Nina Engels
Gilmore Girls
SCHMETTERLINGE IM BAUCH
Roman
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Bibliografische Information Der Deutschen Biblioth...
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Nina Engels
Gilmore Girls
SCHMETTERLINGE IM BAUCH
Roman
-1-
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Der Roman »Gilmore Girls – Schmetterlinge im Bauch«
von Nina Engels entstand auf Basis der gleichnamigen Fernsehserie
von Amy Sherman-Palladino, produziert von Warner Bros.,
ausgestrahlt bei VOX.
© 2006 des VOX Senderlogos mit freundlicher Genehmigung
Copyright © 2006 Warner Bros. Entertainment Inc.
GILMORE GIRLS and all related
characters and elements are trademarks of and
© Warner Bros. Entertainment Inc.
WB SHIELD:TM ©Warner Bros. Entertainment Inc.
(s06)
VGSC 4244
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Egmont vgs Verlagsgesellschaft Köln, 2006
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion: Sabine Arenz
Lektorat: Ulrike Reinen
Produktion: Susanne Beeh
Senderlogo: ©VOX 2006
Titelfoto: © 2006 Warner Bros.
Satz: Hans Winkens, Wegberg
Printed in Germany
ISBN 3-8025-3532-4
Ab 01.01.2007:
ISBN 978-3-8025-3532-1
www.vgs.de
Scanner: crazy2001
K-Leser: maddrax
Dieses E-Book ist nicht für den Verkauf bestimmt
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Die wirklich großen Liebesgeschichten sind nie einfach und unproblematisch, sondern haben immer etwas Dramatisches an sich. Nehmen wir zum Beispiel Tristan und Isolde. Sie: verheiratet mit einem anderen. Er: Single ohne Lohn und Brot. Das Ende: beide tot. Nehmen wir Romeo und Julia: zwei verfeindete Familien und ein blöder Scheintot-Trank. Das Ende: wieder beide tot. Und dann nehmen wir Goethes jungen Werther und seine Lotte. Sie: verheiratet mit einem viel älteren Langeweiler. Er: hoffnungslos in sie verliebt. Das Ende: diesmal nur er tot. Ganz ehrlich – diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Ich als Literaturstudentin in Yale weiß, wovon ich spreche. Die Bibliotheken sind voll von dramatischen Liebesgeschichten. Okay, seit dem 21. Jahrhundert werden es immer weniger und weniger; ich schiebe das mal auf die Postmoderne. Aber die großen Romanciers vergangener Jahrhunderte haben diesen Stoff mit der allergrößten Vorliebe beackert. Und warum? Weil wir uns im tiefsten Innern danach sehnen! Weil wir uns nichts Schöneres vorstellen können. Bis auf das Ende, natürlich. Im wahren Leben sind die meisten Menschen nämlich, inklusive mir, ganz erpicht auf ein Happy End. Aber alles andere? Große Gefühle, die sich nicht steuern lassen, die den Kopf ausschalten und die Belange der Welt unwichtig werden lassen – das möchte doch eigentlich jeder erleben. Und ich ganz besonders, auch wenn ich das vorher niemals zugegeben hätte. Gerade, nachdem bei mir in Liebesdingen eine so lange Dürre geherrscht hatte, ist jetzt ein amtlicher Monsun genau das Richtige. Nach diversen Fehlgriffen, früh zunichte gemachten Hoffnungen und der Erkenntnis, dass die meisten Männer nicht -3-
das halten, was sie auf den ersten Blick versprechen, hat es mich, wie man so schön sagt, total erwischt. Ich bin verliebt! Ich bin überglücklich! Ich schwebe auf Wolke sieben! Okay, ich geb's zu: Das stimmt leider nicht so ganz. Denn eines habe ich vergessen: Bei den meisten dramatischen Liebesgeschichten wird oft jemandem wehgetan, der es eigentlich gar nicht verdient hat. Und der noch gar nicht weiß, dass ihm wehgetan wurde. Was an der Tatsache allerdings nichts ändert. In meinem Fall heißt dieser Jemand Lindsay, denn ich habe mich ausgerechnet in Dean verliebt. Ich bin also ein Wiederholungstäter, und um es noch mal ganz klar zu sagen – Er: verheiratet mit einer anderen. Sie: das Mädchen, das ihn schon mal abserviert hat. Das Ende: völlig offen und hoffentlich keiner tot. Meine Wolke Nummer sieben gleicht also eher einem kleinen Schäfchen als einem riesigen Watteberg. Ich hab manchmal Angst runterzupurzeln. Und ich weiß auch nicht, ob die große Verliebtheit schuld daran ist, dass ich den Appetit verloren habe, oder das schlechte Gewissen … Aber um eines ein für alle Male klarzustellen: Es ist ganz bestimmt nicht so, dass ich die Sache mit Dean mutwillig und bewusst herbeigeführt habe. Nein, alles hat sich fast schicksalhaft ergeben. In unserem Fall hörte das Schicksal auf den Namen Tom, der Dean im Hotel meiner Mom einen Job bei den Umbauarbeiten gegeben hatte. Dean fragte mich sogar, ob ich was dagegen hätte! Mich! Die ihn vor geraumer Zeit nicht besonders nett behandelt hatte! Natürlich hatte ich nichts dagegen, und was dann kam, wundert mich selbst am meisten. Schon beim ersten Mal, als ich ihn im Dragonfly Inn sah, flackerte in mir die Erinnerung an unsere frühere Beziehung wieder auf, und ich bekam wieder eine Idee davon, was es hieß, verliebt zu sein. Wann bei mir mehr daraus wurde, weiß ich nicht mehr ganz genau. Ich merkte nur, dass ich mich immer mehr darauf freute, Dean zu sehen. Als es dann -4-
tatsächlich mit Dean passierte, da war ich dennoch völlig überrascht. Von allem, meine ich. Dass Dean überhaupt in mein winziges Bett passte, wo er doch so groß ist und ich so klein, war mir schon ein Rätsel, und alles andere war es auch. Es war mein erstes Mal, und dass mich dabei meine Mom erwischte, nun, darauf hätte ich gut und gerne verzichten können. Okay, es war nicht »währenddessen«, aber wir lagen noch so wunderbar beisammen, und ich war gerade dabei, unser Lied herauszufinden – schließlich sollte jedes Paar sein Lied haben. Meine Wahl fiel auf Candyman. Ich fand es toll, wegen seines ansteckenden Optimismus und den vielen Süßigkeiten, die darin vorkommen. Dean fand es albern und unromantisch. Egal, wir waren noch mitten in der Diskussion, da hörte ich Mom kommen, und in weniger als zwei Sekunden waren wir angezogen. Kein bisschen zu früh, denn fast im gleichen Moment stand ich auch schon Mom gegenüber. Und da die Zeit zum Bettmachen und Haare kämmen definitiv nicht mehr gereicht hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als Mom die volle Wahrheit mitzuteilen, die sich in etwa so anhörte: Ja – ich hatte soeben mein erstes Mal. Ja – es war schön. Nein – ich konnte vorher nicht mit dir darüber reden, weil ich vorher schließlich gar nicht gewusst hatte, dass es passieren würde, und ja – ziemlich dumm, dass Dean verheiratet ist. Daraufhin hagelte es Vorwürfe. Denn meine Mom, die mit Abstand coolste und beste Mom der Welt, war in diesem Punkt das, was man wohl mein Gewissen nennen könnte. Sie sprach genau die Dinge aus, die mir zwar bewusst waren, über die ich aber, zumindest in diesem Moment, nicht nachdenken wollte. Und das war auch der Grund, weshalb ich schließlich unglaublich sauer auf Mom war. Ich nahm es ihr so übel, dass sie mir diesen Abend und jede Menge Träume verdorben hatte, dass ich überhaupt nicht mehr mit ihr reden wollte. Nie mehr! Sollte sie doch mit Sookie reden! Oder mit Luke!
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Ganz offensichtlich hatte sich zwischen ihr und ihm etwas entwickelt. Was übrigens auch ganz schön dramatisch enden könnte. Denn, woher zum Teufel sollten wir unseren Kaffee bekommen, wenn es schief ging? Aber nicht nur ich machte mir Gedanken über die Tragweite solch einer Verbindung. Ganz Stars Hollow debattierte darüber. Doch dazu später. Festzustellen bleibt, dass sowohl Mom als auch ich seit neuestem schwer verliebt waren, was in krassem Gegensatz zum Gefühlsleben meiner Grandma stand. Bei Emily und Richard hing der Haussegen nicht nur weiterhin schief, sondern die Lage spitzte sich sogar noch weiter zu. Und Moms gut gemeinte Versuche, die beiden ausgerechnet in der Flitterwochensuite des Dragonfly einander wieder näher zu bringen, ging völlig daneben. Gut gemeint war auch hier, wie so oft, nicht gut genug, denn das Ergebnis war lediglich, dass Emily und Richard das Wochenende mit Pauken und Trompeten und ihren fünfundzwanzig Gepäckstücken vorzeitig abbrachen. Genau genommen reisten sie zwei Stunden nach ihrem Eintreffen wieder ab. Und auch im Wagen wurden sie des Streitens nicht überdrüssig. Während der gesamten Heimfahrt hatte ein Wort das nächste ergeben, und kaum fuhr Richard in die Einfahrt, riss Emily auch schon die Tür auf und sprang trotz ihrer hochhackigen Schuhe erstaunlich behände aus dem Wagen. »Dir ist doch wohl klar, dass du gerade aus einem fahrenden Wagen gesprungen bist!«, rief Richard Grandma nach, und seine blaue Fliege vibrierte vor Erregung, während er seiner Frau durch das Haus folgte. »Es kann nicht immer alles nach dir gehen, Richard!«, rief Emily und steuerte den antiken Sekretär im Wohnzimmer an, wo sie alle Fächer durchwühlte. »Wo ist er nur? Ich hab ihn doch hier reingelegt.« Doch dann fand sie, was sie suchte, und wedelte mit ihrem Reisepass triumphierend vor Richards Nase herum. -6-
»In all den Jahren unserer Ehe hab ich dich noch nie so unvernünftig erlebt wie …« Als Grandpa bemerkte, dass ihn seine Frau keines Blickes würdigte, sondern einfach weiterhetzte, so als hätte sie gar nicht mitbekommen, dass ihr Mann hinter ihr herlief, blieb er entrüstet stehen. »Emily, ich spreche mit dir! Bleib stehen, bitte! Emily, unser Streit hat schon einen solchen Grad an Komik angenommen, dass sogar Charlie Chaplin darüber in Lachen ausbrechen würde, und der ist tot!« »Lauf mir nicht immer nach, Richard!« Emily raste rasant um eine Ecke und gab dem Palmwedel, der ihr im Weg war, einen unsanften Stoß. »Nein, warte! Komm zurück! Du hast deinen Stock und die Melone vergessen!« Richard duckte sich, um den zurückschwingenden Palmwedel nicht ins Gesicht zu bekommen, und bemühte sich redlich, mit Emily Schritt zu halten. Doch egal, was er auch tat: Sie war nicht zu bremsen. Nachdem sie ihren Reisepass gefunden hatte, wollte sie nun ihren Überseekoffer suchen. Und da sie ihn im Keller vermutete, steuerte sie die Kellertür an, riss sie auf und marschierte die Stufen hinab in das, was man wohl in solch gut situierten Kreisen wie denen meiner Großeltern, »Keller« nennt. Während bei den meisten Menschen, die ich kenne, im Keller Farbeimer und Pinsel von der letzten Renovierung herumstehen oder defekte und kaputte Möbel, die im Keller lediglich auf der Durchreise sind, bevor sie endgültig auf dem Sperrmüll entsorgt werden, glich der Keller meiner Großeltern dem Requisitenfundus eines mittelgroßen Staatstheaters. Überall standen teure Antiquitäten. Von der Decke hingen riesige, verstaubte Kronleuchter; zusammengerollte Perserteppiche lehnten an edlen Sideboards im Louis Quatorze-Stil; samtbezogene zierliche Hocker mit geschwungenen Beinen standen neben Rauchersesseln, die -7-
jedem Herrenzimmer noch zur Ehre gereicht hätten. Dazwischen, nicht zu vergessen; hingen großformatige Bilder in massiven goldenen Rahmen, und auf den Ablageflächen standen jede Menge Kerzenständer, teures Porzellan und erlesene Silberschalen … Es war ein Sammelsurium der Dinge, die Emily ausgemustert hatte, weil sie Platz für Neues schaffen musste. Schließlich kaufte sie gerne ein – und bei den Dimensionen, in denen sie einkaufte, wäre selbst der Buckingham Palast irgendwann voll. Also wanderte immer wieder was in den Keller, und dieser war mittlerweile so zugestellt, dass man sich nur noch schwer zurechtfinden konnte. »Ich will meinen Überseekoffer hier rausholen, aber den hat anscheinend irgendein Vollidiot versteckt!«, schimpfte Emily, als sie ihren Koffer nicht sofort fand, und spähte in jede Ecke des Raumes. Sie hatte zwar bereits angekündigt, eine Europareise unternehmen zu wollen, doch Richard hatte das als Laune abgehakt und nicht weiter ernst genommen. Deshalb hatte er auch keine Ahnung, was seine Frau eigentlich mit dem Koffer anfangen wollte, und als er sie eingeholt hatte, stellte er sie zur Rede. »Um meine Sachen reinzupacken.« Emily drehte sich gar nicht zu Richard um, sondern suchte eifrig weiter. Sie behandelte ihn, als wäre er ein Klotz am Bein, und genoss dabei das gute Gefühl, ihm damit das zurückzugeben, was er ihr in den letzten Monaten ihrer Ehe selbst vermittelt hatte … »Du machst nur Unordnung«, beschwerte sich Richard. Das war zugegebenermaßen ein schlechtes Argument. Denn Richard war sicher seit zehn Jahren nicht mehr im Keller gewesen. Warum auch? Wenn er überhaupt zu Hause war und nicht auf einer seiner Geschäftsreisen oder bei einem heimlichen Treffen mit Pennilyn Lott, dann hielt er sich entweder im Arbeitszimmer auf oder in der Bibliothek. -8-
Veränderungen der Einrichtung nahm er gar nicht wahr, und Dekorationsartikel wie sündhaft teuere Fabergé-Eier oder seltene Glasäpfel aus rotem Murano-Glas erst recht nicht. Wenn er Zeit hatte, saß er am liebsten in einem bequemen Ohrensessel, rauchte Pfeife und las Kierkegaard, Schopenhauer oder auch mal Nietzsche. Dementsprechend reagierte Emily nun auf seine Vorhaltungen und die Frage, wer das alles aufräumen sollte. »Vielleicht ja ich!«, rief sie belustigt. »Vielleicht auch das Hausmädchen. Oder womöglich kommt Pennilyn Lott nach einem eurer heimlichen Treffen gleich mit und macht sich daran.« Richard schnaufte hörbar auf. Er hatte zwar geahnt, dass seine Frau die monatlichen Treffen mit seiner Jugendliebe nicht gutheißen würde, wenn sie davon erfuhr, denn sonst hätte er ihr diese Tatsache ja gar nicht verschwiegen. Dass sie aber so heftig reagierte, damit hatte er nicht gerechnet. Und ihm war weiterhin nicht klar, dass Emily ihm gerade seine Heimlichtuerei verübelte. »Ich bitte dich, fang nicht schon wieder damit an. Sie ist nur eine Freundin!«, rief er deshalb. Er wusste nicht, wie oft er das schon betont hatte – doch Emily schien ihm überhaupt nicht zuzuhören. Sie blieb nämlich plötzlich abrupt stehen, sodass er fast mit ihr zusammenprallte, drehte sich um und schaute ihn mit blitzenden Augen wie eine Furie an. »Ich fliege nach Europa, Richard! Ich fliege nach Europa, und ich werde mich hervorragend amüsieren! Ich werde vormittags erst um zehn aufstehen und jeden Tag zum Mittagessen gleich zwei Gläser Wein trinken.« Bei den Worten »zwei Gläser Wein« riss sie die Augen, wenn das überhaupt möglich war, noch weiter auf, und Richard schrak zurück. Das war nun endgültig zu viel für ihn. »Nur Prostituierte trinken mittags schon zwei Gläser Wein!«, rief er entrüstet aus. -9-
»Dann kauf mir doch eine Federboa und fahr mich nach Reno, denn ich will meine Freier nicht länger warten lassen!« Emily wollte ihn ärgern. Und das schaffte sie auch. Im Laufe einer langen Ehe kennt man sich einfach gut genug, um zu wissen, auf welche Knöpfe man drücken muss, um den anderen auszuknocken. Richard war vor lauter Wut ganz blass geworden und trat einen Schritt zurück. Dann räusperte er sich und erklärte, dass er so nicht länger im Stande sei, mit ihr zu reden und dass er es vorziehe, ins Bett zu gehen. »Du gehst ins Bett, und ich geh nach Frankreich!«, schrie ihm Emily noch boshaft nach. Dann schnappte sie sich ihren Louis-Vuitton-Überseekoffer, den sie mittlerweile gefunden hatte, und wuchtete ihn Stufe für Stufe hinauf zur Tür – dumm war nur, dass sie dort nicht weiterkam. Die Tür klemmte. Emily rüttelte am Türknauf, so fest sie konnte, aber es war nichts zu machen. Hatte Richard sie etwas eingesperrt? Sie rief immer wieder nach ihm und klopfte so fest sie konnte gegen die Tür – aber auch Grandpa konnte boshaft sein. In diesem Punkt waren sich die beiden ebenbürtig. Er tat so, als ob er nichts hörte außer einem Klavierkonzert von Mozart, das er rasch aufgelegt hatte. Allerdings – Emily zu überhören war eigentlich unmöglich, angesichts des Lärms, den sie veranstaltete. Als sie merkte, dass er so tat, als hörte er sie nicht, fackelte sie nicht lange. Wozu gab es schließlich Kellerfenster, durch die man schreien konnte? Und da dann die halbe Nachbarschaft mithören konnte, würde Richard sicher auch damit aufhören, sich taub zu stellen! Gesagt, getan. Emily krabbelte auf einen antiken Sekretär, öffnete das Fenster zum Garten und streckte den Kopf hinaus. »Richard! Du hast mich eingeschlossen!« Jetzt endlich reagierte Grandpa. »Das ist doch wohl nicht wahr!«, rief er – allerdings wieder in der überheblichen Art und Weise, bei der Grandma rot sah. »Die Tür klemmt sicher nur. Hast du es schon richtig probiert?« - 10 -
Emily schnaufte vor Wut. Sie hatte es satt, sich wie ein debiles Anhängsel behandeln zu lassen. Sie wollte respektiert und geachtet werden – und wenn ihr Mann sich weigerte, sie ernst zu nehmen, dann würde sie ihm schon zeigen, wohin sein Verhalten führte! »Das könnte ich vielleicht tun, allerdings könntest du auch endlich runterkommen und mich rauslassen! Und wenn du nicht sofort die Kellertür aufschließt, klettere ich aus dem Fenster!« »Nein, das wirst du auf keinen Fall tun!« Richards Stimme klang alarmiert. Und als Emily das erkannte, war klar, dass sie auf jeden Fall aus dem Fenster klettern würde. Einfach deshalb, weil ihr Mann das nicht wollte. »Aber sicher!«, rief sie boshaft. »Ich werde jetzt sofort aus dem Fenster klettern! »Wage es ja nicht!«, polterte Richard. »Ich warne dich, lass das sein!« Den Geräuschen nach beeilte er sich mächtig, hinunter in den Keller zu kommen – was für Emily nichts anderes bedeutete, als dass sie sich beeilen musste. »Bin schon dabei!«, schrie sie mit verrenktem Hals in den Garten. »Ich klettere gerade hinaus!« Sie wollte sich schon auf dem Fenstersims umdrehen, um hinausspringen zu können, da bemerkte sie, dass sie nicht weiterkam. »Verdammt!«, stöhnte sie auf, denn ihr schicker dunkelblauer Bleistiftrock, der sie schon die ganze Zeit beim Klettern behindert hatte, war nun auch noch an einem alten Nagel an der Wand hängen geblieben. Doch so eine Lappalie konnte eine Emily Gilmore nicht bremsen! Der Rock blieb hängen? Dann musste er eben ausgezogen werden! »Emily Gilmore! Wehe, ich erwische dich dabei, wie du aus dem Fenster kletterst!« Mit diesen Worten riss Richard die Tür auf – doch es war zu spät. »Ich bin schon draußen! Ich bin schon draußen!« Emily schälte sich in einem rasanten Tempo aus dem Rock, ließ ihn wie ein Fähnchen an dem Nagel hängen und machte sich daran, - 11 -
nur mit ihrem Twinset, den schwarzen Strümpfen und ihren Pumps bekleidet, in den Garten zu springen. »Geh da sofort weg!« Grandpa raste die Stufen hinunter, doch sie setzte gerade zum Sprung an. »Emily!«, schrie er. »Komm doch zurück! Emily!« Er versuchte, sie noch zu fassen – doch das Einzige, was er zu fassen bekam, war ihr Rock, der an dem Nagel baumelte. Er schnappte ihn sich, machte kehrt und rannte in den Garten hinaus, um seine Frau einzufangen. »Hast du denn völlig den Verstand verloren?« Er stand plötzlich vor Emily, die sich durch die Hintertür verstohlen wieder ins Haus schleichen wollte. »Geh rein und zieh dich wieder an!« »Komm mir bloß nicht zu nahe! Geh gefälligst weg!« Emily änderte ihren Kurs und flüchtete nun vor Richard in Richtung Haupteingang. »Denkst du denn allen Ernstes, nach neununddreißig Ehejahren wüsste ich keinen andern Ausweg, als dich im Keller einzusperren?« »Ich weiß nicht, welche Auswege dir einfallen oder wer du bist!« Ha! Auf einen so ungeschickt formulierten Satz hatte Richard nur gewartet. »Ich hab immer geahnt, dass es in deiner Familie Geisteskrankheiten gibt!«, rief er dröhnend durch die ansonsten stille Nacht. »Tante Coral war sportlich und nicht etwa geisteskrank!« Emily stemmte erbost die Hände in die Seiten. Auf Tante Coral ließ sie nichts kommen. Und vor allem nicht von Richard! Sie waren schon längst wieder stehen geblieben und hätten wahrscheinlich vor dem Haus noch weiter gestritten, doch plötzlich wurden sie bei ihrer Lieblingsbeschäftigung unterbrochen. Ein Streifenwagen stand nämlich in der Einfahrt und richtete die Schweinwerfer auf sie – ein Umstand, der für Richard definitiv weniger peinlich ausfiel als für Emily, die
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erschrocken versuchte, ihr Twinset so weit wie möglich nach unten zu ziehen. »Irgendwelche Probleme, Herrschaften?« Der Polizist war ausgestiegen und mit seinem Kollegen vor die Kühlerhaube getreten. »Nein, keine Probleme«, antwortete Emily rasch, lächelte so glücklich sie konnte und zog und zerrte an ihrem Twinset. »Ihre Nachbarn haben sich wegen Ruhestörung beschwert«, erklärte der Polizist. »Wir müssen uns entschuldigen«, versuchte Grandpa zu vermitteln. »Wir gehen jetzt gleich wieder ins Haus.« Ohne es zu wollen, hatte Grandpa mit diesen Worten bereits wieder Benzin in die Glut gegossen, und Emily sah erneut rot. »Richard, sag mir nicht, was ich tun soll!« Zu allem Überfluss war der Polizist auch noch einer von der ganz genauen Sorte. Denn obwohl Emily und Richard sicher nicht wie Bonnie und Clyde aussahen, verlangte er von ihnen, bevor er sie ins Haus gehen ließ, zuerst das Sicherheitspasswort. Das war zu viel für Richard. Übereifrige Polizisten waren ihm mindestens so sehr ein Dorn im Auge wie Frauen, die mittags schon zwei Gläser Wein tranken. »Hören Sie, es ist spät«, meinte er überheblich, und seine Fliege bebte. »Also, entweder Sie erschießen uns oder Sie verschwinden.« »Schön«, grinste der Polizist listig und zückte Block und Stift aus seiner Brusttasche. »Wir schreiben bloß noch 'ne Anzeige, dann sind wir auch schon weg.« Richard, der erst jetzt erkannte, dass der Streifenbeamte in dieser speziellen Situation am längeren Hebel saß, wollte ihn besänftigen, doch Emily ließ ihn nicht zu Wort kommen. Ihr Outfit war ihr nun völlig egal. Sie vergaß die Tatsache, dass sie keinen Rock anhatte, hörte auf, an ihrem Twinset zu zerren, und verschränkte stattdessen die Arme vor der Brust. Provozierend sah sie ihren Mann an. - 13 -
»Na, zufrieden, Richard? Wir sind angezeigt worden. Und das bedeutet, es gibt ein polizeiliches Protokoll. Petal Huffington liest alle Polizeiprotokolle ganz genau! Das ist wie Heroin für sie! Wir sind hier zum Gespött der Leute geworden!« »Weißt du was, Emily?« Richard betrachtete Emily mit gespieltem Entsetzen vom Kopf bis zu den Pumps. Er bemerkte ebenso wenig wie Emily, dass die Polizisten angesichts der beiden Streithähne kopfschüttelnd kehrtmachten und wieder in ihr Auto stiegen. »Wenn überhaupt, dann zeigt dein Verhalten heute ganz klar und zweifellos, dass du nicht mehr die Frau bist, die du bei unserer Hochzeit warst.« Emily nickte heftig. »Diese Frau war damals deine Partnerin. Du hast ihr zugehört, ihren Rat geschätzt und sie respektiert. Du hast Recht, Richard. Ich bin keinesfalls mehr dieselbe Frau wie bei unserer Hochzeit.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und stapfte hoch erhobenen Hauptes ins Haus. Und Richard? Der schien zum ersten Mal seit langer Zeit ein klein wenig ins Nachdenken gekommen zu sein … Als Lorelai nach unserem heftigen Streit niedergeschlagen und müde ins Dragonfly zurückfuhr, musste sie feststellen, dass noch längst nicht alle schliefen. Ganz im Gegenteil. Luke stand im Salon vor der Couch, auf die er den nackten Kirk gebettet hatte. Dieser lag auf dem Bauch und wimmerte leise vor sich hin. »Oh nein!«, rief Lorelai, sprang sogleich zur Couch und kraulte Kirk die Haare, so wie man es bei einem kleinen Jungen macht, der sich das Knie aufgeschlagen hat. Allerdings war es bei Kirk nicht das Knie. »Der Gute ist mit dem Hintern voran in Taylors Rosen geflogen«, erklärte Luke. »Aber das hat ihn nicht aufgehalten. Ich hab ihn zu Boden geworfen, als er auf dem Weg zum Ziegenstall war, ihn dann hergetragen, ihm 'ne Decke übergeworfen, und – na ja – da liegt er nun. Er wird schon - 14 -
wieder.« Er betrachtete Mom nachdenklich von der Seite. Dafür, dass sie sich vorhin geküsst hatten, wirkte sie seltsam abwesend. Und fast schon unglücklich. »Du warst ganz schön lange weg!«, begann er. »Alles okay?« »Ja, es geht mir gut«, antwortete Lorelai rasch. Aber sie konnte Luke nichts vormachen. »Mhm, ja, okay, schön. Und du willst nicht über irgendwas reden? Mit mir oder …« Er machte eine Pause, um Lorelai die Gelegenheit zu geben, etwas dazu zu sagen, doch diese schien ganz froh zu sein, dass Kirk auf einmal lauter stöhnte, sodass sie Luke nicht antworten musste. »Oh, mein Gott. Wir sollten ihn schnell nach oben bringen!« »Nur das nicht«, meldete sich da Kirk zu Wort. »Lulu soll mich nicht so sehen.« »Aber, Kirk!«, meinte Lorelai. »Nein, Lulu soll mich nicht so sehen!« Kirk schrie so laut, dass Mom Sorge hatte, dass gleich das ganze Hotel aufwachen würde und gab deshalb nach. »Schon gut. Versprochen. Kann ich mir das mal ansehen?« Schon während sie dies fragte, merkte sie, wie in ihr der Widerwille, Kirks Hintern zu betrachten, größer und größer wurde. Es war ganz gut, dass sie nicht Krankenschwester geworden war. Oder Altenpflegerin. Und als Kirk sein Okay zu ihrem Vorschlag gab, zuckte sie zurück. »Ich will es mir doch nicht ansehen.« Sie sah Luke auffordernd an, doch der winkte rasch ab. »Also, ich mach das nicht!« Als plötzlich Sookie verschlafen und mit einem Morgenmantel bekleidet die Treppe hinuntertapste, war das für Luke und Lorelai die Lösung. Irritiert fragte Sookie, ob im Salon eine Party steigen würde, doch statt einer Antwort rannte Lorelai auf sie zu, fasste ihre Freundin an den Schultern und bugsierte sie zum Sofa.
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»Ich wollte nur kurz nach meinem Brotteig sehen, ob er richtig aufgeht, wisst ihr?«, meinte Sookie. Sie fühlte sich zunehmend unwohl, denn sie merkte, dass die beiden etwas mit ihr vorhatten. Allerdings hatte sie keine Ahnung, um was es sich handeln konnte. Deshalb brabbelte sie erst einmal weiter. »Die Luft hier ist nämlich um einiges feuchter als ich angenommen hab, und wenn der Teig nicht richtig aufgeht, dann …« Sookie stockte und schüttelte sich. Dann befreite sie sich aus Lorelais und Lukes Griff. »Was soll denn das?« »Sieh dir schnell mal Kirks Hintern an!«, rückte Lorelai mit der Sprache aus. »Wieso?« »Naja, weil er geradewegs in einen Rosenbusch gefallen ist, und jetzt hat er Dornen im Arsch, und da dachte ich sofort an dich.« Sookie begriff nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, und blickte Mom fragend an. »Naja, weil du doch 'ne ausgezeichnete Köchin bist.« »Was?« »Und du hast ein Kind«, schaltete sich Luke endlich ein. Lorelai gab ihm entschieden Recht und klopfte Luke gegen die Brust. »Ja, viel besser. Du hast ein Kind.« »Sonst hat keiner von uns ein Kind«, ergänzte Luke, korrigierte sich jedoch rasch, als er die Blicke Sookies und Lorelais bemerkte. »Das heißt, Lorelai schon, aber das ist erwachsen und … und kann sich seinen Hintern selbst ansehen.« »Na gut, ausnahmsweise«, nickte Sookie. Beherzt griff sie nach der Decke und hob sie hoch. Ihr genügte eine Sekunde, um die Sachlage zu überblicken. Es wartete viel Arbeit auf sie. »Oh, Gott! Ich brauche auf jeden Fall schnell was zum Desinfizieren und reichlich Handtücher!«, rief sie erschrocken, als sie die vielen Dornen sah, die in Kirks Allerwertestem steckten. Als Lorelai davonraste, um die Sachen zu besorgen
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und Sookie mit Kirk und Luke alleine war, beugte sie sich zu ihrem Patienten hinunter und fragte ihn, wie es ihm ginge. »Ist Luke da?«, fragte Kirk statt einer Antwort. »Ich bin ja hier, Kirk«, antwortete Luke. »Tut mir Leid, dass ich dich gebissen hab«, entschuldigte sich Kirk. »Die waren hinter mir her, also bin ich weggerannt.« »Wer war hinter dir her, Schätzchen?«, fragte Sookie teilnahmsvoll und nickte wissend, als Luke ihr erklärte, dass Kirk nachts manchmal glaubte, von Attentätern verfolgt zu werden. »Sie war'n in meinem Zimmer unterm Bett. Da bin ich losgerannt, und sie kamen hinter mir her, den Flur entlang, die Treppe runter, vorbei an Luke und Lorelai, die sich geküsst haben, durch den Garten, über den Zaun …« »Aber die Attentäter sind doch jetzt weg, Kirk«, lächelte Sookie. »Hab ich mir die eingebildet?« »Sieht ganz so aus.« »Aber haben sich Luke und Lorelai nicht geküsst?« »Das ist auch nur in deiner Fantasie geschehen«, erklärte Sookie und sah kurz zu Luke auf. Sie stutzte, als sie das Lächeln auf seinem Gesicht bemerkte. Und sie stutzte noch mehr, als sie bemerkte, dass das Lächeln gar nicht mehr weichen wollte. Und als jetzt auch noch Kirk erklärte, dass der Kuss doch so echt ausgesehen hätte, fiel bei Sookie der Groschen, und sie zählte eins und eins zusammen. »Hör zu, Kirk, bleib ganz ruhig liegen und entspann dich schön. Ich komme gleich wieder.« Sie schnappte sich Lukes Arm, zog ihn hektisch ein paar Meter weit weg und stand dann mit vor Aufregung leuchtenden Augen vor ihm. »Oh, mein Gott! Ihr habt geknutscht? Nicht zu fassen, das hat sie mir verschwiegen! Wieso hat sie mir das bloß verschwiegen?« Sookie hatte ihre kleinen runden Hände zu Fäusten geballt und wedelte damit ekstatisch in der Luft herum. - 17 -
»Es ist gerade erst passiert.« Luke bemühte sich, leise zu sprechen und der Sache die Dramatik zu nehmen. Schließlich fand er Lorelais Verhalten mehr als merkwürdig und war sich gar nicht mal mehr sicher, ob diese den Kuss nicht am liebsten wieder rückgängig machen würde … »Uuh, Luke, das ist ja wunderbar!« Sookie war nicht zu bremsen. Sie umarmte Luke wie wild und drückte ihn an sich, so fest sie konnte. »Ich will Lorelai gleich sagen, wie toll ich das finde.« »Äh … Könntest du vielleicht noch eine Weile damit warten? Ich weiß nicht, ob sie das schon an die große Glocke hängen will. Tu mir den Gefallen, und behalt es noch für dich. Sie selbst soll entscheiden, wann sie es dir sagen will, okay?« »Klar.« Sookie machte zwar ein Gesicht, als ob sie nicht verstand, was das sollte, aber sie war mit allem einverstanden. Schließlich hatte sie gerade eine super Neuigkeit erfahren! »Wenns sein muss, kann ich durchaus auch mal den Mund halten!«, lachte sie und hielt sich denselben zu. »Danke«, meinte Luke und wandte sich wieder ab, um zurück zur Couch zu gehen, doch Sookie musste dringend noch etwas loswerden. »Luke«, flüsterte sie Verschwörerisch und wedelte mit ihren kleinen Fäusten wieder aufgeregt in der Luft herum. »Das ist schön.« Als Dean in dieser Nacht nach Hause kam, verhielt er sich wie ein Einbrecher. So leise wie möglich drehte er den Schlüssel im Schloss herum und öffnete die Tür dann ganz langsam und behutsam einen Spaltbreit, durch den er sich hindurchquetschte. Als er schließlich im Flur stand, lehnte er sich einen Moment lang erschöpft von innen gegen die Tür; erst dann legte er den Schlüssel so leise wie möglich in die dafür vorgesehene Porzellanschale, die unter einem Hochzeitsfoto von Lindsay und ihm auf einer Kommode stand.
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»Hey!«, hörte er plötzlich Lindsay sagen, und als er aufblickte, sah er, dass sie im Schlafanzug am Esstisch saß und anscheinend auf ihn gewartet hatte. »Hey!«, grüßte er, konnte sie aber kaum ansehen, sondern ging rasch an ihr vorbei in die Küche, wo er den Kühlschrank öffnete, den Orangensaft herausnahm und sich ein Glas griff. »Mom hat Brownies gebacken«, meinte Lindsay mit unsicherer Stimme. Sie begriff, dass irgendetwas in ihrer Ehe nicht so lief, wie es laufen sollte, aber sie hatte keine Ahnung, was eigentlich los war. Sie hatte sich fest vorgenommen, von nun an alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um mit Dean wieder so glücklich zu werden, wie sie es einmal gewesen war. Von nun an wollte sie ihm keine Vorwürfe mehr machen, sich nicht mehr mit ihm streiten und einfach nur die perfekte Ehefrau sein. »Hast du wieder Überstunden gemacht?«, fragte sie deshalb mitfühlend. »Ja.« »Gehst du morgen auch arbeiten?« »Ja, und zwar in Doose's Market.« »Oh«, entfuhr es Lindsay. Sie hatte sich so sehr darauf gefreut, endlich wieder einmal einen schönen Tag mit Dean zusammen zu verbringen – ließ sich aber ihre Enttäuschung nicht anmerken, sondern fragte ihn stattdessen, ob er denn zum Abendessen nach Hause käme. »Ich dachte, ich koch uns was Leckeres, weißt du?« »Kann sein«, antwortete Dean mürrisch und unfreundlich. Er stand immer noch in der Küche hinter der Durchreiche. »Ich versuch's. Ich weiß nicht.« »Willst du 'n Brownie?« Lindsay war anzumerken, wie verzweifelt sie versuchte, die Stimmung zu heben – aber es war nichts zu machen. Dean blieb unfreundlich und mürrisch und wortkarg. Außer einem Nein gab er keine Antwort. »Meine Mom hat sie mit Gummibärchen verziert, als wär ich erst drei oder so.« Sie lachte befangen auf, schwieg einen Moment, - 19 -
drehte sich dann zu Dean um und bemerkte, dass er sein Handy in der Hand hielt. »Ach, ich hab dein Telefon gefunden. Es lag zwischen den Sofakissen. Es hat vorhin geklingelt, vor zwanzig Minuten etwa. Als ich ranging, wurde aufgelegt.« Lindsay ahnte nicht, dass sie gerade genau das Falsche gesagt hatte. Insgeheim hatte Dean nur darauf gewartet, dass er sein schlechtes Gewissen und seine Wut auf sich selbst an ihr ablassen konnte. »Du gehst an mein Telefon?«, schrie er sie an und kam jetzt endlich aus der Küche hervor. »Wieso gehst du an das Telefon von anderen?« »Dean …« Lindsay blickte ihn verzweifelt an. Sie wusste weder, was mit einem Mal in ihn gefahren war, noch, was sie Schreckliches verbrochen hatte. »Hör mal, du weißt, dass es mir gehört, Lindsay. Es ist nicht dein Telefon. Raus damit, wer war dran?« »Weiß ich nicht, es wurde aufgelegt.« Lindsay war den Tränen nah, doch Dean hatte immer noch nicht genug. »Also, kannst du mir nichts ausrichten? Na klasse! Du gehst an mein Telefon und nimmst keine Nachricht entgegen. Super, Lindsay« »Dean, was …« »Taylor ruft mich auf diesem Telefon an, und Tom! Das ist mein Geschäftstelefon, verstehst du? Nur deshalb hab ich es! Und was ist, wenn Tom angerufen hat, um mir 'ne Schicht anzubieten? Vielleicht wollte er mir das sagen, und dann gehst du ran, und er denkt, er hat sich vielleicht verwählt und legt auf. Tja, und dann guck ich in die Röhre, was bedeutet: Wir gucken in die Röhre! Gott, Lindsay, du … Du hast es echt nicht geschnallt, oder?« Er stellte das Glas mit dem Orangensaft lautstark auf dem Tisch ab, sodass es überschwappte. Dann betrachtete er Lindsay mit einem solch aggressivem Blick, dass diese Angst bekam. »Ich meine, du hast absolut keinen Respekt vor mir! Das ist doch ganz offensichtlich.« - 20 -
»Ich will nicht mit dir streiten«, antwortete Lindsay flehend. Sie wagte es kaum, Dean anzusehen. »Immer wieder streiten wir uns. Ich werd nicht mehr an dein Telefon gehen. Ich hab geschlafen und nicht nachgedacht. Es tut mir Leid, okay?« »Ja, okay«, antwortete Dean endlich. Er merkte, dass sein Verhalten unfair war. Er hasste sich selbst dafür, doch gleichzeitig konnte er nicht anders. Er blieb noch lange am Tisch sitzen und konnte sich die halbe Nacht nicht dazu durchringen, zu seiner Frau ins Bett zu gehen.
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2
Am nächsten Morgen – es war Sonntag – stand im Dragonfly Inn das erste Probefrühstück an. Sookie hatte sich mächtig ins Zeug gelegt und war zur Höchstform aufgelaufen. Das Frühstücksbüfett brach vor lauter Köstlichkeiten beinahe zusammen – Blaubeerpfannkuchen türmten sich neben Schokomuffins, Croissants neben Obstsalaten und Eier neben Bacon und diversen Käsesorten. Es war eine einzige Ansammlung von Köstlichkeiten, und dementsprechend strahlten auch die Gäste im Speisesaal mit der prallen Morgensonne um die Wette. Fast alle zumindest. Einer von ihnen hatte äußerst schlechte Laune, was allerdings niemanden wirklich erstaunte. Es war Taylor Doose, der größte Nörgler und Griesgram von ganz Stars Hollow, der Mann, der sogar dann ein Haar in der Suppe findet, wenn alle Köche Haarnetze tragen. Schlechte Laune gehörte zu seinem Naturell, und man könnte sagen, dass ein gut gelaunter Taylor Doose ungefähr so häufig vorkam wie Bikiniwetter im November. Wobei man zugeben muss – dieses Mal hatte er tatsächlich Grund zur Beschwerde, denn er hatte gestern Nacht ein Paar Schuhe vor die Tür gestellt, wovon heute früh nur noch einer übrig geblieben war. Und dieser eine war völlig demoliert. Irgendwie zerkaut … »Michel, laufen Sie ja nicht weg!«, schrie er von der Treppe aus, als er Lorelais extravaganten Mitarbeiter im Erdgeschoss gesehen hatte. Als er bemerkte, dass Michel so tat, als hörte er ihn nicht, beeilte er sich hinunterzukommen. »Michel? Michel, ich hab da eine Beschwerde! Michel!« Michel tat weiterhin so, als hätte er Taylor nicht bemerkt, was diesen dazu veranlasste, in dreifacher Lautstärke ein weiteres Mal »Michel!« zu schreien. Erst damit hatte er Erfolg. Michel blieb stehen und - 22 -
drehte sich langsam zu ihm um, während er die linke Augenbraue nach oben zog. »Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte er sich, nippte mit abgespreiztem kleinem Finger an seinem Kaffee und betrachtete Taylor wie eine lästige Schmeißfliege. »Ich wollte mit Ihnen reden!«, polterte Taylor und presste sein Beweisstück, einen hässlichen zerkauten Riesenschuh, wie einen Schatz an sich. »Sie haben mich aber nicht beachtet.« »Oh, tut mir Leid. Ich dachte, Sie rufen jemand anderen. Wenn ich doch nur Hellseher wäre!« Michel verdrehte die Augen und erkundigte sich dann gelangweilt, was er für Taylor tun könnte. »Einer meiner Schuhe ist verschwunden, und der andere ist völlig zerkaut.« »Ist das ein Rätsel?«, fragte Michel überheblich und nippte wieder an seinem Kaffee. Dann wandte er sich zum Gehen. »Ich hab sehr viel zu tun.« »Nein, das ist kein Rätsel, sondern eine Tatsache!« Taylor versperrte Michel den Weg und hielt ihm seinen Schuh vor die Nase. »Sehen Sie sich diesen Schuh an! Er war praktisch brandneu. Bisher hab ich ihn zweimal getragen, und das auch nur auf weichem Boden! Ich stelle die Schuhe vor die Tür, und heute Morgen, da finde ich das hier.« Lorelai, die ebenfalls gerade die Treppe heruntergekommen war, hatte die letzten Sätze der Unterhaltung mitbekommen und war hellhörig geworden. Sie stellte sich zwischen Taylor und Michel und erkundigte sich, warum Taylor seine Schuhe überhaupt vor die Tür gestellt hatte. »Der Gratis-Schuhputzdienst«, antwortete Taylor leicht irritiert. »Ich habe keine Ahnung, was Taylor meint!« Michel wippte auf den Füßen vor und zurück, nippte an seinem Kaffee und wirkte mit einem Mal ein ganz klein wenig unruhig. In diesem Moment kam allerdings Luke die Treppe hinunter, unterbrach - 23 -
die Unterhaltung und befreite Michel kurzzeitig aus seiner prekären Lage. Luke machte Lorelai ein Zeichen, dass er gehen müsse, und sie kam zu ihm, um ihn zu verabschieden. Taylor konnte diese Unterbrechung auf keinen Fall tolerieren. »Luke, kein Problem, unterbrich uns ruhig!«, schnaubte er wütend. »Ich hab auch gar nichts Wichtiges zu besprechen!« Luke entschied sich dafür, Taylor keine Beachtung zu schenken und erklärte Lorelai, dass er zurück in sein Café müsse. Während er dies sagte, blickte er sie länger an als notwendig, denn er hoffte, auf diese Weise eine Antwort auf die Frage zu bekommen, die ihn seit gestern Nacht quälte: Bereute Lorelai den Kuss? Oder warum war sie sonst so abwesend und fast schon abweisend? Aber auch jetzt erhielt er keine Antwort, denn Lorelai hielt seinem Blick nicht Stand, sondern schaute immer wieder gestresst zu Michel und Taylor hinüber, der vorwurfsvoll die Stellung hielt. »Ich bin noch da, Lorelai!«, rief Taylor nun zu allem Überfluss aufgebracht und warf ihr und Luke giftige Blicke zu. »Okay«, stammelte sie. »Also, ich … Ich muss jetzt … Aber ich danke dir vielmals für den Besuch.« Mit diesen Worten ließ Lorelai den verdutzen Luke stehen und ging wieder zu den beiden Problemfällen Taylor und Michel hinüber. »Schon gut, wir sehen uns ja sicher noch«, antwortete Luke mehr zu sich selbst und ging mit gesenktem Kopf zur Tür. Auf der Schwelle blieb er noch einmal kurz stehen und drehte sich um. Doch Lorelai war zu beschäftigt, um das zu bemerken. »Meinen Sie, ich hab das alles nur erfunden?«, ereiferte sich Taylor, kaum, dass ihm wieder die volle Aufmerksamkeit von Lorelai zuteil wurde. »Nein, Taylor, das haben Sie nicht erfunden.« Lorelai gab sich zwar große Mühe, die Wogen zu glätten, doch Michel machte alle ihre Bemühungen zunichte.
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Mit einer Mischung aus Abscheu und Widerwillen betrachtete Michel Taylor Doose von oben bis unten und trat dann einen kleinen Schritt zurück. »Sie machen eine Szene, so viel ist zumindest klar.« »Na schön, bitte!«, schrie dieser. »Ich werd den Zettel finden, auf dem das mit dem kostenlosen Schuhputzservice steht, den werd ich Ihnen zeigen, und dann guckt er vielleicht nicht mehr so blasiert!« Mit diesen Worten stapfte Taylor wütend davon, um sich erst einmal am Büfett gütlich zu tun und danach gestärkt und mit vollem Einsatz den Zettel suchen zu können. Michel sah ihm kopfschüttelnd nach. »Solche Männer sind der Grund, wieso man Frauen per Katalog bestellen kann!« Als ich im Hotel ankam, war ich ziemlich übernächtigt, denn ich hatte die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan. Zu viel war mir im Kopf herumgespukt, und alles hatte mit mir und Dean und Lindsay zu tun gehabt. Und natürlich dem, was Mom mir vorgeworfen hatte. Als ich mich nach endlos langen, durchwachten Stunden aus dem Bett quälte, war ich dementsprechend gerädert. Zuerst schleppte ich mich unter die Dusche und dann schlecht gelaunt ins Hotel. Ich hätte gut darauf verzichten können, Mom an diesem Morgen zu begegnen, aber das ließ sich dummerweise nur schlecht vermeiden. Einige der Gäste, wie Miss Patty und Babette, rechneten fest mit mir, und meine Wut ging auch nicht so weit, dass ich Mom an diesem wichtigen Wochenende komplett hängen lassen wollte. Ich fühlte mich verpflichtet, im Hotel zu frühstücken, aber gleichzeitig achtete ich darauf, dass Mom mein Verhalten nicht als eine Art Gang nach Canossa oder etwas in der Art fehlinterpretierte. »Bestimmt erwarten die anderen, dass ich mit ihnen frühstücke«, meinte ich mürrisch ohne ein Wort der Begrüßung, als Mom lächelnd auf mich zukam. »Also, dann werd ich jetzt mal was essen.«
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»Genieß es!«, rief mir Mom ironisch nach, allerdings hatte ich in ihren Augen sehen können, dass sie mein kühles Verhalten verletzte. Aber ich konnte weder anders noch wollte ich anders. Mom sah mir traurig nach, bis sie Sookie bemerkte, die wild gestikulierend in der Küchentür stand. In CowboyManier schwenkte sie mit einem Arm ein Küchentuch wie ein Lasso über ihrem Kopf und winkte mit dem anderen immer wieder Mom zu sich heran. Kaum war Mom Sookies Zeichen gefolgt und hatte die Küche betreten, da fiel diese ihr auch schon freudestrahlend um den Hals. »Ich bin überglücklich!«, rief sie immer wieder und drückte Mom so fest an sich, dass diese kaum mehr Luft bekam. »Freut mich, dass du so glücklich bist«, lächelte Mom, die nicht die geringste Ahnung hatte, was das alles bedeuten sollte. »Ist das ein ganz normales Glücksgefühl oder hast du wieder Sherrysoße gekocht?« Sookie quietschte vor Freude, nahm Mom bei den Händen und schwang sie hin und her wie Kinder es tun, die miteinander tanzen. »Ich hab versprochen, dass ich noch schweige, aber ich kann nicht mehr! Es ist so wunderbar! Ist dir klar, wie wunderbar das ist?«, platzte es aus ihr heraus, dann brach sie ab, und statt Worten kamen erneut nur noch Quietsch- und Freudenlaute über ihre Lippen. »Oh! Nein, keine Ahnung!«, rief Mom und quietschte und gluckste nun ihrerseits. »Aber ich würde mich gern mitfreuen!« »Luke und du ein Pärchen!« Sookie versuchte zu flüstern, aber es gelang ihr nicht so ganz. Sie war einfach schrecklich aufgeregt und überglücklich, dass endlich das eingetreten war, was sie sich für ihre Freundin schon seit Jahren gewünscht hatte. Luke und Lorelai waren in Sookies Augen so dermaßen füreinander bestimmt wie Kakao und Sahne oder Tomaten und Basilikum. Eines ging nicht ohne das andere, dessen war sich Sookie mehr als sicher. Und warum die beiden über einen so langen Zeitraum nichts weiter als beste Freunde gewesen - 26 -
waren, war ihr schon immer völlig rätselhaft gewesen, wo sie doch so ein wunderhübsches Paar abgaben. Jetzt, da ihre Vision Realität geworden war, konnte sie sich kaum noch zügeln. Allerdings sah Lorelai plötzlich gar nicht mehr so furchtbar glücklich aus und wollte wissen, wo Sookie ihre Informationen her hatte. »Luke hats mir gesagt! Ach nein, stimmt gar nicht! Luke hats mir nicht erzählt, Kirk war es! Er hat gesehen, dass du Luke geküsst hast!« Sookie schlug sich theatralisch die Hände vor den Mund und riss die Augen auf. »Oh, mein Gott!«, kreischte sie dann erneut. »Du und Luke, ihr knutscht!« Lorelai versuchte, Sookie zu bremsen. Sie setzte an, Sookie zu erklären, dass es definitiv noch viel zu früh für solcherlei Gespräche war, doch Sookie ließ sie einfach nicht zu Wort kommen. Wie es ihre Art war, fuchtelte sie mit ihren Fäusten wild in der Luft herum und quietschte und gluckste so lange, bis sie sich wieder so weit im Griff hatte, dass sie Sätze bilden konnte. »Oh, ich bin ja so froh!«, rief sie dann. »Ihr zwei seid das perfekte Paar! Ich hatte immer die Hoffnung, dass du eines Tages die Augen aufmachst und es selbst erkennst! Und das ist jetzt passiert! Darüber bin ich verdammt glücklich!« Sie ging zum Backofen, holte ein noch leeres Muffinblech heraus, das sie zum Aufwärmen hineingeschoben hatte, und kam damit wieder zurück zu Mom, wo sie es abstellte. Dann begann sie damit, esslöffelweise Teig in die Vertiefungen zu häufen. »Ach, jetzt wirst du nicht allein sterben«, seufzte sie erleichtert. »Ich meine, jemand wird da sein. Es gibt jemanden, der es bemerkt, der die Leiche findet und die Polizei holt und …« Sookie konnte nicht weitersprechen. Sie war einfach zu bewegt. »Ja, sehr beruhigend für mich«, stimmte Lorelai ihr zu. Dann runzelte sie die Stirn. »Unglaublich, dass Kirk uns gesehen hat! Ich dachte, er schläft.« - 27 -
»Keine Panik«, beruhigte Sookie sie schnell. »Ich hab ihm eingeredet, dass er bloß geträumt hat. Er wird nichts sagen. Ich weiß, dass du dir darum Sorgen machst.« Plötzlich stockte Sookie. Sie legte den Teiglöffel auf die Arbeitsplatte, trat einen Schritt zurück und musterte ihre Freundin nachdenklich, so als ob ihr etwas nicht ganz klar wäre. »Wieso machst du dir darum Sorgen?«, wollte sie wissen. »Ach, wer hat dir denn das wieder erzählt?« »Luke«, antwortete Sookie. »Er hat mich gebeten, dicht zu halten. Er weiß nicht, ob du das an die große Glocke hängen willst. Warum weiß er eigentlich nicht, was du willst oder nicht?« »Keine Ahnung«, meinte Mom schnell – doch bei Sookies Worten war ihr mit einem Mal klar geworden, dass sie sich in Lukes Augen seltsam verhalten haben musste. Sie an seiner Stelle wäre jedenfalls ziemlich verunsichert, so viel stand fest. »Und, wie war's?«, unterbrach Sookie Moms Überlegungen. Sie sah ihre Freundin erwartungsvoll an – doch diese verstand nicht. »Du weißt schon«, erklärte Sookie viel sagend. »Habt ihr's auf 'nem Tisch getrieben?« Elektrisiert von ihrer eigenen Idee sprang Sookie zurück und deutete mit ihrem Zeigefinger theatralisch auf Mom. »So hab ich mir das immer vorgestellt! Wie in ›Wenn der Postmann zweimal klingelt!‹« »Von Sex war nicht die Rede!«, meinte Mom abwehrend. »Kein Sex? Wieso denn das?« Sookie konnte es nicht glauben. Es konnte nur eine Erklärung dafür geben. Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihr auf, und sie legte die Hand vor den Mund. »Kann Luke nicht?«, flüsterte sie so leise, wie es ihr in all der Aufregung möglich war. »Ich bin mir sicher, dass er kann, aber die Zeit war knapp«, beruhigte Mom sie rasch, um ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. »Es ging einfach so schnell. Die halbe Stadt ist hier, meine Eltern flippen aus, und dann taucht auch noch Jason auf … Oh, nein! Jason! Was ist mit Jason?« Lorelai - 28 -
hatte in dem ganzen Chaos komplett vergessen, dass ja gestern Abend auch noch Jason gekommen war. Der sich ausgerechnet beim Probedurchlauf ihres Hotels in den Kopf gesetzt hatte, mit ihr ein klärendes Gespräch über die Probleme in ihrer Beziehung zu führen. Die sie in seinen Augen immer noch hatten … Sookie winkte ab und ging dann zum Kühlschrank. »Ach, in seiner Wohnung hats gebrannt. Michel hat mir aufgetragen, das zu sagen, als wir ihn angerufen haben!« Als sie sich umdrehte und Lorelai betrachtete, runzelte sie die Stirn. »Du siehst nicht aus, als ob du glücklich bist.« »Worüber?«, fragte Lorelai. Sie war schon wieder mit ihren Gedanken bei unserem Streit und sah tatsächlich nicht so aus, wie man sich gemeinhin eine frisch verliebte Frau vorstellt. Aber da sie unter allen Umständen verhindern wollte, dass die Sache mit mir und Dean vor der Zeit die Runde machte, hatte sie beschlossen, mit ihrem Kummer alleine fertig zu werden und auch Sookie nicht einzuweihen. Als Sookie ihr irritiert erklärte, dass sie wegen Luke eigentlich glücklicher aussehen müsste, gab sich Mom alle Mühe, ihr zu versichern, dass sie sich täuschte. »Aber klar!«, rief sie aus. »Ich bin darüber sehr glücklich! Es ist nur noch so neu. Ich muss das erst noch richtig verdauen.« »Aber er weiß, dass du glücklich bist, oder?«, fragte Sookie. »Er weiß, dass du noch verdaust, und wenn du damit fertig bist, treibt ihrs wie die Karnickel, oder?« »Er weiß es«, antwortete Mom, doch dann kamen ihr Zweifel. »Ich glaube, er weiß es«, fügte sie zögernd hinzu. »Er sollte es wissen. Ich hoffe, er weiß es.« Sookie schnappte sich wieder Lorelais Hände und sah sie eindringlich an. »Mach ihm klar, was Sache ist, okay? Weißt du, ich finde, wenn du Luke hast …«
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»… dann komm ich ins Leichenschauhaus, bevor ich anfange zu stinken«, fiel ihr Mom ins Wort, grinste aufmunternd und ging wieder hinaus in den Salon. »Oh, ja!«, rief ihr Sookie hinterher, begleitet von viel Gelächter, denn Moms Spruch war ein Witz genau nach ihrem Geschmack gewesen. Ich war ziemlich schnell mit dem Frühstück fertig. Erstens hatte ich überhaupt keinen Appetit, zweitens stand mir der Sinn nicht nach Konversation und drittens musste ich dringend mit Dean telefonieren, um mich mit ihm viertens für ein klärendes Gespräch zu verabreden. Ich suchte an der Rezeption nach einem leeren Stück Papier und einem Stift, um Mom eine kurze Nachricht zu hinterlassen, da erübrigte sich meine Suche, denn Mom war hinter mir aufgetaucht. »Hey! Bist du schon fertig mit dem Frühstück?«, fragte sie erstaunt und ein wenig ironisch. »Du hast wohl ziemlich geschlungen?« »Ich brauch wenig Nahrung«, antwortete ich unfreundlich. »Und, gehst du wieder?« Mom hatte sich mir in den Weg gestellt, und als von mir nichts weiter als ein unfreundliches »Ja« kam und ich Anstalten machte, mich an ihr vorbeizuquetschen, sprach sie schnell weiter. »Rory, wollen wir denn nicht reden?« »Haben wir doch schon!« Zwar startete Mom noch einige Versuche, vernünftig mit mir zu sprechen, aber ich schaltete auf stur. Es war einfach noch zu frisch für mich. Ich konnte mich noch nicht mit ihr versöhnen, und deshalb fragte ich sie nach einer Weile böse, ob das Ende der Ansprache schon in Sicht sei. »Machs gut«, meinte sie daraufhin verletzt und trat zur Seite, um mich nicht weiter aufzuhalten. Sie sah mir traurig hinterher, wie ich das Hotel verließ, wurde allerdings kurze Zeit später wieder von Taylor in Beschlag genommen. Noch während er
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auf sie zugerannt kam, schwenkte er ein DIN-A4-Papier wie den Hauptgewinn einer Tombola durch die Luft. »Ha!«, rief er triumphierend. »Ich sagte ja, ich habs irgendwo gelesen. Sehen Sie, hier!« Er reichte Mom das Blatt, das sie sofort überflog. Sie brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass dieses Papier sicher nicht über ihren Schreibtisch gegangen war. Kurz entschlossen rief sie energisch Michel hinzu, denn sie musste nicht lange überlegen um zu erahnen, von wem diese Liste erstellt worden war … »Tut mir wirklich sehr Leid«, entschuldigte sie sich so liebenswürdig wie möglich bei Taylor Doose und hielt dann Michel das Blatt unter die Nase. »Hey, hier habe ich eine Liste unserer Dienstleistungen, alles hübsch ordentlich ausgedruckt. Unter anderem Algenpackungen, Gesichtspeelings, WatsuMassagen und ein Gratis-Schuhputzservice, doch leider bieten wir nichts davon an.« »Aber das wäre gut!«, rief Michel. Von einem schlechten Gewissen fehlte ihm jede Spur. Ganz im Gegenteil. »Ich hab das schon öfter mal angesprochen, aber leider hören Sie ja nicht auf mich!«, platzte es beleidigt aus ihm heraus. »Sookie macht den Vorschlag, Baiser-Hüte für die Gäste herzustellen, und Sie schreien: ›Oh, Sookie, was für eine schöne Idee!‹ Aber wenn ich die Gäste mit Dienstleistungen verwöhnen will, die wir noch nicht anbieten, schicken Sie mich ans Telefon!« Lorelai war diese Diskussion Taylor gegenüber furchtbar unangenehm. »Es tut mir wirklich Leid, Taylor«, rief sie deshalb und versuchte, Taylor endlich loszuwerden. »Wir besorgen Ihnen ein paar neue Schuhe, das verspreche ich Ihnen.« »Wie schön«, nickte dieser zufrieden. »Schmal geschnitten, sechsundvierzigeinhalb!« Mit diesen Worten reichte er Lorelai seinen unansehnlichen Schuh, bevor er sich endlich in den Frühstücksraum begab.
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Sobald Taylor außer Hörweite war, knöpfte sich Lorelai Michel vor. »Nicht zu fassen, dass Sie so was tun! Hören Sie sich um, wo man diese Schuhe kriegt. Heute Abend brauch ich sie hier. Und schaffen Sie Ihre Hunde sofort von diesem Grundstück!« »Meine Hunde sind nicht …« Michel wollte sich gerade eine Notlüge ausdenken, aber Mom unterbrach ihn. »Hey!«, rief sie drohend und hielt ihm Taylors Schuh sehr nah vors Gesicht. »Das war ein hartes Wochenende. Legen Sie sich nicht mit mir an!« »Wenn Kirk im Haus schlafen darf, wieso nicht meine Hunde?« Michel war, was seine treuen vierbeinigen Freunde anging, wirklich hartnäckig, doch als er in Lorelais Gesicht blickte, wurde auch ihm klar, dass alle Ausreden sinnlos und alle Versuche, die Hunde hier behalten zu können, nutzlos waren. »Okay, okay!«, lenkte er deshalb ein. »Ich gehe Paw Paw suchen!« Als Michel Lorelais fassungslosen Blick registrierte, zuckte er entschuldigend die Schultern. »Er testet eben seine Grenzen! Er wollte nur mal kurz raus und muss hier irgendwo sein.« Michel setzte einen gekonnten Dackelblick auf. »Ich bin schon weg!«, flötete er und machte sich dann pfeifend und rufend auf die Suche. »Paw Paw!«, rief er immer wieder »Paw Paw, wo steckst du?« Mom sah ihm kopfschüttelnd nach. Michel war wirklich exzentrisch, anders konnte man das nicht ausdrücken. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sie ihn in ihr großes Herz geschlossen. Als sie wieder allein war, zückte sie ihr Handy. Bei dem Gespräch mit Sookie war ihr klar geworden, dass sie dringend mit Luke sprechen musste. Und jetzt war die Gelegenheit gerade günstig. Die Gäste waren fürs Erste versorgt, und sie hatte ein paar Minuten Verschnaufpause – ganz im Gegensatz zu Luke. Als sie ihn anrief, war in seinem Café die Hölle los. Ein Essen nach dem anderen wurde bestellt, jeder Tisch war bis auf den letzten Stuhl besetzt, und es - 32 -
herrschte ein unglaubliches Wirrwarr an Stimmen und Küchengeräuschen. »Luke's«, meldete er sich, während er mit der freien Hand die Theke abwischte. »Ich bin's«, antwortete Lorelai, allerdings ein wenig zu leise, denn Luke hatte kein Wort verstanden und noch nicht einmal ihre Stimme erkannt. »Ich bin's!«, wiederholte Mom deshalb deutlich lauter, und sofort veränderte sich Lukes Stimme. »Ah, hi!«, rief er erfreut. »Können wir reden?« »Naja, weißt du, hier ist gerade viel los.« Luke hatte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und nahm zwei volle Teller, die in der Durchreiche standen, um sie auf die Theke zu stellen. »Ich würde gern mit dir reden«, beharrte Mom. »Ja? Worüber denn?« »Was?« »Reden? Worüber denn?« Mom wurde klar, dass ein Gespräch unter diesen Umständen wenig Sinn hatte. Da sie aber unbedingt sofort etwaige Missverständnisse klären wollte, bat sie Luke, sich einen ruhigeren Ort zu suchen. Während er sich daraufhin in der Vorratskammer verschanzte, suchte sie selbst im Abstellraum Zuflucht. Als beide die Tür hinter sich geschlossen hatten, fasste sich Luke als Erster ein Herz. »Also, du wolltest reden, ja?«, fragte er und machte sich innerlich auf das Schlimmste gefasst. »Ja«, nickte Mom. »Ich hab gerade erkannt, äh …« Sie sprach nicht weiter, denn sie hörte plötzlich ein schmatzendes Geräusch, das ihr durch Mark und Bein fuhr. Als sie in die Richtung blickte, aus der das Geräusch gekommen war, sah sie einen Chow-Chow unter der Garderobe liegen, der genüsslich an einem schmal geschnittenen Sechsundvierzigeinhalb kaute. Es war Paw Paw, und der Schuh gehörte zweifellos Taylor - 33 -
Doose. Nach einer Schrecksekunde gelang es Mom, sich von dem Anblick loszureißen, und sie konzentrierte sich wieder auf das, was sie Luke unbedingt sagen wollte. »Als ich gestern Abend zurückkam, da … da war ich etwas unkonzentriert. Und …« »Hey, ist doch kein Thema!«, fiel ihr Luke ins Wort. Ihr Stocken hatte ihn in seiner Vermutung bestärkt, dass sie ihm in diesem Telefonat mitteilen wollte, dass sie den gestrigen Abend am besten vergessen sollten – umso erstaunter war er, als ihm Lorelai heftig widersprach. »Doch, und ob das ein Thema ist!«, erklärte sie. »Also, ich, ähm … Wir haben geknutscht!« Sie saß auf dem Boden, den Rücken an die Tür gelehnt, und ein breites Lächeln hatte sich endlich auf ihr Gesicht geschlichen. Als von Luke nicht sofort eine Antwort kam, wiederholte sie: »Luke, wir haben uns geküsst.« Dann wartete sie gespannt auf eine Antwort. »Ich hab's nicht vergessen«, antwortete Luke. »Es kam einfach so unerwartet!«, stammelte Mom. »Kein Grund zur Aufregung!«, rief Luke. »Ganz bestimmt nicht. Wenn du willst, dann vergessen wir einfach, was passiert ist. Ehrlich.« Luke atmete tief durch und bemühte sich, seiner Stimme nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht und traurig er in Wahrheit war. »Nein, ich will gar nicht vergessen, was passiert ist. Das war doch ein toller Kuss!«, kicherte Mom. »Ja?« Man konnte regelrecht den Stein hören, der Luke vom Herzen fiel. Besser gesagt – einen ganzen Steinbruch. »Wäre einer von uns beiden ein Frosch, dann hätte das wohl ziemlich weit reichende Konsequenzen«, antwortete Lorelai. »Und, was sagst du dazu?« »Ich sage nur: Ich bin ziemlich erleichtert, dass du so empfindest.« »Dann geht's dir auch so?«, fragte Mom glücklich. »Großer Gott, ja!« - 34 -
Mit einem Mal bestand die Welt nicht mehr nur aus Grautönen! Nein, in Moms Welt blitzte es verdächtig Rosarot in allen Schattierungen. »Gut«, antwortete sie. »Also, dann würd ich sagen, wir reden nachher weiter, okay?« »Heute Abend?« »Ja, gern.« »Okay«, grinste Luke. »Danke für deinen Anruf.« »War mir ein Vergnügen!«, antwortete Mom, klappte das Handy zu und betrachtete dann überglücklich den Chow-Chow zu ihrer Linken. »Jetzt kannst du ihn auch ganz auffressen, Paw Paw!«, lächelte sie und schwebte hinaus, um Michel mitzuteilen, dass sie den Ausreißer gefunden hatte. Nachdem ich Mom stehen gelassen hatte, ging ich in die Stadt zurück und steuerte dann eine öffentliche Telefonzelle an. Ich wusste nicht, ob mein Name auf dem Display von Deans Handy erschien, schließlich hatte er meine Nummer gespeichert – und um ganz sicher zu gehen, dass Lindsay nichts mitbekam und keinen Verdacht schöpfte, hatte ich die Idee, Dean von einer Telefonzelle aus anzurufen. Ich atmete heftig, während ich wählte. Zum einen hatte ich Angst, dass wieder Lindsay rangehen würde, zum anderen hatte ich Angst, dass mein Kopf abschalten würde, sobald ich Deans Stimme hörte … Doch als er nach zweimal Klingeln ranging, wusste ich, was ich zu sagen hatte. Ich bestellte ihn in Miss Pattys Schuppen, wo diese unter der Woche Tanzunterricht erteilte und Aufsehen erregende Choreografien austüftelte. Am Wochenende war dort niemand, und Miss Patty selbst war ja im Dragonfly. Es war der ideale Ort für Dean und mich, um ungestört reden zu können. Als ich allerdings alleine in dem Schuppen saß und auf Dean wartete, wuchs meine innere Unruhe. Ich legte mir immer und immer wieder jedes einzelne Wort zurecht, das ich ihm sagen wollte, nur um ja nichts zu vergessen. Ich wollte mich hundertprozentig gegen jede Form eines Verliebtheits - 35 -
Blackouts wappnen. Als nach ungefähr einer Viertelstunde die Tür vorsichtig einen Spalt breit geöffnet wurde und Dean hineinhuschte, schlug mein Herz bis zum Hals, und ich lief ihm entgegen. »Hey«, meinte er zärtlich. »Ich bin froh, dich zu sehen.« »Bin ich auch«, antwortete ich und merkte, wie sich in meinem Kopf alle zurechtgelegten Sätze auflösten wie Nebelfelder im Sonnenschein. »Alles wieder okay bei euch zu Hause?« »Ja, alles wieder okay«, antwortete ich. Dean nahm meine Hände in seine und trat nah an mich heran. So nah, dass nicht nur mein Kopf immer leerer wurde, sondern auch meine Knie immer weicher. Pudding war nichts dagegen. »Gut«, nickte er und sah mich dann liebevoll und bewundernd zugleich an. »Hab ich dir schon gesagt, dass deine Haare schön sind?« fragte er. »Sie sind jetzt kürzer. Sieht schön aus.« Dann beugte er sich zu mir runter und gab mir einen sanften, ganz zarten Kuss. »Also, du wolltest reden?« »Ja, reden«, stammelte ich, schlang meine Arme um seinen Hals und genoss es, dass er mich fest an sich zog. Dann machte ich mich noch ein letztes Mal kurz von ihm los. »Warte«, meinte ich, »Bla-bla.« Und nach diesem tiefsinnigen, ernsthaften Gespräch küssten wir uns erneut und vergaßen wie in der Nacht davor alles um uns herum. Als ich bei Lane an der Tür klingelte, war ich noch ganz verwirrt. Es war wieder so wunderschön gewesen mit Dean und gleichzeitig so schrecklich. Denn ich dachte schon während unseres ersten Kusses daran, dass wir uns nach diesem kurzen Treffen wieder trennen mussten. Dass er danach wieder zu Lindsay gehen würde und wir noch nicht einmal ungestört am Telefon reden konnten. Da ich mich mit meiner Verwirrung auf gar keinen Fall Mom anvertrauen wollte, hatte ich beschlossen, zu Lane zu gehen. Sie würde zwar aus allen Wolken fallen, wenn ich ihr erzählte, was passiert war, - 36 -
gleichzeitig wusste ich aber, dass sie mir sicher keine Vorwürfe machen würde. Ich sollte mit meinen Vermutungen Recht behalten … »Du hast was?«, rief Lane ungläubig, nachdem ich sie auf den neusten Stand gebracht hatte. Sie fiel tatsächlich aus allen Wolken. Wir waren in ihrem Zimmer, und Lane hatte sich im Schneidersitz auf ihr Bett gesetzt, während ich unruhig und aufgebracht vor ihrem Plattenregal auf und ab ging. »Ich hab mit Dean geschlafen, in meinem Zimmer, gestern, in meinem Bett.« »Oh, mein Gott!«, rief Lane und schlug sich die Hände vor den Mund, während ihre Augen hinter den Brillengläsern vor Aufregung blitzten und blinkten. »Genau«, meinte ich. »Und wer hätte gedacht, dass er in mein Bett passt? Ich meine, das ist so winzig und er überhaupt nicht. Er ist groß und nicht so winzig.« Nach ein paar weiteren Runden in Lanes Zimmer stellte ich fest, dass ich nur Schwachsinn redete. »Setz dich!«, bat Lane und klopfte einladend auf ihr Bett. Ich hatte den Eindruck, dass sie mindestens so aufgeregt war wie ich, denn das war ein Thema ganz nach ihrem Geschmack. Lane hatte in Sachen Sex noch gar keine Erfahrungen, was auch nicht verwunderte, wenn man an ihre Mom, Mrs Kim, dachte. Und genau deshalb war ihre Neugierde und Begeisterung diesbezüglich enorm. »Meine Mom hat uns erwischt«, fuhr ich fort, und nachdem Lane eine weiteres Mal »Oh, mein Gott!«, geschrien hatte, erklärte ich: »Sie hat uns nicht richtig erwischt. Wir waren schon fertig, aber wir lagen noch da, und sie hat gesehen, wie Dean aus meinem Zimmer kam, und dann hats Vorwürfe gehagelt.« »Oh, mein Gott, oh, mein Gott, oh, mein Gott!« Lane nahm meine Erzählung wirklich mit. »Ich habs mir eben bildlich vorgestellt. Oh, mein Gott!« - 37 -
»Ja«, antwortete ich. Lane hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Die ganze Situation war ziemlich verwirrend. In diesem Moment schrie Zack nebenan nach Lane. Er, Brian, Gil und Lane waren eigentlich zur Probe verabredet, und die drei Jungs – wenn man den Altrocker Gil mit unter diese Bezeichnung fassen konnte – warteten ungeduldig darauf, dass es endlich losging. Doch Lane schenkte dem wenig Beachtung. Sie schrie durch die Tür, dass sie zu tun hätte, dann wandte sie sich wieder zu mir. »Los, erzähl weiter!« »Also, wir haben uns gefetzt«, erklärte ich. »Du und Dean?« »Nein, meine Mom und ich. Und heut hab ich ihn angerufen. Ich hab gesagt, wir müssten dringend reden. Weißt du, da sind viele Fragen, die geklärt werden sollten, und viele kleine Details, die wir total ignoriert haben, weil er schlicht vollkommen ist, alles klar?« Ich legte eine kurze Gehpause ein und blieb vor dem Bett stehen. »Ich hatte alles geplant, jedes Wort. Ich wollte es ganz praktisch und vernünftig angehen, und dann kam er rein. Und dann hat er mich geküsst, und ich konnte nicht denken. Es war so … Und dann haben wir …« Ich stockte. »Schon wieder?«, rief Lane, gleichermaßen be- wie entgeistert. Ich nickte. »Wenn man erst raus hat wies geht, dann kann man es beliebig oft wiederholen.« »Wo habt ihr's denn heute getrieben?« »Bei Miss Patty«, antwortete ich beschämt. »Da habt ihr's das zweite Mal gemacht?« Lane hielt sich schnell die Hand vor den Mund, denn in ihrer Begeisterung war ihre Stimme recht laut geworden. »Sie war echt stolz auf euch«, stellte sie dann ernsthaft fest und sah mich bewundernd an.
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»Ich hatte alles geplant, Lane«, jammerte ich. »Ich wollte klären, was geklärt werden muss. Wieso ist er nur auf diese Art aufgekreuzt?« Wieder unterbrach uns ein ungehalten klingender Zack, wieder vertröstete ihn Lane. Dann packte sie mich an den Händen und sah mich eindringlich an. »Hör zu«, meinte sie und flüsterte mit einem Mal, »tut mir Leid, doch ich muss dich das jetzt fragen: Wie war es?« »Wieso flüsterst du plötzlich?«, fragte ich sie. Ich flüsterte jetzt ebenfalls. »Weil ich fürchte, dass meine Mom, egal, wo sie im Moment ist, dieses Gespräch hören kann.« Das hörte sich zwar seltsam an, aber ich konnte es gut verstehen. Mrs Kim gab sicher ein glänzendes Über-Ich ab. Ich erzählte Lane, dass es irgendwie eigenartig gewesen sei, und sie wollte wissen, ob Dean zärtlich gewesen war. »Ja«, nickte ich. »Ich meine, er liebt mich, und ich liebe ihn ebenso.« Nach einem weiteren begeisterten »Oh, mein Gott«, sah ich sie ernst an. »Lane, ich fürchte, ich hab da was getan«, begann ich schleppend. »Wie siehst du das, was da geschehen ist? Ich will noch eine Meinung hören!« Insgeheim hoffte ich auf eine Absolution. Irgendeine Reaktion, die mir mein schlechtes Gewissen nehmen würde. »Von mir?« Lane sah mich entgeistert an. »Du willst meine Meinung zu etwas hören, was Sex betrifft?« »Ich will wissen, was du davon hältst, dass ich mit Dean geschlafen hab.« »Oh, na ja«, grinste Lane. »Dean liebt dich. Und du liebst ihn, stimmt's?« »Ja, klar«, antwortete ich. »Na, dann ist doch wohl alles …« Für Lane war das purer Rock'n'Roll. So musste in ihren Augen Liebe sein! Verrückt, wild und leidenschaftlich!
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»Er ist verheiratet«, fiel ich ihr ins Wort. »Wie konnte ich das nur einfach so vergessen?« Ich sah Lane verzweifelt an. Jetzt hatte sie mir zwar die Absolution gegeben – aber was nützte das? Mein Gewissen sagte weiterhin, dass es nicht richtig gewesen war. »Na gut«, fuhr ich fort, »er hat gesagt, dass es mit der Ehe vorbei ist, und dass er das auch Lindsay gesagt hat oder es ihr sagen will oder dass sie es irgendwie schon weiß. Aber sonst hab ich keine Fragen gestellt. Wieso hab ich sonst keine Fragen gestellt? Und ich hab vergessen, was er gesagt hat. Ich hab keine der wichtigen Fragen gestellt!« »Das kannst du doch nachholen«, versuchte mich Lane zu trösten, doch ich schüttelte den Kopf. »Ich hab's gerade heute versucht. Und dann haben wir's auf 'ner Al-Gilbert-Platte getrieben! Ich muss ein paar Dinge wissen, ich will … Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll!« »Vielleicht sprichst du einfach mit Lorelai«, schlug Lane vor. »Sie weiß das doch mit euch schon längst. Sie versteht viel mehr von diesen Dingen als ich«, fuhr sie fort, und als sie merkte, dass sich das nun komisch anhörte, korrigierte sie sich rasch. »Jedenfalls hat sie auf diesem Gebiet Erfahrung.« Ich wusste, dass Lane Recht hatte, aber ich blieb eisern. »Das geht nicht. Ich rede nicht mit ihr«, antwortete ich, und dann wurde unser Gespräch erneut unterbrochen. Die Jungs hatten einfach ohne Lane mit der Probe begonnen. Aber mit ihren Drums. Und dass jemand anderer außer Lane sich an ihren Drums zu schaffen machte, war etwas, was diese unter gar keinen Umständen akzeptieren konnte. Da es nun ganz sicher eine längere Unterredung zwischen Lane und den Jungs geben würde, machte ich es mir endlich auf Lanes Bett bequem, und dachte über all das nach, was in den letzten vierzehn Stunden passiert war.
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3
Lorelai machte ihrer Position als Chefin des Dragonfly Inn alle Ehre. Überall hatte sie ihre Augen, und nicht die kleinste Kleinigkeit entging ihr. Wenn sie eben noch im Salon war, konnte man sicher sein, dass sie im nächsten Moment bereits in der Küche stand oder einem Zimmermädchen beim Bettenmachen über die Schulter schaute. Eine gewisse Unruhe und Hektik machte sich in ihr breit – und die Angestellten hofften bereits, dass sich das nach der Aufregung anlässlich der Eröffnung etwas legen würde und auf ein erträgliches Maß reduzierte. Doch erst einmal war daran nicht zu denken … »Sorgen Sie bitte dafür, dass die Gäste Dankeskarten kriegen, und zünden Sie Duftkerzen an, damit die Zimmer gut riechen, wenn sie nach oben gehen.« Lorelai hatte eines der Zimmermädchen im Salon entdeckt, was sie sofort wieder an ihre imaginäre Liste erinnerte, die sie heute Nacht erstellt hatte. Sie konnte nichts gegen die Listenbildung tun, es kam einfach über sie. Um den unangenehmen Befehlston in ihrer Stimme nicht ganz so durchdringend erscheinen zu lassen, schob Lorelai gleich noch ein Lob hinterher. »Danke, Sie waren toll am Wochenende, echt super«, meinte sie und lächelte das Zimmermädchen wohlwollend an. »Danke«, antwortete das Mädchen mit einem schüchternen Lächeln und machte sich unverzüglich auf den Weg in die obere Etage, während Lorelai zur Rezeption ging und im Reservierungsbuch blätterte. Als sie bemerkte, dass sie beobachtet wurde, sah sie auf, stieß einen spitzen Schrei aus und hielt sich die Hand vor ihr rasendes Herz. Gegenüber der Rezeption saß Emily und schien sie von dort aus schon eine ganze Weile beobachtete zu haben – und wenn Lorelai mit jemandem nicht gerechnet hatte, dann mit ihrer Mutter. - 41 -
Schließlich waren gerade mal ein paar Stunden vergangen, seit Emily und Richard verärgert und vorzeitig ausgecheckt waren. »Was für eine reizende Begrüßung«, erwiderte Emily als sie den Schrecken auf dem Gesicht ihrer Tochter bemerkte. Für den heftigen Streit mit Richard in der vergangenen Nacht sah sie erstaunlich gut aus. Wie immer wirkte sie sehr zurechtgemacht. Ihre Haare hatte sie frisch frisiert und auftoupiert, das Make-up war perfekt, und am Körper trug sie ein ziemlich teuer aussehendes Kostüm aus grauem, fein gewebtem Wollstoff mit goldenen Verschlussösen, dazu eine passende Handtasche. Alles in allem wirkte sie fast schon beängstigend unternehmungslustig … »Wie lange bist du denn schon hier?«, stieß Lorelai hervor. »Seit zehn Minuten. Wieso?« Emily zog die Augenbrauen nach oben und machte ein für sie durchaus typisches, erstaunt strenges Gesicht. »Du hast mich erschreckt!« »Ich bin nicht Dracula!« Grandma fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar und zupfte ein wenig ihre Locken zurecht, während Lorelai immer noch beide Hände gegen ihr rasendes Herz presste. »Du meine Güte, mein Herz rast wie verrückt!«, stellte sie fest und sah ihre Mutter mit einem panischem Blick an. »Ich bin nur zum Mittagessen hier«, erklärte Emily mit geschäftiger Miene. »Sei nicht so theatralisch! Tu nicht so, als hätte ich was wirklich Schlimmes gesagt, zum Beispiel, dass diese tief sitzenden Jeans, die über den Hintern rutschen, total out sind.« Diese kleine Spitze konnte sich Emily einfach nicht verkneifen – denn mit dem privaten Kleidungsstil ihrer Tochter war sie keineswegs einverstanden. Lorelais enge Hüfthosen waren ihr schon immer ein Dorn im Auge, ganz zu schweigen von deren verrückten T-Shirts mit den lustigen Sprüchen. Emily fand eine solche Garderobe unangemessen – Mom dagegen fand es toll, so rumzulaufen und sich von anderen - 42 -
Müttern 19-jähriger Töchter abzuheben. Allerdings: Sobald Lorelai im Dragonfly Inn war, sah ihre Garderobe deutlich anders aus. Als Hotelchefin zog sie durchaus Anzüge an oder elegante Hosen mit dazu passenden Oberteilen. So auch heute: Zu einer grauen Glencheck-Hose trug sie ein türkisfarbenes Oberteil, das edel aussah und trotzdem ein hübsches Dekolletee zauberte. Lorelai wusste, dass die Kritik ihrer Mutter schlicht und ergreifend die boshafte Reaktion auf ihren Schreckensschrei war und nichts mit ihrer aktuellen Garderobe zu tun haben konnte. Daher ging sie erst gar nicht darauf ein, sondern erkundigte sich, was ihre Mutter eigentlich mit »Mittagessen« meinte. »Unser Essen, das um ein Uhr«, erklärte Emily. In ihre Stimme hatte sich bereits ein leiser Vorwurf geschlichen. »Nur wir drei«, meinte sie, »du, Rory und ich. Wir essen doch zusammen, oder?« »Ich dachte eigentlich nicht«, antwortete Lorelai. Ihr stand überhaupt nicht der Sinn danach, in der jetzigen Situation mit mir ausgerechnet im Beisein ihrer Mutter den Schein wahren zu müssen. »Wieso denn nicht?«, beharrte Emily. »Als du deinen Vater und mich fürs Wochenende eingeladen hast, hieß es, das schließe auch ein Essen mit dir und Rory ein.« Gäbe es eine schriftliche Einladung dafür, hätte sie Lorelai dieses Beweisstück liebend gerne unter die Nase gehalten. »Ja, schon, du hast Recht«, gab Lorelai schließlich zögernd zu. »Aber das war, bevor du hier verschwunden bist.« »Was hat mein Verschwinden damit zu tun, Lorelai?« Lorelai merkte, dass sie im Moment nicht viel gegen Emily ausrichten konnte. Trotzdem ließ sie nichts unversucht, das gemeinsame Essen doch noch abzuwenden. »Darf ich dich daran erinnern, dass du gestern weggegangen bist? Du hast
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deinen Aufenthalt hier abgekürzt, und da haben wir angenommen, auch das Essen …« »Dieses Essen war deine Idee!«, warf ihr Emily vor. »Jedenfalls hab ich es dir nicht aufgezwungen. Wenn du zu viel Arbeit hast oder es eigentlich gar nicht wolltest, dann hättest du die Einladung nicht aussprechen sollen.« Lorelai versuchte noch einmal dagegenzuhalten, aber Emily unterbrach sie. »Also gut, es ist genau ein Uhr«, stellte sie mit einem Blick auf ihre Cartier-Uhr fest. »Du hast gesagt, Essen um eins. Ich bin hier. Es ist eins. Ich habe Hunger. Wo ist Rory?« Sie machte eine Pause und sah ihre Tochter verärgert an. »Sie ist nicht da, richtig? Weiß sie etwa gar nichts von dem Essen?« »Doch, Mom, sie weiß von dem Essen«, antwortete Lorelai völlig überfordert. »Aber du … Und wir … Und sie …« Als Lorelai in die unerbittlichen Augen ihrer Mutter blickte, gab sie auf und griff zum Telefon. »Ich ruf sie an.« Ich saß noch immer in Lanes Zimmer auf dem Bett und wartete darauf, dass sie wieder zurückkam und wir weiterreden konnten, als mein Telefon klingelte und meine Mom dran war. »Deine Großmutter ist gerade zum Essen gekommen. Kannst du schnell herkommen?«, fragte sie erschöpft und genervt. Ich verzog bei ihren Worten das Gesicht. »Das passt mir momentan nicht«, antwortete ich und nagte dann an meiner Unterlippe. Ich hatte nicht die geringste Lust auf ein gemeinsames Essen. Ich wollte viel lieber bei Lane bleiben und mit ihr die Probleme besprechen, die mich die ganze Zeit beschäftigten – doch Mom wäre nicht Mom, wenn sie nicht wüsste, wie sie mich rumkriegen konnte. »Rory, es nicht für mich, sondern für deine Großmutter«, erklärte sie eindringlich. »Du magst deine Großmutter doch, schon vergessen?« »Na gut, bis dann«, antwortete ich genervt, legte auf und machte mich unverzüglich auf den Weg ins Dragonfly.
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Zumindest hatte ich das vor, allerdings machte ich auf dem Weg dorthin eine Entdeckung, die mich innehalten ließ. Als ich beim Metzger vorbeiging, hörte ich eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam, und automatisch warf ich einen Blick durch das Schaufenster um zu sehen, zu wem sie gehörte. Ich erschrak, als ich Lindsay erkannte, und stellte mich – obwohl das sonst eigentlich nicht meine Art ist – neben die geöffnete Tür und lauschte. Lindsay hatte irgendwie aufgeregt gewirkt, was mich neugierig machte, und außerdem war mir aufgefallen, dass sie ihre Haare anders trug. Dummerweise fast so wie ich. Okay, sie hatte Ponyfransen und ich keine, aber ich musste zugeben, dass sie viel besser aussah, als ich es in Erinnerung hatte. Gar nicht mehr so langweilig. Und dann musste ich an das Kompliment denken, dass Dean mir heute Vormittag gemacht hatte. Hatte er nicht gesagt, dass ihm meine neue Frisur gefiele? Hatte er Lindsay etwa dasselbe Kompliment gemacht? Ich merkte, wie sich ein Giftpfeil in mein Herz bohrte, und das Gift darin hieß Eifersucht. Ich hielt vor Aufregung den Atem an und bemühte mich, kein Wort zu verpassen. »Hab ich alles gemacht!«, hörte ich Lindsay sagen. Sie klang aufgeregt und fast ein wenig weinerlich. »Haben Sie das Fleischthermometer benutzt?«, fragte der Metzger. »Natürlich hab ich das gemacht!«, rief sie. »Ich hab sogar gleich drei genommen, nur für den Fall, dass eins nicht funktioniert!« Mir wurde flau, denn es war ja wohl klar, dass sie sich nicht für sich alleine so viel Mühe machte. Sie gab sich für Dean diese Mühe, und das wiederum passte nicht zu meiner Information, die Trennung der beiden sei nur noch eine reine Formsache, und beide wüssten, dass es mit ihnen keinen Sinn mehr hatte.
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»Haben Sie es zwanzig Minuten bei 230 und eine Stunde bei 180 Grad schmoren lassen?«, horchte der Metzger nach. Ich konnte nicht anders und spähte in den Laden. Ich sah, wie Lindsay heftig nickte. »Ich hab alles so gemacht, wie Sie es gesagt haben!«, meinte sie. »Ich hab mich ganz genau daran gehalten, aber trotzdem ist es nichts geworden.« »Vielleicht versuchen Sie es mit etwas anderem, Hackbraten oder Hühnchen.« »Nein, Dean isst so gern Roastbeef. Das gab's auf unserer Hochzeit, und seine Mutter macht es auch immer, wenn wir hingehen. Ich koche heute Abend für ihn, und es muss mir einfach gelingen! Also, erklären Sie mir noch mal, wies geht.« »Okay«, nickte der Metzger. »Und schreiben Sie's auf!« »Ist gut.« Der Metzger suchte nach einem Block und nahm einen Stift. »Zuerst reiben Sie es mit etwas Öl ein, und dann nehmen Sie frisch gemahlenen …« Ich hatte genug gehört! Verstört riss ich mich los und ging so schnell wie möglich davon. Dean war offensichtlich nicht ganz ehrlich gewesen – oder er hatte die Situation nicht richtig erkannt, denn in einem Punkt war ich mir nun sicher: Für Lindsay war diese Ehe alles andere als beendet! Sie hatte so aufgeregt gewirkt in ihrem Bemühen, Dean heute Abend fürstlich zu bekochen, dass es schon fast rührend war. Schlechtes Gewissen brach in mir auf wie ein Vulkan. Und gleichzeitig spürte ich eine Eifersucht in mir hochkochen, wie ich sie noch nie zuvor erlebt hatte. Heute Abend also sollte die große Versöhnung stattfinden! Fast zwanghaft lief ein Film in meinem Kopf ab, und ich wurde ihn einfach nicht mehr los: Dean und Lindsay saßen am Esstisch. Lindsay hatte sich ein Kleid angezogen, in dem sie umwerfend aussah, und dann aßen sie zusammen ihr doofes Roastbeef. Es war Lindsay hervorragend geglückt, und Dean gab ihr einen Kuss und machte ihr Komplimente. - 46 -
Kreidebleich tauchte ich wenig später im Dragonfly auf. Ich glaube, ich sprach während des ganzen Essens kein Wort. Und von dem Essen rührte ich auch kaum was an. Ich hatte auch keinen Blick für den hübsch gedeckten Tisch und die Tatsache, dass wir im Garten inmitten von üppig blühenden Blumen aßen. Eigentlich war es wunderschön, aber ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. Als wir eine Weile schweigend auf unsere Teller gestarrt hatten, ergriff Grandma zum wiederholten Mal das Wort. »Das Wetter ist traumhaft!«, meinte sie mit Blick in den Himmel. »Ja, ganz recht«, stimmte ihr Mom zu. Dann war wieder Stille. »Rory, findest du das nicht auch traumhaft?« Grandma hatte sich mir zugewandt und sah mich lächelnd an. »Ja, wirklich traumhaft«, antwortete ich und starrte danach wieder auf meinen Teller. »Ja«, meinte Emily erneut. »Traumhaft!« Wieder verging eine halbe Ewigkeit. Schließlich räusperte sie sich und richtete sich in ihrem Stuhl auf. »Nun gut«, meinte sie dann mit erhobener Stimme und blickte abwechselnd mich und Mom an. »Ich sehe keinen Grund, euch diese Mitteilung noch länger vorzuenthalten. Kinder, ich muss euch etwas sagen, was euch vielleicht schockieren wird, aber so Leid es mir auch tut, ich kann jetzt nichts mehr daran ändern. Lorelai, Rory: Richard und ich haben uns getrennt.« »Und?«, meinte Mom. »Was heißt bitte und?«, fragte Emily pikiert. »Reicht das etwa nicht? Brauchst du vielleicht noch einen Mafia-Mord, damit es für dich interessant genug ist?« »Nein, Mom, das ist mehr als genug. Aber wir wussten es schon.« »Rory wusste es nicht«, meinte Grandma und sah mich mitfühlend an. In ihren Augen war ich anscheinend ungefähr - 47 -
fünf Jahre alt, und die Trennung meiner Großeltern war etwas, was mich völlig aus der Bahn werfen und traumatische Spätfolgen hervorrufen konnte. Sie hatte sich darauf eingestellt, dass ich in Tränen ausbrechen würde oder dergleichen. Als ich aber ebenso ruhig blieb wie Mom und erklärte, dass auch ich es gewusst hätte, nur eben nicht offiziell, trat zuerst Bestürzung in ihre Augen und dann Ärger. »Warum hast du ihr das erzählt?«, herrschte sie ihre Tochter an und wartete eine Erklärung gar nicht erst ab. »Wem hast du noch davon erzählt?« »Liest du keine Boulevardzeitungen?«, fragte Mom seufzend. Sie hatte es aufgegeben, gegen die Meinung ihrer Mutter ankämpfen zu wollen. Emily wandte sich wütend ab und beugte sich dann zu mir hinunter. »Rory, wenn du darüber reden möchtest, um zu verstehen, wie es dazu gekommen ist, dann wende dich bitte auf keinen Fall an deine Mutter!« »Schon gut, Mom, tut mir Leid«, entschuldigte sich Lorelai daraufhin. »Ich wollte wirklich nicht unsensibel wirken. Ich hab nur gedacht, du und Dad, ihr hattet einfach Streit und rauft euch wieder zusammen.« »Tun wir wohl nicht«, stellte Emily fest. »Ja, verstehe.« Lorelai machte eine Pause und holte tief Luft. »Okay, wow«, meinte sie schließlich. »Ihr habt euch also wirklich getrennt.« »Ganz recht. Dein Vater wohnt von nun an im Pool-Haus.« »Dann ist das keine wirkliche Trennung«, stellte Mom fest. »Ihr seid bloß durch euren Pool getrennt.« »Es reicht!«, rief Emily scharf. »Ich kann sehr gut auf deine Kommentare verzichten.« Grandma sah mit einem Mal tatsächlich verletzt aus. Nach außen hin tat sie zwar gerne so, als ob sie alles im Griff hätte und ihr nichts wirklich wehtun könnte, und manchmal fielen Mom und ich auch darauf rein.
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Jetzt allerdings spürten wir beide, dass Grandma unter dem Verhältnis zu Grandpa litt. »Es tut mir so Leid, Grandma!«, meinte ich und merkte, dass ich richtig traurig wurde. Denn ganz ehrlich: Dass sich meine Großeltern trennen wollten, besser gesagt schon getrennt hatten, das ließ mich alles andere als kalt. Nachdem ich ohne Vater aufgewachsen war und Mom bisher nicht besonders viel Glück mit Beziehungen gehabt hatte, war die Ehe meiner Großeltern so etwas wie mein leuchtendes Vorbild dafür gewesen, dass es auch anders ging. Dass man trotz aller Meinungsverschiedenheiten ein Leben lang zusammenblieb. Und dass dies nun nach neununddreißig Jahren in die Brüche ging, erschütterte mich doch mehr, als ich vermutet hätte. Doch ganz so dramatisch sah Emily selbst es offensichtlich doch nicht. Sie drückte den Rücken durch und blickte stolz von mir zu Mom. »Was geschehen ist, ist geschehen. Ich werde es überleben. Und um diesen neuen Abschnitt meines Lebens gebührend zu feiern, fliege ich allein nach Europa! Zum ersten Mal, seit ich aufs College ging. Heute Abend geht's los!« Mit einem Mal blitzten ihre Augen unternehmungslustig auf, und es sah fast so aus, als ob ihr die Trennung gar nicht so ungelegen käme. »Ich möchte keine Zeit verlieren!«, erklärte sie. »Ich hab mein Reisebüro angerufen und darauf gedrängt, dass die mir noch für heute einen Flug nach Paris buchen, komme, was da wolle! Sie haben es irgendwie geschafft, jemanden aus einer Kirchengruppe rauszuwerfen, und jetzt fliege ich um zehn. Und, Rory, mein Angebot an dich steht noch.« Als sie merkte, dass ich nicht sofort verstand, was sie meinte, erklärte sie: »Diesen Sommer mit dir eine Reise nach Europa zu machen! Jede junge Dame sollte Europa einmal im Leben richtig bereist haben, und es würde mich freuen, wenn du mich aus diesem speziellen Anlass begleiten würdest. Ich weiß, dass das sehr kurzfristig ist, und solltest du für die
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Sommerferien schon andere Pläne haben, verstehe ich das natürlich.« Bevor ich etwas antworten konnte, meldete sich Mom zu Wort. Sie hatte die ganze Zeit, während Grandma auf mich eingeredet hatte, mit vor der Brust verschränkten Armen auf ihrem Gartenstuhl gesessen, und dabei war ihr anscheinend eine Idee gekommen. »Also, 'ne Reise nach Europa, das klingt toll!«, strahlte sie mich plötzlich an. »Ich glaube, das wäre für dich genau das Richtige. Weißt du noch, wie schön wir Paris fanden? Und du hast doch in den Ferien nichts Besonderes vor, oder?« Ein listiges Glitzern trat in ihre Augen, und ich merkte, wie ich innerlich kochte. »Du sagst es«, antwortete ich spitz. »Ich hab nichts vor.« Emily hatte erstaunt, aber mit wachsender Begeisterung den Ausführungen ihrer Tochter zugehört, schließlich hatte die sich, als sie zum ersten Mal von den Plänen Grandmas erfuhr, noch ganz anders angehört. Umso erfreuter war Emily nun, dass Lorelai ihre Meinung anscheinend grundlegend geändert hatte und ihre Idee, mit mir zu verreisen, ebenso gut fand wie sie selbst. »Also gut!«, rief Emily begeistert und legte mir die Hand auf den Arm. »Was sagst du dazu? Wollen wir beide einfach mal spontan sein?« »Klar, Grandma, liebend gern«, antwortete ich und warf Mom einen bösen Blick zu. »Kind, das ist ja wundervoll!«, rief Emily enthusiastisch aus. »Ich rufe Raffi gleich noch mal an und sag ihm, er muss noch einen Baptisten rausschmeißen! Wir werden uns gut amüsieren, wir zwei. Das wird genauso wie in Gigi.« Mit diesen Worten sprang sie regelrecht aus ihrem Stuhl, drückte mir einen Kuss auf die Wange und flötete, dass sie kurz mal telefonieren müsse.
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»Bitte, nur zu, Mom!«, rief Lorelai ihr nach und sah mich, als wir alleine waren, prüfend über den Tisch hinweg an. »Europa. Cool.« »Also, was ist das hier, ein Henry-James-Roman?«, platzte es aus mir heraus. »Die junge Lady hat Mist gebaut, und ihre Familie schiebt sie nach Europa ab?« »Ach, ich bitte dich!« »Wie schnell du doch Grandma verklickert hast, dass ich in den Ferien noch nichts vorhab!« Ich war unglaublich wütend. Wenn ich ehrlich gewesen wäre, dann hätte ich auf mich oder auf Dean wütend sein sollen – aber in diesem Moment konnte ich nicht ehrlich sein. Alles war zu verwirrend, und Mom kam mir als Sündenbock gerade recht. »Hör mal, ich schieb dich doch nicht ab!«, rief sie, verblüfft über meine äußerst feindliche Reaktion. »Bestimmt nicht! Ich wollte nur … Okay, ja, möglicherweise doch«, gab sie dann zu. »Es war nicht geplant oder so, aber vielleicht hatte ich irgendwo im Hinterkopf den Gedanken. Vielleicht hab ich die Reise ja vorgeschlagen, damit du etwas Zeit hast, um …« »… schnell mal ins 19. Jahrhundert zurückzukehren?« »Um nachzudenken!«, rief Mom. »Aber du hättest ja nicht unbedingt annehmen müssen.« »Doch, natürlich!« »Nein, Rory, ganz und gar nicht!« Mom war nun ihrerseits wütend geworden. Sie hatte die Nase voll von meinen Schuldzuweisungen. »Du bist jetzt neunzehn, schon vergessen?«, erklärte sie. »Das heißt, du bist erwachsen. Und du kannst auch deine Affären selbst regeln. Verzeihung, blöde Wortwahl. Du kannst dein Leben so führen, wie du willst. Wenn es dir also nicht passt, nach Europa zu fliegen, hättest du das sagen können. Aber das hast du nicht getan, daher schätz ich mal, du hast Lust dazu.« Damit verschränkte sie wieder die Arme vor der Brust und ließ mir einen Moment Zeit, um zu erkennen, dass sie Recht hatte. »Du willst also weg?«, fuhr sie - 51 -
dann in verändertem Ton fort. »Warum? Ich meine, was ist mit Dean? Du willst jetzt einfach so verschwinden? Ist denn irgendwas passiert? Habt ihr euch gefetzt oder gibt es einen anderen Grund? Heißt der Grund etwa Lindsay?« »Das geht dich absolut nichts an!«, fuhr ich auf. »Aber zu deiner Beruhigung: Wir haben uns nicht gefetzt. Mit Dean ist es traumhaft schön! Ich mach das eigentlich nur, damit ich von dir wegkomme!« »Sag mal, Rory, war diese Trotzphase nicht schon vor fünf Jahren fällig gewesen? Denn offen gestanden, wenn du jetzt damit anfängst, Türen zu schmeißen und Gothrock in voller Lautstärke zu hören, werden sich die Leute wundern.« Mom lächelte, aber ich konnte erkennen, dass mein Verhalten sie tief verletzte. Doch das berührte mich nicht. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt, denn mit all dem, was sie sagte, lag sie ja eigentlich goldrichtig. »Sag Grandma, dass ich packe!«, schrie ich bloß noch wütend, schob dann energisch den Stuhl nach hinten und stürmte los. Ein paar Stunden später war ich soweit. Ich hatte alles gepackt und war auch schon passend für die Reise angezogen. Ich hatte einen roten, schmalen Pullover gewählt und einen weißen, kurzen, aber weit geschnittenen Rock. Bequem und sportlich, aber trotzdem elegant. Mit Mom hatte ich seit dem verpatzten Mittagessen immer noch kein einziges Wort gewechselt. Kurz bevor wir zum Flughafen fuhren, klingelte mein Handy, und mit klopfendem Herzen sprang ich zu meiner Handtasche. Doch je näher ich der Tasche kam, desto zögerlicher wurde ich, und als ich endlich das Telefon in der Hand hielt und auf dem Display Deans Name erschien, drückte ich ihn schweren Herzens weg. Ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Mir war nur klar, dass Abstand jetzt genau das Richtige war.
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Ich hoffte, dass mir der Abstand von Dean dabei helfen würde, ein wenig klarer zu sehen, was passiert war und was ich eigentlich wollte. Und Dean selbst, so hoffte ich, sollte der Abstand helfen, sich über seine Gefühle zu mir und Lindsay klar zu werden. Gut, vielleicht hatte der Plan einen Haken. Vielleicht hätte ich Dean in meine Pläne einweihen sollen – aber das konnte ich nicht. Alles ging viel zu plötzlich, und nach dem Gespräch, das ich heute belauscht hatte, konnte ich einfach nicht mehr mit Dean sprechen. Ohne die geringste Vorfreude fuhr ich schließlich mit Mom zum Flughafen, wo Grandma schon auf uns wartete. Was mir an Reiselust fehlte, machte Emily wett. Sie wirkte mit einem Mal zwanzig Jahre jünger und war so aufgeregt, dass ihre Wangen glühten. »Kommt schon, Kinder! Nicht so langsam! Auf uns wartet ein Abenteuer!« Sie reichte einem Zollbeamten ihren Reisepass und die Bordkarte. »Na los, Rory, Tempo! Du musst deine Bordkarte vorzeigen und natürlich deinen Ausweis. Lorelai, ihr solltet euch hier verabschieden. Denn wenn du keine Bordkarte hast, darfst du nicht weitergehen!« Emily sah den Zollbeamten neckisch an. »Hab ich Recht?« Als dieser nickte, wandte sie sich erneut an ihre Tochter, betonte noch einmal, dass sie Recht hatte und breitete dann theatralisch vor dem Beamten die Arme aus. »Wenn Sie mich durchsuchen müssen, ich hab nichts dagegen einzuwenden. Fragen Sie mich ruhig. Machs gut, Lorelai.« Sie drehte sich noch einmal um, hob huldvoll die Hand zum Gruß und tänzelte dann durch den Zoll. »Machs gut, Mom!«, rief Mom ihr nach – und als ich meiner Grandma wortlos folgen wollte, zupfte sie mich am Arm. »Hey, hey, Sekunde noch. Hast du alles Wichtige eingesteckt?« »Ja«, antwortete ich mürrisch. Mom steckte mir noch Geld zu, damit ich mir auch genügend Schundmagazine an Bord leisten konnte, und auch wenn sie - 53 -
wirklich total lieb zu mir war, behandelte ich sie weiterhin wie eine Schwerverbrecherin. Manchmal macht man Dinge, auf die man später nicht wirklich stolz sein kann … Als ich meinte, dass ich los müsse, hielt Mom mich noch ein letztes Mal zurück. »Also, viel Spaß«, meinte sie und blickte mich dann eindringlich an. »Und wenn dir danach ist, mit mir zu reden, dann bitte ruf mich an, okay?« Eigentlich wäre ich ihr am liebsten schluchzend um den Hals gefallen, aber das gestattete ich mir nicht. Stattdessen murmelte ich nur irgendwas, was sich nach »okay« anhörte, und ging dann durch den Zoll, ohne mich auch nur noch ein einziges Mal umzublicken. Als Lorelai müde und erschöpft zu Hause ankam, lehnte sie sich erst einmal von innen gegen die Tür und atmete tief durch. Sie hatte sich so auf eine schöne gemeinsame Zeit mit mir gefreut und fand sich plötzlich alleine wieder. Als ihr Blick auf den Anrufbeantworter fiel, der auf der Kommode im Flur stand, riss sie sich mit einem Seufzen von der Tür los und drückte auf die Wiedergabetaste. »Hey, ich bin's«, begann eine ihr gut bekannte, männliche Stimme. Es war Luke. »Meine Schwester und T.J. haben angerufen. Sie hatten einen kleinen Unfall in Maine. Nichts Schlimmes. Sie haben sich beide einen Arm und ein Bein gebrochen. Naja, und jetzt brauchen sie für'n paar Wochen Hilfe an ihrem Stand auf dem Mittelaltermarkt. Sie haben mich gefragt, ob ich einspringen kann, und blöderweise bin ich ans Telefon gegangen. Deshalb muss ich da jetzt hinfahren. In ungefähr einer Woche bin ich zurück. Okay? Bis dann.« »Klasse!«, entfuhr es Lorelai. Heute war wirklich ein toller Tag! Jetzt war auch noch Luke fort! Mitten in ihren Gedanken wurde sie allerdings durch eine neue Nachricht unterbrochen. Es war wieder Luke.
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»Hey, ich bin's noch mal. Ich weiß nicht, ob wir in unserer Beziehung schon so weit sind, dass du immer ganz genau wissen willst, wo ich mich gerade rumtreibe. Wenn das nicht der Fall ist, dann entschuldige. Ich hätte sagen sollen, dass ich verreise und dich später anrufe. Also, ich verreise, und ich ruf dich später noch mal an.« Auf Moms Gesicht hatte sich bei Lukes Worten ein Lächeln geschlichen. Sie merkte, dass sie ziemlich verknallt war, und dann kam auch schon die dritte Nachricht. Wieder von Luke. »Ich schon wieder, dieser Idiot, der dir deinen Anrufbeantworter voll quatscht. Ich wollt dir nur sagen, ich hab mir vor der Abfahrt noch ein Handy besorgt. Du kannst also anrufen, wenn du willst. Aber nur, wenn du willst. Das war's.« Das Grinsen auf Moms Gesicht wurde immer breiter – doch als er auflegte, ohne die Nummer zu nennen, schrie sie auf. Zum Glück war die Aufregung überflüssig, denn sogleich kam Anruf Nummer vier vom Band. »Ach ja, die Nummer wär nicht schlecht. Acht-sechs-null, zwei-neun-vier, eins-neun-acht-sechs. Also, bis dann. Ach ja, wenn du deine Meinung ändern willst, warte damit, bis ich zurück bin, okay? Na dann, wir hören uns später.« Mom hatte während der Ansage die Nummer notiert und griff direkt danach zum Telefon. »Na, wenn das nicht unser Globetrotter ist!«, grüßte sie Luke mit einem Schmunzeln, als er abnahm, und machte es sich auf der Couch bequem. »Ja, das ist das wahre Leben!«, schwärmte Luke und berichtete dann von Liz und T.J. »Es geht ihnen so weit ganz gut, sie sind nur nicht allzu beweglich. Und Liz hat jetzt Panik, denn wenn sie frühzeitig aufhören, können sie in der nächsten Saison ihren Platz neben der Apfelmännchenbude verlieren. Offenbar ist das der beste Platz, also hab ich gesagt, ich helf ihnen.« »Wirklich, sehr ritterlich von dir!«, lobte Lorelai. - 55 -
»Ja, ich bin ein richtiger Lancelot. Hast du meine Nachrichten gekriegt?« »Oh, nein. Du hast was auf Band hinterlassen? Mein Anrufbeantworter ist vor Erschöpfung in den Streik getreten. Was hast du denn gesagt?« »Nicht viel«, antwortete Luke und fasste sich dann ein Herz. »Also«, begann er, und seine Stimme war plötzlich sehr zärtlich. »Das war'n klasse Testlauf, oder?« »Du meinst wahrscheinlich den vom Hotel, oder?«, fragte Mom und grinste. »Der war toll! Allerdings kann man ohne einen zweiten erfolgreichen Versuch noch nicht sagen, ob es was wird.« »Also, ich schätze mal, dann musst du einen zweiten Versuch starten.« »Völlig richtig!«, antwortete Mom verheißungsvoll. »Alles andere wäre vom geschäftlichen Standpunkt aus Harakiri.« Sie spielte versonnen mit einer Haarsträhne und wollte dann von Luke wissen, wo er gerade war. »In etwa zehn Minuten müsste ich am absoluten Arsch der Welt angekommen sein.« Lorelai lächelte glücklich. »Ah ja, da soll's zu dieser Jahreszeit einfach himmlisch sein!« Sie plauderten noch ein wenig weiter und legten schließlich auf. Moms Laune hatte sich schlagartig um einige hundert Grad verbessert …
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Das Hotel war eröffnet worden, die meisten Zimmer waren belegt, und eigentlich lief für Lorelai alles bestens. »Eigentlich« deshalb, weil sie seit bereits zwei Wochen alleine war und diesen Umstand langsam, aber sicher unerträglich fand. Luke war auf dem Mittelaltermarkt verschollen, und ich weilte immer noch mit Grandma in Europa. Da also zu Hause niemand auf sie wartete, sie sich weder mit Luke treffen konnte und mit mir noch nicht einmal telefonieren, verbrachte sie die meiste Zeit im Hotel. Sie kam eigentlich nur noch zum Schlafen, Duschen und Umziehen nach Hause – wenn überhaupt. Denn es war bereits einige Male vorkommen, dass sie im Büro des Dragonfly über ihren Unterlagen eingeschlafen war … Trotz allem – oder gerade deshalb – lief Lorelai auf Hochtouren. Sie stand ständig unter Strom, war stets in Eile, hatte sicher drei Kilo abgenommen und lief in einem Stechschritt durch die Gegend und durchs Hotel, der Emily alle Ehre gemacht hätte. Sie erinnerte ein wenig an den DuracellHasen aus der Werbung, der lief und lief und lief – und unwillkürlich fragte man sich, was passieren musste, damit er endlich einmal stehen blieb. Auch an diesem Vormittag rannte Lorelai wieder durch Stars Hollow. Sie war auf dem Weg ins Hotel und wollte vorher noch Briefe einwerfen und in Lukes Café, in dem während seiner Abwesenheit Lane die Stellung hielt, einen Kaffee zum Mitnehmen holen. Lorelais Kopf war zum Bersten voll mit tausend Listen, die sie heute abarbeiten wollte. Sie hatte keine Augen für das herrliche Sommerwetter, den prallen Sonnenschein und den strahlend blauen Himmel. Als sie in ihrem Stechschritt an einer Parkbank vorbeikam, auf der drei
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ältere Herren saßen, warf sie ihnen einen kurzen Blick zu – Zeit für einen kleinen Plausch hatte sie allerdings nicht. »Morgen, Al. Morgen, Fred. Morgen, Sam«, rief sie im Vorbeigehen, dann war sie auch schon wieder weg. Während die Senioren Lorelai wie einer Erscheinung nachblickten, warf diese rasch ihre Briefe ein und steuerte dann unverzüglich Luke's Diner an. Lorelai sah an diesem Vormittag wieder einmal fantastisch aus. Sie trug eine schmal geschnittene eisblaue Hose, darüber eine weiße Bluse und einen eng anliegenden Pullunder in einem dunklen Himbeerton. Komplettiert wurde das Outfit durch eine ziemlich heiße Handtasche und elegante, spitze Schuhe. Die Haare trug sie wie fast immer offen. Durch das selbst auferlegte Arbeitspensum, den Stress, die vielen Sorgen und die verlorenen Kilos war sie zwar ein wenig blass um die Nase, aber selbst damit sah sie einfach umwerfend aus. »Ich bin der Über-Trump, der Murdoch-Marximus!«, sagte sie zu sich selbst, aber als sie an Miss Pattys Schuppen vorbeikam, wo gerade eine Tanzprobe stattfand, huschte ein kurzes Lächeln über ihr Gesicht. »Uh, Fallobst!«, rief sie, blieb allerdings wieder nicht stehen, sondern rannte weiter. Bei Miss Patty tummelten sich die kleinen Einwohner von Stars Hollow in lustigen Apfelkostümen, die anlässlich der Eröffnung der Cider Mill eine kleine Choreografie einstudierten. Da die Apfelkostüme allerdings ihre Bewegungsfreiheit einschränkten und kleinere Ungeschicklichkeiten nachgerade heraufbeschworen, kullerte immer mal wieder einer oder mehrere der Tanz-Eleven über den Bretterboden, der die Welt bedeutete. Zumindest die Welt in Stars Hollow. »Fallobst, ja?«, rief Miss Patty und drehte sich dann um. Als sie die Bescherung sah, klatschte sie energisch in die Hände. »Apfel am Boden! Aufhören! Ein Apfel liegt am Boden! Rollt ihn zur Seite!«
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In Luke's Diner war es um diese Uhrzeit nicht so voll. Den meisten Leuten war es noch ein wenig zu früh für einen Snack oder gar einen Lunch, und mehrere Tische waren noch frei. An einem der wenigen besetzten Tische saßen Zack und Brian und warteten darauf, dass Lane ihre Bestellung aufnahm. Das Bild, das die beiden abgaben, war einigermaßen typisch: Zack lag mehr auf dem Stuhl, als dass er saß, machte ein cooles Gesicht, kaute auf einem imaginären Kaugummi und sah Brian von Zeit zu Zeit genervt an. Brian war wie immer sehr engagiert. Er sah mit seiner Brille und seinem rot-weiß-gestreiften Poloshirt überhaupt nicht so aus, wie man sich gemeinhin einen jungen, angehenden Rockstar vorstellt – und auch sein Hobby war nicht das, was man von dem Mitglied einer Rockband erwarten würde. Wenn er mal nicht mit Computerspielen beschäftigt war, las er nämlich leidenschaftlich gerne. Und am allerliebsten verschlang er historische Romane. »Da beide königlicher Abstammung sind, hätte ihr Kind Anspruch auf den judäischen Thron«, berichtete er Zack während der Wartezeit aus seiner aktuellen Bettlektüre. »Also geht Maria Magdalena nach Gallien, um es dort zu kriegen. Außerdem soll sie nach seinem Tod der Kirche vorstehen, aber Petrus will das nicht. Aber das wird später von Konstantin vertuscht, nach dem Konzil von Nicäa, durch das die christlichen Schriften gesäubert wurden …« »Oh, mein Gott! Würdest du endlich mit diesem ätzenden Gelaber aufhören?!«, unterbrach ihn Zack ungehalten. Sein Interesse galt eher Mädchen als historischen Romanen. In diesem Punkt erfüllte er das Klischee des wilden Rockstars zu hundert Prozent. In seinen Hosentaschen fanden sich immer jede Menge Telefonnummern von Verehrerinnen, und bei jedem Konzert standen einige von ihnen bauchnabelfrei und mit tief ausgeschnittenen, hautengen Tops in der ersten Reihe vor der Bühne, um ihm zuzujubeln.
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»Das ist der Top-Bestseller im ganzen Land!«, verteidigte sich Brian. »Aber für mich ist das Buch der Top-Langweiler!« Zack hielt ungeduldig Ausschau nach Lane. Er hatte Hunger, und er wollte was essen – mit dem Einkaufsdienst wollte es in der neu gegründeten Band-WG nämlich immer noch nicht so richtig klappen. Viel zu oft war der Kühlschrank bis auf ein paar Senftuben völlig verwaist, und Lane war die Einzige, die dafür sorgte, dass wenigstens hin und wieder was zu essen im Hause war. Als Lane sich um die anderen Gäste gekümmert und deren Bestellungen aufgenommen hatte, ging sie unverzüglich mit ihrem Notizblock zu Zack und Brian. »Also, Jungs, was darf's für euch sein?«, fragte sie und blickte auffordernd von einem zum anderen. Wie immer, wenn es um Essen ging, war Zack der Erste, der sich meldete. »'n Burger für mich, nix Gesundes drauf, extra Käse und natürlich 'n Tellerchen voll Zwinkie-Zwinker.« Er hatte während der zweiten Hälfte des Satzes die Stimme gesenkt und blickte Lane verschwörerisch in die Augen. Die verzog allerdings bei dem Wort »Zwinkie-Zwinker« wie unter Schmerzen das Gesicht. »So musst du sie nicht nennen!«, rief sie genervt. »Jungs, ich hab euch gesagt, ihr kriegt die Pommes gratis. Das ist kein Thema, weil wir ohnehin dauernd zu viele machen und sie ohnehin wegschmeißen würden. Deshalb benötigt ihr dafür auch keine Geheimwörter wie ›Zwinkie-Zwinker‹ oder ›Naschi-Naschie‹ oder ›du weißt schon, was ich meine‹, oder sonst was! Und vor allem nicht diese Sülz-Ausdrücke!« »Ich werd mich in Zukunft dran halten«, antwortete Zack und fläzte sich wieder auf seinen Stuhl. Lane nickte zufrieden und sah dann Brian an. »Ich nehm das Gleiche«, meinte dieser. »Burger und Pommes.« Damit hielt er sich zwar an Lanes Anweisungen und - 60 -
sagte nicht »Zwinkie-Zwinker« oder etwas anderes in der Art – aber stattdessen machte er bei dem Wort »Pommes« ziemlich absonderliche Grimassen. Er zog mehrmals schnell und viel sagend die Augenbrauen in die Höhe, wie ein in die Jahre gekommener Entertainer eines drittklassigen Kasinos in Las Vegas – und das fiel nicht nur Lane auf. »Das war auch gerade wieder so'n Code, Alter!«, fuhr ihn Zack an. »Sie hat nur gesagt, wir sollen keine Code-Wörter benutzen.« »Das war'n pauschales Verbot für alle Codes, die sich irgendwie auf Pommes beziehen!« Die beiden Jungs stritten sich noch ein wenig weiter. Das konnten sie gut und taten sie auch gerne, und Lane wandte sich kopfschüttelnd um. Sie hatte gerade Caesar die neuen Bestellungen durchgegeben, als Lorelai die Tür öffnete und in den Laden rauschte. »Hi, Lane!«, rief sie und steuerte unverzüglich die Theke an wie ein Junkie, der weiß, dass sein Stoff zum Greifen nah ist. »Lorelai, hallo!«, grüßte Lane. »Na, wieder das Übliche zum Mitnehmen?« Lorelai nickte und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Theke herum, während ihre Blicke hin und her irrten. »Ja, und zack-zack, bitte.« Während Lane einen Becher zum Mitnehmen zu den Kaffeekannen brachte, erzählte sie Lorelai, dass diese überall nur noch »der Blitz« genannt würde. »Das ist fies«, antwortete Lorelai, aber dann überlegte sie es sich noch mal anders und grinste Lane neugierig an. »Oder doch nicht? Wieso denn?« Lane drehte sich zu ihr um. »Sie sind nie da, und immer rennen Sie. So schnell wie der Blitz.« Lorelai zuckte die Schultern. »So ist das Geschäftsleben, Baby!«, erklärte sie. »Wer zu langsam ist, wird abgehängt.«
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Dann blickte sie sich neugierig um. »Luke ist noch nicht da, hm?« Lane schüttelte den Kopf. »Na ja, Liz und T.J. sind noch nicht wieder auf den Beinen. Luke sagt, dieser Mittelaltermarkt sei Krieg, aber leider darf er nicht schießen.« »Hm, armer Kerl«, nickte Mom. »Der Kaffee ist extra stark. Sie kriegen davon schwarze Zähne und 'n Magendurchbruch.« Lane reichte Mom den Becher, und sie ging hinüber zu dem kleinen Tisch, wo Zucker und Milch bereitstanden. Als sie sich ein wenig Milch in den Kaffee gegossen hatte, fiel ihr Blick auf eine Reihe von Postkarten mit europäischen Städten, die an der Wand hingen. Unwillkürlich drehte sie eine nach der anderen um und warf einen Blick darauf. Als sie bemerkte, dass Lane ihr dabei zusah, beendete sie ihre Lektüre rasch wieder. »Oh, entschuldige. Es geht mich nichts an!« Lane winkte ab. »Doch, lesen Sie ruhig. Die sind von Rory. Aber was da draufsteht hat sie Ihnen wahrscheinlich alles schon erzählt.« »Oh ja. Vermutlich schon«, antwortete Mom betreten und hatte es dann sehr eilig, aus dem Laden zu kommen. Es tat ihr furchtbar weh zu sehen, wie Lane eine Karte nach der anderen von mir erhielt und sogar Luke, während sie selbst noch keine einzige bekommen hatte. Wir hatten uns immer noch nicht versöhnt – und das lag definitiv nicht an Lorelai. Ich war der Grund, denn ich war immer noch wütend und verwirrt. Deshalb versuchte ich auch, die Abstände zwischen den Telefonaten so groß wie möglich zu halten. Was auch schon Grandma auffiel. Sie wusste schließlich nichts von unserem Streit. Zumindest nicht »offiziell«, denn das irgendetwas zwischen Mom und mir nicht in Ordnung war, musste ihr aufgefallen sein. Schließlich war der Unterschied zwischen meinem momentanen Desinteresse an Telefonaten nach Amerika und dem bis daher
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extrem innigen Verhältnis zwischen Mom und mir doch zu groß … »Ich sag euch, ich wäre fast verrückt geworden! Sechs Wochen hab ich flach gelegen. Das Bein war an drei Stellen gebrochen, deswegen hats auch so lange gedauert. Aber Gott sei Dank hab ich ja meinen großen Bruder.« Liz klopfte Luke anerkennend auf die Schulter. Sie hatte gerade ihren Freundinnen von dem Unfall berichtet und ordnete ein wenig die Ohrringe an ihrem Stand. Der Kleiderverordnung des Mittelaltermarkts entsprechend trug Liz einen bodenlangen, weiten blauen Rock aus grobem Leinen und dazu eine einfache Baumwollbluse, über der ein rotes Mieder für ein wenig Form sorgte. Ihre blonden Haare waren hinten locker zusammengenommen, und ihren blitzenden Augen sah man deutlich an, wie erleichtert sie war, dass sie die schlimmste Zeit nach dem Unfall überstanden hatte. Zwar humpelte sie noch ein wenig, und ihr Arm war immer noch eingegipst und lag in einer Halsschlinge – aber insgesamt ging es eindeutig aufwärts. Luke brummelte etwas und beobachtete dann kopfschüttelnd eine Mittelaltermarkt-Besucherin, die sich als Königin Maria Tudor herausgeputzt hatte, die auch unter dem Namen »Bloody Mary« bekannt ist, weil sie eine grausame und blutrünstige Herrscherin gewesen war. Aber das schien die kostümierte Dame entweder nicht zu wissen oder zu ignorieren, denn sie schritt hoch erhobenen Hauptes in ihrer ganzen Abscheulichkeit an der Hand eines Knappen einher. Luke hatte auf dem Mittelaltermarkt immer wieder das Gefühl, in einem Käfig voller Narren zu sein, und als er genug gesehen hatte, wandte er sich kopfschüttelnd den Halsketten zu, die er jeden Morgen aufhängen und jeden Abend abhängen musste. Nach ein paar Minuten kam Henry vorbei. Auch er hatte einen Stand auf dem Mittelaltermarkt, war aber einer der netteren Sorte. Natürlich war auch er ein wenig seltsam, aber Luke fand ihn insgesamt ganz okay. - 63 -
»Morgen, Lucas«, grüßte ihn Henry mit einem gemütlichen Lächeln und winkte ihn dann zu sich. »Hey, komm mal her. Hab neuen Tratsch.« Als Luke die Ketten beiseite gelegt hatte und um den Stand herumgekommen war, flüsterte ihm Henry ins Ohr. »Du kennst doch den Heuballen-Bill, diesen Kerl, der das Heu rumträgt?« Er wartete ab, bis Luke ihm zu verstehen gab, dass er wusste, wer der Heuballen-Bill war, dann ließ Henry, wie man so sagt, die Katze aus dem Sack. Anscheinend hatte man den Heuballen-Bill zusammen mit Annie von der Grog-Bude im Zelt erwischt! »Ist sie nicht mit diesem Fruchteis-Kerl verlobt?«, fragte Luke und tat interessierter, als er eigentlich war. Henry nickte wichtigtuerisch. »Ja, und der Fruchteis-Kerl kommt rein und sieht Annie und den Heuballen-Bill und reißt daraufhin das Zelt in Fetzen! Die Leute von der Grog-Bude müssen sie verstecken. Die haben aus ihren Fässern ein Fort errichtet.« »Ist ja total verrückt«, staunte Luke. »Ich halt dich auf dem Laufenden«, versprach Henry. Dann ging er weiter zum nächsten Stand, um den neuesten Tratsch unters Volk zu bringen. Luke machte sich wieder an die Arbeit. Er nahm Kette für Kette und hing sie an einen dafür vorgesehen Ständer aus Ästen, denn natürlich war auf dem Mittelaltermarkt jede Form von Modernität bei der Warenpräsentation verpönt. Ein Plastikgegenstand wäre Grund genug dafür gewesen, dass der Stand geschlossen wurde, und es gab sogar extra dafür angeheuerte Mittelaltermarkt-Spione, die nichts anderes taten, als Sünder, die entweder neumodisch mit Kunden sprachen oder Stände, bei denen nicht alles aus Korb, Holz, Stein oder Ton war, aufzuspüren und die jeweiligen Verantwortlichen abzumahnen. Auch auf dem Mittelaltermarkt versprach die Morgensonne einen herrlichen Sommertag – doch Luke hatte keine Augen - 64 -
dafür. Er wollte einfach nur weg von diesen irren Knappen und Mägden, zurück nach Stars Hollow, zurück in seinen Laden – und vor allen Dingen zurück zu Lorelai, die er schließlich seit ihrem ersten gemeinsamen Kuss nicht mehr gesehen hatte, und die ihm schrecklich fehlte … »Hey, Luke?«, riss ihn plötzlich T.J. aus seinen Gedanken, der sich ihm von hinten näherte. »Du willst den Zinnschmuck neben die Türkisketten hängen?« Luke verdrehte die Augen. »Sieht so aus«, antwortete er mürrisch, ohne sich zu seinem Schwager umzudrehen. »Für gewöhnlich hängen wir aber die Zinnsachen nicht zu denen aus Türkis«, nervte T.J. weiter. »Tja, ich bin ein Einzelkämpfer«, antwortete Luke und fuhr mit seiner Arbeit fort. Wenn er allerdings gehofft hatte, dass sich T.J. mit seiner Antwort zufrieden geben würde, wurde er enttäuscht, denn ein paar Minuten später nervte ihn der frisch gebackene Ehemann seiner Schwester mit der Vermutung, dass der Zinnschmuck wahrscheinlich genau aus diesem Grund kaum gekauft würde. »Der Zinnschmuck verkauft sich spitze, T.J.«, antwortete Luke gereizt und war ganz froh, als ihn eine Kundin nach dem Weg zum Shakespeare-Theater fragte. »Also, Sie gehen an dem Stand mit den Daumenklavieren vorbei, dann bei den Trinkhörnern rechts und links an den Geweihkunstwerken vorbei.« »Mm-hm«, brummte T.J., kaum, dass die Frau weg war. »Luke? Du hast dich eben nicht der vorgeschriebenen Mittelaltermarktssprache bedient! Hier laufen andauernd Mittelaltermarktsspione durch die Gegend, und die achten genau auf so was.« »Tja, dann brauchen sie wohl richtige Jobs.« »Bringt es dich denn um, wenn du ›Gott zum Gruße‹ sagst?« Luke hatte jetzt endgültig genug! T.J. hatte es wieder einmal geschafft! Die Zeit der Vergeltung war gekommen! Innerlich - 65 -
kochend ging er zu der Liege, auf der es sich T.J. bequem gemacht hatte, und riss ihm die Decke weg, unter der sein Schwager irgendetwas zu verstecken schien. Luke behielt mit seiner Vermutung Recht, denn darunter kam ein kleiner, transportabler Fernseher zum Vorschein. »Hör zu, T.J. Das glaub ich einfach nicht. Du sitzt da und guckst fern?« Luke musste schwer an sich halten, um nicht richtig laut zu werden, und schnappte sich schließlich den Fernseher. »Du nutzt deine Situation aus!«, warf er T.J. vor. »Und du benutzt mich. Aber nicht mehr lange! Besorg dir 'ne Aushilfe und Krücken, denn am Wochenende bin ich weg! Ich hab selbst genug zu tun. Ich hab mein Café und hoffentlich noch 'n eigenes Leben!« »Beliebt ihr zu scherzen, werter Herr? Wollt Ihr uns schnöde verlassen?« T.J. sah mächtig beleidigt aus und griff sich theatralisch und mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Arm. »Gestern konntest du problemlos mit einer Hand Popcorn aus der Tüte holen, während du dich mit der anderen gekratzt hast«, winkte Luke ab. »Es geht dir also wieder bestens.« »Du lässt uns also wirklich im Stich, hm?« T.J. wirkte richtig böse. Für ihn hätte es so noch ein paar Monate weitergehen können: Er auf der Couch, Luke, der die Arbeit machte, und Liz, die ihn liebevoll umsorgte. Dass dieses süße Leben nun bald ein Ende haben sollte, das wollte T.J. nicht so einfach akzeptieren – doch Luke war es ziemlich egal, was T.J. von seinen Plänen hielt. »Ich bin sowieso total nutzlos!«, rief er. »Ich werd doch den Zinnschmuck nicht los!« Daraufhin schnappte sich Luke seine Jacke und klemmte sich den Fernseher unter den Arm. »Nicht, dass du noch Ärger mit den Mittelaltermarktsspionen kriegst!«, zischte er T.J. zu, und dann ging er davon, um sich ein wenig abzuregen. Grandma und ich waren schon in Frankreich und in England gewesen. Auch Deutschland und ein kurzer Abstecher in die - 66 -
Schweiz gehörten bereits der Vergangenheit an. Nun waren wir im letzten Reiseland unseres Europa-Trips angelangt. Es war zugleich der Höhepunkt unserer Reise und besaß den verheißungsvollen Namen Italien! Und um ganz genau zu sein: Wir waren, nachdem wir bereits Venedig und Florenz gesehen hatten, nun endlich in Rom gelandet! Während sich im fernen Amerika Liz und T.J. und alle ihre Mittelaltermarkt-Kollegen ein Bein ausrissen, um ein wenig den Duft vergangener Zeiten zu atmen, befand ich mich in der Alten Welt, in Rom, und war umgeben von Geschichte. Ein antiker Tempel stand neben dem nächsten, ganz zu schweigen von dem Kolosseum, dem Vatikan und den tausenden romanischen, gotischen oder barocken Kirchen und Palästen, die überall in dieser wunderschönen Stadt verteilt waren. Als Grandma und ich aus dem Flughafen kamen, nahmen wir uns sofort ein Taxi und fuhren in das Luxushotel, in dem Grandma bereits vor zwei Jahren gewohnt hatte. Es war ein Palazzo aus dem 16. Jahrhundert, und die dicken Mauern wirkten wie die eines verzauberten Märchenschlosses. Ich war völlig beeindruckt, als wir dem Concierge folgten und unsere Suite betraten. Vor Staunen blieb mir fast die Luft weg. Teure Teppiche lagen auf dem Boden, und alles war unglaublich geschmackvoll, teuer und erlesen eingerichtet. Hier wurde Geschichte nicht simuliert – hier existierte sie tatsächlich, und die Vorstellung, was sich wohl vor hundert und zweihundert und dreihundert Jahren in diesen Gemächern abgespielt haben mochte, beflügelte meine Fantasie. »Allora, da wären wir schon. Zimmer fünf-achtzehn, ein hübsches Zimmer. Für Sie immer das Beste, Mrs Gilmore«, meinte Luciano, der Concierge, höflich und zuvorkommend. Er hatte zwar jedes Jahr viele verschiedene Gäste, aber an meine Grandma erinnerte er sich sofort. Ich musste nicht lange überlegen, um zu ahnen, warum …
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»Es ist heiß«, bemerkte Emily, fächerte sich mit einem Prospekt Luft zu und schritt das Zimmer ab. »Ich werde die Klimaanlage regulieren«, antwortete Luciano schnell und schritt zum Fenster. »Sie haben eine umwerfende Aussicht, sehr schön. Ein kleiner Balkon ist auch da.« Luciano öffnete die Fensterläden – und wenn ich nicht sowieso schon begeistert gewesen wäre, dann hätte mich dieser Blick nun endgültig überzeugt. Es war um mich geschehen; ich erlag dem Zauber dieser Stadt und dieses Palazzos. Vor uns lagen einige der Aufsehen erregendsten Bauwerke, die Rom zu bieten hatte. »Wow, es ist wirklich unglaublich schön«, staunte ich und konnte meinen Blick gar nicht mehr abwenden. Grandma war allerdings nicht ganz so zufrieden. Sie war neben mich getreten und blickte mit hochgezogenen Brauen hinaus. »Es ist irgendwie anders«, erklärte sie. »Die Aussicht – sie ist ganz verändert. Die Ruinen waren früher viel näher. Ist hier was verschoben worden?« »Nein, ich denke nicht«, antwortete Luciano und betupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn. Er war wirklich einiges von seinen Gästen gewohnt, dass aber jemand mit diesem herrlichen Ausblick eine Beschwerde verknüpfen konnte –, das hatte er bis heute für unmöglich gehalten. »Ja, aber die Säule dort stand immer woanders!«, beharrte Grandma. »Hör zu, die Ruinen stehen bestimmt noch an derselben Stelle wie vor zweitausend Jahren, Grandma«, meinte ich, und Luciano bot an, dass wir ein anderes Zimmer nehmen könnten, wenn uns der Ausblick nicht behagte. »Nein, nein, schon gut«, winkte Grandma großzügig ab, um eine halbe Sekunde später die nächste Beschwerde zu äußern. »Hier waren Raucher«, stellte sie angewidert fest und sah Luciano vorwurfsvoll an. Dieser betupfte sich erneut die Stirn und erklärte, dass er Raucher verabscheue.
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Mir war das alles zu dumm. Ich wollte meine Sachen auspacken und mich dann ins Getümmel stürzen. Ich konnte es kaum erwarten, die Stadt zu erkunden, und während Grandma die Pagen herumkommandierte und fast schon zwanghaft nach Gründen suchte, um sich zu beschweren, ging ich schon mal zum Gepäckwagen, der mit Grandmas Koffern überhäuft war. Ich wollte gerade nach meiner Reisetasche greifen, als mich Grandmas Stimme zurückhielt. »Rory, ich sagte dir doch, du sollst das Gepäck nicht anrühren!«, rief sie streng und winkte mich zu sich. »Ja! Bitte, wir machen das schon«, pflichtete ihr Luciano bei, und ich entschuldigte mich brav für mein unangemessenes Verhalten. Grandma hatte sich für diese Reise vorgenommen, aus mir eine Lady zu machen, beziehungsweise das, was sie darunter verstand. Und die beste Reaktion darauf war, nachzugeben und sich seinen Teil zu denken. Ich stellte mich wieder neben sie, und Grandma erkundigte sich, ob es den Tee noch zur selben Zeit gäbe wie bei ihrem letzten Aufenthalt. »Si, Signora«, antwortete Luciano. Emily nickte zufrieden, und dann tat sie wieder das, was sie wirklich sehr gut konnte. Sie kommandierte ein wenig. »Buchen Sie uns ein paar Privatführungen!«, befahl sie. »Den Vatikan, die Villa Medici. Und wirklich privat! Der Concierge in Florenz hat uns in den Uffizien ein belgisches Paar aufgehalst, das Fresken für eine Frettchenart hielt. Und die Ruinen selbstverständlich, aber die Führung sollte nicht zu trocken sein.« Dann ließ sie von Luciano ab und blickte sich um. »Es ist alles so verändert«, stellte sie zum wiederholten Mal fest, befahl dann, dass die Umhängetaschen aufgehängt und nicht aufs Bett gelegt werden sollten und ging dann schließlich nach nebenan, um unser Schlafzimmer zu inspizieren. Als sie draußen war, wandte ich mich an Luciano. »Entschuldigen Sie bitte, wie weit ist es von hier bis zu den - 69 -
Katakomben?«, fragte ich, denn die Katakomben waren etwas, was auf meiner persönlichen Rom-Liste ganz oben stand. Luciano machte eine bedauernde Geste. »Nicht sehr weit, aber Ihre Großmutter mag die Katakomben nicht, weil sie die Knochen dort verwirren.« »Ich will sie aber sehen«, erklärte ich. »Meine Großmutter schläft für gewöhnlich um diese Zeit. Dann kann ich auf eigene Faust losziehen.« In diesem Moment kam Grandma aus dem Schlafzimmer, orderte zwei weitere Kopfkissen und griff dann, als wir alleine waren, zu einem Restaurantführer. »Setzen wir uns und suchen ein paar Restaurants aus. Dreimal Mittag- und dreimal Abendessen, denn wir sind ja drei Tage hier.« Während sie die Seiten überflog, sprach sie weiter. »Wir machen natürlich unseren Passeggiata zur Piazza Navona, aber vorher suchen wir die Restaurants aus.« »Gut, wollen wir das vor deinem Schläfchen machen oder lieber danach?«, fragte ich scheinheilig – aber ich konnte Grandma nichts vormachen. Sie hatte Ohren wie ein Luchs und hatte deshalb schon längst mitbekommen, dass ich die Katakomben besichtigen wollte. Da sie mir aber einfach nicht böse sein konnte, übersah sie meine kleine List, lächelte, wünschte mir viel Spaß und sagte, dass sie sich vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten konnte. »Danke, Grandma! Das ist auch alles nur Kultur, ganz bestimmt. Nur etwas abgedrehter!«, rief ich und schnappte mir meine Umhängetasche. Ich war schon fast aus der Tür, da fragte mich Grandma, wann wir eigentlich das letzte Mal Mom angerufen hätten. »Ich weiß nicht«, antwortete ich und nagte an meiner Unterlippe. »Das tun wir, wenn du wieder da bist!« Grandma wünschte mir noch mal viel Spaß und blickte mir nach, bis ich die Tür geschlossen hatte. Und ich? Ich stürzte mich ins Getümmel! - 70 -
Nachdem Lorelai ihren Kaffee unterwegs hinuntergekippt hatte, stand sie – wenn das überhaupt möglich war – noch mehr unter Strom. Sie stürmte geradezu in das Dragonfly und geradewegs zur Rezeption. Rob, einer der Angestellten, trat mit einem verschüchterten »Guten Morgen« zwei Schritte zurück, um nicht umgerannt zu werden. »Morgen«, antwortete Lorelai ohne aufzublicken, denn sie widmete ihre ganze Aufmerksamkeit dem Holzkästchen, in dem sich verschiedene Broschüren befanden, und in dem sie nun hektisch versuchte, Ordnung zu schaffen. »Oh, hey, Rob, ich möchte, dass die Broschüren ordentlich in den Ständer gesteckt werden, nicht so wild durcheinander. Sonst wirkt das Dragonfly wie die allerletzte Absteige, und das wollen wir doch auf jeden Fall verhindern.« Sie zögerte – offenbar hatte sie eine Idee. »Das heißt, falls wir uns überhaupt dazu entschließen sollten, irgendwelche Broschüren zu verteilen, hier in der Lobby. Da streiten die Gelehrten noch.« Nach einem prüfenden Blick auf den Ständer winkte sie ab. »So, die Gelehrten haben beschlossen, die Broschüren kommen weg! Ich bring sie nach hinten ins Büro.« Sie wollte schon gehen, als ihr Blick auf Michel fiel, der mit angewinkelten Beinen hinter der Rezeption auf dem Boden saß, um sich ganz offensichtlich zu verstecken. »Michel?«, fragte Lorelai. »Ähm, was tun Sie da?« »Untertauchen«, antwortete er. »Guten Morgen.« »Meinetwegen?«, fragte Mom, und als Michel verneinte, wollte sie wissen, was dann der Grund für sein seltsames Verhalten sei. »Ich sag nur so viel«, begann Michel, der weiterhin keine Anstalten machte, wieder aufzustehen. »Wenn ich mich verstecke, kostet es das Hotel keinen Cent. Abgesehen davon hätte ich längst Pause. Und wenn Sie mit einem Angestellten während dessen Pause geschäftlich verkehren, ist das ein Verstoß gegen die gewerkschaftlichen Auflagen.« - 71 -
»Aber Sie sind doch gar nicht in der Gewerkschaft.« »Ich bin in der Gewerkschaft für unterdrückte Franzosen!«, antwortete Michel. »Oh, in der G.U.F., alles klar!«, rief Mom und klopfte dann dreimal auf die Rezeption. »Na dann, weiter so.« Wieder machte sie sich auf den Weg in ihr Büro – und wieder kam sie nicht wirklich weiter, denn um die Ecke traf sie auf ein Zimmermädchen, das gerade dabei war, Staub zu wischen. »Oh, hey, da drüben ist eine Stelle auf dem Boden, wo der Staubsauger anscheinend nie hinkommt. Ändern Sie das, ja? Danke.« Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sie das Zimmermädchen stehen und lief direkt auf eine vierköpfige Familie zu, die gerade aus dem Speisesaal kam. »Hallo, die Krumholtzes! Wie geht's Ihnen denn so?« »Gut«, antwortete Mike, der Vater. Dann musterte er Lorelai von oben bis unten, als ob er sichergehen wollte, dass die Erscheinung vor ihm auch kein Hologramm war. »Sind Sie immer hier?« Lorelai lächelte. »Ich erwecke gern den Anschein. Und, was steht heute auf der Tagesordnung?« »Mike und ich wollen uns Antiquitätenläden ansehen«, erklärte Nancy, Mikes Frau, »nur die Kinder haben leider keine Lust mitzukommen.« Lorelai nickte. Das konnte sie gut verstehen – und selbstverständlich bot sie auch an, dass die Kinder im Hotel bleiben könnten. Als Nancy jedoch wissen wollte, ob Michel hier sei, zögerte Lorelai ein wenig mit der Antwort. Sie vermutete, dass die Anwesenheit Michels für alle Eltern der Welt ein triftiger Grund sein würde, die Kinder doch besser mitzunehmen – aber sie täuschte sich. »Oh, wie schön. Die Kinder lieben ihn!«, rief Nancy erfreut, als feststand, dass Michel anwesend war. Mike ergänzte: »Sie lieben ihn! Er jagt sie immer durch die Gegend und schreit und tut so, als sei er böse, und dann lachen sie sich kaputt!« - 72 -
Lorelai kam aus dem Staunen nicht mehr heraus – und gleichzeitig hatte sie eine, wie sie fand, fantastische Idee. Sie kniete sich auf den Boden und sah die Kinder abwechselnd an. »Wisst ihr, Michel ist da, und er wird sich bestimmt gern um euch kümmern, während eure Eltern unterwegs sind«, erklärte sie. »Ach übrigens, er spielt gerade Verstecken, und wenn ihr rüber zur Rezeption geht, garantiere ich euch, dass es da warm, wärmer, heiß ist!« »Klasse!«, schrie Ethan und gab dann der kleinen Joanna einen Stups. »Na los, komm mit!« Die Eltern strahlten sie dankbar an, und Lorelai wünschte ihnen noch einen schönen Tag, bevor sie wie ein Wirbelwind in den Frühstückssaal fegte. Und gar nicht mitbekam, dass sie den Gästen mit ihrem Elan fast schon ein wenig Furcht einflößte. »Guten Morgen!«, rief sie laut und schnappte sich im Vorbeigehen die Kaffeekanne. »Wer möchte noch Kaffee?« Obwohl sich niemand meldete, ließ sie es sich nicht nehmen, einem verschreckten Gast nachzuschenken, und als dessen Tasse voll war, drückte sie dem Kellner, der hinter ihr aufgetaucht war, die Kanne in die Hand. »Oh, hey, wenn Sookie auftaucht, sagen Sie ihr, wir müssen die Abendkarte besprechen. Ich hab da 'ne Idee. Ich bin in meinem Büro. Danke.« Wieder kam sie nicht sehr weit, denn Michel kreuzte ihren Weg mit Grabesmiene. An seinen Händen zerrten Joanna und Ethan, und Lorelai musste ihre ganze Überredungskunst und Überzeugungskraft einsetzen, um Michel dazu zu bringen, mit den Kindern der Krumholtzes Halma zu spielen. Als sie auch diese Hürde gemeistert hatte, klingelte ihr Telefon. »Lorelai, hier ist deine Mutter!«, schrie Emily in den Apparat. »Ich rufe aus Rom an!«
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»Hi, Mom«, grüßte Lorelai und stieg im Eilschritt die Treppe hinauf in den ersten Stock. »Ich hör dich klar und deutlich, Mom. Du musst nicht schreien.« »Entschuldige. Ich halte Auslandstelefonate noch immer für ein Weltwunder.« Emily saß vor einem antiken Sekretär, und vor ihr stand ein Glas italienischer Rotwein. Als Mom wissen wollte, wie Rom so wäre, geriet sie ins Schwärmen. »Unsere letzte Stadt, aber das ist auch gut so. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch dieser europäischen Casanovas erwehren kann! Willst du Rory sprechen?« »Klar«, antwortete Lorelai, »ist sie da?« Lorelai hatte ein Zimmer betreten, in dem eines der Zimmermädchen gerade damit beschäftigt war, das Bett frisch zu beziehen. Sie scheuchte das Mädchen mit einer Handbewegung weg, klemmte sich den Hörer zwischen Ohr und Schulter und griff selbst nach dem Laken. »Hallo?«, meldete ich mich kühl. »Hi«, meinte Mom. »Also, Rom …« Sie wartete, ob ich darauf in irgendeiner Art und Weise reagieren würde. Als ich das nicht tat, fragte sie mich nach dem Wetter und versuchte dabei, gleichzeitig das Bett zu beziehen. »Tagsüber sehr heiß, kühler in der Nacht«, antwortete ich missmutig. »Aha. So in etwa ist das Wetter hier auch.« Immer verbissener versuchte Mom, das Laken glatt zu ziehen, und immer weniger gelang es ihr. »Na, so'n Zufall.« »Ja, also?«, fragte sie, doch als sie merkte, dass sie umsonst wartete, verabschiedete sie sich. »Gut, dann pass auf dich auf. Und Vorsicht vor den Männern, besonders wenn sie ›Casanova‹ heißen.« Ich ging gar nicht auf den Witz ein, sondern legte nach einem knappen Abschied auf.
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Lorelai klappte noch so beherrscht wie möglich das Telefon zu, dann ließ sie ihren ganzen Frust an dem Bett, dem Laken und leider auch dem Zimmermädchen aus. Wütend riss sie das Laken hoch und zerknüllte es hektisch mit beiden Händen. »Das Laken war nicht straff genug!«, fuhr sie das Zimmermädchen an, das völlig verschreckt in der hintersten Ecke des Zimmers stand. »Die Dinger müssen immer straff gespannt sein!« Sie warf noch einen kurzen Blick auf ihr Werk, dann rauschte sie davon und ließ das Zimmermädchen stehen.
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Grandma und ich hatten, nachdem unsere Privatführung durch den Vatikan und die Sixtinische Kapelle beendet war, Powershopping betrieben. Es war zwar nicht meine Idee gewesen, aber Grandma hatte keine besonders große Überzeugungsarbeit leisten müssen, um mich zu aktivieren, italienische Boutiquen unsicher zu machen. Allerdings war mir bei den Beträgen, die Grandma den schicken Verkäuferinnen, ohne mit der Wimper zu zucken, für Handtaschen, Halstücher, Pumps und Kostüme über den Ladentisch reichte, irgendwann schwindelig geworden. Grandma hatte, wie so oft, wenn sie erst einmal in einem Geschäft war, wie im Rausch zugeschlagen. Versace, Armani, Gucci, Chloe – kein Designer war vor ihr sicher, und drei Stunden und zwanzig Einkaufstüten später raste mein Puls, und meine Beine waren weich wie Pudding. Mit unseren exklusiven BoutiquenTaschen über der Schulter wurde der Einkaufswahnsinn deshalb vorzeitig beendet, und Grandma führte mich zu einem der vielen tausend Straßencafes, die über die Stadt verteilt waren. »Die pinkfarbene Handtasche mit dem goldenen Verschluss gefällt mir am besten«, meinte Grandma, während wir zu einem freien Tisch gingen. »Wir hätten das bestimmt auch zu Hause kaufen können, Grandma. Jetzt müssen wir Zoll dafür zahlen.« »Aber wenn du bei uns irgendwas kaufst, kannst du nicht sagen ›Das hab ich aus Rom‹«, antwortete Grandma und setzte sich. Ich blieb noch stehen, denn irgendwie kam mir der Platz bekannt vor. Gut, Rom hatte verschwenderisch viele wunderschöne Plätze zu bieten, und einer lag quasi neben dem anderen – aber dennoch: Dieser Platz ließ mich innehalten – - 76 -
und plötzlich fiel mir ein, woher ich ihn kannte. Ich war mit Mom schon einmal hier gewesen, und wir hatten ihn Platz der bellenden Hunde und des Käses getauft. Warum, ist eine lange Geschichte, aber mit einem Mal dachte ich an Mom und merkte, wie sehr sie mir fehlte, und wie dumm ich mich ihr gegenüber verhalten hatte. Sehnsucht packte mich, und ich nahm mir vor, sie vom Hotel aus anzurufen. »Buon giorno. Was darf ich Ihnen bringen?« Die Stimme des Kellners, der uns entdeckt hatte und die Bestellung aufnehmen wollte, riss mich aus meinen Gedanken. »Buon giorno«, antwortete Grandma und trumpfte zum wiederholten Mal mit ihren Italienischkenntnissen auf. »Penso che siamo pronti ad ordinare.« Ich hatte den Satz von ihr schon öfter gehört und wusste, dass er so viel bedeutete wie: »Wir sind so weit und können bestellen.« »Ah, la bellissima signora parla Italiano! E molto bene, anche«, lächelte der Kellner und traf bei Grandma mitten ins Schwarze. Sie genoss es nämlich sehr, in Italien mehrmals täglich von fremden Männern als »schöne Frau« bezeichnet zu werden. Und jedes Mal machte sie mich darauf aufmerksam. »Grazie«, lächelte sie den Kellner an und wandte sich dann rasch an mich. »Er hat mich schöne Frau genannt! Das hört wohl nie auf!« »Tja, du hast es drauf, Grandma«, antwortete ich, und Grandma machte sich daran, die Bestellung aufzugeben. Auf Italienisch, versteht sich. Sie orderte für sich eine Flasche Pellegrino und ein Glas mit Eiswürfeln und wollte dann von mir wissen, was ich gerne hätte. »Oh, einen dreifachen Espresso«, antwortete ich. Den hatte ich nach der Boutiquentour dringend nötig. »E un café tripolo per la mia nipotina«, wiederholte Grandma meine Bestellung. »Un café tripolo per la vostra nipotina bellissima. Si, Signora«, lächelte der Kellner. Und bei dem Wort »bellissima« - 77 -
fing Grandma wieder an, gurrend zu lachen, obwohl das Kompliment dieses Mal mir zugedacht war. »Er hört einfach nicht auf«, tuschelte sie mir lächelnd ins Ohr und sah dann versonnen dem Kellner nach. Sie hätte es wahrscheinlich niemals zugegeben, aber die vielen Komplimente der italienischen Männer gingen ihr runter wie Öl. Und ehrlich gesagt konnte ich das auch gut verstehen. Ich glaube, sie hatte von Grandpa schon seit Jahren keines mehr erhalten. Luke war immer noch nicht vom Mittelaltermarkt zurück, und so hielt Lane in seinem Diner weiterhin die Stellung. Zack und Brian waren mittlerweile so etwas wie Stammgäste geworden – die kostenlosen Pommes waren ja auch ein ziemlich handfestes Argument. Da der Laden bis auf Zack und Brian ausnahmsweise leer war, nutzte Lane die Pause, um sich zu den Jungs zu setzen und mit ihnen über das nächste Konzert zu sprechen. Es stand zwar noch nicht fest, wann genau es stattfinden sollte – aber Gedanken über die Songs konnte man sich ja trotzdem schon machen. »Also, wir haben inzwischen fünf eigene Songs, die wir live spielen können, stimmt's?«, meinte Zack. »Und für 'nen Vierzig-Minuten-Gig brauchen wir dann noch so um die sechs oder sieben Covers.« »Kein Problem«, meinte Lane. Sie stellte im Kopf schon ihre Coversong-Hitliste auf, doch Zack unterbrach sie. »Aber gewaltig«, meinte er düster und blickte in die Runde. »Unsere Covers sitzen. Die Leute fahren drauf ab. Wir spielen Fell In Love With A Girl genauso gut wie die White Stripes. Wie soll je einer von unseren Songs danach bestehen können?« Brian nickte. Das war tatsächlich ein Problem. Er schlug deshalb vor, das Konzert zweizuteilen. In der ersten Hälfte sollten die eigenen Songs gespielt werden, in der zweiten die Covers. Lane fand die Idee ganz gut – doch Zack hatte Bedenken. - 78 -
»Das ist nicht ausgewogen«, erklärte er. »Die Fans könnten uns weglaufen, wenn sie zu viele unserer eigenen Songs nacheinander hören.« Lane wollte schon protestieren, denn sie fand, dass Zack ihre Songs nun wirklich schlechter machte, als sie waren – doch anscheinend sah nur sie das so, denn bevor sie antworten konnte ergriff Brian das Wort. »Unsere Covers sind einfach zu gut«, stellte er besorgt fest und blickte abwechselnd von Lane zu Zack. Dieser präsentierte schließlich die Lösung. Er schlug vor, in Zukunft alle Coversongs wegzulassen, die besser als die eigenen Songs waren. »Wir spielen bloß noch beschissene Covers, dann wirken unsere eigenen Sachen dagegen toll!«, rief er, und Brian nickte begeistert. »Brillant!«, meinte er. »Dann fliegen also Suffragette City und alle Dandy Warhols raus!« »Keine White Stripes, Lithium, Radiohead, beides von den Pixies und Velvet Underground …«, zählte Zack weiter auf, während Lane mit offenem Mund dasaß. Sie konnte nicht glauben, was die beiden vorhatten, und als sie dann auch noch aufzählten, welche schlechten Coversongs stattdessen gespielt werden sollten, bekam sie Gänsehaut. »Wir spielen einfach die Sachen von Men At Work, Styx oder Quarterflash, und die Leute fressen uns aus der Hand!«, rief Zack überzeugt. »Oder Chicago, Wings und Culture Club«, ergänzte Brian. Als sich Lane endlich aus ihrem Schockzustand reißen konnte, unterbrach sie ihre beiden Bandkollegen energisch. »Hört mal zu, das ist echt total schräg!«, rief sie und stand auf. »Ich schlag vor, wir reden zu Hause noch mal darüber und entscheiden dann.«
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»Ich geh jetzt sowieso zur Arbeit«, meinte Brian und erhob sich ebenfalls von seinem Platz – nur Zack blieb noch ein wenig sitzen. Als Lane den Grund dafür sah, verfinsterte sich ihre Miene, denn die Gründe hießen Trina und Cheryl. Zacks Groupies stürzten nämlich, kaum dass Brian weg war, in den Laden und schmiegten sich, wie es ihre Art war, mit vollem Körpereinsatz an Zack, der das sichtlich genoss. Lane, die alles aus den Augenwinkeln genau beobachtete, verzog angewidert das Gesicht. Als neue Gäste das Café betraten, die sie von Zack und seinen Groupies ablenkten, wirkte sie sichtlich erleichtert. Im Dragonfly saß ein völlig genervter Michel vor einem Halma-Spiel und fühlte sich in seiner Rolle als Kindergärtner zutiefst unwohl. Er gab sich auch keine Mühe, seine Abneigung gegen die Kinder und das Spiel zu vertuschen und giftete stattdessen Ethan und Joanna an. Allerdings fanden die beiden das unglaublich lustig und wurden immer vernarrter in Michel. »Wenn du verlierst, tust du dann wieder so, als wärst du furchtbar wütend und schlägst auf das Brett ein und wirfst die Spielsteine durch die Gegend?«, fragte Joanna mit großen Augen. »Ich werde nicht verlieren, du nervtötende kleine Ratte!«, antwortete Michel zur Freude der Kleinen in einem gefährlich langsamen Tonfall und versuchte dabei, sich auf seinen nächsten Zug zu konzentrieren – allerdings stürmte in diesem Moment Lorelai herein, stellte sich an den Tisch und fragte, wo die Mignon-Batterien seien. Verärgert schlug Michel auf die Tischplatte. »Wie soll ich mich auf das Spiel konzentrieren, wenn ich andauernd gestört werde?« Mom schenkte seiner Beschwerde nicht die geringste Beachtung, sondern wartete ungeduldig auf eine Antwort, während ihre Augen durch den Raum wanderten. »Ach, Mann, der Boden ist ja immer noch nicht gesaugt worden!«, stellte sie - 80 -
gereizt fest und erinnerte Michel dann daran, dass sie immer noch auf eine Antwort wartete. »Sie sind im Büro, in der rechten äußeren Schublade des Schranks!«, schrie er sie an, und als er sah, dass er einen falschen Zug gemacht hatte, fügte er noch ein lautes »Verdammt!« hinzu. »Er wollte ›Damm‹ sagen, ein anderes Wort für Talsperre, versteht ihr?«, erklärte Lorelai den Kindern rasch, warf Michel einen bösen Blick zu und wollte gerade die Batterien suchen gehen – da erregte ein Tisch im Speisesaal ihren Unwillen. »Wieso stehen die Tische im Speiseraum nie so, wie sie sollen?«, sagte sie mehr zu sich selbst und machte sich sogleich daran, an einem Tisch zu schieben und zu zerren. Sookie, die sich auch im Speisesaal befand und alles beobachtet hatte, entschuldigte sich rasch bei den Gästen, mit denen sie gerade gesprochen hatte und sprang hinüber zu Lorelai. »Okay, der Tisch steht wunderbar so«, erklärte sie. »Wer verschiebt die den immer wieder? Ich will Namen!« Zwischen Lorelais Augenbrauen hatte sich eine kleine Zornesfurche gebildet. »Sadistische Tischkobolde vielleicht?«, schlug Sookie vor. »Komm mit, wir gehen in den Vorratsraum!« Entschlossen packte sie Lorelais Hand und zog sie mit sich fort. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war und Sookie sicher sein konnte, dass niemand mithörte, fasste sie sich ein Herz und sagte ihrer Freundin das, was sie schon seit geraumer Zeit sagen wollte. »Ich hab mich dauernd gefragt, wie ich dich darauf ansprechen soll, und jetzt …« Sookie hielt inne und starrte den leeren Teller in Lorelais Hand an, den diese, während sie von Sookie fortgezogen worden war, einem Gast unter der Nase weggeschnappt hatte. »Was ist das?« »'n abgeräumter Teller«, erklärte Lorelai verdutzt.
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»Das ist nicht dein Job, klar?«, rief Sookie und blickte Mom streng an. »Aber der Teller war leer, da hab ich ihn abgeräumt.« »Du hast wohl 'n Knall!«, platzte Sookie der Kragen. »Was?!?« »Und jetzt bist du wütend, und dabei will ich dich gar nicht wütend machen!«, rief Sookie verzweifelt. »Ich kann nicht gut mit Menschen umgehen!« Sookie hatte tatsächlich Angst vor dem Gespräch. So, wie Lorelai gerade drauf war, fürchtete sie, dass diese ernsthaft beleidigt reagieren könnte, wenn sie Kritik zu hören bekam. »Ich bin nicht wütend oder durchgeknallt«, erklärte Mom, doch Sookie schüttelte vehement den Kopf. »Klar bist du das, und zwar schon seit Wochen! Ich meine, die Durchgeknallten wissen nicht, dass sie durchgeknallt sind. Daher sind sie's ja.« Lorelai hatte nicht die geringste Ahnung, worauf Sookie hinauswollte und sah gestresst auf die Uhr. »Sook, ich bin schwer beschäftigt.« »Weil du die Arbeit der andern machst!«, fiel Sookie ein. »Musst du denn Betten machen, Kopfkissen aufschütteln, die Pferde striegeln oder Ecken ins Klopapier falten?« »Wir arbeiten neues Personal ein. Da helf ich auch mal aus, Sookie.« »Ach, bin ich neu? Ist Michel neu?« Sookie machte eine kleine Pause und ließ Mom Zeit zum Nachdenken. »Vor zwei Wochen komm ich in die Küche, und in meinem Kühlschrank, wo die Sachen nach einem System angeordnet sind, das ich seit zehn Jahren kultiviere, herrscht das komplette Durcheinander! Das Fleisch liegt oben und Gemüse und Obst dafür ganz unten. Als hätte da 'ne Bombe eingeschlagen! Deshalb hab ich die Küchenleute angefahren!« Sookie sah Mom vorwurfsvoll an. »Aber jetzt weiß ich's: Du warst es!«
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»Es war völlig chaotisch!«, verteidigte sich Mom. Sie war sich immer noch keiner Schuld bewusst. »Das war aber mein Chaos! Tagelang hab ich nichts wiedergefunden. Immer, wenn ich nach den Erdbeeren greifen wollte, hatte ich Leber in der Hand. Das war nicht unbedingt schön!« Als Sookie gerade mal Luft holte, nutzte Mom die kurze Pause, um ihr zu versprechen, den Kühlschrank nicht mehr anzurühren. Doch das reichte Sookie nicht. Zu viel hatte sich in ihr angestaut. »Und du schreist unsere Mitarbeiter an«, fuhr sie fort. »Das kannte ich bisher nicht von dir!« Langsam, aber sicher guckte Mom ein wenig verunsichert aus der Wäsche – und Sookie war immer noch nicht fertig. »Und zwischendurch solltest du auch mal nach Hause gehen. Sag mal, wie oft bist du in deinem blöden Büro am Schreibtisch eingeschlafen?« »Einmal«, antwortete Mom. »Nein! Einmal bist du auf dem Stempel eingeschlafen, und am nächsten Tag stand Dragonfly verkehrt rum quer auf deiner Wange. Aber am Schreibtisch bist du schon hundertmal eingeschlafen!«, korrigierte Sookie, und als sich Mom verteidigen wollte, fiel sie ihr ins Wort. »Weißt du, wann ich das letzte Mal Angestellte gesehen hab, die 'ne Heidenangst vor ihrer Chefin hatten? Im Haus deiner Mutter!« »Aua. Ein Messerstich ins Herz!«, antwortete Mom. Der letzte Satz hatte gesessen! Und tief im Innern wusste sie, dass Sookie Recht hatte: Sie war auf dem besten Weg, die gleiche Tyrannin zu werden wie ihre Mutter! Damit musste Schluss sein! »Weißt du«, meinte sie deshalb kleinlaut. »Ich bin wirklich fix und alle. Ich mach mal 'ne richtige Pause. Aber nicht diese Woche. Zu viel hat sich angesammelt. Auch nicht nächste Woche. Gott, ich weiß nicht, wann!« »Jetzt!«, bestimmte Sookie und zog Mom nach draußen. »Geh nach Hause und erhol dich.« - 83 -
»Aber ich hab niemanden zum Abhängen!«, jammerte Mom. »Irgendwann diese Woche hängen wir zusammen ab«, versprach Sookie. »Ich brauch auch 'ne Pause. Wir machen uns 'n netten Frauentag. Wir gehen zur Maniküre und schlemmen, quatschen über Jungs und lassen kein Klischee aus. Geh schon, los! Und bleib nicht unterwegs stehen.« »Okay, okay. Ich versprechs«, nickte Mom und ließ sich bereitwillig von Sookie zur Tür schieben – allerdings mussten sie blitzschnell in Deckung gehen, denn ein Halma-Spiel flog durch den Raum, begleitet von einem verärgerten Fluch Michels und den begeisterten Schreien von Joanna und Ethan. »Ruhig. Ganz ruhig«, beschwichtigte Sookie Lorelai und schob sie mit sanftem Druck weiter Richtung Ausgang. Als diese keinen Widerstand leistete, lächelte Sookie zufrieden. »Sehr gut«, lobte sie. »Jetzt hol deine Sachen und geh.« Mom tat wahrhaftig wie befohlen. Sie holte ihre Jacke und ihre Tasche, ging dann tatsächlich durch die Tür, und als sie draußen Bob den Gärtner sah, der gerade Blumentöpfe neu bepflanzte, und ihr ein Verbesserungsvorschlag geradezu auf den Lippen brannte, biss sie sich auf die Zunge. In diesem Moment klingelte ihr Telefon. »Ich bin's«, meldete ich mich und hörte, wie Mom erstaunt Luft holte. »Oh. Hallo«, meinte sie und setzte sich. »Passt es nicht? Bist du beschäftigt?« »Äh, ich versuch gerade, nichts zu machen«, antwortete Mom und wollte dann wissen, wie es mir ginge. »Gut«, antwortete ich. »Ich war heute am Platz der bellenden Hunde und des Käses.« »Bellende Hunde und Käse? Ehrlich?« Lorelai lächelte. Auch sie erinnerte sich noch gut an diesen Platz, und schöne Erinnerungen stiegen in ihr auf. »War da wieder 'n Korb mit 'nem kleinen Hund, der die ganze Zeit gebellt hat?«
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»Nein, diesmal nicht, aber es hat alte Erinnerungen geweckt«, erklärte ich. »Und, hast du zu deinem Kaffee wieder Käse bestellt?«, kicherte sie. »Ich sage nach wie vor, es war das richtige italienische Wort für Sahne. Ich hab dabei sogar auf meinen Kaffee gedeutet. Wieso hätte ich denn Käse verlangen sollen? Stinkekäse, von der allerschlimmsten Sorte!« »Den du aber gegessen hast«, erinnerte mich Mom. »Weil ich es ganz furchtbar finde, wenn Leute beim Bestellen Fehler machen, im Ausland vor allem, und sich dann aufregen, wenn sie das Falsche kriegen. Der fiese Amerikaner, eklig!« Ich erklärte, dass ich immerhin Französisch und ein bisschen Spanisch könnte und dass mein Italienisch eben leider nicht so gut sei. »Ich finde, drei Sprachen sind völlig ausreichend für 'ne junge Lady«, meinte Mom anerkennend. Ihrer Stimme war nicht die geringste Verärgerung über mich anzumerken – und das, obwohl ich mich ihr gegenüber wochenlang völlig daneben benommen hatte. Ich kam mir noch blöder vor als ohnehin schon, und eine Welle schlechten Gewissens brach über mir zusammen. Schließlich holte ich tief Luft und entschuldigte mich bei ihr. »Ich habs versaut!«, gab ich zu. »Ich hab totalen Mist gebaut. Ich hab alles falsch gemacht. Ich denk immer wieder darüber nach. Es ist katastrophal. Ich will das alles schnell wieder gutmachen.« »Ach, Schätzchen!«, meinte Mom, und ihre Stimme war voller Liebe und Verständnis. »Das tust du bestimmt.« »Ja, aber du musst mir einen Gefallen tun, einen großen«, antwortete ich. »Ich hab einen Brief geschrieben, an Dean. Kannst du ihm den geben? Ich weiß nicht, wie ich's sonst regeln soll. Ich kann den Brief ja wohl kaum zu ihm nach Hause schicken. Du würdest mir damit sehr helfen.« Ich
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wusste, dass ich eigentlich kein Recht hatte, Mom darum zu bitten. »Schätzchen, ich weiß nicht …« Mom zögerte verständlicherweise. »Es ist viel verlangt, aber ich denke, dann wird vielleicht alles wieder gut. Bitte. Ich kann damit nicht warten, bis ich zu Hause bin. Ich muss jetzt was tun.« »In Ordnung«, meinte Mom nach ein paar Sekunden Bedenkzeit. »Gut, dann schick ihn mir, und ich bring ihn zu ihm.« Mir fiel ein Stein vom Herzen, und ich bedankte mich erleichtert bei Mom. »Trink 'nen Espresso auf mich und iss dazu Limburger«, antwortete sie. »Ja, mach ich«, antwortete ich. »Ich hab dich lieb, Mom.« »Ich hab dich auch sehr lieb. Bis dann«, antwortete Mom und klappte lächelnd das Handy zu. Ich glaube, wir waren beide unendlich froh, dass wir unseren überflüssigen Streit endlich beigelegt hatten und wieder das waren, was wir sowieso viel besser konnten: Mutter und Tochter und beste Freundinnen! Luke verbrachte bereits die siebte Woche auf dem Mittelaltermarkt. Während Liz' Genesung große Fortschritte machte, hatte es T.J. gar nicht eilig. Er schaffte es immer wieder, Lukes Abreise zu verzögern. T.J. genoss es sichtlich, nichts zu tun, und ließ sich jeden Tag neue Leiden einfallen, die es Luke unmöglich machen sollten, abzureisen. Doch dieser hatte nun endgültig genug. Er war sich sicher, dass er es auf dem Mittelaltermarkt keinen Tag länger aushalten würde, ohne wahnsinnig zu werden, und hatte bereits seine Sachen zusammengepackt. T.J. war wie erwartet alles andere als einverstanden, und während Luke Liz über seine Pläne informierte, zog T.J. hinter ihm ein langes Gesicht und beschwerte sich lautstark bei einem Mittelaltermarkt-Freund. »Also, die Sache, ist die: In zehn Jahren könnte ich tot sein, und der Grund dafür ist dann vermutlich dieser Augenblick.« Bevor T.J. fortfuhr, sah er ein paarmal vorwurfsvoll zu Luke - 86 -
hinüber um sicherzugehen, dass dieser auch mithörte. »›Er ist einfach viel zu früh wieder aufgestanden‹, werden die Leute dann sagen«, jammerte er. »Und: ›Schon verrückt, wenn sich Schwachköpfe, die keine Ahnung davon haben, für Ärzte halten.‹« »Der schafft das schon«, lächelte Liz und klopfte ihrem Bruder beschwichtigend auf die Schulter. »Ich habe furchtbare Angst um ihn!«, höhnte Luke und kramte nach seinem Handy. »So, ich werd noch mal schnell telefonieren, und dann fahr ich los.« »Okay«, antwortete Liz. Sie griff nach einem Schraubenzieher und versuchte, die Kasse zu öffnen, da diese die Angewohnheit hatte, ständig zu klemmen. Als sie keinen Erfolg hatte, bat sie T. J. um Hilfe. »Wenn du willst«, meinte dieser. »Aber als ich den Schraubenzieher vorhin schon mal angefasst hab, wurde mir schwarz vor Augen. Und doch versuch ich's!« Wieder warf er Luke einen vorwurfsvollen Blick zu, und als er diesen telefonieren sah, nahm er süße Rache. »Luke!«, rief er. »Denk bitte an all die Spione! Die sind scharf auf Telefone. Luke, ich meins nur gut mit dir!« Luke schüttelte nur den Kopf und drehte sich weg. Er hatte Lorelais Nummer gewählt, und nach dreimaligem Klingeln ging sie atemlos ran. Sie war gerade nach Hause gekommen. Als sie Lukes Stimme erkannte, sprang sie aufs Sofa und machte es sich bequem. »Hey, Hossa!«, grüßte sie ihn im Mittelalterstil. »Gott zum Gruße. Seid Ihr …« »Hör auf!«, rief Luke verzweifelt. Er hielt das alles nicht mehr aus und wollte nie wieder »Gott zum Gruße«, »werter Herr« und »Hossa« hören müssen. »Verzeihung«, grinste Lorelai. »Wie gehts dir, du mieser, fieser Lügner?« »Was?« - 87 -
»Du wolltest doch angeblich gestern nach Hause kommen«, hielt sie ihm vor, und als Luke erklärte, dass er ganz sicher heute nach Hause käme, tat sie so, als glaubte sie ihm kein Wort. »Oh, was denn? Willst du jetzt den zweiten Teil des Märchens erzählen? Ich glaubs erst, wenn ich dich sehe.« Als Lorelai allerdings T.J. im Hintergrund jammern und stöhnen hörte, war sie sich plötzlich wirklich nicht mehr sicher, ob Luke heute kommen würde oder doch erst dann, wenn Hillary Präsidentin wurde. »Nein, heute«, antwortete Luke, »wir sehen uns heute noch.« Dann legte er auf und sah sich die Ketten seiner Schwester genauer an. Er hatte Lorelai vor nicht allzu langer Zeit bereits Ohrringe von ihr geschenkt. Eine dazu passende Halskette war sicher ein schönes Mitbringsel. »Na, suchst du irgendwas Bestimmtes?« Liz hatte sich von hinten an ihren Bruder herangepirscht und sah ihm neugierig über die Schulter. »Du hast mir mal Ohrringe gegeben, weißt du noch?«, fragte er und wartete ab, bis Liz nickte. »Hast du zufällig 'ne Kette, die dazu passen könnte?« »Ja, ich denke schon«, antwortete Liz und fragte möglichst unbeteiligt, ob er die Kette einer Frau schenken wolle. »Äh, na ja, sie ist nur 'ne Freundin.« »Dunkle Haare, blitzende blaue Augen. Gerade habt ihr telefoniert. Das erkenn ich daran, dass du dann immer so grinst.« »Es ist Lorelai«, gab Luke lächelnd zu. »Es ist Lorelai! Hossa!«, schrie Liz, worauf der halbe Mittelaltermarkt die Kappe abnahm, diese in der Luft schwenkte und ebenfalls »Hossa!« schrie. »Ich freu mich ganz unglaublich für dich! Die Frau ist ein T.J.!« Liz strahlte Luke überglücklich an und suchte ein passendes Kettchen aus, das sie in einen roten Samtbeutel legte und ihrem Bruder reichte. - 88 -
Luke lächelte gequält. »Bitte, Liz, drück dich anders aus.« Dann nahm er seine Schwester zum Abschied noch einmal in den Arm, gab T.J. einen kleinen, boshaften Schlag auf den lädierten Arm und fuhr daraufhin, begleitet von unzähligen Hossa-Rufen, zu Liz und T. J. nach Hause, um seine Sachen in den Wagen zu laden. Als Lorelai die Post durchsah und meinen Brief entdeckte, wusste sie, was das bedeutete. Sie musste in die ungeliebte Rolle eines Postillion d'Amour schlüpfen. Zumindest befürchtete sie, dass es sich um eine Art Liebesbrief handelte, den sie Dean unbemerkt überbringen sollte. Aber auch wenn es ihr zutiefst widerstrebte, in die ganze Geschichte mit hineingezogen zu werden: Sie hatte es mir versprochen – und sie hielt sich an ihre Versprechen. Nachdem der Brief einen halben Tag lang auf der Kommode im Flur gelegen hatte und sie schon vorwurfsvoll anzustarren schien, schnappte sie sich ihre Tasche und ihre Jacke und machte sich auf den Weg zu Taylor Doose's Lebensmittelgeschäft, wo sie Dean am ehesten vermutete. Sie hatte Glück: Schon von draußen sah sie ihn durch die Scheibe beim Gespräch mit einer Kundin und trat ein, um ihm verhaltene Zeichen zu machen. Dean beeilte sich, die Kundin zu verabschieden und kaum, dass diese weg war, ging Lorelai auf ihn zu. »Hi Dean«, grüßte sie und hielt ihm, nachdem sie sich in alle Richtungen umgesehen und vergewissert hatte, dass sie niemand beobachtete, meinen Brief entgegen. »Hi«, antwortete Dean und blickte dann auf den Brief, ohne ihn anzunehmen. »Was ist das?« »Hier, Rory hat dir geschrieben.« Mom wollte den Brief einfach nur loswerden. Sie fühlte sich schon unwohl genug. Doch Dean dachte nicht daran, sich damit zufrieden zu geben. »Was ist passiert? Wo ist sie?«, fragte er. »Sie ist in Europa, nicht? Miss Patty sagt, sie wollte dorthin fliegen. Was ist los? - 89 -
Was will sie da, und mit wem ist sie verreist? Und wann kommt sie wieder?« Er hatte den Brief immer noch nicht angerührt, sondern stattdessen die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt. »In Kürze. Hier, steck ihn ein!« Mom wedelte hektisch mit dem Brief– aber Dean nahm ihn immer noch nicht an. »Wo ist sie?«, fragte er wieder. »In Europa.« »Mit wem?« »Ihrer Großmutter.« Mom blickte sich wieder nach allen Seiten um. »Hier, nimm ihn.« »Nein!« Dean war unglaublich wütend ob der Tatsache, dass ich ohne ein Wort des Abschieds verreist war. Und er wollte gern wissen, auf wen er wütend sein konnte. Auf mich oder auf Lorelai. »Wieso ist sie dahin geflogen? Wessen Idee war das?« »Das ist unwichtig.« »Ist es nicht!« »Dean, bitte!«, meinte Mom, und ihr war anzumerken, dass das ihr letzter Versuch war. »Ich überbringe nur die Nachricht, und nichts weiter. Hier, nimm, na los!« Endlich gab sich Dean geschlagen und nahm meinen Brief entgegen. Er blickte Lorelai noch nach, bis sie draußen war, und packte ihn schließlich zögerlich in seine Brusttasche.
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Caesar, Lukes Koch, hatte eine scheinbar famose Idee. Er wollte einen Salat mit seinem Namen kreieren. Sein Caesar's Salad sollte mit Chili, Guacamole, reichlich Zwiebeln, Kopfsalat und Endivien ein echter Knüller werden. Einen Probesalat hatte er bereits zubereitet, und dieser stand vor Lane in einer großen, bunten Schüssel auf der Theke. Lane fand zwar, dass der Salat toll aussah, allerdings hatte sie Bedenken wegen des Namens – schließlich gab es schon einen Caesar's Salad. Einen ziemlich berühmten obendrein, und einen zweiten zu kreieren, würde nur Missverständnisse hervorrufen. Sie war mitten in der Diskussion mit Caesar, als Zack hereinkam. Allerdings nicht allein, sondern in Begleitung seiner beiden Groupies Trina und Cheryl. Als Lane das Trio hereinkommen sah, verfinsterte sich ihre Miene derart, dass sie kaum noch wiederzuerkennen war. Mit zusammengezogenen Brauen verfolgte sie jede Bewegung des Trios aus den Augenwinkeln und spitzte die Ohren, um ja alles mitzubekommen, was zwischen den Dreien geredet wurde. Was sie jedoch hörte, trug nicht gerade zur Verbesserung ihrer Laune bei. »Ehrlich, das ist das tollste Buch, das ich kenne«, schwärmte Zack und führte die Mädchen an einen Tisch. »Red weiter, Zack.« Cheryl schwenkte ihren Hintern und ließ sich dann auf einem der Stühle nieder. »Das ist echt verschärft.« Zack nahm Platz und blickte dann geheimnisvoll von einer zur anderen. »Also, Maria Magdalena geht nach Gallien, um das Kind zu kriegen …«
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»Das ist doch die Hure, nicht die Mutter, stimmt's?«, fragte Cheryl nach und kaute langsam, aber dafür deutlich auf ihrem Kaugummi herum. »Ist das schwierig«, stöhnte Trina. »Die heißen ja alle Maria!« Sie trug wie immer viel zu enge knallrote Klamotten, und als sie sich hinsetzte, musste man befürchten, dass ihr die Hüfthose aus rotem Kunstleder über den Hintern rutschte. »Sie ist nicht die Mutter, aber auch keine Hure. Das hat bloß dieser Kaiser Konstantin überall rumerzählt, klar?«, erklärte Zack und dankte Brian insgeheim für die Fülle an Informationen. Mit nichts sonst konnte man bei Frauen so einen Eindruck machen wie mit Büchern! »Der hat die Story einfach so verdreht, dass er gut dabei wegkommt, egal, ob wahr oder nicht. Und dabei haben die Schnecken den Kürzeren gezogen.« Bei dem Wort »Schnecken« machte er Lane ein Zeichen und winkte sie zu sich herüber. »Mann, ich würd gern mal drei Jahre lang echt nichts anderes tun als bloß lesen, verstehst du?«, erklärte Cheryl, und Lane, die hinter ihr aufgetaucht war, konnte sich nicht verkneifen, zu fragen, welches Buch sie denn in diesen drei Jahren gerne durchackern wolle. »Was?«, fragte Cheryl, die wie so oft nichts begriff – doch Lane gab ihr keine Antwort. Stattdessen baute sie sich mit bösem Blick vor Zack auf. »Ihr müsst warten, bis man euch einen Tisch zuweist!«, erklärte sie. »Seit wann?« Zack hatte nicht die geringste Ahnung, was auf einmal mit Lane los war. »Schon immer!«, giftete Lane. »So wirds in anderen Läden gemacht, und so machen wir's auch hier.« »Na gut, bitte«, meinte Zack und blickte Lane ironisch an. »Meinen Tisch, an dem ich sonst auch immer sitze, Lane.« »Bestens, Zack. Was wollt ihr haben?« »Darf ich euch etwas bestellen, ihr Süßen?« Zack tätschelte abwechselnd Cheryl und Trina, die beide in gurrendes Lachen - 92 -
ausbrachen und Zack verheißungsvoll anfunkelten. »Schinkensandwich für die Lady zu meiner Rechten. Nicht zu viel Senf, stimmt's, Treen?« Trina brach wieder in Lachen aus. »Heißt das Ja, Treen?«, erkundigte sich Lane spitz. »Ganz genau«, antwortete Zack an Trinas Stelle und fuhr dann mit der Bestellung fort. »Einen Burger ohne Käse für Cheryl, Cheeseburger für mich und dann noch 'ne Runde Pommes für uns alle.« »Pommes frites sind nur für Freunde und Familie gratis!« Lane wusste selbst nicht, wieso sie das sagte. Eigentlich war sie sonst nicht so kleinlich – aber bei Trina und Cheryl machte sie eine Ausnahme. Sie konnte die beiden nun einmal nicht ausstehen. So war das eben. Und wenn sie sonst schon nicht zickig war, dann konnte sie es doch jetzt wohl einmal sein, oder? »Noch 'ne neue Regel?« Zack sah sie irritiert und leicht verärgert an. »Nein, alt«, antwortete Lane. »So alt wie Methusalem.« »Na gut, dann bring mir meine Portion, und wir teilen sie uns.« »Tut mir Leid, nein. Wenn du Gratis-Pommes kriegst, isst du sie alle selbst.« »Was?« Langsam, aber sicher hatte Zack die Nase voll. »Heißt das, ich darf meine Pommes nicht mit jemandem teilen?« »Ganz recht.« Lane gab kein bisschen nach. »Die sind für dich und nicht für die anderen. Du musst sie essen, und zwar allein. Und ich beobachte dich, also solltest du dir keine Dummheiten leisten!« »So 'n Blödsinn! Das glaub ich einfach nicht.« Zack hatte nun endgültig genug. »Gut, vergiss es!«, rief er und stand auf. »Wir gehen zu Al's Pancake World. Kommt, ihr Süßen.« Er
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wartete, bis Cheryl und Trina aufgestanden waren und stapfte dann wütend aus dem Laden. »Bitte, geht doch!«, schrie ihnen Lane hinterher, bevor sie sich an die Theke setzte und wütend Salz- und Pfeffertütchen in ein dafür vorgesehenes Körbchen stopfte. Plötzlich zuckte sie zusammen. Eine ihr wohl bekannte Stimme drang an ihr Ohr. »Hey«, machte die Stimme. Es war Cheryl, die noch einmal umgekehrt war und Lane nun mitleidig ansah, »'tschuldige. Wir wussten es nicht«, meinte sie viel sagend, musterte Lane kurz von oben bis unten, lächelte höhnisch und stolzierte dann hüftschwenkend nach draußen. Kurz bevor sie durch die Tür ging, drehte sie sich noch mal um, zog ihr Shirt über die linke Schulter nach unten und warf Lane erneut ein mitleidiges Lächeln zu. Lane runzelte die Stirn. Ihre Gedanken rasten. Erst hatte sie keine Ahnung, von was Cheryl eigentlich gesprochen hatte – aber dann fiel der Groschen, und sie fragte sich mit einem unbehaglichen Gefühl, ob Cheryl etwa Recht hatte. War sie etwa wirklich in Zack verknallt? War sie deshalb so zickig unterwegs? Dieser Gedanke war ihr noch nie gekommen – aber jetzt, wo er da war, konnte sie zumindest nicht hundertprozentig sagen, dass er völlig aus der Luft gegriffen war … Lorelai und Sookie machten endlich ihren Frauentag! Kein Stress und kein Hotel, stattdessen Klatsch, Tratsch und Maniküre … Nur leider wollte es nicht so recht klappen mit dem Abschalten und der Entspannung, denn obwohl sich beide die allergrößte Mühe gaben, nicht an das Dragonfly zu denken, holte sie das Hotel immer wieder ein, als sie bei strahlendem Sonnenschein durch Stars Hollow schlenderten und sich ständig gegenseitig versicherten, wie toll doch so ein freier Tag sei.
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»Schön, endlich mal was anders zu sehen als immer dieselben Wände!«, schwärmte Sookie und blinzelte in die Sonne, um nur eine Sekunde später das Thema zu wechseln. »Wenn mich der Fleischer wieder so bescheißt, wie er's gestern getan hat …« »Oh mein Gott«, fiel ihr Lorelai ins Wort, »die Regenrinnen! Die hab ich ganz vergessen.« »Ich hab Steve gesagt, wenn er Norm nicht um drei ablöst, kann der sich das als Überstunden aufschreiben.« »Hey, hey, hey, Süße, hab ich Michel gesagt, der Installateur soll sich lieber alle Heizungen ansehen, nicht nur die …« »Hast du das? Oder war ich das?«, fiel ihr Sookie aufgeregt ins Wort, doch dann war sie sich sicher. »Nein, du hast es ihm gesagt!« Sookie blieb kurz stehen und versuchte, wieder auf andere Gedanken zu kommen. »Okay. Jetzt ist das alles aber unwichtig.« »Ja, so nach und nach«, antwortete Lorelai, machte aber ein Gesicht, als ob sie in Gedanken schon wieder im Hotel wäre. Dann passierte allerdings etwas, was alle Aufmerksamkeit auf sich zog und das Dragonfly tatsächlich für kurze Zeit in den Hintergrund treten ließ: Es regnete Hemden und Socken! Als Mom und Sookie nach oben sahen, konnten sie Dean und Lindsay bei einem heftigen Streit in ihrer Wohnung im ersten Stock beobachten. Und nicht nur sie konnten das sehen. Erst jetzt bemerkten sie, dass halb Stars Hollow vor dem Haus stand und gespannt verfolgte, was als Nächstes passieren würde. Als Nächstes schrie Lindsay, wie sehr sie Dean doch hassen würde. »Ich hasse alles an dir!« Dann schmiss sie Deans Hockeyschläger aus dem Fenster, der kurz darauf krachend auf dem Gehweg zerbarst. »Lindsay, ich bitte dich. Beruhige dich endlich! Wir können doch reden«, versuchte Dean zu vermitteln – doch ohne Erfolg.
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»Ich will nicht reden! Ich will, dass du verschwindest!« Lindsay war außer sich. Sie hatte schon die nächste Ladung Klamotten in der Hand, die den Weg ins Freie finden sollten. »Es tut mir echt Leid.« Dean sah aus wie ein Häuflein Elend. »Es tut dir Leid?!«, schrie Lindsay mehr als dass sie fragte, und warf Socken und Hosen aus dem Fenster. »Ja, ob du's glaubst oder nicht!«, rief Dean. »Lindsay, hör auf damit! Es tut mir ehrlich Leid. Ich kann dir nichts anderes sagen, als dass es mir Leid tut.« Unten auf der Straße fanden sich immer mehr Menschen ein, die das Treiben beobachteten – und natürlich standen auch Sookie und Lorelai immer noch dort. Doch während Lorelai sichtlich unwohl zu Mute war, fand sich bei Sookie nichts anderes als reges Interesse. »Tja, das kommt davon, wenn man zu jung heiratet«, konstatierte sie und blickte Mom von der Seite an. »Hm. Ja, das wird's wohl sein.« Mom guckte bedrückt zu dem Fenster hoch und nagte an ihrer Unterlippe. »Ist ja aufregend!«, schwärmte Sookie. »Sonst hör ich nur von solchen Streitereien. Gesehen hab ich so was noch nie.« »So ein Glück. Komm mit.« Lorelai packte Sookie am Arm und zog sie mit sich fort, während immer mehr Klamotten auf die Erde segelten und Lindsay immer wieder aufs Neue schrie: »Ich hasse dich, Dean!« Kaum waren Sookie und Lorelai zu Hause, hatte sie auch schon wieder das Hotel eingeholt. Sookie telefonierte ganz aufgeregt mit John, um von ihm zu erfahren, ob er auch die Vorbereitung der Entensoße nicht vergessen hätte. Sie ging hektisch auf und ab und legte erst auf, als ich zur Tür hereinkam. »Mom!«, rief ich und fiel ihr in die Arme. »Oh, meine Weltreisende!« Sie strahlte mich glücklich an und drückte mich fest an sich.
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»Du hast mir gefehlt!« Ich war sehr, sehr froh, wieder zu Hause bei Mom zu sein – obwohl mir Europa natürlich auch gefallen hatte. Aber so viele Wochen mit Grandma konnten irgendwann auch ziemlich anstrengend werden … »Du mir auch, Schätzchen!« Mom drückte mir einen Kuss aufs Haar, dann erblickte ich Sookie und lief auf sie zu, um auch sie zu umarmen. »Du weißt ja noch, wer ich bin!«, lachte diese, streichelte mir über die Schultern und gab mir einen Kuss auf die Wange. In diesem Moment betrat Emily die Küche. »Hallo!«, rief sie und blickte sich um. »Hallo, Lorelai. Hallo, Sookie.« »Hi, Mom«, antwortete Lorelai und breitete die Arme aus, um auch Emily zu umarmen, doch diese ging rasch einen Schritt zurück. »Ich rieche ganz furchtbar nach Flugzeug«, erklärte sie und schüttelte sich kurz, so, als wolle sie den Flugzeugmief loswerden. Ich wechselte mit Mom ein wissendes Lächeln und erklärte dann, dass ich mich daranmachen wollte, mein Gepäck hereinzuschaffen. Allerdings hatte ich nicht mit Grandma gerechnet. »Rory, rühr ja nicht das Gepäck an!«, fuhr sie mich streng an. »Oh, ich dachte, das gilt nur für Europa.« Grandma winkte entschieden ab. »Der Fahrer bringt das Gepäck rein.« Sie lächelte Sookie und Lorelai an und erklärte ihnen, wie wundervoll sie unsere Reise gefunden hätte. »Rory wird dir alles erzählen«, meinte sie dann und sah mich anschließend eindringlich an. »Aber erspar ihr die anstößigen Fassetten, Rory.« »Anstößige Fassetten?« Mom war nach dieser Vorlage natürlich hellhörig geworden und tat Grandma den Gefallen, nachzuhaken.
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»Diese europäischen Männer!« Ein Strahlen glitt über Emilys Gesicht. »Jung, alt, mittelalt, alle haben wir angezogen. Wir waren wie Magneten!« »Du bist doch wohl nicht mit 'nem Schild rumgerannt, auf dem ›reich und scharf‹ stand, oder, Mom?«, wollte Lorelai wissen. Emily warf ihr einen kurzen bösen Blick zu. »So«, meinte sie dann und legte mir den Arm um die Schulter, »ich werde jetzt gehen. Lorelai, ich bringe dir eine gebildete, charmante und wohl erzogene junge Lady zurück. Zerstör das nicht wieder.« Mom grinste. »Ich werd auf jeden Fall nicht versuchen, es nicht zu zerstören.« Emily blieb nicht mehr lange, sondern verabschiedete sich zügig. Sie ließ es zu, dass ich sie zum Abschied umarmte – obwohl sie auch mir etwas vom Flugzeuggestank erzählte. Aber ich fand, dass wir nach einer so langen Reise nicht ohne Umarmung auseinander gehen konnten, und insgesamt war die Reise wirklich sehr schön gewesen. Obwohl Grandma sehr angespannt gewesen war wegen Richard. Und obwohl ich missmutig gewesen war wegen Mom und Dean. Ach, Dean! Ich hatte oft an ihn gedacht und mir fest vorgenommen, mich an das zu halten, was ich ihm geschrieben hatte. Dean sollte sich über alles klar werden und dann aus freien Stücken zu mir kommen. Das hoffte ich zumindest. Und damit das auch tatsächlich aus freien Stücken geschah, würde ich mich ihm gegenüber zurückhaltend verhalten. So war der Plan. »Komm her, Schatz!«, rief Mom, winkte mich zu sich und Sookie an den Küchentisch und deutete auf den freien Stuhl. »Wieso seid ihr eigentlich zu Hause?«, begann ich. Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, denn soweit ich mich erinnerte, war Mom ständig im Hotel. »Wir brauchen gerade etwas Abstand vom Hotel«, erklärte Mom, und Sookie nickte eifrig.
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»Und es wirft einen um!«, rief sie. »Aber nicht, dass es einen wirklich umwirft. Das Hotel steht felsenfest. Du weißt, was ich meine. Im Moment sind wir zu neunzig Prozent ausgebucht. Und erst das Restaurant! Dauernd müssen wir Leute wegschicken. Ach, ich rede schon wieder so viel.« »Nein, nein, erzähl ruhig weiter«, meinte ich. »Also«, fuhr Sookie strahlend und ohne Luft zu holen fort, »die Gäste meinen, das Hotel sei trotz Michel das beste von ganz Connecticut. Aber da ist ja noch das Stadtgespräch Nummer eins.« Mom machte ihr zwar Zeichen, dass sie diese Episode des heutigen Tages besser für sich behalten sollte, doch Sookie sah sie nicht … »Wir sind bei Lindsay und Dean vorbeigegangen. Sie hat sein Zeug aus dem Fenster geworfen. Es gab mächtig Streit, wie in dem Film Wie ein wilder Stier. Sie haben geschrien und sich fast geprügelt und …« »Whoa, Sookie, du überforderst ja unsere arme Kleine!«, schritt Mom ein und tätschelte mir den Arm. »Und sie hat bestimmt auch Hunger. Ist doch so, oder, Schätzchen?« Ich nickte. Sagen konnte ich nichts – ich war zu geschockt. Was war da nur passiert, fragte ich mich, aber ich musste bloß eins und eins zusammenzählen, um ziemlich sicher zu wissen, dass dieser Streit etwas mit mir zu tun hatte … Plötzlich war ich kreidebleich geworden, und als Mom das sah, schickte sie Sookie unter einem Vorwand fort. Sie versprach ihr, dass sie sie nachher anrufen würde und legte mir dann den Arm um die Schulter. Als Sookie weg war, wollte ich sofort wissen, was eigentlich passiert war. »Es war einfach unglaublich, richtig übel«, erklärte Mom, während wir Richtung Luke's Diner gingen. »Sie hat geschrieen und mit Sachen geworfen. Er hat auch geschrieen. Sie hat ihn beschimpft. Es war sehr heftig, ein öffentlicher Streit. Alle habens gesehen, einfach grauenhaft.«
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»So was hätte ich niemals erwartet«, meinte ich bedrückt, und dann begegnete uns jemand, den ich ausgerechnet in diesem Moment noch viel weniger erwartet hätte: Lindsay in Begleitung ihrer Mutter Theresa! Als Theresa mich erblickte, sah sie rot. »Du solltest dich wirklich schämen! Was du dir da geleistet hast …« »Augenblick!«, rief Mom und stellte sich halb vor mich – doch Theresa ließ sich nicht bremsen. »Was hat sie dir denn Schlimmes getan?« Sie sah mich hasserfüllt an und deutete dann auf Lindsay. »Hat sie dich je verletzt? Wieso tust du das nur?« Ich konnte nichts sagen, sondern blickte nur schuldbewusst erst Lindsay an und dann auf den Boden. Zum Glück war Mom bei mir. Sie konnte es nun einmal überhaupt nicht leiden, wenn eine fremde Frau ihre Tochter auf offener Straße anschrie, und fuhr sofort die Krallen aus. »Theresa, Sie sollten sich beruhigen!«, rief sie und sah Lindsays Mutter scharf an. »Ach, meinen Sie? Meine kleine Tochter kommt nach Hause und findet in Deans Jacke deinen abscheulichen Brief … Du kleines Monster!« »Hey! Passen Sie auf, Lady!« Moms Stimme war messerscharf geworden – aber auf Theresa machte auch das keinen großen Eindruck. »Es gibt doch genug andere Männer auf der Welt!«, schrie sie mich an. »Musste es ausgerechnet ihr Ehemann sein?« »Es reicht! Hören Sie auf, meine Tochter anzuschreien! Sie sind wütend, schon klar, aber dazu haben Sie kein Recht!« »Sie hat mit meinem Schwiegersohn geschlafen und eine Ehe zerstört!«, erwiderte Theresa und sah mich böse an, während Lindsay allem Anschein nach mit den Tränen kämpfte. »Bist du stolz darauf?«
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»Sie hat die Ehe nicht zerstört«, verteidigte mich Mom. »Ich kenne Rory.« »Tja«, schrie Theresa, »ich weiß nur eines: Meine kleine Lindsay ist todtraurig, und Dean wohnt wieder bei seinen Eltern! Zwei Leben wurden zerstört. Sie und Ihre Tochter sollten sich zum Teufel scheren!« Mit diesen Worten packte sie Lindsay am Arm und zog sie mit sich fort. Mom und ich blieben wie erstarrt stehen. Ich nagte schuldbewusst an meiner Unterlippe – und wenn ich mir ein Zeit lang über die Konsequenzen meines Handelns etwas vorgemacht hatte –, jetzt war endgültig Schluss damit. Ich konnte mir nichts mehr vormachen; die Realität hatte mich eingeholt. In Form einer schreienden Theresa und einer todtraurigen Lindsay. Ich kam mir vor wie ein Scheusal, und die schöne Zeit in Rom, Florenz und Venedig schien eine Ewigkeit entfernt zu sein. »So, und jetzt wüsste ich zu gern, was du Dean geschrieben hast.« Mom stand vor mir und sah mich eindringlich an. Ich nickte. Sie hatte den Brief übermittelt, und sie hatte mich gerade bis aufs Blut verteidigt. Sie hatte ein Recht darauf zu erfahren, was ich ihm geschrieben hatte. »Ich … ich hab geschrieben, dass diese Nacht was ganz Besonderes war und …«, ich stockte und schluckte meine Tränen hinunter, »es mir auch nicht Leid tut, dass es passiert ist. Aber er ist verheiratet und sollte sich überlegen, was er will. Und … ich werde versuchen, es ihm leichter zu machen und ihm in Zukunft aus dem Weg gehen.« Mom sah mich gerührt an. »Dein Brief war wirklich sehr gut«, meinte sie und nahm mich wieder schützend in den Arm. »Wir sollten hier nicht Wurzeln schlagen. Zurzeit ist es auf der Straße gefährlich.« »Hast ja Recht«, antwortete ich und ließ mich fortziehen. »Unfassbar, dass sie ihn gefunden hat.« Mom verhielt sich großartig. Sie machte mir keine Vorwürfe, sie stellte keine weiteren Fragen, und stattdessen hatte sie auf - 101 -
dem ganzen Weg ihren Arm um meine Schulter gelegt, drückte mich an sich und versuchte, mich aufzuheitern. »Komm! Ich spendier dir alles, was du willst: Pastete, Kuchen, Pfannkuchen, Pfannenpastete, Kuchenpfanne, Pastetenkuchen!«, rief sie, während sie die Tür zum Café öffnete. »Sag, was du haben willst, oder denk dir was aus, und du kriegst es.« Die Auseinandersetzung mit Theresa hatte mich ganz schön mitgenommen. Das merkte ich auch daran, dass ich bei Luke, also fast zu Hause und auf sicherem Terrain, mit einem Mal ganz schön weiche Knie bekam. »Schön, mal wieder zu sitzen«, erklärte ich erschöpft, während ich mich auf einen Stuhl sinken ließ, und als sich Mom neben mich gesetzt hatte und liebevoll meinen Arm streichelte, fand ich, dass ein Root Beer bei der ganzen Aufregung sicher gut tun würde. »Root Beer ist klasse!«, rief Mom euphorisch und wollte schon aufstehen, um es zu holen, als plötzlich Luke neben ihr stand. »Geht alles aufs Haus, also schlag zu!«, erklärte er lächelnd und begrüßte erst Mom und dann mich. »Hi, Rory. Willkommen zu Hause.« Er beugte sich besorgt zu mir herunter und sah mich prüfend an. »Alles okay? Du siehst blass aus.« Bevor ich etwas sagen musste, erklärte Mom: »Na klar. Blässe ist jetzt total in.« Dann klopfte sie Luke freudig gegen die Brust. »Also, du bist echt und keine Fata Morgana«, stellte sie fest. »Ich sagte doch, ich komme wieder.« »Ja, aber das hast du mir wochenlang erzählt. Deine Glaubwürdigkeit hat ein bisschen gelitten.« »Ich weiß«, antwortete Luke und kratzte sich am Kinn. »Ich war sieben Wochen da.« Er machte eine Pause und blickte sich unruhig um. Anscheinend überlegte er etwas. »Hör zu, gerade fällt mir ein, ich … ich, ich muss noch was erledigen«, erklärte - 102 -
er rasch. »Ich muss nur zur Apotheke. Am besten ich geh gleich.« Er sagte mir, dass Lane da sei und mir mein Root Beer brächte, und rief dieser dann zu, dass er schnell in der Apotheke sei und bald wiederkäme. Mom blickte ihm leicht irritiert nach, aber ich machte mir über Lukes Verhalten keine Gedanken, denn Lane kam hinter der Theke hervorgeflitzt und fiel mir in die Arme. »Rory! Du bist wieder da!«, rief sie und blickte Mom an. »Sie ist wieder da!« Dann setzte sie sich mit ernstem Gesicht auf den freien Stuhl rechts neben mir und verschränkte die Hände ineinander. »Ich brauch dringend deinen Rat«, platzte es aus ihr heraus. »Ich bin in 'ner Zwickmühle.« »Oh, das klingt ja ernst«, antwortete ich begeistert. »Die Zwickmühlen von andern. Ich bin ganz Ohr.« Ich beugte mich vor und sah Lane gespannt an, doch bevor sie mir ihr Problem schildern konnte, erklärte Mom mit leicht verlegenem Grinsen, dass sie kurz mal zu Doose's müsse, um ein wenig einzukaufen. Ganz ehrlich – das war ein wenig merkwürdig, denn wenn Mom eines nicht war, dann eine perfekte Hausfrau. Zu Hause fehlte immer irgendwas – warum sie gerade jetzt ans Einkaufen dachte, war seltsam. Als sie dann aber auch noch fragte, ob sie mir eine Banane mitbringen sollte, war offensichtlich, dass es wohl irgendeinen anderen Grund geben musste, weshalb sie so dringend rauswollte. Als ich mir ihre glänzenden Augen und ihre geröteten Wangen ansah, war mir der Grund klar, und ich war mir ziemlich sicher, dass er mit »L« anfing und mit »uke« endete. Grinsend meinte ich, dass ich keine Banane brauchte, aber dass sie ruhig einkaufen gehen sollte. »Es dauert nicht lange«, versprach Mom und beeilte sich dann, auf die Straße zu kommen. »Also, meine Zwickmühle«, begann Lane, sobald wir alleine waren. »Kanns losgehen? Und sei ehrlich!« »Schieß los!«, befahl ich. Ich war ziemlich gespannt, was nun kommen würde. - 103 -
»Glaubst du, ich bin in Zack verknallt?«, frage Lane und sah mich forschend an. »Was?« Ich glaubte kaum, was ich da hörte. Lane und Zack? Okay, er sah ganz gut aus, und Lane hatte ja auch eine Vorliebe für böse Jungs, aber ausgerechnet Zack? Sie wohnten zusammen, sie spielten zusammen in der Band, und wenn sie jetzt auch noch zusammen wären, dann war das ein bisschen zu viel des Guten, oder? Und schließlich war Lane mehr als einmal von Zack völlig genervt gewesen; zumindest hatte sie sich bei mir in regelmäßigen Abständen über ihn beschwert … Doch ich hatte mich nicht verhört. »Ich wüsste gern, ob du denkst, ich bin in Zack verknallt«, wiederholte Lane. »Das hat mir irgend so 'ne Schlampe unterstellt, und Schlampen sind, was das angeht, meist zuverlässig.« »Irgend so 'ne Schlampe?«, wiederholte ich erstaunt. So ein Wort aus Lanes Mund war einigermaßen ungewöhnlich – und ein ganz eindeutiges Indiz dafür, dass an ihrer Vermutung tatsächlich etwas dran war. »Ja«, erklärte Lane. »Sie hat was in der Richtung gesagt, mit so 'nem welterfahrenen, wissenden Ausdruck, als wollte sie mir zu verstehen geben, dass ich mich aufführe, als wär ich total heiß auf Zack. Vielleicht hat sie mich aber auch nur blöd angemacht. Ich will wissen, was du darüber denkst.« Wieder sah sie mich eindringlich an und wartete auf eine Reaktion, aber ohne dass ich es wollte, war ich mit meinen Gedanken abgedriftet. Zu Theresa, zu Lindsay, zu Dean und zu Candyman. Ich musste mit Dean sprechen, noch heute! »Hey, hörst du mir eigentlich zu?«, fragte Lane, doch ich gab ihr keine Antwort. Stattdessen machte ich mich wenig später auf den Weg zu Deans Elternhaus, klopfte mit rasendem Herzen an die Haustür und ging rasch die drei Stufen wieder hinunter auf den Fußweg, um dort zu warten, bis die Tür aufging. - 104 -
Ich hatte Angst, dass nicht Dean, sondern seine Eltern öffneten und mir eine ebensolche Szene machen würden wie Theresa, doch ich hatte Glück. Niemand anderes als Dean persönlich öffnete die Tür. Allerdings erhellte sich sein Gesicht nicht gerade, als er mich sah, ganz im Gegenteil. Wenn er vorher schon ernst gewirkt hatte, zeichnete sich nun deutlich Ärger in seinen Zügen ab. Er sah ziemlich mitgenommen aus, fast ein wenig bemitleidenswert. Er trug ein völlig zerknittertes, dünnes, hellblaues Sweatshirt mit Kapuze, das an ihm herunterhing wie ein Fetzen. Seine Haare waren zerzaust, sein Gesicht sehr blass. »Hi«, begann ich vorsichtig. »Ich hoffe, es ist okay, dass ich vorbeikomme. Ich wusste nicht, ob ich anrufen soll. Ich wollte nur …« Ich stockte und versuchte, meine Aufregung in den Griff zu bekommen. »Geht es dir gut?« »Ob's mir gut geht?«, wiederholte Dean ungläubig. »Ja. Ich wüsste gern, wie du dich fühlst.« Als ich ihn ansah, begriff ich, dass diese Frage völlig überflüssig war. Es ging ihm beschissen. Das sah man auf den ersten Blick. »Tut mir Leid, das ist 'ne blöde Frage«, erklärte ich rasch, doch Dean winkte ab. »Nein, das ist keine blöde Frage. Sekunde, wie fühl ich mich wohl?« Er rieb sich das Kinn und tat so, als würde er nachdenken. »Ehrlich gesagt, komm ich mir wie ein Idiot vor.« »Wieso?« »Wieso? Weil ich verheiratet war, Rory. Verheiratet! Und das hab ich sausen lassen wegen 'ner Frau, die mich früher mal abserviert hat und jetzt einfach verschwunden ist.« Ich wollte etwas erwidern, zum Beispiel, dass er mir gesagt hatte, die Ehe mit Lindsay bestünde nur noch auf dem Papier, und dass ich nicht verschwunden war, sondern lediglich etwas Abstand gebraucht hatte, doch er ließ mich gar nicht zu Wort kommen. »Hör zu, ich hab allen wehgetan«, erklärte er. »Lindsay, ihren Eltern und meinen Eltern ebenfalls. Und jetzt bin ich wieder zu - 105 -
Hause, und du fliegst nach Europa mit deiner Großmutter, und … Zum Teufel, was hab ich eigentlich getan? Und warum? Was ist los mit mir?« Er blickte mich fast feindselig an. Dann erklärte er, dass er zur Arbeit müsse, und ging wieder ins Haus. Mich ließ er auf der Straße stehen. Moms Treffen mit Luke lief da schon viel erfreulicher ab. Als sie aus Luke's Diner hinaussprang, hielt sie sofort Ausschau nach ihm und fand ihn auch kurze Zeit später hinter einem Busch versteckt. Er wirkte wie ein verlegener Schuljunge, griff dann aber nach wenigen Sätzen in seine Brusttasche, um Mom die Kette zu überreichen, die er ihr vom Mittelaltermarkt mitgebracht hatte. »Ich glaub, die passt gut zu den Ohrringen, die ich dir geschenkt hab. Wenn nicht, tausch ich sie eben um«, erklärte er. »Das wird nicht nötig sein«, antwortete Mom lächelnd und schob ihre Haare hinter die Ohren. Sie trug Lukes Ohrringe, und man konnte sehen, dass die Kette wirklich hervorragend dazu passte. »Oh ja, sieh an. Passt perfekt«, freute sich Luke. Noch mehr allerdings freute er sich darüber, dass Mom seine Ohrringe trug. Er hatte Sorge gehabt, dass sie es sich in der langen Zeit, in der es mit ihnen beiden nicht weitergegangen war, anders überlegt hatte. Die Tatsache allerdings, dass sie seine Ohrringe trug und ihm obendrein hierher nach draußen gefolgt war, zeigte ihm deutlich, dass sie ihn ebenfalls vermisst hatte. Ermutigt ergriff er ihre Hände und zog sie an sich, um sie zu küssen – doch in dem Moment, als Lorelai ihre Lippen gerade auf seine drücken wollte, wurden sie mit Pauken und Trompeten getrennt. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn es war der Tag, an dem die große Cider-MillParade stattfand, begleitet von Miss Pattys Tanzäpfeln und von halb Stars Hollow.
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»Diese Stadt ist unsere Stadt, eine Stadt, die sonst niemand hat«, meinte Mom und verabredete sich mit Luke für später. Dann ging sie lächelnd nach Hause, denn der Beinahe-Kuss und Lukes Geschenk hatten ihr deutlich gemacht, dass es Luke ebenso ging wie ihr: Die siebenwöchige Durststrecke war vorbei! Sie waren verliebt. Und der Mittelaltermarkt hatte daran nichts ändern können. Am Abend machte ich es mir mit Mom bequem. Ich hatte ihr nichts von dem Treffen mit Dean erzählt. Das musste ich auch nicht. Sie sah mir an, dass es mir nicht gut ging und versuchte, mich mit Erzählungen aus zweiter Hand vom Mittelaltermarkt abzulenken, während sie in der Küche Soßen und Besteck zusammensuchte. Ich wartete auf der Couch auf sie und hoffte, bei ein paar Filmen und einem ungesunden, aber leckeren Essen endlich auf andere Gedanken zu kommen. »Jeder weiß, dass man sich nicht mit dem Heuballen-Bill anlegt!«, rief sie mir zu und nahm das Besteck aus der Schublade. »Also, Heuballen-Bill zieht los und vermöbelt den Typ. Und dann stellt sich raus, dass es der Falsche ist. Und das nur, weil einer angeblich die Beine seiner Freundin kritisiert hat.« Ich knabberte an ein paar Chips und versuchte, die Mittelaltermarkt-Fraktion in meinem Kopf zu sortieren. »Wer war noch mal die mit den Haaren an den Waden? Annie, die Grog-Frau oder Okarina-Jane, die hinter dem Stand mit den Messingtafeln Pot verkauft hat?« »Die mit den meisten Haaren«, rief Mom. »Ich glaub, ein Mittelaltermarkt während der Badesaison wär nur was für Blinde.« Sie kicherte kurz und erklärte dann, dass sie noch die Steaksoße für die Pizza ranschaffen würde und dass es dann losgehen könne. »Hey, ich war vor kurzem in Italien!«, rief ich. »In Italien würden sie dich dafür erschießen.«
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»Ach, aber wir sind in Amerika«, konterte Mom. »In unserer Gier nach moralischer und militärischer Überlegenheit verleiben wir uns die Kultur anderer Länder einfach ein.« »Hatte ich vergessen!«, rief ich und nahm die nächsten Chips aus der Schale. »Bring die imperialistische Soße ruhig mit.« Kurz darauf kam Mom aus der Küche und setzte sich neben mich auf die Couch. »Hey, meinst du, dass Annie, die GrogFrau, versucht hat, bei Luke zu landen?« Sie verzog das Gesicht. »Ich hoffe nicht. Sonst erschieß ich die kleine Nutte!« Sie lächelte mich an, legte den Arm um mich und fragte mich, ob ich »darüber« reden wollte. »Was sehen wir uns an?«, fragte ich rasch. Ich legte mich in ihren Arm und genoss einfach, dass sie da war – und auch akzeptierte, dass ich jetzt nicht »darüber« reden wollte. Mom schlug nämlich einfach vor, dass wir uns zum wiederholten Male Showgirls ansahen, weil sie die LuxusEdition mit Schnapsgläsern und Trinkspiel davon hatte. Dann streichelte sie mich und sah mich mitfühlend an. »Hier hast du Ruhe«, erklärte sie und wollte schon das Video einwerfen, doch ich unterbrach sie. »Ich möchte dir was zeigen, bevor wir Showgirls sehen, okay? 'n Video von meinem Urlaub mit Grandma.« Mom machte erst große Augen, doch als das Video dann begann, verstand sie. Es war Zimmer mit Aussicht, ein Film mit der ganz jungen Helena Bonham Carter – das sollte natürlich ich sein – und Maggie Smith, die die Anstandsdame spielte. Sie sollte natürlich Grandma darstellen. »Die Signora hat doch ausdrücklich geschrieben: Südzimmer mit Aussicht. Und nebeneinander. Stattdessen gibt sie uns Nordzimmer ohne Aussicht und weit voneinander entfernt.« Maggie Smith sah erzürnt aus und blickte hinaus, dorthin, wo kein Arno war. Dann erklärte sie mit Blick auf Helena Bonham Carter: »Jetzt müssen wir uns aber schnell umkleiden, meine Liebe, sonst verpassen wir womöglich noch das Dinner.« - 108 -
»Du siehst wahnsinnig unschuldig und hübsch aus«, stellte Mom fest, und ich meinte: »Die Aussicht war doch toll. Ich weiß gar nicht, was sie da zu meckern hatte.«
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Am nächsten Freitag gingen Mom und ich zu unserem wöchentlichen Essen bei Grandpa und Grandma – und sollten an diesem Tag am eigenen Leib erleben, was die räumliche Trennung von Emily und Richard für Konsequenzen hatte … Da die neuen Regeln vorsahen, dass Grandpa nur noch nach vorher vereinbartem Termin das Haupthaus betreten durfte, und da für diesen Abend kein Termin vereinbart worden war, stand fest, dass wir statt einem Besuch zwei Besuche absolvieren mussten. Erst war Richard an der Reihe. Bei ihm im Poolhaus sollten die Drinks und ein Appetithäppchen eingenommen werden. Anschließend sollten wir zu Grandma ins Haupthaus gehen, um dort zu Abend zu essen. Wir machten uns auf einiges gefasst und waren neugierig, wie Grandpa das Poolhaus eingerichtet hatte. Als wir ankamen staunten wir nicht schlecht: Nicht nur, dass Grandpa aus dem Poolhaus einen richtigen Herrensalon gemacht hatte, mit jeder Menge Büchern und diversen Humidoren. Nein, er hatte sich sogar eigenes, männliches Personal angeschafft. Anscheinend hatte Grandpa die Nase von Frauen gestrichen voll. Bei Mom und mir machte er allerdings eine Ausnahme und wies uns freundlich einen Platz auf dem schweren Sofa zu. »Geschüttelt bitte, nicht gerührt, Jeeves«, wies Mom den Dienstboten an, der hinter unserem Rücken an der Bar stand und die Drinks zubereitete. »Sein Name ist Robert«, erklärte Grandpa, und als Mom bemerkte, dass doch sonst jeder Butler »Jeeves« hieße, rümpfte Grandpa die Nase und erklärte, dass Robert kein Butler, sondern ein Kammerdiener sei. »Gibt's hier Ungeziefer?«, fragte Mom. - 110 -
»Nicht Kammerjäger, sondern Kammerdiener.« Grandpa bemühte sich, weiterhin zuvorkommend zu lächeln, obwohl es ihm missfiel, was seine Tochter so alles von sich gab. »Das, was er da tut, gehört zu seinen Pflichten.« »Dann ist er Barkeeper«, meinte Lorelai. »Er erfüllt all meine Wünsche.« »Also eher 'ne Geisha.« »Du wirst sicher ruhiger, sobald du was getrunken hast, nehme ich an«, antwortete Grandpa, und dann tat er das, was er immer tat, wenn ihm am Freitagabend eine Unterhaltung mit Mom oder mit Emily missfiel: Er wandte sich mir zu. »Also, kleine Lady«, lächelte er liebenswürdig, »diese Woche beginnt dein zweites Jahr in Yale, nicht wahr?« »Ja«, nickte ich wohl erzogen. »Am Montag zieh ich erst mal ins Branford-Haus.« »Es wird dir dort bestimmt sehr gefallen. Ich hab da auch gewohnt.« Bei dieser Erinnerung begannen Grandpas Augen zu glänzen. »Es ist das älteste Wohnhaus für Studenten in Yale. Es gibt dort ein Glockenspiel, einfach hinreißend, und den, wie Robert Frost einmal sagte, zauberhaftesten College-Garten von ganz Amerika!« Ich fand Grandpa sehr süß, wenn er so ins Schwärmen geriet, und schlug ihm vor, mit ihm in Yale essen zu gehen, sobald ich mich in das neue Jahr eingewöhnt hatte. »Ah, das ist ein Wort!«, rief Grandpa begeistert und blickte dann zu Robert, der links neben ihn getreten war. »Sie haben mich gebeten, Sie daran zu erinnern, dass Sie ungarischen Käse servieren wollten, Sir.« Robert reichte uns unsere Drinks und deutete eine leichte Verbeugung an. Dann trat er wieder ein paar Schritte in den Hintergrund. »Ja, ganz recht«, antwortete Richard und erhob sich aus seinem Sessel. Er erklärte uns, dass er gleich wiederkäme und ging zu der Küchenzeile, um dort den Käse vorzubereiten.
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Ich lehnte mich zurück und schüttelte dann verwirrt den Kopf. »Das ist verrückt«, raunte ich Mom ins Ohr, nachdem ich mir die Situation noch einmal vor Augen geführt hatte. »Na ja, kommt drauf an, was du so unter ›verrückt‹ verstehst«, grinste Mom. »Ich persönlich fand ja Mariah Careys Telefonbotschaften an ihre Fans damals erfrischend einfallsreich.« »Wir nehmen Drinks im Poolhaus«, erwiderte ich bedeutungsvoll. »Als ich es zuletzt betreten hab, war ich auch zum letzten Mal im Pool.« »Genau, ich hab dich reingestoßen.« Mom lächelte bei dem Gedanken. »Und Grandpa wohnt jetzt tatsächlich hier?« Die Frage war nicht nur rhetorisch, sondern auch ehrlich gemeint: Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, dass meine Großeltern sich auf eine solch exzentrische Art getrennt hatten. Ich blickte Mom an und runzelte die Stirn. »Ob er glücklich damit ist?« »Oh ja. Ich schätze, er ist mehr als glücklich«, antwortete Mom. »Mit seinen Büchern und seinem ganz speziellen Freund Robert …« »Werd bloß nicht eklig!« »Was denn? Ich mein ja nur! Zwei erwachsene Männer, ganz allein hier draußen, mit ungarischem Käse und Badehosen …« Mom grinste und sah mich an. »Sei nicht so prüde. Sogar in Kindergeschichten gibts Lesben und Schwule.« Zum Glück kam in diesem Augenblick Grandpa zurück. In den Händen hielt er eine große silberne Platte, auf der allerlei Käsesorten neben Weintrauben angerichtet waren. Ungarische Käsesorten, versteht sich. Er stellte die Platte ab, setzte sich wieder in seinen Sessel und sah tatsächlich alles andere als unglücklich aus. »Sehr schön, wir haben Käse, wir haben Drinks. Habt ihr auch jede einen Untersetzer?« Grandpa sah uns fragend an und
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lächelte dann zufrieden, als wir brav unsere Porträtuntersetzer hochhielten. »Kierkegaard«, antwortete Mom. »Schopenhauer«, sagte ich. »Ausgezeichnet!« Grandpa hatte alles, was er brauchte, nahm einen Schluck von seinem Drink und wollte gerade nach dem Käse greifen, als es an der Poolhaus-Tür klopfte und Grandmas Dienstmädchen eintrat. »Das Essen im Haupthaus ist dann soweit«, erklärte sie Robert, der ihr geöffnet hatte, und dieser kam sofort zu uns und überbrachte die Nachricht. »Oh, wir haben doch noch gar nicht ausgetrunken!«, rief Mom und nahm hektisch noch einen Schluck von ihrem Martini-Cocktail. »Aber Madame wartet schon«, antwortete das Dienstmädchen, machte einen Knicks und ging dann eilig zurück ins Haupthaus. Richard lächelte süßsauer über diese kleine Attacke von Emily, aber er bemühte sich, die Contenance zu wahren. »Nun, Ladys, es war ein wundervoller Abend!« Er erhob sich und erklärte damit unseren Besuch für beendet. »Wir sehen uns nächste Woche.« »Sekunde, Dad«, meinte Mom, nahm noch einen weiteren Schluck von ihrem Drink und bedankte sich für den Käse. Auch ich bedankte mich bei Grandpa, dann mussten wir auch schon hinüber ins Haupthaus. Emily nahm uns direkt an der Tür in Empfang und führte uns im Stechschritt an den riesigen Esstisch, wo bereits dampfende Suppe auf uns wartete. »Suppe bei dieser Affenhitze, cool«, meinte Mom und verzog das Gesicht. Sie fand die Situation, ebenso wie ich selbst, völlig absurd. Während ich allerdings Mitleid mit den beiden hatte und deshalb bemüht war, besonders freundlich und nett zu sein, fand Mom, dass ihre Eltern ruhig merken sollten, wie - 113 -
verkorkst diese ganze Trennung eigentlich war. Daher hielt sie mit ihren Sticheleien noch weniger hinter dem Berg als sonst. »Ich weiß nicht, was du hast!«, antwortete Grandma. »Die Klimaanlage ist doch an, Lorelai.« »Sehr lecker, Grandma«, lobte ich die Suppe. Ich hatte die Hoffnung, ein kleines Kompliment würde die leichten Wogen zwischen Mom und Grandma glätten können – doch weit gefehlt. Mom hatte gar keine Lust, geglättet zu werden. »Mein Gott, hör doch auf zu schleimen!«, rief sie quer über den Tisch. »Schluss damit!« Emily funkelte giftig in Moms Richtung, doch als sie sich daraufhin mir zuwandte, hatte sie dabei denselben liebenswürdigen Gesichtsausdruck wie vorhin Grandpa. »Danke für das Kompliment«, lächelte sie. »Das ist eine Fenchel-Kartoffelcreme mit einem Hauch Chili für den besonderen Geschmack. Ich finde, es kann etwas exotischer sein, nun, da wir Frauen unter uns sind.« »Wenn du was wirklich Exotisches für uns Frauen willst, servier uns 'n Callboy!« Mom hatte gar nicht erwartet, darauf eine Reaktion zu bekommen, und so wunderte sie sich auch nicht, als Grandma mich nun fragte, was es denn Neues gäbe. »Anderes Zimmer, gleiche Reaktion«, ließ sich Mom vernehmen, aber ich bemühte mich, so freundlich wie möglich zu sein. »Ach, gar nicht viel«, antwortete ich – doch damit hatte ich, ohne es zu beabsichtigen, meine Grandma mehr gereizt als alle Sticheleien Moms es vorher geschafft hatten. »Wirklich?«, horchte sie nach. »Was gabs denn vor zwanzig Minuten Neues?« »Äh, wie bitte?« Ich verstand nicht, was sie meinte. »Was hast du alles deinem Großvater erzählt? Nur weil ihr ihn zuerst besucht, heißt das nicht, dass du nur ihm alle guten Geschichten erzählen darfst! Also, erzähl mir alles genauso, wie du's ihm erzählt hast, und lass bitte nichts aus!« - 114 -
»Okay«, nickte ich. »Gut, ähm, Montag zieh ich erst mal ins Branford-Haus.« »Weißt du, Robert Frost hat gesagt, das Branford-Haus habe den zauberhaftesten College-Garten in ganz Amerika.« Grandma lächelte mich an, und ich wusste nicht, wie ich nun darauf reagieren sollte. Doch Mom übernahm das für mich. »Hm, ist ja 'n Ding!«, rief sie und rührte weiter lustlos in ihrer Fenchel-Kartoffelcreme. »Ihr wusstet es!« Grandma warf erbost ihre Serviette beiseite. »Er hats euch erzählt! Ihr habt schon über alles geredet, was interessant ist, und jetzt habt ihr nichts mehr zu sagen.« Mom und ich wollten etwas erwidern. Etwas in der Art von ›Aber wir haben doch noch ganz viel zu erzählen‹ oder ›Lass uns doch über etwas anderes reden!‹ – doch Grandma winkte ab. »Ihr geht zu ihm, kaut jedes Thema durch, und ich krieg nur noch zwei leere Hüllen!« Als sie Schritte hinter sich hörte und diese zweifelsfrei Grandpa zuordnen konnte, kam der ihr gerade recht. Schnell schob sie ihren Stuhl zurück, versperrte ihm den Weg und fuhr ihn an. »Was hast du hier zu suchen?« »Ich hole nur schnell was aus meinem Zimmer.« »Du hast gefälligst im Poolhaus zu bleiben! Darauf hatten wir uns geeinigt.« Emily sah Grandpa an wie eine Furie, und als der antwortete, dass er sich doch dort auch aufhalte, musterte sie ihn von Kopf bis Fuß. »Tatsächlich? Auch jetzt? Du hättest um einen Termin bitten müssen! Du wohnst hier nicht mehr, Richard!«, schrie sie ihn an. »Wenn ich nun nackt im Wohnzimmer gesessen hätte?« »Du hast noch nie nackt im Wohnzimmer gesessen! Du warst überhaupt nie nackt«, schnaubte Richard. Dann holte er zum ultimativen Gegenschlag aus. »Selbst als wir vor Jahren nackt baden wollten, hattest du noch einen Mantel an!« »Das Wasser war eiskalt!« Ich hielt mir die Hände an die Ohren und sah Mom entgeistert an. »Echt verrückt«, stellte ich fest. - 115 -
»Du wiederholst dich, meine Süße«, meinte Mom und beobachtete dann den 285. Akt des seltsamen Zwei-MannStücks, das Emily und Richard mit großem Eifer im Salon aufführten. Als Mom und ich am nächsten Mittag bei Luke vorbeischauten, war der Laden ziemlich voll, und Mom und ich bei einem mehr oder minder interessanten Gespräch über Kindererziehung – wobei Mom wieder einmal ihre ganz eigenen Anschauungen hatte. Wir diskutierten und alberten noch herum, als Luke zu uns kam und mich daran erinnerte, dass meine Zeit in Stars Hollow ablief: Er fragte mich, wann ich wieder nach Yale fahren wollte. Dass die Ferien vorbei waren, war einerseits natürlich unglaublich schade. Wegen Mom und wegen Lane und wegen der Tatsache, dass ich nicht mehr so schön ausschlafen konnte. Andererseits sehnte ich meine Abreise aber auch herbei, denn in Stars Hollow lief ich immer Gefahr, wahlweise Dean, Lindsay oder Theresa über den Weg zu laufen. »Alles, was du bestellst, geht aufs Haus«, erklärte Luke spendabel und vermied es peinlich, Mom besonders zuvorkommend zu behandeln oder durch irgendein anderes Verhalten darauf schließen zu lassen, dass Mom nun ein ganz besonderer Gast war. Nachdem Mom auch die absonderlichsten Halsverrenkungen in Richtung Luke keinen exklusiven Blickkontakt einbrachten, stöhnte sie auf. »Nicht zu fassen, du flirtest nicht mal vor meiner eigenen Tochter mit mir. Sie denkt noch, mit mir stimmt was nicht.« »Bitte, das hab ich schon vor langer Zeit ganz allein rausgefunden!«, rief ich schnell und bestellte dann Rührei mit Cheddar, dazu etwas Speck und Würstchen. Es war wirklich erstaunlich, dass ich keinerlei Gewichtsprobleme hatte … »Ich nehm dasselbe!«, sagte Mom. »Schreib's auf ihre Rechnung, hm?«
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»Ich werd dir 'ne eigene schreiben«, brummte Luke, und außer einem winzig kleinen Zwinkern war ihm nicht anzumerken, dass er sich eigentlich mächtig freute, Mom in seinem Laden zu sehen. »Gut, dass du keinen spanischen Akzent hast, sonst wärst du einfach unwiderstehlich!« Mom sah Luke hinterher, während er zur Theke ging, um die Bestellung in die Küche weiterzugeben. Als Luke aufsah und ihr einladend zunickte, erklärte sie mir rasch, dass sie gleich wieder bei mir wäre, und schlenderte zu ihm hinüber. »Du hast mir zugenickt?«, fragte sie lächelnd und stützte sich auf die Theke. Luke blickte grinsend von seinem Bestellblock hoch. »Also, die Jeans kommt richtig gut bei dir.« »Ja?«, fragte Mom. Sie freute sich, denn wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie sich die Jeans genau aus diesem Grund neu gekauft hatte. Sie war ziemlich eng geschnitten und machte einen hervorragenden Po. Dazu trug sie ein pinkfarbenes Oberteil, eine enge Jacke und spitze Schuhe. »Jetzt flirtest du mit mir«, stellte sie fest. »Na, endlich! Dreh noch ein bisschen auf.« Luke ließ sich nicht zweimal bitten. »Deine Schuhe passen super zu dem Shirt«, erklärte er, und dann klappte er den Bestellblock zu. »Mehr geht jetzt nicht. Die Leute beobachten uns. Doch heute Abend offenbare ich dir dann meine extrem positive Meinung zu deiner Person. Hast du Zeit?« »Klar hab ich Zeit«, strahlte Mom. Auf dieses erste, richtige Date hatten sie beide schließlich schon viel zu lange warten müssen. Jetzt musste es einfach sein. »Gut.« Luke sah zufrieden aus. »Halb acht, okay?« »Wo gehen wir denn hin?«, wollte Mom wissen. Luke tat geheimnisvoll. »Ich hab da ein paar Ideen«, antwortete er ausweichend, ohne mit der Sprache herauszurücken, was ihm dabei so vorschwebte. - 117 -
»Gut«, meinte Mom, »aber wir gehen nicht in ein Museum, das schon zu hat und dann in ein leeres Football-Stadion. Und schenk mir bloß keine Diamantohrringe, die du von deinem College-Geld gekauft hast, obwohl du eigentlich in deine beste Freundin, die Trommlerin, verknallt bist, die an diesem Abend den Chauffeur spielt.« Sie wartete gespannt, was Luke auf diesen Redeschwall antworteten würde – doch Luke reagierte, wie es zu erwarten war. Sehr gelassen. Er richtete sich auf, zog kurz seine umgedrehte Baseballkappe zurecht und sah Mom an. »Na gut, dann denk ich mir was anderes aus.« Er wollte schon weiter, als er merkte, dass Mom anscheinend noch etwas loswerden wollte. Sie stand weiterhin am Tresen und wollte ihm offensichtlich etwas mitteilen. Es war ein Thema, das sie schon geraume Zeit beschäftigte: Sie wusste nicht, ob sie ihre Beziehung offiziell machen sollte, und sowohl für ein Ja, als auch für ein Nein sprachen diverse Argumente. Einerseits war Stars Hollow ein kleines Nest, und lange konnten sie ein Versteckspiel sowieso nicht durchziehen. Und wieso auch? Sie standen doch zu dem was war, oder? Andererseits – so viel lief ja noch gar nicht. Vielleicht war es noch ein bisschen zu früh, das zarte Pflänzlein den öffentlichen Blicken auszusetzen. Sie hatten heute Abend ja gerade mal ihr erstes Date … Nach reiflicher Überlegung entschied sie sich, sich nicht zu entscheiden, sondern aus dem Bauch heraus zu handeln, dann richtete sich Mom vorm Tresen auf. »Okay. Dann halb acht, ja?«, vergewisserte sie sich. »Guckst du mir nach, wenn ich jetzt weggehe?« Als Luke nickte, versprach sie ihm, auch extra neckisch für ihn zu gehen, und setzte dies dann in die Tat um. Hüftschwenkend und mit einladenden Blicken über die Schulter schwebte sie zurück zu mir an den Tisch, ließ sich auf einen Stuhl fallen und erzählte mir aufgeregt, dass sie heute Abend ihr erstes richtiges Date hätten. - 118 -
»Was willst du anziehen?«, fragte ich. Lorelai überlegte. »Hm, High Heels auf jeden Fall, 'ne Baseballkappe verkehrt rum und …« »Und sonst nichts!«, schlug ich vor. Mom fand die Idee großartig, und dann warteten wir ungeduldig auf unser Essen. Viel Zeit blieb uns nicht mehr. Am Nachmittag wollte ich zurück nach Yale fahren, sodass ich mich dort in Ruhe um den Umzug kümmern konnte und genügend Zeit hatte, mich einzugewöhnen. Als die beiden Möbelpacker den massiven Dreisitzer, den Emily und Richard mir für Yale vermacht hatten, zum Branford-Haus tragen wollten, kamen sie mächtig außer Puste. Ich hätte das Sofa mit der größten Anstrengung überhaupt auch nur anheben können – umso dankbarer war ich, dass ich bei dem Umzug nichts weiter zu tun hatte, als Türen aufzuschließen, zu bestimmen, wo was abgeladen werden sollte, und darauf zu achten, dass nichts beschädigt oder beschmutzt wurde. »Vorsicht, wenn das dreckig wird, verfolgt meine Großmutter Sie und bringt Sie um. Das ist kein Scherz!«, rief ich, als das Sofa gerade durch den Haupteingang des BranfordHauses getragen wurde. Ich glaube, ich ging den Umzugshelfern ganz schön auf die Nerven, aber das musste mir egal sein. Ich hatte mich gerade an den Männern und dem Sofa vorbeigequetscht, um meine Wohnungstür aufzuschließen, als mich eine Stimme innehalten ließ. Als ich mich umblickte, sah ich Marty, der mir von draußen winkte. »Marty, hi! Wie schön, dich zu sehen!«, rief ich und vergaß kurzzeitig, dass neben mir zwei Männer standen, die ein Monstrum von Sofa trugen. »Du wohnst hier?« »Ja, genau.« »Klasse. Ich nämlich auch!« Ein genervtes Stöhnen ließ mich aufblicken, und ich sah geradewegs in die ungeduldigen Augen der beiden Möbelpacker. »Oh, 'tschuldigung. Ich muss die - 119 -
Leute reinlassen«, erklärte ich und deutete mit der Hand auf die Tür, durch die das Sofa sollte. »Die Tür ist abgeschlossen«, erklärte einer der Möbelpacker und machte den Anschein, als kostete es ihn viel Mühe, nicht unfreundlich zu werden. »Ach, ehrlich? Tut mir Leid«, erklärte ich und blickte Marty dann nachdenklich an. Ich war ganz sicher gewesen, dass Paris schon längst hier war, sich das beste Zimmer ausgesucht und unsere neue Bleibe auch sonst bereits exakt nach ihren Vorstellungen fertig gestaltet hatte. Dass sie noch nicht hier war, erstaunte mich, und ich registrierte kaum, dass ich aufschloss und den Möbelpackern zeigte, wo sie das Sofa abstellen sollten. Dann kramte ich mein Handy heraus und wählte Paris' Nummer. »Paris? Hey, hier ist Rory!«, erklärte ich, als ich Paris dran hatte. »Ich bin in unserem Zimmer und wundere mich, dass du nicht vor mir da warst.« »Rory, hallo«, grüßte mich Paris mit seltsam matter und tonloser Stimme. »Ich komme später.« »Alles in Ordnung bei dir? Du klingst ganz merkwürdig.« Paris antwortete nicht sofort, sondern holte tief Luft und lief hin und her. »Asher ist tot«, erklärte sie dann. »Er ist vor zwei Wochen in Oxford gestorben.« »Oh, Paris, das tut mir ehrlich Leid für dich.« Ich war wirklich geschockt. Ich wusste, dass er alt war, aber er war längst nicht so alt. Er stand doch noch mitten im Leben, gab Seminare, schrieb Bücher und hatte junge Freundinnen! Ich fragte Paris, wie es passiert war, und sie erklärte, dass es ein Herzinfarkt gewesen und dass es ziemlich schnell gegangen sei. »Herzinfarkt?«, horchte ich nach und blickte Marty, der am Fenster stand und nun auch aufmerksam geworden war, schockiert an. »Ähm, aber doch nicht, während ihr … Oder?«
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»Nein, Rory! Dieser große Mann wurde nicht von meiner Vagina dahingerafft, okay?«, rief Paris. »Er hatte gerade ein Shakespeare-Seminar. Ein Sommernachtstraum. Er hat den Puck gelesen, und dann, plötzlich, war Stille. Die Studenten waren hin und weg. Zuerst haben sie's gar nicht geschnallt. Sie dachten, es gehört dazu. Es war wie bei Dick Shawn, dem Schauspieler.« Paris hatte sich zwar ganz gut im Griff, allerdings bemerkte ich trotzdem das Zittern in ihrer Stimme, das hin und wieder durchdrang. Sie konnte zwar eine schreckliche Nervensäge sein – aber in diesem Moment tat sie mir einfach nur schrecklich Leid, und ich fragte sie, wo sie gerade war. »Ich bin in seiner Wohnung und versuche, den Haushalt aufzulösen«, erklärte Paris. »Und seine Verwandten führen sich natürlich auf wie verzogene Gören. Die interessieren sich bloß dafür, was sie kriegen. Wenn ich noch mal einen Streit wegen eines Chippendale-Schreibtisches schlichten muss, flipp ich hier völlig aus.« Paris ließ sich in einen Sessel sinken und sah sich traurig um. »Und der Anwalt, der das Testament eröffnen soll, ist bescheuert«, erklärte sie dann. »Reden wir erst gar nicht von der Beerdigung. Er wollte verbrannt werden, aber du ahnst nicht, wie dreckig das Krematorium hier ist. Also hab ich ihn nach Cambridge überführen lassen, das angeblich berühmt für seine Krematorien ist. Die Überführung war ein einziger Albtraum. Seine Tochter war völlig empört deswegen, aber wo war sie Thanksgiving, hä?« »Kann ich dir denn irgendwie helfen?« »Nein, danke«, antwortete sie und gab nach einer kleinen Pause zu, dass sie einfach nur traurig sei. Sie sagte das ganz schlicht und ohne die sonstige Hysterie, und deshalb wirkte ihre Trauer umso glaubhafter. Das, was sie tat, tat sie nicht, um sich zu profilieren, sondern schlicht aus dem Grund, dass ihr Asher Flemming viel bedeutet hatte. Wie viel sie ihm bedeutet hatte – nun, das konnte man jetzt nicht mehr klären. Bevor ich - 121 -
auflegte, wünschte ich ihr noch viel Kraft, und dann sah ich mich nach Marty um. »Asher Flemming ist gestorben«, erklärte ich. »Im Bett?« »Nein.« »Verdammt«, meinte Marty. »Dann hab ich die Wette verloren.« Nachdem ich abgereist war, hatte Mom von zu Hause aus noch einige Dinge für das Hotel organisiert, aber ungefähr eine Stunde später wollte sie persönlich nach dem Rechten sehen. Das Spätsommerwetter war weiterhin fantastisch. Abends musste man zwar bereits eine Jacke überwerfen, tagsüber jedoch brauchte man das noch nicht. Es war angenehm und sonnig, und Mom beschloss daher, zu Fuß zum Dragonfly zu gehen. Unterwegs begegnete sie Miss Patty, Babette und Mrs Cassini, und man konnte die drei mit Fug und Recht das Nachrichtentriumvirat von Stars Hollow nennen. Sie wussten über alles Bescheid, was in Stars Hollow vor sich ging. Wer mit wem, wann und warum Streit hatte, welche Paare sich gefunden und welche sich getrennt hatten, oder wer im Lotto oder bei einem Preisrätsel gewonnen hatte: Babette und Miss Patty wussten einfach alles. Und Mrs Cassini stand ihnen kaum in irgendetwas nach und hatte auch immer die eine oder andere brandheiße Information zum Klatsch beizusteuern. Auch an diesem Tag standen die drei tuschelnd und kichernd vor dem Zeitungskiosk, in dem Mom noch rasch eine Zeitschrift kaufte. Als sie herauskam und Babette hörte, die ein ungläubiges ›Ist das wahr?‹ ausstieß, war auch ihre Neugierde geweckt, und sie gesellte sich zu den dreien. »Hi, Ladys!«, rief sie. »Gibt's 'wieder neuen Tratsch?« Die drei Damen nickten wissend, und Babette beugte sich als Erste vor. »Jerry Cutlers neue Frau Annabelle …«, begann sie viel sagend, kam allerdings nicht weiter, denn Miss Patty
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platzte damit heraus, dass Jerry ihre im Bad versteckte Geburtsurkunde gefunden habe. Babette kicherte: »Anscheinend hatte die 24-jährige ehemalige ›Miss Magnolienblüte‹ ein kleines Geheimnis.« »Was denn?«, meinte Mom und blickte erwartungsvoll von einer zur anderen. »Ihr Geburtsjahr!«, lüftete Miss Patty das Geheimnis, worauf die beiden anderen in schallendes Gelächter ausbrachen. »Demnach ist 24 anscheinend der Code für 36«, erklärte Babette kichernd und schlug sich vor Freude auf die dicken Schenkel. »Jerry, der Blödmann, ist auf ne Schlampe reingefallen, die ein Jahr älter ist als die Frau, die er ihretwegen verlassen hat«, fügte Babette hinzu. »Das ist echt gut fürs Karma!« Wieder ertönte schallendes Gelächter, und auch Mom musste schmunzeln. Das war wirklich mal wieder eine lustige Neuigkeit. Alle Achtung! »CNN ist nichts gegen euch, Kinder«, lobte sie und winkte den Damen dann zu. »Also dann!« »Wir sehen uns, Schätzchen«, rief ihr Babette nach, dann steckte sie wieder mit Miss Patty und Mrs Cassini die Köpfe zusammen, denn Mrs Cassini schnitt das nächste Thema an. Ob Miss Patty und Babette schon wüssten, dass Marilyn Horn in Wirklichkeit ein Mann war …? Marty und ich hatten uns, nachdem alle meine Sachen im Branford-Haus waren, draußen auf dem Campus verabredet, um Neuigkeiten auszutauschen, von den Ferien zu erzählen, eine Limonade zu trinken und die Sonnenstrahlen zu genießen. Und Marty hatte wirklich Neuigkeiten, die diesen Namen verdienten. Er hatte in den Ferien erfahren, dass er nicht der Sohn seines Vaters war, sondern seines Onkels. Eine Tatsache, die ihn nicht allzu sehr erstaunte, fand er doch die Ähnlichkeit zwischen sich und seinem Onkel, schon seit er denken konnte, überaus frappierend. - 123 -
»Ist ja nicht zu fassen. Nach so vielen Jahren hat's dir deine Mutter jetzt erzählt?« Marty nickte. »Ich schwör's, mein Dad war ganz erleichtert.« »Echt unglaublich«, staunte ich und nahm einen Schluck von meiner Limonade. Dann wollte Marty wissen, was bei mir so alles passiert war. Ich hatte natürlich nicht vor, von meinem ersten Mal zu erzählen, das wäre der Vertraulichkeit zu viel gewesen, aber ich wollte gerade mit einem Europa-Bericht beginnen, als eine Gruppe von Jungs, zwei von ihnen mit ihren Model-Freundinnen im Arm, Marty anrempelten. »Hey, dich kenn ich«, rief einer von ihnen, den mir Marty später als Logan vorstellte. »Moment, sag nichts. Du bist mal in 'ner Uniform rumgerannt, oder?« »Ich hab auf einer deiner Feten mal Drinks gemixt«, nickte Marty und sah beklommen aus. Ich sagte nichts, sondern begnügte mich damit, die Typen kühl zu mustern und mir meinen Teil zu denken. Sie sahen allesamt aus wie neureiche, verwöhnte, hohle Schnösel, die nichts im Kopf hatten außer Football, Partys und Frauen. Typen, die sich was darauf einbildeten, mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden zu sein. Typen eben, die auf Jungs wie Marty herabschauten, so als sei es ein persönlicher Makel, nicht reich geboren worden zu sein. »Ja, genau, richtig. Du hast Talent, Mann.« Logan klopfte Marty gönnerhaft auf die Schulter. »Nett, dich wiederzusehen. Wie heißt du noch mal?« »Marty«, antwortete Marty und deutete auf mich. »Äh, das ist Rory.« »Hi«, nickte Logan mir zu. »Also, ich nehme an, du stehst dieses Jahr auch zur Verfügung. Oder hat sich deine finanzielle Lage geändert?« Er wartete kurz, bis Marty verneint hatte, dann erklärte er, dass er ihn anrufen würde, und zog mit seinen Kumpels weiter. Der unsympathischste von ihnen blieb noch kurz stehen und musterte Marty abschätzig von oben bis unten. - 124 -
»Richtig geiles Outfit«, höhnte er und sah mich dann provozierend an. »Ich versteh, was du an ihm findest.« »Hör auf zu ätzen, Quinn«, versuchte Logan ihn zwar zu bremsen – doch Quinn dachte gar nicht daran. »Was? Würd ich nie tun!«, rief er. »Ich bin ein Freund aller Menschen, ob groß oder auch verdammt klein.« Bei »verdammt klein« musterte er Marty wieder, sodass auch wirklich jeder Trottel begreifen musste, wen er damit meinte, dann endlich drehte er sich um und folgte seinen Freunden. »Ich kann die echt nicht ausstehen«, stöhnte Marty, als wir beide wieder alleine waren. »Ehrlich?«, fragte ich und trank meine Limonade aus. »Ich weiß gar nicht warum …«
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»Wow!«, rief ich aus, als ich zurück in der Wohnung war und die Bescherung sah: Nichts stand mehr an dem Platz, an dem es zuvor gestanden hatte, und selbst mein Zimmer war nicht mehr in dem Raum, in dem es vorher gewesen war. Dafür gab es nur eine Erklärung: Paris war wieder da. So war es auch, denn noch während ich dastand und staunte, kam Paris aus ihrem Zimmer geschossen. »Ich hab 'n bisschen was verändert«, erklärte sie überflüssigerweise. »Und ich hab die Zimmer getauscht. Meins wirkt kleiner, aber dafür kriegt deins weniger Sonne, also musst du dich nicht wegen Hautkrebs sorgen.« Als ich sie so dastehen sah, blasser als sonst, mit schwarzem Rock und schwarzem Oberteil, da konnte ich wegen ihres eigenmächtigen Vorgehens nicht sauer sein. Außerdem hatte ich mich auch schon daran gewöhnt. Jetzt tat sie mir einfach nur Leid, und ich ging zu ihr und nahm sie in die Arme. »Hey, tut mir Leid«, meinte ich. »Wie geht's dir?« »Danke«, antwortete Paris. Sie versuchte sich zusammenzureißen, straffte den Rücken und atmete kurz durch. »So weit geht's mir ganz gut«, erklärte sie. »Ich bin froh, hier zu sein, wo sich niemand um 'ne Erstausgabe von Faulkner prügelt. Seine Enkeltochter Sarah ist die Schlimmste. Wär die Urne in ihren Augen etwas wert, hätte sie die auch noch ins Täschchen gestopft!« »Hör zu, Paris«, erklärte ich und versuchte sie zu beruhigen. »Du musst das nicht alles regeln. Das ist nicht deine Aufgabe.« »Ja, ich weiß. Aber ich möchte, dass sein Andenken geehrt wird.« Paris setzte sich auf die Couch und schüttelte dann den Kopf. »Ich kann nicht glauben, dass er tot ist. Er hinterlässt mir seine Manuskripte. Wenn Sarah das erfährt, dann wird sie mich - 126 -
mit Sicherheit vor den Kadi zerren!« Sie stand wieder auf, ging ein paar Schritte auf und ab und blieb schließlich vor mir stehen. »Hör zu«, erklärte sie, »ich würde gern eine Totenwache zu Ashers Ehren halten. Hier. So haben die Leute Gelegenheit, ihm die letzte Ehre zu erweisen und sich zu verabschieden. Meiner Meinung nach wird so was immer wichtiger, und ich halte es für richtig.« »Klar«, nickte ich. Ich hatte zwar das Gefühl, dass es leicht übertrieben war, bei uns eine Totenwache abzuhalten – schließlich war die Beziehung zwischen Paris und Asher während seiner Lebzeiten gar nicht offiziell gewesen –, aber ich wusste auch, dass ich das Paris sowieso nicht ausreden konnte. Warum dann erst versuchen? »Danke«, erwiderte Paris, griff dann zum Telefon und begann mit der Organisation. Lorelai hatte schon den ganzen Tag überlegt, was sie für das Date am Abend anziehen sollte. Es sollte nicht zu dick aufgetragen wirken, sondern natürlich; gleichzeitig sollte es doch ein wenig ausgefallen und sexy sein. Nach langem Hin und Her entschied sie sich für die knackige Jeans, die Luke bereits am Mittag positiv aufgefallen war, und zog dazu ein edel glänzendes, sandfarbenes Top an, von dessen Ausschnitt ein kleiner Volant bis zum unteren Rand führte und den Blick des Betrachters einfing. Als es Zeit war, schnappte sie sich ihre Jacke und eine Handtasche und ging hinaus, um zu Luke zu laufen. Für sie war klar, dass sie sich zuerst bei ihm trafen. Sie war schließlich jeden Tag bei ihm, viel öfter, als Luke bei ihr. Allerdings hatte sie nicht beachtet, dass sich die Vorzeichen völlig verändert hatten. Luke und sie trafen sich schließlich nicht einfach so, nein, sie hatten ein Date! Als sie die Treppen vor der Haustür hinuntersprang, stieß sie fast mit Luke zusammen, der gerade aus seinem Auto gestiegen war, um sie abzuholen. - 127 -
»Oh, hey«, meinte er, und der Blick, mit dem er sie musterte, zeigte deutlich, dass sie mit ihrer Klamottenwahl einen Volltreffer gelandet hatte. »Ich wollte dich gerade abholen. Oder sollte ich das etwa nicht?« »Oh, doch!«, rief Lorelai. »Ich hab nur gedacht, wir treffen uns bei dir im Laden. Aber …« Sie machte eine kurze Pause und fasste sich an den Kopf. »Ich hätte davon ausgehen müssen. Das hier ist ein Date. Da ist es klar, dass er zur ihr geht, also …« »Entschuldige«, meinte Luke unbeholfen. »Nein, nein, mir tut es Leid«, sagte Mom. Was sie nie für möglich gehalten hatte, war plötzlich eingetreten. Sie war total aufgeregt! Ihr zitterten die Knie! Wegen Luke! »Ich kann ja wieder reingehen«, schlug sie vor und wollte schon auf dem Absatz kehrtmachen, doch Luke hielt sie zurück. »Nicht doch, lassen wir das. Du bist hier draußen, also … Fahren wir doch!« Luke ging wie ein vollendeter Gentleman mit Mom um den Wagen herum. »Hör zu, du musst mir doch nicht die …« »Doch«, antwortete Luke bestimmt, hielt ihr die Tür auf, wartete, bis sie im Wagen saß, und machte dann die Tür auch wieder zu. »So, bitte.« »Wir schaffen das irgendwann schon auch lockerer«, meinte Mom verlegen, nachdem Luke neben ihr Platz genommen hatte. Und dann ließ sie sich überraschen. Sie staunte nicht schlecht, als Luke mit ihr in ein Restaurant im Nachbarort fuhr, in dem sie noch nie gewesen war. Es sah sehr nett aus, ziemlich groß und ein wenig wie aus einem Westernfilm. Luke musste schon öfter hier gewesen sein, denn er führte sie zielstrebig an einen großen Tisch, auf dem ein »Reserviert«-Kärtchen stand. »Hätte uns nicht eine Bedienung an den Tisch führen sollen?«, fragte Mom irritiert und erkundigte sich dann, ob das etwa so ein Mafia-Ding sei. »Äh, wie bitte?« - 128 -
»Na ja, wir kommen hier rein, und für uns ist ein besonderer Tisch reserviert. Müssen wir jetzt erst einen abknallen, bevor wir die Suppe kriegen?« »Nein, für diese Woche hab ich genug geknallt«, antwortete Luke. »Oh, war das zweideutig?« Mom blickte ihn in gespielter Entrüstung an. »Ja, absolut.« In diesem Moment kam eine kleine, ältere Dame zu ihnen, die Luke offenbar gut kannte. Jedenfalls redete sie ihn mit seinem richtigen Namen »Lucas« an, und als Luke sie kommen sah, stand er auch gleich auf und nahm die Lady mit dem lustigen Topf-Haarschnitt und der runden Brille in die Arme. »Wie, du setzt dich einfach hin, wo du willst?«, fragte Mazie entrüstet, während sie Luke links und rechts ein Küsschen auf die Wange drückte. »Wir führen ein anständiges Haus, Lucas, nicht so was wie deine Haschbude!« Dann machte sie sich los und blinzelte Lorelai neugierig über den Tisch an. »Und das ist bestimmt deine junge Lady, nicht? Hallo, ich bin Mazie.« Sie reichte Mom die Hand, und diese stand sogleich auf. »Hi, ich bin Lorelai«, antwortete Mom und blickte sich dann in dem Laden um. »Ich finds hübsch hier.« Mazie lächelte ein wenig stolz und erzählte, das Lokal sei in früheren Zeiten ein Puff gewesen. »Mir gefällt die frivole Vergangenheit des Hauses!«, stellte sie fest. »Das haben nämlich die besten Lokale.« »Und auch die besten Menschen«, ergänzte Mom, und damit hatte sie bei Mazie sogleich einen Stein im Brett. »Die besten Menschen«, wiederholte sie. »Sehr schön gesagt. Buddy!« Sie winkte einen älteren Herrn herbei. »Buddy, das ist Lorelai.« Buddy war offensichtlich Mazies Ehemann. Er war ungefähr so alt wie Mazie, und auch seine Augen blitzten erfreut und neugierig, als er Mom begrüßte. »Das ist sehr aufregend für uns«, erklärte Mazie. »Sonst kommt Lucas nie in Begleitung von Frauen hierher.« Sie rief - 129 -
eine ihrer Kellnerinnen und trug ihr auf, eine Flasche Wasser und eine Flasche Sekt herbeizuschaffen. »Lorelai, es hat mich sehr gefreut!«, meinte Mazie dann und reichte Mom die Hand. Dann legte sie Luke den Arm auf die Schulter. »Und, äh, er ist was Besonderes, unser Lucas.« »Das hab ich auch schon gehört«, grinste Mom und blickte Mazie lächelnd nach, bis sie in der Küche verschwunden war. Dann sah sie Luke an. »Die kennen dich ja«, stellte sie fest. »Das liegt daran, dass ich im Schnitt zwei- oder dreimal die Woche hier bin, zum Frühstück oder zum Abendessen. Eben immer, wenn ich gerade Zeit hab.« »Oh, mein Gott!«, rief Mom und tat entgeistert. »Luke hat auch sein Luke's.« »Ja«, gab Luke lächelnd zu und wurde dann ernst. »Weißt du, ich kenne Mazie und Bud schon mein Leben lang. Mazie war auf derselben Schule wie meine Mutter. Und dann, irgendwann später, als mein Dad starb und ich aus seinem Laden ein Café machen wollte, da hat mir Buddy sehr geholfen. Er ist ein netter Kerl. Er hat mir beigebracht, wie man ein Restaurant führt, Bestellungen aufnimmt, eben alles. Ohne die beiden hätt ich's nicht geschafft.« »Ich finds super hier«, stellte Lorelai fest. Die Geschichte hatte sie gerührt. Und wenn ihr das alte Ehepaar nicht schon auf den ersten Blick sympathisch gewesen wäre, dann wären sie es spätestens jetzt geworden. »Wie lange haben sie den Laden schon?« »Die Geschichte steht hinten auf der Speisekarte«, erklärte Luke, und Mom ließ sich das nicht zweimal sagen. Ihre Neugier war geweckt. »Sniffy's Tavern, eine Liebesgeschichte« Mom seufzte bei dem Wort »Liebesgeschichte« kurz auf und fing dann an, vorzulesen: »Mazie Fortner und Bertram Buddy Linns lernten sich bei einem Basketballspiel ihrer Schule kennen. Sie spielte mit, er - 130 -
nicht. Sie verliebten sich ineinander und waren bald verheiratet. Buddy war in der Molkerei angestellt und Mazie in der Schule. Aber sie träumten davon, irgendwann ein Restaurant zu eröffnen, in dem Freunde und Familie zusammenkommen und jeden Tag mit ihnen essen und lachen konnten. Eines Tages lief ihnen Sniffy weg, ihr über alles geliebter Hund. Mazie und Buddy suchten die ganze Stadt nach ihm ab. Irgendwann kamen sie zu einer abbruchreifen alten Taverne, die mit Brettern vernagelt war. Drinnen hörten sie einen Hund jaulen. Daraufhin brachen sie die Tür auf, und vor ihnen lag Sniffy unter einem herabgestürzten Balken. Mazie und Buddy befreiten Sniffy und fuhren mit ihm zum Tierarzt, der ihn sofort einer Notoperation unterzog.« Mom hob den Blick von der Speisekarte. »Oh, mein Gott!«, stöhnte sie. »Hat Paul Thomas Anderson das geschrieben? Kürzen, bitte!« »Du musst es ja nicht zu Ende lesen. Du wirst nachher nicht abgefragt«, antwortete Luke, der die Geschichte natürlich schon längst kannte. »Ich bin fast durch«, entgegnete Mom und las weiter: »Vier Stunden später war Sniffy tot.« Sie legte die Karte beiseite und sah Luke fassungslos an. »Sniffy war tot? Ist das echt ihr Ernst? Wo bleibt denn das Happy End?« Luke zuckte die Schultern. »So war's nun mal.« »Niemand liest die Rückseite einer Speisekarte, um die Wahrheit zu erfahren!«, rief Mom. »Die Leute wollen etwas lesen, das sie aufheitert und fröhlich stimmt. Deshalb liest man die Rückseite der Speisekarte.« »Es gibt gar nicht so viele Leute, die das überhaupt machen«, wandte Luke ein. »Und falls dich das irgendwie tröstet, Sniffy war etwa hundertfünfzigtausend Jahre alt.« Er wartete, bis die Kellnerin den Sekt eingegossen hatte, und hob dann sein Glas.
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»Hey«, meinte er und lächelte Mom zärtlich zu. »Also, auf dich.« »Darauf trink ich«, antwortete Mom und nahm einen großen Schluck. »Es ist nett hier«, wiederholte sie und blickte sich noch einmal in dem Lokal um. Sie war immer noch ziemlich aufgeregt und überlegte, wann genau sie Luke eigentlich kennen gelernt hatte. »Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung?« Sie blickte Luke über den Tisch hinweg forschend an. »Ich versuch mich zu erinnern, wie unsere erste Begegnung gelaufen ist. Das muss bei dir im Laden gewesen sein.« »Stimmt«, nickte Luke. Er konnte sich noch ganz genau erinnern – und er wusste, dass er das auch sein ganzes Leben niemals vergessen würde. »Es war so um die Mittagszeit. An dem Tag hat die Luft gebrannt. Es war brechend voll. Und da stürmt 'ne Frau …« »Uh, das bin ich, hab ich Recht?« Lorelai war ganz aufgeregt. Sie war gespannt, an was sich Luke noch alles erinnern würde. »Diese Frau also stürmt in meinen Laden, total auf Koffeinentzug«, fuhr Luke fort. »Ich bediene einen Gast, sie unterbricht mich mit aufgerissenen Augen und bettelt um einen Kaffee. Ich sage ihr, sie soll warten, bis sie dran ist. Aber sie rennt mir hinterher und redet wie 'n Wasserfall, erzählt Gott weiß-was. Ich dreh mich also irgendwann zu ihr um und sage ihr, dass sie mir auf die Eier geht. Sie soll sich hinsetzen und warten, bis sie bedient wird.« »Also, ich wette, sie ist nicht mal sauer geworden. Die Frau scheint echt gut drauf zu sein«, meinte Mom, doch ihrer Stimme war anzumerken, dass sie ziemlich beeindruckt war, wie genau sich Luke an ihre erste Begegnung erinnern konnte. »Dann fragt sie mich nach meinem Geburtstag«, fuhr Luke unbeirrt fort. »Ich antworte nicht. Sie hört nicht auf zu reden, also sag ich ihr doch, wann ich Geburtstag hab. Dann fängt sie - 132 -
plötzlich an, die Zeitung durchzublättern, denn sie sucht die Horoskopseite. Schreibt irgendwas auf, reißt es raus und gibt mir den Fetzen.« »Luke, sei ehrlich. Du hast die Speisekarte geschrieben!« Luke ließ sich nicht durcheinander bringen. Mit ruhiger Stimme erzählte er weiter. »Ich werf also 'n Blick auf den Fetzen in meiner Hand, und unter Skorpion hat sie notiert: ›Sie begegnen heute einer nervigen Frau. Geben Sie ihr einen Kaffee, dann geht sie wieder.‹ Ich hab ihr den Kaffee gegeben.« »Aber sie ist nicht wieder gegangen.« Luke nickte und kramte dann nach seiner Brieftasche. »Sie hat mir gesagt, ich soll diesen Zettel aufheben, in meine Brieftasche legen und ihn immer dabei haben. Dann bringt er mir irgendwann Glück.« Er öffnete seine Brieftasche und zog einen kleinen, vergilbten Zettel heraus. Als er ihn Mom reichte, erkannte sie, dass es tatsächlich der Horoskop-Zettel war, den sie ihm damals gegeben hatte. Mom bekam weiche Knie. Sie fand es wahnsinnig romantisch von Luke und merkte, dass ihr vor Rührung die Tränen in die Augen stiegen. »Unglaublich, dass du ihn immer noch hast«, flüsterte sie. »Immer noch in deiner Brieftasche.« »Seit acht Jahren«, antwortete Luke und sah ihr tief in die Augen. »Lorelai, diese Geschichte hier mit uns beiden … Ich will dir nur sagen, ich mein's ernst. Ich mein's total ernst.« Er wartete auf eine Reaktion, doch Lorelai sagte nichts. »Macht dir das Angst?«, fragte er und blickte Mom forschend in die Augen. Mom lächelte. Nein, es machte ihr keine Angst. Sie war nur beeindruckt, zutiefst gerührt und so glücklich, wie sie es schon ziemlich lange nicht mehr mit einem Mann gewesen war. Als Lorelai ein paar Stunden später erschöpft und glücklich neben Luke im Bett lag, konnte sie es immer noch nicht fassen.
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»Unglaublich, du hast das Horoskop aufgehoben.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf und strich Luke über die Brust. »Du hast Glück, dass ich nie meine Brieftasche ausräume.« Lorelai kicherte und setzte sich ein wenig auf. »Du kannst es nicht mehr zurücknehmen!«, rief sie. »Du hast dich mir vorhin geöffnet. Du hast dich nach mir verzehrt! Ich bin deine Ava Gardner.« »Nein, lieber nicht«, stöhnte Luke, und dann wurde er mit einem Mal sehr ernst. »Hör zu, lass uns eins mal von vornherein klären.« Mom sah ihm erstaunt dabei zu, wie er nach einem Block griff und einen Stift vom Nachttisch nahm. Als Luke endlich mit der Sprache rausrückte, musste sie grinsen. »Sag mir, welche CDs ich holen soll. Dann kriegen wir keinen Stress deswegen«, meinte er, nahm den Stift und sah sie fragend an. Doch dann fiel ihm noch was ein. »Nur keine Bands aus den Achtzigern, bei denen die Jungs wie Piraten rumlaufen. Da hört der Spaß echt auf.« Lorelai war hin und weg und gab Luke einen zärtlichen Kuss. »Das war wirklich ein ganz tolles erstes Date.« »Bis dahin hat's ja auch nur acht Jahre gedauert«, antwortete Luke, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und tippte dann mit dem Zeigefinger auf den Block. »Okay, also, U2, stimmt's?« »Ja«, meinte Lorelai. »Bono ist ein Muss. Und Blondie. Und Sparks, ganz besonders die letzte. Und vergiss nicht Bowie.« Hier hatte Luke allerdings einen Einwand. »Nein, das geht nicht. Der ist doch auch mal als Pirat rumgelaufen.« »Als Marsmännchen«, verbesserte Mom. Und damit hatte sie Bowie ebenfalls auf der Liste. Es ging noch eine Weile so weiter, dann schliefen sie beide erschöpft und glücklich Arm in Arm ein. Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, war es definitiv noch viel zu früh. »Böser Wecker, böser, böser Wecker«, beschwerte sich Mom. Sie konnte noch nicht einmal die Augen aufmachen und fragte Luke, wie spät es sei. - 134 -
»Ganz früh«, antwortete Luke benommen. Er konnte sich auch nicht vorstellen, jetzt schon aufzustehen. »Ich hasse das«, grummelte Mom. »Ganz früh ist Scheiße.« Dann aber riss sie sich zusammen. Es half alles nichts, sie musste aufstehen. Sie musste ins Hotel, sie wollte sich heute neue Schuhe kaufen – und außerdem wollte sie ganz dringend einen Kaffee trinken. Als Luke murmelte, dass er keinen Kaffee in der Wohnung hätte, beschloss Lorelai eben, im Café welchen zu holen. Sie nahm sich das erstbeste Kleidungsstück, das ihr in die Hände fiel – es war ein blau-weiß-kariertes Hemd von Luke – knöpfte es notdürftig zu und tapste die Treppe hinunter in den Laden. Allerdings wurde ihre Caféexpedition dort jäh gestoppt. Luke's Diner war bis auf den letzten Platz besetzt, und als die halb nackte Lorelai in der Tür aufgetaucht war, verstummten alle Gespräche, und zirka dreißig Augenpaare richteten sich mit unverhohlener Neugierde auf sie. Lorelai brauchte eine Schrecksekunde um zu realisieren, was da gerade passierte – doch als sie die Situation endlich erfasst hatte, drehte sie sich rasch um, rannte die Treppe wieder hinauf, baute sich vor Lukes Bett auf und erklärte ihm, dass es jetzt alle wüssten. »Was redest du da bloß?«, grummelte Luke und machte widerwillig die Augen ein wenig auf. Als er Lorelai vor dem Bett stehen sah, runzelte er die Stirn. »Wieso hast du mein Hemd an?« »Na, weil ich unten Kaffee holen wollte«, erklärte Mom betreten. »Der Laden ist offen.« »Ist nicht dein Ernst!« Mom zog eine kleine Grimasse. »Weißt du, ich dachte, wenn du nicht da bist, ist er zu.« »Caesar hat aufgemacht«, erklärte Luke. Er hatte die Vorbereitung für das Date wirklich ernst genommen. Er hatte alles geplant. Sogar das Ausschlafen am Morgen danach. Aber - 135 -
vielleicht hätte er Lorelai besser darüber in Kenntnis setzen sollen. Er überlegte, wie er sie beruhigen konnte, und meinte dann, dass es möglicherweise niemandem aufgefallen sei, da sie ja dauernd in verrückten Outfits herumlaufen würde. Lorelai schüttelte den Kopf und zeigte mit den Händen theatralisch nach unten. »Dazu gehören immer Hosen.« »Na gut, dann wissen's jetzt alle. Was soll's. Irgendwann hätten sie's ja sowieso erfahren.« Luke hätte den Zeitpunkt zwar auch lieber selbst bestimmt, wann sie ihre Beziehung öffentlich machten – aber da es nun einmal geschehen war, stellte es auch kein weiteres Problem dar. Okay. Ein klitzekleines Problem war es schon, denn Stars Hollow war nun einmal eine Stadt, in der solche Neuigkeiten wieder und wieder neu erzählt und diskutiert wurden. Er und Lorelai waren sich sicher, dass sie vor nächstem Jahr sicher nicht ihre Ruhe haben würden. Aber irgendwann, trösteten sie sich, wäre schon wieder alles beim Alten. Ich saß in Yale auf der Wohnzimmercouch und las in einem Roman, doch meine Konzentration war mangelhaft. Der Grund war Paris, die in einer schier unglaublichen Umtriebigkeit die Totenwache vorbereitete. Sie war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet und schaffte immer mehr von Ashers Romanen auf unseren Couchtisch, die sie dort in hohen Stapeln neben Schwarz-Weiß-Fotos von Asher arrangierte. »Ganz schön viele Bücher hast du da«, sprach ich sie an und überlegte, aus wie vielen Bücher wohl diese Stapel bestehen mochten, und mit wie vielen Totenwache-Gästen sie dementsprechend rechnete. »Schon der Umstand, dass die Buchhandlung so viele vorrätig hatte, zeigt doch unsere armseligen Lesegewohnheiten«, antwortete Paris und legte weitere Bücher auf den Tisch. Ich hatte ein wenig die Befürchtung, dass Paris enttäuscht werden würde, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass viele - 136 -
Menschen ausgerechnet zu uns kommen würden, um dort eine Totenwache für ihren ehemaligen Professor abzuhalten. Dennoch: Ich wollte sie jetzt nicht alleine lassen und bot ihr meine Hilfe an. »Das schaff ich schon«, meinte sie mit Blick auf die Bücher und holte dann einen Stapel Plakate aus dem Regal, den sie mir in die Hand drückte. »Aber bei denen könntest du mir helfen«, erklärte sie. »Hängst du die bitte auf?« »So viele Plakate?«, staunte ich. »Jeder, der diesem großen Mann die letzte Ehre erweisen will, soll die Möglichkeit dazu kriegen«, nickte Paris. Sie nahm die Angelegenheit wirklich sehr ernst und nun, da ich ihr schon einmal meine Hilfe angeboten hatte, konnte ich schlecht einen Rückzieher machen … Ich nahm also die Plakate auf den Arm und machte mich auf den Weg zu sämtlichen schwarzen Brettern Yales. Und das waren einige. Doch bevor ich mit meiner Arbeit richtig loslegen konnte, lief ich beinahe in drei Jungs rein, die ich ziemlich unangenehm in Erinnerung hatte. Es waren Logan, sein bescheuerter Freund Quinn und noch einer, dessen Namen ich nicht kannte. Die drei gehörten zu der Clique, die am Tag zuvor Marty von oben herab behandelt hatten. Da ich vor einem schwarzen Brett stand, drehte ich mich schnell mit dem Rücken zu ihnen um und lauschte. Dem Gespräch nach, das sie führten, ging es um irgendein Mädchen, das sie wohl hier im Branford-Haus suchten. Das wunderte mich nicht im Geringsten. Ich hatte die ganze Clique exakt so eingeschätzt. Partys, Frauen und Football – mehr hatten sie nicht zu bieten. Als sie allerdings vor meiner Tür hielten und dabei waren, eine Telefonnummer auf einen Zettel zu schreiben, stellte ich mich vor sie. »Kann ich euch helfen?«, wollte ich wissen. »Nein danke«, antwortete Logan. »Ich wohne hier!«
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Logan grinste mich anzüglich an. »Okay, schreib meine Nummer auf!«, befahl er Quinn und musterte mich von oben bis unten. »Stimmt das auch tatsächlich?«, fragte Quinn. »Und ich hätte schwören können, dass sie hier wohnt.« Er hörte sich ziemlich niedergeschlagen darüber an, dass nur ich und nicht seine Angebetete hier wohnte. »Ich versteh ja, dass du enttäuscht bist, weil du 'ne Seelenverwandte verloren hast, aber hier ist mein Zimmer«, erklärte ich. »Entschuldige die Verwechslung«, schaltete sich Logan wieder ein. »Mein Freund meint's wirklich nicht böse. Er lernt noch, dass sich Guinness und Blondinen nicht vertragen.« »Rothaarige!«, korrigierte Quinn. »Wir entschuldigen uns aufrichtig und gehen wieder, damit du weiter deine Poster aufhängen kannst, von …« Logan nahm eines meiner Plakate und guckte angewidert drauf, »… diesem alten Sack.« »Professor Asher Flemming!«, verbesserte ich grimmig. »Gab's keine von Orlando Bloom?« »Professor Flemming ist letzte Woche gestorben. Wir halten 'ne Totenwache.« Wütend riss ich ihm das Plakat aus der Hand. »Ach so«, meinte Logan viel sagend, »dann warst du mit Flemming …« Er machte mit seinen Händen eine eindeutige Geste. »Nein!«, rief ich empört. »'tschuldigung. Aber du hängst Poster von ihm im Flur auf. Logisch, dass ich glaube, er war mehr für dich als nur 'n Dozent.« »Ja, er war mehr als nur ein Dozent. Er war ein großer Schriftsteller, eine Quelle der Inspiration und noch vieles mehr, was du bestimmt nicht verstehen kannst.« Ich funkelte ihn böse an, und als Logan mir daraufhin vorwarf, dass ich anscheinend
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etwas gegen ihn hätte, obwohl ich ihn überhaupt nicht kannte, da war er bei mir exakt an der richtigen Adresse. »Natürlich kenne ich dich«, antwortete ich. »Wir sind uns gestern schon begegnet. Marty war auch da. Mein Freund Marty. Er war Barkeeper auf einer deiner Feten.« Jetzt erst schien er sich zu erinnern. Er hatte mich gestern anscheinend tatsächlich überhaupt nicht wahrgenommen. »Ja, Marty«, wiederholte er. »Tut mir Leid, hatte ich völlig vergessen. Klar hab ich dich gestern mit Marty getroffen. Schön, dich wiederzusehen …« »Rory«, half ich ihm auf die Sprünge. »Schön, dich wiederzusehen, Rory. Du siehst richtig süß aus, wenn du sauer bist.« »Ich bin nicht sauer!«, rief ich aufgebracht. »Ich bin nur total genervt.« »Bloß weil ich im Augenblick vergessen hab, wer du bist?« Logan sah mich belustigt an, und das brachte mich noch mehr auf die Palme. »Nein!«, rief ich. »Weil du mit Leuten sprichst, als wärst du was Besseres!« »Leute?« »Marty!« Logan grinste wieder anzüglich. »Ah, dein Freund Marty.« »Ja, mein Freund Marty. Du hast ihn gestern behandelt wie den letzten Dreck. Deshalb hab ich was gegen dich.« Logan wollte sich damit verteidigen, dass er Marty ja wohl nur gesagt hätte, dass er gute Margaritas mixen könne, und fragte mich, was daran so schrecklich gewesen sei, doch ich ließ ihn nicht ausreden. »Es geht nicht um das, was du gesagt hast, sondern wie«, erklärte ich. »Nur weil jemand kein Geld hat oder keine vornehme Familie, ist er nicht weniger wert als du. Nur weil einer mal als Barkeeper für dich und deine Freunde arbeitet, darfst du ihn noch lange nicht behandeln, als wär er dein - 139 -
Diener!« Mit diesen Worten machte ich auf dem Absatz kehrt und ließ Logan stehen, doch als der mir nachrief, dass er Marty dafür bezahlt habe, dass dieser ihn bediente, wie es Diener tun, sah ich rot und rannte zurück. »Ist das dein Ernst?!«, schrie ich ihn an. Logan grinste. »Ich bin der Advocatus Diaboli.« »Das war ein Job für ihn!« »Zu dem er nicht gezwungen wurde. Und wenn du ihn fragst, wird er dir sagen, dass er damals reichlich Trinkgeld bekommen hat, weil meine Freunde gern viel trinken.« »Aber dass du jemanden bezahlst, gibt dir nicht das Recht, ihn herablassend zu behandeln!« »Die Tatsache, dass wir in einem freien Land leben, gibt mir das Recht, jeden Menschen so zu behandeln, wie ich es für richtig halte. Vielleicht missbilligt die Gesellschaft offen zur Schau getragenen Snobismus, und wenn das dein Argument ist …« Anscheinend hatte Logan nun Gefallen daran gefunden, mich zu provozieren, aber mir war die Lust auf dieses Gespräch gründlich vergangen. »Ich hab gar kein Argument. Ich hab zu tun«, antwortete ich deshalb, und als er immer noch nicht aufhörte und mir vorwarf einzuknicken, da bemühte ich mich, ruhig und sachlich zu bleiben, während ich noch einmal zusammenfasste: »Ich kann es nicht leiden, wenn jemand meinen Freunden wehtut.« »Richte Marty Grüße aus«, antwortete Logan und grinste mich dann wieder an. »Und ich verspreche dir, nächstes Mal erkenn ich dich sofort. Sag jetzt bloß nicht, es hat dir nicht gefallen.« Damit ging er seinem Kumpel hinterher, der eine Etage über uns das Zimmer der Rothaarigen gefunden hatte, und sagte: »Master and Commander.« »Du meinst den Film?«, rief ich ihm hinterher. »Nein«, grinste Logan, »so hast du mich in Zukunft anzureden.«
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Okay, das reichte fürs Erste! Ich hatte zwar kein einziges Plakat aufgehängt, aber nach diesem Gespräch brauchte ich erst einmal meine Ruhe und ging deshalb zurück in unsere Wohnung. Als ich die Tür öffnete, kamen mit schwere Rauchschwaden entgegen, und durch den Nebel sah ich Paris auf dem Sofa sitzen und Ashers Pfeife rauchen. »Ich wollte nur noch ein einziges Mal nach ihm riechen«, erklärte sie tonlos und nahm traurig den nächsten Zug. Ich sah sie kurz an, dann wusste ich, was zu tun war. Ich setzte mich neben sie und nahm sie einfach nur in die Arme.
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Ein paar Stunden, nachdem sich Mom unfreiwilligerweise den Gästen von Luke's Diner in ihrer ganzen Morgenschönheit gezeigt hatte, begegnete sie dem CNN von Stars Hollow: Miss Patty, Babette und Mrs Cassini. Die drei standen wie so oft zusammen vor dem Zeitungskiosk und tauschten die neuesten Informationen aus. Mom war sich sicher, dass Luke und sie die Information des Tages waren und ging zu ihnen, um herauszukriegen, wie viel die drei schon wussten. »Morgen, Ladys!«, rief sie gut gelaunt und stellte sich schräg hinter Miss Patty und Babette. »Oh, Morgen, Süße«, antwortete Babette und hörte dann gespannt Mrs Cassinis Bericht zu, dass Sampson und Delilah Saperstein wieder zusammen seien. »Das überrascht mich nicht. Sie sind füreinander geschaffen«, kommentierte Babette, und Miss Patty konnte ihr nur zustimmen. »Schön, dass sie sich wieder vertragen haben«, meinte sie. »Dann gibt's bald wieder eine dieser fabelhaften Streitereien, und so was brauchen wir dringend. Sonst ist ja hier nichts los.« Lorelai runzelte leicht die Stirn. Hatte sie richtig gehört? Waren Sampson und Delilah Saperstein das Thema des Tages und Luke und sie noch nicht mal eine Kurzmeldung wert? Sie konnte das nicht glauben und beschloss deshalb, weiter stehen zu bleiben. Als Mrs Cassini jedoch als nächstes Thema die Senkung der kostenlosen Parkzeit vor dem Drugstore auf zwanzig von vormals dreißig Minuten anschnitt, begriff Mom, dass Luke und sie anscheinend tatsächlich keine Meldung wert waren. »Hört zu, ähm, ich muss jetzt los, denn die Arbeit ruft«, verabschiedete sie sich von den Ladys und blieb noch kurz
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unschlüssig stehen, als wartete sie auf irgendwas. Aber es kam nichts! »Machs gut, Schatz!«, rief Miss Patty, und Babette trug ihr auf, mir einen Kuss zu geben – und dann wandten sie sich dem nächsten Thema zu. Diesmal ging es um die geschrumpften PoImplantate von Rosella. Mom machte sich einigermaßen verstört auf zum Hotel. Dort angekommen griff sie als Allererstes zum Telefon und wählte Lukes Nummer. »Niemand weiß es. Ich schwör's«, platzte sie heraus, kaum, dass sich Luke gemeldet hatte. »Was? Woher weißt du das?« »Vorhin hab ich unsere Tratschtüten vom Dienst getroffen. Und die haben nichts gesagt.« Luke vermutete, dass die drei aus Respekt oder Taktgefühl geschwiegen hätten. »Babette? Miss Patty?«, fragte Mom. Das konnte sie sich bei den beiden nun wirklich nicht vorstellen. »Vielleicht wollten sie dich nicht in Verlegenheit bringen, weißt du?« »Babette? Miss Patty?« »Oder vielleicht wollten …« Luke kratzte sich am Kinn und zog seine Baseballkappe zurecht, dann gab er auf. »Ich weiß auch nicht.« »Hat dir gegenüber jemand was erwähnt?«, horchte Mom nach. »Babette? Miss Patty?« Sie konnte einfach nicht glauben, dass über Lukes und ihr Verhältnis einfach so hinweggegangen wurde! Und obwohl ihr davor gegraust hatte, monatelang neugierige Fragen beantworten zu müssen und anzügliche Bemerkungen zu hören – jetzt, wo es ganz danach aussah, als würde all das gar nicht passieren, kränkte es Mom beinahe. Und als Luke mutmaßte, dass es Babette, Miss Patty und Mrs Cassini vielleicht einfach nicht interessierte, was mit ihm und Mom sei, da platzte es aus ihr auch heraus.
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»Das wär doch auch irgendwie blöd«, meinte sie beleidigt. »Ist doch schön, wenn jemand 'n bisschen Interesse zeigt.« »Hör zu, du kannst es auch so betrachten: Es ist jetzt raus, und es muss uns nicht mehr kratzen. Wir genießen einfach, was wir haben«, antwortete Luke und wollte dann wissen, ob sie sich am Abend sehen würden. Doch für Mom war die Sache noch nicht vom Tisch. »Liz Taylor und Richard Burton konnten nicht ausgehen, ohne dass es jemand mitgekriegt hat!« »Okay«, schlug Luke vor. »Ich fang an zu saufen, du legst fünfhundert Pfund zu, und wir starten den nächsten Versuch.« Mom grinste und verabredete sich mit Luke für sieben Uhr. Er wollte sie abholen und dann mit ihr ins Kino gehen. Was sie unbedingt noch tun wollte, bevor sie ins Kino gingen: Wie jeden Donnerstag war auch heute Abend eine Stadtversammlung anberaumt. Wie immer mit Taylor Doose als Moderator, der die jeweiligen Tagesordnungspunkte vorstellte. Mom ließ sich keine dieser Versammlungen entgehen, denn schließlich boten sie eine prima Möglichkeit, sich auf dem neuesten Stand zu halten. Und davon profitierte nicht nur sie, sondern auch ich, denn immer, wenn so eine Versammlung stattgefunden hatte, erhielt ich am nächsten Tag einen detaillierten Bericht. Im Hause meiner Großeltern hatte sich die Situation nicht verändert. Im Gegenteil. Sie gingen sich so gut es ging aus dem Weg und besprachen sich nur, um anstehende gesellschaftliche Pflichtveranstaltungen aufzuteilen. Wenn Grandpa beispielsweise zum Dinner der Gesellschaft für Herz- und Kreislauf-Probleme ging, fuhr Grandma pflichtbewusst zu einer Veranstaltung zu Gunsten Not leidender Pferdezüchter. Zwischen diesen Besprechungen sahen sie sich kaum, aber Grandma war darum bemüht, sich selbst und Richard und überhaupt der ganzen Welt zu zeigen, wie gut es ihr ging. Auch an diesem Abend ließ sie es sich nicht nehmen, im großen - 144 -
Speisesaal gediegen zu Abend zu essen. Die Tischdekoration war sogar besonders üppig und bestand aus einem Bouquet von roten Rosen, und auch auf die musikalische Untermalung hatte Grandma besonderes Augenmerk gelegt. Anders als zu den Zeiten, in denen Richard die Musik ausgesucht hatte und deshalb nur klassische Klavierkonzerte von Mozart und zwischendurch mal eine Oper gehört wurden, gab es bei Grandma nun leichtere und beschwingtere Kost. Sie hörte gerne Musical-Stücke aus den Vierzigern, und auch jetzt klang äußerst fröhliche Tanzmusik durch den Speisesaal. Gut gelaunt legte Grandma ihr Silberbesteck beiseite und tupfte sich mit der Damastserviette die Lippen ab. Dann rief sie ihr neues Dienstmädchen herbei, das auf den großartigen Namen »Madonna Louise« hörte. Madonna Louise war so etwas wie ein weiblicher Jeeves. Sie war als Mädchen für alles eingestellt worden und sollte Grandmas Wünsche erfüllen. Allerdings mutete der Begriff »Mädchen« im Zusammenhang mit Madonna Louise merkwürdig an. Sie war sehr groß, bestimmt einsachtzig, und ziemlich schwer. Unter der Haube waren ihre Haare zu einem Dutt gedreht, und alles in allem wirkte sie, als wäre sie aus einem Gutshaus zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende entsprungen. Aber sie war eine Seele von Mensch und hatte Nerven aus Drahtseilen. Und das war natürlich ein wichtiges Kriterium, wenn es darum ging, für meine Grandma zu arbeiten. Das wichtigste vielleicht. »Soll ich Ihnen das Dessert bringen, Mrs Gilmore?« Madonna Louise machte einen kleinen Knicks. »Nein danke«, antwortete Grandma, legte die Serviette beiseite und überlegte sich neue Anweisungen. »Stellen Sie den Geschirrspüler nicht an, er ist noch nicht voll.« »Sehr wohl, Mrs Gilmore.« Madonna Louise wollte schon das Geschirr abräumen, doch Grandma ließ sie mit einer Handbewegung innehalten.
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»Ich hab vorhin einen üblen Geruch in der nordöstlichen Ecke der Küche bemerkt«, erklärte sie, und als ihr Madonna Louise beichtete, dort wegen der Ameisen gesprüht zu haben, erschien ein strenger Zug in Grandmas Gesicht. »Oh, Madonna Louise, ich sagte Ihnen doch schon, Sie dürfen dieses Gift nicht überall versprühen. Töten Sie einfach die Kundschafterameisen, und dann können die den andern nicht mehr mitteilen, wo was zu fressen ist.« »Ich weiß, Mrs Gilmore.« »Beseitigen Sie die Kundschafter oder nehmen Sie die Kreide, die wir in Chinatown gekauft haben.« »Ist gut, Mrs Gilmore.« »Madonna Louise?« »Ja, Mrs Gilmore?« Grandmas Lippen umspielte ein bezauberndes Lächeln. »Das Omelett hat wirklich gut geschmeckt.« »Danke, Mrs Gilmore«, rief Madonna Louise, und ihre Wangen röteten sich vor Freude. Dann aber machte sie sich daran den Tisch abzuräumen, und Grandma erhob sich. Die Platte war zu Ende, und es war mit einem Mal sehr ruhig im Haus. Grandma wanderte von einer Ecke zur anderen, durchmaß den Speisesaal in alle Richtungen und ging dann in den Salon zur Couch, wo sie sich die Kissen zurechtlegte. Dann setzte sie sich und nahm die Biografie in die Hand, die sie gerade las. Aber schon nach zwei Zeilen legte sie das Buch wieder beiseite. Es war so still im ganzen Haus, dass sie richtig unruhig wurde. Sie schüttelte kurz den Kopf und wollte schon die Treppe hochgehen, als sie plötzlich Grandpas Wagentür hörte. Sofort sprang sie zum Fenster und sah gerade noch, wie er den Motor anließ und davonfuhr. Alarmiert griff sie zum Hörer und wählte Moms Nummer. Mom war gerade mit Luke auf dem Weg zur Versammlung. Er war noch nie auf so einer Versammlung gewesen und hatte auch keine große Lust, etwas daran zu ändern, sodass Moms - 146 -
ganze Überredungskunst gefragt war. Sie erklärte Luke gerade, wie toll so eine Versammlung sei, als ihr Telefon klingelte. Weil sie durch Luke so abgelenkt war, machte sie den großen Fehler, ans Telefon zu gehen, ohne auf das Display zu schauen … Mom bereute es sofort, denn am anderen Ende war niemand anderes als ihre Mutter, die aufgebracht von ihrer Beobachtung erzählte. »Eben ist etwas ganz Eigenartiges passiert. Es war halb acht. Ich war gerade mit dem Essen fertig und wollte nach oben gehen, um etwas zu lesen, da hab ich ein Auto gehört. Ich bin zum Fenster gegangen und hab gerade noch gesehen, wie dein Vater wegfuhr. Um halb acht abends fährt er mit dem Auto weg!« Emily schnappte hörbar nach Luft, so aufgeregt war sie – und die Tatsache, dass ihre Tochter völlig unbeeindruckt blieb, machte sie wütend. »Was denn, ist er rückwärts gefahren oder auf den Hinterreifen?«, fragte Lorelai, doch Grandma sah das anders. Ihr reichte die Tatsache, dass Richard überhaupt um diese Uhrzeit irgendwohin fuhr, und Moms Erklärungsversuch, dass er vielleicht einfach nur zu einem geschäftlichen Meeting wollte, ließ sie nicht gelten. »Abends um halb acht? Ist er unter die Schwarzbrenner gegangen?« Lorelai wurde zunehmend unruhig, denn die Versammlung hatte bestimmt schon angefangen. »Mom, tut mir Leid, aber ich hab jetzt gleich einen Termin«, sagte sie daher. »Können wir nicht später weiterreden?« »Oh, aber sicher doch!«, rief Emily böse. »Nichts liegt mir ferner, als dich von irgendwelchen unwichtigen Terminen abzuhalten!« »Klasse. Danke, Mom! Bis dann!« Lorelai legte auf und kniff Luke in den Arm. »Du bist schuld! Du hast mich mit deinem Gejammer über die Versammlung abgelenkt. Ich war unkonzentriert und hab nicht nachgesehen, wer anruft, bevor - 147 -
ich rangehe.« Dann grinste sie ihn an. »Mann, ist das toll, jemanden zu haben, dem man die Schuld geben kann!« Als Mom und Luke die Tür zum Versammlungsraum öffneten, sahen sie, dass fast alle Plätze schon besetzt waren und die Versammlung bereits angefangen hatte. Sie setzten sich so leise wie möglich in die letzte Reihe und spitzten die Ohren, um nicht noch mehr zu verpassen. Mom war Vollprofi, was solche Versammlungen anging, deshalb hatte sie auch jede Menge Proviant zum Knabbern dabei. Sobald sie saßen, kramte sie in ihrer Handtasche herum und zog eine große Tüte mit Süßkram hervor. Sie bot Luke davon an, der jedoch dankend ablehnte, und stopfte sich dann ein paar Gummibärchen in den Mund. Vorne ging es gerade um den Fall Gypsy gegen Andrew. Andrew war vor dem Gartencenter in ein paar Ständer mit Pflanzen gefahren und gab Gypsy die Schuld daran, da diese den Blumenständer anscheinend hinterlistig hinter seinen Wagen gestellt hatte. Gypsy wiederum bezichtigte Andrew, losgerast zu sein wie ein Formel-Eins-Weltmeister und den Unfall regelrecht heraufbeschworen zu haben. Bei der abschließenden Abstimmung wurde festgelegt, dass Gypsy die Schuld an dem Unfall trug und für den Schaden des Gartencenters aufkommen musste. Als sich die beiden Kontrahenten gesetzt hatten, räusperte sich Taylor Doose vorne am Rednerpult und blickte dann gewichtig in die Versammlung. »Also, lasst uns zum nächsten Tagesordnungspunkt kommen!«, begann er und räusperte sich erneut. »Gerade haben wir Kenntnis von einem ausgesprochen ernsten Umstand erhalten, und deshalb möchte ich jetzt eine Diskussion über die negativen Auswirkungen einer Beziehung zwischen der Hotelinhaberin Lorelai Gilmore und dem Cafébesitzer Luke Danes anregen.«
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»Die reden ja über uns«, flüsterte Luke erschrocken. Mom nickte gespannt und schob sich die nächste Hand voll Gummibärchen in den Mund. »Nun, wie Sie alle wissen, hat das von uns seit langem befürchtete Verhältnis zwischen den beiden nun tatsächlich eingesetzt, und wir müssen sorgfältig abwägen, ob wir das billigen können oder nicht«, fuhr Taylor fort, und als Luke empört dazwischenrief, dass er und Mom immerhin anwesend seien, wog Taylor Doose bedenklich den Kopf. »Ja, wir sehen euch, Luke. Und als Bürger dieser Stadt darfst du auch gern deine Meinung zum Ausdruck bringen. Und hiermit eröffne ich die Diskussion!« Er machte eine kurze Pause, wartete bis der ganze Saal mucksmäuschenstill war und begann dann damit, das Problem in seiner ganzen Tragweite darzustellen. »Luke's Diner ist eine Institution in dieser Stadt. Die meisten von uns essen regelmäßig dort. Das Dragonfly Inn, obwohl neuer als Luke's Diner, ist für unsere Gemeinde ebenfalls sehr wichtig geworden. Eine Verbindung der Eigentümer dieser zwei Etablissements kann eigentlich nur zu einer Katastrophe führen.« Wieder machte er eine kleine Pause, um seine Worte richtig wirken zu lassen. »Bedenken wir die Konsequenzen!«, hob er dann an. »Was wird passieren, wenn die Beziehung in die Brüche geht? Und das trifft, wenn wir ehrlich sind, auf die meisten von Lorelais Beziehungen zu.« »Hey!«, unterbrach ihn Mom von der letzten Reihe aus empört. Aber ihr wurde keine Beachtung geschenkt. Alle Augenpaare waren gespannt auf Taylor Doose gerichtet. »Wir müssten uns entscheiden! Jeder wäre dann auf einmal ein Luke oder eine Lorelai, oder, wenn man Kirk heißt und sich grundsätzlich nicht entscheiden kann, weder das eine noch das andere. Das ist schlimm für die Wirtschaft und schlimm für unsere Stadt. Ich bin strikt dagegen!« »Ich finde, du übertreibst ganz schön, Taylor«, meldete sich Babette zu Wort, doch Taylor Doose winkte ab. - 149 -
»Herrschaften, muss ich noch mal daran erinnern, was mit Fay Wellington und Art Brush war? Hm? Ist das nötig?« Ein Raunen ging durch den Saal. Die meisten konnten sich noch sehr gut an die schlimme Geschichte erinnern: Fay Wellington hatte ein Blumengeschäft und Art Brush einen Süßwarenladen, als die beiden sich vor ungefähr zehn Jahren unsterblich ineinander verliebten. Es war die Romanze von Stars Hollow, da waren sich alle einig, und eine Weile lief auch alles perfekt. Perfekt für die beiden und perfekt für Stars Hollow, denn von dieser Zeit an gab es tolle Blumen-und Süßwaren-Komplettaktionen. Es lief so lange wunderbar, bis Art Brush Margie traf. Margie war die Königin der Pralinen, und Art gab Fay den Laufpass. Ganz Stars Hollow hatte sich damals in zwei Lager gespalten, und von nun an gab es nur noch das eine oder das andere. Blumen oder Süßwaren. Beides zusammen ging nicht, wodurch Termine wie der Valentinstag zu einem regelrechten Albtraum wurden. »Schließlich sah sich Art auf Grund der Anfeindungen gezwungen wegzuziehen«, erklärte Taylor. »Fay hat niemals geheiratet, hörte auf, Süßwaren herzustellen, und die Läden der beiden standen ein volles Jahr lang leer. Niemand wollte mehr dort einziehen.« »Gott, das klingt ja grauenvoll!«, rief Mom und sah Luke dann schockiert an. »Vielleicht haben die damit Recht.« »Nein, die haben nicht Recht damit«, antwortete Luke und stand dann auf. »Das ist doch Irrsinn!«, rief er Taylor zu. Er hatte ihn noch nie gut leiden können, und nach diesem Abend würde sich daran auch sicher niemals mehr etwas ändern! »Ich glaub auf keinen Fall, dass sich die Trennung von Fay Wellington und Art Brush irgendwie auf die Wirtschaft der Stadt ausgewirkt hat.« »Tja, zu deinem Glück hab ich die Schautafeln da«, erklärte Taylor süffisant. Er war mächtig stolz darauf, sich so gut vorbereitet zu haben. - 150 -
»Du hast Schautafeln für die Liebe zweier Menschen, die vor zehn Jahren hier gelebt haben?« Luke schnappte nach Luft. Er fand das ungeheuerlich, geradezu grotesk und schüttelte fassungslos den Kopf, während Mom so gespannt war, was als Nächstes passieren würde, dass sie ihre gesamte SüßigkeitenRation schon fast aufgegessen hatte. Dummerweise klingelte genau in diesem Augenblick Moms Telefon, und sie war wieder zu unaufmerksam, um auf das Display zu achten … was sie eine Sekunde später bereuen sollte, denn wieder war es Emily »Dein Vater ist um halb neun zurückgekommen. Er ist vor fünf Minuten im Poolhaus verschwunden, dann hat er sich wieder ins Auto gesetzt und ist noch mal weggefahren!«, erklärte ihre Mutter aufgebracht und ohne Umschweife. »Mom«, stöhnte Lorelai. »Mom, es ist wirklich gerade nicht …« »Er treibt sich zu nachtschlafender Zeit wer weiß wo herum!«, rief Emily. Mom gab Luke ein Zeichen, dass sie kurz vor die Tür musste und fragte Grandma dann, wo sie überhaupt steckte. Sie hörte sich so weit weg an; zu Hause war sie anscheinend nicht. »Park Road«, schnaubte Grandma. »Ich werde ganz sicher nicht allein im Dunkeln herumsitzen und wie eine italienische Witwe trauern. Wenn er ausgehen kann, dann kann ich das auch. Und jetzt bin ich unterwegs. Ich dachte, ich geh was essen. Ich hab zwar schon gegessen, aber wenn Richard zweimal essen kann, dann kann ich das ja wohl auch. Also wollte ich in ein Restaurant gehen, das ich aus meiner CollegeZeit kenne. Und weißt du, was da war? Eine Autowerkstatt und nebenan ein Laden mit nicht jugendfreien T-Shirts!« »Mom, das ist doch idiotisch!«, rief Lorelai. »Willst du nicht nach Hause fahren?« »Ich will doch nicht vor ihm wieder zu Hause sein!«, antwortete Grandma grimmig. »Ich fahre so lange durch die - 151 -
Gegend, bis ich mir sicher bin, dass dein Vater zurück ist. Soll er sich ruhig mal Sorgen machen, wo ich so lange stecke.« »Hör zu«, meinte Mom, die von den Kindereien genug hatte. »Ich kann jetzt nicht mit dir reden. Ich ruf dich nachher an.« »Nachher bin ich vielleicht tot!«, fuhr Grandma schwere Geschütze auf. »Niemand außer dir und Rory weiß, dass wir uns getrennt haben.« »Pass auf, tut mir Leid, Mom. Aber ich hab im Moment zu tun. Und Rory muss sich in Yale einleben, sie ist gerade erst wieder hingefahren. Wenn du nicht mit deinen Freundinnen reden kannst, Pech. Augenblicklich hab ich für dich leider keine Zeit.« »Verstehe«, giftete Grandma und legte wutentbrannt auf. Mom holte tief Luft und lief dann wieder hinein zu der Versammlung. Gerade unterhielten sich alle über die Schaubilder und darüber, wie die Stadt aufzuteilen sei, wenn Luke und Lorelai sich wieder trennen würden. »Ich glaub, die Karte stimmt nicht ganz«, meinte Babette. »Luke würde auf jeden Fall den Nordwesten kriegen, weil da nämlich die Angelstelle ist.« »Okay, es reicht!«, rief Luke. Er erhob sich von seinem Platz und stapfte nach vorn. »Ich hab genug gehört!« Er baute sich vor Taylor auf und nahm ihm sein Schaubild ab. »Das ist meine Beziehung, verstanden? Meine, nicht deine, nicht deine und auch nicht deine.« Er hatte mit dem Zeigefinger erst auf sich selbst und dann auf Taylor, Babette und Kirk gezeigt. Dann blickte er Mom an. »Deine und meine«, erklärte er, »aber nicht eure!« Er warf einen bösen Blick in den Saal. »Und ich will keine weitere Debatte darüber hören, ob es 'ne gute Idee ist, wenn zwischen uns irgendwas läuft, denn das ist längst geschehen!« »Zeig ihnen mal das Horoskop!«, rief Mom von hinten. Sie platzte vor Stolz, dass sich Luke so für sie einsetzte – und es wurde noch besser. Denn als Taylor einwarf, was denn wäre, - 152 -
wenn sie sich trennen würden, fiel ihm Luke energisch ins Wort. »Taylor!«, rief er, »eine Trennung wird es niemals geben!« »Na, das ist ja ein optimistischer Bursche!«, grinste Gypsy. »Na schön«, lenkte Luke ein. »Falls wir uns doch trennen, verschwinde ich eben. Dann schließ ich meinen Laden und ziehe ganz weit weg von hier, und keiner von euch ist gezwungen zu wählen. Dann wird die ganze Stadt pink!« »Gibst du uns dein Wort darauf?«, fragte Taylor. »Ich geb euch mein Wort darauf, und dir zeige ich noch den Stinkefinger, Taylor!« »Notieren Sie das«, wies Taylor die Dame zu seiner Linken an, die die Aufgabe hatte, Protokoll zu führen. »Wir haben sein Wort. Und, äh, das mit dem Finger lassen Sie weg!« Dann räusperte er sich und griff zum Mikrofon. »Na schön, Herrschaften, offensichtlich ist also der Fall Gilmore und Danes gegen Stars Hollow endgültig geklärt. Nächste Woche werden gemäß des Regierungsbeschlusses Fingerabdrücke von allen genommen. Wir schließen die Sitzung!« Unsere Wohnung in Yale war voller Studenten. Mindestens vierzig Leute waren unseren Plakaten gefolgt, um angemessen von Professor Flemming Abschied zu nehmen, und Paris achtete darauf, dass auch jeder eines seiner Bücher erhielt. In Paris' Augen war der Abend ein voller Erfolg – ich sah das allerdings etwas anders, denn die meisten der hier Anwesenden hielten die Totenwache für eine schräge Party und hatten weder jemals ein Seminar Flemmings besucht noch eines seiner Bücher gelesen. »Ich versuch schon den ganzen Abend, die Leute davon abzubringen, Asher den ›toten alten Sack‹ zu nennen«, erklärte ich Marty, der sich zu mir gestellt hatte, und als er wissen wollte, ob Paris das wüsste, verneinte ich und erklärte, dass Paris Gott sei Dank eben Paris sei. Weiter kam ich nicht, denn Paris kam auf uns zu, um Marty zu begrüßen. - 153 -
»Hi, Marty. Schön, dass du kommen konntest.« Sie deutete auf die Bücherstapel. »Bitte, nimm dir auch eins davon«, meinte sie und wandte sich dann an mich. »Ich freu mich, dass so viele Leute da sind. Ich weiß zwar, dass er sehr beliebt war, aber das hier ist überwältigend.« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie irgendwelche Volltrottel ein Bierfass anschleppen wollten, und gab Marty rasch ein Zeichen, dass er sich um sie kümmern sollte. Paris bekam davon zum Glück nichts mit. Sie war ganz gefangen in ihrer Trauer und starrte mit einem Mal apathisch vor sich hin. »Es ist irgendwie seltsam, aber Asher ist auf dem Höhepunkt meiner Leidenschaft für ihn gestorben«, erklärte sie. »Ich frage mich, was passiert wäre, hätte er weitergelebt. Hätte ich ihn dann bis in alle Ewigkeit geliebt?« »Ich weiß es nicht«, antwortete ich beklommen. Das war nicht mein Thema. Ganz sicher nicht. »Er ist gestorben, bevor ich's rausfinden konnte. Und jetzt werd ich ihn wohl für immer lieben. Er ist mein Mike Todd!« Paris war den Tränen nah, aber ich konnte nichts darauf erwidern, denn mein Telefon klingelte. Es war Mom, die immer wieder nur drei Wörter sagte: »Tut mir Leid, tut mir Leid, tut mir Leid, tut mir Leid.« »Was denn?«, fragte ich, bekam aber im selben Moment von der anderen Seite des Raumes die Antwort. »Rory!« Es war Grandma, die in der Tür stand, mir zuwinkte und nun auf mich zukam. »Tut mir Leid, tut mir Leid, tut mir Leid«, erklärte Mom nochmals – dann legten wir auf. »Weißt du«, erklärte Grandma und gab mir ein Küsschen auf die Wange, »ich musste einfach aus dem Haus raus. Deine Mutter hat mir gesagt, dass du hier bist. Also dachte ich mir, ich sag kurz Hallo.« Sie blickte sich um und fragte mich dann irritiert, warum denn überall Bilder von Asher Flemming - 154 -
herumstanden. Grandma kannte ihn natürlich auch, er war schließlich ein alter Freund von Grandpa gewesen. Ihr Freund war er allerdings niemals gewesen, und sie konnte ihn genauso wenig leiden wie ich. »Das ist 'ne Totenwache für Professor Flemming«, erklärte ich. »Er ist gestorben.« »Man sollte eigentlich annehmen, dein Großvater hätte mir das gesagt, aber nein. Er wird mich noch zwingen, zur Beerdigung dieses furchtbaren Menschen zu gehen.« »Die ist schon vorbei«, beruhigte ich Grandma. »Gott sei Dank!« In diesem Moment kam Paris auf uns zu, besser gesagt auf Grandma, der sie schluchzend um den Hals fiel. »Emily!«, rief sie in völliger Verkennung der Tatsachen. »Es bedeutet mir so viel, dass Sie gekommen sind.« »Oh, nun ja, Asher war seinen Studenten immer sehr zugetan«, erwiderte Grandma und nahm Paris an die Hand, um sie zum Sofa zu führen. »Ach, nicht doch, Sie dürfen jetzt nicht weinen! In Yale gibt es so viele gute Dozenten. Paris, nun beruhigen Sie sich doch. Ist doch nicht so schlimm.« »Root Beer?«, fragte Marty, der sich erneut zu mir gestellt hatte. »Ja. Danke, Marty!«, antwortete ich und lächelte ihn an. »Danke für alles. Du warst mir heute wirklich 'ne große Hilfe.« »Für dich tu ich doch fast alles«, erwiderte er und sah mich dann irgendwie merkwürdig an. Er druckste ein wenig herum, und schließlich fragte er mich, ob ich einen festen Freund hätte. »Reine Neugierde«, erklärte er schnell. »Du erwähnst nie einen Freund, und ich seh hier auch keinen, mit dem du zusammen bist. Da wollt ich bloß wissen, was Sache ist.« Ich hatte Dean mehr oder minder erfolgreich aus meinen Gedanken gedrängt – jetzt aber holten sie mich mit voller Wucht ein. »Ich weiß nicht«, antwortete ich und wurde mit einem Mal sehr traurig. - 155 -
»Okay«, meinte Marty gedehnt. »Also, was genau hat das zu bedeuten: ›Ich weiß nicht?‹« »Ich weiß es nicht«, wiederholte ich. »Aber eigentlich sollte dir das doch klar sein, oder?« Ich sah ihn ein paar Sekunden lang schweigend an, und dann war mir plötzlich zumindest klar, dass ich dringend etwas klären musste. Und zwar noch heute Abend! »Hör zu, entschuldigst du mich kurz mal, Marty?«, fragte ich, wartete seine Antwort allerdings gar nicht erst ab, sondern ließ den verdutzen Marty einfach stehen. Aus den Augenwinkeln sah ich Grandma zusammen mit Paris auf dem Sofa sitzen, und als ich die beiden so versorgt wusste, hielt mich nichts mehr in Yale. Ich rannte hinaus, sprang in mein Auto und fuhr nach Stars Hollow zu Dean. Und als er mir öffnete, mich ansah und dann zur Seite trat, um mich ins Haus zu lassen, da wusste ich, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Würde jetzt alles gut werden? Würden wir zwei noch mal ganz von vorne anfangen können? Ohne Lindsay, ohne Theresa, ohne Jess und ohne Heimlichtuerei? Ich wünschte es mir so sehr – und an diesem Abend war ich mit einem Mal voller Optimismus.
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