Sendbote der Erde von H. G. Francis Deutsche Erstveröffentlichung 1. »Das Gespräch mit Inspektor Allen habe ich zum Glü...
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Sendbote der Erde von H. G. Francis Deutsche Erstveröffentlichung 1. »Das Gespräch mit Inspektor Allen habe ich zum Glück wieder einmal hinter mich gebracht. Nun habe ich wieder für vier Wochen Ruhe – falls nichts passiert. Aber warum sollte ausgerechnet jetzt etwas Ungewöhnliches geschehen? Ich bin behutsam vorgegangen, so vorsichtig, daß der Inspektor damit bestimmt nicht einverstanden wäre. Doch es geht nicht anders. Meine Freunde, die Bellaner, sind einfach zu neugierig. Ich darf das Programm der Entwicklungshilfe nicht so herunterspulen, wie der Inspektor das möchte. Die Bellaner dürfen immer nur kleine Häppchen von unserem Wissen bekommen. Wird der Brocken zu groß, werden sie damit nicht fertig, und dann gibt es irgend so eine kleine Katastrophe. Sie sind eben ganz anders, als der Inspektor wahrhaben will. Nüchterne Überlegung gibt es für sie überhaupt nicht. Deshalb werden sie auch nicht begreifen, daß alles, was sie tun, irgendwann und irgendwo einmal irgendwelche Folgen haben muß. Bellaner leben nur dem Augenblick – und denken nicht an später. Aber das wird der Inspektor wohl nie begreifen. Er müßte vielleicht auch einmal ein paar Monate hier auf BELL leben…« Tagebuchnotiz vom 3.4.3037 GT Die LIEBLICHE machte einen Satz, der die Männer fast aus den Sesseln hob, und flog dann ohne Antrieb, aber auch ohne Erschütterung, weiter. Die fünf bellanischen Raumfahrer sahen sich beunruhigt an. »Ich habe es mir doch gedacht«, stöhnte Ban Kill, der Kommandant. »Auf diesen Kasten ist kein Verlaß.« »Du hast es geahnt – und bist dennoch mitgeflogen?« fragte
Endo, der Pilot. »Du bist ein wirklich mutiger Mann.« Ban Kill sah seinen Kameraden unsicher an. Er wußte nicht so recht, ob Endo ihn verspotten wollte. Das wußte er bei Endo eigentlich nie. »Sieh nach, Endo«, bat er, »ob du etwas reparieren kannst.« Endo erhob sich rasch von seinem Pilotensitz und kletterte in den Maschinenraum hinunter, während die anderen interesselos auf den großen Bildschirm blickten. Darauf zeichnete sich grau und öde der Mond Bellcan ab. Ban Kill wiegte den großen Kopf nachdenklich und kratzte sich hinter den Ohren, die wie kleine Pelzstummel tief an den Seiten seines Kopfes saßen. »Wir könnten natürlich noch auf dem Mond landen«, überlegte er. Endo schob seinen hellen Kugelkopf aus der Luke im Boden des Kommando-Standes und fragte verblüfft: »Was willst du denn da?« Ban Kills gelbe Augen leuchteten auf. Er legte die zierlichen Hände vor der Brust zusammen und nickte: »Ja – wir werden auf Bellcan landen.« Endo kletterte in den Kommandostand zurück und schloß das Schott. Nachlässig schlurfte er zu seinem Sessel und ließ sich hineinfallen. Er legte eine Reihe von Hebeln um und drückte zahlreiche Knöpfe, um so das Haupttriebwerk ganz stillzulegen. »Du fragst gar nicht, wie es mit dem Triebwerk steht.« »Das kann ich mir auch so denken. Der Rot-Sektor ist mal wieder ausgefallen. Stimmt’s?« »Es stimmt.« »Es ist doch immer dasselbe!« schimpfte Ban Kill. »Made in Terra! Daß ich nicht lache! Das ist doch alles Abfall, was uns unsere Freunde, die Terraner, für viel Geld vermieten. Wenn ich da an früher denke, als ich noch jung war. Da war die Bezeichnung ›Made in Terra‹ noch so etwas wie… he, Endo, paß auf!« Der Pilot zuckte zusammen und wandte sich rasch den zahlreichen Bedienungselementen zu. Er drückte einige Knöpfe und tippte Bellcan als Flugziel in den Kontrollrechner ein. Das Nottriebwerk schaltete sich ein, und das Heck des Raumschiffes schwang herum. Auf dem Heckbildschirm erschien das überzeugend plastische Abbild des Mondes, während das Schiff schon zur Landung ansetzte. Die elektronischen Rechner erfreuten die Besatzung mit einem
farbenprächtigen Lichterspiel auf der breiten Kontrolltafel. In andächtige Betrachtung versunken, wartete die Mannschaft die Landung ab. Nur Ban Kill mochte sich nicht zurückhalten und murmelte verzückt: »Man kann ja sagen, was man will, Gefühl für Schönheit und Harmonie haben die Terraner. Schade, daß die Qualität ihrer handwerklichen Arbeit so nachgelassen hat.« Als die LIEBLICHE sich satt auf die Landeteller setzte, leuchtete eine Kette von herrlich grünen Lichtern auf, asymmetrisch unterbrochen von einem einzigen roten Licht, das rhythmisch aufstrahlte, um dann endlich auch in Grün überzuwechseln, als das Raumschiff völlig zur Ruhe gekommen war. »Allein deshalb lande ich gern«, seufzte Ban Kill wie berauscht. »Das zu sehen ist immer wieder eine Freude.« »Mir ist die Freude vergangen«, knurrte Endo ärgerlich. Er rieb sich seine schwarze Stupsnase, die quälend juckte. »Das mag ja alles wirklich schön sein, aber was wird jetzt aus unserer Ladung? Du weißt, daß sie sich nur noch zwei Tage lang hält.« Endo öffnete eine kleine Klappe am Kontrollbrett und drückte mit großem Ernst zwei Knöpfe herunter. Doch ein aufleuchtendes rotes Licht sagte ihm, daß er noch etwas warten mußte. Das Haupttriebwerk hatte sich noch nicht wieder selbst hergestellt. »Jammy würde in seiner herrlichen klaren Sprache sagen, daß wir pleite sind«, fuhr er fort. Ban Kill wurde durch diese Worte unsanft aus seiner Verzückung gerissen. Unwillig meinte er, Endo hätte mit dieser Feststellung auch noch ein bißchen warten können. Da jedoch die Situation nun einmal nicht mehr zu ändern war, befaßte er sich mit ihr. »Ich werde die Gelegenheit wahrnehmen und mich draußen ein bißchen umsehen«, beschloß er. Endo und die anderen drei Bellaner lachten meckernd. »Was willst du?« kicherte der Pilot mit halb erstickter Stimme. »Willst du hier vielleicht etwas finden, was wir verkaufen können? Ban Kill – der Mond ist schon vor zweihundert Jahren von unseren Geologen durchwühlt worden. Sie haben nichts gefunden. Überhaupt nichts. Und das war vor zweihundert Jahren, als man auf Bell und Bull noch viel Tand gebrauchen konnte.« Ban Kill zog die Lippen hoch über die gelben Hornplatten hinweg, so daß auch die prächtigen, weißen Beißstifte gut zu sehen waren, die er in seinem unbändigen Stolz so gern zeigte,
bewiesen sie doch vor aller Welt, daß er Geschmack besaß und sich guter Beziehungen zu terranischen Zahnkünstlern erfreute. »Nun gut«, nickte er. »Wir werden sehen. Aber unter diesen Umständen beanspruche ich siebzig Prozent aller Funde für mich.« »Du kannst sogar hundert Prozent haben«, rief Endo lachend, wurde dann nachdenklich und fügte vorsichtig hinzu: »Oder sagen wir lieber neunzig Prozent.« Ban Kill nickte wieder. Er stieg in seinen Raumanzug. Die anderen Bellaner sahen ihm vergnügt durch eines der Panzerplastfenster nach, als er durch den grauen Staub des Mondes Bellcan lief. Tot und leer dehnte sich das blasse, staubige Gestein vor ihnen. Hier gab es nichts zu holen. Auf dem Rücken des Kommandanten leuchtete in großen Buchstaben: »Lord – Skaphander. Made in Terra.« * »Gib mir noch etwas Salz, Ogo!« rief Jack Norton bittend. »Komm, sei ein nettes Kerlchen und gib noch etwas Salz.« Der heitere junge Mann suhlte sich behaglich in der zartblauen Gallertmasse, die in seinem Swimming-pool schwappte. Das Sauerstoff-Aroma-Bad trug ihn derart, daß er sich kaum zu bewegen brauchte. Doch jetzt hatte sein hagerer Körper etwas zuviel von dem Salz abgesogen, und die Flüssigkeit wurde dünner, so daß Norton es nicht mehr ganz so bequem hatte wie zuvor. Er mußte sich etwas bewegen, um nicht zu versinken. »Jammy – das kann ich nicht zulassen«, sagte Ogo, sein Diener, mit besorgter Miene. »Jammy, du solltest, dich jetzt um deine Geschäfte kümmern! Es ist wirklich an der Zeit, daß du uns mehr über die Chemie erzählst.« »Jammy« Jack Norton ließ seine Füße auf den Grund des Swimming-pools sinken und stieß sich sanft ab. Er glitt geschmeidig durch die Gallertmasse, erreichte den Rand des Bassins und schwang sich hinauf. »Du hast keinerlei Respekt vor mir, Ogo! Das gefällt mir nicht!« Der Diener schloß seine Augen und stellte sich taub. Das war eine der Spezialitäten dieses Bellaners. Ständig versuchte er, Jack Norton anzutreiben und zu belehren, ständig mahnte er ihn,
endlich seine Arbeit aufzunehmen. »Na schön«, seufzte Norton. Er nahm das Handtuch aus den Händen des kleinen Bellaners entgegen und trocknete sich langsam ab. Seine Haut rötete sich unter der Massage mit dem rauhen Stoff, ein Zeichen aber auch dafür, daß die Haut genügend Salze aufgenommen hatte, um ihn für einige Stunden vor Bellgon zu schützen. Das Edelgas Bellgon war in geringer Dosierung in der sonst fast erdgleichen Atmosphäre von Bell enthalten. Es gab dieser Welt den typischen Geruch, der für Norton jetzt kaum noch spürbar war, ihm zu Anfang seiner Tätigkeit als Entwicklungshelfer auf dieser Welt jedoch schwer zu schaffen gemacht hatte. Bellgon hatte nicht nur einen herben Geruch, es hatte auch die unangenehme Eigenschaft, sich in der menschlichen Haut festzusetzen und eine stark juckende Cutis hyperelestica hervorzurufen. Und dagegen half nur ein Gallertbad, das erfrischte und die Haut sofort wieder straffte. Ogo blieb neben Norton stehen und wartete geduldig, bis dieser sich abgetrocknet hatte. »Was wirst du tun?« fragte Ogo. »Ich habe mich soeben entschlossen«, antwortete Jack Norton gähnend, »noch etwas zu schlafen. Was sagst du dazu?« Ogo sagte nichts. Er stand reglos vor seinem Herrn und sah ihn vorwurfsvoll an. Er war nur knapp anderthalb Meter groß – wie fast alle Bellaner. Auf steil abfallenden Schultern thronte ein fast kugelrunder Kopf mit tiefsitzenden Büschelohren und einem ständig lächelnden, kleinen Mund. Die zartblaue Hautfarbe schimmerte kaum durch den grauen Flaum, der den Kopf und den ganzen Körper des Bellaners bedeckte. Die stark abfallenden Schultern und die etwas breiter auslaufenden Hüften gaben dem Bellaner eine birnenförmige Figur, zu der die kräftigen Beine nicht so recht passen wollten. Doch sie verhinderten, daß die Bellaner zu lächerlichen Figuren wurden, in denen die Terraner eine Karikatur ihrer eigenen Gestalt sehen mußten. Norton nahm sich etwas Obst aus der Schale, die auf dem Tisch neben dem Bassin stand, und biß herzhaft in die saftige Frucht. »Sieh mal, Ogo«, erklärte er, während er zu dem Turm hinüberschlenderte, »ich gebe dir ja grundsätzlich, recht. Es ist nun einmal mein Auftrag, euch das Wissen der Erde zu bringen, aber ich kann euch schließlich nicht alles auf einmal erzählen.
Man kann auch übertreiben.« »Aber du könntest vielleicht ein bißchen schneller dabei sein. Nur ein bißchen.« Norton blieb stehen und blickte an dem schlanken Turm, in dem er wohnte, hinauf. Es erfüllte ihn immer wieder mit einem gewissen Stolz, wenn er sich das kleine Anwesen betrachtete, das ihm gehörte. Er hatte lange genug dazu gebraucht, bis er Mooz, dem jungen Häuptling der Bellaner, diesen Turm abhandeln konnte. Von hier aus überblickte er die ganze Stadt Eramm, den silbernen Fluß, der aus den Bergen kam und sich zu Füßen der Stadt in das Meer ergoß, und schließlich auch den kleinen »Raumhafen«, den er von hier aus kontrollieren konnte. Auf diesem Landeplatz, der mit einfachsten elektronischen Geräten ausgestattet war, wickelte sich der ganze Raumverkehr ab. Alle bellanischen Raumschiffe starteten hier zu ihren Flügen nach den anderen beiden Planeten des Systems, und hier landeten sie auch. Von seinem Turm aus konnte Norton die Manöver ausgezeichnet beobachten und unauffällig kontrollieren, so daß die Bellaner gar nicht erst auf den Gedanken kamen, daß alle Manöver erst durch seine Mitbeteiligung ermöglicht wurden. Sie hätten es ihm auch nicht geglaubt, wenn er behauptet hätte, daß er aus so großer Entfernung Einfluß auf die Raumschiffe nehmen konnte. Und zudem hätte es sie gekränkt. In ihrer unbändigen Selbstüberschätzung wollten sie alles allein machen – und sie glaubten auch daran, daß sie alles allein schafften. Und war er dennoch beteiligt, machten sie einfach die Augen zu und gaben vor, es nicht zu bemerken. Ogo räusperte sich. Jack Norton wachte aus seinen Träumen auf, schluckte den Rest der Frucht hinunter und betrat seinen Turm. »Sieh mal, Ogo«, begann er abermals, »ihr seid ein glückliches und vor allem fröhliches Volk. Ihr habt eigentlich alles, was ihr zum Leben braucht. Man kann wirklich nicht behaupten, daß ihr in irgendeiner Beziehung entscheidenden Mangel leidet.« »Hm«, murmelte Ogo. »Das ist nicht richtig. Wir können zum Beispiel keine eigenen Raumschiffe bauen. Wir können nicht einmal solche Schweber herstellen, wie du einen hast.« »Aber das ist doch kein Mangel!« entgegnete Norton lächelnd. Er hatte das erste Stockwerk erreicht. Hier kleidete er sich langsam an. Er streifte ein leichtes Hemd über und schlüpfte in
bequeme, weite Hosen, blieb aber barfüßig. Er setzte sich auf den Balkon, blickte auf das Meer hinaus und fühlte sich richtig wohl, als Ogo ihm auch noch eine Zigarre reichte. »Diese Welt ist eine Idylle«, sagte er ungeduldig. »Verstehst du das denn nicht, Ogo? Was würde denn passieren, wenn ich euch die sogenannten Segnungen unserer Zivilisation bringen würde? Ihr seid schon jetzt geschäftstüchtige Leute, wenn ich euch aber mehr von unserer Technik zeige, dann spielt ihr bald genauso verrückt wie die Menschen der Erde. Noch geht es hier ruhig und gemütlich zu; aber wenn hier erst einmal die große Tretmühle konstruiert wird, dann wird die Zeit plötzlich kürzer. Was soll’s denn? Was habt ihr davon, wenn ihr nur noch in Hast lebt, dem Geld nachjagt und dafür um so früher in das große Sternenmeer taucht? Ihr seid doch so glücklich.« Jack Norton paffte ruhig und zufrieden vor sich hin, und Ogo bemühte sich, seine Worte zu begreifen. »Was glaubst du, weshalb ich in den Entwicklungsdienst gegangen bin? Doch nicht, um mich so abzuhetzen, wie es heute auf der Erde nun einmal nötig ist, wenn man vernünftig existieren will. Trotzdem kann mir niemand vorwerfen, daß ich nichts für euch getan habe. Die ärztliche Versorgung auf diesem Planeten ist geradezu vorbildlich. Für die Energiewirtschaft könnte man vielleicht noch ein bißchen tun, aber das hat noch Zeit. Außerdem ist die Situation in dem Moment schon wesentlich verbessert, wenn das neue Kraftwerk fertiggestellt ist.« »Jammy« Jack Norton erhob sich und stiefelte gemütlich in seinen Wohnraum, um sich träge von seinem Gravitationsfeld in die oberen Räume tragen zu lassen. Dort hatte er seine technischen Geräte aufgestellt und sich ein umfangreiches Labor eingerichtet. Ogo folgte ihm nicht, weil er dem unheimlichen Feld mißtraute. Kein Bellaner wagte sich in das Gravitationsfeld – und das war Jack Norton ganz recht. Er schaltete seine Geräte ein und schüttete dann etwas Kupfer in eine der Schmelzpfannen. Es wurde Zeit, daß er wieder etwas Yull zusammenbraute, da seine finanziellen Mittel fast völlig erschöpft waren. Er grinste bei dem Gedanken, daß es ihm gelungen war, sich mit einfachsten Mitteln in seinem Labor eine praktisch unerschöpfliche Geldquelle zu verschaffen. Das war der Grund dafür, daß der Mooz oft und meist überraschend im Turm erschien. Der Herrscher der Bellaner hätte
nur zu gern gewußt, woher Norton seinen Reichtum hatte. * »Endo! Endo!« schrie Ban Kill, der Kommandant. »Komm sofort! Hilf mir! Komm, Endo!« Endo, der Pilot der LIEBLICHEN, schaltete wild an den Geräten, um eine Verbindung mit seinem Kommandanten zu bekommen, und schrie erregt in die Mikrophone, bekam jedoch keine Antwort, weil er in seiner Aufregung zuviel falsch machte. Schließlich gab er es auf, stieg eilig in seinen Raumanzug und stürmte durch die Schleuse hinaus. Mit weiten Sätzen sprang er über die sonnenüberflutete Oberfläche des Mondes, auf dem sich sein Gewicht durch die niedrige Schwerkraft außerordentlich verringerte. Dieser Effekt war für ihn absolut ungewohnt, und so hatte er einige Mühe, sich am Boden zu halten. Dennoch gelang es ihm, seinen Kommandanten in einigen Minuten zu erreichen. Ban Kill stand zwischen zwei rissigen Felsbrocken und schleuderte mit beiden Händen ununterbrochen Schutt in die Höhe, so daß er bald in einem ständig wachsenden Pilz aus Staub und Schutt arbeitete, der sich höher und höher ausdehnte und wegen der geringen Gravitation keine Neigung zeigte, so bald auf den Boden zurückzukehren. Endo stürzte sich auf Ban Kill, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. Er hoffte, den Kommandanten dadurch wieder zur Vernunft bringen zu können, erreichte jedoch nur, daß sie sich beide vom Boden des Mondes lösten und haltlos über die Mondkrater hinwegtrieben. »Was ist los? Bist du von Sinnen?« brüllte Endo, der durch das Panzerglas des Raumhelmes das lachende Gesicht des Kommandanten sehen konnte. »Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Ich bin reich geworden, Endo! Ich habe Yull gefunden! Hier ist alles voller Yull, so viel davon, daß wir ganze Planeten damit kaufen könnten!« Endo schob den Kommandanten wild von sich. Ban Kill schlug einen Salto und kreischte vor Vergnügen, so daß Endo nun wirklich glaubte, sein Kommandant habe den Verstand verloren. Während er selbst auf den Boden zurücksank, konnte Ban Kill schon einige Brocken ergreifen und warf sie ihm zu. »Was ist denn das, eh?«
Endo fing das blaue Gestein auf und drehte es ungläubig vor seinen Augen. »Das ist Yull!« stammelte er fassungslos. »Das ist wirklich Yull! Wir sind reich, Ban Kill.« »Wir?« kicherte der Kommandant. »Das glaubst du nur! Mir gehören neunzig Prozent! Mir allein!« * »Jammy! Jammy!« Der schrille Ruf seines Dieners schreckte ihn auf, kaum daß es ihm gelungen war, einige Yull-Stücke zu kristallisieren. »Was gibt es denn, Ogo?« »Die LIEBLICHE kommt schon zurück! Vier Tage zu früh!« Jack Norton erschrak. Eilig warf er seine Geräte zur Seite und lief in den Nebenraum, wo er seine Kontrollen einschaltete. Tatsächlich zeichnete sich auf dem Laserschirm ein kleines Raumschiff ab, das mit viel zu großer Geschwindigkeit auf den Planeten herabstürzte. Norton erkannte sofort, daß die Haupttriebwerke des Raumschiffes nicht ausreichend arbeiteten. Er setzte die leistungsstarke Landehilfe in Betrieb, und als tief unter dem Turm die Aggregate anliefen, streckten sich unsichtbare Arme nach der LIEBLICHEN aus und fingen sie. Sofort verringerte sich die Sturzgeschwindigkeit des Raumschiffes, das mit glühenden Leitflossen herabkam. Jetzt sank auch die Gefahr einer Katastrophe von Augenblick zu Augenblick. Jack Norton richtete das Raumschiff ein wenig auf und holte es dann langsam auf das Raumfeld herunter. Gleichzeitig schaltete er auf direkte Funkverbindung mit der Besatzung um. Der quadratische Holograph vor ihm erhellte sich und ein überzeugend dreidimensionales Bild des Kommandostandes formte sich. Jack Norton starrte mit geweiteten Augen auf das Bild, das sich ihm bot. Vor Überraschung brachte er keine einzige Silbe heraus. »Hei, Jammy!« schrie Ban Kill fröhlich. »Sieh mal, was wir gefunden haben! Yull! Siehst du es? Wir haben Yull gefunden!« »Ja«, stöhnte Jammy mit brechender Stimme. »Ich sehe es. Ihr habt Yull gefunden!« Jetzt wußte er, warum die LIEBLICHE mit solch wahnwitziger
Geschwindigkeit herabgekommen war. Ban Kill und seine Männer hatten alles, was sie an Yull gefunden hatten, in das Raumschiff gepackt und es hoffnungslos überladen. Sie hatten so viel hineingepackt, daß sogar die Kommandobrücke bis unter die Decke gefüllt war. Flach wie die Flunder lagen sie jetzt dicht unter den Deckenlampen auf dem Yull-Berg und strahlten ihn mit glücklichen Augen an. Jack Norton brach fast zusammen bei der Erkenntnis, daß in dem Raumschiff Schätze im Werte von einigen Millionen lagen. »Wo habt ihr das her, verdammt?« keuchte er. »Stell dir vor, Jammy, unser Triebwerk versagte, obwohl das ja eigentlich bei einem terranischen Produkt nicht sein dürfte.« Tadelnd verzog er den Mund, lächelte dann jedoch sofort wieder. »So mußten wir auf dem Mond notlanden.« »Ich weiß schon Bescheid«, stöhnte Jack Norton. »Du weißt schon Bescheid?« staunte Ban Kill. »Dann wußtest du, daß auf dem Mond nahezu unbegrenzte Vorräte von Yull lagern und hast uns nichts davon gesagt? Jammy, ich bin sehr erstaunt. Wirklich, Jammy.« Jack Norton schaltete mit zitternden Händen ab. * »Ogo! Mach den Schweber klar!« Jack Norton stürzte sich in das Gravitationsfeld und ließ sich nach unten tragen. Ogo, erschreckt durch das Gebrüll, eilte zur gleichen Zeit aus dem Turm, lief zunächst so schnell, wie er nur konnte, wurde dann jedoch langsamer und langsamer, bis er schließlich gemütlich den Hang hinauf schlenderte, so daß Jack Norton ihn sehr bald einholte. »Beeile dich, zum Teufel! Ich habe keine Zeit!« Ogo blieb stehen und drehte sich um. In aller Ruhe strich er das leuchtend gelbe Faltengewand glatt, das ihm wie ein weicher Beutel vom Hals bis knapp unter die Hüften reichte und die stämmigen Beine unverhüllt ließ. »Ich verstehe dich nicht, Jammy«, versetzte er tadelnd. »Ist es nicht gerade das, was du als so schlecht an der terranischen Zivilisation bezeichnet hast? Du solltest hier auf Bell nicht der Hetze verfallen. Du hast Zeit!« »Hol dich der Henker! Ich habe jetzt alles andere, nur keine
Zeit.« Er zerrte den zierlichen Bellaner mit sich den Hang hinauf. »Ban Kill ist mit einem Raumschiff voller Yull gelandet. Ich muß zu ihm!« »Geld macht schlecht«, seufzte Ogo. Sie hatten den kleinen Parkplatz erreicht, auf dem der schalenförmige Schweber stand. »Wie bitte?« fragte Norton verwirrt, während er die Aggregate des Schwebers einschaltete und bebend vor Nervosität wartete, bis sie sich genügend aufgeladen hatten. »Ich sagte, Geld macht schlecht!« rief Ogo, den Lärm der anlaufenden Gravitationsmotoren übertönend. »Was interessiert es dich, ob Ben Kill ein Raumschiff voller Geld hat? Du hast doch Geld genug! Ob du jetzt noch mehr bekommst oder nicht, das ist doch für dich wirklich ganz egal.« Jack Norton schwang sich in den gepolsterten Sitz und schaltete mechanisch, während er Ogo voller Verblüffung anstarrte. »Was hast du da gesagt?« stammelte er. »Glaubst du etwa, daß ich mich so beeile, weil ich etwas von dem Yull abbekommen möchte?« »Welchen Grund hättest du sonst?« Norton nickte seufzend. »Du hast völlig recht, mein Kleiner. Wie sollte ich dir das wohl erklären?« Er beugte sich über den Rand des Schwebers, packte Ogo am Arm und hob ihn mühelos auf den Sitz neben sich. Dann startete er. Das Geräusch der Motoren erstarb fast völlig, während die Geschwindigkeit des Fahrzeugs stieg, als es über den Hang herabglitt und dann den breiten Strom überquerte. »Es ist mir völlig gleich, Ogo, wieviel Geld Ban Kill hat. Und ich will auch nichts davon haben. Ich muß nur verhindern, daß alle Bellaner sich jetzt auf den Mond stürzen, um ihn zu plündern.« »Aber das wäre doch herrlich«, sagte Ogo und strahlte. »Jeder hätte dann soviel Geld wie er braucht, und es gäbe überhaupt keine Probleme mehr. Wir könnten alles kaufen, was wir benötigten.« »Eben nicht«, sagte Norton. »Das ist es ja gerade.« Ogo schüttelte verwirrt den Kopf. »Ihr Terraner seid wirklich nette Menschen«, sagte er mitfühlend. »Und ihr gebt euch auch sicherlich viel Mühe, aber so klar und logisch denken wie wir, das könnt ihr eben doch nicht.«
Hinter den Hügeln auf der anderen Seite des Stromes konnten sie jetzt das Landefeld sehen, auf dem vier kleine Raumschiffe standen. Diese Raumschiffe gehörten dem terranischen Entwicklungsdienst, der sie gegen geringe Gebühren den Bellanern zur Verfügung stellte. Diese Raumschiffe legten Zeugnis von der technischen Leistungsfähigkeit Terras ab. Es waren Automaten, die praktisch wartungsfrei über Jahre hinaus voll einsatzfähig blieben, weitgehend selbständig arbeiteten, zugleich jedoch den weniger entwickelten Völkern der Galaxis das Gefühl gaben, daß sie selbst die allein bestimmenden Herren über die Raumschiffe seien. Selten einmal gab es wirklich gefährliche Pannen. Von den Ufern des Stromes her zogen kleine Kolonnen von Bellanern zu einem der vier Raumschiffe hin. Jack Norton erkannte mehrere benzingetankte Motorwagen, die mit Höchstgeschwindigkeit über die Piste tuckerten. Zwei Wagen hatten die LIEBLICHE schon erreicht. Die Katastrophe war nun nicht mehr abzuwenden. Dennoch landete Jack Norton mit seinem Schweber neben dem Raumschiff. Ban Kill und seine Leute standen vor der offenen Schleuse in einem Hügel von Yull-Brocken, die aus der Druckkammer nach außen gerutscht waren, als die Mannschaft die Schotte geöffnet hatten. Einige Bellaner schaufelten die YullBrocken bereits auf einen Wagen. Jack Norton bahnte sich einen Weg durch die erregt schwatzenden Bellaner zu Ban Kill hin. Der kleine Raumfahrer schimpfte mit wütenden Gesten auf die Männer ein, die von der Stadt herübergekommen waren. In ihnen erkannte der Terraner Edelstein- und Yullhändler. »Jammy!« schrie Ban Kill, als er den Terraner entdeckte. »Jammy – diese nichtsnutzigen Ausgeburten finsterer Sternendämonen wollen mir für mein Yull nichts zahlen! Der Preis steht in diesem Jahr 1258 KON für ein Tau! Und weißt du, was mir diese Ungeheuer von Ausbeuter bezahlen wollen? Sie wollen mir noch nicht einmal tausend zahlen, sondern nur lächerliche achthundert! Dabei ist dies mehr Yull, als jemals auf Bell gefunden wurde.« »Ich muß mit dir sprechen, Ban Kill.« »Seht ihr, ihr Bestien! Mein Freund, der Terraner, will kaufen.« »Ich will nicht kaufen!«
»Dann kannst du doch jetzt nicht mit mir sprechen, Jammy!« entsetzte sich Ban Kill. »Jetzt muß ich erst das Geschäft meines Lebens machen. Sage diesen verlorenen Seelen, daß dies das reinste und beste und eleganteste Yull ist, das es jemals auf Bell gegeben hat.« Norton wußte es auch so. Dennoch bückte er sich und nahm einen Brocken auf. Das bläuliche Material schimmerte und leuchtete in vielfältigem Licht. Norton drehte sich der Magen um. Die Bellaner drängten ihn ab und kauften von Ban Kill, was sie bekommen konnten. Jetzt stiegen die Preise, da die Händler das Verhalten des Terraners falsch auslegten. Sie glaubten, die Qualität des Yulls habe ihn einfach sprachlos gemacht – und kauften. Jack Norton beobachtete einige Bellaner, die sich eifrig einige Yullbrocken unter ihre beutelartigen Gewänder steckten. Ogo zupfte Norton am Ärmel und winkte ihn zu sich. »Sieh nur, Jammy, ist das nicht ein herrliches Geschäft für Ban Kill?« Jack Norton sah sich jetzt zum erstenmal seit seiner Ankunft auf dem Flughafen wieder um. Hunderte von Bellanern stürmten über das Landefeld auf die LIEBLICHE zu. Einige Motorwagen fuhren knatternd zum Flußufer zurück. Auf ihnen stapelten sich die Yull-Brocken bis in bedrohliche Höhen. Ogo klatschte vergnügt in die Hände. »Sieh doch nur, Jammy«, krähte er, »auch Osmil Haga startet mit seiner Mannschaft zum Mond, um mehr Yull zu holen. Jetzt werden wir alle reich. Das Paradies ist gekommen, und auch du brauchst nicht mehr zu arbeiten.« »Ein Lob den Sternengöttern«, murmelte Norton. Mit weichen Knien kletterte er in seinen Schweber. Er zuckte schmerzlich betroffen zusammen, als plötzlich auch die Triebwerke der beiden letzten Raumschiffe aufbrüllten. Ogo kreischte wie ein Besessener vor Begeisterung, als die beiden raketenförmigen Raumschiffe auf glühenden Abgasstrahlen in den blassen Himmel hinaufstiegen. Norton packte seinen Diener am Kragen und hob ihn wütend auf den Nebensitz. »Wohin fahren wir, Jammy?« »Zum Mooz natürlich! Was dachtest du?« »Der Mooz ist nicht mehr da«, kicherte Ogo. Er zeigte mit seinen dünnen Spinnenfingern zur Stadt Eramm hinüber, aus der jetzt das kleine, silberne Mooz-Raumschiff wie ein blitzender Pfeil
emporstieg. »Dann fahren wir zum Turm zurück, Ogo. Ich brauche jetzt erst einmal einen Schnaps.« Ogo nickte verständig. Lüstern glitt seine kleine Zungenspitze über die Lippen. 2. »Der Mooz ist ein Mann, der wie kein anderer Bellaner an sich und die Überlegenheit seines Volkes glaubt. Wenn wir Terraner über eine höherentwickelte Technik verfügen, so schreibt er das der Tatsache zu, daß unsere Zivilisation wesentlich älter ist als die der Bellaner. In beispielloser Selbstüberschätzung hält er die Intelligenz der Bellaner für wesentlich höher als die der Terraner. Deshalb kann ihm die terranische Technik überhaupt keinen Respekt abnötigen. Und versagt etwas an unseren hochentwickelten Automaten, so kann der Mooz darüber nur den Kopf schütteln, obwohl niemand auf dieser Welt in der Lage wäre, den Schaden zu beheben. Aus der Sicht des Mooz bin ich eben ein bißchen komisch, etwas kauzig und vermutlich auch manchmal recht altklug.« Tagebuchnotiz vom 4.4.3037 GT Bis zum späten Nachmittag blieb in Eramm alles ruhig und friedlich. Jack Norton saß auf seinem Turmbalkon und blickte mit trüben Augen auf die Stadt, den breiten Fluß und das Meer, das sich im Licht der sinkenden Sonne rot zu färben begann. Am Hafen tuckerten einige Fischerboote, und ein sehr langer Zug kämpfte sich mit ratternden Dieselmotoren am Fluß entlang. Wie an jedem Nachmittag um diese Zeit kräuselten sich helle Rauchfahnen aus den Schornsteinen der meist runden Häuser der Bellaner. Es war wie gesagt, alles friedlich. Auch die fünf- oder sechstausend Bellaner, die Jack Norton am anderen Ufer des Flusses in den Sanddünen sehen konnte, verhielten sich friedlich. Bis die vier Raumschiffe vom Mond zurückkehrten und mit donnernden Motoren die abendliche Stille zerrissen. »Jammy«, bat Ogo mit schwankender Stimme, »du mußt dich
um die Landung kümmern.« Jack Norton fragte sich ob der Bellaner auch wirklich begriff, was er da sagte. Vermutlich nicht. Der terranische Entwicklungshelfer stemmte sich mühselig aus seinem Sessel hoch und stieß einen überraschten Pfiff aus, als er merkte, wie unsicher er sich auf seinen Füßen fühlte. Er kniff ein Auge zu und hatte das Gefühl, das dreiste Grinsen seines Dieners Ogo jetzt ein bißchen besser ertragen zu können. Ogo ergötzte sich nicht nur an Nortons Whisky, sondern paffte auch eine seiner Zigarren. Unsicheren Schrittes arbeitete Norton sich bis in die oberen Räume vor, um von hier aus die Landung der Raumschiffe zu kontrollieren, doch merkte er bald, daß er viel besser daran tat, nur zu beobachten. Die automatischen Geräte arbeiteten zuverlässig. Dennoch fühlte er sich unendlich erleichtert, als die Raumschiffe endlich gelandet waren. Die begeisterten Schreie Ogos lockten ihn wieder nach unten zurück. Der kleine Bellaner stand mit ausgebreiteten Armen auf dem Balkon und winkte zum Landefeld hinüber, obwohl man ihn von dort ohne ein starkes Fernglas natürlich überhaupt nicht sehen konnte. »Sieh nur, Jammy, wie sich alle freuen!« brüllte er. Jack Norton hielt sich am Türrahmen fest und blinzelte in das Licht, doch dann richtete er sich steif auf, und plötzlich schien es, als verfliege der Rausch schlagartig. Drüben am anderen Ufer des Flusses wimmelte es von Bellanern. Ein allgemeiner Sturm auf die Raumschiffe setzte ein. In der Stadt waren die Lichter angegangen. Feuerwerksraketen stiegen in den Abendhimmel, und die Sirenen der Fabriken begannen zu heulen, die Autofahrer ließen ihre Hupen quäken, und schließlich fielen die Fischdampfer heiser mit ihren Nebelhörnern in das ohrenbetäubende Konzert ein. »Was ist denn, Jammy? Du siehst aber gar nicht gut aus«, rief Ogo. »Gefällt dir das nicht? Jetzt sind wir reich. Wir sind alle gleich reich! Der ganze Planet wird uns beneiden. Eramm wird jetzt endlich die echte Metropole von Bell werden. Eramm – die reichste Stadt unter den Sternen!« Jack Norton schluckte trocken. Er drehte sich auf den Hacken herum und eilte aus dem Turm. Als er die Steigung zum Liegeplatz seines Schwebers hinauflief, merkte er, daß der Alkohol ihm noch immer tief in den Gliedern steckte. Jetzt
verfluchte er sich wegen seiner Leichtsinnigkeit Er hätte nichts trinken dürfen, schon gar nicht jetzt! * Der weiße Palast des Mooz thronte hoch über der Stadt am äußeren Ende einer Landzunge, die weit ins Meer hinausragte. Jack Norton erreichte den auf ganz Bell berühmten Park des Mooz, als die Sonne wie ein riesiger, glühender Ball im Meer versank und den Palast in ein rotes, unheimliches Licht tauchte. Norton parkte seinen Schweber am Rande des großen Blumenwaldes, der sich als Sichtblende zwischen dem Palast und der Stadt erhob. Einige Diener begrüßten ihn mit lässiger Gebärde und verrieten ihm, daß der Mooz sie reichlich beschenkt hatte. Norton fühlte einen unangenehmen Druck im Magen. Er fürchtete sich vor der Begegnung mit dem Mooz. Wenn dieser jetzt sogar schon Geschenke verteilte, dann sah es wirklich schlimm aus. Norton hatte nie einen geizigeren Bellaner kennengelernt als den Mooz. Man kannte ihn hier gut im Palast. Und so bereitete es ihm auch keine übermäßig großen Schwierigkeiten, die Hürden zu überwinden, an denen sonst jeder andere weniger prominente Besucher scheiterte. Dennoch benötigte er fast eine Stunde, um sich mit vielen Komplimenten und Artigkeiten am Hofpersonal vorbei- und bis in den Thronsaal vorzuarbeiten. Der Mooz begrüßte ihn in strahlender Laune. Er trug noch seinen Raumanzug und ließ sich von einem seiner Diener ständig seinen schweren Raumhelm nachtragen, obwohl das jetzt natürlich völlig überflüssig war. Da der Mooz nicht wesentlich größer war als Ogo, reichte er dem Terraner kaum bis an die Brust, mußte also steil nach oben sehen, als dieser vor ihm stand. Er hatte die großen, gelben Augen aller Bellaner, aber kein einheitlich graues Fell, sondern trug an den Seiten des runden Kopfes blaue Fellzeichnungen von fast geometrischer Exaktheit. Sie wiesen auf seine edle Herkunft hin. Ein breiter Gürtel aus brillant geschliffenem Yull-Schmuck lag um seine weiten Hüften, und seine breiten Füße schmückten zierliche Metallspangen. In der Mitte des Thronsaales lagerte ein riesiger Berg von Yull
Stücken, der bis fast unter die Decke reichte. »Komm her, Norton-Jammy«, rief der Herrscher lachend. Er nahm den Arm des Terraners und führte ihn jovial bis an den Edelstein-Berg heran. »Komm her und nimm dir ein Yull-Stück. Ich schenke es dir.« Jack Norton sah sich unsicher um. In dem luxuriös ausgestatteten Saal standen die hohen Staatsbeamten mit ihren Damen unter den Säulenreihen und blickten mit amüsiertem Lächeln auf den Terraner. Während die Männer meist einfarbige Gewänder trugen, die sich eng an ihre birnenförmigen Körper schmiegten, kleideten die Damen sich überwiegend farbenfreudiger. Ihre dicken Säulenbeine waren mit den dichten Pelzen der Hochgebirgsantilopen umhüllt. Notgedrungen nahm Norton ein kleines Stück Yull. »Das ist bei dir anzuerkennen«, rief der Mooz zufrieden, »du nimmst nie zuviel. Immer bescheiden. Wenn du nicht so entsetzlich dürr wärest, würde ich dich als wirklich großen Mann bezeichnen.« Verlegen strich sich Norton das strähnige, blonde Haar aus der Stirn und warf das Yull-Stück von einer Hand in die andere. Der Mooz nahm den Terraner beim Arm und führte ihn zu einer kleinen Sesselgruppe, wo er ihm einen Platz anwies. Dankbar griff Jack Norton zu, als die Diener ihm etwas zu trinken reichten. Auf Bell kannte man keine berauschenden Getränke – und der Mooz besuchte Norton oft und gern und ließ sich bei dieser Gelegenheit mit Whisky bewirten. Um sich das gute Verhältnis, das zwischen ihnen bestand zu erhalten, durchbrach Norton ab und zu die harten Bestimmungen des terranischen Entwicklungsdienstes und gewährte dem Bellaner, was dieser begehrte. Der Mooz ergriff jetzt sein Glas und erhob sich. Norton erwiderte den höflichen Gruß und stürzte die grünliche Flüssigkeit durstig hinunter. Das Wasser schoß ihm in die Augen, und er schnappte nach Luft. Der Mooz kicherte. Mit zuckenden Fingern kratzte er sich das spitze Kinn und kniff die schillernden Augen zu schmalen Schlitzen zusammen – ein Ausdruck höchsten Vergnügens. »Das habe ich aus besonderer Quelle«, erklärte er. »Der erste auf Bell hergestellte Whisky. Wenn du uns mit Terras Technik
auch nichts überwältigend Neues bringen kannst, dünner Jammy, so ist es dir doch zu danken, daß du uns den Whisky gebracht hast. Das war etwas, was wir vorher noch nicht kannten.« Jack Norton schwindelte. Es gelang ihm zwar, wieder zu Atem zu kommen, dennoch wurde ihm schlecht. Bellanischer Whisky! Wenn das der Inspektor erfuhr, würde er ihn bis an das äußerste Ende der Galaxis strafversetzen. »Mooz! Was hast du angerichtet! Du ahnst nicht, wie gefährlich die Herstellung dieses Getränkes ist. Du darfst das auf gar keinen Fall weitermachen. Sobald sich ein kleiner Fehler einschleicht, kann das Gebräu giftig werden!« rief Norton beschwörend. »Nein, nein«, lachte der Mooz. »Ich weiß natürlich, daß du den einzigen Whisky auf Bell hast, und dann möchtest du wahrscheinlich, daß Terra uns den Whisky verkauft. Wenn wir ihn selbst herstellen, dann könnt ihr kein Geschäft machen. Wir…« »Nein, nein, so ist das wirklich nicht«, stöhnte der Terraner. »Es ist zu gefährlich. Du kannst daran sterben.« »Unsinn«, brummte der Mooz. »Wir haben den Whisky lange genug getestet.« »Getestet?« »Natürlich! Bevor ich den ersten Tropfen getrunken habe, haben mehr als tausend meiner mich liebenden Landsleute die Probe gemacht. Und keiner ist daran gestorben.« Der Mooz blinzelte Norton vergnügt zu. »Das war wohl auch nicht möglich, denn wir haben uns genau an das Herstellungsverfahren gehalten.« Norton trank mit bebender Hand den nächsten Whisky, den der Diener ihm einschenkte. Er wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Er wußte nur, daß der Boden unter seinen Füßen auseinanderzubrechen drohte. Ein Entwicklungshelfer konnte sich einige Fehler leisten, ehe es ihm an den Kragen ging; wenn er jedoch die Herstellungsverfahren von alkoholischen Getränken verbreitete, dann konnte er bald seine Koffer packen. »Hör mich bitte an, Mooz, über diesen Fall können wir morgen reden«, versetzte Norton, der sich jetzt gewaltsam zusammenriß. Er bemühte sich, den Mooz im Auge zu behalten. Das war nicht ganz leicht, weil seine Augen ihm nicht mehr ganz so gehorchten wie gewöhnlich. »Jetzt geht es um etwas ganz anderes.« »Um Yull!« rief der Mooz erfreut. »Um Yull«, bestätigte Norton. »Ihr wißt nämlich überhaupt
nicht was ihr angerichtet habt.« »Oh – wir haben Eramm zur reichsten Stadt dieser Welt gemacht. Und ich bin der reichste Mann«, sagte der bellanische Herrscher strahlend. Er ließ seine rechte Hand schwer auf den runden Tisch neben seinem Sessel fallen. »Nein«, brummte Norton, »ihr habt Eramm nicht reich gemacht. Ihr habt einen ungeheuren Schaden angerichtet.« »Einen Schaden? Du machst wirklich Witze, dürrer Jammy. Komm trink noch etwas.« Jack Norton ergriff das Glas, wurde sich jedoch noch rechtzeitig bewußt, daß er schon zuviel getrunken hatte, und setzte das Glas wieder ab. Er mißtraute dem bellanischen Whisky doch etwas. Die Wirkung der ersten beiden Gläser ließ ihn schon ahnen, daß die Prozentzahlen hier viel höher lagen als bei seinem terranischen Whisky. »Ich muß dir etwas erklären, Mooz. Ich muß dir sagen, weshalb ihr überhaupt Yull finden konntet, obwohl doch schon seit vielen Jahren bekannt ist, daß es auf dem Mond nichts zu finden gibt.« »Wir haben uns auch schon gewundert«, grinste der Herrscher. »Wahrscheinlich hat man sich geirrt.« »Keineswegs. Als die Geologen den Mond vor zweihundert Jahren untersuchten, gab es dort kein Yull. Wenn jetzt etwas dort ist, dann nur deshalb, weil wir Terraner es dorthin gebracht haben.« Der Mooz starrte ihn erst verblüfft! an, dann warf er den Kopf nach hinten und lachte. Er lachte so wild und laut, daß ihm das Wasser aus den Augen floß und sein Diener ihm den Rücken klopfen mußte, damit er wieder zu Atem kam. Jack Norton blickte sich wütend im Saal um. Die Hofbeamten und Minister hatten sich dicht um die Sitzgruppe geschart und lachten jetzt nicht weniger heftig als ihr Herrscher. Norton sprang auf. »Verdammt noch mal, ich sage die Wahrheit!« brüllte er. Der Mooz erhob sich ebenfalls, gab ihm einen freundschaftlichen Stoß vor den Bauch und zwang ihn so, sich wieder zu setzen. »Was für einen Grund sollte Terra haben, den Mond mit Yull zu bedecken?« fragte er endlich, als er wieder sprechen könnte und ein Diener ihm die Lachtränen aus dem Gesicht gewischt hatte. »Das möchte ich dir ja gerade erklären, Mooz«, sagte Norton
ärgerlich. Er fühlte sich jetzt etwas besser. »Es geht hier um ein großes technisches Projekt. Ich will versuchen, es dir auseinanderzusetzen, aber es wird nicht leicht sein.« »Versuche es, trotzdem«, riet ihm der Mooz spöttisch. Und Norton begann: »Das terranische Imperium umfaßt einige tausend Planeten in vielen tausend Sonnensystemen des Universums.« Er preßte die Lippen erregt zusammen, als er das Nicken des Mooz sah. Natürlich glaubte ihm der Bellaner nicht, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß es ein so großes Reich überhaupt gab. »Ein solches Imperium ist so unvorstellbar groß, daß selbst die schnellsten Raumschiffe Jahre benötigen, um von einem Ende zum anderen zu kommen. Es ist so groß, daß es überhaupt nicht mehr zu übersehen wäre, wenn man nicht eine Möglichkeit gefunden hätte, schneller als mit einem Raumschiff zu reisen.« Der Mooz sah den Sprecher mit offenem Mund an. Allmählich schien er doch zu begreifen, daß Jack Norton es ernst meinte. Die Minister flüsterten miteinander, auch sie schienen erstaunt. Doch einige der Damen kicherten. »Aber es gibt keine andere Möglichkeit, als mit einem Raumschiff durch die Galaxis zu reisen«, rief der Minister für moderne Wissenschaften. »Sehr richtig«, stimmte der Mooz zu. »Sicherlich willst du uns wieder eines deiner schönen Märchen erzählen?« »Nein – kein Märchen«, beteuerte Norton rasch. Es hielt ihn nicht länger im Sessel. Er erhob sich und ging nervös vor dem Herrscher auf und ab. »Wir Terraner haben schon lange eine Möglichkeit gefunden, schneller als mit Raumschiffen zu reisen.« »Es ist ein Märchen!« rief der Mooz. »Ich wette, es ist doch ein Märchen!« »Nein, nein, nein – kein Märchen, Mooz! Bitte glaube mir, es war mir nie so ernst wie jetzt.« »Dann langweilst du mich«, maulte der Mooz. Er befahl seinen Dienern, ihm den schweren Raumanzug abzunehmen, doch dann stieß er sie plötzlich zurück. »Ich habe auch gar keine Zeit. Ich muß wieder zum Mond.« »Gerade das darfst du auf keinen Fall tun, Mooz.« »Also gut, dürrer Jammy, erzähle weiter.« »Ihr habt mir gerade vor einigen Tagen das neuentwickelte Radio gezeigt, auf das ihr mit Recht so stolz seid«, sagte Norton,
wobei er verschwieg, daß der entscheidende Impuls für die Erfindung von ihm gekommen war. »Und ihr kennt unsere Holographen.« »Natürlich«, nickte der Mooz geschmeichelt. »Auch hier geht es doch darum, irgend etwas über große Strecken möglichst schnell zu transportieren, nämlich das Wort oder die Nachricht, die in zahlreiche Impulse zerlegt wird. Die Impulse werden mit Hilfe von Funkwellen transportiert.« »Hm – das ist zwar furchtbar umständlich ausgedrückt, aber es zeigt mir, daß du es begriffen hast«, lobte der Herrscher. »Schön – ist es nicht auch vorstellbar, daß man materielle Dinge, wie dieses Glas hier zum Beispiel, in Impulse umwandelt und dann mit Hilfe von Funkwellen transportiert, um es am Ziel wieder in Glas zurückzuverwandeln?« Der Mooz starrte ihn mit großen Augen an. Hastig winkte er einem Diener und ließ sich mehr Whisky einschenken, gleichzeitig ließ er sich eine Kleinigkeit zu essen reichen, vergaß aber, seinem Gast Norton etwas anzubieten. »Stimmt das?« fragte er seinen Minister für moderne Wissenschaften. »Vorstellbar wäre es schon«, sagte dieser vorsichtig. »Aber natürlich nicht zu verwirklichen.« »Doch – es ist zu verwirklichen«, erklärte Norton heftig. »Wir Terraner haben dieses Transportmittel verwirklicht, weil nur so wirklich schnelle Reisen durch die Weiten des Universums möglich sind. Auf allen wichtigen Plätzen des Imperiums stehen Objekt Funk-Geräte, wir nennen sie auch Transmitter. Mit Hilfe dieser Geräte kann man viel, viel schneller als mit Raumschiffen von Planet zu Planet kommen.« »Und – warum steht auf Bell kein Objekt-Funk-Gerät?« lachte der Mooz. »Du willst doch wohl nicht behaupten, daß Bell kein wichtiger Planet ist?« »Der Bau eines Objekt-Funk-Gerätes für Bell ist vorgesehen«, antwortete Norton schnell, da er merkte, daß er sich aufs Glatteis begeben hatte. »Gut, gut«, winkte der Mooz ungeduldig ab. »Wenn du jetzt noch erklären könntest, was das alles mit unserem Mond zu tun hat…« »Das ist einfach erklärt«, sagte Norton bereitwillig. Er war froh, die gefährliche Klippe umschifft zu haben, da er dem Mooz
nicht gut sagen konnte, daß Bell in den Augen der Terraner eben ein ziemlich unwichtiger Planet sei. »Die Entfernungen in der Galaxis sind riesig groß. Sie sind sogar zu groß für die Transmitter. Deshalb sind wir gezwungen, Zwischenstationen zu bauen.« Der Mooz schüttelte verwirrt den Kopf. »Bis jetzt habe ich alles verstanden, aber das begreife ich nicht. Wieso Zwischenstationen?« »Es ist wie bei einer Telefonleitung«, versetzte Norton. »Die Kabel werden in bestimmten Abständen von Masten gestützt. Bei den Transmittern ist es so ähnlich. Zwischenstationen müssen sein.« »Dann befindet sich also auf dem Mond eine Zwischenstation?« fragte der Minister für die modernen Wissenschaften. »Genau so ist es«, stimmte Norton erleichtert zu. »Nur steht die Station nicht auf dem Mond, sondern im Mond. Genau im Zentrum des Mondes.« Die Bellaner sahen sich verblüfft an. Der Mooz schüttete vorsichtshalber noch einen Bell-Whisky hinunter. Er ließ auch Norton einen einschenken, und der Terraner trank ganz mechanisch, obwohl er sich vorgenommen hatte, nichts mehr zu sich zu nehmen. Er wurde etwas unsicher, als er sah, daß der Mooz einem Minister Anweisungen gab. »Im Mond also«, murmelte der Mooz gedehnt. »Eine hübsche Idee. Und was macht diese Zwischenstation?« »Sie fängt die Impulse auf, wandelt sie in Objekte um und sendet diese dann nach erneuter Umwandlung weiter zur nächsten Zwischenstation.« »Aber – was hat das alles mit Yull zu tun?« forschte der Mooz. »Das ist jetzt einfach«, behauptete Norton. »Yull ist für uns Terraner bei weitem nicht so wertvoll wie für euch, weil wir in der Lage sind, Yull selbst herzustellen.« Der Mooz schnellte wie angestochen aus seinem Sessel hoch und stürzte sich auf Norton. Wütend schüttelte er ihn, wobei seine kleinen Hände die Schultern allerdings nicht erreichten. »Das ist nicht wahr! Wenn das so wäre, warum kommt ihr Terraner dann nicht hierher, um mit eurem Yull alles zu kaufen, was es auf diesem Planeten zu kaufen gibt? Warum…« Er schüttelte den Kopf, ließ von Norton ab und warf sich beleidigt in seinen Sessel zurück.
»Wir könnten es tun, Mooz, aber es ist uns verboten. Es wäre ungerecht euch gegenüber.« Der Mooz beugte sich rasch vor und fragte: »Kannst du auch Yull herstellen?« Norton nickte zögernd. Es blieb ihm jetzt nichts anderes übrig, er mußte erklären, woher seine unbegrenzten Mittel kamen. Die Eröffnung schockierte den Herrscher der Bellaner, dem es jetzt plötzlich ein wenig bewußt wurde, daß Norton doch nicht ganz so unterlegen war, wie er es gern wahrhaben wollte. Er dachte einige Augenblicke darüber nach und schien jetzt sichtlich im Zweifel, ob die bellanische der terranischen Kultur überlegen war, doch schüttelte er die Unsicherheit rasch ab. Mit energischer Stimme befahl er: »Du wirst mir die Maschine schenken.« »Laß mich erst zu Ende sprechen«, bat Norton, und als der Mooz gnädig nickte, sagte er: »Solche Zwischenstationen arbeiten natürlich nicht ohne Energie, und sie benötigen Antennen, ebenso wie die Radios und die Holographen.« »Ja, natürlich, das ist einzusehen«, stimmte der Minister für moderne Wissenschaften gnädig zu. »Fein«, seufzte Norton erleichtert und trank noch einen Schluck Bell-Whisky, »und diese Antennen stellen wir aus OFUMaterial her, ein Material, das bei euch den Namen Yull trägt. Es ist eine Legierung aus Kupfer und einem synthetischen Material. Als wir die Transmitter-Zwischenstation auf Bellcan errichteten, haben wir Yull in das Gestein des Mondes eingeschossen. Vom Zentrum des Mondes aus gehen viele hundert Yull-Adern bis zur Oberfläche. Nur mit Hilfe dieser Yull-Antennen arbeitet die Zwischenstation. Wenn ihr das Yull also dort abbaut, dann fällt die Station aus. Und das darf auf keinen Fall passieren. Ihr dürft nicht mehr zum Mond fliegen.« »Viele hundert Adern? Bis ins Zentrum des Mondes?« fragte der Mooz mit steinernem Gesicht, scheinbar völlig gleichgültig. Jack Norton hätte den Herrscher eigentlich gut genug kennen und die Gefahr sehen müssen, aber er bemerkte sie nicht. Er war – um, es ehrlich zu sagen – viel zu betrunken. »Viele hundert Adern«, nickte er. Der Mooz stieß einen schrillen Jubelschrei aus, federte aus seinem Sessel und warf die Arme hoch. Auch die Hofbeamten und die Damen, die Minister und die Diener legten alle Würde ab und stimmten in das Geschrei mit ein.
Betroffen starrte Jack Norton in die Runde. Vor seinen Augen verschwamm alles, und er kniff ein Auge zu, um das Bild zu schärfen. Er versuchte, den Mooz in dem plötzlichen Getümmel der sich gratulierenden Bellaner zu finden, aber das gelang ihm nicht. Als es schließlich nach vielen Minuten wieder still wurden konnte Norton endlich seine Frage anbringen. Er mußte mehrmals dazu ansetzen, weil seine Zunge sich nur schwer bewegen ließ. »Der Mooz?« fragte der Minister für moderne Wissenschaften und lachte den terranischen Riesen an. »Der Mooz ist wieder gestartet. Er befindet sich auf dem Wege zum Mond, um mehr Yull zu holen.« 3. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, um die Katastrophe aufzuhalten. Ich kann sagen, was ich will, der Mooz glaubt mir nicht. Und wenn er jetzt die OFV-Antennen auf Bellcan findet, dann wird er sich einreden, daß es den Transmitter natürlich nicht gibt, denn sonst müßte er ja einsehen, daß Terra eine technische Leistung vollbracht hat, zu der die Bellaner niemals fähig wären. Und dann müßte er Terras Überlegenheit anerkennen. Aber das wird er nicht tun. Vermutlich wird er mir eine Auszeichnung geben und mich als besonders guten Märchenerzähler rühmen. Wenn nur das Fest des Grünen Sonnenuntergangs nicht käme. Schon jetzt kommen die Bellaner von allen Teilen dieser Welt nach Eramm. Wenn der Yull-Rausch den ganzen Planeten erfaßt, dann sitze ich schon morgen in der größten Klemme, in der jemals ein Entwicklungshelfer gesessen hat.« Tagebuchnotiz, Datum unleserlich, vermutlich 5.4.3037 GT »Was habe ich euch gesagt? Yull, überall Yull, so weit ihr sehen könnt«, rief Ban Kill, der Raumfahrer. »Man könnte fast annehmen, daß die Geologen, die Bellcan vor zweihundert Jahren untersucht haben, Terraner waren. Kaum faßbar, daß ein Bellaner sich je so irrte!« Endo, der Pilot des Raumschiffes, nickte versonnen: »Ich habe nie gedacht, daß es so viel Yull überhaupt geben könne, Ban Kill!« Zusammen mit den anderen Bellanern stand Endo an dem
großen Panzerplastauge und betrachtete die bizarre Mondlandschaft. Diesmal war die LIEBLICHE weiter im Norden des Mondes, ganz in der Nähe des Pols gelandet. »Das Glück ist auf unserer Seite«, murmelte Ban Kill und warf einen dankbaren Blick zu den Sternen. Über dem Mondhorizont hing leuchtend grün wie ein Smaragd die Halbkugel des Planeten Bell. Unter den dünnen Wolkenschleiern konnten die Männer in dem Raumschiff die drei Kontinente ihrer Heimatwelt deutlich erkennen. Der eiförmige Kontinent, an dessen westlicher Küste Eramm lag, ragte gerade noch aus dem Dunkelfeld heraus, das nicht im Glanz der kleinen Sonne ihres Systems stand. Milchig grün streckte der große unbewohnte Polkontinent seine langen Landzungen von Süden hoch, während der schlanke Kontinent Hakahal wegen seiner hohen Gebirgszüge eine leichte bräunliche Tönung zeigte. Einige Minuten lang schien es so, als würden die bellanischen Raumfahrer von der Schönheit ihres Planeten gepackt, doch dann brach bei Ban Kill die Habgier durch. »Warum sind wir nicht gleich hier gelandet? Es kommt mir so vor, als hätten wir bis jetzt nur Yull-Schutt gefunden, um jetzt endlich auf das zu stoßen, was vollkommen ist.« »Es ist vollkommen«, pflichtete ihm Endo bei. »Die YullStämme dort draußen erinnern mich irgendwie an die großen Korallenbänke der grünen Meere.« »Genauso sehen sie aus.« Endo blickte wieder auf die armdicken Yull-Streben, die überall aus dem Mondgestein hervorkamen, bizarr und zerklüftet, so als seien sie in flüssigem Zustand aus dem Felsen hervorgeschossen, um dann sofort in der eisigen Kälte des Weltraumes zu erstarren. Das Licht der Sterne und des Planeten Bell traf sich in dem bläulichen Material. Ein unwirklicher Glanz verzauberte die Mondlandschaft. »Es sieht so schön aus, daß es mir schwerfällt, an den Abbau zu gehen«, seufzte Ban Kill. »Dazu wird es ja auch gar nicht kommen«, entgegnete Endo im gleichen Tonfall. Ban Kill benötigte einige Atemzüge, um den Spott in der Stimme seines Piloten zu erkennen, und einige weitere, um zu begreifen, was dieser gesagt hatte. Dann aber fuhr er herum und starrte Endo mit großen Augen an. »Du weigerst dich?«
»Mir ist, als sollte ich ein Kunstwerk zerstören«, antwortete Endo, der mit weicher Stimme sprach, während der Spott ihm aus den gelben Augen funkelte. Ban Kill beobachtete, wie das plötzlich aufgetauchte Raumschiff des Mooz von Eramm sich wie ein silberner Fisch auf den Mond herabsenkte. »Ich habe schon begriffen«, knurrte Ban Kill. »Also gut – ich sehe ein, daß zehn Prozent der Beute für euch alle zuwenig sind. Ich gebe euch zwanzig.« »Der Mooz hat gleich fünf Männer mitgebracht«, stellte Endo erregt fest. »Seht nur, wie sie die Yull-Stämme zerhacken!« »Wir müssen uns beeilen, sonst bleibt nichts für uns«, rief der Funkspezialist der LIEBLICHEN. »Es ist genug da«, tröstete ihn Endo. Ban Kill sah sich ungeduldig um. »Was ist denn? Sind zwanzig Prozent etwa zuwenig?« »Ja.« »Ich kann nicht mehr geben.« Endo schlurfte zum Pilotensitz hinüber und ließ sich in gespielter Traurigkeit hineinfallen. »Du willst uns in Armut enden lassen«, sagte er vorwurfsvoll. Ban Kill rannte zwischen dem Schott und dem Pilotensitz hin und her. Er bot seinen Männern mehr und mehr, und jetzt merkten sie, daß sie ihm beikommen konnten und taten so, als hörten sie ihm überhaupt nicht zu. »Also gut«, stöhnte Ban Kill schließlich. »Es soll wie in alten Zeiten sein. Ihr bekommt siebzig Prozent, für mich bleiben dreißig!« »Wirklich?« fragte Endo. Ban Kill nickte verdrossen. Er hatte das Gefühl, das größte Geschäft seines Lebens vertan zu haben und übersah dabei, daß er nie in seinem Leben die Chance zu einem so großen Geschäft gehabt hatte wie jetzt. Seine Männer erwachten plötzlich aus ihrer Gleichgültigkeit und stürmten aus der Kommandozentrale. Noch nie hatte Ban Kill erlebt, daß sie so schnell in die Raumanzüge gestiegen waren. Bevor er recht zur Besinnung kam, stürzten sich seine Männer bereits auf das Yull, das sich wie ein Meer aus blauen Korallen über dem Mondgestein erhob. Da erschien plötzlich eine silberne Gestalt zwischen den
bizarren Mondfelsen und wanderte langsam über den Rand des Kraters hinweg. Ban Kill griff sich ans Herz, als er den Mooz erkannte, der sich der LIEBLICHEN rasch näherte. In aller Eile bereitete Kill sich auf die Ankunft seines Herrschers vor und schaffte es gerade noch, etwas Erfrischendes bereitzustellen, als der Mooz durch die Schleuse hereinkam. Der Kommandant begrüßte den Herrn aller Bellaner voller Freude und Demut, doch der Mooz legte jetzt keinen großen Wert auf die Förmlichkeiten – so schien es. Großmütig winkte er ab. Er zwinkerte Ban Kill sogar fast vertraulich zu, um sich dann schwungvoll in einen der Sessel fallen zu lassen. »Wir sind hier nicht auf Bell«, begann der Mooz gelassen. »Im Raum sind alle gleich.« »Danke«, seufzte Ban Kill verwirrt. Ergriffen über so viel Großmut setzte er sich ebenfalls, doch jetzt traf ihn ein zorniger Blick aus den gelben Augen seines Herrschers, der ihn sogleich wieder auf die Beine trieb. »Im Raum sind also alle gleich«, wieder holte der Mooz freundlich. Er musterte Ban Kill prüfend, schien zufrieden und sagte: »Wir müssen damit rechnen, daß Jammy Schwierigkeiten macht.« Ban Kill nickte brav, obwohl er nicht ganz verstand, was der Mooz damit meinte. »Der dürre Jammy hat mir eine phantastische Geschichte erzählt«, erläuterte der Mooz. »Er will mir tatsächlich weismachen, daß sich im Mittelpunkt des Mondes eine große Maschine befindet, die so ähnlich wie ein Radiosender funktioniert, nur daß sie nicht Nachrichten sondern materielle Dinge verschickt.« »Materielle Dinge«, nickte Ban Kill. Er bekam sich jetzt ein bißchen besser in Gewalt und konnte auch schon etwas klarer denken. Während er die Yullmassen dumpf in die Lagerräume der LIEBLICHEN rollen hörte, nahm er sich vor, möglichst wenig Fragen zu stellen. »Hast du mich verstanden, Ban Kill?« forschte der Mooz. »Ja«, behauptete Ban Kill kühn, obwohl er tatsächlich herzlich wenig von dem begriffen hatte, was er gehört hatte. »Natürlich nicht«, grinste der Mooz, »denn so eine Maschine ist natürlich überhaupt nicht vorstellbar.« »Nein«, fand auch Ban Kill, und jetzt überlegte er sogar.
Tatsächlich konnte er sich die erwähnte Maschine nicht vor stellen. Er erlaubte sich ein Grinsen und sagte: »Das ist sicherlich ein fauler Trick, mit dem sich Jammy den ganzen Reichtum sichern möchte.« »Das können wir natürlich nicht zulassen«, meinte der Mooz. »Was soll ich dabei tun?« »Wir müssen Jammy beschäftigen«, versetzte der Mooz. »Wir müssen ihn so in Bewegung halten, daß wir uns genügend Yull holen können. Wenn wir genug haben, kann er tun, was er will. Er kann uns dann nicht mehr ausbeuten.« »Völlig richtig«, stellte Ban Kill fest. »Aber – was habe ich dabei zu tun?« »Du wirst derjenige sein, der ihn beschäftigt!« »Aber – ich möchte auch Yull haben.« »Keine Sorge, Ban Kill«, lächelte der Mooz großmütig, »du wirst keinen Schaden davon haben. Auch die anderen Raumfahrer beteiligen sich. Alle geben dir etwas. Jeder von uns wird am Ende ein ungeheuer reicher Mann sein.« Damit war Ban Kill zufrieden. Als der Mooz schon gehen wollte, kam ihm jedoch ein Gedanke, und er fragte: »Und es ist ganz sicher, daß es kein Trick von Jammy ist? Was ist, wenn Jammy es ehrlich meint? Wenn wir einen Schaden anrichten, dann werden andere Terraner hier erscheinen, um den Schaden zu beheben. Und sie nehmen Jammy vielleicht alles aus der Hand?« Der Mooz zupfte sich die Ohren. Es sah ganz so aus, als habe er an diese Möglichkeit noch nicht gedacht. Doch dann ging ein strahlendes Lächeln über sein Gesicht. »Wir sind den Terranern doch weit überlegen, nicht wahr?« fragte er. »Natürlich«, antwortete Ban Kill im Brustton der Überzeugung. »Dann hätten wir eigentlich schon längst so eine Maschine bauen müssen wie sie hier im Mond sein soll«, verkündete der Mooz. »Es ist doch unmöglich, daß die Terraner so etwas vor uns schaffen.« Ban Kill überlegte einen kurzen Moment und stimmte dann zu. »Ja, Mooz das ist richtig. Wenn wir so eine Maschine noch nicht haben, können die Terraner sie auch noch nicht besitzen.« Der Mooz war mit ihm zufrieden. Er verabschiedete sich. Doch Ban Kill war nicht ganz zufrieden. Er versuchte, die Argumentation des Mooz noch einmal zu rekonstruieren, aber das
gelang ihm nicht. Deshalb rettete er sich in die Überzeugung, daß die Bellaner den Terranern überlegen seien – und plötzlich stimmte wieder alles. * Von böser Ahnung erfüllt, schlug Jack Norton die Augen auf. Er überlegte, wie er wieder in seinen Turm gekommen war, und konnte sich nur noch sehr schwach daran erinnern. Die Minister hatten sich geradezu rührend um ihn bemüht und ihn reichlich mit bellanischem Whisky versorgt. Irgendwie war er dann wohl zu seinem Schweber gekommen. Grollend senkte sich draußen ein Raumschiff auf das Landefeld herab. Jack Norton schloß die Augen wieder und atmete tief durch. Ihm wurde ein wenig übel, als er sich auszumalen versuchte, wie es draußen wohl zugehen mochte. Wahrscheinlich hatten die bellanischen Raumfahrer jetzt schon ganze Yull-Berge auf dem Raumhafen auf getürmt. Plötzlich stellte er fest, daß ihn seine Ahnung getrogen hatte. Überrascht richtete er sich auf und blinzelte in das helle Licht. Sein Diener Ogo kam auf leisen Sohlen herein und servierte ihm einen dampfenden Kaffee. »Es scheint eine fröhliche Nacht gewesen zu sein, Jammy«, sagte er lächelnd. Jack Norton antwortete nicht. Er runzelte die Stirn und griff sich dann mit beiden Händen an den Kopf. »Was ist los, Jammy?« »Ich habe keine Kopfschmerzen«, antwortete der Terraner unsicher. In der Tat fühlte er keinerlei Druck und Schmerz, lediglich etwas Schwindel. Sonst waren keine Nachwirkungen vom überreichlichen Whiskygenuß zu verzeichnen. Waren mehrere Tage vergangen? Erschreckt blickte Norton auf sein Chronometer. Es zeigte den 17. Mooza, 8 Uhr 28 an. »So früh noch?« fragte er verblüfft. »Ogo – wann bin ich nach Hause gekommen?« »Vor vier Stunden«, antwortete der Bellaner und sah ihn dabei besorgt an. »Ist etwas nicht in Ordnung?« »Aber – das kann doch nicht sein, Ogo. Ich bin völlig frisch, ich habe keine Kopfschmerzen. Ich bin…« Ogo reichte ihm Kaffee und bestand darauf, daß er ihn trank. Dann fragte er vorsichtig: »Solltest du dich denn schlecht fühlen, Jammy?« »Nach einer solchen Nacht? Mein Kopf müßte eigentlich
platzen.« »Das verstehe ich nicht.« »Also – wenn ich sonst Whisky trinke, brauche ich mindestens sechzehn Stunden, um einen wieder völlig klaren Kopf zu haben.« »Ist denn der terranische Whisky so schlecht?« fragte Ogo harmlos und sah ihn mit großen, verwunderten Augen an. Jack Norton ließ sich stöhnend auf das Bett zurückfallen und schlug die Hände über die Augen. »Das darf doch nicht wahr sein!« klagte er. Er begriff nicht, daß es den Bellanern gelungen sein sollte, einen Whisky herzustellen, der Genuß ohne Reue versprach. Ogo zog sich vorsichtig zurück. Er öffnete die Fenster weit, um frische Luft hereinzulassen. »Was darf nicht wahr sein?« Norton richtete sich mit finsterem Gesicht auf. »Moment mal, Ogo – woher hat der Mooz eigentlich das Herstellungsverfahren? Hast du etwa aus meinen Büchern.« »Oh – ich muß nach unten!« stammelte Ogo. »Das Essen für heute…« Er flüchtete eilig aus dem Raum, bevor Norton ihn packen konnte. Der Terraner schickte ihm einen ärgerlichen Fluch hinterher und nahm sich vor, seine Unterlagen etwas besser zu verwahren. Er mußte das Lexikon nach oben bringen, weil es dort vor Ogo sicher war. Langsam ging er nach unten, wobei er ab und zu stehenblieb, weil ihn schwindelte. Der Whisky steckte ihm doch immer noch im Blut. Er stieß die Tür zur Terrasse auf, weil er in seinem Bassin baden wollte, zog sie jedoch rasch wieder zu, als er zwei lebhaft schwatzende Bell-Damen in bequemen Liegestühlen am Bassin sitzen sah. »Ogo!« schrie er, während er sich in dem kleinen Duschraum frisch machte. »Ogo!« Als er seine Haut mit einer sanften Creme einrieb, erschien Ogo und sah ihn unschuldig an. »Was kann ich für dich tun, Jammy?« »Ich möchte was essen. Und dann möchte ich wissen, wie ihr euren Whisky braut.« Ogo grinste über das ganze Gesicht und nickte eifrig. »Jetzt habe ich verstanden, Jammy. Du glaubst immer noch, daß ihr Terraner alles besser könnt als wir. Und du meinst, wenn wir einen Whisky machen, dann muß er schlechter sein als der
von der Erde. Und du denkst, wenn dir der Whisky von Terra Kopfschmerzen macht, dann müßte dich der Whisky von Bell – weil er ja viel schlechter ist – für Wochen ans Krankenlager binden!« »So ungefähr«, seufzte Jack Norton. »Ihr seid die reinsten Wunderknaben.« Ogo begriff nicht die Ironie, die in diesen Worten lag, grinste und eilte in die Küche zurück. Norton ging auf den Balkon, wandte sich dann jedoch noch einmal um und fragte: »Wer sind die Weiber auf meiner Terrasse?« »Keine Weiber – meine Schwestern, Jammy. Sie sind die schönsten Frauen ihres Stammes«, antwortete Ogo voller Stolz. »Hm – und was wollen die hier?« »Erstens Yull, natürlich. Wie die anderen auch.« »Und zweitens?« »Zweitens ist morgen das Fest des Grünen Sonnenunterganges.« Damit konnte Jack Norton nichts anfangen. Er war erst seit acht Monaten auf dieser Welt, und das Fest des Grünen Sonnenunterganges fand nur einmal im Jahr statt. Bis jetzt wußte er nur, daß der Mooz im Mittelpunkt dieses Festes stand. Er hoffte morgen alles über das Fest zu erfahren, da Ogo ihm bis jetzt auf keine Fragen geantwortet hatte. Norton hatte immer wieder den Eindruck, daß es Ogo unangenehm war, über den grünen Sonnenuntergang zu sprechen. Norton zündete sich eine Zigarre an und kehrte auf den Balkon zurück, um sich ein wenig besser als zuvor umzusehen. Eine böse Ahnung stieg in ihm auf, als er in die warme Sonne hinaustrat. Er blieb stehen und griff hastig nach seiner Zigarre, weil sie ihm sonst aus dem Mund gefallen wäre. »Ogo«, brüllte er, »komm sofort her!« Er eilte bis an die Brüstung und stützte seine Hände darauf. Er merkte, daß sie zitterten, und er wußte nicht, ob er das auf den überreichlichen Whiskygenuß zurückführen sollte oder auf das, was er jetzt sah. Eramm hatte sich über Nacht völlig verwandelt. Wo gestern abend noch eine, zwar nicht ganz ruhige, aber doch kleine Stadt mit mäßigem Verkehr gewesen war, wimmelte es von Bellanern. In seinem Garten stand Zelt neben Zelt. An den Ufern des breiten Flusses waren über Nacht Zehntausende von gelben, grünen, blauen und weißen Zelten aus dem Boden gewachsen.
Am Rande von Eramm, dort, wo die wellige Prärie begann, parkten Fahrzeuge verschiedenster Art inmitten einer fast unübersehbaren Zeltstadt, aus der ein gewaltiges Riesenrad emporragte, das sich fröhlich drehte, um jubelnde Bellaner hoch in die Lüfte zu tragen. Auf der anderen Seite des Flusses legte sich eine dichte Mauer aus den Zelten und Fahrzeugen um das Raumlandefeld, auf dem blitzende Berge von blauem Yull lagerten. »Du hattest nach mir gerufen, Jammy?« fragte eine kleine Stimme hinter ihm. Jack Norton erwachte wie aus einem tiefen Traum. Wie betäubt kehrte er in sein Zimmer zurück und starrte blicklos auf sein Frühstück. Ogo servierte seinem Herrn besorgt einen terranischen Whisky, aber Norton hatte auch darauf keinen Appetit. »Seid ihr denn alle verrückt geworden?« stöhnte er. »Warum, Jammy? Nur weil alle reich werden wollen? Was ist dabei schlimm oder schlecht?« »Melde mich sofort beim Mooz an. Ich muß ihn sprechen.« Er sprang auf und legte sich die für die Audienz passende Uniform an, während Ogo noch immer zögerte. »Was willst du tun, Jammy?« »Ich muß diesen Wahnsinn stoppen. Ich muß verhindern, daß noch mehr Yull von Bellcan geholt wird. Ich habe versucht, euch zur Vernunft zu bringen, aber ihr wolltet nicht auf mich hören. Nun gut, dann muß ich euch eben zwingen.« Ogo sah ihn mit ungewöhnlichem Ernst an. »Jetzt weißt du nichts was du tust«, sagte er mahnend. »Ich weiß genau, was ich tue. Ganz genau!« brüllte Norton wütend. Er schaltet das Gravitationsfeld ein und ließ sich nach oben tragen, wo die Start- und Landekontrollen noch immer auf Automatikstellung liefen. Mit einem Blick konnte er sich davon überzeugen, daß das Raumschiff des Mooz und zwei weitere Raumschiffe in Eramm standen. Die beiden anderen, darunter die LIEBLICHE, die von Ban Kill geführt wurde, flogen jetzt gerade Bell an. Jack Norton traf damit auf eine für ihn und seine Absichten außerordentlich günstige Situation. Er setzte sich an das große Schaltpult und blockierte die Startvorrichtung für die Raumschiffe, die jetzt in Eramm standen.
Damit machte er einen Start unmöglich. Zugleich schaltete er die holographische Verbindung zu den beiden anderen Raumschiffen ein. Wie er erwartet hatte, blickte er in Kommandozentralen, die bis unter die Decke mit blitzendem Yull gefüllt waren. Ban Kill begrüßte Norton mit einem fröhlichen Winken, als plötzlich zwei rote Lichter auf dem Kontrollpult aufleuchteten. Jack Norton schaltete die Reservekreise ein, doch die roten Lampen erloschen nicht. Gleichzeitig flackerte eine erklärende Leuchtschrift vor ihm auf, und der Computer spuckte ein langes Plastikband mit einer Nachricht aus. »Jammy«, rief Ban Kill beunruhigt, »was ist mit der LIEBLICHEN los? Das Schiff fliegt nicht mehr ruhig.« Endo, der Pilot Ban Kills, erschien neben dem Kommandanten. Als er merkte, daß die Holographen eingeschaltet waren, versteckte er seine Hände hastig hinter dem Rücken, doch Norton hatte bereits die Brandblasen auf den zierlichen Spinnenfingern gesehen. »Was hast du an dem Antrieb zu suchen, Endo?« fragte er mit eisiger Stimme. »Wer zum Teufel, hat dir erlaubt, die Isolatoren des Autopiloten zu entfernen?« »Ich… ich habe nichts angerührt, was nicht schon ganz locker war«, stotterte der Pilot, der schuldbewußt die Augen niederschlug und es tunlich vermied, Norton anzusehen. »Schweige lieber. Ich kann Lügen nicht ertragen«, wies ihn Norton zornig zurecht. »Jammy – was wird denn aus uns?« rief Ban Kill ängstlich. Weitere Rotlichter flammten auf. Norton leitete die Landung des anderen Raumschiffes ein. Hier zeigten sich keine Schwierigkeiten. Bei der LIEBLICHEN sah es dagegen anders aus. Sie raste bereits durch die oberen Luftschichten des Planeten, befand sich jedoch nicht mehr voll in seiner Gewalt. Es bestand die Gefahr, daß das Raumschiff verglühte, wenn es Norton nicht bald gelang, die LIEBLICHE unter seine Kontrolle zu bekommen. »Jammy – du mußt uns helfen«, drängte Ban Kill. »Du bist dazu verpflichtet.« »Ich tue, was ich kann.« »Es ist eine terranische Maschine. Und wenn Terra Raumschiffe liefert, die ständig kaputtgehen, dann muß Terra uns auch helfen.« »Das Raumschiff würde ewig fehlerfrei arbeiten, wenn ihr nicht
dauernd daran herumpfuschen würdet, um etwas zu verbessern! Begreift doch endlich einmal, daß es an diesen Schiffen nichts mehr zu verbessern gibt«, antwortete der Terraner scharf. »Schimpf nicht«, bat Ban Kill kläglich, »hilf uns lieber.« »Endo – geh wieder nach unten. Versuche, die Kontakte wieder zu schließen, die du gelöst hast.« »Ich habe es nicht absichtlich getan«, beteuerte der Pilot, doch Jack Norton sah ihm an, daß er nicht die Wahrheit sagte. Bellaner haben viele hervorragende Eigenschaften und viele schlechte, doch lügen können Sie überhaupt nicht. »Es ist mir gleich, ob du es absichtlich getan hast oder nicht«, erklärte Norton mit gleichgültiger Stimme. Und gerade dieser Tonfall verstörte die Bellaner, da sie ihn nicht kannten. »Beeile dich – sonst ist es zu spät für euch.« Endo kauerte sich zusammen. Ängstlich klammerte er sich an die wertvollen Yull-Klumpen, die die Kommandobrücke, füllten, doch jetzt stieß ihn Ban Kill heftig zur Seite und trieb ihn aus dem hinteren Schott. Verlegen versprach er: »Endo wird alles wieder in Ordnung bringen.« »Das hoffe ich«, knurrte Norton. Ban Kill sprach weiter, doch Jack Norton achtete überhaupt nicht auf ihn. Er tat so, als hörte er ihn nicht, und in seinem schmalen Gesicht bewegte sich kein Muskel. Gerade das aber machte Ban Kill unsicher und hilflos. Er stammelte und stotterte, schwatzte und jammerte herum, bis er kläglich gestand, daß der Mooz ihn und Endo zu dem Eingriff in die Automatik des Raumschiffes angestiftet hatte. Noch immer warnten die roten Lichter, jedoch nicht mehr alle. Endo, der jetzt völlig erschöpft neben Ban Kill auf dem Yull-Berg erschien, hatte mit beträchtlichem Glück einige Schaltungen wieder repariert, so daß Norton jetzt immerhin eine Chance hatte, die LIEBLICHE heil zu landen – aber sie würde Eramm weit verfehlen. Norton konzentrierte sich ganz auf die Landung. Er bremste den rasenden Flug des Raumschiffes immer mehr ab. Und die Chancen für die LIEBLICHE und ihre Besatzung stiegen von Sekunde zu Sekunde. »Jammy! Jammy – was machst du mit uns?« schrie Ban Kill entsetzt. »Jammy – wir stürzen ins Meer!« Irritiert sah Jack Norton auf. Er lachte, als er das entsetzte
Gesicht Ban Kills in dem Holographen betrachtete. »Kannst du denn nicht schwimmen, Ban Kill?« fragte er in gespielter Sorge. Ban Kill faltete die kleinen Hände über der schmalen Brust und verdrehte die Augen. Belustigt bemerkte Jack Norton, daß die feinen grauen Haare, die seinen ganzen Körper bedeckten, am Kopf steil von der Haut abstanden. Die Lippen des Raumschiffskommandanten zitterten. Norton schaltete einen seiner Turmholographen auf eine der Außenaufnahmegräte der LIEBLICHEN um. Jetzt konnte er beobachten, wie sich das Raumschiff schnell dem Wasser näherte. »Jammy – was wird aus uns?« jammerte Ban Kill. Dann verschwand die LIEBLICHE in den Fluten, und Jack Norton unterbrach die direkte Sichtverbindung. Es konnte Ban Kill nichts schaden, wenn er einen kleinen Denkzettel bekam. 4. »Jetzt sieht es wirklich böse für mich aus. Eramm gleicht einem Tollhaus, und ich rechne stündlich mit einem Anruf meines Inspektors vom Freiwilligen-Corps Terranischer Entwicklungshilfe. Ich weiß nicht, wie groß der Schaden an den OFU-Antennen auf dem Mond ist, ich kann aus meinen Unterlagen auch nicht ersehen, wo die Toleranzgrenze liegt. So kann ich auch nicht feststellen, ob der Transmitter noch einwandfrei arbeitet oder nicht. Aber ich fürchte, daß im terranischen Kontrollzentrum längst die rote Lampe leuchtet. Wenn es so ist, dann wird sich der Inspektor bald melden: Und ich möchte wissen, wie ich aus dem Tollhaus bis dahin wieder die ruhige Stadt mache, die Eramm war, bevor mir alles aus den Händen glitt. Im Augenblick weiß ich nicht, ob ich überhaupt eine Chance habe, hier alles wieder in Ordnung zu bringen. Auf jeden Fall läßt der Mooz sich seinen Raumer nicht lange an die Kette legen. Ich hoffe nur, daß er jetzt durch das bevorstehende Fest des Grünen Sonnenunterganges so beschäftigt ist, daß er seine Raumjacht nicht benutzt.« Tagebuchnotiz vom 5.4.3037 GT Dumpf hallte der Mooz-Ruf durch den weißen Palast auf der
Landzunge am Rande der Stadt. Die Rufer, ausgewählte Söhne der Landedlen, zogen den angerauhten Rufstab über die dicke Saite, die sich im Rufturm des Palastes von der Spitze bis zum Boden des Turmes spannte. Der Ton klang so mächtig und dröhnend, daß die Bellaner in der Stadt aufhorchten und das brodelnde Leben für einige Atemzüge zur Ruhe kam. Zu gleicher Zeit erschien der Mooz im Palastsaal, um die Mächtigen seiner Welt zu begrüßen. Im Saal standen die zahlreichen Minister mit ihren Damen und umgaben die Männer, die in den Provinzen die Macht besaßen. Sie alle waren mit dem Mooz von Eramm verwandt – was nicht bedeutete, daß sie ihm deshalb treu ergeben waren. Im Gegenteil, der Glanz der Hauptstadt reizte viele von ihnen und ließ sie lüstern nach dem Thron schielen. Doch selten zuvor hatte es einen Mooz gegeben, der politisch so geschickt zu agieren wußte. Auch jetzt bewegte er sich gewandt zwischen den Provinzmächtigen und begrüßte jeden von ihnen mit ausgewählten Worten, die bewiesen, daß er sehr genau mit den Problemen und Besonderheiten der verschiedenen Provinzen vertraut war. Als der Mooz alle Männer begrüßt hatte, wurden dem Herrscher die Damen vorgestellt. Dieser Teil des Empfangs langweilte ihn mehr als jeder andere. Eraka, die Frau der vielleicht mächtigsten Verwandten, die auf dem Kontinent Hakahal lebten, sah sich nach der kurzen Begrüßung neugierig im Saal und fragte daraufhin den Mooz: »Ist er nicht hier, der Terraner?« Der Mooz wurde aufmerksam. Er trachtete die Frau vor ihm etwas interessierter und stellte fest, daß sie ungewöhnlich schön war. Sie trug ein kirschrotes Gewand. »Der Terraner? Möchtest du ihn sehen?« »Gern – man sagt, daß er sehr komisch aussehen soll. So groß und so dürr, und auf dem Kopf soll er gelbes Haar haben.« Der Mooz kicherte. »Und die Augen sind ganz blau.« »Aber – er soll mächtig sein.« Schlagartig verschwand das Grinsen von dem kleinen Gesicht des Mooz. »Mächtig bin nur ich. Die Macht des Terraners ist nichts dagegen.« Die Minister, die der Unterhaltung der beiden
aufmerksam gefolgt waren, summten ihre Zustimmung. »Aber – der Terraner kann sich in die Luft erheben und fliegen!« warf der Mann von Eraka ein. »Ja – Jammy kann fliegen. Natürlich kann er das.« Die Provinzmächtigen starrten ihn mit offenen Augen an, fassungslos, daß er das zugab. Aber wenn sie meinten, er würde dem Terraner etwas zubilligen, was er selbst zu tun nicht imstande war, so irrten sie sich. »Er hat es von mir gelernt«, fuhr der Mooz dreist fort. »Natürlich kann ich es viel besser. Ihr wißt, ich habe sogar ein Schiff, mit dem ich den Planeten verlassen kann.« »Es gibt mehrere dieser seltsamen Schiffe auf Bell«, warf Era, der Herrscher von Hakahal ein. »Warum haben wir noch keine?« »Die Zeit wird kommen«, versprach der Mooz. »Vielleicht schon zum nächsten Grünen Sonnenuntergang werde ich euch Schiffe geben können.« »Können wir eines dieser Schiffe sehen?« fragte Eraka begierig. Sie strahlte den Mooz so an, daß dieser geschmeichelt lächelte und gnädig nickte. Obwohl er wußte, daß sein Raumschiff etwas von seinem Geheimnisvollen verlieren würde, wenn er es zeigte, machte er unvorsichtigerweise das Zugeständnis. Er breitete die Arme aus und versprach den Verwandten aus der Provinz eine Demonstration. Die stürmischen Ovationen gaben ihm das Gefühl, daß er völlig richtig gehandelt hatte. Er zögerte jetzt nicht mehr lange, sondern begann seine Besucher in mehrere Gruppen einzuteilen, da sie alle zusammen nicht in das Schiff paßten. Dann eilte er an der Spitze seiner Besucher aus dem Palast und zu dem Hangar hinüber, in dem das silberne Raumschiff wartete. Vor den Augen der Provinzherrscher, legte er sich den schillernden Raumanzug an, der auf der Erde speziell für ihn angefertigt worden war. Um auch seinen Besuchern das Gefühl besonderer Gewichtigkeit zu geben, ließ er sie die Raumanzüge seiner Besatzung anlegen und führte dann die erste Gruppe in das Raumschiff. Geschmeichelt ob ihrer Bewunderung, zeigte er ihnen das Innere des Schiffes, versuchte, ihnen dies und jenes zu erklären und begab sich dabei mehr und mehr in den Bereich reiner Phantasie und Übertreibung, indem er für viele Dinge, die er selbst nicht erklären konnte, einfach Interessantes und
Geheimnisvolles erfand. Doch bald wurden seine Besucher ungeduldig und baten ihn, nun endlich zu starten. Und jetzt merkte der Mooz, daß er einen schweren Fehler begangen hatte. »Es dauert zu lange, bis alle geflogen sind«, lehnte er ab. »Ich kann euch zunächst nur das Schiff zeigen. Später werden wir fliegen. « Doch damit waren seine Besucher nicht einverstanden. Der Provinzherr von Hakahal, der mächtigste Mann auf Bell neben ihm, protestierte am heftigsten. »Oder – kann das Schiff etwa nur von dem Terraner geflogen werden?« frage er schließlich. Der Mooz drehte sich heftig herum und setzte zu einer scharfen Zurechtweisung an, doch er beherrschte sich gerade noch rechtzeitig. »Nun gut«, gab er nach einer kleinen Pause nach, »dann werde ich der ersten Gruppe heute zeigen, wie das Schiff fliegt. Aber nur der ersten Gruppe. Setzt euch.« Es war nicht für alle Platz, und so mußten zwei der weniger bedeutenden Provinzler auf dem Boden sitzen, doch das störte sie angesichts des bevorstehenden Abenteuers nicht. Der Mooz räusperte sich, ging zu dem Pilotensitz und drückte einen großen, roten Knopf herunter, der unmittelbar vor ihm aus dem Kontrollpult ragte. Es geschah absolut nichts. Atemlos warteten die Besucher auf den Start. Keiner wagte, etwas zu sagen. Auch der Mooz nicht, denn er begriff jetzt, daß er das Schiff gar nicht starten konnte, weil Jack Norton es nicht wollte. * »Jammy, Jammy!« schrie Ogo von unten. »Beim ewigen Glanz aller Sterne was hast du getan, Jammy?« Jack Norton hörte die dünne Stimme wie aus unendlicher Ferne. Die LIEBLICHE befand sich ganz unter seiner Kontrolle und erreichte jetzt den Boden des Meeres. Norton schaltete ab, erhob sich und antwortete seinem Diener Ogo: »Was ist denn, Kleiner?« Er trat in das Gravitationsfeld und ließ sich nach unten tragen. Neben Ogo stand ein Bellaner mit gedrungenem Körper, der nicht mit grauem, sondern mit schwarzem Flaum bedeckt war. An den
tiefhängenden Schultern saßen muskulöse Arme mit kräftigen Händen. Die Beine konnte Norton nicht erkennen, da sie von dem sackartigen, blauen Gewand des Mannes bis zu den Füßen verhüllt wurden. Auf der Brust leuchtete eine silbrig schimmemde Stickerei in Form eines leicht gekrümmten Dolches, über dem ein Ring schwebte. Als der Mann mit düsterer Miene und unverhohlener Drohung vor Norton trat, sagte Ogo kläglich: »Das ist der Minister für staatsbedrohende Vergehen.« »Der Mooz ist empört«, begann der Minister sofort, als er Norton sah. »Du hast die wichtigsten Vereinbarungen, die der Herrscher mit Terra getroffen hat, gebrochen. Du hast seine Ehre und sein Ansehen geschädigt und ihn vor den Mächtigen aus den Provinzen lächerlich gemacht.« »Was ist denn überhaupt geschehen?«, fragte Norton gelassen. »Der edle Mooz wollte den Herren und Damen sein Raumschiff zeigen.« Jack Norton schwindelte. Er hatte das Gefühl, der Boden gäbe unter seinen Füßen nach. Er ging rasch auf den Balkon hinaus, um etwas frische Luft zu schnappen. Dann kehrte er zu dem zornigen Minister zurück. »Ich verstehe nicht, was das soll? Kann das Schiff nicht starten?« fragte Norton schließlich. »Nein.« »Ich kann nichts daran ändern. Ihr wißt, wie wenig wir Terraner können. Traust du mir wirklich so viel Können zu, daß ich in der Lage bin, das Raumschiff von hier aus aufzuhalten?« Der Minister wich rasch einen Schritt zurück und blickte zweifelnd zu den blauen Augen hinauf, die weit über seinem Kopf leuchteten. Hilfesuchend schaute er dann zu Ogo, doch der Diener Nortons sah mit verträumten Augen hinaus und schien nichts zu hören und zu sehen. »Du mußt dem Mooz helfen«, sagte der Minister mit wesentlich sanfterer Stimme als zuvor. »Es ist von größter Wichtigkeit.« »Ich werde versuchen, ihm zu helfen.« »Sofort!« »Das ist ausgeschlossen«, wehrte Norton ab. »Ban Kill ist mit seinem Raumschiff ins Meer gestürzt, ich muß ihn retten.« Der Minister wußte nicht mehr, was er tun sollte. Er fühlte, daß er allein nicht mehr weiterkam.
»Ich werde dem Mooz berichten. Er wird entscheiden, was dann geschieht.« Norton verneigte sich leicht vor dem Minister und sah ihm nach, als er aus dem Zimmer hastete. Ogo begleitete ihn nach unten und kehrte dann zu Norton zurück. »Jammy – du hättest es nicht tun dürfen«, seufzte er. »Das wird der Mooz dir nie verzeihen.« »Ich muß verhindern, daß noch mehr Yull vom Mond geholt wird. Es geht nicht anders.« Ogo zog Norton auf den Balkon hinaus und zeigte auf die Zeltstadt, die bis zum Horizont reichte, und er sagte: »Sieh dir diese Stadt an.« »Ich habe sie mehr als einmal gesehen. Sie ist ein Alptraum.« »Ich weiß nicht, was das ist«, versetzte Ogo unsicher, »ich weiß aber, daß du für diese Stadt verantwortlich bist. Und deshalb nennt man diese Stadt jetzt schon Jammy-Town. Dir zu Ehren.« Jack Norton drehte sich wortlos um, eilte zu seiner Bar und schenkte sich einen doppelten Whisky ein. Als Ogo, der ihm gefolgt war, ihn erreichte, hatte er das Glas bereits geleert. »Ich soll für diesen Unsinn verantwortlich sein?« stöhnte Norton. »Das ist zuviel. Das begreife ich nicht. Ich habe alles getan, um zu verhindern, daß ihr euch selbst ruiniert. Ich habe versucht, die Jagd nach dem Yull aufzuhalten, weil sie zur Katastrophe führt – und jetzt machst du mir Vorwürfe.« »Vielleicht haben wir dich nicht verstanden«, antwortete Ogo leise. »Jedenfalls lieben und verehren dich immer noch die meisten Bellaner. Geh hinaus, du wirst es erleben.« Ogo zog sich lächelnd zurück, ganz davon überzeugt, daß Jammy genial genug sein würde, sich aus seiner gefährlichen Lage zu befreien. Doch Jammy kam nicht dazu, die verfahrene Angelegenheit zu durchdenken, denn jetzt erschien der Minister für staatsbedrohende Angelegenheiten erneut und befahl Norton, sofort zum Mooz zu kommen. Diese Aufforderung kam nicht ganz überraschend. »Ich werde sofort zum Palast fliegen«, versprach Norton. Zusammen mit dem Minister verließ er den Turm. Vor der Tür jedoch trennten sie sich. Der Minister lief den Hang hinab zu seinem Fahrzeug, und Jack Norton wollte bergauf zu seinem Schweber gehen – aber das war nicht ganz einfach.
Im Park hockten jetzt schon mehr als hundert junge BellMädchen, die von Ogo aus Jack Nortons Vorräten versorgt worden waren. Sie tranken seinen Tee und naschten von seinen Konserven, sie machten es sich in seinen Gartenanlagen bequem und badeten in seinem Swimming-pool. Als sie Norton erblickten, eilten sie kreischend vor Freude auf ihn zu. Norton fuhr unwillkürlich zurück. »Lauf, Jammy, lauf!« rief Ogo hinter ihm her. »Du mußt zum Mooz.« Norton bückte sich und rannte los, mitten durch die kreischende Schar hindurch, als eine Horde von unbekleideten Kindern durch die sorgfältig gezüchteten Zierbüsche brach und die Verfolgung aufnahm. Jack Norton lief schneller, um ihnen zu entkommen, doch jetzt traten immer mehr Bellaner hinter den Bäumen hervor und versperrten ihm lachend den Weg. Männer und Frauen, Kinder und Greise krochen aus den Zelten, die sie zwischen den Bäumen und Büschen errichtet hatten, und klatschten heftig in die Hände, um ihm ihre Freude zu zeigen. Je weiter er kam, desto dichter wurde die Menge, desto schwieriger wurde es für ihn, voranzukommen. Viele Männer hielten ihm vergnügt kleine YullBrocken entgegen, und die Frauen versuchten, ein Stückchen von dem roten Schulterumhang zu ergattern, der zu seiner Uniform gehörte. Als Norton seinen Schweber endlich erreicht hatte, keuchte er erschöpft und rettete sich mühsam in das Fahrzeug. Von seinem Schulterumhang war ihm nur noch der Kragen geblieben. So schnell es ging, fuhr er die Transparentkuppel aus, um sich hermetisch von der Außenwelt abzuschließen. Er konnte die glänzenden Augen nicht mehr sehen, die ihn von allen Seiten her anstarrten. Voller Ungeduld wartete er, bis er starten konnte, dann ließ er die Sirene aufheulen und jagte den Schweber steil nach oben. Die Bellaner liefen kreischend auseinander, und Norton merkte, daß ihm Hände und Knie zitterten. Keuchend steckte er sich eine Zigarre zwischen die Lippen. Als er hoch genug gestiegen war, konnte er Eramm in seiner ganzen Ausdehnung übersehen. Er wußte, wie sehr die Stadt über Nacht gewachsen war, dennoch schockierte ihn ihr Anblick abermals. Es blieb ihm unfaßbar, wie in so kurzer Zeit so viele
Bellaner hatten anreisen können. Norton mußte den Palast zweimal umfliegen, bevor er einen Landeplatz für seinen Schweber fand, den er benutzen konnte, ohne die Parkanlagen zu beschädigen oder den Herrscher zu beleidigen. Der Platz lag zum Glück innerhalb der Bannzone, so daß Norton sich nicht noch einmal durch die Menge der Bellaner kämpfen mußte. Palastwachen eilten herbei und führten den Terraner in das Gästehaus, das abseits in einem tropischen Gewächsgarten lag. Hier erwartete ihn der Mooz in einem der großen Zimmer. Jack Norton erschrak, als er den Herrscher sah. Er saß mit untergeschlagenen Beinen auf einem riesigen Diwan und starrte den Terraner drohend an. Nie zuvor hatte Norton den Mooz so zornig – und so verzweifelt gesehen. »Unsere Freundschaft ist zu Ende«, begann der Mooz. »Das würde ich sehr bedauern.« »Du hast mich blamiert und lächerlich gemacht. Ich wollte mein Raumschiff starten und es den anderen Herren zeigen, doch es flog nicht.« Norton konnte sich die Situation, in die der Mooz gekommen war, sehr gut vorstellen. »Es war unvorsichtig von dir, das Schiff vorzuführen. Du erreichst damit nur, daß die anderen Herren auch solche Schiffe haben wollen.« »Sie wollen diesen Palast! Sie wollen meinen Kopf!« stöhnte der Mooz, und seine Augen flehten den Terraner an. »Sie fühlen sich betrogen und halten mich für unfähig. Ich muß fliegen! Sofort.« Jack Norton biß sich auf die Lippen. »Ich kann das Schiff wieder reparieren«, versprach er. »Doch ich verlange dafür, daß du nicht wieder zum Mond fliegst, um dort Yull zu holen. Die Antennen dürfen nicht beschädigt werden.« »Ach, das ist doch Unsinn«, winkte der Mooz ab und zwinkerte Norton gleichzeitig zu. »Wir beide wissen doch, daß es gar nicht um den Sender auf dem Mond geht.« Jack Norton seufzte. Er wußte nicht mehr, wie er dem Mooz klarmachen sollte, daß Bell unaufhaltsam auf einen totalen Zusammenbruch zusteuerte. »Warum ist Yull wertvoll?« fragte er. »Welch eine dumme Frage«, fauchte der Mooz. »So etwas
kann auch nur ein Terraner fragen. Yull ist ein äußerst edles Material, es ist selten und bildet die Grundlage unserer Wirtschaft.« »Es ist selten. Mooz. Deshalb ist es wertvoll. Was aber wird geschehen, wenn das Yull nicht mehr selten ist? Dann ist es überhaupt nichts mehr wert. Also ist es auch ein Fehler, noch mehr Yull zu holen.« »Wir wissen genau, wieviel Yull wir holen dürfen, ohne uns selbst zu gefährden«, log der Mooz. »Wirst du das Schiff in Ordnung bringen?« »Nur wenn du auf Yull verzichtest.« »Das kann ich nicht.« »Dann kann das Schiff auch nicht starten.« Der Mooz steckte die Finger seiner rechten Hand in den Mund und kaute nervös auf den Fingerspitzen herum. »Ich muß meine Macht demonstrieren«, sagte er langsam. »Ich muß es denen aus der Provinz zeigen – oder morgen regiert ein anderer Mooz. Kannst du dir das leisten?« »Ich weiß nicht«, antwortete Norton wahrheitsgemäß. »Ich weiß nur, daß ich etwas tun muß, um das Chaos auf Bell zu verhindern. Du mußt auf Yull verzichten.« »Ich werde eine Botschaft an deinen Insektor senden.« »Inspektor«, verbesserte Norton automatisch. »Hm – er wird mich ablösen und einen anderen Terraner senden, der vielleicht noch viel mehr Schwierigkeiten macht als ich. Kannst du dir das leisten?« Der Mooz fuhr wütend auf und sprang von dem Diwan. Dumpf knallten seine breiten Füße auf den Boden. Mit einem einzigen Tritt schmetterte er einen stabilen Hocker gegen die Wand, wo das dicke Holz krachend zersplitterte. »Gut«, gab der Mooz schließlich nach, »ich werde kein Yull mehr von Bellcan holen, und auch die anderen werden es nicht mehr tun.« »Dann werde ich dir helfen.« Der Moor starrte ihn aus engen Augen an. »Du bist viel mutiger als ich dachte«, sagte er leise, sprang wieder auf den Diwan und setzte sich. »Und jetzt höre mir gut zu, ich habe eine wichtige Aufgabe für dich.« Er klatschte in die Hände, und ein Diener erschien, der Norton einen bellanischen, grünen Whisky reichte. Norton trank
vorsichtig. »Meine Landsleute müssen versorgt werden«, begann der Mooz. »Wenn nichts geschieht, werden sie verhungern.« »Schick sie fort. Es gibt kein Yull mehr.« »Das geht nicht. Wir müssen sie versorgen. Die Abfälle müssen beseitigt werden. Sanitäre Einrichtungen müssen gebaut werden. Ich vertraue dir, und deshalb übertrage ich dir die Organisation. Du kannst das vielleicht noch besser als wir, denn du hast Maschinen, die das für dich tun.« »Völlig falsch«, antwortet Norton ärgerlich. »Du kannst Eramm nicht zu einer Riesenstadt machen. Schick sie alle nach Haus. Schick sie weg. Eine andere Lösung gibt es nicht.« »Du wirst die Organisation übernehmen«, befahl der Mooz hart. »Ich muß Ban Kill aus dem Ozean bergen.« »Das hat Zeit. Jetzt kümmerst du dich um Eramm. Und jetzt geh.« Der Mooz blickte ihn kühl an, stand auf und ging zu einer Tür. »In einer Stunde muß mein Raumschiff startbereit sein. In einer Stunde.« Norton blickte ihm mit hängenden Schultern nach. Er hatte gehofft, seine Lage verbessern zu können, und jetzt war sie noch schlechter als zuvor. * Als Norton seinen Turm erreichte, glaubte er zu träumen. Er hatte ein einziges Gewimmel von Bellanern erwartet, stieß jedoch auf eine Oase der Ruhe. Der Park lag verlassen und ruhig unter ihm, als er landete. Eine dichte Kette von rotuniformierten Palastwachen sicherte den Turm und den großen Garten. Norton landete unmittelbar neben dem Swimmingpool, bei dem ihn Ogo schon erwartete. Sein Diener hatte alles für ein erfrischendes Bad vorbereitet. Als Norton in dem duftenden Gallertbad lag, fühlte er, daß es ihm endlich wieder gelang, sich zu entspannen. Zugleich straffte sich seine Haut, und das Jucken ließ nach. Er begann sich von dem Edelgas Bellgon zu befreien. Und das tat ihm gut. Es gelang ihm auch, sich etwas mehr von den Dingen zu distanzieren. Zugleich aber wurde ihm bewußt, daß seine Lage
völlig aussichtslos geworden war. Er glaubte nicht mehr daran, daß er eine Räumung der Stadt erreichen konnte. Der Grüne Sonnenuntergang stand unmittelbar bevor. Die Bellaner würden nicht weichen. Und Norton glaubte dem Mooz auch noch nicht, daß dieser auf das Yull verzichten würde. »Es muß doch einen Ausweg geben«, fluchte Norton. »Wie bitte?« fragte Ogo vom Rand des Bassins her. »Gib mir eine Zigarette«, bat der Terraner und schwamm zu dem Bellaner hin, um sich bedienen zu lassen. »Und dann höre mir gut zu. Ich verlange, daß die Minister des Mooz sofort zu mir kommen. Ich habe ihnen wichtige Dinge mitzuteilen.« »Die Minister?« staunte Ogo. »Hierher?« »Die Minister! Hierher!« »Und du meinst, daß sie wirklich kommen?« »Sie werden kommen, verlaß dich darauf.« Ogo schickte einen Seufzer zum blaßgrünen Himmel und verdrehte die Augen. Als Norton sich jedoch nicht weiter um ihn kümmerte, führte er den Befehl aus, obwohl er von dessen Sinnlosigkeit überzeugt war. Doch er irrte sich. Die Minister kamen. Inzwischen hatte »Jammy« Jack Norton sich gut vorbereitet. Jetzt spielte er die Trümpfe aus, die ihm die überlegene terranische Technik in die Hand gab. Als die vierundvierzig Minister der Mooz-Regierung sich bei seinem Swimming-pool versammelten, hatte er bereits eine Verbindung zu seinem Computer im Turm geschaffen, so daß er ihn vom Garten aus befragen konnte. Um auch seine äußere Erscheinung etwas aufzuwerten, hatte er seine beste Uniform angelegt, ein feldbraunes Prachtstück mit leuchtend rotem Kragen und blitzenden Rangabzeichen. Diese Uniform kennzeichnete ihn als Mitglied des zivilen terranischen Entwicklungsdienstes. »Es macht mich sehr stolz, daß der große Mooz mir den Auftrag erteilt hat, den drohenden wirtschaftlichen Zusammenbruch der Stadt Eramm zu verhindern«, begann Norton ohne lange Umschweife. »Da ich mich jedoch nicht in der Lage fühle, eine solche Aufgabe allein zu bewältigen, muß ich um eure Hilfe bitten. Ich habe meine Maschinen bereits befragt, konnte aber natürlich nur zu Teillösungen kommen. Euch wird es sicherlich gelingen, diese Lösungen zu vervollkommnen.« Diesmal machte er alles richtig. Er gab den Bellanern das
Gefühl der Überlegenheit, das sie so schätzten, und sicherte sich damit ihre Bereitwilligkeit, ihm zu helfen. »Es ist natürlich viel zu früh, an den Bau von Häusern zu denken«, fuhr Norton vorsichtig fort. Tatsächlich dachte er überhaupt nicht daran, auch nur ein einziges Haus zu bauen. Sein Ziel war die Räumung der Stadt. »Wichtig ist jetzt zunächst die Versorgung mit Nahrungsmitteln.« »Es ist unmöglich, alle Leute zu versorgen«, klagte der Minister für Wirtschaft und Finanzen, ein kleiner Bellaner mit runder Brust und stämmigen, kurzen Beinen. »Wir haben einfach nicht genügend Vorräte. Die Läden sind leer. Vom Land kommt nichts mehr, weil alle Bauern hier sind. Die Fischer können nur so viel fangen, daß gerade zwanzig Prozent versorgt werden können. Es ist hoffnungslos.« Jack Norton grinste breit. »Ich habe einen Plan vorbereitet, mit dem die Lage verbessert werden kann.« Rasch breitete er seine Pläne vor den Ministern aus. Und es gelang ihm, sie innerhalb weniger Minuten zu begeistern. Er erklärte ihnen, daß er mit ihrer Hilfe eine große Fabrik bauen würde, die künstliche Nahrungsmittel herstellen sollte, daß die Stadt versorgt werden konnte. Die Rohstoffe dafür wollte er aus dem Meer gewinnen. Er versprach nicht zuviel. Der Plan war zu verwirklichen. »Warum hast du diesen Vorschlag nicht schon viel früher gemacht?« fragte der Minister des absoluten Endes, der für die verstorbenen Bellaner verantwortlich war. »Weil das unnötig war«, rechtfertigte Norton sich. »Es hat nie Versorgungsschwierigkeiten auf Bell gegeben. Das Land liefert alles, was ihr benötigt, in ausreichendem Maße. Wozu sollte ich da noch eine Fabrik für künstliche Nahrungsmittel bauen?« »Hm«, meinte der Minister für die weniger staatsbedrohenden Vergehen nachdenklich, »du sprichst jetzt gar nicht einmal so dumm. Wir hätten dir vielleicht schon früher einmal zuhören sollen.« »Danke«, murmelte Norton. »Das macht mir Hoffnung für die Zukunft« Er begann jetzt die Konstruktionspläne für die vollautomatische Fabrik zu erläutern und verteilte die Verantwortlichkeitsbereiche. Als er vorschlug, die Gesamtleitung dem Minister für technologische Probleme zu übertragen, machte
er allerdings einen Fehler. Sein Vorschlag fand die volle Zustimmung des Kabinetts. »Wenn diese Arbeiten genau nach meinen Vorschlägen durchgeführt werden, dann kann die Fabrik bereits in vier Tagen die Produktion aufnehmen«, schloß Norton. »Wir werden es früher schaffen«, beteuerte der Minister für technologische Probleme. Norton zuckte zusammen. »Nein, nein, um Himmels willen, nein!« rief Norton schnell. »Versucht das nicht. Es ist unmöglich.« Der Minister lächelte begütigend und sagte: »Für einen Bellaner ist nichts unmöglich, Terraner. Glaube mir, daß wir es schaffen. Vergiß deine terranischen Maßstäbe doch bitte ein einziges Mal!« Die Minister verneigten sich höflich um sich zu verabschieden. Norton stammelte etwas, versuchte sie aufzuhalten aber sie hörten ihn nicht und gingen. Als Norton allein war, kam Ogo mit glänzenden Augen zu ihm. »Du warst unübertrefflich, Jammy«, rief er freudig, verstummte dann jedoch betroffen und fragte: »Aber Jammy, was ist denn?« Jack Norton nestelte an seinem Gürtel herum. Es schien ihm im Augenblick unmöglich zu sein, die Hände auch nur für den Bruchteil einer Sekunde ruhig zu halten. Sein linkes Auge zuckte nervös. »Gib mir einen Whisky, Ogo, schnell«, bat er heiser. Der Bellaner beeilte sich. Als das Eis leise im Glase klickte, entspannte Norton sich etwas. Er fühlte, daß der ganz große Druck wich; dann trank er in kleinen Schlucken. »Die Herren Minister scheinen zu glauben, daß sie den Ablauf des Bauprogrammes besser organisieren und berechnen können als der Computer! Sie wollen früher fertig werden, als das überhaupt möglich ist. Es ist nicht zu fassen.« Ogo kicherte leise. »Warum glaubst du nicht, daß sie es wirklich können, Jammy? Kennst du uns immer noch nicht?« 5.
»Nein, ich kenne sie immer noch nicht. Und ich werde sie vielleicht nie so kennen, daß ich sie verstehe und voraussagen kann, was sie tun werden. Natürlich wäre es das Bequemste, die Nahrungsmittelfabrik nicht zu bauen und einfach abzuwarten. Die Männer, Frauen, und Kinder aus der Provinz müßten abziehen, wenn sie nicht verhungern wollen. Ich hätte mich weigern können, die Fabrik zu bauen. Aber das kann ich nicht. Das Risiko ist zu groß. Was soll ich denn tun, wenn auch nur ein einziger Bellaner durch meine Schuld stirbt? So bleibt mir noch die Hoffnung, daß alles wieder ins richtige Lot kommt. Ohne Fabrik wäre ich ein Verwalter der Verzweiflung. Wahrscheinlich würden meine Freunde, die Bellaner, die Katastrophe dann nach mir Jammystrophe oder so ähnlich nennen. Ich könnte den Mooz auch in das Geheimnis meiner Yullproduktion einweihen. Aber auch das wäre keine Lösung. Damit kann er viel zu wenig produzieren. Er würde sich nicht damit zufriedengeben, sondern produzieren und zusätzlich auch noch nach Bellcan fliegen.« Tagebuchnotiz vom 5.4.3037 GT »Wohin willst du, Jammy?« »Ich muß Ban Kill aus dem Ozean herausholen«, antwortete Norton, als er seinen Turm verließ. Da er die Raumjacht des Mooz freigegeben hatte, konnte er die Aktion starten. Mit hoher Fahrt flog er schon wenig später nach Osten. Er wollte die Sache so schnell wie möglich abschließen. Wenige Stunden später schon näherte er sich dem Ostmeer, auf dessen Grund die LIEBLICHE wartete. Norton bereitete die Geräte vor, die er für die Bergung benötigte, als ein feiner Gong die Stille in der Kabine unterbrach. Norton zuckte heftig zusammen. Furchtsam blickte er auf den Holographen. Hastig blinkte das blaue Ruflicht. Der Inspektor? Zögernd schaltete er das Gerät ein und setzte sich etwas aufrechter hin, als das Laserauge sich auf ihn richtete. Der Holograph leuchtete auf, und das plastische Bild eines Raumschiffoffiziers erschien. Scharfe Augen blickten Norton prüfend an. »Guten Morgen, Sir«, sagte Norton erleichtert, als er den Offizier an seiner Uniform als Angehörigen des technischen Dienstes erkannte. »Mein Name ist Jack Norton. Ich bin der Vertreter des terranischen Entwicklungsdienstes auf Bell, dem
zweiten Planeten der Sonne ZZqu-3 Kosmolog.« »Okay«, sagte der Offizier und nickte. »Ich verbinde Sie mit Technotenant Hollister.« »Danke«, schluckte Norton. Eilig überprüfte er den Sitz seiner Kleidung und stellte fest, daß er vergessen hatte sich zu kämmen. Gerade rechtzeitig konnte er sich noch seinen Schutzhelm, der zur Ausrüstung des Schwebers gehörte, über den Kopf stülpen. Ein trübes Gesicht mit grauen Augen und einem breiten Kinn erschien im holographischen Quadrat. Technotenant Hollister kaute noch an einem Schokostick, dessen Ende rasch in seinem Mund verschwand. »Norton? Jack Norton? Stimmt’s?« »Es stimmt.« »Hm – was haben Sie denn für einen Mist gebaut, junger Mann?« »Verzeihung, Sir, Mist? Ich?« Es funkelte in den Augen des Technotenants auf. »Sie haben also keinen Mist gebaut. Sagen Sie.« »Völlig richtig«, nickte Norton. »An meinen Kontrollgeräten kann ich erkennen, daß der Transmitter auf Bellcan nicht einwandfrei arbeitet. Ich habe mit Ihrem Kommen gerechnet, Sir, aber ich habe keine Ahnung, warum der Transmitter nicht arbeitet.« »Wir sehen uns das einmal an. Wir werden Bellcan in sieben Stunden Standardzeit erreichen. Wir melden uns dann wieder bei Ihnen, in Ordnung?« »In Ordnung«, stimmte Norton zu. »Wahrscheinlich werden Sie einen Zwischenreport beim Kommandanten abgeben müssen. Bereiten Sie sich darauf vor, und wischen Sie einmal Ihren Bart ab.« »Natürlich«, stotterte Norton, schaltete ab und schickte dem Leutnant vom Raumüberwachungsdienst einen saftigen Fluch hinterher. »Wenn du wüßtest, was hier unten los ist, Bursche, dann würdest du deine dämliche Lässigkeit verdammt schnell ablegen.« Der Schweber erreichte die Küste. Norton schaltete den Holographen ab und konzentrierte sich ganz auf die Bergungsaktion. Es dauerte nur etwa eine Viertelstunde, bis er die LIEBLICHE gefunden hatte, die in zweihundert Meter Tiefe auf
dem Grund stand. Als Norton eine holographische Verbindung zu Ban Kill herstellte, stieß dieser einen erleichterten Schrei aus. Befriedigt bemerkte Norton, daß der Bellaner in den letzten Stunden erheblich gefügiger und entgegenkommender geworden war. Jetzt bangte er um sich und sein Schiff und war bereit, alles zu tun, um Jammy bei guter Laune zu halten. Norton nutzte die Gelegenheit, ihm ein bißchen mehr Respekt beizubringen und ließ ihn etwas länger zappeln als unbedingt notwendig. Dann endlich schaltete er die Fernsteuerung ein, zündete den Antrieb der LIEBLICHEN und hob sie langsam aus dem Wasser. Ban Kill war bereit, diese Aktion als ein Wunder zu bezeichnen. Für Norton war das nicht weiter aufregend, und für das Raumschiff gab es keine entscheidenden Unterschiede zwischen einer Landung auf dem Festland und einer auf dem Boden des Meeres. Als die LIEBLICHE die Oberfläche des Meeres fast erreicht hatte, kam Norton eine Idee, die er sofort verwirklichte. Er ließ das Schiff wieder absinken und teilte Ban Kill mit, daß er es nicht schaffen könne, weil die LIEBLICHE zu schwer beladen sei. Norton hatte kein Erbarmen mit Ban Kill. Er zwang ihn, den größten Teil der Yull-Ladung durch die Schleuse hinauszubefördern, und erst dann barg er ihn und das Raumschiff, um es an der Küste aufzusetzen. Ban Kill zitterte vor Erregung, als Norton die Schleusen öffnete. Er versprach, sich vom Mooz nie wieder zu einer solchen Aktion verleiten zu lassen. Norton nahm rasch die notwendigen Reparaturen vor und leitete das Schiff dann nach Eramm zurück. Zugleich teilte er Ban Kill mit, daß er das Raumschiff für einen Flug ins All benötigte und beschlagnahmte es für die nächsten Stunden. Das war sein Recht, und es half Ban Kill nichts, daß er dagegen wetterte. * Nachdem Jack Norton sich davon überzeugt hatte, daß der Bau der Nahrungsmittelfabrik in Eramm in Angriff genommen wurde, bereitete er sich auf den Besuch auf dem Raumschiff des Überwachungsdienstes vor. Zunächst freute er sich darauf, doch dann wurde ihm bewußt, daß er seit acht Monaten kein Wort Englisch mehr gesprochen hatte. Er wurde ein wenig unsicher.
Die LIEBLICHE flog fehlerfrei, und es stellten sich auch keine Störungen ein. Norton gönnte sich einen kleinen Schluck Whisky aus den Vorräten von Ban Kill. Dabei fand er eine Flasche, die er schon seit Wochen vermißt hatte. »Alter Halunke«, murmelte er. »Es schadet dir überhaupt nichts, daß dein Yull im Wasser liegt.« Sehr bald erschien das große Raumschiff des Raumüberwachungsdienstes in dem Holographen seines Raumschiffes. Der Raumriese schwebte in der Nähe des Mondes, und kleinere Arbeitseinheiten wechselten zwischen ihm und dem Mond hin und her. Die NSS HERMES hatte die typische Form der Quadropus-Klasse mit der mächtigen Kugel und den darunterliegenden vier gespreizten Triebwerksbeinen. Sie sahen in der Tat wie ein riesiger, vierfüßiger Krake aus, der silbern über dem Mond schwebte. Jack Norton ließ sich einweisen, schwang die LIEBLICHE auf Rendezvous-Kurs zur HERMES und näherte sich allmählich der Kugel. Je näher er ihr kam, desto erdrückender wirkte sie auf ihn. Die HERMES wuchs wie ein silbern glänzendes Gebirge mit einem Durchmesser von fast einem Kilometer vor ihm auf, während die Triebwerke mit nur halber Länge dagegen verkümmert wirkten. Die LIEBLICHE wurde von der HERMES übernommen. Norton brauchte jetzt nichts mehr zu tun. Er richtete die Laseroptiken auf die Triebwerksbeine, die unter dem runden Riesenkörper saßen. Alle Elemente des außerordentlich leistungsfähigen HyperspaceTriebwerkes lagen frei und unverschalt im Raum. Alle größeren Raumschiffe Terras wurden in dieser Bauweise hergestellt, weil sie sich nur im freien Raum bewegen sollten. Für die Landung auf den Planeten standen zahlreiche Landungseinheiten von hoher Leistungsfähigkeit bereit. Ein rundes Tor öffnete sich vor der LIEBLICHEN und sog sie mit unwiderstehlicher Gewalt hinein. Norton schaltete alle Aggregate seines kleinen Raumers ab und stieg zum Ausgangsschott hinab. Er hoffte, daß ihm von irgendeiner Seite Hilfe zuteil werden würde, denn er glaubte nicht daran, daß er es allein schaffen würde, die nächsten Stunden heil zu überstehen. Ein akustisches Signal zeigte ihm an, daß er das Schott gefahrlos öffnen konnte. Er ließ es zurückfahren und trat dann auf die kleine Schwebeplattform hinaus, die ihm entgegenkam. Lächelnd grüßte er zu den beiden Männern hinüber, die ihn auf
der anderen Seite des Abgrundes erwarteten. Die Plattform setzte sich weich in Bewegung und trug ihn zu den Männern hin. Norton legte seine Hand an den Raumhelm und grüßte. Die Freude, nach so langer Zeit wieder Terraner zu sehen, schnürte ihm die Kehle zu. Die beiden Mariner sahen ihn verwundert an, erwiderten den Gruß lässig und zogen sich dann hastig zurück. »He – was ist denn?« rief er verwirrt. Ein rotes Schott flog vor seiner Nase zu, und dumpf grollend schloß sich hinter ihm ein anderes. Norton drehte sich beunruhigt um, als eine kühle Automatenstimme erklang: »Bitte erregen Sie sich nicht, Sir. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie von einem Planeten der KP-Klasse kommen, es ist also eine gewisse Desinfektion notwendig.« »Ach, so«, murmelte Norton halbwegs besänftigt. Er schloß die Augen, als es auch schon zu zischen begann. Im nächsten Augenblick senkte sich feuchter, klebriger Nebel auf ihn herab und hüllte ihn ein. Er bemühte sich nicht zu atmen, doch der Geruch stieg ihm dennoch in die Nase. Nach wenigen Sekunden war es überstanden, und die Schotte öffneten sich vor ihm. Er wurde in die sterile Welt der HERMES entlassen. Norton trat einen Schritt vor und glaubte den Bodenunter den Füßen zu verlieren. Er taumelte. Die beiden Männer erschienen vor ihm und grinsten ihn an. Er lächelte verwirrt zurück. »Na, jetzt ist alles in Ordnung, wie?«, fragten sie. Norton nickte und trat einen weiteren Schritt vor. »Ich versuche nur mich wieder an 1 g zu gewöhnen«, murmelte er. »Man kommt sich so leicht vor.« Die beiden wichen vor ihm zurück. »Mann, es wird aber wirklich Zeit, daß Sie mal ein Bad nehmen«, sagte der größere von beiden. »Sie stinken, als ob Sie vier Wochen lang in einer Nilpferdsuhle gelegen hätten.« »Na, hören Sie mal! Ich bade jeden Tag mehrmals.« »Daran liegt es wahrscheinlich«, grinste der kleinere der beiden Männer. »Vermutlich benutzen Sie ein Badesalz, das so verteufelt stinkt. Riechen Sie das denn nicht selbst?« »Du meine Güte«, seufzte Norton. »Da sehnt man sich seit Monaten nach einer Begegnung mit einem Terraner, und ist es
dann endlich soweit, laufen sie weg, weil’s ein bißchen nach Bellgon riecht. Wo kann ich baden?« Die beiden drängten sich eng an die Wand des Ganges, als er an ihnen vorbeiging, und nannten ihm den Bereich, in dem er sich reinigen konnte. Jack Norton nahm seinen Helm ab und schlenkerte ihn lässig hin und her, während er weiterging. Er bereitete sich jetzt auf einige Überraschungen vor und hoffte, daß man ihm nicht gar zu übel mitspielen würde. Als er das nächste Schott überwunden hatte, geriet er in ein hilfreiches Gravitationsfeld, das ihm die Mühe, selbst zu gehen, abnahm und ihn sanft tiefer in den riesigen Kugelleib des Raumschiffes hineintrug. Es war ihm jetzt durchaus angenehm, daß er nicht selbst gehen mußte, weil er sich noch nicht so schnell an die spürbare Schwerkraft an Bord der HERMES gewöhnen konnte. Unter der höheren Schwerkraft von Bell hatte sich sein Körper umgestellt. Im Reinigungsbezirk teilte er dem elektronischen Bademeister sein Problem mit und erhielt den Rat, seine gesamte Ausrüstung in den Müllschacht zu werfen. Er stellte sich den Laseraugen der Elektronik, als er diesem Rat gefolgt war, damit seine Maße genommen werden konnten. Dann durfte er passieren und konnte sich zehn Minuten lang allein in einem Schwimmbassin von zwanzig Meter Länge und zwei Meter Breite erfrischen. Auf diesen Augenblick hatte er sich lange gefreut. Er wußte schon gar nicht mehr, wie das war, in normalem, terranischen Wasser zu baden. Norton stellte sich an den Rand des Beckens und sprang mit einem Kopfsprung ins Wasser. Er zog sich mit weiten Zügen einige Meter weit und versuchte dann aufzutauchen. Es gelang ihm nicht. Die Angst packte ihn. Er kämpfte sich verzweifelt nach oben, schnappte etwas Luft und einen halben Liter Wasser, ging wieder unter, stieß sich diesmal vom Boden des Bassins ab und versuchte jetzt, den Beckenrand zu erreichen. Doch seine Arme glitten widerstandslos durch das Wasser, so als habe er nie schwimmen gelernt. Gurgelnd rief er nach Hilfe, als auch schon eine Metallhand nach ihm griff und ihn aus dem Wasser zog. »Können Sie denn nicht schwimmen, Sir?« fragte der Roboter und blickte auf den nackten Mann herab, der da keuchend auf
dem Boden lag. »Ich kann schwimmen, mein Bester! Das wäre ja gelacht. Ich war mal amerikanischer Meister im Freistil!« »Das muß aber schon sehr lange her sein, Sir«, vermutete der Roboter. »Ich werde mir erlauben, so viel Wasser ablaufen zu lassen, daß Sie notfalls stehen können.« Jack Norton hätte dem Roboter an die Kehle springen können, doch er unterließ es, weil das keinen Sinn hatte. So sah er kreischend zu, wie das schöne Wasser ablief, bis es so flach wurde, daß es ihm kaum noch bis an die Hüften reichte. Dann machte er sich erneut an den Versuch, in normalem, terranischem Wasser zu schwimmen. * Technotenant Hollister grinste so eigenartig, daß Jack Norton den Verdacht nicht loswurde, daß er beim Baden beobachtet worden war. Er fühlte, daß seine Ohren zu brennen begannen, ein sicheres Zeichen dafür, daß er rot wurde. Und darüber ärgerte er sich so sehr, daß seine Ohren noch heißer wurden. »Der Techneral erwartet Sie, Norton!« »Danke«, murmelte er und marschierte hinter dem ungefügen Riesen Hollister her, der in seinen weiten Taschen unbegrenzte Vorräte von Schokosticks zu verwahren schien, denn während er Norton zum Kommandanten führte, stopfte er diese Sticks unaufhörlich in sich hinein. Technotenant Hollister führte Norton durch eine große Halle, in der vier hohe Offiziere an langen Schaltbänken arbeiteten. Durch eine breite Tür, die sich lautlos vor und hinter ihnen bewegte, kamen sie in einen quadratischen Arbeitsraum, in dem vier andere Offiziere an magnetischen Aufzeichnungsgeräten hantierten. Jack Norton überreichte wortlos sein Identifikationshologramm und sah zu, wie es in den Computer geschoben wurde. Irgendwo leuchteten ein paar grüne Lämpchen auf, ein Offizier machte eine gelangweilte Bewegung, und Norton ging allein weiter in den nächsten Raum, in dem ein großes Mädchen in einer gepolsterten Schwebeschale lag und sich die Fingernägel manikürte. Das Mädchen blickte ihn nur mit verwirrenden grünen Augen an und fragte ihn etwas. Norton beobachtete das lange, blonde
Haar, das sich weich um ihren Nacken legte, und er bewunderte die Harmonie der Bewegungen, als das Mädchen sich erhob. »Nun gehen Sie doch schon, Sir«, mahnte sie. Er schreckte auf und eilte dann durch die Tür, die sich aufgetan hatte. Der Anblick, der sich ihm im nächsten Raum bot, war bei weitem nicht so erfreulich. Techneral Caine stand in imponierender Größe vor einer Holorama-Wand, die die gewaltige Länge von sechs Metern und eine Höhe von zwei Metern hatte. Die Projektion zeigte ein atemberaubend räumlich wirkendes Bild von Eramm und seiner näheren Umgebung. »Ach, Norton!«, rief der Techneral. Er ließ den Entwicklungshelfer zu sich herankommen und hielt ihm dann seine mächtige Hand entgegen. Norton, der nicht gerade klein war, blickte steil nach oben in das faltige Gesicht des Kommandanten und fand in den tiefschwarzen, ernsten Augen keine unmittelbare Gefahr. »Ich habe mir Ihren Planeten schon ein bißchen angesehen, mein Junge.« »Das ist ja erfreulich«, stotterte Norton wenig geistreich. »Ich hoffe, Sie haben dabei einiges sehen können, was Sie interessiert.« »Durchaus, Norton, durchaus«, sagte der Kommandant. Er ging zu seiner Schwebeschale hinüber, die an der Seite des ausladenden Arbeitstisches stand, und ließ sich ächzend hineinfallen. Jovial wies er Norton einen Platz an. Aus versteckt angebrachten Boxen klang leise Musik, die sich dem faszinierenden Raumeffekt des Holoramas anpaßte. Norton blickte von oben auf die gewaltige Stadt Eramm. Und natürlich fiel ihm die gewaltige Baustelle sofort auf, an der die Versorgungsfabrik für die vielen Bellaner gebaut werden sollte, die von dem Yull-Rausch nach Eramm gelockt worden waren. »Es ist bis jetzt noch nicht geklärt, was die Störungen am Transmitter verursacht hat«, ersetzte der gewichtige Techneral. »Wir konnten eine Beschädigung der Antennen feststellen und vermuten jetzt, daß die Magma-Nester im Mondgestein ein leichtes Mondbeben verursacht haben, das dann die Antennen beschädigt hat. Aber das soll nicht Ihre Sorge sein.« Er lächelte Norton großmütig zu. »Unterhalten wir uns doch über Ihren Planeten.« Norton blickte wieder auf die Holoramawand, auf der er noch immer Eramm sehen konnte. Leichte Wolkenschleier verhüllten
sie gnädig. Norton fand, daß die Stadt grauenhaft aussah. »Eine arme Welt, nicht wahr?« fragte der Kommandant. »Hm, ja«, murmelte Norton. »So arm nun auch wieder nicht. Die Bellaner sind eigentlich mit sich und ihrem Schicksal ganz zufrieden.« »Sie haben allerhand geleistet«, lobte Caine. »Die Straßenzüge sind vorbildlich angelegt worden, aber jetzt wird es wohl Zeit, daß die Armen in den Zelten auch eine vernünftige Unterkunft bekommen.« »Ich gebe mir alle Mühe«, beteuerte Norton, »aber ich bin allein. Es ist nicht ganz leicht.« »Ich weiß, ich weiß. Warum schicken Sie die Leute nicht aufs Land? Da ist doch Platz genug. Wir haben gesehen, daß der Planet relativ dünn besiedelt ist. Die kleinen Städte und Dörfer wirken gegen diese Riesenstadt direkt verlassen.« Fast hätte Norton zugegeben, daß sie tatsächlich verlassen worden waren, weil ihre Bewohner hofften, in Eramm auf schnellstem Wege reich zu werden. »Die Tatsache, daß ich dort in der großen Stadt tätig bin, zieht die Leute dorthin«, erklärte Norton. »Ich hoffe, daß das Land bald besser besiedelt wird. Das terranische Ministerium für Entwicklungshilfe hat für die nächsten Jahre einige größere Projekte in Aussicht gestellt. Es geht vor allem um die großen Erzvorkommen im Norden.« Norton stand auf und zeigte auf die breiten Gebirgszüge, die den Kontinent nördlich von Eramm abschlossen. »Es ist auch der Einsatz von automatischen Straßenbaufabriken vorgesehen, die schnelle Verbindungen von Eramm zu den anderen Städten auf diesem Kontinent schaffen sollen. Ich versuche im Augenblick einige Voraussetzungen dafür zu schaffen.« Der Techneral lächelte. »Eine schöne Welt ist das. Schade nur, daß sie für uns Terraner durch das Vorhandensein von Bellgon weniger verlockend ist«, sagte er. »Ich bewundere Sie, daß Sie es dort aushalten.« »Man gewöhnt sich an den Geruch.« »Hm – einen schönen Gruß auch noch von Inspektor Valland.« »Sie kennen den Inspektor?« fragte Norton erschrocken. »Ja, wir sind recht gute Freunde. Er hat mir von Ihnen erzählt.
Er meinte, Ihr besonderer Vorteil sei, daß Sie sich schnell auf unerwartete Situationen einstellen können.« Norton schluckte nervös. Er hatte nicht damit gerechnet, daß der Techneral den Inspektor kannte. Das machte seine Situation noch kritischer. Eine falsche Bemerkung konnte schon ausreichen, um ihn stolpern zu lassen. Der Techneral gab ihm noch eine Reihe von gutgemeinten Ratschlägen, die Norton ungeduldig über sich ergehen ließ. Dabei hoffte er ständig, daß die tatsächliche Ursache für den Antennenschaden nicht bekannt werden würde. So sehr wünschte er sich jetzt nach Eramm zurück. Der Techneral war nicht sein Vorgesetzter, da er dem Raumüberwachungsdienst angehörte, dennoch hatte er Macht genug, um ihn, Norton, zu ruinieren. Der Dienst in der terranischen Entwicklungshilfe war rein ziviler Natur, dennoch hatte der Raumüberwachungsdienst stets ein wachsames Auge auf die Männer des Entwicklungsdienstes, weil er am beweglichsten von sämtlichen terranischen Raumorganisationen war. Und das terranische Ministerium für Entwicklungshilfe tat dies besonders gern, weil es sonst praktisch keine Kontrollen auf den verschiedenen Einsatzplaneten durchführen konnte. Die Inspektoren überwachten die ihnen zugeteilten Entwicklungshelfer lediglich mit Hilfe der monatlichen Hologrammberichte, die allerdings kaum eine Möglichkeit boten, irgend etwas zu vertuschen. Sie stellten jedoch immer nur einen Situationsbericht dar, der für eine sehr eng umrissene Zeitspanne galt. Jack Nortons Problem war es, für den Zeitpunkt des nächsten Hologrammberichtes eine Situation zu schaffen, mit der sein Inspektor zufrieden sein konnte. Als endlich die Meldung kam, daß der Transmitter wieder einwandfrei arbeitete, verabschiedete der Kommandant Norton jovial und überreichte ihm noch einige Rollen Holoramafilme, die speziell für den Raumdienst gedreht worden waren. Jack Norton fühlte sich unendlich erleichtert, als seine kleine Raumjacht endlich ablegen konnte und er die HERMES in den Tiefen des Weltraumes verschwinden sah, jetzt konnte er sich endlich über die großzügig gefüllte Vorratskammer freuen. 6.
»Meine Chancen, alles wieder in Ordnung zu bringen waren noch nie so gut wie jetzt. Die OFU-Antennen arbeiten wieder störungsfrei. Der Mooz hat seine Lektion bekommen – und sie akzeptiert. Natürlich wird er mir früher oder später zeigen, daß er mir diesen Streich nicht vergessen hat, aber ich fürchte mich nicht. Jetzt gilt es nur noch, Eramm so schnell wie möglich zu räumen. Dazu muß ich erst den Grünen Sonnenuntergang abwarten. Hoffentlich habe ich keinen Fehler gemacht, der alles wieder zerstört.« Tagebuchnotiz vom 5.4.3037 GT Der donnernde Lärm des landenden Raumschiffes lockte viele Bellaner zum Raumhafen hinüber. Als einen der ersten sah Jack Norton seinen Diener Ogo, der mit einer knatternden Benzinkiste angefahren kam. Ogo begrüßte ihn lärmend und sichtlich erleichtert. »Wie steht es, Ogo, ist alles in Ordnung?« fragte Norton. »Es ist alles in Ordnung, Jammy«, rief Ogo und sprang von seinem vierrädrigen Blechkarren. »Herrlich«, freute sich der Terraner. Er schloß das Schott des Raumschiffes hinter sich und stieg zu Ogo in das einfache Fahrzeug, das genügend Platz für zwei Personen und das Vorratsbündel von der HERMES bot. Das Fahrzeug war sehr einfach konstruiert und erinnerte Norton an die uralten Darstellungen der ersten motorgetriebenen Fahrzeuge der Erde. Ihm war nicht ganz geheuer, als er zu Ogo stieg, mochte die Einladung jedoch auch nicht ausschlagen, um ihn nicht zu beleidigen. Er nahm sich vor, den bellanischen Konstrukteuren doch einige Vorschläge für die Verbesserung der Fahrzeuge zu machen. Ogo fuhr wie ein Mann, der alle Risiken der bodengebundenen Fortbewegung vergessen hat, um Norton seine neueste Errungenschaft vorzuführen. Der Motor krachte und donnerte so laut unter dem dünnen Blech der kantigen Motorhaube, daß Ogo laut schreien mußte, damit Norton ihn verstand. Zudem pfiff ihnen der Wind ins Gesicht und preßte dem Terraner so viel Bellgon vor die Nase, daß ihm der Atem fast verging. Er hatte sich die Umstellung auf die fremdartige Atmosphäre Bells nicht so vorgestellt. Er hatte das Gefühl, nicht atmen zu können, und jetzt verstand er die Männer auf der HERMES, die vor dem
Bellgongeruch zurückgewichen waren. Die höhere Schwerkraft Bells machte ihm dagegen nichts aus. Sein Körper war sie gewöhnt. Ogo jagte mit voller Fahrt über die holprige Dünenstraße, wobei sein Wagen lange Sätze machte, da er keinerlei Federungskomfort besaß, der die Erschütterung hätte abfangen können. Norton klammerte sich an die Sitze, um nicht herauszufallen. Doch als sie den Fluß erreichten und der Wagen auf die Fähre rollte, wurde Norton von dem grünen Nebel abgelenkt. Der grüne Dunst lag über dem Meer und kroch von Westen her langsam auf die Küste zu. Er verhüllte schon jetzt den Horizont völlig, hatte die bereits tiefstehende Sonne jedoch noch nicht erfaßt. »Der grüne Nebel«, sagte Ogo mit schwankender Stimme. »Was ist das für ein Nebel, Ogo?« fragte Norton. »Woher kommt er?« »Wir wissen es nicht genau, Jammy«, antwortete sein Diener, »aber wir glauben, daß der Grüne Nebel von Meereslebewesen abgegeben wird, die jedes Jahr an diesem Tag aus den Tiefen emporsteigen, um im Licht der Sonne Hochzeit zu feiern. Die Fischer sagen, daß das Meer weit draußen an diesem Tag ganz dickflüssig ist und so grün wie das Gras der Prärie.« Als die Fähre ablegte, starrte Norton noch immer auf den heranziehenden Nebel, während Ogo munter weiter schwatzte. »Es ist ein ganz neues Modell«, erklärte er und klopfte voller Stolz gegen seinen Wagen. »Die Motorkritiker sagen, daß es das Beste ist, was in unserer Zeit technisch überhaupt möglich ist.« Norton machte ihm einige freundliche Komplimente, um ihn nicht zu enttäuschen. So konnte er Ogo eher dazu veranlassen, in Eramm etwas langsamer zu fahren. Er ließ sich zu seinem Schweber bringen. »Willst du nicht erst essen, Jammy? Es ist alles serviert«, sagte Ogo. Doch Norton wies ihn ab und vertröstete ihn auf später. »Ich muß erst nach der Fabrik sehen. Es geht nicht anders.« »Ach, du brauchst dir keine Gedanken zu machen, Jammy, wir werden damit schon allein fertig. Das hat nach dem Essen Zeit.« Doch Norton ließ sich nicht überreden. Er startete sofort mit seinem Schweber. Jetzt wußte er die Bequemlichkeit, die ihm
dieses Fahrzeug bot, zu schätzen. In wenigen Minuten erreichte er die Baustelle. Die Bellaner hatten wirklich alles getan, um schnell voranzukommen. Ein großer Teil der von ihm entworfenen Maschinen stand bereits. Von der Baustelle her führte ein schier endloses Rohr ins Meer hinaus, wo es in Abständen von etwa hundert Metern von großen Flößen gestützt wurde, bis es schließlich in dem Grünen Nebel verschwand. Norton setzte seinen Schweber unmittelbar am Strand ab, weil er hier das große Zelt fand, von dem aus der Bau geleitet wurde. Kaum hatte er den Schweber verlassen, als der Mooz auf ihn zueilte. Der Herrscher freute sich, Norton wiederzusehen, »Siehst du, der Grüne Nebel kommt pünktlich«, sagte er. »Es wird ein großes Fest geben, von dem man noch viele Jahre sprechen wird, denn noch nie waren so viele Männer hier versammelt, wenn der Grüne Nebel kam.« »Das freut mich«, versetzte Norton. »Ich habe inzwischen viel Mühe gehabt, den Schaden wieder zu beseitigen, den ihr auf dem Mond angerichtet habt. Aber jetzt ist alles in Ordnung.« »Hier auch«, kicherte der Mooz. Er reckte sich, um etwas größer zu erscheinen. »Ja, hier ist alles in Ordnung, Jammy. Wir sind schon sehr weit gekommen mit unserer Arbeit. Natürlich mußten wir einiges von deinem Plan ändern, damit auch alles richtig funktioniert, aber das macht nichts. Wir können von dir nicht erwarten, daß du uns ein vollkommenes Programm lieferst. Wir haben das in Ordnung gebracht.« Jack Norton nahm sich vor, sich nicht weiter aufzuregen. Er bot dem Mooz eine Zigarre an, nahm auch selbst eine und gab ihm Feuer. »Und – was habt ihr geändert?« Er hoffte, daß es nur Kleinigkeiten waren, die abgeändert wurden, denn sonst würde die gesamte Anlage nur wertlosen Abfall produzieren. »Die Mischungen unter anderem, dann die Temperaturen, das elektrische Spannungsfeld und noch einiges mehr.« Norton schluckte. Er fühlte eine seltsame Schwäche in den Knien. »Und habt ihr schon einige Proben?« »Aber natürlich, Jammy. Komm nur.« Der Mooz nahm ihn freundlich am Arm und führte ihn in das
Zelt. Dort hielten sich zahlreiche Minister seines umfangreichen Kabinetts auf und diskutierten heftig miteinander. Sie fanden kaum Zeit, Norton zu begrüßen. Der Mooz machte Norton auf einen langen Tisch aufmerksam, auf dem zahlreiche Glasbehälter standen. Alle enthielten eine grünliche Masse, die fortwährend Blasen warf. Norton, der eine völlige andere Substanz erwartet hatte, fühlte Übelkeit in sich aufsteigen. »Hier!« rief der Mooz voller Stolz. »Das ist unser Endprodukt.« Er hob ein Glas auf und öffnete. Ein entsetzlicher Gestank schlug Norton entgegen. Der Terraner wich zurück und preßte sich schnell ein Taschentuch vor die Nase. Er hatte sich gerade wieder an den Geruch von Bellgon gewöhnt, aber dieses Edelgas duftete geradezu lieblich gegen das Gas, das aus dem Glasbehälter entwich. »Das riecht, was?« krähte der Mooz begeistert. Er schnupperte an der grünen Masse, als habe er nie schönere Gerüche genossen, und schloß das Glas dann mit einer fast bedauernden Geste. Langsam folgte er Norton, der sich an die frische Luft gerettet hatte. »Na – wie findest du das?« Jack Norton paffte still an seiner Zigarre, bis der Mooz die Frage ungeduldig wiederholte. »Würdest du mir bitte sagen, was das ist?« »Mist ist das!« »Den Eindruck habe ich allerdings auch«, stöhnte Norton verzweifelt. Er wußte nicht mehr, was er tun sollte, um die Stadt zu retten. Der Mooz sah ihn ärgerlich an und sagte heftig: »Ich glaube, du hast mich mißverstanden, Jammy. Ich meinte, das sei Dünger. Es ist der beste und wertvollste Dünger, der jemals auf Bell hergestellt wurde.« »Bei allem Respekt vor deiner Würde, Mooz«, seufzte Norton. »Die Aufgabe dieser Fabrik ist es, Nahrungsmittel herzustellen, synthetische Nahrung aus Kleinstlebewesen, die in diesem Meer in unbegrenzter Menge leben, und aus Algen, von denen ebenfalls ein unerschöpflicher Vorrat vorhanden ist.« »Aber verstehst du denn nicht, Jammy? Dieser Dünger ist viel wertvoller. Wir haben Versuche gemacht, die gezeigt haben, daß unsere Pflanzen diesen Dünger viel besser in sich aufnehmen als jeden anderen. Er läßt die Pflanzen ungefähr zwanzigmal schneller wachsen als unser bisheriger Dünger. Das ist die größte
Erfindung unserer Geschichte. Und weil du nicht ganz unbeteiligt daran warst, wollen wir ihn dir zu Ehren JAMMIST nennen.« Jack Norton brauchte einige Zeit, um sich von diesem erneuten Schock zu erholen, dann fragte er vorsichtig: »Und was sollen die Leute in den Zelten essen, bis die Felder bestellt sind und abgeerntet werden können?« »Das ist doch jetzt gar nicht so wichtig, Jammy«, lachte der Mooz. »Wir geben jeder Familie soviel Jammist mit, wie sie, transportieren kann. Dann werden alle in ihre Ländereien und in die kleinen Städte und Dörfer zurückkehren.« »Sie werden zurückkehren?« »Ja, natürlich. Jetzt gibt es doch kein Yull mehr. Was sollen sie also noch hier?« »Dann bin ich mit allem einverstanden«, lächelte Norton froh. »Hoffentlich nehmen deine Landsleute dann dieses stinkende Zeug auch wirklich mit.« »Sie werden mir gehorchen, denn ich bin der Mooz von Bell! Mein Wort gilt!« »Und keiner von euch wird noch einmal nach Bellcan fliegen, um Yull zu holen?« »Keiner!« behauptete der Mooz, aber Norton glaubte in seinen gelben Augen einen eigenartigen Glanz zu sehen, der ihn unsicher machte. * Ban Kill stieß einen Jubelschrei aus, als das Schott sich willig öffnete. Mit einem barschen Befehl jagte er Endo und die anderen Mitglieder seiner Besatzung in das Raumschiff. Als alle an ihm vorbeigeklettert waren, schlug er das Schleusenschott zu und stampfte zufrieden auf die Kommandobrücke hinauf. Endo saß bereits auf seinem Platz als Pilot und überprüfte das eingeschaltete Programm. »Wir können starten, wenn wir wollen«, verkündete er. Ban Kill holte sich eine Whiskyflasche aus dem Vorratsfach, stellte fest, daß Norton etwas daraus getrunken hatte und stieß einen Schrei aus. Dann behauptete er vergnügt: »Die beste Erfindung, die die Terraner uns gebracht haben, ist der Whisky.« Die anderen pflichteten ihm bei und erhielten zur Belohnung einen kräftigen Schluck. »Und wohin fliegen wir jetzt?« fragte Endo.
»Nach Bull?« »Nach Bull?«, fragte Ban Kill verblüfft. »Du liebe Sonne, was sollen wir denn dort? Wir haben keine Fracht.« »Aber wir haben Geld genug mit dem Yull verdient, um uns soviel Fracht zu besorgen, wie wir haben wollen«, bemerkte Endo. »Ach was, du hast keine Ahnung«, empörte Ban Kill. »Das ist doch jetzt nicht wichtig. Was hast du mit deinem Yull gemacht?« »Ich habe es verkauft, um mir drei große Bauernhöfe und einen Eisenberg im Norden zu kaufen. Ich bin ein gemachter Mann«, antwortete Endo stolz. »Du bist ein Dummkopf«, grinste Bart Kill. Seine großen, gelben Augen verdrehten sich ob solch falsche Geschäftspolitik. »Ich habe alles Yull bei der Bank eingelagert. Was könnte wertvoller sein als Yull?« »Das ist mir egal«, sagte Endo ärgerlich. »Mich interessiert jetzt nur, wohin wir fliegen. Mach doch mit deinem Yull, was du willst. Ich hoffe nur, daß Yull immer so wertvoll bleibt, wie es jetzt ist.« Ban Kill ging gelassen über die Bemerkung seines Piloten hinweg und erklärte: »Wir fliegen nach Bellcan.« »Zum Mond? Was willst du da?« fragte Endo betroffen. »Dumme Frage, Yull holen, natürlich.« »Das ist gegen den Befehl des Mooz.« »Oho«, rief Ban Kill empört. »Der Mooz hat aber nicht berücksichtigt, daß durch seine Schuld unser Yull auf dem Grund des Meeres liegt, wo sich die Fische damit amüsieren können. Ich habe mein Yull verloren und das hole ich mir wieder. Das ist nur recht und billig. Das wird selbst Jammy einsehen. Und dann – lassen wir den Mond in Ruhe.« »Das ist nicht richtig«, gab Endo zu bedenken. »Wir müssen uns fügen.« Doch Ban Kill dachte nicht daran, auf die Bedenken seines Piloten einzugehen. Er befahl den Start, und die anderen mußten gehorchen. Endo startete das Raumschiff gegen seine Überzeugung und brachte es auf Kurs nach Bellcan, indem er den mit Bellcan beschrifteten Knopf drückte. Damit war seine Aufgabe als Pilot auch schon erledigt, doch er gab sich damit nicht zufrieden, sondern blieb in der angespannten Haltung sitzen, um das erregende Spiel der Kontrollampen zu verfolgen.
Doch was er auch tat, er konnte keinen wirklichen Einfluß auf die Automaten nehmen, dafür hatte Norton schon gesorgt Norton hatte nur einen Fehler gemacht. Er hatte die Wahlmöglichkeit BELLCAN nicht gelöscht. Dabei wäre das nicht besonders schwierig gewesen. Endo hatte nur vier Möglichkeiten, die LIEBLICHE zu beeinflussen, weil er nur vier Knöpfe hatte. Der erste trug die Aufschrift BELL – BULL, der zweite BULL – BELL, der dritte BELL – BELLCAN und der vierte BULL – BELLCAN, wobei die beiden letzten eigentlich nur Notschaltungen darstellten, die automatisch eine Notlandung auf dem Mond einleiteten. Danach brauchte Endo nur den Knopf BULL – BELL zu drücken, und die Automatik brachtet das Schiff – sofern der Fehler nicht zu schwer war – nach Bell zurück. Erwies sich der Defekt als zu umfangreich, mußte Endo einen großen, roten Knopf mit der Aufschrift JAMMY herunterdrücken. Damit konnte er dann Jack Norton benachrichtigen und herbeirufen. Doch da Bellaner sehr von sich überzeugt sind, gibt es keine schlimmere Beleidigung für einen »Piloten«, als die Vermutung, er habe den JAMMY-Knopf gedrückt. »Wißt ihr eigentlich, wie groß unser Schaden ist?« fragte Ban Kill, als sie sich dem Mond schnell näherten. Doch niemand antwortete. Sie hatten alle ihre Bedenken. Keinem der anderen Besatzungsmitglieder war wirklich wohl bei dem Vorhaben, das sie jetzt verfolgten. Endo drückte den richtigen Knopf, als sie sich dem Mond weit genug genähert hatten, und die LIEBLICHE senkte sich rasch herab. »Los, Tempo jetzt! Ich möchte verhindern, daß der Mooz uns etwa folgt und dabei überrascht, wie wir das Schiff vollpacken.« Die Männer gehorchten, kletterten rasch in ihre Raumanzüge und machten sich dann an die Arbeit. Sie wählten auf den Befehl Ban Kills nur die Spitzen der aus dem Boden ragenden YullStämme und füllten damit das Raumschiff. Nach vier Stunden war Ban Kill endlich zufrieden. Er befahl Endo, den Start vorzubereiten, als plötzlich etwas Unheimliches geschah. Endo bemerkte es als erster, und er stieß einen so gellenden Schrei aus, daß es den anderen kalt in die Glieder fuhr. Der Kommandant, der sich schon auf die Brücke begeben hatte, verließ das Schiff wieder und schrie nervös: »Was ist denn,
Endo?« Der Pilot wies mit bebenden Händen auf einen leuchtend roten Schweber, der vor ihnen zwischen den Felsen lag. »Sieh doch, Ban Kill. Ein Schweber!« »Woher kommt er? Ist Jammy etwa hier?« »Jammy kann doch nicht mit einem Schweber hierherkommen. Das weißt du doch!« Ban Kill ging langsam zu dem Schweber hinüber, der auf so geheimnisvolle Weise plötzlich auf dem Mond erschienen war. Unsicher und vorsichtig trat er an das Fahrzeug heran und pochte an die Transparentkuppel. Nichts regte sich. »Das Ding ist leer!« knurrte er. »Ban Kill! Kill!« Er fuhr so heftig herum, daß er den Boden unter den Füßen verlor und unter dem Einfluß der geringen Schwerkraft langsam über einen flachen Krater hinwegtrieb. Er ruderte heftig mit den Armen, um sich wieder auf den Boden zu bringen, und als er es endlich schaffte, entstand aus dem Nichts heraus, unmittelbar vor seinen Augen, ein weiterer Schweber! Kill stieß einen gellenden Schrei aus und bewegte sich in seinem Schreck so unvorsichtig, daß er einen erneuten, unkontrollierten Flug machte. In der nächsten Sekunde erschien ein großer Plastikkasten vor seinen Augen, der wie eine Bombe auseinanderplatzte und tausend Glasscherben und Millionen Tröpfchen, die sofort zu Eis wurden, verstreute. Obwohl das in rasendem Tempo ablief, bemerkte Ban Kill doch einige Glasstückchen, die heil blieben. Und darauf entdeckte er eine Zeichnung, die ihm verriet, daß die Kiste prall mit Whiskyflaschen gefüllt gewesen sein mußte. Jetzt hing Ban Kill in den Felsen und hielt sich fest, Fassungslos beobachtete er, wie Schweber, Kisten und eigenartige, ihm völlig unerklärliche Gegenstände aus dem Nichts heraus entstanden. Es dauerte eine geraume Weile, bis er sich so weit in die Gewalt bekam, daß er sich zu dem Raumschiff zurücktraute. Hier rief er seine Männer zuzusammen und befahl: »Räumt das Schiff! Werft alles Yull hinaus!« »Bist du verrückt, Ban Kill?« brüllte Endo hysterisch. »Wozu haben wir dann erst wie die Wilden geschuftet?« »Ich sagte es schon, Endo! Du bist dumm! Du bist furchtbar dumm! Wir werden das Yull rauswerfen und dafür all diese
herrlichen Dinge einpacken, die hier so plötzlich erscheinen. Die Sterne mögen wissen, woher das Zeug kommt, aber glaube mir, auf Bell ist das alles viel, viel mehr wert als Yull! Wir machen das größte Geschäft aller Zeiten! Einpacken, sage ich, einpacken!« * Jack Norton fühlte sich frei und zufrieden, als er jetzt an der Seite des Mooz am Flußufer entlang durch die Stadt Eramm ging. Seinen Schweber hatte er mit einem Funkbefehl zum Turm geschickt. Die Bewohner der Stadt machten ihnen respektvoll Platz und gafften neugierig zu ihnen herüber, als sie in die Industriestraße einbogen. Hier wurden unter anderem auch die stinkenden Benzinkutschen gebaut, auf die die Bellaner so stolz waren. »Du bist doch technisch nicht ganz ungeschickt«, meinte Mooz freundschaftlich zu Norton. »Nein – das kann man eigentlich nicht sagen. Hast du einen besonderen Wunsch, Mooz?« Der junge Häuptling der Bellaner rieb sich seine kleine, runde Nase und blinzelte Norton listig zu. »Wie wäre es denn mal wieder mit einem Spargelessen im Turm, mein Freund? Es ist lange her, daß du mir diese besonderen Genüsse Terras gewährt hast!« Norton überquerte zusammen mit dem jungen Bellaner die Straße. Durch ein breites Holztor kamen sie in eine Halle, in der zahlreiche Bellaner arbeiteten. Hier war man es gewohnt, daß der Mooz zu einer Besichtigung erschien, da ihm als dem Reichsten aller Bellaner der größte Teil der bescheidenen Industrien Bells gehörte. Die Arbeiter wurden durch einen hellen Glockenklang aufgeschreckt und auf den Mooz aufmerksam gemacht. Doch der junge Herrscher befahl mit einer freundlichen Geste, daß diesmal auf die Begrüßung verzichtet werden sollte. Er ließ weiterarbeiten, damit Norton die Arbeiter besser beobachten konnte. Norton wußte, daß es hier nicht um soziale Probleme ging, wenn der Mooz ihn für eine Beteiligung zu gewinnen suchte, denn die sozialen Probleme nahmen auf Bell eine nur sehr untergeordnete Stellung ein. In dieser Hinsicht war dieser seltsame Staat wirklich vorbildlich, so daß Norton auch keine
allzugroße Verpflichtung fühlte, mit technischen Neuerungen große Umwälzungen herbeizuführen. Der Mooz nahm Nortons Arm und zog ihn mit durch die Halle. »Du hast sicherlich noch eine Zigarre für mich, nicht wahr?« fragte er. Norton erfüllte ihm den Wunsch und verspürte auch selbst das Verlangen, zu rauchen, doch verzichtete er darauf, als er merkte, wie sehr sich der Mooz über die erstaunten Blicke der Arbeiter freute. Ein rauchender Mann war auf Bell noch immer ein ungewohnter Anblick. »Wir stellen am Tage einen Wagen her!« erklärte der Mooz stolz, als er Norton zu zwei Arbeitern führte, die mit schweren Schlagwerkzeugen ein Schutzblech formten. »Wir könnten zwei oder drei am Tage verkaufen, wenn es möglich wäre, sie herzustellen.« »Es ist nicht ganz unmöglich«, sagte Norton. Sie blieben vor einem Wagen stehen, der zur Hälfte fertiggestellt war. Der Wagen verfügte über Teile aus reinem, geschliffenen Yull. Hier hatten die Arbeiter vor allem für die Türen und das Dach Yull verwendet, und auch die Radspeichen leuchteten verdächtig blau. »Die ist ein Wagen, der für mich gebaut wird!« »Hm – darauf wäre ich wirklich nicht gekommen«, murmelte Norton mit einem versteckten Lächeln. »Er ist wirklich hübsch. Möchtest du für dieses Fahrzeug einige Vorschläge haben?« »Du bist wirklich sehr klug, mein Freund«, anerkannte der Mooz. »Weißt du, mir ist der Wagen zu langsam. Er müßte schneller fahren. Und vielleicht…« Er sah sich scheu um und zog Norton dann weiter vom Wagen weg, so daß die Arbeiter ihn nicht hören konnten. »Weißt du, der Wagen müßte vielleicht auch… fliegen können, so wie dein Schweber!« Daher wehte der Wind also! Norton schmunzelte amüsiert. »Das ist eine sehr, sehr schwierige Sache, Mooz«, sagte er. »Ich habe nicht die technischen Möglichkeiten, dir einen Schweber zu bauen.« Der Mooz stemmte die Hände in die breiten Hüften und stöhnte unterdrückt. »Du mußt mir einen Schweber bauen – bis morgen abend«, forderte er energisch. »Bis morgen? Das ist unmöglich«, wehrte Norton ab. Er
beobachtete, daß die Arbeiter die Werkzeuge ablegten und sich zurückzogen. Durch ein Fenster konnte er nach draußen sehen. Grüne Nebelschwaden zogen vorbei. Der Mooz stöhnte wieder. »Zum Abschluß des Festes muß ich einen Schweber haben«, wiederholte er seine Forderung. »Ich habe dir geholfen, Schwierigkeiten zu vermeiden – jetzt hilf du mir.« Zwei Minister erschienen. Sie blieben in der Nähe stehen und warteten, bis der Mooz sie entdeckt hatte. Dann traten sie heran und nahmen ihn in ihre Mitte. Der Mooz sah Norton mit großen Augen an und wollte noch etwas sagen, aber der Terraner hatte den Eindruck, als bekäme er die Worte nicht über die Lippen. Wieder stemmte er die Hände gegen den Leib. Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck auf dem runden Gesicht nickte er Norton zu und verließ ihn. Als die drei Bellaner schwerfällig durch das hohe Tor der Fabrik gingen, tauchten sie in grüne Nebelschwaden und verschwanden. Norton merkte plötzlich, daß er allein in der Fertigungshalle war. Verwundert und ein wenig verwirrt ging er hinaus auf die Straße. Der Nebel trug den salzigen Geruch des Meeres herbei. Vorsichtig legte Norton ein Taschentuch vor Mund und Nase, um wenigstens einen einfachen Atemschutz zu haben, obwohl er wußte, daß in der Atmosphäre dieses Planeten nichts sein konnte, was gefährlich für ihn war. Der Planet war sorgfältig untersucht worden. Gifte in der Luft wurden nicht festgestellt. Auch der Grüne Nebel war nicht giftig. Norton machte sich auf den Weg zu seinem Schweber, um mit ihm zu seinem Turm zurückzukehren. Er hoffte, im Laufe dieser Nacht und vielleicht während des kommenden Tages mehr über den Grünen Nebel und das Fest des Grünen Sonnenuntergangs herauszubekommen. Er war der erste Terraner, der während dieses Jahresereignisses in der Stadt der Bellaner bleiben durfte. Als Norton seinen Schweber erreichte glitt die Sonne als großer, roter Ball in die Nebelschwaden. Sie verfärbte sich zunächst bläulich und wurde dann intensiv grün. Auch die Arbeit in der neuen Fabrik lag still. Norton begegnete keinem einzigen Bellaner mehr. Er öffnete die Transparentkuppel seines Schwebers und fuhr entsetzt zurück. Auf dem Kontrollpult leuchtete ein Meer von roten Warnlampen, und ein schrilles Pfeifen kam aus den Lausprechern.
»Das darf doch nicht wahr sein«, knurrte Norton. Er sprang auf den Sitz, schloß die Kuppel und schaltete die Geräte ein. Die Transmitterstation auf dem Mond spielte verrückt. Auf Bellcan ging alles drunter und drüber. 7. »Ich hatte natürlich den schwerwiegenden Fehler gemacht, wie ein Terraner zu denken. Ich hätte denken müssen wie ein Bellaner, dann wäre ich nicht auf die Idee gekommen, Ban Kill das Yull abzunehmen. Aus der Sicht Ban Kills war die erneute Mondaktion völlig in Ordnung. Außerdem glaubte Ban Kill nicht daran, daß eine einzige Schiffsladung einen derartigen Schaden anrichten könnte, da doch der Schaden trotz der vorherigen Massentransporte relativ gering blieb. Jetzt hatte ich natürlich keine Chance mehr, noch irgend etwas zu vertuschen. Die HERMES mußte einfach kommen. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Und sie kam auch. Aber es wäre nicht nötig gewesen, daß Technotenant Hollister ausgerechnet in den Grünen Nebel rannte…« Tagebuchnotiz vom 12.4.3037 GT Technotenant Hollister tauchte armwedelnd aus den grünen Nebelschwaden auf und starrte auf den hageren Mann im Swimming-pool. Dichter Schweiß bedeckte sein heftig gerötetes Gesicht, und Jack Norton hatte den Eindruck, daß die Knie des Technotenants leicht zitterten. »Nun kommen Sie doch schon ins Bad«, drängte er. »Hier macht Ihnen die höhere Schwerkraft überhaupt nichts aus. Wirklich.« Hollister machte eine wütende Abwehrbewegung. »Und weshalb haben Sie nichts unternommen?« brüllte er wütend. »Ein Gestank ist das! Nicht zum Aushalten.« »Bellgon«, erklärte Norton. Er kam zum Rand des Bassins, nahm etwas Salz und schüttete es in die Gallertmasse. »Haben Sie meinen Diener gesehen?« Hollister keuchte. Er schwankte unter dem Druck der höheren Schwerkraft und blickte sich nach einer Sitzgelegenheit um. Da er keine fand, hockte er sich einfach auf den Rand des Bassins.
»Ich habe Sie gefragt, weshalb Sie nichts unternommen haben?« schrie er, doch Norton schien ihn gar nicht zu hören. »Sie sollten auch ein Bad nehmen, Sir. Es wird Ihnen guttun.« »Sind Sie von allen Geistern verlassen? Glauben Sie, ich bin hierhergekommen, um ein Bad zu nehmen?« »Sie haben eben keine Lebensart, Hollister.« »Ich glauben, Sie haben einfach den Verstand verloren. Ja, das wird es sein. Wir werden Sie ins Lazarett bringen, Norton. Da wird’s dann schon wieder werden.« Nervös fuhr sich der große Mann mit beiden Händen über das Gesicht, um sich den Schweiß abzuwischen. »Sie wissen nicht, wie wichtig das Bad ist, Hollister. Lassen Sie sich doch raten«, drängte Norton. »Kommen Sie herein. Hier kann man viel vernünftiger reden.« »Ich bin doch nicht verrückt«, schnaufte der Techniker vom Raumüberwachungsdienst. »Ich habe mit Ihnen über den Schaden am Transmitter zu reden. Wissen Sie eigentlich, was Sie angerichtet haben? Wissen Sie, daß die Kosten für die Reparaturarbeiten bedeutend höher sind als sämtliche Kosten für das Entwicklungshilfeprojekt auf diesem Planeten? Erklären Sie mir jetzt, warum der Transmitter wieder ausgefallen ist!« Technotenant Hollister wischte sich wieder über das Gesicht. »Ich weiß wirklich nicht, was es noch viel zu erklären gibt, Sir«, sagte Norton gelassen. Er schwamm direkt neben dem Techniker auf dem Rücken, nahm sich eine Frucht vom Beckenrand und biß herzhaft hinein. »Ich habe doch schon alles erklärt. Einer der Pächter hat einen Schaden erlitten. Er wollte diesen Schaden ausgleichen, indem er die Antennen abbaute. Dadurch löste er die Störung aus. Die Transportgüter materialisierten an der Oberfläche des Mondes. Was lag näher für diesen Mann, als die Objekte einzusammeln und sie hierherzubringen? Ich habe die LIEBLICHE sofort nach ihrer Rückkehr kontrollieren lassen. Wollen Sie nicht doch lieber baden?« »Wieso haben Sie die Kontrolle nicht selbst durchgeführt?« »Erstens macht mein Computer eine bessere Kontrolle, und zweitens mußte ich baden.« »Machen Sie mich nicht verrückt mit Ihrem Badetick!« »Oh, so ein Bad ist wirklich wichtig, Sir.« Hollister rieb sich die juckende Nase und hielt dann plötzlich
Verblüfft inne. Er starrte erschreckt auf seine Nasenspitze, die plötzlich viel weiter von seinen Augen entfernt war, als sonst. »Was – ist – das?« stotterte er betroffen. »Was ist mit mir los?« Die Haut seiner Wangen hing schlaff herab, auch die die Stirnhaut rutschte tiefer und begann die Augen zu verdecken. Norton schwamm dichter an Technotenant Hollister heran und schüttelte verständnislos den Kopf. »Warum baden Sie nicht endlich, Hollister?« »Sehen Sie meine Hände an! Was ist mit mir los?« stammelte der Offizier. Er streckte Norton die Hände entgegen. Die Haut hing welk herunter. »Ich habe Sie ja gewarnt, Hollister. Sie müssen baden. Nur das schützt Sie vor Bellgon!« »Ich werde verrückt. Das hatte ich vergessen!« »Bellgon ruft eine Cutis hyperelastica hervor. Das müßten Sie doch eigentlich wissen. Wenn Sie baden, verschwindet das Übel schnell. Also kommen Sie endlich ins Bassin«, grinste Norton. Hollister riß sich mit wütender Bewegung die Uniform vom Leib und sprang dann eilig in das Bassin. Prustend tauchte er neben Norton wieder auf. »Wenn ich das geahnt hätte, dann hätte ich einen anderen Offizier geschickt«, knurrte Hollister. »Also gut«, sagte Norton, »können wir jetzt endlich vernünftig reden?« »Ja, ja«, murmelte Hollister. »Zunächst eine Frage. OFU, unser Antennenmaterial, wird hier Yull genannt und ist hier ungeheuer wertvoll. Es ist so ungefähr dasselbe wie früher auf der Erde Gold?« »Jetzt haben Sie es erfaßt.« »Und das Problem wäre gelöst gewesen, wenn dieser letzte Vorfall nicht passiert wäre?« »Dann wäre alles in Ordnung gewesen. Wenn Sie jetzt darauf verzichten könnten, solchen Lärm zu machen, gibt es auch keinen neuen Run auf den Mond. Ich werde die Kontrollen der verpachteten Raumschiffe so verändern, daß keines mehr den Mond anfliegen kann. Wenn das nicht mehr geht, können die Bellaner die Antennen auch nicht mehr beschädigen, und es gibt keine Störungen mehr.« »Hm«, knurrte Technotenant Hollister. »Ich muß das noch mit
Techneral Caine besprechen. Und Sie müssen natürlich mit den Pächtern der Raumschiffe darüber reden. Auch müssen Sie dafür sorgen, daß die verschwundenen Transportgüter sofort wieder zum Mond geschafft werden.« »Das ist unmöglich! Wir haben den Grünen Nebel, und heute ist der Grüne Sonnenuntergang. Morgen sind die Bellaner vielleicht gar nicht anzusprechen. Ich benötige mindestens zwei Tage. Dann aber wird alles in Ordnung sein.« Norton glaubte eine Bewegung am Bassinrand gesehen zu haben, aber als er schärfer hinüberblickte, konnte er nichts mehr erkennen. Der grünliche Nebel verschluckte alles. Zudem stand die Sonne jetzt schon so tief, daß ihr Licht den Nebel nur noch sehr schwach durchstieß. Norton schwamm zum Beckenrand und starrte in den grünen Dunst. »Ogo?« rief er. »Bist du es?« Doch sein Diener zeigte sich nicht. Ogo war spurlos verschwunden, wie vom Nebel verschluckt. »Was ist denn?« brummte Hollister. Norton wandte sich ihm wieder zu. Er grinste. Das Bad hatte seine volle Wirkung noch längst nicht getan. Hollisters Haut hing immer noch schlaff und müde herunter. Er sah um Jahrzehnte gealtert aus. Aber das lästige Jucken hatte offensichtlich nachgelassen, denn der Technotenant hielt die Hände ruhig. »Ich glaubte, es sei mein Diener«, antwortete Norton. »Der da?« Norton drehte sich schnell um. Am Beckenrand stand Ban Kill in einem weißen Sackkleid und bot das Bild eines Mannes, der unendlich erschöpft war. »Ich mußte dich sprechen, Jammy«, krächzte er. »Was sagte er?« fragte Hollister, der die Sprache der Bellaner nicht beherrschte, ja, aus den zirpenden, pfeifenden Lauten noch nicht einmal eine Sprache herauszuhören vermochte. »Weshalb, Ban Kill?« fragte Norton ruhig. »Es geht um die Ladung, die ich vom Mond brachte. Ich will von dir hören, daß ich alles behalten darf.« »Es tut mir leid, Ban Kill, du darfst nichts behalten. Überhaupt nichts.« Mit raschen Worten erklärte er Ban Kill die Situation und sagte ihm, zu welchem Schluß er mit Hollister gekommen war. Der kleine Bellaner setzte sich keuchend auf den Boden und
hob abwehrend die Hände. »Auf gar keinen Fall bin ich damit einverstanden«, flüsterte er schwach. »Das geht zu weit. Selbst der Mooz sagte, daß mir alles gehören soll. Der Mond gehört zu unserem Planeten, also gehört er auch uns. Und alles, was auf diesem Mond ist, ist ebenfalls unser Eigentum. Ich behalte alles.« Jack Norton stieg aus dem Bassin, bat Hollister und Ban Kill, zu warten, und holte aus dem Turm ein elektronisches Übersetzungsgerät, das er einschaltete, um den Technotenant an dem Gespräch teilnehmen zu lassen. Kaum hatte dieser gehört, daß die Bellaner Widerstand leisteten, wandte er sich aggressiv an Ban Kill und hielt ihm einen wütenden Vortrag über galaktisches Recht. Doch Ban Kill, erschöpft und müde, zeigte sich keinem Argument zugänglich. Technotenant Hollister kroch schließlich ärgerlich aus der Gallertmasse und schnaubte: »Ich kann jetzt nichts weiter besprechen. Ich muß mit dem Kommandanten über die Sache, reden. Dann können wir weitersehen.« »Wer ist der Kommandant?« fragte Ban Kill leise. Sein Atem ging schnell und mühsam. »Was hat er zu sagen? Kann er überhaupt ein Urteil sprechen?« »Für Hollister ist der Kommandant das, was für euch alle der Mooz ist«, versuchte Norton die Zusammenhänge zu erklären, doch machte er Hollister damit offensichtlich keine Freude. Der Technotenant zog sich die Kleider über den nassen Leib, verabschiedete sich und tastete sich durch den Grünen Nebel zu seinem Schweber hinüber. Norton sah Ban Kill ratlos an, doch der Bellaner zeigte kaum noch Interesse an ihm und Hollister. Müde und erschöpft hockte er am Rand des Bassins, so daß er einen furchtbaren Schrei vom Schweber Hollisters her hörte. Unwillkürlich sprang Norton aus dem Schwimmbecken, um dem Technotenant zu Hilfe zu eilen, als dieser auch schon herbeigelaufen kam. In den ausgestreckten Händen trug er einen blendend weißen, kopfgroßen Gegenstand. »Was zum Teufel ist das, Norton?« schrie er. Jack Norton starrte den Mann an, ohne zu begreifen. Als Hollister ihn erreichte, sprang Ban Kill wild auf und riß den weißen Ball heftig an sich. »Es lag in meinem Schweber, Norton! Was ist das?« Ban Kill schluchzte.
»Es kam so plötzlich«, stammelte er, »daß ich nicht mehr wußte, wohin ich es tun sollte. Da habe ich es in den Schweber gelegt. Es sollte sicher sein.« Jack Norton schluckte. Fassungslos starrte er auf den zusammengesunkenen Bellaner herab. »Was ist das, Ban Kill?«: fragte er »Ist das… Ist das etwa ein… ein Ei?« Ban Kill wedelte zustimmend mit den Händen und entblößte die breiten Hornplatten, um Norton anzustrahlen. »Ein Ei?« platzte Hollister heraus. »Ein Ei? Dann ist das hier gar kein Mann, sondern eine Frau?« Jack Norton ließ sich auf den Boden fallen, und brach in schallendes Gelächter aus. »Ja, warum sagen Sie mir das denn nicht gleich, Norton?« brüllte Hollister. »Wie können Sie zulassen, daß ich nackt vor den Augen einer bellanischen Dame bade?« Er gab Norton einen Tritt, mit dem er ihn wieder in das Bassin zurückbeförderte. »Ban Kill«, schnaufte Norton, der sich kaum an der Oberfläche der gallertartigen Flüssigkeit halten konnte, »sag mir schnell, bist du eine Ausnahme, oder sind etwa Ogo, der Mooz und alle anderen, die ich bisher als Männer kannte, auch Frauen?« »Sie alle werden in dieser Nacht Mutter«, antwortete die Raumfahrerin mit großem Ernst. Technotenant Hollister hörte das Gebrüll des hageren Entwicklungshelfers in dem Swimming-pool, wirbelte auf der Stelle herum und floh in den Grünen Nebel hinein zu seinem wartenden Schweber. 8. »Jetzt endlich weiß ich, was der Grüne Nebel ist und welche Bedeutung das Fest des Grünen Sonnenuntergangs hat. Der Grüne Nebel löst den Geburtsvorgang alljährlich aus. Und deshalb werden auch nur einmal im Jahr bellanische Kinder geboren. Ich brauchte lange, um mich wieder zu beruhigen. Nie zuvor war mir der Gedanke gekommen, der Mooz könnte eine Frau sein. Auf Bell ist eben alles anders. Die Frauen regieren die Welt, sie bekommen auch die Eier, aus denen schon nach einem
Tag die Jungen ausschlüpfen. Und die Männer ziehen die Kleinen groß. Jetzt ist mir auch klar, weshalb es so schwer ist, die Bellaner zu verstehen. Schließlich sind es weibliche Geschöpfe.« Tagebuchnotiz vom 12.4.3037 GT Die rote Sonne Bells stieg über den violetten Bergen im Osten auf und schickte ihre wärmenden Strahlen über eine noch ruhige Stadt. Jack Norton betrat seinen Balkon und lehnte sich gegen die kühlen Mauern. Tief unter ihm tuckerten vier Fischerboote. In den grünen Netzen schaukelten die leuchtenden Farbmarkierungen, mit denen die Fischer das Gebiet abgrenzten, das sie mit ihren Netzen erfaßten. An der Küste wuchs die Fabrik, die ursprünglich Nahrungsmittel für die Zeltbewohner erzeugen sollte, nach den Vorstellungen der Mooz jetzt aber ein ganz anderes Produkt herstellte. Jack Norton war entschlossen, sich darüber nicht weiter aufzuregen. Es war ihm gelungen, eine äußerst unangenehme Situation zu klären, wenn er sie auch noch nicht völlig bereinigt hatte. Einen Teil der Verantwortung hatte er auf den Kommandanten der HERMES abgewälzt. Jetzt war er weitgehend beruhigt und zufrieden. Viel konnte jetzt nicht mehr passieren. Die Ruhe würde einkehren, und dann würde er sich allerdings doch ein wenig mehr um die Entwicklung von Wissenschaft und Technik auf Bell kümmern müssen. Es hatte sich gezeigt, daß doch nicht alles so ideal war, wie er zunächst geglaubt hatte, dennoch war er überzeugt, im Grunde richtig gehandelt zu haben. Es wäre gefährlich gewesen, den Bellanern eine allzu leistungsfähige Technik in die Hand zu geben. Vielleicht genügte es schon, ihre technische Phantasie auf die Möglichkeiten der Flugtechnik hinzuweisen, um sie für eine Weile zu beschäftigen. Man konnte mit einfachen Segelflugzeugen beginnen… Weit hinter dem Raumlandefeld zog eine riesige Wellenpferdherde vorbei, die über Nacht im Landesinnern gegrast hatte und jetzt in die kühlen Fluten des Meeres zurückkehrte. Und dann kam ein dumpfes Grollen von Norden her über das stille Land. Norton richtete sich unwillkürlich etwas auf. Er bemerkte zunächst gar nicht, daß Ogo neben ihm stand und ihm
eine rauchende Zigarre anbot. Er merkte es erst, als Ogo fragte: »Was war das, Jammy?« »Ein Raumschiff. Vielleicht«, sagte er. Dann drehte er sich schnell um und sah auf seine Dienerin herab. Auch sie machte einen müden und erschöpften Eindruck. Die »Geburt« schien sie sehr angestrengt zu haben. »Nun, Ogo? Alles in Ordnung?« »Es ist ein wunderschönes Ei«, berichtete Ogo strahlend und fügte verschämt hinzu: »Es ist das erste!« Jack Norton gratulierte mit todernster Miene und sagte dann: »Ich möchte rasch baden. Danach fliege ich nach Norden, um mir mal anzusehen, was dort los ist.« Norton brauchte fast zwei Stunden, bis er gebadet und gefrühstückt hatte. Die Sonne stand jetzt schon hoch am Himmel, und der leichte Wind brachte ungewohnte Hitze aus den Steppen des Südens mit. Norton liebte diese Hitze, weil sie trocken war, und weil der Wind zugleich das betäubende Aroma der in dieser Zeit aufbrechenden Steppenblumen mitbrachte und so den Geruch des Edelgases Bellgon dämpfte. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis auch die dunklen Nomaden nach Eramm kamen, um hier die würzigen Bodenknollen zu verkaufen, pilzartige Gewächse, die zu den besonderen Genüssen zählten. Da zerrissen die plötzlich aufheulenden Sirenen und Hörner der zahlreichen Werkstätten und kleinen Fabriken die Stille. Norton hörte Schreie auf den Straßen der Stadt, und zwischen den Zelten wurde es lebendig. Hupende Autos drängten sich plötzlich auf den engen Gassen, die nach Norden führten. »Ogo, was ist los? Hast du etwas gehört?« fragte Norton verstört. Doch Ogo wußte nichts. Er antwortete auch kaum. Wie benommen blickte er auf den Trubel. »Es muß etwas wirklich Schlimmes oder sehr Wichtiges geschehen sein, daß die heilige Ruhe des Festes unterbrochen wird«, sagte er leise. »Was kann das sein?« Zusammen mit seiner Dienerin lief Norton zu seinem Schweber, der unberührt an seinem Platz stand. Als Norton die Aggregate zünden wollte, erzielte er keinerlei Wirkung. Verblüfft versuchte er es wieder und wieder. Umsonst. »Was ist los, Jammy?« fragte Ogo besorgt. Norton hatte keine Ahnung. Nervös untersuchte er die
wichtigsten Schaltkreise und fand alles in Ordnung. Einem flüchtigen Gedanken folgend prüfte er die Sicherungen – und mußte feststellen, daß zwei von ihnen fehlten. »Das kann nur Hollister gemacht haben«, fluchte er. »Aber warum? Was hat das für einen Sinn?« Seine kleine Dienerin sah ihn nachdenklich an. Sie zupfte sich die tiefsitzenden Pelzohren mit spitzen Fingern und strich sich dann langsam durch den grauen Flaum, der ihr Gesicht bedeckte. »Ich habe Angst, Jammy«, gab sie zu. »Ich habe wirklich Angst.« »Warum denn Ogo?« »Wenn dieser dicke Mann dich reingelegt hat, dann will er doch verhindern, daß du dorthin fliegst, wohin jetzt alle Frauen aus Eramm eilen, nicht wahr?« Sie sagte »Männer«, aber Norton wußte jetzt, daß damit »Frauen« gemeint waren. Norton spuckte auf den Boden, warf den Rest seiner Zigarre wütend weg und sprang aus dem Schweber, um zum Turm hinüberzuhetzen. Es dauerte lange Minuten, bis er endlich Ersatzsicherungen fand. Und als er schließlich starten konnte, hatte er fast eine Stunde verloren. Eramm war jetzt so gut wie leer. Jack Norton brauchte nur der großen Staubwolke zu folgen, um ans Ziel zu kommen. Nach kaum zehn Minuten Fahrt sah Norton dann die Bellaner, die sich um die niedrigen Berge in der nördlichen Prärie drängten. Einige Autos knatterten schon wieder in Richtung Eramm über die Straßen. Es leuchtete blau in ihnen. Von böser Ahnung erfüllt, überflog Norton die Menge der Bellaner, die sich näher und näher an die Berge herankämpfte, und dann stieß er einen wirklich bösen Fluch aus. Zwischen zwei großen Felsbrocken stand ein kompliziertes Stahlgerüst, von dem aus dicke Rohre senkrecht in den Boden führten. Aus einem dieser Rohre floß ein weißglühender Strom Kupfer hervor. Aus einem anderen kam jene synthetische Masse, die auch hier auf Bell leicht aus den vielfältig vorhandenen Grundstoffen herzustellen war. Die beiden Ströme vereinigten sich in einem engen Geflecht von transparenten Röhren. Am Ende dieses Geflechtes polterte, unaufhörlich OFU-Metall heraus, das die Bellaner Yull nannten. Die von den Technikern der HERMES eilig aufgebaute Maschine produzierte das blaue Yull in Massen!
Ogo stieß einen Jubelschrei aus. Sie sprang auf und winkte Ban Kill und einigen Freundinnen zu, die sie unmittelbar neben der Maschine entdeckte. »Jetzt weiß ich, daß ihr Terraner wirklich unsere Freunde seid«, jubelte Ogo. Doch Norton packte sie wütend am Arm und riß sie auf den Sitz neben sich zurück. Zugleich zog er den Schweber steil nach oben und entfernte sich rasch von der Stätte künstlicher YullProduktion. Ogo sah ihn ratlos an. »Was hast du denn nur, Jammy?« fragte sie sorgenvoll. »Diese Narren«, keuchte Norton ärgerlich. »Diese verdammten Narren! Sie haben keine Ahnung, was sie angerichtet haben!« Er antwortete nicht auf die drängenden Fragen Ogos und jagte den Schweber mit Höchstgeschwindigkeit nach Eramm zu seinem Turm zurück. Hier sprang er sofort aus seinem Fluggerät, als er es gelandet hatte, und stürmte in die technische Zentrale seines Turms. Mit fliegenden Fingern schaltete er die Holographen ein und versuchte Verbindung mit der HERMES zu bekommen. Er versuchte es wieder und wieder, doch die HERMES meldete sich nicht. Und das konnte nur eines bedeuten – sie hatte das System bereits verlassen. Langsam ließ er sich nach unten sinken, ging auf seinen Balkon hinaus und setzte sich dort in einen der bequemen Sessel. »Kann ich etwas für dich tun, Jammy?« fragte Ogo gedämpft. Sie hielt sich in vorsichtiger Entfernung von Norton, als fürchte sie, von dessen Zorn erfaßt zu werden. »Bring mir einen Whisky, Kleine«, bat Norton, »aber einen bellanischen!« * Ban Kill kletterte voller Zorn über die niedrige Umfassungsmauer und eilte dann zusammen mit den anderen Frauen den Abhang hinunter. Als sie Jack Norton in dem Liegestuhl neben dem Swimming-pool entdeckte, stürzte sie sich auf ihn und zerrte ihn aus dem Stuhl. »Jammy, Jammy!« schrie sie. Der terranische Entwicklungshelfer kniff ein Auge zu und blickte suchend auf die Bellaner herab. Vorsichtig tastete er mit der linken Hand nach der Armlehne des Sitzmöbels und ließ sich
wieder hineinsinken. »Ogo, gib meinen Gästen Whisky. Ich mag nicht allein trinken«, rief er mit schwerer Stimme. Ogo kam mit einem unterwürfigen Grinsen aus dem Turm, begrüßte Ban Kill und ihre Begleiterin, indem sie eine volle Whiskyflasche vor ihnen schwenkte, und lud sie ein, sich zu setzen. Ban Kill überlegte sich, daß sie den guten Schluck ruhig mitnehmen konnte, befahl den anderen Frauen, genügend Liegestühle aus dem Turm zu holen, und setzte sich bereits in einen noch freien Stuhl, um sich von Ogo ein großes Glas Whisky einschenken zu lassen. »So ist es recht«, murmelte Norton und hob Ban Kill sein Glas entgegen. »Prost, meine liebe Freundin.« Dann richtete er sich höher auf und pfiff Ogo herbei. »Wir kommen mit den Stühlen nicht aus, Ogo. Schaffe heran, was du bekommen kannst, die Mooz kommt mit ihrem Gefolge.« »Die Mooz? Mir wird schlecht«, stöhnte Ban Kill. Ihre Begleiterinnen hatten jetzt alle Platz und drängten sie, endlich zu sprechen. »Ihr habt euer Problem auf eure Art gelöst.« »Du meinst die Leute vom technischen Dienst? Hast du die Geräte noch, die du vom Mond mitgebracht hast?« »Zum Glück, ja, sonst wäre ich arm dran.« »Stell dir vor, Jammy«, schrie Endo mit schriller Stimme dazwischen, »stell dir nur vor, das Yull ist überhaupt nichts mehr wert!«, »Weshalb regst du dich denn so auf, Endo?« grinste Norton. »Du sagst doch, daß du alles Yull verkauft hast, um etwas anderes dafür zu erwerben.« »Ja, ich habe mir Ländereien und einen Eisenberg gekauft. Deshalb bin ich ja so aufgeregt. Ich habe Glück gehabt, weil ich klug bin.« »Klug!« Ban Kill lachte wütend. »Ausgerechnet du! Ich hätte es viel besser gemacht als du, wenn ich überhaupt Gelegenheit dazu gehabt hätte, aber Jammy und die Mooz haben mir mein Geschäft restlos verdorben. Während alle anderen reich geworden sind, bin ich jetzt ein armer Teufel.« »Aber du hast doch die Geräte aus dem Transmitter! Du hast doch die wertvollen Instrumente, die auf dem Mond materialisierten!« warf Norton ein.
Ogo versorgte die Gäste in fliegender Eile mit Whisky. Ban Kill nahm einen kräftigen Schluck aus dem Glas. »Ja, wir dachten, daß wir reich wären. Wir hatten das Schiff voller Yull und haben alles wieder hinausgeworfen, um die Geräte einzupacken. Aber dabei haben wir übersehen, daß die meisten Geräte im Vakuum des Alls stark beschädigt wurden. Als wir sie hier auf Bell untersuchten, mußten wir feststellen, daß fast alle wertlos sind, weil wir sie nicht reparieren können. Deshalb sind wir hier.« Jack Norton nickte teilnahmsvoll. »Vielleicht könnte ich euch ein bißchen helfen«, überlegte er. Er erhob sich und ging der Mooz einige Schritte entgegen, um sie zu begrüßen. Ihr erschöpftes Aussehen sagte ihm, daß auch sie von einem bellanischen Ei entbunden worden war. Er taumelte leicht und blinzelte heftig, weil die Gestalt der Herrscherin sich vor seinen Augen zu spalten begann. Zwei kleine Hände streckten sich ihm entgegen, und Norton wußte nicht, welche er ergreifen sollte. So zielte er mit seiner Hand zwischen die beiden rechten Hände der Mooz, so daß es dieser zufiel, die Hand zu ergreifen. Für einige Augenblicke zerschmolzen die beiden Mooz-Gestalten wieder zu einer Bellanerin. Jack Norton blickte in das grimmigste Gesicht, das er je auf Bell gesehen hatte. Ein eisiger Schreck fuhr ihm in die Glieder. Plötzlich wurde die Gestalt der Mooz konturenscharf. Norton stand kerzengerade vor der Herrscherin und blickte sie mit offenen Augen an. Die Mooz stieß seine Hand von sich und befahl ihm, sich wieder zu setzen. Sie selbst ließ sich in einem der gepolsterten Sessel nieder, die Ogo mühsam herausgeschleppt hatte. »Wir sind ruiniert«, begann die Mooz mit scharfer Stimme. Ihre liebenswerten Gesichtszüge hatten sich verändert, sie waren hart geworden. Die Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, und der Mund bildete nur noch einen dünnen Strich. Eine rote Kappe, die ihren Kopf hauteng umschloß, preßte die kleine Stummelohren eng an den Hinterkopf. »Es ist vorbei, Jammy.« »Ich verstehe nicht«, lallte er. »Du verstehst mich sehr gut«, wies ihn die Mooz heftig zurecht. »Du weißt sehr genau, weshalb ich hier bin.«
»Ogo – gib deiner Herrscherin einen großen Whisky!« Ogo war nicht zu überraschen. Sie hatte schon alles vorbereitet. Die Mooz nahm zwar das große Glas, trank jedoch nicht. »Die Maschine im Norden produziert unaufhörlich Yull! Den ganzen Tag schon. Sie ist nicht zu stoppen. Wir haben versucht, sie zu zerstören, aber umsonst. Wir ersticken in Yull. Niemand will es mehr haben. Reiche Frauen sind heute arm, weil ihr Yull nichts mehr wert ist.« Jack Norton nickte. Er trank einen kleinen Schluck, und für einen Augenblick verschwamm alles vor seinen Augen. »Ich habe es geahnt, Mooz. Ich habe es wirklich geahnt. Die Leute von der HERMES haben mir diesen Yull-Brüter vor die Nase gesetzt und überlassen es mir, jetzt damit fertig zu werden«, sagte Norton. Die Mooz betrachtete ihn mit finsteren Blicken, überwand sich dann und trank einen kräftigen Schluck Whisky. Er schmeckte ihr so gut, daß sie noch einen weiteren Schluck nahm, mit dem sie das ganze Glas leerte. Beflissen schenkte Ogo nach. »Was soll ich tun, Mooz?« »Zerstöre die Maschine.« »Das kann Ban Kill für mich tun. Es ist ganz leicht.« Die Mooz fuhr zornig auf. »Willst du mich verhöhnen? Wir haben es nicht geschafft, und jetzt sagst du, es sei ganz leicht.« »Oh – so war das nicht gemeint«, rief Norton rasch. »Ich meinte es anders. Ich habe alles vorbereitet. Ban Kill braucht nur noch in meinen Schweber zu steigen und auf einen Knopf zu drücken. Der Schweber wird dann mit ihm zu der Maschine fliegen. Dort muß Ban Kill einen weiteren Knopf drücken. Der Schweber wird die Maschine dann automatisch zerstören.« »Und warum hast du bis jetzt gewartet? Warum hast du die Maschine nicht zerstört, als sie zu produzieren begann?« fragte die Mooz böse. »Was hätte ich tun sollen? Alle Frauen von Eramm drängten sich um die Maschine und sammelten auf, was sie herstellte. Hätte ich sie zu diesem Zeitpunkt zerstört, wären viele Bellanerinnen getötet worden. Das konnte ich nicht tun.« »Also los, Ban Kill, zerstöre die Maschine«, befahl die Mooz. »Ogo, geh mit ihr und zeige ihr, was sie tun soll.«
Die Dienerin sprang sofort auf und nahm Ban Kill mit sich. Als sie gegangen waren, wandte sich die Mooz wieder dem hageren jungen Mann zu, der mit glasigen Augen vor ihr im Liegestuhl lag, ein heiteres Lächeln auf den Lippen. »Hör zu, Jammy, damit ist dein Problem noch nicht gelöst. Du hast die gesamte Wirtschaft von Bell ruiniert. Du mußt jetzt etwas tun, um uns zu retten. Sonst sind wir verloren.« Jack Norton kicherte albern. »Ich mache dir einen Vorschlag, Mooz. Ich baue eine riesige Fabrik für Whiskyherstellung. Eramm wird den besten Whisky produzieren, den es jemals in der Galaxis gegeben hat. Das wird ein Riesengeschäft für dich. Du wirst deine Konkurrenten glatt aus dem Weg fegen. Aus allen Teilen der Galaxis werden terranische Raumschiffe kommen und hier… Hm, also nicht.« Jack Norton zuckte die knochigen Schultern, als er das zornige Gesicht der Mooz sah, und allmählich begriff er, wie ernst die Lage tatsächlich für ihn war. »Aber es wäre wirklich ein Geschäft«, wagte er hinzuzufügen. Ungeschickt wischte er sich das blonde Haar auf der Stirn. »Du glaubst gar nicht, was auf den terranischen Stemenschiffen gesoff…« »Halt den Mund!« »Aber Whisky ist schon fast eine Währung auf den…« »Du sollst still sein«, fauchte die Herrscherin. Jack Norton stärkte sich mit einem weiteren Schluck aus dem Glas und blinzelte dann, um die Ziffern auf seinem Chronometer erkennen zu können. Er nickte vor sich hin und spitzte dann die Ohren. »Paß auf, Mooz, jetzt geht es gleich los.« »Was?« Norton zeigte nach Norden, und im gleichen Augenblick rollte eine dumpfe Explosion über das Land. Der Boden bebte unter ihren Füßen. »Das wär’s, Mooz. Jetzt können wir uns neuen Dingen zuwenden.« »Was kann ich tun, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch jetzt noch aufzuhalten?« »Du mußt alles Yull beschlagnahmen, das dort draußen produziert worden ist«, erklärte Norton. »Das ist zwar ungeheuer schwierig, aber es geht. Das Yull hat einen ganz bestimmten
Reinheitsgehalt, an dem es zu erkennen ist.« »Das ist zu schwierig«, winkte die Mooz ab. Sie hielt der inzwischen zurückgekehrten Ogo das Glas hin und ließ sich einschenken. Dabei warf sie mißbilligende Blicke zu Endo und den anderen Frauen der Besatzung der LIEBLICHEN hinüber, weil sie in der Zwischenzeit Jammy nachgeeifert und mehr Whisky getrunken hatten, als sie vertrugen. »Ich habe eine bessere Idee.« »Ich bin gespannt«, sagte Norton, der sichtlich Mühe hatte, jedes Wort exakt auszusprechen. »Ganz einfach, Jammy, du wirst uns etwas herstellen, das alle Einzelheiten des Yull hat, aber kein Yull ist. Es muß selten sein und edel, es muß unverwechselbar sein, und nur du darfst es herstellen können. Nur dann kann dieser Stoff, den du erfinden wirst, Yull ersetzen und zur Grundlage unserer Wirtschaft werden.« »Oh – das ist eine gute Idee«, gab Norton zu. »Ich müßte euch so etwas wie Gold produzieren.« »Gold? Was ist das?« »Das ist so etwas wie Yull, genau das, was du suchst. Aber es wird sehr schwierig sein, das zu produzieren.« Die Mooz lächelte ungerührt. »Das ist mit ganz egal. Du bist ein begabter Chemiker. Du wirst dich sofort an die Arbeit machen und den ungeheuren Schaden, den Terra angerichtet hat, beheben.« Jack Norton zuckte zusammen. Er hatte das Gefühl, plötzlich unter einer eiskalten Dusche zu stehen. Langsam kam er aus seinem Sessel hoch, und alle sahen ihm an, daß er erst jetzt begriff, was die Mooz wirklich vom ihm wollte. »Oh nein, Mooz, diesmal nicht! Ich werde nicht tun, was du von mir verlangst, obwohl ich wahrscheinlich dazu in der Lage wäre. Aber ich werde es nicht tun! Vielleicht gelingt es mir, Metall herzustellen, das es hier auf Bell nicht gibt. Dann hätten wir einen hervorragenden Ersatz für Yull gefunden, aber ich will nicht.« »Warum nicht?« fragte die Mooz empört. »Ich habe Angst davor«, gab Norton schlicht zu. Er winkte Ban Kill, die jetzt von ihrem Zerstörungsauftrag zurückkehrte, anerkennend zu. »Du hast Angst? Warum?« »Das ist einfach, Mooz. Überlege nur, was ich bisher getan
habe. Es war alles falsch! Was ich auch tat, du und deine Freundinnen unternahmen irgend etwas, um die Sache so zu verdrehen, daß etwas ganz anderes herauskam. Denke nur an die Fabrik, die Nahrungsmittel herstellen sollte. Was stellte sie her – Mist! Und haben die Leute in den Zelten etwas zu essen? Natürlich nicht. Und das ist vielleicht sogar besser, denn auf diese Weise werden sie wenigstens gezwungen, so schnell wie möglich zu verschwinden.« Norton holte tief Luft und stärkte sich mit einem weiteren Whisky. »Ich habe versucht euch zu erklären, wie gefährlich es ist, Yull vom Mond zu holen. Aber das half nichts. Ihr denkt nie daran, daß jedes Ding sein dickes Ende hat. Und was geschieht, wenn ich euch jetzt Gold oder etwas Ähnliches produziere? Ich mag gar nicht daran denken. Vielleicht baut ihr die Maschine dann so um, daß sie Bonbons oder Handgranaten oder LSD oder was weiß ich herstellt.« »Was ist das LSD?« fragte die Mooz begierig. »Oh, das ist nichts«, stammelte Norton erschrocken. »Das sind nur ein paar Buchstaben, weiter nichts.« »Also – wirst du jetzt das Experiment für uns machen oder nicht?« »Nein.« Der Terraner richtete sich hoch auf und machte ein entschlossenes Gesicht. Die Mooz ließ das Glas fallen. »Dann legst du keinen Wert darauf, uns zu helfen. Du bist nicht, wie es in den Verträgen steht, zu uns gekommen, um uns zu helfen, sondern um uns zu schaden. Du bist also ein Feind! Es würde mich interessieren, ob es zur offiziellen Politik Terras gehört, großen wirtschaftlichen Schaden über die mit ihm befreundeten Völker zu bringen.« »Schweig, Mooz, schweig! Ich kann das nicht hören.« »Also – du wirst etwas für uns herstellen?« Jack Norton stand auf unsicheren Füßen vor der Mooz. Seine Blicke wanderten von einer Frau zur anderen. Ogo blickte ihn flehend an. Endo strahlte über das ganze Gesicht. Sie berührte das alles nicht so sehr. Sie hatte ihre Schäfchen im Trockenen. Ban Kill faltete bittend die kleinen Hände und versuchte etwas zu sagen, aber sie war schon viel zu betrunken, als daß sie dazu in der Lage gewesen wäre. Auch die anderen Bellanerinnen baten mit großen, hungrigen Augen um seine Zustimmung.
»Also schön«, gab Norton seufzend nach. »Gold ist auf diesem Planeten unbekannt. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht hat noch niemand von euch danach gesucht. Egal. Auf Terra hat Gold heute nur noch einen geringen Wert, weil es synthetisch hergestellt werden kann. Ja – ich könnte euch Gold machen.« »Dann tu es!« drängte die Mooz. »Das ist nicht so leicht. Ich habe es noch nie getan, und ich habe auch nur eine vage Vorstellung davon, wie es zu machen ist. Ich benötige sehr viel Energie dafür.« »Energie? Elektrischen Strom?« fragte die Mooz. »Du weißt, daß unser Elektrizitätswerk nicht sehr viel leistet. Das neue Werk ist erst in zwei Wochen fertig.« »Das ist gut, dann werde ich noch zwei Wochen warten.« »Nein, du wirst sofort beginnen. Das ganze Werk soll nur für dich arbeiten.« »Aber ich kann keine Garantie geben, Mooz. Diese Experimente gehen bis in den Bereich der Atomphysik, auch auf dem Gebiet bin ich nicht gerade eine Größe. Ich…« Die Mooz ließ ihn gar nicht mehr zu Wort kommen. 9. »Was hätte ich tun sollen? Ich mußte den Schaden, den Hollister angerichtet hatte, wieder gutmachen. Ich bin der Vertreter Terras’ auf diesem Planeten, und Terraner hatten die OFUMaschine gebaut. Natürlich wäre es viel besser gewesen, wenn ich gewartet hätte – aber ich ließ mich überreden, weil ich selbst auch an eine Chance glaubte, das Chaos zu vermeiden. So setzte ich alles auf eine Karte. Und ich wußte genau, am Ende meiner Experimente würde ich entweder wieder ein gemütliches, ruhiges Leben führen können oder eine Besprechung mit dem Inspektor auf der Erde haben. Technotenant Hollister hatte seinen Transmitter auf seine Weise abgesichert. Ihn interessiert nicht, was auf Bell sonst noch passiert. Den Inspektor interessiert nur, was auf Bell passiert. Bellcan ist ihm vermutlich egal. Wenn es schiefgeht, werde ich es nicht leicht haben, dem Inspektor alles zu erklären.« Tagebuchnotiz vom 12.4.3037 GT
Bellcan überschüttete Eramm mit silbernem Licht. Keine Wolke verhüllte den Mond in dieser warmen Nacht, die am Ende des mißglückten Festes des Grünen Sonnenunterganges stand. Jack Norton verbrachte diese Nacht in der Nähe des Elektrizitätswerkes. Die Mooz, ihre Ministerinnen, Ban Kill, Endo und viele tausend Bellanerinnen sahen seinen erregenden Experimenten zu, während die bellanischen Männer die unzähligen Kleinstkinder versorgten, die im Lauf des vergangenen Tages entschlüpft waren. Seit Stunden schon hatte Norton keinen Tropfen mehr getrunken, dennoch hatte er das Gefühl, daß er immer betrunkener wurde. Es gelang ihm nur mühsam, sich zu konzentrieren. Schließlich wurde es ihm zu bunt, und er entschloß sich zu einem erfrischenden Bad, das ihn tatsächlich etwas ernüchterte. Als er zu seinem Experimentierfeld zurückkehrte, merkte er, daß die Mooz mit ihren Ministerinnen inzwischen versucht hatte, ihm ein wenig zu helfen. Sie hatten hier und dort etwas an seinen Maschinen verändert. Norton hoffte, daß seine Experimente dadurch nicht in Gefahr kamen, vertrieb die ungebetenen Helfer, nahm einen kleinen Imbiß zu sich, und baute dann weiter. Allmählich begannen große Energiemengen in seine Apparate zu fließen. Er versuchte die Umwandlung verschiedener Elemente in Gold, scheiterte aber immer wieder, weil er zu viel falsch machte. Das minderte die Stimmung seiner Zuschauer jedoch nicht. Nortons Ehrgeiz, erfolgreich zu sein, wuchs. Immer wieder legte er neue Grundstoffe in den riesigen Teller, der ihm als Tiegel diente. Das gesamte Elektrizitätswerk arbeitete für ihn. Immer wieder kam es zu krachenden Entladungen und blauen Blitzserien, die seine Experimente für die bellanischen Zuschauerinnen zu einem unterhaltsamen Feuerwerk machten. Jack Norton zerlegte seinen Schweber, um die dort installierte Elektronik für seine Versuche zu verwenden, und nutzte auch noch die nuklearen Aggregate des Schwebers als zusätzliche Kraftquelle, als es plötzlich zu einem ganz eigenartigen Effekt kam. Donnernde Blitze jagten über die gesamte Anlage hinweg. Blauer Flammenregen pulsierte über die Pole und Kabel, und aus den Aggregaten des Elektrizitätswerkes schossen helle Feuerzungen. Die Bellanerinnen sprangen von ihren Plätzen und bejubelten
das krachende Feuerwerk, das Norton ganz gegen seinen Willen erzeugt hatte. Erschreckt versuchte er, den Strom gewaltiger Energien, der plötzlich durch die Anlage floß, zu stoppen. Doch da fiel ihm die Mooz jubelnd in die Arme. »Nicht aufhören, Jammy!« schrie sie dicht neben seinem Ohr. »Nicht aufhören! Du hast es geschafft. Du hast etwas viel Besseres als Gold für uns gemacht. Siehst du denn nicht? Du hast Energie aus dem Nichts heraus für uns gewonnen.« Norton bemühte sich verzweifelt, die Mooz abzuschütteln, aber das gelang ihm nicht. Die Herrscherin schrie einige Befehle, immer mehr Bellanerinnen umdrängten Norton und hoben ihn auf ihre Arme. Unmittelbar über dem Schmelztiegel blitzte es ständig auf. Armdicke Blitze schossen von oben in die Anlage, verteilten sich über sie und jagten dann als Lichtbögen zum Elektrizitätswerk hinüber. »Mooz, so laß mich doch!« brüllte Norton. »Ich muß dieses Teufelswerk stoppen!« Zu spät. Zwischen ihm und der Anlage schloß sich eine dichte Mauer aus Bellanerinnen. Norton konnte es nicht mehr schaffen. »Bitte, Mooz, hör mich an«, flehte er. Die Herrscherin gab ihn frei und lächelte zufrieden. »Was gibt es denn, Jammy?« Norton raufte sich die Haare. »Verdammt noch mal, jetzt ist genau das passiert, was ich verhindern wollte. Ich wollte eine Maschine bauen, mit der sich Gold oder etwas Vergleichbares herstellen läßt, aber es ist mal wieder etwas ganz anderes daraus geworden. Mooz, dieses Ding da drüben entzieht dem Transmitter auf dem Mond seine Energie und führt sie eurem Elektrizitätswerk zu. Siehst du, es blitzt immer wieder direkt über dem großen Metallteller auf.« Die Herrscherin ergriff die Hand des hageren Terraners und schüttelte sie gerührt. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, dürrer Jammy. Du hast ein großes Problem für uns gelöst. Du hast dich um mein Volk verdient gemacht.« »Aber so höre mich doch an«, bettelte Norton. »Das geht doch nicht gut. Der Raumüberwachungsdienst wird sehr bald hier sein. Mein Inspektor wird mit Sicherheit eingreifen. Und dann geht das ganze Theater wieder von vorn los. Du mußt diese
Teufelsmaschine sofort abstellen.« Die Mooz schüttelte immer noch seine Hand. Tränen des Glücks und der Zufriedenheit standen in ihren großen gelben Augen. »Und ich dachte gestern abend wirklich, ich hätte einen Freund verloren. Und jetzt hast du das für uns getan, dürrer Jammy. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dir danken soll.« Die Mooz wandte sich ab und rief ihre Ministerinnen herbei. »Kommt her, bringt Jammy, meinen Freund, zu seinem Turm. Jetzt hat er Ruhe verdient.« Jack Norton schüttelte verzweifelt den Kopf. Es hatte alles keinen Zweck mehr. Willenlos nahm er das Glas Whisky entgegen, das die Mooz ihm reichte. Er trank es mit einem Zug leer. Dann ging er zusammen mit den Ministerinnen zu seinem Turm. Ogo führte ihn in seine Räume hinauf. »Was kann ich tun, Ogo? Ich muß etwas unternehmen, verstehst du? Das geht doch nicht gut.« Ogo strahlte ihn an. »Warum willst du noch etwas unternehmen, Jammy? Jetzt ist doch alles in Ordnung.« Jack Norton ließ sich von dem Gravitationsfeld nach oben tragen. Ein Blick auf seine Kontrollgeräte zeigte ihm, daß die Transmitterzwischenstation nicht mehr arbeitete, weil die Energieversorgung zusammengebrochen war. Das sonst grüne Kontrollfeld flackerte nicht, es leuchtete in stetem Rot. Mit weichen Knien kehrte Norton nach unten zurück. »Ogo«, sagte er, »so wie ich euch kenne, werdet ihr sicherlich einige Versuche mit dieser verrückten Maschine anstellen.« »Das ist möglich, aber unwahrscheinlich«, meinte Ogo und zerstörte alle Hoffnungen. »Warum sollten wir es tun? Sie arbeitet perfekt.« »Aber Ogo, bisher habt ihr alles verändert, was ich für euch gemacht habe. Überall mußtet ihr etwas verbessern. Meinst du nicht auch, daß sich hier etwas machen ließe?« Seine Dienerin enttäuschte ihn. »Dafür besteht kein Anlaß, Jammy«, antwortete sie. »Hast du denn nicht gehört, was die Mooz gesagt hat?« »Nein, kein Wort.« »Die Herrscherin hat verboten, diese Maschine zu berühren.
Sie sagte, daß du noch ein junger Mann bist, aber die Ereignisse der letzten Tage hätten dich reifer und klüger gemacht. Bis jetzt sei es dir nie gelungen, etwas zu konstruieren, was wirklich in einer auch für uns ausreichenden Vollkommenheit arbeitet. Jetzt aber hättest du den Grad von Reife erreicht, der es unnötig mache, daß wir deine Arbeit noch verbessern.« Norton schwankte. Er faßte sich an den Kopf und stolperte auf seinen Balkon hinaus. Er brauchte frische Luft. Ogo folgte ihm. »Reif bin ich schon, Ogo«, stöhnte er, »aber in einer ganz anderen Weise, als du dir denkst.« »Bist du denn nicht glücklich, daß du es geschafft hast?« fragte Ogo verwundert. Norton machte einen letzten Versuch. »Bitte, Ogo, kannst du nicht wenigstens ein kleines bißchen an der Maschine verändern? Nur ein bißchen?« »Ich würde es gern für dich tun, Jammy, aber ich weiß, daß du es morgen bereuen würdest.« Hoch über ihnen klang feiner Donner auf. »Schnell, Ogo, geh schnell! Stell den Apparat ab!« Ogo spitzte die Ohren. »Was ist das? Ein Raumschiff?« »Ogo, lauf und stell das Ding ab!« Aber er hoffte vergeblich. Ogo erfüllte ihm seine verzweifelte Bitte nicht. Jack Norton blickte nach oben. Langsam senkte sich das kleine Raumschiff über Eramm herab, lauter und lauter wurde der Donner, der über die Stadt hinwegrollte. »Nun gut, Ogo, dann pack meine Koffer«, seufzte Norton. »Ich nehme noch schnell ein Bad. Aber beeile dich, wir haben nicht mehr viel Zeit.« ENDE Lesen Sie nächste Woche: Der Unsterbliche und andere Stories (HEIR RELUCTANT) von Robert Silverberg Die Geschichte vom Herrscher wider Willen – die Geschichte von der Partnersuche – und die Geschichte vom Institut für
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