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Norben Fischer / Dieter Hattrup (Hrsg.)
Schöpfung, Zeit und Ewigkeit Augustinus: Confessiones 11-13
Ferdinand Schöningh Paderborn . München ' Wien ' Zürich
Tuelbild:
'VA :006.
Benouo Gozzoli. [kr heilige Augustinus als Lehrer. Fresko in der C hitsa di Sant' Agostino in San Gimignano bei Florenz
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Bibliografische Information Dcr Deutschen Bibliothek
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Staal9blbllod, München
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ISBN 13: 978-1-506-729 18-7 ISBN 10: l -S06-n918-7
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Inhaltsverzeichnis
Editorial ................... .. •.... .. ......................•..
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Ursula Schulte-Klöcker DI E FRAGE NACH ZEIT UND EWIGKEIT - EINE VERBINDENDE • • •
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A UGUSTINS CONFESSIONES ....................• • • •. •• ••• • • •...
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P ERSPEKTIVE DER LETZTEN DREI B OCHER DER CONFESSIONES
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C. Agustin Corti EWIGKEIT UND ZEIT. DI E F UNKTION DER EWIGKEIT FÜR D I E ZEITANALYSE DES ELF I EN B UCHES DER CONFESSIONES A UGUSnNS UND IHRE REZEmON DURCH MARllN HEIDEGGER
Norbert Fischer DI E ZEIT, D IE ZEITEN UND DAS ZEn1..lCHE IN
Comelius Petrus Mayer PRINZIPIEN DER H ERMENEUTIK A UGUS1lNS UND DARAUS SICH ERGEBENDE PROBLEME •
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Dieter Hattrup ,DI E FOT I .E DER SEHR WAHREN M EINUNGEN( -
ZUR H ERMENELJrl K VON CONFESSIONES 12
Reinhard Klockow CONFESSIONES 13: VERSUCH DER üRJENTI ERUNG IN EINER .. UNWEGSAMEN
- " LEKTlJRE
...... . .............• . ........
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6 InbaltswTUichnis
Jakub Sirovitka D ER PRJMAT D ES PRAK'J1SCHEN. D ER V ORRANG DES SENSUS MORALIS IN DER SCHRJ ..~rAUSLEGUNG DER BEIDEN LE I Z J EN B OCHER DER CONFESSIONES
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Christof Müller CONFESSIONES 13: ,DER EWIGE SA BBAT' - DIE ESCHATOLOGISCHE R UHE ALS ZIEL DER SCHOPFUNG
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 155
Ludger Schwienhorst-Scbönberger A UGUSTINS A USLEGUNG VON GENESIS IIN CONFESSIONES 11 - 13 UND DIE MODERNE BI BELWISSENSCHAFT
Literaturverzeichnis
...................... . .
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Editorial
"Schö pfung, Zeit und Ewigkeit" können als die Hauptthemen der drei letzten Bücher von Augustins Confessiones gelten. Diese Bücher wurden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts kaum gelesen. In zahlreichen Ausgaben fehlten sie sogar, bisweilen schon das zehnte Buch. Max Zepfhat 1926 die Vermutung geäußert, es werde "wenige geben, die diese letzten Bücher nicht mit Enttäuschung gelesen haben" (Augustins Confessiones: Tübingen, 1926, 12). Er fahn fort ,,An Stelle der Darstellung seiner Weltanschauung, wie wir sie eigenclich erwarten mußten, erhalten wir nur eine trockene und langattnige Exegese der ersten Gene· sisverse. Und jeder Leser wird sich verwundert gefragt haben, was diese E xegese noch mit seinen Confessio nes zu tun habe." Das vorliegende Buch sucht eine Antwort auf die Frage, die Zepf gestellt hat und viele andere mit ihm. Ein großer Anreger für eine neue, fruchtbare Betrachtung der abschließenden In einem bisher unveröffentlichBücher der Confessiones war Martin ten Vo rtrag, den er 1930 vor dem Ko nvent des Klosters St. Martin in Beuron gehalten hat, heißt es: ..In der abendländischen Philosophie sind uns drei bahnbrechende Besinnungen auf das Wesen der Zeit überliefert: die erste hat Aristoteles durchgeführt; die zweite ist das Werk des hl. Augustinus. die dritte stammt von KanL" Auch auf Heideggers eigenes Denken hatte AuguswlUs großen Einfluß. zunächst mit dem zehnten Buch der Confessiones, aber auch mit dem elften Buch und seiner Frage: ,Was ist denn die Zeit?'. Gewiß haben auch die heiden letzten Bücher auf ihn eingewirkt. Wer die Confessiones verstehen will. darf sich rucht auf die biographischen Bücher 1 bis 9 beschränken, sondern muß alle 13 Bücher in Betracht ziehen. Seit dem Jahr 2000 wurde jährlich in der Benediktiner-Abtei Weltenbwg eine Seminanwoche zu Augustins Confessiones durchgeführt. Die ehei letzten Bücher 'waren Thema der fünften Seminanwoche im August 2004. Im Verlag Schöningh sind Publikationen mit Beiträgen zu den Büchern 1-6 (Irrwege des Lebens, 2004) und zu den Büchern 7-9 (Freiheit und Gnade, 2003) bereits erschienen. Nachdem jetzt die Beiträge zu den Büchern 11 -13 vorliegen, steht noch ein Band zum zentralen zehnten Buch aus. Er soll unter dem Titel Selbsterkenntnis und Gott· suche erscheinen.
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8 Edicoridl Ursula Schulte-Klöcker eröffnet die Reihe der acht Beiträge mit einer übergreifenden Betrachrung der letz ten drei Bücher der Confessiones. C. Agustin Corti beleuchtet dann das Buch 11 mit der Frage nach der Funktion der Ewigkeit für die Zeit und ihre Wirkung auf Martin Heidegger. Ebenfalls mit Buch 11 befaßt sich Norbert Fischer, der systematisch nach der Zeit, den Zeiten und dem Zeitlichen fragt. Z um Buch 12 liegen wiederum zwei Beiträge vor. Cornelius Mayer handelt allgemein von den Prinzipien der Hermeneutik Augustins und ihren Problemen, während Dieter Hattrup ein Meisterstück der Auslegungskun st Augustins vorstellt, die Lehre von der Simultanschöpfung in Buch 12. Dem Buch 13 sind drei Beiträge gewidmet. Reinhard Klockow versucht, die Metaphorik des dreizehnten Buches aufzuschlüsseln und einen Weg durch die unwegsame Lektüre des letzten Buches zu bahnen, während Jakub Sirovatka vom Primat des Praktischen in den heiden letzten Büchern handelt. Christof Müllers Beitrag vergegenwärtigt das höchste Ziel der Confessiones im ewigen Sabbat, in der eschatologischen Ruhe der Schöpfung in Gott und Gottes in der Schöpfung. Der Exeget Ludger Schwienhorst-Schönberger vergleicht im abschließenden Beitrag Augustins Auslegung von Genesis 1 in den Confessiones 11- 13 mit der Auslegung der heutigen Bibelwissenschaft und widerlegt mit neuem Interesse an den abschließenden Büchern der Confessiones auch von seiten der Exegese das lange Zeit verbreitete, abschätzige Urteil, wie es der anfangs genannte Max Zepf ausdriicklich vorgetragen hat. Die Herausgeber danken Frau Margareta Klahold herzlich für die sorgfaltige Druckvorbereitung. Abtei Weltenburg, 28. August 2005
Narben Fischer
Dieter Hattrup
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Ursula Schulte-Klöcker
Die Frage nach Zeit und Ewigkeit - eine verbindende Perspektive der letzten drei Bücher der Confessiones
1. Gn 1,1-2,3 und das Erkenntnisinteresse der Bücher 11, 12 und 13
..audiam et intellegam, quomodo in principio fecisti caelum et tertam / Ich möchte hören und verstehen, wie Du im Anfang Himmel und Erde erschaffen hast" - so formulien Augustinus in 11 ,5 das Erkenntnisinteresse, das die letzten drei Bücher der Confessiones bestinunt. Waren die Bücher 1-10 geprägt durch den Rückblick auf sein bisheriges Leben und damit in spezifisch augustinischer Perspektive Bekenntnis der eigenen miseria und der göttlichen misericordia, des eigenen Versagens und der HeilsbedÜtftigkeit sowie des göttlichen Heilswillens, so tritt an die Stelle der individuellen Lebensgeschichte nun gleichsam die Geschichte der Welt als Schöpfung: "et olim inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scientiam et imperitiam meam / Schon seit langem brenne ich darauf, über Dein Gesetz nachzudenken und Dir darin mein Wissen und Nichtwissen zu bekennen" (11,2). Im Hinblick auf das göttliche Gesetz, die Heilige Schrift, wird dem Begriff der confessio ein weiterer und den zweiten Teil der Confessiones bestimmender Aspekt hinzugefUgt: Im Nachdenken über die Worte der Schrift und in dem Versuch ihrer Auslegung liegt für Augustinus zugleich das Bekenntnis seines Wissens und seines Nichtwissens. Die meditatio als langgehegter Wunsch Augustins - in 11,3 auch als desiderium, Verlangen, bezeichnet - hat zum Gegenstand die in der Genesiseaihlung aufgezeigte Wahrheit über die Schöpfung. Diese Wahrheit möchte er begreifen von dem ,Anfang, in dem Gott Himmel und Erde erschaffen hat' bis zw eschatologischen Vollendung der Schöpfung - in dem Wissen, daß die Schöpfungswerke stets Reflex des Schöpfers selbst sind und in der Erkenntnis der Welt immer zugleich etwas aufleuchtet von der göttlichen Wahrheit, in du alles Geschaffene gründet. Wäruend die Zusammengehörigkeit der Bücher 1-10 einerseits und 11-13 andererseits und damit die formale Einheit des Werkes in der gegenwärtigen Augusrinus-Forschung keine Frage mehr darstellt, bleibt die Forschungssituation nach Feldmann doch durch eine doppelte Fragestellung bestimmt: .. (1) Warum setzt A. seine autobiographischen Bücher 1-10 mit einer Exegese (11-13) fort
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10 Ursula Schulte-Klöcker und (2) warum gerade mit einer Auslegung von Gn 1.1-2,3.«\ Die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage darzustellen und zu diskutieren wäre Thema einer eigenen Abhandlung. 2 Die vorliegenden Ausführungen sollen sich darum auf folgenden Gedanken beschränken: Vielleicht lassen sich die heiden Teile der Confessiones als derart aufeinander bezogen verstehen. daß es in ihnen durchgehend um das lebensspendende, gnadenhafte Wirken Gottes geht. Was Augustinus individuell erfahren hat auf dem Weg seines Lebens, den er deutet als Weg des Geführtwerdens aus den Irrungen des Lebens bis zur Erkenntnis der lebendigen Wahrheit, gilt genauso für die ganze Schö pfung: Sie ist gegründet, zu einem neuen Leben befreit und zur Vollendung berufen durch den dreieinigen Gott. [n gläubiger Begriffsarbeit gewinnt Augustinus in der Auslegung der priesterschriftlichen Schöp fungserzählung ein philosophisch-theologisches Fundament für das, was er in seiner Lebensgeschichte als gnadenhafte \Virklichkeit erfahren hat. Die Frage nach der Wahrheit als erkenntnisleitende Perspektive seines Denkweges findet ihre A ntwort in dem Gottesbild des Alten und Neuen Testaments. Die gesuchte Wahrheit ist keine abstrakte, sondern eine personale; sie ereignet sich als 0 ffenbarung und göttliches Geschehen, und der in seinem Leben rettend gegenwärtige Gott ist zugleich Schöpfer, Erlöser und Vollender von Welt und Geschichte. Indem Augustinus die Genesisverse sowohl im Literalsinn als auch allegorisch auslegt, gelingt es ilun, die entscheidenden theologischen Antworten auf die Frage nach U rsprung und Z iel, Sinn und Bestirrunung von Mensch und Welt aufzuzeigen. In der den Zusarrunenhang der Bücher 11 , 12 und 13 konstituierenden Deutung des priesterschriftlichen Schöpfungsberichtes kann Augustinus die entscheidenden Wahrheiten des G laubens thematisieren und auf philosophisch-theologischer Ebene reflektieren: In Buch 11 geht es Augustinus in der Auslegung der Fo rmel ,.im Anfang schuf Gott< um die E rschaffung der Welt in C hristus, um das existenzsetzende Sprechen Gottls in seinem ihm gleichewigen Wort. Die Ewigkeit als göttliche Seinswe.ise wif!derum führt zu der Frage nach dem Wesen der Zeit als Seinsweise der Schöpfung bzw. des menschlichen Geistes. In Buch 12 deutet Augustinus in der Fortsetzung seiner Genesisexegese ,Himmel und Erde' als die in den heiden der Welt vorangehenden Erstschöpfungen gegebenen Momente des geschaffenen reinen Geistes und der ungefo nnten Materie. Darüber hinaus reflektiert er die herme· neutischen Prinzipien der Schriftauslegung. Das bestimmende Thema des 13. Buches schließlich ist die Bedeutung des göttlichen Geistes in der Schöpfung sowohl im Hinblick auf die Erschaffung der Welt als auch und vor allem in bezug auf die im Erlösungswerk Jesu Christi gegründete neue Schöpfung. In der
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Fe1drru..nn: Confessiones, 1137. Eine ausfiiluliche Darstellung und Diskussion der verschiedenen Theorien hinsichtlich der Verbindung von Lebensgeschichte und Genesisexegese findet sich beispielsweise in der Untersuchung von Grotz: Die Einheit der .Qmfos.siones~
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Die Frage nach Zeit und Ewigkeit 11 allegorischen Auslegung des Schöpfungsberichtes als Heilsgeschichte geht es wesentlich um die Liebe und Erkenntnis gewährende Priisenz des Geistes in der Welt und somit um die Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung. Augustinus spricht über die Kirche als sakramentale Gemeinschaft derer. die in der Kraft des Heiligen Geistes leben und in der Nachfolge Jesu Christi die Liebe Gottes in der Wdt Gestalt werden lassen. Schließlich thematisiert Augustinus das vollkommene Geborgensein in Gott als endzeitliche Hoffnung des Menschen. der als Bild Gottes geschaffen und zm Gemeinschaft mit seinem Schöpfer berufen ist. Somit zeigt sich sowohl in der individuellen Lebensgeschichte Augustins als auch in der kollektiven Geschichte der Menschheit, daß der allmächtige Schöpfergott ein Gott ist, der sich in unbedingter Weise zum Gott für die Menschen bestimmt, und dem es um das Gelingen des von ihm geschaffenen Lebens geht. Seine Güte wird offenbar in der Erschaffung der Welt und in der Berufung der Menschen zu einem neuen Leben.1 So läßt sich auch und gerade die die Grunddaten des christlichen Glaubens widerspiegelnde Auslegung des Schöpfungsberichtes als eine Gestalt der confessio laudis verstehen, und der gewaltige Auftakt des Prooemiums der Confessiones: .,magnus es, d omine, et laudabilis valde / Groß bist Du, Herr, und überaus zu loben" (1,1) gewinnt in der Auslegung der Genesisverse noch einmal eine besondere InhaltlichkeiL
2. Die Bücher 11-13 im Horizont der Frage nach Zeit und Ewigkeit
2.1 Die philosophische Frage nach Sein und Wesen der Zeit - Buch 11 Entgegen ihrer Bedeutung erfahren die Bücher 12 und vor allem 13 in der Rezeptionsgeschichte der Confessiones eine vergleichsweise geringe Beachmng. Anders dagegen das elfte Buch mit seiner vielzitierten Frage "quid est enim tempus? / Was überhaupt ist Zeit?", mit der in Paragraph 17 eine philosophische Erörterung der Zeit einsetzt. Die von Augustinus so eindringlich zur Sprache gebrachte eigentümliche Spannung von Verttautheit und Fremdheit im Hinblick auf das Phänomen Zeit, die Erfahrung, daß das ontisch Selbstverständliche in der ontologischen Reflexion fremd und fragwürdig wird - im ÜbrigOl ein bei Plotin in der
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Zum Ventändnis du Bücher 11,12 und 13 vgl. u.a.: Fischer: Omfessicmes 11. ,Distentio
animi; Mayer: ConfessWnes 12. ,Cadum CMli~' Ziel und Bestimmung des Menschen nACh dc Auslegung wn Genesis 1,1/; MüII
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12 Urs.1a Sch.lte-Klöcker Enneade III 7 grundgelegter "Topos bei der Behandlung des Zeitproblems'" -, wird bis in die Gegenwart inuner wieder an den Anfang dW"Chaus auch der populärwissenschaftlichen, vor allem aber der philosophischen Erörterungen über das Wesen der Zeit gestellt. So eröffnet beispielsweise Husserl seine Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins mit einem Verweis auf Augustinus, der als erster die ,,gewaltigen Schwierigkeiten" bei der Analyse des Zeitbewußtseins "rief empfunden und sich dann fast bis zur Verzweiflung abgemüht'.s habe. Und er fordert ,,Die Kapitel 14-28 des Xl _ Buches der Confessiones muß auch heute noch jedennann gründlich studieren, der sich mit dem Zeitproblem beschäftigt. Denn herrlich weit gebracht und erheblich weiter gebracht als dieser große und ernst ringende Denker hat es die wissensstolze Neuzeit in diesen Dingen nicht. Noch heute mag man mit Augustinus sagen: si nemo a me quaerat, seio,
si quatnmti explicare veJim, nescia.'<6 Und bei Heidegger heißt es in seiner Marburger Vodesung Die Grundprobleme der Phänomenologie aus dem Jahr 1927, "Wenngleich wir stii.ndig mit der Zeit rechnen, bzw. ihr, obne sie ausdriicklich mit der Uhr zu messen, Rechnung lIllge1l und ihr als dem Alltäglichsten übedassen sind, sei es, daß wir in sie verloren sind oder von ihr bedrängt, - wenngleich uns die Zeit so vertraut ist, wie nur etwas in unserem Dasein, so wird sie doch fremd und rätselhaft, wenn wir versuchen, sie auch nur in den Grenzen der alltäglichen Verstäncligkeit zu verdeutlichen. Das WOrt Augustins über diesen Tatbestand ist bekannt« 7 Wenngleich somit - wie sich in der Wirkungsgeschichte zeigt - die Paragraphen 14-28 durchaus als philosophische Erörterung aus dem Zusammenhang des 11 . Buches bzw. aus dem zweiten Teil der Confessiones hetausgeno mmen werden können, so gilt es doch für ein angemessenes Verständnis zu berücksichtigen. daß Augusrinus die Zeit in den Horizont der Ewigkeit stellt und die in der Weise der Zeitlichkeit existierende Welt als Schöpfung bestimmt. In ihrer philosophischen Stringenz steht die Zeitreflex.ion Augusrins doch unter theologischen Prämissen. Das Verhältnis von Ewigkeit und Zeit bildet gleich den Auftakt: ..Herr. Dein ist die Ewigkeit" so eröffnet Augusrinus das 11 . Buch, um sogleich den Sinn seines sich in der Zeit erstreckenden und von zeitlichen Geschehnissen erzählenden Bekenntnisses angesichts der Ewigkeit Gottes zu hin-
~ Platin:
S 6 7
Ober Ewigkeit und Zeit, 147. Vgl. auch 193: "Ewigkeit und Zeit nennen wir ver-
schieden voneinander, und zwar die eine der immecseienden Wesenheit zugdlörig, die Zeit aber dem Werden und dem sinnen€illigen AU; von hierher glauben wir, gleichsam durch den urunittelbaren Zugriff des D enkens, eine genaue Vorstellung von ihnen in unseren Seelen zu haben, die wir immer davon reden und sie bei Allem im Munde fuhren . Versuchen wir indes in ein Verständnis von Ewigkeit und Zeit zu gelangen und gleichsam nahe an sie heranzugehen, so gerät unser Denken doch wieder in Ausweglosigkeit ...... Husserl.: ZUT Phänomenologie des inmltlf Zeitbewußtseins. 3. Hussed: ZItT Phänomenologie des inTUI en Zeitbewujltseins. 3. Heidegger: Die GTltndprobieme der Phänomenologie, 324f.
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Die Frage nach Zeit und Ewigkeit 13 terfragen (11,1) ...... ad nurum tuum momenta transvolant / auf Deinen Wink hin eilen die Augenblicke vorüber" heißt es in 11 ,3, womit Augustinus Gott als den Herrn über die Zeit bekennt; aus seiner Ewigkeit, die alles Zeitliche auf zeitlose Weise in sich birgt. wird die Zeit der Schöpfung verfügt. Wenn Augustinus in 11,2 betont: ..caro mih.i valent stillae temporum / kostbar sind mir die Tropfen der Zeit" oder wenn er im folgenden Paragraphen Gott darum bittet. ilun von den vorübereilenden Augenblicken die für die Schriftmeditation notwendige Spanne Zeit zu gewähren, so wird darin nicht nur deutlich, wie sehr er sich an diese innerste Bedingung seiner irdischen Existenz gebunden weiß; vielmehr zeigt sich aus der Perspektive Augustins die Beziehung von Ewigkeit und Zeit auch schon in den Anfangsparagraphen so, daß die Zeithaftigkeit des Geschaffenen als eine von der Ewigkeit gesetzte ausgesagt wird. Das zeitliche Geschehen in der Welt erhält sein Maß und wird bestirrunt von der Ewigkeit. Unter dieser Prämisse und in dem Wissen darum, daß Ewigkeit in ihrer Differenz zur Zeit doch gnadenhaft auf deren Heil bezogen ist, wendet sich Augustinus in den letzten drei Büchern den Aussagen der Schrift zu, wn dem Geheimnis der Schöpfung - von ihren Anfangen bis zu ihrer Vollendung - näher zu kommen. Dabei gelingt es ihm unmißverständlich zu verdeutlichen, daß das göttliche Schöpfungshandeln nicht im Horizo nt anthropomorpher Vorstellungen zu sehen istwas zugleich bedeutet, die Göttlichkeit Gottes und die Umerschiedenheit von Schöpfer und Schöpfung sichtbar werden zu lassen in der Inkommensurabilität von Ewigkeit und Zeit. So geht es Augusrinus zunächst darum, die Anfangsworte der Schrift: ,.in principio foot deus" vor jeglicher zeitlichen Konnotation zu bewahren. So wenig wie das .Jacere", der Schöpfungsakt, als Herstellen zu verstehen ist, sondem vielmehr als Sprechen, ..dicere", so wenig ist dieses existenzsetzende Sprechen im körperlich-zeitlichen Sinne zu sehen. Wenn Augustinus in 11,7 sagt: ..ergo dixisti et facta sont atque in verbo tuo fecisti ca / Also hast Du gesprochen und es wurde, und in Deinem Wort hast Du es erschaffen", so wird die Fonnel ,.in principio" zur Glaubensaussage ,.in verbo tuo", was. wie in 11,11 ausgeführt wird, gleichbedeutend ist mit •.in filio tuo", in ..sapientia tua", in .,veritate rua". In seinem Sohn, dem Logos. der ungeschaffenen Weisheit, hat Gott die Welt erschaffen; durch sein gleichewiges Wort wird die zeitliche Schöpfung ins Sein gerufen. Dieses so verstandene schöpferische Sprechen Gottes geschieht "simul ac sempiteme / zugleich und immerwährend" (11,9). Auf unzeitliche Weise und damit das menschliche Begreifen übersteigend, wird aus der Ewigkeit die Welt in ihrer Zeitlichkeit bestirrunt ., ... verbo tibi coaetemo simul et sempiteme dicis omnia, quae dicis, et fit, quidquid dicis ut fiat; nec aliter quam dicendo facis: nec tarnen sirnul et sempiteme fiunt o mnia, quae dicendo facis. / durch Dein Dir gleichewiges Wort sprichst Du zugleich und immerwährend alles, was Du sprichst, und es entsteht, was immer Du ins Entstehen rufst; nicht anders als durch Sprechen schaffst Du: und doch entsteht nicht alles zugleich und inunerwährend, was Du im Sprechen erschaffst." (11,9). Erfaßt Augustinus in der Unbegtciflichkeit der Ewigkeit gerade die Göttlichkeit
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14 Ursula Schulte-Klöcker Gottes, so zeigt sich in der Frage der Mänichäer: ,Was machte Gott, bevor er Himmel und Erde erschuf?< eine anthropomorphe Engführung, insofern sie Gott als das Unbedingte und alles Bedingende in den Horizont des Bedingten stellt, ihn als den Schöpfer der mit der Welt zugleich entstandenen Zeit eben der Zeit unterwirft, die von ihm geschaffen ist. In der Auseinandersetzung mit dieser Frage, die aus unterschiedlichen Stoßrichrungen das augustinische Gottes- und Weltbild in Frage stellt - so aus manichäischer Perspektive die wahre Ewigkeit und damit zugleich Vollkommenheit Gottes aufgrund seines plötzlichen Willens zur Welt, aus der Sicht einiger Platoniker die Anfiinglichkeit und damit Nicht-Ewigkeit der Welt _,a sieht sich Augustinus zu einem vertieften Nachdenken über das Wesen der Ewigkeit herausgefordert. In einer grundsätzlichen Verhältnisbestinunung von Ewigkeit und Zeit akzentuiert er ihre Gegensätzlichkeit als die des wandellosen Seins zum Prozeß des steten Vergehens. Der vollkommenen zeitlosen G leichzeitigkeit und reinen Identität steht die Bewegung der Zeit gegenüber. Das zeirlich Seiende kann sich niemals in seiner Ganzheit ,haben<, sondern kann nur in der Sukzession seiner einzelnen Momente bestehen. Ewigkeit erscheint hier vor allem als das unvergleichlich Andere zur Zeit und steht für die Erhabenheit des Schöpfers- so spricht Augustinus in 11 ,13 von dem ..Glanz der immer stehenden Ewigkeit / splendor(em) semper srantis aeternitatis" und in 11,16 bildhaft von den Jahren Gottes, die im Gegensaez zu den vo rübergehenden Jahren der Menschen alle zugleich bestehen. In einer aus dem Horizont der Zeit erwachsenen und um ihre Unzulänglichkeit wissenden Sprache geht es Augustinus danun - und darin steht er in der Tradition Plato ns und Plotins -, die Ewigkeit als unendliches, zeitloses Leben im Sinne des vollkommenen Seinsbesitzes zu verdeutlichen. Zu Beginn des Paragraphen 17 wird das komplexe Verhältnis von E wigkeit und Z eit hinsichtlich seiner Bezüglichkeit und seiner Differenz zusanunengefaßr: Die Zeit geht zeitlos - aus der Ewigkeit hervor, insofern Gott der Schöpfer der Zeit ist; Ewigkeit und Zeit sind inkommensurabel. denn würde Z eit im Sein verharren wie die Ewigkeit, so könnte sie nicht Zeit genannt werden. Nun erst stellt Augustinus seine berühmt geworclene Frage: ..quid est enim tempus?" (11,17), deren Beantwortung das philosophische Nachdenken über das Wesen der Zeit bis in die Gegenwan hinein angeregt und herausgeforden hat und die ihn selbst tiefer in das Geheimnis der Schöpfung eindringen läßt. Indem Augustinus nach dem Wesen der Zeit fragt, fragt er zugleich nach ihrem Sein. Aus der Aporie, daß der Zeit in der ontologischen Reflexion kein bleibendes Sein zukommt - so erweisen sich Zukunft und Vergangenheit als noch nicht bzw. nicht mehr seiend, die Gegenwart als ausdehnungsloser und damit nicht wahmelunbarer Jet2tmo ment - .' daß andererseits jedoch Vergangenheit, Gegeowan und Zukunft in der Unmittelbarkeit der Erfahrung, d.h. des spontanen Zeiteriebens und Zeit• Vgl. 11 ,12. , Vgl. 11 ,18-20.
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Die Frage nach Zeit und Ewigkeit 15 messens durchaus wirklich sind, erwächst die augustinische Lösung im Hinblick auf die Frage nach Wesen und Sein der Zeit, die zugleich die charakteristische Struktur des menschlichen Geistes erfaßL Bestand, Gegenwärtigkeit, Sein gewinnt die Zeit für Augustinus nur in der Bindung an den G eist. Er besitzt die Fähigkeit, im Akt des Erinnems das in seiner Faktizität nicht mehr Seiende, im Akt des Vo rausbedenkens das in seiner Wirklichkeit noch Ausstehende zu vergegenwärtigen. so daß die herkömmliche Rede von den drei Zeiten für Augustinus nur dann als berechtigt gilt, wenn in einer gedanklich-sprachlichen Präzisierung von einer dreifach strukturierten Gegenwart gesprochen wird: von der Gegenwart des Vergangenen in der Erinnerung, der G egenwart des Gegenwärtigen in der Anschauung und der G ego.lwart des Z ukünftigen in der Erwartung: " tempora sunt tria, praesens de praeteritis, praesens de praesentibus, praesens de futuris. sunt enim haec in anima tria quaedam et alibi ca non video, praesens de praeteritis memo ria, praesens de praesentibus conruitus, praesens de fu[llriS expectatio / es gibt drei Zeiten, nämlich G egenwart vo n Vergangenem, G egenwart vo n G egenwärtigem und Gegenwart von Zukünftigem. Denn diese drei Zeiten sind gewissennaßen in der Seele da: anderswo aber sehe ich sie nicht. Es gibt Gegenwart vo n Vergangenem: nämlich Erinnerung. Gegenwart von Gegenwärtigem: nämlich Anschauung. Gegenwart von Z ukünftigem: nämlich Erv.rartung." (11,26). Das ,Material
Vgl. 11,23.
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16 Un.1a Sch.lte-Kläcker Silbe - als auch in gro ßen und größten Z eiträumen. So gilt die distentio animi nicht nur für die einzelnen Handlungen eines Menschen, sondern für das gesamte Menschenleben und schließlich sogar für die ganze Geschichte der Menschheit Damit ist durch diese verzeitlichende Aktivität des animus zum einen die Möglichkeit sinnvo ller Wahrnehmung und zusammenhängender Lebensäußerungen gewährleistet, zum anderen ist sie die Bedingung der Möglichkeit vo n Lebensentwürfen, von individuellem und geschichtlich-ko llektivem Selbsrvetständnis. Das Charakteristische der augustinischen Zeittheorie des 11. Buches besteht somit in der Bindung der Zeit an den Geist. Der sich stets selbst gegenwärtige Geist vermag in der distentio die flüchtigkeit der disparaten Zeit, ihr
tendere non esse, zur G anzheit eines Zeicgefüges zu wandeln und gewinnt wiederum sich selbst in seiner Gegenwärtigkeit nur im unaufhö rlichen Akt der Z eitigung. Die distentio ist die Weise seiner Selbsterfahrung und Weltbegegnung. Jedoch ist die Identität; die der menschliche Gcist in dieser durch Erinnerung und Erwammg konstitutierten Gegenwärtigkeit gewinnt, nur eine bedingte Identität Das in der Erwartung und in der Erinnerung Vergegenwärtigte und damit Seiende bleibt in der Faktizität der konkreten Vorhandenheit oder Z ustandswirklichkeit dem Men-
sehen entzogel1 - und die Zeit erscheint als das Gegenbild zu dem tota simul, dem ,alles zuglcich' der EwigkciL Die distentW wird nicht nur als ZeitInächtigkcit erfahren, sondern zugleich auch als Zerri ssenheit beklagt "ecce distentio est vita mea / siehe Zerstrecktheit ist mein Leben" heißt es in Paragraph 39 und einige Zeilen später: "ego in tempora dissilui. quo rum ordinem nescio / ich bin in Zeiten zersplittert, deren Ordnung ich nicht kenne." Der Mensch ist sich niemals in seiner ganzen Lebensgestalt gegenwärtig. Daß er Z ukünftiges antizipiert, gehö rt zu seinem Wesen; was jedoch auf ihn zukommt, entzieht sich seinem WiSsen und seiner Macht Das Gewesene bleibt ihm nur als Erinnertes. und selbst als sich stets gegenwärtig, ist er doch je cin anderer. So prägt die Zeit als Macht der Vecinderung und als tendere
non esse als äußere Wld innere Bestimmung sein Leben. l-lier begegnet wieder die Vorstellung von Zeit wie sie dem Beginn des 11. Buches zugrunde liegt Zeit als Gestalt des Entstehens und Vergehens, des steren N acheinander, als vo n Gon bestimmte Seinsweise der Welt Wld in diesem Sinn creatura dei. Z u dieser Existenzform, die dem Menschen zuko mmt, insofern er ein innerweltlich Seiendes ist, kann er als denkendes und selbst-bewußtes Wesen sich verhalten - so in der Weise d es existentiellen Betroffenseins. Dem Leiden an dieser mit der Zeitlichkeit gegebenen Flüchtigkcit und Vergänglichkcit stellt Augustinus in 11 ,39 und 40 die eschatologische Hoffnung auf ein Ganzwerden des Menschen im Angesicht Gones entgegen.] ] 11 Vgl. 11,39: ..... at ego in tempora dissilui, quorum ordinem nescio, et tumultuosis varieOltibus dihnianrur cogiutiones meae. intima. viscera animae meae, do nee in te confluam purgarus et liquidus igne amon s tui I ich aber bin zersplittert in die Zeiten. deren O rdnung ich nicht kenne, und meine G edanken, die innersten Fasern meiner Sede, werden zen::issen in der l.irmenden Unbesändigke.it der Dinge. bis ich in Dir zusammenfließe. gueinigt und
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Die Frage nach Zeit und Ewigkeit 17 2.1.1 Zeit als distentio animi - ein inkonsistenter Encwurf? Wie schon eingangs erwähnt, hat der augustinische Entwurf das philosophische Nachdenken über das Wesen der Zeit bis in die Gegenwart hinein herausgefordert und angeregt. Wenngleich sich die Paragraphen 17-38 durchaus als philosophischer Exkurs isolieren lassen, scheiot es jedoch &agwürdig. mit Hasch in der Zeitreflexio n des 11. Buches einen von Augusrinus in seinen übrigen Werken wohlweislich rucht mehr erwähnten "eirunaligen Versuch'd 2 zu sehen, "der so viele Probleme schuf, wie er zu lösen schien. «I) Das Hauptproblem sieht Rasch in einer Inkonsistenz des E ntwurfs, die nur dann behoben wäre, wenn der animus nicht als individueller menschlicher Geist, sondern als Weltseele im plotinischen Sinne verstanden werden könnte. Denn nur dann wären nach Hasch "Welthaftigkeit und Intersubjektivität"14 der Zeit gewährleistet, da bei Plorin die Weltseele sich selbst verzeitlicht und in dieser Selbstzeitigung die sinnenfallige Welt setzt. Die Welt bewegt sich in der Zeit der Seele als dem ihr gemäßen Ort, und die Welt-Zeit ist identisch mit der Zeit der individuellen Seelen. Entkriiften läßt sich die Kritik, sobald das augustinische Zeitkonzept in dem Kontext gelesen wird, in den Augustinus es gestellt hat. Wenn die Frage nach dem Wesen der Zeit - die sich im Denken Augustins letztlich rucht ablösen läßt von der Frage nach der Ewigkeit - im Rahmen der Auslegung des Schöpfungsberichtes gestellt wird, so ergibt sich im Zusammenspiel der Bücher 11-13 der Confessio-
nes eine alle Aspekte der Zeit umfassende Antwort. Zeit und Zeitlichkeit als Seinsbefindlichkeit der geschaffenen Welt lassen sich durchaus als eine das Wesen der Schöpfung erschließende Kategorie verstehen. so daß die Frage nach der Zeit und notwendig damit verbunden nach ihrer Beziehung zur Ewigkeit als eine die letzten drei Bücher der Confessiones verbindende Perspektive gesehen werden kann wobei in 11 primär die philosophische, in 12 die schöpfungstheologische und in 13 die ethiscb-existentiell-geschichtliche Dimension der Zeit zur Sprache kommt.
2.2 Die Rückfohrung der Weltzeit auf ihre Prinzipien Form und Materie: Zeit als Weise der steten Veränderung - Buch 12 Eine RückfUhrung der als Gestalt des UIUblässigen Wandels, des steten Vergehens erscheinenden Weltzeit auf ihre Prinzipien Form und Materie und somit geschmolzen im Feuer Deiner Liebe." 12 F1asch: Was ist Zeit!, 219. Il F1asch: Was ist Znt!, 219 . •( FWc.h: Was ist Zeit!, 223. Vgl auch 148: Dem ,,.Leser stellt sich in Conf XI die Frage. wie die individuellen Seelenakte. also z.B. das Erinnern, die objektiven Ze.itdimensionen der
Wdtzcü konstituieren können."
18 Urs.1a SchNlte-Klöc!rer ihre Begründung in der Schöpfungsmetaphysik unternimmt Auguscinus in Buch 12. Nachdem er in Buch 11 den Schöpfungsakt als unzeitliches existenzsetzencles Sprechen Gottes in seinem ihm gleichewigen Logos gedeutet hane, wendet er sich nun in der Fortfiihrung seiner Genesisexegese mit der Deutung von Himmel und Erde dem .Objekt< des Erschaffens zu. Unter caelum et terra möchte er die heiden großen Erstschöpfungen verstanden wissen, die ihrerseits nicht dem zeitlichen Wandel unterliegen.. Die Zeitlichkeit der Welt wird somit von zwei prinzipiellen
Grenzpunkten aus bestinunt. "tu eras et allud nihil, unde fecisti caelwn et terrarIl, duo quaedam, unum prope le. alterum prope nihil. unum, qua superior CU esses, alterum, qua infe.rius nihil esset / Du warst und sonst war nichts. Und hieraus hast Du Himmel und Erde =chaffen, ein Zweifaches gleichsam, das eine nahe Dir, das andere nahe dem Nichts, das eine über dem nur Du warst. das andere. unter dem es nur das Nichts gob. (12,7)." Unter dem
cu/um, dem ,Himmel', möchte
Augustinus also nicht das Fionament verstehen, sondern in Anlehnung an Psalm 113,16 das caelum caeli, die rein geistige Schöpfung. "crearura intellect'l'alis" (12,9), synonym die ,,mons pura", den <einen Geist (12,12) oder das "caelurn intellectuale", den geistigen Himmel (12,16). Wenngleich nicht dem zeitlichen Wandel unterworfen. kommt der geistigen Schöpfung doch keine Ewigkeit zu,IS darf diese doch allein von dem ungescbaffenen und unwandelbaren göctlichen Sein ausgesagt werden. Vielmehr ist auch ihr qua creacura die prinzipielle mutabüitas. die Wandelbarkeit wesenseigen,I6 die aus der Endlichkeit der Schöpfung. ihrer zeitlosen Anfinglichkeitl 7, ihrem Geschaffensein aus dem Nichts resultiert. Gleichwohl spricht Augustinus der mens pura eine Teilhabe an der göttlichen Ewigkeit zu: ..quarnquam nequaquam tihi, trinitati, coaetema, particeps tarnen aetemitatis ruae / obwohl in keiner Weise Dir, dem dreieinigen Gott, gleichewig, hat sie dennoch teil an Deiner Ewigkeit" (12,9). Diese zeitentliobene Identität gewinnt die creatura intellectualis in der Anschauung Gottes. Durch das Schauen des Lichtes selbst licht geworden. 11 läßt sie sich von Anbeginn von Gon bestimmen und wendet sich ihm mit all ihrer Liebe, Hingabe und Erkenntniskraft zu, so daß sie in
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I. H
I.
Vgl. 12,13: " ... tua domus, ... ,q~v1S non sit ribi coaetema. tarnen ... nulbm patitur vicissitudinem temponun / Dein Haus, ... obwohl Dir nicht gleichewig, erleidet dennoch nicht den Wechsd der Zeiten." Vgl 12,9;15. Vgl. 12,20:" ... a quo facta sumpsit aordiwn, quamvis non temporis, quia nondwn erat tempus, ipsius tarnen condirionis suae / von dem geschaffen nahm sie (die Weisheit) einen An&ng, wenngleich nicht zeitlicher Art, weil es noch keine Zeit gab, sondern einen Anfang im Sinne des Gegründerseins." Vgl. auch 12,19: ,,Nec tarnen ribi coaete.rna, quoniam non sine initio: facta est enim / Und dennoch ist es (du Haus Gottes) Dir nicht gleichewig. weil es nicht ohne AnfAng ist: es ist nimlich encbaffen." Vg. 12.20.
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Die Frage nach Zeit und Ewigkeit 19 der zeitlosen contemplatio gleichsam ihre Wandelbarkeit bannt.I ' Sie ist erfiillt von der Gegenwart Gottes, und SO hat sie weder eine Zukunft, die zu erwarten noch eine Vergangenheit, die zu erinnern wäre. Sie erfahrt keine Veriinderung und wird nicht in Zeiten zerdehnt - ,,nec in tempora ulla distenditur" (12,12). Bis in die Wortwahl hinein knüpft Augustinus hier an seine Zeitbesrimmung des 11. Buches an. Wenngleich sich die rein geistige Schöpfung in ihrer Gegenwärtigkeit grundlegend von der flüchtigen Gegenwart des Menschen umerscheidet, so gilt sie als ,Haus Gottes' (12,12) oder "domus luminosa" (12,21) doch zugleich als Hoffnungsbild fiir den Menschen auf seinem Weg durch die Zeit "tibi suspiret peregrinatio mea, et dico ei, qui fecit te, ut possideat et me in te, quia fecit et me / Zu Dir seufzt meine Pilgerschaft, und ich sagt' dem, der Dich erschaffen hat, er möge auch mich besitzen in Dir, weil er auch mich erschaffen haL" (12,21). Das Lehen der creatura intellectuaJis im Angesicht Gottes stellt die erfüllte Beziehung von Schöpfer und Schöpfung dar und repräsentiert die Höchstform, in die die zeitliche Schöpfung allererst hineinwachsen muß. Ebensowenig wie das rein geistige ist das zweite große Prinzip - die Materie der Zeit unterworfen. Im Schöpfungsbericht als terra bezeichnet und im Bild von der unsichtbaren und ungeordneten Erde symbolisiert, versteht Augustinus die materia infonnis als der Welt zugrundeliegenden, durch das Formprinzip zu bestinunenden Urstoff. Aus dem reinen Nichts. "omnino nihil" (12,2), das als Begriff allein die Funktion hat, die absolute Vorgängigkeit des Schöpfers zu akzentuieren und den Gedanken der creatio ex nihilo zu verdeutlichen. erschafft Gott die ungefonnte Materie als ein ,Beinahe-Nichts< - ..paene nihilu oder ..prope nihilu (12,8). Diese steht als das Prinzip der bestimmbaren und zu bestimmenden Unbestimmtheit diametral der geistigen Erstschöpfung gegenüber und steht erst recht in größtem Abstand zu Gott, ist jedoch auch als ein Gm von ilun geschaffen. Die Materie selbst ist der Zeit enthoben aufgrund ihrer völligen Ungefonntheit oder Formlosigkeit. So führt Augustinus beispielsweise in 12,14 aus: "sine varietate motionum non sunt tempora: et nulla varietas. ubi nulla species". Zeit ist an Veränderung, an Bewegung gebunden. Es gibt jedoch keine Veriinderung, wo keine Erscheinungsform ist, die sich wandeln könnte. Die Materie. die der konkreten Welt nicht der Zeit, wohl aber der logischen Ordnung nach vorausgeht," spielt jedoch gerade als das Prinzip der bestimmbaren Unbestinuntheit eine konstitutive Rolle im Hinblick auf die Zeitlichkeit oder besser Zeithaftigkeit der Welt. Fähig,
I' VgL 12,9: .. ... mutabilitatem suam pr.le dulcedine fc.licissirnae contemplationis wae cohibet
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et sine ullo lapsu, ex quo &Ct2 est, inhaerendo tibi excedit omnem volubilem vicissitudinem temporum I vor Seligkeit, Dich zu sch2uen, bezwingt sie ihre: Wandelbarkeit und erhebt sich ohne Fall seit sie gesch2ffen ist über den flüchtigen Wechsel der Zeiten." Vgl. 12,40: AugusOnus verdeutlicht d2s Verhiltnis von Materie: und aus ihr geformtem Seienden am Beispiel von Ton und Gesang: der Ton ist gleichsam die: ,Materie' des Gesangs. und der Gesang ist geformter, bestimmter Ton.
20 Urs.'" Sch.lte·Klöcker sich durch das Fonnprinzip prägen, sich von den Ideen im göttlichen Geist bestinunen zu lassen, ist sie das von Gott geschaffene materiale Prinzip, das der konkreten Welt zugrunde liegt.2\ Aus dem Zusammenspiel von Fonn und Materie erwächst die Welt in ihrer zeitlichen Gestalt. Zeiten, so sagt Augustinus in 12,8, entstehen ent durch die Veränderung der Dinge. im steten Wandel ihrer Erscheinungen. Das unaufhörliche Encs[~en und Vergehen., das Fakrum, daß die zeitliche Welt ihre Identität gerade in ihrer Nicht-Identität findet. verweist auf ihre spezi6sche Verfaßtheit, die sich darstellt als Bestimmtsein durch die Momente Form und Materie. Erst in dem Wechselspiel heider bzw. in dem steten Wandel ihrer Erscheinungen ereignet sieh Zeit, entsteht die zeith.fte WelL Bedingung det Möglichkeit von Zeit ist somit die materia infml1Jis. Zu ihr als Gestalt der mutabüitaf und des reinen Seinkönnens muß das Moment der Form als prägendes, bestimmendes Element hinzukonunen, damit in dem sich nun eröffnenden Prozeß die Zeiten wahrgenommen und berechnet werden können. Die Zeit der Welt wäre somit als Gestalt der Veränderung zu bezeichnen.22 Creatura Jei kann sie genannt werden, weil sie die von Gott bestimmte Seinsweise der Welt darstellt.
2.2.1 Weltzeit und Zeit des Geistes - Versuch einer Verhältnisbestimmung Nimmt man somit die Aussagen des 12. Buches hinsichtlich Zeit und Welt zu den im 11 . Buch ausgefiihrten Gedanken über die Zeit hinzu, so dürfte deutlich werden, daß in dem Gesamtkonzept Augustins durchaus die Rede sein kann von einer - durch Hasch in Zweifel gezogenen - ,Welthaftigkeit' der Zeit, von ihrer
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Vgl. 13,48: D ort heißt es in bezug 2uf die Werke der Schöpfung: ..de nihilo enim a te, non de te &cu sunt, non de aliqua non tua vel quae antea fuent, sed de conCtellt:a., id est simul a te cre:a.u m:ateri.:a, quill cius infonnit:a.tem sine ull:a temporis interpositione fomusti / Sie sind ja aus dem N ichts von Dir erschaffen, nicht aus Dir erflossen, nicht erschaffen aus einem Stoff, der nicht Dein Werk oder vorher schon wgewesen wire, sondern aus einem mitencha.ffenen, w s ist zugleich von Dir erschll.ffenen Stoff, weil Du seine Ungefonntheit ohne jedes Dazwischentreten von Zeit gefonnt hlI.sr." Vgl. 12,8: .. tu enim, domine, fecisti mundum de nuteri:a infonni., qu:am fecisti de null:a re p2ene olllJam rem. unde &ceres m:a.gna.. qu:a.e mir.unur ....... de qua informiute, de quo p2ene nihilo &ce.res ha.ec omni2, quibus iste muubilis mundus conStllt er non COOSt:lt, in quo ipsa mutllbilit:ls appuet in qua sentiri et dinumer:a.r:i possunt tempot2, quill rerum mut:a.tionibus 6unt tempora., dwn va';antur et vertllntur species, quarum materies pt2edicta est tern invisibilis / Du nämlich, Herr, hlI.sr die Welt aus der ungefonnten M2.terie geschaffen, die Du aus Nichts zu beim.he Nichts ge.rm.cht ha.st, um daraus das Großartige zu sdulCfen, was wir bewundern ....... aus dieser Fonnlosigkeit, diesem Bein.:a.he-N ichts, soU rest Du alles machen, WOlllUS diese w:a.nde1bue Welt besteht und nicht besteht denn an ihr erscheint die Wande1b:a.rkeit, bei der sich Zeiten W2hmehmen und berechnen l:a.ssen; werden doch Zeiten erst mit Wilnde1 und Wechsel der Dinge, indem die Encheinungen, deren Untoffjenc ,unsichrbue Erdc' ist, sich ändern und sich wenden."
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Die Frage nach Zeit und Ewigkeit 21 intersubjektiven Objektivität. Als Geswt des Werdens und Vergehens ist sie die Zeit alles innenveltlich Seienden und der allen Geschehnissen und allen Zeitempfindungeo gemeinsame Horizont. Ihr kommt eine entscheidende Rolle in der E ntwicklung des Weltganzen zu; sie ist die Weise des Einholens aller Bestimmungen, die Gestalt der Entwicklung oder E ntfaltung dessen, was in den ,verborgenen Keimgriinden< - rationes semina/es - angelegt ist. Augustinus versteht die Zeit nicht nur als einen Verlauf, deren O rdnung er nicht kennt, 2l sondern auch als "ordo pulcherrimus rerum valde bonarum" (13,50). als Strukrurprinzip oder Ordnungsgefüge der sichtbaren Welt - der Schöpfung, der ,MorgUl' und ,Abend' beschieden ist und die in ihrer Schönheit auf den Schöpfer venveist. Der Mensch steht in einem doppelten Verhältnis zu dieser so verstandenen Zeit Zum einen ist er als innerwdtlich Seiendes zeithaft wie das unbewußte Sein der Dinge und unterliegt der Zeit als Gestalt des Werdens und des Wandels. Im Wissen um diese Zeithaftigkeit ist er zeitlich und leidet unter der Endlichkeit seines Daseins; er erfahrt die Wdtzeit als Macht, die ihn in der Ausständigkeit des Zukünftigen und der E ntzogeoheit des Gewesenen das menschliche Leben als distentio. als sclunerzhaftes Ausgedehntsein erfahren läßt. Dieser Weltzeit gegenüber verhält sich der animus, der menschliche Geist, jedoch zugleich als zeitigend. Als Gestalt der sukzessiven Bewegung alles Seienden ist die Weltzeit Bedingung der Möglichkeit des Zeitigungsaktes im Sinne der Konstirution eines Zeitraumes in den intentionalen Akten des Erinnem s, Wahmehmens und Erwartens. Der animus bringt somit nicht die Zeit der Welt hervor wie die Weltseele im Konzept Plotins, wohl aber ist er zeitmächtig. indem er im Geschehen der ZeiUgung Vergangenheit und Zukwlft einholt in die Gegenwärtigkeit seines Bev.rußtseins. Von dem zur Erlebniseinheit ausgeweiteten jeweiligen Jetzt verbindet er die gelebten und zu lebenden Zeiten zu einem Kontinuwn, wodurch allererst bewußtes Handeln möglich wird und das eigene Leben als Lebensgeschichte gedeutet werden kann. Ist im Hinblick auf die geist-unabhängige Weltzeit die Rede von .Zeit<, so erscheint dies. gemessen an der Zeitvorstellung als distentro animi, gewissermaßen als verkürzter Begriff, der sich inhaltlich auf die stete, objektive Veränderung des Seienden beschränkt. Erst in der Bindung an den menschlichen Geist erwächst die Zeit zu ihrer vollen Gestalt So findet Augustinus zu seiner Antwort auf die Frage nach dem Wesen der Zeit, sobald er sich als Fragender in untremlbarer VerOechmng mit dem Befragten und Erfragten begreift.
~ Vgl. 11,39.
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22 Urs.1a Sch.lte-Klöclrer 2.3 Gelebte Zeit als Raum der ethisch-existentiellen Entscheidung und Geschichte als Medium der dispensatio temporalis - Buch 13 In einer Fokussierung der letzten drei Bücher auf den Aspekt der Zeü erscheint diese somit in Buch 11 als Seinsweise des menschlichen Geistes und in Buch 12 als Se.insweise der Weh. Das 13. Buch schließlich kann in bezug auf die inhaltliche Gestaltung der Zeit befnogt werden - sowohl im Hinblick auf die Lebensgeschichte des Einzelnen, in der Zeit zum Raum der ethisch-existentiellen Enescheidung wird, als auch im Hinblick auf die Geschichte aller Menschen, womit Zeit thematisiert wird als Heilsgeschichte, als Raum der dispensatio temporalis. Eine so verstandene Zeit erweist sich als Medium oder Horizont des göttlich-menschlichen Dialogs. Schon in Paragraph 38 des 11. Buches hatte Augustinus den unmittelbaren, spon tanen Akt der Zeitigung in Beziehung gesetzt zu der in Erinnerung und E.N.Tartung sich ereignenden Verzeitlichung des bewußten Lebens und darüber hinaus auch zu der Geschichte der ganzen Menschheit Indem der animus ein Zeitgefüge herstellt, entwirft er zugleich einen ethisch-existentiellen Raum der Entscheidung. Er kann gar nicht anders, als sich zu seinem Se.in-in-Zeit zu verhalten, was zugleich auch bedeutet, die ihm gegebene Lebenszeit zu gestalten. Dabei - so hatte es Augustinus im Nachzeichnen seiner eigenen Lebensgeschichte aufgezeigt und so verdeutlicht er es auch im Verlauf seiner allegorischen Genesisauslegung inuner wieder - befindet sich der Mensch in einer charakteristischen Spannung. und sein Verhalten zu den Inhalten der Zeit und somit der Umgang mit seiner Lebenszeit bleibt ambivalent. In dieser Ambivalenz spiegelt sich letztlich die Gesamtthematik des Abfallens der Menschen von Gott und ihres Sich-Verlierens in der Welt sowie ihrer Rückkehr zu ihrem Schö pfer. In der Auslegung des Schöpfungsberichtes reflektiert Augustinus das Sein des Menschen in Welt, Zeit und Geschichte. Wenn der Mensch nicht Gott in der Welt und die Welt in Gott liebt,24 sondern die Dinge in der Welt um ihrer selbst willen, sie somit nicht als sacramenta begreift, die auf ihre innere Wahrheit, auf ihre Herkünftigkeit von Gott und damit auf ihren Schöpfer verweisen, so werden Welt und Zeit zum Raum der Unwahrheit und der Verfehlung. Aufgrund des Heilswirkens Gottes in Jesus Christus und durch den Heiligen Geist sind die Menschen zu einem neuen Erkennen und einem neuen Wollen befreit Jedoch stehe ihre Zeit gleichsam unter eschatologischem VO[behalt; sie bleiben in der spannungsreichen Verfaßtheit des ,schon' und ,noch nicht'. Die in Christus Erlösten und auf den Namen des dreieinigen Gottes Gemuften sind schon ,söhne des liches' wie es in 13,15 heiß~ jedocb nocb nicht im Zustand der Vollendung, sondern im Zustand der Hoffnung und des Glaubens. So bleibt der Mensch geforden in der jeweiligen Entscheidungssituation, und seine Lebenszeit bedarf der je neuen Bes timmung. Diese im 13. Buch immer wieder auszwnachende Ambivalenz der menschlichen
z.o Vgl. 13,46.
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Die Frage rl4ch Zeit und Ewigkeir 23 Situation. ihr Schwanken zwischen Wahrheit und Unwahrheit, erfülltem Leben und geistigem Tod findet sich gespiegelt in antithetischen Bcg,iffspaaren - so vor allem in den für das 13. Buch konstitutiven Momenten aversio und conversio.
A venio gilt in den
Confessio~ zum einen als prinzipielle Möglichkeit der - qua
creatura - gegebenen mutabilitas, womit sie theoretisch auch der rein geistigen Schöpfung zukorrunt, zum anderen und vor allem aber als die in dem Sündenfall Adams priifigurierte Abwendung des Menschen von Gott. 25 Die aversio bedeutet Verkehrung des in der Schöpfungsidee grundge1egten gottebenbildlichen Seins." Sie gründet in der Haltung der superbia, in dem Bestreben des Menschen, sich in sich sdbst zu gründen, die Geschöpflichkeit und damit auch den Schöpfer zu negieren. Die conversio, die sich ereignet in der Kraft des gönlichen Geistes. versteht sich zum einen im Hinblick auf die crealUTa intelLectualis als zeitloses, in dem Lichtbefehl versinnbildlichtes Geschehen der Selbstwerdung,l1 zum anderen jedoch als Leben gewinnender Akt des Menschen. Ln der Umkehr, die zugleich Hinkehr zu Gott als Rückkehr zum Ursprung und Hinwendung zur Walttheit ist, entflieht der Mensch der tödlichen Finsternis der Gonesferne und wird, wie es in 13.13 heißt, zum ,Licht im Herm'. Die conversio ereignet sich in der Kraft des göttlichen Geistes,la der den in Selbstbezüglichkeit verharrenden Menschen die Dunkelheit seines gebrochenen Selbstseins erkennen läßt und ihn zum Licht der Wahrheit und ZU einem wirklich lebendigen Leben fiihrt. 29 Die Hinwendung zu Gon bedeutet keineswegs Selbstaufgabe. Selbstnegierung. sondern führt zu der eigentlichen beatitudo; authentisches Leben gelingt allein in der personalen Beziehung zu Gott. So beißt es in 13.9: .,omnis mibi capa, quae deus meus non est, egestas est / Jegliche Fülle, die nicht mein Gott ist, bedeutet Armut fiir mich.1< Die heiden in der menschlichen Willensfreiheit begründeten alternativen Möglichkeiten, die eigene Lebenszeit zu bestimmen, finden sich begrifflich Val geprägt auch schon am Ende des 11. Buches in der Entgegensetzung von distentio und
intentio.lO Versteht Augustinus hier unter distentio nicht die Zeitmächtigkeit des Vgl 13,28. l6 Vgl. 4)1 : "vivir apud re bonum nostrurn, er quU inde avem sumus, perversi sumus / Unser Gut hat sein Leben für immer bei Dir, und weil wir uns ruuvon abwandten, wurden wir verkehrt... " VgI. 13,3;6. :!S
~
Vgl. 13,5.
~ Vgl. 13,13: " ... displicuerum nobis tenebne nOstne, et conversi sumus ad te, et faCta est
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lux / unsere Finsternis mißfiel uns, und wir '\JIaIldten uns hin zu Dir, und es wurde Licht." Ebenso 13,5: " ... converti ad eum, a quo facta est, er magis magisque ... perfici et inIusuui et beari / hingewandt werden zu seinem Schöpfer und mehr und mehr vollendet, erleuchtet, beseligt werden." Vgl. 11)9: ..... non secundum distentionem, sed secundum intentionem ,sequor ad palmam supemae vocatiorus' / rucht in der Weise des Zerrissens6ns, sondern der versamme1ten Lebensausrichtung jage ich nach dem Siegespreis der himmlischen Berufung."
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24 U"",1a Schulte-Kläcker animus, sondern seine innere Zerrissenheit, sein Sich-Verlieren in der Äußerlichkeit, so steht mit der intentio demgegenüber eine Halrung, die - ohne das lrdisch~ Zeitliche zu negieren - das Leben in den Horizont der Ewigkeit stellt, um von daher den Sinn der zeitlichen Existenz zu bestimmen. Schon in der meditatio in
lege divina, in dem Nachsinnen über die Schrift als Weise der göttlichen Offenba~ rung - dem .Programm' gleichsam der letzten drei Bücher der Confessiones - liegt eine wahre, weil sinnerfiillte Gestalt der Zeit vor; Augustinus nutzt hier die ihm von Gott gewährte Zeit, um in der Auslegung des Schöpfungsberichtes der Wahrheit seines Ursprungs und dem Ziel seines Lebens und der Schöpfung nachzufragen und so die Welt in der Wahrheit und die Wahrheit in der Welt zu erkennen. Distentio und intentio lassen sich zugleich als Syno nyme verstehen für zwei Fonneln, die in dem geschichtstheologischen Werk De civitate dei von konstituti~ ver Bedeurung sind und sich inhaltlich schon im 13. Buch der Confessiones vorgebildet finden: Vivere secundum spiritum und vivere secundum carnem kennzeichnen zwei unterschiedliche Lebensencwürfe und somit auch zwei unterschiedliche Weisen des Umgehens mit der Zeit. So spricht Augustinus in Paragraph 8 beispielsweise von den heiden amores: Die die zeitlich ~weltlichen Dinge absolucsetzende Liebe zieht den Menschen hinab;31 clie Liebe, die sich auf die Wahrheit ausrichtet, die Welt als Gottes Schöpfung begreift und ihn als den Urgrund zugleich auch als Ziel der pereg,inatio erkennt, hebt ihn empor. In der allegorischen Auslegung des Schöpfungsberichtes lassen sich cliese beiden unterschiedlichen Lebensgestalrungen oder Gesellschaften symbolisien sehen in der ,Ansammlung der bitteren Wasser des Meeres' (13,20) und in dem sich aus dem Wasser erhebenden ,trockenen Land' (13.21) . Während das Ziel der ersteren societas in derfelicitas temporalis et terrenae besteht., dem zeitlich-irdischen G lück im Sinne der ausschließlichen Sorge um das eigene Wo hlergehen , ist die in dem trockenen Land versinnbildlichte Gemeinschaft geprägt: durch die Verwirklichung des G ebotes der Nächstenliebe. 32 Das Land kann Frucht b~ weil Gott selbst es durch eine süße Quelle speist, formuliert Augustinus bildhaft in Paragraph 21. Auch die paulinische Antithetik von altem und neuem Menschen findet sich inhalt~ lieh in dem stark an der Theologie des Paulus orientierten 13. Buch wieder. Dem
homo verus, der in den vergehenden und vergänglichen Inhalten der Zeit befangen bleibt., steht der neue Mensch gegenüber, der in der Kraft des Heiligen Geistes seine in der Gottesbeziehung gegründete Freiheit und Authentizität dadurch gewinnt, daß er den Inhalten der Zeit unter dem Anspruch des Evangeliums begegnet, so daß sich
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E benso ist in 13,32 die Rede von dem ,amor StU!CUli" als todbrin~nder Li.ebe zm Äulkrlichkeit der Welt. Vgl. 13,21 : .. ... germinat aninu nostra opera misencordae ... , diligens proximum in subsidiis ne<:e5sitanun camalium, ... / unsere ~ele !ißt Werke der Bannherzigkeit wach~n, dem Nächsten Li.ebe erweisend, indem sie ihm beisteht in den Notlagen des Lebens."
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Die Frage nach Zeit und Ewigkeit 2S
ihm der Sinn von Zeit von der Offenbarung Gones her erschließe Wenngleich das Leben immer pt,eg,inatio. Pilgerfahrt, ist und damit die Zeit Raum der Gefihrdllog. der Schwebe zwischen Wahrheit und Unwahrheit bleibt und der unter eschatologischem Vorbehalt stehende Mensch je neu zur Entscheidung herausgefordert wird, so ist ihm doch in der ambivalenten Weltzeit der Weg der Wahrheit und der Zugang zur Ewigkeit eröffnet, denn Gon hat in Jesus Chrisrus selbst Zeit und Zeitlichkeit angenommen - ein Gedanke, den Augustinus gerade in der Auseinandersetzung mit den Platonikern im 7, Buch betont, die - so seine Kritik - zwar Ursprung und Ziel, nicht jedoch deo Weg kennen. Wenn Jesus Chrisrus in zeitlicher Gestalt das ewige Wort Gottes zur Erscheinung bringt..)J bnn auch der Mensch auf seinem Weg durch die Zeit und auf zeitliche Weise zu Gott finden, In dem Bemühen, das Leben an der Reich-Gortes-Vorstellung des Evangeliums zu orientieren und in die Nachfolge Jesu zu stellen, geschieht eine Annäherung an die göttliche Wahrheit, die Augustinus in 11 .40 als eigentliche fonna hominis benannt hatte, Richtet sich der Mensch in seinen zeitlichen Entscheidungen aus an dem menschlich und zeitlich gewordenen Gott in Jesus Chrisrus. gelingt es ihm, Gon in der Schöpfung zu lieben und die anderen Menschen in Gott, so kommt der Zeit fraglos Sinn zu, und der Mensch gewinnt eine Identität in der Zeit. Vor allem in dem in Paragraph 46 ausgefiihrten Gedanken der Präsenz Gottes im Geist des Menschen in Gestalt des Heiligen Geistes und seines zu Liebe und Erkenntnis befahigenden Wirkens verleiht Augustinus der irdisch-zeitlichen Verfassung des Menschen eine besondere Dignität; in der Zeitlichkeit seines Daseins erfahrt der Mensch die Unmittelbarkeit der Gnade und Nähe Gottes. Dieses lebensspcndende Wirken des durch das Erlösungshandeln Jesu Christi den Menschen gesandten Geistes ist der für das 13, Buch entscheidende Gedanke, Das Idealbild gelingenden Lebens in der Kraft des Geistes zeichnet Augustinus in der Figur des homo spiritalis. die in seiner allegorischen Genesisexegese eine bedeutende Rolle spielt.~ Zwn ersten Mal erwähnt in der Allegorese des vierten Schöpfungstages. sieht Augustinus die geistig-geistlich bestimmten Menschen symbolisiert in den Lichtern am Firmament.l5 In den Werken tätiger Nächstenliebe und in der Kontemplation des lebensspendenden göttlichen Wortes werden sie - eingebunden in das .Finnament' der Schrift - wegweisend für die Welt der Kirche, indem sie den Willen Gottes aufzeigen und die mit Jesus Christus angebrochene Zeit des Heils und der Erfiillung verkünden. Der homo spin'talis ist erfiillt vom Geist Gones; durch ihn erkennt er die Güte Gones als Grund der Schöpfung und das göttliche Heilswirken in Jesus Chrisrus; der Geist fuhrt den Menschen ein in » Vgl. auch die christologisch bedeuuamen Ausfuhrungen über die MittlerschaftJesu Christi in 10,67-69, die Augustinus hier voraussetzen bnn. )t Die für das Verstindnis des homo spiriWis entscheidenden Aussage:n finden sich in den Paragraphen 13l2;23;25;29~ 1.32~3~ , " Vgl. 13,22.
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26 Ursula Schulte-Kl6cker die Wahrheit von Schöpfung und Erlösung. Er entzündet im spirita/is die Liebe zu Gott, die Geswt gewinnt in einem neuen Selbst- und Weleverständnis. Für den geistig-geistlichen Menschen sind Zeit und Welt der Raum, in dem er auf den Anruf Gottes antwortet. [m Auslegen der Schrift als dem geoffenbarten Wort Gottes, in der Glaubensverkünctigung und in der Optio n fii.r den Menschen als Erfiillung des Gebotes der Nächstenliebe gewinnt die Zeit des spiritalis Sinn und Wücde und ereignet sich als Zuwachsen auf die Wahrheit. Somit zeigt sich rückblickend im Hinblick auf eine Wertung der Zeit im Denken Augustins, daß der in der Sekundärliteratur vorherrschend negative Tenor zumindest hinter&agbar ist. ~ Auch wenn Augustinus das Zecdehntsein in Zeit und Zeiten beklagt (11,39), das Verfallen an die veränderlichen Inhalte der Z eiten als von der Wahrheit abgewandtes Leben kritisiert und - wie vor allem die Schlußkapitel des 13. Buches in unübecbietbarec Weise zwn Ausdruck bringen - wenn er den beseligenden Z ustand der Vollendung, das zeidose Eingeoorgensein in Gott, der die Zeiten selbst ebenso wie die quies ex tempore, das Ruhen von der Zeit, bewirkt (13,52), als eschatologisches Hoffnungsbild für den Menschen auf seinem Weg in der und durch die Zeit entwirft, so gilt es doch ebenso zu bedenken, daß der menschliche Geist in der ihm eigenen Weise der distentio dem Nichtseienden Sein verleihen kann, daß Gott die Zeit als Daseinsweise alles innecweltlich Seienden bestimmt hat, wodw:ch sie zum ordo pulchenimus (13,50) wird und daß die Z eit als je eigene Lebenszeit des Einzelnen gerade aufgrund ihrer ambivalenten Bestimmbarkeit zur Weise wird, wie geschöpfliche Freiheit sich bewähren kann.37 Wenn Augustinus im 13. Buch den Schöpfungsbericht allegorisch auf die Heilsgeschichte hin auslegt, so ist dies allererst möglich vo r dem Hintergrund seines Konzepts der dispensatio temporalis. Hierunter versteht er das zeitlos in der Ewigkeit beschlossene, geschichtlich vermittelte und im Alten und Neuen Testament bezeugte Wirken Gottes. l8 Aus dieser Perspektive scheint das Urteil von Flasch bezüglich des augustinischen Geschichtsverständnisses eher unter plorinischen Vo rzeichen zu stehen, wenn er sagt: "Die Geschichte ... verdient nicht als solche Interesse.... Sie ist Abfall vo m Einen, Zerstreuung in das Viele. Sie ist wesentlich unübersichtlich, denn sie hat kein Wesen. Sie hat nicht in ihr selbst Sinn; ihr Sinn ist, daß begnadete Einzelne sich über sie erheben, hinauf
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Flasch beispielsweise sieht nicht nur den Tod, sondern auch die Zeitlichkeit des Menschen als Folge der Sünde: ..Die Zeit ist, Augustin zufolge, uns ursprünglich so fremd wie der Tod. Wir sind de factO zeitlich und sterblich; wir soUten es nach dem göttlichen Plan nicht sein. WIC sind es infolge der Adamssünde." Flascb: Was ist Zeid, 214. In diesem Sinne kennzeichnet auch Fischer die Zeit als " tentatio", insofern der Mensch "der strengen Notwendigkeit ausgesetzt ist. sich selbst in der Wahrheitssuebe und in der freien Wahl in einer endlichen Zeit zu bestimmen." Fischer: AJ4gustins PhiJosoph~ der Endlichkeit, 311. Vgl. Wieland: Offenbarung bei AJ4gJ4Stinu.s, 275.
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Die Frag' nach Zeit und Ewig"it 27 zum Ewigen.")') Anders dagegen Wie1and, der auf die dispensatio temporalis verweist und in ihr "ein der Seinslage des gefallenen Menschen angepaßtes Heilsmittel" sieht, "eine dem menschlichen Denkvermögen angeglichene ,Abschanung' der göttlichen Wahrheit in sinnenfaLlige Zeichen hinein" ..tO Entgegen Rasch kann sich laut Wieland für Augusrinus "das Heil des Menschen nicht einfach in der vertikalen Bewegung eines gnoseologischen Aufstiegs ereignen, in dem plötzlichen Erwachen geistiger Schau, das die Defizite des menschlichen Lebens mit einemmal hinfillig werden ließe. Vielmehr vollzieht es sich, da doch der Mensch von GOtt durch eine Geschichte der Schuld getrennt ist, in einer in die Zeit eingeschriebene KonvtlSion des menschlichen Herzens. Und deshalb fordert und ennöglicht die dispensatio temporalis nicht nur eine geistige Umkehr, sondern ebenso und vor allem eine Konversion des Lebens, eine Umkehr von der Selbstübe:rhebung zur Liebe, eine seinsmäßige Umwandlung des Menschen. ,,41 Und Wieland akzentuiert: "Die Geschichte, und somit auch die Vielfalt und Verschiedenheit der geschichtlichen Heilsveranstalrungen Gottes, ist in der Vorsehung Gottes aufgehoben und deshalb nicht ohne Sinn ....u In Paragraph 49 des 13. Buches rekapituliert Augustinus aus dieser Perspektive der dispensatio temporalis noch einmal die in seiner allegorischen Genesisauslegung in den einzelnen Schöpfungswerken versinnbildlichten Momente der von Gott eröffneten Heilsgeschichte. ,Himmel und Erde' werden nun gedeutet als ,Haupt und Leib' der Kirche in Chrisrus, so wie sie vor aller Zeit bestimmt ist. Aus dem aus der Abkehr von Gott resultierenden fin steren Abgrund der Sünde wurden die Menschen befreit durch das Heilshande1nJesu Christi, wodurch die göttliche Liebe und der Hei1swille in unüberbietbacer Weise o ffenbar geworden sind. Gon hat die Sünder gerechtfertigt und von den Gottlosen geschieden. Er hat das Finnament der Schrift errichtet zwischen der rein geistigen Schöpfung, die Gon selbst in der Unmittelbarkeit des Schauens erfährt und den Menschen, die seines Wortes bedürfen, um sich durch die d()(liina formen zu lassen. Durch die lebendigmachende Kraft des göttlichen, vom Vater und vom Sohn ausgehenden Geistes hat die Kirche Gestalt gewonnen als zu Erkenntnis und Liebe befihigte Gemeinschaft der Gläubigen, die - getrennt von der im Wasser des Meeres symbolisierten Gemeinschaft der Ungläubigen - wie das fruchtbringende ,trockene Land' Werke der Barmherzigkeit hervo rbringt Gott hat in den spirita[es die .Leuchten am Firmament' entzündet. Erfüllt von dem lebendigen Wort Gottes und ausgestanet mit den Gaben des Geistes, sind sie wegweisend für die Gemeinschaft der Gläubigen. Zu deren Segen und zur Bekehrung der noch ganz )9
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Flasch: Was ist Zeit?, 216 . Wieland: OJfonbanmg bei Allgustinus, 276. Wieland: OJfonbarung bei Allgustinus, 278. Wieland: Offi:nbarung bei AJlpstinJls, 285.
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28 Urs.L. Sch.lte-Kloclrer
in der Sphäre der Sinnlichkeit verhafteten Ungläubigen sind sichtbare Wunder geschehen und die Sakramente eingesetzt worden als körperliche, sinnlich faßbare Zeichen der göttlichen WirklichkeiL Die )ebendige Sede' wurde geformt durch die Beherrschung der Leidenschaften, und der Geist des mündigen, sich in den Dienst der Nachfolge stellenden Menschen wurde erneuert nach dem ,Bild und Gleichnis Gottes'. So wie Augustinus die Güte und Schönheit der Schöpfung als Widerschein Gones erkennt, so begreift er die gesamte Heilsgeschichte als Ausdruck der göttlichen misericordia. In den verschiedenen Gestalten der Offenbarung und in der befreienden und erlösenden Sdbstoffenbarung Gones in Jesus Chrisrus sowie in der geistgewirkten Konstitution der Kirche zeigt sich für ihn die Liebe und Treue Gottes zu seiner Schöpfung. Durch den Geist zu Erkenntnis und Liebe berufen, kann Augustinus amore amoTis tui, wie es im 11. Buch heißt, auf ctieses griindende und vorgängige Hei1shandeln antworten - wie es geschieht, wenn er im bekennenden ErzäWen seiner Lebensgeschichte und in dem theologischen Nachsinnen über die Geschichte von Welt und Schöpfung etwas von der Güte und Größe des ewigen Gottes aufleuchten läßt.
C. Agustin Com
Ewigkeit und Zeit. Die Funktion der Ewigkeit f"Ur die Zeitanalyse des elften Buches der Confessiones Augustins und ihre Rezeption durch Martin Heidegger
Die in der Philosophie verbreitete Gewohnheit, im elften Buch der Confessiones einen Traktat über die Zeit anstelle einer in einen breiteren Rahmen eingebetteten Zeitbetrachtung zu sehen, wurde in den letzten Jahren revidiert.I Was sicherlich einen Gewinn gegenüber einer reduktiven Auslegung darstellt, bewirkte aber auch einen gegenteiligen Effekt. In seinem umfangreichen und übergreifenden Buch Was ist Zeit? weist Flasch ,Verwendungen4 dieser Zeituntersuchung zurück und bietet eine Interpretation des gesamten elften Buches von seinem Kontext her.) Wie Rasch hervorhebt, dient sein Buch nicht der AktllaHsierung Augustins, da eine Identifizierung mit ,angeblichen Wahrheitsgehalten< beim Lesen des Buches schaden kann.4 Man fragt sich aber, ob das Ausschalten jener Gehalte. aus denen eine Interpretation getrieben wird, wünschenswert oder überhaupt möglich ist. Besonders für ihre Argumente gegen "den existenzialontologischen Film", "den seit 1950 vor allem deutsche Interpreten über Augustins Zeittraktat gezogen haben'ü lobt er die inzwischen schon klassische Arbeit von E. A. Schmidt (1985) Zeit und Geschichte bei Augustin.' Diese Tendenz trin in der 2001 verö ffentlichten Dissertation Winfried Meyers Augustins Frage. Was
ist denn Zeit?' und die existenzialontologische Leugnung der Realgeschichte I
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Duo Fluch: Was ist Znd, 76ff.; Fisch er: ,Distmlio animi ~ Mesch: Refklrt~t Gtgtw wan , 295ff. Flasch wählt für das Kapitel über die ü berlieferung des elften Buches im 20. Jahrhundert den diskreditiuenden Titel ,Verwendungen', Was ist Zeitr, 27-75. F1a.sch: W.u ist Zntr, 9: ,,Aktualisiuende Auslegungen lösten einander ab, entfernten sich vom Text und isolieren ihn von seinem Kontext. Gegen die Tendenz der lnterpretationen, sich zu verselbstindige.n, gibt dieses Buch Gelegenheit, zur Quelle zu kommen." E bd.: "Es zeigt (Flaschs Buch) an Beispielen, wie sehr der Modemi.sierungsdruck und die Attitude der Identifizierung mit punktuellen angeblichen Wahrheitsgehalten beim Lnen alter Bucher schadet." Flasch: W.u ist Ztitr. 48 .
• Schmidt Ztit und Gechichtt bei Augustin .
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zugespitzt zu Tage.7 Meyer findet in den Ansätzen einer existenzialontologischen Philosophie, nämlich in Martin Heideggers Werk, die Verabschiedung einer Philosophie ,der Wesenheit' und der Verantwortlichkeit. Ausgangspunkt dieser Kritik sei jene Philosophie der Wesenheit, die das Fragen, ,was etwas ist', an· treibe. Würde sich dieser Einwand gegen Heidegger richten, wäre er falsch;' Meyer spricht jedoch vor allem eine Auslegungstradition an, die auf Ansätzen Heidegge<s fuße und das Ziel verfolge, das 11 . Buch der Confessiones für ihr eigenes Interesse zu benutzen.' Beide Auffassungen, die von Hasch und die von Meyer. übersehen die Tatsache, daß eine Interpretation immer voraussetzungsbehaftet bleibL 10 Auch ihre Auslegungen des elften Buches sind aus einer bestimmten Tradition durchgeführt; Meyer plädiert sogar dafür, eine bestimmte Überlieferung wieder aufzunehmen. 11 Auch die Geringschätzung der fundamentalontologischen Tradition macht eine Haltung aus, die mit bestinunten Ansätzen und Voraussetzungen zu entwickeln iSL Die Einbettung des dften Buches in einen neuen, reicheren Rahmen. der die Entstehungsgeschichte des Buches und seinen historischen Kontext nicht einfach anachronistisch unbeachtet läßt, ist jedoch zunehmend in Widerspruch mit der These von der Aktualität der Zeit-
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Meyer: Augustim Frage, Was ist denn Zat?' und du existenzia/ontologische Leugnungder ReaJgeschichte, CD-Rom 2001. Der erste Teil der Dissertation ist jetzt als Buc h unter dem. Titel Augustins Frage, Was ist denn Zat?' erschienen (Wiirzburg. 20(4). Der kritische Teil (die ,existenzialontologische Leugnung der Realge.schichte') 5011 in einem anderen Buch folgen; angekündigter Titel: Das Herz einer Haltung: vom großen Schweigen deutscher Zunge in seiner Artikulation als Philowphre der Geschichte; vgl. dazu Meyer: Augustim
Frage, Was ist denn Zeit?', 10. I
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Heideggers Fage nach dem Sinn von ,$ein' enthält dagegen eine akzentuierte Philosophie der Verantwortung, die über jene VOr.lussetzungeo unseres Tun nachzudenken versucht. VgL
§ 58 von Sein und Zeit. Ob Hcideggen fugebnisse befri«ligend ""d, bnn hie< offen bleiben; fiir eine Diskussion dieses Punktes vgl z. B. das Werk von Figal.: Marrin H~. Meyer: Augustim FriJge, Was ist denn Zeit?' und dre existenziaJontologische LeugnMng der
ReaJgeschichte, 9: "Die existenz;a1ontologische Deutungstradition selber ist nicht an Augu-
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stinus bzw. an der Augustinischen Problem1age, die der Frage ,was ist denn Zeit' zugrunde liegt, interessiert. Augustinus dient ihr - im Ausgang von Heidegger - als Vehikel, geschichtsphilosophisch Stellung zu beziehen". Vg1. dazu den bekannten Versuch Hans-Georg Gllc:bmers ~ 1999) einer Rehabilitierong der Vorurteile. Die Geltung der Vorurteile bedeutet nicht die Ausschaltung der Kritik und das Hinterfragen der eigenen Ansätze, WtJI,,:>rit und Metlxxk (1960), 270ff. Vgl. Meyer: AMgustins Frage ,Was ist denn Zeit?', Ilff. In der Philosophie geht es um Denken und dessen Auslegung, nicht um die Entwicklung vOr.lusgesetzter Konzepte. Mit Begriffen wie ,Philosophie der Wesenheit' zu operieren, schadet deswegen mehr als es nutzt. Nachdenklich macht die Behauptung. daß diese Haltung vor:ausseezungsfre.ier als andere sei. .
Ewigkeit und Zeit 31 untersuchung Augustins geraten. 12 Die Überlieferung, die Rasch und Meyer mit ihrer Kritik ablösen wollen, braucht vielmehr Ergänzung und Nachdenken als eine schlichte Vereinfachung und ihre bloße Verabschiedung. Einer der brennenden Punkte macht die Reduktion des elften Buches auf die Paragraphen 17-38 aus und damit verbunden die Isolierung eines Zeittraktates innerhalb von ihm. Aus diesem Blickwinkel bleiben lediglich die Überlegungen über die alltägliche Erfassung der Zeit und ihr gewöhnliches Aussprechen übrig (17-27), sowie die Diskussion der tradierten philosophischen Meinungen über die Zeit (18-38), die Augustinus zur berühmten Lösung der Zugänglichkeit der Zeit als distentio animi führen. So verliert aber der Text einen äußerst wichtigen Teil, der diese zwei Durchgänge einrahmt, nämlich den Kontrast zwischen Zeit und Ewigkeit. Von der Heiligen Schrift ausgehend, denkt Augustinus ab dem elften Buch der Confessiones über das Wort Gottes nach. Der Satz der Genesis ,.in principio feeit deus caelum et terram' fungiert als Abstoßpunkt für die Reflexion über die Ewigkeit und ihre Beziehung zum Zeitlichen und zur Zeit. I) Das elfte Buch bekommt diesbezüglich ein anderes Aussehen, indem dort der Bezug des ewigen Gones auf den Menschen erforscht wird. Augustinus geht nicht einfach von der Frage nach der Zeit aus, sondern von der Suche nach der Präsenz der Ewigkeit im Menschen (11,1): "numquid domine, cum Na sit aetemitas. ignoras, quae tibi dico, aut ad tempus vides quod fit in tempore? cur ego tibi tot rerum narrationes digero?" Mit diesen Worten läßt Augustinus die neue Ebene seiner Reflexion beginnen. Nicht mit der direkten Frage nach dem Sein der Zeit, vielmehr aber mit der Wiederaufnahme der Frage nach den Erzählungen der vorherigen Bücher. In den ersten neun Büchern hatte er über sein vergangenes Leben geschrieben und im zehnten Buch über seinen jetzigen Zustand nachgedacht. Die Frage nach dem Sinn der Ausbreirung der Erzählungen vor Gort, die Frage nach dem I~ Ausnahmen bilden Ricoeur.
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Tempset ririt; von Hemnann:ANpstinus Nnd die phänomm. ologiscbe Frage nach tkr Zeit; Fischer: .Distentio animi'; Mesch: Reflektierte GtgcuwaTt. In der berühmten Passage seiner Retractationes. in der Augustinus über die Confessiones
retrospektiv schreibt, lautet es, 1tZ,., 6, 1: "confessionum mearum libn tredecim er de nW.i.s er de bonis meis deum laudanr iusrum er bon I1m , arque in eum excitanr hurnanum inrellecturn er affectum interim quod ad mc attinet, hoc in mc egerunt rum scribe:rentur et agunt cum Ieguntur. quid de illis a.1ü sentiant, ipsi uiderint; multis t2men frattibus ws multum placWsse et placcre scio. a prima usque ad decimum de mc scripti sunt, in ttibus ceteris de scripruris sanctis, ab eo quod scriptum est ,in principio feet deus caelum et terram" usque ad sabbati requiem." Die Werke Augustins sind aus dem Corpus ANgustinillnum Gi.ssense zitiert, hrsg. von Mayer. Die Zitation Augustins folgt den Regeln des Augustinus-Lexikon, d.h. die Werke werden durch das Werkkiinel, die Nummer des Buches und den Paragraphen zitiert: z. B. 1tt1 . 6,1. Im FaD der ConfossiI>Ms wird auch auf die Werkangabe: verzichtet, so daß nur Buch- und Paragraphennununem angegeben werden: etwa 11. Buch, P"'8"'ph 27, 11,27.
Confessiones,
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32 C Agustin Corti Sinn des zeitlichen Treibens eines endlichen Wesens vor dem ewigen Gott, eröffnet das elfte Buch. Innerhalb dieser Koordinaten erhebt sich für Augustinus die Frage nach dem Sein der Zeit. Das Ziel des vorliegenden Beitrags besteht darin, die Rolle der Ewigkeit in der Zeituntersuchung auszuloten. Der Begriff der Ewigkeit soll zunächst aus diesem erweiterten Rahmen des ganzen elften Buches rekonstruiert bzw. einige seiner unterschiedlichen textimmanenten Funktionen in Bezug auf die Zeit analysiert werden. Danach wird die Interpretation der Zeituntersuchung Augustins in Heideggers Frühwerk dargestellt und problematisiert. Daraus soll ein Beitrag zur wirklichen Auslegung des elftes Buches bei Heidegger geleistet werden, nicht aus einer fehlerhaft reko nstruierten, diskreditierenden Vorstellung von der Philosophie Heideggers. Vor allem darf die Wirkungsgeschichte nicht mit den Grundtexten verwechselt werden.
1. Die ,distentio animi' als Zeichen der Ewigkeit Bereits im Proömium der Confessiones des Augustinus heißt es, die Menschen seien trotz ihrer Sterblichkeit auf Gott hingeschaffen. Wenn Augustinus am Anfang des elften Buches diese Annahme wieder aufnimmt, kehrt er die Fragestellung zum Bezug der Ewigkeit auf die Zeit um. Die berühmte Passage vom Anfang der Confessiones .. tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te er inquietum est cor nostrum, do nec requiescat in te"(l,l), die man den basso continuo des Werkes nennen kann, tritt im elften Buch vertieft zu Tage. Die ersten Paragraphen des elften Buches analysieren auf verschiedene Weise, was ,Ewigkeit' für das Vergängliche bedeutet. Daß die Frage ,quid est tempus?' in der Reflexion über die Ewigkeit Gottes und im Schöpfungsbericht vorkommt, bedeutet: der Ko ntrast zwischen Ewigkeit und Zeit strebt nicht vorzüglich eine Klärung des Seins der Zeit an. sondern die Aufklärung des Bezugs von Gott zum Menschen. Da das Denken von der menschlichen Seite betrieben wird, trägt es auch die Bestimmung des Endlichen. Die Betrachrung über die Zeit macht einen selbstständigen, sogar den zentralen Teil des elften Buches aus, fungj,ert aber trotzdem nicht als sein einziges Ziel.
a) Ewigkeit als beständige Gegenwart Wenn Augustinus clie Ewigkeit von Gott aussagt, greift er auf eine lange platonisch und neuplatonisch geprägte Geschichte zurück. Die kosmologj,sche Tradition. clie sich auf Betrachrungen in Platons Thimaios und Plo rins Enneade IlI, 7 beruft, bestimmt zweifellos die Grundlage von Augustins Frage. Unter dem
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Ewigkeit und Zeit 33 Blickwinkd des Anliegens. über die Schöpfung Gottes nachzudenken, erscheinen die einleitenden Paragraphen nicht befremdlich. Augustinus bleibt aber nicht o hne weiteres bei dieser Überlieferung. Seine Zeitbetrachtung erhält dabei ihre eigene Betonung. Im Anklang an die neuplatonische Überlieferung der kosmologischen Untersuchung über die Entstehung der Welt, kommt Augustinus zur Ewigkeit Gottes und zugleich zur Zeit, die das menschliche Wesen durchaus bestirrunt. Jedoch betont Augustinus bereits im zweiten Paragraphen einerseits die Kos tbarkeit der Zeit (11,2: "cara mihi valent stillae temporum'j und andererseits seine Absicht, das Wort Gottes (ebd.: ,,lnardesco meditari in lege rua'j ausgehend von der Schö pfung zu bedenken (11.3: ..ab usque principio. in qua fecisti caelum et terram'j.l. Die Veränderlichkeit des Geschaffenen führt zu einem Parado xon: obwohl der unveränderliche Gon die Wdt geschaffen hat, fangt alles in der Welt einmal an und hö rt irgendwann auf zu sein. Obwohl dem Geschaffenen Beharrlichkeit feWt, finden sich bei ihm doch als Kriterien das Schö ne. das Gute und das Sein, die auf die Schönheit, die Güte und das Sein Gottes verweisen. Das Endliche hängt ganz von seinem Schöpfer ab und besitzt im Vergleich mit ihm diese Prädikate nur im Modus der Defizienz.15 Wie hat Gott also diese Welt schaffen kö nnen, wenn er uns andersartig als sie erscheint, wenn er das ewige Sein und die Welt ihrerseits vergänglich ist? Die Antwort Augustins besagt im Anklang an die biblische Tradition, Gott habe die Welt in seinem Wort geschaffen. Dieser neue Aspekt führt nun zu einem wichtigen Punkt, in dem die Ewigkeit des Wortes Gottes beto nt wird - im Unterschied zum Sprechen des Menschen. das in der Zeit stattfindet. Bereits hier wird die Wandelbarkeit des Zeitlichen im Vergleich zur Beharrlichkeit des Ewigen festgestellt; und auf diesem Boden setzt die Zeiruntersuchung ein. Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit (11.8: .. 'verbum autem' dei mei supra me .manet in aetemwn"j. Anders als menschliche Worte beginnt und endet das ewige Wort nicht (11,9). An dieser Stelle geht Augustinus einen Schritt weiter und behauptet, das Wort Gottes sei zeitlich und nicht ewig, wenn es votübergin-
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Im fünften Pangn.phen fo rmuliert AugusUnus urunittelbar im Anschluß an du Proömium erneut sW1 Ziel; ..audiam et intelligam. quomodo .in principio' fecisti ,caelum et teuam'" (li , 5). Dennoch besagt w.s H örm und Einsehm nicht die Anna.hme einer gegebenen Wahrheit. vielmehr soU ctie Auslegung im Lichte der Wahrheit s~tt6nden. Zwischen dem. was but AugusUns Kenntnissen Moses in der Gent1is geschrieben hat. und dem, W8.5 AugusUnus einzusehen sucht, steht die Wahrheit als Vennittler: es ist die Wahrheit und nicht der Text oder seine Auslegung, welche die Richtigkeit sichert; heide weisen auf das Wort Gottes zurück, vgl. 11,5: •.intus utique mihi, intuS in do micilio cogi~tionis nec He· braea nec Graeca nec Latina nee barbara. veri~s sine ons et lingua.e organis, sine snepitu syllabarum dice.ret: verum dieit et ego s~tim certus con6denter illi homini tuo dicuem: verum dieis." Augustinus: Was ist Zeit! OmfossitJnes Xl. 76, Anm.. 55.
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ge (11,9): ..non e.tgo quidquam verbi Ni cedit atque succedit, quoniam vere immortale atque aetemum est. et ideo verbo tibi coaeterno simul et sempiterne dieis omnia, quae dieis, er fit, quidquid dicis ut fiat u. Im Unterschied zur Ewigkeit geht das Endliche voriiber; alles beginnt und endet. Der Ursprung dieses Vergehens ist Gon selbst, dessen Wort alles geschaffen hat. ' 6 Den vermeintlichen Widerspruch sieht Augustinus erneut in Anknüpfung auf die Frage der Manichäer. ,Was tat Gon, bevor er Himmel und Erde schuf?
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Augustinus sagt zur ewigen Ruhc gegenüber der Wandelbarkeit der Zeit (mus. 6,29): "quac vero sUpeDora sum, nisi illa in quibus summa, inconcussa, incommutabilis, acterna manct aequalitas? ubi nullum cst tempus, quia nulb mutabilitas eSf; er unde tempora fabricanrur er ordinanrur er mocü6canrur aetemitatem imitantia, dum caeli conversio ad idem redit. er caelestia corpora ad idem revocat, dicbusquc el mensibus CI annis el lustris, cctensque siderum orbibus, legibus aequalitatis et unitatis et ordinationis obtempen.t. itt caelestibus terrena subiccta, orbes tcmporum suorum numeroSll successionc quasi cannini universitatis associant." Vgl. Mcijering: AUgNStin über Schöpfung. Ewigkeit und Ztit, vor allem 46ff.: ..Die Ewigkeir Gottcs steht immer in Ruhe. Die Zeiten stehen nie still, sondern sind in fort&hrender vorübergehender Bewegung. In der Ewigkeit geht nichts vorüber, d.b. in der Ewigkeit ist keine Zeit, da die Ewigkeit nur Gegenwut ist, dieses wird von Augustin immer wieder betont." n Vgl. 11 ,12. Zu dieser Frage und ihrer Herkunft vgl. Meijering: Aupstin übt,- Schöpfong,
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Ewigkeit und Ztit, 4Off. 11 ,14: .,sed dico te, deus noster, omnis crcatune creatorem et. si cacli et terrae nomine omnis creatun intellegirur, audenter dioo: anlcquam f2ceret deus caelum er terram, non faciebat aliquid"
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Ewigkeit und Zeit 35 griff der Ewigkeit gegenüber der Zeit gestellt iSt. 19 Nur weil die Gegenwart nicht verweilen kann. entsteht das Problem der Unfaßbarkeit der Zeit. Die Ewigkeit bedeutet ihrerseits eine Macht über das Zeitliche, ohne zeitlich zu sein (11 ,13): .,quomodo srans dictet futura er pcaeterita tempora nec futura nec pcaeterita aeternitas?" Hier wird zugleich eine doppelte Bewegung bestätigt: zum einen hebt Augustinus die Unvergleichlichkeit von Zeit und Ewigkeit hervor (,videat esse incomparabilemj, sofern die Ewigkeit beharrt und die Zeit vergeht. 20 Zum anderen bleibt die Ewigkeit nicht ganz disparat im Vergleich zu den Zeiten, indem die Ewigkeit die vergehenden Zeiten bestimmt. Augustinus beantwortet dann die Frage der Manichäer und sagt, es könne kein .Bevor< geben, bevor Gott Himmel und Erde schuf, denn die Zeit sei erst mit der Schöpfung von Himmel und Erde entstanden. Deshalb erscheint es sinnlos zu fragen, was Gott vor der Schöpfung gemacht hat (11 ,15): ,Jd ipsum enim tempus tu feceras, nec praeterire potuerunt tempora, antequam faceres tempora, si autem ante caelum et te.rram nullum erat tempus, cU! quaeritur, quid tunc faciebas? non enim erat tunc. ubi non erat tempus". Zwei klar geuennte Ebene sollen hier unterschieden werden: erstens stellt die Zeit das Merkmal des Endlichen dar bzw. sie entsteht mit der Schöpfung von Himmel und Erde und kann deshalb kein Kriterium für die Ewigkeit sein. Daraus ergibt sich zweitens die Unzulänglichkeit des Maßstabes endlicher Menschen, der dazu dienen soll, eine resdose Bestimmung von Gott und Schöpfung zu erreichen. 21 Die Besinnung über die Heilige Schrift öffnet einen Weg. Gott Der ganze Pangraph ist diesbeziiglich von Bedeutung. 11,13: ..qui b.aec diCUDt, nondwn te inteUegunt, 0 ,sapientia dei', lux mentium, nondwn intellegunt, quomodo fiant, quae per te atque in te diunt, et conanrur aetenu sapete, sed adhuc in praeteritis et futuris rerum moribus ,cor eorurn' volitat et adhuc ,WDwn est'. quis tenebit illud et 6get illud, ut paululum stet et paululum rapiat splendorem semper stantis aetemitatis et comparet cum tempoobus numqlW11 stantibus et videat esse incomp:lrllbilem et videar longum tempus nisi ex multibus morulis, quae simul extendi non possunt, longum non 6eo; non Jlute.m praeterire quidquam in aetemo, sed toturn esse praesens. nuUum veto tempus toto esse praesens: et videat omne praetttitum prope1li ex futuro et omne futurum ex praetttito consequi et omne praele.rirum ac Cuturum Jlb eo, quod sempe.r est pnesens, crea.ri et excurrere? quis tenebit cor hominis, ut stet et vidot, quomodo stans dictet futura et praetttita tempora nec Cutura nec praete.rita aetemiw? nwnquid ,.manus me2, valet' hoc Jlut maous o ris mei per loquellas agit tarn grandem rern?" _ 20 Flasch: Was ist Z~tr. 138ff. notien mit Recht, die Betrachtung Augustins ve.rl.i.ett den ikonischen Chankter der platonisch-neuplatonischen Tradition. Die Zeit stellt kein Abbild der Ewigkeit mehr, sondern ist ihr unvergleichlich. ! \ Vgl z. B. die nüchterne Position Augustins über die Er:kennbarkeit Gottes (s. 11 7,5): ,.magis pi2. esl talis ignonntia, CJU2m praesumpta scientia. loquimur cnim de deo. dictum est, ,et deus erat verbum'. de deo IoqI.ÜmUC, quid rnirum si non comptthendis? si enim comprehendis, non esl deus. sit pia confessio ignorantiae magis, quam tcmeraria professio scieoriae attingere aliquanrum D)(;Clte deum; magna beatirudo esl: c.ou:tprehendere autem, omnino j ••• possibile."
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36 C Aga.stin Corti weder als Mensch vorstellen noch Fragen wie die der Manichäer aufstellen zu müssen. Die Lösung der Frage nach den Taten Gottes vor derSchöpfuog beruht auf der Sinnlosigkeit jener Frage. Bezüglich der Ewigkeit ist nun eine Verschiebung des Akzentes zu bemuken, denn Augustinus führt jetzt die Perspektive eines endlichen Menschen bewußt dwch; der Bezug der Ewigkeit auf die Zeit wird nun unweigerlich in der Bestimm1lOg des Zeitlichen und nicht des Ewigen liegen.22 Zusammenfassend kann eine doppelte Bewegung bestätigt werden, die zunächst als gegensätzlich erscheinen mag. aber tatsächlich der Unterscheidung zweier Ebenen bedarf: 1) Die Ewigkeit wird als semper praesens mit der Determination einer beständigen Gegenwart bezeichneL Sie stelh auf dieser Ebene die ausgedehnte Gegenwart dar, die im fließen der Zeit von der Zukunft in die Vergangenheit zunächst nicht zu finden ist. 2) Die Ewigkeit ist das Andere der Zeit, d.h. die Zeit macht kein Abbild der Ewigkeit aus, sondern es herrscht völlige Unvergleichbarkeit. Eingeschlossen in diese Ungleichmäßigkeit kann der Mensch sein zeitliches Wesen erforschen. nicht aber von diesem her die Ewigkeit Gottes erreichen. Der Kontrast bleibt jedoch erhalten, ebenso wie der Einfluß der Ewigkeit auf die Betrachtung der Zeit. Bemerkt man, wie Augustinus die Frage nach dem Sein der Zeit im 17. Paragraph aufwirft, wird das klar (11.1 7): ..nullo ergo tempore non feceras aliquid, quia ipsum tempus tu feceras. et nulla tempora tibi coaetema sunt, quia tu pe.rnunes; at illa si pe.rnunerent, non essent tempora. quid est enim tempus?". In ihrer Beharrlichkeit kündigt sich ein Zeichen der Ewigkeit in der Zeit an, indem die Zeit negativ in ihrem fließen bestinunt wird. Dann erstaunt nicht, daß die Zeit an dieser Stelle fraglich wird, und zwar in ihrer Vergänglichkeit. Gleich im achtzehnten Paragraphen übernimmt Augustinus die gewöhnliche Rede von einer langen und einer kurzen Zeit. Erst aus der kosm ologischen, sich aus der Besinnung übet die Heilige Schrift ergebenden Betrachtung über die Ewigkeit, wird aus der Zeit ein Problem. Gäbe es keinen Kontrast zwischen der in der Gegenwan beharrlichen Ewigkeit und den vergehenden Zeiten, würde die Frage nach der Zeit im elften Buch keinen Platz finden. Da mit ihr eine neue Ebene erreicht wird, kann der Gang der Zeituntersuchuog aber ohne die explizite Thematisierung der Ewigkeit erfolgen. n Zl
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Vgl. etwa con! 11 , 16: "nec tu tempore tempora pnecedis: alioquin non omnia tempon pmecede.res. sed pnecedis omrua praeterita celsitud1ne semper pnesentis aetemitatis et superas omnia futun., quia illa futun. sumo et cum vene.rint, praeterit2 erunt; ,N autem idem ipse es, et anni Ni non de6ciunt·... Der Unterschied zu Plotin ist hier unubctsehbar; obwohl Plotin eine komplexere Begr:ifflichkeit beziiglich der Ewigkeit enrwickelt und die überlieferten Zeit2uf&ssungen tiefer als Augustinus erforscht. bleibt er in stark met2physischen Voraussetzungen befangen. Dies kann ein Grund sein, warum der Text des elften Buches heutigen Lesern moderner als der von Platin erscheint. Die aus der Sicht des endlichen Menschen durchgeführte Analyse von Augustinus schaltet viele - jedoch nicht alle - komplex zu begründenden n1Ct2physi-
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Ewigkeit und Zeit. 37
b) Die Zeituntersuchung Die Zeitanalyse entwickelt sich von jetzt an aus dem vorphilosophischen Verständnis der Zeit. Zweck der ersten Teil der Betrachtung ist jenes Vorverständnis zu erklären; dagegen diskutiert Augustinus im zweiten Abschnitt philosophische Auffassungen der Zeit und beschäftigt sich mit der Zeitmessung. Zuerst geht es also um die Erklärung des Worcgebrauchs von ,Zeit' und ,Zeiten'. Hier spiegelt sich die von der Physik Aristoteles her bekannte Ansicht wider. daß der Zeit kein Sein zuzukommen scheint. Denn das Zukünftige ist noch nicht, das Vergangene nicht mehr und d.s Gegenwärtige fließt stets ins Vergangene über. Würde das Gegenwärtige verweilen, wäre es laut dem früheren Ansatz keine Zeit, sondern Ewigkeit. Hier werden die zwei Ebenen der Reflexio n ins Spiel gesetzt, da die Zeit einerseits eher phäno menologisch betrachtet,24 andererseits aus dem Gegenbegriff der Ewigkeit als beständige Gegenwart ausgelegt wird." Trotz des steten Entzugs der Gegenwart im Vo rübergehen sprechen wir von einer ,langen< und einer ,kurzen' Zeit und verstehen, was damit gemeint wird. Bezüglich der Zeiten bedeutete es: sie waren oder werden lang sein, aber sie sind nicht mehr oder doch noch nicht. Sie kö nnen kurz oder lang sein, während sie Gegenwart sind. Eine lange Vergangenheit war lang, als sie gegenwärtig war. Jene Wendung widerspiegelt den Ansatz der Betrachtung: was ist, vernarrt. So lautet jetzt die Aporie: Wie kann die Gegenwart lang sein, wenn sie immer zerschen Vorausscttungen aus und wirkt deshalb epistemisch voraussettungsfreiu. Vgl. Plotin: Obtr Ewigkeit und Znt. 24 Diese Auffissung hat bereits eine langt Wulrungsgtschichte; vgl. Lampey: Das Uitproblnn nach tim <mnmissm Augustins, nennt die Zeitbetrachtung Augustins eine phinomenologisch-ontologische, 27: ..WU' können Augustins Methode der Zt:itufassung im Unterschied zur rein phinomenologischen Methode eine phinomenologisch-ontologisehe nennen." Außerdem ufaßt v. Hemnann: AJlgNStinJls Jlnd die phänomenologiscM Frage nach der Zeit die Zeituntenuchung des Augustinus als eine ,phänomenologische Analytik', die er in einem dreifachen Sinn versteht, 19. Gloy: Die StntktUT der Augusti· nischen ZeittMorie im Xl. BJlCh der .Confossiones', 72·95, beschreibt eine kompliziertere: Eiruahmung, 75: ,,sachlich und methodisch handelt es sich hiu wn die Einbettung einer rein phänomenologischen Zeitanalyse in einen rdigiösen Kontext, ~s nicht ohne Auswirkung auf die Beurteilung der Zeitanalyse und den Status du Zeit bleiben kann." :5 Deshalb ist du Behauptung v. Hemnanns: AJlpstinus und dü phänomenologische Frage nach der Zeit, 22 die Ewigkeit sei ,.im Ausgang und im negariven Abstoß von den spezifischen Zeitcharakteren" bestimmt und die Untenuchung erfolge nicht ..unter Ruckgriff auf den E-.vigkeits-Begriff' nicht zuzustimmen. Dennoch norien v. Hemnann mit Recht, es verhalte sich so, ..daß Augustinus in seinu Zeituntersuchung nicht mehr rlllch dem spekulariven, sondern nun rlllch dem phänomenalen Sein und Wesen du phänomenalen Zeit fragt, d.h. du Zeit so, -.vie sie sich im rlllriirlich-alltiglichen Zeitverständnis zeigt.", 22 Vgl. NcnU Gloy (1988), 19ff. und Schul<e-Klöcker. Das V.rlJ.iItnis """ Ewigw.nd Z
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teilt werden kann?26 Dieser Gang zeigt sich dann als ausweglos. Sodann versucht Augustinus zu prüfen, ob die Zeit als lang oder kurz gemessen werden kann. denn wir sprechen ständig von langen oder kurzen Zeiten. Ihnen soll irgendwie Sein zukommen (11,22: .. sunt ergo et futura et praeterita«) . Was ist, muß don, wo es ist, gegenwärtig sein; und das gilt auch für das Zukünftige und das Ver· gangene. Betrachtet werden nicht mehr die Zeiten, sondern wie mir Vetgange. nes, Zukünftiges und Gegenwärtiges zugänglich sind. Ich nehme die Zeit ,als' vergangene, ,als' zukünftige und ,als' gegenwärtige wahr, nie bloß die Zeiten als solche. Zeit ist also immer bedeurungsreiche Zeit. Diese Wenduog der Analyse erfolgt in der Kopplung von Zeit und Seele, die den ersten Gang der Untersuchung abschließt: die Zeiten sind drei, aber nur wenn sie als Gegenwart vo n Vergangenem, Gegenwart von Gegenwärtigem und Gegenwart von Zukünftigem erfaßt werden. Als solche ,Gegenwart von' sind drei Zeiten in der Seele anwesend, bzw. sie sind als Erinnerung (memoria), Anschauung (contuitus) und Erwartung (expectatio) da.v Eine gewisse Möglich. keit der Ausdehnung der Zeit wird dadurch gewonnen; es bleibt dennoch offen, wie das Fliehen des Zeitlichen doch eine solche Ausdehnung erlaubt, die wir tatsächlich messen können. Ein Gebet um die Kraft, das verwickelte Rätsel (implicatissimum aenigma) der Zeit zu durchdringen, leitet in den zweiten Teil über. Der zweite Gang setzt mit tradierten Meinungen ein, welche die Z eiten mit der Bewegung identifizie· ren. Diese werden abgewiesen, denn die Bewegung braucht ein externes Maß, um überhaupt als lang oder kurz bestimmt zu werden. Gerade dieses Maß, mit dem die Dauer gemessen werden soll, ist das Gesuchte, nämlich die Zeit. :za Nach der Zurückweisung der vorherigen These ko mmt Augustinus vertieft zur Zeitmessung (11,33): ,,ipsum ergo tempus unde metior?" Das Beispiel wird vermittels einer Überpriifung der Dauer der kurzen und langen Silben eines Verses durchgefühn. Das Messen der Silben geschieht in der Z eit, während die Silben zum Klingen kommen. Die Lösung Augustins heißt: sie kö nnen gemessen VgL conf 11, 20: "quod in nullas iam vel minurissUnas momentorum panes dividi possit, id solum est, quod praesens die:arur. quod tarnen itll raptim a fururo in praeteritum transvo lat, ut nulla mo rula extendarur. ruun si extenditur, dividitur in pr:aeteritum et Futurum: praesens autem nullum habet spatium." n conf 11 , 26: ..quid autem nune: liquet et e:wer, nee futura sunt nee praete.rita, ne<: proprie dicitur: tempora sunt tria, praeteritum, praesens et Futurum, sed foltasse proprie die:eretur: tempora suot tria, praesens de praeteritis, praesens de praesentibus, praesens de Futuris. sunt enim mee: in anima tria quaedam et alia non video, praesens de praeteritis memoria, praesens de praesentibus, e:ontuitus, praesens de Futuris expee:tatio. si haee: permittimur die:ere, aia tempora videor et fateorque, t:ria sunt" . 1I Die Z eit ist also rue:ht die Bewegung eines Körpers, conf 11 ,31: ,.iubes ut approbem, si quis dic:at tempus esse motum eorporum? non iubes. nam corpus nullum nisi in tempore moveri audio: tu dicis. ipsum autem e:orporis motum tempus esse non audio. no n tu die:is." 10
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Ewigkeit und Zeit 39 werden. weil es eine Ausdehnung gibt. Die Seele erstreckt sich und läßt die vorübergehende Stimme als eine Einheit erfassen; nur eine solche Einheit kann gemessen werden; die Zeit ist also eine Erstreckung des Geistes (11.33): .,inde mihi visum est nihil esse aliud tempus quam distentionem: sed cuius rci, nescio. et mirum, si non ipsius animi".29 Die Lösung einer Erstreckung des Geistes läßt sich nicht ohne weiteres verstehen. Sie bildet eine Metapher. die interpretationsbedürftig ist Zuerst hebt sie die Faßbarkeit der Zeit in der Erfahrung einer Dauer ans Licht Daß die Dauer gemessen werden kann, wird durch die Erstreckung des Geistes möglich, der in seiner Tätigkeit die Zeiten zugänglich macht. Augustinus präsentiert diese Metapher nicht als ein letztes Ergebnis; der Beweis dafür ist die weitergehende Vertiefung in dieselbe Problematik. Zwei Aspekte werden hervorgehoben: Die Erfassung der Zeit hängt erstens von der Tätigkeit der Geistes ab, und zweitens muß diese Tätigkeit als eine Erstreckung verstanden werden, welche die Zeiten festhält Dabei spielt der Begriff der Einheit eine besondere Rolle, denn Anfang und Ende einer voriibergehenden Stimme werden vorausgesetzt. Die Aporie bezüglich der Zeitmessung bleibt aber noch bestehen: wenn die Stimme aufhört zu klingen, ist sie nicht mehr da. Wie kann sie also gemessen werden? Das Gemessene sind laut Augustinus nicht die vorübergehenden Silben, sondern etwas. das im Gedächtnis bleibt (11,35): ..non ergo ipsas [syllabae], quae iam non sUßt, sed aliquid in memoria mea metior, quod infixum maner'. So wird eine Zeitspanne dank dieser Tätigkeit des Geistes festgestellt und gemessen. Dies wird erst von der Tätigkeit des Geistes ermöglicht, der durch die Erwartung, die Wahrnehmung und die Erinnerung das zugänglich macht, was sonst nicht mehr wäre oder keine Ausdehnung hätte. Was als Zukünftiges im Geist ist, besteht aus der Erwartung des Zukünftigen (,expectatio futurorum'), was als Vergangenes besteht aus der Erinnerung des Vergangenen (.memoria praeteritorum')lO und was als Gegenwärtiges besteht aus der Aufmerksamkeit des Vorübergehenden (,attentio, per quam pergat abesse quod aderit'). Zusanunenfassend kann festgestellt werden: Die Zeit ist in der Tätigkeit des Geistes bzw. in einer Erstreckung des Geistes zugänglich. ll
29
Für den Begriff ,distentio' und die damit verbundenen ,.attentio', ,intentio' und ,extentus'. vgl O'Donnell: Augunine. II/, 289-90. Der Autor weist ebenso auf Plorins Zeiterfassung als &Oa't~ hin und hebt den Unterschied zwischen beiden Zeitideen, v.a. bezüglich der Konzeption des Geistes hervor. Zur Plorinschen Zeitdefinition Enneade 11/, 7. 11; vgl. auch Beierwaltes: Ober Ewigkeit und Zeit, 265ff. Zwn weiteren Flasch: Was ist Zeit?, 376ff. und 382ff. Vgl. die einleuchtenden Hinweise zur memoria bei Guitton: Le temps et I' hcnitJ chez
l;on;
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Platin et Saint Augustin, 243ff. }1
Diese Tatsache veranschaulicht Augustinus mit dem berühmten Beispiel des Singens eines
Liode>, con! 11, 38.
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c) Das endliche Wesen vor der Ewigkeit Der Gewinn der Lösung Augustins besteht darin. durch die Metapher der ,distentio animi' ein Phänomen anschaulich zu machen, das auf andere Weise nicht faßbar wäre. Metapher bedeutet hier keine Herabminderung; vielmehr liegt ihre Stärke darin, daß sie eine Möglichkeit eröffnet, clie Aporien über das Sein der Zeit bzw. die Bedrohung ihrer Nicht-sein zu encziehen. l2 Wird cliese vereinheitlichende Erstreckung des Geistes erreicht, kommt Augustinus erneut zum Bezug des Menschen auf die Ewigkeit und übernimmt die distentio, diesmal aber im Kontrast zu Gott und seiner Beharrlichkeit. Den Gegensatz dazu macht die intentio aus, dergegenüber das Leben als distentio zerstreut, in die Zeiten zersplittert erscheint (con! 11,39): ..ecce distentio est vita mea". Hier verweist Augustinus auf den Gott, der tröstet, sofern er ewig ist (11 , 39: ..pater meus aeternus es"). Die Zeit als distentio animi zu erfassen, zielt also nicht auf eine Einheit, wie sie bei der Ewigkeit vorausgesetzt wird, sondern vielmehr auf die eigentümliche Einheit des Zeitlichen. Diese besagt, im Unterschied zur Einheit Gottes, Zerrissenheit. ll Das heißt wiederum, die distentio animi bedeutet etwas Wesentliches für den Menschen. Daraus ergibt sich, distentio animi sei zwar nicht nur eine Metapher, aber auch eine Metonymie des Lebens. Sodann kehrt Augustinus in den letzten drei Paragraphen zu den Motiven zuruckt, die ihn die Zeituntersuchung hatten beginnen lassen: die Sinnlosigkeit der Anwendung zeitlicher Kategorien auf die Ewigkeit Gottes,14 das Singen eines Liedes als eine Einheit darbietende Tätigkeit,lS die dem Menschen ein Zeichen der Ewigkeit Gottes darbietet. Trotzdem hebt Augustinus abschließend hervor, das Wissen Gottes sei dem des Menschen disparat. Die Erkenntnis dieses UnterDeslulb ist Fischer zuzustimmen, AUguStUlUS ziele auf eine .Entflüchtigung des Zeitlichen'. Vgl. Fischer ,Distentio animi<, 495ff. v.a. 506 und 543ff., z.B. 506: "Das Ziel. das die Zeitmessung in Gang bringt und in Atem hält. ist keine Entzeitlichung, die man mit Recht als Ziel Plotins nennen kann, sondern die Entjlüchtigung cks Zeitlichen. worunter das Ende der Flüchtigkeit der für kostbar gehaltenen Zeit zu verstehen ist." II Mesch: Reflektierte Gegenwart, bezeichnet die Ewigkeit einleuchtend als ,simultaneitit'. Darum gebe keine vollstindige Unvergleichlichkeit zwischen Ewigkeit und Gegenwart. Vgl. z.B 317: "ln der sukzessiven Teilung ausgedehnter Gegenwan versucht Augustinus lediglich, sein Ewigkeitskriterium möglichst anschaulich auf die Zeit zu beziehen." ),I conf 11, 40: "Videant itaque nullum tempus esse posse sine creatura et desinant istam vanitatem loqui. Extendantur etia.m .in ea quae ante sunt', et inteIlegant te ante ornnia tempora aeternum creatorem omnium temporum" . n conf 11, 41 : "certe si est tarn grandi scientia. et praescientia. pollens animus, cui cuncta praeterita et futura ita nota sint, stcut mihi unum cancimwn nocissimum, nimium mirabilis est animus iste atque ad hOrrQrern stupendus, quippe quem tta non lateat quidquid peractum et quidquid reliquwn saeculorum est, quemadmodum me non !atem cantantem illud CllDticum, quid et quantum eius abierit ab exordio, quid et quantum restet ad finem" .
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Ewigkeit und Zeit 41 schieds wird von Augustinus als eine Anregung interpretiert, vor Gott zu bekennen und sich auf ihn auszurichten. Die Ergebnisse der Zeiruntersuchung vertiefen die Erfassung dieser Kluft; die zeitlose, immer beständige Ewigkeit kann nur skizzenhaft erahnt werden. Abschließend soll erwähnt werden, daß die Betrachrung über die Zeit und der Zusarrunenhang mit der Ewigkeit aus bestimmten ontologischen Vorausseezungen vollzogen werden. Augustinus erfaßt den ewigen Gott als unveränderlich und als höchstes Sein. Demgegenüber kommt dem wandelbaren Seienden nur begrenzt Seinscharakter zu. 16 Die Besinnung über die Schöpfung verweist in einem zweifachen Sinn auf Gon, sofern ein Sein in der Zeit zu erreichen ist, welches aus seinem eigentlichen Sein zu verstehen ist, und dieses doch zuletzt nur aus der Identität und absoluter Gegenwärtigkeit Goetes verstanden werden kann. l1 Das Unbeständige erhält vom beständigen Gott ein Zeichen, das es ihm erlaubt, seine unbeständige Natw: auf seinen Ursprung zu richten. Das der Zeit unterworfene Wesen bestimmt sich aus der Ewigkeit; die Zeit bleibt das Andere der Ewigkeit, bekorrunt jedoch eine gewisse Einheit in der distentio animi als Tätigkeit des Geistes, die dank Gott und als Zeichen seiner Ewigkeit dem Menschen über das Sein der Zeit zu sprechen erlaubL Die Richtung bleibt also vom Menschen bestimmt, der die Hoffnung. die Ruhe in Gon zu finden. im Kontrast mit der Ewigkeit trigt - zwar in Gones Wahrheit (veritate tua), aber dennoch der menschlichen Natw: gemäß iforma mea).
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Vgl. con! 7, 17: ..et inspexi ceren infn. te et uidi nec onuUno esse nec omnino non esse: esse quidem, quoniam abs te sunt, non esse autem, quoniam id quod es non sunt. id enim vere est, quod incommutlbiliter manet". Gilson: Notes SIIT retTt tt It temps cha Saint Augustint, 206, hebt die Synonymie zwischen der Unwandelbarkeit und Gott hervor. .. U est en effet exact de dire, que, clans 12 pensee d'Agustin, les deux tennes ,ette' et ,immuable' sont rigoureusement synonymes: l'ette etant proportionnel l'immut2bilite, cbaque chose mente le nom d'ette pour autant qu'elle est immuable, ce12 seul et2nt ,vraiment etre' qui jouit d'une parwte immutlbiliti." Vgl. Mayer: Die antimanichäische Epoche, 167f.: "Die Zeitlosigkeit als Prinzip der Zeit verweist uns wieder auf das Schema mut2bile-immutabile, auf die ontologische Zweiteilung alles Seienden in Veränderliches und Unveränderliches" . Vgl. dazu Mayc.c: Die dntimanichäischt Epoche, 165-66: ..Die über die distentio animi gewonnene ,Einheit' eines zeitlichen Abschnittes kann aber in Wlrklichkeit über die Vielheit seiner Bestandteile nicht hinwegtäuschen. Der uber die Zeit dwchweg existenziell reflektierende Augustin drückt diesen Tatbestand so aus: Die als distentio sich empfindende Existenz strebt zwu nach Einheit, ist aber essentiell Unbestindigkeit und Vielheit ,DOS multos in multis per multa'. Wahre Einheit bat Gott allein, der den Menschen über die Zeiten hinweg durch seinen menschgewordenen Sohn, den Mittler zwischen sich und uns, zur Bcstindigkeit ruft. Der Mensch bnn sich aus dem Vielen gleichsam sarruneln, indem er dem Einen folgt. Das heißt aber wieder, der Mensch muß den Einen je schon kennen, wenn er aus dem Vielen sich sam.me1nd dem Einen folgeo will. Übertragen auf unser Thema bedeutet dies: nur auf du Folie der zumindest erahnten Ewigkeit kann die Zeichenhaftigkeit der als distenao animi begriffenen Zeit erkannt werden".
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2. Heidegger als Interpret des elften Buches der Confessiones
Ende 2004 ist die als Urfassung von Sein und Zeit bekannte Abhandlung Der Begriffder Zeit zum ersten Mal im Rahmen der Martin Heidegger-Gesamtausgabe erschienen.lI Dort heißt es, die Zeit weise eine zweifache Charakterisierung auf: erstens orientiere sich das Leben nach der Zeit und zweitens werde dieses Leben bei der Erforschung der Zeit auf die Seele oder den Geist hingewiesen
(GA 64,17ff.): ..Das Fragen bleibt dabei steben, ob diese am Ende ,die Zeit' seien. Die heiden grundlegenden Abhandlungen über die Zeit, die uns außer der des Plotin überliefert sind, die des Aristoteles im vierten Buch seiner ,Physik' und die des Augustinus im elften Buch seiner ,Confessiones', weisen in diese Richtung." Ausgehend von dieser zweifachen, in den grundlegenden Becrachrungen des Aristoteles und des Augustinus gefundenen Anweisung, setzt Heidegger mit seiner eigenen Fragestellung über die Zeit ein. Da heide die Frage nach der Zeit auf die Frage nach dem menschlichen Dasein zurückführen, wird die Zeit als Phänomen je durchsichtiger, umso mehr ..das menschliche Dasein selbst hinsichtlich seiner Seinscharaktere sichtbar gemacht ist" (ebd.). Die Untersuchung der Zeit führt, so Heidegger, zur Ontologie. Dieser Text von 1924, in dem zum ersten Mal die Zeitabhandlung des elften Buches der Confessiones beriicksichtigt wird,)<) kann als maßgebend für Heideggers Rezeption dieses Buches gelten. Der Text Augustins fließt jedoch in Heideggers eigenes Projekt ein, das er 1927 in seinem Hauptwerk Sein und Zeit vorgelegt hat. Erst 1930 bietet Heidegger eine ausführliche Interpretation der Zeitbecrachrung Augustins in einem Vortrag vor den Mönchen und Novizen des Klosters St. Martin in Beuron.40 Dennoch weist er auch vor dieser Zeit an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Kontexten auf das elfte Buch hin, meistens aber kurz und nicht zulettt rhetorisch. Diese Hinweise, die in mehreren Werken )f;
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Heidegger: Der &g,iffder Zeit. Zur Bestinunung der Abhandlung als Urfassung vgI. das Nachwon des Herausgebers von Hemnann, v.a. 133; und früher Kisiel: 7he Genesis of Heidegger's ,Being and Time' . 322ff. Bei dem bereits in Tübingen 1995 erschienenen Vortrag Der Begriff der Znt (BZ). hrsg. von Tietjen. handelt es sich um einen anderen Text. der die gleiche Thematik behandelt, jedoch aus einer anderen Perspektive. Die Durchfiihrung ist verschieden, da sich die Abhandlung vor allem auf den Briefwechsd zwischen Wilhelm Dilthey und Graf Paul Yorck von Wanenburg stützt. Dieses Thema macht das Rinfte Kapitel des %Weiten Abschnitts von $uZ aus, besonders § 77. Bisher war der Vortrag Der Begriffder Znt die früheste Quelle fiir den Bezug Heideggers auf Augustins elftes Buch der Con.fossian.es. VgL das N achwort des Herausgebers fiir die Datierung. Der Vortrag ist laut v. Hemnann •.auf der Grundlage der Abhandlung gehalten", 127 . Des hL A ugustinus Betrachtung über die Zeit. Confessiones /ib. XI (1930) (AZ); Kopie von Heideggers ~uskripr aus der Abtei St. Manin (Beuron), verfaßt zum VOrtrag von 26.10.1930; Vuöffentlichung vo rgesehen in GA SO.
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Ewigkeit und Zeit 43 verstreut zu finden sind, lassen trotzdem einen roten Faden erkennen. Sie bieten jedoch nicht ausschließlich eine Interpretation des Augustinischen Textes. sondern vielmehr eine Aneignung seiner Gedanken. Heideggers Lektüre der Zeitbetrachtung Augustins soll in Heideggers Frage nach dem Sinn vom Sein einbezogen werden. So wird es hier zunächst der Versuch unternommen. eine kurze Pointierung der Hauptlinien dieser Interpretation aus Heideggers Frühwerk· ' vorzunehmen. Sodann wird der Beuroner Vortrag berücksichtigt werden. in dem Heidegger dem elften Buch eine eigene Interpretation widmet.
a) Heideggers Bezugnahmen aufAugustins Zeitabhandiung vor dem Beuroner Vortrag Soll man kurz Heideggers Aneignung der Augustinischen Zeitabhandlung in seinen frühen Jahren beschreiben, bietet sich eine dreifache Teilung seiner Ergebnisse an: 1) Augustinus bleibt in einer natürlichen - vulgären - Auffassung der Zeit stecken; 2) Er betrachtet die Zeit als eine unendliche Reihe von JetztMomenren und entleert sie damit, 3) Eine solche Analyse führt zum Phänomen der Verfallenheit des Daseins zurück. Diese drei Aspekte bedürfen selbstverständlich einer Erklärung. Hatte Heidegger in seinen früheren Vorlesungen mehrmals über eine kairologische Zeit gesprochen. die statt der sukzessiven Zeit dem faktischen Leben gerecht werden solle. gelingt es ihm erst 1924 seine Auffassung der Zeit schriftlich festzuhalten:42 Die benannre Abhandlung sowie der Vortrag Der Begriffder Zeit vor der Marburger Theologenschaft enthalten Heideggers Hauptmotive bezüglich der Zeitproblematik, deren Diskussion ihren Höhepunkt in Sein und Zeit erreicht. Für die Fragestellung dieser Arbeit lohnt es sich, dem Vortrag. in dem Heidegger von Augustinus ausgeht, kurz Aufmerksamkeit zu widmen. Rhetorisch an die Situation angepaßt, beginnt Heidegger seinen Vortrag mit ~I
Die vorliegende Arbeit beschränkt sich auf das Frühwerk Heideggers (also: Sein lind Zeit sowie die Vorlesungen der Lehrtätigkeit in Freiburg und Marburg zwischen 1919 und 1928). Da der Beuroner Vortrag 1930 entstand und einen zentralen Teil dieser Arbeit ausmacht, werden auch bis zu diesem Jahr ver&ßte Werke eingeschlossen. e Die Rede von kairologiscber Zeit konunt erst im WS 1920/ 21 vor, als Heidegger den Begriff von rtap<>t>erla - als Ankunft gewöhnlich übersetzt, christlicher dann als Wiederankunft - bezüglich des christlichen faktischen Lebens anzudeuten versucht (102ff.; 149ff.). Dort legt Heidegger Paulus' ersten Brief an die Thessalonicher aus und hebt bervor, die Erfahrung des Augenblickes (KWP&;) keine Erwartung eines Momentes darstellt, den jenund schon kennt. Vielmehr erlebt das faktische Leben selbst diese kairologische Zeit, ohne dabei eine ,objektive' Zeit auszubilden. Heidegger fügt dann hinzu: ,,Der Sinn dieser Zeitlichkeit ist auch für die faktische Lebenserfahrung grundlegend"; vgL Heidegger:
Phanommologie des religiösen. Lebens, 104.
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44 C Agust{n Corti der Frage nach Ewigkeit und Z eit. Die Möglichkeit einer Erfassung der Zeit aus der Ewigkeit wird jedoch abgelehnt:. weil sie ein theologisches Forschungsgebiet bilde und eine philosophische Betrachtung 6.ir eine solche Frage nur vorbereitend sein könne.43 Die Analyse wird anhand der Problematik der meßbaren Zeit eingeführt, wie sie uns dank der Uhr gegeben ist Was nun, fragr Heidegger, läßt uns die Z eit auf einer Uhr ablesen? Besitzen wir dann die Zeit oder sind wir selbst die Z eit? An dieser Stelle führt Heidegger nun Augustinus ein (BZ, 10 [GA 64, 111]): "Verfüge ich über das Sein der Zeit und meine ich im jetzt mich mit? Bin ich selbst das Jetzt und mein Dasein die Zeit? O der ist es am Ende die Zeit selbst, die sich in uns die Uhr anschafft? Augustinus hat im Xl. Buch seiner ,Confessiones' die Frage bis hierher getrieben, o b der Geist selbst die Zeit sei. Und Augustinus hat die Frage hier stehen gelassen." Heidegger richtet seine Frage gezielt auf eine Aneignung des elften Buches: er übersetzt animus mit dem Wort Dasein und verbindet auf diese Weise die Zeit mit dem menschlichen Dasein. Dieses erlaubt ihm eine Weiterführung der Analyse des Augustinus; und daher wirkt es nicht befremdlich, daß Heidegger auch affectio als Befindlichkeit übersetzt:. ein tellninus technicus 6.ir die gestimmte Situation des Daseins, der zugleich eine Ablehnung der Subjetivität beinhaltet. Von der Zeit ausgehend verweist Heidegger auf die ontologische Verfassung des menschlichen Daseins, konkret auf den Modus der Eigentlichkeit, aus dem die ursprüngliche Zeitlichkeit des Daseins ablesbar sein soll. Stellt jener Bezug eine positive Weiterführung des Augustinischen Motivs dar, sofern die onto logische Vertiefung in das Dasein eine gleichzeitige Freigabe der Zeitstrukturen erzielt, so wird die Stellungnahme gegenüber Augustinus im Wintersemester 1925/ 26 kritischer: ,Jede Frage nach dem Sein der Zeit hat die Zeit schon mißverstanden. Klassisch sind die Schwierigkeiten, in die sich Augustinus ~Con fessjones', lib. 10) mit dieser Frage hineintreibt."44 Während der Diskussion über den Charakter des Jetzt, über dessen Unfaßbarkeit im Vergehen sowie über seine unendliche Teilbarkeit bemerkt Heidegger 4l
44
BZ, 6 (GA 64, 107): ,,Der Philosoph gaubt nicht. Fragt der Philosoph nach der Zeit, dann ist er entschlossen, die Zeit aus der Zeit zu veiSteben bzw. aus dem &.cl, was so aussieht wie Ewigkeit, was sich aber her.lusstellt al ein bloßes DenVllt des Zeitlichseins." Unten sagt ebenso: "Die folgende Behandlung ist nicht theologisch. Theologisch (...] kann die Behandlung der Zeit nur den Sinn haben, die Frage nach der Ewigkeit schwieriger zu machen, sie in der rechten Weise vottUbereiten und eigentlich zu stellen." Vgl. dazu die scharfe Trennung dieser zwei Gebiete in Heideggers Vortrag Phanommologie und Theologie (1927), vor allem den Abschnitt ,Die W1Ssenschaftlichkeit der Theologie', 55ff. GA 21, 398ff. Fbsch: Was ist Zeit?, 54 Fn. 26 merkte bereits an, daß in den heiden bisher veröffentlichen A usgaben dieser Vorlesung (GA 21) ein Fehler bezüglich des richtigen Buches der Zeitanalyse Augustinus steht; es solllib. 11 statt !ib. 10 heißen. Darin mehr als einen Druc kfehler zu sehen, wie Meyer. Augustins Frage, Was ist dmn Zeid', 269, Fn. 615, im A nschluß an Gadamer zu gauben scheint, halte ich !Ur belanglos.
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kritisch, daß dem Jetzt' kein Sein zukomme, nicht weil es ZIIm Nicht·sein tendiert, sondern weil es nur eine Konstruktion darstellt, die phänomenal leer ist. Was kritisiert nun Heidegger an dieser Erfassung? Die Pointe liegt darin, daß die Zeit nichts Vorhandenes ist, das man als ein Seiendes erfassen könnte. Versucht man die Zeit wie ein Seiendes zu erfassen, verfehlt man gerade das Phänomen ,Zeit'. Genau die Wendung hin zu einem mit Bedeutung erfüllten Phänomen geschieht in Heideggers Zeitphilosophie. Was Heidegger als ursprüngliche Zeit· lichkeit bezeichnet, wird vor allem in ihrem ermöglichenden Charakter aufge. zeigt. Die Zeit ist also kein Seiendes; Zeit ist nicht, sie zeitigt. In der Zeitigung der Zeitlichkeit findet Heidegger die Entfaltung ihres Sinnes. Eine Stelle in Sein und Zeit betont noclunals diese kritische Richtung. Heidegger zitiert wieder Aristotdes und Augustinus, hebt den Bezug zur Sede und zum Geist hervor, meint aber, sie befanden sich innerhalb des Horizontes des vulgären Zeitbegriffs (SuZ, 427). Mit vulgärem Zeitbegriff «faßt Heidegger die tägliche Auffassung der Zeit als fortlaufende Reihe von Momenten. Die Betrachtung Augustins ist laut Heidegger der vulgären Zeitauffassung zuzuordnen, die ..das Grundphänomen der Zeit im Jetzt und zwar dem in seiner vollen Struktur beschnittenen, puren Jetzt, das man ,Gegenwart' nennt" sieht (SuZ, 426f.). Diese Behauptungen über die Zeit sind im Rahmen von Heideggers Ansätzen zu verstehen. Für ihn stellt die vulgäre Auffassung der Zeit ihre alltägliche Zugänglichkeit dar. Der Jetzt.Charakter, auf dem die vulgäre Zeitauffassung beruht, soll aus einer ursprünglicheren Ebene erklärt werden können, nämlich aus der Zeitlichkeit. Das ursprüngliche Phänomen gibt sich zunächst nicht, sondern wird von den alltäglichen Modi verdeckt. Der höchste Grad der Verdeckung entspricht der vulgären Zeitauffassung, die aus der Tendenz des Daseins zum Verfallen aufzuklären ist. Was der Modus der Verfallenheit bezüglich der Zeit bewirkt, besteht in einer Nivellierung der Charaktere der Zeit. Sieht man die Zeit als eine Reihe von vergehenden Jetzt-Momenten, kann man die Zeitstruktur bzw. die Zeitlichkeit als ihren Grund nicht voll erfassen. Von der Zeitlichkeit als ursprünglichem Phänomen der Zeit könne man dagegen die unterschiedlichen Ebenen der Zeit, ihre Pluralisierung erfassen. Innerhalb dieser Pluralisierung sind außer der ursprünglichen Zeitlichkeit, die Wdtzeit und das vulgäre Zeitverständnis zu nennen. Während die Zeitlichkeit den Sinn des Seins des Daseins ausmacht, cl.h. die Bedingung seines Existierens und zugleich seiner Verstehbar· keit ist, wird die Weltzeit als die Zeit des Umgehens in der Wdt freigelegt. Es ist die eine ursprüngliche Zeitlichkeit, die sich in den anderen zwei Modi abwandelt. Das vulgäre Zeitverständnis leitet sich seinerseits von der Weltzeit ab. legt die Zeitauffassung Augustins als eine Betrachtung der vulgären
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46 C Agusctn Coni Zeit aus und läßt gleichzeitig die Rolle der Ewigkeit beiseite.4S Da er die E wigkeit als ein theologisches Problem und kein philosophisches versteht, plädiert er für eine Betrachtung der Zeit aus der Zeit selbst. Die Z eit irgendwie von der Ewig. keit her zu bestimmen, bedeute schon, sie zu verfalschen. Betrachtet Heidegger die Zeit bei Augustinus als ein am natürlichen Verständnis begrenztes Phäno· men, so wäre ihm eine reduzierende Auslegung vorzuwerfen. Heidegger igno· rien jedoch nicht den Zusammenhang, in dem Augustinus die Frage nach der Zeit stellt. Die Hinweise Heideggers klingen wegen ihrer Kürze allerdings thetisch, sofem sie eine Einleirung in seine eigene Problematik sind und nicht eine ausfÜhrliche Textauslegung des elften Buches.
b) Der Beuroner Vortrag lm Unterschied zu den ersten Hinweisen nimmt Heidegger im Beuroner Vortrag von 1930 Bezug auf das ganze elfte Bucb der Confessiones.
Heidegger liest die zwei Durchgänge des elften Buches hinsichtlich der E rklärung der Frage ,quid est enim tempus?'..t7 Das Ergebnis des ersten Weges faßt Heidegger so zusammen: Die Zeit ,,in ihrer Dreiheit ist da; ist". Und wenn die Zeit da ist, kann sie gemessen werden, denn die Zeit kommt zuerst als das vor, was gemes· sen werden kann. Der zweite Weg fragt nach dem Wesen der Zeit, aufgrund dessen sie gemessen werden kann und folgert, die Zeit sei eine gewisse Erstrek· kung des Geistes, denn die Zeiten sind da: Dieses ,Da'·sein der Zeiten besagt konkret, daß in der Tätigkeit des Geistes "Zukunft, Vergangenheit und Anwe· senheit" geöffnet werden und "dann bin ich erstreckt und bilde vor die E r· suecktheit des Währens des Anhaltens" (AZ, 9). Im zweiten Absatz der Schrift beschreibt Heidegger die Ergebnisse der Zeit· betrachtung Augustins im Einklang mit seiner eigenen Auffassung der Zeitlich· keit als ein ,dreifach gestreutes Sicherstrecken'.41 Sodann behauptet Heidegger, .S
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-41
Am RAnde steht sein Kommentllt aus der Vorlesung vom WUltu 1925/ 26, demzufolge die Zeit als Weltzeit zu deuten ist: ,,in der Frage nach der Entstehung der Welt bzw. wer Schöpfung, wo der Weh als dem Seienden in du Zeit die Ewigkeit gegenübergestellt wird, wie z. B. bei Augustinus und im Neuplatonismus". An dieser Stelle dennoch vulgäre Zeit, d .h. Zeit wird als )etzt. Zeit und zeitlich als ,in der Zeit' verstanden . Ich beschränke mich bei dieser Intuptetation auf die Irthalte des Beuroner Vortrags, die fiir das hier durchgeführtes Thema relevant sind. AZ, 4 und 3b-3c. Heidegger lobt hier die Kraft des Augustinus, am Phänomen zu bleiben, AZ, 5: ..Dieser Bezirk der alltäglichen aufdringlichen N ähe du Zeit wird ständig im Gutg du Betrachrung durchgehalten. Mit unvergleichlicher Kraft der Analytik macht Augustinus diesen Bezirk sichtbar; und mit einer vollendeten Kunst Iißt u diesen Bezirk immer wiedu in den Gesichtskreis des Betrachtenden treten" AZ, 10: .. (positiv) das drei&ch gestreute Sicherstrecken: Behalten, Erwarten, G egenwirtigen; das bildet - als blickbares Bild. Vergangenheit, Z ukunft, Gegenwan."
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Ewigkeit und Zeit 47 die Zeit sei keine bloße Reihe von Jetztpunkten. Diese heiden Anmerkungen Heideggers lassen eine andere. neue Auffassung der Zeitanalyse Augustins erahnen. Die Zeit ist nicht nur das ennöglichende Sicherstrecken, sondern auch negativ keine Reihe von Jetztpunkten. Betrachtete Heidegger die Augustiniscbe Auffassung der Zeit vor dem Beuroner Vortrag als vulgäre Zeit, so erhält seine Sichtweise nun eine Korrektur. Anband dieser Korrektur kann man die Unterschiede zwischen den zwei Analysen bestätigen. Solange vom vulgären Zeitverständnis gesprochen wird. ist die Z eit eine bloße Reihe von Jetzt-Momenten. 49 Eine solche Auffassung der Zeit entleert diese von ihrem Sinn, indem sie versucht, die Zeit als Seiendes auszulegen. Sie ist hinsichtlich der Analyse Augustins jedoch unberechtigt. da Augustins Bemühungen um eine Lösung der aus einer alltäglichen Erfahrung stammenden Aporie ringen. Die Zeit als distento animi zu erfassen. bedeutet vielmehr eine sinnverleihende Tätigkeit des Geistes. Gerade die durchgeführte Kopplung von Sinn und Z eit bei der Analyse Augustins wird bei dieser Sichtweise ausgeschaltet. Gerecht wird dieser Analyse erst der Beuroner Vo rtrag, in dem Heidegger Augustins Ergebnis als Zeit des Besorgens, als Weltzeit auslegt. Im Behalten, im Erwarten und im Gegenwärtigen macht sie das Sein des menschlichen Umgehens aus. Deshalb benennt Heidegger das Sein des Menschen als ,ein dreifach gestrecktes Sicherstrecken'.so Z eit als distentio, so Heidegge:r, ist das Wesen der Existenz der Menschen (AZ, 11). Bezüglich der Ewigkeit und des Gottesbezugs enthält der Vortrag einen Hinweis: Heidegger erkennt die Möglichkeit einer ,echten' Erstreckung an, die zugleich ein Sich-richten auf Gott bedeutet. Gott stehe nicht in der Zeit, sondern ,vor' dieser, meinte Augustinus. Heidegger interpretiert dieses ,Vor' auf eine doppelte Weise: erstens ist es das ,schlechthin Anwesende' und zweitens das, was ,vor aller Zeit' als Ewigkeit steht. Als entscheidender für den Z usammenhang zwischen Menschen und Ewigkeit offenbart sich die überraschende Behauprung Heideggers, eine Abwandlung der '" Vgl. hierzu Flasch: Was ist Zeit?, 52ff. 50 Flasch: Was ist Zeitr, 59 hat diesen Aspekt anerkannt, ihn abu falsch bewertet: "Heideggers Augustinus-Vonrag von 1930 widenpricht rucht seiner sonst ausgesprochenen Gesamtbewertung des Laufes der europäischen Philosophiegeschichte als eines Vernlls , Zwar attestiert er Augusrin, die Zeit rucht mehr als das bloße Nacheinander der abfolgenden Jetztpunkte (S. 10) zu sehen. Aber das früher ausgesprochene Verdikt, Augusrinus Probleme mit dem Sein der Zeit ergäben sich allein aus der prekären Existeru: ebensolcher Jetttpunkte, bleibt bestehen." Gerade cbß das Jetzt die Ergebnisse der Zeitanalyse des elften Buches bestimmt, gilt rucht mehr für den Beuroner Vortrag. Vgl. dagegen und zutreffend v. Hemnann: Die ,Confessiones' des heiligen Augustinus im Denken Heideggers: "Wenn Augusrinus die Zeit als distenrio, als das dreifach gestreute Sicherst,ecJten der Stele in ihrem gew2ttigenden-behaltenden Gegenwirtigen bestimmt, dann heißt das vor allem: diese Zeit ist noch nicht das eindimensionale Nacheinander der abfolgenden Jetttpunkte."
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48 C Agustin Corti Tätigkeit des Geistes sei möglich. Damit meint er, es gäbe eine ,echte' und eine ,unechte' Weise der distentio , die selbstverständlich auf den Unterschied Heideggers zwischen Eigendichkeit und Uneigendichkeit zurückführt. Während der alltägliche Modus eine Zerstreuung darstellt, gibt es eine mögliche Erstreckung auf das Ewige, d.h. auf das schlechthin Anwesende. Diese Möglichkeit besteht darin, die Zeit sein zu lassen, d .h. die Zeit in ihrer echten Fonn zeitigen zu lassen. Erst das eröffnet den Bezug auf Gott, erschließt die Möglichkeit, sich auf ihn zu rich ~ ten, ohne ihn im voraus als etwas inhaltlich Bestirruntes anzunehmen. Das geschieht aber lediglich unter einer echten Zeitigung. Diese Möglichkeit wird trotzdem in der Zerstreuung des Lebens meistens verdeckt. SI Diese Auslegung enthält einen doppelten Sinn: zuerst bestätigt Heidegger in seiner Lektüre des elften Buches, daß es Augustinus um den Bezug des Menschen zu Gon geht. Aber dann interpretiert er diese Möglichkeit aus seinen eigenen Ansätzen; dieser Schritt wird aber mit dem Text des elften Buches nicht untermauert. Vielmehr beruht diese Interpretation auf Heideggers früherer Interpretatio n des zehnten Buches der Confessiones aus der Vorlesung vom Sommersemester 1921. s2 Dort erfaßt Heidegger das Phänomen der tentationes und der Gegerunöglichkeit der continentia als zwei ontologische Grundmodi des Lebens. Während sich das Leben in der continentia versammelt auf Gott hin richtet, verliert es sich in der Vielheit in multa defluximus - des Seienden. Es liegt auf der Hand, daß diese Interpreta~ tion den zwei Grundmodi der Eigentlichkeit und Uneigendichkeit des Daseins entspricht. Diese Teilung ist aber schwer auf das elfte Buch zu übertragen. Außerdem liegt Augustins Confessiones die Annahme zugrunde, Gott sei das höchste Sein, d .h. immer etwas ,mehr' als der Mensch. Im Beuro ner Vortrag klingt eine gewisse Anerkennung dieser Voraussetzung an, indem Heidegger als höchstes Moment der Zeitanalyse zeigt, daß das erkannte Phäno men der Zeit ein positives Ergebnis besitzt, das darin besteht, Gon sein zu lassen. Dies will meinen: Gott soll nicht auf ein Seiendes reduziert werden. SI
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Fluch: Was ist Zeitr, 61 mißversteht die Einsicht Heideggers ganz. wenn er die eigentliche Zeitigung llls ein .Verlassen der Zeit' auslegt: ..Heidegger sah, daß Augustins Zeittheoae keine bloße Theorie ist. sondern eine Selbstbesinnung und Neuorientierung des Lebens, die uns klarmachen kann, daß wir selbst die Zeit find und d2.s Augustin von seinem Gott dies erbittet. daß wir uns eigentlich in sie versetzen, eigentlich zeitlich sein kannen . Das Heraustreten aus dem uneigentlichen Leben besteht, wie Heidegger historisch hervorhebt, bei Augustin darin: gesammelt sich herausstrecken zur aeternitas (S. 12), lllso im Verlassen der Zeit." Gerade die Möglichkeit des ,Herausstreckens' bedeutet die Offenheit, die eine mögliche Selbstvollzug in Richtung auf Gott erlaubt. Zwar bedeutet d2.s kein VCJ:lassen der Zeit, denn du Wesen kann nicht bloß verabschiedet werden. Die folgende Passage bestätigt, wie Heidegger dieses versteht: ..d2. - quod amo - amo / distentio - amare - / runo, volo ut sis - Seinlassen das Seiende, d2.s es ist. da quod amo - gib mir das Seiende, das eigentlich das Seiende ist; gib mir, daß ich Gott Gott sein lassen kann. amor amoris tu.i facio istuc." Heidegger. Augustinus und der Neuplatonismus (1921).
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Ewigkeit und Zeit 49
Abschließend läßt sich feststellen, daß Heideggers Beuroner VOluag über das elfte Buch der Confessiones einen Gewinn bezüglich seiner früheren Urteile darstellt. In Beuron hat Heidegger das ganze Buch im Kontext der Confessiones einbezogen und außerdem die schlichte Trennung zwischen der Ewigkeit Gottes und der Zeit nicht ganz aufgehoben. Daß die InteLpretation mit einer gewissen Gewaltsamkeit an den Text herangeht, sollte dennoch klar im Blick behalten werden.
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Norben Fischer
Die Zeit, die Zeiten und das Zeitliche in Augustins Confessiones
Die Zeit, die Zeiten und das Zeitliche sind ein facettenreiches Thema in Augustins Confessiones.! Vom ersten bis zum neunten Buch werden zeitliche Ereignisse vorwiegend narrativ präsentiert, aber auch schon im Blick auf die theoretisch faßbaren Merkmale ihrer Zeitlichkeit qualifiziert. Die bloße Tatsache, daß zeitliches Geschehen dem Umfang nach in solcher Reichhaltigkeit zur Sprache kommt, macht deutlich, wie verfehlt es ist, bei Augustinus von einer Geringschätzung des Zeitlichen zu sprechen. Die in den ersten neun Büchern genannten zeitlichen Ereignisse vergegenwärtigen nicht nur die Inwege von Augustins Leben, sondern auch den schrittweise sich vollziehenden Umschwung, den Augustinus als seinen Weg zum wahren Leben auslegt. Gleichwohl deuten einige Merkmale des Zeitlichen auf seine Schwäche. Zwar sind die Zeit, die Zeiten und das Zeitliche von Gott geschaffen und insofern wie alles, was Gott geschaffen hat, gut ("bonus bona creavit") und schön (.,et pulchra sont omnia faciente te'').2 Die unabweisbaren Schwächen des Zeitlichen treten aber in einem doppelten Sinn hervor. Obwohl es von seinem Ursprung her gut ist, kann es doch durch schlechten Gebrauch verdorben werden.) Obwohl es von seinem Ursprung her
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Augustins Philosophie der Endlichkeit, bes. 296-322; Sein und Sinn der Zeitlichkeit im philosophischen Denken AJlgustins; Confossiont!$ 11: ,Distentio animi'; Einleitung. D ort finden sich weitere LiteraIm Hintergrund stehen u.a. folgende Arbeiten von Fischer.
turang2ben; vgl. im vorliegenden Band auch den Beitrag von C. Agustln Corti mit zusätzlichen Aspekten und Hinweisen zur Literatur. Vgl. 7,7; 13,.28. Vgl. auch 13,43-47. Zitate aus den Confossiont!$ werden ohne Werkritel mit Angabe des Buches und des Paragraphen belegt. Das Schlechte taucht laut Augustinus im doppelten Sinn auf: einerseits im Sinne der ungewollten Verfehlung ooer als Inweg, andererseits im Sinne der Tat mit WlSsen um ihre. Verfehltheit und mit dem Willen, das Schlechte zu tun. Diese Tat kann als Sünde bezeichnet und zugerechnet werden; vgl. bes. das zweite Buch, in dem die ,superbia' als Unprung der sündhaften Verfc.hlung dargestellt wird (bc.s. 2,14); im siebenten Buch wird die Möglichkeit der Identität der Person mit der Schuldfiliigkeit verknüpft (vgl. 7,5).
52 Norben Fischer schön ist, ist es doch flüchtig und insofern dem Untergang geweiht.4 Die doppelte Zweideutigkeit des Zeitlichen ruft die Frage hervor, ob \'V'esen. die der Ambivalenz der Zeitlichkeit unterworfen sind, lauteren Herzens Gott loben können.5 Auch im zehnten Buch der Confessiones spielt die Zeit eine wichtige Rolle. Zu Beginn betont Augusrinus, daß es ihm nicht mehr wie in den früheren Büchern darum gehe, wer und wie er einst war, sondern darum, wer und wie er jetzt ist zur Zeit der Niederschrift der Confossiones. 6 Wer und wie er in der Gegenwart ist, ist aber nicht zu verstehen ohne deo Weg, den er bis zur Gegenwart zurückgelegt hat. Denn im zehnten Buch reflektiert er diesen Weg und legt ihn als Suche nach Gott und Sdbsterkenntnis aus. Sogar den Umschwung, der ihn auf die Spur lebendigen Lebens gesetzt hat, vergegenwärtigt er als zeitliches Ereignis, als plötzliches Geschehen, das - kausal analytisch unableitbar - als Einbruch der Ewigkeit in die Zeitlichkeit des Menschen zu bezeichnen ist.' Nachdem er auf diese neue Spur gesetzt ist, bleibt Zeitliches weiterhin Thema seines Lebens und Denkens, jetzt aber in einem neuen Sinn: nämlich mit der Aufgabe, so in der Zeit zu leben, daß das Leben fortan dem Anspruch des Ewigen entspricht, der ihm begegnet ist. Es ist der Anspruch reiner Liebe und der Heiligkeit des lebens, der seinen Blick auf das Leben völlig veränden hat. Der neue Weg ist nur zu beschreiten in der Nachfolge des wahrhaften Mittlers zwischen Gott und Mensch, der selbst ein zeitliches Lebens geführt hat.' Erkennbar bieten die ersten zehn Bücher genügend Anlaß, die Zeitfrage explizit zu erörtern. Daß dies in der Abhandlung des elften Buches wirklich geschieht. ist also keine zufallige Zugabe. Schon der einleitende Satz des elften Buches nimmt das Problem auf. das sich in den früheren Büchern irruner gewaltiger aufgeriinnt hat. Augustinus beginnt mit einer bedrängenden Frage, in der das ganze Projekt der Confessioms noch einmal auf dem Spiel steht (11,1): ..numquid, domino, cum Na sie aetemitas, ignoras, quae tibi dico, aut ad tempus vides quod 6.t in tempo• Im Reich der Sinnenlust findet Augustinus lUch seinen Er&hrungen zwar immer noch Schönheit, aber wegen ihrer Flüchtigkeit nur niedere Schönheit, die dem Unt~g geweiht ist ('-1Iirc sie das nicht, so würde er sie für höchste Schönheit halten). Vgl. wr4 re/. 74: "hoc toturn est voluptatis regnum et ima pukh.r:itudo. surnacet enim corruptioni. quod si non esset. summa putaretur." ~ Oie Frage iSt. ob die Menschen. die von solcher Zeitlichkeit bestimmt sind, das Lob des Psalmisten nachsprechen können. das Augustinus an den AnI2ng der OmfossU:mes stdIt (1.1). , Vgl. 10,3-6 mit den Fragen: ,qui sim'; ,quis ego sim'; ,quid ipse intus sim'; ,qualis sim'. Dazu Fucher. Unsicher!Kit .nd Z....uu.tiglreit tkr Selbst.......tnis. , Vgl. con! 10,38; vgl. die Hervo rhebung der Plötzlichkeit des Geschehens bei Platon, z.B. im Höhlengleichnis der Politaa, 515c. 516a und d . I Vgl 10,6: ..et hoc mihi verbum tuwn parum erat si loquendo praecipettt, nisj et f:aciendo praeiret." In der Tat vigen skh Menschen stets vom Vorbild anderer Menschen beMndruc:kt, die ihr eigeoxs Wohletgehen angesichts der Not anderer hintanstellen, lIod finden sich ermutigt. solchen. Beispielen ZU folgen. Die Be&enmg von. natwhaften EgoUmus. zumal er nicht an sich schlecht ist, erscheint auf diesem Weg als Gabe. als göttliche Wegweisung.
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Die Zeu, die Zeiten und das Zeitliche in Augustins ,Confessiones' 53 re?" Die Frage, ob Gott in seiner Ewigkeit Zeicliches überhaupt zur Kenntnis nimmt, ist nicht von der Art, daß sie sich leicht abtun ließe.' Zwar mag man einwenden, dem Schöpfer könne rUchts verborgen sein; oder: er sei doch fiir die Schöpfung verantwortlich. Bezeichnenderweise ist Gott im ersten Satz aber rucht als ,creator', sondern in seiner ,aetem.itas' angesprochen. Und so wird es zur beunruhigenden Frage, ob Zeicliches crott seiner Aüchtigkeit in das Blickfdd Gottes geraten kann, ob Aüchtiges in den Augen des Ewigen nicht belanglos und nichtig bleiben muß. Wenn Gott das Zeitliche ,ad tempus' sähe, es fiir flüchtig und nichtig hidte, bedeutete dies, daß er es aus seiner Warte übersähe. lo Sofern Gott als vollkommenstes Wesen zu denken ist, könnte es für eine Beschädigung des Gottesgedankens gelten, in ihm auch nur die virruelle Präsenz von Unvollkommenem zu vermuten. Derart hat Aristotdes auf die Frage, was Gott sei, geantwortet, er sei höchste Tätigkeit, nämlich das Denken, das zum Vollzug keiner anderen Wirklichkeit bedarf und insofern spontan und selbstgenugsam ist. Auf die Frage, was Gott denke, wäre zu antworten, daß er nur das Höchste denke, also: sich sdbst als die Wirklichkeit des Denkens. Folglich spricht Aristoteles vom Wesen Gottes als Denken, und zwar als Denken des Denkens. 11 Auch Augustinus setzt voraus, daß Gott nicht von seinem Wesen her auf Anderes bezogen und seiner bedürftig ist (13,5): "non ex indigentia fecisti, sed ex plenitudine bonitatis ruae." Über die G renzen philosophischer Reflexion hinausgehend erklärt er jedoch, indem er sich auf die Botschaft des biblischen G laubens stützt, daß Gott sich trott seiner Selbstgenugsamkeit nicht selbst genug sei, sondern die Wdt in unbedürftiger Liebe geschaffen habe und sich um ihr Schicksal sorgeY Zwar sei Gott an sich ohne Sorge selbstgenugsam. Trotz seiner wesenhaften Sorgenfreiheit trage er aber um uns Menschen Sorge (11,3):
Zeitlich~ Problem~, di~ M~nschen
einst harten und sie in größte Aufregung versetzt haben, die Trinen und Bitten aus ihnen herausgepreßt haben, können ihnen später nichtig erscheinen, weil sie flüchtig waren und nichts mehr bedeuten. Wie könn~n sie also von Gort verlangen, daß er ihr Wein~n emstnimmt, wenn sie es vielleicht binn~n kurzer Frist selbst nicht mehr tun? 10 Z w: Bedeutung von ,ad tempus videre' vgl. außer 11 ,1 auch 11 ,8 und besonders 13,52. Die in 11 ,1 mit ,numquid' beginnende Frage erheischt eine positive Antwort in dem Sinne, daß Gon ttOtz seiner Ewigkeit sehr wohl wisse, WllS Auguscinus ihm S2.gt; dennoch bleibt das Bedenken, daß er alles nur ,ad tempus' sehe und der Zeit keine Beachrung schenke. n Aristoteles: Metaphysik XII , bes. 1074b1 5-35. 11 Vgl. auch Platon: Politikos 272e; der KOßq>Vrl"tTll; tOÜ 1tQ.vt6c; übergibt ZWllt das Steuer d~n Menschen und zieht sich in sein~ Warte zurück; der Kosmos (d.i~ Menschenwelt) übt insofern Aufsicht und ~cht über das Geschick der Welt selbst aus; vgl. 273a: ~v KaJ. Kpa:toc; Ex.ID\I (ll)"t6c; . Der Steue.mwm kommt aber wieder hervor, wenn die Lage fW: die Welt zu bedrohlich wird. Der Welturheber sorgt sich laut Platon also um das Geschick der Menschenwelt, wenn er sie in AusweglO$igkeit~n verfangen sieht (273d): Se&; <>
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KOOIlTtoa.c; crut6v, KaSopiöv EV ti1tOpl.w.c; ovm, KT)ÖÖj.t&voc; .
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Norben Fischer
"qui securus curam nostri geris.'<1l Das Handeln Gottes bleibt in jeder Hinsicht stets ein logisch Iloableitbares Ereignis. Das Fundament des Verhältnisses zwischen Gort und Mensch findet Augustinus in der Auslegung der Schöpfung als ,creario de nihilO·. I~ Im Schöpfungsgedanken wendet er sich urunittelbar gegen die maruchäische Wdtentstehungslehre, in der die Welt nicht als Gottes gutes Werk. sondern als Frucht des Angriffs des Reiches der Finsternis auf das Reich des Lichtes gilt, als ein Übel. das am besten rückgängig gemacht werden sollte. Goethes Mephistophdes hat die mit dieser Weltauslegung verbundene Ablehnung alles Zeitlichen deutlich zur Sprache gebracht, indem er erklärt: "Denn alles, was cncsteht, / Ist wert, daß es zugrunde geht«.IS Im Gedanken der ,creatio dc nihilo' setzt Augustinus sich aber auch von zwei anderen Vorstellungsweisen ab. Wenn Gott in seiner höchsten Vollkommenheit im Stil des scbon erwähnten Aristotcles vorgestellt wird, kann die Weltentstehung nicht als Tat Gottes gedacht werden, weil Zeitliches keinen Platz im Voll· kommensten hat Der von Aristoteles gedachte Gott ist faktisch zwar auch Weltgrund, aber nicht so, daß Gott mit dem Ziel, die Welt zu schaffen. tätig geworden sei. Dieser Gott liebt nicht Unvollkommenes, sondern wird von ihm geliebt. Seine Vollkommenheit wäre so machtvoll und attraktiv, daß sie ohne lntention, ohne Wissen und Willen, Anderes aus dem Nichcs hervorlockte und auf sich als sein Ziel hinlenkte. 16 Der Sinn der Zeitlichkeit wäre auch in diesem Modell als Angleichung an Gott zu denken, soweit sie Zeitlichem möglich ist, I7 aber ohne
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Weil die Zeitabschnitte auf den Wink Gottes hin vorüberfliegc:n, weil er Herr du Zeit geglaubt wird, traut sich Augustinus erst eigentlich, die Fn.ge nach dem,sein' der Zeit mit Aussicht auf Erfolg zu stellen. In den Confessiones vgl. 12,6-8; 12,.25; 12,40; 13,48. Dazu vgl. May: Schöpfung allS dem
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Nichts. Vgl. FallSc. Eine Tragödie. Erster Teil. Im Srudierzimmer. Verse 1339f. Goethe kannte
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offenbar manichiisch inspirierte Texte; vgl. eW. Vor dem Tor. Vene 1112- 111 7: ,,zwei Seelen wohnen, acht In meiner Brust". Dieses Wort von den zwei Seelen, das die Ven.ntwortung elimiert und das Ich spaltet. findet sich bei Goethe auch schon in den Unurhal· tungm dntscbe, A~ndnttn; wo mit deutlichem Bezug auf Mani von einer guten Seele im Gegensatz zu einer bösen gesprochen wird; auch Christoph Martin W",land hatte - aus derselben Quelle schöpfend - früher als Goethe (1773) das Wort von den zwei Seelen ausgesprochen; vgl Dit Wahl tk:s Htrkuks: "Zwei Seelen ach, ich fühl' es zu gewiß! Bekimpfen sich in meiner Brust mit gleicher Kraft... Als Quelle dieser beiden Autoren gilt Bc.k.kec: Die Bnallbutt Welt, 102: "Sie (seiL die ..Manicheer'? halten gar darfür / daß jeder Mensch zwo Seelen habe / derer eine allzeit wieder die andere streite." VgL Aristoteles: Metaphysik Xli, 1072a4f. Insoweit denkt AristoteIes im Sinne von Platons b,JoWxn.; S&4l Ka"ta. "to OOVD."t6v; vgl. 7M4itttos 176b.
Die Zeit. die Zeiten und das Zeitliche in Augustins ,Confessiones' 55 daß es eine wirkliche Beziehung (,relatio [ealis') Gottes zum Zeitlichen gibt. 11 Ebenso radjkal set2t Augustinus sich von den Vorstellungen Plorins zur Weltentstehung ab. Plotin denkt den Ursprung von allem, das absolut ,Eine', zugleich als das absolut ,Gute', das überdies auch Güte ist, sofern es das Gute nicht bei sich selbst behalten will, sondern es überströmend an Anderes weitergibt. In dieser Vorstellung bleibt indessen alles umfangen vom Einen, das zugleich alles ist. Auch Augustinus zweifelt nicht an der vollkorrunenen Göttlichkeit Gottes - versucht aber zusät2lich, die eigens gewollte Beziehung Gottes zur Schöpfung zu fassen. Er sucht die Schöpfung als freie Tat Gottes zu verstehen, einerseits ohne Gott zu depravieren, andererseits ohne das Eigensein der Schöpfung zu verderben. Folglich kann es ihm weder um die Aufhebung des Geschaffenen noch um die Preisgabe seiner wesenhaften Zeitlichkeit gehen, sondern um die Hoffnung auf das Ende der faktischen Unvollkorrunenheiten des Zeitlichen. Augustinus versucht zu begreifen, wie es uns Menschen möglich wird, mit Vernunft auf das Ende der Aüchtigkeit und des Mißbrauchs des Zeitlichen zu hoffen. 19 Das Ideal, das Ziel der höchsten Hoffnung aller Menschen, wäre eine vollkommene Zeitlichkeit, das Augustinus als heilige Gemeinschaft freier B\i.rgu denkt, die unter der Herrschaft Gottes steht.:20
1. Augustins Gebrauch der Ausdrucke aus dem Wortfeld Zeit (,tempus,) in den ersten zehn Büchern der Confessiones Augustinus ist in seinem Reden von der Zeit, den Zeiten und dem Zeitlichen einerseits der Alltagssprache verpflichtet, andererseits der philosophischen Tradition, insbesondere der Platonischen, aber es spielen auch schon vor dem Beginn des elften Buches gelegentlich Bedeutungen in seinen Sprachgebrauch hinein, die mit dem Ergebnis seiner selbstdenkerischen Untersuchung der Frage zusammenhängen, was Zeit denn ist (11,17: ..quid est enim tempus?''). Augustins Rede von der Zeit in den ersten zehn Büchern wird hier zunächst am Gebrauch von Formen des Substantivs ,tempus', dann an Fonnen des Adjektivs ,temporalis' ins Auge gefaßt. Dabei soll auf die jeweils hervorgehobenen Merkmale der Zeitlichkeit geachtet werden. Überwiegend bezeichnet Augustinus mit Formen des Substantivs ,tempus' in Die in Gott wirklichen .reJ.ariones' sind but Thomas auf die innerttinitarischen Beziehun· gen restringien. s.th. I, 28,4c: ,,.rebriones Dei ad creaturas non sunt realiteJ: in ipso". Im Gefolge von Aristote1es kennt er nur eine ,rdario secundum quid' Gottes zu den Geschöpfen, sofern diese nämlich auf ihn bezogen sind. •• Unter einer .guten' Vernunft wire eine solche zu verstehen, die sich nicht selbst betrügt, die ihre Hoffuung einer nüchternen und kritischen Prüfung aussetzt. 1II 11.,5. Vgl. Heidegge.r: Sein und Zeit (1927), 427. VgL dazu den Beitrag von Coni im vorliegenden Band; weiterhin Fi..sc.hec: Was ist Ewiglt.eit? 11
OOC) ~ I b~
56 Norben Fischer den ersten zehn Büchern bestimmte oder unbestimmte Zeitpunkte oder Zeitabschnitte. E r spricht davon, daß Gott ihn zu einer bestimmten Zeit mit Hilfe seiner Eltem ,geformt( habe (1,7), er sprichr von Verhaltensweisen eines bestirrunten Lebensalters (1,11), von Lebensabschnitten (1,12), vom Blick über die vergangenen Zeiten hin (3,8), von der Veränderüchkeit, die wesenhaft mit den Zeiten verbunden ist (3,13; 4,10), von der Verschiedenheit, in der sich selbst gleichbleibende Regeln zu verschiedenen Zeiten konkretisieren (3,14),21 von besonderen Zeitbeschaffenheiten (3,1 7; 6,1 7; 9,31 ), von bestimmten (kurzen und langen endlichen, aber auch endlos währenden) Zeitdauem und Zeitabschnitten (4,1; 4,5; 4,7; 4,11; 5,11 ; 5,25; 6,3; 6,16; 6,18; 7,7; 7,10; 7,11; 7,21; 8,8; 8,10; 8,12; 8,14; 8,24; 9,1; 9,3f.; 9,7; 9,18; 10,4; 10,18), von der kausalen Ordnung des Zeitablaufs (5,6), von flüchtigem Zeitvertreib (5,22), vom Vorübergehen der Zeiten (6,20); von der Endlichkeit der Zeiten, die von Gou überragt werden (7,14), von der (eingeschränkten) Perspektive der Betrachrung eines E reignisses gemäß der Zeit (7,14), vom unausgedebnten Zeitpunkt (8,25), vom Verschlingen der Zeiten und vom VerschJungenwerden durch die Zeiten (9,10) und zuletzt von der Schönheit und der Aüchtigkeit der Zeit (10,8)." Das Adjektiv ,temporalis' bringt stets die Wirklichkeit, Vergänglichkeit und Flüchtigkeit des Zeitlichen zur Sprache. Meist nennt Augustinus mit dem Zeitlichen Erfreuliches (,honor\ ,felieitas), dessen Ende, vor allem im Tod geliebter Menschen, Schmerz und Trauer bewirkt.21 Nur weil die Wirklichkeit des Zeitlichen gut und erstrebenswert ist, kann sein Entschwinden Leiden zur Folge haben. Der skizzierte Sprachgebrauch ergibt, daß Augustinus Zeiten und Zeitliches zwar zwiespältig präsentiert, aber so, daß die Freude und der Lebensjubel die Grundlage seiner Aussagen bilden.lA Auch wenn der erste Blick auf den Text der Confessiones den Eindruck hervorrufen mag, das Lob richte sich nur auf den ~I Dabei kommen durchaus dispar.lte Anwendungs~bi~te zur Spntche: einerseits geht es um
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Verskunst, andererseits um Gerechtigkeit. Augustinus zeigt mit dieser Disparathe.it an, daß es sich um ein universales Prinzip handelt. Es sind alle Stellen der ersten zehn Bücher erwähnt, di~ bei der Suche nach Formen des SubstllncVl ,tempus' mit Hilf~ des CAG 2 angezeigt werden. Vgl. 1,9: "omnium iruationalium ~t temporalium sempitemae (...) nttiones"; 2. 10: " hono r temporalis"; 3,13: " pro temporalibus causis"; 6,9: "temporUis felicitatis"; 7,25: "ad exemplum contemnendorum temporalium"; 8,1: "de mea vero temporali vita"; 8,24: "temporalis boni voluptas"; 9,10: "volemes enim gaudert fonnsecus facile vanescunt ~t effunduntur in ea, quae videntur et temporalia sunt, et imagines eorum famelica cogitatione Lunbiunt'(; 9,17: "vae me parturivit et cune, ut in hanc temporalem, et corde, ut in aetecnam lucem nascerer"; 9.22: •.in e.xtrema vita temporali". Vgl Rainer Ma"a Rilke: ~tuan Orpbnu I, VIII : .,N ur im Raum der Rühmungdarf di~
Klage/ gehn (...]. / / Jubel weiß und Sehnsucht ist geständig, - / nur die Kla~ le rnt noch; midchenhii.ndig/ zählt sie nächtelang das alte Schlimme. / / Aber plö tzlich, schrig und ungeübt,! hält sie doch ein Sternbild unsrer Stimme / in den Himmel. den ihr Hauch nicht trübt."
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Die Zeit, die Zeiten und tim Zeitliche in AUgNStins ,Confessiones' 57 ewigen Gott, das Zeitliche aber werde in seiner Schwäche gleichsam entwertet, so wird dem tiefergehenden Blick doch deutlich., daß Augustinus seine Hoffnung gende deswegen auf Gott setzt, weil das Zeitliche auf Gott weist, weil sein Herz am Zeitlichen hängt, weil er Hoffnung für das Zeitliche hegt, weil er seiner Liebe zum Zeitlichen Raum gibt. Seine Klagen, die einerseits die lnigkeit und Verfehlt· heit (,peccata j, andererseits die Unbeständigkeit, Flüchtigkeit und Endlichkeit des zeitlichen Lebens betrauern (,mutabilitasj, verstehen sich aus dem anfang· lichen Jubel, aus der Sehnsucht, die das Faktische überschreitet, aus einem Ho ffnungshorizont, der das Zeidiche nicht schmäht. Augustinus sieht im Endlichen und Zeidichen mehr, als seine faktische Wirklichkeit zeigt eine größere Schö nheit, eine größere Wahrheit, eine größere Gerechtigkeit, eine größere Beständigkeit, also eine Vollkommenheit, die nur erahnt, erhofft und geglaubt werden hnn.n In diesem Glauben spricht er dem Zeidichen eine Möglichkeit zu, die es am Ende der lrrigkeit enthebt und vor der Vergänglichkeit rettet. 26 1m Sprachgebrauch der ersten zehn Bücher wird das alltägliche Reden von Zeit und Zeidichem mit der gebotenen Nüchternheit des alltäglichen Edebens vergegenwärtigt, in dem die Weisen der Gegebenheit, der Dauer und der Veränderlichkeit des Zeitlichen hervortreten. Vor diesem Hintergrund beschreibt der Autor sein emotionales Verhältnis zum Zeidichen: es zeigt sich als erwünscht und begehrenswert, wird aber auch in seiner Flüchtigkeit und seinem Bedroht· sein erfaßt, also in einer Schwäche, die den Wünschen und Hoffnungen der Menschen zuwiderläuft. Zu1etzt zeigt sich die Gestalcung der Lebenszeit als unausweichliche Aufgabe, die in unterschiedlicher Weise gelöst werden kann und faktisch von Menschen unterschiedlich gelöst wird. Augustinus war kein Schwächling, der von allen (als Rache des Frustrierten) rigorose Askese fordert, da ihn selbst Skrupel und krankhafte Zweifel an erfolgreichem Leben gehindert hätten.v Er hat sich angesichts der ,concupiscentia cunis' nicht von vornherein mit strikter Enthaltsamkeit begnügt, er hat seinen Wissensdurst in der ,concupiscentia ocu1orum' zunächst durchaus gestillt, er ist vo r allem der ,ambitio saeculi' mit großem Einsatz und Erfolg nachgegangen.lI Das Zeitliche war ilun wichtig - und er hat sich seine Schönheit anzueignen versucht.
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Nur so kann ihm das Zeitliche zum Bild des Ewigen werden; vgl. 10,8: ..quid autem amo, cwn te uno? non speciem corporis [...). et ~ ~o q\W1c:Wn lucem (...]." Da Augustinus sich keine illusorischen Träume erfüllt. sondern durch den Glauben an Gott s~r in eine größere Gefahr gerät, ist kein Projektionsverdacht möglich: es geht im endlichen Leben um die Herausforderung zu reiner, selbstloser Liebe. Da kein endliches Subjekt wissen kann, ob und wie es dieser Herausforderung genügt, kann der Glaube an eine höhere Bedeutung des Zeitlichen den klugen Wunschen endlicher Subjekte sogar diametral enrgegenstehen. Solche Verdächtiguogen finden sich vor allem bei Friedrich Nietzsche - und im Gefolge von ihm bei Kurt F1asch. Dazu Fischer. EinfoJmmg, 776 8~8, bes. 795-798 und 800-802. Vgl. 1 0,~ 1. Zu Hans Blwnenbe:Igs Kritik an Augustinus vgl Fischer: Einfohnmg, 798-800.
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58 Narben Fischer 2. Ansatzpunkt, AufgabcnsteUung und Resultat der Zeitanalyse im elften Bucb der Confessiones Das Sein und der Sinn des Zeiilichen haben sich fiir Augustinus im gelebten Leben und auch in der nachträglichen Reflexion über dieses Leben in mehrfacher Hinsicht als ambivalent erwiesen. Entscheidend wird ihm nun die Frage, als was die Augen des ewigen und heiligen Gottes das zeiiliche Menschenleben ansehen, das unmittelbar von Sterblichkeit und lrrigkeit bestimmt ist.29 Diese Frage, mit der sich ein ruheloses Menschenherz den Kopf Gottes zu zerbrechen scheint, steht am Anfang des elften Buches der Confessiones (11 ,1): " Nurnquid, domine. cum Na sit aeterrlltas, ignoras quae tibi dico aut ad tempus vides. quod fit in tempore?" Eine erste Antwort läßt sich Augustinus vom Wort der heiligen Schrift geben, aber doch so, daß er nicht nur hören, sondern auch verstehen will, wie Gott im Anfang Himmel und Erde geschaffen hat (1 1,5). Die im elften Buch im Anschluß an das Schriftwort gestellte Frage, was die Zeit denn ist (11,17: ..quid est enim tempus?") , setzt zwar bei der alltäglichen Zeiterfahrung an, die von mannigfaltigen Wandlungen bestimmt ist, fragt aber hinter diese zurück und geht auf das Wesen der Zeit. Somit überwiegen SingularFormen des Wortes ,tempus' im elften Buch. Augustinus verfolgt die Frage, was Zeit ist, in dreifachem Sinne: erstens geht es ibm um die ,Zeit' als Vorbedingung
Flüchtigkeit des Zeiilichen; zweitens zeigt Augustinus, wie ,Zeit' überhaupt schon als erster Schritt zur Entflüchtigung des Zeit-
der alltäglichen Erfahrung der
lichen verstanden werden muß; drittens wird ,Zeit' als Indiz der Erfahrung des Ungenügens des Zeitlichen und der Offenheit für Transzendenz erwiesen. Er fragt, indem er bei allen drei Ansätzen von Phänomenen ausgeht, transzendental nach den Bedingungen der Möglichkeit des phänomenal Gegebenen.X1 In der alltäglichen Zeiterfahrung fließt die Zeit zuweilen gemächlich dahin, zuweilen enthält sie schöne Augenblicke. die den Wunsch wecken, sie festzuhaltco, zuweilen dehnt sie sich unerträglich, zum Beispiel in Schmerz oder Langeweile, zuweilen hofft man von ihr, sie möge die in ihr geschlagenen Wunden wieder heilen. Stets gilt sie als flüchtig: und ihre Flüchtigkeit hat einen Anhauch von Wehmut. ll Im ersten Anlauf des Fragens, was Zeit ist, hält Augustinus fest,
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Vgl. 2: .B. 1,1 und 10,67. Die Nihe 2:ur Trans2:endentalphilosoprue, die Flasch bestreitet (vgL Was ist Zeit? 197f., 220, 365ff.) , springt formal und inlWtlich in die Augen. Vgl. die Hinweise bei Fischer. Einleitung, bes. UI Anm. Vgl. Rainer Maria Rilke: "Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!! Sie :zu halten, wire das Problem.! Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben ) WO ein endlich Sein in alledem?-,,; duu vgl. Fischer: .Kostbar ist mir jeder Tropfen Zeit ... -.
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Die Zeit, die Zeiten und das Zeitliche in AUgUSlins ,Confessiones' 59 daß Zeit nur Zeit zu sein schein~ sofern sie dem Nichtsein zustrebLJ2 Könnten Vergangenes, Zukünftiges und Gegenwärtiges dennoch nicht als itgendwie ,seiend' erfaßt werden, wäre es aber sinnlos, von der ,Flüchtigkeit' des Zeitlichen zu sprechen. Die Erfahrung der Flüchtigkeit setzt die Zeit als Wirklichkeit voraus, die nicht ebenso flüchtig ist und diese Erfahrung doch ermöglicht.)) Der alltägliche Sprachgebrauch meint mit Zeit etwas, das nicht gänzlich flüchtig und nichtig ist. Bei nüchternen Betrachtern der Phänomene, die diese Annahme für eine gutmütige Voraussetzung ohne sachlichen Anhaltspunkt halten, könnte der Verdacht aufkeimen, der alltägliche Sprachgebrauch folge der verständlichen Neigung, den beunruhigenden Fragen nach dem Sinn des flüchtigen, zur Nichtigkeit tendierenden Lebens auszuweichen und sie zum Schweigen zu bringen. Dieser in den Skeptizismus führenden Deutung widerspricht Augustinus, indem er den Phänomenen der Zeiterfahrung folgt und nach den Bedingungen ihrer Möglichkeit fragt. Augustinus stößt auf die erinnernde, erwartende und anschauende Seele als der Kraf~ die den alltäglichen Sprachgebrauch vom Anschein des illusionären Charakters befreit, der aus der objektivierenden Betrachtung der Zeit folgt. In der Erinnerung, die wirklich is ~ ist Vergangenes gegenwärtig, in der Erwartung Zukünftiges, in der Anschauung Gegenwärtiges. ~ Nur weil die Seele das Zeitliche erinnernd, erwartend und anschauend vergegenwärtigt, kann die Flüchtigkeit des Zeitlichen hervortreten. Es wird aber in seiner Flüchtigkeit erfaßt, indem die vergegenwärtigende Seele es entsprechend ihren endlichen K..ciften entj/ücbtigt, es seiner Flüchtigkeit entreißt. Diese endliche Weise, von einem ,Sein' des Zeitlichen zu sprechen, findet ihr Fundament in der Auslegung der Zeit als Erstreckung des Geistes, als ,distentio animi'.)S Der endliche Men schengeist ist es, der das Zeitliche als Zeitliches in seiner Flüchtigkeit wahrnimmt, der gegen diese Flüchtigkeit anlümpft und ihr Einhalt zu gebieten trachtet. Indem er sich nach Kräften dem Strom des Zeitlichen entgegenstemm~ heftet er sich selb s~ um das Zeitliche im Sein zu halten, an das Zeitliche und zersplittert in die Zeiten (11,39): ..at ego in tempora dissilui." Indem sein Vermögen und dessen Ungenügen ihm eine notwendige. aber 11 ,17: ..si ergo praesens, ut tempus sir, ideo 6t, qua in praeteritum transit, quomodo er hex: esse dicimus, cui causa, ut sit, illa est, qua non erit, ut scilicet non vere dicamus tempus esse, nisi quia tendit non esse?" n Ohne einen rucht garu; so flüchtigen Wide.dwt gegen die f]üchtigkeit wiren Wandel und Wechsel nicht wahrnehmbar. Nur etwas, das Bezug hat zu etwas, das nicht unterschiedslos im gleichen Strom mitschwimmt, kann Bewegung von etwas überhaupt als Bewegung erfassen. ~ 11,26: "tempora sunt ttia, praesens de praeteriris, praesens de praese.ntibus, praesens de futuris. sunt e.nim haec in anima tria quaedam et alibi ea non video, praesens de praeteritis memoria., praesens de praese.ntibus conruitus, praesens de fururis expect:a.tio." n 11,33: ,,inde mihi visum est nihi1 esse aliud tempus quam distentionem: sed cuius tei, nOOo, et mirum, si non ipsius animi." VgI. auch 11,.30; 11,39; 11 ,41 ; 12,22.
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60 Norbe, t Fischer aus eigener Kraft nicht lösbare Aufgabe s tellen, und ihn zum ruhelosen Herzen fonnen, bezeugen sie sein konstitutives Defizit und seine Bezogenheit auf ein Transzendentes, von dem Rerrung zu h o ffen wäre. ~ Zwar sucht der Geist in seinen grundlegenden Vollzügen Stand und Beständig~ keir. sucht er sein bleibendes Selbstsein, das er aus eigener Kraft nur vorläufig und eingeschränkt erreichen kann. Dies Selbstsein kann er im gesuchten Sinn aber nur in der Hoffnung auf die Kraft und auf die Wahrheit Gones finden (11,40): ..et stabo atque solidabor in te, in foana mea, veritate tua
3. Die Wciterführung der Zeitproblematik im zwölften und dreizebnten Buch der Confessiones In seiner Beantwo rrung der Frage nach dem Sein der Zeit häh Augustinus zunächst die Flüchtigkeit des Zeidichen fest, dann die Tendenz d es endlichen Geistes zur Entf/üchtigung des Zeitlichen, zuletzt die Offenheit des endlichen Geistes für
Transzendenz, die
aus seinem sich zers treckenden Erstrecken auf das Zeitliche erwächst und durch Inversion der Aktivität geschieht}8 Nachdem diese Antwort gegeben ist, die auf nüchterner Untersuchung beruht. aber zu einer Ruhelo sigkeit führt, aus der sich der Fragende nicht selbst befreien kann. wendet sich Augustinus der Schri&exegese zu, in der H o ffnung, aus ihr den Weg zur Lösung zu finden. Einerseits knüpft der Gebrauch von Ausdrücken aus dem Wortfeld ,Zeit' in den heiden letzten Büchern an die ersten zehn Bücher an (so gibt es auch wieder mehr Pluralfonnen von ,tempus'), andererseits finden sich auch ausdrückliche Bezugnahmen auf das Ergebnis des elften Buches. Inso fern verknüpfen die abschließenden Bücher das Ergebnis der expliziten Zeiruntersuchung Augus tins mit dem vorgegebenen überlieferten - oder auch vortheoretischen - Sprachgebrauch. Nach dem Abschluß des elften Buches unternimmt Augustinus zunächst einen erneuten Anlauf zur Auslegung des Anfangs der biblischen Genesis. Vor allem geht es jetzt um die Frage nach dem ,Hinunel' und der ,Erde' vo r dem ersten ,Tag'. also gleichsam ,vor' der ,Zeit' (12,16).
Das konstitutive Defizit gehö rt zum Endlichen mit der Möglichkeit des Sdbstseins; vgl. Rilke: Sonette an Orpheus n, XXIII : ,,50 Entzognes ist am meisten dein". Solcher Entzug ist das ,Schicksal' der Vemunft, in der sich ~ ,metaphysische N atucanlage' konstituiert; vgl. auch Kant: Kritik der reinen Vernunft, bes. A VU und ß 21f. n Dem Menschen stellt sich kn.ft seiner Narur die F~ ruc h dem Belur:ren; vgl. z.ß . Rilke:
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Sonette an Orpheus 11 , XXVII: "Giebt es wirklich die Zeit, die zerstörende?". :1&
Zur Inversion: 10,38; aber auch8.29: "tolle, lege".
Die Zeit, die Zeiten und das Zeitliche in Augustins ,Confessiones' 61 Das Problem, von dem Augustinus getrieben ist. liegt in der Frage, wie der ewige. wandellose Gott die Zeit geschaffen haben kann, die mit der Wechselhaftigkcit des Zeitlichen einhergeht. In deutlichem Anklang an den Wortlaut des elften Buches (11,26) unterscheidet er zwischen der Ewigkeit Gottes und der wandelbaren Zeitlichkeit des menschlichen Daseins, die sich durch Erwartung (,expectatio~, Anschauung (,co nruitu s~ und Erinnerung (,memoria~ auszeichnet.)? Dabei setzt er die Existenz eines vor der Zeit geschaffenen .Hauses Gottes' voraus,otO das die Bedingung der Möglichkeit der Entstehung der Zeit scho n in sich enthält."1 Dieses Haus ist nicht ewig. sondern bat einen Bezug zur Zeit. übersteigt aber die mit der Z eit verknüpfte Flüchtigkeit. die den sich in die Zeiten erstreckenden Geist zers treckt, und verleiht diesem Geist Halt in der Beziehung zu Gott (12,22): ..supe.rgreditur enim omnem distentionem et omne spatium aetatis volubile, cui semper )nhaerere deo bonum est'." Sofern es sowohl das Leben in der Zeit als auch die Beziehung zum wandellosen Gott ennöglicht, ist es für den Ursprung der Schöpfung. aber auch für ihren zeitlichen Vollzug und ihre eschatologische Vollendung von Bedeutung. Den von Gott gewollten Sinn der Schöpfung sieht Augustinus darin, daß Gott am Anfang Himmel und Erde in seinem gleichewigen WOrt geschaffen hat (12,29): ,,in verbo suo sibi coaetemo fecit deus". Als den Endzweck der Schöpfung nennt er mit den Worten des ersten Timotheusbriefi "die Liebe aus reinem Herzen, aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben" (12.27): ... finis clus est caritas de corde puro et conscientia bona et fide non ficta"'. Die sich dem Menschen stellende Aufgabe ist im Ruf zusammengefaßt, Gott zu ehren, ohne auf Lohn auszusein (13.1 7): ..colere te gratis." Ziel der Schöpfung ist also der gute Wille (,bona voluntas~. der schließlich zu einem Aufenthaltsort führt, der Ruhe gewährt. von dem wir nichts anderes wollen, als dort zu verharren in ewiger Dauer (13.10): ,.i.bi nos conlocabit voluntas bona, ut nihil velimus aliud . aeteroum.. .42 qllam permanere illi·c tn Das Grundgesetz. an das sich der Wille halten muß, um zum guten Willen zu Vgl12,18: ,jtcm. quod mihi dicit in aurem int~ottm, expectatio rerum venttuuum 6t contuinu, rum venerint, idemque contuitus 6t memoria, rum praeterierint: omnis potrO intentio, quae ita variatut, mutabjljs esr, et omne mutabile aeternum non es[; deus aurum noster aeternus est." .., Vgll2)l : ,,0 domusluminosa et speciosa", 41 Vgl. 12,.20. Insoweit hitte die Schöpfung keinen An&ng in der Zeit; mit Kant wire zu sagen, daß Thesis 'Nie Antithesis falsch sind; vgl dazu Kritilt tkr rtinm Vermmft B 546-
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548; Kant spricht von einem .. ,~,,,,ssus in irukfinitum" und meint, daß der "/tg'essUS in infinitum" von diesem "deutlich genug zu unterscheiden" sei (B 548). Die ausdriicklichen Zitate stammen aus psalm 60,8; Joseph lkmhart verweist in den ZU seiner Obersemmg der Confos'ionts (Miinchen: Kösd1955; uhlreiche Nachdrucke) zusät:::z:lich dan.uf, daß das ,collocabit' auf Sir 24,8, Sept anspiele; vgL 914: Anm. 14: "der mich erschuf, 'Nies mir eine feste Wohnung an."
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62 Norbm Fischer werden, entnimmt Augustinus der Heiligen SchrifL 0 Demnach sollen wir lernen, das Gute zu tun, 44 wir sollen Gott aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus unserer ganzen Geisteskraft lieben und den Nächsten wie uns selbst.~5 Das höchste Ziel menschlichen Strebens wäre die .,simplex dilectio dei et proximi": die nicht aufspaltbare Liebe. die sich ineins auf Gott und den Nächsten richtet.46 Der Grad der Erfiillung dieser Aufgabe ist laut Augustinus der Maßstab des göttlichen Gerichts. Oder anders betrachtet: nur in Menschen, die ihr Streben auf reine, göttliche Liebe gerichtet haben und sich mühen, ihr zu entsprechen, vermag am Ende auch Gott Ruhe zu finden (13,52). Sofern am E nde das Gericht steht: 7 sofern Gott am Ende zwischen Kindern des Lichtes und Kindern der Finsternis trennt, indem er aller Menschen Herz prüft,"I zeigt sich die freie Entscheidung zum Guten aus Güte als das Ziel Gottes in der Erschaffung des Menschen. Diesem Ziel haben die Zeit, das Zeitliche und die Zeiten zu dienen. Zwar sind Menschen nicht autark, aber sie haben selbst zu urteilen und den Weg zum Guten zu suchen (13.32): .. te demo nstrante probat ipse. ,quae sit voluntas tua". Die selbständige Suche nach dem Guten ist der Sinn der Zeit, der schon in der Frage nach der Frucht der Bekenntnisse als ausdrückliches Thema genannt ist (z.B. 10,2: ..qua fructu tibi confitear' ~ . Diese Frage hat Augustinus im zehnten Buch der Confessicnes zur Suche nach Erkenntnis seiner selbst und nach der Nähe zu Gott getrieben. Nachdem die Suche in einer Inversion der Aktivität die Sehnsucht und die Hoffnung befö rdert hat (10,38), wird der Sinn des Lebens in der Z eit unter dem Ideal der ,continentia' faßbar.~9 ~)
Auch Augusrinus hat versucht, du ,Grundgesetz der reinen pn.ktischen Vernunft· auf eine Foand zu bringen. Ähnlich den fo nna.lc:n Mo !:2lprirWpic:n PlatOl'l$ (PoIiuia 442a) und Kants
(KriliJe tkr praJuisJJe" Vm1unft A 54) lautet Augustins auf Vernunft geg:ründete Foanel (lib. llrh. 1,15): ,.rusrum est, ut omnia smt ordinariss.i.ma." Zum Problem des Foanalismus in der Ethik vgl. Fischer: IM Gegenwart des Un~ngtm in Kanu praJetistht, Philcsoph~. ... 13,24 (vgl. Is 1,17): ",discite bonum facere. iudicate pupillo et iusti6ate viduam..•. Diese Bibel-Stelle ist ein o ft genannter. zentraler Bezugspunkt für Levinas; vgl. 2.B.
Totalität und
UnmdlichJteit, 105; im Original Totalit! a Infini, 49. ~~ 12,35: "diligamus ,dominum deum nostrum ex toto corde. ex tota anima, ex tota mente
nosm. et proximum nostrum sieut nosmet ipsos'" (mit Bezug auf Mt 22,37.39). '" 13,.36; vgl. Mt 7,21: ,.Nicht p r , der zu mir sagt: Herr, Herd, wird in du Hirnmdn:ich kom.....n . sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfillJ.t." Vgl. auch Lk 6.46. ~7 10,6f.: ",sed neque me ipsum djjudico·. sic itaque 2udiar. tu enim. domine, düudicas rne" . oll Vgl. 13,15: ,,inter quos et nos in isto 2dhuc incerto hurnanac. noririae ru soh,s dividis, ,qui probas eotda nostta' et vo jS )uc..m diem et tenebcu noetem'. quis enim nos discemit aisi ru?" .., O hne Mäßigung der liebe zu Zeitlichem würden Augustins höchste Hoffnungen nichtig. Allerdings geht es nicht um Enthaltsamkeit (d:ts wäre ,2bsrinentiaj. Heidegger erklärt richtig (Augustinus und tkr NtuplatonUmus. GA 60, 157-246, hier 205f.): .. ln diesem entscheidenden Hoffen ist lebendig d:ts echte Bemühen um conrinentia, das nicht ans Ende kommL (Nicht ,.Enthaltsamkeit', hier geht gerade der positive Sinn verloren, sondern .zusammenhalten' , von d .. Ouxio zurückreißen. im Mißtrauen gegen sie steben.) Wer eigentlich contineos ist, ,cogitet quid sibi desit, non quid adsit'. Und irnmu wird etwas da
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Die Zeit, die Zeiten und das Zeitliche in Augustins ,Confessiones' 63 , Der Sinn der Zeit bleibt in der Weltzeit unerreichbar, da diese von Versuchungen bestimmt bleibt (10,39): ..numquid non ,temptatio est vita humana super terram'?u Der Sinn des menschlichen Lebens wird in der Zeit auf eine Weise behindert, die in der Reichweite des menschlichen Handelns liegt, nämlich durch seine Tendenz zum verfehlten Leben, durch seine Ferne vom Endzweck. so Die ,tentatio' des Willens ist die Bedingung jeder Entscheidung zum Guten. Ohne die Zurechenbarkeit der Entscheidung zum Guten ist kein Urteil Gottes möglich, die Rede von Gott als dem ,inspector cordis' liefe auf eine moralische Selbstqualifikation Gottes hinauS.51 Insofern bleibt die Freiheit der Willensentscheidung eine bleibende Grundthese AugusrinS. 51 sWt, quid desit. Denn das Leben ist eigentlich nichts anderes als eine ständige Versuchung." Augustinus spricht davon, daß er seine Seele in Sand gegossen habe, soange er Sterbliches so liebte, als wire es nicht der Sterblichkeit anheimgegeben (4,13): .. fuder.un in lucerwn animam meam diligendo moriturum acsi non moriturum?" Da er hofft, durch Gott, aber in seiner endlichen Gestalt, Bestand und Festigkeit zu gewinnen (11,40), sucht er den Weg der Mäßigung. Er ist überzeugt, seinen Begierden solange unterworfen zu bleiben, als nicht eine andere Kraft ins Spiel kommt, die ihn selbstlose Liebe lehrt. Deswegen bittet er Gott, der ihm diese Mäßigung auferlegt, zu geben, was er ihm befiehlt (10,40): "continentiam iubes: da quod lubeS et lube quod vis." 50 Augustinus schließt nicht aus, sondern setzt im Gerichtsgedanken voraus, daß es Lobenswertes bei Menschen geben kann; Menschen dürfen sich aber nicht selbst beurteilen, und
Ps. 38,10): ,,.incem. sunt botu mea et mala mea." Diese These hat nichts Vorgestriges an sich; vgl. Kant: Kritik der reinen noch weniger selbst rühmen. In jedem Fall gilt (en.
Vernunft B 579 Arun.: ,,Die eigentliche Moralität der Handlungen r.:v erdienst und Schuld) bleibt uns daher, selbst die unseres eigenen Verhaltens, gänzlich verborgen." Menschen sind in absolutem Sinne eines ,,.inspector cordis" bedürftig (vgl. z.B. So dom. m. 2,1 und 9;
div. qu. 59,3; c. mend. 36; spir. et litt. 14: "qui cordis ipsius et intimae voluntuis mspector est'j. Kant spricht in eben diesem Sinne von Gott als dem ,Herzenskündiger' (z.B. ~ Religion innerhalb der GUilzen der reinen Vernunft B 139). Gott ist der einzige, der einem Menschen Rechtfertigung zusprechen kann, weil nur er in rl2s Herz sieht. Selbstrühmen ist im Angesicht Gottes tödlich; vgl. auch 10,2. 31
Diese Denkweise liefe auf eine Bbsphemie hinaus. Jeden&lls hat Kam die Prädestinations-
lehre auch aus diesem Grund abgelehnt (vgl. ReJigionslehre Pö/itz; AA 28.2.2,1045): "Überhaupt ist es fiir die menschliche Vernunft etwas sehr Unanständiges, wenn sie es sich herausnimmt, von Gon. dem erhabensten Dinge, das sie selbst nur schwach denken kann, beständig.raisonniren, und Alles, selbst das Unmögliche, in Rücksicht auf ihn sich vorstellen zu wollen. da sie doch vielmehr jedesmal, wenn sie sich in diese Größen der Gec1anken ..wgt, voll ßeo.vußtseyn ihres Unveanögens beschei.den zwückueten und erst mit sich selbst zu Rathe gehen sollte. wie sie Ihn - Gott vrurdig denken möge. Daher sind alle diese Ausdrücke vetnLSSeß, wiren sie auch nur hypothetisch gesetzet; wenn man z.B. Gon. der die Höllenstrafen ewig machen, oder nach der Pridestinationslehre, einige Menschen zur Seligkeit, andett zur Venhmmniß schlechthin bestimmen könnte, als einen Tyannen zu schildern sich unterstehed" Zur These, daß Augustinus die Freiheitslehre nicht aufgegeben hat (wenigstens nicht in den Confossi<mes) vgI. Fi>cI= Zur GnmknkJm in Aupstins ,Confnsjones'. .Sol
V gl. Fischer:
Freiheit und Gnm:k
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64 Norben Fischer Die ,tentatio' des Willens ist ermöglicht durch rue ,distentio' des menschlichen Geistes, durch sein sich zerstreckendes Erstrecken in die flüchtigkeit der Zeiten, das Entflüchtigung ersehnt. In der Schwäche ihrer Sehnsucht nach Entflüchti ~ gung des Zeitlichen sind Menschen der Versuchung ausgesetzt, sich aus eigenen Kräften ein wenigstens temporäres Glück zu verschaffen.sl Die Aufgabe, ,das Gute run zu lernen', bleibt zwar unbeschädigt gültig. Es stellt in seiner Größe angesichts der faktischen Siruation des Menschen aber eine Überforderung dar. Deshalb gesteht Augustinus, eines Mittlers bedurft zu haben, um auf die Spur reiner Liebe aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben gelangen zu können. Sol Ebenso ist er überzeugt, daß alle Menschen des göttlichen Mittlers in der Zeit bedürfen, um zum Sinn der Zeit zu gelangen. 55 Nur so sind rue anfangs genannten Defizite, die dem Zeitlichen anhängen, hinzunehmen, nur so lassen sich die Zeit. die Zeiten und das Zeitliche als das überaus gute Werk Gottes glauben. S6 Die endliche Freiheit, die allein auf ihre eigene Kraft gestellt wäre, kann das Ziel ihrer Berufung zu reiner Liebe, das Ziel ihrer göttlichen Berufung, nur verfehlen. Ebenso sinnwidrig ist es, alles Gute nur der göttlichen Gnade anheimstellen zu wollenY Der Glaube an den Mittler, der mit den Menschen die Sterblichkeit, mit Gott aber die Heiligkeit gemeinsam hat,SI ist die Kraft, mit der Gott die Menschen anzutreiben vermag, Gott dankbar und reinen Gewissens zu loben (l ,l ): .. tu excitas, ut laudare te delectet". Berührt vom ,wahren Mittler' werden Menschen zum ,ruhelosen Herzen', das Ruhe nur in Gott finden kann. In der Menschheit, die in Gott Ruhe zu finden sucht, findet auch Gott selbst Ruhe, nämlich in der immerwährenden heiligen Gemeinschaft freier Bürger unter der Herrschaft Gottes,59 die nicht mehr von der Ambivalenz des Zeitlichen betroffen ist, aber die Zeitlichkeit in ihrem kostbaren, von Gott gewollten Kern bewahrt.6O
Zur ,felicit2s tempoWis' vgl. vor allem 6,9; weiterhin 3,3; 5,14; 8,17; 9,26; 13,20. S4 Vgl. 12,27; 10,6. ~ Vgl. 10,67-70. Si> 13,47: "videmus haec et singula bona et o mnia bona valde." Die Steigerung des Gutseins der Schöpfung sieht Augustinus vor allem in der Fähigkeit begründet, c:hs Gesollte zu Nn (ebd.: "ad concipiendam de ratione mentis recte agendi sollertiam" . ~J Das liefe auf eine Auslegung der Schö pfUng als ,creatio de se' hinaus, die Augustinus ja ausdrücklich ablehnt; vgl. Anm. 14. SI Es ist der Glaube an den ,vera.x mediator'; vgl. 10,68. SO) 13,52; Ruhe findet 2.uch Gott im ,,.regnurn tecurn petpeNum ,S2.nctae civitaw' tU2.e" (1 1 ,3). 60 E s geht nicht um ein~ ,Rückkehr zum Einen' im Sinne Plotins, sondern um die Vollendung der Zeitlichkeit, ohne Übel und ohne Tendenz zum Nichtsein. Sol
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Comelius Petrus Mayer
Prinzipien der Hermeneutik Augustins und daraus sich ergebende Probleme
In seinen Untersuchungen zu Hermeneutik und Strukturalismus hält es Paul Riccew: ,.nichtfor unwichtig daran zu ennneln, daß man sich mit dem helme·
neutischen Problem zuerst im Bereich der Exegese konfrontiert sah ... Die E· xegese hat ein bei meneutisches Problem aufgeworfen, ein Problem der Interpre· tation, weil sich jede Lektüre eines Textes - wie strikt sie sich auch an das ,quid<, an das ,woraufhin< er geschrieben war, halten will - stets innerhalb einer be· stimmten Gemeinschaft, einer Tradition oder einer lebendigen Geistesströmung vollzieht, worin sich Vorurteile und Forderungen geltend machen".1 In der Tat kann dem um das Problem der Interpretation von Texten Wissen· den bei der Lektüre der Bibel kaum entgehen, welch dominierende Rolle der Henneneutik schon bei der Entstehung der jüdisch-biblischen Schriften und erst recht bei der jüdisch-biblisches Gedankengut übernehmenden christlichen Schriften zukam. Der Leser der neutestamentlichen Schriften stößt nicht nur gelegentlich auf hermeneutische Fonnulierungen wie Joh 5.4, wonach bereits Moses über Jesus geschrieben habe, es finden sich darin, und zwar schoo in den früheren Schichten, Passagen, die über das Problem der Interpretation expressis verbis reflektieren. Solches Reflektieren war durch ein oeues Lesen der Bibel in einem veränderten, das ChrisrusereigrUs anvisierenden Verstehenshorizont ootwendig geworden. Im Rahmen dieses neuen Verstehenshorizontes wurde das Chrisrusereignis als ein neues Bündnis gedeutet. Dieser Neue Bund setzte einerseits den nunmehr lediglich auf Zeit geltenden außer Kraft, andererseits betrachtete er sich als dessen Erfüllung. Das Verhältnis der beiden Bündnisse bzw. der beiden Testamente ist also ein solches der Identität und der Differenz. In der Dialektik von ,Buchstaben< und ,Geist' verdeutlichte bereits Paulus das damit gegebene hermeneutische Problem: .,Der Buchstabe", die nicht auf Christus hin gelesene Schrift, .. tötet, der Geist", die auf Christus hin verstandene Bibe~ "schafft Leben".2 , !
Ric~ur.
He, meneurilt und Srrukruralismus, 11 . 2 Kor 3,6; dazu Bultmann: 1heologU! des Neuen Testamentes, 260-270.
66 Cornelius Petrus Mayer 1. Das henneneutiscbe Problem bewußtsein im frühen Christentum Die dominierende Rolle der Hermeneutik beschränkt sich indes nicht allein auf die Anfange des Christenrums. Das Christusgeschehen, das zunächst über die Predigt. dann auch über schriftliche Aufzeichnung weiter tradiert wurde, mußte immer wieder in ein die Verkündigung aktualisierendes, in ein Leben schaffendes, spirituelles Wort verwandelt werden, wenn es seine ihm zugedachte Funktion erfüllen sollte. Darin aber liegt der Kern des Problems, mit dem wir es nicht erst beute, sondern bereits in der Patristik zu tun haben. Denn die geforderte Aktualisierung der Botschaft vollzieht sich in Wirklichkeit, emsprechend der zitierten Sätze von Ricczw, stets als ein Interpretieren der ursprünglichen Verkündigung •.innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft, einer Tradition oder einer lebendigen Geistesströmung". Dies zeigt die Dogmengeschichte, welche vor allem die mit der Hermeneutik gegebenen Probleme aufzeigt und sich um eine Klärung nicht nur der Gemeinsamkeiten, sondern auch der Unterschiede und Spannungen bei der Entfaltung der christlichen Glaubenswahrheiten bemüht. Nicht weniger haben exegetische Forschungen in deo letzten Jahrzehnten das hermeneutische Problembewußtsein geschärft, indem sie bei aller Wahrung des schon durch den gemeinsamen Namen ,Neues Testament' gegebenen Anspruchs auf eine einheitliche Hermeneutik innerhalb dieser Schriftensammlung doch auch auf die vorhandenen Unterschiede und Spannungen aufmerksam machten. Daß diese Unterschiede und Spannungen bei der aktualisierenden interpretation des Kerygmas in den folgenden Jahrhunderten eher zu- als abnahmen, dürfte einleuchten, zwnal wenn man bedenkt, daß mit der Verbreitung des Christenrums auch jene Faktoren zunehmen mußten, die auf die christliche Hermeneutik einen mehr oder weniger gewichtigen Einfluß ausübten. Zu ihnen zählte allem voran die Philosophie. Nun gilt es sogleich hinzuzufügen, daß das Wort Philosophie bei den christlichen Schriftstellern, Apologeten wie Kirchenvätern, unterschiedliche Assoziationen wachrief. Negative Konnotationen griinden zum Teil im Neuen Testament selbst, wo der Terminus .philosophia' in KoI 2,8 übrigens die einzige Stelle! - mit " leerem Trug", der nur auf "Menschenübedieferung" beruht, zumindest verglichen, wenn auch nicht gleichgesetzt wird.} Und dennoch vennochten sich über illre Offenbarungswahrheiten reflektierende christliche lntellek.tueUe dem Einfluß der Philosophie nicht zu entziehen. Wieder ist es das Neue Testament selbst, das die Öffnung zur Philosophie wenigstens ansatzweise vornahm. Darauf macht Jan H. Waszink in seinem immer noch lesenswerten Vortrag Der Platonismus und die altchristliche Gedanken-
welt, den er 1955 in Genf bei den IIl. Entretiens 'ur l'antUJuiti clas'UJue gehal) Zur negativen Konnotation des Begtiffe tplAOOOfJl(et in KaI 2,8: r..tiche1: tpllooOtp(a , 169-185,spez. 182f.
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Prinzipien der Hermeneutik Augustins 67
ten hatte, aufmerksam. Nach Waszink verlangten schon im Neuen Testament einige Ausspruche. die auf die Philosophie in irgendeiner Fo nn reagierten, eine Deutung. ..Gleich am Anfang finden wir da die ersten Wo rte des Jo hannesevangeliums, 'Ev apxn tlv Ö ).oyoC;, die soviele Federn in Bewegung gesetzt haben ... E s läßt sich nicht leugnen, daß ).oyoC; auch in diesem Zusammenhang ein Terrn.inus der griechischen Philosophie ist, der im Hellenismus allgemeine Bekanntheit gewonnen hatte und der gewiß nicht vo n dem Verfasser des Johannesevangeliums neu eingeführt wurde; denn wie Walter Bauer zu der Stelle bemerkt, ,Die Art, wie der Pro log den Logos einführt und dann weiterhin von ihm redet, erklärt sich nur unter der Vo taussetzung, daß den Lesern nichts Neues gesagt. sondern ein Begriff gebraucht wird, der ihnen unmittelbar verständlich ist<<<.· G ewiß geht der Evangelist vo n der historischen Persönlichkeit Jesu aus, dessen Identität mit dem Christus des G laubens Kern seiner Verkündigung ist. Aber zugleich will er dem Leser klarmachen, daß dieser Christus der Logos ist, wobei er sich durch das Bekenntnis von der Menschwerdung dieses Logos sogleich wieder gegen jegliche Philosophie, die einen sichtbaren Logos nicht zu akzeptieten vennochte, abgrenzt. Waszink wirft im Ko ntext seiner Darstellung über die Ambivalenz der Philosophie in der friihkirchlichen Zeit die suggestive Frage auf, ..o b nicht, neben der noch inuner anhaltenden Geschlossenheit der christlichen Welt der antiken Kultur gegenüber. auch die E rwartung der Parusie in nächster Z eit, wie sie uns in dieser Epoche vo n allen Seiten entgegentritt, ein Interesse für die Lehren der Heiden nicht hat aufkommen lassen«.5 Diese Reserve der Philosophie gegenüber wurde mit Ausnahme von Tmullian und Tatian bereits von den Apologeten abgebaut. Gewiß war deren Philosophie weithin eine eklektische. Dennoch kam dem Platonismus, zunächst dem mittleren, später auch dem N euplato nismus, wegen seiner A ffinität zur natürlichen Theo logie ein unbestreitbarer Vorrang zu. Ich begnüge mich mit dem Hinweis aufJustin, Clemens und Origenes, die alle tro tz ihres unterschiedlichen theo logischen Anliegens dem Plato nismus bei allem Wissen um die Überlegenheit der christlichen O ffenbarungslehre doch positiv gegenüberstanden.6 Das Wissen um die Überlegenheit der Offenbarungslehre äußerte sich vor allem in der kirchlichen Abwehr der Häresien.7 Zweifelsohne vollzo g sich diese Abwehr scho n bei den Apo logeten nicht selten gerade auch unter Hinzuziehung philosophischer G edanken. Letzten Endes berief man sich jedoch im kirchlichen Waszink: Der Platonismus und die altchristliche Gedankenwelt, 141. 5 Waszink: Der Platonismus und die altchristliche Gedankenwelt, 143. , Einzelheiten und einschlägige Stellen bei Amou: Platonisme des peres. Z u Justin s. A ndresen: fustin und der mittlere Platonismus, zu Clemens $. Camelot: Clhnent d'A/eundrie et /'utilisation de Ia philosophie 8axque; zu Origenes s. Görgemanns: V&er BÜCMr von den 4
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Prinzipien . Turner: 7be Pattern ofChristiAn Truth.
68 Comelius Petms Mayer Lager ostentativ nicht auf die Philosophie, sondern auf die in der Kirche geltende ,Glaubensregel', auf die ,regu1a fidei'.' Verständlicherweise war es der der Philosophie insgesamt nicht wohlgesonnene Tertullian. der sich in der Abwehr der Häresien mit Vorliebe auf die ,regula fidei'" berief und sich darum auch um eine Klärung dieser wichtigen henneneutischen Instanz bemüht hat. Seiner Auffassung zufolge bildet die ,regula fidei' die einzig wahrhafte und authentische Fonn der christlichen Lehre.lo Die Glaubensregel ist unveränderlich und mit dem ganzen Inhalt der OffenbarungsIehce identisch. II Ihre Kennzeichen sind: 1. ihr durch die rechtmäßige Tradition in der Kirche beglaubigter Ursprung, wodurch sie sieb vor allen Lehren der Philosophie auszeichnet, 2. ihre Priorität gegenüber allen häretischen Traditionen und 3. ihre Totalität, wodurch sie sich wieder von der in sich widersprüchlichen Philosophie unterscheidet. Terrullian hält nämlich ein endloses philosophisches Fragen mit dem Glauben für unvereinbar. Innerhalb der Offenbarungslehre kann und soll auch geforscht werden. Es werden aber dadurch keine neuen Wahrheiten mehr entdeckt, denn "quod a deo discitur, roturn est"1 2 und "aduersus regulam nihil seite omnia seite est... 1J Die Glaubensregel, die als oberste hermeneutische Norm den Inbegriff der heilsnotwend.igen Lehre darstellt, ist nicht nuc antihäretisch, sondern auch fili die christliche Unterweisung maßgebend: sie bewahrt den rechten Zusammenhang des Schriftinhaltes und vermittelt sowohl wahre Gotteserkenntnis wie auch Einsicht in die Weltordnung, Ergänzend sei noch erwähnt, daß bereits lrenäus über die Glaubensregel ausführlich reflektierte und daß auch bei ihm der Begriff ,regula ueritatis' - er verwendet mit Vorliebe den Terminus Kavw'V tri<; aA"e€(a<; - eigentlich nicht icgendeinen Bibe!texi oder einen fixierten Lehrsatz, sondern die Wahrheit der in der göttlichen Offenbarung bezeugten Tatsachen der Verkündigung meint. 14
• Zum Therrua Gbubensregel: Vlln den Eynde: Les normes tk /'en.sngnement chritien; speziell für Irenäus und Tc.rtullian: Flessemann-van Leer: Tradition and ScriptuTe in tJx Early Church. In diesen Ausführungen über Tertullians Lehre von der ,.ttguh. 6dei' beziehe ich mich auf den Aufsatz von Hägglund: Dre Bedeutung der .rtgula foiei' als Grundlage theologischer A U(sagen . , Weitere bei Tertullian vorkommende Termini: )ex 6dei': Oe uirg. u.el. 1,4; De spect. 4,1; ,regula ueritatis': !Je praescr. 36; ,authentica regula': Adu. Valent . 4. 10 Tertuman: De monog. 2,3. LI Siehe Aessemann-van Leer: Tradition and ScriptuTe in ehe Ear/y Church, 165 sqq. Ll Tertullian: Deanima 2.7. Il TertullWt: De praescr. 14.5. U Hägglund: Dre Betku.tung der .'tgulafitki' als Grundlage theologischer Au(wgm. 4-19; do rt auch Verweise auf die Lüeratur.
Prinzipien der Htr111enn4tik Augustins 69
2. Die Rolle der Hermeneutik bei der Bekehrung Augusuns Als Augus tin die theologische Szene betrat, war die Philosophie - vorzüglich in der Fonn des MittlereI) Platonismus U - eine der kirchlichen [ehre kritisch assimilierte, in bestimmten Teilen auch in sie integrierte G röße. Denn, wie erwähnt, hane die Kirche in ihren Auseinandersetzungen mit den Häresien - und nicht zuletzt mit der Philosophie, speziell dem Platonismus - Regeln der Hermeneutik entwickdt, mit denen sie ihre Eigenständigkeit inmitten fluktuierender Weltanschauungen behaupten konnte. Was den Platonismus betrifft, so war dieser in dem Kreis, in dem Augustin in Mailand verkehrte/ 6 gerade in der Fonn des Neuplatonismus en vogue. Sein EinDuß auf die Bekehrung Augustins durch die Klärung einer ,geistigen SubStanz,n ist sattsam bekannt, wenngleich exakte Antwo rten auf einige mit der Bekehrung zusammenhängende Fragen immer noch au ss tehen. la Augustins Friihschriften lassen über diesen Einfluß der Neuplatoniker keinen Zweifel aufkommen. Wdche Faszination ihre Philosophie auf den Neubekehrten ausübte. zeigen Stellen wie De ordine 1.18. Augustin vertritt don die Meinung, diese Philosophie ließe sich als eine Lehre über die Sed e und über Gott - Thema der Solüoquien - bezeichnen: ..Die erste bewirkt, daß wir uns sdbst, die letztere. daß wir unseren Ursprung erkennen". Dennoch wird man auch dem Bericht der Confessiones über jene Kontakte mit den ,Platonicorum libri'. der die Rolle der kirchlichen Hermeneutik schon beim ersten Vergleich der platonischen mit der kirchlichen Lehre so betont hervorhebt, wenigstens ein Körnchen Wahrheit nicht streitig machen dürfen: "don las ich ... dort las ich dagegen nicht .... wohl fand ich in diesen Schriften .... (das jedoch) enthidten diese Bücher nicht". 19 Sicher ist dieses Sondieren platonisch-neuplatonischer G edanken von der o ffenbarten Wahrheit das theologische G utachten des Bischo fs.lO Man wird aber annehmen müssen, daß Augustin bereits im christlich-neuplatoruschen Kreis auf diese fundamentalen dogmatischen Unterschiede aufmerksam gemacht wurde.21 Die Frage. wie weit Augustin schon zur Zeit seiner Bekehrung die Normen der kirchlichen Hermeneutik behe=cht hatte, bleibe dahingestellt. Es ist bekannt, daß er in seinem ersten Enthusiasmus für die Philosophie noch manches vermengt hane. was ibm später mißfiel und was er deshalb in seinen Retractationes
U
Siehe den Sammelband von Dodds: Lts SOUTCts ck Plotin.
16
Solignac: Le ctTCk miJanais, 536.
" Gon! 5,19; 7,2. 11
Siehe CourcelIe: R«he"ha SUT ks
.. Gon! 7, l3sq. lO
G.onfossions ck saint Augustin, 168-174 .
Courcelle: R«he,Jxs SIIT ks Om.fossWns tk saint Augustin. 168-174.
'I CourcelIc:: R«~
SIIT
ks Cen.fossWns tk S4int Allpstin, 172sq.
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70 Ccrnelius Petrus Mtryer auch zurechtriickte.22 Wenden wir uns nochmals kurz dem Bericht der Confessiones über den dort angestellten Vergleich der Lehre der Platoniker mit der Lehre der Kirche zu. Er ist für unser Thema in so fern wichtig, als uns Augustin darin ungeHihr zu der Zeit, da er an De doctrina christiana arbeitete, zuverlässige Auskunft darüber erteilt, was er an der Lehre der Platoniker nicht nur billigte, sondern mit der Lehre der Kirche gleichsetzte. Die Platoniker, sagt Augustin, würden manches zwar nicht mit den Worten des Evangelisten lehren, jedoch und diese Feststellung scheint mir wichtig zu sein: "durchaus dasselbe - hoc idem omnino - durch viele und vielfältige Vemunftgriinde glaubhaft gemachtmultis et multiplicibus suaderi rationibus«. Was Augustin an den Platonikern im Blick auf die Übereinstinunung ihrer Lehre mit der Offenbarung riihmt, ist der rationale Charakter ihrer Lehre. Er kommt darauf auch in anderen Schriften immer wieder zurück. 2l lm einzelnen erwähnt er ihre natürliche Gotteserkennrrus sowie die Methode dieser in Übereinstimmung mit Rm l,19sq. betriebenen Erschließung Gottes durch die Schau des Geschaffenen und im Zusammenhang damit ihre Fähigkeit, Veränderliches vom Unveränderlichen. Z eitliches vom Ewigen unterscheiden zu können.u Die Platoniker reflektierten über die geistige Natur des Logos und schienen eine Ahnung von der Trinität gehabt zu haben. 2!o Vor allem aber habe Plato n die Philosophie durch Hinzufügung der Dialektik, der Erkenntnislehre zur Ontologie (Naturphilosophie) und zur Ethik (Moral) zu ihrer Vollendung gebracht Z ugleich hätten die Platoniker Gott zum Prinzip all dieser drei philosophischen Disziplinen erklärt 26 Diese Rückbindung der philosophischen Disziplinen an Gott scheint Augustin für die Bewertung der Philosophie Platons ganz besonders wichtig zu sein. Sie ist, zumal im Blick auf die Folgerungen, die Augustin daraus zieht, auch für unser Thema nicht belanglos: ..Vielleicht vertreten diejenigen, die man weithin !:!
Conf 7,13 sq. D u u beaca u. 4: "Ieetis autem Plotini paucissimis libris ... conbtaque euro
eis, quantum potui, etiam illorum auetorit.ate qui diuina mysteria ttadiderunt, sie exarsi, ut omnes illas uellem anco ras rupere, nisi me nonnullocum ho minum exisumatio commoueret" . Augustin las also die Enneaden Plotins schon im Lichte des Evangeliums, vgl. Henry: Plotin et I'Occidmt, 90. Cf. reIT. 1):. D Dazu Madec: Si Plato Iliueret •.. (Allgustin, De vera reLigione 3,3). Der Vf. gibt dort S. 235 die einschlägigen Werke an. 14 Cill. 8,6: "uiderunt ergo isti philosophi, quos ceteru non immerito f:ama atque gloria praelatos uidemus, nullwn corpus esse deum, et ideo cunCta corpora transcenderunt quaerentes dewn. uiderunt quidquid mutabile est non esse sununum deum, et ideo animam o mnem mutabilesque omnes spiritus ttanscenderunt quaerentes summum deum ...... ~ Ib. 10,23: "praedicas pattern et eius filium, quem uocas patemwn intelleerum seu mentem, et horum medicum, quem putamus te dieere spirirum sanctum, et more uestro appellas tres deos". 16 Ib. 8,4: " ... Plato utrumque iungendo philosophiam perfecisse laudanu-, quam in tres partes distribuit: unam moralem quae maxime in actione uenatur, alteram naturalem quae contemplationi deputata est, terti2m rationalem quae uerum disterminatur a falso".
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Prinzipien der Hermeneutik Augustins 71 als scharfsinnigste und zuverlässigste Kenner Platons rühmt, der ja allen übrigen heidnischen Philosophen mit Recht bei weitem vorgezogen wird, die Ansicht, daß bei Gott die Ursache des Seins, der Grund des Erkennens und die Ordnung des Lebens zu finden ist, drei Aussagen, von denen sich die erste auf den natürlichen, die zweite auf den rationalen, die dritte auf den moralischen Teil der Philosophie bezieht. Wenn nämlich der Mensch so von Gott geschaffen ist, daß er mit dem, was sein Höchstes ist, das, was das Höchste von allem ist, nämlich den einen, wahren, besten Gott berührt, ohne den kein Wesen besteht, keine Lehre einleuchtet und keine Betätigung frommt, nun wohlan, so soll man ihn suchen, in welchem alles wirklich ist, auf ihn schauen, in welchem alles gewiß ist, ihn lieben. in welchem alles gut ist".27
3. Die hennene utiscb e Grundschrift: De doctrina cbristiana Wenn wir uns im folgenden den Prinzipien der Hermeneutik Augustins, wie er diese im ersten Buch seines schon erwähnten Werkes De doctrina christiana dargesteUt hat, zuwenden, so gilt es, die soeben gehörte Folgerung aus der (im Sinne Augustins) von den Platonikern vorgenommenen Zentrierung des gesamten philosophischen Denkens im Gedächtnis zu behalten. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang sogleich auch daran, daß Augustin seine Hermeneutik laut Prolog von De doctrina christiana gegen bildungsfeindliche Kreise verfaßt hatte, die sich mit ihrem Schriftverständnis allein an innere und darum auch unkontrollierbare Eingebungen klanunerten. Augustin aber ging es um Erkenntnisse, die er sich im Umgang mit den Disziplinen erworben hatte, und deshalb verteidigte er sein wissenschaftliches Unternehmen mit einer philosophischtheologischen Argumentation bereits im Prolog.21 Der hohe theoretische Anspruch seiner Ausführungen über die zahlreichen henneneutischen Regeln, die "praecepta tractandarum Scripturarum",29 macht allein schon verständlich. wesha.lb gerade diesem Werk eine epochale Bedeutung zukam. Indes, die einzelnen, sorgfaItig erörterten hermeneutischen Regeln stehen nicht unverbunden nebeneinander. Ihnen sind Prinzipien übergeordnet, und es versteht sich, daß Augustins Hermeneutik in seiner Lehre über diese Prinzipien kulminiert.
n Ib. nach der Übersetzung von 1bimme: Aure/iNS AugNStinus, 378. Vgl. Litc.rarurve.rzeichrus: Augustinus: Vom Gottesstaat. Zur überragenden Autorität Platons in Sachen Philosophie siehe auch Ciceros Wort in TIlSC. 1,.22: ..Platonem sempc.r excipio". das Augustin sicher kannte. 11 Dazu M2yer: Res pn- signa. ~ D«lt. ehr. Prooemium 1.
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a) Das theoretische Gerüst der augustinischen Hermeneutik Augustin eröffnet seine Srudie mit dem Hinweis auf die Hauptgliederung: "Um die Erkenntnis zweier Dinge geht es bei jeglicher Beschäftigung mit der hl. Schrift: um die Auffindung dessen, was verstanden werden soll, sodann um die Darstellung des Verstandenen" (1,1).30 Nach der rhetorischen Tradition handelt der erste Teil (Bücher I-lI I) von der .inuentio', der zweite (Buch IV) von der .elocutio'. Er nennt dann die heiden Gegenstände jeglicher Wissenschaft bzw. Lehre: ,Jede Lehre hat entweder Sachen oder Zeichen zu ihrem Gegenstand". "we Sachen jedoch werden durch we Zeichen erlernt" (1,2). Nach Klärung der ,.res', der Gegenstände, die in bezug auf die Interpretation nicht zugleich auch Zeichen sind, und der ,signa', die dagegen inuner auch Dinge, ,res' in der Weise sind, daß sie auf anderes verweisen, folgt die wichtige, den Gang der weiteren Untersuchung bestirrunende Feststellung: •.Aus diesem Grunde ist jedes Zeichen zugleich irgendwie auch eine Sache ...• hingegen ist nicht jede Sache zugleich auch ein Zeichen" (ebd.). Man könnte aufgrund dieser Feststellung meinen, jenen Dingen, die sich über ihr Dingsein hinaus noch durch ihr Zeichensein auszeichnen, käme, auf welche Weise auch immer, ein Vorrang zu. Doch das ist nicht der Fall. Es heißt vielmehr. .. Zuerst sei von den Sachen, sodann von den Zeichen die Rede" (ebd.), und zwar nicht nur im Blick auf die Methode. Denn, um es gleich vorwegzunehmen, die Begriffe ,.res' und ,signum' werden in der Hermeneutik wie auch in der Erkenntnislehre Augustins zu einem Schema verbunden und wie ein Schema auch gehandhabt. Über das Verhältnis der heiden Glieder innerhalb des übrigens nicht der Bibel, sondern der stoischen Philosophie entnommenen Schemas hatte Augustin bereits in seiner Friihschrift De magistyo ausgiebig nachgedacht. Er kam don aufgrund seiner höchst eigenständigen und eigenartigen Erörterung über die Funktion der Zeichen im Prozeß des Lebrens und [proens zu dem überraschenden Ergebnis, daß die Zeichen nichts lehrten, weil man stets schon das Bezeichnete kennen müsse, um das Zeichen verstehen zu können. Lehren wie Lernen seien innere Vorgänge, während sich die gnoseologische Funktion der Zeichen prinzipiell im Bereich des ,foris' als ,admonitio', als .aufmerken lassen' abspiele. Augustin faßte das Ergebnis seiner Untersuchungen in dem Satz zusammen: ..Eher kann man ein Zeichen durch die schon gekannte Sache erlernen als die Sache selbst durch das ihr gegebene Zeichen".31 XI
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Eine ausgezeichnete Gliederung gibt Steffen: Augustins Schrift .De doctrina christiana", Weitere Arbeiten zur Gliederung: lscace: Le livre [er du,.De doctrina cbristiana· de wint
Augustin; Miyacani: Grundstruktuy und &deutung der Itugustini.schen Helllleneutik in ,.!Je doctrina christiana-; Sieben: Die .res" der Bibel, [Je magistro 33. Siehe cbzu Mayer: Die leichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie des jungen Augustinus, 225-234.
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Prinzipien der Hemleneurik Augustins 73 Es sei noch hinzugefügt., daß er diesen Satz nicht zurücknahm und daß er infolgedessen auch das hermeneutische Programm von .res per signa die Sache durch Zeichen' im Lichte der Zeichenlehre von De magistTo verstanden wissen w
wollte. Aus diesem Grunde dacf auch das Buch I von De doctrina christiana nicht bloß als Einleitung zu den übrigen betrachtet werden,l2 es ist vielmehr die ,Sachmine' des gesamten Werkes, in der Terminologie Augustins: die ,res' des in den übrigen Büchern behandelten Stoffes, deren Kenntnis entsprechend der dem ,signum·m'-Schema zugrundeliegenden Erkenntnislehre dem Verstehen der Zeichen notwendigerweise vorausgehen muß.l ) Die Erörterung der ,res' beginnt abermals mit einem bibelfremden Schema, nämlich dem ebenfalls der Philosophie, der antiken Güterlehre entnommenen Begriffspaac ,frui-uti '.).! Augustin definiert ,frui' als ..einer Sache um ihrer selbst willen in Liebe anhangen" und ,uri' als "das zum Gebrauch Bestimmte auf das zu beziehen, was zu liehen ersttebenswert ist - vorausgesetzt, daß es überhaupt der Liebe wert ist" (1,4). Den so definierten Gliedern des Schemas zu folge sind die ,res' entweder Gegenstände des ,frui' oder des ,uti'. Allein die um ihrer selbst willen zu erstrebenden Objekte des ,frui' machen den Menschen glücklich. Alle anderen sind als ,res utendae' nichts als Mittel zum Zweck. Augustin erblickt darin nichts Diskriminierendes, denn nur als solche "fördern sie unser Streben nach Glückseligkeit und bieten uns sozusagen die Handhabe, um zu jenen zu gelangen, die uns selig machen, und um ihnen anhangen zu können" (1,3). Er unterstreicht also den rein instrumentellen Charakter der ,res utendae" indem er diese im Bilde einer Reise aus der Fremde ins Vaterland mit Wagen und Schiffen, d.h. mit Verkehrsmitteln vergleicht. Auf 2 Kor 5,6 " peregrinantes a domino" anspielend, geht es jedoch bei der Reise des Lebens um die Rückkehr in jenes Vaterland, in dem allein die Menschen glücklich sein können. Und für diese Reise gilt sein Rat: " Die Welt ist zu gebrauchen, nicht zu genießen, und zwar so, daß man ,das Unsichtbare' an Gott ,durch das Erschaffene geistig schaut', d.h. daß wir durch den Gebrauch körperlicher und zeitlicher Sachen bleibende, geistige Güter erhalten" (1,4). Reise meint somit den Aufstieg zu Gott mittels der als ,res utendae' zu betrachtenden Schöpfung. ,Res utendae' sind die ,corporalia' und die ,temporalia'. ,Res fruendae', so darf man folgern, die ,spiritalia' und die ,aeterna'. Auf das Zitat von Rm 1,20 werden wir noch zurückkommen. Die Erörterung wendet sich nun jenen ,res' zu, die allein Gegenstand des .frui' sind. Genannt wird die Trinität "eine einzigartige, höchste Sache, die all jenen II II
Marrou: Saint Augustin er 14./in de Lt CUltliTe antiqlle, 343. Steffen: Allgustins Schrift ,.Dedoctrina christiana-, 61 gegen Ebeling. EvangeiiscJN Evan·
g.timauskgung, 119. ~ Lorenz: FrNitio Dn bei AMgustin; Den.: Die HnkMnft da aNgustinischen frui deo; Haussleiter: Zur Herkunft der fruitio dei; Pfligersdorffer: ZII dm GrundLtgen da aNgustini· scheii Begriffspaares »Mtifrui-; Chadwick: Frui·Mti.
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gemeinsam ist. die sie genießen - es ist allerdings eine Frage, ob der Name Sache angebracht ist. Sollte man sie rucht besser Ursache aller Sachen nennen oder schlicht Ursache überhaupt?" (1,5). Sowohl in neuplatoruscherH wie auch in biblischer Terminologie)6 wird, durchaus im Bewußtsein der Inadäquatheit der menschlichen Sprache, der Versuch gemacht, Gottes Wesen - in einem Streit um Worte - begrifflich zu fassen. In gut platonischer Argumentation wird Gott als die ,swnma res< für jenes Wesen gehalten, das jeder des Denkens Fähige allen übrigen .res< vorzieht (1,7). Beim wertenden Vergleich aller übrigen .res' gelangt der sozusagen der neuplatonischen Stufenontologie entlang Reflektierende zur Stufe des vernünftigen, jedoch veränderlichen Lebens geistbegabter Wesen. Der Begriff ,veränderlich' assozüert ,unveränderlich'. Unveränderliche Intelligenz bzw. Weisheit ist der veränderlichen vorzuziehen. Ein weiteres Schema also, nämlich das der platonischen Ontologie entstanunende Begriffspaar .mutabileinmucabile' macht den absoluten Vorrang der .res' mit dem Attribut }ncommutabilis< vor den .res' mit dem Attribut .commutabiles< im Rahmen der vorgegebenen Metaphysik unmittelbar einsichtig. Eine,regu1a ueritatis', so sagt Augustin, die sich selbst durch das Stigma der Unveränderlichkeit auszeichnet, bezeugt und garantien den ontologischen Unterschied zwischen den mit dem Schema bezeichneten heiden Seinsebenen: "Diese Wahrheicsrege!. durch welche sie jene (unwandelbare Seinsebene) als die bessere kundgeben, halten sie selbst für unveränderlich. Wie könnten sie auch anders, da sie diese nirgends sonst als über ihre eigene wandelbare Natur finden" (1,8). Es überrascht nicht, wenn diese Erörterungen über das Wesen der ,summa res' in einen Appell zur Seelen1äuterung einmünden, "damit die Geistseele jenes Leht zu schauen und ihm in Uebe anzuhangen vennöge". Wer erkennt nicht die Sprache der Neuplatoniker! Die ,purgatio< wird selbst zur ,ambulatio< und zur ,nauigatio ad parriam'. Das Leitmotiv der Reise, die Rückkehr ins Vatedand, beschließt den Abschnitt über die .res fruenda'. "Zu dem, der überall gegenwärtig ist, bewegen wir uns ja nicht durch Räwne, sondern durch guten Eifer und gute Sitten" (1,10).37 Halten wir inne und werfen wir nochmals einen Blick auf das theoretische Gerüst der Argumentation dieser von Augustin so gezielt an die Spitze seiner Darstellung gesetzten Erörterung über den ersten und offensichtlich wichtigeren Teil der .res', mit dem es seine Hermeneutik zu tun hat. Z unächst ist daran zu erinnern, daß das ,signum-res'-Schema der gesamten Erörterung von De doctrina christiana zugrunde liegt und daß infolgedessen die ,summa res' sich allen anderen .res' gegenüber dadurch auszeichnet, daß, während diese Augustins Definition zufolge auch zu ,signa' werden können, solches für sie per definitioVgl. Plorin 2,8,9,39 und 5,13,20: Das ,Eine' ist Prinzip vor allem, nicht alles. Ebd. 5.3.11,18: Das ,Eine' ist vor allem. Siehe dazu Plotins Schriften VI, Indices, 110. l6 Rm 11.36: ..0: quo Ornn1a, per quem omnia, in quo omnia". J1 Siehe auch Plorin 1,6,8,40 sowie Hbr 11,13sq. ß
Prinzipien der Hermeneutik Augustins 75 nem unmöglich ist. Dies verdeutlichen auch die Schemata ,uti-frui' und ,mutabile-inmutabile'. Gewiß dürfen die Schemata nicht einfach ausgetauscht werden, da sie den verschiedenen Disziplinen der Philosophie angehören: ,signum-res' der Erkenntnistheorie, ,uti-frui' der Ethik und ,mutabile-inmutabile' der Ontologie. Vergleicht man aber die Glieder dieser Schemata miteinander, so sind funktionelle Gemeinsamkeiten zwischen ,signum' und ,uti' und ,mutabile' einerseits und zwischen ,res' und ,frui' und ,inmutabile' andererseits, zumal im Blick auf ihre gemeinsame Metaphysik bei Augusrin, kaum zu verkennen. Bei allen Begriffspaaren kommt dem jeweiligen zweiten Glied absoluter Vorrang gegenüber dem ersten zu. Bei allen Schemata ist das erste Glied auf das zweite zu beziehen bzw. auszurichten, das ,sign"m' auf die ,res', ,uti' auf ,frui' und das ,mutabile' auf das ,inmutabile'. Erinnen sei sodano auch dann, daß Augusrin die Platoniker deshalb rühmt, weil nach ihrer Lehre bei Gott die Ursache des Seins, der Grund des Erkennens und die Ordnung des Lebens zu finden seien, drei Aussagen, von denen sich die erste auf den natürlichen, die zweite auf den rationalen, die dritte auf den moralischen Teil der Philosophie bezieht. Bei gebührender Erwägung all dieser Faktoren wird man sich über die platonisch-philosophischen Grundlagen der Prinzipien seiner Hermeneutik nicht wundem. Hinzu kommt das Zitat aus Rm ~20 von der natürlichen Gotteserkenntnis im Kontext einer rein philosophischen Atgumentation. Dies alles verdeutlicht Augustins Absicht Er wollte die Bibelhenneneutik nicht isolieren, sondern sie in einer alle Disziplinen umfassenden Fundamentalhenneneutik integriert wissen,
b) Der transitorische Charakter der Gi4uhenswahrheiten in der Sicht der augustinischen Henlleneutik In den Kapiteln 11-19 wendet Augustin sich den ,res' der Heilsgeschichte zu, die er als ,mutabiles' zu den ,res utendae' zählt. Das Thema von der Rückkehr aufgreifend, beginnt ihre Darlegung hei der Inkarnation der unveränderlichen göttlichen Weisheit als des Inbegriffs der ,pattia', Da wir Menschen aus eigener Kraft die Rückkehr nicht leisten können. inkarnierte sich die Weisheit. Das Ziel selbst wurde für uns Weg zum Ziel: ..Da sie (die Weisheit) selbst die Heimat ist, wollte sie uns auch Weg zur Heimat werden" (1,11), Den Unterschied zwischen den heiden ,res' veranschaulicht aufs beste das christologische Schema ;via-patria', Als ,via' gehört Christus ontologisch auf die Ebene der .mutabilia', der ,res utendae', der ,signa', Als ,patria' ist er der Logos, Augustin verdeutlicht den Unterschied zwischen den heiden Seinsweisen am Geheimnis der Inkarnation selbst "Wie also kam sie, wenn nicht dadurch, daß ,das Wort Aeisch geworden ist und unter uns gewohnt hat? (Sie kam in der Weise der Sprache.) Wenn wir sprechen, bemühen wir uns, daß unsere Gedanken durch das fleischliche Ohr
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zum Geist des Hörers gelangen. Das Wo rt, das wir im Herzen tragen, wird zum Schall und heißt dann Rede. Und dennoch verwandelt sich der G edanke nicht in den Schall. Er bleibt vielmehr unversehrt, nimmt aber, o hne auch nur einen Makel der Veränderung zu erleiden, die Fo rm der Stimme an, um so ins Ohr eindringen zu kö nnen. So ist auch das Wort Gottes unverändert Fleisch gewo rden, um unter uns zu wo hnen« (1,12). Ich brauche auf die Darstellung der übrigen als ,res utendae' zu verstehenden zentralen Glaubenswahrheiten, die Augustin wohl in Anlehnung an das Aposto likum aufführt. nicht einzugehen. Es sind das die G laubensartikel. Sie werden, obgleich der Tenninus ,Glaubensregel' in De doctrina christiana 1 nicht vorko mmt, sicher als Richtschnur für die im zweiten und dritten Buch behandelten niederen hermeneutischen Regeln hier scho n sorgfaltig dargelegt. 38 In den Kapiteln 22-34 erörtert Augustin das ,uti-frui' Schema im Blick auf den Menschen, und zwar unter dem G esichtspunkt des G ebotes der N ächstenliebe. Wir können uns hinsichclich der breit angelegten exegetischen Darstellung kurz fassen, weil die gestellte Frage, ob der N ächste Gegenstand des ,uti' oder des ,frui' ist (die Frage wird dann auch auf das eigene Ich, auf den Kö rper und sogar auf die E ngel ausgedehnt), im Lichte der Schemata sozusagen scho n von vornherein eindeutig beantwortet ist. Augustin legt deshalb auch sogleich seine Auffassung dar: "Es erhebt sich die Frage, ob der Mensch vo m Menschen um seiner selbst zu lieben ist oder wegen etwas anderem. Ist er um seiner selbst willen zu lieben, so genießen wir ihn, ist er wegen etwas anderem zu lieben, so gebrauchen wir ihn. Meines Erachtens ist er wegen etwas anderem zu lieben. Denn was um seiner selbst willen zu lieben ist, darin gründet bereits das selige Leben. In dessen Besitz befinden wir uns noch nicht, wenngleich uns die Hoffnung darauf bereits in dieser Zeit tröstet". Er unterstreicht seine Argumentation mit dem Bibelwo rt aus Jer 17,5: "Verflucht aber ist, wer seine Ho ffnung auf einen Menschen setzt" (1,20). Das ebenfalls herangezogene Schema ,mutabile-immutabile' unterstützt das Argument und vertieft es . .. Dann ist der Mensch am allerbesten dran, wenn er mit seinem ganzen Leben das unveränderliche Leben erstrebt, wenn er sein ganzes Herz daran hängt. Liebt er sich aber um seiner selbst willen, so setzt er sich nicht zu Gott in Beziehung; er wendet sich vielmehr zu sich sdbst, nicht zu etwas Unveränderlichem. Aus diesem G runde wohnt dem Sdbstgenuß bereits ein Defekt inne. Denn der Mensch ist nur dann besser, wenn er ungeteilt dem unveränderlichen Gut anhängt und daran festhält, als wenn er vo n dieser Bindung nachläßt, um sich wieder sich sdber zuzuwenden. Darfst du also nicht einmal dich selbst um deinetwillen lieben, sondern nur um dessentwillen, in dem )A
Um&ssende Dustelluog: Mayer: Herkunft und Normativität ths Tüminus .regula' bei Augustin; Den.: Die BedeutJmg tks Te/minus .regula'for d~ Glaubensbtgtitndlmg und d~ GiaMben.svermittlung bei Augustin; Den. : D~ Bedeutung des Tttminus .I'egula'for
das sittliche Handeln tks Christen bei Augustin.
Prinzipien der H~tik Altgustins 77 das bündigste Ziel deiner üebe ruht, so soll dir auch kein anderer Mensch deswegen zürnen, wenn du ihn nur Gon wegen liebst" (1,21). Es ist m.E. nicht unwichtig zu sehen, daß Augustin das biblische Doppelgebot der üebe, das er bei diesen seinen philosophischen Überlegungen zweifelsohne schon anvisiert hatte, erst jetzt zur Sprache bringt: " Das ist nämlich die vo n Gott vorgeschriebene Regel der Liebe" (ebd.). Mt 22,37-39 bestätigt einerseits das argumentativ Gesagte. Andererseits leitet die argumentativ gewonnene Einsicht die Exegese zu Mt 22,37 und 39b. Ihr Etgebnis ist das gleiche: Keine ,tes' außer der Trinität kann - unbeschadet des Gebotes der Nächstenliebe - Gegenstand des ,frui' sein. Da Augustin die Liebesgebote, die ,praecepta" von den Schemata her in den Blick nimmt, vennag er auch die uebe auf Gon, auf die ,summa res\ zu konzentrieren. E r interpretiert in Oe doctrina christiana 1 das zweite Gebot, von dem der Matthäustext immerhin sagt, daß es dem ersten gleich ist - im zitierten Text fehlt diese neutestamentliche Verbindung - , in einer charakteristischen Ausrichrung auf das erste Gebot. Nach der Exegese Augustins beinhaltet das zweite Gebot einen für sein theozentrisches Denken aufschlußreichen lmper:ativ, nämlich dahin zu wirken, daß auch der Nächste Gott liebe. E rst wenn der Christ seinen Nächsten auf diese Weise wie sich selbst liebt, bezieht er seine ganze Selbst- und Nächstenliebe auf jene Gottesliebe, welche die uebe sozusagen allein beansprucht, ..die es nicht zuläßt, daß von ihrem Stro m auch nur ein Bächlein abgeleitet werde, wodurch sie einen Verlust erleiden könnte" (ebd.). Augustin, der also die .regula dilectionis' und die ,dilectio' selbst zu ,frui' in Verbindung setz t, scheint das Gebot der Gottesliebe im Sinne der Ausschließlichkeit zu deuten: "Da er aber sagt ,aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Geiste', läßt er keinen Teil des Lebens übrig. der säumig sein kö nnte und sich gewissennaßen die Gelegenheit verschaffte, eine andere Sache zu genießen. Es soU vielmehr, was immer sich der Seele als Liebenswürdiges darbietet, do rthin mitgerissen werden, wohin der ganze Stro m der üebe läuft" (ebd.). Ehe Augustin im Kapitel 35 seine Erörterungen über die .res' zusammenfaßt, verdeutlicht er nochmals den transitorischen C harakter der Heilsgeschichte an deren Kern, der Inkarnatio n des Verbum. Er zieht ein ganzes Bündel einschlägiger Bibelstellen zusammen, darunter auch 2 Kor 5,16 ..et si noueramus Christum secundum carnem, sed iam no n no uimus", um zu zeigen, worauf es im Umgang mit den ,res' der .dispensatio temporalis' inklusive dem Chrisrus im Fleische ankommen darf. Es ist dies der Aufstieg. das ,transire'. Die Inkarnatio n hatte kein anderes Ziel. ..Dann wird ersichtlich, daß uns nichts auf dem Wege fesseln darf, da ja nicht einmal der Herr selbst, so fern er sich gewürdigt hat, unser Weg zu sein, verlangt, daß wir uns bei ilun aufhalten. Er woUte, daß wir an ilun vorübergehen sollen, damit wir nicht durch die zeitlichen Dinge, die er um unseres Heiles willen auf sich nahm und ausführte, schwächlich hängen blieben. Er
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78 Gernei;'" Petrus Mryer
wollte vielmehr, daß wir durch alle diese Dinge hindurcheilen, damit wir wie im Flug zu dem vorzudringen vermögen, der unsere Natur vom Zeitlichen befreit und zur Rechten des Vaters gestellt hat" (1,38). Man würde Augustin natürlich gründlich mißverstehen, wollte man annehmen, die heilsgeschichtlichen .res' seien sekundär im Sinne von überflüssig. Davon kann schon deshalb keine Rede sein, weil die biblische Hermeneutik, deren Klärung doch der eigentliche Anlaß zur Abfassung von De doctrina christiana war, es zunächst mit dem rechten Verstehen dieser von der ,auctoritas diuina' zu unserem Heil inszenierten ,res' zu tun hat. Die in der hL Schrift aufgezeichneten .res', die zur Liebe führen und deshalb auch von der Liebe her verstanden sein wollen, sind Gegenstände der ,fides'. Ein oberflächlicher Umgang mit ihnen in Fonn einer der .regula fidei' absichtlich widersprechenden Interpretation hätte negative Folgen für die geforderte Liebe: "Es gerät aber der Glaube ins Wanken, sobald das Ansehen der hL Schrift wankt. Fällt aber einer vom Glauben ab, so muß er auch von der Liebe abfallen; er kann ja nicht den lieben, an dessen E xistenz er nicht glaubt" (1,41). Indes, die .res' der ,fides' stehen nicht allein im Dienste der Liebe, sondern auch im Dienste der Erkenntnis Gottes, der Einsicht in die letztlich mit der ,summa res' identischen Trinität als des Inbegriffs der Wahrheit. Augustin kanme den Satz aus Platons Timaios: "Wie die Ewigkeit zum Gewordenen, so verhält sich die Wahrheit zum Glauben".)9 Auch wenn er ihn in De doctrina christiana nicht zitiert, so liegt er doch nach allem, was wir gesehen haben, seinen Ausführungen über die Zweiteilung der ,res' im Sinne der ,regula ueritatis' zugrunde. Gleiches intendiert die ,regula dilectionis', weil diese die ,dilectio' auf das ,fmi' hin ausrichtet. Wann immer die Bibelhermeneurik sich von der so verstandenen ,dilectio l leiten läßt, wird sie nicht irre gehen, weil der die biblischen Texte Deutende von diesen letztlich zur Liebe angehalten wird. Indem er aber zur Gottes- und zur Nächstenliebe in dem von Augustin dargelegten Sinn angehalten wird, wird er sich dessen gewahr, worauf die gesamte ,dispensatio temporalis' in ihrer Zeichenhaftigkeit zusammen mit der Schöpfung zu beziehen ist. Somit lautet Augustins Zusammenfassung: ,.Alles, was vom Beginn dieser Abhandlung an über die Sachen gesagt worden ist, zielt in summa auf die Erkenntnis, daß ,die Fülle< und ,das Ziel des Gesetzes' und aller göttlichen Schriften die Liebe zu jener Sache ist, die uns zum Genuß bestimmt ist, ferner zu jener Sache, die mit uns zum Genuß eben dieser Sache befähigt ist (sc. der Mensch). Denn daß sich einer selbst liebt, dazu bedarf es keiner Vorschrift. Um dieses Ziel erkennen und erreichen zu können, ist die ganze zeitliche Anordnung (Heilsgeschichte) durch die göttliche Vorsehung zu unserem Heil getroffen worden. Wir sollen uns ihrer bedienen, nicht mit einer Liebe und einem Gefallen, die bleiben, sondern die vorübergehen. Wir sollen sie benutzen wie l'l
39c zitit:rt bei Augustinus in cons. eu. 1,53 und in !Tin. 4,24.
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Prinzipien der Hermeneutik Augustins 79 Wege, wie Fahrzeuge und andere BefOrderungsmittel, oder was es sonst an passenderen Namen dafür gibt, damit wir das, womit wir befOrdert werden, allein um dessentwillen lieben, zu dem wir befOrdert werden (1,39). Cl
4. Resümee Wenn ich hier ein Resümee ziehe, so werde ich der Frage, ob Augustins Hermeneutik - wenigstens was deren Prinzipien betrifft - nicht doch eher platorusch als biblisch zu nennen ist, kaum ausweichen dürfen. Ich will dabei an das eingangs im Anschluß an das Ric<Eur-Zitat über die Rolle der Heoneneutik bei einer Akrualisierung der christlichen Botschaft Gesagte erinnern. Jegliche Aktualisierung vollzieht sich in einer lebendigen Geistesströmung. Dies gilt nicht nur von der Verkündigung. sondern auch - wer weiß dies nicht! - von der theoretischen Arbeit an einer Sache bzw. an einem Sachverhalt, in unserem Fall an der biblischen Offenbarung. Daher stellt sich die dogmengeschichtlich brennende Frage: Zu welchen Ergebnissen führte das jeweilige theoretische Durchdringen der Offenbarungslehre? Wurde sie vertieft, durch bestirrunte Aspekte bereichert oder verzerrt und entstellt, gar verfilscht? 1m Blick auf unse:r Thema, die Prinzipien der Hermeneutik Augustins, ist eine solche Fragestellung schon deshalb nicht weniger brennend, weil die Hermeneutik das Denken eines Menschen weithin o ffenlegt. So werden auch in der Hermeneutik Augustins die Wurzeln seines Denkens sichtbar. Der platonische Anteil daran kann schwerlich bestritten werden, zumal Augustin selbst sich Zeit seines Lebens zur Philosophie der Platoniker bekannt hatte, freilich zu einer dem Christentum angepaßten, weshalb diese sich von der der Neuplatoniker wieder deutlich abhob, wie dies Goulven Madec in seinem Artikel "Si Plato uiueret .... im Anschluß an Aime Solignac gezeigt haL Es ist richtig: Augustin verwendet neuplatonische Begrifflichkeit lediglich als Arbeitsinstrument (.,comme des instruments techniques"),o4O um seine eigene Metaphysik zu konstruieren. Aber, korrespondiert diese seine mit neuplatoruscher Begrifflichkeit aufgebaute Metaphysik mit der biblischen Offenbarungslehre oder steht sie zu ihr, zu Teilen von ihr, nicht in Spannung? Ich nenne als Beispiel seine zweifelsohne auch von seiner Metaphysik getragene Gnadenlehre, seine nicht allen neutestamentlichen Schriften gerecht werdende Christologie von oben sowie den damit zusammenhängenden Vorrang der Trinitätslehre vor der Christologie, seine eudämonistische und metaphysisch ausgerichtete E thik und Gesellschaftslehre. Gewiß wäre es eine grobe Vereinfachung. wollte man den Grund aller Spannungen in der Theologie Augustins nur auf seinen Neuplatonismus zurückführen. Die Auflösung einer viele Tendenzen gleichzeitig in sich bergenden Spätzeit CI
.0
Madec: .Si PlalO uiueret ......, cit. S. 237 sq.
80 OJrne/iMs Pet,.,., Mayer
bedingte bei ihm vielfaltige und nachhaltige Auseinandersetzungen mit zahlreichen sich widersprechenden Strömungen, durch die sich Augustin. ohne einen festen Stand von Anfang an zu besitzen, in einer ungewöhnlich reichen Entwicklung hindurchbewegt hatte. Da sie alle Spuren in seinem Werk hinterließen, ist dieses o ft vieldeutig und schwer zu imerpretieren. Keiner der großen Väter hat daher so viele entgegengesetzte und suittige Deutungsprobleme hinterlassen wie er. Einige davon - und wie mir scheint nicht die geringsten! - gründen in den Prinzipien seiner Hermeneutik selbst, die - das wird man gerne zugeben - gerade durch ihre Klarheit und Geschlossenheit bestechen und, aufs Ganze gesehen, nicht nur der Bibelexegese. sondern auch der von Augustin intendierten und das ganze Mittelalter hindurch weithin dominierenden Fundamentalhermeneutik unschätzbare Dienste eIWiesen. Und noch eine Schlußbemerkung: Eines wird man der in ihren Prinzipien gipfelnden Hermeneutik Augustins trotz der zu ihrer theoretischen Begründung herangezogenen bibelfremden Begrifflichke.it nicht nachsagen können: sie habe die christliche O ffenbarungslehre verflacht. Das aber ist nicht nur im Blick auf die Theologiegeschichte, sondern auch - und vielle.icht erst recht - im Blick auf die Gegenwart nicht wenig.
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Dieter Hattrup
,Die Fülle der sehr wahren Meinungen' Zur Hermeneutik von Confessiones 12
Die These, die ich in diesem Beitrag erläutern will, lautet kurzgefaßt: Nach seiner Bekehrung war Augustinus in der Lage, den Schöpfungsbericht der hl. Schrift zu lesen. Im ,Himmel des Himmels' fand er eine geschaffene Wirklichkeit, in der die Zeit entflüchtet und erlös t war. Aber andere Ausleger deuteten das erste Buch der Genesis anders! Welche Auslegung ist richtig? Augustinus sucht in Buch 12 der ,Confessiones' nach einem Maßstab für verschledene wahre Deutungen und findet ihn in der Liebe: Die ,Caritas aus reinem Herzen' kann aus der ,Fülle der sehr wahren Meinungen' andere als die eigene Meinung zulassen.
1. Karriere der Hermeneutik
Neugier und Reserve. Meine Bekanntschaft mit der ,Henneneutik' begann früh und endete rasch. Jedenfalls führte sie zur Reserve. wenn ich sie in einseitiger Gestalt antraf. Zu Anfang meines Studiums im Jahr 1968 war die Hermeneutik in aller Munde. Im Zuge der großen Befreiung sollte sie von autoritärer Bevormundung befreien und jedem das eigene Selbstverständnis lassen. Man las damals die Hermeneutikerwo hl in dieser Absicht. Das Paradewerk war ,Wahrheit und Methode' von Hans-Geo rg Gadamer.\ Mein E xemplar trägt das Datum vom 9. Juni 1969. Ich gehö rte zu einer G ruppe von Studenten im Münsteraner ,Collegium Borro maeum', die sich mit dem damaligen Präfekten Arnold Angenendt verabredet hatten, später Professor für Kirchengeschichte in Münster. um während der Sommer-Ferien dieses 1960 erschienene Werk zu studieren. Trotz gründlicher Lektüre. was bis heute viele Bleistiftstriche anzeigen. konnte ich mich für den Denkansatz der Hermeneutik nicht erwännen, auch nicht in der maßvollen Form, in der Gadamer sie darstellt. E s ging mir zuviel um Meinung und zu wenig um Wahrheit. Natürlich wollten nur wenige Philosophen das I
G2damer: WaJn-beit lind Metlxxk (1960).
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Denken der Wahrheit ganz durch die Hermeneutik der Meinung ersetzen, die besseren Hermeneutiker sahen den Mangel dieser Position, und Gadamer gehörte zu ihnen. Dennoch, es schien mir auch bei ihm Spiel- und Standbein vertauscht. Das erste Ziel schien mir zu sein. den henneneuuscben Kosmos der Meinungen von Jahrtausenden, der sich in herrlichen Dokumenten niedergeschlagen hat, möglichst vorteils frei, also ohne Urteil über den Wahrheitsgehalt anzuschauen. Und ob danach noch ein zweites Ziel kommt? Henneneutik ist Philologenrugeod, und mehr Philologe als Philosophie woUte Gadamer immer sein. Gegen Heidegger hat er früh seine Lebensencscheidung getroffen: ,Jetzt muß ich etwas lernen, was er ruch t kann, und ich bin klassischer Philologe geworden.'4 Dennoch blieb er Philosoph genug, um das Gebot zu erkennen, das von der Wirklichkeit selbst ausging. Dadurch sah er sich genötigt, das Denken der Sachen selbst nicht ganz durch Hermeneutik zu ersetzen. ,.Die hermeneutische Aufgabe geht von sdbst in eine sachliche Fragestellung über und ist von dieser immer schon mit bestimmt. ... Wer einen Text verstehen will. iSl vielmehr bereit, sich von ihm etwas sagen zu lassen:
Leistung der Henneneutik. Das ist leicht gefordert, aber schwer getan. Die eigene Meinung ist kein Rock. den ich schnell abwerfen kann, um mir einen
, G.o:tan= Die Lektion d.s Jahrh.ndms, 142. , G.o:tan= Wahrheit und Metlxxk (1960), 253.
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,Die Fülle der sehr wahren Meinungen' 83 anderen umzulegen. die Meinung ist eine Bedingung des Lebens. Das heißt, ein vorgreifendes Urteil darf ich nach der hermeneutischen Methode schon haben, weil ich sonst gar nicht leben würde, wie mit zynischem Tiefblick Nietzsche gesehen hast. "Wahrheit ist die Art von Irrthum, o hne welche eine bestimmte An von lebendigen Wesen nicht leben kö nnte . Der Werth für das Leben entscheidet."~ Meine Meinung ist eine Mischung aus W'ahrheit und Lüge, die sich gegenüber einem möglichen wahren Urteil als Voruneil zeigt; aber es ist da und nützt meinem Leben. Zeitweise! Will ich einen anderen verstehen, muß ich mir meine Urteile angesichts anderer Urteile bewußt machen und sie einklammern. Wer fremde Kulturen verstehen will, die in Zeit oder Raum weit entfernt liegol, verstellt sich das Verstehen, wenn er seinen eigenen Maßstab anlegt und das feme Verhalten danach beurteilt, wie weit die anderen es scho n gebracht haben oder wie weit sie uns noch unterlegen sind. Diese Leistung der Hermeneutik leuchtete mir ein. Ich verstand auch wo hl, daß ein erweiterter Horizont die Erkenntnis der Wirklichkeit fordern kann. Die zeitweilig aufgehobene Wahrheits frage konnte also auch der Wahrheit dienen. Die ferne Meinung oder Kultur ist zwar nicht unbedingt die Wahrheit, kann mich aber auf einen Gedanken bringen, auf den ich selbst nie gekommen wüe.
Helmeneutik als Uni'Versalsysteml Aber die Hermeneutik als systematische Disziplin hat eine Neigung zu mehr, sie wollte weiter ausgreifen, Gadamer stellt das kritisch dar, kann sich aber dem Glanz nicht ganz entziehen. wenn er "Schleiennachers Entwurf einer universalen Hermeneutik" darstellt "Schleiermachers Formd. so wie er sie versteht, bezieht die Sache. von der die Rede ist, nicht mehr selber ein, sondern sieht die Aussage. die ein Text darstellt, unter Ansehung von ihrem Erkenntnisgehalt als eine freie Produktio n.us Die traditionelle Hermeneutik will dem Leser von Texten einige Regeln für das Verstehen an die Hand geben. ab Schleiennacher soll die Hermeneutik wesentlich mehr leisten. Sie soll eine philosophische Hermeneutik werden, die mit dem Versprechen einhergeht, in einem universalen System, alle Wirklichkeit zu verstehen. In freier Produktio n wird ein Text erstellt, und in freier Reproduktion wird er verstanden. Seit sich zu Anfang der Neuzeit die Wissenschaft in die zwei Kulruren der Naturwissenschaft und der Geisteswissenschaft aufgespalten hatte,6 ist die Hermeneutik zur Grundtugend des Geistes-Gdehrten geworden. Den Anderen als den Anderen verstehen, ihn nicht unterwerfen oder missio nieren, diese Forderung hat weitreichende Fo lgen gehabt und die Geisteswissenschaften stark historisiert. Für die Geschichte und die Literatur lag die Hermeneutik immer schon nabe, denn diese haben es weniger mit Sachen als mit individuellen Meinungen Nietzsche: VII 34 [253]; April-Juni 1885; 506. , God2mer. W.J"b.it.ndMethod. (1961J), 172; 184. , Vgl. Snow: Tbe two C.Jtures: Anti a &conti Look (1959). 4
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zu tun, die man erst als solche verstehen muß, bevor man sie aus anderen Ursachen erklären kann. Aber auch Philosophie und Theologie wurden seit 1800 stark hermeneutisch umgebaut und damit mehr als Meinung und weniger als Wahrheit vorgestellt. Die wohl wirksamste Gestalt dieses Umbruchs war eben Friedrich Schleiermacher. Seine "Hermeneutik bedeutete wegen ihrer Begründung des Verstehens auf das Gespräch und die zwischerunenschliche Verständigung überhaupt eine Tieferlegung ihrer Fundamente ... Die Hermeneutik wurde zur Grundlage for alle historischen Geisteswissenschaften, nicht nur für die Theologie. Die dogmatische Voraussetzung des maßgeblichen Textes ... ist nun verschwunden.« 7 Mit diesen Worten nennt Gadamer im ,Historischen Wörterbuch der Philosophie' das Ziel: In einer strengen Hermeneutik soU die Dogmat:ik, die Autorität und der Sach- oder Wahrheitsbezug möglichst ausgeschieden werden. Allerdings ist nicht ganz klar, welche Voraussetzung des Textes verschwinden soU. Nehmen wir als Beispiel die Hl. Schrift! Für die Theologie ist sie der kanonische Text. SoU nun ihre Maßgeblichkeit verschwinden, oder soU das kirchliche Dogrru. verschwinden, damit der heilige Text wieder frei sprechen kann? Diese Doppeldeutigkeit ist kennzeichnend für alle Beschäftigung mit der Hermeneutik: Man kann die eigene oder fremde Meinung immer von oeuem einklammern und suspendieren, aber immer von neuem ist ein Anspruch da, der Geltung verlangt. Hier zwn Beispiel ist es der Anspruch, das Einklammern der eigenen Meinung sei ein gmes Ziel und deshalb erstrebenswert! Oder die Vielfalt der Meinungen sei besser als ihre Einheitlichkeit! Hier wird die Beunruhigung deuclich, die auch Gadamer gespürt hat. Die Henneneutik kann sich nicht selbst begründen; in das Verstehen der eigenen oder der fremden Meinung reicht eine Vorgabe hinein, die man auch dogmatische Vorgabe nennen kann. Welche Eigenschaft hat diese Vorgabe? Dogma oder Autorität oder Wahrheit treten mit dem Anspruch auf, Meinungsbildner zu sein, ohne selbst der Meinung zu unterliegen, auch wenn die Artikulation von Dogma, Autorität oder Wahrheit in der Gestalt einer Meinung auftritt. Wer diese Doppeldeutigkeit nicht sehen will, geht ständig in die Falle der Retorsion. Das Wort ,Dogmatik' wird von Gadamer polemisch gebraucht, oder genauer gesagt, er beschreibt eine hermeneutische Position, die meint, selber keine Dogmatik zu haben oder sich immer wieder von ihr lösen zu kö nnen. Ich würde ruhiger sagen: Man kann sich bemühen, die Wahrheits frage einzuklammern, um freier zu sein in der Untersuchung von Meinungen. Das führt zu einer Erweiterung des Horizontes. Ich muß nicht mehr dies glauben und jenes verwerfen, ich kann jetzt einfach sagen: Sieh mal, da hat einer dies geglaubt und der andere hat das gemeint. Eine große Freiheit ohne Zweifel, das zu einem gewaltigen Wachstum des Wissens von der Geschichte geführt hat.! Wenn die Hermeneutik nur , Gacbmer: HtrrneneMtÜt, 1064.
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,Die Füll< der sebr wahren Meinungen' 85 Henneneutik bleibt, fragt sie gewö hnlich nicht, o b dies oder jenes wahr ist, sondern wie dies oder jenes gemeint ist oder wann es zum ersterunal gesagt und wiederho lt wo rden ist. Wegen dieser Stellung zur Wahrheitsfrage. wegen der Neigung zur Schlagseite, habe ich, bei aller Leistung. schließlich doch immer eine Reserve gegen Hermeneutik behalten.
Hegel gegen Henneneutik. Daß eine reine Hermeneutik ohne Bezug zur Wahrheits frage teuer erkauft sein kö nnte, das war auch zu Z eiten Schleieonachers nicht unbemerkt geblieben. Den aufko nuneoden Historismus schauten auch damals schon einige bedenklich an. Ich bringe den klassischen Einwand von Hegel. Er schreibt am 3. Juli 1826 an den zum Histo riker gewo rdenen Theologen Tholuck: " Verdient die ho he christliche E rkenntnis von G o tt als dem Dreieinigen nicht eine ganz andere E hrfurcht, als sie nur so einem äußerlich histo rischen G ange zuzuschreiben? In Ihrer ganzen Schrift habe ich keine Spur eines Sinns für diese Lehre fühlen und finden können. Ich bin ein Lutheraner und durch Philosophie ebenso ganz im Lutherrum befestigt. Ich lasse mich nicht über solche G rundlehre mit äußerlich historischer Erklärungsweise abspeisen. Es ist ein hö herer G eist darin, als nur solcher menschlichen Tradition. Mir ist ein G reuel, dergleichen auf eine Weise erklärt zu sehen, wie etwa clie Abstammung und Verbreitung des Seidenbaues, der Kirschen, der Pocken u.s.f. erklärt wird .«B Wie Heget dann selbst den hö heren G eist gefunden und die göttliche Dreieinigkeit mit seiner Lehre vo n der Weltgeschichte angefüllt hat, braucht uns jetzt nicht zu beschäftigen. O der doch nur insofern, als er mit seinem beherzten Z ugriff auf den hö heren G eist, den Charakter der erprobenden Meinung, den jede Sachaussage no twendig bei sich trägt, vielleicht unterschätzt hat. .Les extremes s'eclairent - Die E xtreme beleuchten sich!' Wenn ich Heget sehe, bin ich für Hermeneutik, wenn ich ScWeiermacher sehe, bin ich für D ogmatik.
Der Haltungsfehler, Mehr und mehr schien mir die bloße Hermeneutik, wenn nicht an einem Geburtsfehler, so doch an einem Haltungsfehler zu leiden. Die Übung. die Wahrheits frage zu suspendieren, also erst eirunal beiseite zu lassen und die Meinungen, Ideen und Sys teme histo risch zu betrachten, ist no twendig. um den anderen Menschen oder die andere Kultur zu verstehen. Um in dieser Kunst geübt zu sein, mußte man die Wahrheitsfrage aufschieben, um immer wieder den anderen, um viele andere zu hö ren. Natürlich ist es vom Prinzip der Hermeneutik nicht ausgeschlossen, schließlich zur Wahrheitsfra.ge zurückzukehren, aber ... Ja, hier steht ein großes Aber. Leider! Der Mensch ist ein endliches, beschränktes Wesen mit begrenzten Kräften, sein Tag hat 24 Stunden, davon ist er kaum mehr als die Hälfte wach, seit Leben währt 70, höchstens 80 Jahre, wo ran uns mit erho benem Wahrheits finger der Psalm 90 erinnert. • Hege!: Briefe von und an HegJ. 2; 61 .
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86 Vieter Hal/rup
Die hermeneutische Kunst endete bei manchen, vielleicht bei allzu vielen, in der endgültigen Suspension der Wahrheitsfrage, und das machte mich stutzig. Von Gadamer gibt es die schöne und folgerichtige Geschichte, die er selbst gerne mit Blick auf Leibniz erzählt hat: " Ich billige fast alles, was ich lese:(9 Von der Bibel bis zu Marx, von Plato bis zu Heidegger, von Antonius dem E insiedler bis zur Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, es hat alles etwas für sich. Aber kann ich die Wahrheits frage wirklich weglassen und sagen: Ob eine Gesellschaft religiös ist oder rucht, o b eine Wirtschaft sozialistisch ist oder kapitalistisch, das ist eine Frage der Meinung und des mehrheitlichen Ko nsenses? Wir werden sehen! Wer zu spät kommt mit der Änderung seiner Meinung, den bestraft das Leben. Die Toleranz der Hermeneutik hat ihre Möglichkeit selbst in der Wahrheit, denn die bloße Lüge kann nicht existieren, überall muß sie von der Wahrheit Gebrauch machen, deshalb ist auch überall das Kö rnchen Wahrheit zu finden, die Particula veri. Aber die Aufhebung der Wahrheits frage kann auch in wenig angenehmer Gestalt einher ko mmen. Ihr zweifelhaftes Gesicht zeigt die Hermeneutik etwa bei dem amerikanischen Philosophen Rorty. E r verkündet in seinem Buch ,Wahrheit und Fortschrite ganz zu Anfang: ..Es gibt keine Wahrheit " Seine E ntdeckung erklärt er damit, daß ihm die Pendelbewegungen zwischen Dogmatismus und Skeptizismus zunehmend lästig geworden sind, weil die einen erklären, es gebe Wahrheit, und die anderen. es gebe irruner nur Meinungen. Nach seiner Meinung soll der Skeptizismus allein herrschen, dann gibt es keinen Skeptizismus mehr und keinen dogmatischen Anspruch auf Wahrheit. Wenn wir .,die Unterscheidung zwischen Schein und Sein"IObeiseite legen, wie er möchte, dann kö nnen wir uns die langen Diskussionen, was wahr ist und was nicht, sparen: Jeder hat seine Meinung. Welche Meinung gilt aber? Jetzt kommt die häßliche Seite der suspendierten Wahrheit ans Licht. Jetzt wird die Toleranz diktato risch. Es gibt keinen Richter mehr, der im N amen der Wahrheit über der Fülle der Meinungen das Recht spricht, es gibt nur noch die starke und die schwache Meinung. Die Meinung des Starken also setzt sich durch, womit wir auf die Linie von N ietzsehe eingeschwenkt wären, der das Evangelium vom starken Leben verkündet hatte und dem sich Rorty nahe fühlt. Nietzsehe ist der vollendete Henneneutiker, weil er im Kampf ums Dasein die Meinung als Wahrheit realisieren will. E r fo rdert die in der Achsenzeit um 500 vo r Chrisrus gebrochene Adelsherrschaft zuriick: Gültig ist, was der adlige Herr durch seine starke Tat als gültig setz t. Er verkündete: Wenn ihr über viele Generationen ganz nach eurem Willen lebt, dann werden dereinst eure Urenkel narurbestimmt geboren werden. Der Übermensch ist das Kunstgebilde, das aus der Meinung die Wahrheit machen soll. Zurecht
, F AZ 24. Sept 1983. 10 Rorty: WahrheU und Fortschritt, 7.
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,Die Fülle der sebr wahren Meinungen' 87 nannte Nietzsehe sich selber lieber einen Philologen als einen Philoso phen. 1I Der Philosoph lebt in der Differenz zwischen Meinung und Wahrheit, der Philologe kümmert sich nicht darum. er sieht bei allen Meinungen von der Geltung ab. Nur sein Ich muß er noch gelten lassen. Gerade der Philologe hat keinen Maßstab, einem Text Schwindel anzuhängen. denn ohne Unterschied von Sein und Schein enthält der Text nur die Meinung des Autors. Aber ist die Wirklichkeit so plastisch. daß sie sich den Meinungen fügt? Die extremen Vertreter einer vo n der Wahrheit und Dogmatik befreiten Hermeneutik haben das gewünscht. Diese allzu sehr auf die Spitze betriebene Suspension der Wahrheitsfrage ließ mich auf Distanz zu aller Hermeneutik gehen. Jetzt, da ich aufgefordert bin, über die Hermeneutik des hl. Augustinus im Buch 12 der Confessiones zu berichten. steigt mir das alles wieder in den Sinn, deshalb der lange Anlauf zu Augustinus.
Kampf um die Macht. Wir schwimmen im Nietzscheanismus, meinte Emmanuel Levinas über die geistige Lage des 20. Jahrhunderts.12 Sollte Nietzsches Sieg über Wahrheit und Wirklichkeit endgültig sein, auch für das 21 . Jahrhundert? Hat die Meinung und die Meinung über die Meinung die geistige Weltherrschaft endgültig angetreten? Ich lese eine N o tiz von dieser Art ..Der Kampf um die Macht wird letztlich durch die Wahrheit entschieden."!) Zu ergänzen ist wohl: ... und nicht durch Taktik, nicht durch Meinung, nicht durch Konsens. Der Satz aus dem Jahr 1979 stanUnt von meinem philosophischen Lehrer von Weizsäcker. er scheint mir ein helles Licht auf die Frage von Wahrheit und Hermeneutik zu werfen. Vo rläufig sind Meinungen mächtig. und die Hermeneutik tut gut daran, Meinungen zu erfo rschen, die alten und die neuen. Sie beobachtet damit Machtverhältnisse. Wir hatten in den letzten 150 Jahren folgende Gro ßmeinungen: Erste Meinung: .Die Religion wird absterben.' Nach Auguste Comte und dem Dreistadiengesetz folgt auf das Zeitalter der Religion die Epoche der Philosophie und dann das endgültige Stadium der Wissenschaft.l~ Diese Überzeugung war im 19. Jahrhundert einigermaßen plausibel. weil die zweite Meinung plausibel erschien. Zweite Meinung: ,Die N atur ist alle Wirklichkeit und wird von der Naturwissenschaft in vollständiger Weise beschrieben.' Die klassische Physik insbesondere "ln der That, man ist nicht Philolog und Ant, o hne nicht zugleich auch Antichrist zu sein. Als Philolog schaut man nämlich hinter die heiligen Bücher, als Arzt hinter die physiologische Verko mmenheit des typischen Christen." N ietzsche: Der Antichrist (1888), N r. 47. t2 " Erneutes Überdenken, das kaum vorstellbar ist in einer Welt, in der N ietzsche untreu zu werden - selbst werm rtWl frei von aller nationalsozialistischen Infizierung SO denkt - als Blasphemie (dem Tode Gottes zum Trotz) gilt." Levinas: Jenseits des ~ns oder anders als
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Seinypchieht (1974), 379. Weizsäcker: Wahrnehmung du Neuzeit, 314. VgL lAlbac: ~ Tragödie des HumanismllS ohne Gott (1944).
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88 Dieler Hat/TUp glaubte die Zukunft wenigstens im Prinzip berechnen zu kö nnen. Duaus folgt dann als dritte Meinung die zukünftige Gestalt der gesellschaftlichen Ordnung. Dritte Meinung: .Der K ommunismus ist der gesellschaftliche Weg in die Zukunft. weil er als wissenschaftlicher Sozialismus auf die siegreiche Naturwissenschaft gegründet ist.' Die Ostpolitik der Bundesregierung in den siebziger Jahren beruhte wenigstens auf dem G rundsatz, daß der ko mmunistische Ostblock auf unbestimmte Zeit weiter existieren werde. Alle diese Meinungen sind untereinander vetWandt und für einen tieferen Blick vielleicht als einzige Meinung zu erkennen. Möglicherweise ist die Meinung diese, daß der Mensch sich selbst erschaffen und begründen kann. ohne einer Wahrheit oder einer Sache zu bedürfen, die seinem Willen vo rausliegt. Diese dreieinige Meinung wurde von weiten Teilen der wesdichen intellektuellen Welt getragen, die Abkehr von ihr vollzieht sich langsam, mit Z ähneknirschen und gegen den erklärten Willen dieser Intellektuellen. Mit Sigmund Freud, der selbst zu dieser dreifach-einen Meinung neigte, läßt sich vielleicht von ver.welgerter Trauerarbeit sprechen. Mit diesen drei Beispielen habe ich meine Skepsis gegen die Hermeneutik verstärkt und mir d en Satz verständlich gemacht Der Kampf um die Macht wird letztlich durch die Wahrheit entschieden . Als mir daher die Aufgabe zuteil wurde, über die Hermen eutik im 12. Buch der
Confessiones zu sprechen, war damit nicht gerade mein Lieblingsthema getroffen . Je länger ich mich jedoch mit der augustinischen Hermeneutik beschäftigt habe, um so mehr habe ich gesehen, daß er den Fehler der E inseitigkeit. den ich bei der Hermeneutik der Neuzeit als Haltungs fehler vermute, schon auf den ersten Blick nicht begeht. und das macht das Buch 12 der zenswerL
Confessiones so schät-
2. Zwei Pole im zwölften Buch
Sacballssage. Der erste Blick zeigt: Das henneneutische Buch 12 der Confessiones handelt gar nicht nur von der Hermeneutik, sondern auch von der Wahrheit. und zwar in ziemlich dogmatischer Weise. Auf die Wahrheit setzt Augustinus sein ganzes Leben, und die hermeneutischen Abschnitte. die es tatsächlich gibt. sind für die Wahrheits findung ein Hilfsmittel. Der ,Himmel des Himmels', seine Existenz und seine Eigenschaften, bilden in Buch 12 die zentrale Aussage, Augustinus ruckt sie bei der Auslegung von Genesis 1 in die rvfitte seiner Schöp fungslehre. Das ist seine Lehre oder seine Dogmatik. Der ,l-limmel des Himmels' ist nach ihm eine geschaffene Wirklichkeit, die nicht ganz der Not der Geschöpfe unterliegt. Deren Hauptmangel ist die Aüchtigkeit Jeder Zeitraum zerfillt in drei Teile, selbst eine Stunde ist nicht bloße Gegenwart, sondern setzt sich aus flüchtigen Teilen zusanunen (11 ,20: .et ipsa una ho ra fugitivis particulis
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agitur'). Aber mit dem ,Himmel des Himmels' gibt es Ho ffnung. Obwohl er im Grundsatz veränderlich ist, hat er Anteil an der Ewigkeit Gottes. Freudig ruft Augustinus aus: ,Die selige Wonne, Dich anzuschauen. hält ihre starke Veränderlichkeit in Schranken - valde mutabili[atem suam prae dulcecline felicissimae contemplationis Nae cohibet.' (12,9) Das ist die Sachaussage in Buch 12, man kö nnte auch sagen die dogmatische Lehre. Sie triu zwar in Gestalt einer Meinung auf, will aber einen Sachverhalt sagen, der nicht nur Meinung ist. Wer eine bloße Meinung vertritt, muß den Sachverhalt herstellen, den er vo rbringt. Aber wer hier die Meinung vertritt, kann die Wirklichkeit nicht garantieren, die er aussagt. Augustinus kann den ,Himmel des Himmels' nicht schaffen, trotzdem spricht er vo n ihm. Der erste Schwerpunkt vo n Buch 12 liegt in den Paragraphen 3 bis 16. In ihnen deutet Augustinus die Mosaischen Wo rte aus dem ersten Vers der Bibel: ,Du hast Himmel und Erde gemacht - fecisti caelum et ten:am' nach dem Maßstab der entflüchtigten Zeit. a Um das geeignete Stichwort zu haben, nimmt er den Vers 16 aus dem P salm 113 hinzu, den wir heute als Psalm 115 zählen: ,Der Himmel des Himmels gebö rt dem Herrn, die E rde aber gab er den Menschen - caelum caeli domino: terram autem ded.it filiis hominum'. Den ,Himmel des Himmels' will er verstehen, wie er zu Anfang des ersten Hauptteils sagt (12,2: ,sed ubi est caelum caeli., domine, de quo audivimus in voce Psalmil Dessen Wirklichkeit interessiert ihn, seine Wahrheit will er finden, denn der ,Himmel des Himmels' soll der Entflüchtigung der Zeit dienen und damit der Erlösung des in die flüchtige Zeit zerstreuten Menschen.
Fünf mögliche Auslegungen. O bwohl Augustinus so stark interessiert ist an der Gültigkeit seines Verständnisses vom ,Himmel des Himmels', bat das Buch 12 einen weiteren Schwerpunkt. Dieser zweite Teil ist dem ersten an Umfang sogar dreimal überlegen. Es ist das sogenannte hermeneutische Thema, in dem der Bischo f vo n Hippe vier andere Deutungen darstellt, die von seiner eigenen abweichen. Von .. fünf möglichen Auslegungen" zu Gen 1,1 spricht Comelius Mayer in diesem Falle,I6 von vier fremden und von seiner eigenen Deutung. Das ist auffillig: Den grö ßeren Teil vo n Buch 12 in den Paragraphen 17 bis 43 widmet Augustinus nicht der Frage, welche von den fünf Deutungen er für richtig hält, das hatte er ja mit seiner eigenen Deutung gerade getan. Er untersucht vielmehr den Rahmen möglicher Deutungen, die vo neinander abweichen. Er handelt also von verschiedenen legitimen Sinngebungen durch unterschiedliche Deutungen. E r fragt: Wann ist eine Deutung unzulässig, wann ist sie zulässig, selbst wenn sie von meiner eigenen Deutung abweicht? IS
Die. Wortwahl gehl auf Norben Fischer zurück. Vgl. Den.: Omfossroms 11. ,Distmrw
.nimi'. I' Maya. Omfmro1US 12. •CaJllffl CM/i', 582.
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90 Dieter Hattrup Zu Beginn der Buches 11 hatte er ausgerufen: .Laß mich hö ren und begreifen, wie Du im Anfang Himmel und Erde gemacht hast - audiam et intellegam, quomodo in principio fecisti caelum et terram.' (11,5). Jetzt in Buch 12 ist er noch immer beim ersten Vers, aber nicht mehr bei dem ,Im Anfang', sondern bei ,Himmel und Erde'. Er nimmt auch noch ein Stück aus dem zweiten Vers hinzu: ..Die E rde aber war unsichtbar und ungeordnet und Finsternis war über dem Abgrund" . Vor allem nurunt er den ,Himmel des Himmels' aus Psalm 11 5 hinzu, den er als glücklichen biblischen Ausdruck in die Mitte seiner Schö p. fungsiehre ruckt. An diesem Material also erprobt er seine Sachmeinung. im Bewußtsein dessen, daß die Sache das eine ist und die Meinung von der Sache das andere.
HeJJuenelltik in Bilch 12/ Hier stellt sich mir eine Frage zur Wo rewah!, die ich nicht ganz befriedigend beantworten kann. Was sollen wir unter Hermeneutik verstehen? Oben hatte ich, im Sinne Schleiermachers, den Sprachgebrauch vo rgestellt, Hermeneutik sei die Begründung des Verstehens auf das Gespräch und die zwischerunenschliche Verständigung. Wie die hermeneutische Tradition vielmals gemeint hat, gelingt das am besten ohne dogmatische Voraussetzungen, also ohne Bezug auf eine autoritative Sachaussage, von der jeder, der sie macht, behaupten muß, sie solle gültig sein. Wenn ich bei einer Sachaussage nichts Gültiges zu sagen beabsichtige, kann ich gleich den Mund halten. Wenn wir also diesen starken Begriff von Hermeneutik nehmen, der sich von Auto ritäten frei· halten ~ dann haben wir es bei Augustinus mit einer unsauberen Hermeneutik oder mit gar keiner Hermeneutik zu tun. Man kö nnte höchstens sagen, daß er neben dogmatischen auch methodologische Fragen untersucht. Denn die dogmatischen Voraussetzungen beim Verstehen macht er ganz klar. Wer diese nicht einhält, den nennt er einen H ostes, einen Feind, und wünscht ihm den Tod an den Hals. Das heißt, er wünscht solchen Leute den Tod der Bekehrung, damit sie nicht mehr Go ttes Feinde seien, ,et non sim hostes eius' (12,17), sondern in ihm zum neuen Leben kommen. Bei diesen Feinden, den ,hostes' oder ,reprehensores' der heiligen Schrift, steigt er also aus der hermeneutischen Weite aus und besteht auf der Autorität der Schrift. Die dogmatische Voraussetzung des maßgeblichen Textes ist bei ihm, im G egensatz zu o ben, nicht verschwunden. Mit Sicherheit wird man sagen können, daß mit den Feinden die Manichäer gemeint sind,I7 die den G edanken einer guten Schö pfung heftig ablehnen und keine Erlösung für die zeitliche Welt erkennen wollten. Vielleicht sollte man auch die N euplatoniker zu den Feinden der Schöpfungslehre rechnen, da sie als Philoso~ phen eine göttliche Offenbarung vo n vornherein abweisen.I! Jedenfalls ko nnte Augustinus während seiner langen manichäischen und seiner kurzen neuplato~ 17 11
0 111, 3 16. Solignac: Divenite, BA, 14,606.
,Die Fülle der sehr wahren Meinungen' 91 nischen Phase den Schöpfungsbericht der Bibel nicht annehmen. Also sind die ,hostes', die Gegner der Schäpfungslehre, für ihn wohl die Manichäer und die Neuplato niker. Die Hermeneutik Augustins, die er zur Zeit der Abfassung der Confessiones in seinen vier Büchern De doctrina cbristiana niederlegt, betont das Problem des Verstehens gerade auf der anderen Seite als die neuzeitliche Hermeneutik. Das Handbuch soll dem Christen helfen, sofern er Bildung sucht, diese nicht mehr von Cicero und der Rheto rik zu übernehmen, sondern von der Bibel. Es geht Augustinus nicht um die Verwerfung von Autorität, sondern um die Wahl der richtigen. De docuina christiana will eine Gebrauchsanweisung sein, die hl. Schrift zu lesen, deren Autorität der Christ eben durch sein Christsein anerkennL Chrisrwerden hieß für Augustinus selbst, endlich eine Autorität anerkennen zu kö nnen, die ihn nicht wieder enttäuschen würde. O hne jede Autorität auszuko mmen, sei es ohne die Autorität der Meinung oder sogar ohne die Auto rität vo n Sachverhalten, diesen titanischen Versuch hatte erst die Neuzeit in die Wege geleitet. Augustinus war einfach enttäuscht über die Autoritäten, die er der Reihe nach probiert hatte. Die frühe Lektüre der Bibel, die Manichäer, die Rhetoriker, die Neuplatoniker, nichts konnte auf Dauer seinen Fragen standhalten. Typisch ist, wie er in den Confessiones seine Hinwendung zu den Manichäem erklärt: Er sieht den Eintritt in ihre Sekte vor allem als sein Versagen an, die Autorität der Bibel anzunehmen. ,Sie erschien mir unwürdig im Vergleich mit dem Wert eines Cicero - sed visa est mihi indigna, quam TlIllianae dignitati compararem!' (3,9)
Hel meneutik des doppelten Pols. Also eine Hermeneutik als Kunst des Verstehens gibt es wo hl bei Augustinus in Buch 12 und anderswo. Aber es kommt ihm nicht in den Sinn, keine Autorität annehmen zu wollen, er ist nur eben auf der Suche nach der richtigen, die Sachverstand und Legitimation genug besitzt, um ihn zu belehren. Hermeneutik heißt die Suche nach der richtigen Lehre und das richtige Verständnis dieser Lehre. Allerdings weiß Augustinus, daß diese wahrheitsgenchtete Lehre nur in der Fonn der Aussage, also als MeiDung erscheinen kann. ,Wir alle lesen den Text und bemühen uns, darin einzudringen, um die Meinung dessen zu verstehen, den wir lesen - omnes quidem, qui legimus, nitimur hoc indagare atque comprehendere, quod voluit ille quem legimus: (12,27) Nicht Loslösung von dogmatischen Voraussetzungen, um den Pol der Subjektivität ganz rein in der Hand zu haben, sondern Suche nach der wahren Autorität, die verstanden werden muß, um angeno mmen zu werden, das ist die hermeneutische Grundsituation hier. Dieser nicht aufgelöste Doppelpol weckt Ve.ttntuen, wenigstens bei mir. Er nimmt die Erkenntnissituation des Menschen ohne Verkürzung in den Blick. In jedem Sagen oder Meinen gibt diesen doppelten Bezug: Ich rede zu jemandem über etwas. Das ist der Personalbezug und Sachbezug in jeder Rede! Aus dieser
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Grammatik gibt es keinen Ausstieg. weil es keinen Ausstieg aus der Gestalt von Subjekt und Objekt gibt. Ich erkenne einen Gegenstand nur über eine Meinung. über meine eigene, die ich rede, oder eine fremde, die ich mir anhöre, und die ich billige oder nicht billige. So habe ich wiederum eine Meinung. Umgekehrt ist eine Rede leer und bloßes Wortgeklingel, wenn sie keinen Gegenstand hat Ich rede zu jemandem, subjektive Seite, über etwas, objektive Seite. Ich meine, wer diese Spannung aushält, ist gegen Ideologie gefeit. Das eben sehen wir hier bei Augustinus. Er ist dann interessiert, daß sich die Sache so verhält, wie er in der ersten Hälfte von Buch 12 darlegt, aber er weiß, daß die Sachdarstellung durch eine Meinung geht, seine eigene, ohne sich darin zu erschöpfen, denn dann wäre die gemeinte Sache wertlos. Dabei kann man nicht sagen, daß er diese Erkenntnis-Situation ausdrücklich vor Augen hätte. Die Spannung zwischen Subjekt und Objekt ist eine neuzeitliche Situation. Sie hat in der cartesischen Unterscheidung oder, vielleicht besser gesagt, in der cartesischen Trennung von ausgedehnter Substanz, res extensa, und denkender Substanz, res cogitans, ihren wirkmächtigen Ausdruck gefunden hat. Bei Augustinus Wtt die Erkenntnis-Situation in anderer Gestalt auf. Er spricht von Außen, Innen und dem Innersten, von ,foris, intus, intimum'. Man könnte im Außen das neuzeitliche Objekt und im Inneren das Subjekt sehen, was insofern richtig ist, als die augustinische Introspektion die neuzeitliche Subjektivität entscheidend gefördert hat. Und es ließe sich die Entflüchtigung des Zeitlichen als neuzeitliche Suche nach den bleibenden Gesetzen der objektiven Natur ansehen. Aber der große Unterschied ist die Wirklichkeit des Intimum, also die Wirklichkeit Gottes, in der die Zweiheit von Innen und Außen schon überwölbt ist von einer Einheit. In Gott ist das Drama von E rkcnnm.is und Anerkennm.is. der Gegensatz zwischen Waluheit und Meinung schon zum Ausgleich gebracht. 19 Ich vermute, weil Augustinus eine überwölbende Wirklichkeit kennt, die ihm die Einheit von Subjekt und Objekt gibt, kann er die Situation aushalten: Er muß weder die Meinung des Subjektes naruralisieren. noch diese Meinung zum alleinigen Aufbau des Weltbezugs zu nehmen. Eben das sind die heiden Gefahren der cartesischen Trennung von ausgedehnter Substanz, res extensa, und denkender Substanz, res cogitans. Materialisten und Idealisten können sich heide gut auf ihren Ahnherrn Rene Descartes berufen.
19
Vgl. Fischer: Augustins Weg
der Gottessuche.
,Die Fülle der sehr wahren Meinungen' 93 3. Der ,Himmel des Himmels'
Die ETlö'''''g der Zeit. Wir denken an die Mahnung Hegels, sich über die Grundlerucn nicht mit einer äußerlichen historischen Erklärung abspeisen zu lassen, sondern den höheren Geist zu suchen. Deshalb soll die Henneneutik Augustins nicht ohne seine Schöpfungslehre vorgestellt werden, an der er in Buch 12 seine Grundsätze zur Bibelauslegung erläutert. Die zentrale Aussage, die Sachaussage von Buch 12 ist der ,Himmel des Himmels', ihretwegen rühmt Augustin seinen Schöpfer. Obwohl diese geistige Schöpfung, .Dir, dem Dreieinen, keineswegs gleichwertig ist, hat sie dennoch Anteil an Deiner Ewigkeit - quamquam nequaquam tibi, ttinjtati, coaetema, particeps tamen aetenUtlltis tuae.' (12,9) Durch den ,Himmel des Himmels' wird Erlösung für diese flüchtige Welt möglich. Der Bischof von I-lippo hat noch viele andere Worte für diesen wertvollsten Teil der Schöpfung. wie etwa ,das ursprünglich Gestaltete - primitus fonnarum< (12,16), ,die erhabene Kreatursublimen crearura' (12,19) und weitere. Erlösung für ein geschaffenes Wesen bedeutet, Gottes Ewigkeit und Unwandelbarkeit ohne jede Unterbrechung durch Wandel zu genießen, ,sine ullo intervallo mutationis ... perfruatur' (12,15). Woher mag Augustinus die Vorstellung haben? Man könnte an das kontemplative Lehen denken, das er nach seiner Bekehrung in Cassiciacum und Ostia gefiilut und das er in seiner Heimat Notdafrika fortsetzen wollte. Fünf Jahre nach seiner Bekehrung, im Jahre 391, aber war Augustinus aus einem Leben der Kontemplation in ein Leben der Sorge und Aktion geworfen worden. 20 Was er im Leben erspürt hat, findet jetzt in der I.ehre seinen Niederschlag, da ihm erst das Priester-, dann das Bischofsamt ein kontemplatives Leben nicht mehr gestattete. Aber er war damit einverstanden, da ihm ein volles besinnliches Leben auf Erden, wie es die heidnischen Philosophen als Ziel verkündet hatten, zunehmend als musion erschien. Wahr blieb das Ideal trotzdem, nur in dieser Welt nicht zu verwirklichen. Lebenslang hat er gemeint, daß er in den ruhigen Wochen und Monaten seiner Bekehrung um 386/87 Gott am nächsten war. Da hatte ich Anteil an Deiner unveränderlichen Ewigkeit, Du Schöpfer, wo das veränderliche Geschöpf ,ohne Unterbrechung Dich anschaut - sine ullo interval10 mUt2tionis'. (12,15) In I-lippo legt Augustinus die Erinnerung an Cassiciacum von der Erde an den Himmel., wo es zum ,Himmd des Himmels wird'. Die gleiche Art, die Zeit zu behandeln, hatte Augustinus schon in Buch 11 als einen Weg zur Erlösung beschrieben. Mit Norbert Fischer sollte man sagen, Augustinus will nicht die Zeit aufheben, sondern ihre Aüchtigkeit. "Das Ziel., das die Zeituntersuchung in Gang bringt und in Atem hält, ist keine Entzeitlichung. die man mit Recht als Ziel Plotins nennen kann, sondern die Entflüchtigung des Zeitlichen, worunter das Ende der Flüchtigkeit der fur kostbar gehaltelD Ep. 99, t, an I,,!ja: ,cuius litter:is grauittt Contrist2b sumus'.
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nen Zeit zu verstehen ist.'<21 Augustinus nimmt seine Siruation an. Weder will er werden wie Gott, noch will er sich wie ein Tcopfen Wasser im Meer der unendlichen Göttlichkeit auflösen. Er ruft aus: ,Ich will stehen und fest werden in Dir et stabo er solidabor in te.' (11 ,40) Augustinus kann keine Entwertung der Zeit wollen, weil Gott die Zeit geschaffen hat. in der wir das Leben haben. Du hast ,mich in der Zeit geformt - me formasti in tempore' (1,7), sagt er zu Anfang der Confessiones. Soll ich Deinen Willen, 0 Gott, ablehnen, da ,Du selbst die Zeit geschaffen hast - qwa ipsum tempus CU feceras'? (11,11) Rückkehr in das zeitlos Eine wäre für Augustinus die Flucht vor der Wirklichkeit, aber nicht ihre Erlösung. Die Wirklichkeit ohne Reduktion anzuschauen ist anspruchsvoller. Die Gegner Augustins sind zu allen Zeiten solche Reduktionisten gewesen, Flüchtlinge vor dem Ansturm der Wirklichkeit. die es allerdings auch, nicht ganz so zahlreich. unter seinen Anhängern gegeben hat. Der Unterschied von Buch 11 und Buch 12 liegt in der Vorstellung, die Augustinus sich von der endlüchteten Zeit machen kann . Buch 11 bcschttibt den Wunscb und Bucb 12 die Wirklichkeit der Entflücbtigung. Der ,Himmel des Himmels', mit dem gleich zu Anfang das Fragen anseczt. ist di.e entflüchtete Zeit: ,Wo ist der Himmel des Himmels, von dem wir im Psalm erfahren - Ubi est caelum caeli, de quo audi.vimus in voce Psalmi?' (12,2) In dieser Fragehaltung verbleibt Augustinus auch im wesentlichen. Die von der rastlosen Veränderung befreite Zeit liegt am Rande des VorstellllOgsverrnögens. Wie hei der formlosen Materie so scheitert die Vorstellung auch beim fo nnvollendeten Himmel des Hinunels. bei di.esen ,heiden Wirklichkeiten, die eine ursprünglich vollkommen gefonnt. di.e andere gänzlich ungefonnt - duo haec. primitus fo nnatum et penitu, informe'. (12,16) Das ist di.e hermeneutische Grundsituation bei Augustinus: Was er sich nicht selbst sagen kann, das läßt er sich sagen. ,Aber ich wollte wissen, nicht vermuten - sed nosse cupiebam, non suspicari.' (12,6) Er verzichtet darauf, seine Einbildungskraft zu befragen, wenn ihre Bilder und ihr Denken zur Antwort nicht ausreichen. ,Wenn Dir jeczt meine Stimme, meine Feder alle Einsichten aufzählen würde. die Du mir in di.eser Frage gegeben hast. welcher Leser würde di.e Geduld dafiir aufbringen - ... qui, legentium capere durabit?' (12,6) Die Herrlichkeit im ,Himmel des Himmels' ist nicht zu beschreiben, sie selbst beschreibt. was erlöste Zeit meint: ,Dieses Geschöpf har Deine Gegenwart immer vor Augen, sie hängt an Dir mit all ihren Fasern, sie hat keine Zukunft. auf di.e sie warten würde, sie geht in keine Vergangenheit über, an di.e sie sich erinnen, sie unterliegt keiner Veränderung und zerdehnt sich nicht in Zeiten - non habens fururum quod expectet oec in praeterirum uaiciens quod meminerit. nulla uiee nariarur nec in tempora ulla distendi.rur.' (12,12)
11
Fischer: ConjtsSiIJms 11. ,Distentwanimi', 506.
(XXH.21 b~
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Die Simultanscböpfung. Eine Besonderheit der augustinischen Schöpfungs. lehre ist noch zu erwähnen. Comelius Mayer meint, hier im Buch 12 der Confessiones sei die Lehre von der Simultanschöpfung zum erstenmal von Augustinus voll entfaltet worden. Die Paragraphen 9 - 14 stellt er deshalb unter den Titel ,Das Wesen der Simultanschöpfung<22, Auch der Sinn der Simultanschöpfung kann wohl nur in der Entflüchtigung der Zeit liegen . .Aus diesem Grunde schweigt der Geist, der Lehnneisrer Deines Dieners, vo n den Zeiten und spricht ruch, von Tagen, wenn er berichtet, daß Du im Anfang Himmel und Erde erschaffen hast - ideoque spiritus, doctor famuli tui., cum te commemorat feasse in principio caelum er terram, cacet de temporibus, silet de diebus.' (12,9) Das ist das Bekenntnis zur simultan hervorgebrachten Zeit. Nicht in sechs Tagen hat Go n sein Sechstagewerk geschaffen, sondern in einem einzigen Augenblick. Wie steht eine solche Lehre zu dem wörtlich ganz anders lautenden Bericht der hl. Schrift? Der ,Himmel des Himmels' ist wie rue simultane Schöpfung zwar ge· schaffen, aber wie sie nicht der veränderlichen Zeit untetWorfen. Wesentlich ausführlicher behandelt Augustious das Thema der Simultanschöp. fung in anderen Schriften. Die klassische biblische Stelle sieht er in Sir 18,l : .Der Herr, der in Ewigkeit lebt, hat alles insgesamt erschaffen. der Herr allein erweist sich als gerecht.' Diese Stelle erscheint in den Confessiones nicht, jedoch kurz darauf in dem 401 in Angriff genommenen und 416 abgeschlossenen vierten großen Genesis-Kommentar De Genesi ad litteram , Dieses ,creavit omnia si· mul' mit 24 Belegen wird zu einem Schlüssel text der Genesis-Auslegung. "Zu Recht gilt der lG.rchenvater als der klassische Vertreter der ... Lehre von der Simulcanschöpfung", urteilt Comelius Mayer abschließend.21
Piidagogik und He, meneutik. Mose aber erzählt es deutlich ande.rs: Die Welt ist von Gott in sechs Tagen mit einem abschließenden Ruhecag geschaffen worden. Warum erzählt er so? Augustinus antwortet Damit ,auch langsamen Köpfen - etiam sensu tardioribus' (12,4) ein Verständnis möglich ist. Man kann hier von "weiser Pädagogik":M der Bibel sprechen, die der Fassungskraft auch von weniger Begabten Rechnung tragen will, oder auch davon, daß Moses auf das ungebildete Volk Rücksicht nehmen wollte und " pädagogisch-didaktisch durchweg geschickt" in zeitlicher Abfolge erzählt, was der Sache nach in einem unvorstellbaren Augenblick geschehen ist. Augustinus rühmt die Pädagogik der Bibel tatsächlich an vielen Stellen. Die Leute, sagt er, stellen sich, wenn sie die Worte der heiligen Schrift hören, Gott oft wie einen Menschen vor, der mit gewaltiger Wucht ausgestattet ist und plötz· lieh zwei große Körper entstehen läßt, den Himmel und rue Erde. Das ist zwar Zl !)
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Confessiones 11. ,rat/14m CM/i', 596. Mayer: Omfessioru:s 12. ,Caell4m CM/i', 560. Mayer: ConjessicMs 12. ,OuJum cadi', 560; 579.
Maycr.
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eine simple Vorstellung, aber sie ist entschuldbar. Diese Leute sind wie kleine Kinder, deren Schwäche in der Ausdrucksweise von der Kirche ,wie in einem Mutterschoß getragen wird - tamquam materno sinu eorum gestatur infinnitas< (12,37).
Streit mit Hieronymus. Aber nicht jede Pädagogik will Augustinus fur die Bibel zulassen. Er hat einen langen Streit mit Hieronymus ausgetragen über die pädagogische Henneneutik der Bibel, eine Fehde, die zwischen 39 5 bis 405 und 415 bis 419 mit ausgesuchter Höflichkeit und letztem Ernst geführt wurde. Augustinus hielt die biblische Henneneutik des Hieronymus für zerstörerisch, er fürchtete, sie zerstöre die Autorität der heiligen Schrift. Der Einsiedler in Beth1e ~ hem hatte nämlich von Origenes den Einfall übemorrunen, 25 den Streit zwischen Paulus und Petrus (Gal2,ll) über das jüdische Gesetz nicht ganz ernst zu neh ~ men. Er sei eine pädagogische Finte gewesen, um die Judenchristen über die Gnade in Chrisrus zu belehren, denn die Apostel als Verkünder der Wahrheit könnten niemals im Ernst uneins gewesen sein. Hieronymus hatte diese orige~ nische Sicheweise in seinen Kommentar über den Galaterbrief aufgeno mmen. Augustinus war mit der pädagogischen Glätrung gar nicht einverstanden. 26 Für ihn war die Bibel die oberste Autorität christlicher Wahrheit, da ko nnte es keine Pilichtlügen des Petrus geben, keine ,mendacia o fficiosia', wie das Stichwort der Kontroverse lautete. Augustin schrieb in mehreren Briefen dem Hieronymus, er bedaure sehr, daß die Lüge durch diese Exegese in Schutz genommen werde. Ein Apostel könne nie lügen, die Bibel hat recht berichtet und der Streit zwi~ sehen Petrus und Paulus war echt. Der Bibel gestand Augustinus in jeder Hin ~ sicht irrtumslose Autorität zu. Wer daher an einer Stelle annimmt, die Bibel enthalte eine Lüge oder Täuschung, der setzt ihre Wahrheit aufs Spiel, weil dann nicht die geringste Kleinigkeit von der Kritik verschont wird, wenn eine Aussage lästig fallt (Ep. 28,3, ,nulla illorum libro rum partieula remanebit'). Eine Lüge kann niemals Heil vermitteln, sondern steht im Gegensatz zu Wahrheit und Heil. Deshalb wandte sich Augustinus generell gegen eine Lüge im Dienst der Hei1s~ vermittlung. wobei er den lateinischen Begriff ,mendacium o fficiosum', also Dienstlüge erfand. Ich habe keine rechte Erklärung dafür, warum Augustinus einmal so herzhaft auf deL wörtlichen Auslegung der W. Schrift besteht und das andeLe Mal ihre Pädagogik in den Vo rdergrund ruckt, und zwar ziemlich zur gleichen Zeit. Man kann seine Überzeugung ändern, aber zur gleichen Z eit zwei gegensätzliche Meinungen haben? Ob die Grundsätze deL eigenen Überzeugung irruner dann stark in Gefahr geraten, wenn sie den Interessen zuwideL laufen ? :5
:!6
Hieronym. ad Aug. inter Aug. ep. 75. c. 3. n. 6. Epist 28,3.4,40,3. Vgl. Augusrinus; Hieronymus: EpistulaeMutuae - Briefwechsel, 104; 122.
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,Die Fülle der sehr wahren Meinungen' 97 Das kann sein. Aber bevor wir Augustinus eine Inkonsequenz vo rhalten, sollten wir die These von der pädagogischen Verhüllung der Simultanschöpfung noch einmal überprüfen. Meint Augustinus wirklich, an sich lehre die Schrift die Erschaffung aller Dinge und Lebewesen in einem Augenblick, während die Darstellung vo n Genesis 1 in sechs Tagen für die ,langsamen Köpfe' besrimmt ist? Wenn man sich die Stelle über die Langsamkeit ansieht (12,4: ,sensu tardioribus'), so geht es do rt nicht um den ,Himmel des Himmels" sondern um das Gegenstück, die fo rmlose Materie. Wie soll etwas Formloses, fragt Augustinus in methodischer Bewußtheit, das ohne jede Gesca1t ist, ausgesagt werden? Das ist direkt unmöglich, denn jede Sprache braucht Worte, und Worte brauchen Vorstellungen, das aber sind Gestalten. Deshalb, sagt Augustinus, stellt Gott in der Bibel d en Menschen die gestaltlose Anfangsmasse sinnvollerweise als unsicht-
bare und ordnungslose Erde (G en 1,2) vor Augen, und zwar allen Menschen. Wenn diese Deutung richtig ist, gibt es kein pädagogisches Motiv in Paragraph 4, denn ein langsamer Kopf zu sein, das gilt für jeden Menschen. Die Spontaneität des Geistes wird gebremst durch die Sinne, und da jeder Mensch sinnlich, ist jeder Mensch gebrem st (tardior). Also sollte man den Anfang von 12,4 zur Verdeutlichung so übersetzen: ,Wie läßt sich das sagen, um auch uns langsamen Köpfen eine Vorstellung zu geben, außer durch ein alltägliches Wort? - Quid ergo vocarerur, quo etiam sensu tardioribus utcumque insinuaretur, nisi usitato aliquo vocabulo?' Wenn die Pädagogik. ausscheidet, dann ist aber die Frage unbeantwortet, wie Augustinus die Folge der sechs Tage mit seiner Simultanschö pfung vereinbaren will? Die Lösung ist vermutlich ganz einfach. Mit dem ,Himmel des Hinunels' schuf Gott im Anfang alles auf einmal, alle Gestalten von Sein und Leben in reiner Fo rm. Dieser kann nicht zeitlich zerdehnt erschaffen sein, weil er doch die Zeit zur E ntOüchtigung einsammeln soll. Es gibt nach Augustinus auch eine Erschaffung in der Zeit, aber erst nach dem ,caelum caeli'. In ihr werden die reinen, zeitlosen Formen mit der formlosen Materie gemischt, die aus Mangel an Gestalt auch zeitlos ist In der Mischung von Form und Materie entsteht die Zeit. Es schweigt der G eist, wenn er vom Anfang von Hinunel und Erde spricht, er redet nicht von Tagen (12,9: ,silet de diebus') , und er schweigt auf die gleiche Weise, wenn von der unsichtbaren und gestaltlosen Erde die Rede ist, auch sie wird nicht nach Tagen gezählt. (12,9: ,nec ipsa in diebus numerata est'). Entsprechend wird die Entstehung der Zeit selbst in der Schrift als in der Z eit entstanden dargestellt, in den sechs Tagen der Schöpfung. Die Zeitlosigkeit im ,Himmel des Himmels' entstammt nicht der Natur dieser vollendeten Geschöpfe, sondern entstarrunt ihrer Freiheit Sie könnten ihre Wandelbarkeit kundtun und damit die Zeit aktualisieren. sie tun es aber aus Liebe zum ewigen Gott nicht. Sie haben keine Zukunft, auf die sie warten würden, sie gehen in keine Vergangenheit über, an die sie sich erinnern. sie unterliegen keiner Veränderung
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98 Dieter Hattrup und zerdehnen sich nicht in Zeiten (12,12: ,non habens futurum quod expectet nec in praeteritum traiciens quod meminerit, nulla vice variarur nec in tempora ulla distenditur'). So hat sich Augusrinus ein zusammenhängendes Bild der Schöpfungslehre in Genesis 1 entworfen. Ein großer theoretischer Entwurf, der zudem noch die praktische Seite hat, daß der ,Hinunel des Hinunels' der geeignete Ort für ehe erfahrene und erhoffte Erlösung aus der Aüchtigkeit der Zeit ist! Daß zugleich eine Nähe zu Plotin vorliegt, sollte nicht verwundern. Augustinus knüpft in klassischer Weise in Parallele und Gegensaez an. Er anerkennt mit Plo tin das prekäre Verhältnis von Zeit und Ewigkeit, legt aber die Übergänge zwischen ihnen in ehe Freiheit der Geschöpfe. Nicht ein blindes Schicksal zerstreut das Eine in die Zeit und sarrunelt es wieder ein, sondern eine Entscheidung bewirkt das eine wie das andere. Für die erlösten Geschöpfe im ,Himmel des Himmels' gilt ,Die selige Wonne, Dich anzuschauen, hält ihre starke Veränderlichkeit in Schranken.' (12,9) Die ,s tarke Wonne' ist zwar auch ein Antrieb, aber sie Stammt aus einer anderen Quelle als die narurhafte Veränderlichkeit, sie kann sich dem Zwang der Natur entziehen.
4. Die ,Fülle der sehr wahren Meinungen'
Einheit und Differenz. Augustinus kannte wahrscheinlich eine ganze Reihe von Auslegungen zu Genesis 1, so daß er überlegen mußte, in welchem Verhältnis seine eigene Auslegung zu ihnen stand. Zuerst stellt er einige Forderungen an seine lieben Rivalen, die er ,contradictores' (12: 19, 22, 22, 34, 35) nennt, im Unterschied zu den ,hostes' oder ,reprehensores', die eben ehe Schöpfungsgeschichte in Genesis 1 nicht anerkennen. In den fünf Paragraphen 18 bis 22 nennt er runf Punkte, die anzuerkennen sind. Zentral ist die Überzeugung von der transzendenten Unveränderlichkeit des Schöpfers, an dem die Geschöpfe teilnehmen können, indem sie ,particeps tarnen aetemitatis tuae' (12,9) werden. Wie das geschehen kann, welche Meinung hier die Wirklichkeit des Schöpfers am besten trifft, darüber hat er selbst zwar die bestinunte Meinung vom ,Himmd des Himmels', will aber nicht alle anderen ausschließen. Die vier erlaubten abweichenden Auslegungen bringt Augustinus in den Paragraphen 24 bis 26 sowie 29 und 3D, die eines gemeinsam habe~ daß sie alle nicht seine Lieblingsdeutung vom ,Himmel des Himmds' übernehmen. Damit kann er leben, wenn nur keiner etwas ganz Falsches über die Schöpfung sagt und Moses nichts Falsches unterstellt. In der ,.Absicht des Berichterstatters - de ipsius qui enuntiat voluntate' (12,32) darf es umerschiedliche Deutungen geben. Die Wahrheit ist zwar nur eine, kann aber nicht in jedem Augenblick völlig ausgesprochen werden. Der Bericht des Mose trifft eine Auswahl, wie jede Meinung eine Aus-
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wahl aus dem trifft, was sie auch noch für wahr hält. Die Auswahl hängt davon ab, was im Augenblick für wichtig gehalten wird, wieder ein subjektives Element in der Vermittlung des Objektiven. In der Hermeneutik Augustins ko mmt es darauf an. die möglichen, aber unterschiedlichen Meinungen nicht in den Gegensatz laufen zu lassen, was leicht geschieht, weil der sündige Ehrgeiz die Ausleger leicht zu steilen Lieblings thesen verfuhrt. Deine Wahrheit, Heu, ruft er aus. ist ,weder die meinige noch die eines anderen, sondern die von uns allen - quoniam ventas tua nec mea est nec illius aut illius, sed omnium nostrum< (12,34) Daher sieht man, wie ,dwrun es wäre, bei der Fülle der seht wahren Meinungen, die man aus diesen Schriften ziehen kann, keck zu behaupten, nur eine sei die eigentliche des Mose - iam v ide, quam srultum sit in mnta copia verissimarum sententiarum ... ' (12,35) Wenn wir den Vorgang nicht vo n der praktischen, sondern von der intellektuellen Seite ansehen, können wir fragen: Warum müssen wir überhaupt deuten? Warum gibt es nicht einfach eine Meinung, die mit der Wahrheit eins ist? Augustinus sagt. weil wir die Z eichen auf die Dinge beziehen müssen, die signa auf die res. Im Paradies wäre das nicht no twendig gewesen, da hätte es die TrennWlg vo n Subjekt und O bjekt nicht gegeben und in der Fo lge auch keine Trennung in der Meinung zwischen Subjekt und Subjekt. In der Inmitio n, die uns ein Aha-Erlebnis beschert, sind wir manchmal mit dem Gegenstand oder mit einem anderen Menschen auf eine Weise verbunden, als ob es die Trennung nicht gäbe. Gewöhnlich aber, in dem vom Paradies entfremdeten Zustand, in dem wir uns befinden, müssen wir deuten, weil uns die Unmittelbarkeit fehlt, und Deutung ist Meinung. Wir suchen Wege, die uns zu den Dingen und den Personen führen, deshalb können wir uns der Wahrheit nur in der Gestalt der Meinung nähern. So wird die Meinung über die Wirklichkeit zwn Zeichen. Der infralapsarische Mensch, der Mensch nach dem Sündenfall, ist auf ,den Umweg der Z eichen, der Sprache, der Schrife angewiesen.v Die Intuition, die Schau, die Unmittelbarkeit, die Sueitlo sigkeit gibt es vollständig nur im Paradies, wo das Subjekt nicht vom Subjekt geuennt ist und das Subjekt nicht vo m Objekc Weil die Meinung über die Wahrheit gelegentlich gelingt, sind die Spuren des Paradieses in der Welt vorbanden. Damit erkennen wir in dem Wirbel von Unwissenheit und Streit Alles Handeln und Erkennen in der G eschichte will wieder in diese Ungeuenntheit gelangen. Hier stellt sich die Frage nach der Teleologie. Ob die Geschichte einen planenden Urheber ihres Daseins hat, ist seit der Kritik Immanud Kants nicht zu beweisen. Aber zu beobachten ist, daß Natur und Geschichte wie vo n einem Ziel gelenkt erscheinen und die Zweckmäßigkeit des Daseins irruner weiter erhö ben. Das Ziel der Geschichte scheint darin zu bestehen, ein Ziel der Geschichte zu schaffen. In diesem Ziel wäre das Paradies wieder erreicht. Z eichen und Wirklichkeit wären nicht mehr geuennt, weil alle Wirklichkeit der Geschichte in ihr n Mayer: Confessiones 12. ,Caelum caeli', 586.
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100 Dieter Haurup selbst hetvorgebracht wäre. Es würde nur noch die Meinung herrschen, die von der Wahrheit übu die Wirklichkeit ungetrennt wäre. Abu ist das noch aussagbar? Wo keine Zeichen sind, ist keine Sprache mehr. Oder besser gesagt, die Sprache wäre in ihr Ziel gekommen. Sie bciuchte dann nichts mehr zu vermitteln, sie würde nur noch verkünden, daß sie mit der gesamten Schöpfung im Ziel angekommen ist. Nicht mehr den Mangel zu beheben, wäre das Ziel der Sprache, sondern die Fülle zu loben.
Wahrheit und Interesse. Bis dahin ist abu noch ein Weg zu gehen, der nicht so sehr ein Weg der Erkenntnis, sondern der Liebe ist. Die Erkenntnis hat nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische. Oder sollten wir sagen, vor allem eine praktische Seite? Augustinus spricht nicht nur von der Erkenntnis durch Zeichen, sondern auch von der Liebe, die hier im Spiel ist oder verloren geht. Es ist die uninteressierte Liebe. die Caritas, nicht Amor. Er driickt es mit dem 1. Timotheusbrief aus, der das Ziel der Worte in der hl. Schrift nennt: die ,Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben caritas de corde puro et conscientia bona et fide non ficta' (12,27). Hier zeigt sich die Spannung von Dogmatik und Hermeneutik als Spannung zwischen Wahrheit und Interesse: Die Wahrheit ist in praktischer Hinsicht die Liebe, die alles Leben im Leben zu erhalten sucht. Die Meinung ist zunächst nur vo m partikularen Interesse gelenkt; sie kann sehr unwahr sein, wenn sie das Partikularinteresse gegen das Gesamtinteresse setzt. Sie kann wahr werden, wenn sie einen Weg findet, der auch das Interesse des anderen trägt, das ebenfalls nicht nur partikular sein darf.
Der Sinn der dogmatischen Voraussetzung. Eine radikale Hermeneutik, haben wir gehört, will die Dogmatik und ihre Autorität loswerden. Die autoritäre Vorgabe scheint den Kosmos des Verstehens zu stören, in dem der Mensch nur noch auf sich selbst hören will. Losgekoppelt sein von der Verantwortung. ungestörte Einigkeit mit sich selbst, das ist der Sinn Wunsches nach Nicht-Existenz der Wahrheit, da sie überall als Drohung erscheint, mich von meinem Selbstbesitz wegzulocken! Meine Begriffe bilden den hermeneutischen Kosmos; sie schöpfen das Verstehen passiv aus, oder sogar aktiv, indem die Begriffe aus der Spontaneität des Subjekts die Wirklichkeit konstituieren. Das ist vielfach möglich. Aber kann ich das aus mir allein vollbringen? Wenn Gott diejenige Wirklichkeit ist, die sich meinen Begriffen entzieht, weil sie mich scho n ergriffen hat, bevor ich sie ergreifen kann, dann läßt sich die dogmatischen Voraussetzung nicht ablegen. Es müßte sich jetzt zeigen lassen, daß die G renzen, die Auguscinus in der Auslegung zieht, also die fünf Forderungen von oben in den Paragraphen 18 bis 22, die Lebe möglich machen sollen. Der Nachweis scheint nicht sehr schwer zu
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.Die Fülle der sehr wahren Meinungen'
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sein, denn eine transzendente Unendlichkeit ist wohl nö tig, damit die in tödlicher Ko nkurrenz lebende endliche Schöpfung genügend Platz zum Leben fiedeL Die Teilnahme an der Unveränderlichkeit G o ttes, die ja der Sinn des ,Himmels des Himmel' ist, wäre die Befreiung aus der Konkurrenz. Ebenso machen die Liebe unmöglich auch die manichäische oder neuplatonische Positio n, da sie nur die Auslöschung des endlichen Lebens als Erlösung anbieten können. Wenn der Einzelne sich wieder mit der All-Einheit verbindet, dann ist die zermürbende Konkurrenz auch verschwunden, aber um den Preis des endlichen Lebens. Auf ihre Weise bezeugen auch die ,hostes' die Erlösungssehnsucht Augustins, nur sehen sie keine Möglichkeit, dabei das endliche Leben zu retten. Hier haben wir einen Streit um die Inhalte der D ogmatik, weshalb es nach Jahrtausenden des Streits ver5tändlich ist, wenn man ihn einmal loswerden möchte. Verzicht auf Sachaussagen ist der Verzicht auf Rechthabenwollen. Geht das? Ist das der Weg zum Frieden der Kulturen?
Dogmatik nach der He, meneutik. Bemerkenswert ist, daß G adamer selbst schließlich in seiner philosophischen Hermeneutik die D o ppelpoligkeit des Verstehens zwischen Sache und Meinung wieder einführt. In seinem LexikonArtikel zur Hermeneutik will er schließlich die G renzen der Selbstauffassung des historischen E rkennens aufweisen und der ..dogmatischen Interpretation eine begrenzte Legitimität"28 zurückgeben. Das Ideal einer voraussetzungslosen Wissenschaft möchte er zwar nicht so schnell aufgeben. Was er dann allerdings tut, ist nicht die begrenzte, sondern die volle Rehabilitierung der D ogmatik, die ja, wie wir bei Augustinus gesehen haben, vo n den subjektiven Bedingungen der E rkenntnis weiß und nicht einfach nur behauptet und strciteL Aus diesen Gründen, sagt Gadamer, ,,ging die Untersuchung. die ich in Wahrheit und Methode (1960) unterno mmen habe, von einem E rfahrungsbereich aus, der in gewissem Sinne irruner dogmatisch genannt werden muß, sofern sein Gelrungsanspruch Anerkennung verlangt und sich nicht in suspenso halten läßt vo n der Erfahrung der Kunst. Hier heißt Verstehen in aller Regel anerkennen und gelten lassen: ,Begreifen, was uns ergreift' (E. S raiger).~ ' Das ist ein glänzendes Lob auf den Doppelpol des Lebens zwischen Wahrheit und Interesse. Z wischen diesen heiden Polen läuft das Verstehen im Kreis: Was ich ergreife, unterwerfe ich meiner Meinung, es dient allermeist meinem natürlichen Inceresse . Was mich ergreift, das stellt einen Anspruch der Wahrheit an mich, dem ich mich nicht entziehen kann, wie der Tod mich beansprucht, o hne daß ich ihn abweisen kann. Hier kommt die Hermeneutik in ihre Vollendung. wie wohl auch Gadamer gefühlt hat. Wenn ich meinen dogmatischen Anspruch für einen Augenblick einklammere, wenn ich die Meinung des Anderen für eine :!t
G2damer: HermettelltiJe; 1069.
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102 Dieter Hattrup mögliche Ansicht der Wirklichkeit halte. dann lasse ich mich ja ergreifen von möglicherweise ergangener Wahrheit. Zwar prüfe ich sie, aber im gleic hen Augenblick prüft sie auch mich, ob ich sie verstehen kann. N un allerdings muß der zweite Halbkreis durchlaufen werden, sonst ko mmt im Kosmos der Meinungen die Gefahr auf, das Ergriffensein wieder abzustreifen und die Meinung als neue ungebundene Fo nn des Begreifens, ja des Begriffenhabens auf den Thron der Geltung zu heben. Hier aber kippt die Möglichkeit des Begreifens wieder um: Die Ungebundenheit vieler in der Meinung erzeugt einen neuen Zwang in der Ko nkurrenz, und nun zeigt: sich, daß alle zusannunen sich noch einmal etgIeifen Lassen müssen, von dem was sie verbindet. Dessen alter Name ist Wahrheit. Das war der dogmatische Ausgangspunkt, von dem ich ausgegangen bin. Jetzt, im Umlauf eines Kreises, bin ich an der gleichen Stelle wieder angelangt, bereichert durch die Meinung vieler anderer und im Frieden mit ihnen. Aber solange der Frieden noch nicht endgültig ist, wird ein neuer hermeneutischer Auszug aus der Wahrheit notwendig sein, um die immer größere G estalt zu finden.
S. Waluheit und Hermeneutik
Der alte Gegensatz. Rony hatte die alte Pendel bewegung zwischen D ogmatismus und Skeptizismus beklagt und sie durch Streichung des Begriffs ,Wahrheit' beilegen wo llen. Ich spreche lieber vom GegensalZ von Wahrheit und Interesse, wodurch neben der intellektuellen auch die existentielle Seite des Streites deutlich wird . Mit Wahrheit und Interesse betreten wir das verwirrende Übergangsfeld zwischen Individuum und Allgemeinheit. Erkannte Wahrheit kann nicht ohne Meinung auftreten, denn ohne einen Zeugen hat sie keine G estalt in der Welt. Und umgekehrt meint jede ernsthafte Meinung etwas außerhalb ihrer selbst, denn sonst müßte sie nicht nach außen gebracht werden. Sie zielt also auf Wahrheit. Deshalb geht die Pendelbewegung nicht zu E nde, solange die E rde ihren Weg um die Sonne nimmt. Der Kampf geht also weiter, gelegentlich zeigt: er sich in ausgewählt hö flichen Fo rmen. So zum Beispiel im Januar 2004, als in München ein deutscher Weltgipfe! von Wahrheit und Hermeneutik stattfand. In der Katho lischen Akademie trafen sich Jürgen Habennas und J oseph Rauinger, zwei G estalten der 68erGeneratio n, der eine lange Zeit als ihr Anführer bekannt. der andere sehr bald als Abtrünniger der Umbruchszeit. Habermas war Schüler Gadamers und hat das Freiheitsver1angen der H ermeneutik zunächst in eine neomarxistischen Sozio logie zu gießen versucht, und Ratzinger fillt seit Langem damit auf, daß er die Achtung vor der Wahrheit einfordert. weil ohne diese keine G esellschaft auf Dauer existieren kö nne. Diese heiden kommen zu einem G espräch zusammen? Was treibt sie dazu an?
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.Die Fülle der sehr wahren Meinungen' \03 Freunde waren sie bisher nicht. Freundschaft hielt Habermas eher mit dem Theologen Metz. der aber hier nur im Publikum saß. Den größeren Wandel von 1968 bis 2004 durchgemacht hat wohl Habermas. Als Konstante von der Frühphase bis heute läßt sich das Verlangen nach Humanität ansehen, aber in den Mitteln hat er gewechselt. Ein erneuter Blick in ,Erkenntnis und Interesse' zeugt das Grundmotiv: Der Mensch muß sich selbst bestinunen. um so er selbst werden können. Die Religion will der frühe Habermas in klassischer Weise beerben und säkulari sieren...Die Ideen der Aufklärung stammen aus dem Fundus der geschichtlich überliefenen Illusion. Die Aktio nen der Aufklärung müssen wir deshalb als den Versuch begreifen, die Grenze der Realisierbarkeit des utopischen G ehalts der kulturellen Überlieferung unter gegebenen Umständen zu testen.«29 Sein lmpuls zielte damals aus bekannten Motiven gegen Kapitalismus und Religion zugleich, die von der linken Aufklärung zusammen als Verfremdet humaner Selbstbestimmung dargestellt wurden. Wesentlich war auch die Reserve von Habermas gegen Naturalismus und T echnizismus, die nur scheinbare Selbstbestimmung erbringen, was eben sein Hauptgedanke durch alle Z eit geblieben ist. Die Befreiung von geschichtlich überlieferter Illusio n ist darin wohl radikalhermeneutisches Erbe. Die antidogmatische Grundhalrung ließ ihn aber auch wieder auf Distanz zum Marxismus gehen, der natürlich. weil er eine wirksame Gestalt in der Geschichte angeno rrunen haue, dogmatische Ansprüche stellte. Die Revision legte Habermas in der Theorie des ,korrununikativen Handelns' vo n 1981 vor. die kaum mehr marxistischen, sondern eher kantischen und fo rmalen Impulsen verpflichtet ist. Der Fonnalismus bietet Freiheit von Inhalten, die immer dogmatisch sind, allerdings fehlt ihm die Berührung mit der Wirklichkeit, weshalb er so schwach ist in der Realisierung. Die humane Selbstbestimmung war auch 1981 das leitende Programm. Wahrheit, der Zentralbegriff abendländischer Metaphysik. die immer als dogmatische Entfremdung empfunden wurde, religiös, politisch, technisch. wurde ersetzt durch den offenen und freien Diskurs. Was daraus als gesellschaftlicher Konsens entsteht, sollte an die Stelle dessen [[eten, was früher Wahrheit genannt worden war. Ich habe Habermas lange Zeit als Hermeneutiker des Konsenses angesehen und seine Einseitigkeit für ungesund gehalten.
Der neue Habel'mas. Mindestens seit 1989 aber sendet er andere Signale aus, die mein Bild vom wahrheitsscheuen Hermeneutiker verstört haben. Schon kurz vor der Großen Wende sprach er von der " neuen Unübersichtlichkeit", als ob die marxistische Geschichtsphilosophie diese Entwicklung von Kapitalismus und Sozialismus nicht vorgesehen hätte.lO Riß im Selbstsetzen nach Kad Marx, aber Riß auch im Selbstsetzen nach Kant! In der Bicxliskussion ließ Habennas 19 10
Habermas: Erkenntnis lind [melesse (1968), 344. Vgl. Habennas: N~ Unübcnicht/ichJteit.
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104 DiettT Hattntp
die Embryonen am künftigen Diskurstisch teilnehmen und nahm sie schon im Mutterbauch in Schutz vor gesellschaftlicher Gewalt. Ist das noch der Fonnalismus wie in der Ethik IUnts? Hier geht die Sorge um den Anderen seiner eigenen Selbstbestimmung voraus. Dann die Bezeichnung der naturalistischen Gehimforscher als .schlechte Philosophen' und die Rede zum Friedenspreis des deutschen Buchhandds 2001 über Glauben und Wissen! ..Der szientistische G laube an eine Wissenschaft, die eines Tages das personale Sdbstverständnis durch eine objektivierende Selbstbeschreibung nicht nur ergänzt, sondern ablast, ist rucht Wissenschaft, sondern schlechte Philosophie...l i Und schließlich als Krönung der Gang in die Höhle des Löwen, wie Habennas selbst sein Treffen mit Ratzinger genannt hat. Der von der \Vahcheit emanzipierte Hcrmeneutiker kehn bei dem Wahrheitsforderer ein, bei dem Chefdogmatiker einer dogmatischen Lehr- und Lebensgemeinschaft! Wie ist das Ereignis der Begegnung des Henneneutikers mit dem Wahrheitsforderer zu deuten?
Die Forcknmg nach Wahrheit. Lange schon klagt Kardinal Ratzinger, jetzt Benedikt XYl .,wie bekannt, den Wahrheitsbezug im modernen Denken ein. Die Gesellschaften brauchen den Bezug auf Wahrheit, aber auch das Evangelium kann nur verkündet werden, sagt er, wenn die Möglichkeit zur Erkenntnis der Wahrheit anerkannt ist. Ein bloßes Festhalten von religiösen Überzeugungen. bloß weil man in ihrer Tradition aufgewachsen ist, kann nicht lebensfähig sein. Wenn Religio n keine Erkenntnis der Wahrheit ist, wird sie auf Dauer nicht emstgenommen. Christus hat nicht gesagt, ich bin die Tradition, sondern ich bin die Wahrheit Ooh 14,6). Obwohl von seiner Narur und Berufung her dogmatisch veranlagt, steht der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation nicht schlecht dar mit seinen Sätzen über die Wirklichkeit, was ja eine vielberufene Schwäche der Dogmatiker sein soll. Im Jahr 1984 ging ein Aufschrei der Intellektuellen durch die westlichen Länder, als Ratzinger dem Kommunismus die damals übliche faktische Anerkennung verweigerte und zum Uneil ansetzte: •.Man kann diese Schande unserer Zeit nicht übersehen: G anze Nationen werden unter menschenunwürdigen Bedingungen in Knechtschaft gehalten, während gleichzeitig behauptet wird. man bringe ihnen die Freiheit.«32 Fünf Jahre später fand auch die östliche Menschheit in großer Mehrheit, sie lebe unter einer Schande und schüttelte sie ab. Wer die Zukunft voraussagt, ver· dient den Lorbeer des Propheten. Daß Ratzinger aber wahrhaft in seiner Natur dogmatisch is~ zeigt eine Äußerung, die ich kürzlich bei ihm fand. Er sprach über das Zueinander von Vernunft und Religio n und sagte dabei: "Es geht nicht um Interessenwahrung alter religiöser Körperschaften. Es geht um den Men31
II
Habermas: Glauben und Wisstn , 20. Kongngtion für die Glaubenslehre:
XI,IO.
Obtr tin;~ AspJete dtr 7heoJ~ der &jm.Nng,
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,Die Fülle der sehr wahren Meinungen' 105 schen, um die Welt."l) D o gmatik ist die Behauptung einer Wahrheit als allgemein gültig, wo bei klar ist, daß die Behauptung als solche partikulär ist. Der Dogmatiker glaubt, das sei möglich. Er glaubt also, wenn er guten Willens ist, daß das unendlich Allgemeine im endlich Beso nderen einen gültigen Ausdruck finden kann, - bis hin zu einem letztgültigen Ausdruck. Und in clieser \Veise ist Ratzinger dogmatisch durch und durch, wie ja clie Kirche glaubt, daß der allgemeine Logos im besonderen Fleisch ein Mensch geworden ist. Man kann darin ein schweres Problem sehen. Versteckt sich nicht eben doch ein Interesse hinter jeder Wahrheits behauptung? Jedenfalls lebt die Religionskritik seit der Aufklärung von der Aufdeckung der verborgenen Intere ss e~ und vo n dort haben sie der Marxismus, der Neomancismus, der Liberalismus und zunächst auch Habermas übernorrunen. Mir scheint nun die Parallele zwischen Gadamer und Habennas in ihren späten Jahren auffill.ig zu sein. Beide wollen am Ende, mit vielen Einschränkungen, der dogmatischen Interpretation eine begrenzte Legitimität zugestehen. Habermas meint ganz vorsichtig, angesichts einer vielfach ,entgleisenden' Säkularisierung kö nne man meinen, in der Kirche sei ,intakt geblieben, was clie Gesellschaft verloren hat'. Ob sich clieses Po tential nutzen lasse oder sogar unverzichtbar ist, will er offeruassen. .. Ich halte es für besser, die Frage, ob sich eine ambivalente Modeme aus den säkularen Kräften einer kommunikativen Vernunft stabilisieren wird, nicht vernunftkritisch auf clie Spitze zu treiben, sondern undramatisch als offene empirische Frage zu behandeln.").! Hier kann der Theologe zufrieden sein. Von der dogmatischen Struktur der Wirklichkeit überzeugt zu sein, heißt nicht, dogmatische Sätze durch Vemunftkritik zur Anerkennung zu bringen. Es heißt, cliese Wirklichkeit zur Anerkennung zu bringen. Das aber macht sie selber, der Deuter des Geschehens muß nur darauf hinweisen, auch der Theologe. Die Notiz Weizsäckers oben über die Entscheidung im ,Kampf um die Macht' starrunt aus dem Jahr 1979 und ist ein dogmatischer Satz. denn er stellt die Wahrheit über die Meinung. Die Wahrheit entscheidet endgültig, nicht clie Meinung, auch wenn die Wahrheit nur in Gestalt der Meinung erscheint. Damals arbeiteten Weizsäcker und Habermas zusammen in einem S tamberger Institut. Ob da ein gegenseitiger Einfluß waltet? Der hermeneutische Konsenstheoretiker des .korrununikativen HandeIns' wird davor gewarnt, den Konsens ganz an die Stelle der Wahrheit zu setzen. Ob die späte Wende etwas von diesem Einfluß bezeugt?
" Ratzinger: Glaubt- Wah,Mt·Tokranz. 117. 104
Rheinischer Merkur 4 vom 22. Januar 2004.
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Reinhard Klockow
Confessiones 13: Versuch der Orientierung in einer "unwegsamen Lektüre"1
AperiatUT et mihi pulsanti
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Die letzten drei Bücher der Confessiones des Augustinus gelten als keine einfache Lektüre. In der Fischer-Taschenbuchausgabe von 1955, in der ich erstmals - in der Übersetzung von Joseph Bernharr - Bekanntschaft mit dem Werk machte, sind sie einfach fortgelassen ...Sie sind wichtig für die Theologie und Philosophie Augustins, aber sie bilden einen Fremdkörper in seinem als Biographie begonnenen Buch", begründet der Herausgeber Hans Urs von Balthasar seine Entscheidung.} Das ist, was die Gesamtkonstruktion der Confessiones angeht, sicherlich eine Fehleinschätzung; daß die Bücher XI-XIII einen integralen Bestandteil des Ganzen bilden, in dem der Autor seine individuelle Heilsgeschichte in der universalen Heilsgeschichte aufgehen läßt und aus ihr begriindet, macht der Text selbst durch zahlreiche Indikatoren deutlich . ~ Und dennoch Zum Zitllt s.u. Anm. 5. - Dieser Aufsatz ist ein "Venuch" in doppeltem Sinn: zum einen in wissensclaftlicher Hinsicht, weil er nicht aus W1gen Studien zum Thema, sondern aus der ersten Begegnung mit Buch XI-XIII anläßlich des Weltenburger Seminars im August 2004 hervorgegangen ist, gestützt lediglich auf den Text der eonfosswnes, mit nur recht begrenztem, noch cbzu nachträglichem Blick 2uf die ForschungslitU2tur; zweitens hinsichtlich der Textsorte, indem er als ,,Esuy" einen subjektiven Zugang l':um Thema wihlt und sich Urteile und Wertungen gestattet, die ihm, streng genommen, nicht l':Usrehen und die durchaus anfechtbar sein mögen. ! Augustinus: &lunntnisse (1955). ) Augustinus: &ktnntnisse (1955), 213. Damit folgt er einer verbreiteten editorischen Pnxis,
I
vgl. Mayer. ,Culum CMli', 553 . • Vgl. dazu Feldmann: Das literarische Gmus und das Gesamtkonupt der ,Confessiones', !.>es. 19f( (,.Die Fngc: ruch der Einheit der Qmft!SSUmdj. Einen überblick über die Diskussion gibt Fuhrer: Augustinus, 123ff.. Speziell zur Stellung von Buch XIll im Gefüge du Confessiones vgl MUll"" Der ""ill' s..hbat. IM eschatologisch< Roh< ab Zidfn'nk,
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108 Reinhard K/ockow drängt sich bei der unbefangenen, nicht-analytischen Lektüre der Eindruck einer Disko ntinuität auf, der seine Ursachen im Text haben muß. lns Auge springt der Wechsel des Themas: Lag in den ersten zehn Büchern der Schwerpunkt von Augustins confessio auf der reflektierenden Durchdringung des eigenen Lebensweges, geht es nun um eine Meditation über das erste Kapitel der Genesis, wo bei sich Buch XI lediglich mit den Wo rten in principio befaßt, Buch XII mit den beiden ersten Versen im Anschluß an diese Anfangsworte und Buch XIII mit dem übrigen Kapitel. Ein vorwiegend an Biographie und Psychologie, an Kultur- und Religionsgeschichte interessierter Leser, der in den vorangehenden Büchern so reich bedient wurde, sieht sich hier enttäuscht Mag er sich in Buch XI dwch die scharfsinnigen Reflexionen über das Wesen der Zei t und in Buch XlI durch die Diskussio n über Fragen der Hermeneutik noch einigermaßen entschädigt fühlen, wenn auch die Art der Darstellung sich auch hier schon der glatten LekCÜfe widersetzt, so gerät er spätestens bei Buch XlII in ernsthafte Schwierigkeiten. Mir jedenfalls erschien der Text dunkel und wirr, ein wahres Dickicht aus Wo rten, unklar in den Einzelheiten und unübe.rs.ichtlich im Ganzen; eine mühselige Lektüre, die heftige Aversionen auslöste. "Verbales Delirium" war noch eines der sanfteren Schimpfworte, mit denen ich ihn bedachte. Da war ich geradezu dankbar, als ich in j oscph Bernhart, dem sprachgewaltigen Confessiones-Übersetzer, einen Verbündeten fand ...Das Gestrüpp von Zitaten und Anspielungen aus der Bibel, die sich mit subjektiven Deutungen des Autors verwickeln (...), macht die Lektüre reichlich unwegsam", schreibt er in einer Anmerkung zu Buch XIII .s "Gestrüpp", "unwegsame Lektüre" - diese Worte eines ausgewiesenen Augustinus-Kenners deckten sich mit meiner eigenen Leseerfahrung.6 Ein Gestrüpp versucht man no nnalerweise zu umgehen. Manchmal verschlägt es einen jedoch dorthin (z.B. durch ein Augustinus-Seminar), und man muß versuchen, sich in dem scheinbar unwegsamen Gelände zu o rientieren. Ein solcher Versuch soll im Folgenden unternommen werden_ Auch Augustin sah sich mit der Genesis einem schwer zugänglichen und irritierenden Text gegenüber. Statt des Bildes vom Dickicht benutzt er das Bild von der verschlossenen Tür, an die er klopft, getreu der Verheißung Pulsate, et aper-
ein- H~mkehr ZN Gon , 00. 607ff.. Vgl. auch Mayer: .CadNm caeli', 553ff. , Augustinus: <enntnisse, 12teinisch und deutsch. Eingeleitet, übersetzt und erläuten von Bemhart, Frankfurt am M. 1987 (;; insel taschenbuch 1002),915 (auf diese Ausgabe beziehen sich die SeitetUngaben bei Confossioms-Zitllten). An anderer Stelle klingt der Vorwurf der "Verschrobenheit" (S.913) oder des ,,.Auswuchems in l\Ußlose" (S.9 18) an. • Auch Müller nennt Buch XIII ein ..Dickicht", durch du er drei ,,inha1tliche Schneisen" schlägt, .. wn den Text von diesen Lichtungen her zu erhellen." (IXr twigt Sabbat, 606). Mayer räwnt zur Genesisexegese der Confossioms ein: ,,Allerdings enchwen der exegetische Duktus dieser Schrift du Verstehen der Auslegung." ~ Cadllm auli', 559).
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ietur vobis , klopfet an, so wird euch aufgetan (Matth. 7,7): Et placeat (...) invenire me gratiam ante te, ut aperiantur pulsanti mihi interiora seI monum tuorum.7 Dem Auguscin wurde aufgetan. 1m Hinblick auf Buch XIII der Confessiones möchte ich seine Bitte aufgreifen: Aperiatur et mihi pulsanti.
II Versuchen wir zunächst eine Bestandsaufnahme: Welche Eigenschaften des Textes machen dem nicht-spezialisierten Leser die Lektüre so unwegsam? Ich nenne fünf Punkte:
1. Die von Augustin praktizierte Methode der allegorischen Auslegung Sie begnügt sich nicht mit dem buchstäblichen Wortlaut, sondern nimmt einen hö heren (oder tieferen, je nach Perspektive) spirituellen Sinn an, auf den die im Text genannten Gegenstände und Vorgänge verweisen (zw theologisch-theo retischen Begründung s.u.). So deutet Auguscinus bei seiner Auslegung des Schöpfungsberichts den Himmel als die Heilige Schrift, das Festland als den Glauben, das Meer als die bösen Leidenschaften der Seele bzw. als das Reich der dem Diesseits verhafteten Menschen, die Vögel als die Gottesboten, die Kriechtiere als die Sakramente, die Meeresungeheuer als Wundertaten, die Früchte der Erde als Werke der Barmherzigkeit usw. Der Schöpfungsbericht der Genesis wird unter den Händen Augustins (um-)gedeutet als der Weg der spirituellen Erneuerung und Vollendung des Menschen im Schoße der Kirche bis hin zum ..ewigen Sabbat". Das hat für den aufgeklärten, an historisch-kritische Interpretation gewöhnten Leser einen hohen Grad von Beliebigkeit; der Gedanke, daß diese Dinge in irgendeinem Sinne vom Text ,.gemeint" sein kö nnten, wie Augustin ja offenkundig glaubt, erscheint ihm abwegig.' "Laß mich (... ) die Gnade finden vor dir, c:hß meinem Klopfen sich auftue der verbo~De Sinn Deiner Worte" (XI,2,4, S.607); ich benutze die Übenetzung von Bemhart; davon abweichende Übersetzungen werden durch ein Sternchen r) gekennzeichnet. Im enten Teil dieses Aufsatzes, in dem Fragen der 12teinischen Formulierung im Vordergrund stehen, zitiecc ich den Text im lateinischen O riginal und füge die Übenetzung in den Fußnoten bei. 1m zweiten Teil, wo es mehr um intultliche F~n geht, verfahre ich um der besseren Lesbarkeit willen umgekehrt. • Müller spricht von "cmer gewissen inneren Änigmatik der w dreU:ehnte Buch dominierenden Genesis-Auslegung (...), die mit ihrer spezifisch allegorischen Ausrichrung cmem an der IUtiona.litiit der Modeme und an der historisch-kritischen Methode geschulten Leser die Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Stoff rucht gende leicht macht." (Der ewige Sabbat, 603)
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110 Reinb4rd Klockow Bereitet schon das Prinzip der Exegese dem modemen Leser erhebliche Schwierigkeiten, so wird seine Ratlosigkeit durch dessen Durchführung noch erheblich gesteigert. Durch die Arbeit des Exegeten wird Schritt für Schritt eine neue semantische Ebene in den Text eingezogen. Immer neue semantische Gleichungen werden aufgestellt, mit denen der Text in der Folge operiert. Man könnte von einer Art Chiffrierung sprechen, die sich selbst als Dechiffrierung, als Deutung verstehL Wer diesen semantischen Umformungsprozeß nicht sorgrilrig nachvollzieht, wird bald nichts mehr verstehen, wie sich auch bei manchen Diskussionen in Weitenbuzg zeigte. Wer bei der Lektüre springt, ist verloren. Man müßte sich eine Art Vokabelheft mit den Wortgleichungen anlegen, um den Faden nicht zu verlieren.9 Das Ergebnis dieser Methode ist ein ambivalenter Text, der sich auf mehreren semantischen Ebenen gleichzeitig bewegt und buchstäblich Schwindel erzeugt. Ein Beispiel aus einer Fülle ähnlicher Formulierungen (die zitatkennzeichnenden Anführungszeichen des Herausgebers, die bei der Unterscheidung der semantischen Ebenen behilflich sein sollen, sind fortgelassen): Concipiat et man et pariat opera vestra, et producant aquae reptilia ani·
marum vivarum (...) et volatüia volantia super terram. Repserunt enim saCTa· menta tua, deus, per opera sanctorum tuorum inter medios fIuctus temptatio· num saeculi ad imbuendas gentes nomine tuo in baptismo tuo. Et inter haec facta sunt magnalia mirabüia tarnquam eoeti grandes et voces nuntiorum tuorum super terram iuxta jirmamentum libri tui praeposito Wo sibi ad aucto· ntatem, sub quo volitare1lt, quocumque irent. 10 Aus dem Schöpfungsbericht stammen die Wasser. aus denen Kriechtiere und Vögel hervorgehen; zur Deutungsebene gehö ren die guten Werke, die Versuchungen, die Sakramente, die
• Auch Augustin selbst scbeint das Bedürfnis des Lesers nach Übersicht und Durchblick zu ahnen und stellt zum Absch1uß seiner Auslegung den ..buchstäblichen" und den ,,geisti. gen" Sinn des Textes noch einmal zusammenfassend dar (§ 47-49). Dabei kommt t:s inter. essanterweise zu kleineren Abweichungen von den zuvor aufgestelltt:n "Gleichungen", so als ob Augustinus selbst den Überblick verloren häne; vgl. Müller. Der ewige Sabbat, 623 . Eine Gegenüberstellung von Ausgangstext und allt:gorischer Deutung in der sack kürzen· den Zusammenfassung von S49 bietet O'Donnell: Aligustin~. Conftssions 111, 41 6f. Eine große Hilft: fiir das Verständnis von Buch Xln ist die textbegleitendt: Interpretation von Schulte-K1öcker: Das VnhäJtnis wn EwigJreil lind Uil als WUkrrpiegdling ckr &Z~
hung zwischm Schöpf" und Schöpfong, 221 ff. 10
"Trächtig werde auch das Meer und gebäre eure Werke, und es sollen die Wasser hervo rbringen Kritthgetier der lebenden Seelen (...) und Geflügeltes, das über der E rdt: dahinfliegt. Es krochen nämlich Deine heiligen Zeichen dank dem Wtrken Deiner Heiligen mitten durch das Gewoge der Versuchungen dieser Welt, um die Völker mit Deinem Namen zu trinken in Deiner Taufe. Da gescluhen denn Großtatt:n wunduherrlich gleich den gew:altigt:n Meeresungeheuem, und die Stimmen deiner Bott:n flogen über der Erde dicht ~ dem Finnament deines Bucht:s: das war ihnen festes Geheiß, unter ihm ihre Rüge zu machen, wohin der Weg auch ging." (XI1I,20,26; 794*)
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Confessiones 13: Versuch einer Orientierung
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Wundertaten, die Gottesboten und die heilige Schrift. Beide Ebenen werden in der Weise kurzgeschlossen, daß z.S. Prädikate, die zur einen Ebene gehören. mit Subjekten oder Objekten der anderen Ebene verbunden werden, was einen teils metaphernähnlichen, teils swrea1en Effekt ergibt: So " kriechen« Sakramente, so kann das Meer ,.gute Werke gebären", so können die Stirrunen der Gouesboten .. fliegen". Kennzeichnend für Simultanität der Ebenen ist auch die Genitivrnetapher, die buchstäblichen und allegorischen Sinn miteinander koppelt; Beispiele aus der zitierten Stelle sind inter medios jluctus temptationum saeculi (" minen im Gewoge der Versuchungen dieser Welt") und iuxtafirmamentum libn tui (" dicht arn Firmament deines Buches''); die Beispiele ließen sich vervielfachen.
In ähnlicher Funktion tritt tamquam (,,gleichsam',) auf; es ist eine Art Scharnier zwischen den Ebenen und sorgt als solches gleichennaßen für ihre Verbindung wie für ihre Unterscheidbarkeit.
2. Keine klare Tmmung zwischen auszulegendem Text und auslegender Rede, zwischen Bibeltext und darauf bezogener Meditation In neuzeitlichen Kommentaren sind Ausgangstext und kommentierender Text in der Regel deutlich voneinander getrennt. Drucktechnische Mittel wie Lemma~ tisierung, Wechsel der Druckcype u.ä. heben den Ausgangstext vom Kommentar sichtbar ab. Hinzu kommen Satzzeichen wie Anführungszeichen in unterschied ~ licher Form und Differenzierung, die auch im fortlaufenden Text Zitate vom zi~ tierenden Kontext abgrenzen. Schließlich gibt es auch eine Reihe sprachlicher Mittel zur Unterscheidung von objekt- und metaspracblicher Rede, die die drucktechnischen oder interpunktorischen Kennzeichnungen z.T . als redundant, als bloße Verdeutlichung eines schon durch die Fo rmulierung evidenten Sachverhalts erscheinen lassen (Redeverben oder andere metaspracbliche Prädikate; appositionelle Konstruktionen wie ..das Wort X", ..die Stelle Y", ..die Aussage Z " u.a.. .) .u Eine solche klare Unterscheidbarkeit findet sich in Buch XlII nur selten, etwa
zu Beginn von Kap. 3: Quod autem in primis conditionibus dixisti: ./iat lux, et facta est lux", non incongruenter hoc intellego in creatura spiritali.... 12 Hier erscheinen die üblichen Bestandteile der kommentieren Rede: Redeverb und Zitat, letzteres aufgegriffen in einem Pronomen (hoc), das als Objekt zu einem Verb der geistigen Wahrnehmung (intellego) mit einem Deutungsbegriff (in creatura spiritalz.) verknüpft wird. Oder eine andere Stelle, an der der genaue
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Vgl. Klockow: LinguistÜt der GänsefoJkhm. .Jenes Wo rt aber. das du in den Anfingen du Schöpfung sprachst: .Es werde Licht, und es ward Licht', versteh ich wohl mit Fug vo m geistigen Schöpfungsreich ..." (XI1I,3,4; 756).
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Reinhard Klockow
Wortlaut einer Bibelstelle hetVorgehoben wird: ldeoque pluraliter dicto:
Jacia-
mus hominem", singulariter tamen infertur: .. et ficit deus hominem", et pluraliter dicta: .. ad imaginem nostram ", singulariter infertur: ,.ad imaginem dei. «1J Meist aber verschmilzt der Bibeltext, aufgelöst in kleinste Partikel, mit der nach Deurung suchenden Meditation zu einer untrennbaren Einheit, auflösbar nur für den, der den biblischen Wortlaut genau im Ohr hat. 14 Ohne die Anführungszeichen und Stellenangaben der modemen Ausgaben würde man manche Bibelzitate gar nicht als solche identifizieren, zumal Augustin noch nicht die vertraute Vulgata-Fassung des Textes benutzt, sondern eine Vetus-Latina-Version. ls Noch einmal das obige Beispiel (ohne die Anführungszeichen des Herausgebers): Cancipiat et rrl4re et pariat opera vestra, et producant aquae reptilia animarum 'Ui'Uarum. 16 Der Satz beginnt auf der allegorischen Ebene und läßt erst im zweiten Teil (ab producant) ohne Zitatkennzeichnung die Bibelstelle folgen, als deren Auslegung sich die Passage versteht. Oder einige Zeilen spä ter:
Et inter haee facta sunt magnalia mirabilia tamquam eoeti grandes et 'Uoces nuntiorum tuorum wlitantes super terram iuxta jirmamentum libn tui ... 17 Aus Genesis 1,21 stanunen eoeti grandes und 'VOlitantes super lerram; diese Spolien sind aber eingeschmolzen in einen Stro m allegorisierender Rede, der ganz andere Themen verfolgt als der Ursprungs text. In Passagen wie diesen geh t das Sprechen über die Worte der Genesis in ein Sprechen mit deren Worten über, in einen Modus des identifikatorischen Zitierens, der vielfache Schattierungen zwischen der bloßen Nennung eines Ausdrucks und der völligen Aneignung kennL I& Diese Ambivalenz oder besser Multivalenz der Formulierung ist kennzeichnend für große Teile von Buch XIII .
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Darum ist in der Mehrzahl gesagt: .Laßt uns den Menschen machen', und folgt in der Einzahl: ,Und Gott enchuf den Menschen', und nachdem in der Mehrzahl gesagt ist: ,nach unserem Bild', folgt in der Einzahl: .nach dem Bilde Gottes'." (XIII,22,32; 804). Diese Schwierigkeit bestätigt auch O 'Donnel1: "Ow: difficu1ty as reader.; lies in following twO threads at once: that of Gn. 1, the text under exegesis, and that of A.'s allegorical reading - both threads often redendered hare! to trace by the intenwining of the [Wo." (I 1I, ..
391)_ I~ Eine hypothetische Reko nstruktion dieser Ver.;ion findet sich 16
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bei O'DonnelllII ,.344[
"Trächtig werde auch das Meer und gebäre eure Werke, und es sollen die Wasser hervorbringen Kriechgetier der lebenden Seelen." (XIIl,20,26; 794""). ,.Da geschahen denn Großtaten wunderherrli.ch, gleich den gew:a1tigcn Meeresungeheuem, und die Wone deiner Boten flogen über die Erde, dicht an dem Firmament Deines Bu· eh.. _" (XIII,20,26; 794')_ Vgl. Klockow: Linguistik rkr Gänsefoßchm, 91ff. über "Zitat und Modalisierung".
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Confessiones 13: Venueh einer Orientierung 113 3. Die Fülle der sonstigen Zitate, die ausufernde Intertextualitat des Textes Die eben beschriebene Einschmelzung von Genesis-Zitaten in den Text ist nur ein Teilaspekt eines umfassenderen Phänomens: Augustinus blendet dauernd ohne beso ndere Kennzeichnung fremde Te:xtpartikel in seine Rede ein; er redet nicht nur mit eigenen Worten, sondern auch mit denen des P salmisten und der Propheten, der Evangelisten und Apostel. Ein beliebiges Be.ispiel, zunächst ohne Kennzeichnung der Spolien: Vos autern, genus electum, infirma mund;' qui
dimisistis omnia, ut sequelemini dominum, ite post eurn et eonfundite fortia, ite post eum, speciosi pedes, et lueete in firmamento, ut caeli enan'ellt gloriam eius dividentes inter lueem per/ectorum. sed nondum sieut angelorum, et tenebras parvulorum, sed non desperatorum: lueete super omnem terram, et dies, sole candem, eruetet diei verbum sapientiae et nox, luna lueens, annuntiet nocti verbum scientiae.19 Ein buntscheckig wirkender Text, von disparater Bildlichke.it (Füße, die leuchten ~ und sich verästelnder Gedankenfiihrung (parenthese), dazu von zweifelhafter syntaktischer Kohärenz (infirma als Neuaum Plural hängt in der Luft, und der Anschluß mit qui verstärkt den Bruch). Eine gewisse Erklärung der Seltsamkeiten ergibt sich, wenn man erkennt, daß es sich hier um ein Patchwork von Bibelzitaten handelt. Noch einmal dieselbe Passage, diesmal mit den Anführungszeichen und den Quellenangaben nach Bemhart und einigen zusätzlichen Zitatkennzeichnungen: Vos autern, ".genus efectum" (l Pett 2,9), .. infirma mundi" (I Kor 1,27), qui .dimisistis omnia, ut seque,.,,,ini" (MI< 10,28) dominum, ite post eum et .confunditefortia· (I Kor 1,27), ite post eum, ..speciosi pectes'" (ls 52,7, Rom 10,15), et .. fueete in firmamento· (Gen 1,15), ut .. eaefi enalrelJt gloriam" (ps 18,2) eius .dividentes" inter .Iucem" (Gen 1,4) perfectorum, sed nondum sicut angelorum, et .tenebras" (Gen 1,4) .parvulorum" (I Kor 3,1), sed non desperatorum: .. fueete super'" omnem .. terram" (Gen 1,1 7), et ..dies" sole eandens .. eruetet diei verbum" (ps 18,3) sapientiae et .. nox", luna lueens, ..annuntiet nocti verbum seientiae· (ps 18,3).211
l' "Und ihr, das auserwihlte Geschlecht. das Schwache in der Welt. die ihr alles Vf' dusen
3)
habt, um dem Herrn zu folgen. ziehet ihm nach und beschienet das Wdtswke, ziehet ihm nach, frtudeschön wandelode Füße, und leuchte.t aal Finnament, cbmit die Himmel seinen Ruhm verlriinden, scheidend zwischen dem Licht der Vollkommenen - ob auch noch rucht in der Weise du Engel -, und der Finsternis du Unmündigen, die doch rucht schon aufzugeben sindl Leuchtet über der ganzen Erde, und der Tag im Glanz der Sonne rufe dem Tag das Wort der Weisheit zu, und die Nacht, der leuchtende Mond, künde der Nacht du Wort du Erkrontnß." (XIIl,19,25; 792'). Und ihr, das "auserwihlte Gesch1echt" (I Pett 2,9), "das Schwache in du Wdt" (I Kor 1).7), die ihr "alles verlassen" habt, um dem Herrn ,,zu fo1ge.o" (MX: 10,28), ziehet ihm nach und "beschimet das Wdtswke" (I Kor 1,27), ziehet ihm nach, "freudeschÖD wan·
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114 Reinhard Klockow Dabei sind die Zitate nicht immer wörtlich übernommen, sondern dem syntaktischen Zusammenhang und der eigenen Redeintention des Augusr1nuS angepaßt: Aus ut confundatfortia (l Kor 1,27) z.B. macht er confunditefortia usw. Mit Zitaten ist das so eine Sache: Erkennt man sie nicht, fehlt einem eine Bedeuruagsdimeasion des Textes; man nimmt sie bestenfalls als Störungen der Textoberfläche walu:. Erkennt man sie, so haben sie die Tendenz, aus dem Text herauszuweisen in andere Kon texte; ein Anspielungsraum wird eröffnet, neue Spiegelungen und Bezüge ergeben sich, die Bedeurungsmöglichkeiten werden poteaz.iert. Das kann eine Bereicherung sein. Zugleich aber besteht die Gefahr der Verflüchtigung des eigentlichen Sinnes. 21 Auch die herkömmliche Textexegese arbeitet mit Parallelstellen und Konr.rastzitaten, um den Sinn einer Stelle auszuschöpfen. Bei Augustinus aber ist es ganz anders. Er ist kein Philologe; ein historischer Blick auf den Text, den er als direkte Ansprache durch Gott erlebt, ist ihm fremd. Man hat den Eindruck, daß in seinem Kopf alle Worte der Bibel gleichzeitig präsent sind,22 ähnlich wie bei Gottvater alle Tage und Zeiten von der Schöpfung bis zum Weitende. Jedes Won weckt Assoziationen an tausend andere; die Schrift erscheint als ein Kosmos von überwältigender Fülle und Stimmigkeit, und die Überwältigung durch die immer neu zuschießenden Wortaok1änge und Sinnbezüge spiegelt sich in der Zitatenfülle des Textes. Doch aus Fülle kann auch Redundanz und Hypertrophie werden. Der Zitatentaumel in Buch XIII führt nicht selten dazu, daß man sich beim Lesen gewissennaßen die Augen reibt und sich fragt Wovon ist denn nun eigentlich die Rede? Und in diesem "Gestrüpp von Zitaten und Anspielungen", um die Formulierung Bemharts noch einmal aufzugreifen, kann man sich leicht verfangen.
delnde Füße" (1s 52,7, Rom 10, 15) , und ,)euchtet ~ Fimument" (Gen 1,15), damit "die Himmel" seinen ..Rulun verkünden" (ps 18,2), ..scheidend" %Wischen dem ,..Lcht" (Gen 1,4) der Vollkommenen - ob auch noch nicht in der Weise der E ngel -, und der "Fin. sternis" (Gen 1,4) der "Unmündigen" (I Kor 3,1), die doch nicht schon aufzugeben sind l ,,.Leuchtet über" der gllnzen "Erde" (Gen 1,1 7), und "der Tag" im G lanz der Sonne " rufe dem Tag das Wort" (ps 18,3) der Weisheit zu, und ..die Nacht", mondglänzend, .. künde der Nacht das Wort der fukenntnis" (ps 18,3). ~I M2gaß stellt in Bezug auf Kap.15,18 h.alb bewundernd, h.alb kritisch fest, Augustinus treibe ,,mit den Elementen dieser Zitate eine ingeniöse Bastelei." (ClarilaJ wrsus ooorilaJ, 11 ). !:! Ähnliches wird von Origines gesagt: ..O ogines predigte mit dem auszulegenden Text in der Hand, er predigte abe1- vor allem mit der ganzen Bibel im Kopf." (Sieben, zitiert bei Schwienhorst-Schönberger: Einheit statt Eiru:kuliglU'it. 416.)
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4. Das Fehlen einer erkennbaren Gliederung, eines .roten Fadem" Der Text als Gestrüpp, als Dickicht - so die bisherige Metapher für seine Unzugänglichkeit. Ein anderes Bild, das sicb bei der Lektüre aufdrängt und gelegentlich schon anklang, ist das des (Rede-)Stroms, der sich ohne erkennbare Gliederung dahinwälzt; man hat als Leser das Gefühl zu .,schwimmen" und sucht nach gedanklichen Haltepunkten oder Orientierungsmarken. Der Genesistext, immerhin Quelle und Gegenstand dieses meditativen GedankenstIoms, bietet dabei wenig Hilfe. Er ist, wie schon erwähnt, in kleinste Partikel aufgelöst und bis zur Unerkennbarkeit in neue Zusarrunenhänge eingeschmolzen. Zudem wird er nur lückenhaft aufgegriffen.23 Er liefert der Exegese die Stichworte, aber keine identifizierbare Strukrur, weder als durchlaufender "roter Faden« noch als Modell fiir die Gliederung (von der bloßen Abfolge der Elemente abgesehen). Die charakteristische, durch fonnelhafte Wiederholungen betonte Einteilung des Schöpfungsberichts in Tagewerke spiegelt sich nicht in einer ähnlich markanten Gliederung der allegorischen Auslegung wider; diese folgt vielmehr ihrer eigenen abstrakten Theo-Logik, die sich - jedenfalls bei der ersten Annäherung - nicht eben durch klare Artikulation auszeichnet. :M
5. Der Gestus des erregten Sprechens und sein Einfluß aufdie Syntax Schon aus dem Bisherigen geht hervor: Augustin spricht nicht als ruhiger Exeget. Wie bei der Lebensbeichte in Buch I-X treibt ihn auch bei der GenesisMeditation sein unruhiges Herz, das " klopfend" um Öffnung des Schriftsinns bittet.2S Die Meditation entfaltet sich dialogisch, im Gespräch mit Gott wie die :u Vgl. dazu die Übersicht bei O'Donnell IIl, 416f., die sich allerdings nur :ilUf die ZusamN
menfassung von §49 bezieht. Diese Ansicht teilt z.B. auch Soligrulc: "Lc texte manque sans doute de coherence et de clane; ici encore on y discerne plus le libre cheminement d'une meditation devant Dieu qu'un souci de lier logiquement les idees" (zitien bei Müller: Der ewige Sabbat. 623, Anm. 39). Natürlich läßt sich bei genaueret' Betrachtung die Ta~erkeinteilung bei Augustin wiederfinden, der sich ja im Wesentlichen an die vom Genesistext vo~gebene Reihenfolge hält; vgl. die Übersichten bei O'DonnelllIl, 343; Müller: Der ewige Sabbat, 647f. und
Fuhrer: Augustinus, 121f. Für den Leseeindruck wichtig ist aber, daß diese Einteilung nicht als Gliederungsprinzip der Exegese hervortritt. Ähnliches gilt für die .,Logik" des Textes: Der genaueren Amlyse mag sich ein s~s theologisches Konzept erschließen, wie es 2.B. Müller vorstellt, der der Allegorese von Buch XlII " Wucht und Geschlossen. heit" (Der ewige Sabbat, 618) sowie ..~ Konsistenz" (ebd., 619) bescheinigt . Die T e.xtoherfläche jedoch vermittelt den Eindruck der Konsistenz nicht. ~ Vgl. du Wortspiel zu Beginn von Buch XlI : Mulla saragit cor mn4m. domine. in hac inopw !.1i.l« meae puLsatum wrbis sanctae scripturiU tuae <.,schwer hat mein Herz mit sich zu schaffen, Herr, wenn in der Drangsal hier meines Lebens die Worte Deiner Heili-
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116 Reinhard Klockow übrigen Confessiones; sie ist ein großes Geber, beherrscht vom Gestus des erregten Sprechens. Unruhe ist der zentrale Impuls. 26 Sie drückt sich aus in drängenden Anreden, langen Frageketten, insistierenden Wiederholungen, immer neuen Anläufen. Und sie spiegelt sich wider in einer Syntax der langen Perioden, die vielfach den Charakter einer impulsiven mündlichen Rede mit all ihren Brüchen und Inkonsequenzen aufweist. Beim Hören mag man sich leicht vom Impetus des gesprochenen Wortes mitreißen lassen (man glaubt hier zu spüren, daß Augustin den Text diktiert und nicht selbst niedergeschrieben hat). Beim stillen Lesen läuft man Gefahr, in dieser komplizierten Syntax den Faden zu verlieren. Das ist z.B. mit hoher Wahrscheinlichkeit der Fall bei dem 185 Wörter und fast eine Druckseite umfassenden Satz im zweiten Absatz von XlIl,23,33 (Ergo in ecclesia tua .... antequam fieret jirmamentum, S.806f.). Ich verLichte auf den Abdruck dieses Ungetüms und fordere den Leser lediglich auf, nach bewährter Schulmanier Subjekt und Prädikat des Hauptsatzes herauszufinden. Er wird seine liebe Mühe damit haben. Damit sind einige der Hauptschwierigkeiten benannt, die den Zugang zu Buch XIII der Confessiones erschweren.
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Zugang zum Sinn historischer Texte gewinnt man durch die Rekonstruktion der kommunikativen Bedingungen, unter denen sie entstanden sind. Diese Überzeugung hat sich mit der Hermeneutik des 19. Jahrhunderts durchgesetzt und gehört heute in Gestalt der historisch-kritischen Methode zu den Selbstverständlichkeiten der philologischen Praxis bis hin zur Textinterpretation in der Schule.27 Wir fragen also: Warum also schrieb Augustin diesen Text in dieser
gco Sc:.brift bei ihm um Einbß klopfen"). Das sonst übliche Bild des Anklopfens an die Pforten der Sc:.hrift wird hier umgekehrt: die Worte der Schrift "klopfen" an das Herz, sicher rucht ohne Anspielung auf das unruhige Klopfen (puLsus) des Herzens selbst, das auf diese Weise als von der Sc:.hrift angetrieben !hrgesteUt wird. 16 Vgi. den berühmten Satz des Eingangskapite1s: inquietum est roT nostrum, denec requies· cat in te ~ ,ruhelos ist unser Herz, bis d2ß es Ruhe findet in dir"). Müller spricht von der "inquietudo auf Gon hin, die in 1,1 anhebt und die Dynamik des Gesamtwerks vot2ntreibt" (610, mit Litel2.turVerweisen); die gesamten Confessiones seien ,,zutiefst von der Po larität der Begriffe ,Unruhe' und ,Ruhe' geprägt". (Der ewige Sabbat, 645). n "Die historisch-kritische Methode, so wie sie in der exegetischen Forschung des Alten und N euen Testaments 2llgewmdt wird, will als historische Methode jeden einzelnen Text aus seinen eigenen Voraussetzungen erk.l.ären und in seiner ursprünglichen Intention verstehen, und sie will als kritische Methode rucht nur unterscheiden zwischen dem ursprünglichen und dem in späterer Zeit 2ufgekommenen Texeverständtlls, sondern sie will auch die Texte selbst so differenziert wie möglich er&..ssen." (Hahn: ~ historisch-kriti.scht
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Confessiones 13: Versuch einer Orientierung 11 7 Weise? Welches sind die wesentlichen Faktoren, die auf die Formulierung einwirkten? Die Confessiones selbst geben darüber einige Auskunft. Auch Augustinus befindet sich in einer hermeneutischen Situation. Auch er setzt sich mit einem berühmten. autoritativen Text auseinander, der in einer langen Auslegungstradition steht. Auch ihm bereitet der Text erhebliche Schwierigkeiten. Aber diese Schwierigkeiten sind ganz anderer Art als die, die unsereins mit den letzten Büchern der Confessumes hat. Hermeneutisches Denken im eben skizzierten Sinn liegt Augustin völlig fern. Die Bibel ist für ihn kein historisches D o kument, das aus seinen Voraussetzungen heraus verständlich gemacht werden müßte, sondern das zeitlos gültige Wort Gottes. Das Problem, das sich dem virtuosen Rhetoriker und dialektisch geschulten Philosophen Augustin stellt, ist die stilistische Dürftigkeit und die inhaltliche Anspruchslosigkeit, ja Primitivität des biblischen Schöpfungsberichts. Die Schwierigkeiten sind geradezu diametral entgegengesetzt zu denen, die wir mit Augustin haben: Während uns der dunkle, labyrinthische Charakter von Confessiones XIII zu schaffen macht, ist für Augustin der Genesistext, jedenfalls an seiner Oberfläche, zu simpel, geradezu unter Niveau. Aber er ist doch Gottes Wort - wo also steckt der Fehler? Die Confessiones sind u.a. auch eine Beschreibung des Weges zum rechten Verständnis der Schrift, von der durch superbia geprägten Mißachtung durch den jungen Rhetor bis zur demütig staunenden Erkenntnis ihrer Sinnfülle. Insofern ist es durchaus konsequent, daß sie mit einer Bibelexegese enden. 28 Die Kritik an der stilistischen Dürftigkeit der Bibel. die der junge Augustin für ..unwürdig" hielt, " mit der Würde der Schriften Ciceros verglichen zu werden,,,29 ist zum Zeitpunkt der Niederschrift der Confessiones längst der Bewunderung für die saneta humilitas (VI,5,S, 5.260) gewichen, die ,,in ihrer Schlichtheit so erhaben ist und in ihrer Fülle so knapp.")O Mit ,,gemeinverständlichen Worten und schlichtem Ausdruck"ll sei sie allen zugänglich, biete aber den Anspruchsvolleren dennoch genügend Tiefsinn. Erste Bedingung für den Zugang zur Schrift ist nicht die intellektuelle, sondern die mo ralische Qualifikation: die hu-
Methode - Voraussetzungen. Aporien und Anwendungsmöglichkei.ten, 56). Alludings ist die. Gültigkeit dieser Methode nicht mehr unumstritten - ein "Paradigmenwechsd " liegt in der Luft. Mehr dazu unten. :!I Vg!. Müller: Der ewige Sabbat, 609ff. im Anschluß an Arbeiten Erich Fddrnanns. Mayer betont die "Schlusselfunktion" ~Caelum CMIi', 590) der Genesis-Auslegung auch im Hinblick auf die beabsichtigte Wirkung des Buches: ..Für eine reflektierte Bibdlektüre zu werben, ist zweifellos eines der Zide der protreptischen ConjdJiones, wenn nicht deren Hauptzid." (ebd. 588). lt visa est mihi indigna, quam Tulliaruu compaTttl·t m (III,5,9; 108). 1O 'fJtTba lihn tui (...) alta humiJiur er paNCA COPiose (XII,30,41; 742). )1 'fJtTbis apertissimis er humillimo gt7reTt loqMendi (VI,5,S; 260).
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militas. Man muß sich beugen, um eintreten zu können. l2 In den Confessiones äußert sich diese Haltung im demütigen Gebet um Einlaß für den Anklopfenden, das die letzten drei Bücher durchzieht. Weiterhin akut bleiben hingegen die inhaltlichen Probleme, vor die der Genesistext gehildete Leser wie Augustin stellt. Da ist von einem Demiurgengon clie Rede, der in sechs Tagen die Welt zusammenbastelt und den Menschen nach seinem Bilde fonnt. Solche Vorstellungen lösen in den intellektuellen Kreisen, in denen Augustin lange verkehrte, nur Hohn und Spon aus C.,hat Gott denn Haare und Nägel?" USW.)ll Der Text, ninunt man ihn beim Wort, ist fiir den philosophisch Gebildeten "absurd'034 und ..widersinnig".)~ Statt sich auf angemessenem Niveau mit den komplizierten Fragen nach der NaNr Gottes, nach dem Ursprung der Materie. nach dem Verhältnis von Form und Substanz, nach dem Wesen von Raum und Zeit usw. auseinanderzusetzen, konunt er mit Ammenmärchen. l6 Augustin steht vor der Aufgabe, im Genesis-Text für sich und andere Gebildete einen überzeugenden Sinn zu finden.J7 Neben diesem grundsätzlichen Problem enthält der Text kleinere Unstimmigkeiten. die Augustin zu schaffen machen. Die Erschaffung von Himmel und Erde wird zweinul =ähl~ einmal gleich zu Beginn und dann noch einmal beim zweiten und dritten Tag; und das Licht wird unabhängig von der Sonne geschaffen - warum? Umgekehrt fallen scheinbare Lücken auf: Warum wird die E rschaffung des Wassers nicht erwähnt - war es schon "vorher" da? Fische. Vögel und Menschen werden mit dem Veonehrungssegen bedacht, die anderen Tiere und Geschöpfe nicht - was ist der Sinn? Auch theologisch-dogmatisch ist der Text scheinbar nicht hinreichend explizit: Wie steht es beispielsweise mit dei
n Non "am talis, ur infTare in ~m possem aNt inc/inareceroicmJ ad eius gressNS (.,und ic~ wi~ ich d~ war, hätt~ nicht vermocht, hineinzugeb.ngen od~r d~n Nack~n zu ~ugen. wn in der Sach~ vOr:ll1Zukomm~n", IU.5,9; 108). » utrum (u.) tkus (u.) habt/tr capiilos tt U"guts (lII,7,12; 116). Vgl. auch V, IO,19ff. Müll~J spricht von der ..Spe "';gk~t d~s biblisch~o Schöpfungsberichts", die Augustin ,.in dit Anne der Manichier trieb". (~t:'UJige Sabbat, 61 7). :w (•••) absurditatnn, qUM Tm in iiJis litteris solmal offondt:rt {VI,5,S; 258); vgl. aud VI,II,18; 282. » (...) ({UM ad litkTam ptrwrßlatmi docere videbantur (Vl ,4,6; 254). ,. infantiles nugas (\'1,4.5; 254). n ,,Der gcbildet~ Leser d~r Confessiones soUte sich nicht nur von deuo (sc. der christlich· bibüsch~n Kosmogoni~) wi.ss~oscMftlich~r Seriositit und Konkuuc:nzfihigk~t, sonderr sopr von deren Obed~genh~t gegenüber all~n and~r~n Kosmogonien überzeugen kÖn· nen." (M2ycr. ,Caelum CMli', 590). Diesen gebildeten Lesern, "die d~n N~uplatonis mus a.l: die Philosoprue der Zeit womöglich sogar aus eigenen Studien gekannt haben", sei Cl "vielleicht doch nicht so schwer gc&l.lcn, Augusrins Gmesis-Auslegungen zu Folgen." (ebd 593). Für den modernen Leser besteht eine weitere, ruer nic ht thematisiert~ Schwierigk~i darin, daß ihm dj~se Ventindnisvon.usser:zungen in der R.cgcl Fehlen.
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Trinität im Schöpfungsprozeß? Und natürlich verlangen auch die oben angesprochenen philosophischen Fragen nach einer Lösung. Der Genesis-Text, ninunt man ihn beim Wort, bleibt auf all diese Fragen stumm. Er beginnt aber zu sprechen, wenn man im "Buchstaben" lediglich die Oberfläche sieht, unter der sich ungeahnte Tiefen eröffnen,}8 oder, mit einem anderen Bild, einen Schleier, hinter dem die eigentliche Wahrheit verborgen ist.J9 Diese durch Ambrosius vermittelte Erkenntnis war für Augustin nach eigenem Bekunden der entscheidende Schritt auf dem Weg zum Verständnis der Schrift.-IO Nun gilt es, den Schleier zu lüften.
IV
Verstehen kann auch bedeuten: wissen, wie eine Sache (eine Maschine, ein Text usw.) konstruiert ist. So wird es auch bei der Suche nach Orientierung im exegetischen Dickicht von Buch XIII hilfreich sein, sich die Prinzipien klarzumachen, mit denen Augustin bei seiner Genesis-Exegese operiert. Die Confessiones selbst enthalten entsprechende Hinweise. teils explizit formuliert (besonders in Buch X1I~ I) , teils implizit als Selbstverständlichkeiten vorausgesetzt."2 Im folgenden soll versucht werden, diese Prinzipien oder ,,Axiome"41 zu tekonstruieren, soweit sie sich aus den Confessiones - und nur aus diesen - erschließen lassen. Wie diese sich zu den anderweitig von Augustin theoretisch formulierten oder praktisch angewandten hen:neneutischen Prinzipien verhalten, wäre Thema weiterer Untersuchungen.'" .lt .l9 oll)
mira profunditas eloquiorum tuorum (XII,14.17; 696) . remoto mystico velamento (VI,4,6; 254). Vgl. Confessiones V,14,24; 236 und VI,4,6; 254. ..Erst die allegorische Deurung biblischer Texte, wie er diese von Amhrosius bei gleichzeitiger Ancignung (neu-)pbtonischer Philosopheme kennengclemt hatte, vc.rmittehe ihm den Zugang zum Christentum." (Mayer:
AUegon",Sp.234). •, Laut Mayer ~Caelum caeli", 555) rc<:htferrigt Augustin in Buch XII ,.in gewisser Hinsicht vorwegnehmend auch schon seine Allegorese des biblischen Sechstagewerks im dreizehnten Buch" . • 2 Vgl. z.B. Müller, fiir den sich Buch XIII .. nicht nur als Praxis, sondern desgleichen als
mehr oder weniger versteckte Theorie der Schriftauslegung" erweist. (Der ewige Sabbat,
615). Auch Mayer spricht in diesem Zusanunenhang von ,,Axiomatik" und von ..henneneutischen Nonnen" ~ Caelum cae/i", 593); Augustin benutzt den Begriff der "reguIa", vgl. ebd. 580. '" Einiges dazu bei Mayer: ,Culum caeli'. 576f(.. Müller hält es fiir ..lohnend", die Beziehungm zwischen Buch XIII und De doctrina cbristiana, ..der augustinischen Hermeneutik par cxcellence•... tiefergehend zu verfolgen." (Der ewige Sabbat, 5.615). Das henneneutische Regelsystem von Dt Gmesi ad Litwam stellt Fuhrer (Augustinus, 152f.) vor. Maßgebend tl
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120 Reinhard Klockow 1. Axiom der unbedingten Wahrheit und Vollkommenheit der
Heiligen Schrift Für Augustinus steht fest: In der Heiligen Schrift spricht - in fundamencalem Umerscrued zu allen anderen Texten - die Wahrheit selbst; sie ist Gottes Wort. Auf die folgende Frage kann es nur eine positive Antwort geben: ..0 Herr, ist denn diese Deine Schrift nicht wahr, da doch Du, der Wahrhaftige und die Wahrheit selbst, sie hast ergehen lassen?· ...s In der Bibel gibt es nichts Falsches, Zufa ll iges oder Überflüssiges. Nichts ist nur so dahin gesagt (inaniter ita dic-
tum, XIll,24,36, S.812), nirgendwo hat Gott grundlos so gesprochen (incassum ita locutum, ebd). Wenn einem etwas merkwürdig, unverständlich oder gar falsch erscheint, so ist das wirklich nur Schein: "Denn ihr (sc. der Hl. Schrift) unterwerfen wir unsern Verstand und sind fest davon überzeugt, daß auch unsern Blicken Unzugängliches richtig und aus der Wahrheit gesagt ist.,,46 Der Text hat immer recht; man hat nur noch nicht den rechten Zugang gefunden: "Und wenn denn ich es nicht verstehe, was du mit diesem Wort verkünden willst, 50 mögen Bessere besseren Gebrauch davon machen, Verständigere meine ich, als ich es bin, jeder nach der Einsicht, die Du ihm verliehen. mein Gon..u 7
2. Axiom der doppelten Verfasserschaft der Heiligen Schrift Die Bibel ist, wie gesagt, Gottes Wort. Gottes Antwort auf die oben gestellte Frage Lautet: ,,0 Mensch , was meine Schrift sagt, sage ic h."4' Aber die Bibel ist zugleich Menschenwort, denn der historische Verfasser der Genesis, derjenige, der den Text geschrieben hat, ist nach Augustins Überzeugung Moses. Es gibt also eine Art doppelter Verfasserschaft, natürlich hierarchisch geordnet, denn Moses ist nur der aufschreibende famulus, gewissennaßen der Sekretär Gottes: fiir den ganzen Komplex ist das zweihändige Werk von Mayer. Di.t Zeichen in der geisti· ~s
gen Entwicklung und in der 'l11eoIogie des jungen Augustinus. 0 domine. nonne ista scriptura tua vera est, quoniam tu verax et
ventas edidisti eam,
XIII.29.44; 826. Zum Wahrheitsanspruch vgl. auch Strauss: ..Daher postuliert Augustin: Die Heilig~ Schrift muß in jedem Wort unbedingt Wllhrhaftig sein." (Scbriftgebrauch und Schrifta#sJegung bei ANgustin. 44. mit ausfiihrlicher Diskussion dieses Themas und zahlreichen Belegstellen). Ähnlich Fuhrer: .,Augustin manifestiert sein~ Haltung gegenüber der Bibel durchweg als die eines Gläubigen gegenüber einem Buch. in dem eine obn~ Einschri.nkungen verbindliche und wahre Lehre enthalten ist." (Augustinus, 151 ).
sNbmittimus ei (Sc. libro lUO) nostrum intelkclNm certumque habemus eti4m quod clau· sum est tUpatibus nostris. m:te veraciwque dictum esse. (XIU,23,33; 806). ~l Et si ego non inklkgo. quid hoc e/oquio significes, utantur eo melius meliores, id est intel· ligentiores. quam egosum. unicuiq.aquanlum Sdpt.itdtriisl~ deus meus. (XI1I.24,.36; 812) . ... • 0 homo. nempe quod scriptura mu dicit. ego dico.· (XIII, 29.44; 828). .j6
Confessiones 13: Vmuch einer Orientierung 121 "Und zusammen wollen wir den Worten Deines Buches uns nahen und in ihnen Deinen Gedanken suchen im G edanken Deines Dieners, durch dessen Griffel du sie gespendet hast.",g Die Quelle seiner Worte ist der Heilige Geist (cum revelante spiritu diceret , XII ,17,24; 706), sie sind oracula sancti spiritus (XII,15,22; 702), womit ihre Wahrheit garantien ist.50 Allerdings ist damit auch eine Einschränkung angedeutet: Die voluntas Gottes ist nur durch die voluntas des "Famulus" faßbar, und ob diese wirklich und in jeder Hinsicht deckungsgleich sind. kann manchmal zur Streitfrage werden.sl
3. Axiom des naiven Verständnisses (Verstehen des Gemeinten)
Beim Verstehen eines Textes geht es grundsätzlich darum, zu erfassen. was der Verfasser gemeint hat: "Wir alle freilich, die wir lesen. bemühen uns, das herauszubringen und zu erfassen, was der, den wir lesen, gewollt hat.,,~2 Oder mit anderer Focmulierung: ,Jeder versucht in der Heiligen Schrift den Sinn zu treffen, den der Schreibende dabei gemeint hat. <63 Demgemäß bezeichnet Augustin das vom Verfasser Gemeinte oft auch als dessen voluntas oder sententia. Diese Auffassung entspricht der antiken Schul tradition bei der Interpretation klassi49
!IO
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quaeramus in eu (sc. verbis lihn tu.) wlunlatetn tuam per volunlatnn famuli tu;' cuoo caJamo dispt.masti ea. (XII,23,32, S.722) Moses als famulus Gottes z.B. auch XII,9,9, XII,14,17. XlI,15,22, XII,26.36. XII.30,41 ; andere. Bezeichnungen der Rolle sind dispnw. tor ~.spmder"), z.B. XII,JO,41 , oder ministerium, XIII,15,16. Das ist die traditionc.lle Inspirationstheorie. "Das Verhiltnis von Gon als Urheber der
Schrift und den Hagiographen wurde mit dem Begriff der Inspiration zu fassen versucht." (Sc:hwienhorst-Schönberger. Einheit und Vielheit, hier 48f.). Zu Augustins ,..>\uf&ssung von einer gleichmäßigen Inspiriertheit der ganzen Hl. Schrift" vgl. Strauss, Schriftgebrauch,56fr. Auf die mögliche Differenz weist auch van Ba.nning hin: " In der Bibc..llaben wir zwei Schichten. Die eine ist, W2S die Verfa.sser der Bibel gemeint haben, als sie ihre Worte niedenchrieben; etwas andc.rc.s ist die Sache, die Gon uns durch die Verfasser hat mitteilen wollen." (Systematische Oberlegungm zur allegorischen Scbriftaudegung, hier 269). StrauSS vermerkt kritisch, Augustin habe "die ,Göttlichkeit' der Hl. Schrift auf Kosten ihrtt ,Menschlichkeit' überbetont." (Schriftgtbrauch, 63).
Omnes quidnn. qui kgimus, nilimur hoc indagarr atque com~, qllod volllil ilk tpmn Itgimus. (XII,18)7; 710). .•• quisque conatur in scripturis sanctis id smrirt, quod in tis smsit ille qui scripsil. (XI1,18.27; 712*) Vgl. Furuer in ihrer Dantdlung von Augustins hc.nnc.neutischen Rc.gc.1n: "Bei jedem Wo rt und jeder Aussage muß nach ihrem intendierten Sinn gefragt werden."
(ANgustinus, 152) Man kann aber nicht mit
Banning dies Verbleiben ,,innc.rha.1b des vom Verfasser beabsichtigten Vc.rstindnisses" mit dem ,.Litera1sinn" (SystDn4liscM Ober· kpngen ... , 266) gleicbsetzen, denn auch eine allegorische Deutung lunn vom Verfasser durchaus gemeint sein. van
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122 Rrinhard Klockow
scher Autoren 5-1 ebenso wie unserem Alltagsverstiindnis von Verstehen: Wir wollen wissen. was jemand meint, was jemand sagen Mn. (Daß es auch andere Konstellationen geben kann wie etwa die semantische Offenheit von literari· sehen Texten oder die systematische Unschärfe in bestimmten juristischen Tex· teo, bleibt davon unberührt, s.u.)
4. Axiom der Unbestimmbarkeit des Gemeinten Das "naive Verständnis" stößt allerdings oft an Grenzen. Sprachliche Zeichen und damit auch die Worte der Bibel können dunkel oder mehrdeutig sein und zu Meinungsverschiedenheiten bei der Interpreution führen.5s Was Moses als der Verfasser der Genesis bei einer bestimmten Stelle gemeint hat, läßt sich nicht mit Gewißheit feststellen: ••Wenn also einer mich fragt. was von all dem nun eigentlich Dein Diener Moses gemeint habe. so wäre dieses Werk hier nicht das Buch meiner Bekenntnisse. wollte ich Dir nicht bekennen: ich weiß es nicht."S6 Moses ist tot, man kann ihn nicht mehr fragen (XI,3,5; 608). Damit nicht genug:: Selbst wenn man Moses persönlich befragen könnte. bekäme man keine wirkJj· ehe Gewißheit, denn auch dann müßte man ihm glauben - hineinsehen kann man ja nicht in ihn: •.Auch wenn Moses in Person uns erschiene und sagte: So habe ich gedacht - könnten wir es dann sehen. oder eben doch nur glaubenil" S7 Zwischen ,.glauben« und "sehen" (= erkennen. wissen) besteht ein kategorialer Unterschied: die Gedanken eines anderen sind unsichtbar und prinzipiell un· zugänglich - man kann über sie letztlich nur Vermutungen anstellen: "Warum streiten wir über die Gedanken eines Mitmenschen. die wir nun einmal nicht so sehen können, wie man die unwandelbare Wahrheit sieht?" sa In solchen Äußerungen zeigt sich Augustins Überzeugung von der grundsätzlichen "onrologi. sehen Schwäche der signa",S9 die als physische Entitäten keinen direkten Zugang ~ Vgl. Sttauss: ..Denn vorerst handelte es sich hinsichtlich der Hl. Schrift ja nur darum, die
)5
Gedanken und den Willen du heiligen Vediusu aufzud«ken, wie sie ihn in ihren Worten niedergelegt hatten - eine AuCß2be, die bei der Intupreation eines beliebigen klassischen Auton prinzipiell die gleiche war." (Scbriftgtbrat«h, 76). ,,.Nun ist es die Krux aller Zeichen, inklusive der des Bibc.ltexts, daß sie im Unterschied zur Sache ( res'), die sie hezeichnen, nicht eindeutig sind." (Maya: .Catllim CMii', 581). Über
ignota und ambigua signa bei Augustin vgL Stnuss: Schriftgtbrauch. SOff. 56 Ac pn' hoc. si qllis quaerit ex ~, qllid horum Moyses, tliMS iJle famllilis. sensent. non slint hi k//I)!mtS confessicnllm tnUrum. si tibi non confiteoT: Nescio. (X1I,30,41; 742). n si ipst Mayse5 apparuisMt nobis atq~ dixwel.: ,.Hoc cogitavi·, nec sie &Im (sc.cogitatio.ma) WUmnNS, "'" cmhrmaNS. (XI1,25,35: 728). Y CUT de proximi cogilatWM contmdimus, quam sie Wkre non possllmus, IIt vUktlir incon· mlltabilis writ4sf (XlI,25,35i 728) • Zwn zweiten Teil des $a1:Ze$ S.u. Axiom 9. s. Mayer: ,C«IlIm caeli', 586.
Con/esswnes 13: Venuch einer Orientierung 123 zur geistigen Welt der Gedanken und Ideen ennöglichen. Augustin beklagt die " Blindheit des Aeisches, deretwegen man Gedanken nicht sehen kann und sich laut in die Ohren fallen muß."(JO Weil sich das Gemeinte nicht (immer) eindeutig ennitteln läßt, muß sich der Interpret mit der Existenz unterschiedlicher möglicher Meinungen abfinden. Die Frage nach der Wahrheit einer Interpretation mündet, solange keine anderen Evidenzen auftauchen, in den Streit der verschiedenen Sekten, die ihre Deurungshoheit durchsetzen wollen, oder in Skepsis und Resignation: Nescio.61
5. Axiom der Pluralität der Wahrheiten 1m Alltagsverständnis gibt es nur eine zutreffende Interpretation einer Äußerung, nämlich die, die das vom Autor Gemeinte trifft. Augustin hingegen vollzieht eine strikte Trennung zwischen der Sprecherintention und dem Wahrheitsgehalt einer Aussage.62 Die Sprecherintention ist prinzipiell unerkeoobar (s.o. Axiom 4); der Wahrheitsgehalt hingegen ist faßbar (eine erstaunliche Bchauprung - s.u. Axiom 9), und ihn gilt es bei der Deutung zu ennitte1n. Dabei ist die Wahrheit ist nicht exklusiv im Sinne eines "Tertium non darur" ; eine Schriftstel1e läßt nicht nur eine wahre Deurung zu, sondern kann eine Vielzahl von Wahrheiten enthalten: ..... da man ja Verschiedenes unter diesen Worten verstehen kann, wdches aber dennoch wahr iSl"63 Diese These von der Pluralität der möglichen Wahrheiten durchzieht den zweiten Teil von Buch XIl, wo es gegen Ende zusammenfassend heißt ,,Also, wenn einer sagt: ,Das hat Moses so gemeint, wie ich es verstehe" und ein anderer: ,Nein, so wie ich<, dann ist es, glaube ich, ehrfürchtiger, wenn ich sage: Warum nicht lieber beides, wenn doch beides wahr ist? Und wenn einer noch einen dritten, einen vierten und agend sonst einen wahren Sinn in diesen Worten sieht, - warum soll man diese GedancMCitas camis, qua cogitata non posrunt videri. ut opus sit insttepeu in aurWus. (XJ1I,23,34; 81 0· ). Mayer steUt den Zusammenhang zur Heilsgeschichte her: ,,Der postIapsarische Mensch, der Mensch ruch dem Sundenfall, hat beim Suc hen und Finden d« Wahren einen direkten Kont::2.k.t zum Mitmenschen eingebüßt. Er ist im St2tu$ quo auF den Umweg der Zeichen, der Sprache, der Schrift etc_ angewiesen." Das unmittelbare "Sprechen von Geist zu Geist" sei nicht mehr möglich. ~ CMLum CMLi", 587f.). N ach Fuhrer kann Augustins Position ,,.insoFern als skeptisch bezeichnet werden, als hier die menschliche Fähigkeit, mittels des Texts zur Erkenntnis der göttlichen smtmtia vorzudringen, als besduinkt gesehen wird.C" (Augustinus, 153). Zur "dogmatischen" Seite S.U.
60 . .•
61
Axiom 9. Co
6l
Ih40 Wko dissmsionum gmera oboriri posse, cum aJiquid a nuntiis wracibNs pn- signa enuntiatur, unum, si dt WT'italt ~m, aJtenm, si dt ipsiMs, qui enuntiat, wll4n14tt dissmsio esr. (XI1.23.32; 722). ••• (1Jm ditJeTta in his wrbis inttlkgi possint, ([14M lamm wra sint. ( XlI,18,27; 710·).
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124 Reinhard Klockow ken alle nicht auch dem Manne zutrauen, durch den der Eine Gon durch seine Heilige Schrift dem Verstande der Vielen so entsprochen hat, daß sie darin Wahres auch bei verschiedener Deutung sollten erschauen können?'~ Ein Aufruf zur friedlichen, ja liebevollen Koexistenz verschiedener wahrer Meinungen erstaunlich bei einem Mann, der sonst auch ein eifernder Polemiker sein kann,6S Augustinus geht noch weiter. Es spiele letztlich gar keine Rolle, ob Moses eine wahre Deutung. die man gefunden hat, auch gemeint habe. Wichtig sei nur ihre Wahrheit: "Was ist dann Schlimmes daran, wenn man einen Sinn herausverstebt, den Du, das ücht aller redlichen Geister, als wahr zeigst, mag immerhin der, den man liest, das nicht gemeint haben, er, der ja eben Wahres, nur nicht gerade dieses, gemeint hat?'<66 Ja, Augustinus würde bei seinem eigenen Schreiben eine Polyphonie der Wahrheiten der nachen Eindeutigkeit vorziehen: "Wenn ich etwas auf höchste Gültigkeit Berechnetes zu schreiben hätte, so wollte ich schon lieber so schreiben, daß aus meinen Worten das Echo aller eine Wahrheit treffenden Gedanken, die irgendwer über diesen Gegenstand sich machen kann, her.iluszuhören wäre, als in der andem Weise, daß ich einen einzigen wahren Satz so üherscharf ins ücht setzte, daß ich alle anderen Deutungen ausschlösse. auch wenn mir nichts Falsches daran zum Anstoß wäre,"61 Was ist das für eine "Fülle unzweifelhaft wahrer Sinngehalte"," die sich aus dem l.Kapitel der Genesis herauslesen läßt, selbst wenn Moses gar nicht dann gedacht haben sollte? Eben das, was Augustin darin findet: die spirituelle Erneuerung des gefallenen Menschen in nuce, bis hin zum ewigen Sabbat. ... It" cllm .Iill$ diurit: .Hoc $m$it, qllod t>gO'"',
~t
./ius: .lmmo iLllld, quod ego., religimilß
ur non utrumq~ potiNs, si urrumque WTIIm est, er si qNid tmiMm er si quid quanum tt si omnino aJiNd WTIIm quispiam in hu 'Utrbis "idet, cur non illa omnia tJid~ crtdalur, pn- qunn tkus unus sacras lilttTas 'Utra er diwrsa visuris mNltoTm arbitror duett:
rum sensibou
'''''per.";,, (XI I,3I,42; 744).
l5 Hier wirkt die
rtgU1a C4ritatu oder dilectionu (vgl. 2.8. XlI,25,35; 730), neben der regNla
writatu ein Grundgebot von Augustins Bibelhermeneutik; vgl. Mayer: ,Caelum CMli', 580; Stnuss: Sch,.ift~brauch, 4Of. In der Henneneuetik der ConJessionts wird allerding.; die rtgN1a C4rilatis - vom Toleranzgebot abgesehen - nicht besonden akzentuiert; das Hauptgewicht liegt hier auf dem WTIIm . Seide Prinzipien finden sich verbunden 2.B . in X11,23,32; 722: coniungar aJltnn illis, cromint, qui writau lila pasamtJlr in Lttitudint carililtu. Auch XII,30,41 ; 744 . .. Quid rruJi tst si hoc smtiat, quod tu, lux omnium wridicarum rntntium, ostendu WTIIm esst, eriamsi non hoc semit die, qunn legil, cum tt dlt 'UtrUm n« tamm hoc senstTit? (XII,18,27; 712). Vgl. Smu", Schriftg
.. copia wrissinwrum smuntiarum (XII,25,.35, 730).
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6. Axiom des melnfachen Schriftsinns Augustin unterscheidet in den Confessiones zwei Weisen. einen biblischen Text zu verstehen: buchstäblich (ad litteram. proprie) oder allegorisch ( spiritaliter.
aJlegorice. in allegoria. figurate. in intel/ectu profundiore u.ä.)." In der buchstäblichen Auslegung enthält der Text besonders des Alten Testaments. wie erwähnt, viele Dinge, an denen philosophisch geschulte Intellektuelle Anstoß nehmen. Vorbehalte dieser Art hatten Augustin immer wieder vom Alten Testament ZunlckgeStoßen, bis er die Predigten des Arnbrosius hörte: "Was mich vor allem bewegte, war die Behandlung des einen oder andem alttestamentlichen Textes, wobei des öfteren sich Riese! lösten, die mir, nach dem Buchstaben aufgefaßt, tödlich geworden waren. Da nun viele der alttestamentlichen Bücher eine Auslegung in geistigem Sinn erfuhren, so nahm ich vorerst meine friihere Meinung zurück. die mir keine Hoffnung mehr gelassen hatte, man könne denen, die das Gesetz und die Propheten verwarfen und verlachten, überhaupt etwas entgegensetzeo."70 Erst die allegorischen Auslegung löst das Rit:sel, lüftet den mystischen Schleier (remoto mystico velamento, Vl,4,6; 254), öffnet den
spirituellen Sinn (spiritaliter aperiret. ebd.; wieder das Bild der Öffnung der bisher verschlossenen Pforte), gemäß dem von Ambrosius in diesem Zusammenhang immer wieder zitierten Paulus-Wort, daß der Buchstabe tötet, der Geist aber lebendig macht.71 Ja, Augustinus geht so weit, den spirituellen Sinn (oder besser: die spirituelle Sinnfiille) als den von der Schrift intendierten Sinn zu sehen: "Wenn wir aber diese Stelle allegorisch nehmen - und das hat die Schrift wohl eher intendiert .....72 Die Anstößigkeit ist gewissermaßen ein Trick:, mit dem '" Augustin Unot llucb die traditionelle Lehre vom vier&.chen Schriftsinn, pnktiziert sie aber nU!" in AusnahmefaUen. "ln der Regel begnügt sich A . mit einem zwei&.chen Schriftsinn, dem wörtlichen und übertragenen." (Mayer. A/legoria, Sp.236). Ä.hnlich Strauss: Schrift·
gebraMCh, 12M. Ohnehin ist damit die entscheidende Differenzierung voUzogen: .,Der vier&che Schriftsinn ist also ursprünglich ein zwei&.chc.r Schriftsinn." (Sc.hwienhocst-
Einbtit und Vtelheil, 75). Müller stellt in der allegorischen Interpretation von Buch XIll drei •.spielarten" (typologisch, moralisch, eschatologisch) fest, die aber nicht systema.tisch unterschieden werden. (~ewige Sabbat. 615). 70 • •• 1I14XiTTU dUdito uno atqwe alzero et uepoo amigmate soIuto de scriptis wrtribus, ubi, c*m Mi Jitteram acript,t.m. occUkbttr. SpiritaJiter itaq~ pJerisq~ iJLorum Jibrorum Loris expositis iam rtprebendebam desperationem meam i/lam dum at. qua "tdideram Lq,em et prophet4S tUlt:SlanlWNs atq~ irridenlibus resisti omnino non fJOSM. (V,14,24; 236). Vgl. Schwienho cst· Schöoberger: ,.Der zweite, sog. geistliche oder besser: geistige Schönberger.
r4y
Sduiftsinn ist also im Grund nichts anderes als die christologische (christliche) Neuinter-
(Einbtit und VJelheit,75). 11 Litkrtl ocridit, spiritus alltern wvifo:at. (V1.4,6; 254, nach 1I Kor 3,6). 12 Si "um figur41e posita ista lTactmJus - quod potiMs tlrbitror intmdisst scriptllrtlm ... pretation des Alten Testaments
(XI1I,24,37; 814").
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126 Rtinhard Klockow die Schrift diejenigen, die sich ihr nicht hochmütig verschließen, zu ihrem eigentlichen Sinn lockL7l I jnguistisch betr2chtet funktioniert die Allegorese dergestalt, daß eine zusätzliche semantische Ebene in den Text eingezogen wird. Die traditionelle zweigliedrige Zeichenrelation (Zeichenkörper vs. Bedeurung), von der auch Augustin bei seinen theoretischen Überlegungen ausgeht (s.u. Axiom 7), wird um ein drittes Glied etWeitert Der bezeichnete Gegenstand oder Sachverhalt (res) wird seinerseits zum Zeichen (figura), indem er auf andere Gegenstände oder Sachverhalte vetWeisL 14 Für Augustin verweisen die im Schöpfungsbericht zw Spnche kommenden Vorgänge und Gegensünde Punkt für Punkt auf die spirituelle Erneuerung und Vollendung des Menschen. Seine exegetische Arbeit ist, profan gesprochen, ein Transk..riptions- oder Transfonnationsprozeß, an dessen Ende ein neuer Text steht, der den (oder doch wenigstens einen) wahren Sinn des Ausgangs texts zu repräsentieren beanspruchL Dieses Endprodukt ist Kapitel 34 (§49). Man könnte Passagen von Ausgangs- und Endtext nach dem VorherNachher-Schema gegenüberstellen, vor und nach dem Durchgang durch den exegetischen Apparat. So heißt es in Genesis 1,7: ..Da machte Gon die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste." Daraus ist in Kapite134 geworden: "Und du hast die Autorität der Schrift gefestigt zwischen den Höhergestellten, die auf deine uhre hö ren, und den Niedrigeren, die sich ihnen unterstellen sollen.,,75 Oder Genesis 1,11 : "Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame, und fruchtbare Bäume, da ein jeglicher nach seiner Art Frucht trage ..... Dem entspricht: ..... damit das Sinnen und Trachten der Gläubigen erscheine. wie sie Dir Werke der Bannherzigkeit hervorbrächten, den Armen auch irdische Güter austeilend. um sich hinunlische zu erwerben:<76
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Vgl. Gadamer: Wahrheit lind Metlxxk. 69: •.Allegorie entsteht aus dem theologischen Bediirfnis, in religiöser Überlieferung - so ursprünglich im Homer - das Anstößige zu eliminieren und gühige Wahrheiten dahinter zu erkennen." " Obertngen heißen die Zeichen. wenn die Gegenstände, die wir mit Wörtern bezeichnen, gleichsam in einer weiteren Verweisung :zur Bezeichnung von noch etwas anderem her~n werden", und %WlU" nach dem Prinzip der simüitudines (Mayer: Alhgoria, Sp.235, im Anschluß an Dt doctrina christian4). Über m und figura vgl. Stnuss: SchriftgebraMCb, 79ff. Zum Verweisungscharakter der m vgl. den grundlegenden Aufsatz von Ohly: Vom geistigm Sinn tks Wones im Mitte/4it".
tt soIUnti aMCtorilaum lihn tlli int" SlIperWres, qlli tim dociJes essent, et inforiores. qlli eis slIbckrentUT. (XIII.34,49; 836·).
7' IIt appaWtUl studia fideliMm, IIt tim opera misericordiae part.ltiil, distn'buentes etiam pa.puibus ",,""" ["",lw.. ad aq.irtnd4 ca
Confessiones 13: Venuch einer Orientierung 127 Dem Leser driingen sich bei dieser An der T excauslegung Parallelen zu den biographischen Teilen der Confessiones (Buch I-X) auf: Wie sich der wahre Sinn eines Bibeltextes nicht inuner unmittelbar erschließt, so auch nicht der wahre Sinn vieler Ereignisse des Lebens. Auch bei der Exegese seines Lebens-Textes erkennt Augustin den im Hintergrund wirkenden Willen Goues, der vordergründig ganz anders motivierten oder unverständlichen Vorgängen eine quasi heilsgeschichtliehe Richtung gibt. 50 schreibt Augustin über seinen Wechsel von Karthago nach Rom: ,~so war ich in Karthago gezwungen, Unsitten, an denen ich mich als 5rudent nie beteiligt hatte, wohl oder übel als Lehrer an anderen zu ertragen. Das war der Grund, weshalb ich mich entschloß wegzugehen, dorthin, wo nach der Aussage aller Kenner der Verhältnisse derlei Unfug nicht im Schwange war. In Wahrheit aber bist du es gewesen, meine Zuversicht und mein Ameil im Lande der Lebendigen, Du warst es, der mich zum Ortswechsel um meines Seelenheiles willen bestimmte ... n Dies Motiv der geheimen Lenkung durchzieht die biographischen Teile de.r Confessiones und findet seine Entsprechung in der Henneneutik der letzten drei Bücher - auch ein Indiz für die konzeptionelle Einheit des Gesamtwerks.
7. Axiom der göttlichen Sanktionierung des multivalenten Zeichengebrauchs Das Prinzip des mehrfachen Schriftsinns ist für Augustin durch die Hl. Schrift selbst sanktioniert, und zwar durch den Vennehrungssegen des Schöpfungsberichts. Augustin deutet ihn als Allegorie der den Menschen von Gott verliehenen Fähigkeit, Zeichen multivalent zu verwenden, und damit auch als Allegorie der Allegorese (sozusagen als Allegorie hoch ZWei). Ausgangspunkt der Überlegungen in Kapitel 24 ist die befremdliche Tatsache (mysterium), daß der Mehrungssegen (<>escite et multiplicamini - "Seid fruchtbar und mehret euch'') zwar über Fische, Reptilien, Vögel und Menschen, nicht aber über die Pflanzen und die anderen Tiere ausgesprochen wird, obwohl diese sich ja offensichtlich auch vermehren. Dieser scheinbare Widerspruch ist für Augustin (gemäß Axiom 1 und 6) ein Signal, daß der Text allegorisch gemeint sein muß (dicta figurata, 812; figurale posita, 814). Er geht noch einmal auf allegorischer Ebene all die Dinge durch, denen der Vennehrungssegen nicht gilt - also gUle Werke, gezälunte Affekte, aber auch die ..salzig bitteren Völkerfluten« der dem Diesseits verhafteten Menschen usw. - und stellt überall Viellieit und Wachstum fest (multitudines et ubmates et incrementa, 816). Aber - und TI Ergo quos moTtS atm studntm 1mOS esse noJMi, eos cum docewu cogrbar pe'pni aJiruos, er ;Mo p/Aabal in, Mbi ta./ia non fieri omnes qMi nO'tlrT4lnc, indiubant. Vt'nfm lUIum tM,
in tnr4l viwntiMm• .d mMtAndMm urr4lrum /OCIIm pro saJlltt ..""'" m." (...) stim.Jos (. ..) .dmrNtbas ... (V,S,14; 214). spt:s 17I6f tt poitio
17I6f
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128 Reinhard K/ockow darin sieht er die Pointe der Beschränkung des Vermehrungssegens - "ein Wachsen von solcher Art, daß eine Sache auf viele Weisen gesagt und eine Aussage auf viele Weise verstanden werden kann, finden wir nur bei physisch dargebotenen Zeichen und geistig hervorgebrachten Gedanken. u 1' Sein Resümee lautet: "Unter diesem Segen verstehe ich die uns von dir verliehene Fähigkeit und Macht, auf vielerlei Weise auszudrücken, was wir in einerlei Weise im Geiste vor uns haben. und auf vielerlei Weise zu verstehen, was wir auf eine bestinunte Weise dunkel ausgedrückt im Text vorfinden!m Gott gibt dem Menschen die Fähigkeit zum verständigen Umgang mit nicht eindeutigen Zeichen. Schematisch lassen sich die von Augustin beschriebenen semantischen Beziehungen in Anlehnung an de SaussurellO so darstellen: a) res (imellecrus
= signifie)
/
\
enuntiatio (= signi fiant)1 ... enuntiatio1
b) enuntiatio (corpus, signum
/ res (= signifie)1 res1
•.•
enuntiatios
= signifiam)
\ ...
res s
Beziehung (a) ist in moderner Tenninologie eine Spielart der Synonymie, Beziehung (b) eine Spielart der Polysemie oder Homonymie. Beziehung (a) repräsentiert für Augustin die Vermehrung der Geschöpfe des Wassers, Beziehung (b) die des Menschen.· 1 Augustin gibt für heide Richtungen ein Beispiel: a) die res der Gottes- und Nächstenliebe kann in sehr unterschiedlicher Weise ausgedrückt werden: in unendlich viden Fonnulierungen in unendlich vielen Sprachen. noch dazu durch
1. ~ qJ«Xi ila CTtSC4t
n mNltipliatNr, Nt NM res multis modis muntietur el UM muntiatio
multis modis intellegatur. non inwnimlß nisi in signis corporaliter edilis et rebus intellt-
gibi!it... exeogil4tis. (XIll,24,37; 816"). ,. In h« mim btntdictione conassam nobis a te [acullatnn ac potestatnn accipio n multis modis mNnutiare, quod uno mtXUJ int.dkctum tntuerimus, et multis modis intdkgt.,t, quod obscure uno mtXUJ enuntiatum kgerimus. (XI1l,24,37; 816-) . ., d. S.""""" Gnmd/rag' aI/g,,,,ei... SprachwUs.nschaft. 76ff. 11 (a) lta crescunt et mNltipliCIZntNT [etlß aqtu.1'I4m; (b) lla crescunt n multiplicantur fetus
homi••m (XIll,24,36; 814).
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Confessiones 13: Versuch einer Orientierung 129 "vielerlei heilige Zeichen" (multiplicibus sacramentis, 812). Umgekehrt kann (b) der Satz in principio deus f«it caelum et terram in unterschiedlichster, aber dennoch immer wahrer Weise aufgefaßt werden, wie Augustin in Buch XI und XII vorgeführt hat. Diese Ausführungen geben mancherlci Rätsel auf.82 Augustin selbst scheint die Gewagtheit seiner Deurung empfunden zu haben, schickt er ihr doch fast [tOtzig klingende Worte voran: ,.Ich will denn auch nicht verschweigen, was für Sinn beim Lesen dieser Stelle sich mir nahe legt. Denn er ist wahr, und ich sehe nicht, was mich hindern sollte, die bildliche Sprache Deiner Bücher so zu verstehen."a" Das Kriterium, durch das sich die gesegnete Vermehrung von der nicht gesegneten unterscheidet, ist die Relationalität: Das variable "Viele" ist an ein konstantes ,.Eines" gekoppelt. Die zur Rede stehende Relation ist die Zeichenbeziehung mit ihren Polen (Zeichen-) Körper und Bedeurung, durch die Physisches und Geistiges miteinander verbunden sind. Was aber hat die Vermehrung der Zeichen durch Vervielfaltigung des jeweils einen Pols bei gleichzeitiger Ko nstanz des jeweils anderen mit Fischen und Reptilien, mit Vögeln und Menschen zu run? Dazu muß man sich an die bisher von Augustin eingeführten semantischen Gleichungen erinnern, also gewissermaßen das Vo kabelheft konsultieren. Beginnen wir mit Beziehung (b), der Vermehrung der "menschlichen" Hervorbringungen, also der Vervielfaltigung der Bedeutungen eines und desselben Zeichenkörpers. I-lier ist das Verständnis nicht schwer. Der geistlich erneuerte Mensch (so die Deutung der Erschaffung des Menschen in Kap. 22) steht für die geistige Seite der Zeichen. Er hat die Fähigkeit, auf dem festen Grund des Glaubens (terra, arida) unter der Konuolle der Vernunft (et dominatuT ei ratio, 816) aus den Zeichenkörpem neue, aber wahre Bedeurungen zu erschließen. Das ist Teil des an ihn ergangenen Herrschaftsaufuags, spirituell gedeutet: seines Urteilsvermögens (Kap. 23). Als Bereiche dieser semasiologischen Praxis nennt Augustinus in Kap. 23 Übersetzen, Auslegen, Erörtern, Diskutieren, außerdem auch Segnen und Beten.ß.4 Man kann also sagen: Augustin sieht in diesem Teil des Segens die göttliche Sanktionierung der christlichen, kirchlich regulierten Hermeneutik, also auch seines eigenen Tuns in Buch XIII. u O'D o nnell 111,400: "The commentators have little to say o n this passage. for alt that it is so central, and so dif6cu1t." Auch O'Donnell selbst hilt sich mit Erklirungc.n auffällig zurück., ebenso wie Müller, der sich mit pauschalen Resümees begnügt (Der ewige Sabbat, 616 und 625). Eingehende Bemühungen wn den Sinn dieser P2Ssage finden sich bei Scbulte-Klöcker: Das Verhältnis wn Ewigkeit und Zeit als Widerspiqe/ung der Bezj,e.. hung zwischen Schöpfer und Schöpfung. 333-338. und Quinn: A Companion to the Confes·
siam olS!. Augustine, 860-865. tJ ruque si/ebo. quod mihi /ectionis huius ocCllSio suggerit. VtTNm est enim. nec video, quid in~iat ita rne sentire dicta figurata /ibroT'llm tuoT'llm. (XllI,24,36; 812-). "intetpl-etando. aponmdo. di.sserentkJ. disputando. bmedicendo atque in'tJOOtndo te (XIlI,23,34; 810).
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130 Reinhard Klockow Um die andere Seite zu verstehen, muß man sich erinnern, daß das " Meer" (mare), (pseudo-)etymologisch mit amarus ~,biner<') verknüpft, für Augustin den Bereich des Unglaubens und der bösen Begierden (malae cupiditates, nequi. tia usw), kurz: den Bereich des Aeischlichen (carnalitas), Nicht-Geistigen repräsentiert. Es ist als Salzflut (salsugo) den Lenden des Urvaters Adam entströmt (Kap. 20,28), durch dessen Fall rue unmittelbare geistige Schau der Wahrheit unterbunden wurde. Stattdessen muß man sich jetzt mit "körperlichen" Zeichen behelfen. M Das sind diefetus aquarum, die Hervorbringungen des Wassers, über die dem Menschen ebenfalls die Macht zugesprochen wird: die Kriechtiere (reptilia), d .h. die Sakramente, die "heiligen Zeichen"; die Walfische (eoeti grandes), d .h. die Wundertaten der Heiligen; und die Vögel (volatilia; sie entstammen im Schöpfungsbericht dem Wasser), d.h. die Worte" der Gottesboten (Kap. 20,26). Ihre von Gott gesegnete Vermehrung deutet Augustin als die Vervielfaltigung der Zeichenkörpet bei gleichbleibendern Sinn. Beginnen wir mit den Vögeln, d.h. mit den Worten der Gottesboten. Hier ist der Sinn klar. Gottes Wort geht in alle Welt und wird, wie der Psalmist kündet, in alle Sprachen übersetzt (Kap. 20,26). Das bezeugt auch das Pfingstwunder (Kap. 19,24): Viele Wörter in vielen Sprachen, aber ein Sinn. Auf diese Weise manifestiert sich der universale Anspruch der christlichen Botschaft. Aber auch in einer einzelnen Sprache läßt sich dieselbe Sache in vielfältiger Weise ausdriikken, entsprechend den Gegebenheiten der jeweiligen Kommunikationssiruation. Auch Wundertaten und Sakramente sind für Augustin Zeichen, mit denen die Heiligen "sprechen"." Sie künden von der G röße Gottes. Ihre Vennehrung dient u.a. der Erregung der nötigen Aufmerksamkeit bei den verwöhnten und gelangweilten Weltmenschen" sowie der Anpassung an zeit- und orts typische Gegebenheiten. Sie ist, salopp gesagt, eine Sache des Glaubens-Marketings, eine Strategie zum Erwerb von Aufmerksamkeits-Kapital. Insgesamt. so kann man sagen, bietet die von Gott sanktionierte multivalente Verwendbarkeit der Zeichen einen gewissen Ausgleich für ihre ontologische Schwäche. Zugleich gestattet sie den Nutzem die Ausbildung einer gewissen
es s. o. bei Axiom 4 über die ..ontologische Schwäche" der Zeichen. Augustin benutzt corpus
16
gera.dzu im Sinne von Zeichen-"Körper": ... quod uno modo per corpus significarur (XIlI,24,26; 812). Ich verstehe voces bier als "Worte", nicht wie Bemhart als "Stimmen".
fl ...
annuntiando a /oquendo per miracula er sacramen14 er VOCeJ mysticas, (XI1I.21 ,30;
800).
aJiud ex aJio crescendc mu/tip/icantur in benedicrione tua, deus, qui consolatus es fastidw sensuum monaJium ~ , ... den sterblichen Sinnen mit ihrem raschen Überdruß", XIII, 20.27; 796); ... ipsaeaquae ista eiecenmt. quarum amarus /anguor ~,.ihre Ermüdung am widerlich gewordenen Dasein") foil causa, ut in tuo verbo ista procederent. (ebd.).
U •••
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Confessiones 13: Versuch einer Orientierung 131 .
Virtuosität im Umgang ma ihnen, eine Fähigkeit, die Augustin offenkundig kultiviert und genießt.19
8. Axiom der pädagogischen Staffelung der Wahrheiten Die Fülle verschiedener Wahrheiten ist kein sinnloser Überfluß, sondern antwortet auf die unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Leser: Jeder findet die seinem Vermögen entsprechende Wahrheit. Gott in seiner Menschenfreundlichkeit staffelt die Sinnfiille gewissermaßen pädagogisch.90 Biblisch vorgebildet ist diese Staffelung für Augustinus in den unterschiedlichen ,.Leuchten" am Himmel, von der strahlenden Sonne bis zum kleinsten Stem. 91 Er vergleicht die Bibel mit einer Quelle, die eine größere Fläche bewässert, wenn sie sich verzweigt: .,Sie (sc. die Quelle::;: die Erzählung des Moses) läßt mit ihrem geringen, kargen Wort Ströme lauterer Wahrheit sich ergießen, woraus denn jeder nach seinen Kräften ein Wahres, der eine dies, der andere jenes, aus den längeren Windungen des Redens ziehen mag.'<92 Augustinus bringt ein Beispiel: Auch die Unerfahrenen (parvult), die sich an den buchstäblichen Sinn der GenesisErzählung halten - er vergleicht sie mit Säuglingen oder federlosen Vögelchenbegreifen immerhin, daß Gott alles geschaffen hat, und auch dieser naive Glaube verhilft ihnen zum Heil. Die Erfahrenen dagegen, denen der buchstäbliche Sinn nicht genügt - die flügge gewordenen Vöge~ die an den Früchten des Obst'" Fuhrer bemerkt "eine gewisse Spannung zwische.n Sprachskepsis und sprachliche.r Virruositit" bei Augustin (Augustinus, 88) . Es fallt auf, daß Augustin die. Allegorese in diesem K2pite1 nicht ausdrücklich etwähntögenau genommen hat sie in seinem hier gegebenen Schema keinen Platz, da dieses sich mit der zweigliedrigen Zeicheruelation begnügt, während für die figurale Interpretation, ur:ie erwähnt, ein dritter Pol eingefuhrt werden muß. Aber das dürfte eine abkürzende Redeweise sein; schließlich ist Buch XlII kein theoretischer Traktat, sondern eine exegetische meditatio, und die Erwähnung der "Sa.k.tamente" und Wunder macht klar, daß auch nicht-sprachliche Zeichen einbegriffen sind. Dennoch bleiben Rätsel. Daß Augustin den doppelten Vermehrungssegen über die Koppelung von ,,Körperlichem" und "Geistigem" auf die Vermehrung der Zeichen bezieht, ist in gewisser Weise nachvollziehbar. Wo aber findet er in der Segensverteilung die Idee der Konstanz des einen Pols bei gleichzeitiger Vermehrung des anderen vorgebildet? Das kann ich nicht erkennen. Es wilre interessant zu ur:issen, ob Augustin später auf diese Deurung zurückgegriffen hat oder sie hat fallen lassen. In den Kommentaren finde ich keinen Hin~s darauf. 90 Mayer spricht von der "pastoralen Dimension der Lehre vom mehrfachen Sc.hriftsinn" ~ Cae/um caeLi', 587), StrauSS von der ..Pidagogie Gottes" (Schriftgebrauch, 120). 9 1 XIII,18,23, 788.
ptzT"lJOstimonis modulo scater fluenta liquidae writatis. unde sibi quisquewrum. quod tU his ",,/na potest, hi< illud, ille illud, per I<mgioresloq..llarum anfraetus ",ahat. (XII,27 ;'>7; 732').
132 R.inhard Klockow baums herumpicken - , sind in der Lage. den von Augustin herausgearbeiteten abstrakteren Sinn oder eine seiner Varianten zu erfassen.'l
9. Axiom des unmittelbaren (.intuitiven", offenbarten) Zugangs zur Wahrheit Wober nimmt Augustin die Überzeugung. daß seine Deutung wahr ist. unabhängig von dem, was der Schreiber vielleicht gemeint hat? Er beruft sich auf einen unmittelbaren Zugang zur Wahrheit, auf eine Art innerer Stimme, die ihm Gewißheit gibt. ,,Allein woher sollte ich dann wis sen, ob wahr ist, was u sagt?", fragt er, als er sich eine persönliche Begegnung mit Moses vorstellL ..Und wüßte ich auch das, wüßte ich's etwa von ihm? Nein, da würde innen, don innen, wo die Denkkraft wohnt, mir die Wahrheit, die nicht hebräische, nicht griechische, nicht lateinische. noch barbarische Wahrheit, ohne das \Verkzeug von Mund und Zunge, ohne Silbengetön es sagen: ,Wahr ist's, was er sagt.' Und ich, ich würde augenblicks, aus vollgewisser Zuversicht, diesem Deinem Manne sagen: ,Wahr ist's, was Du sagst."<9-I Die Wahrheit selbst spricht zu seinem inneren Ohr,95 vor allem aber erscheint sie ihm (als Licht, Lux, lumen) und wird erschaut. Das Schauen (videre), die unmittelbare lnruition ist der eigentliche Modus der Wahrheitserkenntnis,% im Unterschied zu defizitären Modi wie dem Glauben oder 9l
X1I ,27,37ff.; 732((. Vgl. auch die schon erwähnte Stelle Vl,S,8 (260), wo die Vielscruchtigkeit der Hl Schrift geriihmt wird, die einerseits durch gemeinverstindliche Wone (fJtTbis apertissimis) die große. Menge (omnes) einläßt und andererseits den Anspruchsvollen (den pauci, deo non leve:s cortk) den Anreiz der engen Pfonen (foramina angltS(4) bietei. Das erinnert an AugusOns Srellung zum Kirchengesang, der speziell dem infirmior animus eine Hilfe sein soll (X..33,50; 566).
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&cl UnM scirml, an vtTUm dictntt Quod si tt boc sci'l:Ifl, num ab illo scirt.mf IntllJ utique mihi, intus in domicilio eogitationis nec hebraea n« graecA n« latina n« barbara veritas sine ons etlinguae organis, sine strepitu syllabarum diceret: . Verum dicit- et tgO statim emus confoknter illi homini tuo dicerml:. Verum dicis. - (Xl.3,5; 608).
quae mihi writas voceforti in aurtm inuricnm dicit. XII ,15.18, 696 U.ö. VgL Bernhut:
,Jede Gewißheit ist fiir A. ein Sprechen Gottes im innem Menschen." (Augustinus, &. Itennlnw [1987}, 895, Anm. zu X,17,26). Mayer: ...Veritas' ist bei Augustin hi ufig personalisiert gedacht. Nach seiner Erkenntnislc.hre ermöglicht Christus, der .magisler interioc', die Einsicht in das Wahre." (, OuIum cadi', 578). .. Fuh.rc.r: Auguslinus, 87: "Diese (sc. die Erkenntnis) vollzieht sich in der Scluu, die dann stllttfinden kann, wenn die Gegenstinde durch die Wahrheit, die Christus ist, erleuchtet werden." Vgl. Sm.uss, Schriftgebraueh, 22((., der auch von der "Illuminationstheorie" der Wahrheit (13) spricht. Z um neuplatonischen Hintergrund dieser Wahrheits-,,Schau" vgl. z.B. Bemhart, Augustinus, <clntnisse, (1987), 881 ; allgemein zum neuplatonischen Gedankengut in Augustins Hermeneutik Mlyer: ,OuIum CMli', 559ff. ln diesem Glauben an die Existenz und die Erkennbarkeit einer göttlichen Wahrheit liegt nach Fuhrer die .,dogmatische" Seite von Augustins Hermeneutik (Augustinus, 154).
Confessiones 13: Versuch tiner Orientierung 133 Vermuten, und die erschaute Wahrheit ist unstrittig. N och einmal die schon o ben (bei Axio m 4) zitierte Stelle, diesmal um das Vo rangehende erweitert "Wenn wir heide sehen, daß wahr ist, was du sagst, und wir heide sehen, daß wahr ist, was ich sage, wo, ich bitte, sehen wir das? Wahrlich nicht ich in dir, nicht du in mir, sondern heide sehen wir es in der wandellosen Wahrheit selbst, die erhaben ist über unsere Geister. Da wir also über das ucht selbst, das Licht aus dem Herrn unsean Gott nicht streiten, warum streiten wir über die Gedanken eines Mitmenschen, die wir nun einmal nicht so sehen kö nnen, wie man die unwandelbare \Vahrheit sieht?'m Z war gibt es für die Wahrheit auch bestinunte Kriterien, wie die logische Stimmigkeit oder das doppelte Liebesgebot der Gottes- und Nächstenliebe, denen jede Schriftdeutung entsprechen muß.9I Für die Confessiones wichtiger aber ist ihr inruitiver Charakter, der sich in ekstatischen Mo m enten zur visio nären Schau emporschwingt,99 einem Vo r-Schein der reinen, vo n Z eichen emanzipierten Erkenntnis am E nde der Tage, am ewigen Sabbat (s.u. Axio m 10).
10. Axiom des provisorischen Charakters der HI. Schrift Die Rolle der Hl. Schrift ist selbst Thema vo n Augustins Genesis-Auslegung. Er identifiziert die Bibel mit dem am zweiten Tag geschaffenen " Firmament" (Gen. 1,6f.), der "Feste" zwischen den oberen und den unteren Wassern (Kap. 15). Dieses Kapitel illustriert exemplarisch, wie Augustin in seiner Allegorese aufgrund verbaler Anklänge ganz disparate Elemente nach einer eigenen ..BildLogik"IOO zu einer imposanten theo logischen Ko nstruktio n zusammenfügt. die "Exegese" zu nennen allerdings recht kühn erscheint Ausgangspunkt ist eine Jesajastelle, in der der Prophet den Hirrunel mit einer Buchrolle vergleicht, die am E nde der Zeiten zusammengerollt wird: Caelum
plicabituT ut liber Oes. 34,4). Das apokalyptische Moment des Zusammenrollens
fl
Si Ambo vidcnus WTJIm ~ quod dicis er Ambo vidnnus wrum esst: quod dico, 14bi, qu«tsO, id vidnnllSl N« tgO I4tiqU in tt n« tl4 in me, sM Ambo in ipsa qUM SI/pa mnJtts nostras es! inconmutabiJi writa~ Cum e,go eh ipsa domini tki nosm·'lICt non contmda· mus, cur eh proximi cogitationt contnadimus, qyam sie vidut non pos.sumus, I4t vUktur inconm.ubüis w:rius? (Xll,25,35; 728). Wahre einer Interpretation ergibt sich entweder 2US deren Übereinstimmung mit dem kirchlichen Credo oder mit den Leitsätzen der zum kirchlic hen Credo nicht in Widerspruch stehenden philosophisch einsichtigen Sätze." (Mayer: ,C«Il4m CMli<, 582) Eine
91 .. Das
elaborierte Knuistik der Wahrheitsfindung bei der Textexegese aus JA Gtmsi "" LitterAm referiert Fuhrer. Aupstinus, 153. W VgI. Omf VlI,17,25 und lX,I 0,24-26 (o." -Vwon). ,ooMüllcr: IXr nlTige Sabbat, 627.
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(plicabitur) läßt Augustin vorläufig beiseite - er wird später darauf zuriickkommen. Den für den Schö pfungsbericht wichtigen gegenteiligen Aspekt d es .~ us breitensU bezieht Augustin aus einem Psalmenvers, in dem vom Himmel als einem ausgebreiteten Zeltfell (Bemhart) oder Teppich (Luther) die Rede ist: ex,endens caelum sieu, pellem (ps. 103,2). Daß pellis an beiden Stellen eine ganz verschiedene Bedeurung hat, spielt für Augustin keine Ro lle. Wichtig ist ihm nur der Vergleich mit dem Himmel. Damit assozüert wird eine dritte pellis-Stelle, die nun allerdings nichts mit dem Himmel zu run hat, nämlich das Fell, mit dem Gott Adam und Eva nach dem Sündenfall bekleidete. Sündenfall bedeutet auch Fall in die Sterblichkeit. Damit kommt als weiteres Motiv der Tod ins Spiel, aber mit einer neuen Wendung. Die Autorität der Bibel, die scho n ecymologisch durch das Wort /irmamentum (von firmus "fest') abgesichert ist, wird für Augustin durch den (Märtyrer-?)Tod der biblischen Autoren weiter gefestigt und wie der Himmel bis an die E nden der Welt ausgebreitet (Universalitätsanspruch). Der Begriff firmamentum führt aber e concrario auch zur Vorstellung der
infirmitas. der Schwäche der gefallenen Menschen: Wie Kinder (parvuLJ) brauchen sie Schutz und Halt, den ihnen die Hl. Schrift reichlich gewährt. Auch das ist in der nach dem Sündenfall gegebenen schützenden pellis vorgezeichnet. Damit ist auch schon der transitorische Charakter der Schrift angedeutet. So wie die Kommunikation mit " kö rperlichen" Zeichen erst durch den Sündenfall erforde.dich wurde, so auch die in Meoschenworten verfaßte Schrift. An der " semantischen Unzulänglichkeit aller Zeichen«,ol hat auch die Bibel teil. die erst mit der Vertreibung aus dem Paradies der zeichen freien Anschauung nötig wurde. Aber: J enseits des Firmaments gibt es noch andere Bereiche. "unsterblich und der irdischen Verderbnis entlÜckt. u1 02 Das ist der Bereich des in Buch XlI beschriebenen caeJum caeli, wo die reinen oder gereinigten Geister in Ewigkeit Gottes Wahrheit unmittelbar schauen, zeitlos und keiner Zeichen mehr bedürfend. Dorthin. zum ..ewigen Sabbat" strebt das unruhige Herz, und in visionären Momenten hat es eine Vo rahnung dieses Seins. Augustin unterscheidet zwischen der "Schrift" (scriptura) und dem .,Wo rt"
(verbum). Die Schrift und ihre Verkünder werden vergehen wie Hirrunel und Erde. das Buch wird am Ende der Zeiten geschlossen, die Schriftrolle zusammengero llt werden. wie Jesaja es prophezeit hatte; das ..Wort" aber wird bleiben - verbum autem tuum manet in aetemum (15,18; 780). Die Schrift ist etwas Vorläufiges, in der das Wort ..nur im Rätsel der Wolken und nur im Spiegel d es
A/kgoria. Sp.235; vgl. auch ,CMlum C4di', 586. III: s"rat aJiM aquae supu hoc finnammtum, "ede, iramortaks tt aJ tt"tM COTTJIptioM
IOIMayer.
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Confessiones 13: VmNch einn Orienrierung 135 Himmels" erscheint. ,,nicht so, wie es wirklich ist",103 wie Augustin in Anspielung auf eine berühmte Paulus-Stelle sagt. Aber zugleich ist sie der von Gott gegebene Weg, um sich der \Vahrheit anzunähern. 104 Die Schrift als Weg zur direkten Schau hat den Auftrag, sich selbst überflüssig zu machen. Die Allegorese ist ein entscheidender Fortschritt dorthin, indem sie die ..Wolken" des buchstäblichen Sinns durchstößt und durch das transparent gcwordene "Fi..crnament" der Schrift zum geistigen Sinn vordringt. Sie markiert eine neue Stufe der SpirirualitiiL lOS
v So weit die hermeneutische Axiomatik des Augustinus, wie sie sicb aus seinen Confessiones rekonstruieren läßt. Was hat nun diese Analyse, wenn sie denn einigermaßen zutrifft, erbracht? Hat sie, wie erhofft. den Zugang zu Buch XIII eröffnet? Die Antwort ist zwiespältig. In der Tat hat sich das Dickicht gelichtet. sind Leitlinien und Orientierungsmarken sichtbar geworden; Stellen, die mir nicht nur beim ersten Lesen dunkel oder unverständlich schienen, sind jetzt transparent. Die hermeneutische Grundstrukrur, auf der dieser labyrinthische Text aufbaut, hat sich erschlossen, und das ist ein betrichtlicher Gewinn.Und dennoch: Buch XIII ist mir durch diese Arbeit nicht wirklich nahe gekommen. Der Text bleibt. ich gestehe es offen, immer noch auf weite Strecken unlesbar, ungenießbar. Ich urteile hier nicht als Philologe, sondern als .. Privatleser", der Bücher sucht, mit denen er leben und zu denen er immer wieder zuriickkebren kann. Buch XIII der Confessiones des Augustinus gehört nicht dazu. ClaudituT codex (XIIl,15,18; 780) - jedenfalls auf absehbare ZeiL Was den Widerscand auslöst. ist nicht die theologische Konstruktion der spirituellen Erneuerung des Menschen, die Augustin in diesem Buch entwickelt, sondern die dabei praktizierte Methode. Die Vorstellung. daß dies theologische Konstrukt der ..wahre", vom göttlichen Urheber gemeinte Sinn der Schöpfungsgeschichte ist, der sich durch deren allegorische Exegese Punkt für Punkt bis in in amigmau nubiM.m et per specwlum e«Ii, non sicuti eH, appam nobis. (XIIl,15,18; 780) . IOtVgL Strauss: ,.Die Heilige Scluift tat im Hinblick auf das zu errcic.hcode Seligkeitsziel lediglich instrumentalen Charakter." (Scbriftgebrauch, 40). ,.Damit erscheint die Hl. Schrift als eine nicht zu übersehende, llber immer:tu überwindende Srufc." (cbd. 43) ...The text is an instrument, but ultimate1y wspeosablc." (OTIonncll III, 327). ,osMUllc.r betr.tc.htet desh.alb Buch XlII ..als den End- und H öhepunkt einer die gesamten IOJ ...
Ccnfossiones umf:as~nden Entwicklung oder Wegbeschreibung (...), die aus der Entfremdung in die Heimat, von ,unten' nach ,oben', vom .Fleischlichen' zum .Geistlichen' führt." (Ikr twige Sabbat, 610). Er sieht die Conftssionl!s insgesamt und das 13.Buch im besonderen durch die Idee des •.Aufstiegs" (ascmsus) geprigt.
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136 Reinhard Klockow alle Einzelheiten erschließen läßt, scheint mir, bei allem Respekt, abenteuerlich. Ich kann beim besren Willen nicht dacan glauben. 106 Dabei ist mir durchaus bewußt, daß die Allegorese schon vor Augustin eine lange, ehrwürdige Tradition har und nach ihm und nicht zuletzt durch ihn das ganze Mittelalter beherrschre. Sie prägte nicht nur das Verständnis der Bibel, sondern hatte einen unabsehbaren Einfluß auf Ikonographie und Architekrur, ja die gesamre Vorsrellungswelt des Mittelalters und darüber hinaus. Sie gehörte über viele Jahrhunderte zu den Selbstverständlichkeiten der Exegese überhaupt, und eine Genesis-Auslegung wie die von Augustin in Confessiones X11I vorgeführte wurde vielleicht in Einzelheiten, aber nicht in ihren Prinzipien in Frage gestellt. Dieser Glaube hat sich seit Luther, spätestens aber mit dem Beglnn einer kritischen Bibelwissenschaft im 18. Jh. verloren, zumindest im nicht-katholischen Bereich (in der katholischen Kirche vollzog sich dieser Paradigmenwechsel erst im 20.Jahrhundertlo) . Für die Allegorese gab es im aufgeklärten Wissenschaftsverständnis keine rationale Basis mehr.l OB Und dieses Verdikt gilt irruner noch. Wer heute die Allegorese in dem von Augustin praktizierten Sinn als emstzunehmende oder gar als wissenschaftliche Methode der Exegese propagieren WÜJ:de, würde sich ebenso sehr ins Abseits begeben wie jemand, der das ptolemäische Weltbild verteidigen wollte. Bei aller Anerkennung des ungeheuren Scharfsinns, der historischen Dignität und der Wirkungsmacht, die dies Sys tem entfalret hat: Es gibt keinen Weg zurück hinter Kopernikus. Und das gilt auch für die Allegorese: Als wissenschaftsfahige Methode der Textexegese ist sie tot und nicht wiederzubeleben. Das ist, wohlgemerkt, ein Blick "von außen" auf Augustin und die Bibel. ein Blick, der die Bibel zwar als bedeutendes religiöses Dokument, aber als Menscbenwort betrachtet und im ersten Kapitel der Genesis einen Schöpfungsmyrhos neben vielen anderen sieht. Von ,,innen", aus der Perspektive einer Rezeptionsgemeinschaft, die clie Bibel als Gotteswort und als kanonischen Text ver-
106 Angesichts
meines fortgeschrittenen Lebensalters nehme ich nicht ohne Schmunzeln zur Kenntnis, daß ich mit dieser Einstellung laut Schwienhorst-Schänbecger "im Gestus pubertärer VetWeigeruag" gegenüber der patristischen und mittelalterlichen Schriftauslegung verhaue. (Einheit und Vielheit, 81). Anderen geht es alludings ebenso: ,,,Auslegungen, die unter Anwendung der allegorischen Methode gewonnen sind, lassen sich zwar verstii.ndlich machen, aoo wir können sie uns als Auslegung einer bestimmten Textstelle in den meisten Fällen nicht anejgnen." (Hahn: Diehistoriscb-Irritiscbe Methotk, 61 ). Auch der Kommenta· tor O'Donnell äußert sich kritisch zu AugusOns Vorliebe fiir die Allegorese: "He c.mploys the allegorica\ interpretation as such a tOO~ and a favoured one, which we are dislnclined to use excepr when clt1dy compdled by the text itsdf." (IlI, 401). I07Vgl. Schwienhorst-Schöoberger: Einheit statt Eind.nitiglteil, 412. IOIZ U dieser Entwicklung vgl. Rcvendow: Die Entstehung der historisch·kritischen Bibel·
aegese aufdem Hinteiglltnd von AufltLänlng und muzeitlicher Rationalität, 35-53.
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Confessiones 13: Versuch einer Orientierung 137 ehrt,IOO nimmt sich die Sache anders aus. Da nähert man sich dem Text mit anderen Bedürfnissen, da sucht man Ansprache und Zuspruch. da strebt man nach ,.Akrualisierung" im Hinblick auf die eigene Lebenssituation. nach dem ..pro nobis".llo Daß in diesem Kontext eine ..geistliche" Interpretation ihren guten Sinn hatte und weiterhin hat, ist leicht nachzuvollziehen. und so überrascht es nicht, wenn von einem in der Luft liegenden ememen ..Paradigmenwechsel" der Exegese die Rede ist, von einer Rückbesinnung auf die patristisch-mittelalterliche Tradition, inklusive der Allegorese.11I Aber selbst in einem solchen Kontext ist es schwer vorstellbar, daß jemand Augustin beim Wort nimmt und mit ihm glaubt und verkündet. mit den Vögeln des Schöpfungsberichts seien in Wahrheit die Gonesboten und mit den Kriechtieren die Sakramente gemeint. Ich habe jedenfalls noch keinen Theologen getroffen. der das ernsthaft behauptet. Insofern sind auch die Befürworter eines Paradigmenwechsels von aufklärerischen Zweifeln an der Verbindlichkeit der Allegorese angekränkelt; zum Glück für die interreligiöse. interkulturelle Kommunikation. möchte man sagen. Auch in anderer Hinsicht scheint Augustin aktuell. ja geradezu "postmodern", um dieses inzwischen schon etwas altbackene Schlagwort zu gebrauchen. Seine Theorie von der Unfaßbarkeit und letzwchen Irrelevanz des vom Verfasser Gemeinten (Axiom 4 und 5) findet überraschende Parallelen in neueren literaturwissenschaftlichen Theorien von der Rezipienten- und Kontextabhängigkeit der Bedeutung bis hin zu ihrer völligen Auflösung bei den Dekonstruktivisten.1I2 Doch diese Parallele ist nw: oberflächlich überzeugend. Denn bei alles Skepsis hinsichtlich der Faßbarkeit des vorn Autor Gemeinten hält Augustin doch an der Existenz (mindestens) einer wahren, dem Exegeten .. sichtbaren" sententia bei der Auslegung eines Schrifnextes fest (s.o. Axiom 5 und 9). Insofern ist er Dogmatiker.tI) Dasselbe gilt für die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn. Auch hier handelt es sich nicht um rezipienten- oder kontextbezogene Beliebigkeit, sondern - wenigstens ihrem Selbstverständnis nach - um eine streng systematisierte Form der Wahrheitsennittlung entlang den verschiedenen Bedeutungsschichten der Heiligen Schrift. Unabhängig von exegetischen oder literarurwissenschaftlichen Theorien biecet auch die alltägliche Leseerfahrung genügend Beispiele für eine Freiheit der IncerI09Dazu Sc.hwienhocst-Sc.hönooger: Einheilllnd Vtelheit, 66ff. UOStuder: Die patristische Exegese. eine Aktuali.sierung dt!r Heiligen Schrift, 75. mV gl. Sc.hwienhocst-Schö nbuger: Einheit statt Eindeutigkeit. 416. m Vgl. den Überblick bei Steinmetz: Sinnfostlegung und Auskgungsvielfalt. Eine Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen findet sich bei Sc.hwienhor.;t-Sc.hönberg~, d~ gegenüber dekonstruktivistischen Sinnverflüchtigungstendenzen die Bedeutung der Rezeptionsgemeinsch:aft bei der Sinnfestlegung kanonischer Texte betont (Einheit und Vtelheit,67) . 111Vgl.Fuhrer: ,,.Augustins Hermeneutik ist :also trott ihrer skeptischen und pluralistischen Tendenz doch nicht posttnodern, sondern gibt zumindest einer sententia den St».tus der :absoluten Wahrheit" - im genauen Gegensatz zu Den:id:a
(Allpstin, 154).
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pretation, die sich nicht das ..Gemeinte" klammert. Gerade die semantische Offenheit literarischer Texte macht einen großen Teil ihres ästhetischen Reizes aus. " Die Vöglein schweigen im Walde. Wane nur, balde ruhest du auch" - freut sich da jemand auf den Schlaf oder denkt er an den Tod? Nicht zu entscheiden, mal fühlt man es 50, mal wieder anders, und was der Dichter bei der Niederschrift gemeint haben mag. ist einem ganz egal. Die Bedeutungen vieler Texte changieren je nach der Lebenssituation des Lesers, sie wachsen gleichsam mit, öffnen immer neue Räume. "Sie brauchen nur ihre Schwingen zu entfalten, und Jahrtausende entfallen ihrem Aug" , heißt bei Gottfried Senn über die ..WorteU ,lI. und jedem Liebhaber von Dichtung wird diese Erfahrung vertraut sein. Doch auch solche Vergleiche, die auf einen freieren, ja spielerischen Umgang mit Sprache und Texten zielen, gehen an Augustin vorbei. Sie verkennen die Unbedingtheit des Wahrheitsanspruchs, den Augustin mit seiner Exegese verbindet, mag er auch manchmal geradezu spielerisch verliebt in die Virtuosität seiner Formulierungskunst scheinen.m Augusrin ist kein Spieler; er meint es ernst. Ein argumentierender Text bleibt so lange lebendig, wie die Themen, die er behandelt, virulenc sind, oder wie die Weise, in der er sie behandelt, Anknüpfungen erlaubt. In diesem Sinn sind, so scheint mir, die exegetischen Teile von Confesssiones XIII heute ein toter Text: Zwar behandeln sie mit Genesis I ein Thema, das weiterhin die Menschen beschäftigt; sie roo es aber in einer Diskursfonn, die unwiderruflich der Vergangenheit angehört. Sie können philologisch, theologisch usw. analysiert werden; glauben aber wird ihnen niemand mehr. Inso fern redet Augustin ins Leere. Dies ist naCÜ!lich ein subjektives, vielleicht inkompetentes Urteil eines einzelnen Lesers. Doch an der Menge solcher Leserurteile entscheidet sich letztlich die Vitalität eines Textes. Löst er keine Resonanzen mehr bei den Lesern aus, stirbt er ab. Aber das betrifft, wie gesagt, nur die exegetischen Passagen. Aoschlußfahig bleiben die daraus entwickelten reichen Gedanken über Gott und die Welt, über Schöpfung und Geschöpf, über Zeit und Ewigkeit., auf die dieser Aufsatz nicht eingehen konnte. Und lebendig bleiben die Gebete, bleibt die intensive innere Zwiesprache, die Augustin mit sich und seinem Gott hält. Es sei mir erlaubt, trotz meiner Ablehnung der Allegorese mit einer Allegorie zu schließen: Das XIII. Buch der Confessiones ist wie die Ruine eines ehrwürdigen, uralten Palastes. Die Gärten sind verwildert und voll Gestrüpp, vide Säle verfallen und unwirtlich. Es lohnt sich nicht, dort anzuklopfen, denn es wird einem doch nicht aufgetan, und wenn es einem dennoch gelingt, hineinzukommen, so findet man nur Schutt und unbrauchbares, zerfahrenes Gerät. Doch in manchen Kammern lagern noch reiche Schätze. für die es allerdings des scharfen 114Benn: Probleme der Lyrik, 513.
mDe Labriolle spricht vom raffinierten "jeu des allegories" bei Augusrin (zitiert bei F. Cayre:
Le liwe XIll des. Omfossums', 143).
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Confessiones 13: Vmuch einer Orientierung 139 Auges der Kenner bedarf, und aus einigen Räumen klingen so reine und schö ne T ö ne vo n drängendster Intensität, daß auch die ungläubige Seele sich wünscht, sie kö nnte sagen: "Vo n Dir soll man's erbitten, in Dir es suchen, bei Dir darum anklo pfen: so, ja so wird man empfangen, so wird man finden, so wird aufgetan werden.t<1 16
A te petatur, in te quaeratur, ad ~ puJgrur: sie, sie accipitur, sie intJt'n~tur. sie apel iet"r. (XlII,38,53; 842).
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J akub Sirovatka
Der Primat des Praktischen Der Vorrang des sensus moralis in der Schriftauslegung der beiden letzten Bücher der Confessiones
Den Einfluß der Li[eratur auf die Menschen gelten lassen ~ das ist vielleicht die höchste Weisheit des Abendlandes, in der das Volk der Bibel sich wiedererkennen wird. I
1. Einleitung Der russisch-amerikanische Schriftsteller und Dichter Joscph Brodsky hat in seiner Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreises für Literatur von 1987 die Ansicht vertreten, daß zwischen der Lektüre der literarischen Werke (ge~ meint ist nicht Belesenheit oder Bildung) und dem eigenen moralischen Verhal~ ten ein Z usammenhang besteht. Brodsky zeigt sich überzeugt, "daß es fiir einen, der Charles Dickens gelesen hae, problematischer ist, sOne Mitmenschen im Namen einer Idee zu tö ten, als für einen anderen, der nichts von Dickens gelesen hat".2 l..aut dieser These fuhrt also ein echtes Lesen von großen Werken der Literatur zum Anfragen an die eigene Moralität mit dem E rgebnis, sich gegen ~ über einem anderen Menschen moralisch gut zu verhalten. Augustinus, der selber zu den großen Schriftstellern zähle, geht ebenfalls von einem solchen Zusammenhang aus, nur in einem anderen Kontext. Augusrinus geht es jedoch nicht um das Lesen irgendeines literarischen Werkes, sondern um das Lesen der Heiligen Schrift, die als O ffenbarung. als Won Gottes gelesen und meditiert wird. Bei der Lektüre der Heiligen Schriften wird jedoch ihr Einfluß auf das eigene moralische Verhalten nicht angenommen, sondern gefordert. Augusrinus sieht einen engen Zusammenhang zwischen Ethik und intellektueller Tätigkeit und erhebt das Liebesgebot gegenüber Gon und dem Anderen zum obersten hermeneutischen Prinzip der Schriftauslegung. I
Levinas: Scbwini~ Fmhnt, 57 .
• Vgl. Brod,1qr. v... _blicb. Dicht.,., 70.
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142 Jakub Sirowitka 1m Rückblick auf das eigene geschriebene Werk hat Augustinus darüber gesprochen, daß die leezten drei Bücher der Confessiones ,de scripruris sanctis' (retr. 2,6,1) handeln. In der Tat hat Augustinus eine großangelegte Auslegung der ersten Genesisverse •.Im Anfang schuf Gott Himmel und E rde« (Gen 1,1 ) unternommen, die im elften Buch beginnt und im Motiv des ewigen Sabbats am Ende des dreizehnten Buches ihren Gipfel und Abschluß findet. Diese Auslegung wurde vor allem durch die extensiv gettiebene allegorische Deurong bekannt. Augustinus vertritt eine Positio n, die vom mehrfachen Schriftsinn dem sensus multiplex - ausgeht und die in ihren Wurzeln auf Oogines zurückgeht. Die verschiedenen Schriftsinne - der litterale, allegorische, moralische und der anagogische - stehen jedoch nicht gleichwertig nebeneinander. Augustinus räumt dem sensm moralis eindeutig den Primat ein und erklärt das doppelte Liebesgebot ,liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst' (Mt 22, 37-39) zum hen:neneutischcn Prinzip schlechthin, an dem sich die Richtigkeit aller anderen Auslegungen messen lassen muß. Die anderen Deurungsweisen müssen sich leezendlich in den Dienst der moralischen Auslegung stellen lassen können in dem Sinne, daß das doppelte Liebesgebot .,den hermeneutischen Normenhomoor für die Bibe1auslegung" darstellt. wie Karla Pollmann treffend formuliert: "Die Liebe zu Gott und zum Nächsten muß der Verständnisrahmen und das Ergebnis jeder Bibelauslegung sein.cd
2. Mehrfacher Schriftsinn" Jeder Leser sieht sich bei Lektüre eines Textes vor die grundsäezliche Frage gestellt, die den Kern der philosophischen Disziplin der Hermeneutik ausmacht, nämlich: Wie soll ich den Inhalt des Textes auffassen? In der Theologie verschärft sich das Problem beim Lesen und Auslegen der Bibel, die als Offenbarung Gottes geglaubt wird und deshalb eine Verbindlichkeit für das Leh.ren und Leben der Kirche impliziert. Die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn drückt die Überzeugung aus, die Bibel auf unterschiedlichen Ebenen - wie zum Beispiel wörtlich oder spirituell - ,zulässig' verstehen und auslegen zu können. Sie wurde entwickelt als eine Reaktion auf das frühchristliche Problem der unterschiedlichen Deurung der Heiligen Schrift und der damit verbundenen Problematik l
4
Vgl. PoUmann: Nachwort zu Augustinus: Die christliche Bildung. 278 und das Kapitd ,Caritas als der hermeneutische Normenborizont von DC in Pollnunn: Doctrina christi· ana, 121 · 147. So bleibt es unverständlich, warum Peter Brown meint, Oe doctrina christi· ana stelle eine umfassende Erklirung auf, "warum der Allegorie notweodigerweise der erste JUng gebühre." Vgl. Browo: Augustinus von Hippo, 229. Vgl. duu da.s Stichwort .Heilige Schrift' von Beinen, 242f. oder das Stichwort ,schrift· sinn~ von Watter, 268f.
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Der Primat des Praktischen 143 sowohl für die kirchliche Praxis (wie zum Beispiel die Bildung von Sekten und unterschiedlichen G ruppierungen innerhalb der Kirche), als auch für das Festhalten der gültigen G laubenswahrheiten. Die Einsicht in die Mehrsinnigkeit der Heiligen Schrift richtet sich letzten E ndes gegen eine fideistische Position, die aus einem Vernunftmißttauen heraus lediglich glauben will und pro blematische Stellen (bei alleinigem wö rtlichen Verständnis) mit Hinweis auf den G lauben übergebt. Die Unterscheidung eines mehrfachen Schriftsinnes ist als Ausdruck des Ernstnehmens der menschlichen Vernunft in G laubensangelegenheiten zu werten, der G laube und Vernunft gemäß dem späteren Anselmianischen Programm fides quaelem intellectum zu verbinden trachtet. Mit N achdruck setzt sich Augustinus für die tiefe Vereinbarkeit vo n G laube und Vernunft, die sich gegenseitig ergänzen müssen (s. 43,9): " intellege ut credas, crede ut intellegas". Ein alter Merkvers aus dem Mittelalter faßt den sensus multiplex prägnant zusammen: Litten gesta docet, quid credas allegoria. Mo ralis quid agas, quo tendas anagogia. Henri de Lubac ko nnte nachweisen, daß dieser Spruch auf Augustinus von Dazien (t1 282) zurückgeht.S So lassen sich vier unterschiedliche Typen der Auslegung unterscheiden. Zuerst ist der l.iteralsinn zu nennen, der eine wörtliche und histo rische Auslegung anvisiert. Der allegorische Sinn fo rdert zweitens eine Auslegung auf den G lauben hin. Drittens ist der mo ralische Sinn (der auch tro po logisch genannt wird) zu erwähnen, der zeigt, was wir tun sollen im Sinne des biblischen Liebesgebots. Und schließlich wird der anagogische Sinn unterschieden, wo runter eine Auslegung auf die eschatologische H offnung hin verstanden wird . E inen vierfachen Schriftsinn hat schon Johannes Cassianus (t 432/ 435) in seinen Conlationes aufgezeigt: er legt zuerst eine Zweiteilung in einen historischen und einen spirituellen Sinn vo r, um dann den spirituellen in ,uopologia, allegoria, anagoge' (coll. 14,8; eSEL 13, 404) aufzusplittem. Der Ursprung all dieser Unterscheidungen ist jedoch bei O rigenes (t um 254) zu suchen. In seinem gro ßen Werk ITep\ apXti)v (in RUMS Übersetzung De pTincipiis)6 setzt er sich als erster christlicher Schriftsteller mit den verschiedenen Möglichkeiten der D eutung der Heiligen Schrift auseinander. lm zweiten Buch vo n n ep\ apxwv, das sich mit der Frage beschäftigt, wie man die Heilige Schrift lesen soll, zeigt O rigenes, auf welche Schwierigkeiten der Leser bei einem ausschließlich wörtlichen Verständnis stö ßt. Die Ursache für das falsche Auffassen und Dunkelheit der Schrift ist darin zu sehen, daß man den Text nach dem blo ßen Buchstaben versteht und nicht KULa La 1tVeU~Ut\Ka (princ. IV 2,2). Origenes bringt als Kriterium der Auslegung die Vernunft ins Spiel, indem er ausdriicklich sagt. an einigen Stellen sei das wö rtliche Verständnis unmöglich
, Vgl. Lub2c, Exiges< midiivak I, 23f. t Vgl dazu die informative Einleitung in O rigenes: Vier Bücher von den Prinzipien, 1-59.
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144 Jakub SiTovatka (a6uvato~) und unvetnünftig (ä.toyo~).7 Grundsätzlich werden zwei bezie-
hungsweise drei Schichten der Heiligen Schrift unterschieden: die Schrift enthalte auf der einen Seite einen ,leiblichen' - tO OWj.Lat\Kov - und auf der anderen Seite .geistigen' - tO TtV€uj.LanKov - Sinn (princ. IV 3,5); nach einem etwas abgeändenen Schema wird der Sinn gemäß der Trias Aeisch-Seele-Geist (otip~ tlruXtl-Ttv€ uj.La; princ. IV 2,4) erschlossen. J e nach dem geistlichen Fo rtschritt werden die Gläubigen in Anfinger, die sich von dem wö rtlich-historischen ,Fleisch' der Schrift ernähren, dann in Fortgeschrittene, die sich von der Seele des Wortes Gottes beflügeln lassen und schließlich in Vollko mmene aufgeteilt, die das geistliche Gesetz der Schrift erschließen. Demgegenüber findet man in seinen Homilien zu Genesis eine wenig modifizierte Dreiteilung vor: do rt wird ein historischer, ein mystischer oder geistlicher und ein mo ralischer Sinn aufgezeigt (vgl. hom. in Gen. 2,6; GCS 29, 36). Origene, stellt unmillvexständlich die grundsätzliche hermeneutische Regel auf, sich bei Verständnisschwierigkeit der Heiligen Schrift des eigenen Denkens zu bedienen im Vertrauen auf das E ntdekken des göttlich inspirierten Sinnes. Gerhard S trauss ist der Meinung, Augustinus hat zwar die Lehre vom vierfachen Schriftsinn gekannt und auch eC\Vähnt, hat sie aber in seiner eigenen Schriftauslegung nicht deutlich zur Geltung gebracht: " Weiterhin muß auffallen, daß Augustinus in De doctf. christ. das Schema mit keinem Wo rt erwähnt. Er hatte es zwar aus der Tradition übernommen, aber es nicht nur in seiner eigenen Auslegung nicht verwendet, sondern es zur Zeit der Abfassung von De doctr. christ. nicht einmal mehr für wen gefunden, es in der überkommenen Form in seinen theoretischen Ausführungen zur Hermeneutik zu berücksichtigen.'" In einem merkwürdigen Kontrast dazu heißt es bei demselben Autor richtig. ..Oberstes Prinzip für die rechte Auslegung der Hl. Schrift in allen ihren Teilen ist die Liebe zu Gott und dem Nächsten [... ]. Eine Auslegung, die das übersieht und die Liebe nicht auferbauen hilft, hat die Hl. Schrift noch nicht verstanden.' Auch wenn es zutrifft, daß Augustinus grundsätzlich zwischen einem wörtlichen und spirituellen Sinn unterscheidet, die auf der Differenz von Zeichen (,signum') und Sache (,res') aufbaut und er die ,Lehre< vom mehrfachen Schriftsinn nicht erwähnt (oder nur äußerst selten), wird man die Liebe als Ziel der Auslegung die caritas ist die ,res' der Bibel (doctr. ehr. 1,39) - dennoch am ehesten dem moralischen Sinn zuordnen müssen. Und auch wenn sich die Liebe dem spirituellen Sinn zuordnen läßt, wird man trotzdem daran fe sthalten müssen, daß Augusrinus dieser moralischen Auslegung auf die Liebe hin den Primat einräumt. So stellt sich heraus, daß von der Sache her sehr wohl ein mehrfacher Schriftsmn unterschieden wird. Die Einschränkung auf lediglich zwei Schriftsinne ist zwar Vgl. princ. rv 2,.3 . • Stnuss: Schriftgebrauch, Schriftauslegung und Schriftbewei.s bei Augustinus, 126 .
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• S inUS. '
Schriftgebrauch, Schriftauslegung und Schriftbeweis bei Augustinus, 41.
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Der Primat des Praktischen 145 nicht falsch. droht jedoch die herausragende Bedeurung der obersten hermeneutischen Regel, wie sie Augustinus fonnulierte. einzuebnen: die Liebe ist das Ziel der Auslegung. dem sich alle anderen Schriftsinne unterordnen müssen.
3. Sensus morali! im Buch XII und XIII Bezeichnenderweise nennt Augustious das Herz als den On, an dem die Worte der Heiligen Schrift bei ihm anklopfen (con! 12,1). Die Lektüre und die Aus· legung der Schrift sind demzufolge eine ,Herzensangelegenheit' und nicht nur eine intellekruelle Herausforderung. die der Text sicherlich ebenfalls darstellt Es ist das berühmte cor inquietum (con/. 1.1), das Augusrinus auf den Weg der Suche nach Gott, nach sich selbst und nach dem rechten Verhältnis zur Welt und zu den Mitmenschen treibt. Das cor inquietum steht stellvertretend für die Sehnsucht des ganzen Menschen nach einer ganzheitlichen Erfüllung. So wird Gott als das höchste Ziel der Sehnsucht und die größtmögliche Erfüllung von Augustious als ,.lumen cordis mel (con! 12,10) bezeichnet. Gott, das Licht und die Wahrheit selbst soUihm bei der Auslegung der Heiligen Schrift helfen, damit ihre Wahrheit ans Licht kommen kann, um den Menschen den Weg zu Gott zu weisen. Der Weg zu Gon impliziert jedoch "une conversion morale qui se fait pu la pinitence: ainsi l'homme nChele cesse d'etre tenebre pour deveni.r lumiere dans le Seigneur."lo
3.1. Der Vorrang des ,sensus moralis': Liebe als Ziel der Auslegung Die Orientierung des Denkens von Augustinus am Primat des Praktischen, die sich aus einer tiefen Kenntnis des menschlichen Lebens speist, zeigt sich auch in seiner Bibelhermeneutik. In den Büchern XII und XIII, die sich mit der Genesis· Auslegung auseinandersetzen, werden auch die Auslegungsrege1n behandelt. Augustinus weist eine rein intellekruelle Beschäftigung mit der Heiligen Schrift zurück und formuliert die oberste hermeneutische Regel für den Umgang mit der Bibel: jede Auslegung muß letzendlich auf die Liebe zu Gott und dem Näch· sten hinauslaufen; sie dient dem praktischen Lebensvollzug. Gemäß dem doppelten Liebesgebot aus Ml22, 37-40 und 1 Tim I, 5·8 wird als Folge der Bibel· lektüre eine selbstlose Hinwendung zu Gott und dem Anderen gcforden. Das Meditieren und Auslegen der Heiligen Schrift soll nach Augustinus nicht primär theoretische Ergebnisse zeitigen, sondern eine praktische Lebensfiihrung. die
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Vgl. Solignac: Nous complJ:rmntltirt!S, 626.
146 Jakub SiTova,U sich an der caritas orientiert. 11 An drei Stellen des zwölften Buches formuliert Augustinus das Ziel der Exegese: 12,27; 12,35 und 12,41 . Die erste Stelle Con! 12,27 zeigt einen Augustinus, der sich nicht um Worte und Positionen streiten will, wenn doch unterschiedliche Meinungen nach seiner Überzeugung Wahres treffen können (,tanta. copia verissimarum sententiarum' conf.12,35) und sie tun es auch. Diese scheinbare Gelassenheit hat jedoch einen tieferen Grund: die feste Annahme, daß das Ziel der Schriftauslegung eben nicht Meinungen sind, sondern "caritas de corde puro et conscientia bona ct fide non ficta" {con! 12,27).12 Der Primat des Praktischen - ein Leben der caritas - gegenüber dem Abwägen einer möglichen Auslegung, gründet nicbt nur auf einer höheren Stellung innerhalb derselben Skala. Ein übertriebenes Rechthabenwollen in Fragen der Bibelhenneneutik steht sogar in Gefahr, in Widerspruch zum eigentlichen Ziel der Auslegung geraten zu können: in der Gefahr nämlich, die Liebe zu verletzen (vgl. eon! 12,35; in doctr. ehr. 2,62 erinnert Augustinus jeden, der die Hejljgen Schrift studiert, an das Wort aus 1 Kor 8, 1: ,Wissen führt zur Aufgeblasenheit, die Liebe baut dagegen auf). Das bedeutet, daß sich eine bestirrunte wörtliche oder allegorische Auslegung gegen die Absicht der Heiligen Schrift richten kann. Das, was Augustinus hier gegen diejenigen ins Feld führt, die sich über potenzielle Auslegungsmöglichkeiten unversöhnlich streiten wollen, formu lierte im zwanzigsten Jahrhundert Hans-Georg Gadamer als einen hermeneutischen Grundsatz: ..Unter Henneneutik verstehe ich die Fähigkeit, einem anderen zuzuhören in der Meinung, er könnte Recht haben.«!) Augustinus zeigt sich überzeugt, daß Mose - das Genesis-Buch also - das Gebot .,Gott unsern Herrn mit ganzem Her.ten, mit ganzer Sede, mit ganzer Gcistcskraft und unsern Nächsten wie sich selbst" (Mt 22, 37ff.) zu lieben als Ziel der Auslegung genauso in: Sinne hatte wie eben das Evangelium, ungeachtet dessen, welche inhaltlicht Meinungen theoretisch möglich sind. Neben dem Primat der Liebe ist es jedodnoch ein anderes Moment, das Augustinus die nötige Gelassenheit angesicht! der Fülle der Positionen verleiht: erstens, wie schon oben angeführt, die Tatsa· ehe, daß unterschiedliche Meinungen in ihrer Aussage Wahres treffen könner und zweitens, daß hinter dieser Mannigfaltigkeit von wahren Positionen'~ ein, Neben der caritas ist noch die ,regula 6dei' zu nennen, an der sich die Auslegung messel lassen muß. n 01)onnell weist danuf hin. daß dieser Pangnph 27 in der Mine des Buches beginnt. VgI
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Il
I.
O 'Donndl: AUgNStine Omfenitms, Bd. IU , 325. Zitiert bei Grondin: Hans-Gtol8 Gadamn- -Eint Biographit. 280. An einer anderen Still bezeichnet Gada.mer diese rahigke.it als ,5«.Ie der Henneneutik'. Groodin sieht sogar u
WaJ"Mit und Mtthoth eine ,ethische Wiedergewinnung des henneneutischen Grundpro blems'. Vgl. dazu Grondin: Einfohrung zu Gadamn-, 158f. Augustinus äußert: übrigens den Wunsch, so schreiben zu können, daß darin alle die Waht heit betreffenden Meinungen herauszuhören wären. Vgl. dazu Cenf 12,42.
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Der Primat d.s Praktischen 147
einzige Wahrheit - ,ipsa veritas' steht, die die Hannonie (,concordia) stiftet
(con! 12,41 ). Es gibt nämlich keine private göttliche Waluheit, die Waluheit ist immer gemeinschaftsstiftend. kein Privatbesitz. Der Mensch ist discipulus veritatis. nicht aber deren Besitzer. Dieser Gemeinschaftscharakter der Wahrheit, clie den Menschen unendlich übersteigt. wird mit einem Schlag verständlich, wenn man mit Augustinus glaubt: clie Wahrheit ist Gott selbst (vgL conf 12.34). Die biblische Henneneutik ist für Augustinus, wie wir oben gesehen haben. kein pures theoretisches Geschäft, sondern steht unter dem Primat des Praktischen, das heißt, jede Auslegung der Schrift muß sich an der Liebe als Endziel messen lassen müssen. Fulben Cayre merkt richtig an, daß es sich beim dreizehnten Buch nicht um einen exegetischen Traktat handelt, sondern daß hier eine .hohe religiösen Moral' entfaltet wird.1S Nun drängt sich unwillkürlich die Frage auf. ob Augustinus selber in der Genesis-Auslegung in den letzten zwei Büchern der Confessiones seinem obersten hermeneutischen Prinzip gerecht wird. Auf den ersten flüchtigen Blick wird man auf diese Frage eher eine negative Antwort geben: vor allem das letzte Buch stellt eine gewaltige en detail betriebene allegorische Deutung des Schöpfungsberichts. Über jede Einzelheit macht sich Augustinus Gedanken. um den Sinn der Allegorie, der hinter den Wörtern steckt, ans Tageslicht zu befOrdem. als ob er das davor formulierte Ziel der Auslegung des Ganzen aus den Augen verloren hätte. Bei näherem Hinsehen stellen sich jedoch zwei praktisch-ethische Motive heraus. die sich durch die zwei letzten Bücher wie roter Faden durchziehen: zum einen ist es clie Forderung, der göttlichen Güte nachzueifern und zum anderen das Motiv einer ,himmlischen Stadt' der Heiligen.
a) Anähnlichung an Gott in und durch die Güte Im Zusammenhang mit der Schöpfung aus dem Nichts ruft Augustinus aus: "quoniam o mnipotens et bonus es ad facienda omnia bona" (conf 12.7). Dank seiner Güte hat Gott auch die Schöpfung gut geschaffen, er kann mit Recht
,pater bone' (con/. 13.17) angesprochen werden. Da der Mensch auf Gott hin geschaffen ist (vgl conf 1,1; ,ad imaginem et similitudinem' conf 13,32). soll er danach streben. wie er zu sein, und zwar selbstlos (,gratiS) , ohne Schielen auf einen ewigen Lohn. Immer wieder spricht Augustinus clie paulinische Warnung aus, sich nicht clieser Welt gleichförmig zu machen, sondern mit reinem Heaen
U Vgl. Cayri, L~ livrt! XlII cks Omfmiom, 156f.: "U faut appeler, et il suffit ici de le dire d'un mot, que saint Augustin oe fais pas de \'exegese i prop.rement parter eo cene 6n des Conftssions: il2 rq>r::i.s ailleun \'etude IittUaie des passages qui sont ici 211egues d'un point de vue n« spedal. Le texte o'est pas qu'une ocC2sioo d'eJI:po5U une haute mor2le rdigieuse."
148 Jaleub SirovatRa
danach streben, was gut und vollkommen ist. 16 Augustinus nimmt somit eine
Denkfigur Platons wieder auf, die die Aufgabe des Menschen als 6Iloi(&)(J\~ 6E~ XCt'tcX tO öuvat6v, als Anähnlichung an Gon soweit als möglich bestimmt. denn Gott ist der Gerechteste (6uca\6tCttoC;) von allen (Tbeit. 176bc). In einem theologischen Exkurs in der Politeia zeigt Platon, daß Gott nur Ursache von G utem sein kann, weil er selber gut (6eoe; aya66c;) ist - am Schlechten ist er unschuldig (Pol. 379bc). Der Aufstieg über diese Welt hinaus führt über den Weg der Liebe und Güte, die nicht nur als ,Eigenschaften" sondern als ,Namen Gottes' anzusehen sind. Als Frucht, die der Mensch auf diesem Weg erntet., nennt Augustinus die ,bona er recta voluntas' (conf 13,41 ). Der gute Wille, der die Quelle seiner Güte in sich hat und zugleich (in einer geheimnisvollen Dialektik) von Gott zur Güte befihigt wird, ist nach Augustinus der Königsweg zu Gott, auch wenn er sich oft in einen schmalen, steinigen Pfad verwandeln kann. t 7 In ähnlichem Geist hat Kant darüber gesprochen, daß der gute Wille als dasjenige anzuseben ist, das ohne Einschränkung als gut bezeichnet werden kann. ta Auch wenn Augustinus in De libero arbitrio die Selbstverfiigung des Willens über sich selbst und die Möglichkeit der Hervorbringung der Güte durch den Willen selbst (,voluncas per se ipsam? als das Beste preist, was der Mensch haben kann (vgl.lib. arb. 1,26f.). weiß er auch (unter anderem aus dem eigenen Leben) über die Hinfalligkeit des Menschen und somit über seine Angewiesenheit auf die G nade Gottes. 19
b) Gemeinschaftscharakler der Güte:
Christof Müller hat zu Recht das XlII. Buch mit der Über.;chrift ,Der ewige Sabbat. Die eschatologische Ruhe als Zielpunkt der Heimkehr zu Gott' versehen.lO Wodurch wird jedoch dieser e~ Sabbat, diese unendliche Ruhe erreicht? Die Ruhe, die das ruhelose Herz - der endliche. sterbliche Mensch sucht, wird erst im Jenseits möglich sein und zwar sowohl individuell als auch I.
IJ
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Augustinus bezieht sich an mehreren Stellen - 13, 3Off. zum Beispiel - auf Röm 12,2: ..Gleicht euch nicht meser Welt an, sondern wandelt euch und erneuen euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gcfillt, was gut und vollkommen ist". Enunanuel Levinas spricht in diesem Zusammenh2ng über die Unbequemlichkeit eines solchen ethischen Lebenswandels, me jedoch göttlich ist. Er bezeichnet es als ,inconforl clivine'. Vgl. Levinas: Autrtment qu'ten ou au.JeJa ck /'ts.smst, 157. Vgl. GMS BA I: ..Es ist überall nichts in der Welt., ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschrinkung für gut gehalten werden, als allein ein guteJ
Wuk."
I' VgL dazu den Artikel bonum von Fischer, bes. 675-678. JO
Vgl. MUlIer. Der t'UJige Sablwt.
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Der Primat d.. Praktischen
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kosmisch. für die Welt als Ganzes. Um zu diesem göttlichen Ruhepol überhaupt unterwegs sein zu können. muß der Mensch sich selber und sein Verhältnis zur Welt und dem Nächsten ,in Ordnung' bringen. Für Augustinus ist es die Schöpfungsordnung: der Mensch soll so beschaffen sein, wie er von Gott gedacht wird. Das Ruhen in Gott und Gottes Ruhen in uns setzt eine entscheidende Bedingung seitens des Menschen voraus. die Augustinus klar auspricht: "ln ,00na voluntate pax' nobis este< (con/13.1O).21 Die ,Ruhe', um die sich der Mensch auf der Suche nach der unendlichen Ruhe bemühen muß. ist der .gute Wille'. Denn alleine die Ruhe des guten Willens. die Ruhe der Liebe entspricht der Ruhe selber, die Gott ist (,tua quies tu ipse es' conf 13.53).22 Diese Korrespondenz findet ihre Fo rtsetzung im Gemeinschaftscharakter der Liebe. Das gegenseitige Ruhen in Gott impliziert ein gegenseitiges Lieben, zu dem die Gemeinschaft der G läubigen schon auf der Erde verpflichtet ist. Wie Gott eine liebende. dreifaltige Gemeinschaft bildet. ist der ewige Sabbat nicht als Individualangelegenheit gedacht. Die caritas richtet sich immer nach außen. sie ist dem Anderen zugeneigt Die Liebe ist unsere Schwerkraft (" Pondus mewn amor meus" conf 13,10), die uns zu dem Ort ziehen soll, der der Liebe entspricht. Diese liebende Schwerkraft soll also das Leben des Menschen bestimmen. Die Früchte der Liebe kommen nämlich immer den Anderen zugute, wie Augustinus nicht müde wird zu erwähnen. Die Werke der Nächstenliebe als Beispiele für das biblisch geforderte .Frucht bringen' kommen in 13. 21f.; 13.24; 13,34 und 13,38f. zur Sprache. Die Werke der Barmherzigkeit werden als ,terrae frucrus' (conf 13,38) bezeichnet, als Früchte der Erde, wobei Erde hier als Bild für die zu Gott gehörenden Menschen steht So spricht Augustinus über die Gemeinschaft der ,spiritales', der geistigen Menschen im Gegensatz zu den fleischlichen, den ,carnales' (vgl. con! 13,33). Solange die Menschen jedoch in Pilgerschaft sind - das heißt auf der Erde unterwegs in die himmlische patria - weiß keiner, wer zur Gemeinschaft der geistigen Menschen gehört und wer rucht. Es zeigt sich deutlich, daß Augustinus hier schon in der Gemeinschaft der ,spi.ricales' die ,civitas dei,n intendiert.24 Wer jedoch auf der Erde sichtbar zur Gemeinschaft des Gottesstaates Vgl. auch ebd.: ,,ibi [In Ewigkeit) nos conlocabit ,volunw bona·... II Diese Ruhe ist selbstverständlich nicht als A usruhen am Kissen des guten Gewissens gemeint, sondern als eine göttliche Clunkterisierung: Ruhe als völlige Einigkeit mit sich selbst, als Vollkommenheit, die in der Güte ihren wesenhaften Ausdruck findet . n Vgl. auch das ethisch begründete ,Idtll der Gott wohlgeGlligen Menschheit' (RGVB 76) bei Immanuel JUnt. Er zeigt sich überzeugt, cbß ..das, was allein eine Welt zum Gegenstande des göttlichen Ratschlusses, und zum Z wecke der Schöpfung machen kann, ist die II
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Menschheit [...] in ihrer moralischen ganzen Vollkommenheil [...]." Vgl. auch Schu1te-Klöcker: Das Verhaltnuwn Ewigkeit lind Zeit als Widerspiegelllngder lkzim.ng zwischen Schüpfor.nd Scbäpfong, 281 , ..Sich in du Li,he zu Gott grund,nd, die umbdingbu die venntwortliche Liebe zu den Menschen implizien, versteht sie sich als Gott zugehörige Gemeinschaft. die später AugusbnuS als ,civiw dei' bezeichnen wird."
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150 Jakub SirovJtka gehört, muß nicht unbedingt am ewigen Leben teilhaben und umgekehrt (vgl. civ. 1,35). Auch die Schilderung der Geschichte der Gemeinschaft derer, die zu Gott gehören, endet im späteren geschichtstheologischen Werk De civitate dei mit dem Ausblick auf einen ewigen Sabbat (civ. 22,30): "vere maximum sabbaturn non habens vesperam". Der vorwiegend individuelle Aspekt - mit etlichen Ansätzen auf eine Gemeinschaft hin versehen - des ewigen Sabbats in den Confessiones wird in De civitate dei zu einer Vision eines gemeinschaftlichen Sabbats o hne Ende geweitet.
3.2. Das Liebesgebot als hermeneutisches Prinzip in ,De da'" ina christiana' In unmittelbarer zcitlicher Nähe vor den Confessiones hat Augustinus sein hermeneutisches Werk De doctrina ehristiana (bis um 397 unvollendete drei Bücher; das Werk wurde erst 426 im Zuge der Revision seines Gesamtwerks vollendet) verfaßt, in dem er seine henneneutische Grundsätze formuliert. In wesentlich extensiver Form als in den Confessiones wird hier das doppelte Liebesgebot als das eigentliche Ziel der Auslegung dargetan. Die encschcidenden Stellen finden wir vor allem im ersten Buch2S , in dem es um die Methode des Entdeckens (,modus inveniendij des Schriftsinnes geht: 1,27: ",finis itaque praecepti est dilectio' [1 Tim 1,5], et ea gemina, id est dci et proximi"; 1,39 ",legis' et omnium diuinarum scripturarum ,plenirudo' et finis ,esse dilectio' cci"; 1,40: .,quisquis igirur scripruras diuinas uel quamlibet earum partern intellexisse sibi uiderur, ita ut eo inte11ectu non aedificet istam geminam caritatem dci Cl pro ximi, nondum intellexit." und 1,44 "quapropter, cum quisque cognouerit ,finem praecepti esse caritatem, de corde puro et conscientia bona el fide non ficra' (1Tim 1, 51, omnem intellectum diuinarum scriprurarum ad 1Sta tria relarurus ad tractationem illorum librorum securus accedat. " . Das doppelte Liebesgebot gegenüber Gott und dem Nächsten stellt die Fülle des ,Gesetzes' dar, es ist das Ziel der Auslegung und zugleich Maßstab für das eigene Verständnis der Schrift. Wer nicht verstanden hat, daß die Bibel ein ethisches Buch ist und nicht fihig ist, sein Verständnis auf die Liebe auszurichten, hat laut Augustinus die Bibel noch nicht verstanden. Die ,ethische Finalisierung' der Exegese wird erneut im vierten Buch deutlich, in dem es um die Methode des Weitergebens (,modus proferendij geht. Augustinus ist in doctr. ehr. 4,61 der Ansicht, daß eine ethisch-praktische Le-
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Weitere relevante Stellen sind 2,10 und 62; 3, 20 und 23.
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Der Pri""'t "" Praktischen 151 bensfuhrung die fehlende rhetorische Gewandtheit eines christlichen Redners ersetzen kann, ja sogar daß sie höher steht. 26
3.3. Das Problem von uti/frui im Liebesgebot Das doppelte Liebesgebot impliziert bei Augustinus eine Problematik, die bekannterweise mit dem Begriffspaar ,frui / uti' zum Ausdruck kommt. Augustinus unterscheidet nämlich in de:r Liebe eine doppelte Richtung: das das Genießen, wird um der Sache selbst willen e:rsterbt ,proprer se ipsam' (doetT. ehr. 1,4); das ,uti', das Gebrauchen dagegen ,nur' um den Zweck eines Ande:ren willen ,propter aliud' (doctr. ehr. 1,20). Objekte des Genießens sind allein Gott ,Vater, der Sohn und de:r Heilige Geist' (doctr. ehr. 1,5). So stellt sich die magna quaestio, ob man auch die Menschen, die man ja lieben soll, auch genießen darf, oder gebrauchen kann ode:r beides.'II Die Beantwortung dieser Frage faLlt zuerst eindeutig aus (für modeme Ohren ein wenig befremdlich): den Ande:ren darf man nur um den Zweck eines ande:ren - um Gottes - willen lieben. Neben diesem ,harten' Aspekt, der Augustinus auch Kritik eingetragen hat (das prominenteste Beispiel ist Hannah Arendt), gibt es jedoch auch andere Momente in der Bestimmung der Liebe zwischen den Menschen im Verhältnis zu Gott. Die Liebe zu Gott und dem Nächsten, die ja eine einzige ist, zielt in ihre:r Finalität auf eine liebende Gemeinschaft, auf ein ,gemeinsames Genießen in Gou'. Dany Dideberg weißt auf eine Stelle in 10. eu. tr. 17,8 hin, wo zwischen einem ,ordo praecipiendi' im Hinblick auf Gottesliebe und einem ,ordo faciendi' im Hinblick auf Nächstenliebe unterschieden wird: " dei dilectio prior est ordine praecipiendi, proximi autem dilectio prior es[ ordine faciendi«.23 Augustins Einsicht in die Unmöglichkeit der Liebe zum Anderen als Anderen hängt neben seiner theologi-
.fru.i"
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Vgl. dazu Pollmann: Nachwort zu Augusrinus: Die christliche Bildung, 279. Zu den verschiedenen Aspekten der ,carit.ts· (wie z.B. ontologisch, anthropologisch) vergleiche D~. : Doctrina cbristiana, 125f. und das Stichwort ,Cantat von Dideberg. Die Liebe. zu sich selbst muß nach Augusrinus nicht geboten werden, da sich jMer auf· grund eines NaturgeSetzes liebt. Nur gegenüber Gon und dem Nächsten bedarf es eines SoUms. Vgl. doctr. chr. 1,24-27. Verheijen unteminunt in Le ptemier livre du De docttina
christttna d'Augustin einen Versuch, die Spannungen zwischen der Gones·, der Nächstenund der Selbstliebe zu lösen oder wenigstens zu entschärfen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß sich keine der dcei Anen der Liebe. wid~prechen muß (S. 183f) "Somme taute, in ne faut pas sacri6er l'amour de soi·meme et du prochain ä ('amour (,pur? de Dieu; ma..is il ne faut pas, non plus, sacri6er ('amour de soi-meme (et de Dieu?) ä "amour (.pur? du procha.in. Chez Augustin, ces trois amours sont, dans le concret, inseperables, et cela sans aucune tension qWlfld nous serons a.nves au -reAO<;, mais ce.la aussi ave<: les tensions qu'on sait, dans la vie post· lapsaire d'ici-bas." 1I Vgl. Dideberg: ,Caritas', 731.
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152 Jakub Sirovatka schen Motivation aufgrund des Abstandes zwischen Schöpfer und Geschöpf auch mit seiner traumatischen Erschütterung beim Tod des Jugendfreundes (zu erinnern sind auch der Tod des Sohnes Adeodat und der Muner Monica) zu· sammen, wie es im vierten Buch der Confessiones beschrieben ist. Den Anderen zu genießen, ist laut Augustinus nur mit dem entscheidenden Zusatz ,.in deo' zulässig. Was heißt es aber, ,den Anderen in Gott genießen'? Es heißt doch, dem Anderen das zukommen zu lassen, was ihm Gott zugedacht hat · eine unendli· che Güte und Liebe. Es gebt also nicht darum, den Anderen als Mittel zum Zweck der Liebe zu Gott zu benutzen oder den anderen Menschen an Stelle Gottes zu setze~ sondern sdbst so zu handeln, wie Gon an uns handelt. Trotz der problembeladenen Unterscheidung zwischen uti· und frui· Liebe geht es letzendlich um einen ethischen Anspruch, der sich immer zuerst an jeden Ein· zeinen persönlich richtet. Der Mensch hat dementsprechend eine göttliche Auf· gabe • zu lieben, wie er uns geliebt hat
4. Abschließende Anmerkung Treffend beschreibt Karla Pollmann den Z usammenhang zwischen Bibel· auslegung und Ethik bei Augustinus: "Die Bibelauslegung ist somit ein Weg zu Got~ der in die caritas eingebettet sein muß und in sie mündet [...]. Die Her· meneutik. ist damit in die Finalisierungshierarchie der Ethik eingebunden, der Ethik, die ihrerseits die Dimension der Auslegung bestimmt."29 Daß der sensus moralis in den Büchern XlI und XIII der Confessiones auf den ersten Blick nicht im Vordergrund steht, hängt mit der Tatsache zusammen, daß Augustinus das doppelte Liebesgebot als das Ziel der Schriftauslegung • wie er es allem voran in De doctrina ehristiana darlegt · als eine selbstverständliche Voraussetzung fiir andere Lektürearten annimmt. Erst auf diesem fest gewonnenen ,fundamenrum inconcussum' kann er sich extensiv und intensiv der allegorischen Auslegung widmen. So hat es Augustinus selbst geschrieben, als ob er schon seine überwiegend allegorische Genesis·Auslegung in den letzten Büchern der Confessiones vor Augen hätte (doetr. ehr. 1,44): "Wenn daher jeder einzelne erkannt hat, daß das Ziel der Vorschrift die Liebe aus einem Herzen und mit gutem Gewissen und nicht vorgetäuschten Glauben ist [1 Tim 1,5], dann wird er das ganze Verständnis der görtlichen Schriften auf diese drei beziehen und an die
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Pollmann: Doctrina christiana, 139. Eine ähnliche VerhäJtnisbestimmung zwischen Ethik und Hermeneutik hat auf der jüdischen Seite Emmanuel Levinas vollzogen: das Wesen der jüdischen Religion und der ThON sieht er in einer universalen Ethik der ,Verantwortung fiir den Anderen'. Vgl. dazu Levinas: De Nthiqut "exegese und De Ia kcture juivt des
a
Ecriturts.
Lueraturverzeichnis 153 Behandlung jener Bücher sicher herantreten.«)0 Die anderen Auslegungen müssen im Dienste der mo ralischen stehen. Dies zeigt: sich auch in deo letzten zwei Büchern der Confessiones und das nicht nur als eine theoretisch-methodologische Vorgabe, sondern auch in der pnktisch durchgeführten Auslegung der Genesis-Verse. Neben den Motiven der ,Anähnlichung an Gott< durch die Güte, den Werken der Nächstenliebe, durch die Charakterisierung der ,spirica1es.ktischen Charakter der Lcbensfiihrung, die das Etgebnis der Schriftauslegung sein soll. Denn eine ,civitas dei' zeichnet sich insbesondere durch die liebende Zuneigung der hirrunlischen Bewohner zueinander, die Gott und sich gegenseitig in Gott genießen (vgl. doctr. ehr. 1,35). Auch wenn das Ziel des himmlischen Sabbats ein eschatologisches bleibt, entscheidet es sich jedoch jetzt in der irdischen Zeit: in der moralischen ,conversio' jedes Einzelnen.
)0
Zitiert nach der übersetzung von PoUma.nn: ~ christliche Bildllng, 45.
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Christof Müller
Confessiones 13: ,Der ewige Sabbat' die eschatologische Ruhe als Ziel der Schöpfung
E s dürfte viele angemessene Paradigmen und Parabeln geben. die Grundanlage und den Grunddukrus der Confessiones zu beschreiben und zu interpretieren.' Doch scheint ihr Verständnis als eine An ,spiritueUe Wegbeschre.ibung' hermeneutisch besonders fruchtbar zu sein: Die Confessiones wären demnach das Nachzeichnen und Nachvollziehen eines \'(Ieges, der aus der Entfremdung in die Heimat und dabei von ,unten' nach ,oben' und vom ,Fleischlichen' zum ,GeistigGeistlichen' führt. Die ersten 10 Bücher erzählen demzufolge die gottgeleitete ,peregrinario' von sündenbehaftcter Geschöptlichkeit zur Gnade, die Bücher 1113 die Fonsetzung der Pilge.rschaft im Stande der Gnade als ein durch die Hilfestellung der Bibel ermöglichtes Sich-Aufschwingen der chrisclich-kirchlichen Existenz. Dieses Sich-Aufschwingen gelangt schließlich mit Buch 132 zu seiner Kulmination, und zwar als Sich-Abfedern des ,Ich' der
Confessiones
von den
Buchstaben und Zeich en der Schrift hin zu deren geistlichem, ja letztlich eschatolo gischem Geist und Gehalt. Von daher erscheint e s plausibel, Buch 13 in vielerlei Hinsicht als das dezidiert
I
!
Jetzte'
Buch der
Confessiones
zu begreifen:
Grundlegendes zu G.mungs- und Strukturfn.gen bei Feldmann: Confessiones. Als (elektronische) Textausgabe für die Confessiones wird zugrundegelegt: Mayu (Hrsg.): Corpus Augustinianum G~ - CD -ROM. Das CAG ist ebenso maßgeblich für die weiteren angcfUhnen Wecke Augusrins sowie für deren jeweilige Abkiirzung und Einteilung. Wichtige LitU20Nr für die Interpretatio n von Buch 13, zuma1 mit Blick auf die darin enthaltene Eschatologie des ,ewigen Sabbat': Bonnin Aguil6: Ana/isis ttolOgico-/itn-ario ckI /ibro XIlI dt Lu ,Conftsiones' eh San Agust{n; Boyer: Eternitl et criation dans les dnnirn li'lJTt:S des ,Confessions'; Cayr':: Le livre XIII des ,Confessions'; Folliet: La eyp%gU du .S4bbat' cbez saint Augustin. San intcpritation milLenariste entre 389 et 400; HoU: Die
Welt
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mit ihm kommt die ,Entelechie' des Opus zu ihrem Ziel; mit und nach Buch 13 dürfen die Confessiones enden, weil die über die ersten 9 Bücher hinweg gesuchte. in Buch 10 erfaßte und in den Büchern 11 -12 angewendete neue Spiritualität des Gottsuchenden hier in Buch 13 den erfolgreichen Beweis ihrer Fruchtbarkeit führt. Diese Fruchtbarkeit besteht näherhin darin, daß we lange ersehnten Güter der Weisheit und des Glücks sich nunmehr in einem im Diesseits überhaupt nur erreichbaren Maße erahnen lassen und zugleich den Ausblick auf die Möglichkeit ihres vollendeten und endgültigen Besitzes im eschatologischen Jenseits freigeben: Über die ,e"erio,a' (1-9) und die ,interiora' (10) stoßen die Bücher 11 -13 zu den ,superioral vor, ja Buch 13 öffnet gar we Fenster des Geistes und des Herzens für den Blick auf das ,ultimum', den ,finis" das ,.Letzte" das hier als Ziel- und Ruhepunkt - als ,.reqwes' - derjenigen Suche und Dynamik aufscheint, die die Confessiones und in ihnen Augustinus selbst seit Paragraph 1,1 antreiben und umtreiben. Die von der G nade gelenkten Geschöpfe streben zur zukünftigjenseitigen endgiiltigen Ruhe im Schöpfer, in und mit der we Unruhe, Veränderung und Zerrissenheit des Lebens in der Weltzeit ein seliges Ende finden wird. Von diesem Grundverständnis der Confessiones und ihres Buches 13 ausgehend, seien im folgenden einige Grundlagen der augustinischen Eschatologie und deren Niederschlag in den Confessiones aufgezeigt und sodann deren Fokussierung im Topos der eschatologischen Ruhe im ewigen Sabbat illustriert.
1. Grundzüge augusrinischer Eschatologie) Im Werk Augustins finden sich zwei unterschiedliche Zugangsweisen zur Lehre vom ,finis' und den ,.Letzten Dingen': ein stärker individueller und ein sticker kollektiv-kosmischer Ansatz. Der erste weser Ansätze ist eher philosophisch geprägt und im Frühwerk dominierend, der zweite ist eher biblisch inspiriert und schafft sich im (Euvre des Kirchenvaters zunehmend breiteren Raum, wn schließlich sogar. wie beispielhaft in De ciuitate dei, Bücher 19-22, den ersten Aspekt vollständig in sich zu absorbieren. Eine erste interessante Ineinanderblendung von individueller und kollektiv-kosmischer Eschatologie können wir aber bereits in der Schrift De uera religione. besonders in den Paragraphen 48-50, ausfindig machen (verfaßt um 390). Die Vollendung des Geschaffenen im gnadenhaften Zu-seinem-Ziel-Ge1angen und Zur-ewigen-RuheKommen wird hier als ,finis' einer Enr:wicklung. eines siebenstufigen Aufstiegs gezeichnet, wobei die Stufen des Aufstiegs wie auch deren letztlich eschatologische Krönung den individualbiographischen Weg des Einzelmenschen einer) Siehe: dazu Eger.lM Eschalologie AugllStins; Be:noit: Rnnarques sur /'eschalolog~ eh saint
Augustin; M.y: Eschatolog;. V. Alte Ki",h<.
o,nfessumes 13: ,Der ewige Sabbat' 157 seits und die E ntwicklung der durch die Heilsgeschichte bestimlmen Weltge-
schichte andererseits aneinander spiegeln. Das Individuum beginnt sein Leben no twendig als naturhafter, als ,fleischlicher' und .alter' Mensch, wie Augustin mit Paulus formuliert. Dieser ,alte Mensch' entwickelt sich von seiner bloßen Naturhaftigkeit her auf Alter und Tod zu, doch kaon das Individuum den Niedergang übers t~ wenn es zur Existenzweise des ,neuen Menschen', cl.h. zum Glauben an Christus kommL Die E ntwicklung dieses ,neuen Menschen' aber führt letztlich eben gerade nicht in blo ßen Niedergang und Untergang, sondern ganz im G egenteil stufenweise zur Vollendung, die in der himmlischen Ruhe der ewigen Seligkeit ihre Verewignng erfahren wird. Vetgleichbu verhält es sich nach Augustin mit der Welrgeschichte, über deren naturhafte A nfange sich ebenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt das .neue Gottesvolk' des biblischen und schließlich chri stlichen G laubens erhebt, das sich nicht - wie der sündenvemaftete Rest der Menschheit - auf G ericht und Verdammung, sondern auf die eschatologische Vollendung hin bewegt: «.Denn wir werden alle auferstehen, aber nicht alle werden verwandelt werden. Auferstehen also wird das fro mme Volk, um die Überreste des alten Menschen in den neuen zu verwandeln. Auferstehen aber wird auch das gottlose Volk, das von Anfang bis E nde den alten Menschen an sich trug, um in den zweiten Tod hinabgestürzt zu werden» (uera Tel. 50).· Zenuwn insbesondere der individuellen E schatologie Augustins ist hier, wie gehö rt, neben und mit dem Topos der ,ewigen Ruhe' das philosophiegeschichtlich und religio nsgeschichtlich traditio nsreiche Ideal der ,beatirudo'.s Vo n diesem G edanken aus hatte Augustinus bereits vo n Anfang an und in seinen allerersten Schriften seine Lehre vo n der letzten Erfüllung des Menschen entwickelt und, z.B. in der programmatischen Schrift De beata uita, in Nähe zum N euplatonismus als dem Weisen in dieser Weltzeit in etwa zu erreichendes E ntrückungsziel verstanden. U.a. durch die intensivere Pauluslekriire belehrt. verschiebt er indes dieses Ideal spätestens ab 394 endgültig ins J enseits - dies gilt also auch für die Eschatologie von con! 13 - und wird später in Retractationes 1,2 seinen früheren O ptimismus sogar dezidiert als ,Irrtum' kritisieren. Für den späteren Augustinus sind der endgültige Z ugang zum Ewigen und die Vorstellung von der ewigen Seligkeit noch weit stärker als in De uera religione am G eist der Bibel o rientiert, hei1sgeschichtlich durchdrungen und vo n der christlichen E schatologie her geprägt. Wissen vom und Zugang zum Eschato n erhalten die Men schen durch da s Medium der O ffenbarung (,manifestatio'/ 'reuelatio') der Heilsökono mie Gdispensatio (ternporalis)' / 'historia (s. cra)j. Z war entspricht der zukünftige Z ustand der endgültigen ,beatitudo' dem einstigen G lück im Paradies und ko rrespondiert desgleichen mit der aprio rischen
• ü bersetzung angelehnt an Thimme: ANgustinlU. 7beoIogische Frühschriftm. ~ Zum Begriff siehe Noronha Galvio: Beatitudo.
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Christo!Mil/kr
Glückseligkeitsidee in eines jeden Menschen Herz, doch neigen die Menschen durch ihre Verstrickung in Sinnenwelt und Sünde dazu, diese Idee zu vernebeln und auf dem falschen Weg zu suchen, wenn nicht die den Blick klärende und den Willen befreiende Gnade der ,bistoria sacra' zu Hilfe kommt (siehe z.B. trin. 14,21). Diese ):Listoria sacra' und ihre heilende und heilsame Wirkung für die Menschen weisen dabei spiirbar andere Schwerpunkte als die Modelle von ,ascensus', von intellektuellem Aufstieg auf. die wir in den augustinischen Frühschriften finden. Hier liegt der Akzent nun zunehmend nicht mehr auf der Kontinuität einer organischen Entwicklung, deren Vollendung in der Glückseligkeit sich nahezu automatisch und bruchlos an die innerweltliche Aufstiegsbewegung anschließe, sondern jeczt dominiert das Struktumlomem gnadenhafter Diskonti·
nuität: Ln der \Veltzeit ist es das eirunalige, einzigartige und unableitbare Christusgeschehen, das allein den Aufschein und Ermöglichungsgrund eschatologischer Vollendung darstellt; am Ende der Weltzeit sind es Christi Wiederkunft zum Gericht und Gottes Neuschöpfung von Mensch und Welt, die Zugang zur Vollendung und zur ewigen Seligkeit allererst ankündigen, eröffnen und verwirklichen. Dadurch wird die individuelle Vollendung zunehmend in den Horizont der ko llektiven, weltgeschichtlichen und kosmischen ,consummatio' geblendet und integriert, wie es Augustin vor allem in De ciuitate dei in aller Breite vorführt und ausführt. Die abgeschiedenen Seelen der Verstorbenen befinden sich nach einem Vorgericht zunächst in einem mehr oder weniger bestrafenden oder belohnenden Wartezustand, bis mit dem zweiten ,aduentus Christi' das Weltende eingeleitet wird und sich gemäß der Auflistung von ciu. 20 der Ablauf der eschatologischen Endereignisse vollzieht Auferstehung der Leiber, Gericht. Weltenbrand und Wdterneuerung. Erst dann schließt sich lecztendlich das ewige Geschick des Menschen an, sei es in der Pein der Hö lle, sei es in der Ruhe und Glückseligkeit des Friedens und der Gottesschau im Himmel. Wenden wir uns vor diesem Hintergrund der Frage nach dem ,Lel2ten' in den Confessiones zu. Der eschatologische Impetus und die eschatologischen E lemente in den Confessiones setzen zwar bereits die theologische Entwicklung Augu. stins hin zur biblisch gespeisten Anschauung voraus, richten ihr Augenmerk jedoch aufgrund der Thematik und der Anlage des Werkes gleichwohl in weiten Teilen auf die Frage nach dem individuellen Endziel Augustins bzw. der Christen, so daß die sozi.a.le und die apokalyptisch-kosmische Dimension schwächer ausgeprägt sind. Innerhalb dieses Rahmens reißt jedoch bereits der erste Paragraph des Gesamtwerkes, con/. 1,1, mit seiner sprichwörtlich gewordenen Sehn· sucht nach dem endgültigen Ruhefinden in Gott die eschatologische Perspektive auf, die als Grund- und Zwischenton in der Symphonie der gesamten Confessio.
nes immer wieder mehr oder weniger deutlich an- und mitklingt. In Buch 7, Paragraphen 23f., tritt sie dann erstmals klarer in den thematischen Vordergrund, wenn Augustin von einem frühen Entrückungserlebnis berichtet, das ihn
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zwar für den Bruchteil einer Sekunde an die Sphäre dieses Ewigen rühren ließ, ihm jedoch zugleich die von Wehmut und Sehnsucht begleitete Erfahrung vermittelte, daß ein dauerhafter Genuß des Göttlichen nicht im Diesseits, sondern allenfalls im Jenseits zu erlangen ist - und schon gar nicht aus eigener Kraft, sondern allein dank der Mitderschoft und WegweisungJesu Christi. In conf. 9,23-25 wird dieses Motiv, eschatologisch verstärkt und biblisch gefiillt, im Nachmeditieren der Ostia-Vision Augustins und seiner Mutter erneut aufgenommen und weitergefiihn:. Kurze Zeit vor dem Tode Monnicas sinnieren Mutter und Sohn, ..auslangend nach dem, was vor ihnen liegt», über das zukünftige Leben der Heiligen bei Gon, das noch kein Auge gesehen und kein Ohr gehön habe und nach dem eines jeden Herz sich gleichwohl begierig ausstrecke. Die heiden gelangen dabei zur Einsicht, "daß mit der Wo nne des ewigen Lebens kein Entzücken unserer fleischlichen Sinne, wie groß es sei, wie köstlich es im irdischen Lichte gleiße, sich vergleichen, ja daneben auch nur nennen lasse: da erhoben wir uns mit heißerer Inbrunst nach dem wesenhaften Sein
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160 Christo!Müller Einen. Was dahinten liegt vergessend, nicht zerspannt in das Viele, was da kommt und geht, sondern ausgespannt nach dem, was vOIWeg zeidos da ist, ringe ich, nicht in der Weise der Zerfahrenseins, sondern in der Weise der gespannten Sammlung wn die Palme der Berufung nach o ben, wo ich das Loblied vunehmen und deine Wonne schauen soll, die nicht ko mm I und nicht geht" (con! 11 ,39). Wenig später bringt Augustinus seine Ho ffnung auf sein Beständigwerden durch die Wahrheit Gottes in einer ganz ähnlichen Metaphorik zwn Ausdruck: "et stabo atque solidabor in te, in forma mea, uencate tua - Dann wird mir Stand und Festigkeit sein in Dir, meiner Form, meiner Wahrheit" (con! 11,40). Im 12. Buch sodann eröffnet sich der Ausblick auf die ewige Sammlung und den seligen Frieden bei Gott im R2hmen der Reflexion über das ,caelum caeli', nach dessen eschatologischem Genuß der von religiösen und theologischen Attacken gepeinigte Augustinus sich sehnt "Ich möchte die da draußen ihrem Treiben überlassen, daß sie in den Staub blasen und sich Sand in ihre Augen wirbeln, ich möchte in meine Kammer gehen und dir L ebeslieder singen, auf meiner Pilgerfahrt seufzend in unsagbaren Seufzern, im G edenken an Jerusalem, das Herz erhoben zu ihm, zu Jerusalem, meiner Heimat, Jcrusalem, meiner Mutter, und zu dir, der du ihm bist der Herrscher, sein Erleuchtet, sein Vater, Schützer und Gemahl ... Und nicht abwenden will ich mich, bis du in Jerusalems, der teuersten Mutter, Frieden, wo die Erstlinge meines Geistes sind, woher mir die Gewißheit kommt über diese Dinge, bis du aus dieser Verstreuung und Entstellung hier alles, was ich bin, zusanunengreifst und zu Gestalt und Gefüge machst auf ewig, mein Gott, mein Erbanner" (con! 12,23). Was den eschatologischen Gehalt von Buch 13 becrifft, so haue Augustinus ja bereits in con! 11 ,3 für die letzten 3 Bücher seiner Confessiones die Betrachtung der Heiligen Schrift von der Schöpfung bis hin zur endzeitlichen Herrschaft Gones in seiner heiligen Stadt angekündigt; dieses Programm kann er nunmehr trotz Beschränkung auf Gen dadurch zur Verwirklichung bringen, daß er den Bibeltext allegorisch auslegt, und zwar hierbei nicht nur figural oder anagogisch, sondern, zwnal was den ,siebten Tag' betrifft, massiv und entschieden eschatolo-
gisch. Die E schatologie vo n Buch 13 und hier insbeso ndere der Paragraphen SO53 wird dabei so stark von der Allegorese des Schöpfungssabbat und vom Topos der ,ewigen Ruhe' beherrscht und absorbiert, daß an diesen Stellen kaum mehr eschatologische Reflexio nen außerhalb dieses theologischen Motivkreises und außerhalb dieses Sprachspieles, dieser theologischen Topik, zu finden sind. Bevor dieses entscbeidende Sprachspiel jedoch in einem erneuten Rückgriff auf das Gesamtceuvre des Kirchenvaters von seinen Fundamenten her zu erhellen und in seiner Verdichtung in con! 13 zu beleuchten ist, seien vorab die wenigen Stellen erwähnt, die unabhängig vom Topos der ,requies' vom ,Letzten' von Mensch und Wdt reden. Zu Beginn der allegorischen Auslegung des I. Schöpfungsberichts von Gen in con! 13,13 spricht der Kirchenvater von der gnaden-
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haften Erleuchtung der Christen in Bekehrung, Buße und Umkehr, und er fahrt in Umerscheidung von diesseitigem Glauben und jenseitiger Schau fort "Und dennoch erfolgt dies alles hier noch im Glauben und noch nicht im vollendeten Anblick. Auf Hoffnung nämlich sind wir gereuet; eine Hoffnung aber, deren Gegenstand man schon schaut, ist ja keine Hoffnung mehr'" (con! 13,14). Selbst der hier so dicht zitierte Paulus ist laut Augustin noch nicht von den Lebens- und Glaubensnöten befreit: ..Selbst er, Paulus, glaubt nicht schon ergriffen zu haben, und so greift er, vergessend, was dahinten liegt. nach dem aus, was vorne ist, er seufzt unter der Last, und seine Seele dürstet nach dem lebendigen Gott wie der Hirsch nach Wasserquellen und spricht: Wann darf ich kommen?'" (ebd.). Mit den ,Erstlingsgaben des Geistes' ausgestattet, seufzt der ,Freund des Bräutigams" Christi, nach der ,Stadt Gottes'. sehnt sich als ,Glied der Braut', der Kirche, mit dem Bräutigam vereint zu sein und jenes Licht zu schauen: "Und was erst wird es sein um jenes Licht im Schauen, wenn wir ihn sehen werden, wie er ist, und die Tränen ein Ende haben, die meine Speise geworden sind Tag und Nacht' (ebd.). Doch soll der Christ, so fahrt Augustiaus in con! 13,15 fort, ob des Ausstehens der ewigen Herrlichkeit nicht traurig sein, sondern seine Hoffnung auf den Herrn setzen: "Hoffe und harre aus, bis vorübergeht die Nacht ... Hoffe auf den Herrn. Des Morgens werde ich aufrecht stehen und schauen; immer werde ich ihn preisen. Ja, des Morgens werde ich aufrecht stehen und das Heil meines Angesichtes schauen, meinen Gott, der auch unseren sterblichen Leib lebendig machen wird um des Geistes willen, der in uns wohnt".IOAugustinus fahrt im selben Paragraphen ein wenig später fort "Deshalb haben wir auf dieser Pilgerfahrt das Unterpfand empfangen, daß wir jetzt schon, obgleich erst auf Hoffnung hin des Heils teilhaftig geworden, Licht sind und Söhne des Lichts und Söhne Gottes, nicht Söhne der Nacht und der Finsternis, was wir doch gewesen sind".11 Die letztlich eschatologische Scheidung der Menschheit in ,Licht'/ 'Tag' und ,Finsternis'/'Nacht' darf freilich nicht das endliche Geschöpf, sondern allein Gou vorndunen: .. Uns Menschen nach den einen und nach den anderen zu
, et tarnen adhuc per fidem, nondum per spc:ciem. spe enim salui Cacti sumus. spc:s autem, quae uidetur, non est spes. • nondum se arbitrarur comprehendisse, et quae retto oblitus, in ea, quae ante sunr, extenditut et ingemescit gauatus, et sirit anima eius ad deum uiuum, quemadmodum cerui ad fontes aquarum, et dicit: quando ueniam? 9 quae est illa spc:ciei lux? cum uidebimus ewn, sicuti est, et transierint bcrirru.e, quae mihi Cactae sunt panis die ac nocte. 10 spera et pc:rseuera, aspiret dies et remoueantur umbrae .... sper.l in domino: mane astabo et contempbbor; semper con6tebor illi. mane astabo et uidebo salutare uulrus mei, deum meum, qui uiui6cabit et mortalia corpora nostra propter spmrum, qui habitat in nobis. 11 unde in hac pettgrinatione pignus accepimus, ut iarn simus lux, dum adhuc spc: salui Cacri sumus et 6lii lues et 6lii diei, non 6lii noctis neque tenebnrum, quod tarnen fuimus.
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scheiden, das steht freilich, weil alles menschliche Wissen hierin noch im Ungewissen bleibt, dir allein zu, der du unsere Herzen prüfst und das Licht Tag nennst und die Finsternis Nacht. Denn wer sonst als du unterscheidet uns?"1 2 (ebd.). Diese Gedankengänge variiert der Kirchenvater schließlich, wenn er über Gottes ewiges Wort und dessen lediglich relativ zeitenthobenen Niederschlag im menschlichen Wort der Bibel reflektiert, das gleichwohl der eschatologischen Hoffnung auf zeit- und endlichkeitsüberwindendes vollkommenes Heil Kraft und Inhalt gibt: "Dein Wort aber bleibt auf ewig. Es erscheint uns einstweilen nur im Rätsel der Wolken und nur im Spiegel des Hinunels, nicht so, wie es wirklich ist, da ja auch an uns, obgleich wir die Geliebten deines Sohnes sind, noch nicht erschienen ist, was wir sein werden ... Doch wann er erscheinen wird, werden wir ihm ähnlich sein, weil wir ihn schauen werden, wie er ist. Wie er ist, Herr, ihn zu schauen: dies unsere, noch ist es nicht unser"!) (con! 13,18).
2. Die Eschatologie des ,ewigen Sabbat' Augustins Eschatologie in Buch 13 kulminiert in der Vision vom ,ewigen Sabbat" von der himmlischen ,requies'. Bei einem Blick auf das Gesamtwerk fillt dabei ins Auge, daß ,Ruhe' vornehmlich in individualescbatologischem Zusammenhang als das .Letzte' fungiert; in sozialescbatologischem Kontext entspricht diesem Vorstellungsk.reis der dort meist präferierte Terminus ,pax', der jedoch ähnlich wie ,(re)quies' die Momente von Harmo nie, Im-Einklang-Sein, O rdnung etc. umfaßt - man denke etwa an die ,pax'-Tafel in ciu. 19. Von den ontologischen G rundanschauungen Augustins her ist ,Ruhe' in ihrer Idealfo rm ein göttliches Attribut, ja letztlich einer der Bezeichnungen Gottes selbst: Während indes, wie elWähnt, im Friihwerk die ,Ruhe des Weisen' noch als innerweltlich zu verwirklichendes Strebensziel eines quietistisch-kontemplativen Lebens angesehen wird, unterscheidet der Kirchenvater z.B. in De Genesi ad litteram 4,18,32 klar zwischen der vollkommenen. aber gleichwohl dynamischen Ruhe Gottes (selbst dessen Handeln ist nach ciu. 12,18 ein ,quiescens agere et agens quiescere') auf der einen und der zur Lebenszeit allenfalls relativen (und im übrigen keineswegs als Apathie zu ver5[ehenden) Ruhe des Menschen auf der anderen Seite, der im Diesseits lediglich vorzuschmecken vermag. was ihn im Jenseits an gefüllter und erfüllter ,himmlischer Ruhe' elWarten mag. I!
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inter quos et nos in isto adhue ineerto humanae notiri2e tu solus diuidis, qui probas corda nostra et uocas lucem diem et tenebras noctem. quis enim nos discemit nisi tu? uerbum autem tuum m2net in aetemum; quod nunc in aerugrruue nubium et ~r s~cu1um caeli, non sicuti est, appuet nobis, quia et nos quamuis filio N O dilecti sumus, nondum apparuit quod enmus ... sed eum appuue.Ct, similes ei erimus, quonWn uidebimus eum, sicuti est: sicuti est, domine, uidere nostrum, quod nondum es[ nobis.
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Confessiones 13: ,Der ewige Sabbat' 163 Für rue Vubindung des anthropologisch-ex.istentie1len Topos du ,requies' mit dem Gedanken du ,Ruhe Gottes am siebten Schöpfungstag' bzw. der .Sabbatruhe', die im Opus Augustins häufig anzuueffen ist, gilt im großen und ganzen rueselbe theologische Bedeutung und Bedeutungsentwicklung wie für ,requies' selbst: So läßt mus. 6,14 die Sabbauuhe noch mit der diesseitigen geistig-geiswehen Muße des spirituell Fortgeschrittenen korrespondiuen. In De Genesi aduersus Manicbeos - ein Werk, das ca. 389 kurz nach demjenigen über rue Musik abgeschlossen ist und das das Motiv du Ruhe Gottes am siebten Tag im Kontext einer vollständigen Heptaemeronexegese allegorisiert - weist die Sabbauuhe jedoch bereits auf das Ende des Wirkens Gottes im Menschen hin, also auf das Eschaton (cf. Gn. adu. Man. 1,33-35.41.43): eine Interpretation, die sich schließlich durchsetzen und u.a. in con! 13 niederschlagen wird.l • Zuvor sei jedoch mit einem kurzen Blick auf De Genesi ad litteram - das kurze Zeit nach den Confessiones in Angriff genommene exegetische Projekt die Vielfalt der augustinischen Ausdeutungen des ,siebten Tages' illustriert. So entdecken wir z.B. in Gn. litt. 4 neben der eschatologischen Allegorese dieses Topos (u.a. Gn. litt. 4,15,26-16,28) zusätzlich die eher literal gefaßte Auslegung des Schöpfungssabbat als das Ende der ,creatio ex nihilo' und den Beginn der ,creatio conrinua', also den Wechsel von der zeitlosen Simultanschäpfung hin zur Verwirklichung der räumlich-zeiwchen Schöpfung im Ablauf der Jahrhunderte (Gn. litt. 4,12,22sq.). Des weiteren dient der ,siebte Tag der Schöpfung' aber auch als typologische Verweisung auf rue ,requies' des ,Rüsttages', in der Jesus im Grabe ruhte und die gleichwohl auf die ewige hinunlische Ruhe weiterverweist (Gn. litt. 4,11,21). Eine weitere Variation des Themas bietet Enarrationes in Psalmos 91.2: Demnach entspricht die Ruhe am Schäpfungssabbat der ,requies' des Gewissens des redlichen Christen, die hier im Aufschien, im Jenseits dann in Vollendung erfahren werden kann. Blicken wir nun auf das 13. Buch der Confessiones, so erweist sich rue eschatologische Interpretatio n der ,Ruhe des siebten Tages' als für die Heptaemeronallegorese von zentraler Bedeutung, doch darüber hinaus stellen sich rue gesamten Confessiones als zutiefst von der Polarität der Begriffe ,Unruhe' und ,Ruhe' geprägt dar. Mit der ,Sabbatruhe' des Endes von Buch 13 korrespondiert bereits, wie schon angedeutet, rue ,Unruhe des Herzens' in con! 1,1, und bei einer linguistischen Bestandsaufnahme hinsichwch des Wortfeldes ,(re)quies' in allen Büchern der Confessiones erschließt sich schon vom formal-statistischen Befund her die Essentialitiit dieses Motivkreises für das Werk auch schon vor Buch 13. Einige wichtige Belegstellen für den Ruhe-Topos seien genannt: con! 1,4: Gon
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Zu Augustins Schöpfungsverstindnis und seinen Auslegungen von Gm siehe Mayer. Crealw, creator, creatllra; zur Allegorese des .Kirchenvaters siehe Ders.: Alkgori4.
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selbst ist ,semper agens, semper quierus'; con! 1,5: ..quis mihi dabit adquiescere m , : ..quae uero qwes , : " qwes . te,'" ; con), "213 - certa praeter do nunum, ' '" ; con). "218 est apud te ualde"; con! 6,26: .. tu solus requies"; con! 12,36: "deus meus, celsitudo humilitatis meae et requies laboris mei", Im letzten Buch der Bekenntnisse kornrm schließlich die unruhige ,peregrinatio' des Gesamtwerkes und seiner Subjekte im Blick auf das Eschaton zum kulminierenden Abschluß und zum Ausblick auf diejenige Ruhe, die letztlich Gott selbst und der in ihm ruhende Mensch ist Schon in con! 13,5 klingt das Leitmotiv ,quies' im Kontext der Auslegung von Gen 1,2 an, wenn die Rede vom ,Schweben des Geistes über dem Wasser' zur gnaden theologischen Bekräftigung dient, daß nicht etwa der göttliche Geist im Menschen, sondern umgekehrt der Mensch im göttlichen Geist zur Ruhe gelangt. Daß jedem innergeschichtlichen Ruhen im Geiste Gottes gleichwohl immer neben dem Aspekt des ,schon' auch ein Anteil von ,noch nicht' innewohnt, klärt Augustinus in con! 13,8 und 10: Der Geist Gottes ist demnach nämlich zugleich die treibende Kraft, die das Geschöpf als ,pondus' und ,amor' erst zu seiner endgültigen ewigen Ruhe und Erfüllung hinzieht: ,.Auf daß wir von denen seien, die das Herz empor zu dir erhoben halten, wo dein Geist über den Wassern schwebt, und daß wir einst, wenn unsere Seele die Wasser durchgangen hat, die ohne Substanz sind, zu der Ruhe im Hocherhabenen gelangen"l' (con! 13,8). Der Mensch befindet sich folglich gleichsam zwischen der ,caelestis ciuitas', der Welt der guten Engel, die seit ihrer Schöpfung in Gones Geist ruht, und der Schar der endgültig abgefallenen Geister und Dämonen, mit der gemeinsam er als sündenverfallene Kreatur angesichts des elenden Daseins ex negativo demo n s triert, "wie groß du die ver-
nunftbegabte Schöpfung angelegt hast, da ihr zum glückseligen Zur-Ruhe-Ko mmen nichts von allem auch nur irgendwie genügen kann, was weniger ist als du selbst.. 16 (con! 13,9), In con! 13,18 und 19 wird diese Insuffizienz des Geschaffenen bezüglich des Zur-Ruhe-Kommens des geistigen Geschöpfes näherhin mit dem ontologischen Gegensatz ,mutabile-inmutabile( erklärt; aus diesen Reflexionen ersehen wir, wie eng der Kirchenvater die Vorstellung von der .inquierudo' mit zeitlicher Veränderung und die Vorstellung von .requies' und ,tranquillitas' mit Unwandelbarkeit und Ewigkeit assoziiert. Nachdem Augustinus sodann zwischen con! 13,20 und 13,49 sein Augenmerk und Interesse mehr auf die ,fJf1eg1inatio' der Christen in der Heilsgeschichte und in der Kirche als auf ihre Heimkunft und Ruhe gelegt hat, gelangt er mit con! 13,50-53 schließlich zum großen, geradezu hymnisch anmutenden Finale seiner
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ut surswn cor habe:Unus ad te, ubi spirituS tuus superfertur super aquas, er uerUamus ad supereminentem requiem, cum perttansierit anima nOStra aquas, quae sunt sme substlUlOa, quam nugnam ntionalem cre2Nr.lm feccris, cui nullo mode suf6cir ad beawn requiem, quidquid te minus est.
(XXH.21 02
Confessw"., 1J: ,Der ewige Sabbat' 165 Theologie und Eschatologie der .requies" und zwar in folgenden 4 vergleichsweise konen ,Stro phen': a) Bitte um die Ruhe d es ewigen Friedens, wenn alle weltliche Ordnung,in Abend' versunken ist (con! 13,50); b) diese ewige Ruhe der Menschen in Gott ist in Gottes Ruhe am siebten Schöpfungs tag vorabgebildet (con! 13,51); c) denn auch Gau ruht am eschatologischen Sabbat, aber von seinen Werken in uns, da er selbstfor sich ja immer schon ruht (con! 13,52); d) wie Gott das Gute selbst ist und unser abgeschattetes Gutes wirkt, so ist Gott auch die Ruhe selbst, an und in der wir einst zu ruhen ko mmen (con! 13,53). Sehen wir uns diese 4 Strophen eewas genauer an: In con! 13,50 rillt neben der Gebetsaanosphäre, die übrigens nicht nur hier am Ende, sondern bekanntlich ja auch unmittdbar am Anfang von Buch 13 anklingt, beso nders das Zusammenschmelzen von ,quies' und ,pu' ins Auge: .. Herr Gott, gib uns Frieden ... den Frieden der Ruhe, den Frieden des Sabbat, den Frieden o hne Abend ... 11 Man kö nnte dieses Zusammenschmelzen durchaus als bewußte Synthese von Soziale·
schatologie (Schwerpunkt
,pax~ und
lndividualeschatologie (Schwerpunkt ,re-
quiesj interpretieren, die Augustins Obeaeugung nach in der endgültigen ,uisio' zusammenfallen: Denn dort ist ja Gou ,alles in allem' und umgekehrt alles und jeder in Gau und in Gott erkannt. In con! 13,51 bereitet Augustious die hermeneutische Übertragungsleisrung vor, die literale Ruhe Gottes aus Gen 2,2 mit der eschato logischen Ruhe der Menschen, dem ,sabbarum uitae aeternae" allegorisch gleichzusetzen. Diese Übertragungsleistung macht Augustin henneneutisch und theologisch dadurch möglich, daß er umgekehrt den Ablauf des Weltgesche-
hens, ähnlich wie in ciu. 12,18, als Gottes - wenn auch ruhendes - Handeln beschreibt. Der eigentliche allegorische Akt, den Augustinus später in ciu. 11,8 breit entfalten sollte, erfolgt dann in con! 13,52: ..Dann nämlich sogu wirst du in der Weise in uns ruhen, in der du gegenwärtig auch in uns wirkst, und somit wird diese deine Ruhe dann diejenige durch uns sein, genau in der Weise, wie ja auch diese deine Werke durch uns hindurch vermittelt sind"." Gottes eschatologische Ruhe ist daher eigentlich viel eher unsere eschatologische Ruhe, da Gau ja bei aller Aktivität ohnehin immer in sich ruht und jenseits aller Zeitlichkeit und Veränderung west " Immer wirkst du und immer ruhst du auch zugleich. Und nicht in deinon Schauen bist du der Zeit unterworfen noch wint du durch die Zeiten verändert und bewegt Doch auch bist du in deinem Ruhen an die Zeit gebunden u19 (ebd.). Hier wird noch einmal die existentielle - also Augustins und eines jeden Menschen ,Existenz' betreffende - Dimension der Confessiones n domine deus, pacem da nobis ... pacem quietis, paeem sabbati, pacem sine uespc.ra. 11 etiam tune enim sie requiesees in nobis, quernadmodum nune operaris in noOO, et ita eri.t illa requies tua pu DOS, quemadmodum sunt ista opera. rua. per nos. I' 5CliIper ope.aris et semper requiescis. ne.: uides ad tempus ne.: mouc.ris ad tempus nee quiescis ad tempus.
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166 Christo!M.11er
deutlich, die ja nicht zuletzt eine Antwort auf die Frage suchen, wie denn das Zeitlich-Kontingente einer irdisch-geschöpflich-menschlichen Biographie überhaupt eine Bedeurung innerhalb der Ewigkeit und .Ruhe des Seinsgrundes haben könnte: eben nur so, daß dieser Seinsgrund das Zeitlich-Kontingent-Biographisehe gnadenhaft in seine eigene Ewigkeit mithineinbirgt und das Zerrissene der zeitgedehnten Existenz in seiner eigenen Einheit zur Ganzheit und zur Ruhe kommen läßL Der etwas längere Paragraph conf 13,53 beende, schlußendlich nach einem Lobpreis der Güte Gottes und der partizipativen Güte des Geschaffenen die Allegorese des Hepuemeron, das ganze Buch 13 und die gesamten Confessiones mit dem Bekenntnis der eschatologischen Hoffnung (,speramusj , daß ,wir' - Augustinus gebraucht auch hier bevorzugt das dia10giscbe ,nos' und ,cu' - einstmals in ,Dir', Gott, zur endgültigen und seligen Ruhe gelangen werden, da Gottes Ruhe ja Gott sdbst ist: "quoniam CUa quies cu ipse es". Um die Stimmigkeit und Konsistenz der Topik AugusUns und das Werkübergreifende wesentlicher Grundgedanken und Grundmotive seiner Eschatologie zu illustrieren, sei ein Seitenblick auf den Abschlußparagraphen des gewaltigen Opus De ciuitate dei gestllttet, dessen letzte 4 Bücher ja ganz dem Thema des ,finis' - zugleich Ende und Vollendung - gewidmet sind, hier freilich dezidiert im Horizont der universalen Heils- und Menschheitsgeschichte - die Parallelen zu den letzten Paragraphen der Confessiones sind frappierend: "Da (in der eschatologischen Seligkeit) wird es in Erfüllung gehen: Seid stille und erkennt, daß ich Gott bin - und das ist wahrlich der große Sabbat, der keinen Abend hat, den der Herr bei der Weltschöpfung aus den anderen Tagen heraushob. Lesen wir doch: Und Gou ruhte am siebten Tage von allen seinen Werken, die er tat,. und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn. weil er an demsdben geruht hatte von allen seinen Werk~ die er begonnen. Denn der siebte Tag werden auch wir selber sein, wenn wir durch Gottes Segen und Heiligung geheilt sein werden und vollendet. Dann werden wir stille sein und erkennen, daß er Gon ist.... Und wenn er selbst alles sein wird in allen, dann werden wir Gottes voll sein. Denn aucb unsere guten Werke, die nun mehr als seine denn als unsere gelten. müssen ... uns zur Sabbatruhe gedeihen ... Dann wird Gott gleichsam am siebten Tage ruhen, indem er diesen siebten Tag, nämlich uns. ruhen läßt in sich. ... Das siebte (Weltalter) wird unser Sabbat sein, dessen Ende kein Abend ist, sondern der Tag des Herrn, gleichsam der achte ewige, der durch Christi Auferstehung seine Weihe empfangen hat und die ewige Ruhe vorbildet, nicht nur des Geistes, sondern auch des Leibes! Dann werden wir stille sein und schauen, schauen und lieben, lieben und loben. Das ist's, was dereinst sein wird, an jenem Ende ohne Ende. Denn welch anderes Ende gäbe es fiir uns. als heimzugelangen zu dem Reich, das kein Ende hat".20 j
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Übersetzung angelehnt an lbimme: AumUts Augustinus. Vom Gottesstaat.
OOOo~loZ
Confesswnes 13: ,Der ewige Sabbat' 167 3. Resümee In seiner ,Eschatologie des ewigen Sabbat', wie sie sich zuvörderst in den Confessiones. aber auch in anderen Schlüsselwe.rken Augustins findet, leistet AugusCnus wahrhaft Großes ffu: das grundsätzliche Verständnis des Eschaton und fiir die Entwicklung einer theologisch verantworteten Eschatologie, die bei ihm auf zwei Säulen ruht zum einen auf den Hoffonogsfennenten und Hoffnungsbildem der Bibel und zum anderen auf der Erkenntnis- und Interpretationsleisrung der philosophisch geschulten Vernunft. Hinter und zwischen den uns bisweilen allzu phantasievoll und konstruiert arunutenden Allegorie- und Typologie-Fassaden errichtet Augustinus - nicht zuletzt mit dem Topos der ,.requies', der ,Ruhe' - das durchdachte und uagfahige Fundament einer eschatologischen Henneneutik, die im Katholizismus über Jahrhunderte verschünet war und erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mühsam wieder freigeschaufelt und rekonstruiert werden sollte. Das Eschaton, so lautet die wegweisende Einsicht Augustins. ist in erster Linie kein apokalyptisches Spektakel und kein kosmischer ,Science fiction', sondern ist ein Geschehen zwischen Gott und Schöpfung, ist insbesondere eine existentielle, personale Begegnung zwischen Mensch und Gon. Die ,Letzten Dinge' sind also eigentlich gar keine ,Dinge', sondern ,Eschaton' heißt: Gott vollends vor den Augen und in den Herzen der Menschen und umgekehrt die Menschen vollends und vollendet in Gott - und dies nicht als unvermutetes Auftauchen des ,deus ex machina' am fernen Ende der Zeiten, sondern als Vollendung und Erfüllung genau derjenigen gegenwärtigen Hoffnung, die Gott selbst in seinen Selbstoffenbarungen in Schöpfung und Heilsgeschichte und in seinen Selbsterweisen im Inneren des Menschen immer schon gesät und genährt haL
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Ludger Schwienhorst.Schönberger
Augustins Auslegung von Genesis 1 in Confessiones 11-13 und die modeme Bibelwissenschaft l
Wie kommt ein Alttestamentler zu Augustinus? Zunächst cirunal liegt der Grund in einer persönlichen Vorliebe und einem persönlichen Interesse - ein Grund. der nicht unmittelbar mit meinem Fachgebiet zusammenhängt. Ich habe die Confessiones erstmals im September 1977 gelesen, als ich an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München Philosophie srudierte. Seit dieser Zeit hat mich dieses \Verk der Weltliterarur in seinen Bann geschlagen. In den letzten Jahren ist allerdings ein weiteres Motiv hinzugekommen. Die Bibelwissenschaft befindet sich in einer Krise. in einer Umbruchsiruation, auf der Suche nach Neuorientierung. In dieser Situation einer biblisch-hermeneutischen Selbsevergewisserung stieß ich auf jene Gestalten der Theologiegeschichte. denen wir grundlegende Reflexionen zu Fragen der Schriftauslegung verdanken. Dazu rechne ich Ori.genes und Augustinus. Augustinus hat ..als erster abendländischer Theologe eine systematisch dwchgeführte Theorie über die Auslegung der Bibel - eine biblische Hermeneutik - enrwickelt".2 Hinzu kommt ein drittes Motiv. Es ist mir ein persönliches Anliegen. die kontemplative Tradition der Schriftauslegung wieder stärker zur Gelrung zu bringen. Sie ist in der Neuzeit weitgehend verlorengegangen, sie war aber in der Tradition patristischer und mittelalterlicher Schriftauslegung fest verankert.
Fesrvortrag ~ Augustinus-Seminar in Kloster Weltenbwg 2m 28. August 2004. Der VOrtragsstil wurde weitgehend beibehalten. = Reventlow: Epochen der BibeLtuskgung 11, 85. Ebd. l OH: .)-I.i.er werden Probleme gesehen, mit denen sich auch die modeme Hermeneutik beschäftigt'" Graf Reventlow schreibt dann weiter (ebd. 103): •.Manches in Augustins Handbuch der Bibeb.uslegung wird einem Leser von heute fremdartig vorkommen. Das neuplatonische und andere antike. Denkmodelle sind in der Tat nach beutiger E rkerultrus für ein angemessenes Verstindnis der Bibel eine denkbar ungünstige Ausgangsbasis." Damit dürfte Graf Reventlow in der Tat das Selbstverstilndnis gegenwärtiger europäisch-ameri.ka.nischer Theologie und Bibelwissensc:haft treffend wiedergeben. Doch inzwischen scheint sich die geistig-religiöse Kultur des Westens zu wandeln, so daß sein Urteil keine uneingeschränkte Gültigkeit mehr
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beanspruchen kann. Vgl. dazu meinen Beitrag: Schwienhont·Schönberger: Erkuchtungs.
nfaJmmg und Schrift'vern4ndnis. 251-264.
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170 Ludger Scbwienhorst·Schönberger Drei Motive also führen und führten mich zu Augustinus und anderen Vätern der Theologie. Der Alttestamender muß dabei kein schlechtes Gewissen haben, findet sich doch bei Augustinus einer der christlichen Spitzensätte über das Alte Testament: .. Honotatus, als Zeugen rufe ich mein Gewissen und Gott an, der in denen wohnt, die reinen Geistes sind: Ich halte nichts für klüger, sittlich hö herstehend und gottesfürchtiger als die Schriften insgesamt, die die katholische Kirche umer dem Namen ,.Altes Testament' bewahrt.")
1. Die Krise der Bibclwi8scnscbaft Ich sprach soeben von der Krise der Bibelwissenschaft. Wo rin zeigt sie sicbr Die Bibelwissenschaft, wie sie heure im Rahmen der Theologie betrieben wird, artikuliert sich in einer spezifischen Wissenschaftskultur, die gemeinhin als eine historisch-kritische bezeichnet wird. Die historisch-kritische Erforschung der Heiligen Schrift entstand im 18. Jahrhunden in Europ • . Im 19. Jahrhundect gelang ihr der Durchbruch auf breiter Front, zunächst allerdings nur in der protestantischen Theologie. Erst im 20. Jahrhundert erlangte sie volle Anerkennung innerhalb der katholischen Theologie und Kirche. In idealtypischer Vereinfachung lassen sich die wesenwchen Merkmale dieser Methode folgendermaßen beschreiben: Historisch-kritische Exegese geht in der Regel davon aus, daß ein Text eine Bedeutung aufweist, die in einem mehr oder weniger kontrollierbaren Verfahren annäherungsweise zu erfassen sei. Dabei sei, so lautet eine weit verbreitete Forderung, von dogmatischen und auslegungsgescb.ichdichen Vorgaben abzusehen. Es gehe 11m die eine, ursprüngliche Bedeutung des Textes. Diese wird oft mit der vo m jeweiligen Autor intendierten gleicbgesetzt. Das Verfahren existiert in zwei Varianten, die miteinander ko mbiniert werden können. Die eine ist primär oder ausschließlich diachron, die andere primär oder ausschließlich synchron orientiert. Das diachron o rientierte Verfahren ist vor allem an der Rekonstruktion der Textgeschichte interessiert. In einer frühen Phase einer primär diachron orientierten Exegese richtete sich die Aufmerksamkeit oft ausschließlich auf die älteste Gestalt eines Textes. Man fragte nach den ältesten Quellen eines biblischen Textes oder Buches: Jahwist, Elohist, Priesrerschrift usw. Heute ist man bezüglich der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte alttesta-
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Augustinus: De utiJitate credendi - Ober den Nutzen des Glaubens 13,1 7: ..Tenor, Honorate, conscientiam meam et pwis animU inhabitantem deum nihil me existimacc prudentius, castius, religiosius, quam sunt illae scriprurae omnes. quas teswnenti vetecis nomine catholica ecclesia cetinet." 112(. Im Folgenden greife ich auf einige Textpassagen meines Beitrags zurück: Schwienhorst· Schönbecgec: EinlNil statt EindeutigWt.
Augustin und die moderne Bibelwissenschafi 171 mentlicher Texte weitauS zurückhaltender eingestellt als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Man ist also in historischer Hinsicht skeptischer geworden. Hinzu kommt eine theologische EinsichL Es wurde in der bibelhen:neneutischen Diskussion der letzten Jahre immer deutlicher, daß nicht irgendwelche Vorlagen oder Quellen den von der Rezeptionsgeu,einschaft als normativ anerkannten Text bilden, sondern der Text in seiner vorliegenden Endgestalt. Wir sprechen von Endtextexegese oder auch synchroner Exegese; wenn wir den gesamten Kanon in den Blick nehmen, sprechen wir auch von "kanonischer Exegese". In dieser Entwicklung von einer primär dUchron orientierten zu einer mehr synchron orientierten E xegese zeigt sich nun - zunächst rein äußerlich gesehen - eine Affinität zur patristischen und mittelalterlichen Schriftauslegung. Literarkritik war den patristischen und mittelalterlichen Exegeten - soweit ich das Feld überblicke - unbekannt, nicht jedoch die Textkritik - sie war sehr wohl bekannt und wurde, soweit es die Möglichkeiten zuließen, praktiziert. Ich vetWeise an dieser Stelle auf die Hexapla des Origenes und die Kommentare des liieronymus. Ein Trend zur Endtextexegese schafft - nach Jahren der Entfremdung - wieder eine gewisse Nähe zur vomeuzeitlichen Schriftauslegung. Dies gilt übrigens in gleicher Weise für die Tradition jüdischer Schriftauslegung. Augustinus fragt nicht, ob Gen 1 zur Priesterschrift gehört; er geht ganz einfach davon aus, daß der Text von Mose stammt und eine überzeitliche Wahrheit enthälL Daß der Text von Mose stammt, wird in der gegenwärtigen Bibelwissenschaft zwar nicht mehr behauptet; aber es gibt doch Ansätze, die die Bedeutung des Textes nicht ausschließlich auf eine historisch zu rekonstruierende ursprüngliche Kommunikationssituation eingrenzen - um es e.inmaJ. vorsichtig auszudrücken. Hinzu kommt nun eine weitere, überraschende und vielleicht sogar ungewollte Annäherung zwischen der sogenannten kritischen und vorkritischen Phase christlicher Schriftauslegung. Allerdings ist dieser Punkt in der alttestamentlichen Exegese umstritten. Und zwar geht es um die Frage nach der einen~ wahren Bedeutung des biblischen Textes, die oft mit seiner ursprünglichen Bedeurung ineins gesetzt wird . Ich sagte es schon, und es läßt sich an den Quellen belegen: Der ursprüngliche Impuls der historisch-kritischen Exegese war darauf aus, die biblischen Texte in ihrer ursprünglichen Bedeutung zu verstehen, frei von einer jahrhundertealten dogmatischen Patina, die sich auf den Texten abgesetzt hatte, frei auch von einer willkürlichen und wissenschaftlich nicht nachprüfbaren Allegorisierung. Dieser Impuls, SO befreiend er sich auch ausgewirkt haben mag und so verständlich er auf den ersten Blick zu sein scheint, geht allerdings von Voraussetzungen aus, die so nicht mehr haltbar sind. Das hat meines Erachtens die neuere poststrukturalistische Literarurwissenschaft in aller Deutlichkeit gezeigt. Literarische Texte sind nicht eindeutig. Sie weisen mehr als eine Bedeutung auf. Das heißt aber, dill die von der historisch-kritischen Exege~ initiierte Suche nach der einen, wahren Bedeutung klar abgrenzbarer Texte eine Suche nach et-
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172 Ludger Scbwienhont-Schönberger was ist. das es gar nicht gibt. ,,An das Gespenst der richtigen Interpretation sollte jetzt auch von denen nicht mehr geglaubt werden, die keine Anhänger des Dekonscruktivismus sind. Das Problem der Sinnfestlegung wie das der Auslegungsvielfalt ist ein Problem der Anwendung der Kontexte, die im Vollzug der Interpretation mit dem Text verbunden werden. " S Damit sind wir bei Augustinus und der Tradition vom mehrfachen Schriftsinn. "Man kann Verschiedenes, aber gleichwo hl die Wahrheit Treffendes unter diesen Worten verstehen" schreibt Augustinus bezüglich unterschiedlicher Auslegungen von Gen 1,1 (Con! 12,27). Augustinus unterscheidet in einer geradezu postmodern anmutenden Weise zwischen der Intention des Autors und der Bedeurung des Textes. Damit nimmt er in gewisser Weise den von Roland Barthes proklamierten Tod des Autors vorweg. Augustinus schreibt: ,,Also, wenn einer sagt: .Das hat Mose so gemeint. wie ich es verstehe\ und ein anderer: .Nein, so wie ich" dann ist es, glaube ich, ehrfürchtiger, wenn ich sage: Warum nicht lieber beides, wenn doch beides wahr ist? Und wenn einer noch einen drinen, einen vierten und irgend son st einen wahren Sinn in diesen Worten sieht, - warum soU man diese Gedanken alle nicht auch dem Manne zuttauen. durch den der Eine Gott durch seine Heilige Schrift dem Verstande der Vielen so entsprochen hat, daß sie darin \Vahres auch bei verschiedener Deutung sollten erschauen kön-
nen?" (Con! 12,42).' In De utilitate credendi (11) schreibt Augustinus: "Es ko mmt nämlich inuner wieder vor, daß der Verfasser eine richtige Einsicht hatte und dann auch der Leser etwas richtig sieht, allerdings anders als der erste, bald besser, bald schlechter, trotzdem so, daß es für ihn nützlich ist ... Denn aufgrund welcher Beweise könnte ich die Gesinnung eines abwesenden oder toten Menschen so sicher bestimmen, daß ich darauf schwören könnte?" 1m Zweifelsfall zieht Augustinus also die Bedeurung des Textes, genauer. die Mehrdeutigkeit des biblischen Textes, freilich: eine begrenzte Mehrdeutigkeit des Textes, einer nur schwer zur ermittelnden Autorintention vor. Damit liegt er meinem Urteil nach vollkommen richtig. Unsere Aufgabe besteht darin, die Heilige Schrift auszulegen und nicht darin, nach der Intention historischer Autoreo zu fragen. Damit ergibt sich aber eine weitere Akzenrverschiebung, und zwar eine Akzenrverschiebllog in Richrung Leser, die sich bei Augustinus beobachten läßt. Die Bedeurung biblischer Texte existiert nicht einfach unabhängig von den Lesern, sie wird vielmehr von den Lesern selbst im Rahmen eines kontexruellen Lesens ko nstiruien. Der Kontext ist ein doppelter. zum einen der literarische Kontext, das ist bei biblischen Texten die ganze Heilige Schrift. zum anderen der lebensweltliche, der kulturelle Kontext, das ist die Rezeptio ns- bzw. Interpreta• S,eirune", Sinnftstkg,mg.nd A.skg,mgsvi
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174 Ludger Schwrenhorst·Schiinberger Ich nenne abschließend die Stichworte, um die die von mir angesprochene Neuorientierung der Bibelwissenschaft gegenwärtig kreist: - Die Mehrdeutigkeit (polysemie) biblischer Texte - Die normative Bedeutung des Endtextes - Die Bedeutung des Kanons als des normativen literarischen Kontextes der Auslegung von Einzcltexten - Die Bedeutung der Lebenswelt für die Sinnkonstitution - Die Bedeutung der Rezeptionsgemeinschaft für die Sinnfindung und Sinnbegrenzung Hinzu kommt eine weitere Einsicht, die allerdings noch kaum bedacht wird, die jedoch bei Augustinus - und nicht nur bei ihm - eine wichtige Rolle spielt: die Bedeutung der Erleuchtung für die Sinnerö ffnung der Heiligen Schrift. Davon soll im Folgenden gesprochen werden.
2. Biographie und Schriftau8legung: Die Confessiones als eine Art von ModeUexegese •
Ich verstehe mit Erich Feldmann und anderen die Confessiones als emen christlichen Protreptikos. Die dreizehn Bücher sind als eine bewußt konzipierte Einheit zu lesen. Der sogenannte "autobiographische Teil" oder besser: die reflektierte Erzählung aus Augustins Leben in den Büchern 1-10 und die Auslegung des biblischen Schöpfungsberichts Gen 1,1-2,2 in den Büchern 11-13 gehören zusammen. "Die Bücher 11- 13 sind kein Anhängsel zum autobiographischen Part, ... sie sind vielmehr integrierender Teil eines Gesamtkonzeptes".' Vielleicht könnte man sogar noch einen Schritt weitergehen und mit Kacla Pollmann sagen: Die Bekenntnisse des hl. Augustinus können als eine Art von Modellexegese verscanden werden.' Augustinus war nicht in der Lage, die 1-0. Schrift zu verstehen, solange er in einer Lebensform "fern von Gott" befangen war. Dabei hatte er sich redlich um ein Verständnis derse1ben bemüht. Doch sie blieb ilun verschlossen. Als gefeierter Professor der Rhetorik brachte er die intellektuellen und fachlichen Vor:aussclZungen zum Verständnis derselben durchaus mit; doch es gelang ihm nicht, wirklich in sie einzudringen. Erst als sein Inneres aufgebrochen wurde, als ihm aufging. daß die Wahrheit, die er suchte, nicht im Äußeren der Welt, sondern im Inneren seines Herzens seit Jahr und Tag bei dem isL, der ihr davonläuft, erst von dem Tag an erschloß sich ihm sukzessiv der Sinn der Hl. Schrift.
l\byer: pulum caeli', 553. Ähnlich hJben sich ~I!ßen: Müller: Dn ewige Sabbat, 607; Schulte-Klöcker: Ewigluit und üiJ. 5; Einleitung von Fischer in: Auguscinus: Was ist Zn.zr • Augustinus: Dü christliche Bildung, 282.
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(XX.H.~
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August;n und die moderne Bibelwissenschajt 175 Die einzelnen Etappen dieses Weges sollen hier nicht nachgezeichnet werden. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang lediglich der Hinweis, daß von einem gewissen Ze.irpunkt an der Weg, der ihm einen Zugang zur Heiligen Schrift eröffnete., nicht mehr in der Anhäufung äußeren Wissens bestand, sondern in einer conversio, einer Umkehr, bei der ihm die Schau eines ..unwandelbaren Lichtes" (lux incommutabilis, Con! 7,16) zuteil wurde.' Aus dieser Erfahrung heraus eröffnete sich ihm ein Verständnis jener Texte, die er zuvor nicht verstanden hatte. Mit dieser Fonn eines illuminativ eröffneten Schriftverständnisses ist eine methodisch reflektierte Form der Schriftauslegung keineswegs obsolet geworden, wie wir bei Augustinus selbst sehen können. 1o Aber es stellen sich doch kritische Fragen an eine Form von Bibelwissenschaft, welche diesen Aspekt, nämlich den der spiriruellen Erfahrung, weder praktisch noch theoretisch, nicht in den Blick bekommt.
3. Aspekte der Auslegung von Gen 1 in Conf U-13 Ich möchte nun im dritten Teil meines Beitrags einige der von Augustinus in den Büchern 11-13 der Confessiones vorgeuagenen Auslegungen zu Gen 1 aufgreifen und mit Einsichten gegenwärtiger Bibelwissenschaft ins Gespräch bringen. 11
3.1 Creatio ex/de nihilo (Gen 1.1) liegt der Schöpfungseczählung von Gen 1 die Vorstellung einer creatio ex nihilo zugrunde? Augustinus hat der Sache nach durchaus richtig erkannt. daß mit Gen 1,2 .. Und die Erde war Wüste und Leere, Finsternis war über der Urflut und ein GottessturID bewegte sich über den Wassern" so etwas wie eine ungefonnte Materie in den Blick kommL Allerdings muß sofort hinzugefügt werden, daß der Begriff der ungefoonten Materie, der materia infonnis. einem philoso• Ausführlicher dazu Schwienhorst-Schänberger: Erleuchumgsnfahrung und Schriftwr-
ständnu. 10 11
Vgl. Augustinus: De doctrina christiana. prooem. 4; 8; I, 43
Ich beschränke mich - dem Therm. der Tagung entsprechend - auf die Genesis-Auslegung in den Confessiones. DllrÜber hinaus hat sich Augustinus vier weitere l\.{a.1e ausführlich mit der biblischen Schöpfungseaäh1ung be&.ßt: De Gen$ contra Mlznichaeos libn duo. ~ Gmtsi ad litm-am liher impe'foctus. De ~i ad litm-am libri duod«im und De citJita· u Dei 11-12. Diese Werke bleiben hier unberücksichtigt. In den Raractalicrres I, 10; I, 18; H, 24 gibt er im Rückblick eine Verhältnisbestinunung clieser Werke.
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176 Ludger Schwienhorst-Schönberger phischen Kontext entstammt, den wir in dieser Form für die biblische Begrifflichkeit von Gen 1 nicht voraussetzen können. Wir würden heute sagen, er gehört einem anderen Diskurs an, einem anderen Diskussionszusammenhang, und zwar näherrun der Ontologie, der Frage nach dem Sein und dem Seienden. Ontologische Reflexionen in der Tradition abendländischer Metaphysik können wir für die Autoren und primären Rezipienren von Gen 1 nicht voraussetzen. Zumindest finden sich keine diesbezüglichen Hinweise in den Texten. Augustinus übersetzt Gen 1,2 gewissennaßen in einen anderen Kontext, und er tut dies. wenn er die Beschreibung mit dem Begriff der materia in/ormis (Conf. 12,3) deutet, meinem Urteil nach durchaus sachgemäß. In der Exegese bezeichnen wir Gen 1.2 als Beschreibung der sogenannten negativen Urgegebenheiten. ]2 Über die Herkunft dieser sogenannren negativen Urgegebenheiten schweigt der biblische Text. Augustinus tut dies nicht. Nach Augustinus ist auch die sogenannte materia in/ormis von Gott erschaffen ... Und woher - wieso auch immer - war es da, wenn es nicht wäre von Dir. von welchem jegliches da ist. sofern es überhaupt denn Jst'? ... Also Du. Herr, ... hast ... E twas erschaffen und dies aus dem Nichts (de nihilo)" (Con! 12,7). Augustinus verrrirt also die Lehre der creatio ex nihilo, genauer: creatio de nihilo.13 Der biblische Text - so die heute allgemein vertretene Auffassung - tut dies nicht. Gen 1 weist hier eine Leerstelle auf. Augustinus fiillt diese Leerstelle auf, und zwar, soweit ich sehe, zum einen wohl aus der Tradition heraus, denn die Lehre der creatio ex nihilo war im 4. Jh. fester Bestandteil der großkirchlichen (katholischen) Schöpfungslehre. ]4 Z um anderen kann er es aus gesamtbiblischer Perspektive tun. 15 Drittens findet er offensichtlich auch einen Anhaltspunkt im biblischen Text selbst. Beginnen wir mit dem letzten Punkt. Augustinus versteht den Satz Gen 1,1 ,,.Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde« nicht als Überschrift, sondern als Beschreibung eines eesten Schöpfungshandelns Gottes. und zwar als ..Schöpfung vor jeglichem Tag" (Con! 12,8), und dieses Schöpfungshandeln bezieht er dann auf den in V. 2 beschriebenen Urzustand. Aus diesem Urzustand erschafft Gott die für uns sichtbare Welt, wie in den V. 3ff. erzählt wird: "Denn Du. Herr. hast die Welt gemacht aus dem focmlosen Stoff, und ihn hast Du gemacht aus dem Nichts zu Beinah-Nichts, um daraus das Große zu machen. das wir bewundern. wir ,Menschenkinder'" (Con! 12,8). Wenn also Augustinus schreibt V gl. Zenger. Goues Bogen, 200. \) "Und also hast du aus Nichts erschaffen ,Himmd und Erde', etwas G roßes und etwas Kleine," (am! 12,7). L4 Seit lrenäus vo n Lyon (2. Jh. n . e hr.) allgemein verbreitet; "Es gehört nämlich zur übern!.genden Größe Gones, daß er auf keinerlei Werkzeug angewiesen ist, um das erschaffen zu können, W2.S entsteht. Sein eigenes Wort genügt völlig, um alle Dinge zu formen" (adv. haer. H, 2,5). Auch das rabbinische Judentum spricht sich gegen eine ungeschaffene Unm.tene aus (vgl. Kuhn; Schüpfong, 224). LS Duu weiter unten. Il
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Augustin und die moderne Bibelwissenschaft 177 "Denn Du. Herr. hast die Welt gemacht aus dem formlosen Stoff' (Conf 12.8). dann interpretiert er damit im Horizo nt einer ontologischen Fragestellung Gen 1.2ff. durchaus korrekc Wenn er dann allerdings fortfahrt "und ihn (seil. den formlo sen Stoff] hast Du gemacht aus Nichts zu Beinah-Nichts", dann geht er über Gen l,2ff. hinaus. Ich möchte nicht sagen, daß er dem Text widerspricht, sond~ daß ee eine Leerstelle ausfüllt. 16 Versuchen wir, den Vorgang ein wenig näher zu bedenken. Denn hier, so kö nnte man meinen, liegt ein klassischer dogmatischer Eintrag vor. Der biblische Text spricht nicht von einer creatio ex (oder: Je) nihüo. Gleichwohl biegt ihn Augustinus in diesem Sinne zurecht, weil er clie kirchliche Lehre im Text der Hl. Schrift bestätigt finden möchte. E r geht - so kö nnte man fortfahren - nicht unvo reingeno mmen an den Text heran, sondern in dogmatischer Voreingenommenheit. 17 Das scheint ein durchgehendes Merkmal vorkritischer Schriftauslegung zu sein. Sie läßt die biblischen Texte nicht in ihrer Eigenständigkeit zu Wort ko mmen, sondern deckt sie mit ihren dogmatischen Vorgaben zu. Aus cliesen Fesseln dogmatischer und kirchlicher Voreingenommenheit hat uns clie historisch-kritische Exegese befreit. Deshalb darf es kein Zurück zur Väterexegese geben. Um der wissenschaftlichen Redlichkeit willen ist historisch-kritische Exegese unaufgebbar. - So etwa lauten die Vorwürfe und so etwa artikuliert sich das Selbstverständnis einer historisch -kritischen Exegese, die sich in einem sehr mühsamen Kampf unter vielen O pfern - ich erinnere an die Lehrvcrurteilungen und Exkommunikationen noch in dcr 1. Hälfte des 20. Jh.s - aus den Krallen der Dogmatik befreit haL Was ist dazu zu sagen? Wenden wir uns erneut dem biblischen Text zu. Gen 1,1 beschreibt nicht dcn ersten Schöpfungsakt. Der Vers ist eine Überschrift. Das kann weitgehend als Konsens gegenwärtiger Forschung angesehen werden." Gen 1,2 beschreibt den Z ustand vor der Schö pfung. Dieser wird nicht
I'
Eine ausführliche Diskussion von G en 1,1 - 2 aus exegetischer Sicht findet sich bei Zenger. Gones Bogen, 62-71. " DllS Verstiindnis von Gen 1,1-2 ist vieUeicht sogar das umstrittenste Problem der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung, nicht zuletzt deslulb, weil hier von der kirchlichen Tradition her die Frage der creatic ex nihüo b.nge Zeit im Hintergrund stand" (ebd 62). Vgl. auch Groß: PendmsJtonstruJuion, 52-55. n Vgl. Groß: PtndmskonstrulttWn, 52: ,.Die ... These, Gen 1,1 beschreibe im Sinn einer creatio ex nihilo den ersten Schöpfungsakt, ist weh] nur als Eintrag dogmatischer Ge· sichtspunkte verstindlieh." 11 VgL dazu Seidel: Erforschung. Vgl. zu dieser Problematik auch die unter Anm. 23 zitierte Äußerung von Joseph Cardin2lIUt7.inger. 19 Zenger: Gottes Bogen, 65 zitiert Steck: Schöpfong.sbe,ichl, 227 : ,.Als Überschrift hat Gen 1,1 ,nicht den An&ng des Schöpfungsgeschehens mit dem mtm Werk im Blick, sondern den An&ng, den das im folgenden berichtete Schöpfungsgeschehen hinsichtlich de$ ganzen in der POesterschrift geschilderten Geschichtsabb.ufs göttlicher Setzungen darstellt...•. Groß: CrrtltW ex nihüo. 149 spricht von folgendem exegetischen Konsens:
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178 Ludger Schwiclhorst-Schönberger als Nichts beschrieben, sondern als Chaos, als Tohuwabohu, als Ort des NichtLebens. "Ist Gen 1,1 Überschrift, so beschreibt Gen 1,2 den Hintetgrund zu 1,3 bzw. zu den heiden folgenden Werken und Tagen!ao Die ersten drei Werke werden als Werke der Scheidung bezeichnet Gott schafft einen Lebenscaum, indem er das ucanfangliche Chaos nicht beseitigt, sondern zurückdrängt. Nach biblischer SchöpfungsIehce ist das Chaotische Teil der Welt. Es wird nicht beseitigt, sondern eingegrenzt. Die Eingrenzung vollzieht sich zunächst in einer Zwückdrängung der Finsternis. Sie wird auf die Zeit der Nacht besch.cänkt. Die Eingrenzung vollzieht sich weiterhin in einer zweifachen Zwückdrängung der Urflut: ein Teil wird nach oben über die Himmelsfeste zurückgedrängt, ein Teil wird an einem Ort der Erde zusarrunengezogen, damit Trockenes sichtbar wird. Die Perspektive in Gen 1 ist also niche: vo m Nicht-Sein zum Sein, sondern: vom Chaos zum Kosmos,21 vom Ungeordneten zum Geordneten, vom Ort des Todes zum Haus des Lebens. - Damit habe ich, ohne auf exegetische Detailfragen näher einzugehen, die sogenannte ursprüngliche Bedeurung dieses Textes erschlossen. Aber was heißt " ursprüngliche Bedeutung"? "Ursprüngliche Bedeutung" meint hier jene Bedeutung, die die primären Rezipienten dieses Textes aller Wahrscheinlichkeit nach herstellten. Wie kö nnen wir das herausfinden? Indem wir die Wissensgehalte der primären Rezipienten zumindest annäherungsweise rekonstruieren. Die Wissensgehalte sind jenes kulturelle Wissen, das die Primär:rezipienten besaßen. Wir können es fragmentarisch aus überlieferten zeitgleichen Texten und Bildern rekonsrruieren. D o rt begegnet uns zum Beispiel das Motiv von Gott bzw. JHWH als Bekämpfer des Chaos - ein Motiv, das sich auch in benachbarten Kulturen Israels findet.22 Eine historisch orientierte Exegese versucht, die Lebenswelt zu rekonstruieren. in der die Texte entstanden sind und aus der heraus sie (ursprünglich) rezipiert wurden. Was macht Augusrinus? Er fragt nicht in einem streng historischen Sinn nach der ursprünglichen Bedeutung des Textes. Augustinus praktiziert im Grunde eine Form kontextueller Schriftauslegung. Er liest den Text in einer durch neuplatonische Philosophie und christliche Theologie geprägten Lebenswelt des 4 .
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..Der Rahmen Gen 1,1 + 2,42 spricht von dem in sechs Tagen sich entfaltenden und am 7. Tag vollendeten Schöpfungshanddn Elohims, Gen 1,2 aber gr~ft dahinter zurück und nennt vorgegebene Größen, an denen Elohirn erschaffend handdt. C. Westermann sagt zu Recht bcrc.its 1967: ,.Die Frage, ob crcatio ex nihilo oder nicht, ist dem Text nicht gemäß•.•. Ähnlich Rcchenmacher: Gott und das Chaos, 18f. So zumindest eine der möglichen syntaktischen Erklärungstypcn nach Groß: Pendenskon·
struktion, 52. Anders Rechenmacher: Gott lind das Chaos, 1M. - Aber auch er kann auf das Wort ..Chaos" nicht verzichten. Er möchte jedoch alle "dem gri«hischen Terminus ~gnenden lmplikationen" zurückweisen und gdmgt zu der problematischen Aussage: .. In gewissem Sinn braucht also Gott das Chaos, um seine Reinheit zu bewahren" (ebd. 19). ~ V gl. Keelo Bildsymbo/ik.
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Augustin und die moderne BibeJwissenschaft 179 Jh.s nach Chrisrus. In diesem Kontext entfaltet der Text eine Bedeutung, die er in seiner urspriinglichen Komrnunikationssiruation so noch gar nicht entfalten konnte. Dies ist möglich, weil der Text als literarischer Text nicht völlig eindeutig ist. Er weist Randunschärfen auf, er weist Leerstellen auf. Diese Offenheit kann, wenn der Text mit anderen Texten "verbunden" wird - unter anderem auch mit Texten, die viel später entstanden sind -, vereindeutigt oder entfaltet werden. Bei Augustinus liegt also der Prozeß einer reflektierten kontexruellen Vereindeutigung und E ntfaltung vor. Streng historisch gesehen ist seine Auslegung in diesem Falle aller Wahrscheinlichkeit nach unzutreffend. Biblisch gesehen ist sie aber durchaus zutreffend. "Biblisch" heißt hier einerseits im Rahmen der ganzen Heiligen Schrift und andererseits im Rahmen der durch die Rezeptionsgemeinschaft vorgegebenen Strukruren der Sinnfestlegung. AugusUnus scheint um diese Differenz zu wissen. Er diskutiert das Problem im Zusammenhang mit der Frage nach der Relevanz der Autorintention (Conf 12,41 ff.) Er rechnet völlig zu Recht mit einer Mehrdeutigkeit des biblischen Textes, mit der ungeheuren Schwierigkeit, um nicht zu sagen: Unmöglichkeit, die ursprüngliche Bedeutung (sprich: Autorintention) des Textes klar zu erfassen. Aber - und das scheint mir wichtig zu sein - die Mehrdeutigkeit ist - auch für Augustinus - nicht unbegrenzt. Sie wird inhaltlich begrenzt durch die Wahrheit (Con! 12,42), final durch die ,,Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem G lauben" (Conf 12,27; vgl. 1 Tim 1,5). In dieser meinem Urteil nach zutreffenden biblischen Hermeneutik zeigt sich die augustinische Synthese von Neuplatonismus <-,Wahrheit") und Christentum ('.Liebe"). Angemessene Fonnen der Schriftauslegung bewegen sich nach Augustinus im Horizont einer zuvor geschauten Wahrheit.2J Akzeptabel sind für ihn demnach alle Deutungen, die der Wahrheit entsprechen und der Auferbauung dienen. An dieser Stelle sei noch ein Gedanke nachgetragen. Ich hane gesagt, daß die vo n Augustinus vertretene Interpretation von Gen 1,1- 3 als creatio ex nihilo in
!]
Die. hier angesproche.ne. Wahrheit ist nicht die. Summe. k2te.goria.le.r Aussagen und somit auch nicht die Summe exegetischer Ric.htigkeiten...Wahrheit" ist hier in einem (neu-)platonischen Sinn %U vc.tStc.hen: als die der menschlichen Sc.de. auf ihrem Weg der Reinigung geschenkte. Erleuchnmg (m du GotteoKhau). VgI. Schw;."oo",-SchönOOgu EM.chh
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180 LNdger Schwienhorst.schö.berger
gesamtbiblischer Pehpektive möglich ist, wenngleich dieser Text die VorsteUung selbst nicht vertritt. Zum Aufweis dieser These soUen zwei weitere Texte hetangezogen werden: 2 Makk 7,28 und Weish 11,7. Die Lehre von der creatio ex nihilo besagt, daß dem Schöpfergott keinerlei Matene, und sei sie noch so ungeformt, bei der Schö pfung vorgegeben war. Gott benötigte also keinen Stoff, um die Welt zu erschaffen. Theophilos von Antiochien, dem wir den ersten christlichen Kommentar zw: Genesis verdanken, schreibt in seiner Schrift Ad Autolycum um 180 n. e hr.: .. Falls Gon die Welt aus einem schon vorher existierenden Stoff gemacht hätte, was wäre dann dabei außerordentlich? Wenn man einem menschlichen Handwerker das Material gibt, macht er daraus alles, was er will. Die Macht Gottes hingegen zeigt sich gerade darin, daß er aus Nicht-Seiendem (e~ o\nc övt'cuv) alles macht, was er will."2-4 Gen 1 bewegt sich auf einer anderen Ebene des Verstehens. Gen 1,2 besagt nicht, daß Gott eine noch völlig ungeformte Materie benötigte, um daraus die Welt zu erschaffen. Die Frage wird in dieser Form gar nicht gestellt. Inso fern wird sie weder bejaht noch verneint. Innerhalb der Hl. Schrift scheint erstmals 2 Makk 7,28 die Vorstellung einer creatio ex nihilo zu vertreten (ca. 2. Jh. v. e hr.). Zumindest ist dies eine verbreitete Ansicbt.2S Allerdings ist sie auch nicbt unumstritten.26 Die Aussage begegnet hier in sotenologischem Kontext in der Erzählung vom Martyrium der Mutter und ihrer sieben Söhne. Angesichts des bevorstehenden Martyriums spricht die Mutter ihrem jüngsten Sohn, der als einziger von sieben Söhnen übrig geblieben ist, Mut zu: "Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an; sieh alles, was es gibt, und erkenne: Gott hat das nicht aus seienden Dingen erschaffen (olnc e~ övt'cuv E:noi110€V aut'eX 6 6e6<;). In Weish 11,17 scheint nun geaau jene VorsteUung vorzuliegen, die die Lehre von der c.reatio ex nihilo verwirft: .. Für deine allmächtige Hand, die aus ungefonntern Stoff (t~ cil!OPqx>u üÄ11,) die Welt gestaltet ha~ wäre es keine Schwierigkeit gewesen, eine Menge von Bären gegen sie zu senden ...... Nun wird man zum rechten Verständnis von Weis 11,17 allerdings den gesamten Kontext mit· berücksichtigen müssen. Die Aussage, daß Gott den Kosmos aus einer ungeformten Materie geschaffen habe, hebt nicht auf die Begrenzung seiner Allmacht ab, will also nicht sagen, daß Gott in seiner Schö pfertii.tigkeit an eine vorgegebene Materie gebunden war, sondern ganz im Gegenteil: Es geht um die HervorheTheophilos von Anaochien: Ad AJltolyatm , 2,4.7. :!5 Vgl. von Dobbelcr: ~ Bucher / /2 M41tkabäer. 207: " In 2 Makk 7.28 begegnet ttttmalig die Vorstellung von der creacio ex nihilo als griechisch-philosophische Interpretation von Gen 1,1-3. Se:i.tdem lindet sie sich häufiger in jüdischer, hellenistischer und rabbinischer Lehrtradition." ~ Groß: Cmstio ex nihüo. 150 vuweist im Anschluß an Sc.hmuttcrmayr auf zwei unterschiedlich bezeugte Lesanen. Beidc Lesanen legen Mch Groß und Schmuttermayr eine Interpretation als Cleano ex nihilo nicht nahe. lt
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bung der unvergleichlichen Allmacht Gottes. Man müßte paraphrasieren: Gott, der in seiner Allmacht sogar aus ungefonntem Stoff die Welt geschaffen hat, hätte auch bisher noch gar rucht existierende schreckliche Tiere schaffen können, um dem Treiben der Frevler ein Ende zu bereiten. Das rechte Verständnis einer Aussage ist immer kontextgebunden.17 Es ist also möglich, in gesamtbiblischer Perspektive Gen 1 im Sinne der creatio ex nihilo zu interpretieren, selbst wenn die Vorstellung dort nicht explizit vertreten wird. mehr noch: wenn die gegenteilige Auffassung sogar implizit vorzuliegen scheint. Möglich sind derartige Interpretationen jedoch nur. wenn man von der Polysemie biblischer Texte ausgeht und kulturelle Transfonnationen ihres Rezeptionskontextes für legitim hält. Andernfalls wäre eine lnkulturation der biblischen Botschaft nicht möglich. Das würde allerdings ihrem Universalitätsanspruch widerstreiten.28
3.2 Trinitarische Deutung von Gen 1,1/ Ich möchte nun ein Beispiel aus dem 13. Buch herausgreifen. Das 13. Buch der Confessiones gibt sich nicht so leicht. wie in der Forschung zu Recht festgestellt wird. Unter exegetischem Gesichtspunkt scheint die Sache ebenfalls komplizierter zu werden. da Augustinus hier die Genesis-Auslegung mit der allegorischen Methode fortsetzt. Gleichwohl gilt hier im Prinzip das Gleiche. was ich bereits bisher zur Auslegung Augustins gesagt habe. Der Unterschied ist kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller.
n Engel: Das Buch der WWheit. 196f schreibt zu Recht •.Der .uogeformte Stoff ist ein bereits vo n Platon und Aristotd.es veLWendeter Ausdruck, den dann auch die Stoiker Wld Philon gcbrauchen. Wieder benutzt der Verfasser hier einen Ausdruck aus der philosophischen Bildungssprache seiner Zeit. ohne jedoch die möglichen Systcmimplikationen ,ongeschaffene Urmatene' als Gegenkonzeption zu einer ,.Erschaffung aus dem Nichts' mitzuübemehmen. Daß Gott aJks erschaffen hat. steht weder für Philon noch für den Verfasser in Frage (1,14). Der platonisch-stoische Ausdruck verweist hier auf das .TohUW2bohu' am Beginn der Schöpfung nach Gen 1). ... 21 Diese Einsicht ist kein .. Zugcstindnis an die Dogmatik". sie e:gibt sich vielmehr aus literaturwissenschahlicher Sicht. Vgl. Steinmetz: Sinnf~ng lind AMSkgungsviafait, 488f; 482; 483: ..Die praktisch allen literarischen Werken widerfahrcnde Auslegungsvielfalt veanittelt die Einsicht. daß nicht die Texte selbst in den Interpretation~ sprechen, sondern bestenfalls durch Kontextualisierungen zum Sprechen gebracht wcrden. Oie dadurch entstchenden Bedcutungsvarianten werden zugleich durch die Kontexte legjti.miert. Darum brauchen unterschiedliche Bedeutungen weder miteinander versöhnt noch gegeneinander ausgespielt zu werden ... Aus diesem Grund kann keine Interprctation die Bedeutungsmöglichkeitcn eines Textes ausschöpfen, weil keine Interpretation alle anwendbaren Kontexte auch tatsächlich zur Anwendung bringen kann ... Die Ablehnung einer Bedeutung wird dabei im Prinzip zur Ablehnung des eingesetzten Kontextes."
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182 Ludger SchwienJxmt·Schönberger Greifen wir gleich das erste Beispiel heraus: die rrinitarische Deutung der ersten heiden Verse: In principio. d.h.•.im Sohn". schuf Deus. das heißt "Gott Vater". Hinund und Erde. ..Siehe, hier erscheint mir im Rätsel (in aenigmate) die Dreifaltigkeit, die Du bist, mein Gon (deus meus). Du, der Vater (pater), hast Himmel und E rde erschaffen .im Anfang' (in principio), ,.in der Weisheit', dem Urgrund der unseren. der Deine Weisheit ist, gezeugt aus Dir:, Dir gleich und gleichewig, das ist in Deinem Sohn (in filio tuo)" (Con! 13,6). Den Heiligen Geist findet Augusrinus in Gen 1.2: spiritus Dei superferebarur super aquas.29 Ich muß hier nicht weit ausholen: Kein Exeget wird heute behaupten, der Text spreche von der Trinität oder deute sie in einem historischen Sinn, im Sinne der Autorintention oder einer frühen Sinnkonstirution an. Was AugustUlUs hier praktiziert, ist eine extreme Fonn kontextueller Lektüre. E r weiß dies auch. Er schreibt: "Und da ich im Glauben meinen Gon als Dreifaltigkeit sah" - hier thematisiert er das Referenzsystem, aus dem heraus er den biblischen Text liest. Er thematisiert sein kulturelles Wissen. das er mit dem Text in Verbindung bringt "Und da ich im G lauben meinen Gon als Dreifaltigkeit sah, so suchte ich sie diesem Glauben gemäß in seinen heiligen Worten. und siehe, es ,schwebte Dein Geist übet den Wassern'. Siehe, da ist sie. die Dreifaltigkeit, mein Gott: Vater
und Sohn und Heiliger Geis~ Schöpfer der ganzen Schöpfung" (Con! 13,6). Eine kleine Arunerkung aus exegetischer Sicht: Was im Hebräischen als ruach aelohim bezeichnet wird, meint wahrscheinlich gar nicht den Geist Gottes, sondern einfach einen mächtigen Srurm. Das hebräische Wort ruach kann sowohl Geist (lat. spiritus) als auch Wind (lat. venrus) bedeuten. Das Wo rt .. Gon" fungiert hier wahrscheinlich im Sinne eines Superh.tivs. Ruach aelohim bezeichnet hier also wahrscheinlich nicht ein irgendwie geartetes positives göttliches Wirken, sondern einen überaus mächtigen Sturm., einen Gonessrunn, der zwn Chaos des Anfangs gehört. 30 - Aber selbst wenn man Ruach aelohim als "Geist Gones" versteht,31 die dritte göttliche Person in der christlichen Trinität ist damit in einem historischen Sinne mit Sicherheit nicht gemeint.
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So dürfte Augustinus gelesen haben (Con! 13,5; vgl. de Genesi ad litteram 1,5: ..... super aq\Wn." Hie.ronymus übersetzt: ..et spiritus Dei fuebarur super aquas". Vgl. von Rad: Genesis, 30: Ruach aelohim ,;st besser mit ,Gottessrurm' := furchtbarer Sturm ... wiederzugeben. Die Aussage gehört dann durchaus noch zur Beschreibung des Chaotischen und leitet noch nicht zum Schöpfungsvorgang über. Tatsächlich tritt bei der Schöpfung dieser ,Gottesgeist' gar nicht mehr in Aktion. In einer solchen kosmologischen Bedeutung ist der Begriff des Gottesgeistes dem gmzen Alten Testament fremd." Ähnlich Rechenmacber: Gott und das Chaos, 15. Seebass: ~ 58 übersetzt mit ..Gottes Hauch" und deutet ihn als Atem, ..aus dem dann in V 3 das Sprechen Gottes sich formt" (ebd. 67).
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Augustin und die modern. Bibe/wissenschaft 183 3.3 Das Firmament als Buch der göttlichen Offenharung (Gen l,7f) Ich greife abschließend ein zweites Beispid aus dem 13. Buch heraus. Augus. tinus deutet das Firmamenc, das Gott am zweiten Tag erschafft, als die Hl. Schrift, die sich ..wie eine Buchrolle, wie ein Zeltfell" über die Erde ausbreitet. Es ist sehr interessant zu sehen, wie Augustinus hier methodisch vorgeht. Er arbeitet nämlich mit der Methode der Intertextualität, einem hochaktuellen, aber auch umstrittenen Konzept gegenwärtiger Exegese.l2 Augustinus verknüpft über gemeinsame Stichworte Texte miteinander und deutet den einen Text im Lichte des anderen. Die Verbindung läuft über das Stichwort caelum "Himmd". In Jes 34,4 liest Augustinus: "Caelwn plicabitur ut liber - Der Himmel wird zu· sammengerollt werden wie eine Buchtolle«. Es handelt sich in Jes 34,4 um eine Gerichtsmetapher. Hinzu kommt Ps 103,2. Dort heißt es von Gott ..extendens caelos ut peilern - die Himmel ausspannend wie ein Fell". - Hier handelt es sich um eine Metapher aus der Tradition der Schöpfungstbeologie (ps 104 nach he· bräischer Zählung). Augustinus verknüpft diese drei Texte miteinander und deu· tet das Firmament in Gen l,7f allegorisch als Buch der göttlichen Offenbarung: .. Deshalb hast Du ,wie ein Fell' das Firmament Deines Buches ausgespannt, das Wohlgefüge Deiner Offenbarungsworte" (Con! 13,16) - ein wunderschönes Bild, aber auch hier müssen wir sagen, und kein Exeget wird mir widersprechen: Die ursprüngliche Bedeutung der Aussage Gen 1,7f ist damit nicht erfaßt. Was sollen wir tun? Die Schönheit der (historischen) Wahrheit opfern? Oder die Wahrheit der Schönheit? Oder gehört in einem gut katholischen Sinne vielleicht doch beides zusammen? Omne ens est verum et pulchrum?
4. Fazit Ich versuche eine abschließende Deutung: Augustinus betreibt keine Schrift· auslegung in einem historischen Sinn. Er möchte keine Bedeutungen beschreiben, sondern Sinn erschließen. Dies geschieht keineswegs willkürlich. sondern im Rahmen einer hochreflektierten biblischen Hermeneutik. Augustinus scheint um die Differenz zwischen einer historischen Beschreibung und einer herme· neutischen Erschließung zu wissen. In der Neuzeit hat sich das Gewicht ganz auf die historische Beschreibung verlagert. Wir besitzen ein umfangreiches historisches Wissen und möchten Kulturen der Vergangenheit exakt beschreiben. Dies ist durchaus legitim. Auch bezüglich der Hl. Schrift hat dieses Verfahren seinen Wert und seine Berechtigung. Allerdings ist die Hl. Schrift ihrem eigenen und dem Selbstverständnis ihrer Rezeptionsgemeinschaft nach nicht nur ein
II
vgl. Steins: BindMng [saales
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184 Ludger Schwienhorst·Schi!nberger Dokument der Vergangenheit. Sie ist entstanden und sie wurde und wird überliefert, weil ihre Worte Bedeutungen enthalten, die über ihre ursprüngliche Kommunikationssituation hinausweisen. So gesehen ist die Hl. Schrift inuner auch ein Wort der Gegenwart. Meinem Verständnis nach ist die Bibelwissenschaft keine rein historische Wissenschaft. Sie hat nicht nUT die Aufgabe, vergangene Bedeutungen zu beschreiben, sondern auch, gegenwärtigen Sinn zu erschließen. Augustinus hat dies in exemplarischer Weise getan. Inso fern kann sein Umgang mit der Hl. Schrift - über alle kulrurellen Differenzen hinweg - durchaus als ein Modell der Schriftauslegung verstanden werden, das nichts von seiner Aktualität eingebüßt haL
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