Fläche umgab, der Arzt war. Sie ließ keine Gelegenheit außer acht, ihn mit stummen Fragen zu traktieren. So auch jetzt. Die Abendmahlzeit war zu Ende, die Anwe-
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senden lösten sich in kleine Gruppen auf. Rilt hatte sich zu dem Arzt begeben und begann dessen Gesichtspartien mit den Abbildungen in dem ihr überlassenen Buch zu vergleichen. Da er es ihr durch Gesten gestattet hatte, tastete sie ohne Scheu in dem Gesicht herum, bestrebt, die im Buch dargestellten Muskelzüge zu entdecken. Min sah den beiden zu. Immer wieder tauchten Rätsel auf: Wie selbstverständlich sich hier der Mann von Rilt abtasten ließ, ohne etwas dabei zu finden. – Und welch merkwürdiges Betragen haben diese Wesen an den Tag gelegt, als sie, unserem Beispiel folgend, ihre Körper nackt zeigen sollten. Wie viele Rätsel werden sie uns noch aufgeben? Wie viele Male werden ihnen unsere Wünsche noch unangenehm sein, und wann können aus solchen Situationen Mißverständnisse erwachsen? Chalo stand an einem der Fenster und starrte in die Nacht hinaus. Auf dem Platz, der im Dunkel lag, flammten hier und da Lichter auf. Langsam zog draußen ein Lichtfleck näher. Wenig später löste er sich in zwei auf den Boden gerichtete Scheinwerfer auf. Ein Brummen kam auf, und nun machte Chalo hinter den Leuchtpunkten einen geometrisch geformten Koloß aus, dem ein größerer, spindelförmiger folgte. Sie fahren das Flugzeug heran, dachte er.
16 Harries fuhr seinen Cadillac dicht an den Bordstein heran und bremste scharf. Der Wagen federte, als er sich herauswuchtete. Er nahm eine Aktentasche und ging der Eingangshalle des
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Hilton-Hotels zu. Er wurde erwartet. Der Portier rief einen Boy heran, der den Gast zum Lift brachte, mit ihm ein Dutzend Stockwerke emporfuhr und nach etlichen Metern Marsch durch den läufergedämpften Korridor auf eine bestimmte Tür wies. Nach dem Öffnen der äußeren Tür drangen gedämpft einige Stimmen aus dem Zimmer. Harries trat ein. Sechs Männer standen im Raum. Offensichtlich hatten sie den Eintretenden erwartet. Dieser schloß sorgfältig beide Türen, trat einige Schritte vor, hob nachlässig die Linke und sagte „Hallo!“ Nach einer auffordernden Handbewegung nahmen sie Platz. „Ich darf Ihnen“, begann Harries ohne Umschweife, „zunächst die Herren Giffert“, er deutete auf den ihm zur Linken sitzenden hageren Mann, der leicht mit dem Kopf nickte, „und Fergus vorstellen.“ Fergus, ihm zur Rechten, hob die Hand mit der Zigarette um einige Zentimeter an. Bei großer Phantasie konnte diese Geste als eine Art Höflichkeit gegenüber der Runde gedeutet werden. „John Giffert ist an unserem Vorhaben beteiligt. Herr Fergus steht zu meiner persönlichen Verfügung.“ Harries machte eine kleine Pause, dann fuhr er fort: „Wenn wir klug sind und mit Bedacht vorgehen, können wir uns in absehbarer Zeit an die Spitze der Weltraumfahrt stellen. Dazu brauche ich allerdings unbedingte Zuverlässigkeit. Wir werden auch bestimmte Regeln im Zusammenwirken mit anderen eventuell beiseite lassen müssen. Möglicherweise kann der eine oder andere in“, Harries zögerte, „Gewissenskonflikte kommen, auf die jedoch keinerlei Rücksicht genommen werden kann. – Bevor ich Einzelheiten bekanntgebe, fordere ich Sie auf, sich folgende drei Punkte gründlich zu überlegen: Erstens: Sind Sie bereit, sich gegenüber jedermann im Sinne der Corporation zu verhalten? Zweitens: Sind Sie bereit, bis zur Fertigstellung eines gewissen Objekts über das Normale hinaus
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Ihre Kraft einzusetzen und von den Mitarbeitern Härte und strengste Disziplin zu fordern? Drittens: Sie verpflichten sich, gegenüber jedermann, einschließlich Ihren Familienmitgliedern, strengstes Stillschweigen zu bewahren und für das Wohl des Landes, der Corporation und für das eigene Wohl in jeder Situation die Schweigeverpflichtung einzuhalten. Meine Herren, ich habe hier entsprechende Verträge vorbereitet, aus denen Sie ersehen werden, daß wir unsere Forderungen durchaus günstig honorieren. Lesen Sie das durch. Wer es sich anders überlegt, hat jetzt Gelegenheit, ohne daß ihm daraus Nachteile erwachsen, den Raum zu verlassen.“ Harries teilte an die Anwesenden – mit Ausnahme von Giffert – die mit Namen versehenen Verträge aus, stand auf und trat an eines der großen Fenster und sah in die Straßenschlucht hinunter, in der sich die Autoschlangen aneinander vorbeizwängten. Nach genau vier Minuten drehte er sich um, überflog prüfend den Raum und ging befriedigt zum Tisch zurück. „Ich habe nichts anderes erwartet, meine Herren!“ Oberflächlich überzeugte er sich, daß die Verträge alle unterzeichnet waren, raffte sie zusammen und schob sie in die Mappe. „Ich werde demnächst in der Lage sein, Ihnen Pläne für ein Objekt vorzulegen, wie es auf der Erde einmalig ist. Und wir werden danach dieses Objekt bauen, und damit Amerika, uns und der Welt einen unschätzbaren Dienst erweisen.“ Bisher hatte, außer gemurmelten Begrüßungen, noch keiner der Anwesenden ein Wort gesprochen. Auch jetzt sagte niemand etwas. Aber als Harries eine kleine Pause einlegte und aufsah, bemerkte er fragend auf sich gerichtete Augenpaare. Er fuhr daher erklärend fort: „Wir werden ein neues Raumschiff bauen, und zwar ein – interstellares! Zu diesem Zweck räumen wir Halle fünf des hiesigen Werkes völlig.“ „Aber“, ein kleiner, unscheinbarer Mann mit Brille und
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rosigen Wangen fiel Harries ins Wort. „Aber“, wiederholte er, „wir haben doch mit dem Galax-Motor alle Hände voll zu tun.“ „Ich denke, wir haben einen Vorsprung von mehreren Wochen?“ ging Harries auf die Frage ein. „Das schon“, entgegnete der Kleine, sich seinen Kopf kratzend, „aber wenn die ganze Halle… Da wird er schnell zusammenschmelzen.“ „Ich bitte Sie, Kendsy, wozu sind Sie Planungschef, wenn Sie den Ausfall der einen Halle nicht überbrücken können? Ich verlange von Ihnen“, Harries’ Stimme wurde ein wenig schärfer, „daß Sie alles daransetzen – und keine Mittel sparen, um den Termin für die Galax-Motoren gerade noch zu halten. Herr Fergus“, bei diesen Worten wies Harries durch ein Kopfnicken erneut auf den Mann zu seiner Rechten, „wird dafür sorgen, daß Sie für Halle fünf zuverlässige Männer bekommen.“ Harries deutete auf einen jüngeren, rothaarigen Mann am Ende des Tisches. „Das gesamte Objekt steht unter dem Schutz des Colonel O’Kan.“ Der Angesprochene nickte kurz. Harries fuhr fort: „Außer uns und vierzig Leuten, die alle einen Sonderausweis haben werden, betritt kein Fremder die Halle, es sei denn, daß ich es vorher ausdrücklich angeordnet habe. – Sie haben nachher Zeit, sich kennenzulernen. Ich lege Wert darauf, daß Sie ein Team werden, dessen Zusammenhalt das Gelingen unseres Vorhabens garantiert. Nun zu Ihnen, Mervan: Hier habe ich ein ausführliches Schriftstück. Daraus sehen Sie, worum es sich handelt – nicht jetzt“, warf er ein, als er sah, daß der mit Mervan Angesprochene sich daranmachte, das ihm zugeschobene versiegelte Kuvert aufzureißen. Er sagte nach der Aufforderung Harries’ lediglich „O. K.“ und legte den Umschlag vor sich auf den Tisch. „Sie reisen morgen nach Austin und fragen dort im TexasHotel nach einem Herrn Helston. – Meine Herren, Herr
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Mervan wird wesentlich zum Gelingen unseres Vorhabens beitragen. Er hat die Aufgabe, uns die Pläne verständlich zu machen. Mehr möchte ich darüber nicht sagen; je weniger der einzelne weiß, um so weniger ist er selbst belastet und um so weniger kann er – bei Ihnen setze ich unbewußt voraus – jemandem etwas mitteilen. Und wir haben eine verdammt hellhörige Zeit. Herr Giffert“, wandte sich Harries an den neben ihm Sitzenden, „Sie sehen, daß die Dollars nun ins Rollen kommen. Es war vereinbart, daß Sie von allen Aktionen in dieser Angelegenheit sofort unterrichtet werden. Hier erleben Sie den Startschuß.“ John Giffert deutete ein Lächeln an, schien aber nicht die Absicht zu haben, sich zu äußern. Harries machte eine Pause zum Anzünden einer dicken, schwarzen Zigarre. Er paffte genießerisch einige blaue Wolken von sich, als Fergus plötzlich sagte: „Von den Dollars mal abgesehen. Wir werden vielleicht die Alte und die Neue Welt ins Wanken bringen. Und etliche der Machtpositionen, die wir in den letzten Jahren aufgeben mußten, könnten mit einer solchen Entwicklung zurückerobert werden.“ Harries winkte ab: „Schießen Sie nicht übers Ziel hinaus, Fergus. Mir geht es hier nur um eine Position, und das ist die der Nevada Aircraft Corporation. Für die Rüstung dürfte dieses Objekt uninteressant sein.“ „Das möchte ich besonders betont wissen“, schaltete sich plötzlich Giffert mit schnarrender Stimme ein. „Nur unter diesem Gesichtspunkt steige ich ein. Sie haben mir versprochen, Harries, daß sie sich in Washington rückversichern. Wenn die Sache frühzeitig ruchbar wird, haben wir die Weltmeinung gegen uns, und da möchte ich auf Nummer Sicher gehen.“ „Alles geregelt“, beeilte sich Harries zu sagen. „Und es wird nichts durchsickern, dafür ist gesorgt“, fügte er bestimmt
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hinzu. „Na, na“, sagte Giffert skeptisch. „Es war doch wohl Ihr Werk, von dem der letzte große Streik der Metallarbeiter der USA ausging. Und der hat uns ganz schönen Schaden zugefügt. Ich finde, kein ausgesprochen gutes Zeugnis über die Zuverlässigkeit Ihrer Leute.“ Er betrachtete interessiert seine Fingernägel und fügte dann beiläufig hinzu: „Einen politischen Streik sollten wir uns erst recht nicht leisten.“ Harries nagte an der Zigarre. Dann winkte er ab. „Nach unserem Ermessen kann nichts passieren“, sagte er. „Die Leute werden gut bezahlt – sehr gut sogar! Wir fühlen jedem ordentlich auf den Zahn, der für das Objekt in Frage kommt.“ Ohne Giffert noch weiter Gelegenheit zu geben, seine unerquicklichen Fragen anzubringen, wandte sich Harries an einen dicklichen jungen Mann mit blondem, gestutztem Haar, einem weichlichen Mund und wasserklaren Augen: „Sie, Houster, werden zusammen mit Kendsy direkt am Objekt arbeiten. Sobald die Pläne da sind, wird begonnen. Das heißt, daß Sie bis dahin alle Hände voll zu tun haben, die Halle vorzubereiten. Sie werden sich ausschließlich um die Konstruktion kümmern, während Kendsy die Organisation macht. Sie werden den ersten Flug durchführen. In siebzehn Monaten ist das Schiff fertig. Ist alles klar?“ „Klar“, gab mit einer tiefen Stimme der Angesprochene zurück, „nur, Chef, Sie wissen, daß ich hinsichtlich der Termine einiges gewohnt bin. Für ein Raumschiff, und noch dazu eine Neuentwicklung, halte ich die Zeit für entschieden zu kurz.“ „Es ist keine Neuentwicklung, sondern ein Nachbau – nach bewährten Unterlagen. Und was den Termin betrifft: Wir werden sehen. Jedenfalls wird alles getan – und das erwarte ich von Ihnen –, ihn zu halten. Alles Weitere über Ihre Tätigkeit geht aus dem Vertrag hervor. Nutzen Sie die Gelegenheit, sich kennenzulernen.
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Deshalb habe ich Sie zusammen hierhergebeten. Sie fünf, Mervan, Kendsy, Houster, Fergus und der Colonel werden unmittelbar zusammenarbeiten. Herr Giffert wird sich nur ab und zu sehen lassen. Aber Sie fünf werden aufeinander angewiesen sein. Außer Ihnen und Helston wird es keinen Eingeweihten geben. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Giffert, hätte ich mit Ihnen gern noch etwas besprochen. – Ich darf Sie jetzt allein lassen, meine Herren.“ Schon im Gehen drehte er sich noch einmal um und sagte, an Mervan gewandt: „Morgen, um 5.05 Uhr geht Ihr Flugzeug, Mervan. Von Ihnen, Kendsy, erwarte ich alle drei Tage mündlichen Bericht. – So long.“ „Hallo“, sagte Giffert und ging hinter Harries durch die Tür. „Typisch“, knurrte Kendsy. „Schlage vor, Gentlemen“, wandte sich Fergus an die Runde, „wir trinken unten an der Bar einen Tropfen auf Harries’ Projekt. Müssen uns mit dem Kennenlernen ohnehin beeilen.“ Dabei setzte er ein Lächeln auf, bei dem sich seine Augen mit Fältchen umgaben, die seinem Gesicht einen hintergründigen, zynischen Anflug verliehen. „Nicht schlecht“, sagte Mervan. Und auf den letzten Satz Fergus’ eingehend, fügte er hinzu: „Mervan, letzter Job vor diesem hier: Datenverarbeitung, Übersetz-Automaten in der Dokumentation der Corporation. Mir ist schleierhaft, was ich bei der Unternehmung soll.“ Er blickte nachdenklich auf das Kuvert in seiner Hand, schob es aber dann in seine Aktenmappe und schickte sich zum Gehen an. „Wie der Alte sich das alles so denkt“, sprach mehr für sich Houster. Offenbar hatte er noch immer an dem von Harries genannten Termin zu kauen. Unvermittelt wandte er sich an O’Kan. „Weshalb interessiert sich eigentlich die Staatsgewalt für das Objekt?“ fragte er ein wenig ironisch. „Irrtum Ihrerseits, Verehrtester.“ O’Kan verstand den leich-
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ten Hieb Housters nicht. „Nicht wir interessieren uns für das Objekt, sondern Harries befürchtet, daß sich andere dafür interessieren. Und wir sollen sie daran hindern. So einfach ist das.“ In der Meinung, es dem Frager ein wenig gegeben zu haben, ging O’Kan aus dem Raum. Kendsy, der als letzter folgte, wandte sich an Houster: „Was halten Sie von der Geschichte, Houster?“ „Was soll man da sagen. Ich finde zwei Dinge merkwürdig: Erstens, daß sich der Alte höchst persönlich bemüht, und zweitens, daß es ein so außerordentlich kleiner Personenkreis ist, der eingeweiht wird – das heißt ‘eingeweiht’ ist hier ja…“ „Na ja – es ist aber ziemlich schlau angefangen. Kaum einer von uns kennt den anderen und weiß, was von ihm zu halten ist. Irgendwo ist die Sache faul. Es scheint ein ziemliches Vabanquespiel zu sein. Hoffentlich fallen wir dabei nicht auf die Nase.“ Der letzte Satz Kendsys klang ein wenig lauernd, so, als wolle er den anderen aushorchen. „Ach, wissen Sie“, antwortete Houster lässig, „ich denke an den Vertrag, und der ist nicht schlecht für uns.“ „Viel Konkretes steht da ja auch nicht drin. ‘Sonderobjekt’, das kann verschiedenes sein“, bohrte der andere weiter. „Es muß ja auch einen Grund haben, weshalb er ausgerechnet uns ausgesucht hat“, sagte Houster bestimmt. „Vielleicht hält er uns für besonders zuverlässig. Ich für mein Teil mache mir dabei wenig Gedanken. Wir haben die Anweisungen auszuführen und verdienen im übrigen ein gutes Geld. Ich würde auch nicht soviel Fragen stellen.“ „Schließlich interessiert man sich doch für die Begleitumstände“, lenkte Kendsy ein. „Und was das Verdienen anbelangt, findet er bestimmt tausend andere, die seine Bedingungen widerspruchslos erfüllen. Sie haben recht, fragen wir nicht soviel, bauen wir ein neues Raumschiff, von dem die Welt sprechen soll. – Es wäre ja unserem Land zu wünschen, daß
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wir vom Rang des ewigen Zweiten in der Raumfahrt wegkommen.“ In der Bar war zu dieser frühen Nachmittagsstunde wenig Betrieb. Zwei Pärchen saßen und lutschten aus Strohhalmen Flips. Die fünf bestellten und setzten sich an einen kleinen Tisch. „Ehe ich’s vergesse“, wandte sich Fergus an Mervan, „ich werde Ihnen zu Ihrer Unterstützung einen Mann nach Austin mitschicken. Er wird sich Ihnen am Flugplatz unauffällig zugesellen. Sie können über ihn verfügen. Er versteht sogar etwas vom Fach.“ „So“, sagte Mervan, „darf ich fragen, was Sie bei der ganzen Sache für eine Aufgabe haben? – Meine und die der übrigen liegt ja fest.“ „Nun, ich bin über das Objekt kaum mehr orientiert als Sie. Es soll aber von großer Wichtigkeit sein. Ich bin von Harries dazu eingesetzt, sagen wir – was O’Kan nach außen macht, innen fortzusetzen.“ „Aha, so ein interner CIC.“ Mervan nippte an seinem Glas. „Also noch wichtiger das Objekt, als ich es mir vorgestellt habe.“ „Übrigens, in dem Zusammenhang – ich denke, mit Ihnen kann ich offen reden –, die Personalunterlagen der Leute, die Sie, Kendsy, für das Projekt einsetzen, möchten zweckmäßigerweise über meinen Tisch gehen. Sie verstehen. Ich werde in den nächsten Tagen mein Quartier hier aufschlagen.“ Es trat eine Pause ein. Houster räusperte sich. „Ich kann mir noch nicht vorstellen, wie wir die Halle einrichten sollen, wenn wir das Objekt nicht kennen.“ „Ich denke, Sie sollten sie zunächst ausräumen und mit Leuten bestücken. Alles andere wird Herr Mervan besorgen“, erklärte Fergus. „Und wenn wir die Leute haben, aber noch keine Arbeit?“
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„Die Leute werden bezahlt, und gut bezahlt. Also…“ „Wie mir scheint, haben Sie doch mehr Ahnung von der Sache als wir“, meinte Kendsy bissig. „Wir brauchen auch Maschinen – neue Maschinen, wenn es ein völlig neues Projekt ist“, warf Houster ein, noch bevor Fergus auf Kendsys Bemerkung eingehen konnte. „Auch das wird sich finden, wenn Herr Mervan aus Austin Nachricht gibt. Im übrigen, Kendsy, bin ich lediglich über Dinge informiert, die die Sicherheit – auch Ihre Sicherheit – betreffen.“ „Hohe Investitionen scheinen nötig zu sein, sonst hätte sich Harries sicher nicht mit Giffert zusammengetan.“ Kendsy ließ nicht nach. Er wollte mehr erfahren. „Soll Ihre Sorge nicht sein, Kendsy“, sagte Houster, „mir ist das egal. Ich habe eben überschlagen, daß ich mich – wenn die Sache wenigstens drei Jahre lang klargeht – zur Ruhe setzen könnte, und das gefällt mir gut.“ „Trinken wir auf den geruhsamen Lebensabend des Herrn Houster“, spottete Fergus und hob sein Glas.
Mervan lag mit offenen Augen und überdachte den Tag. Er hatte wie all die anderen begonnen: Ärger, Kleinkram, Briefe. Und dann der Anruf, am Nachmittag ins Hilton zu kommen. – Und nun? Nun hatte er einen Vertrag, einen schönen Vertrag. Einen Vertrag, über dem stand: Mitarbeit an einem Sonderobjekt der Corporation. Und darunter die Verpflichtungen, nicht alltägliche, sondern harte Verpflichtungen. Aber sie waren einzuhalten. Und dann die Vergünstigungen: Sonderzuwendungen, abhängig von der Fertigstellung des Objekts. Aber jetzt schon das Gehalt! Nun gut – was macht aber die Corporation, wenn sich einer nicht an die Vereinbarungen hält und plaudert? sinnierte
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Mervan weiter. Nach den Worten von Harries müßte auch mit irgendwelchen Manipulationen zu rechnen sein – dann haben sie doch keine Handhabe, etwas zu unternehmen. Oder? Und Fergus? – Natürlich habe ich Fergus vergessen. Er wird die Interessen der Corporation schon vertreten, mit allen Mitteln. Mervan überrieselte es kalt. Gar nicht schlecht: Nur sechs oder sieben wissen Bescheid. Von einem muß die undichte Stelle, wenn es eine gibt, herrühren. Soundso viele scheiden von vornherein aus. Bleiben nur noch zwei oder drei. Die sind leicht zu überprüfen, und wenn man den richtigen hat, ergibt sich auch eine Möglichkeit, weitere Plaudereien zu stoppen. Aber wenn O’Kan als Vertreter der öffentlichen Ordnung selbst mit dabei ist? Der müßte doch das Gesetz…? O’Kan steckt mit Anteilen in der Corporation; der wird kaum eine eigene Meinung haben. Sicher verdient er nicht schlecht dabei. Und nach außen ist es ein Aushängeschild. Nicht übel, alter Fuchs! Die Auswahl der Leute ist nun auch klar. Ich – was ist mit mir? Warum fiel die Wahl auf mich? Harries hat viele in seinen Werken, die sich unter so günstigen Bedingungen sofort bereit erklärt hätten. Aber dabei ist keiner ohne Angehörige; so wie ich und wie Houster. O’Kan ja auch! Etwas erschrocken richtete sich Mervan auf: Das ist ja der Schlüssel! Natürlich werden auch noch andere Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben. Na gut, ich habe immer meine Arbeit gemacht, wie jeder andere auch, bin nicht sonderlich aufgefallen. – Nicht sonderlich aufgefallen? Einigermaßen gut gearbeitet und nicht sonderlich aufgefallen! Etwa so wie Houster! Nur hat Houster ausgezeichnet gearbeitet – ohne die gebührende Anerkennung bisher. Sollte das Nichtauffällige ein weiteres Merkmal sein? Aber warum mache ich mir überhaupt solche Gedanken?
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Wenn sich der Alte darauf einläßt, hat er eine Chance. Und seine Chance wird auch die meine sein, wird unsere Chance sein. Woher kommt das neue Objekt? Hat er es den Russen abgejagt? Dann hat es keinen langen Bestand, die lassen sich auf nichts ein. Einen politischen Skandal riskiert der Alte nicht. Ein Wunderknabe muß etwas Tolles erfunden haben. Aber Harries sagte, es sei keine Neuentwicklung, sondern ein Nachbau? Wenn er recht hätte, wenn es tatsächlich der angekündigte Knüller wäre? Dann würde mancher der früheren Freunde staunen! Guckt euch an, was aus dem Mervan geworden ist, würden sie sagen. Mervan setzte sich behaglich zurecht. Die Unentschlossenheit des Nachmittags war der festen Überzeugung gewichen, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Kaum hatte die Maschine die Startbahn verlassen, öffnete Mervan weisungsgemäß das Kuvert, das ihm Harries gegeben hatte. Mit gleichmäßigem Rauschen raste das Flugzeug durch den Morgen. Die Passagiere hatten die Sitze zurückgeklappt und schliefen. Mervans Gegenüber, sein schweigsamer Begleiter, den ihm Fergus zugeteilt hatte, blinzelte ab und zu zu Mervan hinüber, gab es dann aber auf und schlief ebenfalls. Das geöffnete Kuvert in der Hand, starrte Mervan, ohne etwas zu sehen, durch das Bullauge in die Dämmerung. Er wog die Schriftstücke in der Hand, blickte nachdenklich zu seinem Gegenüber, verzog den Mund und entnahm dem Umschlag ohne Hast seine Order. Was wird Harries bewogen haben, mir das Öffnen des Umschlages erst während des Fluges zu gestatten? – So wie ein hausbackenes Geburtstagsgeschenk? Oder sollte ich keine Gelegenheit haben, mit den anderen über meinen Auftrag zu sprechen?
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Wir werden sehen. Mervan entfaltete den Bogen, strich ihn bedächtig glatt, schlug die Beine übereinander und las: Mervan! Ich habe diese Art der Information gewählt, weil ich vermeiden wollte, daß Sie in der ersten Überraschung den anderen berichten. Es ist etwas Unerhörtes geschehen: Die Erde hat Besucher aus dem Weltall. Haben Sie keine Angst, ich bin nicht verrückt geworden. Sie haben die Aufgabe, so schnell wie möglich mit diesen Wesen eine brauchbare Verständigungsmöglichkeit auszuarbeiten. Auf meinem Gelände in Austin werden Sie alles finden, was es an modernster Elektronik dazu gibt. Mein Mitarbeiter Helston wird dort zu Ihnen stoßen – mit den Gästen. Sagen Sie ihm, was Sie noch brauchen. Sie haben die Aufgabe, so schnell wie möglich…
Mervan sah auf – ihm schwamm es vor den Augen. Nervös tastete er nach den Zigaretten. Das ist doch nicht möglich! Beinahe hätte er es laut gesagt. Er überlas die Zeilen erneut, überlegte, ob der Alte vielleicht doch verrückt geworden sei. Aber er saß im Flugzeug, war mit Schecks, in die er nur die Beträge einzusetzen brauchte, ausgerüstet, und er flog nach Texas. Nein, und so verrückt ist der alte Harries nicht, daß er das Geld zum Fenster hinauswirft. Wieder drängte sich das Brummen des Flugzeuges in Mervans Bewußtsein. Er blickte auf seinen blinzelnden Begleiter, der, als er sah, daß Mervan das Kuvert geöffnet in der Hand hielt, wieder wach zu werden schien, sich eine Zigarette anzündete und auffällig interessiert zum dunklen Fenster hinaussah. Alles Realitäten, alles geplante Maßnahmen, Maßnahmen, die mit dem Ereignis im Zusammenhang stehen. Zitternd vor innerer Spannung wandte sich Mervan wieder den Schriftstücken zu… so schnell wie möglich die Sprache
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der Gäste zu entziffern und im übrigen das zu tun, was Helston Ihnen sagen wird. Es ist Ihnen klar, daß ganz besonders Sie an die Schweigepflicht gebunden sind. Mit Ihnen wissen jetzt noch neun Personen von dem Ereignis, von einer Handvoll Wilder abgesehen. Es wäre mir unangenehm, Mervan, wenn ich auf eine gewisse Geschichte zurückkommen müßte! Also, machen Sie es gut, und machen Sie schnell! Dabei denken Sie daran, daß sich nach einem solchen Job sicher auch noch andere Spezialisten drängen würden. Sie können später Ihre Erfahrungen auch wissenschaftlich ausschöpfen, aber erst später. Hier war das Schreiben ohne eine Unterschrift oder ein Datum zu Ende. Die anderen Bogen enthielten ein Verzeichnis verschiedener Geräte, eine Zimmerbestellung und eine Zugfahrkarte von Douglas nach Austin. Mervans schweigsamer Begleiter sah auf die Papiere und fragte: „Gute Nachricht?“ Mervan kam es vor, als sei die Frage lauernd gestellt. „Es geht, Herr, Herr…“ „Withe“, kam der andere zu Hilfe, „Charles Withe.“ „Ja, richtig, Sie sagten es schon…“ Zerstreut griff Mervan nach einer Zigarette. „Was ist eigentlich Ihre Aufgabe, Herr Withe?“ fragte er. „Ich bin Ihnen sozusagen zur besonderen Verwendung zugeteilt. Und außerdem habe ich aufzupassen, daß Ihnen nichts zustößt. Ach, weil Sie gerade noch das Schreiben haben – das möchten Sie bitte verbrennen, meint Fergus.“ „Wie sähe Ihr Schutz im Ernstfall aus?“ Ohne Antwort klopfte Withe mit der Rechten in die Gegend seiner linken Achselhöhle. „Aha“, nickte Mervan verstehend, „und Fergus ist Ihr Chef?“ „Ja.“ – Damit schien für Withe das Unterhaltungspensum erschöpft. Er legte den Kopf zurück und starrte an die Decke. Wie sagte Fergus, überlegte Mervan, was O’Kan nach außen
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macht, mache ich nach innen…. und hier sitzt einer mit einem umgeschnallten Halfter, und er sieht weiß Gott nicht so aus, als leide er irgendwie an Herzdrücken. Und so ein Mann sollte was von Elektronik verstehen? Ich werde ihn auf die Probe stellen, dachte Mervan. Er überflog noch einmal das Schreiben, und erst jetzt wurde er sich der Drohung bewußt, mit der es endete. Muß mich der alte Gauner wieder an die Geschichte erinnern. Er weiß doch ohnehin, daß er mich in der Hand hat. Mervan knirschte mit den Zähnen. Warum habe ich Kamel mich damals gerade an Harries gewandt. – Klar, weil er Geld hatte und weil er so kameradschaftlich tat. Er hat dir aber doch auch geholfen, Mervan, und er hat dich bis jetzt in Ruhe gelassen. Aber jetzt, jetzt hat er mich geholt, und jetzt erinnert er mich daran. Und es sind noch fast zwei Jahre bis zur Verjährung! Aber warum rege ich mich denn auf? Es gibt kaum einen in den Staaten aus meinem Fach, der, wenn das Sensationelle wahr ist, mich nicht um meine Aufgabe beneiden würde. Daß man damit nicht gleich an die Öffentlichkeit kann, ist schade. Vielleicht droht er deshalb, weil er meint, ich bin zu ehrgeizig, habe ein zu großes Mitteilungsbedürfnis? Vielleicht leitet er das von damals ab? Schließlich habe ich ihm die Geschichte ja auch ziemlich unaufgefordert erzählt. Aber damals brauchte ich doch Geld. Wie er wohl die Nase diesmal in den Wind bekommen hat? Ich glaube kaum, daß seine Teilhaber auch nur die leiseste Ahnung von seinen Absichten haben – außer Giffert. Dieser Giffert. Was sagte Harries? Damit Sie sehen, daß die Dollars ins Rollen kommen. Also schafft er es doch nicht allein, er mußte sich einen Geldgeber besorgen. Was steht Harries’ Plan eigentlich im Wege? Wenn er es geschickt anstellt – und geschickt ist er –, kann dabei kaum etwas schiefgehen. Nur die Fremden müßten mitmachen. Aber
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es sind Fremde, ganz und gar Fremde. Und wenn sie von vornherein keinen Kontakt haben, dann müßte auch das möglich sein. Mervan schob die Papiere in den Umschlag und lehnte sich zurück. Er sah ein riesiges, glänzendes Raumschiff sich langsam vom Boden erheben, sah viele Menschen ängstlich den Koloß anstarren, er sah sich mit Harries am Steuerpult des Schiffes. Ein Steuerpult, wie er es einmal in einem utopischen Roman beschrieben fand: mit flirrenden Lämpchen, schwingenden Oszillographen, bunten, unzähligen Knöpfen. Und dann war er eingeschlafen.
17 „Ich kann nur immer wiederholen: Einfach großartig, dieser Planet.“ Borl sprach diese Worte. Sie saßen zu dritt auf der kleinen Anhöhe: Borl, Min und Surki. Hinter der westlichen Bergkette ging rot die Sonne unter. „Ich möchte mehr von ihm sehen“, sagte Min. „Ich finde, sie geben uns reichlich Eingewöhnungszeit.“ „Es wird bald losgehen. Der Neue von ihnen, der neulich angekommen ist, scheint das Programm für seine Maschine bald fertig zu haben – und das ist die Voraussetzung. Ich komme übrigens gut mit ihm zurecht!“ „Dort drüben ist eine Stadt. Ich möchte zu gern einmal hin“, warf Surki träumerisch ein. „Jeden Abend, wenn dort die Lichter aufflammen, wenn sich die Flugzeuge mit ihren bunten Lampen hinabsenken, bekomme ich irgend so ein Ziehen. Ich möchte mich in die Arbeit stürzen, möchte die neue J 2 wachsen sehen und mit ihr bald starten, heim… Wenn auch
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unser Planet nicht so reich und üppig ist wie ‘Hoffnung’.“ Keiner sprach. Min strich über Surkis Hand und blickte zur Stadt hinüber. „Na, ihr drei, ihr seid recht ruhig“, meldete sich plötzlich Kark, der unbemerkt hinter der Bank, auf der sie saßen, auftauchte. „Mit der Langeweile ist es vorbei“, schwatzte er munter fort. „Ich habe mich soeben mit dem Elektronenprofessor verständigt. Er ist sehr zuversichtlich. Bestimmt können wir noch in dieser Woche die Schiffskonstruktion in ihre Sprache bringen, und dann geht es los.“ „Na, da wollen wir doch erst einmal hören, was Chalo dazu sagt“, dämpfte Min seinen Optimismus. „Wieso, was soll er sagen? So war es doch abgemacht. So bald als möglich wollen wir mit dem Bau beginnen – das heißt mit den Voraussetzungen dafür. Es müssen zahlreiche Detailpläne entwickelt werden! Hoffentlich können sie die erforderlichen Metalle heranschaffen. Kinder, wird das Arbeit geben!“ „Und der Planet, willst du von ihm gar nichts mehr sehen?“ fragte Borl. „Der läuft uns doch nicht weg. Außerdem können wir auf seine Bewohner zählen. Wir leiten sie an, und dann bauen sie. Danach gucken wir uns in aller Ruhe um. Schließlich müßten sie froh sein, daß sie so schnell ein interstellares Raumschiff bekommen. Ich schätze, sie sparen dadurch mindestens zwanzig Jahre Entwicklung, da können sie schon mit zupakken.“ „Das werden sie auch, aber ganz so einfach wie du stelle ich mir das nicht vor“, warf Borl ein. „Bevor sie mit am Bau helfen, müssen sie uns erst mal der Öffentlichkeit zeigen. Wie denkst du dir sonst eine Zusammenarbeit? Oder sollen es die paar sein, die wir bisher kennenlernten, die das Raumschiff bauen? Da erlebten wir wohl den Start kaum mehr…“ „Na, unke nicht, Borl“, entgegnete Surki. „So weit zurück sind sie ja nun auch nicht. Sie werden sich das schon überlegt
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haben. Und bald haben wir auch Gelegenheit, zu erfahren, wie. In Kürze können wir sie verstehen und sie uns, und damit sind alle Schwierigkeiten aus der Welt geschafft.“ „Ich hätte nicht gedacht“, sagte Borl, „daß der Elektronenprofessor das mit seinem Monstrum von Maschine so schnell zuwege bringt. Wenn er nur nicht so schrecklich qualmte. Ich verstehe überhaupt nicht, wie sie auf eine so üble Art und Weise ihre Gesundheit untergraben können und obendrein diese herrliche Luft verpesten! Ich glaube, wir müssen noch auf einiges gefaßt sein, was uns an ihnen nicht gefällt und was ihnen an uns nicht behagt. Aber das alles wird die Zukunft lehren.“ „Wie oft hast du dieses Motiv schon aufgenommen?“ wandte sich Kark an Min, die gerade ihr Bildspeichergerät ausgelöst hatte. „Man kann nie wissen“, sagte Min. „Ich möchte gern die Stimmung festhalten. Und du mußt zugeben, daß der Sonnenuntergang heute besonders schön ist.“ „Wenn Min so weitermacht“, warf Borl ein, „wird sie bald auf die hiesige Fototechnik übergehen müssen. Unser Vorrat an Speichern nimmt merklich ab.“ Min lachte. „Du hast recht“, sagte sie. „Aber weißt du, ich möchte einfach alles von diesem herrlichen Planeten mit nach Hause nehmen. Daheim konnte ich die Allesknipser auch nicht leiden. Hier bin ich selber einer geworden.“ „Ich nütze die Zeit lieber zum Schwimmen“, sagte Kark. „Zu Hause können wir uns das nicht mehr leisten. Wie sie hier verschwenderisch mit dem Wasser umgehen! Das mußt du festhalten, Min, sonst glaubt uns das keiner.“ Auf der Veranda der Villa wurde ein Gong geschlagen. „Kommt, Rilt ruft uns zum Essen“, forderte Borl auf. „Wir wollen sie nicht warten lassen.“ Vor dem Haus trafen sie Chalo und Mangk. „Am Sonntag“, sagte Mangk, „können wir das erste Temport-Spiel austragen.
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Die Anlage wird fertig.“ Er kratzte mit einem Stöckchen Schmutzteile vom Blatt des Spatens, den er trug. „Meinst du, daß wir die Menschen veranlassen können mitzumachen?“ fragte Surki. „Das wäre für besseres Kennenlernen nicht schlecht – und vielleicht finden wir so den Vertrauten, der uns fehlt.“ „Warum sollten sie nicht mitmachen?“ fragte Kark zurück. „Gewiß, sie werden am Anfang einige Schwierigkeiten mit ihren merkwürdigen Gelenken haben. Das läßt sich sicher durch eine entsprechende Körperhaltung ausgleichen. Und das andere – ich weiß nicht, wir haben keinerlei Grund, ihnen zu mißtrauen. Du bist zu zurückhaltend, Chalo. Wir haben keinen Vorteil, wenn sie den Eindruck gewinnen, daß wir ihnen nicht glauben. Ich finde, das ist gefährlicher, als wenn wir uns ihnen vorbehaltlos anvertrauen. Was haben wir denn zu verlieren?“ Chalo sagte nichts. Sie gingen ins Haus. Das Essen verlief wie immer. Sie saßen zusammen mit den Menschen ihrer Umgebung, dem Elektronenprofessor, dessen Gehilfen, zwei weiteren stillen, zurückhaltenden Menschen und Schwarzkopf, dem einzigen, der von der Urwaldgruppe in ihrer Nähe geblieben war. Nur Mervan aß hastig, und als er fertig war, schien er ungeduldig auf die anderen zu warten. So bald als möglich drängte er durch Gesten, die sieben sollten ihm in den Raum, in dem sein Computer stand, folgen. Dabei zwinkerte er verschmitzt mit den Augen. Die Kosmonauten kamen seiner Aufforderung erwartungsvoll nach. Theatralisch riß Mervan eine Seite aus einer Broschüre, legte sie unter den Fotoabtaster und drückte auf einen Knopf. Es tat sich nichts. Erschrocken schaute Mervan auf, tippte sich an die Stirn und legte den Hauptschalter um. Sofort begann die Schreibmaschine auf dem daneben stehenden Tisch zu rattern. Borl und Mangk hatten sie schon vor Tagen mit Lettern ihrer Sprache ausgestattet. Obgleich sie mit
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dem Ereignis früher oder später gerechnet hatten, starrten die Kosmonauten die Maschine wie ein Wunderding an. Manchmal in merkwürdiger Wortstellung, aber immerhin verständlich, erschien ein einfacher Text über die Geologie eines Landstriches. Borl gab seiner Freude als erster Ausdruck. Nach Art der Menschen drückte er dem Elektronenprofessor gratulierend die Hände. Die anderen folgten seinem Beispiel. Der Weg einer einfachen, direkten Verständigung war offen. Unter diesen Umständen war es nicht verwunderlich, daß in den nächsten Tagen Chalo das Tagebuch, Mangk den Sportplatz, Min das Fotografieren, Rilt ihren immerwährenden Forscherdrang, Kark das Schwimmen und Surki ihren träumerischen Müßiggang beiseite ließen und sich gegenseitig von der Maschine drängten, um Borl, der als einziger flott schreiben konnte, die auf den unterschiedlichsten Gebieten angehäuften Fragen für die Übersetzung zu diktieren. Dabei zeigten sich einige Mängel des Programms, die Borl zusammen mit dem Elektronenprofessor und Withe erst dann beheben konnte, als Chalo diesem Probieren Einhalt gebot. Zehn Tage nach dem Gelingen des ersten Übersetzungsversuches rief Chalo noch vor dem allabendlichen Treffen auf dem Hügel die Gefährten dort zusammen. „Freunde, ich habe euch deshalb hergebeten, weil Kark – Borl und Mangk wissen es bereits –, ohne daß wir gemeinsam den Beschluß dazu gefaßt hätten, die Konstruktionsunterlagen für das interstellare Raumschiff dem Elektronenprofessor zur Übersetzung gegeben hat. Bitte, laß mich aussprechen, Rilt“, schnitt Chalo energisch Rilts Redeansatz ab. „Ich finde dies um so schwerwiegender, als sich diese Unterlagen – es ist das zweite Exemplar – bei Mangk zur Aufbewahrung befanden und sie von Kark ohne Mangks Wissen fortgenommen wurden. Bevor alle etwas dazu sagen, möchten wir deine Gründe hören, Kark.“ Kark blickte trotzig auf. „Nimm es mir nicht übel, Chalo,
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aber ich hatte dein ewiges Zögern satt – ja, einfach satt! Es ist nun zehn Tage her, seit der Professor brauchbare Übersetzungen herstellen kann. Selbst Borl ist von der Leistung dieser monströsen Maschine begeistert. Stimmt’s, Borl?“ Nachdem Borl eine bestätigende Handbewegung gemacht hatte, fuhr Kark fort: „Mir ist also unverständlich, worauf du hinauswillst, Chalo. Bedenke, daß sie mindestens zwei Jahre brauchen, um das Raumschiff zu bauen, und da habe ich eben gehandelt. Ich möchte wissen, wieso das schlecht ist. Schließlich habe ich es nicht für mich, sondern für die Sache getan. Hab ich nicht recht?“ Und als die anderen schwiegen, fuhr er fort: „Ja, ich weiß, es war nicht recht, auf eigene Faust zu handeln. Ich hätte alle fragen müssen, aber gewiß hättet ihr auf Chalo gehört, weil er der Kommandant ist. So, und nun habe ich eben vollendete Tatsachen geschaffen. Nun können auch die Übervorsichtigen nicht mehr zurück, und in zwei bis drei Jahren, schätze ich, fliegen wir heim.“ Es entstand eine Pause. Sie starrten wie schon so oft in den Sonnenuntergang, nun aber nicht mehr dessen Schönheit genießend, sondern jeder seinen Gedanken über die neuentstandene Situation nachhängend. Daß dieses Ereignis von großer Tragweite war, darüber bestand bei keinem ein Zweifel. Aber wie sich richtig verhalten? Nachträglich Karks Handlung gutheißen? – Schon aus den einleitenden Worten war klar, daß damit gegen den Willen Chalos zu entscheiden war. Andrerseits Kark verurteilen? Einen Gefährten, der das Los wie jeder andere zu tragen hatte und der, in der Meinung, für das Wohl aller eingetreten zu sein, eine Disziplinwidrigkeit begangen hatte? Gewiß, daß er sich so einfach über die ändern hinweggesetzt hatte, war verwerflich, darüber gab es keinen Zweifel. Aber die Übergabe der Pläne selbst? War es nicht gut, wenn nun endlich mit den Vorbereitungen zum Raumschiff begonnen werden konnte? Wenn Aussicht bestand, in absehbarer Zeit den Heimflug anzutreten?
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Rilt äußerte sich als erste: „Kark“, sagte sie ziemlich scharf, „wir haben Chalo zum Kommandanten gewählt, weil wir es für richtig hielten. Er hat uns bisher nicht enttäuscht. In unserer Situation ist Disziplin alles. Von dieser Warte mißbillige ich deine Handlung. Andrerseits, Chalo, über kurz oder lang hätten wir die Unterlagen sowieso übergeben, Kark hat uns vorgegriffen, aber nach meiner Meinung nichts Schlechtes damit getan…“ „So, nichts Schlechtes“, unterbrach Chalo schroff. „Weißt du denn, was mit den Unterlagen geschieht? Weißt du denn überhaupt, was da draußen, jenseits dieses umzäunten Gebiets los ist? Gar nichts weißt du. Und wir, was wissen wir denn? Ich würde sagen, bessere Gefangene sind wir. – Was meinst du, Min?“ fragte er, sich wieder beherrschend. „Ich gebe dir recht, Chalo! Es war unverantwortlich von Kark.“ „Eine Frechheit, mir einfach die Pläne wegzunehmen“, warf wütend Mangk ein. „Aber wann – wann hätten wir denn mit dem Bau des Raumschiffes beginnen können, wenn ihr das jetzt noch nicht wolltet?“ fragte Surki zaghaft in die entstandene Pause hinein. Überraschend sanft antwortete Chalo: „Sobald wir sie besser kennen, das heißt, sobald wir sie besser gekannt hätten – alles von ihnen, wie sie leben, wie sie denken und handeln, wie sie sich gegeneinander verhalten. Erst dann hätten wir entscheiden können, wie wir sie unterstützen wollen…“ „Aber sie unterstützen uns doch, wenn sie unser Raumschiff bauen“, warf Borl ein. Chalo sah ihn lange an. „Wer hier wen unterstützt, ist noch nicht sicher, nunmehr weniger denn je.“ „Ich finde, das Gerede hat jetzt wenig Sinn“, mischte sich Mangk energisch ein. „Die Tatsachen sind geschaffen. Wie verhalten wir uns weiter? Wir können die Unterlagen nicht zurückfordern, wenn sie von einem von uns freiwillig überge-
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ben worden sind.“ „Und was geschieht mit Kark?“ fragte Rilt. „Kark wird untersagt, im Namen unserer Gruppe zu handeln oder zu sprechen. Bei wichtigen Beratungen mit den Menschen wird er ausgeschlossen. Nach unserer Rückkehr werde ich Meldung beim Rat erstatten. Darüber hinaus hat Kark die Möglichkeit, sich durch sein weiteres Verhalten zu bewähren. Da wir uns in der Beurteilung der Sache nicht ganz einig sind, verantworte ich voll und ganz diese Maßnahmen. – Bitte, was sagst du dazu, Kark?“ „Ich habe schon gesagt, daß es sicher nicht ganz richtig war, auf eigene Faust zu handeln. Alles andere“, seine Stimme bekam etwas Überhebliches, etwas wie Spott auf die Zaghaftigkeit der anderen, „wird die Zukunft lehren. Deine Maßnahmen, Chalo, willst du ja verantworten – mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ Er stand auf, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schlenderte dann langsam den Hügel hinunter. Seine Kameraden blickten ihm schweigend, besorgt hinterher. „Ich glaube, wir waren zu nachsichtig“, sagte Min. „Laß nur“, beruhigte sie Chalo, „er hat recht, die Zukunft wird uns vieles beantworten.“ „Wenn ich auch, Chalo, was die Unterlagen betrifft, nicht ganz deiner Meinung bin, mit seinem nachgerade überheblichen Abgang bin ich nicht einverstanden“, bemerkte unverblümt wie immer Rilt. Chalo lächelte. „Auch der kommt uns gelegen. Wir haben nun zu beraten, wie wir in Zukunft vorgehen wollen. Da ist es besser, wenn Kark in seiner augenblicklichen Verfassung nicht alle Einzelheiten weiß. Er hat mir erspart, ihn aus der Beratung auszuschließen.“ Wieder entstand eine Pause. Dann sagte Chalo: „Ich denke, es ist Absicht, daß man uns jetzt so selten allein läßt. Ihr habt heute gesehen, daß unser Wunsch, alle zusammen hier herauszugehen, ein gewisses Unverständnis hervorrief.
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Alles Faktoren, die mich in meiner Ansicht bestärken, daß etwas Unlauteres vorgeht. Wir müssen versuchen, so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Offiziell, versteht sich, denn auf irgendwelche Feindseligkeiten dürfen wir uns nicht einlassen.“ „Ich teile Chalos Meinung“, sagte Min. „Weshalb lassen sie immer nur einige Artikel aus ihren täglichen Nachrichten übersetzen? Weshalb meist wissenschaftliche Informa tionen, weshalb nicht auch einmal etwas über ihr gegenwärtiges Zusammenleben? Oder über ihre Entwicklung? Das wäre doch das mindeste, was man erwarten dürfte.“ „Es wird nicht mehr lange dauern, da kann ich ihre Schrift ohne die Maschine lesen“, warf Borl ein. „Ich bin überzeugt, daß du, sobald man das merkt, außer naturwissenschaftlichen Schriften nichts mehr zum Lesen bekommen wirst“, warf Mangk ein. „Ach, ihr seht ja alle zu schwarz“, sagte Surki ärgerlich. „So?“ fragte Mangk zurück. „Und wo sind bis auf Schwarzkopf alle die geblieben, die wir zuerst trafen? Ist das auch Zufall? Ich bezweifle sogar, daß man draußen von unserer Anwesenheit schon weiß.“ „Graukopf und die anderen können andere Aufgaben haben.“ „Sie hätten wenigstens so lange bleiben sollen, bis wir uns mit ihnen verständigen konnten. So sind sie beinahe über Nacht verschwunden. Ich erinnere mich noch genau an das sorgenvolle Gesicht Graukopfs, als er sich von uns verabschiedete.“ „Wenn er von einer uns drohenden Gefahr gewußt hätte, wäre er nicht gegangen. So schätze ich ihn ein.“ „Was weißt du, was hier für Gesetze herrschen. Das wissen wir alle noch nicht“, mischte sich Min, an Surki gewandt, in das Gespräch. „Und deshalb hat Chalo recht, wenn er vorsichtig ist. Sie hätten uns ja wenigstens auf ihrer Landkarte zeigen können, wo sich Graukopf und die anderen hinbegeben haben. Ich habe versucht, die Frau zu fragen, sie tat, als verstände sie
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mich nicht, aber ich glaube, sie wurde dabei verlegen, wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig gedeutet habe.“ „Lassen wir jetzt die Diskussion, Freunde“, warf Chalo ein. „Wir können die vielen Fragen noch nicht beantworten, Borl, wir verfassen jetzt ein Schreiben, von dem du weißt, daß es der Automat einwandfrei übersetzen kann. Wir verlangen höflich, aber bestimmt, daß wir am Bau des Raumschiffes mitwirken und daß wir gleichzeitig mehr von dem Planeten und den Menschen zu sehen bekommen. Es wäre auch gut, wenn du deine Fortschritte im Lesen ihrer Sprache für dich behieltest, ihnen noch nicht zeigtest, daß du auf den Automaten bald nicht mehr angewiesen bist. Vielleicht nützt uns das noch einmal.“
Zur gleichen Zeit, zu der die Kosmonauten auf dem kleinen Hügel ihre Besprechung hatten, saßen Mervan und Withe, der erstaunliche Kenntnisse im Programmieren hatte und so Mervan wertvolle Unterstützung gab, über den Konstruktionsunterlagen des Raumschiffes der Fremden. „Ich glaube, das wird doch eine harte Nuß“, murmelte Mervan. Withe antwortete nicht. „Und wenn wir die Unterlagen übersetzt haben, fehlen uns noch eine Menge Voraussetzungen. Oder glauben Sie etwa, daß die extra für uns diese Pläne hier bei Adam und Eva begonnen haben?“ „Wer weiß, ob sie Adam und Eva kennen“, brummelte Withe in einem Anfall trockenen Humors. In diesem Augenblick trat Helston ein. „Mervan, sehen Sie zu, daß Sie einen gewissen Abschluß für heute finden, in einer Stunde etwa erwarte ich Harries.“ Und zu Withe gewandt, fuhr er fort: „Es wäre gut, Withe, wenn Sie sich draußen ein wenig aufhalten könnten. Sie sind da oben – allein. Und Sie, Mervan, müßten intensiver weiter daran arbeiten, ihre Sprache direkt zu übersetzen. Sie wissen, wenn
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etwas fehlt…“ „Was soll ich denn noch alles machen“, unterbrach Mervan. „Ich denke, die Pläne sind zunächst das wichtigste.“ „Stimmt schon, seien Sie doch nicht so begriffsstutzig, uns nützen die ganzen Pläne nichts, wenn wir nicht wissen, was unsere Gäste vorhaben. Und solange wir sie nicht verstehen…“ „Das ist ein unerhört schwieriges Problem. An ähnlichen Aufgaben wird schon jahrelang gearbeitet, aber bisher mit mäßigem Erfolg.“ Mervan verschloß die Pläne sorgfältig im Tresor. „Und außerdem, wie ich die Sache einschätze, müssen Sie bald die Taktik ändern. Lange können Sie die Fremden hier nicht mehr zurückhalten. Übrigens, Helston, was ich Ihnen sagen wollte: Neulich fragte der Sprachler von ihnen nach dem Graukopf. Ich tat so, als verstände ich nicht recht, aber wie ich vermute, meint er Professor Sunday. Wie soll ich mich bei weiteren derartigen Fragen verhalten? Jetzt, wo die Verständigung besser ist, muß ich ständig damit rechnen.“ „Sagen Sie ihnen, was die Expeditionsmitglieder angeht, die Wahrheit: Sunday hat an der Kalifornia-Universität sein InkaForschungsinstitut bekommen und wird demnächst zu der neuentdeckten Stadt aufbrechen. Das Mädel ist bei ihm geblieben. Walker und Brand auch. Das ist alles. Erklären Sie ihnen, daß es zwar ein außerordentliches Ereignis ist, wenn wir Besuch von einem Planeten des Proxima Centauri haben, daß aber deshalb das Leben auf der Erde weitergehen muß. Und die Genannten gehen eben ihren Aufgaben nach.“ „Haben Sie eigentlich keine Angst, Helston, daß diese Leute etwas erzählen? So ein Ereignis für sich zu behalten, müßte doch jedem schwerfallen…“ Helston blickte aufmerksam hoch. „Wie meinen Sie das?“ Und als Mervan lediglich mit den Schultern zuckte, fuhr er fort: „Harries wird sich dafür schon etwas ausgedacht haben. Soweit mir bekannt, ist Sundays Institut wirklich großzügig eingerichtet. Und außerdem, sobald die Regenzeit vorbei ist,
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werden sie wieder bestausgerüstet in den Urwald starten. Das müßte doch reichen – oder nicht? Weshalb halten Sie denn den Mund, Mervan? Weil Sie glauben, daß sich hier etwas Großes tut?“ Dabei schaute Helston Mervan offen ins Gesicht. Mehr als seine Worte fragte sein Blick. „Lassen Sie mich in Ruhe! Ich habe hier zu übersetzen – alles andere interessiert mich nicht“, entgegnete Mervan schroff. „Tut mir leid, Helston“, sagte er gleich darauf. „Die Angespanntheit der letzten Zeit zerrt an den Nerven.“ Er fuhr sich mit den Fingern über die Augen. „Ich halte Sie für einen vernünftigen Menschen, Helston. Ich denke, daß Sie mir kein Bein stellen.“ Helston schwieg. Mervan trat näher an ihn heran und sagte leise: „Ich meine auch, daß hier nicht alles in Ordnung ist. Ich stiege jetzt gern aus, auch bei der Gewißtheit, daß sich mir eine solche Chance nie wieder bietet. Aber ich kann einfach nicht. Harries hat mich in der Hand.“ „Keiner kann aus seiner Haut, Mervan“, sagte Helston zögernd. „Sie nicht, ich nicht.“ Er machte eine Pause. „Es ist vielleicht sentimentaler Quatsch, was ich sage, aber so, wie wir uns bisher den Fremden gezeigt haben, sind wir nicht. Aber sie sehen uns so, müssen uns so sehen, verstehen Sie. Wir müßten ihnen zeigen, daß wir die Entwicklung, die das alles genommen hat, nicht billigen.“ „Das sagt sich so leicht dahin“, sagte Mervan. „Wir stecken beide drin.“ „Es ist viel getan, wenn wir sie auf einiges aufmerksam machen. Sie interessieren sich zum Beispiel sehr für das gegenwärtige Zusammenleben der Menschen. Geben wir ihnen Material. Sie sind sehr intelligent, sie werden sich schon einiges zusammenreimen…“ Mervan überlegte lange. Dann sagte er: „Ich gebe ihnen zunächst Zeitungen, unauffällig, versteht sich, vielleicht auch
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mal…“ Ihr Gespräch wurde durch den Eintritt Withes unterbrochen. „Soeben ist der, der die Pläne gebracht hat…“ „Kark“, warf Helston ein. „… ja, dieser Kark, ist vom Hügel wieder herabgekommen, allein. Die anderen sind oben geblieben – und der eine, ihr Chef, singt ihnen lange Reden vor.“ „Und was macht Neugi hier unten?“ „Er sitzt auf der Bank hinterm Haus und starrt Löcher in die Luft.“ „Wenn sie sich verkracht haben“, sagte Helston leichthin, „ist das für Harries gar nicht schlecht, aber das müssen wir erst mal abwarten. So, Mervan, bereiten Sie sich gut vor. Wie ich Harries kenne, verlangt er einen Bericht.“
Langsam sickerte es durch: Die Nevada Aircraft Corporation kauft überalterte Überschallflugzeuge und Titanschrott en gros. Wenig auffällig, aber stetig kletterten die Werte der Copper and Trace-Metall-Company höher als Zeichen eines neuerlichen Aufblühens des Zweiges. Es begann das Rätselraten: Spekulation? Regierungsaufträge? Die wurden neuerdings teils offiziell, teils inoffiziell abgestimmt, schieden also aus. Was veranlaßte dann die Nevada Aircraft Corporation, solche Mengen titanhaltiger Legierungen zu kaufen? Eine Neuentwicklung ihrer Raketenmotore? Aber für wen, wenn nicht für die Armee? Man verhielt sich vorsichtig, stoppte die Titanabgaben und versuchte die Börsenentwicklung für die eigenen Zwecke auszunutzen. Das alles geschah erst zu einem Zeitpunkt, als sich in den Lagerhallen des Zweigwerkes Texas der Nevada Aircraft die Rumpfverkleidungen der ehemaligen Düsenflugzeuge zu hohen Bergen zu türmen begannen. Und als durch die Hellhörigkeit anderer die Zufuhr nachzulassen begann, als jeder seine
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Vorräte für sich zu behalten trachtete, rieb sich Harries befriedigt die Hände. Zu diesem Zeitpunkt hatte er zum Bau des neuen Raumschiffes bereits, mehr als genügend Material zu verhältnismäßig günstigen Bedingungen zusammengekratzt. Daß der Mantel des Raumschiffes aus einer hochwertigen Titanlegierung hergestellt werden mußte, hatten die Gäste ohne Argwohn bekanntgegeben. Jetzt kam es darauf an, ihre Hilfe bei der Entwicklung der Speziallegierung zu gewinnen. Der Privathubschrauber, in dem Harries saß, setzte zur Landung an. Harries lehnte sich befriedigt zurück. Ein hohes Spiel, dachte er, aber zu gewinnen. Auch für Amerika – und damit für die Menschheit! Sie werden’s schon begreifen. Das erste, was er nach der Landung erfuhr, war, daß die Kosmonauten Forderungen gestellt hatten. Damit hatte er rechnen müssen. Also kein Grund, mit weniger Optimismus in die Zukunft zu sehen. Die Übersetzung steckte noch in der Maschine, als sie Harrries zu Gesicht bekam. Er runzelte ein wenig die Stirn, überlegte kurz und sagte dann zu Mervan: „Wir gehen darauf ein, allerdings werden sie sich noch ein Vierteljahr gedulden müssen, bevor wir ihren Wünschen entgegenkommen. Nun schießen Sie los, Mervan, wie weit sind Sie gekommen? Wann sind die Unterlagen fertig?“ Mervan begann mit seinem Bericht.
Borl hatte das Schreiben Mervan zur Übersetzung gebracht und sich dann mit den Gefährten – bis auf Kark – oben auf dem Hügel getroffen. Ihre Aufmerksamkeit wurde plötzlich durch das Brummen eines Hubschraubers erregt. Sie verfolgten die Landung mit Interesse. Ein Mann stieg aus, der Elektronenprofessor eilte ihm entgegen. „Nanu“, sagte Chalo, „ob da jemand von den führenden Leuten kommt? Vielleicht hatten sie sowieso vor, jetzt mit dem
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offiziellen Teil zu beginnen?“ Er schwieg ein wenig betroffen. „Du meinst, daß man vielleicht das Schreiben falsch auslegen könnte?“ fragte Min. „Wie hätten wir denn reagiert, wenn Menschen auf unserem Planeten gelandet wären? Doch ganz anders als sie hier. Fast könnte einem die Freude, im Weltall auf vernunftbegabte Wesen gestoßen zu sein, vergehen.“ „Um so über sie zu urteilen, Min, kennen wir sie zuwenig.“ „Zugegeben, aber sie tun eigentlich nichts, um sich kennenlernen zu lassen. Ich bin froh, daß die Lastkabine im Urwald verschollen ist. Sonst hätten wir ihnen sicher schon lange das Wesentlichste von unserem Planeten gezeigt – jedenfalls das, was wir mithatten. Und sie tun gar nichts dergleichen. Sie halten uns hin, und deshalb war es gut, daß wir die Initiative ergriffen haben.“ „Mich ärgert nur die Haltung von Kark“, beteiligte sich Mangk am Gespräch. „Er hätte nicht so voreilig sein sollen. Mir gefällt der Eifer, mit dem sie sich an die Übersetzung machen, gar nicht. Ich bin zwar auch froh, daß es vorwärtsgeht, aber sie überstürzen doch sonst nichts.“ „Na, an Tätigkeitsmangel sind wir ja bisher nicht umgekommen“, warf Surki ein. „Intensiver können wir kaum arbeiten.“ „Stimmt schon – es war aber vieles dabei, was für uns jetzt noch nicht notwendig war.“ „Du vergißt, daß sie uns genausowenig kennen wie wir sie, Mangk“, gab Borl zu bedenken. „Ich möchte wissen, wie sie leben“, wechselte Min das Thema. „So wie wir auf keinen Fall“, ging Chalo auf das Gespräch ein. „Primitivismus und Hochkultur hätten bei uns nebeneinander keinen Bestand.“ „Stimmt“, bekräftigte Rilt, „du vergißt nur die Unwegsamkeit weiter Teile des Planeten und – seinen Reichtum! Hier ist es doch durchaus möglich, daß sich irgendwo, zu einem
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Zeitpunkt, als es noch keine modernen Verkehrsmittel gab, in einem abgelegenen Landstrich – sagen wir ruhig im Urwald – eine eigenständige Gemeinschaft entwickelt hat, die, weil sie gute Lebensbedingungen vorfand, selbständig existierte und bis heute existiert. Das könnte übrigens auch die verschiedenen Hautfarben erklären.“ „Dazu die riesigen Ozeane, die die Kontinente trennen, auch das kann zu unterschiedlichen Entwicklungen führen“, bekräftigte Min. „Mich interessiert nur eines: Sind sie bemüht, die Unterschiede auszugleichen, arbeiten sie alle am Fortschritt und helfen die Stärkeren den Schwachen, leben sie friedlich miteinander oder nicht.“ Nachdenklich blickte Chalo zur Stadt hinüber, über der ein dunkelroter Mond aufging, fleckig, verschleiert. „Wir haben doch keinen Grund zum Klagen, Chalo“, sagte Surki leise. „Wißt ihr noch – es ist noch nicht zu lange her –, als neben unserem Schiff der Rote Planet, der Mars, wie sie ihn nennen, hing, so feindlich und so kalt… Und jetzt, wir sind ohne Schaden zusammen, auf einem schönen, wunderschönen Planeten, haben Aussicht, daß wir wieder ein interstellares Schiff bekommen. Wir könnten doch glücklich sein.“ „Es ist richtig, Surki.“ Min wandte nach einer Pause der jungen Freundin das Gesicht zu. „Es hätte schlimmer, viel schlimmer kommen können. Aber sieh, es muß doch weitergehen, und noch sind wir nicht zu Hause. Vielleicht beginnen die Gefahren erst.“ Borl sah zu Min hinüber. Er war so stolz auf sie, auf seine Min, wie er sie tief in Gedanken nannte. Er nahm sich, wie schon so oft, erneut vor, endlich das befreiende und zugleich verbindende Wort zu finden, und er wußte im gleichen Augenblick, daß er es sich wieder nicht zutrauen würde, wenn sich die Gelegenheit bot. Wo sie nur das Uneigennützige, das Dasein für andere, den
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Trost, das rechte Wort für die kleine Surki hernahm? Und ich? Woran denke ich? Ich bin stolz, wenn ich einige Worte der Menschen verstehe. Ich gebe Kark recht, ja, ich kann ihm eine gewisse Bewunderung nicht versagen, daß er sich eine solche Verantwortung aufgeladen hat und bereit ist, die Konsequenzen zu tragen, und auch deshalb, weil er schnell wieder heim möchte, wie ich auch. Borls Gedanken wurden durch näher kommende Schritte unterbrochen. Es kam jemand den Berg herauf. In der Dämmerung erkannten sie den Gehilfen des Elektronenprofessors, der ihnen höflich bedeutete, ihm ins Haus zu folgen. „Ich bin neugierig“, murmelte Mangk, „wer erstens der Gast ist und zweitens, was sie auf unser Schreiben antworten.“ Sie wurden nicht lange auf die Folter gespannt. Sie blinzelten ein wenig, als sie in das helle Licht des Raumes traten. Aus einem Sessel erhob sich der Mann, der mit dem Hubschrauber gelandet war. Er blickte ihnen mit gespannter Aufmerksamkeit entgegen. Der Elektronenprofessor überreichte ihnen einen kleinen Zettel, welcher in wenigen Zeilen Worte der Begrüßung, bereits übersetzt, enthielt. Borl las den Gefährten vor: „Kosmonauten eines fernen Sonnensystems! Obgleich ich auf diese Begegnung vorbereitet wurde, sehen Sie mich ergriffen von dem grandiosen Ereignis Ihres Besuches vor Ihnen stehen. Und so wie mir wird es gewiß jedem einzelnen Menschen ergehen, wenn er Ihnen gegenübertritt. Ich danke Ihnen dafür, daß es Ihnen so schnell gelungen ist, eine so gut funktionierende Verständigungsmöglichkeit zu finden. Im übrigen darf ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbieten, um Ihre Wünsche, die Sie zweifellos haben werden, zu erfüllen. In diesem Zusammenhang wollte ich Sie bitten, daß Sie mit uns gemeinsam ein Programm zum Kennenlernen der Erde festlegen. Erfreulicherweise haben Sie sich gut eingelebt, und ich meine, daß wir Sie nun mit der gesamten
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Menschheit bekannt machen sollten.“ Chalo fand nicht gleich Worte der Erwiderung, als Borl das Schreiben verlesen hatte. Er dachte an die Forderungen, die sie vor wenigen Stunden niedergeschrieben hatten. Daher empfand er die Begrüßung etwas befremdend: Der Neuankömmling hatte keine Silbe über seine Person, über seine Funktion verlauten lassen. Was war er, was hatte er auf dem Planeten für eine Macht, daß er seine Hilfe anbieten konnte? Chalo wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er die Blicke der Gefährten gewahrte, die ihn stumm aufforderten, die Begrüßung zu erwidern. Er dankte für ihre Rettung aus dem Urwald, für die schnelle Beschaffung der elektronischen Geräte und die große Hilfe bei der Programmierung der wichtigsten Wörter der beiden Sprachen. Er ließ anklingen, daß auch sie, die Kosmonauten, der Meinung wären, sich gut eingelebt zu haben, und daß sie nun doch, um den Ihren daheim berichten zu können, gern ein wenig mehr von dem Planeten gesehen hätten. Gleichzeitig wolle er schon jetzt die Einladung aussprechen, daß sie eine Gruppe der Menschen auf dem Rückflug begleiten solle, um den Bewohnern ihres Planeten die Freude eines Gegenbesuches zu machen. Allerdings sei es dazu nötig, daß sie mit Hilfe der Menschen, deren technisches Können sie bewunderten, eine interstellare Verbindung herstellten und ein flugfähiges Raumschiff bauten, das sie zum Zweiten Planeten des Proxima Centauri brächte. Chalo hatte langsam gesprochen, so daß Borl die Worte sofort niederschreiben konnte. Fast gleichzeitig schrieb, übertragen durch den Analoggeber, eine zweite Maschine den Text in die Sprache der Menschen. Noch während Chalo redete, lud der Mann, der die Ansprache gehalten hatte, zum Sitzen ein. Plötzlich war auch Kark wieder anwesend. Er war während der Begrüßung unbemerkt eingetreten und benahm sich so, als hätte es keine Auseinan-
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dersetzung gegeben. Er war gegenüber seiner sonstigen Beredsamkeit vielleicht ein wenig einsilbiger. Die anderen gingen auf sein Verhalten ein, weil es unabgesprochen jedem klüger erschien, ihre Meinungsverschiedenheiten den Menschen nicht zu zeigen. Das Essen verlief still. Danach setzte sich der Helfer des Elektronenprofessors an die Maschine und schrieb die Ansprache des Neuangekommenen direkt in die Maschine. Darin wurde vorgeschlagen, ein Programm verschiedener Exkursionen auszuarbeiten und danach den Planeten zu bereisen. Vorher könne jedoch untersucht werden, wie wohl der Bau des Raumschiffes vor sich gehen solle. Er könne noch einmal seine Hilfe anbieten, da er von einem einschlägigen Industriebetrieb beauftragt sei, wenn Einverständnis vorliege, den Bau des Raumschiffes zu übernehmen. Er schlug vor, daß alle Einzelheiten mit den Kosmonauten zweckmäßigerweise vor Beginn deren Reise genau abgesprochen würden; denn sobald sie einmal im Brennpunkt der Öffentlichkeit stünden, wäre eine solche Arbeit erschwert. Voraussetzung sei natürlich, daß die Baupläne, die bereits in der Übersetzung wären, so schnell als möglich fertig würden. Danach wäre es gut, wenn die Kosmonauten den Menschen in ihren Werkstätten eine Anleitung gäben, bevor sie ihrem Forschungsprogramm nachgingen. Unterdessen würde der Bau ihres Raumschiffes von den Menschen weitergeführt werden. Die Kosmonauten waren einigermaßen erstaunt, als sie so aus dem Stegreif ein beinahe fix und fertiges Arbeitsprogramm, das ihren Wünschen zu entsprechen schien, vernahmen. Sie berieten leise, ohne zunächst den Automaten zu beanspruchen, Borl verzieh im stillen Kark seine Disziplinwidrigkeit. Kark selbst tat, als ginge ihn das Ganze nichts an. Min, die ihn beobachtete, meinte dennoch zu bemerken, daß er den Ausführungen sehr aufmerksam folgte. Chalo beschloß für sich, weiter vorsichtig zu sein, im Au-
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genblick jedoch auf die Vorschläge einzugehen. Da die Pläne nicht zurückgefordert werden konnten, war es immer noch besser, den Bau des Schiffes sofort zu beginnen. Daß dadurch der Kontakt mit der Menschheit noch um einiges verzögert wurde, fiel nunmehr kaum noch ins Gewicht. Es war die Meinung aller, als er schließlich als Resultat der kurzen Beratung sagte: „Wir danken sehr für das überaus freundliche Angebot. Wir sind einverstanden und bitten, uns so schnell als möglich die Gelegenheit zu geben, den Bau des Schiffes zu beginnen.“
18 „Etwas langsamer!“ Doktor Sudiman unterstrich die Weisung mit einer unbestimmten, nach hinten ausgeführten Armbewegung, die um so merkwürdiger aussah, als er langgestreckt auf dem Boden lag und so den Eindruck eines unbeholfenen Schwimmers machte. Der Pilot drosselte die Geschwindigkeit. „Hallo, Kamienski und José, kommen Sie einmal her. Ich glaube, da ist wieder so ein Dorf.“ Die Gerufenen krochen nach vorn, beugten sich über Sudiman und blickten in die angegebene Richtung. In der flimmernden Luft war eine dunkle, senkrecht aufsteigende dünne Rauchsäule zu sehen. „Ich denke auch, daß es ein Dorf ist“, bekräftigte Kamienski. „Gut, fliegen wir hin!“ Und zum Piloten gewandt, fuhr Sudiman fort: „Wie immer. Sie wissen ja Bescheid.“ „In Ordnung“, sagte der, einen Kaugummi im Mund wälzend.
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Der leichte Helikoplan machte einen Bogen. „Hallo, wunderbar!“ rief plötzlich der Pilot. „Auf dem Fluß können wir landen. Sicher liegt das Dorf daran.“ Sudiman hatte ein kleines Heft auf den Knien und trug ein: Gruppe Sudiman am 21. Februar. Erneut eine Indiosiedlung. Wir wassern, Gespräche führt Sudiman, Dolmetscher ist José. Nach der Eintragung drehte er am Funkgerät: „Hallo, hier Libelle, hier Libelle, ich rufe Stützpunkt. Stützpunkt bitte kommen.“ „Hier Stützpunkt, wir hören“, quäkte es nach einer kurzen Pause aus dem Lautsprecher. Sudiman sprach weiter: „Wir fliegen jetzt noch ein Indiodorf an. Ich schätze, es wird etwa eine Stunde dauern, danach kehren wir auf dem kürzesten Weg zurück. Hier unsere Koordinaten.“ Er verlas die vom Piloten auf einem Zettel vermerkten Werte und beendete das Gespräch. Mittlerweile schwebte der Helikoplan bereits über dem Wasserlauf. Als das Flugzeug gewassert hatte, stellte der Pilot die Motoren ab. Eine tiefe Stille stürzte auf die vier Männer zu, unwirklich nach der langen Zeit des Fluges. Nur ganz allmählich nahmen sie die tausendfältigen Urwaldstimmen wahr. Sie kletterten auf die Schwimmer. Der Flugapparat war oberhalb des Dorfes zu Wasser gegangen und trieb nun langsam flußab. Nach einer leichten Flußkrümmung sahen sie eine Gruppe von etwa dreißig Indios am Ufer stehen. Sie blickten neugierig dem herantreibenden Helikoplan entgegen. „Es spricht sich offenbar herum, daß wir die Gegend hier absuchen“, bemerkte Sudiman. „Ist es der gleiche Stamm?“ fragte Kamienski José. „Si, gleicher Stamm, aber weit weg von den anderen, sie sehen sich kaum.“ Der Pilot warf den Anker so geschickt, daß das Flugzeug von der Strömung ans Ufer getrieben wurde.
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Sudiman und José sprangen an Land. Etwas scheu, aber nicht ängstlich standen die Indios, alles, was Beine hatte, junge, alte, Kinder und Greise, und sahen erwartungsvoll auf die Ankömmlinge. Sudiman ließ sich den Koffer mit Geschenken reichen. „José, sagen Sie ihnen, was wir wollen.“ Etwa zehn Meter vor den Indios blieben sie stehen, und José begann den Grund des Besuches zu erläutern. Da Sudiman wußte, daß das Gespräch mit den Indios unter Umständen lange dauern konnte, sah er sich die Umgebung etwas genauer an. Vom Dorf selbst war nichts zu sehen. Kurz hinter der Gruppe ragte eine kleine Landzunge in den Fluß, die höher lag als der übrige Grund. Ein riesiger umgestürzter Baum verband das Ufer mit der Spitze der Landzunge und trennte ein dreieckiges Bassin vom Fluß ab. Dort schien auch die Badestelle der Indios zu sein. Zahlreiche Abdrücke nackter Füße deuteten darauf hin. Nicht schlecht, dachte Sudiman, so haben sie ein geschütztes Badebecken. Die Unterhaltung schien sich diesmal schneller abzuwickeln. Offenbar hatten die Indios von ihren Nachbarn ausreichende Informationen über die Besucher erhalten, so daß sie weniger mißtrauisch waren als jene. José übersetzte: „Drei Familien der Auca wohnen kurze Zeit hier an diesem Fluß, wahrscheinlich zwei Monate. Ihnen hat die Bucht gefallen, und da in ihrer alten Siedlung der Maniok nicht mehr recht gedeihen wollte, sind sie kurzentschlossen hierhergezogen. Sie haben weder hier noch in ihrem früheren Dorf Himmelssteine gesehen, nichts ist herabgefallen, es war ein sehr ruhiges Jahr. Auch der Fluß war nicht so überschwemmt, und Fische und Maniok gibt es sehr viel.“ „Gut, sagen Sie ihnen, daß wir uns freuen, daß es ihnen gut geht, und bitten Sie den Kaziken, von uns einige kleine Gastgeschenke entgegenzunehmen.“ Schon fast mechanisch
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sprach Sudiman diese Worte. Er fühlte sich matt und abgespannt. Schon das fünfte Mal in elf Tagen wiederholte sich der gleiche Vorgang. Sudiman hatte stark unter einer Polleninfektion zu leiden, dazu gesellte sich die Niedergeschlagenheit, die das bisher erfolglose Unternehmen in ihm erzeugte. Vierzehn Tage waren für die Suchaktion beschlossen worden, es blieben also nur noch drei. Das konnten noch zwei Indiodörfer sein, die sie im Mato entdeckten. Und immer wieder dieselbe Auskunft: Nichts gesehen, nichts gehört. Zum wiederholten Male stellte er sich die Frage, ob es nicht die rechte Stelle war, an der sie suchten. Aber aus sämtlichen Beobachtungen ergab sich hier in dieser Gegend der Schnittpunkt. Sie suchten schließlich in einem Gebiet von dreihundert mal dreihundert Kilometern. „Señor Sudiman“, meldete sich José, „der Häuptling bittet uns, ihn in seinem Haus aufzusuchen.“ „Na schön, aber sagen Sie ihm, daß wir gerade vom Essen kommen, damit er uns nichts anbietet. – Ich denke, daß wir in einer halben Stunde wieder da sind“, wandte sich Sudiman an Kamienski, der auf den Schwimmern des Helikoplans stand. „Ist gut, ich warte hier.“ Langsam folgten sie den Indios durch den Wald. Zunächst schlängelte sich der Pfad um Büsche und andere Hindernisse, um dann in einen fast schnurgeraden, niedrigen Aushieb auf das Dorf zuzuführen. „Donnerwetter“, sagte Sudiman zu José. „Die Indios müssen sich ganz schön geplagt haben. Es ist doch sonst nicht üblich, solche Gassen durch den Urwald zu schlagen. Aber warum so niedrig?“ José zuckte mit den Achseln, offenbar wußte er auf diese Bemerkung nichts zu erwidern. Das Dorf unterschied sich in nichts von den anderen bereits aufgesuchten, zumal es der gleiche Stamm mit den gleichen Eigentümlichkeiten war. In der geräumigen Hütte des Kaziken wurden einige Höflichkeiten ausgetauscht, danach verteilte
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Sudiman die Geschenke, bedacht, die richtige Rangordnung einzuhalten. Die Augen des Kaziken leuchteten besonders auf, als aus dem Koffer drei große Buschmesser herausblitzten. Nur mit wenig verhaltener Freude griff er danach, prüfte die Schärfe und schwang eines wägend über den Kopf. José machte dem Kaziken wenig später klar, daß sie nun gehen müßten, daß der große Vogel, der sie herbrachte, wieder in die Lüfte steigen müsse. Darauf hielt der Häuptling noch eine Ansprache, in die die Herumstehenden ab und an zustimmend mit einfielen. José übersetzte: „… bedankt sich und das ganze Dorf. Die Geschenke, vor allem die Messer, werden helfen, daß es den Kindern der Auca künftig noch besser gehen wird. So viele und so schöne Messer hätten sie noch nie gesehen.“ „Na, nun schwindelt er aber“, unterbrach Sudiman den Dolmetscher. „Fragen Sie ihn einmal, womit sie die Gasse zum Fluß gehauen haben.“ Sofort ärgerte sich Sudiman, daß er diese Frage gestellt hatte. Sie würde wieder eine umständliche Diskussion und Fragerei nach sich ziehen und die Sache verlängern. Er zupfte sein Hemd, das schweißnaß am Körper klebte, und resignierte, als er merkte, daß das Palaver bereits in vollem Gange war. Ein Sohn des Häuptlings lief weg und kam bald darauf mit einer Art Stammvater aller Buschmesser wieder: Die Spitze abgebrochen, schartig, eingefressene Schwärze, splittriges Heft. – Aufgeregt hielt der Häuptling es José unter die Nase, immer wieder laute Beteuerungen ausstoßend. José wandte sich an Sudiman: „Sie behaupten, daß das ihr einziges Buschmesser sei, das hätte ihnen vor Jahren, da war es noch besser, ein Nußsammler geschenkt, der wegen eines schlimmen Geschwürs einige Tage in der Siedlung gewesen war. Und ein anderes Messer hätten sie noch nie gehabt.“ „Und wie haben sie den Tunnel geschlagen? – Mit dem
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Veteranen doch wohl nicht?“ Wieder setzte laute Unterhaltung ein, schließlich dolmetschte José: „Der Tunnel war schon da, als sie hierherzogen. Sie brauchen ihn bloß frei zu halten, und das machen sie mit den Händen.“ „Er war schon da?“ Ungläubig, aufmerksam fragte Sudiman zurück. Die Indios bestätigten aufgeregt die erneute Frage Josés. „Merkwürdig. – Aber wir wollen nun endlich gehen.“ Sie verabschiedeten sich. Die Indios ließen es sich nicht nehmen, sie an den Fluß zu begleiten. Sie traten wieder in den Tunnel ein. Es war kein eigentlicher Tunnel, vielmehr ein gehauener Pfad, der nur um große Bäume einen Bogen machte, sonst aber geradlinig verlief. Die Sohle wurde von einer Vielzahl zum größten Teil vermoderter Äste und Stämme gebildet, die bis zu Armesstärke betrugen. Obenauf lagen verhältnismäßig frische, dünne Zweige, offenbar das Nachwachsende, das von den Indios abgerissen wurde. Deutlich waren an den Wänden des Tunnels die Schnittstellen zu sehen, an denen die Äste abgetrennt worden waren. „Nanu, was ist denn das?“ wunderte sich Sudiman. „José, Sie waren doch viel im Urwald. Wie wird die Schnittstelle eines Astes, wenn sie alt ist?“ „Sie wird trocken, wie soll sie sonst werden, manchmal sprießen daraus auch neue Zweige hervor.“ „Ja, schon, aber das meine ich nicht, ich meine, wie färbt sie sich?“ „Wie soll sie sich färben? – Sie bleibt wie das Holz – mal gelb, mal grau – manchmal auch dunkel, je nachdem, was es für Holz ist.“ „Und wie ist es hier? – Schauen Sie sich doch um! – Was hat es hier für eine Farbe?“ „Es ist alles schwarz…“ Fragend blickte José Sudiman an.
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Sudiman hatte alle Müdigkeit vergessen. Er wühlte einen Zweig vom Boden auf. Auch er hatte schwarze Schnittflächen. „Vielleicht ist es eine schwarze Holzsorte“, sagte José. Wortlos hieb Sudiman einen Ast, der vorn bereits eine schwarze Schnittstelle hatte, herunter. Fast weiß zeigte sich das Holz. „Und hier“, sagte er, indem er Blätter abriß, „alles andere Sorten… Es muß am Abschneiden liegen.“ Er hieb noch weitere Äste ab und klemmte die Stummel unter den Arm, von den nachfolgenden Indios verständnislos betrachtet. „Kommen Sie zum Fluß, José, das müssen wir dort im Hellen näher untersuchen.“ Kamienski, der auf einem Schwimmer des Helikoplans gesessen hatte, stand auf und half den Ankommenden beim Besteigen des schwankenden Flugapparates. Der Pilot lachte aus der offenen Kanzel heraus und fragte: „Hallo, Doktor, glauben Sie, daß unser Stützpunkt verschüttgegangen ist?“ „Weshalb?“ fragte Sudiman zurück. „Weil Sie den Arm voll Feuerholz mitbringen – aber grünes, wie ich sehe.“ „Warten Sie ab, was das für Holz ist.“ Er wandte sich den Indios zu, winkte und sprang auf das Flugzeug, bemüht, seine Last nicht zu verlieren. „Noch nicht starten“, sagte er zum Piloten, der Anstalten traf, den Motor anzuwerfen. „Wir lassen uns noch ein wenig flußab treiben.“ Er winkte nach draußen. Die Indios liefen am Ufer noch ein Stück mit, bis die hervortretende Landzunge ihnen den Weg versperrte. Sudiman hatte unterdessen ein scharfes Messer hervorgeholt und machte sich an den Schnittflächen des mitgebrachten Holzes zu schaffen. „He, machen Sie hier nicht solchen Schmutz“, maulte der Pilot. Achtlos warf Sudiman das Abgekratzte auf den Boden.
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Die Schnittflächen, tiefschwarz zunächst, ließen sich leicht abschaben, danach wurde das Holz härter, nahm eine dunkelbraune Farbe an, um dann schließlich wieder ins Helle überzugehen. Die obere, tiefschwarze Schicht ließ keinen Zweifel: Das Holz war verkohlt, genauso, als wenn ein schwelender Ast plötzlich gelöscht wird. „Angebranntes Holz sieht anders aus“, bemerkte Kamienski nachdenklich. Er hatte weitere Äste aufgenommen und untersucht. „Wenn Holz normal abbrennt, wird es niemals so glatt am verkohlten Ende sein wie das hier – bitte, sehen Sie selbst. Alles wie abgeschnitten, aber doch gebrannt. Merkwürdig.“ „Tatsächlich“, murmelte Sudiman, „ganz glatt. Auch die Zweige, die ich aufgelesen habe – hier, die halbverfaulten. Sehen Sie nur, dieser ganz schräge Schnitt – auch angekohlt, aber ganz glatt. So kann ein normales Feuer wirklich nicht… Es muß ein scharfes, heißes Feuer gewesen sein. – So ein Quatsch“, fiel er sich selber ins Wort, „was soll denn das für ein Feuer gewesen sein?“ „Wir fliegen zurück“, sagte er dann kurzentschlossen. Und an den Piloten gewandt: „Nehmen Sie Verbindung mit Berqué im Stützpunkt auf. Auch der andere Helikoplan soll sich dorthin begeben. Mal schauen, was die Gefährten für eine Meinung haben.“ Schmerzhaft empfanden alle das Aufdonnern des Rotors, der die Kabine aus dem Wasser riß, sie hochhob und schwankend in Richtung West davonschleppte.
Sie saßen vor dem großen Zelt, unterhielten ein mächtig qualmendes Feuer gegen die Stechfliegen und betrachteten zum wiederholten Male den merkwürdigen Fund. Sie waren sich nicht schlüssig, was davon zu halten war, und
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keiner schien den Anfang machen zu wollen, etwas zu sagen, weil er befürchtete, daß es nur etwas Einfältiges sein könnte. Schließlich brach Professor Drughster das Schweigen. „Ich stimme mit Herrn Sudiman überein. Das haben keine Indios gemacht. Die sind froh, wenn nichts ihre Anwesenheit verrät. Demzufolge brennen sie auch keine Gassen in den Wald. Bleiben die Weißen, die Buschläufer. Ganz abgesehen davon, daß sie sehr rar geworden sind, bezweifle ich ernsthaft, daß sie sich mit so etwas aufhalten würden – es sei denn, sie haben etwas außerordentlich Wertvolles entdeckt und wollten dessen Transport zum Wasser bequem und schnell vollziehen – ja, das wäre eine Möglichkeit…“ Die Männer in der Runde machten bedenkliche Gesichter. Plogontschik ging auf die Worte des Professors ein. Er fragte: „Und wie sollen die Buschläufer das gemacht haben? Der Urwald brennt nicht. Alle unsere Brennmittel machen keinen solchen Schnitt, höchstens ein – ein Plasmabrenner. Aber das halte ich für absurd, daß jemand mit dem umfangreichen technischen Gerümpel, das dazu gehört, hier im Urwald herumrennt.“ „Und denken Sie an die Reichweite! – Ich habe Äste gesehen, die in beträchtlicher Höhe abgeschnitten waren. Da würde ein Plasmabrenner der heutigen Konstruktion ohne Hilfsmittel wie Leitern und so weiter versagen“, ergänzte Sudiman. „Übrigens, Doktor Sudiman, wie lange brauchen Sie noch für die restlichen Streifen Ihres Gebietes?“ fragte Plogontschik. Sudiman blickte etwas verwundert auf, antwortete dann jedoch bereitwillig: „Wir haben noch drei Trassen, das macht drei Tage. Heute haben wir das fünfte Indiodorf. Wenn keine weiteren dazukommen, bleibt’s bei den drei Tagen. Warum fragen Sie?“ „Nun, wir fliegen morgen die letzte Trasse. Das heißt, daß wir zwei Tage Vorsprung haben und, wenn keine außerordent-
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lichen Zwischenfälle eintreten, auch behalten. Ich bitte deshalb um den Beschluß, daß eine Gruppe in den Urwald eindringt, um diesen Tunnel ein Stück zu verfolgen.“ „Aber ich bitte Sie“, protestierte Sudiman, „das hat doch mit unserer Aufgabe nichts zu tun und außerdem…“ Sudiman brach plötzlich ab und sprang auf. „Wer sagt denn, ob es nicht doch etwas damit zu tun hat?“ rief er. „Genau das meine ich auch“, bekräftigte Plogontschik, und Drughster sagte lächelnd: „Setzen wir, was ich zwar immer noch nicht glaube, eine künstliche Entstehung der Erscheinung voraus, so wäre es doch möglich, daß jemand den Ort der Landung aufsuchte. Und dazu brauchte er Zugang zum Urwald und schuf sich diesen Tunnel mit einer Technik, die wir nicht kennen.“ „Nun müßten noch Spuren gefunden werden“, warf Kamienski ein. „Und wenn nun, Professor“, fragte Plogontschik, „tatsächlich ein natürlicher Meteor gefallen ist? Wie erklären Sie dann den Tunnel?“ „Dann hat irgendwer die Sache beobachtet – jawohl“, bekräftigte er sich selbst, „und er hat auf diese Weise die Stelle des Absturzes gesucht – irgendein verrückter wohlhabender Privatforscher…“ „Na, na, Professor, schießen Sie jetzt nicht ein wenig über das Ziel hinaus?“ fragte Berqué. Der Professor lächelte. „Gut, bilden wir eine Expeditionsgruppe, die den Tunnel untersucht“, ordnete Doktor Sudiman an. „Ich schlage die Kollegen Drughster und Kamienski vor. Sie, Plogontschik, können die Leitung übernehmen. Sie nehmen Eduardo als Dolmetscher mit. Ich komme mit José beim Streifenfliegen allein aus. Berqué bleibt weiterhin im Stützpunkt, ebenfalls der zweite Helikoplan. Sie brechen morgen früh auf. Zu den festgelegten Zeiten geben Sie Funkbericht an den Stützpunkt.“
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Kurz nach Sonnenaufgang erhob sich einer der Helikoplane vom provisorischen Stützpunkt auf der Insel im Fluß, nahm Kurs Nord, den Flußlauf entlang, und war in einer halben Stunde über der Indiosiedlung, in deren Nähe der Tunnel mündete. Kaum standen die Flügel, als verschlafen einige der Indios am Ufer erschienen, angelockt vom Lärm des Flugzeuges. – Die Gruppe stieg aus und entlud die Gepäckstücke. Eduardo machte dem Häuptling klar, daß sie nicht im Dorf bleiben wollten – worüber dieser übrigens sichtlich erleichtert schien –, sondern daß sie von hier aus in den Wald wollten. Nachdem noch einige Buschmesser und Angelgeräte die Besitzer gewechselt hatten, machte sich die Gruppe auf den Weg. Kamienski war ein Stück zurückgeblieben, er musterte den Uferstreifen, ob vielleicht der Tunnel hier irgendwo mündete. Plötzlich blieb er überrascht stehen. „Hallo, kommt zurück, zurück“, rief er der Gruppe nach. „Hier“, Kamienski wies auf den Baum, der das Badebassin der Indios vom Fluß abgrenzte. Auch dieser Baum war nicht etwa umgebrochen, sondern glatt abgebrannt. Professor Drughster war am stärksten beeindruckt: „Meine Güte“, sagte er, „dieser Brenner muß ja eine gewaltige Durchschlagskraft haben!“ „Und eine riesige Energiequelle“, ergänzte Plogontschik. „Messen Sie mal den Baum, Eduardo“, wies der Professor an. „Ein Meter zwanzig, Señor.“ Drughster nickte nur. Auch er sah sich weiter um, aber es waren keine anderen Spuren sichtbar. „Gehen wir“, sagte er, schulterte seinen Rucksack und verschwand auf dem Indiopfad. Die anderen holten ihn an der Stelle ein, wo der Tunnel begann. Der Mato hatte sich um sie geschlossen. Sie mar-
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schierten gebückt, aber ziemlich schnell. Der Tunnel, einmal gut erkennbar, einmal nur spärlich angedeutet, je nachdem, wie das Unterholz beschaffen war, wies ihnen den Weg. In der Nähe der Siedlung noch ein wenig frei gehalten, war in größerer Entfernung bereits wieder Verwuchs vorhanden. Die neugetriebenen Äste und Lianen waren jedoch noch so zart, daß sie mühelos zur Seite gedrückt oder abgeschlagen werden konnten. Die schützende grüne Hand des Mato konnte die Wunde, die ihm ein unbekanntes scharfes Feuer schlug, noch nicht ganz bedecken. Der Tunnel führte fast genau ostwärts. Sie kamen schnell voran, gegenüber normaler Urwaldwanderung um mindestens das Zweieinhalbfache, obwohl der Tunnel kaum anderthalb Meter hoch war. Der Gruppe hatte sich eine merkwürdige Verbissenheit bemächtigt. Je länger und damit gleichförmiger der Marsch wurde, um so mehr schien sich das Tempo zu steigern. Fast wortlos, manchmal strauchelnd, schwitzend zogen sie im Gänsemarsch durch den Tunnel. Sie drängten vorwärts, einem Ungewissen oder keinem Ziel entgegen. Sie wußten es nicht. Es war wie ein Fieber, das sie gepackt hatte nach dem langen, ergebnislosen Suchen. Wer den immer gleichbleibenden Tunnel auch geschlagen haben mochte, auf keinen Fall konnte er, bei noch so hochentwickelter Brenntechnik, so schnell vorangekommen sein wie die Forschergruppe. Am Nachmittag, etwa eine Stunde nach dem schnell zubereiteten Mittagessen, machte Kamienski eine so naheliegende Entdeckung, daß sich die anderen beinahe vor den Kopf geschlagen hätten. Er fragte Eduardo, um wie vieles die einzelnen Pflanzen pro Zeiteinheit im Durchschnitt wachsen. Und Eduardo nannte eine Zahl, die die Männer in einige Aufregung versetzte: Ein Vergleich der Länge der Schößlinge an den abgebrannten Ästen und ein Zurückrechnen ergab, daß die Äste etwa zu dem
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Zeitpunkt abgeschnitten wurden, zu dem von neun Beobachtungsstationen der seltsame Meteorfall beobachtet worden war.
Am späten Vormittag des zweiten Tages, sie zogen schwitzend und schweigend durch den Mato, rief aufgeregt Plogontschik, der hinter dem Professor und Kamienski ging: „Hallo, warten Sie mal!“ Die Angerufenen blieben stehen. Kamienski warf seinen Rucksack ab. Sie sahen erwartungsvoll auf Plogontschik, der ein graues, schrumpliges, an ein Wespennest erinnerndes Etwas in der Hand hielt und es erregt schwenkte. Bei den Wartenden angekommen, versuchte er es zu glätten, was nur schwer gelang. Es war eine ziemlich mitgenommene, von der Witterung, den Insekten und den Humussäuren stark angegriffene Fotografie. Plogontschik versuchte die teilweise abgelöste, in winzigen Röllchen zusammengetrudelte Fotoschicht wieder auszubreiten. Das Foto zeigte zwei Männer, die mit dem Rücken zur Kamera aufgenommen worden waren. Sie standen vor einem Lager und reichten einem dritten, dessen Gesicht nicht zu erkennen war, weil gerade dort ein Stück der Schicht fehlte, eine Schale. „Was hat das zu bedeuten?“ „Nun, zumindest das, daß diejenigen, die vor uns hier waren und die wahrscheinlich diesen Tunnel anlegten, das Foto verloren haben. Zeitlich müßte es ungefähr stimmen. Viel älter oder jünger als der Tunnel ist es bestimmt nicht, Professor“, sagte Plogontschik. „Moment, bitte schön“, Kamienski nahm Plogontschik das Foto aus der Hand. „Der Anzug von dem auf dem Bett ist eine Kombination. Die Kleidung der anderen ist normal. Und hier in der Ecke – schade, gerade das ist nicht deutlich – ist ein Helm oder so etwas. Na bitte, gucken Sie, alle.“ Sie beugten sich über das Papier. Kamienski hatte recht. An
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einer leichten Wand aus aneinandergereihten Stäben lagen mehrere Gegenstände, von denen einer bei einiger Phantasie und wenn die fehlenden Stücke der Schicht ergänzt wurden, als eine Art Schutzhelm, wie sie Taucher oder Kosmonauten tragen, identifiziert werden konnte. „Das ist ja…“, sagte Professor Drughster. Daraufhin wandte er sich spontan an Plogontschik. „Bis jetzt, Herr Kollege, habe ich Sie im stillen für einen Phantasten gehalten – wegen Ihres Vortrages unlängst. Nehmen Sie mir meine Skepsis nicht übel. Außerdem bin ich Amerikaner und Ihre Rede enthielt – na ja, lassen wir das. Nunmehr bin ich überzeugt: Hier liegt ein solches Experiment vor, wie Sie sagten.“ „Die Sache ist auch jetzt verhältnismäßig einfach“, sagte Plogontschik nach einer Verlegenheitspause. „Die Kosmonauten beziehungsweise die Raumkapseln, die hier nach dem Experiment landeten – ob geplant oder ungeplant, wissen wir nicht…“ „Ich denke, geplant“, warf Kamienski ein. „… hat man einfach wieder herausgeholt und dazu den Tunnel gebraucht“, fuhr Plogontschik fort. „Wenn wir jetzt weitermarschieren – und das schlage ich vor –, dann kommen wir zu dem Landeplatz, der vielleicht auch Schlüsse auf die Nation zuläßt, die das Experiment ausführte.“ „Womit unsere Aufgabe erfüllt wäre“, ergänzte der Professor. „Eduardo, packen Sie das Funkgerät aus“, und an die anderen gewandt, erklärte Plogontschik: „Da wir jetzt wieder im Plan sind, rufen wir über Berqué Sudiman her. Er ist der Leiter und sollte auf alle Fälle dabeisein.“ „Ich schätze“, sagte Kamienski, „es kann nicht mehr allzuweit sein. Denn schließlich werden sie den Tunnel nicht bis zum Atlantik geschlagen haben.“ Nachdem Berqué informiert war, ging es in bester Stimmung im Eiltempo weiter. Es mußte schnellstens eine Lichtung
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gefunden werden, auf der der Helikoplan niedergehen konnte. Eine Stunde später war es soweit. Ein riesiger Baum, vor Jahren gestürzt, hatte eine Lücke in den Urwald gerissen. Das mannhohe Buschwerk war in kurzer Zeit von Eduardo beseitigt. Kamienski legte das Landezeichen aus. Unterdessen bereiteten Plogontschik und Drughster das Mittagessen. Nach einer weiteren halben Stunde zeugte ein aufkommendes Brummen vom Nahen des Helikoplans. Sudiman war schnell eingeweiht. Er entschloß sich, mit Plogontschik, Drughster, Kamienski und Eduardo zu Fuß dem Tunnel weiter nachzugehen. Der Helikoplan sollte auf der Lichtung bleiben und nach Auffinden eines neuen Landeplatzes nach vorn geflogen werden. Auf diese Weise konnten einige Lasten, die sich auf dem Marsch als unbequem erwiesen hatten, abgeladen, gleichzeitig konnte der Rückmarsch erspart werden.
Am Vormittag des dritten Tages gelangten sie erneut auf eine Lichtung. Sie maß fast hundert Meter im Durchmesser. „Hier holen wir unseren Vogel her“, entschied Sudiman. Rasch war die Verbindung mit dem Piloten hergestellt, und wenig später senkte sich der Helikoplan auf die Lichtung. Sie rasteten. Kamienski hatte anscheinend keine Ruhe mehr. Er wanderte auf der Lichtung umher, stocherte in einem großen Ameisenhaufen herum und blickte immer wieder in die Runde. Nach einer Weile kam er zum Rastplatz zurück. „Es werden zwei Tunnel“, sagte er. „Wie das?“ fragte Sudiman. „Einer geradeaus, ein zweiter mehr links.“ „Das möchte ich sehen“, sagte Plogontschik. Er ging in die Richtung, die ihm Kamienski wies. Die anderen schlossen sich ihm an. Auf die Lichtung mündeten hinter Buschwerk und
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Gestrüpp zwei Tunnel in den angegebenen Richtungen. „Ganz einfach“, erklärte Drughster. „Wir sind in der unmittelbaren Nähe des Landeplatzes. Da mehrere Objekte niedergegangen sind, mußten sie auch mehrere zusammenholen.“ „Bloß, wo ist die Hütte?“ fragte Sudiman. „Welche Hütte?“ „Na, die auf dem Foto.“ „Ach so. Ich denke, am Ende eines der nächsten Tunnel.“ „Also suchen wir weiter“, entschied Sudiman. „Plogontschik und Kamienski, Sie nehmen den linken, wir, Professor, mit Eduardo den, der geradeaus führt.“
Plogontschik ging hinter Kamienski. Plötzlich blieb Kamienski stehen. Der Tunnel war auf einmal wie abgeschnitten. Sie suchten den Boden ab, drangen einige Meter in das Dickicht ein. Nichts. Kein Anzeichen, daß hier etwas Schweres von oben durch die Zweige gebrochen war, keine Druckstellen im Boden. Plogontschik gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Er nahm das Handfunkgerät und meldete: „Hallo, Sudiman, hören Sie mich?“ „Hier Sudiman, was gibt es?“ „Der Tunnel ist zu Ende, mitten im Dickicht, keine Spuren, nichts, gar nichts…“ Nach einer Überlegungspause meldete sich Sudiman wieder: „Suchen Sie noch einmal alles ab. Wenn Sie nichts finden, kehren Sie zur Lichtung zurück. Bei uns führt der Tunnel, der soeben einen Knick machte, weiter. Ende.“
Am Spätnachmittag kehrte auch der Trupp Sudiman mit dem gleichen niederschmetternden Ergebnis zurück. Sie fanden keine Erklärung. Mutlos saßen sie auf der Lichtung. Kaum
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einer sprach, sie hingen ihren Gedanken nach. Plötzlich stand Plogontschik auf. „Ich wollte noch einen Versuch machen“, sagte er betont frisch. „Sie gestatten doch“, wandte er sich der Form halber an Dr. Sudiman, der mit einer müden Handbewegung seine Einwilligung gab. „Kommen Sie“, wandte sich Plogontschik an den Piloten, „wir drehen ein paar Runden. – Ah, vielleicht ist es besser, wenn noch jemand mitkommt. Haben Sie Lust, Kollege Kamienski?“ Kamienski zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen: „Was heißt Lust.“ Er kletterte jedoch ohne ein Wort zu verlieren hinter Plogontschik in den Helikoplan. Das Flugzeug stieg auf etwa fünfzig Meter Höhe und begann nach den Weisungen Plogontschiks konzentrische Kreise um die Lichtung zu fliegen. Nach einer halben Stunde horchten die Zurückgebliebenen auf; sie wurden aus ihrer Lethargie gerissen, sprangen auf und lauschten: Schon seit einigen Minuten kam das Geräusch des Helikoplans nur aus einer Richtung, das hieß, er stand irgendwo links von ihrem Standort in der Luft. Das konnte nur bedeuten, daß die Insassen irgend etwas im Mato entdeckt hatten, was ihre Aufmerksamkeit erregte.
Gleich, nachdem sich der Helikoplan von der Lichtung erhoben hatte, nahm Plogontschik den Platz neben dem Piloten ein, während er Kamienski bat, den Urwald durch die Bodenluke zu beobachten. Unter Plogontschik verschmolz der Urwald zu einem unendlichen, grünen Ozean. Seine Gedanken glitten ab, er sah sich im Gebäude der AWF stehen, sah die enttäuschten Gesichter und hörte die stillen Vorwürfe, leichtfertig eine kostspielige Expedition veranlaßt zu haben, nur weil er, „ein junger, ehrgeiziger Russe“, irgendeiner kosmischen Erscheinung auf
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die Spur kommen wollte. Jagte er wirklich einem Phantom nach? Andere Stationen hatten die Erscheinung bestätigt! Plogontschik gab sich gleichsam einen gedanklichen Ruck. Und inzwischen hatten sie auch noch die Tunnel und das gefundene Foto – und dann die Übereinstimmung des Zeitpunktes! David Plogontschik konzentrierte sich. Er versuchte Details in dem unter dem Flugzeug dahinhuschenden Gewirr auszumachen, versuchte sich zu orientieren und stellte fest, daß sie in diesem Augenblick die Stelle überflogen, an der seine Gruppe das Ende des zweiten Tunnels erreicht hatte. Gleichmäßig dröhnte der Rotor, der Pilot setzte zu einem neuen, größeren Kreis an. Plötzlich, fast gleichzeitig, schrien alle drei in der kleinen Kabine auf. Vor ihnen, etwa in der Verlängerung des von Plogontschik erkundeten Tunnels, leuchtete etwas Großes, Weißes auf. Ohne Order verließ der Pilot die Kreisbahn und steuerte mit gedrosseltem Motor auf diesen weißen Fleck zu. Im Näherkommen nahmen sie Formveränderungen an dem weißen Etwas wahr. Gleichzeitig wurde offenbar, daß der Fleck den Wipfel eines Urwaldriesen zur Hälfte einhüllte. Wenig später schwebte der Helikoplan nur einige Meter darüber. Auch ohne Worte wußten sie, was sie unter sich hatten: einen Fallschirm. „Ich steige aus“, sagte Plogontschik in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. Schon an der Luke hielt ihm Kamienski seinen Browning hin mit einer stummen Bitte. Plogontschik zögerte, nahm dann die Waffe, lud sie durch und steckte sie ein. Aufmerksam beobachteten die beiden Zurückgebliebenen den Abstieg an der schwankenden Strickleiter. Bald schloß sich die grüne Decke über Plogontschik. Nach zehn Minuten, die wie eine Ewigkeit anmuteten, merkten sie am Wiedereinsetzen des Schwankens der Leiter, daß er zurückkam. Schon über dem
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Blätterdach gab er Weisung, langsam näher an den im Geäst verfangenen Fallschirm heranzusteuern. Es dauerte mehr als zehn Minuten, bis sie ihn geborgen hatten. Der Fund löste bei den anderen allgemeine Überraschung aus und hob sofort die Stimmung. Aber mehr noch als das Auffinden des Fallschirmes versetzte das Material, aus dem er bestand, die Expeditionsteilnehmer in Erstaunen. Ein unbrennbares, fast absolut widerstandsfähiges, dabei hauchzartes, nie gesehenes Gewebe unbekannter Herkunft. Plogontschik wurde mit Fragen bestürmt, aber er konnte nur immer wieder bestätigen, daß er außer dem Schirm trotz eifrigsten Suchens nichts habe finden können. Weitere Erkundungsflüge konnten sie zunächst nicht unternehmen, da der Helikoplan aufgetankt werden mußte. Sie beschlossen deshalb, zum Stutzpunkt zu fliegen und am nächsten Tag noch einmal zurückzukehren, um das Gelände im Umkreis der Lichtung weiter abzusuchen. Sie kletterten in den Helikoplan, jeder seinen Gedanken über den merkwürdigen Fund nachhängend, und wurden erst auf das Geschehen aufmerksam, als sich der Pilot fragend an Sudiman wandte, offenbar unentschlossen, ob er auf die im Motorenlärm gebrüllten Weisungen Eduardos eingehen solle. „Er behauptet“, versuchte der Pilot durch den Lärm zu erklären, „zwischen dichtem Gebüsch, am Rande der Lichtung etwas aufblitzen gesehen zu haben.“ Die Gefährten sahen sich kurz an und blickten auf Eduardo, der, neben dem Flugzeugführer hockend, so aussah, als müsse die Welt untergehen, wenn der Helikoplan nicht sofort zur Landung ansetzte. Mehr um dem sonst zuverlässigen Eduardo einen Gefallen zu tun, als weil er von einer wirklichen Entdekkung überzeugt war, ließ Sudiman den Helikoplan zurücksteuern. Kaum hatte er aufgesetzt, sprang Eduardo heraus, rannte auf ein Gebüsch zu und zwängte sich aufgeregt hinein. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er laut rufend und wie
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besessen mit den Armen gestikulierend wieder zum Helikoplan zurückgelaufen kam. Nun sprangen die anderen heraus und liefen ihm entgegen. Aus Eduardo kam kein vernünftiges Wort heraus. Er wies nur immer wieder auf das Dickicht und stammelte: „Dort, große Bombe…“ Und dann sahen sie es auch: Ein mattgrau glänzender Behälter lag, zu einem Viertel in den weichen Boden eingedrungen, unter den dichten Zweigen. Mit Buschmessern entfernten sie vorsichtig das Geäst. Die Oberfläche des Gegenstandes war glatt, wie poliert. Eine Legierung oder ein metallischer Anstrich nicht gebräuchlicher Farbe. Der Körper steckte schräg im Boden, der Mantel hatte mehrere Risse. Am spitzen oberen Ende befanden sich Ringe, und in ihnen hingen gekappte Seile. Ein weiterer Fallschirm fand sich nicht. Plogontschik und Kamienski, die beide der Meinung waren, daß es sich auf keinen Fall um einen Sprengkörper handeln konnte, verfuhren nach ihrer Überzeugung: Sie wuchteten den Behälter herum – er mochte vielleicht zweihundert Kilo wiegen – und machten eine neue Feststellung: Auf der Seite, die unten gelegen hatte, befand sich eine gut eingefügte Luke, fest verschlossen, ohne erkennbaren Öffnungsmechanismus, auf der Luke waren Zeichen eingeprägt, angeordnet wie eine Schrift. Plogontschik und Kamienski waren sich sehr bald einig, daß es keine Schriftzeichen einer der Raumfahrtnationen waren. „Ein Code?“ fragte Kamienski. David Plogontschik mußte an die extremen Eigenschaften des Fallschirmstoffs denken und an die seltsam abgebrannten Zweige der Tunnelwände. Und da war auch noch das Foto, das sie gefunden hatten. Plötzlich drehte er sich zu den Gefährten um. Er wies auf den Behälter, brachte jedoch kein Wort hervor. Sudiman räusperte sich. Da schien Plogontschik mit seinen Überlegungen fertig zu sein und sagte mit ungewöhnlichem
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Pathos: „Kollegen, wir sind ausgezogen, um einen Schuldigen zu finden, einen, der hinter dem Rücken der Menschheit eigennützige Versuche macht. Diesen Verdacht werden wir zurücknehmen. Es gibt keinen Schuldigen. Und dennoch haben wir unsere Aufgabe erfüllt! Wir haben das Rätsel um den merkwürdigen Meteor gelöst und wir bringen der Erde, der Menschheit…“, jetzt zitterte die Stimme David Plogontschiks… „eine ungeheure Nachricht aus dem Urwald mit: Die Erde hat Besuch, meine Herren, Besuch aus dem Kosmos!“
19 Sie hatten neue Menschen kennengelernt, wenige, mit neuen Eigenschaften, mit anderen Gesichtern. Sie hatten sich bereits daran gewöhnt, daß sich die Menschen sehr voneinander unterschieden, im Aussehen, im Wuchs und in ihren Reaktionen. Es fiel daher leicht, sie auseinanderzuhalten, sie mit charakteristischen Namen zu kennzeichnen. Erstaunlich empfanden sie, daß sie bisher, außer der einen damals im Urwald, keine Frau wieder getroffen hatten. Gab es so viel weniger als Männer? Oder hatten sie andere Funktionen, so daß sie im öffentlichen Leben nicht weiter in Erscheinung traten? Chalo war noch immer nicht zufrieden. Zwar galt die Abmachung: zuerst das Raumschiff, danach die eigenen Wünsche. Aber außer den wenigen neuen Menschen hatte sich an ihrer Isolation kaum etwas geändert. ihre Wohnung lag in einem riesigen Park, der, von einer hohen bewehrten Mauer umgeben, unmittelbar an das Gelände
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des großen Werkes anschloß. Sie hatten das Haus fast für sich. Im Anbau befand sich das Labor, ihre Arbeitsstätte, dort arbeiteten Kark, Mangk, Chalo und Surki. Der gepflegte Park bot Gelegenheit, sich nach Stunden intensiver Arbeit zu entspannen. Kark schwamm sehr oft in dem glasklaren Wasser des Bassins. Er vermied, gerade in den Stunden der Freizeit, mit den anderen zusammenzukommen. Borl hatte sich einen Sport der Menschen zu eigen gemacht. Er saß, sooft es die Zeit erlaubte, an einem mit Schilf bewachsenen Teich, las dabei und – angelte; manchmal zusammen mit seinem Lehrmeister in diesem Fach, einem älteren Menschen des Hauspersonals, manchmal allein oder in Mins Gesellschaft. Die Fische, die er fing, aßen sie abends mit großem Appetit, nicht ohne Hänseleien, ob des Rückfalls eines modernen Kosmonauten in eine Ernährungsmethode, die die Menschen schon in ihrer Frühzeit betrieben hatten. Nur Rilt fand keine rechte Ruhe. Auf ihren Spaziergängen, meist von Surki begleitet, forschte sie stets nach Neuem, untersuchte alle erreichbaren Pflanzen auf Gift- oder Heilstoffe hin und vervollständigte ihre pharmazeutischen Kenntnisse. Langsam normalisierte sich das Leben der sieben. Sie kamen dazu, wieder regelmäßig Sport zu treiben. Seit dem Muskeltraining während der zeitweiligen Schwerelosigkeit im Raumschiff hatten sie sich nicht mehr sportlich betätigt. Sie erinnerten sich nun der Spiele, denen sie auf dem interstellaren Schiff regelmäßig nachgegangen waren, richteten sich Sportanlagen für ihre Zwecke her und tummelten sich, als wären sie zu Hause. Aber trotz einer gewissen äußeren Zufriedenheit, trotz der Arbeit beim Bau des Raumschiffes und obwohl sie sich viel mit Material über den Planeten Erde beschäftigten, litten sie unter der Abgeschiedenheit. Sie sprachen es kaum aus, aber es war allgegenwärtig. Am meisten hatte anscheinend Kark damit zu schaffen, der, abseits, meist an den Spielen unbeteiligt,
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seinen Gedanken nachhing. Für Min kamen eines Tages riesige Kisten mit Präparaten, Filmen und Büchern über Lebensformen, über die Physiologie von Pflanzen und Tieren, über geologische Formationen und über die erdgeschichtliche Entwicklung. Sie hatten ein umfangreiches Programm zu bewältigen und verbanden dieses mit der Vorbereitung der Exkursionen. Dinge, die ihnen zunächst unverständlich waren, behielten sie sich für eine Untersuchung an Ort und Stelle vor. Und am Abend, nach der Arbeit, gaben in dem gemütlichen Klubraum Rilt und Min ihre am Tage gewonnenen Erkenntnisse über den Planeten Erde, der bei ihnen immer noch ‘Hoffnung’ hieß, den Gefährten weiter. So lernten sie intensiv den Formenreichtum, die Vielgestaltigkeit dieses Planeten kennen, obwohl sie bisher kaum etwas von ihm gesehen hatten. Viele Rätsel aus der Zeit ihres Urwaldaufenthalts fanden ihre Lösung. Nur von dem gegenwärtigen Zusammenleben der Menschen erfuhren sie wenig. Es schien, als seien die Bücher und Filme, die man ihnen gab, so ausgewählt, daß die gesellschaftliche Entwicklung der Menschen fehlte. Einmal brachte Schwarzkopf nach einer Aufforderung von Rilt ein Buch, das die Geschichte der Menschheit bis auf eine Kulturstufe zeigte, die von der gegenwärtigen um einige Jahrzehnte entfernt war. Hieraus erfuhren sie, daß das vernünftige Leben ähnlich dem ihren entstanden war, analog der Entwicklung des Zweiten Planeten des Proxima Centauri, nur sehr viel formenreicher. Einen entscheidenden Umschwung in ihr Leben brachte der Elektronenprofessor. Er hatte Chalo bewogen, obgleich viel technische Arbeit vorhanden war, Borl völlig von der Tätigkeit im Labor zu befreien und ihn für die einzige Sonderaufgabe abzustellen: Er mußte den ganzen Tag nur lesen und übersetzen. Dafür bekam er einen Raum im Labor, der nicht vom Korridor aus betreten werden konnte. Er lag am Ende mehre-
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rer, hintereinanderliegender Räume. Ein plötzlich auftauchender Besuch mußte erst durch die Zimmer, in denen die anderen arbeiteten. Vor neugierigen Blicken von draußen schützte ein dichter, aber lichtdurchlässiger Vorhang vor dem Fenster. Borl brauchte den Übersetzungsautomaten nicht mehr. Wenn er einige Worte nicht verstand, schrieb er sie auf und ließ sie in einem unbeobachteten Augenblick oder zusammen mit einer notwendigen technischen Übersetzung durch die Maschine gehen. Chalo hatte diese Vorsichtsmaßnahme entwickelt, und er konnte auch die Gefährten davon überzeugen, daß sie nicht ungerechtfertigt war, zumal sie keine Folgen – sollte sie unnötig sein – nach sich zog. Und der Elektronenprofessor bestätigte eines Tages, daß sich die Gäste, so hätte man ihm gesagt, nur mit dem Raumschiffbau und der wissenschaftlichen Vorbereitung ihrer Exkursionen befassen und daß sie sich nicht mit dem Kleinkram des täglichen Lebens belasten sollten. Was er selber davon hielt, bewies er sofort: Er kniff ein Auge zu, legte gleichzeitig einen Finger auf die Lippen, zog ein zusammengefaltetes Papier aus seiner Tasche und gab es Borl. Er zeigte auf den Computer und bedeutete durch Zeichen, ihn für die Übersetzung nicht zu verwenden. Als er gegangen war, betrachteten sie neugierig das Geschenk. Borl erläuterte, daß es eine von den Publikationen war, die die Menschen Zeitung nannten und aus denen sie ihre Informationen über das tägliche Geschehen schöpften. Dann verkroch er sich in sein Zimmer und berichtete abends.
„Herein!“ rief Mabel Fresh, als an die Tür ihres kleinen, behaglichen Hotelzimmers geklopft wurde. Sie war gerade dabei, ihren Koffer auszupacken. Helston trat ein. „Hallo, Mabel! Entschuldigen Sie, daß ich
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Sie nicht bei Ihrer Ankunft empfangen habe.“ „Ach, Sie“, sagte Mabel. „Guten Tag. Ich hab gut allein hergefunden.“ „Gefällt Ihnen das Zimmer?“ fragte er. „Ja, sehr gut“, sagte sie und hing einen Bügel mit mehreren Kleidungsstücken in den Schrank. „Gute Reise gehabt?“ „Ich kann nicht klagen“, sagte sie, „ein wenig müde bin ich. Trinken Sie einen Kaffee mit? Er ist schon gefiltert.“ „O ja“, sagte er, „ich habe auch noch nicht gefrühstückt.“ Mabel rückte die zwei kleinen Sessel zum Tisch, ging in den Nebenraum und kam bald darauf mit zwei dampfenden Tassen und etwas Gebäck zurück. Sie kuschelte sich fröstelnd in den Sessel, zog ihren Hausmantel fester um sich und legte beide Hände an die Tasse. „Wie war es in Peru?“ fragte Helston. „Erfolgreich?“ „Ja, sehr“, sagte Mabel. Es entstand eine Pause. Helston rührte in seiner Tasse. „Hören Sie, Helston, haben Sie mich fast tausend Kilometer weit hergeholt, um mich Dinge zu fragen, die Sie vielleicht schon nächste Woche besser und ausführlicher nachlesen können?“ Mabel nahm einen Keks. „Es war vielleicht überhaupt eine Dummheit, hierherzukommen“, fügte sie mehr zu sich selbst hinzu. „Ich habe Sie der – Kosmonauten wegen hergebeten“, sagte Helston rauh. Er räusperte sich. „Was Sie nicht sagen.“ Mabels Mundwinkel verzogen sich spöttisch. „Ich dachte schon, Sie hätten Sehnsucht nach meinen Sommersprossen gehabt.“ „Seien Sie nicht so bissig“, sagte er. „Ich hatte eigentlich die Absicht, Sie zu bitten, mir zu helfen.“ „Ach, und wobei?“ fragte Mabel. „In der Zusammenarbeit mit den Fremden. Aber Sie machen es mir nicht leicht.“
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„Diesmal nicht, darauf können Sie sich verlassen“, sagte Mabel und stellte ihre Tasse so hart, daß sie klirrte, auf den Tisch. „Ich hatte in der Inkastadt trotz der vielen Arbeit genügend Zeit, um nachzudenken.“ „Also machen Sie nicht mit?“ fragte er, durch ihre Heftigkeit irritiert. „Warum sind Sie dann hergekommen?“ „Ja, warum?“ wiederholte sie. „Weil ich bei Professor Sunday im Institut nichts gegen…“ Sie wollte sagen „Sie“, unterdrückte es aber und fuhr fort: „… gegen Ihre Leute und nichts für die Fremden ausrichten kann. Ob es hier möglich ist, weiß ich nicht. So, nun kennen Sie auch gleich meinen Standpunkt. – Sind die Fremden hier?“ setzte sie leise hinzu. „Ja“, sagte er. „Drüben in Harries’ Villa.“ Unvermittelt fragte er: „Sie halten wohl nicht viel von mir, wie?“ Mabel fühlte sich überrumpelt. Sie senkte die Augen und schwieg. Helston, die Hände in den Hosentaschen, im Sessel mehr liegend als sitzend, starrte zur Decke. Und plötzlich begann er zu sprechen, leise, fließend, so, als spräche er Belangloses, als spräche er nicht von sich, sondern von einem nicht anwesenden Dritten. „Ja, und damit haben Sie sicher recht, Mabel. Aber es geht mir jetzt nicht um mich und um den Eindruck, den Sie von mir haben. Ich wollte damals schon, als wir den ersten fanden, tatsächlich das, was ich sagte: daß sie sich einleben, in Ruhe. Sie brauchten Ruhe. Ich wollte sie nicht erschrecken mit Presse, Funk und Fernsehen, die sich unerbittlich auf sie gestürzt hätten. Vielleicht hatte ich auch damals die Absicht – sicher sogar –, ihren technischen Vorsprung ein wenig zum Aufmöbeln unseres Prestiges auszunutzen, wenn es sich so ergeben hätte. Möglicherweise war es auch ein Tauziehen mit Sunday, denn durch das Einschalten ‘meiner Leute’, wie Sie zu sagen pflegen, konnte ich hoffen, die Sensation mehr mit meinem als mit Sundays Namen verbunden zu sehen. Aber gleich nach dem Auftauchen von Harries und diesem Fergus in
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der Inkastadt wußte ich, daß ein größeres Spiel gespielt werden sollte, wußte ich, daß mir die Sache aus der Hand glitt.“ „Das war der Abend, an dem Sie mir so merkwürdige Andeutungen machten?“ fragte Mabel nachdenklich, als Helston eine Pause einlegte. „Ja. Danach muß ich Ihnen ja noch seltsamer vorgekommen sein. Kurz, Mabel, ich habe mich tüchtig verrannt. Ich glaube, ich kann von Harries nicht mehr zurück, offizielle, meine ich. Vielleicht verstehen Sie das nicht. Ich möchte aber auf keinen Fall für Harries weiter voran. Die Sache muß zu Ende gehen, und deshalb habe ich Sie hergebeten.“ Er hatte schnell gesprochen, als wollte er die Bedeutung dessen, was er sagte, verkleinern. Mabel sah zu ihm hinüber. Was muß ihn das gekostet haben, dachte sie. Aber warum hat er mir das alles überhaupt gesagt? Und plötzlich erkannte sie: Der forsche, im Urwald so draufgängerische Helston war – feige! Helston richtete sich mit einem Ruck auf. Er beugte sich vor und griff nach ihrer Hand. „Machen Sie mit, Mabel?“ Er sah sie bittend an. „Die Sache muß jetzt ihr Ende haben“, wiederholte er. Mabel empfand wie damals in der Inkastadt. Verlegen sah sie auf ihre Fingerspitzen, die unter Helstons kräftiger Hand vorlugten. Sie fühlte, sie durfte ihn nicht brüskieren. Sie entzog ihm langsam die Hand. „Warum kommen Sie zu mir?“ fragte sie. „Sie haben doch damals Ihre Leute geholt. Sie wissen besser als jeder andere, was danach geschehen ist. Uns hat man ja den Mund gestopft. Da müßten Sie doch am besten wissen, was zu tun ist.“ „Bitte, Mabel.“ Er war aufgestanden. „Ähnliches habe ich mir selbst schon hundertmal vorgeworfen. Ich dachte, ich hoffte auf ein wenig Verständnis.“ „Bitte, entschuldigen Sie“, bat Mabel. „Ich habe auch gar kein Recht, Ihnen Vorwürfe zu machen. Schließlich ist nicht
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einer von unserer damaligen Gruppe besser als der andere. Gut. Sie haben die Geschichte eingerührt – mit unserem Einverständnis. Ob so gewollt oder nicht, spielt eigentlich keine Rolle mehr. Und wir anderen haben einfach geschwiegen und schweigen weiter.“ Mabel brach achselzuckend ab. Er meint es ehrlich, dachte sie. Und ich nahm an daß er mich herholt, damit ich die Fremden beruhige und er mit seinen Leuten weiter im trüben fischen kann. Er sucht einen Verbündeten – nein, einen Akteur! Einen, der die Sache ins Rollen bringt. – Was muß ihn das gekostet haben, dachte sie abermals. Sie drehte sich um. Er sah sie an, erwartungsvoll, verlegen. „Erzählen Sie“, sagte Mabel, „was sich bisher zugetragen hat.“ Er begann stockend. Ohne für ihn wenig Schmeichelhaftes auszulassen, berichtete er Mabel vom Stand des Raumschiffbaus, von der Situation bei den Fremden. „Sie ahnen gewiß schon die Zusammenhänge“, schloß er. „Warum lösen Sie sich nicht von Harries und treten an die Öffentlichkeit?“ Mabel wußte, weshalb er damit zögerte. Sie hatte auch schon eine Vorstellung von der Rolle in seinem Plan, die sie spielen sollte. Und sie war bereit, diese Rolle zu übernehmen. Aber sie wollte ihn provozieren. Er zögerte mit der Antwort. „Sagen Sie es doch heraus, Harry“, unbewußt nannte ihn Mabel beim Vornamen. „Sie sind feige.“ Er drehte sich zu ihr um, sah sie an und nickte langsam. „Ja“, sagte er, „das auch.“ „Also“, sagte Mabel frisch. „Wie haben Sie sich mein Mitwirken vorgestellt?“ Mabel schien es, als ob er hörbar erleichtert aufatmete. „Mit Sunday haben Sie doch noch gute Verbindung?“ fragte er. „Es wäre viel wert, wenn er uns unterstützte. Falls er Bedenken hat – finanzieller Art, Sie verstehen, dann könnte
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ich…“ „Hören Sie bloß mit Ihren Geldleuten auf“, sagte Mabel bitter. „So habe ich das nicht gemeint, entschuldigen Sie“, lenkte Helston ein. „Und wie stellen Sie sich mein Vorgehen nun vor?“ fragte Mabel. „Ich kenne Harries’ Pläne. Und das Wesentliche: Die Astronautische Weltföderation muß was gemerkt haben. Wir haben Nachricht aus Peru, daß die AWF zielgerichtete Nachforschungen anstellt. Sie haben eine Expedition ausgerüstet, die das Landegebiet absucht, großangelegt. Wer weiß, woher sie Wind bekommen haben – von uns nicht, von Ihnen oder Sunday doch bestimmt auch nicht. Der Sitz der AWF ist in Montreal. Ich habe für Sie schon eine Flugkarte. Aber zwei Tage, dachte ich, müßten Sie sich hier schon aufhalten und sich um die Fremden kümmern, damit Harries keinen Verdacht schöpft.“ Helston war aufgestanden, er ging im Zimmer auf und ab. Mabel sagte nichts. Nach einer kleinen Weile wandte sie sich ihm zu, kniff die Augen ein wenig ein, wobei sich ihre Sommersprossen auf der Nasenwurzel verdichteten, und sagte: „Eines haben Sie mir noch nicht beantwortet, Harry, nämlich, warum Sie ausgerechnet mich zum Werkzeug Ihres Gewissens machen wollen?“ Die letzten Worte sagte sie leicht spöttisch, mit lustigen Funken in den Augen. „Weil…“ Er blieb stehen. „Weil ich annahm, daß Sie mich trotz allem für einen feinen Kerl halten.“ „Na, eingebildet sind Sie gar nicht“, sagte Mabel lachend.
Borl rekelte sich unter der Dusche. „Sag mal, Mangk“, rief er durch das Brausen, „ist dir der Besuch heute in aller Frühe auch aufgefallen? Es war noch
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grau. Erst hörte ich Motorengeräusche. Wenig später sah ich, daß ein Hubschrauber auf dem Platz stand.“ „Nein“, rief Mangk zurück, „ich habe nichts bemerkt. Was hat es damit auf sich?“ Borl hatte die Dusche abgestellt. „Das weiß ich nicht“, sagte er. „Es sind aber einige neue Leute da. Auch eine Frau, glaube ich.“ „So“, Mangk drehte den Hahn ebenfalls zu. „Sind die alten geblieben?“ „Ich glaube“, sagte Borl. „Den Koch habe ich vorhin gesehen und einige von den Betreuern auch.“ „Wie viele sind gekommen?“ fragte Mangk. „Sechs oder sieben“, sagte Borl. In der Frühstücksrunde war die Nachricht vom Eintreffen weiterer Menschen in der Parkvilla schon bekannt. „Da sind es jetzt schon zwanzig“, überlegte Mangk. „Das ist in dieser Woche schon das zweitemal, daß Verstärkung kommt“, sagte er. „Wir müßten herausbekommen, was das zu bedeuten hat.“ „Wenn Frauen dabei sind, bietet sich vielleicht eine Möglichkeit, weiteren Kontakt aufzunehmen“, meinte Chalo. „Bei den Männern hatten wir wenig Erfolg. Frauen scheinen hier anders zu sein, weicher, zugänglicher.“ Das letzt sagte Chalo mit einem Blick auf Rilt. Sie entgegnete auch prompt. „Du weißt genau, Chalo, daß das entwicklungsbedingt ist. Ich habe unlängst gelesen, daß die Frauen erst spät ihre Gleichberechtigung durchsetzen konnten. Sie waren jahrhundertelang ausschließlich zum Hausmütterchen und Kindertrockenlegen bestimmt!“ Chalo lachte, und auch die übrigen schmunzelten. „Schon gut, Rilt, mach die männlichen Wesen von ‘Hoffnung’ nicht gar so schlecht. Es soll hier in der Frühgeschichte schon Zeiten gegeben haben, da war es genau umgekehrt, und sicher dürfen wir das alles nicht so verallgemeinern. Ich bin trotzdem der
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Meinung, daß ihr Kontakt zu den Frauen suchen solltet.“ „Na ja, ist doch wahr!“ Die heftige Parteinahme für die Frauen war bei Rilt noch nicht ganz abgeklungen. „Natürlich werden wir versuchen, Kontakt aufzunehmen. Von Frau zu Frau sozusagen“, setzte sie versöhnlicher hinzu. „Diese Distanz ist den Menschen hier aufgezwungen, denke ich“, sagte Surki. „Die Menschen im Urwald waren anfangs doch so aufgeschlossen und mitfühlend.“ „Und wie sollen wir den Elektronenprofessor einschätzen?“ fragte Mangk. „Gerade er ist das Beispiel für das, was Surki sagt“, antwortete, als Surki zögerte, Chalo. „Er gibt sich anders, als er ist. Wir haben ihm zwar zu verdanken, daß wir von der Gegenwart des Planeten vieles erfahren. Aber er steht nicht zu seinen Taten. Er fürchtet, denke ich, daß davon den anderen Menschen etwas bekannt werden könnte, als habe er Angst, daß sie sein Tun mißbilligten.“ „Ähnlich schätze ich auch Schwarzkopf ein“, ergänzte Min. „Er ist aber noch zurückhaltender.“ Borl beugte sich vor: „Schwarzkopf, ich sagte es schon unlängst, muß unter unseren Betreuern eine Art Leitfunktion haben. Er steht über dem Elektronenprofessor. Ich hatte öfter Gelegenheit, Gespräche zwischen beiden zu beobachten. Schwarzkopf ist der Leiter unserer Betreuergruppe.“ „Das ist gar nicht so wesentlich“, meldete sich Kark, womit er sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich zog. Kark nahm regelmäßig an den Zusammenkünften der Gruppe teil. Niemand verhielt sich ihm gegenüber so, daß er den Eindruck gewinnen konnte, seine eigenmächtige Handlung würde ihm nachgetragen. Und doch war das Verhältnis getrübt. Die Distanz ging von Kark selbst aus. Aus einem anfänglichen trotzigen Gefühl des Unverstandenseins glitt er in eine Periode des Nachdenkens, Beobachtens. Und schließlich hielt ihn die Erkenntnis, mit der eigenmächtigen Übergabe der Pläne den
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Gefährten in den Rücken gefallen zu sein, zurück, zu ihnen so zu sein wie früher. Zum erstenmal seit langem griff Kark jetzt in ein allgemeines Gespräch der Gefährten ein. Er wurde ein wenig verlegen, als er die Reaktion gewahrte, die seine Worte hervorriefen. „Ich meine“, setzte er langsam, wohlüberlegt fort, „daß wir uns in einer üblen Situation befinden. Ich weiß, daß ich den Anlaß dazu gegeben habe, ich bitte euch aber, das jetzt beiseite zu lassen. Wißt ihr, wie ich die Verstärkung unserer Betreuermannschaft sehe? Es steckt eine gewisse Angst dahinter, daß wir möglicherweise die Rolle, die uns zugedacht ist, nicht zu Ende spielen könnten. Mehr Menschen sollen uns unser Isoliertsein nicht so empfinden lassen. Ihr habt gemerkt, daß die Aufklärung über den Planeten verstärkt wird, daß man uns einige Freiheiten in der Auswahl des Studienmaterials mehr einräumt, andrerseits stellt man auch größere Forderungen an uns im Zusammenhang mit dem Raumschiffbau. Ja, Kontakt müssen wir aufnehmen, aber ich glaube, daß Menschen wie Schwarzkopf und der Elektronenprofessor darauf warten, daß wir in unserer Sache selbst etwas unternehmen, daß wir aktiver werden und daß die, die uns helfen, die unsere Freunde sind, sich gegenüber den anderen Menschen hier nicht bloßstellen müssen. Ich glaube, unsere Technik, vor allem unser interstellares Schiff, ist hier gefragt. Die Menschen, die uns gefunden haben, verschaffen sich durch uns gegenüber der übrigen Menschheit einen Vorteil. Deshalb, nicht um uns das Einleben zu erleichtern, werden wir isoliert, deshalb werden wir den Planeten erst dann besichtigen können, wenn der Vorsprung, den sie für ihre Interessen brauchen, groß genug ist.“ „Und warum soll die Verstärkung deiner Meinung nach Angst bedeuten, Angst, nicht fertig zu werden?“ fragte Min dazwischen, als Kark eine Pause machte. „Das vermute ich nur“, sagte Kark. „Draußen, jenseits der Parkmauer, muß es Kräfte geben, die auf unseren Spuren sind.
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Anders kann ich mir die Hast hier nicht erklären. Gleichzeitig wäre es ein Zeichen, daß die Menschen um uns – mit Ausnahme von Schwarzkopf und dem Elektronenprofessor – nicht die eigentliche Menschheit vertreten, ein Zeichen also, daß wir immer noch hoffen können, so willkommen geheißen zu werden, wie es dem Ereignis, daß zwei Welten sich treffen, tatsächlich zukommt. Als der Bau am Schiff begann, dachte ich noch, ihr müßtet einsehen, daß ihr mir unrecht tut – na ja…“ Kark sah auf die Tischplatte. „Als sie uns immer mehr zu tun gaben mit dem Bau, wurde ich nachdenklich. Vielleicht habt ihr gar nicht bemerkt, daß jetzt vieles, das wir nacheinander geplant hatten, parallel bearbeitet wird?“ „Kark hat recht“, bestätigte Mangk. „Ich habe allerdings angenommen, daß es ein Entgegenkommen der Menschen wäre, damit wir schneller von der Mitwirkung am Bau befreit werden.“ „Aber“, sagte Surki erregt, „das muß doch gar nicht stimmen, was du sagst, Kark. Wir können ihnen unrecht tun! Das, worin du Absicht siehst, kann Zufall, kann völlig harmlos sein!“ „Daß die Arbeiten forciert werden, stimmt, daß mehr Menschen hier sind als am Anfang, stimmt auch. Außerdem geben sie uns soviel Material von ‘Hoffnung’, daß wir neben der Tätigkeit am Schiff kaum dazu kommen, es zu sichten. Sie ersticken uns in Arbeit“, sagte Rilt. Sie war dabei aufgestanden und an das breite Fenster der Veranda getreten. „Wir werden wahrscheinlich unser Stillhalteprogramm“, Chalo lächelte, als er das sagte, „aufgeben und die Menschen mit unserem Verdacht konfrontieren müssen. Dazu brauchen wir aber noch größere Gewißheit.“ „Wir müssen auch das bedenken, was wir vorhin sagten“, wandte Mangk ein. „Schwarzkopf und den Elektronenprofessor dürfen wir nicht bloßstellen.“ „Und was ist zu tun?“ fragte Min. „Aufpassen, verstärkt Kontakt suchen, was wir erfahren,
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schnell zusammentragen. Ich möchte einerseits nicht, daß wir etwas überstürzen, andrerseits dürfen wir nicht mehr lange warten“, sagte Chalo. Sie stellten das Geschirr zusammen. Plötzlich rief Rilt vom Fenster her: „Aber das ist doch – ist doch die Frau aus dem Urwald, aus der Ruinenstadt!“
20 David Plogontschik ließ durch einen Knopfdruck die Verdunklungsrollos im kleinen Vortragssaal des AWF-Gebäudes nach oben gleiten. Das trübe Licht eines feuchtkalten Nachmittags drang in den Raum. Das Summen und Hupen der Autos in den Montrealer Straßenschluchten war nunmehr deutlicher zu hören. „Soweit der Bericht“, sagte Sudiman zu McDonald. Er schaltete den Bildwerfer aus. „Leider kann ich Ihnen keinen Vorschlag unterbreiten, wie am zweckmäßigsten weiter vorzugehen wäre. Es war uns nicht möglich, einen einheitlichen Standpunkt zu erarbeiten. Wir sind fünf Expeditionsteilnehmer und haben beinahe ebenso viele Meinungen und Vermutungen im Zusammenhang mit dem Ereignis.“ „Sie haben alles im Umkreis von mehreren Kilometern noch einmal abgesucht und keine weiteren Anhaltspunkte gefunden. – Ja, das sagten Sie schon.“ Der Erste Sekretär der AWF, Professor McDonald, strich sich bedächtig über die Glatze und holte sein riesiges Taschentuch hervor. Er setzte seine Brille ab und blinzelte kurzsichtig auf die fünf Männer, die vor wenigen Stunden in Montreal eingetroffen waren. „Zunächst erwarte ich von Ihnen strengstes Stillschweigen“,
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sagte er. „Auch in Ihren Ländern berichten Sie nicht, das verantworte ich.“ „Warum nun immer noch diese Zurückhaltung?“ fragte Berqué unmutig. „Könnte ein Aufruf in der Presse uns nicht helfen, die Fremden eher zu finden?“ Frank Drughster kam mit der Antwort dem Ersten Sekretär zuvor: „Ich bleibe dabei, Kollege Berqué, daß die Einbeziehung der Öffentlichkeit in Amerika völlig falsch wäre. – Kollege Berqué hat uns diesen Vorschlag bereits im Urwald gemacht“, wandte er sich erklärend an McDonald. „Wir wissen nicht, mit welcher Absicht diese Besucher zu uns gekommen sind, wie wir uns ihnen gegenüber verhalten müssen. Und wir müssen auch damit rechnen, daß sie die Erde bereits wieder verlassen haben. Wir haben zwar ihren Behälter – aber genügte der, um uns vor der Lächerlichkeit zu schützen, wenn wir von ihnen keine weiteren Spuren finden? Wir brächten eine Unruhe unter die Menschen, die wir keinesfalls verantworten könnten.“ „Hier gehe ich mit der Meinung des Kollegen Drughster konform“, bekräftigte Plogontschik. „Für die UdSSR dürfte das, was er vorbringt, zwar nicht zutreffend sein, aber ich bin dennoch dagegen, die Öffentlichkeit in die Suche nach den Fremden einzubeziehen. Es dürfte – zumindest auf diesem Kontinent – ein Kesseltreiben gegen Unbekannt einsetzen, das wir mit Rücksicht auf unsere Besucher, die ganz gewiß mit friedlichen Absichten gekommen sind, in jedem Fall vermeiden sollten. Aber natürlich müssen wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, sie zu suchen. Schon allein deswegen, weil wir nicht wissen, welchen Gefahren sie auf der Erde ausgesetzt sind. Ich denke da vor allem noch an eines: Sie sind mit Fallschirmen gelandet und…“ „Einer ist mit einem Fallschirm gelandet – von mehreren wissen wir nichts!“ unterbrach Kamienski. „Dagegen, daß es nur einer ist, spricht der Behälter, den wir gefunden haben. Er ist für jenes Wesen, dessen Fallschirm wir
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gefunden haben, wahrscheinlich zu schwer“, entgegnete Plogontschik. „Aber zu diesem Behälter: Ich bin der Meinung, daß wir verpflichtet sind, ihn zu öffnen, um mehr von den Gästen zu erfahren.“ „Mir hingegen erscheinen die zwei Fotos, die Sie gefunden haben, am wichtigsten“, sagte McDonald. „Da kein Zweifel besteht, daß das Fotopapier irdischer Herkunft ist und daß ein fremder Kosmonaut darauf abgebildet ist, muß er bereits mit Menschen Kontakt haben. Und diese Menschen gilt es zu finden!“ „Die Fotos, Streitfall Nummer eins“, sagte Kamienski. „Wieso?“ fragte Professor McDonald zurück. „Nun ja“, erklärte Kamienski, „Dr. Sudiman meint, die Menschen befinden sich aus irgendwelchen Mißverständnissen heraus im Gewahrsam der Fremden. Es ist ihnen gelungen, die Fotos zu machen und heimlich wegzuwerfen – so eine Art modernes Hänsel und Gretel. Aber immerhin erklärte diese Version, weshalb die abgebildeten Menschen bislang nicht aufgetaucht sind. Dagegen schließt unser Kollege Plogontschik von vornherein jeden unfreundlichen Akt seitens der Fremden aus…“ „Jawohl“, bekräftigte David Plogontschik. „Wesen, die kosmische Entfernungen zurücklegen können, müssen von einem tiefen Humanismus – wenn das Wort angebracht ist – erfüllt sein, davon bin ich felsenfest überzeugt; denn eine solche Leistung setzt eine klassenlose Gesellschaft voraus.“ „Wollen Sie uns agitieren?“ fragte lächelnd Drughster. „Er hat recht“, sagte Kamienski. „Aber zurück zu den Fotos: Ich bin der Meinung, daß sich die Fremden bei Menschen befinden, daß Fotos angefertigt wurden, die zufällig auf dem Marsch verlorengingen, oder, da die Qualität nicht besonders gut ist, einfach weggeworfen wurden. Eine ähnliche Meinung haben die Kollegen Berqué und Drughster.“ „Nur – es bleibt offen, weshalb sich die Menschen nicht
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melden“, sagte Dr. Sudiman. „Wir wollen uns, meine Herren, nicht allzusehr in Vermutungen ergehen.“ Professor McDonald war aufgestanden. „Es ist schade um jede Stunde, die wir noch verlieren. Gehen wir also von der Voraussetzung aus, daß eine gut ausgerüstete Gruppe von Menschen mit den Kosmonauten zusammengetroffen ist. Die Wahrscheinlichkeit ist dann groß, sehr schnell herauszubekommen, um welche Gruppe es sich handelt. Solche Teams melden sich im Regelfall schon der eigenen Sicherheit wegen bei den zuständigen Landesregierungen an. Da die Fremden auf peruanischem Gebiet landeten, wird ein Stützpunkt der AWF in Lima eingerichtet. Von dort aus führen wir Recherchen nach den Expeditionen, die zur fraglichen Zeit im Urwald waren. Vergessen wir dabei nicht, daß auch von den benachbarten Staaten Kolumbien und Brasilien Gruppen in dieses Gebiet vorgestoßen sein könnten. Ich schlage vor, daß Sie so schnell wie möglich aufbrechen. Zu Ihrer Unterstützung bekommen Sie zwölf zuverlässige Mitarbeiter, damit Sie sich unverzüglich mit den in Frage kommenden Expeditionen in Verbindung setzen können. Die Aktion bleibt geheim. Noch eine Frage?“ „Ja“, sagte Plogontschik, „was ist zu tun, wenn wir erfahren, wo die Fremden sich aufhalten?“ „Sie nehmen sofort Verbindung mit dem Präsidium auf. Auf jeden Fall vermeiden Sie eine sofortige Kontaktaufnahme zu den Fremden. Sie warten Order von hier ab.“ Leiser fügte er hinzu: „Wenn es sich machen läßt. Im übrigen haben Sie Ihre Handlungen so einzurichten, daß Sie sie jederzeit vor – der Menschheit verantworten können.“ Schon an der Tür sagte er noch: „Bis zum Start Ihrer Maschine bleiben noch einige Stunden. In dieser Zeit versuchen wir, den Behälter zu öffnen. Darf ich Sie ins Labor bitten.“ Es dauerte geraume Zeit, bis der fremdartige Schließmechanismus den Inhalt des Behälters freigab. Sorgfältig wurde
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Stück für Stück geborgen. Technische Geräte in der Hauptsache, deren Sinn und Funktion mitunter lediglich erraten werden konnten. Undurchsichtige, festverschlossene Kunststoffbehälter, vielleicht Konserven, und viele Meter des Gewebes, das sie bereits von dem Fallschirm her kannten, kamen zum Vorschein. Einige kleine Walzen erregten besonders Professor Drughsters Aufmerksamkeit. Aber über dem Interesse der Kommissionsmitglieder stand die strenge Mahnung McDonalds, alles nur zu betrachten und nichts, auch nicht das kleinste zu probieren. Schweren Herzens trennte sich Drughster von den Walzen. Er war überzeugt, daß es mit ihrer Hilfe möglich gewesen wäre, mehr über die unbekannten Besucher zu erfahren. Es fanden sich außerordentlich viele Schriften, die Kamienski lediglich durch ein Versehen entdeckte: Aus einem Kasten, den er hervorzog, fiel ein kleines, nicht handgroßes Kästchen zu Boden, bestehend aus einer Art schwarzem, mattglänzendem Kunststoff mit einer silbrigen Scheibe auf der einen Seite. Beim Aufprall schaltete sich ein Mechanismus ein, der plötzlich auf dieser Scheibe ein Bild, bestehend aus einer Vielzahl von Schriftzeilen, entstehen ließ, das jedoch weit den Rahmen des Kästchens zu sprengen schien und gleichsam im Raume, eine Fläche von einem Viertel Quadratmeter einnehmend, vor dem Betrachter stand. McDonald vergaß, Kamienski seiner Ungeschicklichkeit wegen zu tadeln. Vorsichtig hob dieser das strahlende Kästchen auf. Außer einem unscheinbaren Knopf und einem kleinen, länglichen Fenster war nichts daran zu entdecken. Mit einem Blick auf McDonald legte Kamienski den Daumen auf den Knopf. Sie blickten auf den Vorsitzenden. Dieser zuckte unentschlossen die Schultern. Da drückte Kamienski. Ohne zu flackern, fast ohne Übergang wechselte blitzschnell das Bild. Wieder Schriftzeichen. Ein abermaliges Drücken auf den Knopf ließ
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ein plastisches Bild einer technischen Anlage erscheinen. Gleichzeitig mit dem Auftauchen einer neuen Seite wechselte ein Zeichen in der rechten oberen Ecke des Fensters. „Das müssen die Seiten sein. Da hätten wir ja eine Chance, ihr Zahlensystem kennenzulernen. Nach jedem Drücken auf den Knopf erscheint doch vermutlich die nächste Seitenzahl.“ Kamienski blickte nachdenklich auf das Kästchen. „Ein bißchen umständlich aber doch“, sagte er dann. „Wenn ich eine spezielle Seite haben will, was dann? Ich muß alles durchblättern, auch wenn ich aus dem Verzeichnis schon die Seitennummer weiß.“ „Moment mal“, David Plogontschik nahm ihm das Kästchen behutsam aus der Hand. Sorgfältig betrachtete er den Knopf. „Bitte“, sagte er dann. „Der Knopf steckt in einem Rändelring, und er selbst ist ebenfalls gerändelt. Beides ist ganz sicher drehbar angeordnet. Soll ich?“ fragte er McDonald. „Drehen Sie schon“, sagte dieser. Plogontschik drehte am Rändelring. Das Bild verschwand. Ein wellenartiges Huschen lief über den Schirm, das abermals Schriftzeichen Platz machte, als er aufhörte zu drehen. Neben dem ersten Zeichen war nunmehr ein anderes zu sehen. Ein Drehen am Knopf brachte die gleiche Erscheinung, nur daß die Zeichen eine Stelle vorrückten. „Zeigen Sie mal her“, Berqué drängte sich an Plogontschik heran. „Ach, richtig, die letzte Stelle bekomme ich ja durch Drücken des Knopfes. Ist alles klar. Halt – das wären drei Stellen, was nun, wenn die vierte gebraucht wird?“ „Ist kaum anzunehmen, daß bei ihnen viele Bücher über tausend Seiten haben werden, und wenn, dann wird eben der Rändelring bis zur Zehnerübertragung gedreht. Das geht immer noch erheblich schneller als bei uns die Blätterei.“ „Sagten Sie eben ‘Zehnerübertragung’?“ fragte Drughster. „Hm“, murmelte Plogontschik. Er begriff, worauf Drughster hinauswollte. „Das ist natürlich noch nicht raus. Ich meine
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aber…. na, wir werden sehen.“ Er drückte kräftig auf den Knopf. Das Bild und alle Zeichen in dem Fenster verschwanden. „Nanu“, fragte er verwundert, „habe ich was falsch gemacht?“ Er drückte noch einmal, es erschien ein Bild. „Aha“, sagte er erleichtert, „ein kräftiges Drücken löscht das Ganze.“ „So, nun lassen Sie doch mal laufen“, drängte ganz gegen seine sonstige ruhige Art Sudiman. Bedächtig drückte Plogontschik eine Seite nach der anderen. „Acht, neun – und jetzt“, zählte Kamienski laut mit. Plogontschik zögerte – jetzt mußte, wenn sie auch das Dezimalsystem hatten, die Zehnerübertragung kommen. Er drückte. Das Zeichen im Fenster wechselte, aber eine Übertragung in das zweite Feld erfolgte nicht. „Schade“, sagte Plogontschik. „Ich hatte fest angenommen, daß sie das Dezimalsystem haben.“ „Warum sollten sie?“ fragte Sudiman zurück. „Ja, warum eigentlich?“ bekräftigte McDonald. „Weil es nunmehr zumindest Schwierigkeiten in der Verständigung gibt.“ „Ach“, widersprach Drughster, „das ist Gewöhnung. Ob die Übertragung schon bei zwei, wie in unserem Dualsystem, oder bei sechzig, wie bei den alten Babyloniern, erfolgt, das ist mir persönlich schnuppe.“ „Was haben sie nun aber wirklich für ein System?“ meldete sich McDonald, „lassen Sie die Seiten doch mal weiterlaufen!“ Plogontschik löste die nächste Seite aus. „Elf“, zählte Berqué. Plogontschik drückte, und da rückten im Fenster die Zeichen um eine Stelle weiter. „Na bitte, sie wechseln bei zwölf, noch lange nicht so schlimm für uns wie zum Beispiel das babylonische System“, sagte lächelnd, mit einem Seitenblick auf Drughster, Sudiman. McDonald mahnte zum Aufbruch. „Ihre Maschine nach
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Lima fliegt in zwei Stunden, Sie müssen noch Ihre Vorbereitungen treffen.“ Ein Sonderbus brachte sie in ihr Hotel.
Bedächtig richtete sich Sudiman in seinem nicht gerade komfortablen Hotelzimmer ein, duschte sich und war gerade im Begriff, in sein Bett zu steigen, er stand noch, auf einem Bein, sich in die Schlafanzughose balancierend, davor, als ungestüm die Tür aufgerissen wurde und Plogontschik in das Zimmer gestürmt kam. „Halten Sie sich fest“, rief er, „wir haben sie, keine Zweifel, wir haben sie endgültig!“ Mit diesen Worten warf er eine zerknitterte Depesche auf Sudimans Bett. Befremdet schaute ihn Sudiman an und zog sich seinen Morgenmantel an. Plogontschik merkte, daß er sein Verhalten erklären mußte. „Entschuldigen Sie, daß ich so hereinplatze, aber Sie verstehen, ich mußte es Ihnen sofort mitteilen. Der Reihe nach: Vor wenigen Minuten ging ich in die Hotelhalle, um noch einen Happen zu essen. Da drückt mir die Telefonistin dieses Telegramm in die Hand. Ein Blitztelegramm vom Ersten Sekretär, McDonald, aufgegeben vor etwa einer Stunde. Aber hier, lesen Sie erst mal, lesen Sie!“ Er reichte Sudiman das Telegramm. Sudiman beugte sich zur Nachttischlampe: Aktion abstoppen, haben ausführlichen Bericht einer Teilnehmerin an Sunday-Expedition mit Hinweis auf die Gesuchten. Veranlaßt Rückkehr aller Mitarbeiter nach Montreal stop Sudiman und Plogontschik fliegen nach Los Angeles. Treffen dort mit Miß Fresh Abfertigung C McDonald Erster Sekretär AWF
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Sudiman ließ das Telegramm sinken. Eine Weile schwieg er nachdenklich. „Sie haben recht, Plogontschik“, sagte er dann, „wir sind den Fremden auf der Spur. Und die SundayExpedition ist es – wie wir nach unseren gestrigen Recherchen schon vermuteten. Aber wo sind die Besucher jetzt? Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Warum bekommt die AWF die Meldung so spät?“ Plötzlich fragte er: „Haben Sie bereits die Rückkehr unserer Mitarbeiter veranlaßt?“ „Ja“, sagte Plogontschik.
21 Den Schritten auf den blechbeschlagenen Laufgängen der riesigen Halle folgte ein sich überschlagendes Dröhnen, das, wenn die Gruppe stehenblieb, einer unnatürlichen Stille Platz machte. Sie umschritten das in der Mitte der Halle unter mächtigen Laufkatzen liegende Gerüst, das schon die spätere Form des interstellaren Raumschiffes erkennen ließ. Mattglänzende Leichtmetallkonstruktionen, bereits mit Kunststoffmatten ausgekleidete Laufgänge, Kabinen und technische Einrichtungen boten sich den kritischen Blicken der Betrachter – so wie bei den aufgeschnittenen Modellen moderner Flugzeuge in den Werbeauslagen der Reisebüros. Die sieben Kosmonauten, obgleich durch Mervan stets informiert, konnten ihr Erstaunen kaum verbergen. In unglaublich kurzer Zeit war das Raumschiff – bis auf die Verkleidung, die Steuer- und Antriebsaggregate – entstanden. Schemenhaft ließen sich die Umrisse programmgesteuerter Maschinen rings an den Wänden der Halle erkennen, die, im
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Gegensatz zu der in gleißendes Licht getauchten Baustelle in der Hallenmitte, im Halbdunkel lagen. Die Kontrollampen brannten jetzt nicht, die Räder standen. In der Halle befanden sich mit den Kosmonauten nur Mervan, Harries, Helston, Fergus und Withe. Selbst die leise gesprochenen Worte wurden von der Stille aufgesogen, zu den Wänden getragen, vermischten sich zu einem kosmischen Sprachenknäuel, wurden gebrochen und kamen tausendfach reflektiert von allen Seiten als nachhallendes Geraune zurück. Weder die Menschen noch die Außerirdischen konnten sich dem Unheimlichen des Augenblicks entziehen. Erst als sie in das Gerüst kletterten und die gepolsterten Gänge entlanggingen, wich das Unwirkliche der Hallenatmosphäre und machte – jedenfalls für die Kosmonauten – einem heimischen Milieu Platz. Hier kannten sie sich aus, hier waren sie zu Hause. Nachdenklich-ernst betrachteten sie die vertraute Umgebung. Unausgesprochen einte die sieben ein Gedanke: ein Gedanke an die Gefährten, die mit ihnen aufgebrochen waren, die ihre Angehörigen genauso wie sie zurückließen, die schwere und heitere, Arbeits- und Mußestunden mit ihnen teilten und die jetzt – verschollen waren. Sie rissen sich von diesen Gedanken los und überprüften die Schiffsausrüstung. Die Qualität der Kunststoffverkleidungen und die Farbgebung unterschieden sich von denen des alten Schiffes. Beide entsprachen dem Entwicklungsstand und dem Geschmack der Menschen. Die Besichtigung war gut vorbereitet worden: In der Halle und in den nebenan liegenden Räumen stand je ein Übersetzungsautomat, so daß von leichten transportablen Schreibmaschinen aus sofort übersetzt werden konnte. Sie betraten eine Nebenhalle. Zwei mittlere Schmelzöfen strahlten in gedämpfter Glut Wärme in den Raum, ein Zeichen, daß noch vor kurzem
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die Schmelzarbeiten im Gange gewesen waren. Die angeschlossene Walzstraße dampfte. An der Hallenwand waren die ersten dicken Bleche der hochwertigen Titanlegierung gestapelt. Erstaunt betrachteten die Kosmonauten die Berge reinen Titans und gereinigter Titan-Zusatzschmelzen aus Schrott, ausreichend für eine ganze Flotte von Raumschiffen. Sie sagten jedoch nichts. Die gleiche Überraschung erlebten sie in der Triebwerksmontagehalle. Auch die Gehäuse der Photonenreaktoren waren laut Plan bereits vormontiert. Wie für die J 2 waren hier zwei Antriebsaggregate vorgesehen. In der Halle wurden jedoch gleichzeitig sechs vormontiert. Jetzt fragte Chalo. Er bekam als Antwort, daß von den sechs Motoren die zwei besten für das Schiff ausgewählt werden sollten, um die Sicherheit zu erhöhen. Die sieben gaben sich mit der Auskunft zufrieden. Sie erinnerten sich jedoch eines Gesprächs, das sie mit dem Elektronenprofessor führten und in dem sie eindeutig festgestellt hatten, daß auf der Erde alle Voraussetzungen für leistungsstarke Photonenreaktoren vorhanden waren und daß es gelingen würde, jeden einzelnen in gleicher Qualität herzustellen. Was einzelne Teile betraf, so waren sie bereits vorgefertigt. Nach der Besichtigung der Triebwerksmontagehalle beendeten die Menschen den Rundgang. „Bitte“, ließ Mangk Borl fragen, „die Funkanlage hätten wir uns auch gern noch angesehen. Im Raumschiff war sie noch nicht.“ Ein Zaudern bei den Menschen. „Kommen Sie hier herein.“ Harries deutete auf eine Tür. Kritisch betrachteten Kark, Mangk und Chalo die aufgestellten Apparaturen. Gegenüber dem Aufwand, den sie im Schiff bemerkt hatten, machte das hier einen dürftigen Eindruck. „Wann können wir damit funken, Kark?“ fragte Chalo. Kark
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zog prüfend einige Schübe, betrachtete Instrumente und verfolgte mit den Augen Kabel. „Wo steht einstweilen das Teleskop dazu?“ fragte er Harries. „Ja – die Antenne…“ Harries zögerte. „Wenn wir das Schiff auf die Umlaufbahn bringen, müssen wir den riesigen Schirm doch ohnehin wieder zerlegen und dann noch einmal montieren – unter erschwerten Umständen. Wir meinen, daß wir das sparen können zugunsten einer schnelleren Fertigstellung des Schiffes.“ Chalo erwiderte nichts, als er diese Erklärung gelesen hatte. Für die Menschen nicht wahrnehmbar, bemächtigte sich der sieben eine grenzenlose Enttäuschung. Das von Harries Mitgeteilte bedeutete, daß sie, entgegen ihrem Plan, den auch die Menschen kannten, erst dann den ersten Funkspruch Richtung Heimat aufgeben konnten, wenn das Schiff vom Stapel gelaufen war. Und das dauerte noch länger als ein irdisches Jahr. Sie sagten nichts. Nachdenklich wischte Chalo über eine große Röhre. Im Staub blieb eine blanke Bahn. Zum Abschluß des Rundganges baten die Menschen, noch einige Fragen an Ort und Stelle zu klären. Sie betraten Nebenräume und gelangten durch ein Konstruktionsbüro in eine Art Arbeitszimmer, das sich dadurch auszeichnete, daß es nur durch eine schwere metallene Tür zu erreichen war und daß es kein Fenster hatte. Von diesem Zimmer aus führte außerdem noch eine schwer gepanzerte Tresortür in einen Nebenraum. Jetzt stand diese Tür offen, zwei Männer, die sie bereits einige Male im Labor gesehen hatten, grüßten die Eintretenden, gingen in den Tresorraum und brachten den Originalplan der Kosmonauten und dessen Übersetzung sowie eine Vielzahl kleiner, inzwischen angefertigter Detailzeichnungen. Es ging um den Reflektor des Photonentriebwerkes, zu dessen Herstellung neben einer besonderen Legierung eine außerordentlich hohe Präzision bei der Oberflächenbehandlung notwendig war.
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Chalo gab zu bedenken, daß zunächst eine Feinstschleifmaschine gebaut werden müsse. Harries lächelte. „Ist bereits fertig und hat ihre Probeläufe zur Zufriedenheit durchgehalten. Uns fehlt nur noch die Reflexionsschicht.“ Chalo dachte in diesem Augenblick an die vielen Menschen, die unsichtbar am Bau des Schiffes mitwirkten. – Sie legten ein Tempo vor, das selbst bei den weit besseren Voraussetzungen in der Heimat vollste Anerkennung gefunden hätte. – Er dachte an den Aufwand, der betrieben wurde, um in diesen kurzen Entwicklungszeiten derart hochwertige Geräte aus dem Boden zu stampfen. Sie haben einen hohen Einsatz – zu hoch, um lediglich sieben Fremden eine baldige Heimfahrt zu ermöglichen. Laut sagte er: „Also die Schicht, gut. Denken Sie auch an die Steuerung. Bei Ihrem Isoliermaterial wird es schwerfallen, die Magnetspulen hitzebeständig zu machen. Vielleicht brauchen wir dazu neue Stoffe, über deren Zusammensetzung wir leider keine Unterlagen mithaben. – Wir können höchstens versuchen, solche Materialien nachzuentwickeln, das kann aber eine Weile dauern. Wir werden in den nächsten Tagen eine Liste aufstellen, aus der die notwendigen Stoffe ersichtlich sein werden. – Ich bitte Sie, ein Laboratorium mit Polymerisationseinrichtung zur Verfügung zu stellen. Unsere Chemikerin“ – bei diesen Worten wies Chalo mit einem leichten Kopfnicken zu Surki, „kann die Leitung übernehmen. Fachleute, die den höchsten Stand Ihrer Polymerisationsforschung beherrschen, könnten Sie zur Beschleunigung der Arbeiten zur Verfügung stellen. Eine ähnliche Verfahrensweise schlage ich Ihnen vor für den Bau der Reflektoren. Unser Chefkonstrukteur“ – hier wies Chalo auf Mangk, „wird Sie dabei unterstützen. Ich selbst könnte mich um die Steueraggregate kümmern. An Ort und Stelle, versteht sich. Die Zusammenarbeit dürfte damit fruchtbarer werden, zumal nunmehr der schwierigste Teil des Baues kommt. Ich denke, Sie werden mit einer solchen Lösung
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einverstanden sein. Ich bin nämlich der Meinung, daß wir bislang Ihre Gastfreundschaft zu sehr strapazierten. Sie machen den Hauptteil der Arbeit, die dazu dient, uns die Heimfahrt zu ermöglichen. Es ist nur recht und billig, daß Sie von uns erwarten, daß wir unsere ganze Kraft dem Werk geben, um wenigstens einen kleinen Teil unserer Dankbarkeit Ihnen gegenüber ausdrücken zu können. Wenn wir so vorgehen, haben wir vielleicht auch noch die Zeit, das Radioteleskop früher fertigzustellen.“ Es ließ sich kaum deuten, ob die Verlegenheit, die sich auf den Gesichtern der Menschen in dem kleinen Raum spiegelte, aus ihrer Bescheidenheit resultierte oder ob andere Gründe die Ursache waren. Selbst Harries brauchte Sekunden, um sich zu fassen. – Unsicher zunächst, jedoch schnell seine gewohnte Forsche zurückgewinnend, paßte er sich der neuen Situation an. Er sagte, daß der technische Stand der Menschheit zwar unter dem der Gäste wäre, daß aber unter deren Anleitung doch in verhältnismäßig kurzer Zeit ein stattliches Werk entstanden sei – oder seien sie nicht damit zufrieden? Die bisherige Zusammenarbeit wäre durchaus fruchtbar gewesen. Ganz bewußt hätten die Menschen den Fremden neben der Arbeit ein wenig Zeit gegönnt, um sich auf die nun bevorstehenden Exkursionen zu orientieren. Dieses Kennenlernen der Erde sei nunmehr gut vorbereitet. Noch einige Wochen Hilfe für das Anlaufen der Reaktorproduktion und für die Steueraggregate, und die Menschen wären in der Lage, das Raumschiff allein fertigzustellen, während sich die Gäste den Planeten ansähen. Und bis dahin wäre es doch zweckmäßig, die bisherige Methode der Zusammenarbeit beizubehalten; denn offen gesagt befürchte er, daß die Arbeit in einem so entscheidenden Stadium stark gehemmt werden würde, wenn die Kosmonauten plötzlich in den Hallen direkt in Erscheinung träten. Das hätte einen derartigen Sensationsrummel zur Folge,
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daß an eine ernste Arbeit nicht mehr zu denken wäre. Und noch wären sie auf die aktive Mithilfe der Freunde aus dem All angewiesen. Chalo überlegte eine geraume Zeit. Haben sie unsere Absicht, in das Baugeschehen einzugreifen, es in die Hand zu bekommen, durchschaut? Kaum! Es paßt einfach nicht in ihre Konzeption, daß wir uns aktiv einschalten wollen. Chalo blickte zu Kark. Der machte eine Gebärde, als wolle er ausdrücken: Wir müssen Gewalt anwenden! Nein, Gewalt nicht, dachte Chalo. Sie dürfen nicht merken, daß uns die Frau aus dem Urwald gewarnt hat. Gewiß brächten sie plötzlichen Widerstand mit ihrer Anwesenheit in Zusammenhang, und das müssen wir vermeiden. Klug eingefädelt. Durchaus logisch, was Harries sagt. Er hat uns elegant abblitzen lassen. Nun gut, der Bau geht noch über Jahre. Allerdings könnten gerade die Triebwerke bald fertig werden. Mit einem kleinen Lächeln in den Augen ließ Chalo übersetzen: „Sie kennen naturgemäß die Menschen besser als wir, müssen also auch ihre Reaktionen und ihr Verhalten besser einzuschätzen verstehen. Natürlich geht uns der Bau des Schiffes über alles. Und wenn Sie meinen, daß er durch unser aktives Mitwirken an Ort und Stelle gestört wird, so müssen wir das einsehen. Wenn wir auch gern mitgeholfen hätten – vielleicht hätte sich dadurch das eine oder andere schneller klären lassen –, so glauben wir nunmehr, daß wir die jetzige Methode beibehalten sollten. Es wäre vielleicht zu überlegen, ob Sie nicht ein paar Fachleute mehr in direkten Kontakt mit uns stellen. Es ließen sich dadurch einige Umwege vermeiden, und – wenn Sie diese Fachleute entsprechend auswählen – Ihre Befürchtungen brauchten nicht einzutreten.“ „Einverstanden“, entgegnete Harries freundlich. „Sie können diese Leute in den nächsten Tagen erwarten.“ Nach der Klärung einiger technischer Details verließen die
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Besucher die Räume. Sorgfältig sortierten die Menschen die Zeichnungen. Mit einem dumpfen Laut schlug der schwere Tresor zu. Eine Panzertür nach der anderen wurde geschlossen. Sie durchschritten die große Halle, fast geräuschlos schoben sich die beiden Torhälften auseinander, als sie unmittelbar davorstanden. Gleichzeitig verlöschte das Licht in der Halle. Tiefste Dunkelheit umflutete sie. Nur allmählich schälte sich das Viereck des Torausschnittes aus der Finsternis. Mervan ging voran. Er beleuchtete den Weg mit einer Taschenlampe. Die Halle lag in völliger Dunkelheit. Ringsherum, in etwa siebzig Meter Abstand, fraßen grelle, scharfgebündelte Scheinwerfer Gassen in die Finsternis, entlang stark bewehrter Stacheldrahtzäune. Helston ging nach vorn. An dem Durchlaß in der Umzäunung wurden einige Worte gewechselt. Ungehindert und ohne einen Wächter zu sehen, passierte die Gruppe. Sie stiegen in die wartenden Fahrzeuge, die stark beschleunigt anfuhren. „Nanu“, sagte plötzlich Rilt, die mit Chalo und Min im ersten Auto fuhr. Vorn hatte Mervan Platz genommen, „vorhin fuhr doch Kark mit uns.“ „Der wird bei den anderen sein“, sagte Min. Sie sah zum Fenster hinaus und betrachtete die einzelnen Werkgebäude, an denen sie in rascher Fahrt vorbeihuschten. Die zwei vorderen Autos bogen zur Wohnstätte der Kosmonauten ab, während das dritte, in dem ihre Begleiter saßen, einen anderen Weg einschlug. Sie durchführen das Tor, die Fahrzeuge hielten. Sie stiegen aus. Mervan und Helston, der neben dem Fahrer des zweiten Wagens gesessen hatte, winkten kurz. Mit gedämpft aufheulenden Motoren verschwanden die Autos aus dem Park. „So dunkel heute“, bemerkte Borl. Wie um seine Worte zu unterstreichen, flammte plötzlich die gedämpfte Beleuchtung ringsherum auf. „Bis ins kleinste durchdacht“, stellte Mangk fest. „Sicher
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sollten die Fahrzeugführer nicht sehen, wen sie fuhren. Überhaupt haben sie uns heute ihren Standpunkt recht deutlich dargelegt.“ „Stimmt“, sagte Chalo, „aber was wollen wir machen. Wir können nur versuchen, trotz der Ablehnung unserer Vorstellungen, den Bau von hier aus stärker zu beeinflussen – zu verzögern. Ich möchte es nicht auf eine offene Feindschaft ankommen lassen.“ „Vielleicht wäre ein wenig Nachdruck von unserer Seite gar nicht schlecht. Wir sollten ihnen zeigen, daß wir ihnen nicht ganz trauen“, bemerkte Rilt. „Nur damit sie merken, daß sie mit uns nicht alles machen können.“ Sie näherten sich dem Gebäude. Matt beleuchteten einige Lampen den Weg. Min, die am Schluß der Gruppe ging, blickte über die Gefährten hinweg zum hellerleuchteten Hauseingang hinüber. Plötzlich durchzuckte sie ein eisiger Schreck: Vor ihr gingen nur fünf. Sie drehte sich um, der Parkweg war leer. Sie zählte noch einmal: fünf. Sie lief schnell an den anderen vorbei bis zur Spitze und hielt Mangk, der bereits die Stufen erreicht hatte, auf. Verwundert blickte dieser sie an. Die anderen waren näher gekommen. „Kark fehlt“, stieß Min erregt hervor. „Schon vorhin im Auto war er nicht bei uns.“ Überrascht blickten sich die anderen um. Kark war nicht dabei. „Kein Aufsehen“, flüsterte erregt, aber bestimmt Chalo. „Wir verhalten uns so, daß es die im Hause nicht merken. Wir treffen uns oben im Klubraum, unauffällig, so, als sei noch etwas zu tun.“
Kark ging als vorletzter vor Mervan. Er prägte sich die Situation in der Halle genau ein. Während die anderen letzte Blicke auf das Skelett des Schiffes warfen, registrierte er
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Treppenaufgänge, Absätze und Richtungsänderungen. Dabei war er bestrebt, dem hinter ihm gehenden Mervan seine Aufmerksamkeit nicht zu zeigen. – Noch wußte er nicht, wie er seinen Entschluß in die Tat umsetzen konnte, noch wartete er auf eine günstige Gelegenheit. Sie kam, als sie ans Hallentor traten, als sich die Gruppe davor sammelte. Er stand neben Mervan und beobachtete, wie dieser von einer Nische, dicht neben dem Tor, dessen Mechanismus betätigte und danach einen Schalterhebel ergriff. Das Licht, durchfuhr es Kark. Langsam drückte Mervan den Schalter herunter. Mit dem Verlöschen der Scheinwerfer über dem Schiffsrumpf drang schwärzeste Finsternis in die Halle. Mit kurzen, flinken Schritten erreichte Kark, einen Bogen schlagend, damit er nicht mit dem ins Freie tretenden Mervan zusammenstieß, die Wand, wo er die Nische vermutete. Er fühlte die Mauerecke und drückte sich in die Vertiefung, bestrebt, keinen der Schalter zu berühren. Es war keine Sekunde zu früh. Von draußen fraß sich ein schmaler Lichtstreifen in die Halle, tastete den Boden ab, verlor sich im Dunkel des riesigen Raumes und erlosch. Ein dumpfes Brummen zeugte davon, daß sich die beiden Torhälften zusammenschoben. Ein Knacken dicht über seinem Kopf ließ Kark zusammenfahren. Gleich darauf lächelte er. Es mußte ein Relais gewesen sein, das, nachdem das Tor geschlossen war, den Motor abschaltete. Stockfinsternis herrschte in der Halle. Langsam tastete sich Kark am Tor entlang. Er fühlte den Spalt, der die beiden Hälften voneinander trennte. Er preßte sein Ohr daran und lauschte. Entweder das Tor dichtete so gut ab, oder die Gefährten waren schon ein beträchtliches Stück von der Halle entfernt. Er hörte nichts mehr von ihnen. Er lauschte dennoch weiter. Eine kleine Weile später wurde er belohnt. Er meinte deutlich das Anfahren der drei Fahrzeuge vernommen zu haben, mit denen
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sie gekommen waren. Er atmete hörbar auf. Bis zu diesem Augenblick hatten sie sein Zurückbleiben offenbar noch nicht bemerkt. Jetzt mußte der Vorsprung genützt werden! Er drehte sich mit dem Rücken zum Tor und konzentrierte sich, ließ nacheinander alle Einzelheiten des Laufganges gedanklich passieren und setzte sich danach langsam in Bewegung. Nach einer Weile hatte er den Treppenaufgang gefunden, jetzt mußte es schnell gehen. Fest hielt er das Geländer, das ihn bis zum Eingang in das Konstruktionsbüro führen mußte. Er trat ganz außen auf die Stufen, um Schwingungen, die unweigerlich zu einem Dröhnen angewachsen wären, zu vermeiden. Schwieriger wurde das Vorwärtskommen oben auf dem blechbeschlagenen Laufgang. Ganz langsam schlich Kark. Obgleich nach allem, was er gesehen hatte, nicht damit zu rechnen war, daß sich ein Mensch in der Halle aufhielt, war er sich doch über das Sicherungssystem, das zweifellos vorhanden war, nicht völlig im klaren. Das Tor war sicher nicht der einzige Zugang zur Halle. Es konnten durchaus noch Wächter auf routinemäßigen Rundgängen durch die Halle patrouillieren. Schritt für Schritt tastete er sich vorwärts. Beklommen lauschte er jedesmal, wenn unter seinem Schritt ein Dröhnen aufflog, sich tausendfach in der Halle brach und als schier nicht enden wollendes Geraune immer wiederkam. Ihm schien, als sei das Getöse, mit dem er sich langsam, viel zu langsam vorwärts bewegte, kilometerweit noch außerhalb der Halle zu hören. Er tastete sich schon eine Weile nur noch mit einer Hand am Geländer entlang und hielt die andere weit vor sich gestreckt, in der Meinung, nun bald am Ende des Ganges angekommen zu sein. Er brauchte jedoch noch Minuten, die ihm wie Ewigkeiten dünkten, bevor er das rauhe Mauerwerk fühlte. Hier knickte der Gang scharf nach rechts und mündete unmittelbar an der Tür des Konstruktionsbüros, die, soviel er
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gesehen hatte, nicht mit nennenswerten Sicherungen versehen war. Er erschrak, als seine Hand an der blechernen Tür einen dumpfen Laut hervorrief. Er tastete sich zum Drücker, erfühlte das Schlüsselloch und zog mit der anderen Hand den Strahler. Er setzte ihn mit der Mündung direkt an den Spalt zwischen Tür und Füllung in der Höhe des Schlüssellochs und drückte ab. Sofort färbte sich das Metall rot, dann gelb, bis es schließlich weißglühend Kark gespenstisch beleuchtete. Es roch nach verbranntem Lack. Nach wenigen Sekunden fraß der Strahl den letzten Millimeter des Riegels, die Tür sprang nach einem leisen Druck auf. Kark faßte nach innen und betätigte den Lichtschalter. Gleißende Helle, die ihn blinzeln ließ, drang aus dem Türspalt. Kark steckte den Kopf hindurch und musterte den Raum. Besonderes Interesse widmete er den beiden Ecken, die die Türwand mit den beiden anderen Wänden bildeten. Hier waren nicht die beiden unscheinbaren Augen, die vorhin im zweiten Raum seine Aufmerksamkeit erregt hatten. Er schlüpfte in das Zimmer, schloß den Eingang, sah sich kaum um und steuerte auf die gegenüberliegende Tür zu. Die gleiche Konstruktion, der Riegel war schnell beseitigt. Kark öffnete die nach innen aufgehende Tür um einen Spalt, der gerade seinem Arm Platz bot. Er fand ohne große Mühe den Lichtschalter und schaltete die Lampen ein. Daraufhin löschte er das Licht im Konstruktionsbüro. Der Raum hatte zwar ebenfalls keine Fenster, aber es schien ihm immerhin möglich, daß ein wenig Licht durch die beschädigte Tür in die Halle drang, Wieder steckte er den Kopf durch den Spalt und sah in den Raum. Da waren sie, die beiden Augen: Etwa fünfundzwanzig Zentimeter von der Ecke entfernt und ebensohoch über dem Boden. Kark lächelte zufrieden. Sie hätten die Sicherungen nicht nur für Menschen bemessen dürfen, dachte er. Er zog einen Faden
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hervor, band die Türklinke daran fest, so daß die Tür nicht weiter aufgehen konnte, und kroch, dicht an den Boden gepreßt, in den Raum. Sorgsam suchte Kark die Wände des Raumes nach weiteren Sicherungen ab. Er konnte jedoch keine entdecken. Vorhin, als die anderen die Pläne betrachteten, hatte er aufmerksam den Mechanismus der schweren Tresortür studiert. Ihm war auch nicht das zarte Drähtchen entgangen, das sicher bei eingeschalteter Alarmanlage die Tür mit der Füllung verband. Er ging zurück und schob die Tür zu. Dann widmete er sich dem schweren Zugang zum Tresor. Er wußte, daß es einige Zeit dauern würde, bevor auch dieses Hindernis fiel. Dann noch die Zeit für die Überbrückung des Alarmsystems, und die Pläne lagen wieder vor ihm, die gleichen Pläne, die er damals so leichtfertig ausgeliefert hatte. Was werden sie für Augen machen, wenn ich sie ihnen auf den Tisch lege. Ob sie mich wegen meines eigenmächtigen Handels wieder tadeln werden? Wennschon! Da heute Chalos Versuch fehlgeschlagen ist, kann nur das das einzige Mittel sein, sie im Weiterbau zu stören. Und sie können nicht beweisen, daß wir die Pläne geholt haben, obwohl sie es vermuten werden. Der Posten auf dem Wachturm vier schreckte aus seinem Dösen auf. Es muß sich etwas geändert haben, durchfuhr es ihn. Und da sah er es. Die eine Längsseite der Umzäunung unter ihm war dunkel. „Verdammt“, murmelte er, „das hat mir gerade noch gefehlt. Muß ich wieder einen Bericht machen.“ Ohne Hast schaltete er den Ersatzscheinwerfer ein. Wieder war die helle Gasse unter dem Turm. „Na bitte“, sprach er vor sich hin. Gleich darauf spuckte er heftig die Zigarettenkippe von sich. Er sah, wie der Reservescheinwerfer sich zusehends rot und dann gelb färbte, wie plötzlich ein Funkenregen
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aufstiebte und danach die Längsseite erneut dunkel wurde. „Was ist denn da los!“ Er trat zum Telefon. „Hallo, Richard?“ meldete er sich, nachdem von dem anderen Wachturm ein unwirsches „Yes“ gebrummt worden war. „Was gibt’s?“ „Bei mir ist nach ‘n paar Minuten auch der zweite Scheinwerfer durchgebrannt. Ich denke, ‘n Kurzer, sah so aus. mit Funken und so. Mach mal ‘nen Rundgang. Ich guck mal runter, vielleicht kann ich was machen. Sag dir dann Bescheid. Vielleicht müssen wir melden. Bleib auf alle Fälle munter, falls ich den Boß rufen muß.“ Der Posten hing die MPi um und kletterte vom Turm. Als er den Fuß auf den Boden setzte, spürte er plötzlich einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf. Mit einem leisen Laut des Erstaunens sank er zu Boden. Blitzschnell streifte ihm Kark die Schuhe ab, zog sie sich, obgleich sie ihm viel zu groß waren, an und rannte über den gepflügten Streifen zum Zaun. Es dauerte ihm viel zu lange, als der Strahler in Sekundenschnelle einen Draht nach dem anderen zerfraß. Unruhig blickte er sich um. Er wußte, daß der Wächter, bevor er vom Turm stieg, mit einem anderen gesprochen hatte. Möglicherweise war dieser andere nicht weit. Immer wieder blickte Kark zu dem erloschenen Scheinwerfer hinüber, ob nicht dort eine Gestalt auftauchte. Er war zum Äußersten entschlossen. Die Funken müssen weit zu sehen sein, durchfuhr es ihn plötzlich. Wenn der Posten um die Ecke biegt, muß er sie sehen. Endlich erschien ihm das Loch groß genug. Der noch heißen Drahtenden nicht achtend, zwängte er sich durch das Gitter und rannte auf den Ausgang des Werkgeländes zu. Ungefähr kannte er die Richtung. Er machte einen Bogen um die Lampen und kam rasch ans Tor. Eine Stange versperrte die Straße, nur direkt neben dem
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Eingangsgebäude war ein Durchgang offen. Der Pförtner saß – deutlich zu sehen – ein Buch lesend in seinem Raum. Kurzentschlossen zog Kark die fremden Schuhe von den Füßen, schleuderte sie von sich und rannte, was er konnte, auf die Lücke zu, bemüht, so wenig wie möglich Lärm dabei zu machen. Sie werden meinen, es ist ein Tier, wenn sie mich sehen. Ein Mensch kann so schnell nicht laufen – eigentlich merkwürdig, wie träge sie sich für ihre Größe bewegen. Und dabei bin ich hier viel schwerer als zu Hause! Tief gebückt rannte er unter dem Fenster hinweg. Außerhalb des Lampenbereiches drehte er sich um. Niemand folgte ihm. Kark atmete auf. Aber immer noch war der Wächter vor ihrer Wohnstätte zu überwinden. Die Mauer ließ sich ohne Hilfsmittel nicht übersteigen. Langsam ging Kark im Schutz der Bäume auf das Tor zu. Sowohl die Einfahrt als auch die kleine Pforte waren fest verschlossen. In dem Häuschen brannte Licht. Kark überlegte fieberhaft. Mit dem Strahler war nichts anzufangen, er würde ihn sofort verraten. Plötzlich hörte er aus der Richtung des Werkes einen tiefen Ton, der sich durchdringend immer höher schwang, dann abflaute und wieder anstieg. Sie werden den Wächter gefunden haben, durchfuhr es Kark. Schon beim ersten Aufklingen des Tones war er mit einem Satz an die Mauer gesprungen und hatte sich hinter einem Pfeiler unmi ttelbar neben dem Tor verborgen. Keine Sekunde zu früh. Die kleine Pforte öffnete sich, und ein Mann trat heraus. Um zum Werk blicken zu können, mußte er einige Schritte bis zu einem Busch gehen, der ihm die Sicht versperrte. Kark nutzte seine Chance. Mit wenigen Schritten hatte er die Pforte passiert und jagte dem Haus zu. Er fand den Eingang unverschlossen. Leise stieg er nach oben. Unter der Tür zum Klubraum drang Licht hervor. Er hörte sprechen. Die Gefährten, dachte er erleichtert. Leise machte er die Tür auf.
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Sie standen zu sechst am offenen Fenster; sahen zum Werk hinüber und lauschten dem immer noch auf- und abschwellenden Heulen. „Wenn es nur nicht mit Kark zusammenhängt“, flüsterte Surki. „Ich bin überzeugt, daß Kark die Ursache ist“, sagte Mangk. „Was wird er wieder ausgefressen haben? Haben wir denn nur Ärger mit ihm?“ „Hoffentlich ist ihm nichts passiert“, hörte er Rilt sagen. „Und wir können nichts machen“, seufzte Borl. „Auch nicht nötig“, sagte laut, übertrieben gleichgültig Kark, der unbemerkt eingetreten war. „Kark!“ Wie aus einem Munde erklang der im Sirenengeheul nicht weit dringende Ausruf aller. „Was ist passiert?“ fragte Chalo. „Hier sind die Pläne“, entgegnete Kark ruhig. Er zog aus seinem Trikot das Bündel hervor und legte es beinahe ehrfürchtig auf den Tisch. „Sie wissen nicht, daß ich es war“, sagte er leise. „Erzähle“, forderte Chalo beherrscht.
22 „Fräulein Fresh aus Montreal bitte an der Abfertigung C einfinden. Sie werden erwartet. Ich wiederhole: Fräulein Fresh aus Montreal, bitte an der Abfertigung C einfinden. Sie werden erwartet.“ Für einen Augenblick hatte die Stimme der Sprecherin, verstärkt durch etliche Lautsprecher, das monotone, geschäftige Summen der weiten Halle des Airports Los Angeles erstickt.
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An der Abfertigung C warteten Plogontschik und Sudiman. „Es wurde ausgerufen, daß ich mich hier melden soll. Fresh ist mein Name“, sagte eine junge Dame hinter ihnen. „Ah“, entfuhr es Sudiman, indem er sich schnell umdrehte. Die Erwartete war aus einer anderen Richtung, als sie vermutet hatten, gekommen. Er nahm Plogontschik am Arm und stellte vor: „Sudiman. Doktor Plogontschik. Mabel Fresh, wenn ich richtig gehört habe.“ „Ja“, sagte Mabel. Sie reichte den beiden unbefangen die Hand. „Bitte, kommen Sie, der Wagen steht bereit“, forderte Doktor Sudiman auf. David Plogontschik nahm Mabel den Handkoffer ab, nickte der Frau hinter dem Schalter dankend zu, und sie verließen die Halle. „Wie war der Flug?“ erkundigte sich Plogontschik, kaum daß sie im geräumigen Wagen Platz genommen hatten. „Danke, ich fahre lieber Eisenbahn. Nur hätte ich damit in der kurzen Zeit diese Entfernung nicht geschafft. Gestern vormittag bin ich erst von Austin nach Montreal zu Ihrem Hauptsitz geflogen und heute hierher. Das reicht mir für eine Weile.“ „Dürfte aber doch einen, der Urwaldstrapazen gewöhnt ist, nicht umwerfen“, sagte Sudiman. Mabel lachte. „Wir haben nämlich vor, nachdem wir Sie in Ihr Hotel gebracht haben und Ihnen, sagen wir, vierzig Minuten Zeit für eine Erholung gewährt haben, heute noch Professor Sunday aufzusuchen“, fügte er hinzu. „Wenn’s sein muß“, sagte Mabel. „Es wäre besser“, bekräftigte Plogontschik. „Wir möchten noch festlegen, wie wir vorgehen wollen.“ „Ja, das halte ich auch für notwendig. Manchmal reagiert Sunday merkwürdig. Wir haben aber dazu noch während der
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Fahrt Zeit, er wohnt außerhalb der Stadt.“
Der Kies knirschte unter den Füßen Plogontschiks, Mabel Freshs und Sudimans, als sie auf das von Fliederbüschen und Zierfichten umgebene Haus Professor Sundays zuschritten. Eine mürrisch dreinschauende alte Dame öffnete nach dem Läuten und setzte sich langsam, nachdem sie die Wünsche der Besucher entgegengenommen hatte, in das Hausinnere in Bewegung, ohne zum Nähertreten aufgefordert zu haben. Nach wenigen Minuten schlurfte sie wieder heran. „Wenn Sie sich ausweisen können, läßt der Herr Professor bitten.“ Sie betraten eine geräumige Diele, gleich darauf öffnete sich die Tür zu einem Zimmer, in ihr erschien in einem Hausrock ein älterer, straffer Fünfziger mit vollem, weißem Haar, einer ledernen, tiefgefurchten Gesichtshaus und mit strahlenden blauen Augen. Überrascht blieb er an der Tür stehen. „Nanu, Mabel, Sie?“ fragte er, und es schien, als breite sich einen Augenblick lang Unwillen über seine Stirn. „Dann erübrigt sich ja fast meine Frage nach Ihren Legitimationen, meine Herren“, fuhr er fort. „Sie werden sicher Verständnis für einen Mann haben, dem seit einiger Zeit die Reporter dauernd das Haus einlaufen. Seien Sie willkommen.“ Der Professor lud zum Nähertreten ein. „Ich habe Ihre Anmeldung zunächst tatsächlich für. einen Journalistentrick gehalten. Ach, Miß Morton, bringen Sie uns doch etwas Scharfes!“ Nachdem die alte Dame, nicht ohne einen mißbilligenden Blick auf die Fremden, eine Flasche Whisky und Gläser gebracht hatte, wandte sich der Professor lebhaft an die Besucher: „Sie werden verstehen, daß ich einigermaßen neugierig bin, was Sie als Vertreter der Astronautischen Weltföderation zu mir führt. Ich kenne mich zwar einigermaßen in Inkakulturen aus, aber in Astronautik…“ Sundays versuchter Scherz konnte nicht über eine Unruhe hinwegtäu-
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schen, die ihn ganz und gar erfaßt zu haben schien. Seine Hand zitterte, als er die Gläser füllte. Sein unsicherer Blick suchte den Mabels. Sie hielt die Augen jedoch gesenkt, als ginge sie das alles nichts an. „Wir haben, Herr Professor, um es rundheraus zu sagen, Anlaß anzunehmen, daß Sie uns Auskunft über die Landung fremder Kosmonauten auf unserer Erde geben könnten. Wenn das zutrifft, dann bitte ich Sie sehr“, auch in Sudimans Stimme vibrierte die Erregung, „uns zu sagen, was Sie wissen.“ Professor Sunday räusperte sich verlegen und unschlüssig. Wieder suchte sein Blick Mabel. Diesmal sah sie auf. Sie nickte zustimmend auf seine stumme Frage und aufmunternd zugleich. Überrumpelt, dachte Professor Sunday. Mabel hat schon alles gesagt. Dazu hatte sie kein Recht! Leichter Zorn stieg in ihm hoch, färbte seine Wangen und ließ die Stirnadern anschwellen. Sie macht mir, sich und den anderen alles kaputt! Er schloß eine Sekunde die Augen, sammelte sich, rang nach Beherrschung. „Warum fragen Sie, wenn Sie ohnehin schon alles wissen?“ sagte er dann so kühl, wie er es vermochte. „Wir haben Mabel Fresh erst vor zwei Stunden kennengelernt. Sie konnte uns noch keine Einzelheiten berichten – und es geht, Herr Professor, darum, keine Zeit, keine Stunde mehr zu verlieren, um die Gäste aus ihrer vermutlich unwürdigen Situation zu befreien. Deshalb bitten wir Sie, uns zu berichten, und am 7. Juli, übermorgen, mit uns nach Austin zu kommen, wo wir die Fremden aufsuchen wollen. Und, Herr Professor“, fuhr David Plogontschik fort, „spätestens übermorgen hätten wir Sie ohnehin besucht, wenn Ihre Assistentin nicht in Montreal gewesen wäre. Die Depesche von dort erreichte uns, als uns schon klar war, daß nur Ihre Expedition auf die Fremden gestoßen sein konnte.“ „Na schön!“ Professor Sunday griff nach seinem Glas,
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räusperte sich erneut und begann zu berichten. „… leider kann ich Ihnen nicht sagen“, schloß er, „wie lange sie für den Übersetzungsautomaten gebraucht haben; denn wir reisten ab, bevor er fertig war. Das ist alles, meine Herren.“ Bei den letzten Worten Sundays blickten Sudiman und Plogontschik überrascht auf. Plogontschik fragte: „Sie gingen weg, ohne zu wissen, wie sich alles weiterentwickelte?“ „Ja, junger Mann, ich ging, aber das werden Sie, wenn Sie aus der Sowjetunion kommen, kaum verstehen. Ich ging also, weil sich mir die Chance meines Lebens bot. Ich bekam ein großzügiges Angebot. Und wenn Sie wissen, wie hierzulande ein Forschungsgebiet wie das meine gefördert wird, können Sie sich denken, wie es einem Inkaforscher geht, der wenigstens alle zwei Jahre eine Expedition ausrüsten möchte, gut ausrüsten möchte. Und sehen Sie: Das alles sollte ich mit einem Schlage erhalten. Mehr noch: ein komplett eingerichtetes Institut mit modernstem Gerät, sogar mit Analogrechnern zur Übersetzung der inkaischen Knotenschriften, einen beachtlichen Mitarbeiterstab und die Möglichkeit, einige Expeditionen auszurüsten. Der Preis war nicht zu hoch – ich sollte nur meinen Mund halten, so lange, bis ich von anderer Seite von der Landung der Kosmonauten hörte und das, so wurde mir versprochen, sollte kein halbes Jahr mehr dauern. Außerdem reizte mich damals die Inkastadt, die wir ja, ohne sie näher zu untersuchen, Hals über Kopf verlassen hatten. Und wie Sie vielleicht wissen, hat es sich ja auch gelohnt – sogar finanziell so gelohnt, daß es mir möglich sein wird, zwar bescheidener als vordem, aber doch zufriedenstellend ein Institut selbst zu finanzieren. Sehen Sie, so ging das halbe Jahr ins Land, wir gingen unseren Forschungen nach, das Thema ‘Kosmonauten’ wurde kaum berührt, bis die Geschichte mit Doktor Brand passierte. Er bekam einen Malariaanfall. Und weil er sich offenbar
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gedanklich auch erheblich mit diesem Problem beschäftigt hatte, spielten die fremden Kosmonauten in seinem Fieberphantasiegebilde eine große Rolle. Als man ihn, nachdem er wieder gesund war, ob seiner regen Phantasie aufzog, muß ihm wohl die Geduld gerissen sein. Er bestritt, daß die Außerirdischen lediglich Phantasien seines Malariafiebers seien. Er versuchte heftig und daher nicht besonders glaubwürdig, die Wahrheit durchzusetzen. Wir konnten seine Angaben nicht bestätigen und hätten dies vielleicht auch nicht gewollt. Doktor Brand war allein ausgeflogen worden, also hätten die Ärzte nichts auf seine Reden gegeben. Irgendwie muß aber Harries von der Sache Wind bekommen haben, und er war es dann wohl, der dafür gesorgt hat, daß Brand in eine Anstalt kam, zur Beobachtung, wie es hieß. Sie haben die Sache auch gut getarnt, da in der Anstalt wirklich nur unheilbar Malariakranke, die zu Anfällen neigen, untergebracht sind.“ Professor Sunday machte eine kleine Pause, trank einen Schluck und fuhr dann fort: „Ich schildere Ihnen das so, wie ich es mir nach der Unterhaltung mit Brand, die man mir nach langem Zögern gestattete, und nach einigen Äußerungen Helstons, als wir noch zusammen waren, zusammengereimt habe.“ „Bitte, einen Moment“, sagte Sudiman. Er wechselte die Rolle des Tonbandgerätes, schaltete wieder ein und bat Sunday, fortzufahren. „Ich leide weiß Gott nicht unter Verfolgungswahn, aber was mir seit der Rückkehr aus der Inkastadt alles widerfuhr, kann nicht mehr Zufall sein. In der Krankenanstalt wies man mich höflich, aber bestimmt ab. Der Patient befände sich in Beobachtung, und ich solle mich nicht einmischen. Daraufhin bekam ich fast täglich anonyme Anrufe, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen.“ Nach einer Pause fuhr er leise fort: „In der Zwischenzeit scheint aber Mabel gehandelt zu haben.“
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„Ihre Mitarbeiterin hat mit ihrem Bericht, genau wie Sie jetzt, Herr Professor, die Suche nach den Fremden abgekürzt, und damit dürften Sie an den fremden Kosmonauten – verzeihen Sie – einiges gutgemacht haben. Sind Sie übrigens sicher“, sprach Sudiman weiter, „daß der Aufenthalt Doktor Brands in einem Sanatorium Harries zuzuschreiben ist?“ „Ich kann es nicht beweisen. Sie haben mir kürzlich die Zuwendungen für mein Institut gestrichen und mir angekündigt – telefonisch, nicht schriftlich, versteht sich –, daß sie auch die für kommendes Frühjahr geplante Expedition nicht finanzieren werden. Und im übrigen solle ich mich in acht nehmen. Aber lassen Sie doch in diesem Zusammenhang Mabel berichten. Und -“, er wandte sich direkt an Mabel, „sagen Sie alles – auch das, was Sie mir gesagt haben!“ „Viel gibt es nicht mehr zu sagen“, bemerkte Mabel. „Aber vielleicht noch etwas, das Sie, Herr Professor, interessieren wird: Es war nicht meine Idee, zur AWF zu gehen. Es war Helston, der mich dazu veranlaßt hat.“ „Ach“, entfuhr es Sunday. „Ansonsten kann ich nur das wiederholen, was ich bereits in Montreal gesagt habe“, setzte Mabel ihren Bericht fort, „und nur das bestätigen, was uns Professor Sunday schilderte. Als wir mit den Fremden damals aus dem Urwald kamen, schöpfte ich noch keinen Verdacht. Was Helston sagte – und später auch sein guter Bekannter Harries –, klang plausibel. Und außerdem war da noch unsere Stadt. Ich glaubte die Gäste in guten Händen, und so fuhren wir, sobald sich die Gelegenheit ergab, wieder nach Peru. Es gab Arbeit in Hülle und Fülle, und wir gingen mit Feuereifer an die Untersuchungen. Natürlich sprachen wir gelegentlich über die Fremden, aber ohne großen Argwohn. Und wenn mal einer Bedenken äußerte, dann wußte sie ein anderer zu zerstreuen.“ „Seien Sie nicht zimperlich, Mabel“, unterbrach Sunday, „ich war es meist, der in dieser Sache zur Geduld mahnte.“
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„Und ich habe Sie dabei nicht schlecht unterstützt. Ja, so war es“, fuhr Mabel bestimmt fort. „Ich, ich…“ Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. Sie sah auf ihre Fußspitzen, als sie leise weiterpsrach: „Nun, ja, ich hatte während der ersten Expedition – noch bevor wir aus dem Urwald ausflogen –, mit Helston eine Art Aussprache. Es war so, als ob ihn etwas bedrückte – jedenfalls dachte ich danach, er sei so schlecht nicht, und ich faßte ein gewisses Vertrauen zu ihm, das er ja nun auch gerechtfertigt hat. Denn er bat mich vor zehn Tagen, ihm bei der Befreiung der Kosmonauten zu helfen. Er hatte schon die Flugkarte für mich nach Montreal besorgt. Glauben Sie, das war für ihn nicht leicht. Er braucht sicher noch Zeit…“ „Wir werden sehen“, sagte Sudiman. An Sunday gewandt, fuhr er fort: „Können Sie es möglich machen, Herr Professor, übermorgen für einige Tage mit nach Texas zu kommen? Es wäre schön, wenn Walker ebenfalls mit dabei sein könnte. Nach Lage der Dinge möchten wir auf Doktor Brand verzichten. Ich stelle es mir zwar nicht schwierig vor, ihn freizubekommen, halte es aber für unklug, das jetzt zu tun. Die andere Seite könnte allzu leicht gewarnt werden, und darin könnte eine Gefahr für die Fremden liegen. Es ist schon genug, daß Harries von unseren Nachforschungen in Peru erfahren hat.“ „Ja, wir kommen mit“, sagte Professor Sunday. „Wir haben zwar eine Menge zu tun, die Veröffentlichungen über die Inkastadt sollten nächste Woche heraus, aber das hier ist wichtiger.“
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23 Der Erste Sekretär der AWF, Professor McDonald, lief unruhig in seinem Hotelzimmer hin und her. Wiederholt wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn. Ein übles Klima in diesem Austin, dachte er. Er warf einen mißbilligenden Blick auf die verkleideten Wandöffnungen der Klimaanlage, deren lautlose Ventilatoren jedoch liefen. Aufgeregt wie ein Schüler bin ich, konstatierte McDonald. Wo sie auch bleiben! Es wird höchste Zeit! „Na endlich“, stieß er aus, als das Telefon summte. Eilig griff er zum Hörer und nahm die Meldung des Portiers entgegen, daß der erste ausländische Repräsentant soeben eingetroffen war. Auf dem Korridor klopfte McDonald an Plogontschiks Tür, wartete die Antwort nicht erst ab, sondern rief in das Zimmer: „Ihr Chef ist da“, und lief, ohne auf Plogontschik zu warten, zum Lift. Im Konferenzzimmer stand breit, ein wenig schlecht rasiert, Pawel Alexandrowitsch Wyschniak. Er mußte direkt vom Flugplatz gekommen sein. Seinen Staubmantel hatte er nachlässig über einen Sessel geworfen. Mit ausgestreckten Armen gingen die beiden Wissenschaftler aufeinander zu. „Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Entdeckung“, sagte herzlich McDonald. „Unseren Jungs der Pazifikflotte gilt das“, wehrte Pawel Alexandrowitsch ab. „Aber ich freue mich riesig, daß wir sie nun endlich gefunden haben. Ich habe kaum geschlafen vor Aufregung, seit ich die Nachricht von diesem wunderbaren Ereignis erhielt. – Ach, guten Tag, David Semjonowitsch“, rief er dem eintretenden Plogontschik entgegen, ihn gegen seine sonstige Gewohnheit beim Vornamen nennend. „Na, habe ich
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es nicht gesagt, daß wir mit Ihnen den Richtigen hierhergeschickt haben?“ „Aber Genosse Professor!“ Plogontschik wurde etwas verlegen. „Sie wollten doch den Empfang der Gäste bei uns vorbereiten – und nun – nun…“ „Nun bin ich hier, wollen Sie sagen.“ Pawel Alexandrowitsch lachte. „Sie kennen die Gäste ja schon – aber ich – verstehen Sie? Ich betrieb schon Astrobiologie, da war an einen gewissen David Plogontschik noch nicht zu denken. Und wissen Sie, was der Traum eines jeden Astrobiologen ist? – Na, was schlagen Sie vor?“ Er lachte. Plogontschik zuckte verlegen die Achseln. „Also was soll ich zu Hause hocken? Die Vorbereitungen kann die Poleshajewa machen – oder trauen Sie ihr das nicht zu?“ „Bitte, entschuldigen Sie, Kollege Wyschniak“, unterbrach McDonald, der dem Disput der beiden Landsleute ungeduldig gefolgt war. „Ich muß noch einiges für heute nachmittag vorbereiten. Sie verstehen. Die Situation ist nicht ganz einfach – aber lassen Sie sich das bitte von Herrn Plogontschik berichten.“ „Ja natürlich, verzeihen Sie“, sagte Pawel Alexandrowitsch. „Wir haben uns vom Augenblick des Wiedersehens unter den gegebenen Umständen hinreißen lassen. Es bleibt also bei der Zusammenkunft um elf Uhr? Wer wird teilnehmen?“ „Von der AWF die Suchgruppe und ich, die Expeditionsteilnehmer mit Professor Sunday, Sie und Ihr Kapitän – wo haben Sie ihn eigentlich gelassen?“ „Er hat sich ein wenig hingelegt, hat den Flug nicht gut vertragen“, sagte schmunzelnd Pawel Alexandrowitsch. „Bis nachher.“ Mit diesen Worten verließ McDonald eilig den Raum. „Kommen Sie, begleiten Sie mich auf mein Zimmer und berichten Sie ausführlich“, forderte Pawel Alexandrowitsch
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David Plogontschik auf.
Es ertönte ein Summton, die Pforte schlug auf. „Was gibt es denn, verdammt noch mal“, schimpfte jemand. Ein Mann trat aus der Tür. „Ach“, sagte er, als er die große Limousine und die ihm wohlbekannten Uniformen der Männer erblickte. „Oberst Kent, Bundespolizei“, stellte sich ein schlanker Endvierziger vor. „Oho“, sagte der andere, „der Bund bemüht sich. Ich wüßte nicht, womit wir eine derartige Aufmerksamkeit verdient hätten“, spöttelte er. Seine Worte bekamen Schärfe, als er fragte: „Sie können doch sicher nachweisen, daß Sie in einer Angelegenheit kommen, die außerhalb der Kompetenz der hiesigen Polizeibehörde liegt? Sie haben doch hoffentlich O’Kan, den zuständigen Chef, verständigt? Und warum ist er nicht dabei?“ „Und weshalb wir hier sind, interessiert Sie wohl nicht?“ fragte, einen Augenblick auf den Ton des anderen eingehend, Kent. Dann sagte er bestimmt: „Im übrigen rate ich Ihnen, nicht unverschämt zu werden. Fragen stelle ich, und ich weiß, was ich zu tun und zu lassen habe! Wer sind Sie?“ „Mein Name ist Fergus. Ich bin vom Eigentümer dieses Grundstücks mit der Bewachung des Objektes beauftragt. Ich bin auch berechtigt, mit Ihnen zu verhandeln. Bitte, hier sind entsprechende Legitimationen“, sagte Fergus betont höflich. Kent warf einen flüchtigen Blick auf die hingehaltenen Papiere. „Es besteht dringender Verdacht, daß sich auf diesem Grundstück sieben Lebewesen befinden, die von Ihnen widerrechtlich festgehalten, und verborgen werden. Hier ist der Durchsuchungsbefehl. Benachrichtigen Sie den Eigentümer und geben Sie jetzt den Eingang frei.“
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Auf der schmalen Zufahrtsstraße näherten sich zwei geschlossene große Wagen. Aus dem ersten stiegen Pawel Alexandrowitsch Wyschniak, Professor McDonald, Professor Sunday, David Plogontschik und Sudiman. Im zweiten Wagen kamen Walker, Professor Drughster, Berqué und Kamienski. „Kommen Sie, Professor“, wandte sich Kent an Professor McDonald. „Wir haben hier einen Mann, der uns sagen wird, wo wir die Fremden finden.“ Fergus lachte höhnisch. „Das weiß ich nicht, tun Sie doch nicht so, als hielten wir jemanden gefangen. Daß Sie meine Leute auf den Beinen sehen, kommt lediglich daher, daß der Torwärter, der Trottel, Alarm ausgelöst hat. Wenn hier jemand ist, dann darf er sich frei bewegen, und wenn er hier wohnt, im ganzen Hause. Also kann ich Ihnen nicht sagen, wo er sich zur Zeit aufhält. Da Sie einen Durchsuchungsbefehl haben, würde ich an Ihrer Stelle davon Gebrauch machen. Die Sache hat sowieso ein Nachspiel, vielleicht gar nicht rühmlich für Sie“, setzte Fergus noch bissig hinzu. Die Polizisten gingen voran. Nach einem bestimmten Plan verteilten sie sich um die Villa. Die Gruppe von Oberst Kent hatte das Gebäude erreicht. Ein Mann, der aus der Tür trat, wollte auf einen Wink von Fergus hin gleich wieder im Haus verschwinden. Oberst Kent versperrte ihm den Weg. „Wo sind die Fremden?“ fragte er scharf. Der Mann zögerte und wies dann mit der Hand nach oben. „Klub“, sagte er lakonisch. Als sie vor der Tür des Klubraumes standen, blickte Professor McDonald unschlüssig seine Begleiter an, schließlich klopfte er. Als hinter der Tür alles still blieb, öffnete er langsam. In dem Teil des Raumes, den der Blick durch die halbgeöffnete Tür freigab, zeigte sich nichts außer einigen technischen Anlagen. Entschlossen trat McDonald ein. Seine Begleiter folgten zögernd. In der Ecke, die die Tür verdeckt hatte, standen die sieben
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Kosmonauten. Sie hatten die Skaphander angelegt und die Helme geschlossen. Sie erwiderten den Gruß Professor Sundays nicht. „Nanu, erkennt ihr mich denn nicht?“ rief dieser und trat einige Schritte auf die Kosmonauten zu. „Ich bin es, Sunday, wir haben uns doch im Urwald getroffen!“ Aber auch jetzt erhielt er keine Antwort. Schließlich nahm einer der sieben den Helm ab. „Der Chef!“ rief Sunday. Chalo gab mit hoher Stimme eine Weisung. Ohne daß die anderen die Tür außer acht ließen, ging einer von der Gruppe auf eine Art Schreibmaschine zu. Der „Chef“ sprach einige Worte. Eine zweite Schreibmaschine unweit vom Standort Sundays klapperte synchron mit. Mit einer Armbewegung wies Chalo auf diese Maschine. Erregt beugte sich Sunday darüber und las: „Wir grüßen dich, Graukopf, wir erkennen dich. Warum bist du gekommen?“ Enttäuscht richtete sich Sunday auf. Was sollte er auf eine so direkte Frage antworten? Hilfesuchend sah er sich nach Professor McDonald um. Der war zunächst noch keiner Reaktion fähig. Er starrte die Kosmonauten an, überwältigt vom Zusammentreffen mit Wesen einer fremden Welt. Den Vorgang um Sunday schien er nicht bewußt aufgenommen zu haben. Professor Wyschniak faßte sich als erster. Er stieß McDonald an und raunte: „Sie müssen was sagen!“ „Ja – ja natürlich.“ McDonald strich sich über die Stirn. Er sah sich um, als suche er etwas. „Kann jemand maschineschreiben?“ fragte er und war sich gleichzeitig ärgerlich bewußt, daß sie diesen Umstand bei der Vorbereitung des Treffens außer acht gelassen hatten. „Ich werde es versuchen“, sagte Professor Sunday. Er setzte sich hinter die Maschine. Die Kosmonauten hatten ihre abweisende Haltung nicht aufgegeben. Borl saß an der anderen Maschine. Es sah aus, als sei er in seinem metallisch glänzen-
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den Skaphander ein Teil des Computers. Chalo stand neben ihm, etwas dahinter die anderen fünf, schweigend, unbeweglich. „Liebe Freunde aus dem All“, begann McDonald stockend. Auf einmal kam ihm die Situation so unwirklich vor. Wie oft hatte er sich in den letzten Tagen das Zusammentreffen mit den Fremden ausgemalt, wie er freudig auf sie zugehen würde, sie umarmen, zum Wagen bitten und in einer Triumphfahrt zum Flugzeug bringen. Seine Illusion brach hier in diesem Raum zusammen. Er stand vor einer abweisenden, fremden Front, die entschlossen schien, sich zu verteidigen, Wesen, die sich abgekapselt hatten, nicht nur äußerlich. Sie hatten zwischen sich und den Menschen eine Schranke gezogen. Was haben sie mit euch gemacht! Bitter empfand in diesem Augenblick McDonald das Unrecht, das den Fremden widerfahren sein mußte. Zornig blickte er auf Sunday. Als ob er sich des stummen Vorwurfs bewußt sei, blickte dieser zu Boden. „Schreiben Sie!“ herrschte McDonald ihn an, besann sich jedoch sofort und fügte hinzu: „Verzeihen Sie, es war nicht so gemeint, bitte, schreiben Sie.“ „Lassen Sie nur“, sagte Professor Sunday leise. Seine Finger glitten fahrig über die Tasten. „Sie haben ganz recht. Ich bin es, der die meiste Schuld hat. Ich ganz allein.“ „Bitte, Professor, wir müssen hier eine nicht einfache Situation meistern. Und eines merken Sie sich: Allein tragen Sie nicht die Schuld. Sie sind ein Mensch Ihrer Zeit und handelten so, wie diese Zeit es Ihnen vorschrieb. – Aber jetzt schreiben Sie bitte: Freunde aus dem All!“ Langsam klapperte die Maschine, von zwei Fingern bedient. „Ich stehe vor Ihnen und habe Sie im Namen der Menschen von ganzem Herzen um Verzeihung zu bitten. Vergessen Sie das Unrecht, das Ihnen widerfuhr, und legen Sie jetzt Ihren Groll beiseite. Wir versprechen Ihnen, wiedergutzumachen, was wir wiedergutmachen können.
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Ich bin von der Astronautischen Weltföderation, einem Gremium, dem Vertreter der meisten Staaten der Erde angehören, beauftragt, Sie im Namen der Menschheit auf unserem Planeten zu begrüßen.“ McDonald stockte. Ist es nicht lächerlich, was ich sage? Müssen sie es nicht als eine Farce auffassen, sie, die man offensichtlich hintergehen wollte – und jetzt mache ich große Worte – „im Namen der Menschheit“ und so. Was müssen sie von dieser Menschheit für eine Meinung haben! Plötzlich ertönte wieder das Zwitschern von der anderen Seite. Chalo hatte die wenigen Worte McDonalds in der Übersetzung gelesen. Sundays Maschine klapperte selbständig. „Sprich weiter“, stand da, „wir hören.“ „Ich weiß nicht, ob Sie mich begreifen können. Ja, ich bin beauftragt, Sie im Namen der AWF und der Menschheit zu begrüßen, aber wir ahnten ja nicht, in welcher Lage wir Sie antreffen würden. Wir sind vier Milliarden. Sie haben nur wenige kennengelernt. Es war ein bitterer Zufall, daß sie gerade auf jene trafen, die Sie für ihre Zwecke zu mißbrauchen suchten. Professor Sunday gehört bestimmt nicht dazu. Bitte, glauben Sie mir“, wiederholte McDonald eindringlich. „Ich versichere Ihnen – und dafür verbürge ich mich als Erster Sekretär der AWF –, daß Ihnen die Menschen, die Bevölkerung aller Länder, einen triumphalen, einen herzlichen Empfang bereiten werden.“ McDonald machte eine Pause, um Sunday Gelegenheit zu geben, seinen Rückstand im Schreiben aufzuholen. An der zweiten Maschine verlas Chalo halblaut das von McDonald Gesagte. Er hielt sich dabei den Helm vor den Mund, um den Gefährten das Mithören über den Helmlautsprecher zu ermöglichen. McDonald wollte gerade weitersprechen, als Chalo eine Frage stellte und Sundays Schreibmaschine wieder hämmerte:
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„Und was willst du tun?“ fragte Chalo. „Wir, wir…“ McDonald stotterte ein wenig ob der direkten Frage. Unbewußt zog er sein großes Taschentuch hervor und fuhr sich über die Glatze. „Wir fahren von hier aus zum Flugplatz. Es steht ein Sonderflugzeug bereit, das uns in eine große Stadt bringt. Weitere Mitglieder unserer Vereinigung werden dort sein und Vertreter der Regierung der USA, auf deren Territorium Sie sich derzeit befinden. Es wird eine offizielle Begrüßung sein, und es soll auch euer weiteres Programm festgelegt werden. Die Erde erwartet euch, sie steht euch offen!“ „Wir bitten um ein wenig Geduld“, sagte Chalo, nachdem er McDonalds Worte laut verlesen und mit seinen Gefährten einige Worte gewechselt hatte. „Wir wollen über das, was du gesagt hast, beraten.“ Chalo stülpte seinen Helm über. So verlief die kurze Beratung der Fremden für die Menschen in dem Zimmer völlig lautlos. Nach weniger als einer halben Stunde nahm Chalo seinen Helm wieder herunter. McDonald stand auf, beugte sich erwartungsvoll über die Maschine und las das, was Borl nach dem Diktat von Chalo schrieb: „Höre, wie es uns die letzten Tage ergangen ist: Man wollte uns mit mehr oder weniger Gewalt zwingen, neue Pläne anzufertigen, weil die ursprünglich vorhandenen…“, Chalo lächelte, „…verschwunden waren. Dazu sollten wir Unterlagen von Abschnittstechnologien und Materialien herstellen, die erst sehr viel später für den Weiterbau gebraucht werden. Wir haben uns geweigert. Natürlich wurde dadurch unser Verhältnis zu den hiesigen Menschen gespannt.“ Chalo machte eine Pause. Er wartete, bis beide Maschinen den Text zu Ende geschrieben hatten, dann fuhr er fort: „Es ist wahr, daß wir täglich die Vertreter der Astronautischen Weltföderation erwarten. Wer sagt uns nun, daß du ein Vertreter dieser
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Vereinigung bist und nicht zu jener Gruppe gehörst, die wir schon kennen?“ „Ich verstehe euch, Freunde“, sagte McDonald. „Hier sind Legitimationen. Sie weisen mich als Mitglied der AWF aus und sagen auch, daß ich mit der Leitung der Suchaktion nach euch beauftragt bin.“ Zum erstenmal sah McDonald und sahen die meisten Menschen, die mit ihm gekommen waren, die beredten Augen eines der Fremden, Chalos, aufblitzen. Eigenartigerweise empfanden sie sofort, daß es Lachen war. Chalo sagte: „Du kannst uns grundsätzlich alles zeigen, es bleibt für uns wertlos, weil wir die Aussagekraft und die Macht deiner Papiere nicht kennen.“ „Entschuldigen Sie“, unterbrach Pawel Alexandrowitsch Wyschniak einen Redeansatz McDonalds. „Das wird doch so nichts! Diese Mabel muß her und die zwei, zu denen die Gäste bereits Vertrauen gefaßt hatten, dieser Helston und Meroan oder wie er heißt. Ich war ja gleich dagegen, auf das Mädel Rücksicht zu nehmen. Es geht doch wohl um etwas mehr als darum, ob ein junger Mann seinen fragwürdigen Freunden gegenüber sein Gesicht behält oder nicht!“ Ohne eine Antwort McDonalds abzuwarten, verließ David Plogontschik den Raum, um zu veranlassen, daß die Genannten schnellstens geholt wurden. McDonalds Gesicht färbte sich hochrot, sein Taschentuch, zerknüllt, drückte er von einer Hand zur anderen. Dann sagte er: „Ja gewiß, gewiß.“ Es war nicht sicher, wem diese Worte galten. Chalo oder Professor Wyschniak. Sunday entschied sich für den letzteren, er schrieb nicht. Sudiman half über die Verlegenheitspause hinweg. Er trat einen Schritt vor und sagte: „In einer halben Stunde wird die Frau, die Sie im Urwald kennengelernt haben, hier sein. Wir haben mit ihr gesprochen.“ Chalo nickte zustimmend, wie er es bei den Menschen gesehen hatte. Er wandte sich an McDonald: „Wir sind mit deinem Vorschlag einverstanden. Wir werden in eure große
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Stadt fliegen, aber ihr werdet es uns wohl nicht übelnehmen, wenn wir eine Bedingung stellen? Wir möchten, daß möglichst sofort eure Bild- und Tonsendestationen von unserem Aufenthalt auf der Erde berichten. Sie mögen schnellstens ihre Vertreter hierherschicken. Begreifst du unseren Wunsch?“ „Ja“, sagte McDonald. Er sah zur Uhr. „In einer Stunde, denke ich, konnte es soweit sein“, sagte er. Mit diesen Worten und einer kleinen Verbeugung verließ er das Zimmer. Die anderen schlossen sich an. Sie gingen in den kleinen Nebenraum. Es kam zu keinem Gespräch. Sie schwiegen teils aus Verlegenheit, teils aus Schuldgefühl und Unentschlossenheit. „Teufel noch eins!“ polterte Pawel Alexandrowitsch plötzlich los und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. „Sind wir ein Haufen Klageweiber? Plogontschik, los, trommeln Sie die Funkfritzen heran. Sorgen Sie aber unbedingt dafür, daß die Satellitensysteme angeschlossen werden. Benachrichtigen Sie auch die Presse. Machen Sie den Kerlen Beine, aber sehen Sie zu, daß nicht nur die Hinterhofreporter anrücken. Oberst Kent, Sie würde ich bitten, das Haus hier von allen diesen Gestalten zu säubern, die bislang Wache spielten. Die Fremden sollen keine Nahrung für weiteres Mißtrauen bekommen. Außerdem brauchen wir keine Schnüffler. Bitte, Kollege McDonald, lassen Sie sich die Geschichte nicht so an die Nieren gehen. Der geplante Empfang heute abend findet statt! Und wie mir bekannt ist, gab es noch eine Menge zu tun…“ McDonald blickte dankbar auf. „Ja, ja, Sie haben recht, Kollege“, sagte er noch ein wenig zerstreut. Verlegen steckte er sein Taschentuch in die Brusttasche seines Jacketts. Plötzlich ging die Tür auf. Drei der Kosmonauten betraten den Raum. Sie hatten die Skaphander abgelegt. In ihren enganliegenden Kombinationen zeichneten sich die Körperkonturen deutlich ab. „Der Chef, die Biologin und der Sprachler“, raunte Professor
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Sunday McDonald zu. Min und Borl trugen die beiden Schreibmaschinen und stellten sie auf. „Wenn ihr etwas Zeit habt“, sagte Chalo, „würden wir euch bitten, uns zu berichten, wie ihr auf unsere Spur gekommen seid.“ „Bitte, Doktor Sudiman, berichten Sie“, sagte McDonald. „Ach, nein, berichten Sie, Kollege Wyschniak, bei Ihnen hat es angefangen.“ „Eigentlich bei dem Kapitän eines unserer Schiffe – er wird heute abend dabeisein -“, begann Pawel Alexandrowitsch. Nach ihm nahm Sudiman den Faden auf und berichtete über die Suchaktion im Urwald. Als er von der Bergung des Behälters erzählte, glomm ein Leuchten in den Augen der drei auf, aber auch so etwas wie Erregung. Sudiman beeilte sich daher, zu sagen, daß ihnen die Gegenstände, wenn gewünscht, in wenigen Stunden unversehrt, soweit das nach dem Absturz des Behälters möglich war, zur Verfügung stehen könnten. Der Bericht Sudimans wurde durch die Ankunft Mabel Freshs, Helstons und Mervans unterbrochen. Da der kleine Raum der Villa, in dem sie bisher saßen, zu eng wurde, gingen sie wieder in den Klubraum hinüber. Hier hatten inzwischen auch die vier anderen Kosmonauten ihre Skaphander abgelegt. Natürlich dachten die Anwesenden nicht im entferntesten daran, irgend etwas für den abendlichen Empfang vorzubereiten. Nur Plogontschik und Kent, die sich um die bevorstehende Presse- und Funkkonferenz kümmerten, waren abwesend. Mabel Fresh wurde besonders herzlich von den Kosmonauten begrüßt. Wenn noch ein Rest Mißtrauen vorhanden war, so hatte ihn ihr Erscheinen beseitigt. Sudiman berichtete weiter. Er raffte jedoch die Ereignisse, weil in immer kürzeren Abständen Motorengeräusche anfahrender Autos von unten heraufdrangen. Wenig später mußte Sudiman ganz abbrechen. Plogontschik erschien und berichte-
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te, daß das Fernsehen, Rundfunkreporter und Journalisten der bedeutendsten Einrichtungen anwesend seien und daß in wenigen Minuten begonnen werden könne. Als Ort sei die große Veranda der Villa vorgesehen. Sie gingen zwanglos gemischt die Treppen hinunter, Menschen und Fremde, ganz so, als seien sie schon lange miteinander bekannt. Kamienski und Helston legten die Kabel zum Computer, während Plogontschik und Professor Drughster je eine der Schreibmaschinen ergriffen. An der Tür des Klubraums blieb Drughster stehen, die Maschine mit dem Knie abgestützt. Er wartete, bis Plogontschik bei ihm war. Er, der bislang kaum ein Wort gesagt hatte, so, als genösse er die Einmaligkeit des Augenblicks, sagte jetzt mit einer Wärme in der Stimme, die ihm Plogontschik nie zugetraut hätte: „Ich habe Ihnen viel abzubitten, Herr Kollege. Es ist schön, wenn man wie Sie von einer Sache überzeugt ist und nach dieser seiner Überzeugung konsequent handelt.“
24 Kurz nach dem Beginn der Pressekonferenz hielt der schwarze Cadillac, von Harries selbst gesteuert, vor der Parkvilla. Ein Uniformierter, in der Meinung, einen verspäteten Korrespondenten vor sich zu haben, trat an den Wagen, grüßte und sagte: „In der Veranda, bitte.“ „Danke“, sagte Harries. „Ich erwarte hier jemanden.“ Der Polizist schlenderte achselzuckend davon. Ich gäbe was drum, dachte er, wenn ich jetzt dort in der Veranda sein könnte. Fergus tauchte plötzlich auf und stieg schnell zu Harries in
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den Wagen. Harries startete und reihte sich in den Pulk parkender Autos vor der Villa ein. „Keine Sentimentalitäten, Fergus“, sagte er einleitend. Er zündete sich eine Zigarre an. „Berichten Sie!“ Fergus gab einen kurzen Lagebericht. „Also vorläufig nichts zu machen“, stellte Harries fest. „Ist über den weiteren Bau des Raumschiffs schon irgend etwas gesagt worden?“ „Nein.“ „Na gut, dann bleiben Sie so lange hier, bis alle verschwinden. Wenn es auch mein Grundstück ist, rausschmeißen wollen wir sie nicht.“ „Sie halten es nicht für richtig, wenn ich erst mal – ein wenig untertauche?“ „Wozu? – Uns, weder Ihnen noch mir, ist etwas anzuhaben. Oder haben Sie gestern noch irgendwie über die Stränge geschlagen? – Na also“, fuhr er fort, als Fergus verneinte. „Es gibt kein Gesetz, gegen das wir verstoßen hätten. Sollten die Fremden irgendwie gegen uns aussagen, so können wir das immer noch auf ein Mißverständnis schieben. Das soll ja wohl vorkommen. Ich habe Sorge dafür getragen, daß morgen, oder übermorgen, wenn die Kommentare kommen, der Presse Material übergeben wird, aus dem die Welt sieht, wie gut wir die Fremden bisher auf die Erde vorbereitet haben.“ „Ich habe Informationen, daß Helston in dieser Sache eine zwielichtige Haltung einnimmt“, sagte Fergus leichthin. „Helston – meinen Sie?“ fragte Harries. „Es würde einiges erklären…“ Er zog an seiner Zigarre. „Hoffentlich hat er sich das gut überlegt.“ Harries stieß eine mächtige Rauchwolke aus. Er lächelte. „Nun, momentan kann eine solche Entwicklung nur günstig sein. Später werden wir weitersehen.“ Er machte eine Handbewegung, als wollte er etwas hinwegwischen. „Wie steht es im Werk? Die Triebwerke können wir auch streichen?“ „Nicht ganz. Der Spiegel wurde gerade fertig. Das Wichtig-
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ste!“ antwortete Fergus. „Ich konnte drei sicherstellen, bevor sie kamen. Es ist ein Jammer, daß die Unterlagen weg sind. Jetzt wimmelt es drüben von Bundespolizei. Eigentlich, Chef, dürften die dort doch gar nicht eingreifen.“ „Stimmt, aber das lassen Sie nur meine Sorge sein. Sie kennen doch unseren Mechanismus, die Regierung muß jetzt mal so tun, als ob… Versetzen Sie sich mal in die Lage von Washington! Und falls die Presse in den nächsten Tagen über uns herzieht – alle machen das sowieso nicht –, nehmen Sie es nicht zu schwer.“ Jetzt grinste Harries über das ganze Gesicht. „Erstens sind noch ein paar Eisen im Feuer, und zweitens wären Sie der erste Amerikaner, der sich etwas aus der Weltmeinung macht. Halten Sie die Ohren steif und drahten Sie sofort, wenn Sie etwas über den weiteren Bauablauf hören. So long!“ Fergus stieg aus. Der schwere Wagen schoß, auf dem unbefestigten Weg gelben Staub aufwirbelnd, aufbrummend davon. Fergus sah ihm nach. Nicht kleinzukriegen, dachte er, jedenfalls nach außen hin. Wird ihn ‘ne schöne Stange Geld gekostet haben, das Unternehmen.
Die Menschen standen oder saßen in kleinen Gruppen, zwanglos. Die sieben Kosmonauten des Systems Proxima Centauri mitten unter ihnen. Borl war umlagert. Er verstand die Sprache und verbarg es nun nicht mehr, und er dolmetschte. Es waren Belanglosigkeiten, die ausgetauscht wurden, so, wie man eine Vorspeise genießt, wenn man weiß, daß das Hauptgericht sehr gut und reichlich sein wird und außerdem noch eine Weile auf sich warten läßt. Und dann war es soweit. Professor McDonald trat auf das Podium neben dem Flügel. Irgend jemand am Büfett schlug an ein Glas. Augenblicklich trat Ruhe ein. McDonald hielt eine kurze Rede. Im Namen der AWF
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begrüßte er die Fremden, die jetzt unmittelbar am Podium standen, simultan über Borl mit dem Redner verbunden. Borl flüsterte unhörbar. Die Augen der sieben strahlten, als McDonald verkündete, daß der Raumschiffbau unverzüglich unter der Regie der AWF, durch neue Spezialisten unterstützt, weitergehe. Von dem Unangenehmen, was war, sprach er, nachdem ihn Chalo noch vorher darum gebeten hatte, nicht. Nach McDonald ergriff ein hoher Vertreter der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika das Wort. Auch er begrüßte die Fremden und gab seiner Freude über das Außergewöhnliche eines derartigen Ereignisses Ausdruck. Manchmal schlichen sich in seinen Enthusiasmus Verlegenheitspausen, wenn er in Passagen kam, die mit dem Zeitraum in Zusammenhang standen, der zwischen diesem Empfang und der Landung der Fremden lag. Dann sprach Chalo. Mervan hatte in wenigen Stunden eine technische Wunderleistung vollbracht: An der Wand hinter dem Flügel hing eine Leuchtschrifttafel, die mitschrieb, was Chalo sagte, ohne den Umweg über die Schreibmaschine. Chalo schilderte den Aufbruch der fünfunddreißig Techniker und Wissenschaftler vom Zweiten Planeten der Proxima Centauri, die die Aufgabe hatten, im Neunplanetensystem der Sonne Rmc1 am Rande der Galaxis Planeten zu erforschen. Er berichtete von jenem Erkundungsflug der sieben auf die Monde des Jupiters. Er erwähnte das Verschwinden und Schweigen ihres Mutterschiffes, der J 2, und seine Entscheidung, die Suche abzubrechen und den nächsten Planeten, der gewisse Lebensbedingungen versprach, den Mars, anzusteuern. Bis zu ihm reichte der Treibstoff. Er schilderte die Enttäuschung, die ihnen der Rote Planet bereitete, und die Hoffnung, die ihnen die Erde gab. Ganz knapp berichtete er von der Landung, vom Verlust des Funkgerätes. Er dankte Professor Sunday. Er sagte, daß es das Verdienst der Inkaexpedition sei, daß sie dem Urwald entrin-
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nen konnten und daß schließlich durch diese Gruppe, verbunden mit dem wirkungsvollen Eingreifen der AWF, der heutige Empfang ermöglicht wurde. Er lobte Mervan, der schnell eine Brücke des Verstehens zwischen den Menschen und den Centauren schlug. Von der Isoliertheit, ihren Zweifeln und den Absichten Harries’ sagte er taktvoll nichts. Zum Schluß seiner Rede dankte er den Arbeitern für den bisherigen Elan beim Bau des Schiffes, für die gute Qualität, und gab seiner Freude Ausdruck, daß der Bau nunmehr, da sie in die Öffentlichkeit träten, forciert fortgesetzt werde. Nach seiner Ansprache ging Chalo, gefolgt von seinen sechs Gefährten, auf Professor Sunday, Mabel Fresh und Walker zu. Er überreichte jedem als Andenken einen automatischen Bildband vom Zweiten Planeten des Systems Proxima Centauri. Professor Sunday nahm Geschenk und Händedruck sichtlich verlegen, aber mit einem befreiten Lächeln entgegen. Er blickte Chalo fest in die Augen und er meinte, daß sein Blick vertrauensvoll erwidert wurde. Mabel Fresh schaute sich um. Helston stand, halb verdeckt, hinter einer Säule. Mabel sah ihm an, daß er mit sich rang, ob auch er den Dank der Fremden entgegennehmen durfte. Kurz entschlossen trat sie zu ihm, nahm ihn energisch an der Hand und bedeutete ihm, mit in die Reihe zu treten. Sie versetzte ihm dabei mit dem Ellbogen einen leichten Rippenstoß und raunte ihm mit einem lustigen Funkeln in den Augen zu: „Jetzt wird sich nicht wieder gedrückt! Sie gehören dazu, Harry, ein für allemal. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den anderen!“ Dabei machte sie eine unbestimmte Kopfbewegung in den Raum. Helston lächelte leicht, zuversichtlich, wie es Mabel schien. Als er das Automatik-Buch der Centauren mit einem Händedruck entgegennahm, biß er auf die Zähne, daß in seinem Gesicht die Kaumuskeln scharf hervortraten.
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Nachdem Chalo auch Dr. Sudiman, Plogontschik, Drughster und Berqué je ein Geschenk überreicht hatte, bat Pawel Alexandrowitsch Wyschniak ums Wort. Er wandte sich direkt an die Fremden, begrüßte sie im Namen der Völker der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und lud sie gleichzeitig in herzlicher Dringlichkeit zu einem Besuch ein. „Und wissen Sie, liebe Gäste, liebe Freunde“, wandte er sich an die Kosmonauten und die Menschen im Saal, „wer Ihnen, wer den Gästen auf die Spur kam, wer den eigentlichen Anlaß gab, sie zu suchen?“ Er winkte lebhaft Kapitän Lejew, der interessiert, aber ahnungslos, daß er plötzlich Knotenpunkt aller Blicke werden würde, an einer Säule lehnte. Er gab sich einen Ruck, sah sich hilfesuchend um und wußte mit einem Male mit seinen Händen nichts anzufangen. Dann nahm er einen winzigen Augenblick so etwas wie stramme Haltung an, ließ es jedoch bei der Andeutung bleiben und dachte: So ein verflixter Kerl. Man soll sich eben mit solchen Leuten nicht einlassen. Pawel Alexandrowitsch Wyschniak fuhr fort, nachdem Lejew neben ihn getreten war: „Und wissen Sie, auf Grund welcher Notiz, die er in einem Rapportbuch fand, die Suche nach unseren Gästen begann? Bitte, hören Sie!“ Er zog einen Zettel aus der Tasche und las mit einem Schmunzeln vor: „Gegen zwanzig Uhr fünfzig Ortszeit Richtung Ost nicht ganz gewöhnlicher Meteorfall.“ Im Saal wurde gelacht. „Sehen Sie, wenn dieser Bemerkung in dem Rapportbuch des sowjetischen Sicherungsschiffes im Stillen Ozean nicht nachgegangen worden wäre…“ Pawel Alexandrowitsch setzte seinen Satz nicht fort. Er war ernst geworden. „Genosse Lejew“, wandte er sich direkt an den Kapitän. „Ich bin beauftragt, Ihnen und Ihrer famosen Mannschaft den herzlichsten Dank und Glückwünsche der Regierung der Sowjetunion, der Akademie der Wissenschaften und der
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Astronautischen Weltföderation zu übermitteln.“ Nach diesen Worten schüttelte er unter dem Beifall der Anwesenden dem Kapitän die Hand. Professor McDonald beschloß den offiziellen Teil des Empfanges. Er gab das Programm für die nächsten Tage bekannt, wünschte den Gästen noch einmal einen guten Aufenthalt auf der Erde und sicherte die Unterstützung aller Menschen zu. „Betrachten Sie den heutigen Tag, liebe Freunde, als Ihre eigentliche Landung und als Auftakt zur friedlichen kosmischen Zusammenarbeit.“
Min saß in einem der großen Klubsessel, klein, unbedeutend scheinend in dem riesigen Möbel. David Plogontschik saß neben ihr. Ein Schreibblock lag vor ihnen auf dem Tisch, mit Satzrudimenten beschrieben: das Radebrechen Mins mit Plogontschik. Die Unterhaltung, weil anstrengend und der Abend fortgeschritten, war ins Stocken geraten. Die wenigen Schlucke Wein und Sekt hatten Min wohlig müde gemacht. Sie schloß die Augen und hatte auf einmal das Gefühl, als schwebe der Sessel leicht, und mit dem Gefühl kam die Vision: Sie sah wieder das erstarrte grüne Meer des Urwaldes auf sich zukommen, wie damals bei der Landung. Das Näherkommen wechselte sanft in ein Darüberhingleiten, der Oberst, Kommandant des peruanischen Stützpunktes der Luftstreitkräfte, schob sich vor ihr Auge – aber sie sah eigenartigerweise nicht sein Gesicht, sondern seine Uniform mit den bunten Ordensbändern. Min lächelte. Und überall hat uns diese unbestimmte Furcht vor dem Kommenden begleitet. Während des beschwerlichen Marsches die Frage: Werden wir eine Zivilisation finden? Dann, was spielten wir für eine Rolle in dem uns aufgezwungenen Spiel mit unserem guten interstellaren Schiff! Und jetzt! Ist jetzt diese Furcht begraben? Wir haben nichts zu befürchten
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– oder? Werden nicht Mißverständnisse kommen? Werden uns alle Menschen in allen Staaten bei unterschiedlichen Entwicklungsstufen gleichermaßen freundschaftlich entgegentreten? Min öffnete die Augen. Ihr Blick fiel auf Professor Sunday. Was er für eine merkwürdige Rolle gespielt hatte! Kennen wir ihn? Ist er typisch für die Menschen – oder nur typisch für dieses Land? Nicht verallgemeinern, Min! Du weißt, wenigstens ungefähr, unter welchen unerbittlichen Verhältnissen sie leben. Und wieder schob sich Min ein Bild in die Gedanken, das Bild von dem strotzenden, üppigen Urwaldleben, wo eines dem anderen als Nahrung dient. Und hier? War es im übertragenen Sinne nicht ähnlich? Zivilisierter zwar, verfeinert, aber letztlich doch. Und wo war die Vernunft, der Intellekt, der die Menschen lärmende Motoren und piepsende Satelliten bauen ließ? Irgendwie ist da ein Widerspruch, dachte Min. Sie haben sich hier in diesem Land ein System geschaffen, das ihnen im Grunde genommen feindlich ist. Werden sie es überwinden, so, wie es in der anderen Hälfte der Erde überwunden ist? Sie werden es! Min suchte Borl mit den Augen. Er saß bei Pawel Alexandrowitsch Wyschniak, seinen Wörterbuchtorso vor sich. Ihnen gegenüber saßen Rilt und Sudiman. Hier herrschte rege Diskussion. Wir werden das Schiff gemeinsam zu Ende bauen, nach Hause fliegen und fortan alles gemeinsam machen, Borl und ich, dachte Min.
Chalo war aufgestanden. Er blickte sich im Raum um. Sein Blick suchte die Gefährten. Lange sah er Kark an, der Kopf an Kopf mit Surki, assistiert von Walker, in einem Buch blätterte. Kark, der Aufbrausende, Unausgeglichene. Er hat eigenmächtig gehandelt, wiederholt – aber jedesmal das Wohl aller im Auge. Ist er deshalb zu verurteilen? Ist ein Schaden entstanden? Hat sein Alleingang, als er die Pläne wiederholte,
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nicht auch dazu beigetragen, uns selbst von der eigensüchtigen Menschengruppe zu befreien? Was haben wir uns um Mangk gesorgt, als damals nach der Landung seine Funkzeichen ausblieben. Hätte ein anderer nicht aufgegeben, allein, ohne Strahler im endlosen Urwald? Wer kann es sagen? Wer kann sagen, was aus uns geworden wäre, wenn nicht über Mangk die Suchaktion ihren Anfang genommen hätte? Der Wald mit seiner unendlichen, gnadenlosen Weite, hätte er uns jemals freigegeben? Lebte Surki, die kleine Surki, noch? Hätte sie ihre Depression überwunden, wenn wir im Fluß nicht das Foto gefunden hätten? Sie ist eine Kosmonautin geworden, sie wird noch vielen von uns Vorbild sein bei neuen Flügen ins All. Rilt, an dir geht wohl alles spurlos vorüber? Chalo sah nur den über ein Buch gebeugten Kopf Rilts und die heftigen Bewegungen ihrer Hände, die etwas zu erläutern versuchten. Neben ihr Borl, der etwas in sein Buch schrieb. Chalos Blick wanderte zu Min, die, wie es schien, müde in einem der großen Sessel lag, der sie noch zierlicher machte gegenüber dem kräftigen Plogontschik. Es ist schön, daß Min und Borl sich gefunden haben, dachte Chalo. Sie sind noch jung, hätten noch viel Zeit, trotzdem, sie werden glücklich sein, sich verstehen. Sie werden gern an ‘Hoffnung’ zurückdenken, später, wenn sie zu Hause den Sternenhimmel betrachten und ein winziges Pünktchen in einem Zipfel des Alls, wo sonst wenig Sterne stehen, ihnen zublinkt: die Sonne, die einen solchen wunderbaren Planeten um sich kreisen läßt, ihm mit ihrer Wärme, mit ihrem Licht Leben, tausendfältiges Leben spendend, die euch Menschen letzten Endes zu dem werden ließ, was ihr heute seid, die Beherrscher dieses Planeten Erde und – noch – seine Verschwender. Ihr werdet bald kennenlernen, wie andere um ihr Dasein ringen mußten und wie sie heute noch gezwungen sind, mit dem, was ihnen die Natur Spärliches schenkt, hauszuhalten.
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Ihr werdet sehen, daß man gar nicht so viel braucht, wie ihr habt, um gut zu leben, und ihr werdet verstehen, daß die anderen ihren Frieden brauchen, um glücklich zu sein, eure Menschen und die in anderen Ländern.
25 Min ging hinter David Plogontschik. Nicht nur die klobigen Magnetschuhe machten das Laufen schwer. Ihr schien, als sei es nicht der Magnet, der für jeden Schritt eine besondere Kraftaufwendung erforderte, sondern als sei es der Planet selbst, der sie gefangenhielt. Sie hatte das Gefühl, als risse sie sich gewaltsam los. Hier ist Leben, dachte sie, herrliches, pulsierendes Leben. Vor uns fünf Jahre leerer Weltraum, Gefahr. Plogontschik stieg vorsichtig über einen Verbindungsflansch. „Achtung“, sagte er und deutete nach unten. Min nickte. Sie passierten ein Fenster. Ein Monteur schwebte draußen vorbei, ein Werkzeug vor sich her balancierend. Sie haben es eilig, dachte Min. Sie traten aus dem Verbindungsgang, der die Außenstation „Universum 1“ mit dem interstellaren Raumschiff verband, in die Heckschleuse. Das Schott schloß automatisch. Min trat an den Sehschlitz, der einen begrenzten Blick nach draußen gestattete. Noch war der Verbindungsweg angeflanscht. Aber schon sah sie zwei Monteure heranschweben, um ihn vom Raumschiff zu lösen. Ein dritter stand auf der Plattform als Sicherungsposten. In der Schleuse herrschte Stille. Die Kontrollampe zeigte, daß der Desinfektor arbeitete.
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Nach der lauten, überschwenglichen, ein wenig schmerzlichen Abschiedszeremonie in der Station wirkte die Stille drückend. Jeder hing seinen Gedanken nach. Die einen, die Menschen, froh, daß das Neue, die erste Reise der Menschheit zu einem anderen Sonnensystem, begann, ungeachtet der fast fünf Jahre, die sie vom Ziel trennten. Die anderen berührt vom Abschied, wissend um die entbehrungsreichen Jahre des Rückflugs und doch glücklich, daß es nun, nach fast vier Erdjahren, heimwärts ging. Mit einem schnarrenden Geräusch öffnete sich die Schleuseninnentür. „Bitte schon die Plätze einnehmen, wir starten in siebenundfünfzig Minuten“, sagte Chalo mit einem Blick zur Uhr. Sie betraten den Zentralgang, gebückt und in der Schwerelosigkeit etwas unbeholfen. Im Kommandosaal gingen sie an die Plätze. Niemand sprach. In der Stille klapperten die Metallverschlüsse der Gurte, die die Kosmonauten anlegten. Min lehnte den Kopf zurück. Chalo hatte den großen Bildschirm über dem Autopiloten eingeschaltet. Jetzt lief ein Flackern darüber. Dann stand das Bild der Erde vor ihnen, farbig, plastisch. Es stand scheinbar still. Raumstation und Erde rotierten mit gleicher Winkelgeschwindigkeit in der Äquatorebene. Vorderasien, dachte Min. Die Konturen der Kontinente waren nur zu vermuten. Dichte Wolkenfelder entzogen sie zum Teil dem Blick. Min schloß die Augen. Die Wolkenfelder wichen. Sie sah Afrika, Vorderasien vor sich. Und plötzlich meinte sie, wieder inmitten der kleinen Kamelkarawane zu sein, die glühende Sonne zu verspüren. Am Horizont tauchen in der flirrenden Luft die Pyramiden von Gizeh auf. Min glaubt wieder den feinen Flugsand zwischen den Zähnen zu spüren, der, von den Kamelhufen aufgewirbelt, wie ein Schleier die Gruppe umgibt. „Hallo, Borl“, hört sie sich sagen, „so würdig wie du jetzt müssen etwa auch die Pharaonen ausgesehen haben. Ich
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fürchte nur, daß sie mit dem Kamel besser zurechtkamen. Reiß bloß dem Tier die Haare nicht aus.“ „Meistens haben sich die Pharaonen in Sänften tragen lassen“, sagt Borl. Er hält Mähne und Zügel fest umspannt. „Alles, was recht ist, ein straffes Raumtraining mit fünf Stunden in der Zentrifuge ist ein Kinderspiel gegen diesen Ritt.“ „Hättest dir ja eine Sänfte bestellen können“, sagt Min. „Mangk, Chalo, hurtig, tragt Pharao Borl.“ „Wir zwei sind zuwenig. Je mehr, desto würdiger der Getragene. Und außerdem“, Mangk wirft einen abschätzenden Blick zu Borl, „würden wir mit ihm nicht weit kommen. Er hat sich gut an die irdische Kost gewöhnt.“ Borl seufzt: „Laßt nur, ich kann wenigstens noch ein wenig davon zehren in den fünf Flugjahren. Ihr werdet noch mal daran denken.“ Sie sind am Fuße der Cheopspyramide angekommen. Der Führer der Gruppe, ein Hüne im Burnus auf einem schwarzen Araberhengst, erklärt in englisch. Die Besucher knipsen die Taschenempfänger an. Und dann geht es die unzähligen verwitterten Stufen hinauf. Das Land liegt vor ihnen, glühend, gelb. „Es ist unvorstellbar, wie sie das geschafft haben“, sagt Surki, „ohne technische Hilfsmittel, nur mit den Händen und in dieser Sonnenglut.“ „Sklaven, die diese mörderische Arbeit meist sehr früh mit dem Leben bezahlten“, sagt sarkastisch Kark. „Und wozu?“ setzt er fort. „Damit sich der Herrscher schon bei Lebzeiten an dem Eindruck berauschen konnte, den sein Grabmal auf die Nachwelt machen würde.“ „Wir haben aber doch auch Prachtbauten in unseren Städten, die von vergangenen Epochen stammen. Hast du die gleiche Meinung über sie?“ fragt Surki. „Nein“, antwortet Kark. „Sie dienten nicht einem einzigen Toten, sondern immer vielen Lebendigen.“ „Ich sehe das anders“, sagt Rilt, „der Bau zeugt nicht vom
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Können des Bewohners, sondern von dem des Baumeisters.“ „Wir können das nicht vergleichen“, sagt Chalo, „es hat bei uns niemals ein Wesen gegeben, das für die anderen, gleichartigen, im Range einer Gottheit stand. Deshalb ist uns das auch kaum begreiflich.“ „Es muß aber doch die Absicht bestehen bei dem einzelnen, nehmen wir einen solchen Pharao, Gottheit zu sein oder zu werden, das heißt, sich über den anderen zu stellen“, beharrt Kark fest auf seinem Standpunkt. „Ganz so einfach ist das sicher auch nicht zu erklären“, bemerkt Min. „Aber in dem Maße, in dem die Menschen Zusammenhänge begriffen, in dem Maße hat sich das Verhältnis zugunsten der Mehrheit verändert. Sieh dich doch heute hier um, Kark. Es gibt immer noch in einigen Ländern krasse Unterschiede zwischen den Menschen. Es sind, wenn du so willst, im Grunde die gleichen Verhältnisse, wie sie hier vor mehreren tausend Jahren herrschten. Nur die Formen sind unendlich feiner geworden. Ist die Rolle, die uns Harries zugedacht hatte, nicht unmittelbar in diesem Zusammenhang zu sehen? Es ging darum, seine Macht, seinen Einfluß zu stärken, nicht etwa darum, seinen Lebensunterhalt zu fristen. Unser Raumschiff – seine Pyramide. Aber ich glaube, daß wir genug Erfahrungen gesammelt haben, um einschätzen zu können, daß die Menschheit dabei ist, diesen Zustand zu überwinden, und daß es bereits Beispiele genug dafür gibt, wo dieser Zustand überwunden ist.“ „Ich würde vorschlagen, ihr laßt für heute eure Grundsatzdiskussion“, unterbricht Borl. „Erstens ist der Tag bald zu Ende und wir wollen weiter, zweitens ist es heiß, und drittens habe ich Hunger.“ Min lächelt. „Woran denkst du, Min?“ Wie aus weiter Ferne erreichte sie die Frage. Sie schreckte auf. Borl hatte ihr den Kopf zugedreht und sie schon eine Weile beobachtet. „Das hat mich angeregt.“ Min nickte zum Bildschirm hin. „Ich habe an unseren Ausflug
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zu den Pyramiden gedacht.“ „Hör auf“, sagte Borl, „da fällt mir gleich der schreckliche Ritt wieder ein. Außerdem war es dort viel zu heiß. Mir gefallen die kalten Gebiete von ‘Hoffnung’ besser. Denk an die possierlichen Pinguine in Mirny.“ „Das sagst du doch nur, weil sie als Reittiere untauglich sind.“ „Ich weiß, ihr habt damals auf der Pyramide irgendwelche Debatten über Pharaonen und die Menschheit geführt“, lenkte Borl ab. „Da fällt mir ein, Min, weißt du eigentlich, daß dieser Harries von seiner Regierung abgefunden wurde wegen des Verlustes, den er durch die Internationalisierung des Baues angeblich erlitten hat? Der Elektronenprofessor hat es mir vorhin vor der Abschiedsveranstaltung gesagt.“ „Ja, aber dann muß doch die Regierung etwa ähnliche Interessen vertreten wie Harries“, wunderte sich Min. „Eben“, bestätigte Borl, „und die Internationalisierung des Raumschiffbaues damals war auch nur eine Maßnahme, die sie auf Druck der Weltmeinung durchführen mußten. Sie hätten wohl liebend gern, wie Elektronenprofessor sagt, ebenso wie Harries oder mit ihm gemeinsam unser Schiff zur Aufwertung ihres nationalen Prestiges gebaut. Damit ist mir auch klar, weshalb der Regierungsvertreter damals so nichtssagend und mehr aus einem Akt der Höflichkeit heraus zu uns gesprochen hat auf dem Empfang.“ An der Armaturenwand blinkte ein Signal; die starren Verbindungen zur Station waren gelöst worden. Min wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Das Bild war unverändert. Dort oben – schon hinter dem Rand? – muß Moskau liegen. Moskau! Mins Gedanken glitten erneut in die Vergangenheit. Sie kuschelte sich, so gut es der Skaphander zuließ, in ihren Sessel. Regen, Dauerregen auf dem Roten Platz. Über Surkis Ge-
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sicht laufen Bächlein, die Kleider kleben am Körper. Sie lachen darüber, laufen über den fast menschenleeren Gehweg, stehen vor Schaufenstern, überlegen, wie Borl wohl in diesem oder jenem Anzug aussähe. Sie lachen und laufen, sind übermütig. Der erste wirklich freie Tag, ein Regentag, zum Glück. Verhältnismäßig wenig Menschen nehmen Notiz von den Fremden. Keine Ansammlungen, kaum ein verhaltener Schritt. Der Regen treibt die Menschen in die Häuser. Sie laufen quer über den Platz und stehen vor der Galerie der Menschenkosmonauten. Und erst jetzt finden sie den inneren Kontakt. Es ist anders als bei der offiziellen Führung. Sie verhalten den Schritt, die drei aus dem Sonnensystem Proxima Centauri. Der Regen rinnt über ihre Gesichter ebenso wie über die überlebensgroßen Büsten der Menschenkosmonauten. Vor Juri Gagarin bleiben sie stehen. Der erste Mensch, der den Bann der Gravitation überwand, der die Tür zum Raum aufstieß und der später bei einem Test ums Leben kam. Surki geht wenige Schritte weiter. Valentina Tereschkowa. „Wann wären sie zu uns gekommen, wenn wir sie nicht besucht hätten?“ fragt sie. „Bei der stürmischen Entwicklung in einem halben Jahrhundert“, sagt Borl. „Sie sind in den vergangenen fünfzig Jahren schneller vorangekommen als in mehreren hundert vorher“, ergänzt Min. „Sie sind sehr zuversichtlich“, sagt Surki, „schon eine Mondlandung ist noch sehr risikoreich. Die Außenstation wollten sie erst in etwa zehn Jahren bauen, und doch, in Gedanken sind sie schon auf Planeten anderer Sonnensysteme. Könnt ihr euch an den Blonden erinnern in ihrem Amurkosmodrom? Kaum die ersten Trainingsstunden hinter sich und sagt, daß er uns in spätestens zehn Jahren besucht.“ „Und dabei haben die Menschen noch soviel auf der Erde in Ordnung zu bringen“, wirft Borl ein. „Sie werden immer mehr solche Beispiele haben“, Min weist
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auf die Büste Juri Gagarins. „Eines Tages wird die in Jahrhunderten gefestigte wirtschaftliche Macht der Harries verschwunden sein.“ „Ich glaube nicht, daß in hundert Jahren noch einer – außer im Geschichtsunterricht – von diesen Millionären spricht“, sagt Borl. „Sie werden sich wehren“, wirft Surki ein. „Dazu brauchen sie Menschen, Surki. Sie selbst sind doch nur eine Handvoll. Und ihre Positionen bröckeln. Jetzt wieder der Massenstreik in den USA, Studentenunruhen in ganz Südamerika, andererseits die Einflußeinbußen in Afrika. In der gesamten westlichen Hemisphäre brodelt es. Es ist der Prozeß im Gange, der in der Menschheitsgeschichte eigentlich nichts Neues ist: die revolutionäre Geburt einer neuen weltweiten Gesellschaftsordnung.“ „Nur mit dem Unterschied, Borl“, Min dreht sich ihm voll zu, „daß sich jetzt eine völlig neue, vom Grundprinzip her andere Ordnung durchsetzt, nämlich eine Ordnung für und nicht gegen die Mehrheit der Menschen.“ „Und solche wie sie“, Surki deutet auf Juri Gagarin und Valentina Tereschkowa, „sind Bahnbrecher der neuen Ordnung.“ „Und Beispiel“, ergänzt Min. Trotz des Regens sind einige Menschen in der Nähe der Kosmonauten stehengeblieben. Die drei werfen einen letzten Blick auf die Galerie der Kosmonautendenkmäler und gehen. „Ich freue mich, daß wir ihnen ein wenig helfen konnten“, sagt Surki. Ein Auto fährt vorbei und spritzt sie naß. „In einigem können wir ihnen noch mehr helfen“, sagt Borl. „Beispielsweise könnten sie bessere Fortbewegungsmittel gebrauchen. Mich kann der Verbrennungsmotor so richtig aufregen. Hätten sie die gleiche Intensität in die Entwicklung der Elektrik gesteckt, es ginge ruhiger zu, ohne Gestank, der
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Sauerstoff würde nicht in dem Maße vernichtet werden, und der Wirkungsgrad läge höher.“ „Du kannst ja Plogontschik bitten, daß er dir für die nächsten Reisen ein Kamel zur Verfügung stellt“, spöttelt Min. Borl winkt komisch entsetzt ab. „Das wird sich sowieso ändern“, sagt Surki. „In dem Maße, wie der Ausbau der öffentlichen Verkehrsnetze wächst, in dem Maße werden die einzelnen auf die Belastung durch ein eigenes Fahrzeug verzichten.“ „Ist gar nicht anders denkbar“, bekräftigt Borl. „In vielen Städten kommt man ja zu Fuß schneller voran als im Auto. Wo liegt da der Nutzen einer solchen Blechkiste.“ Min machte einen Gedankensprung, New York, dachte sie, eine merkwürdige Stadt, beklemmend, großartig. Ja, großartig ist diese Stadt. Großartig in ihrem immerwährenden ohrenbetäubenden Lärm, dem Leuchten, Flimmern, Glänzen. Großartig aber auch in ihrem Schmutz und Qualm und in ihrer atemberaubenden Hast. Das beklemmende aber ist ihre Enge. Wo das Auge hinsieht: Steine, Quader, himmelhoch aufgetürmt, Klotz an Klotz. Dazwischen eingekerbt Straßen, lärmerfüllt, mit Fahrzeugen vollgepreßt, Blech an Blech, Schluchten mit wimmelndem Grund. Min richtete sich im Sessel, soweit es die Gurte zuließen, auf, als streife sie etwas Drückendes von sich. Es waren schlimme Tage damals, erinnerte sie sich: Menschen bedrängten uns wie besessen, um uns zu fotografieren, um irgendeinen Sprachfetzen von uns aufzunehmen, um uns zu filmen oder zu berühren. Wie beklemmend das war, dachte Min. Wir sieben, sehr klein gegen die Menschen, eingekeilt zwischen wogenden, lebenden Menschenmauern. Min drehte den Kopf. Schräg hinter ihr unterhielten sich von Sessel zu Sessel David Plogontschik und Roman Farrah, der als Fotograf an dem Flug teilnahm. Min vergewisserte sich, ob sie ihre Mikrophonzuleitung an den Computer angeschlossen
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hatte, betätigte den Schalter und fragte: „Wie ist die Stimmung?“ „Danke“, sagte David Plogontschik, „mir wäre es lieber, wir flögen schon.“ „Ungeduldig?“ Min lächelte. „Denk an die fünf Jahre, was bedeuten da die vierzig Minuten bis zum Start. Du, Roman, hier ist Rauchen verboten.“ Roman Farrah hielt eine kleine Tabakspfeife im Mund. Er nahm sie lachend heraus und zeigte, daß sie leer war. Dann zuckte er wie bedauernd mit den Schultern. „Daß du mir diese Raucherei nicht bei uns einschleppst, das wäre das letzte“, drohte Min lächelnd. „Zum Glück ist es hier auf dem Schiff in den meisten Räume untersagt.“ „Ich verspreche dir, Min, daß ich es mir in den fünf Jahren abgewöhne. Ich werde sogar versuchen, auch Drughster zu überzeugen.“ „Schlimme Menschen seid ihr“, sagte Min, „aber einen Bart müßt ihr euch stehen lassen, daß wir euch so vorstellen können, wie ihr von Natur aus seid. Uns habt ihr anfangs ganz schön verwirrt.“ „Hm, ihr uns noch mehr“, sagte Roman. „Am Bart und an der Stimme kann man bei uns wenigstens die Geschlechter voneinander unterscheiden, bei euch ist es schon schwieriger. Als ich unlängst mit dir telefonierte, dachte ich erst, es sei Kark.“ „Wie ist eure Beratung vorhin eigentlich ausgegangen, David?“ fragte Min. Ihr schien, als würde David Plogontschik leicht verlegen. „Im ganzen gut“, sagte er dann nach einigem Zögern. „Der Beschlußentwurf ist geändert worden. Die AWF erwartet unsere Rückkunft in etwa zwölf Jahren. Von euch soll eine starke Delegation mitkommen mit kompetenten Vertretern eures Rates. Chalo hat dem rückhaltlos zugestimmt. Ich bin auch überzeugt, daß es dann zu einem Vertrag kommt.
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Grundlage ist die auf der Erde bestehende Vereinbarung von 1967 über die friedliche Nutzung des Weltraumes.“ „Also gab es doch Unstimmigkeiten.“ „Tja“, David Plogontschik zögerte wieder. „Die USA und einige von ihnen abhängige Staaten waren dagegen, uns, wie es eigentlich der erste Entwurf vorsah, bereits mit entsprechenden Verhandlungsvollmachten auszustatten. Es müsse geklärt werden, ob euer Anliegen, den Mars zu besiedeln, nicht bestimmten Interessen der Vereinigten Staaten zuwiderläuft. Aber mehr Einschränkungen als die, die ich dir genannt habe, konnten sie nicht durchsetzen.“ „Das hieße also, daß wir unseren eigentlichen Auftrag erfüllt haben?“ fragte Min. „Durchaus“, bestätigte Plogontschik. „Obgleich ich mir bei aller Hochachtung vor euren Möglichkeiten nicht vorstellen kann, wie ihr dieses Projekt verwirklichen wollt. Der Mars hat keine Atmosphäre – zumindest keine ausreichende –, zuwenig Wasser. Das einzige, was zu euch paßt, ist seine Gravitation…“ „Das Wichtigste“, unterbrach Min. „… und dann die riesige Entfernung“, setzte David Plogontschik fort. „Mangk hat uns unlängst in groben Zügen einiges von dem Projekt erklärt, aber – nimm es mir nicht übel – ich kann an die Möglichkeit eines derartigen Umzuges noch nicht glauben.“ „Du wirst sehen. Und außerdem haben wir fast zweitausend Jahre Zeit. Das ist etwa so lang wie vom Beginn eurer Zeitrechnung bis heute. Wir sind außerdem viel weniger als ihr.“ „Schade, daß unser Leben so kurz ist“, bedauerte Roman Farrah. „Das ist eine Aufgabe.“ „Na, die ersten Bauarbeiten wirst du noch filmen können“, sagte Plogontschik. „Ich freue mich jedenfalls sehr, daß wir nicht mit leeren Händen heimkommen“, sagte Min. „Na, und wir, unsere Entdeckung, sind wir nichts?“ fragte
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Plogontschik lachend. „Das größte kosmische Ereignis unserer beider Entwicklungsgeschichten, David. Aber das andere – es geht um das vernunftbegabte Leben, das sich auf dem Zweiten Planeten der Sonne Proxima Centauri entwickelt hat. Und daß ihr uns helfen wollt, in eurem Sonnensystem, macht das Zusammentreffen für uns doppelt bedeutungsvoll. Denn ich wüßte nicht, wo wir noch suchen könnten. Andere Lösungen sind viel komplizierter und risikovoller.“ Im Kommandosaal ertönte ein Summer. „Achtung“, sagte Chalo, „wir schalten jetzt für dreißig Minuten auf Videoverbindung zum Klubraum der Station. Wir haben von hier aus den Wählvorrang. Der große Schirm gibt die Sitzverteilung der Teilnehmer an.“ Min wandte sich dem Bildschirm des Videophons zu. Sie sah den Klubraum der Satellitenstation „Universum 1“ vor sich, den sie vor 20 Minuten verlassen hatten. Jeder hatte ein Tischvideophon vor sich. Rotlicht flammte an den Geräten, die angewählt wurden, auf. Min sah, wie Vera Poleshajewa mit David Plogontschik sprach. Min suchte: Da war Mabel. Sie wählte. Gleich darauf stand Mabels leicht sommersprossiges Gesicht auf ihrem Bildschirm. Noch bevor Min etwas sagen konnte, sprach Mabel: „Nicht wahr, Min, ihr nehmt uns unser Verhalten damals im Mato und später nicht übel? Ich hatte vorhin keine Gelegenheit, euch nochmals um Verzeihung zu bitten…“ „Aber Mabel, das mußt du doch gemerkt haben. Wir hatten Gelegenheit genug, euch kennenzulernen. Und du weißt, daß wir euer anfängliches Verhalten, auch das Helstons und Sundays, richtig einordnen. Und nun nichts mehr davon! Wenn wir in zwölf bis fünfzehn Jahren wiederkommen – ich bin vorgeschlagen für diese Expedition –, wird es auf der Erde schon wieder anders aussehen. Es bleibt bis dahin viel zu tun für euch übrig, für dich und Helston.“ Mabel wurde leicht rot.
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„Vielen Dank nochmals für das Album“, überbrückte Min die Pause. „Die Aufnahmen sind schön geworden. Ich werde dadurch die Inkastadt, den Ort unseres ersten Zusammentreffens, noch besser in Erinnerung behalten.“ Rilt gab Min ein Zeichen. „Auf Wiedersehen, Mabel“, sagte Min rasch. „Rilt möchte dich noch sprechen, auf Wiedersehen.“ „Auf Wiedersehen, Min. Denk manchmal an uns.“ In Mabels Augen standen Tränen. Sie lächelte tapfer, hob, wie um zu winken, den Arm. Min gab die Leitung frei. Sie sah sich um. Die meisten hatten Verbindung zur Station, vor allem nutzten die jede Minute, deren Angehörige zurückblieben, in der Gewißheit, daß mindestens zwölf lange Jahre sie trennen würden. Min sah nach Plogontschik. Was wird er empfinden? dachte sie. Vera muß hierbleiben, fluguntauglich. Und er, Leiter der Menschengruppe, sollte er verzichten? Er hat lange mit sich gerungen, wie Chalo sagt. Aber Vera selbst hatte ihm immer wieder zugeredet. – Gibt es dazu nicht Parallelen? Mangk. Und beinahe wäre es für ihn ein Abschied für immer geworden. Und wie werden wir alle unser Zuhause vorfinden? Gibt es noch Hoffnung für Chalo? Konnte die alte J 2 heimgekehrt sein? Min lehnte sich zurück. Sie sah zu Borl. Borl sprach mit dem Elektronenprofessor. Eigentlich schade, daß auch er nicht tauglich ist für die Reise, dachte sie. Zehn Menschen fliegen mit. Sechs Männer und vier Frauen und davon nur drei Bekannte: Plogontschik, Drughster und Wyschniak. Hm, und er nur mit starken Bedenken der Ärzte. Nun, dachte Min, wir werden Gelegenheit haben, sie in den Jahren alle kennenzulernen. Alles ausgesuchte Wissenschaftler und Raumspezialisten und von jedem Hautfarbengrundtyp ein Vertreter. Wie lange wird es noch unterschiedliche Hautfarben geben auf ‘Hoffnung’? Tausend Jahre? Noch länger?
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Wieder ertönte ein Summer. Chalo schaltete sich in die Gespräche ein. „Noch drei Minuten“, sagte er ruhig. Min sah zum Schirm. Hastig gesprochene Worte, Schweigen, noch ein letztes Winken. Dann erloschen die Einzelbilder. Langsam standen die Menschen in der Station auf, sammelten sich vor ihrem Bildschirm, sahen in den Kommandosaal des Raumschiffes. Dann wurde von der Leitstelle das Bild auf dem Schirm der Station abgeschaltet. Aber die Menschen dort blieben stehen. Noch zeigte die Kamera Rotlicht, so wußten sie, daß sie von den Startenden noch gesehen wurden. Es schien, als wollten ihre Blicke das Raumschiff festhalten, als sollte diese einseitige Verbindung niemals abreißen. Dann erlosch auch das Bild im Schiff. Auf dem Schirm erschien das des Kommandanten der Raumstation „Universum 1“. „Achtung, Raumschiff! In drei Minuten Start. Bitte nehmen Sie Startstellung ein. Wir wünschen gute Reise.“ Min schloß das Helmfenster, erfühlte die Gurtverschlüsse und paßte sich der Polsterung der Liege an. Zunächst drei Beschleunigungsstöße. Genau wie damals, dachte Min. Es wird etwa sechs Stunden dauern, je eine halbe Stunde Zwischenzeit. Aber nur Chalo und Borl dürfen in dieser Zeit die Liege verlassen. Der Schirm zeigte jetzt die Bilder der Außenkameras, die Plattform und die erleuchteten Arbeitsräume von „Universum 1“. Graue Metalloberflächen, unwirklich kalt, der Parabolspiegel, und ein Stückchen Planet, leuchtend, mit farbiger Aureole. Min sah zur Startuhr. Die letzte Minute war angebrochen. Ruckweise sprang der Zeiger vor, stand auf der Null, die rote Lampe leuchtete auf. Nur ahnbar war das Zittern, das das Raumschiff durchlief. Noch stand das Bild, dann begann es langsam zu fließen, und plötzlich war bis auf wenige Sterne der Bildschirm dunkel. Jetzt trat die Heckkamera in Tätigkeit. Links im Bild ‘Hoffnung’, davor, noch zum Greifen nah, „Universum 1“. Gleich
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wird das gemütliche Gleiten aufhören, dachte Min, aber es vergingen noch Minuten. „Achtung“, rief Chalo. „Hilfstriebwerk aus!“ „Hilfstriebwerk aus“, bestätigte Mangk. Er legte einen Hebel auf dem unmittelbar über seiner Liege befindlichen Schaltbrett um. „Schutztaste ein“, befahl Chalo. „Schutztaste ein“, wiederholte Mangk. „Autopilot ein!“ „Autopilot ein.“ „Zünden!“ Kaum merklich hatte sich die Stimme Chalos erhoben. „Ich zünde“, bestätigte gleichmütig Mangk. Ein gedämpftes Donnern schwoll auf, begleitet von einem Beben des Schiffs, und dann kam der Andruck. Min schloß die Augen, entspannte sich. Das Atmen fiel schwer. Wie werden die Menschen die Beschleunigung ertragen? Immerhin sind sie Neulinge, zumindest in diesen Dimensionen. Schwerfällig kreisten die Gedanken. Konzentrierten sich schließlich auf das eine: Entspannen, entspannen, die sich instinktiv einstellende Verkrampfung lösen.
Eineinhalb Erdstunden später ertönte ein schriller Klingelton. Schlagartig wich die Last. Min drehte den Kopf, sah zu Borl. Er nickte ihr leicht zu, hatte die erste Stufe gut überstanden. „Pawel Alexandrowitsch nimmt Extrakt gelb“, ordnete Rilt lakonisch an, „und beim Alarm zur zweiten Stufe erneut, bitte.“ Dann zu Chalo gewandt: „Nach Registratur meiner Überwachungsinstrumente keine Schädigungen während der ersten Stufe.“ „Danke“, sagte Chalo. Borl war aufgestanden. Er las Anzeigen ab, betätigte Knöpfe und schob das Programm ein.
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Min sah zum Bildschirm. Wie ein Ball hing ‘Hoffnung’ im Raum. Das Raumschiff hatte die Mondbahn noch nicht passiert. Außer einigen Sternen war der Raum um den Planeten samtschwarz. Chalo löschte das Licht. Borl und er nahmen ebenfalls die Plätze wieder ein. So standest du damals vor uns – da hatten wir dich schon ‘Hoffnung’ getauft. Hast uns nicht enttäuscht. Aber ich hatte Angst… Min fiel in Halbschlaf. Und plötzlich meinte sie, wieder in der winzigen Landekabine zu sein. In rascher Folge wechselten die Bilder: Landung, Urwald, Dickicht, dazwischen Rufe nach Mangk. Sie meinte das Schwanken des Floßes zu verspüren, die dunklen Gestalten glitten vorbei – die ersten Menschen. Sunday, Mabel… Das gekachelte Bassin im Bad, lärmendes, spritzendes Tollen, Arbeit. Der Elektronenprofessor und wieder Wasser, viel, viel Wasser. Borl hat recht gehabt. Vielleicht hätten wir ihn „Wasserstern“ taufen sollen. Die Bilder glitten langsamer durch Mins Gedanken. Stundenlanger Flug über dem Stillen Ozean. Die Stewardeß verteilt Pelze und Stiefel, Menschenkindergrößen. Ein großes Hallo im Flugzeug. Gegenseitiges Beäugen. „Mein Mantel kneift“, mault Kark. „Wir hätten lieber die Skaphander mitnehmen sollen.“ „Nein“, protestiert Rilt, „ich will die Antarktis sehen, wie sie ist – und spüren!“ Sie stehen an den Fenstern, bis das Flugzeug ausgerollt ist. Vermummte Gestalten kommen entgegen, unbeholfen, bis zu den Knien in Schneewehen versinkend. Und dann packt die Kälte unbarmherzig zu. Die sieben laufen, werfen mit losem Schnee und bleiben plötzlich stehen. Ein Trupp dreister Pinguine versperrt den Weg. „Surki, wir müssen weiter, sonst frieren wir an“, ruft Chalo.
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„Min, bitte, du mußt sie fotografieren.“ Am Abend berichten im Klubraum sowjetische, amerikanische, deutsche und französische Wissenschaftler, die für ein Jahr zusammenarbeiten, von der Antarktis. Chalo stellt die Frage, warum hier eine so reibungslose internationale Zusammenarbeit möglich ist, während in anderen Teilen der Erde die Antagonismen zwischen den Staaten so groß sind, daß es zu einer echten Annäherung nicht kommt. Der Leiter der Station Mirny antwortet taktvoll, daß diese Antagonismen zwischen den Staaten aus Antagonismen in einigen Staaten entstehen. Zwei Tage später Rückflug. Landeverbot in Kapstadt, weil Demonstrationen gegen die Apartheid stattfinden. Zwischenlandung in Beira. Weiterflug nach Kairo, Pyramiden, Wüste. Und immer überfliegt die Maschine endlos scheinende Wasserflächen. „Sag, David, was macht ihr mit den Ozeanen, nutzt ihr sie?“ fragt während eines solchen Fluges Mangk. „O ja“, antwortet David Plogontschik. „Wir fischen, haben Gezeitenkraftwerke, in Japan ernten sie Tang.“ „Das ist – alles?“ fragt Mangk. David nickt. „Wenn ich überlege, daß zwei Drittel der Oberfläche von ‘Hoffnung’ – ich meine Erde“, Mangk lächelt, „mit Wasser bedeckt sind, müßten im oder unter dem Meer auch zwei Drittel beispielsweise der Bodenschätze liegen oder zwei Drittel der Anbauflächen, zwei Drittel der Tierwelt und so fort. Ich habe gehört, bei euch gibt oder gab es Wissenschaftler, die vom Hungertod der Menschheit durch Überbevölkerung des Planeten sprechen. – Wie verhält sich das zu diesem Überfluß?“ „Ja, weißt du“, sagt David Plogontschik unsicher, „diese Dinge sind bei uns wohlbekannt, natürlich auch in den westlichen Ländern. Solche Objekte – und da gibt es auch noch
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andere: Wir haben riesige Wüsten, die urbar gemacht werden könnten, ebenso Steppen und Sümpfe. Aber solche Objekte erfordern Gemeinsamkeiten und riesige Investitionen. Beiden stehen noch die politischen Konstellationen entgegen.“ „Andrerseits habe ich gehört“, bohrt Mangk weiter, „daß in einigen Ländern Lebensmittel vernichtet werden, obgleich die Menschen selbst dort nicht genügend zum Essen haben.“ „Ja, das stimmt, und eben die Ursachen für solches Handeln verhindern die Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West“, sagt Plogontschik. „Und wie ist diese Gemeinsamkeit deiner Meinung nach zu erreichen?“ „Durch Kampf. Die Menschen in jenen Ländern, in denen so etwas geschieht, müssen durchsetzen, daß die Ursachen, die unter vielem anderen Antihumanitären auch zur Vernichtung von Lebensmitteln führen, beseitigt werden.“ „Klassenkampf“, sagt Mangk. „Ja, Klassenkampf“, bestätigt David Plogontschi k. „Nach dieser Periode, die in jedem Falle einen Sieg der schaffenden Menschen hervorbringen wird, kommt es zu internationalen Gemeinsamkeiten und – zur totalen Abrüstung, und dann steht solchen Projekten nichts mehr im Wege. Erst zu diesem Zeitpunkt hätten wir daran denken können, bis an die Grenzen unseres Sonnensystems vorzudringen, wenn ihr nicht gekommen wärt.“ „‘Universum 1’ hättet ihr ohnehin in den nächsten Jahren gebaut.“ „Nun, sie ist ja auch für den Start eures Raumschiffes denkbar ungeeignet.“ „Es wird gehen“, sagt Mangk zuversichtlich. „Wir starten mit Hilfstriebwerken.“
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Paris: „Und jetzt befinden Sie sich unmittelbar unter dem Eiffelturm, lange Zeit das höchste Bauwerk Europas“, sagt der Begleiter. „Ziemlich klobig im Vergleich zum Berliner Fernsehturm“, stellt Kark fest. „Aber damals eine Art Weltwunder“, sagt David Plogontschik. „Einzigartig“, ruft Surki auf der Plattform. „Das Häusermeer, die kleinen Straßen.“ „Ja, reizvoll sieht das aus“, bestätigt Rilt, „aber dort zu wohnen – wie überhaupt in vielen eurer Städte – muß doch schrecklich ungesund sein. Immer umgeben von Staub, Abgasen, Benzingestank, Autolärm…“ „Was habt ihr nur immerzu gegen unsere Autos“, fragt David Plogontschik komisch entrüstet. „Schon Borl schimpft und nun auch noch du, Rilt.“ „Zugegeben, David, wir haben es leichter. Die im Verhältnis zu eurer winzige Wohnfläche, die wir haben, ließ sich verkehrstechnisch schneller, großzügiger erschließen, so daß zunächst das Bedürfnis nach einem eigenen Fahrzeug kaum entstand. Ja, und unsere Autos, die hast du im Film gesehen. Das Gehäuse aus Halbleiterfotoelementen, ein Akkumulator, ein Elektromotor. Die Energie dafür liefert unsere Sonne. Bei Nichtbenutzung Anschluß an das Stromnetz.“ „Garagenproblem gelöst“, sagt David Plogontschik lächelnd. „Jeder ist bestrebt, sein Auto in der Sonne stehenzulassen.“ Der Fahrstuhlführer klingelt… Min schreckte aus dem Halbschlaf hoch. Noch immer schrillte die Glocke. „Achtung, Beschleunigung! Zweite Stufe in drei Minuten“, rief Chalo. Ich war eingeschlafen, dachte Min, habe geträumt. Auf dem Bildschirm stand noch immer, scheinbar in der gleichen Größe,
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die Erde. Wenn ich nach der nächsten Beschleunigungsstufe wieder zum Bildschirm schaue, überlegte Min, ist die Sonne ein Stern unter Sternen. Sie tastete nach dem Gurt und paßte sich dem Sitz an. „Zünden!“ befahl Chalo. „Ich zünde“, wiederholte Mangk. „Auf Wiedersehen, ‘Hoffnung’“, sagte Min leise.
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