Rolf Ulrici
SHERIFF BILL bleibt unbesiegt
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Rolf Ulrici
SHERIFF BILL bleibt unbesiegt
Inhalt Kein Sheriff Unheimliche Geschichten Potter will nicht Charlie und der Häuptling Indianer schleichen durch die Wälder Das ›Scharfe Beil‹ ist tot…? Der schreckliche Eisenpfeil Was sagt der Häuptling aller Häuptlinge? Überfall…! Doppelfeder und die ›Schweigsamen Männer‹ Der Goldbart lebt Warum trinken die Tiere nicht? Potter weint um den Sheriff Der neue General und der junge Oberst »Hau, meine Freunde, nun ist es genug!« Blauer Rock und Sheriffstern Reiter in der Geisterschlucht ›Kleines Beil‹ bekommt die Adlerhaube
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Kein Sheriff »Masken ab!« ertönte der scharte Befehl. Zwei Reitertrupps hielten einander gegenüber. Die Männer der Bürgerwehr saßen wie aus Erz gegossen in ihren Sätteln. Es war eisig kalt, der Boden vom Frost so hart, daß er unter den Hufen der tänzelnden Pferde erdröhnte. »Wird's bald?« rief der Kommandant der Bürgerwehr. Die Gewehrläufe seiner Männer waren auf die Maskierten gerichtet – diese aber rührten sich nicht, als träumten sie vom Jüngsten Tag. »Hört«, sagte der Kommandant, und seine Worte schienen in der kalten Morgenluft Eis zu werden, »ihr habt eure Fratzen von der Nase bis zur Stirn mit schwarzen Fetzen bedeckt, und dort, wo die Augen sind, befinden sich zwei Löcher im Tuch. Wir schießen euch gern ein drittes Loch dazu… dann aber seht ihr gar nichts mehr!« Langsam, schweigend, hob der Bandenführer den rechten Arm und streifte die Maske ab; die anderen folgten seinem Beispiel. In den Gesichtern der Räuber stand der starre Schrecken, doch das Entsetzen der Bürger war nicht minder groß. »Ihr seid's?« rief der Kommandant. »Ihr seid der ›Schwarze Mann‹, der Bandenführer, der ›Fluch von Montana‹? Ihr, unser Sheriff?« Am 3. Februar 1876 wurde Sheriff Richard B. Zacharty, Polizeichef von New Ulm im Staate Montana, vom Geschworenenrat der Bürgerschaft des mehrfachen Verbrechens an ›Leben, Leib und Eigentum‹ für schuldig befunden und von Richter Keith R. Bennet zum Tode durch den Strang verurteilt. Zwei Wochen 3
später erlitten die Angehörigen seiner Räuberbande das gleiche Schicksal. War dieser Bandenführer, jener Mörder, jener ›Fluch von Montana‹, der ›Schwarze Mann‹ und Führer der Maskierten – war dieses Schreckgespenst ein richtiger Sheriff, ein echter Sheriff, ein Mann wie Sheriff Bill? Er trug – wenn er nicht in mondlosen Nächten, in nebliger Morgenfrühe oder im grellen Licht der Sommersonne mit seinen dreizehn Banditen einsame Siedlungen überfiel – den Polizeistern an der Weste. Und er hatte den Eid geleistet – den Eid auf das Gesetz. Aber war er darum ein echter Sheriff, auch wenn ihn die ahnungslosen Bürger von New Ulm gewählt hatten? Lesen wir Richter Keith R. Bennets Urteilsspruch: »Zacharty, tretet vor! Das Ordnungskomitee von New Ulm – als Geschworenenrat – hat seinen Spruch gefällt. Er lautet auf, ›Erhängen‹. In der Urteilsbegründung gehe ich davon aus, daß Ihr ein Verbrecher seid, der mit List und Heuchelei erreicht hat, zum Sheriff gewählt zu werden; Ihr habt auch keinen Eid gebrochen, denn der Eid, den Lumpen sprechen, verpflichtet diese Lumpen zu nichts. Ihr wart kein Sheriff, auch wenn Ihr einen Stern trugt; kein Hund wird Sheriff, selbst wenn man ihm den Sheriffstern ans Fell steckt. Also wird hier kein Sheriff verurteilt, sondern ein gewöhnlicher, gemeiner Verbrecher ohne Amt und Titel. Ihr habt das Gesetz mißachtet, Zacharty, aber niemand im Lande soll sagen dürfen, Ihr hättet das Gesetz entehrt.« Zacharty, obwohl vorher ordnungsgemäßer Sheriff, kam als Bandit an den Galgen, und selbst die Zeitung von New Ulm berichtete kein Wort von seinem Amt. Doch andere Zeitungen sprachen davon, in den großen Blättern des Ostens gab es sogar Schlagzeilen, und eines Tages kam die Sache vor den amerikanischen Kongreß. Ulysses S. Grant, der Präsident der Vereinigten Staaten, einst Oberbefehlshaber der Unionsarmee unter Abra4
ham Lincoln, sagte dazu: »Meine Herren, wenn mich die Geschichte verurteilen sollte, so möge sie mich auch nicht als Amtsperson verurteilen. Sie soll nicht den Präsidenten richten, sondern mich, Ulysses S. Grant, einen Mann, der einen blutigen Krieg gefuhrt hat – und der gerne trinkt. Wenn ich Fehler habe, meine Herren, so habe ich sie als Mister Grant und nicht als Mister Präsident… bitte, merken Sie sich das!« Tatsächlich haben besonders die Bürger in den Städten des Wilden Westens – anders als die Menschen im alten Europa – selten ein Amt mit der Person gleichgesetzt, auch nicht in alltäglichen Fällen. Die rauhen Burschen hatten oft einen feinen Sinn. Und, das darf man nicht vergessen, sie waren freie Bürger, die geradeheraus sagen durften, was sie dachten. Hatten sie einen redlichen, mutigen, aber mürrischen und selbstgerechten Sheriff, so zeigten sie wohl, daß sie ihn nicht liebten. War ein Sheriff nett, offen und freundlich zu allen Leuten, aber zaghaft in der Entscheidung, wurde er ausgelacht und verachtet. Nicht der Sheriffstern machte den Sheriff, sondern der Sheriff machte den Stern, das heißt: Er verlieh ihm Bedeutung und Respekt. Der Mann, der noch heute als der fähigste Sheriff gilt, den der Wilde Westen je gehabt hat, William Shakespeare Franklin, genannt Sheriff Bill, gab seinem Stern den höchsten Glanz; als ›Big Man of Peace‹ (oder Peacemaker, Großer Mann des Friedens oder Friedensstifter, bis heute die ehrenvollste Bezeichnung, die ein Amerikaner vor der Öffentlichkeit erhalten kann) verehrten ihn Weiße und Indianer – und als ›Hellen Stern von Devil's Point‹, wie ihn die ›Rothäute‹ nannten, fürchtete ihn jeder Verbrecher vom südlichsten Ausläufer der ‹Schwarzen Wälder‹ über die Prärie bis zum Teufelsgebirge, vom Devil's Pointer Silberfluß über die Sümpfe hinweg zum kanadischen 5
›Lake of the Woods‹ und von den Rocky Mountains im Westen bis in die Städte des Ostens. Doch wenn Sheriff Bill durch Devil's Point ritt, ging nichts Schreckliches von ihm aus. Er wirkte wie ein netter große Junge, der gern und oft lacht und der sich den Stern nur zum Spaß an die Weste geheftet hat. Kein Fremder, der ihn so sah, hätte geglaubt, daß Bill die Silberstadt Devil's Point schon einige Male vor dem Untergang bewahrt hatte, daß er General der Armee und Indianer-Unterhändler gewesen war, vor allem aber, daß nur sein Beispiel, seine Zähigkeit und Unermüdlichkeit den Bürgern Kraft gegeben hatten, die Bretterstadt Devil's Point nach der totalen Brandverwüstung wiederaufzubauen. Die Arbeiten an der Eisenbahnstrecke nach Long Spnng waren wieder im Gange, im Sägewerk, in den Silberminen, im Lager der Holzfäller herrschte Betrieb wie eh und je. Pünktlich erschien die Zeitung, vom neuen Kirchturm läuteten morgens und abends die Glocken, während umgekehrt ein neuer Spielsalon des Abends den Betrieb eröffnete und ihn des Morgens schloß. Auch das Silberhotel war wiedererstanden, protziger und prunkvoller als zuvor. Der verschmitzte Apotheker Bibbleton mixte seine Kräutersäfte, die Stores verkauften Tabak, Zucker, Reis, Kalikostoff, Schmierseife, Sättel, Zügel, Decken, Sporen, Zelte, Töpfe, Petroleum, Spiritus und sonst noch alles mögliche; die Kinder mußten wieder in Miß Jenny Hopkins' Schule, und in ganz Devil's Point roch kein Huhn mehr versengt – außer, es sollte gebraten werden. Aber die Spuren des Brandes waren doch noch da, zumindest mangelte es an manchem. Und wenn Sheriff Bill den Leuten auch stets ein strahlendes Gesicht zeigte, so täuschte das seine Freunde nicht. Sie kannten seine Sorgen. Der Bahnbau – der wegen der Wiedererrichtung der Stadt so lange geruht hatte – mußte vorangetrieben werden. Die Arbeiter, zusammengewürfeltes Pack, mit ordentlichen Arbeitern des 6
Ostens oder Europas nicht zu vergleichen, bildeten eine ständige Gefahr. Auch gab es noch Obdachlose, die auf den östlichen Weiden vor der Stadt kampierten, während Zuzügler dabei waren, auf dem jenseitigen Flußufer Notquartiere zu errichten; ein Unwetter konnte ihnen die leichten Dächer über den Köpfen wegfegen. Es war an einem sonnigen Mittag, Ende Mai. »Was Neues?« fragte Bill, als er sein Büro betrat. »Nichts – oder viel«, erwiderte der Gefragte, behaglich schmatzend; es war Al Potter, der Zweite Sheriff von Devil's Point – ein gewaltiger Mann mit schwarzen Zottelhaaren, einem breiten, vollen, rabenschwarzen Schläfen-, Kinn- und Backenbart und mit nesigen Pranken. »Nichts, wenn du Verbrecher meinst. Viel, was das Mittagessen betrifft. Es gibt das ›Große Kriegsgeheul‹!« Das ›Große Kriegsgeheul‹ bedeutet keinen Schlachtruf, wenigstens nicht jetzt und hier, es war eine Mahlzeit, die die Trapper, Holzfäller und Cowboys so nannten. Etwa das, was man unter einem ›Sonntagessen‹ versteht. Bill mußte lachen. »Und wie ich sehe«, sagte er, »nimmst du das ›Große Kriegsgeheul‹ nicht mit den Ohren auf, sondern stopfst es ganz eifrig hinter deinen Bart!« »Dorthin, wo der Mund ist«, grunzte Porter. »Wirst es nicht glauben, Bill, wenn auch kein anderer sieht, wo ich meinen Schlund habe, Gabel und Messer finden ihn immer!« »Besonders das Messer«, lächelte Bill. »Wenn man Potter heißt, braucht man keine Gabel!« »Gebe zu«, murmelte der Riese, »hab' mir nicht so feine Sitten angewöhnt wie du. Ich bin ein altes Rindvieh auf zwei Beinen, das verpflichtet zu nichts. Aber du bist der Schutzengel von Devil's Point!« Bill hatte Patronengurt und Hut an die Wand gehängt. Er setzte sich zu Potter an den gedeckten Holztisch neben dem 7
Ofen, auf dem der Rest des ›Großen Kriegsgeheuls‹ brodelte. »Riecht ja verlockend«, sagte er. Potter erhob sich und tat ihm auf. »Riecht!« grollte er. »Was heißt ›riecht‹? Schmecken tut's! So gut, daß ich fast bedauere, dir was abgeben zu müssen!« Bill blickte auf seine Portion. »Höre, Alter, du sprichst von ›abgeben‹. Was ich hier habe, scheint mir nur ein Viertel der Menge zu sein, die vorher im Topf war; du hast also das Dreifache verschlungen! Mithin hab' ich dir schon die Hälfte meiner Portion abgegeben, ohne daß du mich darum gebeten hättest! Das nennt man klauen!« »Soll ich's wieder hergeben?« grinste Potter. »Na, ich danke«, sagte Bill. »Aber zur Strafe wirst du morgen auf halbe Rationgesetzt und vielleicht auch übermorgen, je nachdem, ob es was Gutes gibt!« »Ist das dein Emst?« fragte der Riese erschrocken. »Mein voller Emst!« »Bill«, beteuerte Potter. »Ich gebe zu, ich hab' ein bißchen zu tief in den Topf geguckt, aber es war heute wirklich nicht so viel darin, also das könnt' ich gleich be –« »Beschwöre nichts, Potter«, lachte Bill. »Du bist der ehrlichste Vollbart, an dem je Präriestaub geklebt hat. Doch wenn's ums Essen geht, traue ich dir nicht!« In diesem Augenblick betrat der Hotelboy Charlie das Büro. Der Junge war Bills Freund, oft auch sein Meldereiter und sein kleiner Hilfssheriff. Gewöhnlich tat er Dienst im benachbarten Silberhotel, er betreute auch den Mietstall hinter dem Haus, in dem Bills Grauschimmel ›Blizzard‹ stand. Was aber für Potter das Wichtigste war – Charlie brachte ihm das Essen. »Hat's geschmeckt, Sir?« fragte er Bill. »Wende dich an Porter«, lächelte der Sheriff. »Über die größeren Brocken kann er dir besser Auskunft geben!« 8
Der Riese zog verlegen den Kopf ein, so daß es aussah, als wüchse ihm der Bart aus der Brust. »Bill macht Spaß«, murmelte er kleinlaut. Charlie blickte auf Bills Gedeck und sah, daß Messer und Gabel unberührt waren. Der Sheriff benutzte eben den Löffel für die köstliche Soße. Charlie reckte den Hals, um in den Topf zu spähen. Fassungslos starrte er Potter an. »Ist das möglich?« rief er. »Ist das wahr, Mister Potter? Ihr habt das ›Große Kriegsgeheul‹ fast allein gegessen?« »Nun stimm du mal kein Kriegsgeheul an«, brummte Potter. »Sheriff Bill ißt ja nie viel!« »Aber es war etwas Gutes, etwas Besonderes!« rief der Junge. »Ich wollte dem Sheriff 'ne Freude machen! Das ist gemein, Mister Potter! Da war ein Pfund vom Mastrind drin und 'ne ganze Menge vom Apotheker –« »Vom Mastrind und vom Apotheker!« Nun lachte Potter schallend. »Wußte gar nicht, daß der alte Bibbleton so gut schmeckt!« Doch das Lachen verging ihm unter Bills Blick. »Ich meinte Kräuter und Gewürze«, fuhr der Junge fort. »Außerdem hab' ich feines Schmalz zum Braten genommen, teuren Pfeffer, braunen Zucker und ein halbes Glas vom besten Whisky für die Soße, und ich hab' das Messer zwanzigmal geschärft, um das Fleisch in richtige Würfel zu schneiden!« »Wieso du?« fragte Potter erstaunt. »Weil ich sehen wollte, ob ich's nicht auch so gut kann wie der Koch«, erklärte Charlie eifrig. »Und weil ich Sheriff Bill eine Freude machen wollte!« »Na, nun hast du mir eine Freude gemacht«, lachte Potter. »Das wird dich doch trösten, oder?« Charlie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Es freut mich, daß es Potter geschmeckt hat«, rief er wütend. »Aber das nächste Mal 9
kriegt er 'ne Portion Hackfleisch vom Stinktier!« Nun mußte auch Bill lachen. »Nimm's nicht krumm, Charlie!« »Ich stell mich drei Stunden in die Küche, mach' mir den Koch zum Feind, um Euch was Leckeres vorzusetzen, Sheriff, und dann verschwindet alles hinter Potters Bart!« maulte Charlie. »Wirklich, Sir, das ist kein Spaß!« Er drehte sich um und ging hinaus. »Das tut mir nun aber leid«, schnaufte Potter. »Der Junge ist empfindlich wie so'n junges Girl. Na, er wird schon wiederkommen!« Doch am Abend kam Charlie nicht. Am nächsten Morgen, als Bill aus seiner Wohnung hinunter ins Büro ging, fand er kein Frühstück vor. Bill heizte den Ofen an, um sich selbst den Tee zuzubereiten. Da flog die Tür auf, Potter blickte herein: »Bill«, rief er. »Bill, komm sofort! Charlie ist weg!«
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Unheimliche Geschichten »Was heißt ›weg‹?« fragte Bill, als er mit Potter eilig zum Silberhotel schritt. »Er ist doch nicht etwa verschwunden?« »Doch, und zwar spurlos«, keuchte Potter. »Wie gewöhnlich hab' ich das Gästebuch kontrolliert, ob 'n Fremder gekommen ist, und dabei hab' ich mich nach Charlie erkundigt. Ich hatte noch 'n schlechtes Gewissen, du verstehst, wegen gestern… mit… mit dem Essen!« »Ach, und da meinst du, Charlie ist vor Ärger ausgerissen?« Bill schüttelte den Kopf. »Charlie ist treu und aufopfernd, aber er ist kein Zimperling. Wegen eines Topfs voll Essen reißt er niemals aus, und mag es zehnmal das ›Große Kriegsgeheul‹ gewesen sein!« Sie traten in die neue, mit roter Wandverkleidung und geschmacklosen Spiegeln ausgestattete Hotelhalle. Der Wirt kam ihnen schon entgegen. »Tut mir leid, Sir«, beteuerte er, »ich kann nichts dafür, Sheriff! Ich hab' nichts gemerkt, weil im Augenblick keine Gäste da sind und wir Charlie nicht brauchten. Auch dachte ich, er sei vielleicht bei Euch und Ihr hättet einen Auftrag für ihn. Erst vorhin, als Mister Potter fragte, hab' ich das Mädchen in das Zimmer überm Mietstall geschickt Sie hat vergeblich geklopft. Er muß also schon gestern abend weggeritten sein!« »Weggeritten?« fragte Sheriff Bill. »Ist sein Pony nicht da?« »Nein«, sagte der Wirt. »Ich habe schon nachgesehen.« »Davon muß ich mich überzeugen«, erklärte Bill. »Charlie hat auch mein Pferd zu versorgen, und es ist noch nie vorgekommen, daß er es nicht getan hat.« 11
Mit Potter und dem Wirt schritt der Sheriff über den Hof zum Mietstall. »Wirklich«, murmelte Potter, als sie vor der leeren Box standen, »Charlies Pony ist weg!« »Wie man sieht«, meinte Bill knapp. »Versorg meinen Blizzard, Potter! Er sieht mir so aus, als hätte er gestern abend auch schon nichts gekriegt. Sonderbar! Aber daß mir Charlie nichts gesagt hat!? Er würde eher selber hungern, als die Pferde zu vernachlässigen. Hm…« »Du glaubst, er hat einen wichtigen Grund gehabt, sich heimlich auf und davon zu machen?« fragte Potter, der in Blizzards Box beschäftigt war. »Einen wichtigeren als den Topf mit dem ›Großen Kriegsgeheul‹ und deine Gefräßigkeit«, erwiderte Bill. »Denkt einmal nach, Wirt! Ist Euch gestern irgend etwas an dem Jungen aufgefallen?« »Nein…« Der Wirt zögerte. »Außer…« »Nun…?«forschte Bill. »Außer, daß er ein Teetablett fallen ließ. Es war um fünf Uhr nachmittags…« »Und…?« drängte der Sheriff. »Ich… ich habe ihn ausgescholten«, sagte der Wirt. »Verzeiht, Sir, ich weiß, Charlie ist Euer Freund, ein tapferer Bursche, wenn's drauf ankommt. Er hat Euch treue Dienste geleistet, nicht nur Euch, auch der Stadt…« »Zur Sache, Mann«, befahl Sheriff Bill. »Ich kenne Charlies Verdienste, seine Tapferkeit und seine Treue. Charlie würde niemals ausreißen, nur, weil Potter mir was weggegessen und weil Ihr ihn gescholten habt! Charlie ist kein kleines Mädchen. Er hat das Herz eines jungen Löwen. Es ist noch etwas vorgefallen, das sehe ich Euch an!« »Nun gut, Sir.« Der Wirt kratzte sich am Kopf. »Da war so 'ne 12
sonderbare Sache…« »Was für eine Sache? Und warum sonderbar?« »Es kam ein Soldat aus dem Lager am Fluß – von der Truppe, die zur Bewachung des Bahnbaus da ist.« »Ich hatte verboten, daß sich Soldaten aus dem Camp hier herumtreiben. Warum habt Ihr mir das nicht gemeldet?« »Der Mann ging von selber, Sir. Ich drohte ihm, Euch zu holen, und da wurde er gleich nüchtern. Er trollte sich sofort.« »Was ist daran sonderbar?« »Nun, der Soldat kam hierher, weil der Spielsalon noch geschlossen war. Er glaubte wohl, ich würde ihm Whisky geben.'' Bill blickte den Win scharf an. »Und Ihr gabt ihm welchen?« »Nur einen Schluck, Sir«, beteuerte der Wirt, »nur einen Schluck, um ihn loszuwerden. Es war meine Teezeit. Ich setzte mich mit ihm an einen Tisch und plauderte ein bißchen. Seine Großmutter stammt auch aus Irland, genau wie meine.« Potter stellte einen leeren Wassereimer hin, daß es krachte. »Zum Teufel mit Euren Großmüttern!« brüllte er. »Was war mit dem Soldaten, was war mit Charlie?« »Er kam dazu – na, und dann ließ er gleich das Tablett fallen«, fuhr der Wirt verstört fort. »Er ging dem Soldaten beinahe an den Hals., Wo habt Ihr das her?' fragte er ihn, und ich sah, wie der Soldat rasch etwas im Rock verbarg, es sah aus wie eine alte, silberne Tabaksdose.« »Eine Tabaksdose?« fragte Bill. Er runzelte die Stirn. »Soviel ich weiß, raucht Charlie allenfalls mal ein paar Züge aus einer indianischen Friedenspfeife. Und eine Tabaksdose, eine silberne gar, hat er nie besessen. Vielleicht war es eine vom Richter oder vom Arzt, der Soldat hat sie gestohlen, und Charlie erkannte sie wieder… Was geschah dann?« »Ach, nichts«, sagte der Wirt. »Es ging ja alles so schnell, und 13
ich hatte das Ganze nicht recht begriffen. Glaubt mir, Sir. Ich hab' verhindert, daß einer von beiden auf den anderen losging. Dann hab' ich den Soldaten rausgeworfen.« »Und Ihr habt Charlie nicht gefragt, was das mit der Tabaksdose zu bedeuten hatte?« erkundigte sich der Sheriff. »Gewiß«, erwiderte der Wirt. »Und da sagte er: ›Es kommt ja manchmal vor, daß einem was an einem Gast auffällt, 'n schöner Ring oder 'n Armband oder sonstwas…‹« »Wirt«, sagte Potter grimmig. »Ich glaube, Ihr spinnt!« Der Wirt wich zurück. »Ich schwör' Euch, Mister Potter, es war so, und ich hätt's auch nicht wichtig genommen, wenn mich der Sheriff nicht gefragt hätte. Wer weiß, was im Kopf eines Jungen vorgeht! Er benahm sich dann ja auch ganz ordentlich!« »Dann!« betonte Bill. »Dann war er weg, meint Ihr wohl!« »Nicht gleich!« rief der Wirt. »Bei meiner Seele! Ich hatte die Sache schon vergessen, als Charlie in sein Zimmer hinüber ging. Es war ja auch nichts mehr zu tun, so daß ich ihn nicht mehr brauchte!« »Hm…« Bill überlegte. »Er muß sich sehr leise aus dem Staub gemacht haben, jedenfalls hörte ich nichts. Abends war ich im Spielsalon, um dort nach dem Rechten zu sehen, ich hab' da auch noch einen Happen gegessen… und als ich in meine Wohnung raufstieg, dachte ich, Charlie hätte mich beobachtet und wüßte, daß ich nichts mehr brauchte. Charlie hat einen Spürsinn dafür… Und daß er die Pferde versorgt hätte, nun, das hielt ich für selbstverständlich…« »Wenn sein Verschwinden wirklich mit der Tabaksdose zusammenhängt –« begann Potter. »So wird er nicht ins Soldatenlager geritten sein, um den Dieb dort zu stellen«, erklärte Bill. »Dann wäre er sofort zu mir gekommen!« »Du meinst…?« fragte Potter, dessen Augen sich weiteten, »… 14
du meinst, an dieser Tabaksdose hängt ein… ein… Geheimnis?« Bill wandte sich an den Wirt: »Habt Ihr beobachtet, ob Charlie dem Soldaten die Dose – oder was es war – wegnahm?« Der Wirt kratzte sich am Kopf. »Tja, hm, jedenfalls sah ich sie nicht mehr bei dem Soldaten… Ich sagte ja, es ging alles so schnell, und wenn ich mich nicht irre – auch das hab' ich schon gesagt –, steckte der Soldat das Ding schnell ein, als Charlie auf ihn losging.« »Es ist gut, Wirt«, sagte Sheriff Bill. »Es ist sicher nichts. Möglicherweise hat Charlie die Sehnsucht nach seinem Indianerfreund, dem Häuptlingssohn ›Kleines Beil‹, gepackt – und da ist er einfach auf und davon, in die Wälder. Macht Euch keine Sorge, er kommt wieder!« »Wenn nur Ihr Euch keine Sorge macht«, erwiderte der Wirt erleichtert. »Braucht Ihr mich noch?« »Danke«, sagte der Sheriff »Aber Ihr seid so gut, Wirt, den Urlaub nicht Charlie, sondern mir anzurechnen. Ich komme dafür auf, hört Ihr?« Der Wirt verneigte sich. »Wie Ihr befehlt, Sir.« Als er den Stall verlassen hatte, fragte Potter verblüfft: »Was redest du da von ›Urlaub‹? Und wie kommst du auf die Idee, daß Charlie zu seinem Indianerfreund, dem ›Kleinen Beil‹, geritten ist? Mir schien doch, als nähmst du die Sache mit der Tabaksdose ziemlich ernst? Außerdem hat sich Charlie noch nie unabgemeldet aus dem Staub gemacht!« »Eben!« erwiderte Bill. »Ich hab' das Gefühl, als sei das alles noch viel schlimmer, als wir glaubten. Wenn es nicht eine Tabaksdose wäre, ausgerechnet eine Tabaksdose…« Potter strich sich den schwarzen Bart, daß es knisterte. »Wieso ›ausgerechnet‹? Und was ist schon an einer lumpigen Tabaksdose? Du tust, als könnte sich's um 'ne Kiste mit Sprengstoff gehandelt haben!« 15
Der Sheriff lachte bitter. »Tabaksdosen, lieber Potter, Tabaksdosen haben mehr als einmal schlimmer als Sprengstoff gewirkt. Als Louisiana noch den Franzosen gehörte, verschwand der General Marquis de Vaux mit seiner ganzen Expedition spurlos in den Wäldern. Die Suche nach ihm und seinen Leuten blieb ohne Ergebnis. So lange, bis ein Trapper vom Mississippi in einer Hafenspelunke sein Pfeifchen stopfte. Den Tabak entnahm er einer Dose, auf die – ganz zufällig – der Blick eines französischen Schiffsfähnrichs fiel. Der junge Mann war ein ungeratener Bur sche, er stammte jedoch aus guter Familie, und er hatte seine Kindheit in Pariser Salons verbracht. Der Fähnrich fragte den Trapper – so, wie Charlie den Soldaten gefragt hat – ›wo habt Ihr die her?‹ und der Trapper antwortete arglos: ›Von Indianern. Ein Lederbeutel ist zwar praktischer, aber das Ding ist so hübsch bunt, es hat mir gefallen. Na, da gab ich den Indianern etwas Schießpulver dafür.‹ ›Mir gefällt's auch‹, sagte der Fähnrich. ›Überlaßt mir die Dose, Ihr kriegt ein Faß Rotwein, eine neue Flinte und die dreifache Menge von dem, was Ihr an Schießpulver bezahlt habt!‹ – Der Trapper willigte sofort ein, wahrscheinlich hielt er den Fähnrich für übergeschnappt.« »Das hätte ich auch getan!« rief Potter. »'n ganzes Faß Rotwein für eine lumpige Tabaksdose – noch dazu für eine, die nicht mal aus Gold war?« »Sie war aus Gold«, sagte Bill, »und zwar innen und außen. Aber sie war so kunstvoll bemalt, daß man's nicht sah. Überdies war sie sicher schmutzverkrustet. Doch der Fähnrich erkannte ihre Herkunft sofort – eine solche Arbeit konnte nur vom französischen Hofjuwelier stammen, also entweder dem König selbst oder einem seiner Günstlinge gehört haben. So war's denn auch. König Ludwig der Vierzehnte hatte sie jenem General de Vaux geschenkt, der seit Monaten in den Wäldern verschollen war. 16
Der Fähnrich übergab die Beute dem Statthalter, dieser ließ den Trapper verhaften und machte ihn zum Pfadfinder seiner Suchexpedition. So wurden die Indianer entdeckt, die den Marquis de Vaux und seine Männer ermordet und in die Sümpfe geworfen hatten. Aus Rache verbrannte man ihre Dörfer und metzelte sie sippenweise nieder. Heute ist die Dose, an der so viel Blut klebt, im Museum von New Orleans, da kannst du sie sehen, und wenn du sie besäßest, könntest du dir eine ganze Rinderherde dafür kaufen.« »Eine ganze Rinderherde für eine Tabaksdose…?« staunte Potter. »Du… du willst doch nicht etwa sagen, daß Charlie auch so einer Dose hinterher ist?« »Nein«, lächelte Sheriff Bill. Wieder ernst werdend, fuhr er fort: »Es geht hier nicht so sehr um den Wert als um die Bedeutung. So manche, weniger kostbare Tabaksdose hat im Wilden Westen schlimme Verbrechen verraten. Du weißt doch, weshalb die Leute meinen Kollegen Morris in Long Spring zum Sheriff gemacht haben, ihn, der von Geburt an blind ist?« »Ehrlich gesagt«, murmelte Potter, »darüber hab' ich niemals nachgedacht! Allerdings, von 'nem blinden Sheriff hab' ich sonst nie gehört, er dürfte auch der einzige in den Staaten sein!« »Er ist der einzige«, erklärte Bill. »Als junger Mann hat er Körbe geflochten und Jagdtaschen genäht. Einmal saß er im Sheriffsbüro, als ein betrunkener Vagabund eingeliefert wurde. Der Sheriff leerte dem Burschen die Taschen aus und legte den Inhalt auf den Tisch, ein rostiges Klappmesser, verschiedenen wertlosen Krimskrams und eine flache, kleine Tabaksdose aus Silber. Nun, warum sollte ein Vagabund keine verbeulte, alte Tabaksdose besitzen? Sie konnte ein Andenken sein, und der Vagabund mochte bessere Tage gesehen haben… Zufällig griff Morris danach. Er betastete sie mit den empfindlichen Fingerspitzen eines Blinden und fühlte ein sonderbares, eingraviertes Muster. 17
Der Sheriff hätte dem keine Bedeutung beigemessen, aber Morris bestand darauf, daß er den Redakteur holte. Der Sheriff konnte nicht lesen, und Monis hielt die Gravur für verschlungene Buchstaben. Es waren tatsächlich welche, sie ergaben den Namen des deutschen Millionärs Baron von Bliß, der mit dem Direktor der Anheuser-Buch-Bierbrauerei aus St. Louis eine Zweimann-Expedition nach Nordkanada unternommen hatte. Jahrelang galten die beiden als verschollen. Der Redakteur aber erinnerte sich sofort des Namens Bliß, und der Sheriff nahm den Vagabunden in die Zange. Bald darauf ging ein Bericht an die kanadische Reiterpolizei, und die berüchtigte Ronchon-Bande wurde unschädlich gemacht. Die hatte sich nämlich auf Expeditionen spezialisiert, und sie war es auch, auf deren Konto der Mord an dem Baron von Bliß und dem Brauereidirektor kam. Die Geschichte dieser Tabaksdose hat in allen Zeitungen in Amerika und in Europa Stoff geliefert – und durch sie wurde zum ersten Male ein Blinder Polizeichef.« »Bill«, sagte Potter, »ich hab' zwar so viel Stroh im Gehirn wie Barthaare im Gesicht, aber jetzt weiß ich, worauf du hinaus willst! Charlie hat die Tabaksdose bei dem Soldaten gesehen, und jedenfalls muß er sofort erkannt haben, daß sie ihm nicht gehört. Vielleicht fiel ihm irgendeine alte Geschichte wieder ein, die mal ein Gast erzählt hat – wer weiß –, und jetzt spielt er Sheriff oder Detektiv!« »Etwas Ähnliches glaube ich auch«, meinte Bill. »Aber das, was der Wirt erzählt hat, deutet auf etwas Schlimmeres hm als auf einen gewöhnlichen Diebstahl durch einen Soldaten, wie er alle Tage vorkommt Charlie ist nicht so unbeherrscht, daß er beim Anblick eines verräterischen Gegenstandes gleich ein Tablett hinfallen ließe.« »Wollen wir nicht mal ins Soldatenlager reiten?« fragte Potter. Ja. Doch zunächst reiten wir ins Holzfäller-Camp. Ich will mit 18
Old Cunklehat sprechen, dieser einbeinigen Unke, die jeden Flügelschlag jenseits der Berge, jeden Forellensprung in Kanada und jedes Kojotenhusten in den Prärien hört. Hol dein Pferd, ich sattle inzwischen meinen Blizzard!« Eine halbe Stunde später sprangen Sheriff Bill und Potter im Waldlager von den Pferden. Vor der Verwaltungsbaracke saß – wie meist – der alte Vize-Inspektor Cunklehat. Er hatte ein vertrocknetes, listiges Gesicht; zwischen den farblosen Lippen stak eine selbstgeschnitzte Pfeife. »Nun, Sheriff?« fragte er munter. »Was bringt Ihr? Habt wohl geahnt, daß mein Tabak zur Neige geht?« »Dein Tabak geht immer zur Neige, so lange ich dich kenne«, sagte Bill. »Steck dir eine Handvoll von Potters Bart in die Pfeife!« »Nee«, kicherte der Alte. »Ich hab' schon Seegras geraucht, getrockneten Teesatz und alles mögliche. Am Rauch von Potters Bart würde selbst ein Büffel ersticken.« »Gib acht«, grollte Potter, »daß du nicht an deinen eigenen giftigen Worten erstickst!« »Was wollt Ihr?« fragte der Alte. »Sicher seid Ihr nicht gekommen, damit wir um Potters Bart streiten?« »Nein«, sagte Bill. »Gewiß nicht, du Schlaukopf. Und natürlich sollst du auch Tabak kriegen!« »Fünf Päckchen«, blinzelte Old Cunklehat. »Das heißt, du hast eine Neuigkeit?« forschte Bill. »Nicht, daß ich wüßte«, meinte der Alte. »Es ist ':nde Mai, nicht wahr? Und das werdet Ihr längst wissen, nehme ich an. Ein herrlicher Mai! Ja, Bill – wenn ich so auf Devil's Point herabsehe, wie's da in der Sonne liegt, die Ebene hat ein grünes Kleidchen… hä, hä, hä… Und selbst das Teufelsgebirge sieht aus, als wolle es sich 'nen Hut aus Gras zulegen! Und erst die Stadt – so schmuck und sauber, daß man denken kann, 's ist 'ne Täuschung! Dabei 19
war'n da vor knapp 'nem Jahr nichts als verkohlte Trümmer!« »Das alles sieht Bill auch«, fiel Potter ungeduldig ein. »Wem sagst du das, Alter? Bill hat die Stadt selbst wieder aufgebaut!« »Eben«, kicherte Old Cunklehat. »Und deshalb mein' ich, er soll achtgeben, daß er's nicht noch einmal tun muß!« Einen Augenblick war es still. Dann fragte der Sheriff: »Was soll das heißen, alter Freund?« »Fünf Päckchen Tabak!« erwiderte Cunklehat listig. »Fünf?« fragte Bill. »Nicht weniger?« »Und auch nicht mehr«, grinste der Einbeinige. »Ihr wißt, Bill, ich hab' Euch schon mal 'nen Tip gegeben…« »Aber dafür hast du nicht so viel verlangt«, sagte der Sheriff ernst. Das Gesicht des Alten veränderte sich. Er grinste nicht mehr. Und die Furchen der List in seinem Gesicht schienen sich in Sorgenfälten zu verwandeln. »Wenn Ihr zu mir kommt, Sheriff«, sagte er, »so hat das allemal etwas zu bedeuten. Und wenn ich Tabak verlange, auch. Darüber sind wir uns klar – oder nicht? Ihr habt was auf dem Herzen, und es mag mit dem zusammenhängen, was ich weiß!« »Was weißt du?« drängte Bill. »Ihr sucht etwas, hab' ich recht?« »Alle Wetter, ha!« rief Potter. »Wir suchen Charlie – und wir suchen eine Tabaksdose!« »'ne Tabaksdose?« Old Cunklehat kicherte wieder. »Das hätt' ich nicht erwartet! Auf jeden Fall was Gestohlenes! Da kommen wir der Sache näher… Hört, Sheriff…«, er schwenkte seine Pfeife: »Mögt Ihr suchen, was Ihr wollt, meinetwegen einen alten Hut! Ich sage nur so viel: Es knackt wieder in den Wäldern, die Vögel flattern von Baum zu Baum, und Hirsche, Bären und Wölfe machen Wettspringen miteinander! Diesmal seh' ich nicht nur die Stadt in Flammen, diesmal sehe ich blutigen Krieg in der 20
Prärie, in den Bergen und in allen Teilen des Black Woods!« »Die Trapper haben dir etwas erzählt?« fragte Bill. »Nichts haben sie«, erwiderte Cunklehat. »Aber sie haben das Weite gesucht, und wenn mich nicht alles täuscht, eiliger als im letzten Jahr.« »Das heißt, die Indianer sind auf dem Kriegspfad?« »Nehmt das, was Ihr wollt.« »Ich kenne deine Andeutungen«, sagte Bill stirnrunzelnd. »Was haben sie?« »Ich weiß es nicht. Soviel ich hörte, haben sie etwas nicht mehr. Es ist ihnen gestohlen worden!« »Eine Tabaksdose…?« rief Potter. »Mann, Cunklehat, rede! Sonst knet' ich dich ein bißchen, und nachher kannst du dir ein zweites Holzbein schnitzen!« »Sheriff Bill weiß, daß Old Cunklehat nie was Bestimmtes sagt«, erklärte der Alte, indem er den Kopf einzog. »Vieles Rauchen bekommt mir nicht schlecht, aber ich schätze, vieles Plaudern könnt' mir auf die Dauer nicht gut bekommen!« »In Ordnung, Alter«, sagte Bill. »Hier hast du einen Dollar. Laß dir Tabak aus der Stadt holen! Komm, Potter!« Der Sheriff wollte sich auf seinen Grauschimmel schwingen, als Inspektor Simpson herankam. Simpson, ein gewichtiger, ruhiger Mann mit einem Gesicht, das Ehrlichkeit und Entschlossenheit ausdrückte, war der Chef des Holzfällerlagers. Er gehörte zu Bills verläßlichsten Männern. »Hallo, Sheriff!« rief er munter. Es war ihm anzusehen, daß er Bill verehrte, obwohl dieser fast dreißig Jahre jünger war als er. »Sucht Ihr mich?« Bill zögerte. Ja und nein, Simpson. Habt Ihr Charlie gesehen?« »Charlie?« fragte der Inspektor erstaunt Ja, warum? Als ich gestern abend vom Fluß kam – es war schon spät aber ich hatte im Sägewerk noch den Arbeitsplan abzustimmen –, da traf ich 21
ihn…« »Charlie?« rief Potter. Jedenfalls glaubte ich, daß er's sei. In der Dunkelheit sah ich nur die Umrisse seines Ponys; an der leichten Gangart meinte ich's zu erkennen!« »Schlug der Reiter die Richtung zum Bahnlager ein? Ritt er nach Osten?« fragte Bill. Der Inspektor überlegte. »Nein. Dann hätte er einen Weg quer durch die Stadt und über die Weiden wählen können. Hm. Jetzt fällt's mir auf… Er ritt auf den Fluß zu, als wolle er noch vor dem Sägewerk ans andere Ufer… Das Bahnlager ist jedoch weiter östlich, also hinter dem Sägewerk. Was ist? Hatte Charlie einen Auftrag? Ist er nicht zurückgekommen?« »Ich weiß noch nichts«, erwiderte Sheriff Bill. »Aber wenn ich in meinem Leben eins gelernt habe – besonders hier, in Devil's Point –, so ist es dies: Man soll auf alles Ungewöhnliche achten. Hier ist der Schlüssel zu meinem Büro, Simpson. Übergebt den Befehl über Euer Lager einem anderen und vertretet mich, solange ich mit Potter unterwegs bin.« »Gemacht, Sheriff«, sagte Simpson, ohne weitere Fragen zu stellen. Während er sich zum Lager wandte, um einen zuverlässigen Vertreter auszuwählen, ritten Bill und Potter los. »Wohin jetzt?« fragte der Bärtige. »Wollen wir am Ruß nach Hufspuren von Charlies Pony suchen?«
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Potter will nicht »Ich will erst einmal in die Schule zu Miß Jenny Hopkins!« sagte der Sheriff. »Schule?« rief Potter entsetzt. »Bill, da zieh' ich lieber gegen feindliche Indianer! Ich hab' mein Lebtag nicht viel vom Lesen und Schreiben gehalten, und wenn ich die Schule nur sehe, wird mir schlecht!« »Du sollst da nicht auf einer Schiefertafel Buchstaben schreiben«, lächelte Bill. »Meinst du, ich setze dich neben die kleinen Mädchen auf eine Bank? Die halten dich sowieso für einen Bären.« »Ich bin kinderlieb!« verwahrte sich der Riese. Ja«, sagte Bill. »Aber leider sieht man dir das nicht an!« Als sie durch die Stadt ritten, trafen sie die Kutsche des Arztes. Der Doktor, der selbst die Zügel hielt, brachte den Wagen zum Stehen und beugte sich heraus. »Hallo, Bill!« »Hallo, Doktor Knox! Wie geht's?« »Na, bei dem prächtigen Maiwetter natürlich gut«, sagte der Arzt »Wenn ich an den Winter denke! Als die neuen Häuser nach dem Brand noch keine Fensterscheiben hatten!« »Und wenn ich daran denke, was es für Mühe gekostet hat, das Fensterglas von Long Spring heranzuschaffen«, brummte Potter. »Es war ein Wettlauf mit Krankheit und Tod!« »Was ich fragen wollte, Doktor…«, sagte Bill beiläufig. »Vermißt Ihr zufällig Eure Tabaksdose?« »Ich? Meine Tabaksdose? Wie kommt Ihr darauf?« Doktor Knox griff in die Tasche. »Hier ist sie! Hat Euch jemand erzählt, 23
sie sei weg?« »Ja!« Der Sheriff lachte. »Irgendein Witzbold! Danke, Doktor! Mehr wollt' ich nicht wissen! Wiedersehn!« »Wiedersehn!« rief der Doktor. »Übrigens kann man mir getrost die Tabaksdose stehlen, sie taugt nicht viel! Wenn man mir nur meine Arzttasche läßt!« Bill und Potter ritten weiter. »Willst du jetzt jeden nach seiner Tabaksdose fragen?« erkundigte sich Potter. »Da hättest du viel zu tun!« Bill sagte nichts. Als sie vor der Schule anlangten, befahl er: »Warte hier mit den Pferden, ich geh' eben mal zu Miß Hopkins hinein!« Jenny Hopkins, die Tochter des Richters, leitete die Schule; allerdings betreute sie nur solche Kinder, deren Eltern es sich leisten konnten, ihre Sprößlinge zu entbehren. Und das waren – in einer Wildweststadt wie Devil's Point – leider nur sehr wenige. Die meisten Jungen und Mädchen mußten schon von Kindheit an im Hause, auf den Höfen, Feldern, Weiden, in den Läden, Werkstätten und Lagern arbeiten. Ein Zustand, der weder den Stadtverordneten noch dem Sheriff gefiel. Aber die rauhen Bergwerksarbeiter, Rinder- und Schafzüchter hielten auch nicht viel davon, ihre Kinder den halben Tag bei »dummem Zeug« im Zimmer verbringen zu lassen, und mochte es zehnmal der schmucke Saal der nach dem Brand neuerrichteten Schule sein. »Hallo, Bill«, empfing Jenny Hopkins den Sheriff. »Schöne Überraschung! Wollt Ihr bei mir etwas lernen – oder seid Ihr etwa gekommen, um einen meiner kleinen Banditen zu verhaften?« Lächelnd blickte der Sheriff auf die mucksmäuschenstillen Kinder: »Wollen doch hoffen, daß kein Bandit darunter ist. Oder? Ist einer von euch dabei, der ein Gauner werden will?« 24
»Neiiin…!« ertönte es im Chor. »Sondern?« fragte die junge Lehrerin. »Was wollt ihr alle werden?« »Sheriff!« riefen die Kinder wie aus einem Munde, und sogar die Mädchen stimmten in den Chor mit ein. »Ihr seht, Ihr habt den kleinen Girls den Kopf verdreht mit Eurem Stern«, lächelte Jenny Hopkins. »Na, von den Mädchen finde ich die Antwort ein bißchen unfair«, meinte Bill. »Sie sollten sich lieber den Beruf ihrer hübschen und netten Lehrerin zum Ziel setzen!« »Im Unterricht bin ich weder hübsch noch nett«, sagte Jenny Hopkins ernsthaft. »Ich kann wahrhaftig ein sehr strenges Gesicht machen. Aber was gibt es, Bill?« »Ich möchte die Kinder etwas fragen, Jenny. Wundert Euch nicht Es klingt nur komisch, ich denke aber, es ist alles andere als das. Also, ihr Jungen und Mädchen: Hört her… Wessen Vater vermißt eine Tabaksdose?« Drei Arme schnellten hoch. »Meiner!« rief ein Junge. »Seit wann?« fragte Bill. »Seit einer Woche!« »Und wo hat er sie verloren?« Der Junge errötete. »Verloren hat er sie nicht«, druckste er. »Ich… ich hab' sie mir ausgeliehen, weil er sie kaum braucht. Ich hab' meine Kreide in die Dose hineingetan. Hier ist sie!« Die anderen lachten. Doch Miß Jenny sagte: »Gib sie deinem Vater wieder, du Strolch! Die Kreide kannst du auch in eine Pappschachtel tun.« Bill fragte die beiden anderen, die sich gemeldet hatten. Ihre Väter schienen sich aber aus dem Verlust nicht viel zu machen. Also handelte es sich wohl nur um billige Dosen, um solche, die weder ein persönliches Andenken noch eine Kostbarkeit – oder gar beides – darstellten. 25
»Und nun zu Euch, Miß Hopkins«, sagte Bill. »Vermißt der Richter seine Tabaksdose?« »Nein«, erwiderte Jenny prompt. »Er hat sie heute früh noch gehabt! Aber was sollen Eure Fragen? Ihr tut ja gerade, als sei die Zukunft von Devil's Point in einer verlorenen Tabaksdose!« »Schon möglich«, sagte Bill leise. »Ich bitte Euch, Jenny, erzählt den Kindern, ich sei einem gewöhnlichen Dieb hinterher. Ich erkläre Euch das ganze später!« »Gut«, erwiderte Miß Hopkins gedämpft Sie sah dem Sheriff gedankenvoll nach, als er hinausging… »Potter«, sagte Bill, nachdem er sich wieder in den Sattel geschwungen hatte. »Mir fällt etwas ein… aber das macht die Sache auch nicht besser. Wie, wenn es keine Tabaksdose, sondern eine große Taschenuhr mit Sprungdeckel gewesen wäre…?« Potter zügelte sein Pferd und starrte den Sheriff aus geweiteten Augen an. »Eine große, alte Taschen… He,und was hat Old Cunklehat da von den knackenden Wäldern geredet.. .von den Indianern auf dem Kriegspfad? Hast du nicht mal dem Sohn des Häuptlings ›Scharfes Beil‹ eine Taschenuhr geschenkt?« »Ja«, nickte Bill. »Das ›Kleine Beil‹, mein und Charlies Freund, hat eine Taschenuhr mit Deckel von mir. Sie ist der kostbarste Besitz des ›Kleinen Beils‹, und wenn es die Uhr war, die Charlie bei dem Soldaten bemerkte… nun, dann kann ich mir vorstellen, daß Charlie das Teetablett vor Schreck fallen ließ. Vielleicht hat er gedacht, irgendwo seien Indianer von Soldaten überfallen worden. Oder von Banditen, die ihnen die Pferde, Gewehre und – nebenbei auch – die kleineren Wertsachen gestohlen haben. Möglicherweise hat ein Verbrecher dem Soldaten die Uhr auch verkauft – egal. Wir müssen sehen, wie der Bursche dazu gekommen ist! Los, jetzt reiten wir ins Bahnlager zu Captain Fillmore!« 26
»Wir hätten gleich dorthin reiten sollen«, meinte Potter. »Nein«, sagte Bill. »Die zwei Stunden Verzögerung sind in Wahrheit gewonnene Zeit. Vergiß Old Cunklehat und seine Worte nicht! Es ist etwas Weitreichendes im Gange, dadurch erscheint mir das, was erst ein Rätsel war, schon in einem gewissen, wenn auch undeutlichen Licht… Ich kann Captain Fillmore jetzt ganz andere Fragen stellen als nur die eine: ›Hat einer Eurer Soldaten eine Tabaksdose gestohlen?‹ Ich kann auf alle Fälle hinzufügen: ›… oder etwa die Taschenuhr eines Häuptlingssohns?‹« »Und was ist mit Charlie?'' Bill stellte eine Gegenfrage: »Wie nun, wenn er nicht auf eigene Faust losgeritten ist, sondern auf eine geheime Botschaft des ›Kleinen Beils‹ hin?« Potter schüttelte Kopf und Bart »Manch Leute denken ja, du kannst hellsehen, Bill. Aber daß du dich die ganze Zeit an eine Tabaksdose geklammert hast statt an eine Uhr mit Deckel zu denken?« Der Sheriff lachte. »Ob Tabaksdose, ob Taschenuhr, ich dachte an etwas, was diese beiden Dinge gemeinsam haben: Denn was ich dir von den Tabaksdosen erzählte, gilt auch für Taschenuhren. Auch sie haben in der Geschichte Amerikas schon oft auf die Spuren von Mördern geführt und nach vielen Jahren Verbrechen aufklären helfen, über die schon Gras gewachsen schien. ›Jimmy, das schießende Baby‹, einer der schlimmsten Banditen, konnte tief im Süden eines dreifachen Mordes überführt werden, den er hoch im Norden begangen hatte. Alle Gegenstände, die ihn hätten verraten können, hatte er in der Einsamkeit gelassen, die geraubten Banknoten in den Städten des Ostens eingetauscht, bevor das Verbrechen ruchbar wurde. Er ließ sich einen Bart wachsen, veränderte seine Frisur, kleidete sich wie ein englischer Dandy und eröffnete ein vornehmes, kleines Theater. 27
Niemand vermutete in ihm den überall gesuchten Banditen. Doch da kam er eines Tages mit einem Senator ins Gespräch, und er war so dumm, seine Taschenuhr sehen zu lassen – jene, die einem der Ermordeten gehört hatte. Und auch hier wurde die berühmte Frage gestellt: ›Ein schönes Stück – wo habt Ihr das her?‹ – ›Ach‹, sagte ›Jimmy, das schießende Baby‹, ›das ist ein Erbstück, mein Vater ließ es in Kansas-City anfertigen.‹ Leider hatte das schießende Baby sich keine Gedanken darüber gemacht, was die Verzierung auf dem Sprungdeckel bedeutete: Es war das schwedische Königswappen, und einer der Ermordeten war Hoflieferant in Stockholm gewesen. Auch ließ die Arbeit erkennen, daß sie unmöglich von einem Uhrmacher in KansasCity stammte. Nur so viel, Potter – und als Zweiter Sheriff müßtest du das wissen: Verbrecher bleiben gern an Kleinigkeiten hängen, oder die Kleinigkeiten an ihnen, wie man's nimmt. Das gilt besonders für Tabaksdosen und für Uhren.« Sie hatten Devil's Point verlassen und ritten in nordöstlicher Richtung zum Silberfluß hinunter. Auf dem südlichen Steilufer, vor Überschwemmungen geschützt, lag die schon fertiggestellte Strecke. Das Bahnarbeiterlager hatte man weiter nach Osten verlegt; seit Beginn der warmen Jahreszeit wurde der Streckenbau mit großer Eile zu den Tatora-Bergen vorangetrieben. Das Soldaten-Camp, als Stützpunkt für das bewachende Militär, befand sich noch an der gleichen Stelle, nämlich im Ahornwäldchen am jenseitigen Ufer. Dort lagerten die Sprengstoffvorräte für den Bahnbau sowie alle Werkzeugreserven, die meuternden Bahnarbeitern als Waffen hätten dienen können. Bill und Potter ritten vom Plateau hinunter und suchten sich eine seichte Furt. Drüben, zwischen den Bäumen, sahen sie die Zelte der Soldaten und den Korral der Militärpferde. »Über dem Hauptzelt weht der Wimper, stellte Potter fest. »Ein Zeichen, daß Captain Fillmore da ist!« 28
Charlie und der Häuptling Doch Captain Fillmore war nicht da. Statt dessen erlebten Bill und Potter eine böse Überraschung. Aus dem großen Zelt trat ein Offizier, den der Sheriff längst abgelöst glaubte. Es war ein junger Mann, kaum älter als Bill – schlank und hübsch, fast zu hübsch; er trug eine blaue ExtraUniform mit weißer Schärpe, auch seine Handschuhe waren weiß, und sein Degen stammte nicht aus dem Armee-Arsenal, er war eine kostbare Einzelanfertigung. Der Hut des Offiziers – mit viel zu auffälliger Stickerei versehen – war schick geknifft und aufgeworfen. Eine solche Erscheinung gehörte auf eine festliche Gartenparty und nicht in den Wilden Westen. Doch der grausame Ausdruck in dem hübschen Gesicht des Mannes strafte seinen geckenhaften Aufzug Lügen. Er war ein Schinder, ein Mensch, dem das Leben anderer – besonders das der Indianer – weniger galt als der Glanz seiner Stiefel und das Blitzen seiner Sporen. Der Offizier war… Leutnant Mac Elroy. »Ihr seid hier?« fragte Sheriff Bill. Mac Elroy lächelte höhnisch. »Wie Ihr seht, Polizist! Ich habe alles darangesetzt, Euch wieder durch meine Anwesenheit zu erfreuen! Und ich denke, daß ich gut in Form bin!« »Das denke ich auch«, sagte der Sheriff kalt. Jedenfalls wäret Ihr nicht Mac Elroy, wenn Euch Ehrgeiz und Eitelkeit verlassen hätten. Aber ich bin nicht hier, um mit Euch zu sprechen. Wo ist Captain Fillmore?« »Captain Fillmore ist krank«, erwiderte Mac Elroy. »Er wurde ins Fort Cropton geschafft. Ihr müßt schon mit mir vorlieb neh29
men, Polizist, ob Euch das paßt oder nicht!« Der höhnische Zug um seinen Mund verstärkte sich. »Warum hat man mich nicht von Fillmores Krankheit verständigt?« fragte Bill den grinsenden, dicken Sergeanten, der neben dem Offizier stand. »Ein Befehl Captain Fillmores. Er wollte Euch nicht beunruhigen«, sagte der Dicke hämisch. »So!« der Sheriff lachte. »Aber er glaubt, es beruhigt mich, daß er mir ausgerechnet Leutnant Mac Elroy geschickt hat?« »Wer hier den Befehl hat, braucht Euch nicht zu kümmern«, bemerkte der Leutnant mit Schärfe. »Außerdem schickte mich nicht Fillmore, sondern der neue Oberst!« »Der Euch nicht zu kennen scheint«, parierte Bill. »Ihr habt mir wiederholt Eure Hilfe versagt, und Ihr hättet uns im vorigen Jahr beinahe in einen blutigen Indianerkrieg gestürzt.« »Ich will Eure Beleidigungen überhören«, versetzte der Leutnant finster. »Ihr seid nur ein Polizist, und mit Polizisten schlage ich mich nicht!« »Und Ihr seid ein Offizier, der bereits einmal Major war, wegen seiner Spielschulden aber zum Leutnant degradiertwurde«, erwiderte Bill. »Im übrigen seid Ihr zu meiner Unterstützung hier, vergeßt das nicht noch einmal – so, wie Ihr es vor einem Jahr vergessen habt« »Kommt zur Sache!« sagte Mac Elroy herrisch. »Bringt Euer Sprüchlein vor – und dann trollt Euch!« Potter schnaufte. »Mensch, Bill«, flüsterte er, »dem würd' ich gern mal seinen Blaurock ausklopfen, obwohl ich wetten möchte, daß da kein Körnchen Staub drin ist! Dieser Gockelhahn! Ich weiß in Devil's Point einen Misthaufen, auf den er –« »Still!« unterbrach der Sheriff. Er wandte sich an den Leutnant. »Mac Elroy, ich komme in einer ernsten Sache. Beantwortet mir meine Fragen, aber ohne Umschweife: Ist gestern einer Eurer 30
Soldaten im Devil's Pointer Silberhotel gewesen?« »Woher soll ich das wissen?« entgegnete der Leutnant mürrisch. »Meint Ihr, ein Mac Elroy ist dazu da, jedem Stinkstiefel seiner Mannschaft nachzuspüren?« »Dann frage ich den Sergeanten«, sagte der Sheriff ungerührt. »Hört, Mann – aber überlegt Euch die Antwort gut! Besitzt ein Soldat hier im Lager eine Tabaksdose oder eine Taschenuhr, die er gestern noch nicht besessen hat?« Der Sergeant blickte unsicher zu Mac Elroy. »Ihr braucht keine Furcht zu haben, Sergeant Muff, sagte der Leutnant. »Die Frage ist von mir bereits beantwortet. Ich füge hinzu, daß meine Leute nicht stehlen. Das genügt! Fort mit Euch, Polizist!« Er stieß einen Pfiff aus, und zwei Bulldoggen, die träge neben dem Hauptzelt gelegen hatten, erhoben sich und kamen zähnefletschend heran. Es waren schreckliche, schmutzigbraune Tiere mit gefährlichen, furchterregenden Scherengebissen. »Sind das Eure neuesten Begleiter?« fragte Sheriff Bill den Leutnant. »Erraten«, lächelte Mac Elroy böse. »Und sie gehorchen mir aufs Wort.« »Das ist gut«, sagte Bill. »Dann macht ihnen klar, daß sie sich nicht an meinem Sheriffstern verschlucken sollen. Es könnte tödlich für sie sein. Zurück mit den Biestern!« »Platz!« befahl der Leutnant ärgerlich, worauf sich die Bestien gehorsam links und rechts neben ihn legten. »Was wollt Ihr noch?« »Galt die Frage mir?« erkundigte sich Bill. »Ihr habt Euren Ton nicht gewechselt! Ihr spracht zu mir wie zu den Hunden!« Der Leutnant beherrschte sich mühsam: »Nun, also…?« »Wie kommt es, daß unter den Militärpferden zwei Indianerpferde grasen?« rief Bill, und der Ton seiner Stimme fuhr dem Offizier und dem Sergeanten sichdich in die Glieder. »Redet, 31
Mac Elroy! Hier ist ein Verbrechen geschehen! Das eine Pony erkenne ich als das des ›Kleinen Beils‹, dessen Vater ›Scharfes Beil‹ der Häuptling aller Häuptlinge vom Stamm der Sioux-Ogalala ist! Und das andere Pferd, ›Grauer Rauch‹ genannt, gehört seinem Freund Charlie!« Ehe der Leutnant antworten konnte, ertönte aus einem der hinteren Zelte ein schauriger Schrei: »Sheriff Bill…! Sheriff Bill…! Hilfeee…!!!« »Das ist Charlie!« rief Potter. »Verdammt, was habt Ihr mit ihm gemacht?« Er wollte sich auf den Leutnant stürzen, doch Bills Befehl hielt ihn zurück Die Hunde fletschten die Zähne. »Nun, Elroy?« donnerte die Stimme des Sheriffs. »Was habt Ihr mit Chariie gemacht? Warum kommt er nicht aus dem Zelt?« »Weil er gefesselt ist«, entfuhr es dem verschreckten Sergeanten. »Wir dachten, es sei ein Spießgeselle dieser Rothaut, denn er drang nachts ins Lager ein und versuchte –« »Haltet den Mund, Sergeant Muff!« schrie Mac Elroy. »Teufel, wer hat Euch befohlen, dem Polizisten Dienstgeheimnisse zu verraten?« »Ich will doch sehen, was Ihr Dienstgeheimnisse nennt, Leutnant«, sagte Bill. »Ihr habt auch den Häuptlingssohn gefangen? Her mit den beiden – oder ich verhafte Euch wegen Menschenquälerei und Pferdediebstahls!« »Ihr – mich verhaften?« stammelte der Leutnant. »Mann, Ihr seid wahnsinnig!« Doch er war bleich geworden. Wenn er auch wohl glauben mochte, Menschenschinderei verantworten zu können – das Wort »Pferdediebstahl« klang nicht gut in seinen Ohren. »Laßt die Gefangenen herholen, Sergant«, befahl er wutbebend. »Ich habe das Recht, eine schmutzige Rothaut, die im Dunkeln um das Lager schleicht, festzunehmen. Und ich habe das Recht, das gleiche mit einem dummen, weißen Burschen zu machen, der einen Militärgefangenen befreien will. Die beiden 32
werden wohl nicht leugnen wollen!« »Auf jeden Fall werden sie mich nicht belügen«, erwiderte der Sheriff kalt. Potter stieß einen Ruf des Entsetzens aus. Die Handgelenke in eisernen Spangen, mit Ketten aneinandergefesselt, wurden Charlie und der junge Indianer von Soldaten herbeigeführt. Doch wie sah das »Kieme Beil«, der sonst so stolze und schmucke Häuptlingssohn, aus! Seinem verschmutzten, strähnigen Haar fehlte die Adlerfeder – das Zeichen seiner Würde –, sein Wildlederanzug war fleckig und zerrissen. Nur mühsam hielt er sich aufrecht, ein Soldat mußte ihn stützen, damit er nicht fiel. Sein schönes Gesicht verriet Entbehrung und Erschöpfung, die Augen, die tief in den Höhlen lagen, hatten einen unnatürlichen, fiebngen Glanz. »Kleines Beil…!« sagte Potter schluckend. »Kleines Beil!« »Dem guten Manitu sei Dank, daß er meinen Onkel Bill hierhergeführt hat«, hauchte der junge Indianer. »Die Seele ist dünn geworden im Leib des Kleinen Beils, seit die Blauröcke ihn fingen. Bald wäre er seinem Vater, dem Scharfen Beil, in die ewigen Jagdgründe gefolgt!« Der Indianer sank vor Entkräftung zusammen, und als ihn der Soldat von der Kette befreit hatte, wurde er vollends ohnmächtig. Potter sprang hinzu und legte ihn auf den Rücken. »Ist er tot?« fragte Charlie mit zitternden Lippen. »Nein«, schnaufte Potter. »Noch nicht.« »Nehmt auch Charlie die Fesseln ab«, befahl der Sheriff. »Los, Junge, erzähle! Was war hier los?« »Was ich bereits gesagt habe«, mischte sich der Leutnant ein. »Wir haben den roten Spion gefangen, und der Bengel wollte ihn befreien, das ist alles!« »Ich wünschte, es wäre wirklich alles, Leutnant«, sagte Bill. Jetzt seid Ihr still, verstanden? Ihr verbessert Eure Lage nicht – 33
und auch nicht die unserer Stadt, wenn Ihr uns nicht reden laßt. Ich habe da etwas Furchtbares gehört. Sprich, Charlie!« »Gestern abend erkannte ich im Silberhotel die Taschenuhr, die Dir dem Kleinen Beil einst schenktet«, berichtete Charlie. »Da ein Soldat sie hatte, bin ich auf Umwegen ins Militärlager geritten…« »Warum hast du mir nichts gesagt?« fragte Bill. »Weil ich nicht wußte, ob ich mich nicht doch versehen hatte. Außerdem… ich wollte…« »Du wolltest gern mal Sheriff spielen! Weiter!« »Ich ritt über den Fluß und pirschte mich von der Waldseite an. Ich pfiff das Zeichen, auf das das Pferd vom Kleinen Beil dressiert ist, und es wieherte zur Antwort. Da wußte ich, daß der Indianer hier ist, und daß die Taschenuhr mir den richtigen Verdacht eingegeben hatte. Bevor ich mich zurückziehen konnte, stellten mich die Bulldoggen. Ich schrie um Hilfe und schwor den Soldaten, daß ich nur nach dem ›Kleinen Beil‹ hatte sehen wollen, aber der Leutnant glaubte mir nicht. Er weigerte sich auch, Euch holen zu lassen.« »Moment«, sage Bill. »Sergeant! Bringt einen Eimer Wasser und Tücher für den Indianer!« Er kniete neben dem Kleinen Beil nieder und fühlte dessen Puls. »Berichte weiter, Charlie! Du wurdest mit dem Gefangenen zusammengefesselt?« Ja, und er erkannte mich! Er sagte noch mancherlei, aber dann wurde er ohnmächtig, denn er hat seit Tagen kaum Wasser und fast nichts zu essen bekommen… nur immer Schläge!« Bill fuhr hoch. »Seit Tagen, Leutnant? Ihr wißt, daß ich mindestens jeden zweiten Tag hier vorbeikomme, um zur Bahnbaustelle zu reiten, da hättet Ihr mir eine Meldung erstatten können! Und was höre ich…? Ihr habt das Kleine Beil geschlagen…?« »Er wurde als Spion betrachtet, ich hatte die Pflicht, ihn zu verhören. Im übngen hätte ich ihn morgen ins Fort Cropton schaf34
fen lassen!« »Als Toten?« fragte Bill eisig. Der Sergeant kam mit Wasser und frischen Tüchern, und Potter machte dem Fiebernden einen Umschlag um Stirn und Schläfen. »Was hat Kleines Beil dir noch sagen können, Charlie?« fragte Sheriff Bill. »Daß sein Vater Scharfes Beil, der Häuptling aller Häuptlinge, tot ist. Er wurde ermordet.« »Ermordet…?« Bill brauchte seine ganze Kraft, um nicht die Fassung zu verlieren. »Ermordet! Von Soldaten…?« »Nein. Kleines Beil sagte, von seinem ältesten und furchtbarsten Feind'. Die Indianer seien in Unruhe, und da habe er, Kleines Beil, geschworen, den Mörder selber zu verfolgen und ihnen seinen Skalp und seinen Bart zu bringen. Die Spur habe durch die Wälder in die Sümpfe jenseits des Flusses geführt, sich aber dort verloren. Kleines Beil war auf dem Rückweg und wollte Euch sprechen, als ihn die Soldaten fingen und für einen Spion hielten.« »Nur ein Einfaltspinsel kann der Geschichte Glauben schenken«, höhnte Mac Elroy. »Hier lagert Sprengstoff und Werkzeug, das wollte die Rothaut ausspionieren. Alles andere ist Unsinn!« Da sagte Sheriff Bill, und er betonte jedes seiner Worte: »So nehmt zur Kenntnis, Leutnant, was kein Unsinn ist! Sollte Scharfes Beil, der Vater dieses Indianerjungen, der Häuptling aller Häuptlinge, der Großkönig der Völker und Stämme in den Bergen, den Wäldern und auf den Prärien, wirklich tot sein, so habt Ihr keine ›schmutzige Rothaut‹ gefangen, sondern seinen Nachfolger, den neuen Befehlshaber der indianischen Streitkräfte von den kanadischen Sümpfen bis zu den Black Woods, von den schneebedeckten Bergen bis tief hinein in die staubige Prärie! Ihr habt einen König gequält, einen, dem Stolz und Ehre 35
mehr gelten als sein Leben! An Eurer Stelle würde ich fliehen, Leutnant, fliehen, so schnell und so weit Euch die Hufe Eures Pferdes tragen! Wenn Eure Grausamkeit nicht den blutigsten Rachekrieg auslösen wird, den die Prärie je gesehen hat, so werdet Ihr das mir zu verdanken haben, mir und meiner Freundschaft mit den Indianern!« »Zum Teufel mit Eurer Freundschaft!« schrie der Leutnant. »Eure Freundschaft, deren Ihr Euch zu rühmen wagt, ist schuld daran, daß das rote Gesindel noch nicht ausgerottet wurde! Ich fürchte mich vor keinem Rachekrieg, der diese Ratten vertilgen wird! Ich sehne ihn herbei, hört Ihr? Ich sehne den Krieg herbei!« »Eure Sehnsucht könnte erfüllt werden, Mac Elroy!« sagte der Sheriff kalt. »Gnade Euch Gott, Leutnant! Ich meine, Ihr seid schon jetzt ein toter Mann. Das Kleine Beil ist ein besserer Reiterführer und ein mutigerer Offizier als Ihr, er hat die Fähigkeiten eines Generals!« »Das seht Ihr ja!« höhnte der Leutnant. »Wir haben ihn aufgespürt wie einen Hasen!« »Nicht Ihr«, mischte sich Charlie ein. »Nicht Ihr oder Eure Soldaten, Sir! Es waren die Hunde! Sie haben mich auch gestellt!« »Dacht' ich's mir doch«, sagte Bill. »Leutnant Mac Elroy, da ich Euch für das, was Ihr getan habt, nicht erschießen kann, so erlaubt, daß ich mich an den beiden anderen Bestien schadlos halte!« Er zog seine Colts und schoß auf die Hunde. Jaulend und mit den Augen rollend bäumten sich die scheußlichen Kreaturen auf. Der Sheriff schoß ein zweites Mal; die Leiber der Viecher streckten sich. Sie waren tot. »Das… das sollt Ihr mir…«, stammelte Mac Elroy, »… das sollt Ihr mir büßen!« »Die nächste Kugel gilt Euch«, sagte Bill gelassen. »Keine Unbedachtheit, Leutnant! Befehlt jetzt, daß der Ambulanzwagen angespannt wird, laßt für eine Bahre sorgen Kleines Beil 36
muß in die Stadt, er braucht einen Arzt! Charlie, sieh dich um, ob du den Soldaten erkennst, der die Uhr hat…!« Zwanzig Minuten später holperte der Ambulanzwagen mit dem bewußtlosen Indianer auf dem alten Kutschweg neben der Bahnstrecke in Richtung Devil's Point. Auf dem Bock saß Potter; Bill zog dessen Pferd am Zügel mit, während Charlie das Indianerpony führte. In seiner Tasche trug er die Uhr.
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Indianer schleichen durch die Wälder Um Aufsehen zu vermeiden, hatte sich Bill keine Militäreskorte mitgeben lassen. Er hoffte, Kleines Beil so rasch wie möglich – und ohne Zwischenfall – in das Haus des Richters schaffen zu können. Hopkin's Haus lag, vom Fluß gesehen, sehr günstig; nordösdich von Devil's Point, ein gutes Stück außerhalb der Stadt, in einem kunstvoll angelegten Park Doch bevor Sheriff Bill, Porter und Charlie mit ihrer kostbaren Last die ersten Schuppen erreicht hatten, die den Beginn von Devil's Point anzeigten, sahen sie vor sich eine Staubwolke. Potter zügelte das Kutschpferd und drehte an der Bremse. »Was ist das?« rief er. Der Wagen stand, und auch Bill und Charlie hielten. Aufmerksam spähten sie nach vom. Staubwolken in der Prärie verhießen niemals etwas Gutes. Und diese da wies auf ein größeres Reiteraufgebot, vor allem aber auf Eile hin. Kurz vor dem Wagen parierten die Männer ihre Gäule. »Da ist er ja!« ertönte eine laute, häßliche Stimme. »He, Sheriff«, wir suchen Euch wie eine Stecknadel!« Die Staubwolke hatte sich gesenkt, und Bill erkannte etwa ein Dutzend Leute aus dem Silberbergwerk von Devil's Point. Ihr Anführer war der Schichtmeister Burton Spike, ein berüchtigtes Großmaul. »Ihr sucht mich?« fragte Sheriff Bill. »Und noch dazu wie eine Stecknadel? Das deutet auf Wichtiges hin, wenngleich ich mir 38
nicht denken kann, daß es für Leute aus dem Bergwerk etwas Wichtigeres gibt als ihre Arbeit!« »Wir waren schon im Büro«, rief Burton Spike, »aber da saß nur Inspektor Simpson von den Holzfällern!« »Da saß mein Vertreter«, erklärte der Sheriff mit Nachdruck »Außerdem habt Ihr zwei Hilfssheriffs in den Minen, nämlich Cook und Henderson. Zuerst hättet Ihr Euch an Hank Rathermore wenden können, der Euer Chefingenieur und Direktor, vor allem aber unser neuer Stadtvorsteher ist!« »Wir hätten auch zu Prediger Clemens gehen können!« brüllte Burton Spike, »oder zu Apotheker Bibbleton – oder gar zu Witwe Melusiana Bradford-Wilhams, damit sie uns die Karten liest! Aber da ist eine Sache, die uns in den Ohren rauscht und die besonders Euch angeht, Sheriff!« »Laßt hören!« sagte Bill. »Es braut sich was zusammen, Sheriff«, rief der Schichtmeister. »In den Sümpfen schleichen große, rote Kröten herum, im Teufelsgebirge winden sich rote Schlangen, und durch die Wälder tappen rote Wölfe!« »Ihr drückt Euch poetisch aus, Schichtmeister! Ab :r Ihr seid ein schlechter Dichter, und ich will nicht hoffen, daß Eure Arbeit im Bergwerk ebenso miserabel ist!« Die Männer des Aufgebots murrten, und der Schichtmeister verschluckte sich vor Wut und Eifer, als er weitersprach: »Ihr seid ein schlechter Sheriff, Mister Bill, wenn Ihr aus meinen Worten keine Schlüsse zieht! Ich rede von Indianern! Und nicht nur von 'ner Handvoll! Alle Stämme sind auf dem Kriegspfad, die Sioux-Ogalalas vom Klaren Muß in den Schwarzen Wäldern, die Crows, die Cheyennes, die Comacs, die Nez-Perce-Indianerund andere! Sie haben ihre Wigwams verlassen und ziehen eine riesige Streitmacht um Devil's Point zusammen! Sie werden die Stadt dem Erdboden gleichmachen und alles töten, was zwei 39
Beine hat!« »Aber sie werden doch die Hühner und Gänse verschonen?« fragte Bill. »Spottet nicht!« schrie Burton Spike. »Unter den Häuptlingen, die uns überfallen wollen, ist die Rothaut Dreifacher-Donnerder-hinter-den-Wolken-wohnt. Auch die Häuptlinge Gespaltener Speer, Schnelle Zehe, Abraham, Patala, Weiße Leber, Ashakie und Wehnuhan sollen dabei sein!« Potter stieß einen Schreckenslaut aus, und Charlie riß sein Pfed so stark am Zügel, daß es auf die Hinterhand stieg. Doch Sheriff Bill blieb ruhig, obwohl ihm die unheimlichen Worte Old Cunklehats wieder einfielen. »Hört, Burton Spike«, sagte er. »Ihr seid dafür bekannt, eher laut als wahr zu sprechen! Alle Häuptlinge, die Ihr genannt habt, haben einen Friedensvertrag unterzeichnet. Sie sind meine Freunde, und einige von ihnen darf ich Brüder nennen. Was sollte Devil's Point ihnen getan haben?« »Das weiß ich nicht«, rief der Schichtmeister. »Ich will's auch nicht drauf ankommen lassen, sie zu fragen, wenn sie über uns herfallen. Dann ist es nämlich zu spät!« »Habt Ihr eine Kampfansage bekommen?« fragte Sheriff Bill. »Einen Lederbeutel mit der Asche eines Lagerfeuers oder etwas Ähnliches? Woher bezieht Ihr Eure Nachricht?« »Von den neuen Siedlern jenseits des Busses«, erwiderte Burton Spike. »Da haben Fallensteller übernachtet, die vom Süden kamen und nach Norden über die kanadische Grenze wollten, ebenso solche, die die Sümpfe gerade hinter sich hatten und deren Ziel die Schwarzen Wälder jenseits des Teufelsgebirges waren. Wir erfuhren erst heute morgen, was diese Männer erzählten.« »So, so«, sagte Bill. »Fallensteller sind meist Käuze. Die Einsamkeit macht sie wirr im Kopf, und wenn sie in menschliche 40
Gesellschaft kommen, spinnen sie alles Mögliche!« »Meint Ihr?« fragte Burton Spike. Er hob die Arme zu einer anklagenden Gebärde. »Gott bewahre uns vor einem Sheriff, der tausend Kieger mit Speeren, Beilen, Flinten und Skalpmessern auf die leichte Schulter nimmt Habt ihr das gehört, Leute? Wir sitzen auf des Teufels Bratpfanne und unseren Sheriff rührt das überhaupt nicht!« Die Minenarbeiter murrten. Sheriff Bill kannte diese Männer genau. Sie waren fleißig, gutartig und verläßlich – doch nur bis zu einem gewissen Grade. Als typische Wildwesder fürchteten sie Gerüchte mehr als eine greifund sichtbare Gefahr. Ein einziger Schreihals konnte sie völlig kopflos machen, und dann benahmen sie sich wie eine Herde verdonnerter Büffel. Hier lag eine große Gefahr. Ruhig sagte er: »Ich habe nie etwas auf die leichte Schulter genommen, Männer! Wer hat die Ausbeuter aus eurem Bergwerk verjagt, Burton Spike oder ich? Wer hat euch aus der Knechtschaft des Bandenführers Schiefmaul befreit? Doch nicht der Schichtmeister! Wer hat den ›Krieg der Rinderzüchter‹ beendet und wer hat Devil's Point nach dem Brand wieder aufgebaut? Wenn Burton Spike das war, so will ich ihm gleich zwei Sheriffsterne an die Brust heften!« »Aber falls es wahr ist, was wir gehört haben?« »Vorläufig habt ihr nichts gesehen«, entgegnete Bill. »Holt die Soldaten mit ihrer Kanone«, rief der Schichtmeister. »Sagt den Bahnarbeitern Bescheid, laßt sie bewaffnen und Posten rings um die Stadt beziehen!« »Das wäre das Letzte«, meinte Sheriff Bill. »Leutnant Mac Elroy käme schneller, als es uns lieb sein könnte. Er würde uns die Indianer erst richtig auf den Hals holen! Und die Bahnarbeiter lasse ich besser so lange aus dem Spiel, wie ich kann; es sind Fremde… ein zusammengewürfelter Haufen aus aller Herren 41
Länder. Sie haben das geringste Interesse, Devil's Point zu verteidigen!« »Dann holen wir die Soldaten!« schrie Burton Spike. »Ihr bleibt, wo ihr seid!« befahl der Sheriff. »Ihr reitet jetzt heim und geht an eure Arbeit. Die Indianer, von denen ihr sprecht, mögen vielleicht durch die Wälder streifen, aber sie sind nicht auf dem Kriegspfad. Sie suchen Kleines Beil, der nach dem Tode seines Vaters Häuptling aller Häuptlinge ist. Und Kleines Beil, Männer, habe ich hier im Wagen. Er ist krank und braucht einen Arzt!« Der Schichtmeister schwieg verblüfft. Dann rief er: »Wenn sie ihn suchen, nun, dann gebt ihn heraus! Was schleppt Ihr ihn da im Wagen herum? Gebt ihn heraus, damit die rote Meute wieder in ihre Wigwams kriecht!« »Gebt ihn heraus…! Ja, schafft ihn in die Wälder…! Legt ihn irgendwo in die Prärie…!« murmelten die Männer. »Einen kranken – oder, wenn ihr noch lange palavert – einen toten Häuptling, noch dazu den neuen Häuptling aller Häuptlinge, soll ich den Indianern übergeben?« fragte Bill. »Leute, es ist erst Mai, und schon habt ihr einen Sonnenstich! Meint ihr, die Indianer würden ihren König mit Freudentänzen umringen, wenn sie ihn verschmachtet in der Prärie fänden? Dann würde das eintreten, wovor ihr euch fürchtet! Dann würden sie Devil's Point mit einem Rachefeldzug heimsuchen, wie ihn der Westen noch nicht erlebt hat! Ich werde mich hüten, Kleines Beil herauszugeben! Kleines Beil ist für uns ein Unterpfand der Sicherheit! Solange er in der Stadt ist, wird keinem Weißen auch nur ein Haar gekrümmt!« »Gut«, meldete sich einer der Minenarbeiter. »Das leuchtet mir ein. Aber wodurch kam Kleines Beil zu Schaden?« »Er stürzte auf der Jagd, mehr braucht euch nicht zu kümmern«, erklärte Bill. »Aber nun reitet schleunigst zurück! 42
Und verbreitet kein Gerücht von irgendwelchen Gefahren! Gebt überall bekannt, daß Kleines Beil im Hause des Richters gesundgepflegt wird; sendet diese Botschaft über den Fluß, zu den Sied lern, und ins Waldlager, zu den Holzfällern – zu allen, die mit Fallenstellern zusammenkommen könnten. Benachrichtigt Doktor Knox, damit er gleich herauskommt Ebenso will ich die Stadtvorsteher und die wichtigsten Abgeordneten sprechen. Sagt Simpson, daß ich im Haus des Richters bin. Falls ein Indianer-Unterhändler auftauchen sollte, geleitet ihn dorthin! Im übrigen geht wieder an eure Arbeit als hättet ihr nichts gehört! Wer sein Maulwerk dazu benutzt Unruhe zu stiften, dem werd' ich's mit einem Kinnhaken schließen! Und nun tummelt euch!« Die Männer wendeten wortlos ihre Gäule und ritten in einer Staubwolke nach Devil's Point zurück Bill, Potter und Charlie aber brachten den Ambulanzwagen zum Hause des Richters.
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Das ›Scharfe Beil‹ ist tot…? »Was ist los?« fragte Doktor Knox, als er über die Freitreppe in die Halle des Hopkinsschen Hauses geeilt kam. »He, Bill, Ihr suchtet eine Tabaksdose und fandet das Kleine Beil? Was hat das zu bedeuten?« »Nichts Gutes, Doktor«, erwiderte der Sheriff ernst. »Untersucht den Patienten. Er lebt hat auch wieder die Augen aufgeschlagen und ein paar Worte geredet, aber eben verlor er das Bewußtsem von neuem!« Doktor Knox schritt wortlos in den kleinen Salon, auf dem der junge Indianer auf einer Ottomane lag. Bill folgte ihm. In der Halle blieben Potter und Charlie beim alten Richter Hopkins zurück, der in seinem Rollstuhl am Fenster saß. »Der Vater des Kleinen Beils ist tot?« fragte der Richter. Ja, Euer Ehren«, schnaufte Potter. »Soviel Charlie verstand, ist Scharfes Beil ermordet worden, und zwar von einem alten Feind.« »Kleines Beil sprach immer was von ›Gold‹, Euer Ehren«, sagte Charlie, »von einem ›Bart‹ und von einem ›Blutsäufer‹. Erschien den Mörder zu meinen!« Richter Hopkins blickte aus dem Fenster. »Herrgott«, murmelte er. »Dieses Land ist groß und grausam und voller Schrecknisse. Schon die Natur hat ihre sonderbarsten Spiele mit ihm getrieben. Seine Flüsse fließen nicht nur in beide Ozeane, sie sterben auf halber Strecke und versiegen im Sand. Schneebedeckte Höhen gibt es, Tiefen unter dem Meeresspiegel, Wüsten, in denen die Schlangen seitwärts kriechen, um nicht im Staub zu 44
ersticken. Jefferson Davis hat einst zwei Schiffsladungen Kamele eingeführt, weil er meinte, kein Pferdehuf, kein Rad und kein menschlicher Fuß käme durch so ein Land. Aber der menschliche Fuß ist überall hingekommen, und die merkwürdige, grausame Natur hat die merkwürdigsten, grausamsten, die ungeheuerlichsten aller menschlichen Verbrecher hier gedeihen lassen. Das Scharfe Beil ist tot! Das ist, als sei die Sonne der roten Völker erloschen…« Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn sein Diener, der treue Halbindianer Cachute, meldete die Ankunft des Stadtvorstehers und einiger Abgeordneter. Rasch füllte sich die Halle. »Was gibt's, Euer Ehren?« fragte Hank Rathemore, Chef der Silberminen und Oberhaupt von Devil's Point. »Ich hörte, Kleines Beil sei krank?« »Doktor Knox und Bill kümmern sich um ihn«, erwiderte Richter Hopkins. »Der Leutnant aus dem Wachlager hat ihn als Spion gefangengehalten und mißhandeln lassen, wie Sheriff Bill mir sagte. Und der Häuptling aller Häuptlinge, das Scharfe Beil, ist tot!« Es dauerte eine Weile, ehe die Anwesenden die Tragweite dieser Mitteilung begriffen. »Tot…? Seit wann?« rief Prediger Clemens, der zu den Stadtverordneten gehörte. »Warum wissen wir nichts davon? Wenn der mächtigste und bedeutendste Indianerfürst, den es jemals gab, gestorben ist, müßten die Trommeln der Trauer durch die Wälder dröhnen! Von den Bergen müßten Rauchzeichen in den Himmel steigen, und die Täler müßten vom Salut der Gewehrschüsse widerhallen! Keins dieser Zeichen kündete von seinem Tod! Warum nicht, warum…?« »Vermutlich, weil er ermordet wurde«, erklärte der Richter. »Ach, und darum verlassen die Krieger ihre Wigwams und geistern überall umher?« rief Hank Rathemore. »Also ist es doch 45
kein Unsinn, was Burt Spike berichtete? Suchen sie den Mörder?« »Genau, wie Kleines Beil ihn gesucht hat«, sagte Charlie. »Doch er verlor seine Spur im Sumpf und wurde von den Soldaten gefangen.« »Gefangen!« rief der Schmied. »Ich hörte da vorhin etwas von Mißhandlung! Wer hat das geduldet?« »Leutnant Mac Elroy«, schnaubte Potter. »Der Teufel hat ihn anstelle des kranken Captains Fillmore wieder zum Kommandanten gemacht« »Was…?« Der Schmied sah aus, als höre er nicht recht. »Mac Elroy, der Schinder? Ja, will er uns denn alle ins Verderben stürzen…?« In diesem Augenblick trat Sheriff Bill aus dem Salon in die Halle. »Das habe ich Leutnant Mac Elroy auch gefragt, meine Herren. Wenn die roten Krieger wirklich kommen, dann werden sie sicher wissen, wohin sie sich zu wenden haben. Ich warnte Mac Elroy bereits.« »Wie geht's dem Kleinen Beil?« rief Charlie. »Er ist sehr geschwächt. Doch der Doktor vertraut auf sein Löwenherz. Bedenklich ist die Wunde oberhalb des Knies, sie stammt von einem Hundebiß. Und der Rücken hat blutige Striemen von Peitschenhieben.« »Das darf kein roter Krieger sehen«, grollte Potter. »Wo er doch jetzt der Häuptling aller Häuptlinge ist! Aber Bill, in meinem Schädel dreht sich alles.. . sagtest du nicht vorhin den Minenarbeitern, daß die Rothäute wahrscheinlich das Kleine Beil suchen?« »Ich sagte es«, erwiderte Bill, »aber ich sagte es nur, um die Leute zu beruhigen. Heute morgen erfuhren wir von Old Cunklehat, daß die Indianer seit vielen Tagen unterwegs seien. Kleines Beil hat Charlie aber mitgeteilt, er sei ausgezogen, um 46
den Mörder seines Vaters allein zu suchen. Seine Krieger mußten sich auf eine lange Wartezeit gefaßt machen, denn flüchtige Mörder fangt man nicht nach Kutschfahrplan. Und wenn die roten Völker wirklich – wie Cunklehat vermutet und wie Burton Spike gehört haben will – vom Lake of the Woods bis hinunter zum südlichsten Teil der Schwarzen Wälder in Bewegung sind, dann muß sie schon viel früher etwas auf die Beine gebracht haben als die Abwesenheit des Kleinen Beils. Ich vermute, sie haben seinen Befehl nicht befolgt, in den Wigwams zu bleiben. Der Zorn über den Tod des Häuptlings aller Häuptlinge hat sie aufgestachelt – und es mag sein, daß sie sich wirklich zusammenrotten, um den Mörder zu fangen – oder, wenn sie ihn nicht finden, sich sinnlos und furchtbar an anderen Weißen zu rächen… falls nämlich der Mörder ein Weißer war…!« Stille folgte Bills Worten. Schließlich fragte der Richter: »Was… was machen wir da?« »Eine Miliztruppe aus Holzfällern und Bergarbeitern zusammenstellen und das Militär aus dem Bahn-Camp zur Unterstützung heranholen!« schlug der Wagenmacher vor. »Das reicht nicht«, meinte ein Schafzüchter, der ebenfalls zu den Stadtverordneten gehörte. »Wir müssen alle Festungen in der Prärie verständigen, die Kommandanten in Fort York, Fort Cropton, Fort Cliff, Fort St. Oak, und so weiter.« »Mann Gottes«, sagte Richter Hopkins, »ich merke, Ihr seid nicht im Westen aufgewachsen! Blauröcke aus allen Festungen! Blauröcke mit Pferden, Wagen, Kanonen! Eine ganze Armee von Soldaten unter dem Befehlshaber aufzubieten, solange die Indianer vielleicht noch uneins in ihren Zielen sind – das hieße nicht nur, unsere Stadt, sondern auch die Wälder und Pränen in Brand zu stecken! Das wäre ein Spiel mit dem Untergang!« »Einzig das Kleine Beil könnte die roten Krieger in ihre Wigwams zurückschicken«, erklärte Bill. »Aber Kleines Beil ist 47
krank, und kein Hitzkopf unter seinen Stammesgenossen darf ihn so sehen.« Da meldete sich Prediger Clemens: »Ich weiß noch jemanden, der die Krieger in die Wigwams zurückschicken könnte, und das seid Ihr selbst, Sheriff Bill! Euch verehren sie als den ›Hellen Stern‹, Euch vertrauen sie, Ihr seid der einzige weiße Mann, auf dessen Wort sie immer hören, Ihr, der Ihr den alten Häuptling Euren Bruder nennen durftet!« »Das stimmt, Bill«, sagte Potter eifrig. »Bei meinem Bart! Du bist der ›Big Man of Peace‹, der Große Mann des Friedens – auf dich werden sie hören!« »Dessen bin ich mir diesmal nicht sicher«, meinte der Sheriff. »Hinter mir stand bisher immer das Scharfe Beil, wenn es Palaver mit den anderen Stämmen gab… gerade die Berufung auf ihn könnte sie jetzt tödlich reizen. Aber gut, ich will es versuchen! Potter, reite ins Eisenbahnlager und bitte Ingenieur Ashton um seine Scouts! Ich werde inzwischen mit Simpson reden. Charlie, du bleibst hier und weichst nicht von der Seite des Kleinen Beils. Achte auf alles, was er sagt, wenn er wieder zu sich kommt!« »Und was sollen wir machen?« fragte der Stadtverordnetenvorsteher. »Trefft die üblichen Sicherheitsmaßnahmen, aber weder so, daß die Leute in Panik geraten, noch so, daß anschleichende Indianer daraus schließen könnten, wir rüsteten etwa zu einem Angriff!« »Verstehe«, sagte der Schmied. »Verteidigungsbereitschaft ohne Angst!« »Das eine wird man den Leuten beibringen können«, murmelte Prediger Clemens, »doch das andere wird sich mancher nicht austreiben lassen!« »Ehrwürden«, sagte Bill, »wir leben in einer ordentlichen Stadt. 48
Wer aber vergessen haben sollte, daß sie mitten in der Hölle liegt, wäre schlecht beraten. Sie heißt nicht umsonst Devil's Point!« Devil's Point, zu deutsch ›Teufelspunkt‹, war der Ort einst von seinen Gründern genannt worden, und bisher hatten die Einwohner noch keinen Anlaß gehabt, ihn umzubenennen…
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Der schreckliche Eisenpfeil In seinem Büro fand Sheriff Bill nicht den Inspektor Simpson vor, den er dorthin beordert hatte, sondern einen jungen, verschreckten Holzfäller namens Kickie. »Was machst du denn hier?« fragte Bill. »Ich hatte doch Inspektor Simpson zu meiner Vertretung bestellt!« J-J-J-a-a-a«, stammelte Kickie. »E-e-e-r wa-har auch hi-hi-hihier, a-a-a-…« »Aber…?« »I-i-ich ha-a-ab i-i-hin ms Ho-Ho-Ho…« »Holzfällerlager?« Ja-a-a. I-i-ich ha-a-ab ihn geholt.« Und nun schöpfte Kickie tief Atem und platzte heraus: »Ihr müßt sofort hinauf, Sir, es ist was Schreckliches passiert!« »Was? Was ist passiert?« forschte Sheriff Bill. »I-i-in…«, wieder genet Kickie ins Stocken. »Indianer?« fragte Bill ahnungsvoll. Ja!« Zwanzig Minuten später war Bill im Holzfällerlager. Das erste, was ihm auffiel, war, daß Old Cunklehats Pfeife nicht brannte. Der Alte saß so starr auf seiner Bank, als sei alles Leben aus ihm entwichen. Doch als der Sheriff vorüberritt, krächzte er schaurig: »Bill, das Spiel hat begonnen…!« Vor den Hütten standen die Frauen und Kinder der Waldarbeiter mit verstörten Gesichtern. Sie wisperten, als sie den Sheriff sahen, doch Bill hörte kein lautes Wort. »Wo ist Inspektor Simpson?« rief Bill. 50
Eine der Frauen hob den Arm. »Da hinten«, sagte sie. Bill ritt weiter, quer durch das Lager hindurch, in den Wald hinein. Zwischen hohen Fichtenstämmen sah er eine lose Gruppe von Männern. Es waren Holzfäller. Unter ihnen ragte die Gestalt des Inspektors um Kopfeslänge hervor. Der Sheriff schwang sich vom Sattel. »He, Simpson!« rief er. »Was macht Ihr da? Und warum hat Euch Kickie geholt?« »Kommt her, seht selbst!« erwiderte Simpson knapp. Sheriff Bill trat heran. Schweigend wichen die Männer zurück Inspektor Simpson wies auf einen mächtigen Baum. »Seht«, sagte er. Von einem gewaltigen Eisenpfeil durchbohrt und regelrecht an den Stamm gespießt hing dort ein Toter. Es war der Holzfäller Bob Conally. »Wann, wie und durch wen geschah das?« fragte Bill. Einer der Männer meldete sich: »Das ist's ja, Sheriff, wir haben gar nichts gemerkt. Wir gingen heut' morgen zu den Lärchenhügeln, Conally war wohl, wie immer, der letzte im Trupp. Es muß ihn erwischt haben, als wir vorübergezogen waren. Nachher vermißten wir ihn, und als wir mittags wiederkamen, fanden wir ihn da aufgespießt, wie zur Begrüßung.« »Schöne Begrüßung«, brummte Simpson. Bill untersuchte den Toten. »Stimmt. Der hängt seit Stunden da.« Er blickte sich um. »Aber so dicht am Lager…« »Ihr wißt, was für ein Pfeil das ist?« fragte Simpson. Der Sheriff nickte. »Ein sogenannter eiserner Blitz. Die Dinger werden von armbrustähnlichen Bögen abgeschossen, und zwar vom Boden aus. Diese Bögen sind größer als ein Reiter zu Pferd, und die Pfeile nageln sogar Hirsche an den Bäumen fest und können Hausdächer zerschlagen.« Er betrachtete den Pfeil genauer. Ja. Das ist einer von Häuptling Wenuhans eisernen Blitzen… Wenuhans Comac-Indianer 51
verfügen über eine ganze Truppe ausgebildeter Eisenpfeilschützen, doch diese Mordwerkzeuge sind für den indirekten Schuß konstruiert, nicht für den gezielten Rachschuß, wie mit einem Gewehr…« »Hier handelt sich's um eine Warnung«, meinte Simpson. »Oder um eine Kampfansage«, bemerkte der Sheriff. »Zieht den Pfeil heraus, Männer, und bringt den Toten in eine Hütte.« »Ist das alles, was Ihr zu befehlen habt?« fragte einer der Holzfäller. »Nein«, sagte Bill, »weiß Gott nicht! Wo sind die übrigen Leute, Simpson?« »Im Boobie-Tal, sie haben dort ein Außen-Camp.« »Schickt Boten, laßt sie zurückholen! Hört, Simpson, Ihr habt doch Hunde im Lager, und der Trupp von den Lärchenhügeln hatte doch sicher auch einen mit?« »Zwei sogar«, berichtete ein Holzfäller. »Aber Ihr müßtet gesehen haben, wie die sich benahmen! Sie liegen jetzt winselnd in den Hütten.« »Genau wie die, die hier zurückblieben«, sagte Simpson. »Seit der Mittagszeit winseln sie und verkriechen sich in die dunkelsten Winkel.« »Das genügt mir«, sagte der Sheriff. »Also sind auch CanakieIndianer dabei, solche, denen der Geruchssinn fehlt – so, wie ein anderer Stamm kein Schwindelgefühl kennt. Canakies mischen in ihre Kriegsfarben Sekrete aus den Drüsen der Stinktiere. Daß ihr mit euren abgestumpften Riechorganen nichts gemerkt habt, ist nicht verwunderlich, aber die Hunde sind Nasentiere.« Er wandte sich an einen der Männer: »Gesehen habt Ihr nichts?« »Nichts. Wenn Indianer in der Gegend sind, so müssen sie sich unsichtbar gemacht haben.« »Der Pfeil ist nicht unsichtbar«, sagte Bill. »Simpson, Ihr sorgt dafür, daß das Lager verteidigungsbereit gemacht wird. Schickt 52
eine Nachricht zu Rathermore, daß mit dem Bergwerk und dem Sprengstoffdepot dasselbe geschieht. Inzwischen wird Potter wieder im Hause des Richters sein. Laßt ihm sagen, er solle den Bahn-Ingenieur Ashton verständigen. Außerdem kommt das Vieh in Korrals. Die Hilfssheriffs Cook und Henderson sollen das Große Aufgebot ausrufen und eine bewaffnete Sperre vor das Teufelsgebirge sowie vor die kleine Senke in der offenen Prärie legen. Ihr selbst übernehmt mit Potter das Kommando über die gesamte Miliz.« »Und was wollt Ihr tun?« fragte Inspektor Simpson. »Ich reite in die Wälder, um mit den Indianern zu verhandeln. Das ist die einzige Möglichkeit. Gebt mir eine Ausrüstung und Proviant, Simpson!« »Niemals!« rief der Inspektor. »Ihr habt stets gewußt, Bill, was Ihr uns schuldig seid, doch wir sind Euch auch etwas schuldig, und ich meine, sogar viel, viel mehr: Wir lassen Euch nicht ins Verderben reiten!« »Die Stadt kann nur verteidigt werden, wenn Ihr hier seid, Sheriff«, rief einer der Männer. »Ihr wißt nicht, wo die Indianer sind! Am Ende schlagt Ihr Euch tagelang erfolglos durch die Wildnis –« »– und inzwischen sind die Indianer in Devil's Point«, vollendete ein anderer. »Hierbleiben, Sheriff!« riefen nun alle. »Bleibt hier! Laßt uns nicht allein! Denkt an die Frauen und Kinder! Denkt daran – keiner in Devil's Point kann den Leuten so viel Mut geben wie Ihr!« »Das meine ich auch«, sagte der Inspektor fest. »Euer Stern, Sheriff, der für die Indianer ein Zauberzeichen ist, schützt uns besser als ein Regiment Soldaten! Und wenn die Einwohner von Devil's Point erfahren, daß Ihr fort seid, geraten sie außer sich!« Bill zögerte. Dann sagte er: »Wie Ihr meint, Leute! Ihr Holzfäller seid meine besten Männer! Und wenn ich auf jemanden höre, 53
so auf Euch, Simpson, Ihr würdet eher sterben, als mir etwas Unkluges zu raten!« »Worauf Ihr Euch verlassen könnt«, erwiderte der Inspektor »Gut. So befehle ich euch folgendes: Schafft kernen einzigen der gefällten Bäume mehr zum Sägewerk. Errichtet statt dessen Pallisaden um das Lager. Holt euch Sprengstoff und Zündschnüre aus dem Depot, legt die Ladungen ringsherum aus und zündet sie, wenn Indianer angreifen!« »Das ist ein Wort!« rief Simpson. »Los, Männer! Schafft den Toten weg, und dann an die Arbeit…!«
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Was sagt der Häuptling aller Häuptlinge? Es war, wie Inspektor Simpson gesagt hatte: Wäre der Sheriff fortgeritten, hätten die Einwohner den Mut verloren. Und nicht nur das – vielleicht sogar den Kopf. Die Nachricht vom grausigen Geschehen im Wald verbreitete sich in Windeseile. Bald sprachen die Leute nicht nur von einem eisernen Blitz des Comac-Häuptlings Wenuhan, sondern von ganzen Bündeln mörderischer Geschosse. Und aus dem einen Opfer wurde gleich ein ganzes Dutzend. Sheriff Bill ließ vor dem Teufelsgebirge und in der Ebene große Feuer anzünden, um etwaige Angreifer über die Zahl der Wachen zu täuschen, besonders aber, um ihnen zu zeigen, daß Devil's Point auf der Hut war. Scouts aus dem Eisenbahnlager mußten das Terrain nach allen Richtungen auskundschaften. Mitten in der Nacht – Bill war mit dem Hilfssheriff Cook am Rande des Teufelsgebirges – tauchte plötzlich Leutnant Mac Elroy auf. »He, Polizist!« rief er herrisch. »Was soll das Ganze? Ich höre, die roten Ratten kommen von allen Seiten heran, und Ihr entzündet Feuerchen? Wenn es Krieg gibt, befehle ich hier!« »Erstens gibt es keinen Krieg, und zweitens befehlt Ihr am Bahnlager, aber dort auch nur, wenn Ingenieur Ashton Euch ruft«, entgegnete Bill. »Für Indianer ist das Militär zuständig!« beharrte der Leutnant »Gewiß! So wie Ihr für das Kleine Beil zuständig gewesen 55
seid!« »Das Gewesene ist jetzt gleichgültig«, meinte der Leutnant barsch. »Mich kümmert die Zukunft. Ich fordere Euch auf, Euer albernes Verteidigungsspiel zu unterlassen! Übergebt mir den Oberbefehl! Setzt mich als Stadtkommandanten ein, wie sich's im Krieg gehört! Tut Ihr das nicht so enthebe ich Euch Eures Postens, lasse Euch in Ketten legen und übernehme den Befehl aus eigener Vollmacht!« »Ihr habt genug aus eigener Vollmacht getan, Mac Elroy«, erwiderte Bill ruhig. »Vergeßt Eure Worte, zieht still in Euer Lager zurück und bewacht den Bahnbau, wie es Eure Aufgabe ist. Woher nehmt Ihr die Kühnheit, mir noch einmal unter die Augen zu kommen? Ich sehe Euch nicht, Elroy. Denn würde ich Euch sehen, so müßte ich Euch auf der Stelle arretieren und ins Stadtgefängnis bringen lassen!« »Das tut nur!« höhnte der Leutnant. »Ich würde mich freuen, wenn der Oberst aus Fort Cropton käme, um mich zu befreien! Tut es nur! Worauf wartet Ihr? Arretiert mich!« »Verlaßt Euch nicht auf Euren Oberst Mac Elroy! Wenn er erführe, daß Ihr einen Indianerfürsten ausgepeitscht habt, würdet Ihr vom Stadtgefängnis unverzüglich ins Militärgefängnis wandern, und dort stelle ich es mir recht ungemütlich vor!« »Ihr denkt, Ihr könnt mich schrecken?« rief der Leutnant voller Haß. »Ich sage Euch das eine: Wenn mir die Rothaut noch einmal unter die Finger kommt, werde ich sie wieder auspeitschen – und mag sie getrost der Halbgott aller roten Teufel sein!« »Mac Elroy«, sagte Sheriff Bill. »Ich höre Euch nicht. Meine Ohren sind taub für Euer Geschrei. Wären sie es nicht, so würdet Ihr dasselbe Schicksal erleiden wie gestern mittag Eure Hunde«, sagte Bill gelassen. »Mein Herr«, schnaubte der Leutnant. »Ich schwöre Euch: Die Abrechnung zwischen mir und Euch wird erfolgen! Ich schwöre 56
Euch: Ihr entgeht dieser Abrechnung nicht!« Damit wendete er sein Pferd und ritt in die Nacht hinein. »Ein böser Bursche«, meinte Hilfssheriff Cook »Ich würde mich vor ihm in acht nehmen!« »Beruhigt Euch«, erwiderte Bill. »Das tue ich schon, aber ich denke, ich brauche es nicht mehr lange zu tun. Nur ist mir im Augenblick alles andere wichtiger als dieser Mann.« Er spornte seinen Grauschimmel Blizzard an und galoppierte mit Cook zum nächsten Posten. »Bleibt dem Feuer fem, wenn Ihr nicht gerade etwas nachzulegen habt«, sagte er. »Bietet niemandem ein Ziel. Brechen berittene Krieger durch, so lauft nicht planlos umher, sondern schießt ihnen sofort nach. Aber schießt nicht etwa auf Unterhändler! Cook, achtet besonders darauf! Sie pflegen sich gewöhnlich durch einen Pfiff oder einen Schrei anzukündigen, dieses Signal laßt dreimal erwidern, dann nähert sich der Parlamentär. Verwechselt es nicht mit einem Angriffszeichen.« »Weiß Bescheid, Sir«, erklärte Cook »Angriffszeichen werden heimlich gegeben, dann beginnt auch schon die Attacke mit dem Kriegsgeschrei aus allen Kehlen zugleich!« Ja – das sagt den Leuten, die es noch nicht wissen. Sagt ihnen aber auch, daß Ihr sie vorsorglich informiert, und nicht, weil wir etwas Bestimmtes wissen. Sonst nimmt mancher Hasenfuß womöglich gleich Reißaus!« »Seid beruhigt, daran denk' ich schon«, sagte der Hilfssheriff. »Und wo seid Ihr zu erreichen?« »Mein Quartier ist das Haus des Richters«, entgegnete Bill. »Und zwar, weil Kleines Beil dort liegt Dorthin gehen alle Botschaften!« »In Ordnung, Sir!« Bill ließ Cook bei den Wachen zurück und schlug den Weg zum Hopkinsschen Hause ein. Er brachte sein Pferd in den Stall, 57
in dem des Richters Kutschpferde und Miß Jennys Reitpferd untergebracht waren. Dann betrat er das Haus. In der Halle brannte noch Licht, und im Kamin loderte ein Feuer. An einem langen Küchentisch, den man davorgerückt hatte, saßen Potter und Charlie. »Nimm's mir nicht übel, Bill«, sagte der Wallebart »Ich brauch' nun mal meine eigene Art von Gemütlichkeit. Die Tische und Sessel hier waren mir alle zu fein, da hab' ich Miß Jenny gebeten, mir einen Küchentisch hereinstellen zu lassen.« Der Sheriff lachte. »Das nenn' ich eine vornehme Einquartierung, Alter!« Doch er wurde gleich wieder ernst: »Wie geht es Kleinem Beil?« »Er schläft«, meldete Charlie. »Als der Doktor gegangen war. blieb ich die ganze Zeit bei ihm.« »Und er atmet schwach, aber gleichmäßig«, ertönte eine Stimme. Es war Jenny Hopkins, die eben aus dem Salon kam. »Wenn Ihr ihn jetzt in Ruhe laßt Bill, dann wird er morgen hoffendich wieder so weit bei Kräften sein, daß Ihr ihn einiges fragen könnt! Jetzt ist noch nichts zu machen.« »Ich wollte, ich könnte ihn gleich fragen«, seufzte Bill. »Er ist der einzige, der mir Aufschluß darüber geben kann, was sich nach dem Tod seines Vaters bei den Indianern abgespielt hat Und durch wen Scharfes Beil ermorden wurde!« »Wie meint Ihr das… was sich bei den Indianern abgespielt hat?« fragte Jenny. »Mir kam da plötzlich eine Idee…« sagte der Sheriff. »Wie nun, wenn ihn ein anderer Häuptling umgebracht hätte, um die Herrschaft über die Ogalala an sich zu reißen?« »Alle Wetter, Bill«, entfuhr es Potter. »So'n Gedanke ist in meinem Strohkopf auch nur entfernt nich' aufgetaucht! Das würde bedeuten…« »… daß sich die roten Stämme vielleicht untereinander 58
bekämpfen«, vollendete Charlie. »Das war' dann wenigstens keine Gefahr für Devil's Point!« »Hast du eine Ahnung!« Bill schüttelte den Kopf. »Ein machtgieriger Häuptling, dem's darum zu tun war, Scharfem Beil die große Adlerhaube – das Zeichen seiner Königswürde – zu entreißen… nun, der wird jetzt danach trachten, daß der Sohn sie nicht kriegt!« »Oder daß der Sohn auch getötet wird!« rief Charlie entsetzt. »Kleines Beil ist in Gefahr!« »Und Devil's Point ebenso, denn Kleines Beil ist hier«, erklärte der Sheriff ernst. Er überlegte eine Weile, dann schüttelte er wieder den Kopf. »Ich weiß nicht… mir reimt sich das alles noch nicht zusammen, so nicht und so nicht… Was war bei den Eisenbahnern, Potter?« »Ingenieur Ashton ist vernünftig. Er hat alle Anweisungen befolgt die Wachen verdoppelt und seine besten Männer bewaffnet. Aber dieser verdammte Leutnant! Der hat die Kanone über den Fluß schaffen lassen, und seine Männer wimmeln klirrend um die Baustelle rum. Sie machen die Eisenbahner ganz verrückt!« »Hat Mac Elroy einen Kurier nach Fort Cropton geschickt, um Verstärkung anzufordern?« »Nein«, grinste Potter. »Er will die Lorbeeren allein ernten, wenn die Indianer kommen, er meint, er wird mit ihnen fertig!« Der Sheriff lachte hart. »Mit denen sind ganze Regimenter nicht fertig geworden. Aber in diesem Fall ist seine Verrücktheit ein Segen. Die Indianer sind zu dicht heran, auch wenn sie noch keiner gesehen hat Ehe die Blauröcke aus den Präriefestungen kämen, würden wir samt und sonders skalpiert sein. General Hopes ganze Armee in einer Staubwolke, die bis zum Himmel reicht – das wäre für gereizte Indianer Öl ins Feuer! Ich kenne sie, hier helfen nur List, Geschick und Wachsamkeit. Indianische 59
Krieger sind nicht so plump wie weiße Banditen. Und ich verlasse mich auf eines – was ich dem Großmaul Burton Spike nicht klarmachen kann, was aber die Geschichte des Wilden Westens bestätigt hat: Man kann mit Indianern reden, besonders mit denen, die einen kennen.« Ja«, brummte Potter. »Und wen kennen sie besser als dich?Bei den Ogalala geht die Sage, du bist 'ne Rothaut – aber der gute Manitu hat dich weiß gemacht, damit du bei den Weißen Gutes für sie tun kannst.« »Und selbst Wenuhan, der Häuptling der eisernen Blitze, wird wissen, daß ich noch niemals einen Indianer geschlagen habe«, fügte Bill hinzu. »Die Weißen fürchten meine Kinnhaken, und das ist den Indianern bekannt Einen Indianer mit einem Kinnhaken niederzustrecken, ist ein todeswürdiges Verbrechen, eine Entehrung, die keine Rothaut je verwindet. Ich habe mich stets danach gerichtet und auch das ist ihnen bekannt. Auf all das verlasse ich mich mehr als etwa auf den Leutnant Mac Elroy.« »Aber der Pfeilschuß im Wald!« erinnerte Charlie. »Potter sagt, die Schafzüchter sind sehr aufgeregt!« »Na, nicht nur die«, brummte Potter. »Auch die Eisenbahner! Und der Leutnant tut alles, um sie aufzuputschen. Jeder zweite an der Baustelle sieht sich schon aufgespießt!« »Eine böse Sache, das«, sagte Bill. »Aber es ist bis jetzt nicht heraus, ob die Indianer Bob Conally töten wollten. Er kann an dem Baum vorbeigelaufen sein, gerade, als der Eisenpfeil geschwirrt kam. Wäre ich Leutnant Mac Elroy, so hätte ich vermutlich gleich den ganzen Wald in Brand gesteckt…« Für ein paar Augenblicke herrschte Schweigen. Dann sagte Miß Hopkins: »Ihr seid müde, Sheriff, und sicher habt Ihr seit gestern früh nichts gegessen!« »Nein!« schnaufte Potter begierig. »Bestimmt nicht, und was meinen Magen anbetrifft – der ist so leer wie'n ausgeraubter Post60
sack!« »Das tut ihm mal ganz gut«, lächelte Bill. Doch Jenny Hopkins erklärte: »Mister Potter sitzt hier nicht umsonst an einem Küchentisch.« »Und wann wollt Ihr schlafen?« fragte Bill. »Wenn ich getan habe, was zu tun ist«, sagte Jenny. Sie brachte Teller, Holzbretter, Bestecke, ein riesiges Stück kalten Schweinebraten, einen halben Schinken und eine Hasche Rotwein. Potters Augen wurden groß. »O Miß Jenny«, strahlte er. »Wenn es das auch in Eurer Schule gäbe, ich wette, dann würd ich noch mal richtig schreiben und lesen lernen!« Jenny Hopkins lachte. »Oder es würde Euch der Appetit vergehen! Nun langt aber kräftig zu!« Doch Potter blickte belämmert auf Teller, Holzbrett und Bestecke, es schien, als habe ihm die junge Lehrerin eine Hausaufgabe gestellt, die er nicht lösen konnte. »He, Alter, was ist?« fragte Bill, der sich eifrig bediente. Auch Charlie hatte sich schon ein tüchtiges Stück Schweinebraten aufgelegt. Potter schielte zu Jenny, die sich in den Schaukelstuhl gesetzt hatte. »Eins hab' ich nich' bedacht«, murmelte er kleinlaut. »Meine Tischsitten sind nicht die besten, Miß! Und wenn Ihr mich so essen säht, wie ich's gewohnt bin…« Jenny lachte. »… so würde ich dennoch nicht daran zweifeln, daß Ihr ein gutes Herz habt, Potter. Tut Euch keinen Zwang an, wer weiß, was der Tag alles bringen wird! Macht's Euch nur gemütlich und greift zu!« Potter ließ sich das nicht zweimal sagen. »He«, rief Bill, »wo ist der Schinken, Potter?« Potter hatte ihn unter den Arm geklemmt und säbelte sich ein Stück herunter, das mindestens so groß wie seine Hand war. »Ich muß so ein liebes, saftiges Ding an mein Herz drücken«, 61
behauptete er. »Auf dem Tisch kann ich nich' so gut schneiden!« »Aber hinter dem Vorhang deines Bartes kannst du's?!« lächelte der Sheriff. »Still«, sagte Jenny. »Hat da nicht jemand gerufen?« Alle lauschten. »Onkel Bill…« ertönte eine schwache Stimme aus dem Salon. »Ist da mein Onkel Bill…?« Potter ließ den Schinken auf den Teppich fallen. »Das ist Kleines Beil! Er ist wach!« Bill ging sofort hinüber. Man hatte ein Bett in den Salon gestellt. Darin lag der junge Indianer. Das schwache Licht einer Petroleumlampe, die auf einem Tischchen stand, beleuchtete ihn und ließ seine schönen, dunklen Augen in dem bleichen Gesicht schimmern. »Kleines Beil, mein Freund und Bruder«, sagte Sheriff Bill. »Deine Stimme klang mir lieblich im Ohr wie das Zwitschern des ersten Vogels im Frühling!« »Und deine Stimme klang, als spräche der gute Manitu«, erwiderte der Indianer schwach. »Bin ich im Wigwam des Richters?« Ja«, sagte der Sheriff. »Der Doktor hat deine Wunden gesalbt und verbunden, und Charlie pflegt dich.« »Und auch die weiße Blume war da, die den Kindern Schriftzeichen beibringt!« »Sicher. Miß Jenny sorgt sich um dich, wie wir alle uns um dich sorgen. Auch Potter sitzt nebenan.« Ein Lächeln glitt über die ernsten Züge des Indianers. »Er ist so gut, wie sein Bart lang ist. Aber wenn Kleines Beil dich sieht, Onkel Bill, so möchte es gleich aufstehen!« »Du stehst auf, wenn du gesund bist«, sagte Bill sehr ernst. »Und ich bin nun nicht mehr dein Onkel Bill. Ich bin dein Bruder oder dein Sohn, wie es die Sitte gebietet, denn du, mein junger Fürst, bist jetzt der Häuptling aller Häuptlinge. Bald wirst du die 62
große Adlerhaube tragen, und dann bist du für deine Völker das, was für uns Weiße der Präsident in Washington ist, den ihr den Großen Weißen Vater nennt.« »Hau«, murmelte Kleines Beil. »Hau, hau…« »Es ist eine Ehre für dieses Haus«, fuhr Bill fort, »daß der neue Häuptling aller Häuptlinge unter seinem Dache ist. Jedermann hier ist dein Diener, und du brauchst uns nur deine Befehle zu geben!« »Hau! So befehle ich dir, daran zu denken, daß du mit mir fischen gegangen bist, als ich ein Kind war«, sagte der Indianer. »Ich bleibe für dich das Kleine Beil, und du bleibst mein Onkel, mit dessen Mut und Kraft ich mich nie werde messen können, auch wenn ich die große Adlerhaube meines Vaters tragen werde.« »Wir wollen nicht so viel reden«, sagte Bill freundlich. »Denn du bist noch schwach, und mein Herz brennt vor Ungeduld, dich bald wieder auf dem Rücken deines Pferdes zu sehen. Nur das Wichtigste: Wer hat deinen Vater Scharfes Beil in die ewigen Jagdgründe geschickt? Wer hat ihn getötet?« »Der Blutsäufer, der weiße Mann mit dem goldenen Bart!« Bill schwieg verständnislos. »Deine Gedanken sind im Traum weite Wege gegangen«, sagte er dann. »Du sprichst von einem Verbrecher, der längst tot ist. Aber ich will vor allem eins von dir wissen, aber besinne dich gut: Hast du den roten Völkern befohlen, auf den Kriegspfad zu gehen?« »Hau, hau, nein!« sagte Kleines Beil. Er hatte so klar und fest geantwortet, daß Bill nicht glauben konnte, er erinnere sich nicht richtig. »Wie kommt es dann, daß alle Völker auf dem Kriegspfad sind? Häuptling Wenuhan mit seinen eisernen Blitzen steht in den östlichen Wäldern vor Devil's Point!« »Nein!« rief Kleines Beil. Er wollte sich aufrichten, doch der 63
Sheriff drückte ihn in die Kissen zurück: »Antworte in Ruhe, das ist besser!« »Ich befahl meinem Volk, im Wigwam am Klaren Fluß im Schwarzen Walde zu bleiben«, sagte Kleines Beil. »Ich wollte den Mörder allein verfolgen! Ich habe Melder ausgesandt, die mit Rauch- und Spiegelzeichen allen anderen Völkern die gleiche Kunde bringen sollten. Ich wollte verhindern, daß sie auf den Kriegspfad gingen, denn das hätte die Blauröcke aus den Festungen gelockt, und es hätte Blutvergießen gegeben!« »Trapper haben aber berichtet, daß die roten Völker doch ihre Wigwams verlassen haben. Und einer von Wenuhans eisernen Blitzen durchbohrte einen Holzfäller!« Wieder wollte Kleines Beil sich aufrichten. Fiebrig vor Zorn glänzten seine Augen. »Wenuhan hat auf die Adlerhaube meines Vaters geschworen, er, wie auch die anderen Häuptlinge. Sie haben geschworen, dem zu gehorchen, dem die Adlerhaube gehört. Jetzt ist sie mein – also müssen sie meine Befehle befolgen!« »Was steht auf Ungehorsam?« »Der Tod«, sagte Kleines Beil. »Und die Verdammung. Wer einen Schwur bricht, kommt nicht in die ewigen Jagdgründe des guten Manitu, er wird vom bösen Manitu tief hinunter in die Erde geholt!« Bill überlegte. »Kann es sein, Kleines Beil, daß die Häuptlinge um die große Adlerhaube streiten? Daß sie nicht wollen, daß du sie trägst?« »Nein«, erklärte der Indianer bestimmt »Die Medizinmänner aller Indianer haben beratschlagt und geheime Zeichen gelesen. In den Zeichen stand, daß jeder andere Häuptling Feder um Feder aus der Adlerhaube verlieren würde. In den Zeichen stand ferner, daß nur ich, das Kleine Beil, die roten Völker vor dem Untergang bewahren kann. So haben sie den heiligen Schwur 64
getan, mir zu gehorchen, mir – nur mir –, wenn mein Vater in die ewigen Jagdgründe gegangen sei!« »Dann wäre es gut sie wissen zu lassen, daß du hier bist?« fragte Bill aufmerksam. »Du meinst nicht sie kämen, dich zu töten, damit du die Adlerhaube nicht trägst?« »Sie müssen schnell wissen, daß ich hier bin!« rief Kleines Beil. »Sie sollen an mein Lager kommen, um sich zu verneigen und mir die Hände auf die Schultern zu legen, um mir ihre Kräfte zu leihen, wie es Sitte ist. Ich werde meinen Zorn über sie ausgießen und sie in ihre Wigwams schicken, und sie werden friedlich abziehen wie eine Herde Lämmer!« »Schön«, sagte der Sheriff. »Nun hast du genug geredet, du bist sehr erschöpft. Aber ich danke dir, denn du hast eine große Last von meiner Seele genommen. Halt noch eins: Wenn ihr für eure Nachrichten keine Trommeln benutzt, so gebt ihr Spiegelsignale. Welches ist das Blinkzeichen, daß der Häuptling aller Häuptlinge am Orte ist und die anderen Häuptlinge zu sich befiehlt?« »So viele Blinkzeichen, wie zehn mal zehn Hände Finger haben.« »Hundert? Das entspricht der Zahl der Federn an der großen Adlerhaube?« Ja«, sagte Kleines Beil. »Nun schlafe – und träume von dieser Haube, die dir Ruhm und Ehre bringen wird. Ich werde die Häuptlinge in die Stadt holen, damit sie dir ihren Gehorsam entbieten!«
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Überfall…! Jenny Hopkins war zu Bett gegangen, Charlie hatte sich im Zimmer des Kranken auf ein Sofa gekauert, Sheriff Bill und Potter legten sich zu einem kurzen Schlaf ins Stroh zu ihren Pferden. Um sechs Uhr früh war Bill wieder auf den Beinen. Er ritt in die Stadt und trommelte den Wirt des Silberhotels aus dem Bett. »Wa .. wa… was gibt's?« stammelte der Wirt. »Sind die Indianer schon da?« »Nein, aber Ihr könnt mir helfen, sie in Lämmer zu verwandeln!« »Ich…?« fragte der Wirt entsetzt. »Sir, ich bin kein Held! Ich weiß mit Messer und Gabel umzugehen, aber nicht mit Dolchen und Gewehren!« »Das leuchtet mir ein, und ich stelle Euch gerne frei«, lächelte der Sheriff. »Aber nur unter einer Bedingung!« Er blickte sich in der prunkvollen Halle um. »Ihr gebt mir Eure Spiegel, die Ihr da in so üppiger Zahl hängen habt!« »Meine Spie –?!« Der Wirt starrte den Sheriff an. »Sir, Ihr beliebt zu scherzen!« »Ich scherze nicht! Ich hole jetzt einen Wagen, und wenn ich wieder hier bin, sind die Spiegel abgehängt. Falls nicht, nehme ich Euch mit und steck Euch zu den vordersten Wachen am Rande des Teufelsgebirges!« Er verließ die Halle und ging ins Office. Dort lag in sanftem Schlummer der Holzfäller Kickie über dem Schreibtisch. »He, Kickie, aufwachen!« donnerte der Sheriff. »Hol dein Pferd aus dem Mietstall und reite zur Sägemühle am Ruß. Wer von 66
den Männern nicht bei den Aufgeboten ist, soll herkommen. Ich brauche auch ein paar Leute aus den Minen, los, los!« Während sich Kickie noch die Augen rieb, schwang sich der Sheriff bereits wieder in den Sattel. Er ritt zum Tischler Mockleton. »Hallo, Meister«, sagte er. »Ich brauche Euch!« »Doch nicht, um einen Galgen zu bauen?« fragte Mockleton. »Nein, aber Ihr habt Holzböcke – Gestelle, auf die Ihr gewöhnlich Eure Bretter legt!« »Sicher, wozu wollt Ihr die haben?« »Um Spiegel an den Querbalken zu befestigen. Ich will Blinksignale über die Prärie und in die Wälder schicken.« »Verstehe«, sagte der Tischler. »Semaphore wären besser, also Flügelsignale, da braucht Ihr keine Spiegel. Was Ihr meint, sind Heliographen. Wie groß sind die Spiegel?« »Es sind die Wandspiegel aus dem Silberhotel!« Der Tischler kratzte sich am Kopf. »Die sind groß! Ich mach Euch einen Vorschlag: Befestigt sie an Balken zwischen zwei Eisenstangen. An die Eisenstangen hängt Ihr Tücher, so daß die Spiegel verdeckt sind. Und immer, wenn Ihr ein Zeichen geben wollt, laßt die Tücher wie Vorhänge fallen – und zieht sie dann schnell wieder hoch!« »Mockleton«, sagte der Sheriff. »Wie das gemacht wird, überlass' ich Euch. Jetzt ist es kurz vor sieben, um zehn Uhr müssen die Dinger signalisierungsbereit sein. Schickt einen Wagen zum Silberhotel, um die Spiegel abzuholen. Auch im Spielsalon sind welche. Der Pächter soll sie herausgeben!« Bill ritt ins Waldlager, um dort nach dem Rechten zu sehen. Inspektor Simpson meldete nichts Neues. »Gut, Simpson«, erklärte Bill. »Schickt ein paar Leute mit ihren Äxten auf die Weiden östlich der Stadt, ebenso eine Fuhre Stangenholz und Leitern. Ich brauche eine Menge Leitern und Stan67
gen.« Um zehn Uhr begann Bill, die Gerüste mit den Spiegeln so aufbauen zu lassen, daß er durch Reflexe und Gegenreflexe die Sonne auffangen und ihre Strahlen nach allen Seiten schicken konnte. Wie Blitze zuckten die gespiegelten und von den anderen Gerüsten in bestimmtem Winkel aufgenommenen und weitergegebenen Lichtstrahlen zu den Waldhängen empor. Als die Sonne weiter wanderte und höher stieg, wurden die Spiegel in einem geänderten Winkel zueinander gestellt. Immer feuriger huschten die Zeichen über die Prärie und in Richtung des Teufelsgebirges. Jeweils »zehnmal so viel wie Finger an beiden Händen« – das Signal, daß der Häuptling aller Häuptlinge hier sei, hier in Devil's Point, und daß er alle Häuptlinge zu sprechen wünsche, die der Adlerhaube den Schwur geleistet hatten. Da die Männer sich aber beim Signalisieren – zumal mit den behelfsmäßigen Gerüsten – sehr täppisch anstellten und auch das ›Weiterreichen‹ der Strahlung vermittels des Ein- und Ausfallwinkels schwer begriffen, mußte Bill dauernd hin- und herreiten, sie belehren und selber zugreifen. Plötzlich näherte sich von den Minen her eine Reiterschar. Es waren etwa zwanzig Leute auf klapprigen Gäulen und Maultieren. Allen voran ritt der Schichtmeister Burton Spike. »Seid Ihr wahnsinnig, Sheriff?« schrie er. »Was soll der Unsinn? Wollt Ihr uns die Indianer auf den Hals holen?« »Genau das will ich«, erwiderte Bill kalt. »Aber wahnsinnig bin ich deshalb nicht!« »Was gebt Ihr da für Signale?« »Daß die Häuptlinge kommen sollen, um Befehle des Kleinen Beils entgegenzunehmen. Er wird alle Streitmächte, die sich im Teufelsgebirge, in den Sümpfen jenseits des Flusses, in den Bergwäldern und in den Mulden der Prärie verborgen halten könnten, wieder heim in ihre Wigwams schicken!« 68
»Sooo, wird er das?« höhnte Burton Spike. »Und haben die roten Teufel schon zurückgeblinkt, daß sie ihm hübsch folgen werden? Und…« Burton Spike hob seine Stimme: »… werden sie den aufgespießten Holzfäller wieder lebendig machen?« »Spart Euch Euren blutigen Hohn, Großmaul Burton Spike«, sagte der Sheriff. »Was zu tun ist oder nicht zu tun ist, weiß ich.« »Ihr nehmt an, daß Ihr's wißt!« brüllte Spike. »Mir scheint, Bill, Ihr seid größenwahnsinnig! Euer Stern ist Euch zu Kopf gestiegen! Glaubt Ihr, Ihr seid der Gott der roten Völker, daß Ihr sie hierher beordern könnt? Und wer bewahrt uns davor, daß sie plündern, wenn sie kommen?« »Ich«, sagte Bill. »Männer«, schrie Spike. »Habt ihr das gehört? Es hat einen Toten gegeben, obwohl der Sheriff von mir gewarnt worden war! Statt nun aber die Soldaten mit ihrer Kanone zu holen und Warnschüsse in die Berge und Prärien zu donnern, hantiert er hier mit Spiegeln wie ein Riesenweib!« Seine Begleiter murrten, und auch unter den Leuten aus dem Sägewerk wurde Unwillen laut. Sheriff Bill schwang sich vom Pferd und schritt auf den Gaul des Schichtmeisters zu. »Kommt herunter, Großmaul!« befahl er. »Ich seh' nicht ein, warum!« rief Spike. »Kommt herauf, wenn Ihr was wollt! Mein Pferd trägt zwei! Und da Ihr hier sowieso schon Zirkus macht…« »… kann ich Euch getrost einen Salto lehren!« Mit diesen Worten griff Bill in die Zügel und zwang den Gaul in die Knie. Burton Spike plumpste nach vorn, seine Füße glitten aus den Steigbügeln, und er rutschte über Mähne und Kopf des Tieres ins Gras. Sheriff Bill riß ihn hoch, stellte ihn zurecht und streckte ihn mit einem wohlgezielten Kinnhaken nieder. »Braucht noch jemand eine Abreibung?« fragte er. 69
Auf einmal schrie der Tischler Mockleton: »Soldaten! Soldaten!« Vom Fluß her kam eine Kavalkade heran. Bill erkannte den Gefechtswimpel, und er sah die Signaltrompete blitzen. Allen voran, an seinem weißen Schal und dem schicken Hut deudich zu erkennen, ritt Leutnant Mac Elroy mit blankgezogenem Degen. »Tatü… tatata… tatüüü…« blies der Hornist. Es war das Angriffssignal. »Gegen wen reiten die denn?« brüllte der Tischler. »Meinen sie, hier seien Indianer?« »Sie reiten gegen uns…!« kreischte ein Mann vom Sägewerk Er warf sich auf den Bauch. Wie die wilde Jagd brauste die Reiterschar heran. Schüsse hallten, und Spiegelsplitter flogen durch die Luft. »Zerstört das Zeug!« rief Leutnant Mac Elroy. »Werft die Gerüste um! Schießt jeden nieder, der euch daran hindert!« In wenigen Minuten war Bills Signalanlage vollständig zertrümmert. Bill saß im Sattel seines Grauschimmels, als der Leutnant, den Degen noch immer blankgezogen, auf ihn zugeritten kam. »So, Polizist, das sei Euch eine Lehre! Geht in Euer Büro und dreht die Daumen, ich schätze, das ist besser für Eure Stadt! Das Kommando übernehme ich, und keine Rothaut soll es wagen, auf Schußweite heranzukommen!« »Es lebe Leutnant Mac Elroy!« ächzte Burton Spike, den der Wirbel ringsum wieder auf die Beine gebracht hatte. Jawohl, er soll das Kommando übernehmen!« »Er soll das Kommando übernehmen!« echoten die verschreckten Sägewerksarbeiter. »Gebt mir Euren Sheriffstern!« befahl Mac Elroy. Er ritt an Bill heran. 70
Im nächsten Moment lag der Leutnant bewußdos neben seinem Pferd im Gras. Das war so schnell gegangen, daß einige meinten, er sei gestürzt. Doch sein Tier stand ruhig da. »Er hat ihn niedergeschlagen!« schrie Burton Spike. »Er hat ihm die Faust vors Kinn gestoßen, genau wie mir!« »Stimmt – nur etwas härter«, sagte Bill. »Sergeant Muff, Ihr übernehmt den Befehl über die Truppe! Es ist Eure Aufgabe, die Bahn zu bewachen, hier befehle ich! Mac Elroy hat Eigentum von Devil's Pomt zerstört – ich verhafte ihn wegen mutwilliger Verwüstung. Ihr wißt, nach dem Militärrecht kommt das der Plünderung gleich! Und auf Plünderung steht der Galgen!« »Das werden wir sehen!« schäumte der Sergeant. »Ich werde einen Kurier nach Fort Cropton schicken –« »– um zu melden, daß Ihr Euch an der Verwüstung beteiligt habt? Ihr seid eine schmutzige Bande in der Uniform der Armee – jener Armee, der ich als General angehört habe!« Da schwieg der Sergeant. Sheriff Bill sprang vom Pferd und wartete, bis der Leutnant zu sich kam. Mac Elroy richtete sich stöhnend auf. Er rieb sich das Kinn und blickte verständnislos umher. »Was ist passiert?« fragte er. »Nichts – außer daß Ihr verhaftet seid«, erwiderte Bill gelassen. Mac Elroy glotzte ihn an. »Ich träume wohl?« »So wenig wie ich!« sagte Bill. »Ihr seid Offizier, Mac Elroy. Soll ich Euch ins Stadtgefängnis stecken – oder habt Ihr noch so etwas wie ein Ehrenwort, das mir die Gewähr gibt, Ihr werdet Euch an einen Vorschlag halten?« Der Leutnant preßte die Lippen zusammen. Dann zischte er: »Was für ein Vorschlag wäre das?« »Ihr bleibt drei Tage in Eurem Zelt und bewacht dort Euren eigenen Arrest. Brecht Ihr Euer Wort, so werfe ich Euch ms Loch wie einen hergelaufenen Lumpen! Ich werde dafür sorgen, daß 71
Ihr den blauen Rock ausziehen müßt und womöglich sogar an den Galgen kommt!« »Einigen wir uns auf Galgen!« zischte Mac Elroy. Er blickte sich wieder um. Aber da sah er bewaffnete Reiter herankommen. Es waren die Männer des Hilfssheriffs Cook Sie waren genau so gut gerüstet wie der Trupp Soldaten. »Am Galgen sehen wir uns wieder!« sagte der Leutnant. »Aber dann stehe ich unten, und Ihr hängt oben!« »Womit ich endlich Gelegenheit hätte, auf Euch herabzusehen«, erwiderte Bill spöttisch. Ehe der Leutnant noch etwas sagen konnte, ertönte der Schrei: »Indianer kommen…! Indianer…!! Indianer…!«
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Doppelfeder und die ›Schweigsamen Männer‹ »Es ist ein Indianer«, stellte Bill mit einem prüfenden Blick fest, »und es ist ein Unterhändler, denn er trägt seinen Speer mit beiden Armen hoch über dem Kopf, den Pfeil zur Sonne gerichtet. Er will nichts Böses!« Er wandte sich an den Leutnant. »Fort mit Euch und Eurer Truppe! Und wehe Euch, Ihr feuert Eure Kanone auf Parlamentäre ab, wie Ihr es im vergangenen Jahr tatet! Das wäre ein neues Kriegsverbrechen, Mac Elroy – und denkt an den Galgen!« »Verlaßt Euch darauf!« rief der Leutnant. Er hob seinen Hut auf und bestieg sein Pferd. »Ich werde an den Galgen denken! Und ich werde nicht eher ruhen, als bis ich Euch daran hängen sehe!« Er gab einen Befehl, und die Truppe machte sich aus dem Staub. Vor Sheriff Bill aber hielt jetzt ein Indianer, der keine Kriegstarben trug. Sein Schild am Sattelknauf steckte noch im Lederbezug, und das Fell des Pferdes war an keiner Stelle gefärbt. Der Indianer war Unterhäuptling Doppelfeder vom Stamm der Sioux-Ogakla, ein treuer Diener des Weinen Beils und ein guter Freund des Sheriffs. »Doppelfeder!« rief Bill. »Meine Augen leuchten hell bei deinem Anblick – heller als die Spiegelzeichen, die wir den roten Völkern sandten. Wohl füllt meine Seele der Gram über den Tod des alten Häuptlings aller Häuptlinge, aber sein Nachfolger, 73
Kleines Beil, ist bei uns und in guter Hut. Du willst ihn sprechen?« »Hau«, erwiderte Doppelfeder. »Aber ich bringe nichts Gutes. Wir, das Volk des Kleinen Beils, haben seine Befehle befolgt. Doch die anderen Völker, vor allem Wenuhan mit seinen eisernen Blitzen, sind aufsässig. Wenuhan will Rache an allen Weißen nehmen, weil der Mörder des Scharfen Beils ein Weißer war. Andere Häuptlinge teilen seine Meinung, doch sind sie noch uneins. Aber die Gefahr für Euch ist groß, Sheriff Bill!« »Da kommen drei weitere Reiter!« meldete einer von Cooks Leuten. »Das sind Siedler vom Ostrand des Teufelsgebirges«, meinte Bill. »Ich erkenne sie an ihren schwarzen Hüten! Empfangt sie, Cook! Ich will hören, was sie zu sagen haben! Und du, Doppelfeder, spnchst mit dem Kleinen Beil im Wigwam des Richters! Mockleton, führt ihn hin! Vier Männer mit Gewehren begleiten Euch, sie achten darauf, daß niemand den Unterhändler angreift!« Der kleine Zug, mit Doppelfeder in der Mitte, setzte sich in Bewegung. »He, Sheriff«, schnaubte Burton Spike. »Gehen Euch nicht die Augen auf? Seht Ihr nicht endlich, daß Ihr alles falsch macht? Die Rothaut sagt es selber: Der schlimmste Häuptling ist unser Feind! Er will sich an allen Weißen rächen, und wenn ich mich nicht ine, bin ich weiß!« »Bis auf Euren schmutzigen Charakter und Euer ungewaschenes Maul, Burton Spike«, erwiderte der Sheriff kalt. »Ihr habt mich an den Banditen von Leutnant verraten! Ihr wart dafür, daß er mich absetzte! Macht Euch fort, aber seht Euch künftig vor!« Die Männer aus den Minen wendeten ihre Pferde. Gefolgt von 74
dem blamierten Schichtmeister, ritten sie zurück Und nun kamen die drei bärtigen Vertreter der Siedler vom Kleinen Doppelfluß, dessen Ufer eine Oase am Ostrand des Teufelsgebirges bildeten. Diese Siedler gehörten einer frommen Sekte an, sie lebten in Arbeit und Gottesfürchtigkeit, und sie nannten sich »die Schweigsamen«, denn ihr Gelübde verbot ihnen jedes überflüssige, vor allem aber jedes böse Wort. Bill zog es vor, sie in sein Büro zu führen. Dort konnten sie sich ausnahen und eine Erfrischung genießen. »He, Kickie«, sagte Bill zu dem jungen Holzfäller, der seinen Platz am Schreibtisch inzwischen wieder eingenommen hatte. »Bnng die Pferde der frommen Väter in den Mietstall. Dann hol einen Krug Milch, einen Laib Brot, Salz und kalten Braten!« »Mi-Mi-Mi-Milch…?« staunte Kickie. »Die frommen Väter trinken weder Kaffee, Tee, noch Wein oder Schnaps«, erklärte der Sheriff. Als Kickie gegangen war, wandte sich Bill an die drei Siedler. Sie bildeten den Ältestenrat ihrer Gemeinde. Der Rat bestand aus dem sogenannten ›Hauptvater‹ Habakuk und den Vätern Jesaias und Jeremias. »Ich freue mich sehr, Euch zu sehen, Hauptvater Habakuk – und auch Euch, ihr ehrenwerten Väter Jesaias und Jeremias«, sagte er. »Wenn ihr den beschwerlichen Weg nach Devil's Point auf euch nehmt, so bringt ihr nichts Unwichtiges. Da die Zeit drängt, erlaubt mir, euch gleich nach Eurem Begehr zu fragen!« »Wir Schweigsamen sehen nichts, hören nichts und sagen nichts«, begann der Hauptvater würdevoll. »Wir kümmern uns um unsere Arbeit und um das Wohl unserer Gemeinde. Neugier und Einmischung sind uns fremd. Nur, wenn das Leben von Menschen gefährdet ist, gebietet uns unser Gelübde, unsere Ohren und Augen aufzutun und unsere Zunge zu bewegen.« 75
»Wessen Leben ist gefährdet?« fragte Bill aufmerksam. Schweigend zog der Hauptvater eine Geschoßhülse aus der Tasche und hielt sie dem Sheriff hin. Bill ergriff sie und betrachtete sie genau. »Sie stammt aus einem Gewehr der Marke Sharps«, sagte er aufblickend. »Das sind starke Knicklader, die stärksten, die es je gegeben hat! Wer führt solche Gewehre? Meines Wissens nur die Bande mit den Goldzähnen, aber die hat sich nach dem Tod ihres Anführers in alle Winde zerstreut!« »Wohl«, erklärte Vater Jeremias. »Aber sie ist wieder beisammen!« »Und das Scharfe Beil ist durch ein solches Geschoß getötet worden«, fügte Vater Jesaias hinzu. »Woher wißt Ihr das?« »Von einem Ogalala, mit dem wir gut Freund sind«, erklärte Hauptvater Habakuk »In der Nacht, bevor wir uns zu Euch auf den Weg machten, wurden zwei unserer Hütehunde erschossen, und Räuber holten sich ein paar Schafe. Wahrscheinlich, weil sie Proviant brauchten. Wir sahen sie nicht, doch wir fanden diese Hülse. Und wir wußten bereits, daß Scharfes Beil mit dem gleichen Kaliber ermordet worden war. Die Ogalala haben den Anführer gesehen, als er schoß.« »Es war der Mann, der auf den Ozeanen, in den Prärien und in den Bergen als ein Blutsäufer bekannt ist, der einstige Admiral namens Horry, das Ungeheuer mit den vergoldeten Zähnen, dem geteilten Barte, gepudert mit Goldstaub –« »Der Goldbart…?« rief Bill. »Hört, ihr Väter! Ist dies keine Täuschung? Meint ihr nicht, die Indianer könnten sich versehen haben? Denkt nach! Ihr wißt, sie sind abergläubisch, sie furchten sich vor Geistern! Und der Schreck über den Tod des Scharfen Beils könnte ihre Phantasie erhitzt haben! Der Goldbart ist tot…!« 76
»Er lebt«, sagte Vater Jeremias ruhig. »Er hat sich seinen Admiralshut aus dem Wigwam der Ogalala geholt, jenen alten, blauen Hut, den die Indianer als Beute bewahrten – und zum Zeichen dafür, daß er nicht mehr lebte. Ihm aber war es darum zu tun, den Ogalala das Gegenteil zu beweisen. Am hellen Tage stand er hohnlachend unter ihnen, brüstete sich mit höllischer Stimme, verbreitete Furcht und Entsetzen, und ehe sich die Indianer gefaßt hatten, erschoß er Scharfes Beil. Seine Banditen holten den Hut aus dem Zelt, und dann ritten sie allesamt davon. Die Geschichte ist nicht erfunden, glaubt mir, Sheriff, ich bin ein alter Mann, und ich habe dafür ein sicheres Gefühl.« »Sie werden sich im Teufelsgebirge versteckt halten«, überlegte Bill. »Oder sie haben sich wiederum getrennt, weil sie die Rache der Indianer fürchteten. Da fällt mir ein, daß der Vize-Inspektor Cunklehat in seiner dunklen Prophezeiung einen Hut erwähnte… und Kleines Beil sprach auf dem Krankenlager von dem Goldbart. Ich glaubte, er spräche wirr…« Bill blickte auf: »Entschuldigt mich, ihr Väter! Ich danke euch für die Warnung. Sie erklärt so manches. Ich werde schnell zum Haus des Richters reiten, um mit dem Kleinen Beil und seinem Unterführer Doppelfeder zu reden. Kickie bringt Euch zu essen und zu trinken. Und wenn ihr euch von dem langen Ritt ausruhen wollt, so geht ins Silberhotel. Weist den Wirt in meinem Namen an, euch Zimmer zu geben…« In der Halle des Hopkinsschen Hauses erwarteten den Sheriff einige Abgeordnete, auch Miß Jenny war da. Sie hatte den Schulunterricht ausfallen lassen. Im Rollstuhl am Fenster saß der gelähmte Richter. In der Mitte des Raumes stand wie eine Bildsäule der Sioux-Ogalala-Indianer Doppelfeder mit seinem Speer. Auch Potter war da. Er wirkte wie ein ausgestopfter Bär. Als er den Sheriff sah, kam Leben in ihn. »Bill!« rief er. »Hast du gehört? Doppelfeder behauptet, daß 77
der Goldbart lebt! Der Teufel, der voriges Jahr unsere Stadt in Brand gesteckt hat, der Mörder von Jennys Bruder…« »Hau!« bekräftigte Doppelfeder. »Ich sprach schon mit Kleinem Beil. Kleines Beil ist schwach in den Gliedern, aber stark im Geiste. Er hat nichts Falsches gesagt! Der grausamste Feind, den die roten Völker jemals hatten, ist nicht in den Feuerschlund der Erde gefahren, wie Ihr dachtet. Er lebt! Er mordet den alten Häuptling aller Häuptlinge, und wo immer er hinkommt, wird er Indianer töten, so, wie er es immer tat!« »Dein Mund bringt furchtbare Kunde«, erwiderte Sheriff Bill. »Und sollte der Verbrecher tatsächlich leben, so kann ich den Zorn des Häuptlings Wenuhan, der eiserne Blitze schießt, verstehen – denn der Goldbart nahm ihm einst die Zunge. Doch sollte auch Wenuhan die Befehle des Kleinen Beils befolgt haben, im Wigwam zu bleiben! Das Ungeheuer mit dem vergoldeten Barte zu fangen, ist Sache des Sheriffs!« »Nein«, sagte Doppelfeder. »Kleines Beil muß ihn töten, weil er seinen Vater getötet hat. Aber die anderen Häuptlinge glauben, sein Tod genüge nicht Sie sind ergrimmt über Euch, weil Ihr den Indianern seinen Hut schicktet und sagen ließet der Mann sei tot Sie glauben, Ihr habt ihn fliehen lassen, und geben Euch einen Teil der Schuld an der Ermordung des Scharfen Beils. Häuptling Wenuhan und Häuptling Weiße Leber halten Eure ganze Stadt für mitschuldig, weil sie das Ungeheuer schonte. Viele rote Krieger wünschen den Untergang von Devil's Point!« »Ein Trapper brachte mir damals die Nachricht, er habe den Goldbart mit seinem Pferd im Sumpf versinken sehen, und zum Zeichen dafür überließ er mir den Admiralshut des Verbrechers. Das war kerne List! Der Trapper hat nicht gelogen. Womöglich aber hat ein Fremder den Admiralshut getragen. Der Goldbart mag ihn auf der Flucht verloren und ein anderer mag ihn sich aufgesetzt haben. Der Trapper hat den Fremden im Sumpf ver78
sinken sehen und hat den Hut, der an der Oberfläche blieb, an sich genommen. Hier läge allenfalls ein Irrtum vor, aber es kann keine Rede davon sein, daß wir einen Verbrecher absichtlich schonten – noch dazu den, der so viele Weiße und rote Menschen betrogen und getötet hat!« Bill wandte sich an Miß Jenny. »Habt Ihr eine Leinwand und Malzeug im Hause?« »Ja«, sagte die junge Lehrerin. »Was wollt Ihr damit?« »Das werdet Ihr sehen. Ich brauche verschiedene Pinsel dazu, und die Leinwand muß mannshoch sein. Am besten ist ein Fetzen eines weißen Planwagendaches oder ähnlich grober Stoff!« Jenny wies den Halbindianer Cachute an, in den Ställen nach einer solchen Plane zu forschen; der Tischler Mockleton ging mit, um den Stoff auf einen Rahmen zu schlagen. Inzwischen trat Sheriff Bill mit Doppelfeder, Potter und Doktor Knox an das Krankenbett des Kleinen Beils. »Wie geht es dem Häuptling aller Häuptlinge?« fragte Bill. »So gut, daß er auf dem Rücken seines Ponys über die Prärie und durch die Wälder fliegen will, um die ungehorsamen Indianer zu züchtigen«, erwiderte Kleines Beil. »Aber Charlie weicht nicht von meiner Seite, und er schwört, er bringt sich um, wenn ich aufstehe! Hast du mit Doppelfeder gesprochen, Onkel Bill – und glaubst du nun, daß ich nicht im Fieber geredet habe? Der Goldbart lebt! Und ich wollte ihn fangen und töten – auch, um neues Unheil von deiner Stadt zu wenden!« »Den Goldbart zu fangen, ist Aufgabe des Sheriffs«, erklärte Bill. »Vorher aber möchte ich Doppelfeders Gedächtnis prüfen. Er mag bei dir bleiben, bis ich ihn in die Halle rufe!«
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Der Goldbart lebt Bill ging wieder hinaus und wartete abseits der miteinander flüsternden Abgeordneten, bis die gewünschte Leinwand gebracht wurde. Er ließ sie am Fenster gegen das Licht stellen, so daß niemand sehen konnte, was er malte. Nach etwa zwanzig Minuten warf er die Pinsel in einen Topf, wischte sich die Hände ab und sagte: »So! Ruft Doppelfeder. Und dann, Gendemen, seht her, wen das Bild darstellen soll!« Mit diesen Worten drehte er es um, aber so, daß es immer noch gut beleuchtet war. »Hau!« tönte der Entsetzensschrei des Indianers Doppelfeder. Im nächsten Moment flog sein Speer durch die Luft und durchbohrte das Bild. Die in der Halle Versammelten schwiegen eine Weile vor Schreck, aber nicht nur, weil Doppelfeder den Speer geworfen hatte. Das Bild genügte, um jedem einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen. »Bill«, hörte man Potters bebende Stimme. »Bill, wie hast du das gemacht? Junge… du kannst wirklich zaubern!« Die in krassen Farben und mit harten Konturen verfertigte Olskizze stellte jenen Goldbart dar, den blut- und geldgiengsten Verbrecher, den der wilde Westen je gesehen hatte. Einst war er Admiral gewesen, der verwegene Admiral Horry, dann hatte er als Pirat die Meere unsicher gemacht, und schließlich, nach einer Begnadigung, war er raubend und brandschatzend mit der Bande der Goldboys durch die endegensten Gebiete des Landes gezogen. Em Eroberer ohne Gnade… ein übermenschliches Ungeheuer. 80
»Ist das der, der Scharfes Beil getötet hat und den wir seit einem Jahr im Jenseits wähnten? Mäßige deinen Zorn, Doppelfeder, und sieh ihn dir gut an!« Voller Abscheu trat Doppelfeder näher. Auch die anderen kamen heran und drängten sich mit widerwilligem Staunen vor dem Bild. Der Mann, den Bill gemalt hatte, wirkte mager und starkknochig. Im Verhältnis zu dem Sharps-Gewehr, dessen Lauf er mit der rechten Hand gepackt hielt, wirkte er unwahrscheinlich groß. Er trug einen altmodischen Admiralshut, einen reichverzierten, langen Admiralsrock und rote Zuavenhosen, wie sie in der französischen Kolonialarmee in Afrika üblich waren. Der Anzug wirkte jedoch alles andere als komisch, vor allem auf die Betrachter. Denn furchtbar war der Gesichtsausdruck des Abgebildeten. Bill hatte das kalte, gnadenlose Glitzern in den Krokodilsaugen hervorragend getroffen. Und der seltsame Bart, der dem Scheusal wie eine geteilte Gardine von den Schläfen und den Wangen bis über das Kinn herabhing, war von unnatürlichem Gelb, ebenso wie die gebleckten Zähne in dem halbgeöffneten, schauderhaften Mund. In Wirklichkeit trug dieser Blutsäufer ein vergoldetes Gebiß und einen goldstaubgepuderten Bart. In Ermangelung von Goldfarbe hatte Bill ein schreiendes Gelb verwendet, auch, um das Typische besonders hervorzuheben. »Das ist er«, rief Doppelfeder. »Hau, hau! Unter allen Tieren und Menschen gibt es kein zweites Lebewesen, das so aussieht!« »Es könnte sich einer verkleidet haben, um die Rolle des Toten zu spielen«, meinte Bill. »Denke genau nach, Doppelfeder!« Der Indianer schüttelte den Kopf. »Wohl kann einer so einen Rock tragen – er kann sich Gold in den Mund und Gold an den Bart tun«, erklärte er, »und er braucht darum längst nicht der Verbrecher zu sein. Aber es kann ein anderer nicht die Augen 81
dieses Teufels haben, so, wie mein Bruder Bill sie gezaubert hat!« In die folgende Stille hinein sagte der Richter: »Dann bleibt wohl kein Zweifel! Der Goldbart lebt!« »Hau«, bekräftigte Doppelfeder. »Und Häuptling Wenuhan und Häuptling Weiße Leber – wie auch Häuptling Patala und Häuptling Ashalde – wollen dich haben, Bill, weil du ihn leben ließest!« »Gut«, sagte der Sheriff. »So höre denn, Doppelfeder! Sie sollen mich haben –« »Bill!« rief Jenny Hopkins entsetzt. »Was redet Ihr da? Ihr wollt Euch doch nicht opfern?« »Ich bin nicht Burton Spike oder Leutnant Mac Elroy«, erwiderte Sheriff Bill gelassen. »Mein Beruf ist, die Stadt zu schützen, und was ich dafür hingebe, ist meine Sache. Hier, Doppelfeder… nimm meinen Sheriffstern. Er besitzt Zauberkraft. Der, der ihn trägt, darf nicht aus Rache töten. Gib ihn Häuptling Wenuhan zum Zeichen dafür, daß ich es ehrlich meine! Denn der Stern verleiht auch große Macht, und wer ihn sich ansteckt, ist unangreifbar! Unter dem Schutz dieses Sterns sollen alle Häuptlinge auf die Weide dort draußen kommen, um mit mir zu sprechen, und sie mögen entscheiden, ob sie mich gefangennehmen wollen – oder ob sie meinem Schwur trauen, den Goldbart an den Galgen zu bringen…« Vier Tage später waren die Häuptlinge auf den Weiden von Devil's Point versammelt: Häuptling Dreifacher-Donner-der-hinter-den-Wolken-wohnt, Häuptling Gespaltener Speer, Häuptling Louis, Häuptling Dreihorn, Häuptling Abraham, Häuptling Schnelle Zehe – sowie der Häuptling Zwillingsbär, Fliegendes Messer, Ashakie, Siomon, Hagelschlag, Weiße Leber und Patala. Vor ihnen aber stand, der furchterregende Wenuhan von den Comacs mit den Eisenpfeilen. Er war es, dem der Goldbart einst die Zunge genommen hatte, und er trug an seiner Kriegsschärpe 82
den Stern von Sheriff Bill. Begleitet von Potter schritt Bill auf die wartenden Häuptlinge zu; hinter ihnen, zu Pferde, sah er etwa ein Dutzend roter Krieger, die die Tiere der Ankömmlinge hielten. »Setzt euch, ihr Könige«, begann der Sheriff feierlich. »Kleines Beil, euer Großkönig, ist im Wigwam des Richters geblieben. Er wird mit euch sprechen, wenn ich euch alles gesagt habe.« Schweigend nahmen die Indianer mit ihm und Potter im Grase Platz. Dreifacher-Donner-der-hinter-den-Wolken-wohnt reichte eine lange Pfeife herum, aus der jeder einen Zug tat. Das galt als ein Zeichen, daß die Häuptlinge zum Verhandeln gewillt waren. Erst nach dem Palaver – und nur, wenn es gut ausgegangen sein würde – galt die Pfeife als Symbol des Friedens. »Es freut mich besonders, den Häuptling der eisernen Blitze hier zu sehen«, fuhr Bill fort, »wenngleich uns Wenuhan Trauer und Schmerz bereitet hat. Ein Holzfäller wurde von einem seiner Pfeilschürzen getötet.« »Scharfes Beil ist von einem Weißen getötet worden«, ließ der stumme Wenuhan durch seinen Dolmetscher erwidern. »Aber nicht von dem Holzfäller«, erklärte Bill. »Meine roten Brüder müssen lernen, daß man Schuld nicht an Unschuldigen rächt – so, wie es auch viele meiner weißen Brüder lernen müssen!« »Hau!« bekräftigte Dreifacher-Donner-der-hinter-den-Wolkenwohnt, »Sheriff Bill verteilt seine Gedanken gut. Aber wie steht es mit seinen Taten? Er hatte im vergangenen Mond des Grünen Grases Zeit genug, den Goldbart zu hängen, statt dessen ließ er ihn fliehen!« Ruhig sagte Bill: »Der Goldbart floh, nachdem er und seine Bande Devil's Point in Brand gesteckt hatten. Wir mußten Frauen und Kinder aus den Flammen holen und retten, was zu retten war. Wir konnten den Goldbart nicht gleich verfolgen, 83
und als wir es wollten, kam uns ein Trapper mit der Nachricht zuvor, daß der Verbrecher im Sumpf versunken sei. Und so, wie er es schilderte, konnte kein Zweifel bleiben. Auch brachte er zum Beweis den Admiralshut, den ich den Ogalala als Trophäe gab. Das ist die Wahrheit, die ich beim guten Manitu beschwören kann. Ist einer von euch da, der behaupten könnte, Sheriff Bill hätte jemals gelogen?« Die Indianer schwiegen. »Ist einer von euch da, der behaupten könnte, Sheriff Bill liebe seine roten Brüder weniger als sich selbst?« Die Indianer schwiegen. »Ist einer von euch da, der bestreiten will, daß Sheriff Bill sich stets beim Großen Weißen Vater, dem Präsidenten in Washington, für euch eingesetzt hat? Für eure Gebietsrechte, für eure Jagdrechte, für eure Rechte an der Fischerei?« »Aber andere Weiße haben uns diese Rechte oft streitig gemacht«, sagte Häuptling Abraham. »Und mancher Offizier der Blauröcke sieht uns immer noch als eine Herde von Tieren an!« »Was niemanden so schmerzt wie mich«, erklärte Bill. »Ich war auch ein Blaurock-Offizier, aber ich habe euch m dieser Eigenschaft den Frieden gebracht. Einige von euch würden nicht hier sitzen, wenn ich nicht gewesen wäre!« »Hau, hau, so ist es!« rief Häuptling Patala. »Aber«, nahm Häuptling Weiße Leber das Wort, »alles hat Zeit, und auch die Sonne sinkt am Abend, so daß es finster wird. Die Sterne ziehen herauf, und sie verblassen. Du bist unser Heller Stern gewesen, der über unseren Köpfen strahlte, nun aber steht riesengroß der Goldbart vor unseren Augen, und wir sehen dich nicht mehr!« »Wir sehen dich nicht mehr…« murmelten die anderen. Bill wandte sich an Potter. »Hole Kleines Beil, Alter. Und bring 84
das Bild mit, aber trag es so, daß man es zunächst nicht erkennt!« »Was hast du vor?« fragte Häuptling Ashakie. »Das wirst du sehen. Alle werden es sehen. Und wenn mein Zauber euch nicht überzeugt, so darf Wenuhan mich mitnehmen und von seinen Eisenpfeilen durchbohren lassen!« »Hau, hau!« rief Dreifacher-Donner-der-hinter-den-Wolkenwohnt, »mein weißer Bruder scherzt!« »Ich scherze nicht mit Häuptling Wenuhan«, erwiderte Bill. »Ich wollte, ich könnte ihm meine Sprache geben, damit er wieder reden kann.« Die Häuptlinge murmelten beifällig. »Da kommt Kleines Beil«, sagte der Sheriff. »Erhebt euch, wie ich mich erheben werde, denn Kleines Beil ist jetzt der Häuptling aller Häuptlinge, und euer Ungehorsam hat ihn erzürnt.« Die Indianer standen nacheinander langsam auf, sie taten es recht widerwillig. Nach fast sechs Tagen äußerster Ruhe war Kleines Beil wieder einigermaßen bei Kräften. »Wir dachten, der neue Häuptling aller Häuptlinge verfolge den Goldbart, statt dessen finden wir ihn hier in Devil's Point unter den weißen Weibern und Kindern!« rief Dreifacher-Donner-der-hinter-den-Wolken-wohnt mißbilligend. »Kleines Beil stürzte und wurde von wilden Hunden angefallen«, sagte der Sheriff schnell. »Zufällig fanden wir ihn und pflegten ihn gesund.« »Ja«, sagte der junge Indianer. Er begriff, daß Bill den Zorn der Häuptlinge nicht auf die Blauröcke richten wollte. »Aber nicht du hast zu fragen, Dreifacher Donner, sondern ich. Ich frage euch, warum ihr meinen Befehlen nicht gefolgt seid!« »Weil es uns nicht genügte, dich auf der Fährte zu wissen«, erklärte Weiße Leber. »Der Tod des Scharfen Beils ist eine große, 85
blutige Untat, die große, blutige Taten fordert! Wir meinen, daß Scharfes Beil viele Seelen hatte und daß deshalb viele Seelen für seinen Tod büßen müssen! Auch war er der Häuptling aller Häuptlinge, und so verlangen wir für ihn das Leben des Sheriffs aller Sheriffs!« »Der ein Bruder des Scharfen Beils war!« rief Kleines Beil. »Meint ihr, Scharfes Beil würde das gutheißen? Blitz und Donner würde er aus den ewigen Jagdgründen auf euch herabschicken! Ihr sprecht wie Kinder, die nicht hören können und denen nie etwas genügt!« »Gib das Bild her«, sagte Bill zu Potter. »Seht, meine Brüder!« und er drehte es so, daß alle Häuptlinge es sehen konnten. Die Stelle, durch die Doppelfeders Speer gefahren war, hatte Bill geflickt und übermalt. Die mannshohe Ölskizze wirkte in der grellen Mittagssonne schauderhaft. »Hau, hau!« rief Weiße Leber. Mit abwehrenden Gebärden wichen die Indianer zurück. »Das ist mein Zauber!« rief der Sheriff. »Ich habe die Seele des Blutsäufers Goldbart eingefangen, wie ihr an den Augen auf diesem Bild erkennt! Und wenn ich das gekonnt habe, so kann ich erst recht seinen Leib fangen!« Häuptling Ashakie bedeckte sein Gesicht mit den Händen, und der Häuptling Abraham sank sogar in die Knie. Häuptling Patala rief: »Fort mit dem Zauber! Ich fühle den Blick des Blutsäufers in meinem Herzen!« Bill wandte sich an Wenuhan: »Glaubst du nun, daß ich den Goldbart fangen werde? Ich gebe dir dies Bild, denn du hast keine Angst vor dem Zauber. Du wirst es immer ansehen, jeden Tag, und du wirst zu dir selber sprechen: Das ist er, der schreckliche Goldbart, den Sheriff Bill für uns jagt! Ehe der Mond der knackenden Äste kommt, Wenuhan, werde ich dir den vergolde86
ten Bart des Ungeheuers bringen!« »Hau, hau!« riefen die Häuptlinge beeindruckt. »Hau, hau, hau!« »Und Wenuhan«, fuhr Bill fort. »Du kannst mit deinen eisernen Pfeilen auf das Bild schießen lassen, wenn deine Männer es wollen! Dann ist es schnell vernichtet, aber es mag ein Zeichen des Triumphes für euch sein.« Wenuhan sprang vor und riß das Bild an sich. Sein Gesicht drückte grimmige Freude aus. Er nahm den Sheriffstern von seiner Schärpe und gab ihn Bill zurück Das war eine Geste der Einigung. Potter schnaufte erleichtert. »Ihr reitet zurück in eure Wigwams, und wir kommen erst wieder zusammen, wenn Sheriff Bill den Goldbart gefangen hat!« sagte Kleines Beil. »Ich vertraue ihm, und seine Kräfte sind stärker als die eines jeden weißen oder roten Mannes in der Prärie! Und falls er vor dem Mond der knackenden Äste kein Glück hat, will ich die große Adlerhaube nicht tragen! Dann soll das Los entscheiden, ob sie Wenuhan oder Patala oder Weiße Leber oder ein anderer von euch bekommt! Dann soll ein anderer der Häuptling aller Häuptlinge sein!« Die Häuptlinge standen erschüttert Staunen und Ehrerbietung malte sich in ihren Gesichtern. Und Häuptling Louis drückte aus, was alle dachten: »Hau! So soll es sein…!«
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Warum trinken die Tiere nicht? Devil's Point konnte aufatmen. Sheriff Bill hatte den »Indianerschreck« gebannt, die Häuptlinge waren abgezogen, und nach Tagen meldeten Scouts und Trapper, daß die in den Bergen, den Wäldern, Sumpfgebieten und Pränesenken verborgen gewesenen Streitkräfte der einzelnen Völker die Kriegsfarben abgelegt hätten und sich wieder auf dem Marsch zu ihren Wigwams befanden. Aber nun hielt es auch Kleines Beil nicht länger in der Stadt. »Ich bin wieder kräftig genug«, erklärte er. »Es zieht mich zu meinem Volk an den Klaren Fluß in die Schwarzen Wälder, wohin mir Doppelfeder vorausgeritten ist. Ich muß hören und sehen, was bei den Indianern geschieht, damit es nicht wieder zu Ungehorsam und neuen Gefahren kommt. Mein Onkel Bill wird den Blaurock Mac Elroy strafen – und er wird den grausamen Goldbart jagen, so, wie er es geschworen hat!« »Das werde ich«, sagte Sheriff Bill. »Bevor der Mond der knackendenÄste und des klirrenden Eises da ist, sollst du im Besitz der vergoldeten Barthälfte des Ungeheuers sein. Die große Adlerhaube wird dir bleiben, und sie wird niemals den Kopf eines Häuptlings von einem anderen Stamme zieren!« »Hau!« strahlte Kleines Beil, »hau, hau! So wird es ein frohes Wiedersehen geben!« Bevor Bill aber dazu kam, die Zusammenstellung und Ausrüstung eines Aufgebots gegen den Verbrecher Goldbart sorgfältig und planmäßig vorzunehmen, setzte der Monat Juni mit einer Düne ein, wie sie kein Devil's Pointer Einwohner – und sei es der 88
hundertjährige Silberschmied Cole Harding – je erlebt hatte. In Bills Büro erschien eines Morgens der Vormann der Cowboys. Er schwenkte den Hut, wischte sich den Schweiß von der Stirn und keuchte: »Sheriff, das Vieh krepiert. Da muß der Teufel im Spiel sein, meine Männer wissen keinen Rat mehr!« In diesem Augenblick kam Potter hereingestampft. »Ho, Jungens«, stöhnte er. »Nur gut, daß ich meinen Bart habe, der kühlt wenigstens das halbe Gesicht und die Brust – er hält mich immer ein bißchen im Schatten. He, was ist los? Ihr seht aus, als hättet ihr Durst? Keine Bange, Charlie bringt 'nen Krug Wasser mit 'nem Schuß Whisky drin!« Wie aufs Stichwort brachte der Junge das Gewünschte, aber er ging nicht wieder, sondern blickte neugierig auf den Cowboy. »Stimmt es, was man da von den Rindern erzählt?« fragte er. Der Cowboy stellte Potters Glas hin, aus dem er getrunken hatte. Ja«, schnaufte er. »Sie weigern sich, zu saufen. Einige stehen regelrecht verdurstend im Silberfluß, die Mäuler fast im Wasser – aber sie saufen nicht. Und aus dem Soldatenlager hörte ich dasselbe, Mac Elroys Pferde kann man in den Fluß jagen -doch sie verschmachten lieber, als zu trinken.« »Wenn ich ein Pferd von Leutnant Mac Elroy wäre, ich würde auch nicht saufen«, brummte Potter. »Die Biester müssen krank sein!« »Mir scheint, sie sind sogar sehr gesund«, meinte der Sheriff ernst »Was machen denn die Schafe?« »Das gleiche«, meldete der Cowboy. »Sie lassen sich lieber totschlagen, als ihre Zunge ins Wasser zu hängen!« »Aha!« Bill erhob sich und ging nachdenklich auf und ab. »Also scheint im Flußwasser etwas zu sein, was die Tiere nicht mögen. Es ist ein sicherer Instinkt der sie davon abhält, zu saufen. Möglicherweise sind Abwässer aus dem Silberbergwerk 89
hineingelangt!« »Ob der Schichtmeister Burton Spike dahintersteckt?« mutmaßte Charlie. »Ausgeschlossen«, sagte Bill. »Die Macht hätte er denn doch nicht die Ingenieure zu einem Verbrechen zu veranlassen. Wasserverseuchung und Brunnenvergiftung sind in Dürrezeiten Kapitalvergehen.« »Ich hab' auch schon mit Chefingenieur Hank Rathermore gesprachen«, erklärte der Cowboy. »Alle giftigen Stoffe gehen nach wie vor in besondere Kanäle und Bassins. Da ist alles in Ordnung.« »Und das Trinkwasser für Menschen ist auch nicht verseucht«, überlegte Potter. Jedenfalls hab' ich noch nichts gehört. Es gibt genug Quellen im Wald – und Brunnen, die aus diesen Quellen gespeist werden.« »Aber fast alles Vieh, von dem sich die Bürger ernähren, wird im Fluß getränkt«, wandte der Cowboy ein. »Wenn das Vieh in Mengen krepiert, hungern die Menschen, es kann nicht alles auf dem Huf notgeschlachtet werden, nicht alles auf einmal!« (»Auf dem Huf schlachten« nennen die Cowboys das Schlachten von Tieren an Ort und Stelle, auf der Weide – im Gegensatz zum ordnungsgemäßen Schlachten und Verarbeiten des Fleisches im eigens dafür eingerichteten Metzgerhaus.) Während sie noch berieten, entstand draußen auf dem Markt Unruhe. Man hörte Pferdegetrappel und Schüsse. »Viehzüchter«, meldete Potter vom Fenster her. »Sie gebärden sich, als hätten sie von dem verseuchten Wasser gesoffen! Einige schießen mit ihren Colts in die Luft!« »Dacht' ich mir's«, murmelte der Cowboy. »Die Leute sind seit Tagen überreizt. Erst die Geschichte mit den Indianern – und jetzt die Dürre und die Angst um das Vieh! Einige haben sich schon gestern abend zusammengerottet, aber es gelang mir, sie 90
auseinanderzutreiben.« »Ich schätze, das wird mir jetzt auch gelingen«, sagte Bill. Begleitet von Potter, Charlie und dem Cowboy trat er auf den Marktplatz hinaus. Wildes Geschrei begrüßte ihn. Ein magerer, langnasiger Schafzüchter sprang auf den Brunnenrand. »Seht!« schrie er. »Da kommt unser wackerer Sheriff! Er läßt es zu, daß unsere Schafe, Rinder und Pferde krepieren! Ihn geht das ja auch nichts an! Er sitzt im Büro und säuft Schnaps! Schön im Kühlen sitzt er, steckt seinen Rüssel nich' raus in die Hitze!« »Das ist Markie Shute – auch so ein übler Schreihals«, grollte Potter. »Ausgerechnet der reißt seine Klappe auf, wo doch seine Schafe immer aussehn, als wär'n sie am Verhungern und Verdursten!« »Aber sein eigenes Pferdchen«, führ Markie Shute kreischend fort, »wird fein versorgt! 's kriegt Quellwasser – und 's is' allemal so gut im Fell, daß sich einer darin spiegeln kann! Ja, Leute, der Sheriff wird seinen Gaul nich' im Fluß saufen lassen!« »Aber dich werd' ich im Fluß saufen lassen, Shute!« donnerte Bills Stimme über den Platz. »Deinen Rüssel werd' ich eigenhändig ins Wasser tauchen, wenn du nicht gleich da herunterkommst!« »Leute!« sehne der Schafzüchter. »Er will mir das Maul stopfen, er will die Wahrheit nicht hören! Er will nicht, daß ihr die Wahrheit erfahrt…!« »Welche Wahrheit?« fragte Bill. Er schritt durch die zurückweichende Menge. »Welche Wahrheit hättest du zu verkünden? Da bin ich denn doch neugierig…!« »Daß Ihr schuld an der Flußverseuchung seid!« rief Markie Shute mit überkippender Stimme. »Ihr habt die Rothäute laufenlassen, statt sie Leutnant Mac Elroy zu übergeben!« 91
»Was redet er da…?« wunderte sich Potter. »Ich weiß, was ich sage!« schrie der Schafzüchter. »Die Indianer haben den Fluß verseucht! Sheriff Bill hat sie laufenlassen, und jetzt streuen sie Gift in unser Wasser!« »So ist es!« ertönte es aus der Menge. »Die Indianer vergiften den Fluß… Die haben Mittel, die keiner kennt…!« »Und die Markie Shute erst recht nicht kennt!« rief Bill. »Mir scheint, sein Gehirn ist vergiftet, daß er es wagt, euch solchen Unsinn zu erzählen!« »Hört ihn!« keifte der Schafzüchter. »Er will nur die Schuld von sich abwälzen! Nur, weil er die Indianer laufenließ…« Weiter kam er nicht Sheriff Bill sprang auf den Brunnenrand und versetzte Markie Shute einen Kinnhaken. »Wer es wagt«, rief Bill mit mächtiger Stimme, »die Indianer der Wasserverseuchung anzuklagen, ohne mir Beweise zu bringen, der kriegt es mit meinen Fäusten zu tun. Dieser Schafzüchter macht euch alle zu Schafen, wenn ihr seinen Worten Glauben schenkt! Ihr werdet wohl auch noch behaupten wollen, euer Sheriff sei an der Düne schuld? Düne bedeutet Standrecht, Leute! Macht euch aus dem Staube! Bleibt besonnen und hört auf kein Gerücht! Ich werde den Doktor holen und mit ihm das Wasser prüfen!« Die Leute schwiegen – teils verschreckt, teils beschämt. Zwei Männer hoben Markie Shute auf und schleppten ihn ins Silberhotel. »Nimm dein Pferd, Charlie«, befahl Bill, »reite zu Doktor Knox. Er soll sofort zum Silberfluß fahren, wir treffen uns oberhalb der Sägemühle…« Bill war mit Potter bereits am Ufer, als Doktor Knox mit seinem Zweispänner gefahren kam. Charlie, der ihn geholt hatte, ritt an seiner Seite. »Hallo, Doktor«, sagte Bill. »Dauernd brauch' ich Euch! Dies92
mal gibt's keinen Indianer zu verarzten, aber mir scheint, die Sache ist kaum weniger schlimm… sie könnte ebenfalls Unheil heraufbeschwören!« »Wenn an Gefahren so viel Mangel herrschte wie augenbliclich an Feuchtigkeit, wäre ich froh«, erwiderte Doktor Knox. »Hab' schon gehört, was los ist…« Er stieg aus der Kutsche und blickte sich um: »Tja, die Rinder liegen stumpfsinnig glotzend herum… Sie leiden Wassermangel, das sieht man. Und da steht ein Ochse im Wasser, aber er kühlt sich nur… er würde eher verrecken, als zu saufen…« »Worauf deutet das hin?« fragte Bill gespannt. »Das dürftet Ihr selber wissen, Sheriff«, erwiderte der Arzt. »Diese Erscheinung trifft man überall da an, wo Erze im Großabbau gewonnen werden. Bestimmte, aus den Felsen gespülte Stoffe geben dem Wasser einen für die Tiere ungewohnten Geschmack. Es mag unglaubhaft klingen, aber ihr Instinkt warnt sie vor einer Verätzung, ehe die Menschen auch nur den leisesten Geruch wahrnehmen.« Bill nickte. »Ihr habt recht, Doktor, ich habe so etwas schon gesehen. Aber hier, in Devil's Point? Der Vormann der Cowboys sagte, er habe mit Hank Rathermore gesprochen, im Silberbergwerk sei alles in Ordnung…« Doktor Knox und der Sheriff blickten einander lange an. Schließlich fragte der Arzt: »Wie war das mit dem Verbrecher Goldbart, der die Indianer in solche Unruhe versetzte… und der im vorigen Jahr unser Silber mit lumpigen Goldaktien kaufen wollte? Sprach er nicht davon, daß er irgendwo in den Bergen eine Goldmine besäße? Wir hielten das alle für Betrug…« »Hm. Es braucht aber keiner gewesen zu sein. Möglicherweise ist seine Mine nur unrentabel, er holt nicht viel heraus, und deshalb wollte er unser fundiges Silberbergwerk haben…« Bill blickte nach Westen, wo der Gebirgszug der Rocky Mountains 93
zum Himmel ragte. »Unter Nutzung eines Wasserfalls kann er auf gut Glück noch immer den Abbau betreiben, ob nun etwas dabei herauskommt oder nicht, und vielleicht…« Er schwieg. »Vielleicht…?« fragte Potter entsetzt. »Bill, ich bin dumm, aber so viel weiß ich! Der Goldbart wollte unsere Stadt aufkaufen! Als ihm das nicht gelang, steckte er sie in Brand. Jetztverbreitet er Schrecken und Unruhe in den Wäldern und verseucht unser Wasser… Er will uns.. . dammich… er will uns verwirren und zermürben…« »Viele Städte im Wilden Westen sind von ihren Einwohnern verlassen worden, wenn die Bevölkerung in Panik geriet oder von Mutlosigkeit gepackt wurde«, murmelte Doktor Knox. »Niemand weiß das besser als ich«, sagte Sheriff Bill fest. »Uberall in den Bergen, Wäldern und Prärien gibt es solche verlassene Orte, die einst blühten und gediehen. Jetzt nennt man sie die ›Geisterstädte‹.« Er dämpfte die Summe, denn zwei Cowboys waren neugieng näher gekommen. »Das sage ich Euch, Doktor -Devil's Point soll keine Geisterstadt werden!« »Gewiß nicht!« rief Potter laut »Ob nun der Goldbart dahintersteckt oder nicht!« »Still, Potter!« warnte Charlie. Aber die Cowboys hatten seine Worte schon gehört. »Das ist ärgerlich«, sagte Bill stirnrunzelnd. »Wir sollten fortan sehr darauf achten, wo und vor wem wir unsere Vermutungen äußern!« »Da Ihr gerade von ›ärgerlich‹ sprecht« – Doktor Knox blickte am Ufer entlang nach Osten. »Dort kommen zwei Soldaten!« Trotz der Hitze fegten die blauen Reiter im Galopp heran, so daß der Staub unter den Hufen ihrer Pferde hoch aufwirbelte. Vor dem Sheriff parierten sie ihre Tiere. »Sheriff William S. Franklin, genannt Sheriff Bill?« fragte der eine, auf Bills Stern an der Weste blickend. Es war ein junger, schlanker Leutnant mit 94
ausdruckslosem Gesicht. Der andere war Sergeant Muff. Ja?« fragte Bill. »Was wollt Ihr?« »Ich bin Leutnant Harper, Kurier aus Fort Cropton. Mich sendet Oberst Hintz. Ihr hattet Leutnant Mac Elroy Arrest in seinem Zelt gegeben?« »Aus gutem Grund«, erwiderte Bill. »Ihr kommt mir zuvor, Leutnant. Ich wollte längst einen Melder schicken, doch die Ereignisse hinderten mich daran. Mac Elroy gehört nicht nur in sein Camp, er gehört ins Fort, und zwar ins Festungsgefängnis!« »Oberst Hintz ist mcht dieser Meinung«, sagte der Kuner. »Ich habe die Verhältnisse geprüft und finde, daß Mac Elroy ein sehr geeigneter Offizier ist. Nach den beobachteten Tatsachen hat er die Indianergefahr richtig erkannt« Der Sheriff lachte. »Und gebannt hat er sie wohl auch, wie? Er hat den Häuptling aller Häuptlinge in Ketten legen lassen, wißt Ihr, was das bedeutet?« »Und für einen Häuptling ist der amerikanische Präsident oft auch nur ein gewöhnlicher weißer Mann«, erklärte Doktor Knox. »Ihr seid wohl nicht lange hier, Leutnant?« »Ich bin jedenfalls lange genug Soldat, um meine Opfer zu kennen«, sagte Harper kalt. Er wandte sich an Sheriff Bill: »Oberst Hintz hat Nachricht durch unsere Scouts, daß Indianerbewegungen im Gange sind, außerdem schickte uns Mac Elroy einen Boten. Dieser sagte, Ihr hättet Leutnant Mac Elroy an militärischen Maßnahmen fortwährend gehindert, ihn mehrfach beleidigt, sogar tätlich angegriffen und schließlich in Arrest geschickt!« »Militärische Maßnahmen!« schnaufte Potter. »Er hat sich aufgeführt wie ein Bandit!« »Schweigt, Mann!« befahl der Kurier. »Ihr seid nicht gefragt! Rasiert Euch gefälligst erst, bevor Ihr mit mir zu sprechen wagt!« »Bürschchen«, sagte der Sheriff ruhig, »Ihr habt hier nichts zu 95
befehlen, versteht Ihr? Ich wäre sonst versucht, Euch die Kehrseite mit einer Reitgerte zu versohlen!« »Das genügt mir«, erwiderte Leutnant Harper eisig. »Ihr seid genau so, wie Mac Elroy mir Euch beschneb!« »Und Ihr«, lächelte der Doktor, »seid etwa so wie Leutnant Mac Elroy!« »Das möchte ich nicht hoffen«, meinte Sheriff Bill. »Das möchte ich nicht hoffen! Reitet nach Fort Cropton, Leutnant! Und sagt dem Oberst Hintz, den ich nicht kenne: Er soll sich die Akte Mac Elroys ansehen, und er soll mein Erstaunen darüber zur Kenntnis nehmen, daß mir dieser Mann überhaupt noch einmal geschickt wurde! Endlich verlange ich die sofortige Ablösung Mac Elroys! Sobald es mein Dienst zuläßt, werde ich selber kommen, um meine Beschuldigungen vorzubringen!« »Der Oberst hat mich im Gegenteil beauftragt, Mac Elroy, wenn nötig, größere Vollmacht zu geben. Und es ist nötig, Sheriff!« »Wieso?« »Weil die Indianer den Fluß verseucht haben, um Vieh und Pferde zu töten! Jene Indianer, die Ihr laufenließet!« Jetzt verschanzt sich der gewissenlose Mac Elroy auch schon hinter diesem Unsinn!« sagte Bill. »Hört, Leutnant, unser Vieh verantworte ich, und was die Stadt betrifft, so kläre ich die Ursachen der Flußverschmutzung. Mac Elroy mag seine Pferde in den Tatatora-Bergen tränken, da fließen Quellen genug! Auch die Bahnarbeiter mögen ihre Tiere dorthin treiben! Ich verbiete Euch, dem Oberst Hintz eine unsinnige Annahme als Tatsache zu melden!« »Ich melde, was ich will, und Mac Elroy bleibt hier!« erklärte der Kurier. Er wendete sein Pferd und ritt, gefolgt von dem grinsenden Sergeanten, in einer Staubwolke davon. »So, Charlie«, sagte Bill ernst. Jetzt mußt du wieder einmal zei96
gen, was du kannst! Du reitest als Melder zum Oberkommandierenden ›Nordwest-Präne‹, Generalmaior Hope, nach Fort St. Maline. Hope ist ein alter Freund von mir. Ich gebe dir eine Botschaft mit! Es muß verhindert werden, daß Mac Elroy, dieser dumme Kurier und dieser mir unbekannte Oberst die ganze Armee verrückt machen! Am Ende schwärmen die Blauröcke aus sämtlichen Festungen gegen die Indianer… und dann geschieht schließlich doch, was ich verhindern wollte!« Charlies Augen blitzten. »Das nenn' ich einen Auftrag, Sir! Wann soll ich reiten?« »Gleich nachmittags – sobald du die Ausrüstung beisammen hast und wenn ich die Meldung geschrieben habe. General Hope muß mir einen Oberst und ein paar Männer als Beobachter schicken. Aber sie sollen unbemerkt kommen, damit Mac Elroy keine Zeit hat, sich auf ihr Erscheinen vorzubereiten!«
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Potter weint um den Sheriff Sheriff Bill tat, was er konnte. Er befahl, eine große Anzahl von Rindern notzuschlachten, bevor sie krepierten. Das Fleisch mußte geräuchert oder eingepökelt werden. Die Holzfäller legten lange Wasserrinnen von den Waldhängen bis auf die Weiden, damit das Vieh aus sauberen Quellen getränkt werden konnte. Die Schafe wurden die Hänge emporgetrieben – überall dahin, wo auch nur das spärlichste Rinnsal floß. Und was floß bei der schrecklichen Düne nicht spärllch! Nicht nur die Züchter und Farmer wurden unruhig, auch die Stadtbewohner sahen immer besorgter zum glühenden Himmel. Und als der Sheriff einen Befehl zur Rationierung des Trinkwassers erließ, kam es hier und da zu offenem Aufstand. Die meisten Leute – und wie immer betanden sich die Unvernünftigen in der Mehrzahl – machten nicht die Natur für den Zustand verantwortlich, sondern den Sheriff. Die unsinnigsten Vorwürfe wurden laut: »Hätten die Indianer den Fluß nicht verseucht, so brauchte uns das Vieh jetzt nicht das Quellwasser wegzusaufen!« Oder: »Für die Indianer ist er wie ein Vater, aber unsere Kinder läßt er verdursten!« Und, natürlich, meldeten sich auch die Abergläubischen: Einmal meinten sie, indianische Medizinmänner hätten die Stadt mit einem Fluch belegt – ein andermal, der furchtbare Goldbart gehe als Geist durch Devil's Point, und jeder, den er berühre, müsse sterben. »Sein Geist soll schweben, wenn ich den Burschen erwischt habe«, sagte Bill. 98
Aber er hatte wegen der Dürre in Devil's Point so viel zu tun, daß er an eine Suche nach dem Ungeheuer vorerst nicht denken konnte. Vier Tage nach Charlies Fortritt kam Potter aufgeregt ins Büro geschnauft: »Bill, einige Farmer hat's erwischt! Hitzekoller! Sie haben den Kesselwagen der Feuerwehr geklaut, ihn voll Brunnenwasser gepumpt und fliehen auf Planwagen in Richtung Long Spring!« Bill schwang sich aufs Pferd, überholte die Kolonne und zwang sie mit vorgehaltenen Pistolen zur Umkehr. Wieder in der Stadt, sah er, daß Minenarbeiter am hellichten Tag in den Spielsalon eingedrungen waren. Da ihnen die Wasserrationen nicht reichten, glaubten sie, ihren Durst mit Schnaps stillen zu können. Der Sheriff ließ Inspektor Simpson und seine stärksten Holzfäller holen. Mit ihnen und Potter zusammen räumte er den Salon und tneb die betrunkene Horde ins Bergwerk zurück. Dann berief er die Stadtverordneten zu einer Sondersitzung ins Rathaus, bat sie, das Standrecht verhängen zu dürfen – dies wurde ihm gewährt; außerdem machte Hank Rathermore den Vorschlag, für die Dauer des Ausnahmezustandes auch den Schnapsausschank zu verbieten. Richter Hopkins, Apotheker Bibbleton, Redakteur Nelson und alle Abgeordneten stimmten dem zu, und die Versammlung der ehrenwerten Männer von Devil's Point schloß mit den Worten des alten Richters: »Im Namen der gewählten Vertreter dieser Stadt möchte ich Sheriff Bill das unbedingte Vertrauen aussprechen. Er hat sich bisher in jeder Not bewährt wie kein anderer, und wir alle wissen, daß er ruhig und besonnen handelt. Denkt jemand anders?« »Niemand!« sagte Hank Rathermore, der Stadtvorsteher und Bergwerksleiter. »Niemand denkt anders!« Die fähigsten Männer von Devil's Point hatten Bill ihr Vertrauen ausgesprochen, doch schon am folgenden Nachmittag kam Hank Rathermore staubbedeckt und außer Atem ins Büro: 99
»Sheriff, Revolte im Bergwerk!« »Worum geht's?« schnaufte Potter. »Spielt Burton Spike wieder verrückt?« Ja! Er hat sich Schnaps aus dem Bahnlager besorgt – ich weiß nicht, auf welchem Weg –, nun verteilt er den Inhalt der Fässer, macht die Männer betrunken und wiegelt sie auf!« »Kommt«, befahl Sheriff Bill. »Dem werd ich auf die Pfoten klopfen! Hol mein Pferd, Potter!« Als sie das Bergwerk erreichten – Potter war wie ein Wilder hinter den beiden hergeritten –, sahen sie, wie sich der knochige Prediger Clemens aus dem Sattel seiner Mähre schwang. Sein schwarzer Rock war grau von Staub und seine weißen Haare feucht von Schweiß. Doch er sagte: »Hab' schon gehört, was hier los ist! Wo die Hölle einbricht, hat der Planer als erster zu sein!« Die vier Männer stiegen den steinigen Hang zu den Minen empor. Oben, auf einer Felsplatte, stand Burton Spike. »He!« grölte er. »Da kommt unser Milchbaby von Sheriff! Hat gehört, daß es was zu saufen gibt! Möchte wohl mitsauten!« Die betrunkene Meute lachte, daß es von den Felswänden und aus den Schächten widerhallte. Ruhig sagte Sheriff Bill: »Ich trinke nie, Leute, das wißt ihr! Aber ich nehme einen Schluck auf eure Vernunft, wenn ihr jetzt friedlich in eure Quartiere geht! Schlaft euren Rausch aus und arbeitet morgen nach, was ihr heute versäumt habt!« »Was wir versäumt haben!« sehne Burton Spike. »Hört, hört, Männer! Wir hätten etwas versäumt? Und was habt Ihr versäumt, Sheriff Bill, he? Was habt Ihr versäumt?« »Dir rechtzeitig das Maul zu stopfen!« rief Potter. »Halt die Klappe, du Stinktier, sonst hol' ich dich herunter und mach dich zu Hackfleisch! Und ich will doch gleich wetten, daß selbst der schmutzigste Kojote lieber verhungert, als auch nur einen einzigen Bissen von dir zu kosten!« 100
»Still, Potter«, befahl der Sheriff. »He, Schichtmeister! Sagt mir, was ich versäumt habe!« »Die Indianer zu braten!« schrie Spike. »War die beste Gelegenheit – alle Häuptlinge auf einmal! Statt dessen seid Ihr vor ihnen gekrochen und habt sie gehen lassen!« »In Frieden gehen lassen!« verbesserte Prediger Clemens mit mächtiger Stimme. »Um Blutvergießen zu verhüten, Schichtmeister! Vergeßt das nicht!« »Ich vergesse nichts, Ehrwürden, ich vergesse nichts!« höhnte Burton Spike. »Vergeßt aber Ihr nicht, daß der Fluß verseucht ist!« »Wollt Ihr mir jetzt auch noch erzählen, daß die Indianer daran schuld seien?« fragte Bill. »Neiiin…« lachte Spike. Er stemmte die Arme in die Seiten, als habe er einen Trumpf auszuspielen. Dabei hielt er sich nur mühsam auf den Füßen. »Aber habt Ihr nicht selbst gesagt, Sheriff, der Goldbart könnte dahinterstecken? Wollt Ihr leugnen, es zu zwei Cowboys gesagt zu haben? He? Wollt Ihr das etwa leugnen?« Ja«, sagte Bill hart. »Denn ich habe nicht zu den Cowboys, sondern zu Männern gesprochen, die keine Waschweiber sind! Die Cowboys mögen zufällig etwas gehört haben!« »Sie haben gehört, was ich sagte«, grollte Potter. »Und das war nicht für ihre Ohren bestimmt!« »Heimlichkeiten, Heimlichkeiten!« schrie Spike. »Ihr gebt aber zu, daß Ihr vom Goldbart gesprochen habt? Nun, denn! Warum macht Ihr Euch nicht auf, den Verbrecher zu suchen? Denkt Ihr, wir sind dumm? Auch Abgeordnete flüstern uns einiges, und wir machen uns ein Verschen darauf! Die Indianer kamen wegen des Goldbarts, Ihr habt sie beschwichtigt, gut! Aber meint Ihr, daß sie wirklich beschwichtigt sind? Wenn der Verbrecher lebt, warum seid Ihr nicht längst unterwegs, ihn zu fangen?« 101
Jawohl…« murmelten die Umstehenden. »Warum seid Ihr noch hier, Sheriff…? Warum…?« »Das will ich euch sagen, Leute«, erwiderte Bill gelassen. »Weil Dürre und Wassermangel herrschen und weil viele von euch nicht fähig sind, das zu ertragen! Eine Stadt voller Memmen und Tobsüchtigen kann kein Sheriff allein lassen! Seht doch euren Schichtmeister! Kann ich ruhigwegreiten, solange er seine Reden schwingt?« »Sheriff!« sehne Burton Spike. »Quatscht nicht! Gebt zu – Euer Stern ist im Sinken! Im vongen Jahr ist Euch der Goldbart entkommen! Ihr habt nicht verhindern können, daß Devil's Point durch ihn in Flammen aufging! Noch ist die Stadt nicht wieder richtig aufgebaut, da wimmeln die Indianer hier herum – und Bob Connally stirbt durch einen Eisenpfeil! Das Vieh krepiert – Ihr könnt es nicht verhindern! Und wenn der Goldbart lebt, so wird er unser Bergwerk haben wollen!« »Habt Ihr gehört, Sheriff?« heulte einer der Minenarbeiter. »Burton hat recht! Der Goldbart wird uns das Bergwerk nehmen!« »Ruhe!« donnerte Prediger Clemens. Aber die Verzweifelten, nur zu gern bereit, für ihre Not und ihre Furcht einen einzigen verantwortlich zu machen – und zwar einen, den sie mit ihren Augen sehen konnten, ließen sich nicht zum Schweigen bringen. »Sheriff Bill«, schrie einer, »ist längst auf seinen Lorbeeren eingeschlafen! Von dem, ihr Männer, nimmt kein Hund mehr ein Stück Brot!« »Nein«, höhnte Spike. »Er mag Devil's Point so oft gerettet haben, wie er will, aber einmal geht das Glück eines jeden zu Ende! Unser Glücksstern ist zum Unglücksstern geworden! Er muß weg, Leute! Und wenn er der Präsident der Vereinigten Staaten wäre, er hätte hier nichts mehr zu suchen.« Diese Worte imponierten gewaltig, besonders, da es noch nie 102
jemand gewagt hatte, so lauthals vor der Menge an Bills Fähigkeiten zu zweifeln. Die Ereignisse hatten den großen Sheriff plötzlich seines Ansehens beraubt. »Der Prediger hat ›Ruhe‹ gerufen«, fuhr Spike fort. »Ruhe fordern wir auch! Wir fordern Frieden und Sicherheit, wir fordern eine starke Hand – sonst ist Devil's Point nicht mehr Devil's Pomt!« Da schwang sich der Sheriff auf die Felsplatte. »Die starke Hand ist hier, Burton Spike, und Ihr habt sie schon zu fühlen gekriegt! Und Devil's Point bleibt Devil's Point, solange ich Sheriff bin! Ich, der ich dieses Räubemest zur Stadt gemacht habe, als ich neunzehn Jahre alt war! Ich, der ich Devil's Point zweimal von Banditen befreite und einmal vor dem Goldbart schützte! Ist es mir dreimal gelungen, die Stadt zu erhalten, so wird es mir auch jetzt gelingen!« »Nur, wenn wir es wollen«, schrie Burton Spike. »Was Ihr getan habt, nutzt uns nichts! Wir meinen, Ihr habt zu viel Glück gehabt und überschätzt Eure Kräfte! Laßt einen anderen heran!« »Recht hat er!« ertönte es aus der Menge. »Bill kann nicht ewig Sheriff sein! Das meinen auch die Farmer, die Leute aus dem Sägewerk und viele andere Bürger in der Stadt!« »Ihr habt mir im Glück vertraut und mißtraut mir im Unglück«, erwiderte Bill. »Das wundert mich nicht, denn ihr seid gereizt und betrunken. Was werft ihr mir vor? Daß ich Recht vor Gewalt setze, die Untat v o r das Urteil und das Urteil vor die Strafe? Ich habe gehandelt, wie ich handeln mußte… für Dürre und Wassernot kann ich nichts! Was auch kommen mag, Leute, ich werde weiterhin nach Recht und Gewissen handeln!« »Wenn Ihr ein Gewissen habt, so tretet zurück!« rief Spike. »Hört Ihr nicht? Halb Devil's Point ist gegen Euch, vielleicht sogar ganz Devil's Point, ich brächte Euch gern den Beweis! Doch bevors dazu kommt, fordere ich Euch auf: Tretet 103
zurück…!« »Nach Euch, Mister Spike«, sagte Sheriff Bill und stieß das Großmaul rücklings in die Menge. »Wenn ihr einen neuen Sheriff wählen wollt, so tut es in Ruhe und mit Überlegung!« »Bei Gott«, fügte der Prediger hinzu, »und lohnt die Verdienste eines Mannes nicht mit tierischem Gebrüll!« »Noch eins, Leute!« rief der Sheriff. »Wollt ihr, daß ich gehe, nun, so gehe ich – wenn ihr mich zum Ehrensheriff auf Lebenszeit gemacht habt! Aber ich gebe euch einen guten Rat: Wählt keinen Schreihals zum Nachfolger! Wählt einen, der noch Schlimmerem begegnen kann als allem, was bisher geschah! Wählt einen Kämpfer, der imstande ist, ein Aufgebot zu fuhren! Denkt daran, daß Kommodore Horry zurückkehren kann, der Blutsäufer, der Pirat mit dem vergoldeten Bart!« »Er ist schon da!« ertönte hoch über dem Plateau eine schauerliche Stimme. »Bill!« sehne Potter. »Dreh dich um…! Hinter dir ist er! Oben, auf dem Fels…!« Der Anblick des Reiters, der so unvermutet über dem stillgelegten Stollen aufgetaucht war, ließ die Menge vor Entsetzen verstummen. In der hellen Nachmittagssonne blinkte die Goldverschnürung am Admiralshut und am Rock des Piraten; schlimmer aber war, daß seine Goldzähne spiegelten und sein vergoldeter Bart zu flackern schien, als stünde er in Flammen. »Ich habe hier noch keine Rechnung bezahlt«, krächzte er, »aber eine Quittung will ich zurücklassen! Einen Kommodore Horry behandelt keiner wie einen Verbrecher!« Blitzschnell hob er das Gewehr, das er vor sich über dem Sattel getragen hatte – und schoß. Sheriff Bill taumelte und stürzte von der Felsplatte. Reglos blieb er liegen, die Arme unnatürlich verdreht, und die Hinzudrängenden sahen, daß das Hemd an seiner Schulter sich blutig 104
färbte. Der unheimliche Reiter aber war so plötzlich verschwunden, wie er gekommen war. »Bill«, schluchzte Potter. »Bill, o Bill, mein lieber, guter Junge…«
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Der neue General und der junge Oberst Der reglose Körper wurde in eine Baracke gebracht und im Schutze der Dunkelheit von Inspektor Simpson und seinen verläßlichsten Männern unter Aufsicht des Doktors in einem geschlossenen Wagen zum Haus des Richters geschafft. Man bettete ihn in den Salon, dorthin, wo das Kleine Beil vor kaum vierzehn Tagen gelegen hatte. Er lebte noch, als die Männer ihn brachten, doch am Abend mußte Jenny Hopkins hinausgehen und den Leuten, die bange vor dem Parktor warteten, mitteilen: »Um Sheriff Bill steht es schlecht. .« Charlie war noch unterwegs, und auch Potter wußte nichts von der Verschlechterung in Bills Befinden. Mit dem Vormann der Cowboys und einigen beherzten Männern war er sofort aufgebrochen, um den Goldbart zu verfolgen. Und er hatte ein Weiteres getan: Er hatte die Hilfssheriffs Cook und Henderson zu den Schweigsamen Männern geschickt, damit sie Boten in die Wälder sandten: Die Indianer mußten ruhig bleiben, sie durften ihre Wigwams nicht wieder verlassen, komme, was da kommen wolle… Potter war, wie er selbst gern immer wieder sagte, nicht sehr klug – doch war er redlich, und die Redlichen tun in schlimmen Lagen off das Richtige. Nach vier Tagen mußten Potter und seine Männer die Suche autgeben und zurückkehren: Ein langer, gezackter Blitz hatte den Himmel über der Prärie zerrissen und das Ende der Dürre 106
angekündigt. Es war, als habe das Scharfe Beil einen Speer des Zornes aus den ewigen Jagdgründen herabgeschleudert: Es begann zu regnen, wie es seit Jahren nicht geregnet hatte. Devil's Point drohte im Schlamm zu versinken. Im Sheriffbüro traf Potter Inspektor Simpson und Charlie. Charlie weinte. »Was ist los?« schnaufte Potter, das Wasser aus seinem Bart schüttelnd. »Bill ist tot«, sagte Simpson düster. »Aber das ist nicht alles. Leutnant Mac Elroy hat sich zum Stadtkommandanten gemacht, Burton Spike ist Sheriff, und das Gesindel aus dem Bahnlager hält das Bergwerk besetzt.« Fassungslos fiel Potter auf einen Stuhl. Doch er gab sich in diesem Augenblick nicht der Trauer hin. »Hattest du nicht einen Offizier und Soldaten von Fort St. Maline mitbringen sollen, Charlie?« Ja, der General gab mir acht Mann mit, doch als wir kamen – im Schutz der Dunkelheit, wie Bill es befohlen hatte –, war Devil's Point schon von den Meuterern besetzt. Es gelang dem Offizier, den Toten heimlich aus der Stadt zu bringen. Sie sind jetzt unterwegs nach Fort St. Maline, um dem Befehlshaber Nachricht über die Zustände zu geben.« »Das ist gut«, murmelte Potter. »Das ist gut, doch es macht unseren Bill nicht wieder lebendig…« Und nun flössen ihm die Tränen in den regennassen Bart… In den Sumpfwäldern jenseits des Silberflusses, in den schroffen Schluchten der westlichen Gebirgskette, am Klaren Fluß in den Schwarzen Wäldern dröhnten die Trommeln der Trauer. Und in den Sprachen und Dialekten der verschiedenen Indianerstämme ging die Botschaft von Mund zu Mund: »Sheriff Bill ist tot… der Helle Stern von Devil's Point ist erloschen… der Freund der roten Männer, der Big Man of Peace, der Große 107
Mann des Friedens, ist in die ewigen Jagdgründe eingegangen…« Über den Soldatenfestungen in der Prärie wurden die Fahnen auf Halbmast gesetzt. Der alte General Hope, der einst mit Bill das Banditengefecht bei den Bergen der ›Drei Wächter Manitus‹ geschlagen hatte, ließ von seinem Fort St. Maline durch Telegraf und Expreßreiter einen Tagesbefehl ergehen: »Befehlshaber ›Nordwest-Prärie‹, An Kommandanten der Festungen: Fort Cliff, Fort Cropton, Fort York, Fort Bevin, Fort St. Oak, Fort Hammas, Fort Crook, Fort James, Fort Prazer! Der Big Man of Peace, ehedem Indianer-Unterhändler der Armee und Sonderbeauftragter des Präsidenten, fiel von Mörderhand. Um Zusammenrottungen der Indianer in Devil's Point zu vermeiden, wird die sterbliche Hülle Sheriff Bills in ein ungenanntes Fort verbracht werden. Nach Erhalt dieser Nachricht schießen alle Festungen für den toten Helden zwölf Schuß Salut: Von jeweils 6 Uhr früh zur jeweils vollen Stunde je einen Schuß Haubitze oder jeweils eine Salve aus 12 Gewehren bis 6 Uhr abends! Gegeben zu Fort St. Mahne, Stanley A L. Hope, Gen.-Major, Armeebefehlshaber ›Nordwest-Präne‹.« Doch über der Hauptfestung St. Maline wehte die Fahne bereits einige Tage später nicht mehr auf Halbmast. Neben dem Sternenbanner war eine blaue Fahne mit Goldrand gesetzt, die die Anwesenheit des Befehlshabers ›Nordwest-Prärie‹ verkün108
dete. Vor und in der hölzernen Festung herrschte geschäftliches Treiben. Die Truppe, offenbar verstärkt durch benachbarte Regimenter, schien sich für einen Feldzug zu rüsten. In zermürbendem Eilritt hatten sich Potter und Charlie nach St. Maline begeben, um mit dem Befehlshaber selbst zu sprechen. Ehe sie das Fort erreichten, begegneten sie einem einzelnen Reiter, dem Kleinen Beil… »Kleines Beil!« jubelte Charlie. »Kleines Beil!« »Hau, hau!« rief der junge Indianer. »Meine Augen erspähten längst den Bart von Pott er und die Gestalt meines Freundes Charlie. Wenn ich meine Stimme nicht in die Luft schickte wie einen fröhlich flatternden Vogel, so tat ich das aus Trauer um Sheriff Bill.« »Hast du uns gesucht, oder ist es Zufall, daß wir uns hier treffen?« fragte Potter. »Es ist kein Zufall«, sagte Kleines Beil, »denn nach dem Glauben der Indianer gibt es das nicht, was die Weißen Zufall nennen. Es ist Schicksal. Wir drei sind eine Seele, nämlich die Seele dessen, der nicht mehr bei uns ist. So zog es uns in der Prärie zueinander.« »Wohin reitest du. Kleines Beil?« fragte Charlie. »Potter und ich sind unterwegs nach St. Maline, um den Befehlshaber um Hilfe zu bitten.« »Auch ich will zum Häuptling der Blauröcke«, erklärte Kleines Beil. »Er hat uns Melder geschickt, daß wir uns ruhig verhalten sollen – gegen das Scheusal mit dem vergoldeten Barte, gegen den Leutnant Mac Elroy, und daß uns Zorn und Trauer nicht in Blitz und Donner verwandeln, welche auf diejenigen niedergehen, die den Mord an Bill weder verhindert noch gerächt haben.« Auf dem Weiterritt verhielt sich Kleines Beil schweigsam, er gab sich seiner Trauer hin, und Potter und Charlie hüteten sich, 109
ihn anzusprechen. Als sie Fort St Maline erreicht hatten und vor dem Palisadentor vom wachhabenden Offizier angehalten wurden, sagte Potter: »Ich bin der Zweite Sheriff von Devil's Point. Dies ist Charlie, früher Sheriff Bills Melder, der schon einmal hier war. Und der junge Indianer ist der Nachfolger des Häuptlings aller Häuptlinge! Wir wollen zu Generalmajor Hope!« »General Hope ist krank«, erwiderte der Offizier, »und der neue General empfängt keine Besucher. Ich habe Befehl, jeden Fremden abzuweisen. Wenn ihr eine Nachricht habt, so übergebt sie mir!« »Kleines Beil hat eine Nachricht«, sagte der junge Indianer. »Bringt sie Eurem General, und so sprachlos er auch sein mag – wenn er uns nicht empfängt, wird der Frieden in den Wäldern und Bergen und in der Präne gebrochen. Dann warten wir nicht länger und suchen den Mörder Goldbart und rächen Sheriff Bill! Hau, hau!« Fünf Minuten später standen Potter, Charlie und Kleines Beil im Kommandoraum des befehlshabenden Generals. Der hohe Offizier hielt ihnen den Rücken zugewendet und blickte aus dem Fenster. Potter räusperte sich. Charlie trat von einem Bein aufs andere. Zornig riefKleines Beil: »Der große, goldene Blaurock, den die Weißen ›General‹ nennen, möge sein Gesicht zeigen! Hier steht der Häuptling aller Häuptlinge, hier steht ein Freund Sheriff Bills…!« Der General wandte sich lächelnd um: »Und hier steht Bill selber, Kleines Beil!« »B-B-B-Bill. ..!« japste Potter. Er riß die Augen auf, als sähe er einen Geist. »Ich denke, du bist… du bist…« »Wir dachten alle…« stammelte Charlie. 110
»Nun, ihr seht, was ich bin«, sagte Bill vergnügt. »Beim Sturz von der Felsplatte erlitt ich eine Gehirnerschütterung. Der Streifschuß war nicht der Rede wert. Doch manchmal lohnt sich so ein kleines Unglück Die Bewußdosigkeit rettete mich davor, von dem Gesindel mit Schimpf und Schande meines Postens enthoben zu werden. Doktor Knox, Jenny Hopkins, Prediger Clemens und der Richter spielten ihre Rollen vorzüglich, und der Offizier und die Männer, die Charlie geholt hatten, brachten mich heimlich aus Devil's Point heraus!« »Aber warum…« begann Potter. »Weil ich wegen Mac Elroys Meuterei die Ordnung in Devil's Point nicht mehr aufrechterhalten konnte. Mir wurde berichtet, daß Burton Spike Sheriff geworden sei und daß die neuen Machthaber eifrig darangingen, unser Silber auszubeuten – aber nicht für Devil's Point, sondern für ihre eigene Tasche.« »Das stimmt«, rief Potter. »Und deshalb sind wir hier! Wir kamen mit Mühe aus der Stadt heraus. Mac Elroy hat ein Aufgebot ausgerufen – angeblich zum Schutz vor Indianern, – aber in Wahrheit soll aufgepaßt werden, daß niemand eine Nachricht in Forts bringt! Mac Elroy verspricht allen ein Vermögen aus dem Bergwerk, und er hat die Dummen und Verrückten hinter sich; die vernünftigen Bürger sind dagegen völlig machdos!« »Sie sollen es nicht lange bleiben«, erklärte Bill. »Aber um da aufzuräumen, sind Kräfte von außen nötig. Das Oberkommando in Chikago gab mir telegrafisch meinen Generalsrang wieder, und die Regimenter meines alten Freundes Hope unterstehen mir als Polizeitruppe. Der Meuterer Mac Elroy muß weg – und dann wird der Goldbart gejagt!« »Prächtig!« rief Potter begeistert. »Prächtig, mein Junge! Da wird so mancher Augen machen… Aber…«, seine Miene verdüsterte sich: »Warum hast du ausgerechnet deine besten Freunde zum Narren gehalten? Warum hast du uns, deine drei 111
Getreuesten, nicht eingeweiht?« »Weil gerade die Gesichter meiner Getreuesten die Wahrheit verraten hätten«, lächelte Bill. »Ich brauchte echte Trauerklöße, keine falschen! Sieh mal, Potter, du kannst dich nicht verstellen, nicht wahr?« Potter grinste: »Nein, mein Junge, das kann ich mcht!« Noch am gleichen Tage wurde Kleines Beil in die Uniform eines Obersten der Armee gekleidet und von dem gichtbrüchigen Generalmajor Hope für den Feldzug vereidigt. Nur widerwillig zog der stolze Indianer den verhaßten Blaurock an – doch er war dazu ausersehen, den Menschenschinder Leutnant Mac Elroy zu degradieren und damit die Schande zu tilgen, die der große Indianerhasser dem Häuptling aller Häuptlinge angetan. Die Armee hatte schon oft in ähnlichen Fällen zu solchen Mitteln gegriffen – wenngleich die Indianer selbst nicht viel davon hielten: Häuptling in Offiziersuniform nannten sie die ›Blauröcke auf dem Papier‹. Doch Kleines Beil würde es nicht nur ›auf dem Papier‹ sein… Einen Hut oder eine Mütze wollte er nicht tragen. In seinem Haar stak wieder eine einzelne Adlerfeder – wie früher –, und die große Adlerhaube seines Vaters wollte er erst aufsetzen, wenn Mac Elroy entmachtet und der Verbrecher Goldbart gefangen sein würde.
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»Hau, meine Freunde, nun ist es genug!« Völlig überraschend tauchte Bill eines Morgens an der Spitze der Regimenter von St. Maline, Hanums und Bevin vor der Stadt Devil's Point auf. Er ließ ein Lager einrichten. Dann befahl er die Kommandeure, Kleines Beil, Potter und Charlie zu sich. »Wasser für die Pferde und Maultiere gibt es auf Murtons Farm«, sagte er, »dort kommt es aus dem Boden, und nicht vom Fluß; ich nehme an, es wird doch nicht verschmutzt sein. Wenn die Zelte stehen, gebe ich meine nächsten Befehle. Kein Mensch, der nicht zu dieser Truppe gehört, kommt an unser Lager heran, vor allem kein Soldat von Leutnant Mac Elroy. Soweit sich seine Männer zeigen, sind sie gefangenzunehmen. Über die Person des Befehlshabers herrscht strengstes Stillschweigen. Man soll glauben, es sei der alte Hope!« Unter den ehrlichen Bürgern von Devil's Point verbreitete sich Erstaunen und Hoffnung, als man die Soldaten in der Prärie bemerkte und beobachten konnte, wie auf der sonnenüberfluteten Ebene Zelt um Zelt errichtet wurde. »Regierungstruppen!'' hieß es. »Sie bringen uns Hilfe!« Denn daß die Soldaten nicht in feindlicher Absicht gekommen waren, schien jedenfalls den friedliebenden Einwohnern klar. Anders stand es mit dem selbstherrlichen Leutnant Mac Elroy, der sein Quartier in das Bergwerksbüro verlegt hatte. Er war damit beschäftigt, mit Hilfe von Bahnarbeitern kräftig Silber för113
dern zu lassen. Als Sergeant Muff ihm die Nachricht brachte, in der Prärie lagere Militär, erklärte Mac Elroy: »Das kümmert mich nicht! Ich hatte die Pflicht, hier wieder alles in Gang zu bringen, und das habe ich getan, wie Sie sehen! Wer hätte es sonst tun sollen!« Trotzdem nahm er sein Fernglas und stieg mit Sergeant Muff auf das höchste Gerüst über den Minen. Lange blickte er auf das große, weiße Zelt, über dem unter dem Sternenbanner die blaue Flagge des Befehlshabers ›Nordwest-Prärie‹ wehte. »Hm«, murmelte er. »Der alte General Hope! Nun, der wird mir nicht gefährlich, er wackelt schon lange mit dem Kopf! Und wie kann er wissen, was hier los war? Er muß sich auf das verlassen, was ich ihm auf die Nase binde! Kann ich auf Euch bauen, Muff?« »Selbstverständlich, Sir!« grinste der Sergeant. »Hier hatten wir 'ne Chance, und die woll'n wir behalten. Ganz einfach: Wären wir nicht gewesen, so säßen jetzt Indianer auf dem Silber – oder der Verbrecher Goldbart!« »Gut! Wir empfangen den alten General Hope, wie man ein braves, ausgedientes Pferd empfängt. Er kriegt sein Futter und so viele Sprüche, wie er haben will…« Doch der Ordonnanz-Offizier, der zwei Stunden später zum Bergwerk geritten kam, sah nicht so aus, als gelüste es den Befehlshaber ›Nordwest-Prärie‹ nach Futter und Sprüchen. Wie aus Erz gegossen saß er im Sattel, und sein Gesicht war kalt und feindselig. »Leutnant Mac Elroy, abkommandiert zum Schutze des Bahnbaus zwischen Devil's Point und Long Spring!« rief er. »Wo seid Ihr?« Mac Elroy trat aus dem Direktionsbüro. Er hatte die Zeit benutzt, eine Extra-Uniform mit dem Zierdegen und den weißen Handschuhen anzulegen. »Hier!« sagte er mit scheinbarer Unbe114
fangenheit »Sieh da, Captain Stephen Vincent!« »Habe die Ehre!« grüßte der Ordonnanz-Offizier knapp. »Ich bin beauftragt, Euch zum Befehlshaber zu bringen!« »Freut mich ungemein!« rief der Leutnant, indem er Heiterkeit heuchelte. »Hoffte schon lange, Hilfe zu bekommen!« »Spart Euch Eure Worte«, erwiderte Captain Vincent finster. »Besteigt Euer Pferd und kommt!« Als Leutnant Mac Elroy in Begleitung des Ordonnanzoffiziers das Truppenlager erreichte, war das Zelt, über dem die Flagge des Befehlshabers wehte, geschlossen. Bill, Kleines Beil, Potter und Charlie ließen sich nicht sehen, und Mac Elroy hatte noch immer keine Ahnung von ihrer Anwesenheit. Statt dessen erwarteten ihn einige Kommandeure zu Pferde, darunter Oberst Hintz von Fort Cropton. »Da seid Ihr, Leutnant Mac Elroy«, sagte Oberst Hintz. »Ich hatte Euch abkommandiert, den Bahnbau zu schützen und Anschläge abzuwehren. Ihr schicktet mir Nachrichten, die mit den telegrafischen Meldungen aus St. Maline nicht übereinstimmten. Wie erklärt sich das?« »Es erklärt sich natürlich daraus, daß St. Maline weiter ist«, sagte der Leutnant frech. »Welche Nachrichten meint Ihr, Sir?« »Über die Indianer, die Flußverseuchung und die Notwendigkeit Eures Eingreifens in Devil's Point!« »Ich halte an meiner Darstellung fest«, rief Mac Elroy. »Zunächst beschwere ich mich über Captain Vincent. Er behandelte mich wie einen Gefangenen!« »Noch habt Ihr Euren Degen«, sagte Oberst Hintz. »Und der Befehlshaber ›Nordwest-Prärie‹ hat nicht eine Armee in Marsch gesetzt, um Eure Beschwerde über Captain Vincent zu hören. Warum spielt Ihr den Herrscher von Devil's Point?« »Wegen der Indianer«, behauptete Mac Elroy. »Sie haben den Fluß verseucht und die Leute in Angst und Schrecken versetzt. 115
Sie brauchen eine starke Hand!« »Eure Hand!?« fragte der Oberst. »Gab es keinen Polizeichef?« »Er wurde der Lage nicht Herr, Sir! Er ließ die kriegerischen Indianer in ihre Wigwams zurückkehren und unternahm nichts gegen den Verbrecher Goldbart. Da wurden die Einwohner unzufrieden. Im Sägewerk, bei den Farmern und in den Minen kam es zu Unruhen. Deshalb übernahm ich die Polizeigewalt. Sheriff Bill ist tot, wie Ihr wissen dürftet, Sir! Er mag seine Verdienste gehabt haben. Doch zuletzt – das kann jeder meiner Leute bezeugen – war er unfähig. Nun, da er tot ist, lohnt es sich nicht, noch ein Wort über ihn zu verlieren!« »Aber er ist nicht tot, Leutnant Mac Elroy«, ertönte eine schneidende Stimme. Das Zelt war geöffnet worden – vor dem Eingang stand Bill in der Uniform eines Generals. »Seht her, Mac Elroy! Wie gefallen Euch meine Handschuhe? Sind sie nicht weißer als Eure?« Mac Elroy starrte auf die Gestalt mit den Generalssternen, als sähe er ein Gespenst »Was… was soll diese Maskerade? Wer erlaubt Euch, solche Spaße mit mir zu treiben? Ich… ich protestiere!« »Und ich protestiere gegen Eure Lügen«, sagte Bill. »Ihr habt machtgierig, raffgierig, pflichtwidrig und ehrlos gehandelt. Statt auf meine ständigen Warnungen zu hören, tatet Ihr mir alles zum Trotze, auch, nachdem ich Gnade vor Recht ergehen ließ. Selbst die Drohung mit dem Galgen schreckte Euch nicht! Ihr wollt Devil's Point verwalten? Macht Euch nicht lächerlich! Das Silber wollt Ihr, weiter nichts!« »Dreister Schwindel!« rief Leutnant Mac Elroy. Er sprang vom Pferd. »Was ist hier los? Meine Herren! Weshalb gestattet man diesem Polizisten, sich eine Generalsuniform anzuziehen? Er lügt! Er steht mit Verbrechern und Indianern im Bunde! Ich will sofort Generalmajor Hope sprechen! Wo ist der Befehlshaber 116
›Nordwest-Prärie‹?« »Der Befehlshaber ›Nordwest-Prärie‹ steht vor Euch«, sagte Bill eisig. »Er kommt um Eurem Spiel ein Ende zu bereiten. Leutnant Mac Elroy, als wir uns zuletzt trafen, sprachen wir von Abrechnung. Nun, die Stunde ist da! Potter, komm her!« Der wallebärtige Riese trat aus dem Zelt. »Dies ist der Zweite Sheriff von Devil's Point, eine gewählte und vereidigte Amtsperson! Habt Ihr ihm nicht den Schichtmeister Burton Spike ohne Wahl und Eid vor die Nase gesetzt?« »Ist General Hope nicht da…?« schrie der Leutnant. »Hier ist eine Teufelei im Gange! Das habt Ihr Euch mit den Rothäuten ausgeheckt! Bringt mich zur Telegrafenstation! Ich werde dem Oberkommandierenden in Chikago melden –« »Daß Ihr meine Signaleinrichtungen zertrümmern ließet?« fragte Bill. »Und daß Ihr meinen Melder gefangen hieltet? Komm heraus, Charlie!« Charlie erschien vor dem Zelt. »Ein Junge!« schrie Mac Elroy, »ein dummer, lügnerischer Junge! Am Ende bringt Ihr mir noch eine dreckige Rothaut als Zeugen!« »Eine Rothaut schon«, entgegnete Bill ruhig, »doch keine dreckige. Tritt aus dem Zelt, Kleines Beil!« Hochaufgerichtet, mit unbeweglichem Gesicht, stand der junge Häuptling aller Häuptlinge in der Uniform eines Armee-Obersten vor Leutnant Mac Elroy. »Dies ist Oberst Kleines Beil«, sagte Bill. »Es ist derselbe, den Ihr in Ketten gelegt und geschlagen habt!« Er wandte sich an den Indianer: »Herr Oberst Kleines Beil! Ich befehle Euch: Nehmt diesem Offizier, der sträflich und mördensch den Frieden der Prärie gefährdet hat, die Rangabzeichen ab!« »Rühr mich nicht an, schmutzige Ratte!« brüllte der Leutnant. Er zog seinen Degen: »Komm mir zu nahe, und ich steche dich 117
ab, daß du quiekst!« Furchtlos schritt Kleines Beil auf ihn zu. »Zurück…!« sehne der Leutnant. Er wollte zustoßen, doch Kleines Beil unterlief ihn, entriß ihm den Degen und warf die Waffe weit fort ins Gras. Gleich danach fiel ein Schuß. Leutnant Mac Elroy stand schwankend da und starrte auf seine Rechte, deren weißer Handschuh sich rot zu färben begann. »Dies für einen Angriff auf einen Obersten«, sagte Bill, indem er seine Pistole einsteckte. »Nie wieder, Mac Elroy, werdet Ihr mit Eurer rechten Hand eine Waffe fuhren können, schätze ich. Captain Vincent, sorgt dafür, daß Mac Elroy seinen Rock auszieht. Laßt ihn festnehmen!« Als Mac Elroy von zwei Sergeanten abgeführt werden sollte, stieß er eine Flut von Schimpfworten aus und wehrte sich wie ein Besessener. Da stieg Oberst Hintz vom Pferd, schritt langsam auf ihn zu und schlug ihm mit dem flachen Handrücken ins Gesicht. Captain Vincent hob Mac Elroys Degen auf und zerbrach die Klinge über seinem Knie. »Hau«, rief Kleines Beil. »Hau, meine Freunde, nun ist es genug!«
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Blauer Rock und Sheriffstern Nach Mac Elroys Verhaftung begann die Hasenjagd der blauen Reiter auf alle Männer aus dem Bahnlager, die sich in den Minen, bei der Sägemühle und auf den Farmen herumtrieben. Mac Elroys Sergeant wurde verhaftet, seine Soldaten einem neuen Kommando unterstellt. Bills Auftauchen löste unter den abergläubischen Leuten – auch unter vielen ehrenwerten Bürgern – zunächst Entsetzen aus. Doch er war auch im ›Großen Rinderkrieg‹ des vorvergangenen Jahres schon einmal verschwunden gewesen, wenn auch nicht auf so geheimnisvolle Weise. Und daß er beim Oberkommando in Chikago und beim Hauptquartier in Washington in hohem Ansehen stand, war allgemein bekannt. Schließlich handelte es sich um keinen gewöhnlichen Sheriff, sondern um Sheriff Bill, der Freunde und Feinde mit den ungewöhnlichsten Mitteln zu verblüffen pflegte. Jetzt kam der Totgeglaubte als General zurück, er konnte kein Geist sein, denn daß die Kommandeure einem Geist gehorchten, glaubte selbst der einfältigste Kleinfarmer nicht. Bill berief alle ehemaligen Abgeordneten ins Haus des Richters und setzte sie – unter Hank Rathermore – wieder in ihre Ämter ein. Dann wurden die dringlichsten Fragen der Versorgung mit Wasser für das Vieh besprochen, denn der Regen, so heftig er vom Himmel geprasselt war, war nur allzu schnell von dem ausgedönten Boden aufgesogen worden. »Wir haben noch Rinder in den Tatatora-Bergen, wo es einen Wasserfall und geeignete, natürliche Tränken gibt«, erklärte der 119
Vormann der Cowboys, »aber von den Rindern am Fluß haben wir den größeren Teil notschlachten müssen. Die Schafe, Schweine und Ziegen können aus den Waldquellen im Westen und Südwesten versorgt werden. Von dort kommt auch das Wasser für den menschlichen Bedarf.« Im Beisein der hohen Offiziere beriet Bill zwei Tage lang mit den Stadtverordneten über Sicherungs- und Versorgungsmaßnahmen für Devil's Point. Am dritten Tag versammelten sich Hunderte von Männern vor dem Hopkinsschen Parktor. »Sheriff Bill!« riefen sie. »Sheriff Bill! Komm heraus! Wir wollen dich sehen! Spnch zu uns…!« Etwa eine Stunde lang rief die Menge alles mögliche durcheinander, dann sehne sie nur noch rhythmisch im Chor: »She-riff Bill… She-riff Bill… She-riff Bill…!« Am lautesten schrien die Minenarbeiter, unter denen sich auch das Großmaul Burton Spike befand. Endlich kam Bill auf seinem Grauschimmel Blizzard durch das Parktor, doch er kam nicht in der ungezwungenen Haltung, die ihn sonst so jungenhaft erscheinen ließ. Er mischte sich auch nicht unter die Leute, um mit ihnen von gleich zu gleich zu sprechen, wie sie's gewohnt waren. Er kam als General, und seine Blicke ruhten eisig auf den Minenarbeitern. »Hoch…!« schrie Burton Spike. »Es lebe unser Bill, unser Retter…! Willkommen, Bill…!« »Willkommen…!« echote die Menge. »Unser Bill, unser Sheriff, er lebe hoch… hoch… hoch…! Der Mann im Generalsrock verzog keine Miene. Er zügelte sein Pferd und blickte über die Köpfe der Leute hinweg. Mit steinernem Gesicht hielt neben ihm das Kleine Beil. Hinter den beiden warteten Potter und Charlie, ebenfalls zu Pferd. Begleitet von Captain Stephen Vincent ritt Oberst Hintz ein Stück voraus. Er hob die Hand, so daß die Menge verstummte 120
und ihn erwartungsvoll ansah. »Der Befehlshaber ›Nordwest-Prärie‹, der euer Sheriff war und den ihr ›Bill‹ nanntet«, verkündete der Oberst, »läßt euch folgendes sagen: Einen, Sheriff Bill gibt es nicht mehr. Nicht, weil er tot ist – wie ihr glaubtet –, sondern weil ihr ihn in der Stunde der Not verlassen habt!« »Wer hat ihn verlassen?« schrie das Großmaul Burton Spike. »Wir wollten das Beste für die Stadt! Nur ein bißchen gestritten haben wir, weiter nichts! Was soll das Gequatsche überhaupt, he, Sir? Bill soll selber zu uns sprechen!« Ja…!« riefen die anderen. »Er soll zu uns sprechen…!« »Der General bedauerte! Anstelle eines Sheriffs habe ich, Oberst Hintz, die Polizeigewalt, solange der Ausnahmezustand andauert! Meine Befehle gebe ich im Auftrag des gewählten Stadtrats!« »Was…?« schrie Burton Spike. »Sind wir Gefangene der Armee? Sollen wir mit Bajonetten im Rücken arbeiten? Nein, Sir! Wir sind in einem freien Land! Das kann keiner verlangen!« Da trieb Bill sein Pferd dicht an den Schichtmeister heran. »Verlangen nicht, Spike«, sagte er schneidend. »Aber Ihr könnt Eure Sachen nehmen und auswandern. Alle Leute können Devil's Point verlassen, so daß sie als ›Geisterstadt‹ zurückbleibt! Das kann einem gewissen Verbrecher nur recht sein – dem Blutsäufer mit dem vergoldeten Bart! Er wird seine Bande herführen und weiter Silber aus den Minen fördern, während die kopflos gewordenen Devil's Pointer als Flüchdinge in die Städte des Ostens ziehen!« Bill richtete sich im Sattel auf und sprach zu allen anderen: »Meint ihr, so viele Soldaten seien umsonst hier? Meint ihr, ich habe die Weste eines Sheriffs gegen den blauen Generalsrock getauscht, weil ich einen schöneren Anzug brauchte? Meint ihr, der neue Häuptling aller Häuptlinge trägt seine Uniform zum 121
Spaß? Wir sind als Polizeitruppe gekommen, nicht, um Schichtmeister Burton Spike das Maul zu stopfen, nicht nur, um die Ordnung in Devil's Point wiederherzustellen – sondern um das ganze Land zwischen den Seen, den Bergen und den Wäldern vor schrecklichem Schaden zu schützen!« »Hört, hört!« rief jemand aus der Menge. Bill fuhr fort: »Wer kann in den Bergen Klippen gesprengt und Schlamm mit schwefel-phosphor- und jodhaltigen Stoffen in die Flüsse geleitet haben, um sie zu verschmutzen, damit das Vieh in der Ebene krepiert? Doch nur einer, der mit seinem Goldberg kein Glück hat und seit einem Jahr unsere Silberminen haben will! Doch nur einer, der kein Mittel scheut, seine teuflischen Pläne durchzuführen! Solange ich den Goldbart, den Mörder des Scharfen Beils, den Mann, der den Sheriff von Devil's Point erschießen wollte, nicht an den Galgen geliefert habe, kann ich nicht wieder in mein Büro. Zeigt euren guten Willen, Leute, geht ans Werk und achtet Oberst Hintz Befehle! Denn wer weiß, ob der Goldbart nicht einen Überfall mit angeworbenen Freischärlern plant? Der Mann ist ein Eroberer, Leute! Ich werde diesen Rock morgen ausziehen, jawohl! Und ich werde auch den Sheriffstern wieder anstecken, genau, wie Kleines Beil sein Jagdwams und die Leggins wieder anlegen wird – aber nur, um an der Spitze eines Aufgebots von wald- und bergkundigen Männern der Spur des Goldbarts zu folgen. Das Militär bringt euch den Bart des Verbrechers, nun, dann sollt ihr entscheiden, ob ich den Sheriffstern zu Recht behalten kann!«
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Reiten in der Geisterschlucht Kleines Beil hatte berichtet, daß auch der Klare Fluß in den Schwarzen Wäldern die gleiche Verschmutzung aufweise wie der Silberfluß. Das konnte auf einer Naturkatastrophe beruhen. Aber Bill glaubte nicht daran. Er glaubte vielmehr das, was erden Leuten gesagt hatte. Daraus ergab sich für ihn, daß er das Lager des Goldbarts in den westlichen Bergen zu suchen hatte. Also brachen unter seiner Führung Potter, Kleines Beil, Charlie, Inspektor Simpson und zwölf der kundigsten und verläßlichsten Cowboys und Holzfäller dorthin auf. Devil's Point verblieb unter dem Schutze des Militärs, während Bill es vorzog, das Aufgebot in seiner Eigenschaft als Sheriff zu leiten. Ein Stoßtrupp in Blauröcken hätte heimliche Späher die Gefahr viel eher erkennen lassen. »Wir brauchen keinen menschlichen Verräter, der uns in das Lager des Goldbarts führt«, erklärte Bill unterwegs. »Der Verräter ist der Fluß! Seht euch das an!« Einen ganzen Tag waren sie durch Nadelwald-Gebiet geritten, nun hatten sie eine kahle Terrasse unterhalb der gewaltigen Bergkette erreicht Von daher kam der Silberfluß. Normalerweise stürzte er von den fernen Steilhängen in blendendem Weiß aus Wolkenhöhe in die staubige Tiefe. Indianer mieden diesen Platz. Sie glaubten, mit diesem Strom schicke der Gute Manitu die Seelen jener Indianer wieder herab, die er nicht bei sich behalten wolle. Den Augen der Reiter zeigte sich der Wasserfäll jetzt beinahe schwefelgelb. »Hau, hau!« rief Kleines Beil. »Der Gute Manitu speit die Seele 123
des Goldbarts aus!« »Dazu müßte er ihn erst gehabt haben«, sagte Sheriff Bill, »und solche Versehen der Schöpfung halte ich für unmöglich! Es ist der Goldbart selber, der da speien läßt!« Inspektor Simpson nickte grimmig, und Potter schnaubte: »Teufel, das glaub' ich auch!« Charlie schwieg vor Staunen. Fünf Tage lang bewegte sich die kleine Kolonne mit ihren Pack-Mulis durch gewundene Schluchten voran. Nadelwald und Fels, heiße Quellen, Geysire, versteinerte Bäume, Schlammvulkane, gespenstisch tote Krater und erstarrte Lava prägten das menschenleere Gebiet. In dieser Wildnis gab es zahlreiche Tiere – graue, braune und schwarze Bären, Wapiti- und Virginiahirsche und viele andere – doch sie lockten nur einzelne weiße Jäger und Fallensteller an. Für Indianer war das Land heilig, und sie betraten es nur ab und an, um Splitter vulkanischen Glases für Pfeilspitzen zu holen – auch das geschah immer seltener, seit sie Feuerwaffen besaßen. Tief unter den Reitern, scheinbar so dünn wie ein Faden, schlängelte sich der Silberfluß dahin, und je nachdem, wie die Sonne auf ihn fiel, wirkte er gelb, braun, rostrot, ja, manchmal sogar schwarz. An den Schnellen aber sah man ihn als Schlammbrühe strudeln – und je weiter man kam, desto mehr hatte man den Eindruck, daß der Schlamm überwog. An einzelnen Stellen hatte das verdunstete Wasser eine rissige Kruste hinterlassen, und als der Naturpfad die Reiter wieder hinab ans Ufer führte, ließ Bill ein Lager aufschlagen und untersuchte die Kruste genau. Er suchte drei Stunden lang, bis er etwas Blinkendes fand, das kaum größer war als eine Stecknadelspitze. Behutsam schob er eine Messerklinge darunter und hob es auf. »Was ist das?« fragte Potter erstaunt. »Des Rätsels Lösung – und ein Zeichen höchster Gefahr«, erwiderte Bill. »Ich glaube, wir sind unserem Ziel sehr nahe!« 124
Simpsons Männer hatten einen Hirsch erlegt, um für die Abendmahlzeit frisches Wildbret zu haben. Sheriff Bill befahl jedoch, von nun an nicht mehr zu schießen. Das Echo eines Schusses widerhallte hundertfach von den Felswänden; es war, als werde der Schall wie ein Ball in den Tälern, Schluchten, Kratern und Höhlen hin und her geworfen. Trotz der unheimlichen Verzerrung und Vervielfältigung des Nachhalls konnte ein geübtes Ohr womöglich hören, daß ein abgegebener Schuß aus einem Militärgewehr stammte. Auch bei der Wahl von Feuerstellen wurde größte Vorsicht geübt. »Die Männer sollen dem Kleinen Beil gehorchen«, sagte Sheriff Bill zu Inspektor Simpson. »Ein Indianerweiß am besten, wie man sich tarnt. Das Quartier des Goldbarts dürfte flußabwärts hinter der nächsten Bergterrasse sein. Im angeschwemmten Schlick fand ich ein kleines Körnchen Gold? »Gold…?!« rief Potter. »Ein Stück aus seinem Bart?« Bill lachte. »Das nun wohl nicht. Aber du erinnerst dich, daß er im vorigen Jahr von einem Goldbergwerk sprach – und er besitzt wirklich eins, nur scheint es mir eher eine Menschenfalle zu sein!« Bill verriet nichts weiter. Er half den Männern, die Feuerstelle an dem vom Kleinen Beil bezeichneten Platz zu errichten. Der Ort war gut gewählt: Man saß in einer gewaltigen, rechteckigen Felsnische, deren Rückwand dem Oberlauf des Silberflusses zugekehrt war. Über dem Hang war Wald, durch den der Feuerschein des Lagers nicht dringen konnte. »Was wollt Ihr nun tun, da Ihr das Quartier des Verbrechers so nahe glaubt?« fragte Inspektor Simpson während der Mahlzeit. »Ich gehe mit dem Kleinen Beil noch heute auf Erkundung«, sagte Sheriff Bill. »Ihr wartet hier. Es gibt jetzt dreierlei Möglichkeiten: Kleines Beil kommt zurück, um Euch zu holen. Oder wir 125
kommen beide, was aber hieße, daß wir aus Devil's Point Soldaten brauchen. Habt Ihr bei Tagesanbruch noch keine Nachricht, so müßt Ihr mit Potter und den übrigen Männern selbständig handeln. Ihr folgt dem Fluß, und wenn Ihr auf das Banditenlager stoßt, seid Ihr auf Eure Fähigkeiten angewiesen.« »Hm«, brummte Potter. »Verstehe! In diesem Fall müßten wir uns auf' ne feindliche Übermacht gefaßt machen – und auch darauf, daß man dich und Kleines Beil vielleicht geschnappt hat!« »Wir müßten den Gegner dann täuschen«, meinte Simpson. Bill nickte. »Genau! Niemand dürfte euch sehen, aber ihr müßtet so tun, als wäret ihr eine ganze Armee!« Simpson lachte düster. »Von tausend Trupps ist das bisher immer nur einem einzigen gelungen. Aber wir werden unser Bestes tun!« Der Sheriff erhob sich. »Und ich«, sagte er, »werde sehen, daß mir noch eine vierte Möglichkeit einfällt…« Der Morgen graute bereits, als Bill und Kleines Beil durch das Felsgewin neben dem tosenden Wasserfall des Upper-Flusses gestiegen waren. Ihre Pferde hatten sie unten gelassen, dort, wo sich der Fall an einer Felsnase brach und jene zwei Flüsse bildete: den Silberfluß, der nach Devil's Point führte, und den Klaren Ruß, der einen Bogen nach Südosten machte und seinen Weg durch das Gebiet der Indianer nahm. Schon aber hatten Bill und Kleines Beil dort unten etwas Gespenstisches erkannt: Rutschende und glucksende Hügel, deren Formen sich durch die von oben kommenden Wassermassen dauernd veränderten. Unter dem bestirnten Nachthimmel war es gewesen, als schöben sich die Leiber vorzeitlicher Tiere nebeneinander und übereinander. »Der erste Stau des Schlammes, der von oben kommt«, hatte Bill gesagt. »Normalerweise müßte er sowohl den Silberfluß als auch den Klaren Fluß verstopfen, wenn die Kraft des Upper126
Falls nicht durch eine andere Wassermasse verstärkt worden wäre. Wahrscheinlich hat man eine Verbindung zu den Zwillingsseen hergestellt.« »Hau, hau«, murmelte Kleines Beil verwundert. »Wer sollte so etwas können, außer Manitu und den Bibern?« »Das Sprengpulver«, sagte Bill. Vorsichtig schlichen sie nun auf dem weiten Hochplateau von Fels zu Fels. »Halt!« raunte Kleines Beil. »Mein Onkel Bill möge mir sagen, was das ist! Ich sehe riesige Schlangen! Überall Schlangen… Und an ihren Köpfen sind Kanonenrohre, welche Wasser speien…!«Schon war die Sonne glutrot über den Berggipfeln emporgestiegen, der Wasserstaub, der hier oben die Luft erfüllte, wirkte jedoch wie Nebel. Sheriff Bill und Kleines Beil schmiegten sich flach an den Boden und krochen weiter vorwärts. Das Donnern der Stromschnellen hoch oben und tief in den Schluchten übertönte jedes Geräusch. Bill konnte dem Indianer die Worte ins Ohr rufen, ohne daß sie jemand in der Nähe gehört hätte. »Das Wasser vom Berg bildet die Upper-Falls und danach den Silberfluß und den Klaren Fluß«, erklärte er. »Rechts hinten aber braust mit voller Gewalt ein künstlicher Wasserfall, er bringt die Hüten aus den Zwillingsseen. Dort hat man eine Felsbarriere gesprengt. Jetzt ergießt sich das Wasser über mächtige Holzrinnen in starre, gewaltige Lederschläuche – das ist es, was du ›Schlangen‹ nanntest! Und deine ›Kanonen‹ sind eiserne Mündungen, durch die das Wasser gegen die jenseitige Wand der Upper-Schlucht schießt!« »Aber warum…?« »Um mit mörderischer Gewalt die Bergwand auszuhöhlen! Das Gestein wird unterspült, bis es mit allem Schmutz, allem Kalk und allen anderen Stoffen in die Tiefe stürzt So spült man 127
Gold im Groß-Abbau heraus. Unten aber dürfte keine Waschanlage sein… denn die paar Goldsplitterchen würden sich nicht lohnen!« »Was aber lohnte dann?« »Silber«, sagte Bill grimmig. »Es lohnt sich, die Anlage in Betrieb zu halten, um Devil's Point zu zermürben! Der Fluß ist verschmutzt das Vieh krepiert – mögen sich die Leute eine neue Heimat suchen! Dann aber kommt der Goldbart mit seiner Bande die Berge herab und wirft sich auf das Silber von Devil's Point!« »Hau!« rief Kleines Beil. »So werden wir uns jetzt auf den Goldbart werfen!« »Langsam, langsam«, mahnte Bill. »Noch haben wir das Lager nicht gesehen – geschweige denn den Schurken selbst!« Sie krochen wie Echsen aus der Zone des donnernden Wassers und des Sprühnebels heraus, aber nicht zurück, sondern weiter in nördliche Richtung. Als die Sicht mcht mehr durch Wasserstaub getrübt war, erhoben sie sich in der Deckung eines Felsens. Sheriff Bill nahm das Halstuch ab und fuhr damit über sein nasses Gesicht Viel Zweck hatte das nicht; genau so gut hätte er einen feuchten Lappen benutzen können. Auch über Stirn und Wangen des Kleinen Beils rannen Wassertropfen. Im Osten war die Sonne höher gestiegen. Ihr rödich-goldener Schein erhellte Gipfel, Felstenassen, Stromschnellen, Steinwände und Waldspitzen der wohl seltsamsten Urweltlandschaft des amerikanischen Nordwestens. Überall sah man Spuren der Tertiärzeit – jener vulkanischen Erdepoche, in der die großen Faltengebirge – Alpen, Pyrenäen, Karpaten, Kaukasus, Apennin, Himalaja, Kordilleren – in den jeweiligen Kontinenten entstanden sind. Hell schimmerte das berühmte gelbe Moos auf den Lavafelsen, einzelne, geisterhaft-weiße Hänge hoben sich von den übrigen ab; irgendwo zwischen blaugrünen Tannen 128
dampfte eine heiße Quelle. Im Westen blickte man auf die höchsten Gipfel der Rocky Mountains, auf die Wasserscheide, von wo aus es wieder abwärts ging, nach Kalifornien hinein. Aber Sheriff Bill und Kleines Beil waren nicht hier, um die Wunderwelt der Berge zu genießen. Sie standen auf einem von donnerndem Wasser umspülten Hochplateau und suchten das Lager des größten Verbrechers, der dieses Paradies je betreten hatte. Kleines Beil lugte über die Felswand nach Norden. »Hau, hau«, murmelte er enttäuscht. »Wir sitzen auf dem Berg wie auf einer ausgestreckten, flachen Hand. Außer Steinen sehen meine Augen nichts!« Bill beugte sich vor und folgte seinem Blick Fern ragten schneebedeckte kanadische Berge. Aber – wie Kleines Beil gesagt hatte –: das Plateau, auf dem sie sich befanden, war kahl, sah man von einigen natürlichen Buckeln und herausragenden Steinspitzen ab. »Und dennoch braust hinter uns das abgeleitete Wasser duch teure Schläuche«, überlegte Bill. »Sollte der Goldbart diesen riesigen Unfug hier zurückgelassen haben und mit seiner Bande fortgezogen sein, ohne sich um den Nutzen seines Teufelswerks zu kümmern? Ich habe hier sein Quartier vermutet!« »Aber es ist nicht da!« erklärte Kleines Beil. Sie verließen die Deckung und gingen über die Bergfläche, die einer hohen Aussichtsplattform glich. Plötzlich packte der Indianer Bill am Arm. »Hau…« raunte er. »Gib acht!« Doch Bill hatte schon bemerkt, was er meinte. Blitzschnell verbargen sie sich hinter einer Felsstufe. »Männer mit Gewehren!« flüsterte Kleines Beil. »Aber was machen sie da…?« Vorsichtig blickte Bill über die Deckung hinweg. Er sah ein hal129
bes Dutzend bewaffneter Burschen am Boden kauern. Es war, als hätten sie keine Beine. Doch dann wurde ihm klar, daß sie am Rande von Löchern saßen, ihre Füße standen oder hingen im Inneren des Berges. »Kleines Beil«, flüsterte Bill. »Mir kommt ein schrecklicher Gedanke! Wir suchen das Bergwerk des Goldbarts! Wir suchen sein Lager! Und wir liegen direkt auf diesem Lager drauf!« »Was meint mein Onkel Bill?« »Der Berg ist wie ein Bienenkorb! Alles ist dann verborgen: die Arbeiter, die Drohnen, die Königin, in diesem Fall der Goldbart, Kommodore Horry, der Blutsäufer!« »Welcher meinen Vater Scharfes Beil getötet hat!« erwiderte Kleines Beil. »Hau, hau! Laß uns das Nest ausräuchern…!«
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›Kleines Beil‹ bekommt die Adlerhaube »Es ist ein Berg mit vielen Höhlen«, meinte Sheriff Bill. »Und ich denke, da der Verbrecher nur wenig Gold bei den Wassern gefunden hat, versucht er jetzt, im Inneren des Berges an die Goldader heranzukommen. Dabei hilft ihm die Beschaffenheit der Natur. Zudem kann er alles im Inneren unterbringen – und kein Beobachter wird ermessen, wieviel Arbeiter und Bewacher, welches Werkzeug und welche Waffen er hat. Diese Kerle, die da hocken, sind aus den Schächten ans Licht gestiegen. Sie achten darauf, daß nach oben niemand entflieht – denn der Goldbart wird mit weißen Sklaven arbeiten, die er unter Versprechungen hergelockt hat. Übrigens scheinen diese Burschen recht sicher zu sein: Sollten Soldaten versuchen, das Bergwerkzu besetzen, würden sie sich ins Innere verziehen und durch Gänge und Höhlen in die Schluchten jenseits des Upper-Falls entkommen.« »Was hat mein Onkel vor?« fragte Kleines Beil. »Will er umkehren und Soldaten holen?« »Nein. Denn ich sehe etwas, was mich auf eine Idee bnngt. Wohl können wir nicht über die Fläche auf die Burschen zugehen. Sie würden uns bemerken. Aber dort liegt ein Rohr aus Leder, eine jener ›Schlangen‹, wie sie an der Upper-Schlucht zum Auffangen des Wassers verwendet werden.« Es handelte sich offenbar um einen Ersatzschlauch – oder um einen, der schadhaft geworden war. Er lag ein paar Schritte von 131
der Felsstufe entfernt und mündete in der Nähe der Löcher, an deren Rand die bewaffneten Wächter hockten. Ihrer Verwendung entsprechend war der Durchmesser dieser Rohre sehr groß. Außerdem waren sie an den Nähten rundversteift, so daß sie auch dann nicht zusammenfielen, wenn kein Wasser hindurchfloß. »Du wirst da hineinkriechen«, sagte Bill. »Du wirst aus voller Kehle den Kriegsschrei deines Stammes schmettern. Das Weitere werden wir sehen! Es wäre doch gelacht, wenn wir sie nicht aus ihren Löchern holen könnten.« Kleines Beil zögerte keine Sekunde. Er glitt über die Felsstufe und verschwand wie ein Aal in dem Rohr. Gleich darauf gellte sein Schrei, und die Wirkung war stärker, als sich selbst Bill es erhofft hatte. Jippüi… jippiiii… Hiii…!« Durch die schaurige Vielfalt des Echos in diesem Gebiet konnte niemand, auch nicht der Kundigste, wissen, wo die Schallquelle war. Ein Indianerschrei konnte wie der von Hunderten klingen, Hunderte jedoch wie ein einziger. Die Verstärkung durch das Rohr tat ein übriges. Die Männer krochen aus ihren Berglöchern und rannten nach Norden in Richtung des Echos. Im Nu war SheriffBill hinter ihnen: »Waffen weg! Hände hoch!« Die Riesenkerle fuhren herum. Zwei von ihnen bleckten vor Schreck die Zähne. »Sieh da… des Goldbarts Leibwache, die Goldboys!« sagte Bill. »Ich sehe da… und da… ein vergoldetes Schneidezähnchen blitzen! Das ist das Zeichen eurer Bande!« Einer wollte sein Gewehr heben, doch Bill herrschte ihn an: »Waffe runter, Kerl! Du willst wohl an den Galgen! Hier steht ein Polizeichef und General der Armee!« 132
Die Burschen beeilten sich, ihre Gewehre niederzulegen. Bill fuhr fort: Jetzt folgendes, und zwar schnell! Ich will meine Hand schonen! Was ist euch lieber? Eine Kugel aus meinen Colts – oder ein Kinnhaken? Du da, komm her, du bist stark! Gib deinen Freunden ein paar Stüber, daß sie schlafen gehen!« Der Angesprochene, außer sich vor Schreck und wohl in der Hoffnung, daß Bill ihn schonen würde, holte aus und schlug einen seiner Kumpane zu Boden. »Ich sehe, du hast Kraft! Nimm den nächsten!« befahl Bill. »Was, zum Teufel, geschieht hier?« krächzte es da hinter ihm. Bill fuhr herum. Auf dem leeren Plateau, wohl durch eins der Löcher an die Oberfläche gestiegen, stand der Goldbart. Sein Anblick in der strahlenden Morgensonne war furchtbar. Wie ein der Hölle Entsprungener wirkte der Riese mit dem alten Admiralshut, dem langen, goldverschnürten Rock und den roten Zuavenhosen. Und die vergoldeten Barthälften in dem ledernen Gesicht hingen wie gelbes Bergmoos herab. In jeder Hand hielt er eine Pistole. Als er den totgeglaubten Sheriff Bill erkannte, verzerrte sich sein Mund vor Zorn, so daß man die goldenen Zähne blitzen sah. »Der Polizist aus Devil's Point!« krächzte er. »Dachtet, Ihr hättet mich ausgelöscht, Master?« erwiderte Bill kalt. »Doch Ihr seht richtig! Hier steht Sheriff Bill, General der Armee, der die Truppen des Nordwestens aufgeboten hat, um Devil's Point vor Euch zu schützen! Nehmt die Pistolen runter, Kommodore Horry! Der Bart ist ab!« »Der Bart ist ab…?« höhnte der Blutsäufer. »Nicht, daß ich wüßte! Ich weiß nur, daß Ihr in der Falle seid! He, Boys, Gewehre hoch! Stoßt ihm die Läufe in den Rücken, daß er sich wie gespickt vorkommt! Aber schießt erst, wenn ich's befehle!« Bill spürte die Mündungen. Eine berührte ihn kalt im Nacken, eine stieß ihm gegen die Wirbelsäule, je eine drückte in seine Sei133
ten. Die beiden übrigen Goldboys mochten sich noch nicht erholt haben. »Kommodore Horry«, sagte Bill furchtlos. »Ihr habt genug gemordet! Ich bin der Strich unter Eurer Lebensrechnung! Ihr glaubtet, Ihr könntet Not, Feuersbrunst und Tod in alle Winde schleudern wie ein heidnischer Gott. Das ist vorbei, Horry! So, wie das Gold in diesem Berg versiegt ist, so versiegte Euer Piratenglück! Nicht mit den teuflischen Listen, noch mit den Mitteln der Auszehrung und der Verpestung werdet Ihr Devil's Point erobern, um Euch auf unser reiches Silberbergwerk zu setzen!« »Wer sagt, daß ich das will?« sehne der Goldbart. »Was soll ich mit Eurem dreckigen Silber – ich, der Besitzer dieses Goldbergs, den ich ehrlich erworben habe?« »Der Berg mag Euer eigen sein«, erwiderte Bill. »Doch ich schätze, er wirft gerade so viel ab, um Eure Zwangsarbeiter am Leben zu erhalten. Nein, Horry, macht mir nichts vor! Wenn Ihr von Dreck redet, so meint Ihr das, worauf Ihr sitzt! Jeder Fußbreit dieses Berges dürfte kaum noch so viel wert sein wie die falschen Anteilscheine, die Ihr ausgestellt habt, um im vergangenen Jahr unsere Leute ihres Besitzes zu berauben. Euer Stündlein hat geschlagen!« »Oder Eures!« krächzte der Goldbart. »Zur Seite, Boys! Wir haben von Gold und Silber gesprochen – jetzt sprechen meine Colts mit Blei!« Er trat einen Schritt zurück und hob die Pistolen. Im nächsten Augenblick löste sich ein Schuß… doch ging er in die Luft! Kleines Beil war durch das leere Rohr hindurchgekrochen und wie eine Klapperschlange aus dessen Vorderseite geschnellt. Jetzt hielt er den Goldbart mit eisernem Griff umklammert. »Teufel!« schrie der Verbrecher. »Schießt, Boys, schießt!« Doch die Boys hätten nur ihn getroffen, da Kleines Beil hinter 134
ihm stand. »Schießt nicht!« rief Bill. »Dieser Indianer ist Kleines Beil, der neue Häuptling aller Häuptlinge! Krümmt ihr ihm nur ein Haar, so werden die roten Völker über euch kommen wie ein Wespenschwarm!« »Hau!« rief Kleines Beil, »so, wie ich gekommen bin, um den Mörder meines Vaters zu fangen, meines Vaters, der aus den ewigen Jagdgründen auf mich herabblickt… Bill, was soll ich mit dem Stinktier tun?« »Werft die Pistolen hin, Goldbart!« befahl der Sheriff. »Fügt Euch! Der Häuptling ist zur Zeit noch Oberst der Armee!« Der Verbrecher gehorchte, aber er brüllte: »Ein schmutziger Indianer auf meinem Berg? Und ein Oberst der Armee soll er sein? Schande…! Schande…! Laß mich los, du elender Kojote, laß mich los!« Kleines Beil löste die Umklammerung, doch er drehte den Goldbart herum und spie ihm ins Gesicht. »Du spuckst mich an?« heulte der Verbrecher. »Warte! Er stürzte sich auf das Kleine Beil, der Indianer bückte sich und ließ den Riesen wie einen Sack über seinen Rücken rollen. Der Goldbart stürzte zu Boden. Bill wandte sich den Goldboys zu: »Nehmt Vernunft an, werft die Gewehre weg! Ihr habt keine Chance mehr!« Die Boys waren wieder so unsicher, daß es aussah, als wollten sie dem Befehl Folge leisten. Doch auf einmal erhoben sie die Waffen von neuem. »Haha…« triumphierte der Goldbart. »Da kommt Verstärkung! Los, packt sie! Packt die rote Kröte!« Aus den Berglöchern waren sechs, sieben schmutzige Burschen gestiegen, mit denen Kleines Beil jetzt heldenmütig rang. »Ich will die Kröte lebend haben!« keuchte der Goldbart. »Ich will sie zerschmettern!« 135
Im gleichen Moment bekam Bill einen Kolbenschlag über den Kopf, der ihm die Sinne nahm. Als er wieder zu sich kam, hörte er wieder das Donnern und Brausen des Wassers. Seine Hände und die Füße waren gefesselt, auf seinem Gesicht spürte er Feuchtigkeit. Man hatte ihn über das Plateau an den Rand der Upper-Fall-Schlucht geschleppt, und zwar dorthin, wo die dicken, wasserspeienden Rohre lagen. »Er öffnet die Augen…!« hörte er die überkippende Stimme des Goldbarts. »Er soll sehen, wie ich die rote Kröte zerschmettere!« Bill wurde von den groben Fäusten gepackt und hochgerissen. »Halt…!« schrie er. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern erstarren. Zwei Goldboys schleppten das gefesselte Kleine Beil an den Rand der Schräge, über die mit mörderischer Gewalt das Wasser von den nördlichen Zwillingsseen kam; dort standen die breiten Holzrinnen, die es leiteten und in die dicken Schläuche lenkten. Einer der schmutzigen Kerle nahm am Rande der Schlucht die eisernen Mündungen ab. Was der Goldbart plante, war klar: Er wollte Kleines Beil durch das Rohr in die tiefe Schlucht schießen lassen. »Halt…!« rief Bill. »Goldbart, das ist sinnlose Teufelei! Verhandelt mit mir, aber verschont den Jungen!« »Mit Euch verhandle ich, wenn Ihr das mitangesehen habt!« schrie der Goldbart. »Dann verhandelt sich's besser!« Die Boys wateten mit dem gefesselten Indianer zu einer der breiten Holzrinnen, durch die das reißende Wasser mit tobender Gewalt in die dicken Rohre schoß. »Halt«, rief Bill wieder. »Wer Kleines Beil durch das Rohr schießt, wird selbst zerschmettert! Haltet ein…!« Jetzt hört Euch niemand mehr!« höhnte der Goldbart. »Vor136
wärts! Ihr sollt es hübsch zu sehen kriegen!« Bill wandte alle Kräfte auf und zerrte wie ein Rasender an den Stricken, doch es war zwecklos… Zwei der Boys legten Kleines Beil mit dem Kopf voran m die vorderste Rinne. Der tosende Strudel riß ihn sofort mit sich in den dunklen Schlund des Rohres. Bill sah, wie seine Füße verschwanden. »Kleines Beil…!« rief er. »Schaut vorwärts!« kreischte der Goldbart in wildem Triumph. »Schaut zum Rand der Schlucht! Gleich seht Ihr Euren Freund noch einmal!« Und so war es: Wie ein Pfeil schoß der gefesselte Indianer aus der Mündung des Rohrs heraus; man sah ihn in gischtendem Wasserstrahl dem jenseitigen Felsen zufliegen… dann hatte die Schlucht ihn verschluckt »Das büßt Ihr mir!« rief Sheriff Bill. »Für diese letzte Teufelei lass ich Euch in der Hölle braten! Ihr habt mir meinen Freund genommen!« »Es gibt genug rote Ratten«, höhnte der Goldbart. »Ihr könnt Euch wieder eine suchen! Vorausgesetzt, ich lasse Euch frei!« Er gab den anderen Verbrechern einen Wink. Sie packten Bill und führten ihn zurück auf das Plateau, nachdem sie seine Fußfesseln so weit gelockert hatten, daß er mit kleinen Schritten gehen konnte. »Ich biete Euch ein Geschäft an«, sagte der Goldbart. »Schreibt einen Zettel, daß Ihr in meiner Gewalt seid! Wenn es stimmt daß in Devil's Point Soldaten sind und daß Ihr Generalsrang habt, so befehlt den Truppen, sie sollen in ihre Forts zurückkehren. Ich werde einen meiner Boys mit der Botschaff hinschicken. Sodann befehlt den Abzug aller, die hier in der Gegend sind, denn sicher kamt Ihr nicht allein. Wenn man mich in Ruhe läßt, gehe ich über die Wasserscheide nach Kalifornien. Doch damit mich nie137
mand verfolgt, nehme ich Euch als Geisel mit. Später lasse ich Euch frei!« »Nur, um meine Haut zu retten, soll ich dazu beitragen, daß Ihr Euren Goldbart in Sicherheit bringt und neues Unheil brütet? Nein, Kommodore Horry, kein solches Geschäft mit mir!« Bill schnellte vor, rannte dem Verbrecher den Kopf in den Magen, so daß er rücklings zu Boden fiel. Dann stürzte er sich über ihn. Doch da er gefesselt war, konnte er den sich Krümmenden nicht halten. Der Goldbart wälzte sich keuchend auf ihn herauf. »Ich werde dich durch das Rohr schießen«, ächzte er. »Durch das Rohr, wie deinen Freund!« Da schrie Bill, so laut er konnte: »Männer… hört! Die Indianer kommen! Die Indianer…! Ihr seid des Todes…! Rettet euch…!« Der Goldbart sprang auf. Er sah, wie die Goldboys und die anderen Männer verschreckt wie die Hasen an den Rand des Plateaus liefen. Die schmutzigen Burschen, die zuletzt gekommen waren, ergriffen die Flucht über die Felsstufe. »Halt!« heulte der Goldbart. »Das ist eine List! Glaubt ihm nicht! Nirgendwo sind Indianer!« »Sie sind im Rohr, im abgelegten, trockenen Rohr!« rief Sheriff Bill. »Ich höre sie…!« Das klang glaubhaft, denn Kleines Beil hatte sich vorhin auch durch diesen Schlauch angepirscht. Und die Goldboys erinnerten sich jetzt an das Kriegsgeheul, das sie zu Anfang erschreckt hatte. Sie rannten an dem leeren Rohr entlang und schossen wie wild in dessen dicke Lederwand. Bill aber rollte sich zu einem der Löcher, die ins Innere des Bergwerks führten. Mit den nur locker gefesselten Füßen schwang er sich hinein und ließ sich einfach fallen. Er prallte gegen eine eiserne Leiter und stürzte abwärts. Aber der Schacht war eng, und so gelang es ihm, durch kräftiges Hin- und Her138
schwingen der Schultern die Wucht des Falles zu vermindern. Plötzlich fühlte er, wie sein linker Fuß über die eisernen Sprossen streifte. Er winkelte ihn an und trat allmählich zu. Schmerzhaft stieß der Fuß von Sprosse zu Sprosse abwärts, aber der Sturz wurde immer mehr gebremst, und schließlich stand Bill mit beiden Füßen auf einer Sprosse still. Mit dem Rücken lehnte er an der Felswand, und nun versuchte er, an der rauhen, unebenen Fläche seine Fesseln durchzuscheuern. Das gelang ihm nicht. So rutschte er, den Rücken gegen die Schachtwand gestemmt, weiter mit den Füßen die Leiter abwärts. Am Ende war ein schräger Stollen. Dort lag Geröll vom Goldabbau. Hier begann das eigentliche Bergwerk, Bill legte sich lang hin, wälzte sich auf einen großen Stein zu und versuchte sein Glück aufs neue. Doch die Stricke waren zu stark. Er lauschte. Die Verbrecher folgten ihm nicht. Anscheinend suchten sie ihn oben oder mochten nicht glauben, daß er den Sturz hinunter lebend überstanden habe. Bill richtete sich auf und stolperte m kleinen Schritten, die die Fesselung der Füße gestatteten, in den dunklen Stollen hinein. Immer wieder fiel er hin, immer brachte er sich mit aller Kraft wieder hoch. Endlich erspähte er ein Licht – den Schein einer Petroleumlampe. Je weiter er kam, desto deutlicher hörte er Stimmengewirr. Der Stollen mündete unvermittelt in einen breiten Quergang. Bill blickte sich um: Er sah das primitivste Bergwerk, in dem er sich je befunden hatte. Dies mußte die Sohle sein. Durch Felsöffnungen drang ein wenig Tageslicht, sonst aber war alles nur von Petroleumlampen an den Wänden erleuchtet. Der Sheriff sah verrostete Schienen und hölzerne Wagen mit Eisenrädern; die Wagen waren mit Geröll gefüllt. Nach rechts führte ein Stollen, dessen Stirnwand frische Spuren von Spitzhacken aufwies. Endüftungsanlagen gab es nicht. Die natürlichen Öffnungen, oft so klein, daß nicht einmal der Kopf eines Menschen hin139
durchging, mußten genügen. Also hatte Bill die Vermutung nicht getrogen: Wenn es hier Gold gab, dann nicht so viel, um einen weiteren Abbau lohnend erscheinen zu lassen. Der Sheriff wandte sich nach links und schob sich mit dem Rücken an der Stollenwand entlang. Der Ausgang konnte nur dort sein, wohin die Schienen führten. Das Stimmengewirr wurde lauter. Plötzlich sah sich Bill in einer riesigen Höhle, die von Schatten erfüllt war. Ein Kind hätte geglaubt, jäh unter Gespenstern versetzt worden zu sein. Es waren Menschen… Männer… des Goldbarts Zwangsarbeiter… Einer hob seine Lampe und rief: »He, du! Warst du oben im Schacht? Was ist los?« Doch er ließ die Lampe fallen und stieß einen Schrei aus. »Was hat er…?« riefen andere. »Ist er verrückt…?« »Ich habe einen Geist gesehen…!« schrie der Mann. »Den Geist von Sheriff Bill…!« Da rief Bill mit mächtiger Stimme: »Du hast keinen Geist gesehen! Wer bist du, daß du mich kennst?« »Ich bin aus dem Bahnlager von Devil's Point«, wimmerte der Mann, »und der Goldbart sagte uns, er habe Euch umgebracht!« »Bill…? Sheriff Bill…?« schrien andere. »Kommt Ihr, uns zu befreien?« Ja!« rief Bill. Und er befahl den ihm zunächst Stehenden: »Schnell, Bursche, löse meine Fesseln! Ich brauche meine Hände für den Goldbart! Und meine Füße auch!« Die Männer umringten ihn verwirrt »Seid Ihr allein? Wo ist der Goldbart? Wo sind die Wachen?« Als Bill Hände und Füße frei hatte, sagte er: »Wachen? Ein Teil ist auf dem Plateau. Aber ich denke, es wird noch mehr geben, oder?« »Am Fuße des Berges«, kam die Antwort. »Wir sitzen in der Falle! Wir dürfen nicht nach unten und nicht nach oben. Und 140
alle, die rebelliert haben, sind angekettet!« »So! Das habt ihr von eurer Einfalt und Goldgier! Vor einem Jahr seid ihr aus Devil's Point geflüchtet, um dem Verbrecher zu dienen! Und so sehe ich euch wieder! Was sind sonst noch für Leute da?« »Welche aus Kalifornien, die Anteilscheine für diesen Berg gekauft haben«, erwiderte ein Mann. »Anteilscheine für die Hölle!« sagte Bill.»Wieviel seid ihr?« »Ohne die Angeketteten etwa hundertfünfzig«, gab ein hagerer Alter Auskunft. Ein anderer fügte hinzu: »Und ohne die Toten!« »Was für Tote?« fragte der Sheriff. »Die, die an Erschöpfung starben!« erwiderte der Alte. »Ist hier jemals Gold gefunden worden?« Ja, aber wenig. Für den Goldbart und seine Boys und für ein paar andere Antreiber hat's gerade gereicht!« »Schußwaffen habt ihr nicht?« »Nur Hacken und Picken!« »Folgt mir durch den Stollen!« befahl Bill. »Ich schätze, die Kerle werden runterkommen, wenn sie mich oben nicht finden!« An der Spitze der Meute langte Sheriff Bill eben rechtzeitig unterhalb der Leiter an. Der erste Goldboy fiel ihm richtig in die Arme; er hatte keine Zeit, seinen Colt zu gebrauchen – ehe er wußte, wie ihm geschah, wurde er gepackt und von den Arbeitern zu Boden geschlagen. Nun ging es wie am Schnürchen: Bill nahm den zweiten, dritten, vierten, fünften in Empfang. Der letzte aber blieb im Schacht. An die Leiter geklammert, rief er mißtrauisch: »'dammisch! Was ist da unten los…?« »Sheriff Bill ist los…!« bekam er zur Antwort. »Komm runter, Boy, ich bin frei und habe eine Waffe! Komm herab!« Der Boy aber warnte den Goldbart. Erbrüllte nach oben: »Vorsicht, Kommodore! Der Kerl ist frei! Er ist bewaffnet!« 141
Bill beugte sich in den Schacht hinein und blickte an der Leiter empor. Mit dem Colt, den er dem ersten Verbrecher abgenommen hatte, zielte er sorgfältig – und schoß. Die Kugel traf den Fuß des Boys. Dieser ließ die Leiter los und kam heulend herabgesaust. Sheriff Bill aber klomm so schnell er konnte wieder empor. Der Goldbart war noch oben! Der durfte ihm nicht entkommen! Bill schwang sich über den Rand des Loches auf das Plateau. Er sah niemanden. Die geflohenen Kerle waren nicht zurückgekehrt. »Goldbart…!« dröhnte seine Stimme. »Goldbart, wo bist du…? Jetzt wirst du rasiert…!« »… rasiert… rasiert… rasiert«, klang das Echo schaurig von allen Seiten. »Hau!« rief plötzlich jemand. »Mein Onkel Bill möge dorthin sehen, wo die Sonne steht!« Sheriff Bill trat ein paar Schntte vor. Er mußte blinzeln, er traute seinen Augen nicht. Auf dem Boden kniete der Goldbart. Über ihm, seine Arme über Kreuz verrenkend und in einsernem Griff haltend, stand… das Kleine Beil…! Das Kleine Beil, durchnäßt und mit Schlamm bedeckt »Du lebst…?« rief Bill freudig. »Hau! Ein Indianer ist wie eine Schlange. Kleines Beil kann sich im Fluge entfesseln, denn so etwas erlernen die Sioux-Ogalala schon als Kinder. Kleines Beil ist ins brüllende Wasser der Schlucht gefallen und auf den Wellen geritten. Als er an einem Stein hing, holte ihn Charlie heraus!« »Charlie…?« »Er ist da. Und Potter und Simpson und die anderen müssen auch bald kommen. Aber mein Onkel Bill möge mir sagen, was ich jetzt mit diesem Ungeheuer tun soll, welches meinen Vater getötet hat!« 142
»Das werde ich dir zeigen«, rief Bill. »Laß ihn aufstehen, aber halte ihn fest!« Bill zog dem Verbrecher sein scharfes Bowie-Messer aus dem Gürtel. »Was wollt Ihr…?« krächzte der Goldbart, sich vergeblich in den Armen des Indianers windend. »Eure Barthälften, Kommodore! Eine für die Ogalala, deren weisen, alten Häuptling Ihr getötet habt – und eine für Häuptling Wenuhan, dem Ihr die Sprache nahmt!« »Indianer!« schrie der Goldbart. »Zum Teufel mit Euren Indianern! Rührt mich nicht an! Laßt mir meinen Bart! Laßt mir…« Sein Geheul verstummte jäh. Fassungslos starrte er aus seinen Krokodilsaugen auf die beiden Bart-Enden, die Bill ihm vor die Nase hielt. »So«, sagte Bill. »Der Bart ist wirklich ab! Die Indianer werden ihn mit dem Trommelschlag der Freude empfangen. Ihr aber, Kommodore Horry, werdet auf dieser Welt keine Zeit mehr haben, Euch einen neuen Bart wachsen zu lassen!« Bill entfaltete sein Taschentuch und legte beide Barthälften sorgfältig hinein. »Nimm das in Verwahrung, Kleines Beil«, sagte er. »Nie…!« ächzte der Verbrecher. »Nie wird die rote Kröte meinen Bart beschmutzen!« Mit der Gewalt eines Tobsüchtigen riß er sich los und stürzte sich auf Bill. Das Tuch mit den Barthälften fiel zu Boden. »Heb es auf, Kleines Beil…!« rief Bill. Er gab dem Blutsäufer einen Stoß, der ihn zu Boden warf. »Hau«, sagte Kleines Beil befriedigt. »Ich habe das Tuch. Ich werde es einstecken, und es wird bei mir so sicher sein wie in den Fängen eines Grislys!« Da sprang der Verbrecher auf. Er floh über das Plateau, so schnell, wie man es dem knochigen, alten Riesen niemals zuge143
traut hätte. In seltsamen Bocksprüngen rannte er auf die Wasserrohre zu. »Halte ihn…!« gellte die Stimme des Kleinen Beils. Aus dem Schacht waren Arbeiter gekommen. Sie sahen den Blutsäufer rennen. Einer, der sich den Colt eines Goldboys angeeignet hatte, wollte schießen. »Ich will ihn lebend haben…!« rief Bill. Er setzte dem Fliehenden nach. Aber der Pirat war schnell. Er sprang auf die Schräge, über die das Wasser in die Rohre sprudelte. An der Stelle, an der das erste Rohr begann, versuchte er die breite Holzrinne zu überqueren, doch die Gewalt des Wassers warf ihn zurück. Und schon war Bill heran. Der Blutsäufer drehte sich um und tat, als wolle er wieder auf das trockene Plateau. Er rannte Bill ein Stück entgegen, wendete blitzschnell und warf sich mit voller Wucht auf den Sheriff. Bill stürzte mit dem Rücken gegen die Holzrinne, der Anprall war so stark, daß er sekundenlang wie gelähmt war. Und diesen Augenblick nutzte der Verbrecher. Bill hörte das erschreckte, gellende »Hau, hau!« des Kleinen Beils nicht mehr. Kaum fühlte er, wie ihn der Blutsäufer in die Rinne warf und wie ihn das Wasser mitriß, der dunklen Öffnung des Rohrs entgegen. Kurz bevor er jedoch den Schlund erreicht hatte, griffen seine Hände mechanisch an die Kante der Rinne und krallten sich dort fest. Gegen die Gewalt des Wassers versuchte er ein Bein über den Rand zu heben, er rollte sich seitwärts, und nun hob ihn der Strudel sogar. Mit letzter Kraft rollte Bill über die Kante aus der mörderischen Wasserleitung heraus. Das Rohr hatte ihn nicht geschluckt… der kanalisierte Strom hatte ihn nicht hindurchgepreßt und in die Schlucht hinabgerissen. Blind vor Wut kam der Verbrecher heran. Bill war kaum auf den Beinen, da hatte er wieder mit dem Riesen zu ringen. Doch 144
plötzlich rutschte der Gegner auf dem glatten Boden aus, er stürzte in die Ruine, und zwar an jener Stelle, wo sie sich neigte und unmittelbar in das Todesrohr überging. Ein furchtbarer Schrei, mehr ein Gurgeln… dann verschwanden die roten Zuavenhosen im Schlund. Die Männer auf dem Plateau standen wie erstarrt. Es dauerte nicht lange und aus der Mündung über der Schlucht kam in einem Wasserschwall das Ungeheuer heraus. In den blitzenden Kaskaden sah man das Blau seines Admiralsrockes, das Gold daran und die roten Hosen. Das Wasser donnerte, trotzdem drang ein Geheul an das Ohr der Männer, wie sie es schlimmer niemals gehört hatten. Kommodore Horry, der einstige Goldbart, der Blutsäufer, wirbelte durch die Luft über die Upper-Schlucht. Etwa in der Mitte begann sein Körper wie eine groteske Riesenpuppe abwärts zu sausen. Einer der Arbeiter blickte in die Tiefe. Dann meldete er schaudernd: »Er… er ist auf einem Fels im Fluß… zerschmettert!'' »Hau!« sagte Kleines Beil. Er blickte zum Himmel empor und hob die Arme: »Sieh, mein Vater Scharfes Beil! Sieh aus den ewigen Jagdgründen herab! Der Goldbart ist tot! Der böse Manitu selber hat ihn zu sich in die Tiefe geholt! Hau, hau…!« Nun sah Sheriff Bill auch Potter und Simpson, die die Höllenfahrt des Verbrechers beobachtet hatten, denn Potter murmelte fassungslos: »Ich hab' ja schon viel erlebt, aber das… aber das!« »Besser, als wenn Sheriff Bill durch das Rohr geschossen wäre«, sagte Charlie gefaßt. Inspektor Simpson nickte nur… »So«, sagte Sheriff Bill. »Aber es gibt noch einiges zu tun. Die Rohre müssen weg! Der Schmutz darf keinen Tag länger aus der Felswand in die Flüsse gespült werden! Wir haben genug Arbeiter, die ihre Dummheit abbüßen können! Ans Werk! Los, Män145
ner! Vielleicht finde ich zum Lohn dafür auch eine Verwendung für euch in der Stadt!« Fünf Wochen später, als die Soldaten Devil's Point längst verlassen hatten und das Wasser des Silberflusses wieder klarer zu fließen begann, nahten Indianer aus den Wäldern: Das Kleine Beil kam noch einmal zurück, begleitet von seinem Unterhäuptling Doppelfelder. Mit ihnen aber trafen sich auf den Weiden vor der Stadt die Häuptlinge Abraham, Weiße Leber, DreifacherDonner-der-hinter-den-Wolken-wohnt, Patala, Schnelle Zehe, Dreihom, Ashakie, Louis und Gespaltener Speer sowie die Häuptlinge Zwillingsbär, Fliegendes Messer, Hagelschlag – und Wenuhan. Zusammen mit Stadtvorsteher Hank Rathermore, Doktor Knox, Potter, Simpson und anderen wichtigen Vetretern von Devil's Point begrüßte Sheriff Bill die Abordnung der Indianerfürsten. Auch Charlie war unter den Leuten. »Du hast mir die Hälfte des goldenen Bartes gebracht«, ließ der stumme Wenuhan zu Bill durch seinen Dolmetscher sagen. »Und Kleines Beil hat die andere Hälfte, die ihm als Trophäe zusteht, da der weiße Teufel seinen Vater getötet hat.« Und Häuptling Dreifacher-Donner-der-hinter-den-Wolkenwohnt sagte: »Du hast deinen Schwur gehalten, Bill, unser Heller Stern, der weiterhin über den roten Völkern leuchten soll! Friede… Friede!« »Friede…!« murmelten die Häuptlinge im Chor. Dreifacher-Donner-der-hinter-den-Wolken-wohnt fuhr fort: »Und also soll Kleines Beil unser Großkönig sein und die große Adlerhaube aufsetzen, damit jeder von uns ihre Schleppe berührt!« Doppelfeder brachte den prächtigen Schmuck herbei, doch Kleines Beil rief: »Keiner meiner roten Brüder setze sie mir auf – 146
Sheriff Bill soll es tun, zum Zeichen, daß unsere Freundschaft ist wie diese Krone aus den schönsten Federn des starken Adlers!« Die Häuptlinge murmelten beifällig, und Bill setzte dem jungen Indianer die große Adlerhaube des Häuptlings aller Häuptlinge auf. »Hau!« rief Kleines Beil. »Nun kann mein Vater im Himmel ruhig sein – und der gute Manitu wird ihm längst eine viel schönere Haube gegeben haben!« Ehrfürchtig betrachtete Charlie seinen Freund, der ihm mit dem prächtigen Schmuck auf einmal fremd vorkam. »Du bekommst auch eine Feder, Charlie«, lächelte das Kleine Beil, »und Miß Jenny, die weiße Blume, die mich gepflegt hat, soll auch eine erhalten!« »Und was kriege ich…?« rief Potter vorwurfsvoll. »Du?« Sheriff Bill lachte. »Du hast ja deinen schwarzen Fußsack unterm Kinn, Potter! Und ich schätze, eine gerupfte und gebratene Gans ist dir lieber als die schönste Adlerfeder!« »Da magst du allerdings recht haben, Bill«, murmelte Potter ein wenig kleinlaut…
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