GORDON BLACK Band 15
Schreie in der Hexenfalle von Bryan Danger
Sir Jeffrey Thunderham, der Gouverneur über die Neu-E...
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GORDON BLACK Band 15
Schreie in der Hexenfalle von Bryan Danger
Sir Jeffrey Thunderham, der Gouverneur über die Neu-Englandkolonien, wandelte auf verbotenen Pfaden, als er in der Nacht zu einem Schäferstündchen schlich. Abgrundtief war sein Entsetzen, als er sah, daß er einer leibhaftigen Hexe in die Falle gegangen war, die nur sein Blut wollte. Ein gütiges Geschick bewahrte ihn vor einem grauenvollen Tod, aber nach ihm hatten andere Männer weniger Glück. Sie tappten mit staunenden Augen ins Verderben.
Das Herz Sir Jeffrey Thunderhams klopfte bis zum Hals. Das lag nicht an der unheimlichen Gegend, in der er sich befand, und auch nicht an der mitternächtlichen Stunde mit all ihren Gefahren. Thunderham dachte an das bildhübsche Mädchen, das er heute zu erobern gedachte. Er war allein. Niemand seiner Vertrauten und Berater befand sich in seiner Begleitung, um ihm den ziemlich beschwerlichen Weg quer durch das Moor und anschließend durch das unübersichtliche Waldstück zu erleichtern, von dem die Leute hinter vorgehaltener Hand flüsterten, daß es darin spuke und der Teufel selbst in Vollmondnächten Hochzeit halte. Er konnte keinen Zeugen gebrauchen, denn er war seit
siebzehn Jahren verheiratet, und ein Skandal hätte bedeutet, daß er als Gouverneur untragbar wurde. Schlimmer noch, man hätte ihn ganz gewiß nach England zurückbeordert. Er hätte sich zwar auf das süße Abenteuer nicht einzulassen brauchen, aber er fühlte sich von der bezaubernden Hyra geradezu magisch angezogen. Wenn er das Mädchen nicht wenigstens einmal besaß, würde er das sein Leben lang als persönliche Niederlage empfinden. Er stolperte über Wurzeln und schimpfte halblaut vor sich hin. Der Klang seiner eigenen Stimme beruhigte ihn. Er wollte sich nicht eingestehen, daß ihm nicht wohl in seiner Haut war. Vorsorglich hatte er eine feingearbeitete doppelläufige Reiterpistole zu sich gesteckt. Warum mußte Hyra auch ausgerechnet hier ihr Haus haben? Andererseits war es von Vorteil, denn dadurch war er vor Entdeckung sicher, und seine gestrenge Gemahlin, Lady Thunderham, würde nie etwas von seinem Seitensprung erfahren. Er überlegte, wie er sich verhalten sollte, falls Hyra zu anhänglich wurde. Ein Beutel voller Goldmünzen würde dieses Problem wohl aus der Welt schaffen. Notfalls konnte man auch zu wirksameren Mitteln greifen. Er konnte einem der Sklaven den Auftrag geben – und dann den Mann verschwinden lassen. Der Ruf eines Kauzes ließ ihm zusammenfahren. Seine Haare unter der Perücke stellten sich auf. Zum Teufel, wie konnte Hyra es in diesem gräßlichen Wald aushalten? Kannte sie überhaupt keine Furcht? Der Mond griff sich ein paar Wolkenfetzen und verbarg sich dahinter. Das Dickicht wurde noch undurchdringlicher. Was hatte dieser seltsame Schatten dort zu bedeuten? Wurde er beobachtet? Lauerte ein Strauchdieb auf ihn, um ihn auszuplündern? Seine Schritte wurden deutlich langsamer. Erst als er Licht
durch das Laubwerk hindurchschimmern sah, atmete er auf. Er war am Ziel. Hyra wartete auf ihn. Diese Nacht sollte für sie beide unvergeßlich werden. Allerdings hatte der Mann noch keine Ahnung, daß er das Grauen kennenlernen sollte. *** Tatsächlich wartete Hyra bereits ungeduldig auf ihn. Sie ging nervös in ihrer Kammer auf und ab und blickte immer wieder auf eine bauchige Milchglasvase, die der Glasbläser mit eigenartigen Ornamenten versehen hatte, die ständig ihre Form zu verändern schienen. »Ich habe nicht mehr viel Zeit«, murmelte sie. »Wenn er nicht bald erscheint, um mir sein Blut zu bringen, ist es um mich geschehen. Meine Kräfte lassen nach. Ich spüre es deutlich. Nur dieser Narr kann mir helfen. Er wird doch keinen Verdacht geschöpft haben?« Besorgt trat Hyra vor einen Spiegel, der völlig blind war, obwohl sie ihn eben erst geputzt hatte. Nur sie selbst konnte sich darin sehen, und sie mußte mit ihrem Spiegelbild zufrieden sein. Es gab in der ganzen Kolonie kein Mädchen, das es an Schönheit und Anmut mit ihr aufnehmen konnte. Ihr seidiges Haar schimmerte wie Gold. Ihre kirschroten, feuchten Lippen waren eine einzige Versuchung. Das ganze Gesicht glich dem einer Fee, wobei besonders die blauen Augen wie ein prächtiges Feuerwerk strahlten. Auch ihr Körper wies nicht den geringsten Makel auf. Sie war schlank und doch an jenen Stellen, an denen die Männer es gern sahen, bestens gerundet. Mit einem Wort: Hyra war eine junge Frau, die dem Ideal eines jeden Mannes nahekam, zumindest was das Äußere betraf. In ihr Inneres ließ Hyra keinen Fremden blicken. Sie hatte ihre Gründe dafür. Auch Gouverneur Thunderham ahnte nichts von dem dämonischen Feuer, das in ihr brannte und dessen
Glut sie unbedingt erhalten wollte, um sich nicht in Zukunft vor den Menschen verbergen zu müssen. Schon lange bevor sie seine Schritte draußen hörte, spürte Hyra die Nähe ihres nächtlichen Besuchers. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem triumphierenden Lächeln. »Er kommt!« hauchte sie erleichtert. »Laß mich noch so lange durchhalten. Nur noch eine Stunde. Das ist nicht zu viel verlangt.« Wenig später öffnete sie dem Gouverneur die Tür. Sie trug ein Kleid im Hofstil, das ihre weiblichen Reize unterstrich, und Thunderhams Augen wurden immer größer und begehrlicher. Er war erfreut, daß auch Hyra anscheinend auf ein stundenlanges Vorgeplänkel keinen Wert legte. Ihr verlangender Blick sagte alles, und er nahm sie kurzerhand in die Arme und preßte seine Lippen auf ihre zarte Haut. Dabei sah er nicht, wie die Augen des Mädchens zu glühen begannen, wie der Mund zuckte und sich gierig öffnete, wie die Perlenzähne eher wie das mörderische Gebiß eines Wolfes wirkten. Thunderham war am Ziel seiner Wünsche. Er schrieb den Erfolg, in seinem vorgerückten Alter ein blutjunges verführerisches Mädchen erobert zu haben, seiner unwiderstehlichen Männlichkeit zu, und der heiße Atem, der sein Ohr streifte, war für ihn die Glut von Hyras Leidenschaft. Seine Lippen wanderten die weißen Schultern entlang bis zu dem schlanken Hals. Er schloß die Augen, um sich ganz dem ersehnten Vergnügen hinzugeben. Da stutzte er. Er spürte nicht mehr die weiche Pfirsichhaut. Sie fühlte sich jetzt hart und spröde an, obwohl das natürlich nicht sein konnte. Verwundert öffnete er die Augen und erschrak. Was war das? Eine unheimliche Veränderung ging mit Hyra vor. Nicht nur, daß ihre Haut schrumpelig und faltig wurde, sie magerte
auch zusehends ab. An manchen Stellen stachen ihre Knochen häßlich hervor. Das blonde Haar bleichte aus. Es wurde fahl und strähnig. Weißlichgelb hing es ihr in wirrer Anordnung am Kopf. Die eben noch so verlockenden Lippen wurden trocken und rissig. Als Hyra den Mund öffnete, war darin kein einziger Zahn mehr zu sehen. Die Augen strahlten nicht mehr in leuchtendem Blau. Wie bei einer Kröte traten sie beängstigend hervor. Sie glichen kleinen, weißen Bällen, auf denen lediglich eine winzige Pupille schwamm. Die vorher zierliche Nase stach steil aus dem Gesicht. Sie sah einem Raubvogelschnabel ähnlich, zu dem auch die fürchterlich langen Fingernägel paßten. Hinzu kam ein impertinenter Geruch, den das Scheusal verströmte, und die krächzende Stimme rundete das entsetzliche Bild ab. Jeffrey Thunderham stieß die Erscheinung von sich fort. »Wer – wer bist du?« fragte er keuchend. »Du bist nicht Hyra.« Das häßliche Geschöpf kreischte auf. Es schlug ihre Spinnenfinger vor das verunstaltete Gesicht und kicherte grausig. »Natürlich bin ich Hyra, Liebster. Komm nur zu mir! Was sind schon Äußerlichkeiten? In meinen Armen wirst du diese Dinge vergessen. Du wirst überhaupt alles vergessen. Kein Mensch darf je erfahren, daß Hyra eine Hexe ist.« »Ei-eine Hexe?« Thunderham erstarrte. Narrte ihn ein Spuk? Gab es wirklich Hexen? Er hatte die Erzählungen stets als Schauermärchen abgetan, mit denen unfolgsame Kinder eingeschüchtert werden sollten. Aber was da vor ihm stand, diese abscheuliche Kreatur mit den Lumpen über den klapprigen Knochen, konnte in der Tat kein menschliches Wesen sein. Eine Hexe, und sie hatte sich an ihm vergreifen wollen! Nur fort von hier! Zum Glück hatte er noch rechtzeitig die
Wahrheit erkannt. Er wich rückwärts bis zur Tür. Hyra reckte ihre dürren Arme und krümmte lockend die Finger. »Bleib bei mir, Geliebter! Ich brauche dich. Dann werde ich wieder schön und will dich für alles belohnen. Du darfst dir von mir wünschen, was du willst.« »Nein!« stieß der Gouverneur entsetzt hervor. »Ich hasse dich! Ich will nicht zu den Verdammten gehören. Fort von mir!« Er riß die doppelläufige Reiterpistole unter seinem prächtig bestickten Rock hervor und richtete sie auf die Hexe. Hastig spannte er den einen Flinthahn und schaute, ob auch noch Pulver auf der Pfanne war. Hyra schrie gellend auf. Furiengleich stürzte sie sich auf ihn und versuchte, ihm mit den Fingernägeln in die Augen zu fahren. Der Schuß löste sich. Die Kugel fuhr der Unseligen genau in den aufgerissenen Mund. Sie blieb abrupt stehen, spreizte aber noch immer die Finger. Ihre Augen traten noch weiter aus den Höhlen. Sie stampfte mit dem Fuß auf, daß der Boden erzitterte und Eidechsen und Spinnen aus den Ritzen hervorschossen. Thunderham feuerte den anderen Lauf ab. Er sah, wie das Geschoß in jene Stelle fuhr, an der bei den Menschen das Herz sitzt. Er war sich im Zweifel, ob Hexen ein Herz besitzen, aber jedenfalls wurde er Zeuge, wie Hyra taumelte und nach einem Halt suchte. Ihre rechte Hand schlug in den Spiegel. Ein greller Blitz zuckte auf und verbreitete bestialischen Gestank, der dem Gouverneur einen Vorgeschmack von der Hölle bot. Sie schnitt sich an den Scherben die Hand auf, aber kein Tropfen Blut floß aus der Wunde. Da schlug Thunderham voller Grauen das Kreuz und stammelte hastig ein Gebet.
Hyra heulte gequält auf. Sie brach zusammen und kauerte auf den Knien. Winselnd rutschte sie auf den Mann zu und hob flehend ihre Krallenhände. »Blut!« röchelte sie. »Gib mir dein Blut!« »Keinen Tropfen!« schrie er. »Ich verfluche dich!« Die Hexe kicherte mühsam. »Du kannst mich nicht verfluchen. Aber dich wird meine Rache treffen. Dich und deinesgleichen.« Sie brach vollends zusammen und rührte sich nicht mehr. Sie sah nicht so aus, als könnte sie noch jemandem gefährlich werden, und so beurteilte auch Jeffrey Thunderham die Situation. Sie hatte ihn zwar einige Schweißtropfen gekostet, aber zum Glück hatte er doch die Oberhand behalten. Das Scheusal war erledigt. Er beeilte sich, seine herabgefallene Perücke aufzuheben, das kleine Haus zu verlassen und auf dem schnellsten Weg den Wald zu durchqueren. Ein paarmal blickte er sich schaudernd um. Niemand folgte ihm. Hyra war tot. Er wollte versuchen, das gräßliche Erlebnis zu vergessen. Schon morgen wollte er den Befehl erlassen, das windschiefe Haus abzureißen oder noch besser, es zu verbrennen. Wenn die Arbeiter den Leichnam entdeckten, würden sie davon überzeugt sein, daß die Tote schon jahrelang unbemerkt in ihrer Hütte lag. Kein Mensch würde sich vorstellen können, daß das grauenvolle Gerippe noch am Tag zuvor gelebt hatte. *** Lange Zeit lag Hyra am Boden und rührte sich nicht. Sie war nicht tot, aber ihre Kraft hatte sie völlig verlassen. Erst die Schönheit, die sie ihren dämonischen Künsten zu verdanken gehabt hatte, und nun auch noch die Kraft, die sie bis zu dieser Nacht immer rechtzeitig durch einen Bluttrank aufrechterhalten konnte.
Damit war es nun vorbei. Sie war zu schwach, sich noch ein Opfer zu holen. Vielleicht kam ihr eine Kröte zu nahe, und es gelang ihr, sie auszusaugen, aber das würde nur ein kurzes Aufflackern bringen. Krötenblut war wie eine Droge, die zwar die Lebensgeister kurzzeitig anregte, ihren Verfall anschließend aber nur noch beschleunigte. Menschenblut mußte es ein. Das Blut eines möglichst jungen, kräftigen Mannes. Doch kein Jüngling würde sich ihr nähern. Sie sah zu abstoßend aus. Das hatte sie eben erst erlebt. Dabei war der Gouverneur alles andere als ein Frauentyp. Aber auch er hatte sich vor ihr entsetzt, hatte sie verschmäht und sogar versucht, sie umzubringen. Nein, Kugeln konnten sie nicht töten. Trotzdem ging es mit ihr zu Ende, weil ihr das Lebenselixier verwehrt blieb. Sie war allein. Niemand konnte ihr helfen. Wenn wenigstens Mortulla, ihre treue Freundin, in der Nähe wäre. Die wußte meistens einen Rat. Aber auch sie ließ sich in der Stunde höchster Not nicht blicken. Hyra seufzte schauerlich. Ihr Klagen setzte sich fort und füllte den ganzen Raum, der seit ihrem Verfall muffig roch. Ein Echo drang an das Ohr der sterbenden Hexe. Ein Echo, das von weither kam. Es war, als würde es ihren Namen rufen. »Hyra! Halte aus!« Durch den sich windenden Körper der Beklagenswerten ging ein Ruck. Das war Mortullas Stimme. Sie erkannte sie genau. Die Freundin eilte zu ihr! Sie mußte ihre Not gespürt haben! Aus der Milchglasvase quoll fetter, schwarzer Rauch. Er stieg wie eine Säule nach oben. An zwei Stellen wucherte er aus. Armähnliche Gebilde formten sich. Am oberen Ende verfärbte sich der Rauch. Er wurde heller
und schließlich kalkig weiß. Ein maskenhaftes Gesicht entstand. Starr und leblos mit leeren Augenhöhlen und einem Mund, in dem nur drei schiefe Zähne steckten. Die Gestalt trug einen abenteuerlichen Hut, wie ihn einst Piraten besessen haben mochten. Sie löste sich vollends aus der Vase und stieg zu der am Boden Liegenden herab. Sie berührte sie und sagte in einem Tonfall, der an das Grunzen eines Schweines erinnerte: »Rasch, Hyra, trink, was ich dir mitgebracht habe!« Sie brachte unter ihrem langen, schwarzen Gewand ein amphorenartiges Gefäß zum Vorschein und hielt es der Sterbenden an die Lippen. »Was – was ist es?« fragte Hyra schwach. »Blut, teuerste Gefährtin. Ich habe es für dich erbeutet, als ich deine schlimme Lage erkannte. Es wird dich retten.« Die liegende Hexe roch an dem Gefäß. Angeekelt stieß sie es zurück. »Das ist nicht vom Menschen, Mortulla. Du willst mir Wolfsblut einflößen.« »Es war das einzige, was ich in der Eile bekommen konnte«, entschuldigte sich Mortulla. »Für den Notfall genügt es. Später wirst du Besseres erhalten.« »Weißt du nicht, daß ich nie wieder meine Schönheit zurückgewinnen kann, wenn einmal das Blut eines Wolfes über meine Lippen gekommen ist? Ich werde zwar leben, aber ich muß so häßlich bleiben, wie du mich jetzt siehst. Du müßtest dich daran erinnern, denn dir ist es ähnlich ergangen.« »Ich weiß, Hyra. Trotzdem darfst du nicht länger zögern. Du kannst das Wolfsblut trinken und leben oder darauf verzichten und für immer vergehen. Eine andere Wahl hast du nicht. Du hättest den Lord rechtzeitig überwältigen müssen.« »Ich wollte es tun, aber die verfluchte Schwäche kam etwas zu früh über mich. Warum brauchen wir nur dieses elende Blut, um fortbestehen zu können?«
»Trink!« drängte Mortulla und hob die Amphore an Hyras zuckende Lippen. »Über eine Rache können wir danach sinnen. Ich habe schon einen Gedanken, der dir sicher gefallen wird.« »Aber meine Schönheit?« »Ist sie mehr wert als deine Macht? Entscheide dich! Wenn du klug bist, können wir schon bald Rache üben für das, was dir heute geschehen ist und mir schon vor langer Zeit.« Die Hexe Hyra spürte, daß es mit ihr zu Ende ging. Die Wahl wurde ihr leicht gemacht. Mit gierigen Schlucken soff sie das noch warme Blut des von Mortulla gerissenen Wolfes in sich hinein. Schon kurz darauf bäumte sie sich auf. Ein Zucken durchlief sie. Neue Kräfte strömten in sie. Plötzlich fühlte sie sich wieder unüberwindbar. Aber sie blieb häßlich. Daran ließ sich nichts mehr ändern. Ihre riesigen Quellaugen rollten, als sie sich aufrichtete. »Du hast von Rache gesprochen«, erinnerte sie gierig. Sie konnte es kaum noch erwarten. Mortullas Gesicht regte sich nicht. Sie richtete sich auf und starrte die Freundin lange an. »Wir brauchen Blut«, sagte sie hohl. »Immer wieder Blut.« »Männliches Blut«, erklärte die andere. »Das ist nicht leicht zu erbeuten. In unserer Gestalt können wir uns keinem nähern, ohne daß er nicht schreiend vor uns flieht. Thunderham ist das jüngste Beispiel dafür. Uns bleiben hauptsächlich Wölfe, Geier, Kröten und ähnliches Getier, das uns aber nur für sehr kurze Zeit kräftigt. Ich lebe zwar wieder, doch noch ehe die kommende Nacht anbricht, wird es wieder mit mir zu Ende gehen, wenn es mir nicht gelingt, ein neues Opfer zu erlegen.« »Du hast recht«, bestätigte Mortulla. »Unsere ganze Zeit müssen wir damit vergeuden, unsere Existenz zu sichern. Dabei gäbe es so vieles zu tun, womit wir den verhaßten Menschen schaden könnten.« Hyra kicherte wollüstig. Im Geiste stellte sie sich vor, was
sie alles an Schandtaten ausführen würde, wenn sie die Möglichkeiten dazu hätte. »Wir brauchen ein Geschöpf«, fuhr Mortulla fort, »das uns blind gehorcht und für das es kein Problem darstellt, uns das wichtige Blut zu besorgen.« Hyra nickte eifrig. »An wen denkst du? An Crasudero?« Mortulla lachte wegwerfend. »Unsinn, meine Liebe! Dieser kleine Dämon ist dazu nicht in der Lage. Trotzdem wird er uns bei der Verwirklichung unseres Plans helfen. Mit seiner Hilfe werden wir Laurina schaffen.« »Laurina? Wer, bei allen Ungeistern und Nebelbewohnern, ist Laurina?« Hinter Mortullas Maske regte sich nichts, als sie verriet: »Laurina wird unsere Tochter sein!« *** Nachdem Mortulla ihren Plan vor der Freundin ausgebreitet hatte, klatschte diese begeistert in die Hände. Doch dann wurde sie nachdenklich. »Schau uns an«, klagte sie. »Unsere Tochter wird eine Ausgeburt der Häßlichkeit werden. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, daß Crasudero uns zu einem leiblichen Kind verhilft. Er befindet sich zwar in unserer Gewalt, aber gerade deshalb wird er von einer Vereinigung nicht begeistert sein.« Mortulla lachte geringschätzig. »Wer fragt danach? Er hat zu gehorchen. Und über Laurinas Aussehen mache dir nur keine Sorgen. Zum Glück können wir Hexen über so kindische Probleme wie Vererbung, mit denen sich die menschlichen Kreaturen herumschlagen müssen, nur lachen. Unser Kind wird sein, wie wir es wollen. Und vor allem wird der Prozeß in kürzester Zeit vonstatten gehen. Wenn du einverstanden bist, werde ich Crasudero herbeizitieren.« Hyra konnte ihre Aufregung nicht verbergen. »Natürlich bin
ich einverstanden. Ich kann es kaum erwarten. Ich werde eine Tochter haben.« »Wir werden eine Tochter haben«, korrigierte die andere. »Sie gehört uns beiden zu gleichen Teilen. Auch etwas, in dem wir den Menschen über sind. Laurina wird nicht ein Kind der Sinnenlust, sondern unseres dämonischen Wollens sein.« Sie hob die Hände und richtete ihre Augenhöhlen fest auf einen imaginären Punkt in der Kammer. In einer Ecke glomm ein schwaches Licht auf. Die Fäden eines Spinnennetzes wurden sichtbar. Sie glühten wie die Wendel einer elektrischen Lampe. In der Mitte des Netzes hockte eine fette, eklige Spinne. Als sie den Hexenblick auf sich gerichtet fühlte, verkroch sie sich schleunigst, aber Mortullas herrische Stimme befahl sie zurück. »Steig herab, du Winzling! Wir wollen ein Fest mit dir feiern. Du sollst dich uns spenden, damit aus uns und durch dich die listigste, raffinierteste und unüberwindlichste Nebelhexe wird, die es jemals gegeben hat.« Die Spinne ließ sich zögernd an einem langen Faden herab. Bevor sie den Boden erreichte, nahm sie an Größe zu. Sie glich einer Schildkröte mit langen, behaarten Beinen. »Das dürft ihr nicht von mir verlangen!« flehte das Scheusal. »Ihr wißt, daß ihr mich damit vernichtet.« »Ja«, hechelte Hyra lüstern, »aber wir schaffen dadurch etwas Großartiges, das sich sehen lassen kann und sich nicht wie du vor den Blicken unserer Feinde versteckt.« »Gnade! Ich will alles für euch tun. Ich bringe euch das Blut eines Menschen. Dadurch werdet ihr stärker, als ihr jemals wart.« »Das wollen wir auch werden, Crasudero, aber auf die Dauer können wir uns nicht auf dich verlassen. Umarme uns! Wir sind bereit.« Die Hexen breiteten erwartungsvoll die Arme aus. Die Spinne zögerte noch, aber die gnadenlosen Blicke der
Dämoninnen zwangen sie näher. Sie mußte gehorchen. Die drei bildeten ein wildes Knäuel aus Armen und Leibern. Sie begannen zu tanzen, wobei die leere Amphore den Mittelpunkt bildete. Von irgendwoher erklang eine schaurige Melodie, der menschliche Trommelfelle nicht standgehalten hätten. Die Hexen aber jauchzten verzückt und gerieten immer mehr in Ekstase. An allen vier Ecken der Kammer zuckten Blitze auf. Sie waren erst düster, wurden aber immer greller und beinhalteten schließlich das dämonische, alles vernichtende Feuer. Crasudero wurde von dem Hexentaumel mitgerissen. Anfangs sträubte er sich noch, aber je länger der gespenstische Reigen währte, um so mehr ließ sein Widerstand nach. Mit grausigem Fauchen stürzte er sich auf Hyra und Mortulla. Seine Beine zuckten wie unter Stromstößen. Jedesmal stiegen grüne Rauchwölkchen auf, und die Hexen kreischten schrill. In der Amphore begann es zu brodeln. Stinkende Flüssigkeit schwappte über den Rand des Tongefäßes. Die Hexen badeten darin und schmiegten sich aneinander. Sie ließen den Spinnendämon nicht mehr frei. Er wurde zwischen ihnen regelrecht zerquetscht. Sein hysterischer Todesschrei veranlaßte seine Peinigerinnen zu einem wahren Triumphgeheul. Sie faßten sich bei den Händen und wirbelten im Kreis herum. Ihre Beine beschrieben die abenteuerlichsten Figuren. Sie verdrehten die Augen und wurden grün im Gesicht. Schließlich umarmten sie sich und erbrachen sich gleichzeitig. Doch der Auswurf war nicht ekelerregend. Ein atemberaubend schönes Mädchen mit grünlich schillernden Augen und langen, roten Haaren erhob sich vor ihnen. Es war bereits über zwanzig und zeigte alle Merkmale einer sinnlichen Frau.
Es war nicht verwundert oder gar abgestoßen durch den Anblick der garstigen Hexen. Es lächelte hintergründig und bog seinen schlanken Körper etwas zurück. Hyra und Mortulla kamen allmählich wieder zu sich. Sie nickten beifällig, und Hyra erklärte zufrieden: »Genauso habe ich dich mir vorgestellt, Laurina. Du bist so schön, wie ich nie wieder sein werde. Ich will, daß du mich rächst. Ich befehle es dir.« Laurina wiegte sich in den Hüften. »Ich tue alles, was ihr von mir verlangt. Ich bin eure Tochter. Ich habe zu gehorchen, und ich gehorche mit Freuden.« Sie bewegte sich auf Hyra zu, umarmte und küßte sie beinahe zärtlich. Dasselbe tat sie auch mit Mortulla. Anschließend verließ sie die Hütte. Sie kannte ihre verderbenbringende Aufgabe. *** George Harris betrachtete sich im Spiegel. Er zupfte ein Stäubchen von seiner Schulter und rückte die Fliege gerade. Er war etwas nervös, das gestand er sich unumwunden ein, vor allem aber war er unwahrscheinlich glücklich. Was sollte er auch sonst sein, wo er doch im Begriff stand, das süßeste Geschöpf der ganzen Stadt vor den Traualtar zu führen? Sein Smoking saß perfekt. Die Ringe steckten in seiner Tasche. Die durfte er auf keinen Fall vergessen. Sie waren noch wichtiger als der Brautstrauß, der noch immer nicht da war. Dabei hatte er dem Trottel in dem Geschäft die Adresse genau aufgeschrieben. Er blickt auf die Uhr und schielte zum Telefon. War es nicht besser, wenn er noch mal anrief? Was würde Sybilla sagen, wenn er sie ohne Blumen abholte? George Harris zögerte, dann griff er zum Hörer und tippte
die Nummer in die Tasten. Noch bevor er damit fertig war, läutete es an der Tür. Na endlich! Das wurde aber auch Zeit. Er haßte nichts so sehr wie Unpünktlichkeit Da konnte er fuchsteufelswild werden. Nur gut, daß Sybilla nicht zu jener Kategorie Frauen gehörte, für die dieser Fehler sprichwörtlich war. Ihr hätte er sogar das verziehen. Er eilte zur Tür und öffnete. Der Blumenbote verbarg sich hinter einem prächtigen Bukett, das nicht jenem entsprach, das sich Sybilla gewünscht und das er auch bestellt hatte. »Welcher Hornochse hat denn die Bestellungen verwechselt? Da kommen Sie schon auf den letzten Drücker, und dann bringen Sie ausgerechnet nachtblaue Tulpen, so ziemlich die einzigen Blumen, die meine Braut auf den Tod nicht ausstehen kann.« »Aber ich mag sie besonders gern«, gurrte eine sanfte Stimme. »Sie sind so beruhigend und doch majestätisch. Finden Sie nicht auch?« Das Bukett senkte sich. Dahinter kam ein zauberhaftes Gesicht zum Vorschein, das von schwarzen Locken umrahmt wurde. Ein scheues Lächeln stand auf vollen, verlangenden Lippen. George Harris schluckte krampfhaft. Unwillkürlich entschuldigte er sich für sein Benehmen, obwohl er sich doch im Recht geglaubt hatte. Er konnte seinen Blick nicht von diesem Gesicht nehmen. Er hatte Sybilla für schön gehalten, doch das fremde Mädchen aus dem Blumengeschäft stellte alles in den Schatten, dessen er sich erinnern konnte. »Wo-wollen Sie nicht hereinkommen?« bat er. »Man kann ja über alles reden.« »Und nicht nur reden, George«, flüsterte die Fremde. »Mit reden vergeudet man die meiste Zeit.« Der Mann lachte unsicher. Er wußte nicht, was sie mit diesen geheimnisvollen Worten meinte.
Er nahm ihr die Blumen ab, als sie mit wiegenden Schritten an ihm vorüberging. Er atmete ihr betörendes Parfüm ein. Oder war es ihr eigener Duft? Es schien fast so. Sie streifte mit der Hüfte seine Hand. George Harris zuckte zusammen, als hätte er mit einem nicht isolierten Draht in einer Steckdose herumgestochert. Die Fremde warf ihm einen glutvollen Blick zu, wandte sich jedoch dann hastig ab, als hätte sie sich selbst bei etwas Verbotenem ertappt. »Wie heißen Sie?« hörte sich George Harris fragen. Was ging ihn das an? Sie brachte doch nur die Blumen. Noch dazu die verkehrten. Sybilla wartete wahrscheinlich bereits auf ihn. Er mußte sich besinnen. »Laurina.« »Laurina?« Er ließ den Namen auf der Zunge zergehen. »Nehmen Sie doch, bitte, Platz.« Er deutete auf das Sofa. Die beiden Sessel waren belegt. Zum Aufräumen hatte er sich keine Zeit mehr genommen. Das konnte Mrs. Smith morgen erledigen. Dafür bezahlte er sie ja. Das Mädchen ließ sich wortlos auf das Sofa fallen. Es lehnte sich seufzend zurück. Das lange Haar fiel ihm in den Nacken. Das schlichte, schwarze Kleid, das es trug, spannte über der Brust. Der Mann begann zu zittern. »Komm!« lockte Laurina. Ihre Stimme war rauchig und dunkel. Sie zog ein Bein an, und der enge Rock rutschte beängstigend in Richtung Taille. Durch George Harris’ Schläfen jagte das Blut. Er zwang sich, an Sybilla zu denken, doch es gelang ihm nur unvollkommen. Immer wieder mußte er dieses Traumbild anschauen, das sich ihm hier bot und das er begehrte. Wie ein Roboter bewegte er sich auf das Mädchen zu. Es geschah mit seinem Wunsch, aber gegen seinen Willen. Es durfte nicht geschehen. Niemals! Er gehörte zu Sybilla. Laurina streckte die Arme nach ihm aus. Der Mann reagierte wie in Trance. Er ging zu ihr hinüber.
Sein Blick trank sich an ihr fest. Schließlich beugte er sich zu ihr herab. Da läutete das Telefon. Kerzengerade richtete sich George Harris auf. Er bemühte sich, das störende Geräusch, das ihn aus einem Traum gerissen hatte, zu identifizieren. Laurina hielt ihn fest, aber er machte sich frei. Sanft, aber bestimmt. Er ging zum Telefon und nahm den Hörer ab. Bevor er etwas sagen konnte, war das Mädchen bei ihm und schlang die Arme um seinen Hals. »Laurina!« seufzte er. Aus dem Telefonhörer klang eine besorgte Stimme: »Was ist los, George? Warum kommst du nicht? Ist jemand bei dir?« Die Schwarzhaarige nahm ihm den Hörer aus der Hand und legte ihn auf die Gabel zurück. Sie umarmte ihn, und George Harris besaß weder die Kraft noch den Wunsch, sich dagegen zu wehren. Er vergaß, daß er heute heiraten wollte. Er vergaß Sybilla und die vielen Menschen, die vor der Kirche auf das Brautpaar warteten. Er gab sich ganz der Verführerin hin, und erst als er den stechenden Schmerz auf seiner Brust spürte, als er das höhnisch verzerrte, blutverschmierte Gesicht mit den lodernden Augen vor sich sah, wußte er, daß er in eine Falle geraten war, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Er stieß einen gellenden Schrei aus. *** Sybilla Cordes schluchzte hemmungslos, als die Träger George Harris auf der Bahre zum Leichenwagen schafften. Eben noch unendlich glücklich, konnte sie nicht begreifen, daß der Mann, den sie über alles geliebt hatte, nicht mehr lebte. Sie erinnerte sich an den Namen, den er am Telefon gestammelt hatte. Wer war diese Laurina? George hatte ihr gegenüber nie diesen Namen erwähnt. Sie wies den Verdacht, er könnte sie
betrogen haben, weit von sich. Die nachtblauen Tulpen, die sie im Todeszimmer gefunden hatte, machten das Ganze noch mysteriöser. Woher kamen die Blumen? Von wem waren sie? Oder für wen? Doch all diese Fragen waren nebensächlich. George war tot. Der Mörder hatte zwar ein beträchtliches Durcheinander, aber keine Spuren hinterlassen. Das gerichtsmedizinische Untersuchungsergebnis einen Tag später verblüffte noch mehr. Es war einwandfrei festgestellt worden, daß George verblutet war. Sein Körper war so gut wie blutleer. Da die Ärzte keine nennenswerte Verletzung ermitteln konnten, wurde der Verdacht des Mordes fallengelassen. Hier lag offenbar eine geheimnisvolle Krankheit vor, mit deren Untersuchung sich Ärzte und Forscher befassen mußten. Die Polizei klappte die Akte George Harris zu. Nicht so Sybilla Cordes. Sie hatte George als kerngesunden Mann in Erinnerung. Als begeisterter Leichtathlet hatte er sich unter ständiger ärztlicher Beobachtung befunden. Eine derart heimtückische Krankheit wäre nicht unentdeckt geblieben. Sie rief kurzerhand Doktor Billway an und schilderte ihm unter Tränen den Tatbestand. Der Doc hörte aufmerksam zu und unterbrach sie nicht. Erst als sie geendet hatte, räusperte er sich und sprach ihr sein Beileid aus. »Ich weiß, wie sehr George Sie geliebt hat«, versicherte er mitfühlend. »Wenn ich ihn untersuchte, hat er fast pausenlos von Ihnen und der bevorstehenden Heirat gesprochen. Eine Frau kann nach meiner Überzeugung mit seinem Tod nichts zu tun haben.« »Aber er nannte diesen Namen, Laurina, als ich ihn anrief, weil er mich nicht abholte«, sagte Sybilla. »Dann legte er auf. Danach starb er. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.
Und dann der hohe Blutverlust, Doc. Sicher, im Zimmer war einiges mit Blut verschmiert, aber fünf Liter müssen ganz andere Spuren hinterlassen.« Der Arzt räusperte sich wieder, bevor er sagte: »Ich bin froh, daß Sie selbst diesen Punkt anschneiden, Sybilla. Ich gebe Ihnen recht. Georges Tod ist nicht mit rechten Dingen zugegangen. Nur kann man mit einer solchen Behauptung weder unserer Polizei noch den Gerichtsmedizinern kommen.« »Was meinen Sie damit?« »Ich will damit sagen, daß wir einen Mann brauchen, der von unerklärlichen Dingen mehr versteht als ein biederer Inspektor. Es muß einer sein, dessen Erfahrung mit mysteriösen, okkulten Fällen für ihn spricht. Mir ist ein solcher Mann bekannt. Wenn Sie einverstanden sind, setze ich mich mit ihm in Verbindung. Er wird nur kommen, wenn er davon überzeugt ist, daß es sich um irreale Fakten handelt.« »Und er ist sicher sehr teuer«, vermutete Sybilla verzagt. »Meine Mittel sind leider begrenzt.« »Machen Sie sich darüber keine Sorgen. Mister Black arbeitet für alle möglichen Leute, und es gibt genügend, die an der Aufklärung und Bekämpfung von Verbrechen interessiert sind, die aus der Geisterwelt zu uns getragen werden. Er läuft nicht Gefahr, zu verhungern. Sein Terminkalender ist voll.« »Dann wird er keine Zeit für meine Sorgen haben.« »Da kennen Sie ihn schlecht, Sybilla. Ich habe also Ihr Einverständnis?« »Tun Sie alles, Doc, damit Georges Tod aufgeklärt und gesühnt wird.« *** Doctor Billway hatte sich nicht getäuscht. Gordon Black, der Geisterjäger, der in Manhattan ein Anwaltsbüro unterhielt, zögerte keine Sekunde, sich des Falles anzunehmen. Hier
schien ihm typischer Vampirismus vorzuliegen, und entsprechend stellte er seine Ausrüstung zusammen, auf die er sich bei der Vernichtung des Blutsaugers stützen wollte. Hanako Kamara, seine zierliche asiatische Mitarbeiterin, begleitete ihn. Schon oft hatte sie an seiner Seite gekämpft, wenn sich auch Gordon Black stets bemühte, sie möglichst von jeder Gefahr fernzuhalten. Das ließ sich aus zwei Gründen nicht immer durchführen. Erstens scherten sich die Gegner aus den Schattenreichen einen Teufel darum, daß die Halbjapanerin eine Frau war. Zweitens scherte sich auch Hanako einen Teufel darum, und sie sah nicht ein, warum sie, mit einem Strickstrumpf und einer angemessenen Portion Sorge bewaffnet, auf Gordon Blacks Rückkehr warten sollte, wenn sie sich durchaus imstande fühlte, ihren Teil zur Vernichtung von Monstern und Dämonen beizutragen. Schon ihr Vater, der einem alten Samuraigeschlecht entstammte, wußte sich gegen dämonische Kräfte zur Wehr zu setzen. Von ihm hatte sie viel gelernt, was ihr bei der Zusammenarbeit mit dem Geisterjäger von Nutzen war. Jedesmal, wenn Gordon Black zu einem mysteriösen Fall unterwegs war, beschlich ihn ein eigenartiges Gefühl. Es war, als wollten die Geister ihn, den gebürtigen Schotten, immer wieder herausfordern. Wichtig war, daß er sich hüten mußte, sich jemals eine Blöße zu geben. Die Dämonen warteten nur darauf, ihn endlich auszuschalten und damit eine lästige Schranke für ihre Untaten aus dem Weg zu räumen. Daß seine Ankunft bereits bemerkt worden war, stellte er schon bald fest. Als er den Leihwagen vom Flughafen in Richtung Carnwath lenkte und Hanako neben ihm seelenruhig ihr Mak-up überprüfte, spürte er fast körperlich eine drohende Gefahr. Er sah, wie die Asiatin den runden Spiegel in ihrer
Handtasche verschwinden ließ und mit ihren schwarzen Augen mißtrauisch die Umgebung absuchte. »Sie sind da«, flüsterte sie. »Ich spüre ihre Nähe bis in die Haarspitzen.« Gordon Black nickte grimmig. »Stimmt!« sagte er. »Über mangelndes Interesse dürfen wir uns nicht beklagen. Der Empfang klappt prompt, als hätten die Geister das Telefon abgehört.« »Das haben sie nicht nötig, Gordon. Sie spüren deine Nähe genauso sicher wie wir die ihre.« »Leider, aber das muß durchaus nichts mit dem Tod von George Harris zu tun haben. Unsere Feinde lauern überall. Sie warten nicht erst auf unseren Angriff. Sie beobachten uns und schlagen zu, sobald der für sie geeignete Zeitpunkt gekommen ist. Wir müssen uns auf einiges gefaßt machen.« Zu sehen war nichts. Ein für dämonische Nähe weniger sensibler Beobachter hätte die beiden für verrückt erklärt, aber Hanako und Gordon wußten genau, wovon sie sprachen. Es war ein Glück, daß es ihnen oft gelang, die Gegenwart eines Ungeistes im voraus zu erahnen. So waren sie vor unangenehmen Überraschungen sicher. »Du solltest langsamer fahren«, schlug die Asiatin vor. »Ich habe das Gefühl, daß sie bald zuschlagen.« Kaum hatte sie ausgesprochen, als der Bentley von einem heftigen Seitenwind gepackt und von der Fahrbahn gedrängt wurde. Gordon Black lenkte mit aller Kraft dagegen, aber in diesem Moment ließ der Druck schlagartig nach, und der Wagen raste schräg über die Gegenfahrbahn, auf der ein vollbesetzter Bus daherkam. Der Busfahrer stieg auf die Bremse und ließ die Hupe wütend dröhnen. Gordon zerrte am Lenkrad, aber es schien blockiert zu sein. Die Asiatin reagierte blitzschnell. Sie riß sich das Band mit
dem geweihten Dogu vom Hals und ließ es über dem Lenkrad kreisen. Augenblicklich war ein ärgerliches Fauchen zu hören. Cordon Black konnte den Wagen wieder auf die richtige Seite zwingen, und der Bus raste haarscharf an ihnen vorbei. Hanako beugte sich hinunter, denn auch die Pedale gehorchten dem Geisterjäger nicht. Mit dem Dogu nahm sie den Bann von der Bremse und anschließend auch vom Gaspedal. Jedesmal glaubte sie, daß etwas wütend an ihren Haaren zerrte und sie zurückreißen wollte. Gordon Black fuhr nun langsamer. Wie ernst es der Gegenseite war, hatte er klar genug erkannt. Er blickte verbissen nach vorn. Daß Hanako den Flug mitgemacht hatte, hatte sich schon jetzt ausgezahlt. Doch nicht immer würden sich die Dämonen so schnell abwehren lassen. Weit vor sich sah er die Hinweisschilder auf die nächsten Ortschaften auftauchen. »Ich bin nicht sicher, ob wir jetzt schon von der Straße herunter müssen«, gab er zu. »Das werden wir aber gleich wissen. Es sieht so aus, als ob unsere unsichtbaren Freunde uns vorläufig in Ruhe lassen.« Das war ein folgenschwerer Irrtum. Zwar hatten die dämonischen Gewalten von dem Fahrzeug abgelassen, doch als die Hinweisschilder auf Sichtweite herankamen, stieg plötzlich eine dichte, schwarze Wolke aus dem Boden und hüllte die Wegweiser undurchdringbar ein. Der Qualm breitete sich sofort auch über die Straße aus, und Sekunden später waren sie in einem Nebel verschwunden, der die Illusion eines unbeleuchteten Tunnels erweckte. »Verdammt!« fluchte Gordon Black. »Wir müssen von der Straße herunter. Sonst brummt uns noch einer hinten drauf.« Ziemlich nahe hörten sie das Aufeinanderkrachen von
Blech. Das Chaos fing schon an. Ganz behutsam lenkte Gordon Black den Wagen nach rechts und hoffte, daß er nicht irgendwo im Straßengraben landete. Ein mächtiger Stoß gegen den hinteren Kotflügel riß das Fahrzeug herum und schleuderte es weiter. Es überschlug sich und schlitterte auf dem Dach entlang. Der Motor begann zu brennen. Gordon begriff, daß sie schleunigst den Bentley verlassen mußten, bevor er in die Luft flog. Er riß die Tür auf und wollte sich ins Freie fallen lassen. Da sah er, daß Hanako recht benommen war. Sie war mit dem Kopf angeprallt und mühte sich vergeblich mit der Türentriegelung. Die Tür hatte sich durch den Zusammenstoß verzogen. Jeden Augenblick konnte die Explosion erfolgen. Die Tür war durch mechanische Effekte verzogen, nicht durch Einmischung von Dämonenkraft. Da half auch das Dogu nicht. *** Sie legte frische Blumen auf das Grab. Ihre Augen waren rotgeweint. Noch immer konnte Sybilla Cordes das Unwiderrufliche nicht fassen. George war tot. Ein ganzes Leben hatten sie gemeinsam zurücklegen wollen, und nun hatte er sie allein gelassen. Allein mit ihrem Schmerz, allein mit ihren Erinnerungen. Sie ertappte sich dabei, daß sie die Aufschriften der Kranzschleifen studierte. Es waren viele Kränze. George war beliebt gewesen. Bei allen Leuten, nicht nur bei seinen Sportskameraden. Ein Kranz von Laurina war nicht dabei. Dieser Name ließ sie nicht los. Er verfolgte sie. Sogar in der Nacht, wenn sie endlich Schlaf gefunden hatte, tauchte er
wieder auf. Die Unbekannte erschien ihr jedesmal in anderer Gestalt, aber wie sie in Wirklichkeit aussah, wußte sie noch immer nicht. Sybilla wehrte sich gegen das immer wieder aufflackernde Mißtrauen. Sie sagte sich, daß es zweifellos eine harmlose Erklärung für diese Laurina gab, mit deren Namen auf den Lippen George offenbar gestorben war. Trotzdem fand sie keine Ruhe, und sie wartete ungeduldig auf das Eintreffen des von Doc Billway so hochgelobten Gordon Black. Zurückgeben konnte auch er ihr den geliebten Mann nicht, aber er war hoffentlich in der Lage, sein Andenken reinzuhalten und vor allem den Schuldigen für diesen sinnlosen Tod zu finden. Langsam richtete sich die Frau auf. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid. Sie dachte an ihr Hochzeitskleid, das zu Hause im Schrank hing. Wie dicht lagen Glück und Grauen beieinander! Sie hatte George am Grab viele Fragen gestellt, doch er war die Antworten darauf schuldig geblieben. Langsam ging Sybilla Cordes den gekiesten Weg zum Haupttor hinunter. Immer wieder blickte sie sich um. Warum blieb sie nicht hier? Wohin sollte sie gehen? Hatte ihr Leben jetzt noch einen Inhalt? Doch dann dachte sie an Mister Black, der sein Eintreffen für den heutigen Tag angekündigt hatte. Sie mußte zu Hause sein, wenn er ankam. Bestimmt wollte er ihr eine Menge Fragen stellen, denn Doc Billway hatte ihm am Telefon nur das Wichtigste mitteilen können. Sie war gespannt auf den Mann, der zwar Anwalt war, dessen eigentliches Wirken jedoch dem Kampf gegen Dämonen und böse Geister galt. Angeblich hatte er schon Werwölfe, Untote und solche Schreckensgestalten zur Strecke gebracht, von deren Existenz
sie keine Ahnung gehabt oder die sie zumindest ins Reich der Fabel verbannt hatte. Sie verließ den Friedhof und wandte sich stadteinwärts. Sie war zu Fuß, um ihren Gedanken ungestört nachhängen zu können. Dabei waren es gerade diese Gedanken, die ewigen Fragen und Zweifel, die sie zermürbten. Sie durchquerte den Stirling Park und blieb stehen, weil sie Stimmen zu hören glaubte, obwohl kein Mensch in der Nähe war. Langsam drehe ich durch, dachte sie befremdet. Ich muß mich zusammenreißen. George hätte das auch getan. »George! George!« wisperten die Stimmen höhnisch. Sybilla fuhr herum. Nein, sie war allein. Nicht einmal ein Kind trieb einen Schabernack mit ihr. Es war ja kein Wunder, daß sie den Namen zu hören glaubte. Schließlich dachte sie ständig an ihn. »Laurina! Sie ist schöner als du. Sie hat George gefallen.« Die Frau hielt sich die Ohren zu. Sie ertrug das nicht länger. Aber konnte man sich vor den eigenen Gedanken die Ohren zuhalten? Ein paar Tauben flatterten vor ihr auf. Sie suchten Futter und schimpften, weil sie nichts fanden. Sybilla suchte in ihrer Tasche, hielt aber erschrocken inne. »Gurr, gurr, George«, tönte es gluckernd. »Er ist tot. Auch du wirst sterben.« Ihr Augen weiteten sich. Sie ließ ihre Handtasche fallen und war außerstande, sich danach zu bücken. Die Vögel! Sie waren es, die zu ihr sprachen. Sie verhöhnten und bedrohten sie. Es war gespenstisch. Das gibt es nicht, sagte sie sich. Tiere können nicht reden! Jedenfalls nicht in einer Sprache, die ich verstehe! »Sie werden dich holen«, klang es an ihr Ohr. »Schon bald!« Ich werde verrückt! Das war alles zuviel für mich! Mein
Verstand macht nicht mehr mit! Eine große, schwarze Taube flog direkt auf sie zu. Wie ein angreifender Jagdbomber stieß sie auf die Frau herab. Sybilla erkannte ein Gesicht. Das Gesicht eines Menschen, aber mit einer Vogelnase und gräßlich hervorquellenden Augen. Sie schrie entsetzt auf und warf sich auf den Boden. Über ihr ertönte hämisches Gekreische. Sie wagte kaum, die Arme von ihrem Kopf zu nehmen. Jeden Augenblick erwartete sie den Schmerz von auf sie einhackenden Schnäbeln. Aber der Angriff blieb aus. Das Kreischen und Schimpfen entfernte sich. Die Tauben flogen eilig davon, und als Sybilla endlich aufsah und dem Spuk hinterherblickte, erkannte sie schaudernd, daß sich die Vögel in einer ganz bestimmten Formation entfernten. Sie bildeten ein klar erkennbares Wort: Tod. Schlotternd erhob sie sich, sammelte die aus der Tasche gefallenen Gegenstände ein und ging taumelnd weiter. Sie fühlte sich benommen. Ihr wurde bewußt, daß sie sich das unmöglich alles nur eingebildet haben konnte. Zwar gab es keine Zeugen, die ihre Beobachtungen hätten bestätigen können, doch Gordon Black, wenn er wirklich der Mann war, für den der Doc ihn hielt, würde ihr glauben. Obwohl sie sich kaum auf den Füßen halten konnte und ihr Herz wie rasend schlug, beeilte sie sich, nach Hause zu kommen. Keinesfalls durfte sie die Ankunft des Geisterjägers verpassen. Er war ihre ganze Hoffnung. Von ihm würde sie erfahren, wie ernst sie die Ankündigung ihres eigenen Todes nehmen mußte. Gerade noch hatte sie gedacht, daß das Leben keinen Sinn mehr hatte, doch nun fürchtete sie sich vor dem Tod. Er würde
nicht als Erlösung kommen, wenn er so grauenvolle Boten vorausschickte. Sybilla Cordes hastete weiter. Ein paar Passanten blickten ihr kopfschüttelnd nach, aber angesichts ihrer Trauerkleidung hatten sie wohl Verständnis für ihr eigenartiges Benehmen. Sie erreichte erschöpft das Haus, in dem sie allein wohnte. Mit zitternden Händen schloß sie die Tür auf und war erst beruhigt, als sie hinter ihr wieder ins Schloß fiel. Sie legte vorsichtshalber die Kette vor und prüfte als erstes, ob sämtliche Fenster geschlossen waren. Im oberen Stockwerk stand ein Fensterflügel offen. Sie verriegelte ihn sorgfältig. Ein Einbrecher würde sich schwer tun, an der glatten Fassade hochzuklettern, aber ihr gingen die Vögel nicht aus dem Kopf, die zu ihr gesprochen hatten. Sie waren in der Lage zu fliegen. Selbst in der obersten Etage eines Hochhauses war sie vor ihnen nicht sicher. Ihr fiel der Kamin ein. Sämtliche Öffnungen, durch die sich ein Mensch nicht zwängen konnte, stellten für die Tauben kein Hindernis dar. Sie ging ins Schlafzimmer, um ihre zerrissenen Strümpfe zu wechseln. Sie konnte auch eine Dusche gebrauchen. Das heiße Wasser würde ihre verwirrten Gedanken wieder ordnen. Das Bad war nur winzig, aber es genügte ihren Ansprüchen. Sie entkleidete sich, und unwillkürlich dachte sie wieder an George. Wie sehr hatte er jede Stelle ihres Körpers bewundert. Oft genug hatte er ihr das zu verstehen gegeben. Sie stellte sich unter die Brause und drehte den Hahn auf. Nichts. Es kam kein Wasser. Heute ging auch alles schief. Sicher gab es in der Nähe einen Rohrbruch. Sie mußte eben warten, bis der Schaden behoben war. Sie ging zum Waschbecken. Dort lief das Wasser. Woran mochte das liegen? Sybilla Cordes kehrte seufzend unter die Dusche zurück.
Der Hahn war noch offen. Sie drehte ihn noch weiter auf, was der Leitung wenigstens ein Zischen und Fauchen entlockte. Als würde ein Vulkan ausbrechen, dachte sie verstört und blickte nach oben, wo noch immer das Wasser auf sich warten ließ. Plötzlich drang Dampf aus den nadelfeinen Öffnungen und hüllte sie in Sekundenschnelle ein. Er war glitschig und klebrig und brannte auf der Haut. Rasch wollte sie den Wasserhahn schließen, doch er klemmte, und der Dampf strömte ungehindert weiter. Sie stieg aus dem kleinen Auffangbecken und glitt auf dem gefliesten Boden aus. Hart schlug sie mit dem Kopf gegen das Waschbecken. Auch hier floß kein Wasser mehr. Wie aus der Dusche quoll Dampf aus der Armatur, der sich schwärzlich verfärbte und zu einem grausigen Gebilde formte. Sybilla drohte das Herz stehenzubleiben. War das nicht eine Frauengestalt, die dort auf sie zuschlingerte? Aber was für eine! Sie sah den Inbegriff der Häßlichkeit vor sich. Fürchterliche weiße Quellaugen, ein blutiger, zahnloser Mund, lange, weißgelbe Haare, darüber ein spitzer Hut aus rotem Material mit seltsamen Symbolen. Krallenartige Finger griffen nach ihr. Unheimliches Gekicher verfolgte sie, als sie der Bedrohung ausweichen wollte. Da sah sie, daß auch der Dampf aus der Dusche festere Formen angenommen hatte. Auch aus ihm war eine garstige Frau geworden, die an Abscheulichkeit der anderen nicht nachstand, wenn sie auch völlig anders aussah. Das war keine Einbildung eines überstrapazierten Gehirns. Das alles war grausige Wirklichkeit. Die beiden Scheusale kamen, um die Prophezeiung der Tauben zu erfüllen. Sie wollten sie töten. Sybilla Cordes schrie auf. Sie wollte um Hilfe rufen. Vielleicht hörte sie jemand, obwohl die Nachbarn um diese
Zeit fast alle in den Büros und Geschäften arbeiteten. Das Geräusch, das sich ihrer Kehle entrang, war auch weniger ein Schrei als ein Stöhnen. Sie wollte fliehen. Ihre Füße versagten ihr den Dienst. Sie brach auf der Stelle zusammen. »Warum?« jammerte sie. »Warum muß ich sterben?« »Du hast unseren Todfeind gerufen«, keifte die eine. »Das war eine schlimme Tat, die wir rächen müssen.« »Aber George, warum habt ihr George getötet?« »Haben wir das wirklich?« Die Hexe mit dem spitzen Hut ließ ein durchdringendes Lachen hören. »Zerbrich dir darüber nicht dein hübsches Köpfchen. Es lohnt sich nicht mehr. Du hast Strafe verdient, und die wirst du jetzt erhalten.« »Nein!« Bebend wich Sybilla vor den Spukerscheinungen zurück. Konnte sie denn gar nichts tun? Sie mußte sich wehren, wenn ihr schon nicht die Flucht gelang. Vielleicht kam inzwischen Gordon Black und stand ihr in ihrer Not bei. Als Waffe entdeckte sie nur die schwere Kristallflasche mit dem Badesalz. Sie griff danach und schleuderte sie der ersten Angreiferin an den Kopf. Das Geschoß prallte an der Hexe ab und traf den Spiegel, der in tausend winzige Splitter zerbarst. Triumphierendes Gelächter der beiden Verbündeten war die Quittung. Sybillas Hoffnung sank auf den Nullpunkt. Sie begriff, daß sie keine Chance gegen die Unheimlichen besaß. Die Hexen waren sich ihres Sieges sicher, denn sie hatten es nicht besonders eilig. Das Bad hatte kein Fenster, sonst hätte Sybilla versucht, sich durch einen tollkühnen Sprung zu retten. Sie mußte das angrenzende Zimmer erreichen. Vielleicht gelang es ihr, die Dämonen zu täuschen. »Wenn es schon sein muß«, klagte sie, »dann möchte ich wenigstens auf meinem Bett sterben. Erlaubt ihr das?«
»Nichts dagegen«, kam es krächzend. Sybilla schöpfte neue Hoffnung. Sie wankte zur Tür und stieß sie auf. Aber dahinter befand sich nicht ihr Schlafzimmer. Da war nichts, absolute Leere. Sie erhielt einen groben Stoß und fiel in das Unendliche hinein. Sie stürzte und hörte hinter sich das Gekicher der Hexen. Irgendwann mußte der unvermeidliche Aufprall kommen. Er würde sie zerschmettern, dann war endlich alles überstanden. *** Gordon Black zögerte nicht. Er beugte sich zu Hanako Kamara hinüber und zog sie auf seine Seite. Die Asiatin war zierlich und nicht sehr schwer. Es gelang ohne Schwierigkeiten. Er war auch noch geistesgegenwärtig genug, den kleinen Lederkoffer zu ergreifen, der auf der hinteren Bank lag, und in dem sich der größte Teil der Dämonenwaffen befand. Der Verlust wäre unersetzlich gewesen. Gordon ließ sich mit Hanako und dem Handkoffer aus dem brennenden Fahrzeug fallen. Sofort riß er die Asiatin in die Höhe und rannte mit ihr los. Plötzlich war der Handkoffer nicht mehr da. Gordon merkte, daß seine rechte Hand leer war. Weit kamen sie nicht. Das Feuer hatte den Treibstofftank erreicht. Ein ohrenbetäubender Knall und eine gewaltige Stichflamme zeigten die Explosion an. Der Druck schleuderte sie in einen Graben. »Bist du okay?« erkundigte sich der Geisterjäger besorgt. »Der Koffer ist weg«, stammelte die zierliche Frau. »Er wurde dir aus der Hand gerissen. Ich hab’s gesehen.« »Schlimm, aber dein Leben ist wichtiger.« »Da war ein Dämon dicht bei uns, ich habe seine Nähe gespürt. Wahrscheinlich hatte er es auf den Koffer abgesehen.«
Hanako befühlte die Beule an ihrem Kopf. Statt einer Antwort sprang Gordon Black auf und stürzte auf eine Erdspalte zu, in der gerade etwas Schwarzes versank. Auch Hanako sah es und eilte ihm zu Hilfe. Es war der Koffer. Er verschwand vor ihren Augen. Doch Gordon war für den Notfall gewappnet. Dicht neben dem Koffer, von dem kaum noch etwas zu erkennen war, stieß er ein handtellergroßes Kruzifix in den Boden. Ein dumpfes Aufheulen antwortete dieser Aktion. Gordon wurde von etwas Glühendem am Hinterkopf getroffen. Seine Haare versengten. Es stank bestialisch. »Verfluchte Teufelskreatur!« schimpfte er und verteidigte sich mit den bloßen Händen gegen einen unsichtbaren Gegner. Er schlug in offenes Feuer. Hanako murmelte halblaute Beschwörungen. Sie war nicht nur eine aufregende Frau, sondern vor allem eine große Magierin. Sie kannte viele Formeln und Praktiken, die von den Dämonen gefürchtet wurden. So auch diesmal. Der Angreifer wurde zumindest von dem Geisterjäger für einen Moment abgelenkt, und Gordon gelang es, mit der Linken den Koffer aus der Erdspalte zu reißen und mit der Rechten das Kreuz zu packen und damit einen Kreis um sich und Hanako zu ziehen. Die Erde erzitterte. Es war, als stampfte ihr Widersacher vor Wut mit dem Fuß auf. Aber es nützte ihm nichts. Er mußte seine Beute hergeben. Der Koffer blieb im Besitz des Geisterjägers. Erschöpft sahen sich Gordon und Hanako an. Der kurze, aber heftige Kampf hatte erhebliche Kraft gekostet. Wenn sie noch Zweifel gehabt hatten, so wußten sie jetzt, daß sie in Carnwath das Äußerste würden leisten müssen, um den finsteren Mächten nicht zu unterliegen. Hanako deutete auf den brennenden Bentley. »Da siehst du
mein neues Kleid den Weg alles Irdischen gehen. Das ganze Gepäck ist beim Teufel. Das verzeihe ich den Halunken nie, wer immer sie sein mögen.« Gordon Black kehrte an die Unfallstelle zurück. Der aufgefahrene Volvo hatte einen weit geringeren Schaden davongetragen. Zwar war seine vordere Partie verbeult, aber eine gute Werkstatt würde ihn wieder zurechtbiegen. Vor allem war keiner der drei Insassen zu Schaden gekommen. Die drei, es handelte sich um einen fünfzigjährigen Mann und zwei Frauen ähnlichen Alters, eilten auf den Geisterjäger zu und versicherten lautstark, daß der verdammte Qualm an allem schuld gewesen sei. »Mein Mann ist ein sicherer und rücksichtsvoller Fahrer«, beteuerte eine der Frauen immer wieder und war den Tränen nahe. »Das Zeug kam so plötzlich. Keiner von uns hat mehr etwas gesehen. Und jetzt ist es verschwunden.« »So etwas habe ich noch nie erlebt«, murmelte der Mann. Er war kalkweiß und zitterte. »Sie müssen es doch auch gesehen haben, Mister. Ich habe nicht getrunken, das schwöre ich Ihnen. Am Steuer trinke ich nie, aber jetzt könnte ich einen Schluck vertragen.« Ein Streifenwagen kam auf der Gegenfahrbahn heran und stoppte. Die Beamten nahmen den Unfallhergang auf und machten keinen Hehl daraus, daß sie der Darstellung wenig Glauben schenkten. An Ort und Stelle wurde mit allen Beteiligten ein Alkoholtest durchgeführt, der zu ihrer Überraschung negativ verlief. Sie informierten über Funk einen Abschleppdienst und willigten ein, Hanako und Gordon in die Stadt mitzunehmen. Die beiden waren darüber sehr froh, denn sie vermuteten, daß Sybilla Cordes schon voller Ungeduld auf sie wartete.
*** Sie ahnten nichts Gutes, als sie vor dem Haus standen, dessen Adresse ihnen von Doc Billway angegeben worden war. »Ich spüre sie wieder«, verkündete die Asiatin und ging in Abwehrstellung. »Sie befinden sich ganz in der Nähe oder waren zumindest hier. Die Strahlung, die sie oft hinterlassen, hält sich tagelang.« Gordon Black stemmte sich gegen den Klingelknopf. Hanakos Bemerkung beunruhigte ihn. Wenn sich die Dämonen hier herumgetrieben hatten, dann mußte ihr Interesse Sybilla Cordes gelten. Kamen sie etwa zu spät? War ein weiterer Mord erfolgt? »Miss Cordes!« rief er laut, als sich nichts rührte. »Machen Sie bitte auf. Ich bin es, Cordon Black.« Als wieder keine Antwort kam, blickte er seine Begleiterin entschlossen an. »Wir müssen die Tür aufbrechen. Ich fürchte, es ist etwas Schreckliches geschehen.« Hanako nickte. Sie nahm ihm den Koffer ab, den er getragen hatte. Da hörte sie etwas. »Halt!« rief sie und hob die Hand. Gordon Black konnte nicht mehr abbremsen. Mit aller Kraft drückte er gegen die Tür. Plötzlich war dort eine Öffnung, weil in diesem Moment die Tür zurückschwang und ihn ungehindert passieren ließ. Er fiel halb ins Haus und riß eine erschrockene Frau mit sich fort. Gerade konnte er noch verhindern, daß sie beide niederstürzten. »Tut mir leid«, murmelte er. »Normalerweise betrete ich nicht auf diese Art ein fremdes Haus.« »Mister Black?« fragte die Frau hoffnungsvoll. »So ist es, und das ist Miss Kamara, meine Mitarbeiterin.« »Sybilla Cordes«, stellte sich die Frau in Schwarz vor. »Ich bin so froh, daß Sie gekommen sind.« »Ich habe Sie erschreckt«, sagte Gordon Black. Die Frau
sah gespenstisch weiß aus. »Ich muß mich nochmals entschuldigen.« Sybilla Gordes schüttelte matt den Kopf. »Machen Sie sich keine Gedanken, Mister Black. Meine schlechte Verfassung ist nicht Ihrem Überfall zuzuschreiben. Ich habe Fürchterliches hinter mir. Es fällt mir selbst schwer, es zu glauben.« »Doktor Billway hat mich in groben Zügen über die Geschehnisse informiert. Seien Sie unseres Mitgefühls gewiß. Es ist nur zu verständlich, daß der plötzlich Tod Ihres Verlobten Sie ein wenig aus der Bahn geworfen hat.« »Natürlich«, antwortete die junge Frau. Ihre Augen glänzten feucht. »Aber inzwischen ist so viel passiert, daß ich allmählich an meinem Verstand zweifle. Ich glaubte, ich würde das nicht überleben.« Sie folgen Sybilla Cordes ins Haus, und auch hier wurde Hanako das ungute Gefühl nicht los, das sie häufig dann beschlich, wenn sie Geisterkontakt aufnahm. Sie setzten sich, und Sybilla Cordes bot ihnen einen Drink an. »Machen Sie sich bitte keine Umstände«, bat Gordon Black. »Erzählen Sie uns lieber, was Sie erlebt haben.« Sybilla Cordes begann stockend. Sie berichtete von der Begegnung mit den sprechenden Tauben im Stirling Park, vergaß nicht ihre Todesdrohung und kam danach zu dem Besuch der beiden aus Dampf geborenen Frauengestalten, die ihr ans Leben wollten. »Ich war sicher, daß mein letztes Stündchen geschlagen hatte. Ich stürzte. Wahrscheinlich verlor ich nur das Bewußtsein, denn als ich wieder zu mir kam, war ich unverletzt. Ich begreife nicht, daß die beiden ihre Drohung nicht wahr gemacht haben.« »Vielleicht wurden sie durch unser Erscheinen vertrieben«, meinte der Geisterjäger. »Das wäre denkbar. Jedenfalls fühle ich mich jetzt
wesentlich sicherer. Vielleicht habe ich mir das alles auch nur eingebildet.« »Dürfen wir uns in Ihren Räumen ein wenig umsehen?« fragte Gordon Black. »Selbstverständlich. Sie können über das ganze Haus verfügen. Am liebsten wäre es mir, wenn Sie sich hier einquartierten. Leider könnte ich Ihnen nur ein einziges Zimmer zur Verfügung stellen.« Gordon Black wollte sich hierzu erst nach Besichtigung der Räumlichkeiten äußern. Prinzipiell war auch er dafür, die Frau ständig in der Nähe zu haben, um sie gegebenenfalls schützen zu können. Andererseits sagte er sich, daß sie selten hier im Haus sein würden, wenn sie den Mord an George Harris aufklären wollten, und außerdem würden die Dämonen immer eine Möglichkeit finden, sich Sybilla Cordes zu nähern. Er fragte sich, ob tatsächlich ihr Aufkreuzen der Grund dafür war, daß die Frau verschont geblieben war. So ganz konnte er das nicht glauben. Als Sybilla bewußtlos wurde, war sie nackt gewesen, denn sie hatte ja duschen wollen. Doch nach eigener Aussage trug sie ihre Kleidung, als sie wieder zu sich kam und durch den Lärm an der Tür ihre Erinnerung zurückkehrte. Dazwischen mußte also etwas geschehen sein! War es möglich, daß die Dämonen auf ihren Tod keinen Wert mehr legten, weil sie das Erscheinen des Geisterjägers damit doch nicht mehr verhindern konnten? Oder hatten sie noch etwas Bestimmtes mit ihr vor? Gordon Black öffnete die Tür zum Bad. Er drehte sämtliche Wasserhähne auf, und gehorsam spien sie Wasser aus. »Sagten Sie nicht, der Spiegel wäre zerbrochen?« rief er. »In tausend Stücke«, bestätigte Sybilla Cordes. »Er ist unversehrt, und auch von einer Badesalzflasche kann
ich nichts entdecken.« »Aber das ist doch…« Sybilla Cordes kam ins Bad und blieb verblüfft stehen. »Sie müssen mich für verrückt oder überspannt halten«, sagte sie leise. »Durchaus nicht«, beteuerte der Geisterjäger. »Hanako und ich haben schon viel Unerklärliches erlebt. Das menschliche Vorstellungsvermögen versagt dort, wo das dämonische Wirken beginnt. Uns gegenüber brauchen Sie keine Hemmungen zu haben. Sagen Sie uns alles, was Sie bedrückt oder was Sie erlebt haben. Ich möchte mir jetzt die anderen Räume ansehen. Inzwischen wird sich Hanako mit Ihnen unterhalten.« Die beiden Frauen kehrten ins Wohnzimmer zurück, während Gordon Black einen Rundgang durch das Haus antrat. Er gelang zu der Überzeugung, daß es nicht gut war, wenn sie auf Sybilla Cordes’ Vorschlag eingingen und hier wohnten. Der zeitweise besseren Möglichkeit, die Frau zu schützen, stand eine gewaltige zusätzliche Gefährdung gegenüber. Die Dämonen waren zweifellos an Hanako und ihm stärker interessiert als an Sybilla. Er würde also die Angreifer in ihr Haus ziehen, anstatt sie davon fernzuhalten. Er gab der Frau eindringliche Verhaltensmaßregeln und erklärte ihr die Beweggründe für seine Entschluß. »Das sehe ich ein«, erklärte sie. »Im Grunde ist mir das Leben auch gar nicht mehr so wichtig. George ist tot.« »Das dürfen Sie nicht sagen«, mahnte der Geisterjäger. Dann ließ er sich alles über jene Laurina erzählen, was Sybilla Cordes von ihr wußte. »Außer ihrem Namen nichts, Mister Black. Ich möchte auch nicht so weit gehen und behaupten, daß sie etwas mit Georges Tod zu tun hat.« »Waren Sie eigentlich sehr eifersüchtig, als George noch lebte?« fragte Hanako Kamara unvermittelt. Sybilla Cordes sah sie befremdet an, bevor sie erklärte:
»Manche Leute sagen, Liebe ohne Vertrauen sei eine Kränkung. Ich finde, Liebe ohne Eifersucht ist Gleichgültigkeit. Ich wäre sicher eifersüchtig gewesen, aber George gab mir nie einen Anlaß dazu.« »Eifersüchtige suchen sich ihren Anlaß selbst«, fand Hanako. Danach verließ sie dieses Thema. Sie machte sich nur ihre Gedanken, über die sie erst noch Klarheit gewinnen mußte. Gemeinsam fuhren sie anschließend zu George Harris’ Wohnung, zu der Sybilla Cordes noch einen Schlüssel besaß. Auch hier war ganz deutlich zu spüren, daß dämonische Umtriebe stattgefunden hatten. Es handelte sich hierbei um Empfindungen, die einer Beweisaufnahme vor Gericht natürlich nicht standgehalten hätten. Doch Gordon und Hanako deuteten die Signale richtig. »Soviel steht fest«, sagte Gordon Black. »An einer Krankheit, und sei sie noch so rätselhaft und unerforscht, ist er nicht gestorben. Noch jetzt kann man fühlen, daß eine Macht der Nebelwelt hier gewesen sein muß.« Sybilla Cordes schüttelte sich. »Ich fühle nichts«, gestand sie zaghaft. Gordon und Hanako sahen sich gründlich in der Wohnung des Toten um. Im Wohnzimmer waren noch immer Blutspuren zu sehen, obwohl Mrs. Smith, die Haushälterin, inzwischen gründlich geputzt hatte. »Wer fand den Toten?« wollte der Geisterjäger wissen. »Ich«, sagte Sybilla Cordes. »Er sah furchtbar aus. Als hätte er etwas Entsetzliches erlebt, und nach allem, was mir heute widerfahren ist, kann ich das gut verstehen.« »Sie sprachen von zwei Frauengestalten, die Sie uns auch ausgezeichnet beschrieben haben. Anscheinend handelt es sich um Hexen. Eine von ihnen ist möglicherweise jene Laurina, deren Namen Ihr Verlobter am Telefon genannt hat.« »Das kann ich mir nicht vorstellen, Mister Black. Die
Frauen sahen dermaßen abscheulich aus, daß George zweifellos einen Hilferuf ins Telefon geschrien hätte, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Er hauchte den Namen so verzückt, als handelte es sich um ein himmlisches Geschöpf.« Gordon Black nickte. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Zimmer zu und hoffte, irgendeinen Anknüpfungspunkt für seine Tätigkeit zu finden. Hanako nahm den unterbrochenen Gesprächsfaden auf, als sie sagte: »Sie erzählten etwas von einem Blumenstrauß, der Ihnen unheimlich vorgekommen sei.« »Richtig. Ich liebe Blumen. Nur blaue Tulpen finde ich irgendwie gespenstisch. Sie kommen mir so unnatürlich vor. Es handelt sich um eine Züchterlaune, bei der der Natur Zwang angetan wurde. George wußte von meiner Abneigung gegen diese Art. Ich begreife nicht, daß er ausgerechnet sie für meinen Brautstrauß gewählt hat.« »Aus welchem Geschäft stammten sie?« »Das weiß ich nicht mit Sicherheit, aber ich nehme an, daß er sie bei Brown & Brown bestellt hat. Das Geschäft befindet sich fast um die Ecke.« Hanako war noch nicht zufrieden. »Hat Ihnen George eigentlich immer alles erzählt? Ich meine, hatten Sie in wirklich allen Dingen sein Vertrauen?« Sybilla Cordes zog ihre Stirn in Falten. »Sie spielen auf andere Frauen an?« »Ich meine nicht nur das, sondern auch seine Gesundheit, finanzielle Fragen, eben alles, was zum Leben gehört. Natürlich auch seine Bekannten.« Die Frau mit den rötlich schimmernden Haaren sah die andere unwillig an. »Wenn wir uns nicht gegenseitig vertraut hätten, wären wir wohl nicht auf die Idee gekommen, zu heiraten«, erwiderte sie. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.« »Nur in den seltensten Fällen geschieht ein Verbrechen ohne
jedes Motiv«, erklärte die Asiatin besänftigend. »Ein Raubmord scheidet aus, falls sich nicht ein okkulter Gegenstand im Besitz Ihres Verlobten befunden hat, der jetzt verschwunden ist.« »Das wüßte ich«, behauptete Sybilla Cordes. »Also warum gerade er? Es muß einen Grund geben, und ich hatte gehofft, Sie könnten uns bei der Suche helfen.« »Wenn Sie mir nicht glauben, können Sie sich ja bei Georges Arzt erkundigen«, meinte die Rothaarige mit leichter Verärgerung. »Doc Billway?« Sybilla Cordes nickte wortlos. »Das haben wir ohnehin vor«, sagte Gordon Black, der die Durchsuchung der Wohnung ergebnislos abgeschloßen hatte. »Wir müssen jeder Spur nachgehen. Zuerst werden wir das Blumengeschäft aufsuchen.« Sybilla Cordes begleitete sie zu Brown & Brown. Der Geschäftsinhaber erinnerte sich genau an die Bestellung, die erst wenige Tage her war. »Ein Biedermeierstrauß«, sagte er spontan. »Er wurde pünktlich geliefert. Mabel führte den Auftrag aus.« »Mabel? Sind Sie sicher? War es nicht Laurina?« Der grauhaarige Mann sah den Geisterjäger verdutzt an. »Wie kommen Sie darauf? Ich beschäftige kein Mädchen, das Laurina heißt. Im übrigen können Sie Mabel selbst fragen. Sie wird sich erinnern. Irgend etwas muß bei Mister Harris geschehen sein. Sie war ziemlich verstört, als sie zurückkam. Mabel ist ein hübsches Ding. Vielleicht hat er versucht – äh – ich meine, es könnte doch sein, daß er ihr zu nahe…« »Was fällt Ihnen ein?« zürnte Sybilla Cordes. »Wie können Sie so über einen Toten reden?« Der Mann wurde verlegen. »Tut mir schrecklich leid. Ich rufe besser Mabel.« Mabel war wirklich ausgesprochen niedlich. Zum Teil war
das ihre Natur, zum anderen Teil ihre Masche. Sie wußte genau, wie sie auf Männer wirkte. Auf den bewußten Auftrag angesprochen, wurde sie bleich. Ihre braunen Augen begannen zu flackern. Sie würgte an einer Antwort, brachte jedoch kein Wort hervor. Hanako beruhigte das Mädchen. »Sie brauchen keine Angst zu haben«, versicherte sie freundlich. »Sagen Sie uns nur, wem Sie die Blumen ausgehändigt haben.« »Mister Harris natürlich.« Es war deutlich zu merken, daß sie log. Hanako sagte es ihr auf den Kopf zu. Da begann Mabel zu schluchzen. »Es war so unheimlich. Ich dachte, ich werde wahnsinnig. Plötzlich stand sie vor mir. Sie nahm mir den Strauß aus der Hand und sagte, das ginge schon in Ordnung. Ich wollte ihr die Blumen nicht lassen, aber sie sah mich so drohend an, daß ich fast den Verstand verlor. Ich konnte mich auch gar nicht mehr bewegen. Ich war am ganzen Körper gelähmt. Erst als sie verschwunden war, kam ich wieder zu mir.« »Und was taten Sie?« »Ich ging zurück ins Geschäft und behauptete, den Auftrag korrekt ausgeführt zu haben. Irgend etwas in mir warnte mich, die Wahrheit zu sagen. Wer hätte sie mir auch geglaubt?« Mister Brown war empört. »Natürlich sind Sie fristlos entlassen!« fauchte er. Gordon Black bat, von der Kündigung Abstand zu nehmen. Er erklärte den Vorfall mit Hypnose, an der Mabel keine Schuld trug. Der Geschäftsinhaber ließ sich überreden, aber sein Blick blieb wachsam und sein Wesen mißtrauisch. Dann wandte sich Gordon an Mabel, die noch immer weinte. »Wie sah die Fremde aus? Können Sie sie beschreiben? Würden Sie sie wiedererkennen?« »Unter Tausenden, Sir. Ich habe noch nie eine so schöne Frau gesehen, die gleichzeitig eine derartige Kälte ausstrahlt.
Nicht mal im Fernsehen. Schwarze Haare hatte sie. Ungefähr so lang.« Sie zeigte auf ihre Schultern. »Sie trug ein dunkles Kleid. Ich denke, es war schwarz. Auch ihre Augen waren schwarz. Sie glühten förmlich, und ihr Mund besaß einen höhnischen Ausdruck.« »Sonst fiel Ihnen nichts auf?« Mabel schüttelte den Kopf. »Höchstens ihre Stimme. Sie klirrte wie Eis. Noch jetzt klingt sie mir in den Ohren.« »Es ist gut, Mabel«, sagte Brown, nachdem ihm Gordon Black zugenickt hatte. »Sie dürfen gehen. Falls Sie die Frau wiedersehen, sagen Sie mir sofort Bescheid.« »Gewiß, Mister Brown. Danke, Mister Brown. Aber ich hoffe, daß ich dieser Hexe nie wieder begegne.« Als sie das Geschäft verließen, war ihnen klar, daß sie eben eine Beschreibung von Laurina erhalten hatten. Sie mußte eine Dämonin sein, vielleicht auch ein Vampir. Dafür sprach der absolute Blutverlust des Toten. Sybilla Cordes fuhr mit ihrem Wagen nach Hause. Hanako Kamara und Gordon Black nahmen ein Taxi, um zu Doc Billway zu fahren. Sie hofften, daß er ihnen weitere Aufschlüsse über den Ermordeten geben konnte. »Irgend etwas verschweigt sie uns, Gordon. Ich fühle es, und mein Gefühl hat mich noch selten getäuscht«, sagte Hanako unterwegs. Ihre Stimme drückte ihre Beklemmung aus. *** Der Arzt blickte auf die Uhr. Er war rechtschaffen müde. Immerhin hatte er einen anstrengenden Tag hinter sich. Die Grippe grassierte. Sein Wartezimmer war die ganze Zeit überfüllt gewesen. Jetzt endlich konnte er an den Feierabend denken. Noch zwei Patienten, dann hatte er es geschafft. Er drückte auf den Knopf, und im Vorzimmer erhob sich
Denise, seine Sprechstundenhilfe, und zwitscherte ihr: »Der Nächste, bitte!« durch die Tür ins Wartezimmer. Der junge Mann starrte sie mit fiebrigen Augen an, reagierte aber nicht. Auch ein Opfer der Grippe. Die Blondine neben ihm erhob sich und trippelte an Denise vorbei in den Behandlungsraum. Doc Billway griff schon zum Rezeptblock, um die üblichen Medikamente zu verschreiben, als seine Hand, die den Kugelschreiber hielt, zu zittern begann. Donnerwetter! Während seiner langjährigen Praxis hatte er schon viel gesehen. Er kannte jeden Frauentyp bis in die intimsten Bereiche, und kein einziges mal war ihm während einer Untersuchung ein Gedanke gekommen, der für einen Mediziner unangebracht war. Aber diese Frau, die tänzelnd und lächelnd auf ihn zukam, ließ ihn sein Alter und seinen Beruf vergessen. Er erhob sich und ging auf die Patientin zu. »Machen Sie sich bitte frei«, sagte er mechanisch. Die Blondine blickte ihn unentwegt an, während sie ihren seitlichen Reißverschluß herunterzog. Er klemmte. Doc Billway war helfend zur Stelle. Nervös zerrte er an dem störrischen Verschluß und zerriß den dünnen Stoff, der ihren Körper bedeckte. Weiß schimmernde Haut kam zum Vorschein. Der Arzt handelte wie im Traum. Er befühlte den weichen Körper, wobei er keiner Untersuchungskommission hätte weismachen können, daß es sich hierbei um eine medizinische Methode handelte. Seine Erregung wuchs, und die Frau ließ sich alles gefallen, ja, sie kam ihm sogar entgegen und schenkte ihm ihr verführerischstes Lächeln. »Ich fürchte«, sagte sie betörend, »du bist es, der krank ist. Ich glaube, daß ich die richtige Medizin für dich habe.« »Gib sie mir!« bat der Arzt verwirrt.
Sie hob die Arme und begann, seinen Kittel aufzuknöpfen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer törichten Maske. Er griff nach ihr, und sie entzog sich ihm nicht. Doc Billway war ein alter Mann. Die Sprechstundenhilfe Denise hielt ihn für jenseits von gut und böse, denn obwohl auch sie allerhand Weibliches zu bieten hatte, hatte er noch nie zu erkennen gegeben, daß er eine Frau in ihr sah. Doch die Blondine in seinen Armen verwandelte ihn. Und wenn er auf der Stelle sterben mußte, er wollte sie besitzen. Ihre weichen Lippen näherten sich ihm. Er fühlte sich plötzlich wie ein Jüngling. Irgend etwas mußte an ihm sein, wenn ihm diese Traumfrau ihre Gunst schenkte. Er spürte den verlangenden Mund mit dem heißen Atem, der alles zu verbrennen schien. Sein Blut begann zu kochen. Er hielt es nicht mehr aus. Mit einem Aufschrei riß er sich Jacke und Hemd vom Leib. Halbnackt stand er vor ihr. Da warf sie sich mit einem höhnischen Auflachen über ihn, und das Letzte, was er fühlte, war der saugende Biß ihrer Perlenzähne. Es dauerte nur kurze Zeit, dann fiel sein schlaffer Körper auf den Schreibtisch zurück. Er landete genau auf dem Klingelknopf, und während die Blondine den Raum verließ, bat Denise den letzten Patienten zur Untersuchung. Sein fiebriger Blick hatte sich noch nicht verändert. Er reagierte auch nicht auf ihre Aufforderung. Er saß nur einfach da und starrte das Mädchen an, dem unheimlich zumute wurde. »Bitte kommen Sie!« bat es eindringlich. »Es ist schon spät. Wir wollen Feierabend machen.« Der Mann dachte nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Denise spürte eine Gänsehaut. Wie der Bursche sie anglotzte! Wer weiß, was in seinem Kopf vorging! Sie dachte nicht daran, sich mit ihm herumzuärgern. Entschlossen öffnete sie die Tür zum Behandlungsraum. Sollte
sich doch Billway um den widerspenstigen Patienten kümmern! Denise stieß einen spitzen Schrei aus, als sie den halb entblößten, blutenden Doc auf dem Schreibtisch liegen sah. Sie stürzte ins Wartezimmer zurück und rüttelte den Mann. »Kommen Sie schnell! Etwas Furchtbares ist passiert. Der Doktor…« Ein zweiter Entsetzensschrei entrang sich ihrer Kehle. Der Mann mit dem fiebrigen Blick kippte vom Stuhl und blieb bewegungslos liegen. Jetzt begriff sie, warum er sie so gespenstisch angestarrt hatte. Sie mußte Hilfe holen! Mit jagendem Puls stürzte sie zur Eingangstür und riß sie auf. Sie prallte zurück und schrie zum drittenmal. Danach sank sie wimmernd zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. *** Gordon Black reagierte zu spät, um das Mädchen aufzufangen. Er bückte sich rasch, löste damit aber nur einen weiteren Schrei aus. Nur langsam gelang es ihm, das verstörte Mädchen ein wenig zu beruhigen. »Du hättest mir schon längst sagen müssen, daß ich auf hübsche Mädchen wie ein grauenvolles Monster wirke«, tadelte er Hanako, die hinter ihm stand und ebenfalls ratlos war. »Mir ist das selbst noch nicht aufgefallen«, gab die Halbjapanerin zurück, und mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Das liegt aber wohl nur daran, weil ich den ständigen Umgang mit Scheusalen gewöhnt bin. Da kann mich so leicht nichts mehr entsetzen. Nicht mal du.« Denise stammelte wirres Zeug. Der Geisterjäger verstand nur ein paar Brocken. Die allerdings alarmierten ihn. Er ließ die Sprechstundenhilfe in Hanakos Obhut und
stürmte in die Praxis. Er fand zwei Menschen, und beide waren tot. Betroffen kehrte er zu den Frauen zurück. Er führte Denise in den Bestrahlungsraum. Dort konnte sie sich hinlegen. Gordon Black rief die Polizei an und bat, einen Arzt mitzubringen, obwohl er sicher war, daß es hier nichts mehr zu retten gab. Dann begann er, Denise behutsam nach den jüngsten Geschehnissen auszufragen. Das Ergebnis war zunächst mager. Das Mädchen war völlig durcheinander, und wenn nicht Billways nackter Oberkörper gewesen wäre, hätte sie an einen natürlichen Tod geglaubt. »Er hat sich ausgezogen«, stammelte sie immer wieder. »Wieso hat er sich ausgezogen? Er hatte doch noch Patienten.« Das war für den Geisterjäger das Stichwort. »Wer war zuletzt bei ihm?« wollte er wissen. »Eine Frau, die noch nie bei uns in der Praxis war. Ich mußte eine neue Karteikarte für sie anlegen.« »Die möchte ich sehen.« Denise wehrte erschrocken ab. »Das darf ich nicht tun, Sir. Unsere Patienten haben Anspruch auf unsere Schweigepflicht.« »Und der Doc hat Anspruch, daß sein Tod geklärt und gesühnt wird«, konterte Gordon Black. »Der Polizei werden Sie ohnehin sämtliche Auskünfte geben müssen.« »Sind Sie von der Polizei?« »Nein«, gab der Geisterjäger wahrheitsgemäß zu. »Ich arbeite nur manchmal mit ihr zusammen. Ich hoffe, daß das auch diesmal möglich sein wird.« Sein Wunsch hatte Aussicht auf Erfüllung. Ein Inspektor Leverty, der wenig später mit seiner Mannschaft anrückte, zeigte sich den Vermutungen des Geisterjägers gegenüber erstaunlich aufgeschlossen. »Ich habe schon häufig von diesen Dingen gehört«, räumte er ein. »Allerdings glaubte ich, daß sich dämonische
Aktivitäten auf den asiatischen, orientalischen und europäischen Raum beschränken. Nie hätte ich für möglich gehalten, daß ich ihnen in unserem Land begegnen könnte. Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher, Mister Black?« »Nur, was die Tatsache betrifft, daß es sich um übernatürliche Angriffe handelt. Über die Schuldigen selbst besteht leider noch nicht die geringste Klarheit. Dazu müßte ich zum Beispiel Einblick in eine bestimmte Karteikarte nehmen, was mir die Sprechstundenhilfe nicht gestatten möchte.« Denise winkte apathisch ab. »Das hat sich erledigt«, meinte sie. »Erledigt? Sie haben also Ihre Meinung geändert?« »Das schon, aber ich kann die verflixte Karte nicht finden. Dabei könnte ich schwören, daß ich sie noch nicht eingeordnet habe, sondern sie auf meinem Schreibtisch liegen ließ. Aber jetzt ist sie nicht mehr da.« »Wer konnte an Ihren Tisch heran?« erkundigte sich der Inspektor eifrig. »Niemand. Nur Mister Black, als er Sie anrief.« Gordon lächelte süßsauer. »Den Verdacht können Sie vergessen«, sagte er. »Ich hätte die Karte gesehen. Es war keine da.« »Also weggehext«, stellte Leverty sarkastisch fest. »Verzaubert, wie?« Gordon Black erinnerte ihn daran, daß das Verschwinden der Karte nicht das einzig Unerklärliche bleiben würde. Immerhin waren zwei Männer in unterschiedlichen Räumen fast zur gleichen Zeit getötet und um ihr Blut erleichtert worden. Nach seiner Überzeugung kam nur jene Patientin als Täterin dafür in Frage, die sich zuletzt bei dem Doc aufgehalten und davor neben dem jungen Mann im Wartezimmer gesessen hatte.
»Die Karte brauchen wir nicht unbedingt«, fand er. »Sicher können Sie uns die Frau einigermaßen beschreiben. Ich nehme an, daß sie schwarze Haare hatte und…« »Sie war blond«, unterbrach ihn Denise. »Blond?« wunderte sich der Geisterjäger. »Irren Sie sich auch nicht?« »Ich bin ganz sicher, denn ein so herrliches Blond habe ich zuvor noch nie gesehen.« Hanako Kamara murmelte etwas von gefärbten Haaren und Perücken, aber die Sprechstundenhilfe beharrte darauf, daß sie einen Kunstgriff erkannt hätte. Gordon Black ritt nicht länger auf diesem Thema herum. Für eine Dämonin stellte das Wechseln der Haarfarbe kein Problem dar. Zweifellos war sie imstande, ihr Aussehen immer wieder zu verändern. Das vereinfachte die Suche nach ihr natürlich nicht. »An ihren Namen werden Sie sich sicher noch erinnern können«, forschte er. Denise überlegte. Dann bedauerte sie. »Ich habe so viele Namen im Kopf. Ich kann mich leider nicht mehr besinnen.« »Denken Sie nach!« verlangte Inspektor Leverty. »Ich weiß nicht. Es ist, als würde ein Nebel auf meinem Gedächtnis liegen. Ich glaube, es klang wie Laura.« »Laurina?« fragte die Asiatin schnell. Denise schien aus einem tiefen Traum zu erwachen. »Ja, so hieß sie. Aber den Familiennamen weiß ich beim besten Willen nicht mehr.« Leverty zog die Augenbrauen zusammen. »Ihnen ist diese Laurina bekannt?« fragte er überrascht. »Durch einen Mordfall, den einer Ihrer Kollegen irrtümlich zu den Akten gelegt hat«, erklärte Gordon Black. »Um wen handelt es sich?« »Der Tote hieß George Harris.« Der Inspektor erinnerte sich. »Das hat Quarmby bearbeitet.
Stimmt, der Junge glaubt nur das, was er sieht, aber sonst ist er ein tüchtiger Polizist. Ich werde dafür sorgen, daß die Akte herausgesucht wird.« »Danke, Inspektor. Ich muß Ihnen sagen, daß Doc Billway der Arzt von George Harris war. Ich finde es eigenartig, daß er ausgerechnet zu einem Zeitpunkt ermordet wurde, als wir uns mit ihm unterhalten wollten, und zwar über den Toten. Der Dämon wollte anscheinend verhindern, daß wir etwas Bestimmtes erfahren.« »Und das andere Opfer?« »Vielleicht gibt es auch da einen Zusammenhang. Es ist aber auch möglich, daß er nur das Pech hatte, neben der Mörderin zu sitzen.« Der Inspektor schauderte. »Was tut sie mit dem vielen Blut?« wollte er wissen. »Unser Polizeiarzt hat erklärt, daß sich in den Leichen nicht mehr als eine Handvoll Blut befindet. Soviel kann doch ein einzelner Vampir gar nicht verwenden.« Der Geisterjäger gab ihm recht. »Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht«, antwortete er. »Vielleicht versorgt sie eine Art Blutbank. Auch Monster verstehen einiges von der Vorratshaltung. Auf jeden Fall möchte ich mit Ihnen in Verbindung bleiben, Inspektor. Falls sich noch ähnliche Fälle ereignen oder in jüngster Zeit ereignet haben, sollte ich das unbedingt erfahren.« Leverty versprach es. Insgeheim war er froh, daß er in diesem unheimlichen Fall auf kompetente Hilfe rechnen konnte. Er war nicht so borniert, über Gordon Blacks Behauptungen zu lachen. Zum Lachen bestand auch nicht der geringste Grund. Das sollte er schon bald erfahren. *** Laurina ging zu dem abgestorbenen Baumstamm, in den vor
Jahren der Blitz geschlagen hatte. Seine Äste waren verdorrt. Die Tochter der beiden Nebelhexen hatte gute Kunde für ihre dämonischen Mütter, die sicher gleich erscheinen würden. Sie ließen sie nie lange warten. Tatsächlich knackte es bald in dem gespaltenen Holz, und eine bleiche Hand langte heraus. Die schöne Laurina ergriff sie ohne Grauen und half Mortulla ins Freie. Gleichzeitig brachen Erdschollen auf, und aus der Tiefe stieg Hyra, die Hexe mit den Quellaugen. Laurina fiel den grausigen Gestalten um den Hals, und diese erwiderten kichernd ihre Begeisterung. »Hast du uns etwas mitgebracht?« wollte Mortulla wissen. Laurina lachte gespenstisch. »Genug für euch beide.« Sie küßte die Garstige, und diese trank gierig, was aus dem sinnlichen Mund floß. Es schmeckte nach warmen Blut. Hyra stieß die Freundin eifersüchtig zur Seite und zeigte ihre Krallenfinger. »Genug!« kreischte sie wild. »Laß mir auch etwas von dem köstlichen Saft.« Nun wurde sie von der Schönen genährt, und Mortulla seufzte zufrieden. »Es gibt nichts Köstlicheres als Männerblut. Es füllt mich mit Energie. Ich kann nicht genug davon haben.« »Ich bringe euch bald mehr«, versprach Laurina. »Es ist ganz einfach. Es gibt keine Schwierigkeiten.« »Doch«, krächzte Hyra. »Es gibt Schwierigkeiten. Unsere Feinde lassen nicht locker. Sie sind erstaunlich klug, und sie besitzen ärgerliche Waffen. Es ist uns nicht gelungen, sie aufzuhalten, obwohl wir unsere besten Hexenkünste aufboten. Du mußt sie besiegen.« »Das werde ich tun. Ich bringe euch das Blut der beiden, damit ihr euch dran stärkt.« Die Hexen schüttelten sich wie auf Kommando. »Pfui Spinne! Das Blut einer Frau? Wie gräßlich! Du kannst die
Kleine mit den Mandelaugen töten, aber das Blut wollen wir nur von ihm. Vergiß das nicht.« »Ich werde daran denken«, versicherte Laurina. »Ich habe stets getan, was ihr von mir verlangt habt. Schon seit ein paar hundert Jahren sorge ich dafür, daß ihr leben könnt. Noch nie hat es ernstliche Schwierigkeiten gegeben. Die Menschen sind zu einfältig. Sie begreifen nicht, was wirklich geschieht. Sie suchen für alles eine natürliche Erklärung. Einen sichtbaren Beweis, Daten, Fakten. Sie werden uns nie auf die Schliche kommen.« »Einer ist da, der anders denkt«, stichelte Mortulla. »Er ist so gut wie tot. Was er herausgefunden hat, wird er mit ins Grab nehmen.« »Er hätte niemals herkommen dürfen«, greinte Hyra. »Das haben wir nur diesem Doktor zu verdanken.« »Er wird sich an keinen Geisterjäger mehr wenden«, erinnerte Laurina. »Er ist tot.« »Das Mädchen Sybilla ist an allem schuld«, erklärte Mortulla wütend. »Ich habe es immer gesagt: Frauen sind unsere Feinde. Nicht mal ihr Blut ist genießbar.« »Diese Hanako ist auch nicht zu unterschätzen«, stellte Laurina fest. »Wenn ich an Gordon Black herankommen will, muß ich sie von ihm fernhalten.« »Du verfügst über den bannenden Blick.« »Der versagt bei ihr. Sie ist eine Magierin.« Die Hexen schnatterten aufgeregt. Daß plötzlich etwas nicht reibungslos ablief, war neu für sie. Es stellte im Grunde die erste Schwierigkeit seit jener Zeit da, als Hyra ausgerechnet in dem Moment ihre Schönheit und die dämonischen Kräfte verlor, als sie Jeff Thunderham ins Unglück stürzen wollte. »Wir werden dir helfen«, raunte die Hexe mit den leeren Augenhöhlen düster. »Jetzt sind wir wieder stark. Wir können unseren Willen durchsetzen. Die beiden Verhaßten sollen uns kennenlernen. Dann wird es ihnen leid tun, daß sie versucht
haben, unsere Bahnen zu kreuzen.« *** Gordon Black war durch die beiden Todesfälle im höchsten Grade beunruhigt. Noch von der Praxis aus rief er Sybilla Cordes an, um sich zu vergewissern, daß bei ihr alles in Ordnung war. Er war erleichtert, als er erfuhr, daß sie in keiner Weise belästigt oder bedroht worden war. »Denken Sie an meine Warnungen«, erinnerte er. »Tragen Sie auf jeden Fall das Kruzifix, daß ich Ihnen gab. Es schützt Sie zwar nicht in jedem Fall, aber es stößt doch eine bestimmte Gruppe von Dämonen ab.« Sybilla Cordes versprach es. Hanako meldete nach dem Telefonat ihre Bedenken an. »Ich glaube nicht, daß sie jemals bedroht wurde.« »Aber die beiden Gestalten, von denen sie uns erzählt hat«, wandte der Geisterjäger ein. »Sie könnten ihrer Phantasie entsprungen sein. Es scheint doch festzustehen, daß der Dämon, den wir suchen, eine bildschöne Frau ist und nicht zwei abstoßende Monster. Sybillas Nerven sind überreizt. Immerhin hat sie ihren Verlobten verloren. Ich nehme nicht alles ernst, was sie uns erzählt hat.« Gordon Black wunderte sich. »Aber du hast doch selbst die dämonischen Strahlen in dem Haus gespürt.« »Das gebe ich ja zu, aber jedenfalls wurde ihr kein Haar gekrümmt. Warum sollte die Hexe es nachholen wollen, wenn sie es gleich hätte tun können?« »Ich weiß nicht recht. Auf jeden Fall behalten wir sie im Auge. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn sie doch noch zu Schaden käme.« Hanako hatte noch einen weiteren Trumpf. »Auch die
Sprechstundenhilfe und Mabel, die kleine Blumenverkäuferin, wurden von Laurina verschont. Sieht es nicht ganz so aus, als hätte sie sich auf das andere Geschlecht spezialisiert?« »Dann kannst du ja in nächster Zeit ruhig schlafen«, meinte Gordon und grinste. »Allerdings war es in dem brennenden Bentley auch für dich reichlich knapp. Verlassen wir uns lieber nicht darauf, daß Laurina ihre menschlichen Geschlechtsgenossinnen verschont, dann erleben wir wenigstens keine böse Überraschung.« Sie nahmen Zimmer in einem Hotel mittlerer Kategorie und besorgten sich anschließend die nötigsten Dinge, die sie durch den Autobrand verloren hatten. Gemeinsam trugen sie die bisherigen Fakten zusammen und ordneten sie. Eine Spur fanden sie dadurch allerdings nicht. Inspektor Leverty blieb es vorbehalten, den Stein ins Rollen zu bringen. Er rief den Geisterjäger noch am späten Abend an und berichtete, daß er in alten Unterlagen geblättert habe, weil er wissen wollte, ob schon einmal, wie im Falle George Harris, ein offensichtliches Verbrechen als natürliche Todesursache deklariert worden war. »Und?« fragte Gordon Black gespannt. Er war sicher, daß der Polizist eine interessante Entdeckung gemacht hatte. Umsonst rief er nicht noch so spät an. »Sie werden es nicht glauben, Mister Black«, kam die erregte Antwort. »Ich bin zwar erst bis zum Jahre 1967 zurückgegangen, aber in diesem Zeitraum sind mir bereits vier ganz ähnliche Todesfälle aufgefallen, und bestimmt habe ich nicht alle entdeckt.« »Das ist in der Tat interessant«, stellte der Geisterjäger fest. »Demnach dürfte es doch zwischen den einzelnen Opfern keine Beziehung geben. Oder gehören sie etwa der gleichen familiären Linie an?« »Dem Namen nach zumindest nicht. Mehr konnte ich noch nicht ermitteln. Ich möchte Sie überhaupt bitten, mir bei der
Arbeit zu helfen. Ich habe noch ganze Berge von Akten durchzuarbeiten. Alleine schaffe ich das nicht, und meine Leute kann ich für diese zeitraubende Arbeit ebenfalls nicht abstellen. Ich bekäme Ärger mit meinem Vorgesetzten, dem ich die Gründe zumindest jetzt noch nicht erklären kann.« »Selbstverständlich können Sie auf uns zählen«, antwortete Gordon Black. »Wir kommen zu Ihnen.« Hanako war anfangs nicht begeistert über den endlosen Papierkram. Viel lieber betätigte sie sich körperlich, als in verstaubten Akten zu schnüffeln, wenn es sich nicht gerade um uralte Chroniken handelte. Doch je weiter sie die Vergangenheit zurückverfolgten, je mehr Parallelfälle sie aufspürten, um so eifriger war auch sie bei der Sache. Sie schlug vor, nicht sämtliche Jahrgänge durchzuackern, sondern immer wieder größere Zeiträume zu überspringen, um schneller lokalisieren zu können, wann die Ereignisse, mit denen sie es offensichtlich auch jetzt zu tun hatten, eigentlich angefangen hatten. Gordon Black stimmte ihr zu, und Leverty, der die Ausdauer der beiden bewunderte, schloß sich ihm an. So verbrachten sie die ganze Nacht, in der die Kaffeemaschine nicht zur Ruhe kam, mit dem Studium jahre-, Jahrzehnte- und schließlich sogar jahrhundertealter Vorgänge. Im siebzehnten Jahrhundert forschten sie vergebens. Endlich kamen sie überein, daß der erste Todesfall dieser Art im Jahre 1733 stattgefunden hatte. Damals, so sagten die Unterlagen aus, hatte man noch an Hexerei geglaubt, wenn auch niemals der Beweis angetreten werden konnte und die Witwe des Verstorbenen alles tat, um dieses Gerücht zum Verstummen zu bringen. »Sie mußte damit rechnen, selbst vor den Richter gezerrt zu werden«, sagte Gordon Black. »Lady Thunderham war klug genug, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Schlimm genug
für sie, wenn sich ihr Mann tatsächlich mit einer Hexe eingelassen hatte.« »Das ist jetzt genau ein viertel Jahrtausend her«, meinte Hanako nachdenklich. »Das dürfte aber nichts zu sagen haben, denn die Todesfälle, bei denen die Verstorbenen einen beträchtlichen Teil ihres Blutes aufgrund einer rätselhaften Krankheit verloren hatten, lassen sich über die ganzen Jahre hinweg verfolgen.« »Interessant ist allein, wann es begonnen hat«, fand auch der Geisterjäger. »Mit der Beantwortung dieser Frage kommen wir vermutlich auch dem Warum auf die Spur.« »Du meinst, sie ist in der Person des Gouverneurs Jeffrey Thunderham begründet?« »Jedenfalls kann es nichts schaden, wenn wir uns genauer über sein Leben und Wirken, besonders das seiner letzten Monate, informieren. Können Sie uns in diesem Punkt weiterhelfen, Inspektor?« Leverty fielen schon die Augen zu. »Vielleicht finden Sie etwas darüber in unserer Stadtbibliothek«, sagte er. »Ich werde morgen früh mit meinen Kollegen in Boston telefonieren. Die dortigen Archive sind wahrscheinlich erfolgversprechender.« Gordon Black bedankte sich bei dem Polizeibeamten. Er war froh, daß er einen so willigen Mitstreiter gefunden hatte. Das war längst nicht immer der Fall. Als Gordon und Hanako todmüde in ihr Hotel zurückkehrten, diskutierten sie noch die neuesten Erkenntnisse. »Ich scheine recht zu behalten«, sagte die Asiatin mit leisem Triumph. »Zweifellos. Wenn ich jetzt noch erfahren kann, was du mit dieser Behauptung meinst.« »Ist dir nicht aufgefallen, daß alle Opfer, die wir heute nacht ermittelt haben, Männer waren?« Gordon Black war verblüfft. »Nein, das ist mir nicht aufgefallen, aber jetzt sehe ich das natürlich auch. Demnach
besteht für Sybilla Cordes anscheinend wirklich keine Gefahr.« »Das will ich damit sagen. Entweder hat sie sich die beiden Hexen nur eingebildet, oder sie sollte lediglich erschreckt werden.« »Erschreckt? Wozu?« »Vielleicht, damit sie uns den Auftrag wieder entzieht, Gordon. Du hast doch gemerkt, wie wenig willkommen wir bei den Mächten der Schatten und Nebel in Carnwath sind.« »Okay! Allerdings haben die Düsteren eins dabei vergessen.« »Nämlich?« »Ich lasse mir keinen Auftrag entziehen, in den ich mich einmal verbissen habe. Wenn meine Sorge um Miß Cordes unbegründet ist, um so besser, aber diese rätselhafte Laurina will ich finden. Da bringen mich noch so viele Schreckgespenster nicht von ab.« Sie betraten die Hotelhalle, und der Nachtportier hob gelangweilt den Kopf. »Da war ein Anruf für Sie, Mister Black«, sagte er. »Ungefähr vor einer Stunde.« »Hat der Anrufer seinen Namen genannt?« »Eine Miß Cordes, wenn ich richtig verstanden habe.« »Hat sie etwas ausrichten lassen?« »Das nicht, aber sie machte einen ziemlich erregten Eindruck auf mich.« »Um Himmels willen! Warum haben Sie mich nicht sofort informiert? Ich habe doch hinterlassen, wo ich zu erreichen bin.« Der Mann hob die Achseln. »Tut mir leid, mein Kollege hat mir nichts ausgerichtet. Da müssen Sie schon ihn beschimpfen.« »Mit Schimpfen ändert man auch nichts. Wo ist das Telefon?« Der Portier schob ihm einen Apparat herüber. Gordon Black hatte für alle Fälle Sybilla Cordes’ Nummer
auswendig gelernt. Er wählte sie, und das verstörte »Hallo!« kam so prompt, daß sie höchstwahrscheinlich neben dem Apparat auf den Anruf gewartet hatte. »Sie haben angerufen, Miß Cordes?« »Ich – ja – Mister Black, ich bin noch ganz durcheinander. Es ist so schrecklich. Was soll ich nur tun?« »Erzählen Sie erst mal, was passiert ist.« »Die beiden Hexen. Sie waren wieder hier.« »In Ihrem Haus?« »Ich lag schon im Bett und hatte, glaube ich, auch schon etwas geschlafen. Auf einmal hörte ich ein kratzendes Geräusch, und da traten sie auch direkt aus der Wand. Sie waren ärgerlich, weil ich Sie nicht fortgeschickt habe. Sie sagten, sie würden mich dafür bestrafen.« »Haben sie Sie angegriffen?« »Zum Glück nicht. Genau weiß ich es allerdings nicht, denn zum Schluß verlor ich wieder das Bewußtsein. Jedenfalls bin ich nicht verletzt, nur restlos mit den Nerven fertig.« »Das begreife ich gut. Wir kommen zu Ihnen. Haben Sie keine Angst!« »Ich bin Ihnen so dankbar, Mister Gordon. Ich wüßte nicht, was ich ohne Sie täte.« Der Geisterjäger legte auf und sah seine Mitarbeiterin an, die zumindest den Sinn des Gespräches mitbekommen hatte. »Etwas stimmt in unserer Rechnung nicht«, sagte er betroffen. »Da gibt es diese Laurina, die allem Anschein nach nur Männer den Garaus macht, und dann existieren zwei scheußliche Kreaturen, die Sybilla Cordes das Leben schwermachen.« »Was sie zumindest behauptet.« »Du glaubst doch nicht, daß sie uns anlügt?« »Nicht wissentlich, Gordon. Nimm es mir nicht übel, aber ich halte sie für hysterisch. Ich will ihr beileibe nicht unrecht tun. Sie hat Schweres hinter sich, denn ich nehme ihr ab, daß
sie George Harris ehrlich geliebt hat. Doch seitdem leidet sie anscheinend unter einer Art Verfolgungswahn. Manchmal sah sie mich so mißtrauisch an, als hielte sie mich für diese Laurina, die ihr den Geliebten weggenommen hat.« »Das kannst du doch nur als Kompliment auffassen«, meinte der Geisterjäger lächelnd. »Nach übereinstimmenden Aussagen muß Laurina eine Märchenschönheit sein. Diesen Schuh kannst du dir geschmeichelt anziehen.« »Schön, aber böse. Nein, danke! Ich bleibe lieber Hanako. Was ich damit auch nur sagen wollte, ist, daß Sybilla krampfhaft eine Schuldige sucht. Sie hat geschlafen und von den beiden Gestalten geträumt. Als sie aufwachte, waren sie logischerweise verschwunden. Nimmst du das ernst?« »Solange ich nicht das Gegenteil beweisen kann, ja. Ich möchte nämlich nicht, daß ich sie eines Tages wie Doc Billway finde. Tot und ausgeblutet. Ich fahre jedenfalls zu ihr. Du kannst inzwischen an der Matratze lauschen. Die Nacht ist ohnehin schon vorbei.« »Kommt nicht in Frage«, protestierte die Halbjapanerin. »Ich komme selbstverständlich mit. Sonst denkt sie noch, ich hätte ein schlechtes Gewissen.« Gordon Black machte sich seine Gedanken über die Asiatin. Auf attraktive Frauen reagierte sie manchmal ganz schön kratzbürstig. Das war wohl der natürliche Rivalinneninstinkt einer gesunden Frau. Jedenfalls war er entschlossen, auf Sybilla Cordes aufzupassen. Vielleicht hatte sie nur einen Traum gehabt, aber es sollte kein tödlicher werden. *** Sybilla Cordes sah müde und abgespannt aus, als sie die Tür öffnete. Sie schenkte dem Geisterjäger ein erleichtertes Lächeln.
Hanako Kamara warf sie dagegen einen kritischen Blick zu. Jetzt sah es auch Gordon Black. Er nahm sich vor, schon bald, wenn sie alle ausgeschlafen waren, mit Sybilla über das Problem zu sprechen. Vielleicht war sogar eine psychiatrische Betreuung angebracht, bevor sie sich immer tiefer in Verdächtigungen und Befürchtungen verstrickte. Sybilla erzählte noch mal in allen Einzelheiten ihr nächtliches Erlebnis. Sie schwor, daß sie sich das alles nicht nur eingebildet hatte. »Ich habe darüber nachgedacht«, sagte sie, »warum mich die Hexen wieder verschont haben.« Sie griff an ihren Hals und zog mit dem Zeigefinger ein dünnes, silbernes Kettchen ein Stück hervor. »Wahrscheinlich liegt es an dem Kruzifix, das Sie mir gegeben haben, Mister Black. Ich trage es auch in der Nacht.« »Besonders in der Nacht müssen Sie es tragen«, mahnte der Geisterjäger. »Aber natürlich auch sonst. Zum Beispiel beim Duschen.« Sybilla Cordes fröstelte. »Erinnern Sie mich nur nicht daran. Es war furchtbar. Mein ganzes Leben vergesse ich nicht, was ich erlebt habe.« »Die beiden schwarzen Frauengestalten haben Ihnen also eine Bestrafung angedroht«, nahm Hanako Kamara das frühere Thema wieder auf. »Haben sie sich dazu näher geäußert?« Sybilla schüttelte den Kopf. »Sie sagten nur, daß sie sich wieder mit mir befassen würden. Vor allem aber solle ich über alles schweigen, was sie mir anvertrauen. Sonst müsse ich es tausendfach büßen.« »Sie müßten versuchen, die beiden in ein Gespräch zu verwickeln«, schlug Hanako vor. »Dadurch würden wir manches Wichtige erfahren.« »Das ist nicht so leicht«, fand Gordon Black. »Vor allem begibt sich Miß Cordes damit nur in zusätzliche Gefahr. Wenn
die Hexen mißtrauisch werden, schlagen sie um so eher zu. Ich möchte wirklich wissen, was sie planen und ob sie etwas mit Laurina zu tun haben.« »Soll ich sie danach fragen?« Gordon Black verneinte. Er überlegte, ob er Sybilla Cordes allein lassen durfte. Hanako oder er konnten nicht ständig in ihrer Nähe sein. Auf diese Weise lösten sie nie den Fall. Er wollte mit Inspektor Leverty reden. Vielleicht konnte er zwei Mann abstellen. Immerhin entwickelte sich Sybilla Cordes zu einer wichtigen Figur. Über sie hoffte er an die Hexen heranzukommen und natürlich auch an Laurina, bevor sie ein neues Opfer fand. *** Sie kehrten ins Hotel zurück und schliefen ein paar Stunden. Das war dringend erforderlich, denn sie erwarteten neue Anstrengungen für den laufenden Tag. Dieser Tag begann mit einem Paukenschlag. Inspektor Leverty war tot! Ein Sergeant hatte ihn im Keller des Dienstgebäudes gefunden. Offensichtlich mit seinem eigenen Blut hatte er mit dem Finger noch drei Buchstaben an die gekalkte Wand zu schreiben versucht, aber auch ohne dieses »L A U« hätte Gordon Black gewußt, daß der Polizeibeamte ein Opfer Laurinas geworden war. Der Tod dieses Mannes ging ihm mächtig an die Nieren. War es ein Zufall, daß schon wieder jemand sterben mußte, der bereit gewesen war, ihm zu helfen? Sollten auf diese Weise die Informationen verhindert werden, die Leverty hatte beschaffen wollen? Gordon Black grübelte lange über diese Frage, und er diskutierte sie auch mit Hanako Kamara. »Seltsam«, sagte sie. »Er wußte genau Bescheid, er hat
Laurina sogar erkannt, und trotzdem konnte er sich nicht retten. Diese Hexe muß eine unwiderstehliche Gewalt auf ihre Opfer ausüben. Wenn sie aus ihrer Erstarrung erwachen, ist es schon zu spät.« »Andererseits«, meinte Gordon Black, »konnte er zum Zeitpunkt seines Todes noch klar genug denken, um uns einen Hinweis auf seine Mörderin zu geben. Wenn man alles betrachtet, hat nicht mal eine großangelegte Aufklärungskampagne Aussicht auf Erfolg. Die Opfer scheinen wie hypnotisiert zu sein, bis sie sterben müssen.« »Und das alles geht verheerend schnell. Denke nur daran, wie wenig Zeit Laurina für Doc Billway benötigt hat.« Gordon Black rief Sybilla Cordes an, doch die Hexen hatten sie während der letzten Stunden in Ruhe gelassen. Hanako Kamara suchte die Stadtbibliothek auf, während der Geisterjäger versuchte, in den Kirchenregistern etwas über jenen Gouverneur Thunderham in Erfahrung zu bringen, mit dem das Grauen anscheindend seinen Anfang genommen hatte. Beide blieben erfolglos. Beide spürten aber immer wieder die dämonische Nähe. Sie wurden umlauert. Die Dämoninnen hatten sie als ernstzunehmende Gegner erkannt und warteten nur auf einen günstigen Zeitpunkt zum entscheidenden Angriff. Die Asiatin war davon überzeugt, daß ihr weniger Gefahr drohte als Gordon Black, da sie eine Frau war, der Geisterjäger dagegen konnte sich mit dieser Theorie nicht anfreunden. »Sie haben uns beide nicht ins Herz geschlossen, und wenn Laurina vielleicht auch dein Blut verschmäht, so wird sie doch alles tun, daß du ihr nicht in die Quere kommen kannst.« Gegen drei Uhr nachmittags erhielten sie in ihrem Hotel Besuch von einem Mann mit abweisendem Gesicht. »Quarmby«, stellte er sich knapp vor. Gordon Black überlegte, wo er diesen Namen schon gehört hatte. »Inspektor Quarmby?« vergewisserte er sich.
Der Fremde nickte. »Mir wurden die Fälle Billway und Yoster übertragen, nachdem mein Kollege Leverty so plötzlich – äh, verstorben ist.« »Der Tod Levertys tut mir sehr leid«, erklärte Gordon Black. »Wir waren auf dem besten Wege, ausgezeichnet zusammenzuarbeiten.« »Ich weiß, Mr. Black. Deswegen bin ich hier. Ich glaube, ich bin im Fall Harris einem vorschnellen Irrtum erlegen. Allerdings hat mich der ärztliche Befund darin bestärkt. Inzwischen ist mir klargeworden, daß George Harris ermordet wurde. Genau wie Doc Billway, der Patient Yoster und nun auch Leverty.« »Und mit Sicherheit ein paar hundert weitere Männer, von denen wir zum Teil die Namen wissen, die aber schon mehr oder weniger lange tot sind.« »Manche bereits zweihundertundfünfzig Jahre«, sagte Inspektor Quarmby. »Sie wissen?« fragte der Geisterjäger überrascht. Der Polizist öffnete seine Aktentasche und holte ein in punziertes Leder gebundenes Buch heraus. Er reichte es Gordon Black und sagte: »Diese Chronik aus dem Jahre 1733 wurde mir vor einer Stunde durch einen Boten aus Boston überbracht. Leverty hatte sie angefordert. Ich bin sicher, daß sie etwas mit den vorliegenden Fällen zu tun hat, und da ich weiß, daß er mit Ihnen zusammengearbeitet hat, dachte ich mir, daß Sie vielleicht mehr damit anfangen können als ich.« Gordon Black sah dem anderen offen in die Augen. »Leverty hat nicht übertrieben«, bekannte er. »Sie sind in der Tat ein ausgezeichneter Polizist. Ich bin sicher, daß wir gemeinsam die Verbrechen an ihm und den anderen aufklären werden.« »Deswegen bin ich hier, Mr. Black. Ich wollte Sie bitten, mir dabei zu helfen. Ich habe Leverty gesehen. Er sah grauenvoll aus. Eine Bestie hat seinen Tod verschuldet. Ich
will ihn rächen. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.« Gordon Black sah ernst aus. »Wir brauchen nichts zu beschönigen, Inspektor«, meinte er. »Ihr Kollege wurde nicht zufällig als Opfer ausgesucht. Er mußte vor allem deshalb sterben, weil er für die Mörderin, die sich Laurina nennt, gefährlich zu werden drohte.« »Ich weiß, was Sie damit sagen wollen, Mr. Black. Ich stehe nun ebenfalls auf ihrer Liste.« »Das ist zu befürchten. Unternehmen Sie auf keinen Fall einen Alleingang. Bei all Ihren Aktionen sollten immer zwei Ihrer Männer gemeinsam unterwegs sein. Und da komme ich gleich zu einem Punkt, um den ich Sie bitten möchte.« »Worum handelt es sich?« »Ich möchte, daß Sie Sybilla Cordes Tag und Nacht bewachen lassen. Sie wird bedroht, und ich nehme diese Bedrohung ernst. Miß Kamara und ich werden uns natürlich selbst um sie kümmern, aber wir können nicht ununterbrochen in ihrer Nähe sein.« »Ich lasse ihr Haus beobachten«, versprach der Inspektor. »Wenn es irgendwie geht, postieren Sie die Leute direkt im Haus. Hexen und Dämonen benutzen üblicherweise nicht die Haustüren. Sie erscheinen unerwartet, und Ihre Leute würden sie von der Straße aus nicht sehen.« »Wenn Miß Cordes damit einverstanden ist.« »Ich spreche selbst mit ihr.« Cordon Black rief Sybilla Cordes nochmals an und vereinbarte mit ihr, daß sich zwei Polizisten in ihrem Haus aufhalten sollten. Inspektor Quarmby gab vom Hotel aus die entsprechenden Anweisungen, bevor er sich verabschiedete. Voller Spannung fielen Hanako und Gordon über die Chronik her. Sie roch muffig und war in keinem guten Zustand. Eine Zeitlang mußte sie im Wasser gelegen haben. Einige Seiten
waren zusammengeklebt, ein paar Blätter fehlten auch. Sie wechselten sich mit dem Lesen ab, um keine Zeit zu verlieren, und nach ungefähr fünf Stunden hatten sie die Passage gefunden, die sich mit den Geschehnissen während der Wochen vor Thunderhams Tod befaßte. Die Stelle lasen sie beide, und anschließend waren sie einigermaßen enttäuscht, denn sie hatten nichts Sensationelles gefunden. »Kein Wunder, daß man dem Tod des Gouverneurs eine natürliche Ursache zuschrieb«, sagte Hanako Kamara. »Es hat sich nichts Spektakuläres ereignet. Thunderham war offenbar beliebt und führte eine gute Ehe. Er war ein begeisterter Jäger und hielt sich oft in den Wäldern auf. Kurz vor seinem Tod wollte er noch ein neues Jagdhaus bauen lassen, aber dazu kam es nicht mehr.« »Stimmt«, bestätigte der Geisterjäger, »weil er wenig später zu Grabe getragen wurde. Seltsam ist allenfalls, daß er einen Platz für das Jagdhaus schaffte, indem er ein vorhandenes Gebäude niederbrennen ließ. Noch dazu mitten im Sommer, was den ganzen Wald hätte vernichten können.« »Hat es aber nicht«, wandte die Asiatin ein. »Jedenfalls ist nichts darüber festgehalten. Seine Frau ließ ein Jahr später an der gleichen Stelle eine kleine Kirche errichten. Zur Erinnerung.« »Das Bauwerk stürzte aber ein, bevor es noch geweiht werden konnte. Menschen kamen dabei nicht zu Schaden.« Sie studierten nochmals die wenigen Seiten, denn sie hatten so sehr gehofft, etwas Brauchbares zu entdecken, aber sie fanden keine Anhaltspunkte. »Die Kirche«, murmelte Gordon Black. »Warum mag sie eingestürzt sein? Wenn uns die genaue Stelle bekannt wäre, könnten wir dieser Frage nachgehen.« »Versprichst du dir etwas davon?« »Wenn Gotteshäuser ohne ersichtlichen Grund vernichtet
werden, hat meistens eine finstere Macht ihre Hand im Spiel. Könnte es nicht sein, daß Thunderham sehr wohl einen Grund gehabt hat, das alte Haus im Wald niederbrennen zu lassen? Vielleicht hatte er dort ein grausiges Erlebnis, das er auf diese Weise auslöschen wollte. Normalerweise hätte er die Hütte einfach niederreißen können, ohne dabei ein derartiges Risiko einzugehen. Aber er entschied sich für das Feuer. Das gibt mir zu denken.« »In den Kirchenregistern ist zweifellos die genaue Stelle der Kirche vermerkt«, sagte Hanako. »Ich werde mich darum kümmern.« »Einverstanden. Und ich versuche, die Hinterlassenschaft des Lords auszugraben. Ich hoffe, daß irgendwelche Aufzeichnungen existieren. Wenn Thunderham wirklich ein entscheidendes Erlebnis hatte, gibt es vielleicht Tagebücher oder andere Aufzeichnungen darüber.« »Das Ganze ist ein viertel Jahrtausend her«, erinnerte die Halbjapanerin skeptisch. »Thunderhams Nachfahren hätten längst Alarm geschlagen, wenn sie derartige Schriften entdeckt hätten.« »Oder sie hüten das Geheimnis ängstlich. Schließlich verbessert es den Ruf einer alten Familie nicht unbedingt, wenn das Wirken eines Ahnherren schuld war am Einsturz einer Kirche.« Hanako Kamara ließ sich überzeugen. Sie mußten jeder noch so winzigen Spur nachgehen, solange sie im dunkeln tappten. Sie vereinbarten, stündlich miteinander zu telefonieren und sich auf dem laufenden zu halten. Dann trennten sich ihre Wege. *** Inspektor Quarmby hatte Wort gehalten. Zwei Polizisten hatten
sich im Hause bei Sybilla Cordes einquartiert, und sie sollten alle vier Stunden abgelöst werden. Jim Hicks und Russell Moore waren nicht sehr glücklich über den Auftrag. Er versprach nichts als Langeweile, zumal Sybilla Cordes sich schon früh in ihr Schlafzimmer zurückzog, um den Schlaf der letzten Nacht aufzuholen. Sie lehnte die Zimmertür nur an, damit die Polizisten auf den leisesten Ruf zur Stelle sein konnten. Zuvor hatten sie das ganze Haus kontrolliert, aber nichts Außergewöhnliches entdeckt. Nun hockten sie im abgedunkelten Wohnzimmer und unterhielten sich im Flüsterton, um ihren Schützling nicht zu stören. »Alles Quatsch!« erklärte Hicks mit dem Brustton der Überzeugung. »Leverty ist durch diesen Gordon Black verrückt gemacht worden. Zum Schluß sah er selbst Gespenster. Was, so frage ich dich, hatte er noch so spät im Keller zu suchen? Bestimmt war er betrunken, hat sich verletzt und ist deswegen verblutet. Ich begreife nicht, daß sogar Quarmby anfängt, diesen Hexenunsinn zu glauben. Der war doch sonst immer vernünftig.« »Ich sage dir«, beteuerte Moore, »der hat die Hosen gestrichen voll. Er hat Angst, daß es ihn auch erwischt. Angeblich hat dieser Black noch weiter zurückliegende Todesfälle ausgegraben, die seine Theorie von der Dämonin unterstützen.« »Blödsinn«, beharrte der andere. »Wir schlagen uns hier völlig umsonst die Nacht um die Ohren. Die Cordes ist durch den Tod ihres Verlobten übergeschnappt. Das ist das ganze Geheimnis. Was hältst du davon, wenn wir abwechselnd ‘ne Runde schlafen?« Russell Moore war von diesem Vorschlag nicht begeistert. »Dann wird es ja noch langweiliger für den, der wach ist. Entweder beide oder keiner. Aber wenn die Cordes aus
irgendeinem Grund aufsteht und uns erwischt, ist der Teufel los!« »Da hast du recht«, gab Jim Hicks mürrisch zu. »Also bleibt uns nichts weiter übrig, als in den sauren Apfel zu beißen. Was hast du vor?« Moore war aufgestanden und ging zum Bad hinüber. »Ich will mal die Dusche untersuchen, aus der angeblich eine von den Hexen rausgekommen ist.« »Aber mach keinen Lärm! Sonst beschwert sich die Lady über uns.« Russell Moore drehte die Brause auf und rasch wieder zu, denn, wie er nicht anders erwartet hatte, schoß ihm ein Wasserstrahl entgegen. Er fluchte und stellte sich vor den Spiegel, um seine Frisur in Ordnung zu bringen. Verblüfft starrte er sein Spiegelbild an. »He!« rief er ins Zimmer. »Komm doch mal her!« »Was gibt’s denn?« Jim Hicks steckte den Kopf durch die offene Tür und folgte dem Blick seines Kollegen. Was er sah, überraschte auch ihn. Das Spiegelbild Russell Moores war in tausend winzige Stücke zerteilt, obwohl der Spiegel völlig heil aussah. Moore räusperte sich. Trotzdem klang seine Stimme belegt. »Merkwürdig«, sagte er. »Die Cordes hatte behauptet, der Spiegel sei zersprungen. Er sieht auch so aus, obwohl er es nicht ist.« Jim Hicks probierte es ebenfalls und stellte sich davor, doch auch bei ihm zeigte sich ein ähnliches Bild. Seine Gesichtszüge wurden durch die vielen Sprünge zu einer Fratze verzerrt, und plötzlich war ihm gar nicht mehr wohl in seiner Haut. »Wir sollten nachsehen, ob mit Miß Cordes noch alles in Ordnung ist«, schlug er vor. »Die Sache gefällt mir nicht. Es ist, als würde sich etwas ankündigen.« Russell Moore nickte stumm. Nichts war von seiner Selbstsicherheit mehr zu spüren.
Sie gingen zur Schlafzimmertür, aber Sybilla Cordes schlief, wenn sie sich auch unruhig im Bett hin und her wälzte. »Es ist niemand sonst da«, stellte Hicks erleichtert fest. »Ob wir die Sache mit dem Spiegel melden?« Moore blickte auf die Uhr. »In einer guten Stunde werden wir abgelöst«, erklärte er. »Solange können wir noch warten.« Hicks war einverstanden. Sie setzten sich wieder auf ihre Stühle, redeten aber nicht mehr viel miteinander. Ein paarmal sahen sie nach Sybilla Cordes, deren Schlaf weiterhin von unruhigen Träumen begleitet zu sein schien, und warteten im übrigen darauf, daß sie endlich abgelöst wurden. Früher als erwartet, trafen die Kollegen ein. Um die schlafende Frau nicht zu wecken, klopften sie nur ganz leise, aber Hicks und Moore hörten es trotzdem. Jim Hicks ging, um zu öffnen. Russell Moore hörte ihn reden. Er erhob sich ebenfalls und packte seine Sachen zusammen. Er freute sich auf sein Bett. Er verließ das Zimmer und prallte mit Hicks zusammen. Der Kollege klammerte sich an ihm fest. Seine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut heraus. »He, was ist los?« erkundigte sich Russell Moore verwundert. Hicks antwortete nicht. Er glitt zu Boden und blieb dort bewegungslos liegen. »Jim, zum Teufel…« Russell Moores Redefluß brach ab. Er entdeckte die Frau am anderen Ende des Ganges, und seine Nackenhaare stellten sich wie bei einem gereizten Schäferhund auf. Sein erster Gedanke war: Das ist sie! Du mußt dich vor ihr in acht nehmen! Sie hat Jim getötet! Sie will auch dir ans Leben! Doch dieses Bewußtsein half ihm nicht. Unter Zwang richtete er sich auf und stieg über den Leichnam des Kollegen hinweg. Er näherte sich der Frau, die mit einem aufregenden
Mini bekleidet war und ihn verführerisch anlächelte. Sie hatte braunes, kurzgeschnittenes Haar mit hellen Strähnen. Das Gesicht hätte auf jede Titelseite gepaßt. Es besaß das gewisse Etwas, das es aus der Menge hervorhob. Nur der hübsche Mund war trotz der verlockenden Lippen und den makellosen Zähnen abstoßend, denn an den Mundwinkeln hingen zwei Blutstropfen, die den Beweis erbrachten, auf welche Weise Jim Hicks ums Leben gekommen war. Russell Moore starrte die Frau gebannt an. Er wollte davonlaufen, wollte durch einen Schrei die schlafende Sybilla Cordes warnen, doch nichts von alledem tat er. Er ging weiter auf die Dämonin zu, von der er mit absoluter Sicherheit wußte, daß sie ihn töten würde. *** Diesmal klappte die Information durch den Nachtportier besser. Gordon Black wurde im Hause der Thunderhams, deren hochwohlgeborene Vergangenheit lange zurücklag und die den Wissensdurst des Geisterjägers milde belächelten, angerufen und gebeten, Sybilla Cordes auf dem schnellsten Wege aufzusuchen. Gordon Black sah auf die Uhr. Kurz vor Mitternacht. Zweifellos war etwas geschehen, was die junge Frau beunruhigte, obwohl sie sich nun durch zwei Polizeibeamte beschützt wußte. Er entschuldigte sich bei seinen Gastgebern, die ihn nur zu gerne gehen ließen, und fuhr zu der Frau, von der Hanako glaubte, daß sie sich ihre Hexenbegegnungen nur einbildete. Schon von weitem erkannte er, daß nichts in Ordnung war. Das Haus war hell erleuchtet. Davor parkten eine Menge Polizeiautos. Soeben wurde eine Bahre aus dem Haus getragen. Sie war mit einem weißen Tuch bedeckt.
Sein Herz setzte einen Schlag lang aus. Hatte die Bewachung nichts genützt? Hatten die Hexen ihre Drohung wahrgemacht und sich an der Frau gerächt, weil sie einen Geisterjäger hatte rufen lassen? Inspektor Quarmby kam ihm entgegen. Sein Gesicht war verschlossen. Er deutete auf die Bahre und sagte knapp: »Sie sind beide tot. Als sie abgelöst werden sollten, wurden sie gefunden. Die Haustür stand offen. Von der Mörderin war keine Spur mehr zu entdecken.« Erst jetzt begriff Gordon Black, daß es sich um die beiden Polizisten handelte, die Sybilla Cordes hatten beschützen sollen. »Und Miß Cordes?« fragte er beklommen. »Sie schluchzt und ist völlig durcheinander. Sie will unbedingt mit Ihnen sprechen, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie ein vernünftiges Wort aus ihr herausbekommen. Die beiden Morde in ihrem Haus waren begreiflicherweise ein enormer Schock für sie.« »Ist ihr nichts passiert?« »Nervlich mit Sicherheit. Körperlich ist sie unverletzt.« Gordon Black sah sich die beiden Toten an. Sie wirkten alles andere als friedlich. Sie hatten dem Grauen ins Antlitz gesehen, das war deutlich zu erkennen. Er beeilte sich, zu Sybilla Cordes zu gelangen, um die sich ein Arzt bemühte. Als sie den Geisterjäger entdeckte, atmete sie etwas auf. »Gott sei Dank, daß Sie da sind!« flüsterte sie. »Das ist alles so furchtbar. Wenn ich mir vorstelle, daß ich geschlafen habe, als diese Mörderin über die Polizisten herfiel, verliere ich noch den Verstand. Zwei Männer auf einmal! Ich bin sicher, daß Laurina diesmal zu mir wollte. Die Bedauernswerten fielen ihr nur zufällig in die Klauen.« Davon war auch Gordon Black überzeugt, jedenfalls war
das die einleuchtendste Erklärung für die gräßlichen Bluttaten. »Sie wollten mich sprechen?« erinnerte er die zitternde Frau. Sybilla Cordes wechselte ihre Farbe. Sie sah sich ängstlich nach allen Seiten um, bevor sie hauchte: »Sie waren wieder da.« »Wer? Die Hexen?« Die Frau nickte. »Ich schwöre Ihnen, daß ich das nicht nur geträumt haben. Ich war hellwach. Wahrscheinlich waren die Männer zu diesem Zeitpunkt bereits tot, denn ich hörte von nebenan kein Geräusch.« Sie schluchzte wieder. »Sie haben gedroht, mich zu peinigen, wenn ich ihren Befehl nicht befolge.« »Ihren Befehl? Haben sie sich näher geäußert?« »Sie sagten – oh, es ist zu gräßlich – ich stehe das nicht durch.« Gordon Black versuchte, die Erregte zu beruhigen, es dauerte aber eine Weile, bis Sybilla Cordes weitersprechen konnte. »Sie haben mir strengstens verboten, darüber zu reden, aber ich weiß mir selbst keinen Rat.« »Für einen Rat bin ich ja da«, sagte der Geisterjäger. »Sie müssen mir unbedingt alles anvertrauen. Nur so kann ich Ihnen helfen.« Die Frau seufzte. »Helfen? Die beiden Polizisten waren auch hier, um mir im Notfall zu helfen. Dabei konnten sie weder die beiden Hexen verjagen, noch waren sie in der Lage, sich selbst zu schützen. Sie sind tot, und schon bald werde ich auch tot sein, denn was die Abscheulichen von mir verlangen, kann ich unmöglich tun.« »Was ist es«, drängte Gordon Black. »Ich soll ihnen das Blut eines Mannes bringen!« stieß Sybilla Cordes hervor und verbarg ihr Gesicht in den Händen. »Sie haben von mir verlangt, daß ich irgendeinen Mann an einen bestimmten Ort bringe. Ich soll ihm schöne Augen
machen und ihm eine lauschige Stunde in Aussicht stellen. Sie werden dann dort sein und sich an ihm laben, wie sie sich ausgedrückt haben.« Der Geister Jäger war wie elektrisiert. Endlich bot sich ihm die Chance, herauszufinden, ob es die beiden Hexen, die Sybilla Gordes nun schon zum wiederholten Male heimgesucht hatten, wirklich gab, oder ob die Frau ein Opfer ihrer eigenen überreizten Nerven wurde. »Wann soll es geschehen?« fragte er gespannt. »Noch in dieser Nacht. Vor dem Morgengrauen muß es vollendet sein. Wenn ich nicht mit einem Schlachtopfer zur Stelle bin, werde ich es büßen müssen, aber ich kann doch unmöglich einen Menschen wissentlich ins Verderben stürzen.« »Und wo ist der Treffpunkt?« wollte Gordon Black wissen. In seinem Gehirn arbeitete es. »Auf der Argyll-Brücke. Direkt neben dem steinernen Löwen.« »Haben Sie Inspektor Quarmby etwas davon gesagt?« »Natürlich nicht. Ich wollte zuvor mit Ihnen sprechen.« »Das war auch richtig so, Miß Cordes. Wir werden also zur Brücke gehen.« »Wir? Heißt das, daß Sie selbst sich opfern wollen?« »Das heißt, daß ich froh bin, endlich die Bekanntschaft der lichtscheuen Bande zu machen.« »Aber das ist Ihr sicherer Tod, Mr. Black! Denken Sie an die beiden Polizisten und die anderen! Sie haben keine Chance.« Gordon Black zeigte ein kantiges Gesicht. »Das muß sich erst noch herausstellen«, sagte er. »Ich bin schließlich nicht mit leeren Händen hergekommen. Die Damen werden sich noch wundern. Am besten bringen wir es gleich hinter uns, falls Sie sich stark genug fühlen. Ich informiere nur noch rasch meine Assistentin.«
»Wollen Sie sie mitnehmen?« erkundigte sich Sybilla Cordes mit zweifelndem Gesicht. »Die Hexen haben ausdrücklich das Blut eines Mannes gefordert. Sie werden Verdacht schöpfen. Andererseits ist natürlich klar, daß Sie auf ihre Unterstützung nicht verzichten können.« »Ihre Bedenken sind unbegründet. Ich habe mit Miß Kamara vereinbart, daß wir uns auf dem laufenden halten. Vielleicht hat sie sogar auch schon eine Neuigkeit für mich, die mir bei der bevorstehenden Auseinandersetzung von Nutzen sein kann.« Hanako hatte in der Tat die Stelle herausgefunden, an der vor zweieinhalb Jahrhunderten Thunderham das kleine Haus niederbrennen ließ. Nach der zusammengestürzten Kirche war nach Jahrzehnten ein größeres Gotteshaus dort errichtet worden, aber auch dieses konnte nicht vollendet werden, weil es einem Sturm zum Opfer fiel. Das konnte schon kein Zufall mehr sein, und die Asiatin hatte sich vorgenommen, die Überbleibsel ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. »Warte damit, bis ich mit den Hexen fertig bin«, riet Gordon Black. »Ich möchte dabeisein. Die Sache erscheint mir nicht ungefährlich.« »Nimmst du mich zu deinen Hexen mit, Gordon?« »Wo denkst du hin?« »Na also! An zwei Stellen zur gleichen Zeit werden die Dämoninnen wohl kaum sein. Mein kleiner Spaziergang ist demnach ohne Risiko.« »Sei trotzdem vorsichtig, Hanako!« »Diesen Rat kann ich dir auch nur geben, Gordon.« Sie besaßen zwei heiße Spuren. Endlich! Würden sie sich daran die Finger verbrennen? ***
Gordon Black stellte den Wagen unweit der Argyll-Brücke ab und ließ seine Blicke nach sämtlichen Seiten wandern. Alles war still, und doch war die Gefahr fast körperlich zu spüren. Der Geisterjäger war überzeugt, daß die Hexen bereits auf ihr vermeintliches Opfer lauerten. Er mußte ihnen eine Komödie spielen. Keinesfalls durften sie zu früh durch sein Verhalten gewarnt werden. »Ich gehe zuerst allein hinüber«, entschied er. »Ich will die Brücke untersuchen. Es ist nicht nötig, daß Sie sich dieser Gefahr aussetzen. Noch wissen wir nicht, ob die Dämoninnen Sie in Ruhe lassen.« Sybilla Cordes war sehr blaß, aber sie rang tapfer um Fassung. Sie blieb im Wagen sitzen, während Gordon Black ausstieg und sich von ihr entfernte. Eine Hand hatte er in der Jackentasche. Sie umklammerte den Griff der Dämonenpeitsche. Er hoffte, daß sie wirksam genug war. Vor allem aber mußte er sich in acht nehmen, daß er nicht in ähnlicher Weise gelähmt wurde wie Inspektor Leverty oder die beiden Polizisten, die erst vor kurzem das grausame Schicksal ereilt hatte. Seine volle Konzentration war notwendig. Und natürlich die Hilfe des großen Adonay. Mit festen Schritten näherte er sich der Brücke. In ihm baute sich eine ungeheure Spannung auf. Die kommende Stunde brachte vielleicht schon die Entscheidung. Wenn er seine Gegner vor sich sah, durfte er sie nicht wieder untertauchen lassen. Er mußte sie vernichten, um nicht selbst vernichtet zu werden. Der Geisterjäger blickte sich um. Sybilla Cordes starrte ihm mit ängstlichen Augen nach. Es war viel, was er dieser Frau zumutete, doch es ging nicht anders, wollte sie jemals Ruhe vor den Hexen finden. Er mußte aufpassen, daß sie nicht in das mörderische Geschehen einbezogen wurde. Hanako hätte sich bis zu einer
bestimmten Grenze zu wehren gewußt, aber Sybilla Cordes war nur ein Häufchen Elend, das nicht dem leisesten dämonischen Angriff widerstand. Zum Glück war seine Sorge vorläufig unbegründet. Niemand näherte sich dem Wagen. Die Straße blieb leer. Auch auf der Brücke, die Gordon Black nun erreichte, war es geradezu unheimlich ruhig. Nicht mal das Wasser darunter plätscherte. Es war, als zeigten sogar die Elemente Furcht. Er ging zweimal in beiden Richtungen über die Brücke. Nichts tat sich. War doch alles nur Einbildung gewesen? Existierte zwar Laurina, nicht aber die beiden häßlichen Hexen, über die ausschließlich Sybilla Cordes etwas zu berichten wußte? Schon wollte Gordon Black zu der Wartenden zurückkehren, als er gebannt innehielt. Da war etwas Fremdes, Bedrohliches. Es näherte sich sehr rasch und wurde immer stärker. Scheinbar teilnahmslos lehnte er sich gegen den steinernen Löwen. In Wirklichkeit aber entging ihm nichts. Er hoffte, die Hexen über seine wahren Absichten zu täuschen. Sie waren es tatsächlich. Plötzlich tauchten sie auf, und Gordon Black mußte Sybilla Cordes wegen ihrer ausgezeichneten Beschreibung loben. Die geängstigte Frau hatte die beiden Gestalten erstaunlich exakt beschrieben. Der hohe, spitze Hut der einen Hexe, der wie eine umgestülpte Kinderschultüte aussah, die langen, weißgelben Haare, die riesigen Quellaugen, die aus den Höhlen zu fallen drohten, der blutigrote, zahnlose Mund, die lange, spitze Nase und die krallengleichen Fingernägel, alles stimmte. Auch das zweite Monstrum erkannte der Geisterjäger auf Grund der Beschreibung auf Anhieb. Ihm kam diese maskenartige, starre Fratze mit den leeren Augenhöhlen noch
gespenstischer vor als die Gefährtin. Sie hatten ihn anscheinend noch nicht entdeckt, denn sie bewegten sich hüpfend über die düstere Straße, ohne ein bestimmtes Ziel zu erkennen zu geben. Gordon Black traute sich zu, die beiden in einem Überraschungsangriff zumindest zu verletzen, wenn nicht zu töten, aber er vergaß nicht, daß die eigentliche Gefahr von Laurina ausging. Sie besorgte anscheinend für die Hexen das lebensnotwendige Blut und beging zu diesem Zweck einen Mord nach dem anderen. Die Hexen selbst waren möglicherweise ungefährlich. Besonders dann, wenn sie unter Blutmangel litten. Das war wohl auch der Grund, warum sie jetzt Sybilla Cordes und vielleicht auch noch andere Frauen in ihre Dienste pressen wollten. Sybilla sollte ebenfalls Opfer heranschaffen. Hatte sie das erst mal getan, würde sie sich aus der dämonischen Umklammerung nie mehr befreien können. Er mußte unbedingt etwas über Laurina erfahren. Wenn sie besiegt war, stockte auch die Blutzufuhr für die Hexen. Sie würden wahrscheinlich von selbst zugrunde gehen. Der Geisterjäger überlegte sich seine Strategie. Wenigstens eine Hexe wollte er in seine Gewalt bekommen. Sie mußte ihm verraten, wie er an Laurina herankam. Er wollte sie zwingen, ihm preiszugeben, wodurch die Mörderin aus dem Nebelreich zu besiegen war. Er beugte sich über das Brückengeländer, ohne seine Umgebung aus den Augen zu lassen. Dabei hustete er, um die Dämoninnen auf sich aufmerksam zu machen und von der Frau im Auto abzulenken, die sie jetzt offenbar entdeckt hatten. Sein Plan klappte nur halb. Sie glotzten zwar beide zu ihm herüber, aber sie erkannten in ihm ihren Feind und wurden wütend, weil sie sich hintergangen fühlten.
Ihr Haß richtete sich naturgemäß gegen die vermeintlich Schuldige. Sie heulten auf und rückten gegen Sybilla Cordes vor. Dabei spreizten sie ihre Finger und krächzten und kreischten unaufhörlich. Die Frau erstarrte vor Entsetzen. In ihrem augenblicklichen Zustand war sie unfähig, mit dem Wagen einfach davonzufahren. Das hätte ihr auch kaum etwas genützt. Sie hätte im Gegenteil dadurch auf den Schutz des Geisterjägers verzichtet. Gordon Black sprintete los. Er versuchte, den Hexen den Weg abzuschneiden, aber sie erreichten das Fahrzeug vor ihm, denn sie brauchten sich nicht auf ihr Füße zu verlassen. Sie konnten sich in Sekundenschnelle von jedem beliebigen Ort zu einem anderen bewegen. Der Mann riß die Dämonenpeitsche aus der Jacke und ließ die fünf Schnüre durch die Luft sausen. Die Entfernung war für einen Treffer noch viel zu groß. Immerhin zogen sich die Hexen respektvoll etwas zurück und warfen ihm vernichtende Blicke zu. Lange würden sie sich nicht aufhalten lassen. Vermutlich sannen sie nur eine ihrer Teufeleien aus, gegen die die Peitsche machtlos war. Sekunden später ging es los. Sie schlugen nach ihm, obwohl sie ihn ebenfalls nicht treffen konnten. Zwei fürchterliche Hiebe streckten Gordon Black zu Boden, obwohl sie noch mindestens fünfzig Schritte von ihm entfernt waren. Sie waren demnach in der Lage, die Wirkung ihrer Schläge über größere Entfernungen auszusenden. Das brachte ihn entscheidend in Nachteil, denn seine Dämonenpeitsche wurde dadurch wirkungslos. Hastig warf er sich hinter einen Baum in der Hoffnung, dort etwas Schutz zu finden. Er trug zwar den silbernen Anhänger mit dem Abbild der Göttin Aradia um dem Hals, aber die
magische Figur konnte die Hexenschläge nicht fernhalten. Natürlich konnte er versuchen, durch einen Wurf mit dem Athame, seinen Hexendolch, eine der Hexen zu treffen, aber wenn er sein Ziel verfehlte, hatte er sich einer seiner stärksten Waffen beraubt. Das durfte er in diesem Stadium nicht riskieren. Die Hexen zeigten keine Schwäche. Das leuchtete ein, denn sie waren ja erst vor kurzem mit dem Blut der beiden Polizisten versorgt worden. Das waren ungünstige Voraussetzungen. Die Dämoninnen schlugen noch ein paarmal nach ihm, trafen ihn auch empfindlich, danach verloren sie jedoch ihr Interesse an ihm und wandten sich erneut der Frau im Auto zu. Sybilla Cordes schrie gellend auf. Ihr war klar, daß es gleich um sie geschehen war. Das mußte Gordon Black unbedingt verhindern. Er selbst hatte sie zu dieser Aktion überredet. Wenn ihr etwas zustieß, konnte er sich das nicht verzeihen. Immer würde er daran denken, daß es seine Schuld war. Ohne auf sich selbst Rücksicht zu nehmen, raffte er sich auf, nachdem er die Schnüre im hohlen Peitschengriff hatte verschwinden lassen, und rannte zu dem Wagen hinüber. Sybilla Cordes sah ihn kommen. Sie riß die Autotür auf und sprang heraus. Damit beraubte sie sich ihres letzten Schutzes. Sie lief dem Geisterjäger entgegen, der es geschickt verstand, die Hexen auf Distanz zu halten, wenn er auch ihre niederträchtigen Hiebe nicht verhindern konnte. Er biß die Zähne zusammen und rannte weiter. Zehn Schritte trennten ihn noch von der Bedrohten. Er schwang die Peitsche erneut und jagte die Hexen zurück. Aufschluchzend sank Sybilla Cordes in seine Arme. Er hielt sie fest und spürte ihren zitternden Körper. Gleichzeitig widmete er sich den Hexen, die sich nicht weiter näherten und auch nicht mehr nach ihm schlugen.
Waren sie doch schon erschöpft? *** Hanako Kamara hatte die Karte genau studiert. Sie war nun auch im Dunkeln in der Lage, die Stelle im Wald zu finden, an der sich noch die alten Überreste der eingestürzten Kirche befinden sollten. Sie begab sich auf dem schnellsten Weg dorthin, denn sie hoffte, damit Gordon in seiner Arbeit unterstützen zu können. Sie war davon überzeugt, daß dieser Platz eine besondere Bedeutung hatte. Nicht ohne Grund hatte Thunderham das Haus abbrennen lassen, nicht umsonst ließ sich dort kein Gotteshaus erbauen. Ein Dämon mußte dort sein Unwesen getrieben haben oder jetzt noch treiben. Der Asiatin war durchaus bewußt, in welche Gefahr sie sich begab. Sie verließ sich auf ihre magischen Fähigkeiten und ihre Karate-Künste. Eine gute Mischung, die sich schon oft bei irdischen und unirdischen Gegnern bewährt hatte. So sollte es auch diesmal sein. Eine Frau, besonders wenn sie so zierlich ist wie Hanako Kamara, wird allzuleicht unterschätzt. Das war ihr Vorteil. Es war dunkel im Wald. Der Mond bildete lediglich eine schmale Sichel, und selbst die wurde meistens von Wolken verdeckt. Das machte aber nichts aus, denn Hanako hatte sich mit einer Taschenlampe ausgerüstet, deren Batterien mindestens drei Stunden für ausreichendes Licht sorgen würden. Sie marschierte entschlossen vorwärts. Es gab zwar einen schmalen Fußweg, aber mit dem Wagen wäre kein Durchkommen gewesen. Offenbar bestand dafür kein Bedarf. Hanako lauschte in sich hinein. Sie achtete auf eventuelle magische Ströme, doch sie waren nur äußerst schwach vorhanden.
Das war aber noch kein sicherer Beweis, daß sie sich auf einer falschen Fährte befand. Die dämonische Anwesenheit konnte schon viele Jahre zurückliegen. Trotzdem gab es vielleicht noch Anhaltspunkte dafür. Es war still um sie her. Es gab nicht viele Wälder, in denen eine so absolute Ruhe herrschte. Genaugenommen war sie nur auf Friedhöfen üblich, und selbst da gab es Vögel, die für entsprechende Geräusche sorgten, wenn sie aufgeschreckt wurden. Sie überlegte, ob die Bewohner von Carnwath oder dessen Umgebung jemals die Kirche benutzt hatten, oder ob sie von der unheimlichen Gegend abgehalten worden waren. Die Beantwortung dieser Frage war nicht interessant. Viel wichtiger war die Ursache der Kircheneinstürze. Würde sie sie finden? Hanako dachte auch an Gordon. Es war heikel, sich mit zwei Hexen gleichzeitig anzulegen, falls sie tatsächlich existierten, was sie immer noch bezweifelte. Diese Zweifel beruhigten sie etwas. Sie ahnte nicht, daß sie in dieser Beziehung gehörig auf dem Holzweg war. Endlich kam sie an den Mauerresten an. Die Steine waren von Moos und Gras überwuchert. Pilze wuchsen in den Fugen, aber Getier ließ sich im Kegel der Taschenlampe auch hier nicht blicken. Hanako ging zunächst um die Mauern außen herum. Hinter jeder Ecke erwartete sie eine unangenehme Überraschung, aber außer weiteren überwucherten Steinen bekam sie nichts zu Gesicht. Und doch sprachen ihre Nerven auf eine Gefahr an. Vielleicht war sie schon vorüber. Das konnte sie nicht bestimmt sagen. Sie wußte nur, daß die Mauern gründlich entweiht waren. Sicherheitshalber nahm sie ein buntes Stück Glas mit. Es stammte aus einem der Mosaikfenster. Dergleichen hatte hin
und wieder dämonenbannende Wirkung. Sie war zwar durch das Dogu geschützt, aber nicht alle Unirdischen sprachen auf das gleiche an. Bevor sie über eine der Mauern in den inneren Bereich kletterte, sprach sie ein paar magische Formeln, die sie stärkten und sie mit einer gewissen Schutzhülle umgeben sollten. Die Kletterei stellte die Halbjapanerin vor keine Probleme. Sie war sportlich bis auf die Knochen, und es gab kaum eine Disziplin, an der sie sich nicht schon mal versucht hatte. Sie stieg über das Geröll und entdeckte schon bald eine gähnende Öffnung, die weiter nach unten führte. Offensichtlich hatte man einen Teil der Kirche unterkellert. Die halsbrecherischen Reste einer Steintreppe führten hinab. Hanako leuchtete mit der Lampe hinunter, doch die Finsternis verschluckte den Lichtfinger. Die Asiatin atmete tief durch und begann den Abstieg. Im stillen hoffte sie, ein paar alte Dokumente zu finden, obwohl sie wußte, daß die Kirche nie vollendet worden war. Die Treppe führte ungefähr zwanzig Fuß in die Tiefe. Es roch modrig und feucht in dem labyrinthartigen Gewölbe, in dem sich Hanako Kamara wiederfand. Es sah nicht so aus, als hätte sich dieser Ausflug gelohnt. Trotzdem ging sie weiter. Sie war nun mal hier und wollte auch alles sehen, was es zu sehen gab. Immer wieder blieb sie stehen, um sich zu vergewissern, daß sie auch tatsächlich allein war. Sie spürte jenes Kribbeln, das sie schon öfter als einmal gewarnt hatte. Doch es ereignete sich nichts. Anscheinend wurde sie langsam genauso nervös wie Sybilla Cordes, die sich auch verfolgt glaubte. Hanako bog um eine Ecke. Sie mußte sich bücken, um durch einen niedrigen Bogen schlüpfen zu können. Danach befand sie sich in einem annähernd quadratischen Raum, der auf der anderen Seite durch einen ähnlichen Bogen verlassen
werden konnte. Am Fuße dieses Bogens kauerte eine schwarzgekleidete Frau! Die Asiatin hatte schon nicht mehr wirklich mit einer Überraschung gerechnet. Jetzt war sie da, und Hanako stand vor der Frage, wie sie sich verhalten sollte. War die Gestalt, die ihr vorläufig keine Beachtung schenkte, die Mörderin Laurina, die sich nach ihren Bluttaten in das unterirdische Gewölbe zurückzog? Handelte es sich um eine der rätselhaften Hexen, von denen die Cordes immer wieder sprach, oder wer sonst trieb sich ausgerechnet in dieser unheimlichen Ruine herum? Hanako war gewöhnt, Fragen zu stellen, wenn sie eine Antwort erwartete. Also blieb sie auch diesmal ihrem Grundsatz treu und rief halblaut: »He, Laurina! Du hast dich gut versteckt, aber nicht gut genug.« Zu ihrer Verwunderung fuhr die Unheimliche nicht zu ihr herum oder griff sie gar an. Sie blieb bewegungslos hocken und kümmerte sich um die nächtliche Besucherin nicht. Hanako wurde nicht unvorsichtig. Die gespielte Harmlosigkeit konnte ein Trick sein, eine Falle. Allerdings war auch denkbar, daß Laurina wie Vampire ihre Schwächezeit hatte, in der sie sich verbergen mußte. Es konnte sein, daß sie hier den Tag mit seinem Sonnenlicht abwarten wollte. Aber hatte sie nicht auch schon bei Tage ungeniert gemordet? Die Asiatin murmelte unaufhörlich Schutzworte und näherte sich der Fremden. Sie wunderte sich, daß sie keine stärkeren dämonischen Ströme spürte. Plötzlich durchschoß sie ein Gedanke. War die Schwarzgekleidete etwa tot? Hatte sie eines von Laurinas Opfern vor sich? Sie zögerte nicht länger. Mit raschen Schritten kam sie
heran und berührte die Frau. Sie fühlte sich kalt und starr an. Beides konnte genausogut auf eine Tote wie auf einen Geist hindeuten. Zumindest griff die Unbekannte nicht an. Das ließ Hanako entschlossener zupacken. Die Frau kippte lautlos zur Seite. Ihre rötlichen Haare fielen aus ihrem Gesicht heraus, aus jenem Gesicht, das Hanako nur zu gut kannte. »Sybilla Cordes!« flüsterte sie ungläubig. Die Frau lebte nicht mehr, darüber gab es nicht den leisesten Zweifel. Aber wie kam sie hierher? In so kurzer Zeit? Gordon wollte doch mit ihr zur Argyll-Brücke fahren, wo sie ein Rendezvous mit den Hexen erwarteten. Und jetzt war sie tot! Hanako merkte schnell, daß etwas nicht in Ordnung war. Diese Frau war nicht erst vor kurzem gestorben. Sie lag mit Sicherheit schon zwei volle Tage hier unten. Aber wenn hier Sybilla Cordes’ Leichnam lag, wer war die Frau, die von ihnen Hilfe erhoffte und mit der Gordon in diesem Moment zusammen war? Hanako Kamara wußte die Antwort, und ihr hübsches Gesicht verzerrte sich entsetzt. *** Gordon Black erfaßte die Veränderung sofort, nur war ihm nicht gleich klar, wodurch sie veranlaßt wurde. Die Hexen zogen sich weiter zurück, ohne daß er sie bedrohte. Dabei machten sie durchaus keinen erschöpften Eindruck. Sie wandten sich nach ihm und der bebenden Frau um und höhnten: »Ausgezeichnet, Laurina! Dieses Stückchen macht dir so leicht keine nach. Wir sind stolz auf dich.«
Sie lachten und grölten und wußten sich vor Übermut überhaupt nicht zu fassen. Laurina? Die Erkenntnis überfiel den Geisterjäger wie ein Keulenhieb. Er hielt die Hexe im Arm! Die angebliche Sybilla Cordes hatte sie die ganze Zeit genarrt. Sie hatte eine glänzende Komödie gespielt, nur zu dem Zweck, ihn den Hexen auszuliefern. Er wollte sich aus der tödlichen Gefahr winden, wollte sich losreißen, aber Laurina, die Frau, die eben noch wie ein kranker Vogel Schutz bei ihm gesucht hatte, drängte sich mit unwiderstehlicher Macht an ihn, und die höllische Wärme ihres Körpers durchpulste ihn. »Küß mich, Gordon!« hauchte sie. Der Klang ihrer Stimme betörte ihn. Er wünschte sich, sich der Verlockung hingeben zu dürfen, aber er wußte, daß dies sein Tod sein würde. Er durfte keinesfalls schwach werden. Er mußte sich unaufhörlich das Schicksal jener Männer vor Augen halten, die dem Charme der Teufelin erlegen waren. »Großer Adonay!« flüsterte Gordon Black. »Verlaß mich in dieser Stunde nicht!« Ihr lockender Mund kam näher. Die beiden Hexen verfolgten in gebührendem Abstand das Schauspiel. Sie lauerten auf das Blut ihres Widersachers, das sie in wenigen Augenblicken schlürfen wollten. Gordon Black konzentrierte sich voll auf seine Aufgabe. Er verbannte jeden nebensächlichen Gedanken aus seinem Gehirn, und vor allem bemühte er sich, die Ohren vor den gehauchten Betörungen zu verschließen. Er wich dem Blick der jungen Hexe aus. Ihm war klar, daß vor allem ihre Augen, diese grünfunkelnden Höllenquellen, ihre bisherigen Opfer gelähmt hatten. Noch immer hielt er die Dämonenpeitsche in der Faust. Er konnte damit nicht zuschlagen, denn Laurina preßte sich
hautnah an ihn. Sie hätte wenigstens im Abstand von einigen Yards stehen müssen. Auch an das Hexenmesser kam er nicht heran. Er trug es unter dem Hemd an der roten Schnur. Laurina ließ nicht zu, daß er es hervorzog. Er spürte jedes Detail ihres begehrenswerten Körpers. Ihr Busen fühlte sich fest und unschuldig an. Unvorstellbar, daß er einer Teufelin gehörte, deren Ziel es war, Männer zu morden. »Töte ihn!« forderten die beiden gräßlichen Hexen. »Wir wollen sein Blut. Damit werden wir noch mächtiger.« Zarte Finger strichen über Gordon Blacks Nacken. Er stöhnte auf. Gleichzeitig aber sagte er sich, daß sie eine verdammte Hexe war. In seinen Ohren rauschte das Blut wie der Niagarafall. Ich habe ihr doch das Kruzifix gegeben, dachte er verständnislos. Wie kommt es, daß eine Hexe unbeschadet das heilige Kreuz tragen kann? Er riß sich zusammen und ließ die Dämonenpeitsche in seiner Tasche verschwinden. Nun hatte er wieder eine Hand frei, und damit tastete er über Laurinas Rücken, die sich ihrem Ziel sehr nahe glaubte. Auch die anderen Männer hatten versucht, sie zu liebkosen, bevor sie den tödlichen Biß empfingen. Seine Hand wanderte bis zum Nacken. Die Finger suchten die dünne, silberne Kette und fanden sie an ihrem schlanken Hals. Sie krallten sich darum und rissen sie mit einem Ruck aus dem runden Ausschnitt. Gordon Black spürte einen fürchterlichen Schlag, der ihn genau zwischen den Augen traf. Ein grellweißer Blitz blendete ihn. Das war sein Glück. So entging er zumindest für diesmal Laurinas bannendem Blick. Die Tochter der beiden Nebelhexen, die kreischend die Veränderung beobachteten, schrie wie ein Marktweib auf. Der
Geisterjäger erkannte den Grund. Unweit von ihm lag ein schwarzes Etwas, das er ihr mit der Kette vom Hals gerissen und fortgeschleudert hatte. Es sah aus, als lebte es. Ganz sicher war es nicht das Kruzifix, sondern ein Auge der Finsternis. Gordon Black hatte bereits früher mit Dämonen zu tun gehabt, die über ein derartiges Auge verfügten. Er wußte, daß es sich um eine starke Waffe handelte, gegen die sogar sein Hexenmesser machtlos war. Jetzt lag es auf dem Boden, und, wie erwartet, stürzte sich Laurina mit einem Aufschrei darauf, um es zu retten. Das verschaffte dem Geisterjäger für Sekunden etwas Luft. Zwar fühlte er sich hundeelend, und in seinem Innern lebte das Verlangen nach dieser Frau, aber sein Unterbewußtsein war so trainiert, daß es weiterarbeitete. Es befahl ihm zu handeln. Blitzartig riß er die Dämonenpeitsche heraus und vollführte einen gezielten Hieb. Laurina war auf der Hut. Biegsam wie eine Weidengerte wich sie zur Seite aus, daß die verhängnisvollen Schnüre sie nicht berührten. Doch Gordon Black hatte sie mit diesem Schlag gar nicht treffen wollen. Sein Angriff galt dem Höllenauge. Eine der fünf Schnüre verfing sich in der Kette und fegte das dämonische Amulett in hohem Schwung quer über die Straße. Laurina raste vor Wut. Zwar war sie noch immer schön, aber ihr Haß und die Angst, das schwarze Auge einzubüßen, verwandelten sie in eine Furie. Das war ein Glück, denn damit verlor sie ihre Wirkung, mit der sie die Männer unrettbar in ihren Bann zog. Sie bestand nur noch aus Haß, und damit gab sie ihrem Gegner eine Chance. Gordon Black versuchte, sie zu nutzen. Während Laurina aufheulend zu dem Auge der Finsternis lief, um es zu retten, führte er den nächsten Hieb mit der Peitsche.
Wieder war die Hexe gezwungen, auszuweichen. Wieder trieben die Schnüre das Amulett weiter zur Brücke. Nun sahen auch Hyra und Mortulla die Gefahr. Wenn es Gordon Black gelang, das schwarze Auge ins Wasser zu schleudern, würde seine Kraft zwar nicht zerstört, aber doch empfindlich geschwächt werden. Sie vollführten einen Höllenspektakel und liefen in ihren schwarzwallenden Gewändern zur Brücke. Mortulla schlug wütend per Distanz nach dem Geisterjäger. Dieser taumelte zurück und war sekundenlang benommen. Diese Zeitspanne genügte Laurina, um das Dämonenauge an sich zu bringen und um den Hals zu hängen. Sie lachte triumphierend auf, und ihr Lachen hallte klirrend über den Fluß, der augenblicklich zu Eis erstarrte. Mitten im Sommer bildete sich eine dicke, tragfähige Eisschicht. Die Hexen rannten nun zu dritt gegen Gordon Black an, der nur mühsam wieder zu sich kam. Er hatte Mortullas Angriff übersehen und den Treffer voll einstecken müssen. Jetzt geriet er in arge Bedrängnis. Laurina war wieder unüberwindlich, und sie erhielt die Hilfe der Abscheulichen, die er, wie die Prellungen an seinem Körper verrieten, auch nicht unterschätzen durfte. Mit Hilfe konnte er nicht rechnen. Der Bezirk in der Nähe der Argyll-Brücke war keine Wohngegend. Es war mitten in der Nacht. Er war völlig auf sich allein gestellt. Der Geisterjäger schlug dreimal das Kreuz, als sie heranrasten, und murmelte die große Bannlitanei des mächtigen Versenow, des Magiers aus den Karpaten. Das verschaffte ihm eine kurze Atempause, während der er wenigstens die Angreifer mit der Dämonenpeitsche auf Distanz halten konnte. Allerdings gelang ihm kein Treffer. Allmählich ließen seine Körperkräfte nach, während die Hexen nicht die geringste Spur von Ermüdung zeigten. Sie schrien um die Wette. Nur Laurina, die sich wieder voll
in der Gewalt hatte, stach wohltuend davon ab, aber gerade diese Beherrschtheit, die melodische Stimme mit dem lockenden Timbre, die wollüstige Gestalt, die sich in aufreizenden Posen darbot, waren gefährlicher als Hyra und Mortulla zusammen. Wieder mußte Gordon Black aufpassen, daß er nicht von ihrem Blick eingefangen wurde. Aber es genügte nicht, daß er selbst unbehelligt blieb. Sein eigentliches Ziel bestand schließlich darin, die Hexen zu vernichten, und dafür hatte er noch kein Rezept gefunden. Er ging dazu über, die Hexenschläge mit der Peitsche abzuwehren, denn er hatte herausgefunden, daß die Wirkung durch die Bahnen der mit Weihen und Flüchen beladenen Schnüre entscheidend gemildert wurde. Gleichzeitig bemühte er sich immer wieder, einen Treffer anzubringen, doch dazu mußte er sie näher an sich heranlassen, was mit großer Gefahr für ihn verbunden war. Während er verbissen kämpfte, dachte er pausenlos darüber nach, wie es hatte geschehen können, daß er der Täuschung Laurinas erlegen war. Hanako und er hatten zwar die dämonischen Strahlen in dem Haus gespürt, aber immer auf den Besuch der grausigen Hexen zurückgeführt. Laurina mußte tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit der echten Sybilla Cordes haben, deren Verbleib noch ungeklärt war. Daß sie sich beliebig verwandeln konnte, hatten ja bereits die unterschiedlichen Zeugenaussagen bewiesen. Diese Erkenntnis half ihm momentan nicht weiter. Er konnte nur daraus seine Lehre ziehen, falls es ihm gelang, mit heiler Haut dieser geballten Übermacht, zu entgehen. Offenbar hatten sich die Hexen eine neue Taktik ausgedacht. Die beiden alten blieben zurück, während Laurina unerschrocken auf den Geisterjäger zuging und die Arme nach ihm ausstreckte. Gordon Blacks Atem ging schneller, je näher sie kam. Trotz
aller Konzentration gelang es ihm nicht völlig, sich ihrem verzehrenden Einfluß zu entziehen. Er führte einen Hieb mit der Peitsche nach ihr. Drei der Schnüre trafen sie voll. Ihr schlichtes, schwarzes Kleid, mit dem sie die Rolle der Trauernden so perfekt gespielt hatte, ging zum Teil in Fetzen. Ihre weiße Haut leuchtete unter dem düsteren Stoff und verschlug Gordon Black den Atem. Laurina lachte wie die Sünde selbst. Sie reckte ihren Körper und sprengte weitere Fesseln. Sie war nun fast nackt und näherte sich ihrem Gegner unbeirrbar. Der Geisterjäger fühlte eine plötzliche Leere in seinem Gehirn. Ihm war bewußt, daß er in seinem ganzen bisherigen Leben noch keine Frau gesehen hatte, die es an Schönheit und Zauber mit Laurina auch nur im entferntesten hätte aufnehmen können. Diese Glutäugige bot sich ihm an. Sollte er sich ihr verweigern? War er nicht ein Narr? Verdammt! Gordon Black riß sich gewaltsam aus diesen Gedanken. Sie waren verderbenbringend. Wenn er sich ihnen überließ, war er verloren. Er zwang sich zu einem weiteren Peitschenhieb. Die Schnüre klatschten auf die begehrenswerte Haut und hinterließen nicht den feinsten Striemen. Laurina zuckte auch unter keinem Schmerz zusammen. Sie trug das Auge der Finsternis. Damit war sie unbesiegbar. Sie kam näher. Sie kostete jeden Schritt aus, wußte sie doch, daß ihr Opfer ihr nicht entgehen konnte, daß auch die Dämonenpeitsche keine Macht über sie gewann. Die beiden anderen Hexen hielten sich aus dem Zweikampf heraus. Auch für sie stand fest, daß in wenigen Augenblicken die Schlacht zu Gunsten der höllischen Mächte geschlagen war. Der Geisterjäger wußte, daß er Laurina kein zweitesmal so dicht an sich herankommen lassen durfte, daß er ihr das Amulett erneut entreißen konnte. Er war dafür nicht mehr stark
genug. Zu lange schon war er der Bannwirkung der Hexe ausgesetzt. Zwar hatte er bisher geschafft, was keinem von Laurinas Opfern gelungen war, doch das reichte bei weitem nicht aus. Früher oder später legte sie auch seinen geistigen Widerstand lahm. Schon jetzt ertappte er sich immer häufiger bei dem Wunsch, sich diesen lockenden Armen ganz hinzugeben, sich von diesem Mund küssen zu lassen, wobei die Vorstellung, durch diesen Kuß getötet zu werden, immer mehr von ihrem Schrecken verlor. Noch drei Schritte. Ihre dämonische Kraft überwältigte ihn. Jetzt war er verloren. Zwar wollte er noch einmal den Arm heben, um das Athame hervorzureißen, aber es blieb bei dem Wunsch. Sein Körper gehorchte bereits der andern. Er war ihr hilflos ausgeliefert. *** Sie hatte es immer geahnt. Instinktiv hatte Hanako Kamara gespürt, daß mit dieser Sybilla Cordes etwas nicht in Ordnung war. Und dennoch hatte sie die falschen Schlüsse aus ihrem Verdacht gezogen. Sie hatte geglaubt, die Frau mit den roten Haaren hielte sie selbst für Laurina. Sie hatte ihr auch eine Portion Eifersucht zugetraut, denn der verlangende Blick, den sie hin und wieder Gordon zugeworfen hatte, war ihr nicht entgangen. Niemals aber hätte sie für möglich gehalten, daß George Harris’ Verlobte bereits tot war, als Gordon und sie hergekommen waren. Wie waren sie doch genarrt worden! Die erste Begegnung mit den Hexen, von denen die falsche Sybilla ihnen erzählt hatte, hatte tatsächlich stattgefunden, aber Sybilla Cordes war nicht in Ohnmacht gefallen, sie war getötet
worden. Sie hatte ihre fürchterliche Strafe empfangen, vermutlich, weil sie einen Geisterjäger hergebeten hatte. Laurina hatte danach ihre Rolle übernommen, und zwar so perfekt, daß keiner von Sybillas Bekannten den Betrug gemerkt hatte. Zuvor hatte Laurina der kleinen Mabel das Grauen beigebracht und George Harris mit den nachtblauen Tulpen den Tod übergeben. Vielleicht waren die gespenstischen Blumen ein unheimliches Höllensymbol. Sybilla Cordes war furchtbar bestraft worden. Die gleiche Strafe aber mußte Doc Billway erhalten, dessen Idee es gewesen war, den Geisterjäger zu informieren. Laurina hatte schnelle Arbeit geleistet und ihn umgebracht, so wie sie es mit vielen Männern zuvor getan hatte, deren Blut sie den Hexen bringen mußte. In welchem Verhältnis sie zu diesen Hexen stand, war noch nicht klar. Auf jeden Fall wurde sie mit Sicherheit nie von ihnen bedroht. Sie arbeiteten zusammen, und die Geschichte, daß von ihr verlangt worden war, den Hexen ein Blutopfer zuzuführen, hatte nur dazu gedient, Gordon in die tödliche Falle zu locken. Warum hatte sie ihn nicht längst getötet? Gelegenheit hätte sie doch zur Genüge gehabt. Hatte sie das wirklich? Noch nie hatte Laurina den Geiserjäger allein erwischt. Immer war sie, Hanako, oder ein paar Polizisten dabeigewesen. Die verführerische Hexe hatte es klug verstanden, Gordon allein an einen Ort zu locken, an dem er ihr ausgeliefert war. Die Asiatin blickte schaudernd auf den Leichnam. Gordon ahnte wahrscheinlich noch nichts von dem Verhängnis, das sich über ihm zusammenbraute. Es würde ihn unvorbereitet treffen und ihm keine Chance zur Gegenwehr lassen. Sie wußte zwar, daß Laurina mit ihm zur Argyll-Brücke gefahren war, doch sie konnte ihn nicht mehr rechtzeitig
warnen. Bevor sie dort war, hatte die Hexe ihr Opfer längst in den Klauen. Hanako erinnerte sich einer Praxis, die sie mit Gordon Black schon einige Male erprobt hatte. Sie konzentrierte sich völlig auf diesen Mann und auf die Gefahr, in der er schwebte. Sie hoffte inständig, daß es ihr gelang, mit ihm geistigen Kontakt aufzunehmen. Vielleicht konnte sie auch etwas von ihrer Kraft auf ihn übertragen. Sie würde Laurinas Verführungskunst nicht erliegen. Sie war eine Frau, eine Rivalin. Die Halbjapanerin löschte das Licht der Taschenlampe und versenkte sich in den Auftrag, den sie sich selbst erteilte und den sie dem Geisterjäger übermitteln wollte. »Sie ist eine Hexe, Gordon!« dachte sie immer wieder. Sie versuchte, mit diesen Gedanken einen Zwang auszuüben. Dieser Zwang mußte mindestens so stark sein wie jener, der von Laurina ausging. »Vernichte sie, Gordon! Sonst tötet sie dich. Sie ist böse. Sie ist keine Frau. Sie haßt dich.« Die ständigen Gedanken erschöpften sie. Schon nach wenigen Minuten war Hanako schweißgebadet und fühlte sich innerlich wie ausgehöhlt. Sie gab ihre ganze Kraft, um die Entfernung von wenigen Meilen zu überbrücken. Sie preßte beide Fäuste gegen ihre Schläfen. An nichts anderes wollte sie denken. Nichts durfte sie ablenken. Sie zitterte. Es war Schwäche. Diese Tortur konnte sie nur noch ganz kurze Zeit aushalten, dann würde sie das Bewußtsein verlieren und konnte nichts mehr für Gordon tun. Ihre Hände krallten sich in den Schutt, der sie umgab. Ihr Atem wurde knapp. Mit energischem Ruck riß sie die obersten Knöpfe ihrer Bluse auf, um sich Luft zu verschaffen. Der silberne Anhänger der Göttin Aradia, den Gordon ihr gegeben hatte, geriet zwischen ihre Finger. Er erfüllte sie mit neuer Kraft. Sie wußte, daß auch Gordon einen solchen
Anhänger trug. Mußte es nicht möglich sein, die kleinen Skulpturen als geistige Sender und Empfänger zu benutzen? Fest schloß sich ihre Faust um das kühle Silber. Ein letztesmal rief sie den Geisterjäger und bemühte sich, seinen Verstand zu wecken. Die Anstrengung war so groß, daß das Metall heiß wurde und ihr in der Handfläche Schmerzen bereitete, aber sie ließ nicht los. Da endlich empfing sie ein Signal. Es war kaum wahrzunehmen. Sehr schwach. Es mußte von Gordon Black ausgehen. Nun war ihr endgültig klar, daß er am Ende seiner Kraft war. *** Laurina berührte den Mann mit ihren Fingerspitzen. Knisternde Funken sprangen über und verbreiteten einen betäubenden Duft. Er legte sich zusätzlich auf Gordon Blacks ohnehin geschwächte Sinne und machte den Hölllenbann perfekt. Laurinas nackter Oberkörper war dicht vor ihm. Er griff danach, und es gefiel ihm. Die Hexe drängte sich dichter heran. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Mit Tändeleien verlor sie keine Zeit mehr. Sie wußte genau, daß dieser Mann erst dann nicht mehr gefährlich war, wenn sie sein Blut hatte. Ihre Zungenspitze erschien zwischen den Lippen. Gordon Black stöhnte auf. Was für ein Weib! Diese Nacht würde unvergeßlich für ihn werden. Er wollte sie in allen Phasen auskosten. Sein Herz schlug wie rasend. Es schien, als wollte es aus seiner Brust springen. Er griff mit der Hand danach, fühlte aber nur ein Stückchen Metall zwischen den Fingern. Er zuckte zusammen. Es war, als hörte er eine leise Stimme. Es war eine Frauenstimme, aber sie gehörte nicht Laurina. »Vernichte sie! Töte sie! Du bist stärker als sie.« Gähnende Leere war in seinem Gehirn, aber diese
eindringlichen Worte füllten den Hohlraum. Gordon Black roch den betäubenden Duft Laurinas. Er fühlte sie, er sah ihren verlangenden Mund und ahnte ihren dämonischen Blick. Und doch war die leise Stimme etwas, an das er sich halten und aufrichten konnte. Ein Tau, das ihm vom rettenden Ufer der irdischen Welt zugeworfen wurde. Der Geisterjäger packte zu. In Gedanken. Er nahm die geistige Verbindung auf und wiederholte die Worte, die ihm wie ein Opiat eingeträufelt wurden. »Ich bin stärker als sie. Ich kann sie vernichten.« Die Hexe spürte sofort die Veränderung, die ihr Opfer erfuhr. Sie startete zum letzten Angriff. Mit einem lustvollen Aufschrei klammerte sie sich an den Geisterjäger, der in diesem Augenblick das Hexenmesser von der roten Schnur riß. Aus dem lustvollen Schrei wurde ein entsetzter. Laurina stieß Gordon Black von sich fort und überschüttete ihn mit Flüchen und Verwünschungen. Sie konnte nicht begreifen, wie es dem Mann doch noch gelungen war, ihren Bann zu durchbrechen. Warum hatte sie ihm so viel Zeit gelassen? Gordon Black empfing weiter Hanakos aufrüttelnde Mahnungen, die ihn aus der Erstarrung gerissen hatten. An ihnen richtete er sich auf. Zwar bedauerte er, dieser herrlichen Frau wehtun zu sollen, denn noch immer übte Laurina einen beträchtlichen Einfluß auf ihn aus, aber wenigstens gelang es ihm, sich die Notwendigkeit einzureden. »Sie ist eine Hexe«, schrie er so laut, als könnte er es überhören. Mit dem gezückten Hexendolch verfolgte er sie und schöpfte Hoffnung, daß er sie damit trotz des Auges der Finsternis vernichten konnte. Sicher war das keineswegs. Jedenfalls floh sie vor ihm. Sie war ungeheuer schnell, er dagegen hatte keine Kraft
mehr. Der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich immer mehr. Mit verzweifelter Entschlossenheit hob er den Arm mit dem Hexenmesser, um es nach ihr zu werfen. Er mußte sich auf sein Glück verlassen. Eine solche Chance kehrte kaum so schnell wieder. Er holte zum Schwung aus. Laurina stoppte, wandte sich um und kreischte in höchster Angst auf. Gordon Black warf sich mit dem Rest seiner verbliebenen Energie nach vorn. Er mußte die Hexe treffen. Er konnte sie gar nicht verfehlen. Da empfing er einen mörderischen Schlag gegen seinen Unterarm. Ein Schmerz durchwühlte ihn, daß er glaubte, beide Knochen müßten gebrochen sein. Wieder hatte eine der beiden alten Hexen in höchster Not Laurinas Ende verhindert. Elle und Speiche blieben zwar heil, aber der Hexendolch entfiel seiner kraftlosen Faust. Durch den Schwung raste er noch vorwärts, direkt in Laurinas geöffnete Arme. Sie verwandelte sich schlagartig. Von Furcht war nichts mehr zu spüren. Nur noch von Vernichtungswillen. Laurina griff wohl nach ihm, doch er entschlüpfte ihren gierigen Fingern. Erst als er an ihr vorbei war, öffnete er die Augen wieder und sah plötzlich etwas vor sich, was ihm wie eine rettende Insel erschien. In der Mitte der Brücke reckte sich ein riesiges Steinkreuz in den nachtschwarzen Himmel. Gordon Black rannte darauf zu. Laurina verfolgte ihn. Schon spürte er ihre Glut in seinem Rücken. Sie griff nach ihm und hielt ihn zurück. Er schlug mit der Faust nach der schönen Hexe. Sie lachte nur. Er lief weiter. Noch vier Schritte. Jetzt war sie unmittelbar neben ihm und wollte sich ihm in den Weg stellen. Da sprang er! Mit einem entschlossenen Satz stieß er sich ab und flog mit vorgereckten Armen auf das steinerne Monument
zu. Er berührte es mit den Fingerspitzen, krallte sich in den rauhen Stein und zog sich dicht an das Kreuz heran. Schwer schnaufend kauerte er sich auf den Sockel. Laurina stampfte vor namenloser Wut mit dem Fuß auf. Die Brücke geriet in heftige Schwingungen, die sich immer mehr aufschaukelten und die Stahlträger aus den Auflagern zu reißen drohten. Hyra und Mortulla führten erneut vernichtende Schläge gegen den Mann unter dem Kreuz, doch die Wirkung prallte diesmal an dem Stein ab und traf sie selbst. Heulend und winselnd wanden sie sich auf dem Boden und krochen jammernd davon. Es war zweifellos das erste Mal, daß sie sich selbst niedergeschlagen hatten. Auch Laurina war gezwungen, sich zurückzuziehen, denn die Brücke unter ihren Füßen, die sie selbst in Aufruhr versetzt hatte, krachte bedrohlich, und schließlich barst sie mit donnerndem Getöse. Gordon sauste in die Tiefe. Er klammerte sich an dem Kreuz fest, obwohl seine Kraft dazu kaum noch ausreichte. Auf halber Höhe blieb er hängen. Ein paar Stahlbetonteile schlugen unter ihm auf die Eisschicht, die kochend aufzischte und im Nu das Wasser des Flusses wieder freigab. Dem Zugriff der Hexen war er damit entronnen. Sie konnten nicht zu ihm und würden sicher nicht so lange warten, bis der Tag anbrach und sich die Trümmerstelle mit Leben füllte. Gordon Black schaute nach oben. Dort stand Laurina. Aus den Zurufen der beiden alten Hexen hatte er sich zusammengereimt, daß es sich um deren Tochter handelte. Unvorstellbar, aber das erklärte zumindest den bedingungslosen Gehorsam, mit dem die schöne Frau für die garstigen Hexen das Menschenblut beschaffte. Laurina raste noch immer vor Wut. Sie schaute mit glühenden Augen in die Tiefe und hielt dem Geisterjäger das Schwarze Auge der Finsternis entgegen.
»Ich kriege dich doch!« schrie sie. »Schon bald gehörst du mir, und Hyra und Mortulla werden dein Blut trinken. Das schwöre ich beim Hades!« Ihr Haar wurde plötzlich heller und verwandelte sich in glänzendes Gold. Dabei wuchs es unaufhörlich, bis es über ihre Hüften reichte. Der schwarze Fetzen fiel von ihrem Körper ab und gab den Blick auf ein giftgrünes, modisches Kostüm frei. Doch auch dieses Bild blieb nicht. Laurina verlor ihre Haare. Nun zeigte sie sich in extrem kurzer Fransenfrisur, die wie eine frisch geschälte Kastanie glänzte. Sie lachte gellend, und Gordon Black begriff in böser Ahnung, was sie ihm mit dieser Vorstellung beweisen wollte. Wie bisher konnte sie sich in jede beliebige Frau verwandeln, und er würde nicht in der Lage sein, sie rechtzeitig zu erkennen. *** Hanako erwachte aus tiefer Erschöpfung. Sie konnte sich zwar erinnern, daß sie versucht hatte, mit Gordon Kontakt aufzunehmen, doch wie das Ganze ausgegangen war, wußte sie nicht. Sie fürchtete noch immer für das Leben des Geisterjägers und war entschlossen, ihm auch jetzt noch zu Hilfe zu eilen. Genau wie Gordon Black verfügte auch sie über einen Mietwagen, den sie außerhalb des Waldes geparkt hatte. Überstürzt verließ sie die Kirchenruine und hastete durch den Wald, in dem es längst nicht mehr so finster war, weil sich inzwischen der neue Tag ankündigte. Außer Atem kam sie beim Wagen an und warf sich hinters Lenkrad. Sie war aufgewühlt. Der grausige Fund in der Kirche und die daraus folgenden Konsequenzen erschütterten sie zutiefst. Sie startete den Motor und ließ die Reifen quietschen, als sie
ungestüm Gas gab. Ihr Ziel war die Argyll-Brücke. Schon von weitem erkannte sie, daß sie zu spät kam. Sie fand ein Trümmerfeld vor. Die Brücke hing halb in den Fluß hinein. Weder von Laurina, noch von Gordon war eine Spur zu entdecken. Hanako spürte starke dämonische Strahlen. Das war der Beweis, daß ein gnadenloser Kampf stattgefunden hatte. Was sollte sie jetzt tun? War Gordon tot? Wo war dann sein Leichnam? Was plante Laurina als nächste Schandtat? Die Asiatin versuchte, sich die letzten Geschehnisse seit Gordons Anruf bei ihr ins Gedächtnis zu holen. Sybilla Cordes, von der zu diesem Zeitpunkt noch niemand wußte, daß sie selbst die dämonische Laurina war, hatte, einem angeblichen Nervenzusammenbruch nahe, Gordon von ihrer letzten Begegnung mit den Hexen erzählt. Hanako stutzte. Hatte Gordon ihr nicht berichtet, die Frau sei von dem Polizeiarzt versorgt worden? Wieso hatte der Mediziner nicht erkannt, daß er kein menschliches Wesen vor sich hatte? Das war doch unmöglich. Medizinischen Instrumenten hielt diese Täuschung kaum stand. Aber der Doc hatte keinen Verdacht geäußert. Dafür gab es nur eine Erklärung. Auch er mußte von der Hexe mit dem Bann belegt worden sein. Nur die Gegenwart der vielen Polizisten, die wegen ihrer ermordeten Kollegen in dem Haus waren, hatte ihn vor dem Tod bewahrt. Zumindest vor dem unverzüglichen. Für Laurina stellte der Mann möglicherweise noch immer eine Gefahr dar. Er kannte ihr Geheimnis. Irgendwann konnte der Bann von ihm abfallen, und er würde sich erinnern. Es stand nicht fest, ob der Hexe das etwas ausmachte, denn sie war in der Lage, sich zu verwandeln, doch sie hatte bisher jeden getötet, der ihr auch nur im entferntesten hätte unbequem
werden können. Warum nicht auch den Polizeiarzt? Hanako war von dieser Erkenntnis wie besessen. Wenn Gordon wirklich tot war, was zu glauben sie sich beharrlich weigerte, so mußte sie die Initiative ergreifen. Ein Menschenleben war zu schützen. Vielleicht gelang es ihr. *** Doc Craig wurde von unruhigen Träumen geplagt. Er warf sich in seinem Bett hin und her und erwachte schließlich mit jagendem Puls. Sein Bett war naß vom Schweiß. Das Kopfkissen wies einen langen Riß auf, als hätte er damit gekämpft. Der Arzt richtete sich mühsam auf und versuchte, sich an den Traum zu erinnern. Neben ihm auf dem Nachtkasten lag ein Tablettenröhrchen. Er griff danach, öffnete es und schluckte eine der weißen kalkigen Pillen. Danach wartete er, daß er ruhiger wurde. War es ein Wunder, daß er erregt war? Innerhalb kürzester Zeit waren drei Polizisten auf grausame Weise ermordet worden. Erst Inspektor Leverty und bald danach Hicks und Moore. Wie konnte das geschehen? Wer war diese Bestie, die anscheinend die Männer betäubte, bevor sie sie umbrachte? Doc Craig strich sich über die Stirn. Da war etwas, das aus seiner Erinnerung hervorbrechen wollte, etwas, das anscheinend verschüttet war. Hatte es mit jener Frau zu tun, die er gestern untersucht hatte und die ihm seither nicht mehr aus dem Kopf ging? Was für eine Frau! Sie hatte ihn auf eigenartige Weise fasziniert, obwohl es gewiß nicht nur an ihrer Schönheit lag. Aber was war der Grund? Für die holde Weiblichkeit hatte er nie besonders viel übrig gehabt. Das lag vermutlich daran, daß er sie von Berufs wegen zu genau kannte. Sie bot ihm kaum
noch einen verborgenen Reiz. Nur bei dieser Miß Cordes hatte er etwas Neues entdeckt. Wenn er sich doch nur daran erinnern könnte. Der Doc verließ das Bett, schlüpfte in seine Hausschuhe und schlurfte zum Fenster. Es wurde schon allmählich hell. Es war wohl am vernünftigsten, wenn er sich wusch und anzog. Das viele Grübeln führte zu nichts. Es machte die Lebenden nicht klüger und die Toten nicht wieder lebendig. Die Toten! Jetzt hatte er es. Als er Sybilla Cordes untersuchte, hatte er kein Lebenszeichen an ihr wahrgenommen. Keinen Puls, keinen Herzschlag, nicht mal einen Atemhauch. Schlagartig war ihm bewußt geworden, daß es sich um keine irdische Frau handeln konnte, daß sie, ihnen allen eine Farce vorspielte. Aber warum hatte er dazu geschwiegen? Er hätte doch seine Beobachtung umgehend Inspektor Quarmby mitteilen müssen. Sie war von höchster Wichtigkeit. Doc Craig war kein Dummkopf. Er brauchte nicht lange, um zu erkennen, daß er manipuliert worden war. Die Dämonin mußte ihm ihren Willen aufgezwungen haben, und der befahl ihm, ihr fürchterliches Geheimnis für sich zu behalten. Doch jetzt war er wieder Herr über seine Sinne. Es war vielleicht spät, Versäumtes nachzuholen, aber keinesfalls zu spät. Das Telefon! Er mußte den Inspektor anrufen. Besser wäre noch der Geisterjäger gewesen, Mr. Black, aber von dem wußte er die Nummer nicht. Er verließ seinen Fensterplatz und wandte sich erneut seinem Bett zu, neben dem der Telefonapparat auf eventuelle nächtliche Anrufe wartete. Doc Craig erstarrte. In seinem Bett lag eine Frau und lächelte ihn betörend an.
Von einer Sekunde auf die andere vergaß er sein ursprüngliches Vorhaben. Er dachte nicht mehr an Sybilla Cordes, die er als Hexe entlarven wollte. Diese hier sah ganz anders aus. Sie hatte pechschwarze Haare und Augen wie eine Katze. Sie spitzte die Lippen und schnurrte dazu. In den Ohren des betäubten Mannes klang es wie köstliche Musik. Er dachte nicht mehr an die Nähe der Nebelmächte, als er erwartungsfroh auf die Frau zuging. Er beugte sich über sie und fühlte wohlig, wie ihn ihre weichen Arme umfingen. Erst als sie ihn küßte, erwachte er und spürte ihre scharfen Zähne. Ein gellender Aufschrei drang an sein Ohr. Er wußte nicht, ob er selbst geschrien hatte. Etwas riß ihn zurück und schleuderte ihn quer durch das Zimmer. Karate! dachte er und hielt sich den schmerzenden Schädel. Immerhin sorgte dieser Schlag dafür, daß die Schmerzen stärker waren als der Hexenbann. Das hinderte ihn daran, zu Laurina zurückzukehren. Ungläubig beobachtete er, daß eine zweite Frau aufgetaucht war. Ebenfalls eine Hexe? Sie war unwahrscheinlich schlank und beweglich. In dem Wirbel, den sie vollführte, erhaschte er einen zornigen Blick aus ihren dunklen Augen. Es waren große Mandelaugen. Die entfesselte Unbekannte, die ihn offenbar gerettet hatte, war eine Asiatin. Sie hielt einen bunten Scherben in der Hand und stach damit auf die Hexe ein, die wütend aufschrie und nach ihr schlug. Es war Hanako Kamara, die sich von Inspektor Quarmby die Adresse des Polizeiarztes hatte geben lassen und nun mit dem Polizisten und hastig zusammengetrommelter Verstärkung im letzten Augenblick bei dem Doc aufgekreuzt war. Sie rammte das Glas des Kirchenfensters immer wieder vor, aber die Hexe trug offenbar einen stärkeren Schutz an sich. Es gelang nicht, ihr eine entscheidende Wunde mit dem Glas
beizubringen. Laurina war außer sich vor Wut. Eben erst war ihr Gordon Black entronnen, und nun tauchte dieses Weib auf, das sie von Anfang an fanatisch gehaßt hatte, und wollte ihr ein weiteres Opfer streitig machen. Sie wußte, daß ihre Mütter Frauenblut verabscheuten, aber es würde in ihrem Sinne sein, wenn sie die Frevlerin tötete, damit sie ein für allemal ausgeschaltet war. Mit aufgerissenem Mund sprang sie Hanako Kamara an und suchte die Stelle, an der sie den Biß ansetzen wollte. Die mutige Asiatin erkannte die Gefahr. Sie schlug mit dem Scherben zu, doch unter Laurinas Biß schmolz das Glas und floß durch Hanakos Finger. Sie war nun so gut wie waffenlos. Niemand konnte ihr helfen. Vor dem Haus standen zwar zahlreiche Polizisten, aber nicht einer wagte sich herein. Sie konnten durch die Fenster den Höllenkampf beobachten und wußten, daß sie den dämonischen Kräften nichts entgegenzusetzen hatten. Quarmby würde zwar nach einem Ausweg suchen. Wahrscheinlich forderte er über Funk Verstärkung an. Er mochte auch an die Möglichkeit denken, mit schweren Waffen anzurücken, aber Hanako hätte ihm sagen können, daß das alles aussichtslos war. Damit waren Hexen nicht zu besiegen. Sie wehrte sich verzweifelt, mußte aber schließlich doch unterliegen. Endlich war es soweit. Laurina schlug ihre Zähne in das hilflose Opfer. »Halt ein!« gellte es an ihr Ohr. Zum erstenmal sah sie die beiden alten Hexen, von denen die falsche Sybilla Cordes gesprochen hatte. Es gab sie also tatsächlich, nur spielten sie eine ganz andere Rolle, als die Dämonin ihnen weisgemacht hatte. Hanako wurde unter Laurina fortgerissen. Sie glaubte, daß sie bei dieser Behandlung in Stücke gehen mußte. Laurina sah enttäuscht aus, aber die Hexen erklärten: »Mit
ihr als Geisel geht uns Black automatisch in die Falle. Sie ist der richtige Köder für diesen Ungeheuerlichen, der all unseren Angriffen getrotzt hat.« Hanakos Freude darüber, daß Gordon anscheinend doch nicht tot war, wurde empfindlich gedämpft, denn die Hexen rissen sie mit sich fort. Sie war ihre Gefangene und, was sie als noch schlimmer empfand, sie sollte den Geisterjäger doch noch in den Tod locken! *** Noch lebte Gordon Black. Nach dem Abzug der Hexen war er an dem Brückengeländer nach oben geklettert, was ihn die letzten Kraftreserven gekostet hatte. Mehr als einmal war er nahe dran gewesen, zurück in die Tiefe zu stürzen. Aber schließlich war es ihm doch gelungen. Von seinen Gegnerinnen hatte er keine Spur mehr entdecken können, doch das Athame, das ihm vor dem Wurf aus der Hand geschlagen worden war, lag noch immer an derselben Stelle. Erleichtert hatte er es wieder zu sich gesteckt. Die ganze Wahrheit überfiel ihn erneut wie mit einem Hammer. Jetzt endlich fand er Zeit, seine Gedanken etwas zu ordnen. Sybilla Cordes war Laurina, die Tochter zweier Hexen. Da es auch eine echte Sybilla Cordes gegeben haben mußte, war sie zweifellos nicht mehr am Leben. Er selbst hatte der Hexe zwei Opfer ins Haus geschickt, als er sie beschützen lassen wollte. Dieser Gedanke bereitete ihm Übelkeit. Es half auch wenig, daß er sich immer wieder sagte, daß Laurina ihre Opfer auch ohne sein Mitwirken gefunden hätte. Der Tod von Inspektor Leverty bewies das zur Genüge. Das Bewußtsein, tagelang verhöhnt und belauert worden zu sein, blieb.
Wohin sollte er sich nun wenden? Besaß er überhaupt noch eine Chance, die Hexen zu töten? Laurina würde sicher wieder eine neue Gestalt annehmen. Sie konnte ihn jederzeit heimtückisch überfallen, bevor sich seine Kräfte erneuert hatten. Solange die beiden anderen Hexen ihr beistanden, war sie nahezu unüberwindbar. Trotzdem durfte er keine Zeit verlieren. Gerade jetzt nicht. Sie würden voller Haß und Rachegedanken sein. Sie würden alles tun, um ihm zu schaden. Womit gelang ihnen das am sichersten? Gordon Black brauchte nicht lange zu überlegen. Wenn sie sich an Hanako vergriffen, war das schlimmer, als wenn sie ihn selbst umbrachten. Sie war seine empfindliche Stelle. Sie hatte die alten Kirchenüberreste aufsuchen wollen, doch dort befand sie sich sicher nicht mehr. War sie wieder im Hotel? Das konnte er sich genauso schwer vorstellen. Hanako blieb nicht untätig, während sie ihn unterwegs wußte. Sie ahnte ja noch nicht, wer Sybilla Cordes in Wirklichkeit war, obwohl sie ihr instinktiv mißtraut hatte. Gordon Black lief zu der Stelle, an der er den Wagen abgestellt hatte. Hier hatte Laurina neben ihm gesessen. Das war jetzt für ihn unvorstellbar. Eine dunkle Limousine glitt auf ihn zu. Sie stoppte, und ein Mann sprang heraus und schrie außer Atem: »Die Hexen haben Miß Kamara entführt. Wir konnten es nicht verhindern, Mr. Black. Jetzt können nur Sie noch helfen.« Es war Inspektor Quarmby, der überstürzt dem Geisterjäger berichtete, was sich im Hause von Doktor Craig ereignet hatte. »Der Doc lebt«, fuhr er fort, »aber Ihre Mitarbeiterin ist verschwunden.« Gordon ahnte, was Hanako ausgerechnet zu dem Polizeiarzt geführt hatte. Sie mußte auf irgendeine Weise hinter Laurinas Geheimnis gekommen sein. Danach hatte sie sich vermutlich die gleiche Frage gestellt, die ihn selbst ebenfalls beschäftigte:
Warum hatte Craig nicht gemerkt, daß er eine Hexe untersuchte? Man hatte Hanako verschleppt. Warum nicht gleich getötet? Die Antwort lag auf der Hand. Sie wollten ihn. Laurina hatte es ihm in wildem Haß geschworen. »Ihr könnt mich haben«, erklärte der Geisterjäger zornig, und der Inspektor warf ihm einen unsicheren Blick zu. Er wurde aus dem Mann einfach nicht klug. Gordon Black ließ ihn stehen. Er warf sich in den Wagen und raste davon. Er war sicher, daß er nicht nach den Hexen zu suchen brauchte. Sie würden ihn finden. Seine Erwartung fand baldige Bestätigung. Schon nach kurzer Zeit spürte er ihre dämonische Nähe. Sie kamen, alle drei, und sie brachten Hanako mit, die wie leblos in den Armen der Hexe mit den Quellaugen hing. Vielleicht war sie wirklich schon tot. Der Geisterjäger stoppte das Fahrzeug und sprang heraus. Der Anblick der Wehrlosen in der Gewalt der Nebelhexen setzte neue Energien in ihm frei. »Laßt sie los!« schrie er wütend und schwang die Dämonenpeitsche. Hyra kicherte diabolisch. »Du hast keine Forderungen zu stellen. Liefere dich uns aus, dann verzichten wir auf das Mädchen. Sonst töten wir es auf der Stelle.« »Wenn ihr Hanako umbringt, bekommt ihr mich nie, das wißt ihr genau«, beharrte Gordon Black. »Sie kann euch nicht davonlaufen. Wovor fürchtet ihr euch?« »Fürchten?« krächzte Mortulla. »Wir uns fürchten? Sollen wir dich wieder schlagen, daß dir diesmal der Kopf von den Schultern fällt? Du befindest dich in unserer Gewalt, und nichts kann dich mehr retten, auch deine lächerliche Peitsche nicht.« Sie gab der Gefährtin einen Wink, und diese ließ Hanako einfach zu Boden fallen. Die Asiatin kam durch den Sturz zu sich, hielt es aber für
klüger, sich vorläufig nicht zu rühren. Dafür rührte sich Gordon Black. Er empfing die beiden Hexen mit gezielten Peitschenhieben, bevor sie ihre gefährlichen Fäuste gegen ihn heben konnten. Mortulla drehte sich um ihre eigene Achse und jammerte erbärmlich. Hyra war im letzten Augenblick zur Seite gesprungen. Sie schlug sofort zu, und der Geisterjäger mußte die Peitsche in die linke Hand nehmen, weil die rechte wie taub war. Er ließ die Schnüre abermals durch die Luft pfeifen. Nun jaulte auch Hyra und brach in die Knie. Laurina witterte Gefahr für ihre höllischen Mütter. Mit federnden Schritten jagte sie auf Gordon Black zu. Sie starrte ihn an und zwang ihn, ihren Blick zu erwidern. Der Erfolg stellte sich unverzüglich ein. Gordon Black ließ beide Arme schlaff hängen und erwartete ihren Angriff. Er versuchte Laurina zu täuschen, doch Hyra und Mortulla kamen wieder in die Höhe und schickten sich an, über Hanako herzufallen, nachdem sich ihr verhaßter Widersacher ihnen nicht freiwillig ausliefern wollte. Gordon Black mußte handeln. Die Peitsche traf den Rücken Mortullas und berührte auch noch Hyras Gesicht. Qualm zischte auf. Grauenvoller Gestank breitete sich in Windeseile aus und nahm dem Geisterjäger den Atem. Doch das war nicht die einzige Gefahr, die ihm drohte. Laurina war nun bei ihm und riß ihn mit unerbittlichen Armen zu Boden. Die Peitsche entfiel ihm. Nun blieb ihm nur noch der Hexendolch. Er zückte ihn, aber diesmal wich die Hexe nicht davor zurück. Sie zeigte keine Angst. Gordon Black hörte Hanakos Aufschrei. Er sah, daß sie nicht bedroht wurde, sondern daß sie aus Angst um ihn schrie. Länger durfte er sich nicht um die Asiatin kümmern, denn schon nagelte ihn Laurinas bannender Blick fest. Er drohte zu
versinken. Sie lag schwer auf ihm und riß ihren Mund auf, um endlich den tödlichen Biß anzubringen. Heiße Dämpfe wie aus der Hölle schlugen ihm entgegen. Er sah den blutigen Rachen unmittelbar vor sich. Da stieß er das Hexenmesser mit voller Kraft mitten hinein. Laurina stutzte. Sie versuchte, den Fremdkörper herauszuwürgen, der sie tatsächlich zu Gordon Blacks Schrecken nicht verletzte. Ihm fiel das Auge der Finsternis ein, das über ihrer Brust hing. Mit beiden Händen packte er zu und fühlte die Kette zwischen seinen Fingern. Seine Haut verbrannte fast. Er ließ nicht los. Er stemmte die Zähne aufeinander und kniff die Augen zusammen, daß nur noch ein winziger Spalt offen blieb. Mit verzweifeltem Ruck fetzte er die Kette auseinander und schleuderte sie fort. Im gleichen Moment brach ein Schwall stinkender Flüssigkeit aus Laurinas Rachen. Ihr atemberaubend schöner Körper wurde unter Zuckungen herumgeworfen. Er verkrümmte sich und wurde hart und schrumpelig. Der Geisterjäger riß das Hexenmesser an sich. Er brauchte viel Kraft, denn es steckte bis zum Griff in einer knorrigen Baumwurzel. Nichts anderes war von der verführerischen Hexentochter übriggeblieben. Dort, wo das Auge der Finsternis lag, stieg eine Stichflamme zum Himmel. In unmittelbarer Nähe lagen zwei schwarze Skelette. Das eine hatte ungewöhnlich lange, krallenähnliche Fingernägel. Hyra und Mortulla hatten aufgehört zu existieren, und mit ihnen war jenes Geschöpf, das sie mit einem Dämon vor langer Zeit gezeugt hatten, dahingegangen. Gordon Black vermochte sich kaum noch auf den Füßen zu halten, aber er zwang sich, zu Hanako zu gehen und sich davon zu überzeugen, daß ihr nichts passiert war.
Die Asiatin rieb sich die Gelenke. Sie verzog das Gesicht, als sie sagte: »Verstehst du jetzt, warum ich dich immer vor den Frauen warne? Sie wollen dir nur den Kopf verdrehen, und manche nehmen das wörtlicher, als der stabilste Hals aushält.« Der Geisterjäger half seiner Mitarbeiterin auf die Beine. »Was täte ich ohne deine weiblichen Instinkte?« gab er zu. Und ernster werdend fügte er hinzu: »Diese Blutbestien haben jahrhundertelang viel Unheil über die Menschen gebracht, ohne daß die Ursache jemals erkannt wurde.« »Und das alles nur«, gab Hanako ihre Weisheit preis, die sie von den Hexen hatte, »weil Hyra von Jeffrey Thunderham verschmäht wurde. Auch Hexen entwickeln eben Gefühle, wenn sie auch meistens verheerend sind.« ENDE
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