Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
Für Cliff und seine Leute...
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Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes ORION mit Oberst Cliff McLane und seiner Crew.
Für Cliff und seine Leute ist der wohlverdiente Urlaub auf Terra nur von kurzer Dauer. Die Raumbehörde benötigt die Weltraumasse der ORION dringend für einen neuen Einsatz. Drei Wahnsinnige steuern mit einem gestohlenen Raumschiff den weitab gelegenen Planeten Caernavan't an. Die ORION nimmt die Verfolgung auf, und als das Raumschiff auf dem Planeten landet, geschehen seltsame und gespenstische Dinge. Eine mittelalterliche Burg entsteht aus dem Nichts, fremde Lebewesen unterstützen die geistesgestörten Flüchtlinge und treiben die Menschen an den Rand des Wahnsinns.
Alle Romane nach der großen Fernsehserie RAUMSCHIFF ORION erscheinen als Taschenbuch im MOEWIG-VERLAG.
Vom gleichen Autor erschienen bisher folgende Raumschiff-Orion-Romane: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Angriff aus dem All (T 134) Planet außer Kurs (T 136) Die Hüter des Gesetzes (T 138) Deserteure (T 140) Kampf um die Sonne (T 142) Die Raumfalle (T 144) Invasion (T 146) Die Erde in Gefahr (T 152) Planet der Illusionen (T 154) Wettflug mit dem Tod (T 156) Schneller als das Licht (T 158) Die Mordwespen (T 160) Kosmische Marionetten (O 13) Die tödliche Ebene (O 14) Schiff aus der Zukunft (O 15) Verschollen im All (O 17) Safari im Kosmos (O 18) Die unsichtbaren Herrscher (O 19) Der stählerne Mond (O 20) Staatsfeind Nummer Eins (O 21) Der Mann aus der Vergangenheit (O 22) Entführt in die Unendlichkeit (O 23) Die phantastischen Planeten (O 24) Gefahr für Basis 104 (O 25)
HANS KNEIFEL
RAUMSCHIFF ORION
DIE SCHWARZEN SCHMETTERLINGE Zukunftsroman Deutsche Erstveröffentlichung
E-Book by »Menolly«
MOEWIG-VERLAG MÜNCHEN Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Für den Moewig-Verlag nach Ideen zur großen Fernsehserie RAUMPATROUILLE, produziert von der Bavaria-Atelier GmbH, geschrieben von Hans Kneifel
Copyright © 1970 by Arthur Moewig-Verlag Printed in Germany 1970 Titelfoto: Bavaria-Atelier GmbH. Umschlag: Ott & Heidmann design Gesamtherstellung: H. Mühlberger, Augsburg Der Verkaufspreis dieses Bandes enthält die gesetzliche Mehrwertsteuer.
1 Flor D'Agricola war hundertneunzig Zentimeter groß und ging stets etwas vornübergebeugt. Seine großen Augen, von vielen Falten umgeben, schienen immer leicht irritiert zu blicken, aber das täuschte: Flor war Filmproduzent. Er wurde als einer der erfolgreichsten Männer seines Gewerbes bezeichnet, und dieser Umstand ließ auf seinen Charakter schließen. Er trug einen übermäßig teuren Anzug, der wie die stilistische Kombination eines Raumanzuges mit der Kleidung eines australischen Schafhirten wirkte, benützte in zu großer Menge ein teures Herrenparfüm, und die hochhackigen Stiefel, ohne die er acht Zentimeter kleiner wurde, stellten ein Meisterwerk kombinierter Handwerkskunst dar. Sie waren, jetzt, im Zeitalter der guten, preiswerten Massenware, handgearbeitet und mit leuchtenden Säumen verziert. Die Schlangenlinien und Muster leuchteten bei jedem Schritt in einer anderen Farbe auf. »Wie weit ist es denn noch, beim Sirius?« fragte er mürrisch. »›Beim Sirius‹ ist im Moment außer Mode, Flor«, sagte seine Sekretärin, ein aufregendes Wesen mit hellblauem Haar, Minirock und engen, weißen Stiefeln. »Sie sollten andere Fixsterne verwenden, wenn es schon sein muß. Außerdem haben wir nur noch zwei Kilometer zurückzulegen.« »Beim Rigel!« knurrte D'Agricola. »Noch zwei Kilometer! Nimmt denn die Röhre kein Ende?« Alxeste nickte und erwiderte geduldig: »Doch, jetzt etwa in achtzehnhundert Metern!«
Flor D'Agricola und Alxeste standen auf einem weißen Laufband, das sich mit ziemlich hoher Geschwindigkeit bewegte. Es führte, von einer acht Meter durchmessenden Plexiglasröhre umgeben, von Kap Beatrice hinaus nach Süden, zu der kleinen Insel ORION-Island, jenseits der Südspitze von Groote Eylandt. »Ich bekomme einen klaustrophobischen Anfall!« stöhnte Flor plötzlich auf. Unbeeindruckt winkte Alxeste ab und hielt mit einer Hand das dicke Manuskript fest. »Sehen Sie nach draußen, Flor!« empfahl sie. »Vielleicht fällt Ihnen dabei etwas ein. Ich bin sicher, daß Ihnen etwas einfällt!« Flor gab unmutig zurück: »Mir fällt ein, daß ich Durst bekomme. Aber nicht auf Meerwasser!« Er bekam keine Antwort. Eine grünliche Dämmerung umgab sie. Die einzelnen Bauteile der submarinen Röhre waren auf Betonklötzen gelagert. Das Laufband führte, durch eine niedrige Kunststoffbarriere getrennt, in beide Richtungen – hinaus nach ORION-Island und zurück nach Kap Beatrice. Draußen zogen Fischschwärme vorbei, Plankton wirbelte durch das Wasser. Die sichelförmigen Reflexe des Sonnenlichtes auf den Wellen waren hier nur schwach sichtbar. Durch den vier Kilometer langen Stollen wehte ein leichter Wind, die Luft war angenehm kühl. Ein Fisch glotzte Alxeste an und schwamm, die Schnauze dicht am Plexiglas, eine Weile neben den beiden Menschen her. Sie waren allein hier unten, nur einmal fuhr auf der Gegenbahn eine einsame Flugtasche an ihnen vorüber und ent-
fernte sich, von Alxestes verwundertem Blick begleitet. Einige weitere Minuten vergingen, dann tauchte nach einer leichten Krümmung der Transportröhre die Endstation auf. Sowohl Flor wie auch Alxeste wußten, daß ihre Aufgabe alles andere als leicht war – sie brauchten einen Mann, der seinerseits sie nicht im geringsten brauchte. Eine solche Konstellation erschwerte jede Art von Verhandlungen. Die zwei Besucher wechselten auf die langsameren Bänder über und bremsten schließlich vor einer schrägen Rampe ab. Flor schaute sich um. »Sieht ziemlich futuristisch aus«, bemerkte er anerkennend. »Kein Wunder«, sagte seine Sekretärin halblaut. »Das Gebäude ist auch erst vor drei Monaten bezogen worden.« »Verstehe.« Sie gingen langsam durch eine Art zylindrischer Halle, deren Hälfte ebenfalls direkt auf das Meer hinauszeigte. Fische, Tang und Korallen waren die natürlichen Dekorationen. Drei Liftröhren befanden sich rechts, in verschiedenen Größen. Noch immer war niemand zu sehen. »Wo wohnt dieser exotische Mensch?« fragte der Filmproduzent. Alxeste deutete nach oben und antwortete: »Im obersten, im hundertsten Stockwerk!« Mißbilligend murmelte D'Agricola: »Weiter hinauf hätte er nicht mehr ziehen können, wie? Beim Rigel! Muß wirklich ein schwieriger Mensch sein.« Alxeste sagte mild:
»Weiter oben sind nur Wolken, Flor. Kommen Sie... wir brauchen keine Treppen zu steigen.« Der Lift brachte sie binnen Sekunden nach oben. Sie traten auf eine windgeschützte Terrasse, gingen bis an deren Rand und sahen hinaus auf das Meer. Weit hinter ihnen, im Dunst des späten Morgens, verschwammen die Umrisse von Groote Eylandt. Sie sahen sich um, denn nicht einmal Alxeste wußte, wo sich die Wohnung befand. Schließlich, nachdem sie auf eine Art Rampe hinausgetreten waren, lasen sie die Schrift in einem Richtungspfeil, und zweihundert Schritte später standen sie vor der durchbrochenen Mauer aus Kunststoffsteinen. »Hier ist es«, sagte Alxeste. »Hat der Wind mein Haar auch nicht durcheinandergebracht?« erkundigte sich D'Agricola besorgt. »Keineswegs. Sie sind schön wie der junge Morgen«, sagte seine Sekretärin ungerührt. »Kommen Sie!« Sie preßte neben einer breiten Tür den Daumen auf einen Rufknopf. Undeutlich hörten sie eine fernöstliche Melodie aus zehn, zwölf Tönen, dann fragte eine unwirsche Stimme: »Warum stören Sie? Wer sind Sie? Was wollen Sie?« Alxeste schob ihren Chef von der Rufanlage weg und sagte mit einer sehr angenehm klingenden Stimme: »Wir sind zwei junge Menschen, die Sie um einen Gefallen bitten möchten. Geben Sie uns wenigstens eine Chance?« Einen Moment lang hörten sie nichts, dann fragte die Stimme, schon etwas weniger abweisend:
»Ich hörte eine weibliche Stimme. Täusche ich mich?« »Sie täuschen sich nicht. Der Rest, den Sie noch nicht kennen, ist nicht weniger angenehm.« Die Tür rollte seitlich in eine Aussparung, und Flor nickte seiner Sekretärin anerkennend zu. Sie gingen in einen kahlen Korridor hinein, dessen Wände mit überdimensionalen Sternkarten tapeziert schienen – ein schwarzer Kubus mit Tausenden leuchtender Punkte in verschiedenen Farben und verschiedenen Größen. Rechts war ein Vorhang, der jetzt zurückgefahren wurde. Alxeste ging voraus, D'Agricola folgte ihr. Die Szene, die sie jetzt sahen, war selbst für diese Zeit etwas sehr exotisch. Sie sahen sich einem Raum gegenüber, der nicht viel weniger als hundert Quadratmeter groß war. Ein sandfarbener Spannteppich, etwa zehn Zentimeter hoch, bedeckte den gesamten Boden. Mit dem Rücken zu einer acht Meter breiten und drei Meter hohen Glasscheibe saß eine Gestalt mit gekreuzten Beinen auf einem quadratischen Schaumgummipodest. »Faszinierend!« sagte D'Agricola. Er war beeindruckt. »Treten Sie ruhig näher«, sagte die Stimme, die sie durch die Rufanlage gehört hatten. »Sie sind richtig, wenn Sie zu mir wollten.« Alxeste watete durch den Teppich und setzte sich graziös zwei Meter von Cliff McLane entfernt auf den Boden. Ächzend folgte D'Agricola ihrem Beispiel. Cliff hob die Hand und sagte: »Sie haben einen fiesen Charakter!« Er deutete auf den Produzenten und lächelte dann Alxeste an.
»Sie sind noch nicht so verdorben wie der dort. Was wünschen Sie?« Alxeste wußte nicht recht, ob sie die verwirrende Umgebung beeindruckte oder ob sie lachen sollte. Cliff Allistair McLane der Oberst der Flotte und Kommandant der ORION VIII saß mit dem Rücken zum Fenster, so daß sein Gesicht im Halbdunkel und sein Gesichtsausdruck schwer zu sehen war. Er hatte sich in einen weißen Sarong gehüllt, trug einen breiten Stoffgürtel mit einer seitwärts angebrachten Schnalle und schien es ziemlich ernst zu meinen. Ein schmaler, dunkelbrauner Bart mit wenigen silbernen Fäden umrahmte sein tiefbraun gebranntes Gesicht. Auch der nackte Oberkörper, von einem handtellergroßen goldenen Medaillon verziert, war dunkelbraun. »Offensichtlich sind Sie, Kommandant, ein Urlaubs-Guru«, stellte Alxeste fest. »Sie haben doch Urlaub, nicht wahr?« »Ja«, sagte Cliff leise. »Ich habe Urlaub von den Menschen genommen. Seit meine Crew und ich Bishayr beherrschen, scheue ich die Menschen. Die Tatsache, daß man mit neunzigprozentiger Sicherheit augenblicklich den Charakter des lieben Nächsten ausloten kann, ist manchmal ziemlich unangenehm. Sie zum Beispiel, Mister Ohnenamen, haben einen ausgesprochenen Subcharakter. Aber vermutlich können Sie nichts dazu. Was ist Ihr Beruf?« D'Agricola sagte, sichtlich beeindruckt und mit hohler Stimme: »Ich bin Filmproduzent.« Cliff hob eine Hand, ließ sie in einer graziösen Geste wieder sinken und erwiderte verständnisvoll:
»Das sagt alles. Auch Sie sind ein Opfer der Gesellschaft. Ihr Gewerbe hat Sie zu einem Schakal werden lassen. Sie wollen mir eine Filmrolle anbieten?« Cliff machte tatsächlich den Eindruck eines mürrischen Buddhas. Er saß mehr oder weniger regungslos da, sah von Alxeste zu Flor und zuckte dann die Schultern. Was er eben gesagt hatte, stimmte, aber irgendwie wurde das Mädchen die Vorstellung nicht los, daß der Kommandant um des Effektes willen maßlos übertrieb. Die Tatsache war: Cliff hatte seinen Bungalow am Strand verkauft, hatte alles, was ihm gehörte, mitgenommen und sich hier eine Wohnung genommen. Er hatte, wie es offiziell in der Flotte hieß, aller irdischen Güter entsagt und sich der Meditation ergeben, wenigstens in seiner Freizeit. Er hatte sich sogar – natürlich nur räumlich – von der Turceed Ishmee getrennt. Er wohnte hier, knapp dreihundertdreißig Meter über dem Meeresspiegel, auf der südwestlichen Seite des neuen Bauwerks, das zweiunddreißigtausend Menschen beherbergte. Dieser Wohnturm stellte das Nonplusultra moderner Wohnkultur dar. Unzählige kleine Bauwerke, von denen die Landschaft sonst hoffnungslos und sinnlos zersiedelt worden war, waren abgerissen worden. Dort, wo sie noch vor Monaten gestanden hatten, wuchsen jetzt Rasen, Büsche, Bäume und standen Türme, in denen hydroponische Kulturen gezüchtet wurden. »Wir wollen Ihnen keine Filmrolle anbieten«, sagte Alxeste. D'Agricola schien in einem derart hohen Maß beeindruckt, daß er vergaß, weswegen er hier war. Das gab es bei ihm häufiger. »Sondern...?« fragte McLane. Ein interessanter Mann, dachte das Mädchen. Sie
hatte schon oft und viel von ihm gehört. »Darf ich Ihnen eine kleine Story erzählen?« fragte sie unschuldig. »Nur zu«, sagte Cliff. »Ihre Geschichten gefallen mir sicher besser als Wamslers antike Witze.« »Sicher. Kennen Sie Caernavan't?« McLane nickte zögernd, dann sagte er zweifelnd, als ob er nicht sicher sei: »Zweiter Planet der Sonne Vixen, ja?« Der Produzent murmelte unangenehm berührt: »Ganz weit draußen... Süd/Zehn 900... fast am Rand der Neunhundert-Parsek-Raumkugel...« »Ich weiß«, sagte Cliff. Filmproduktion, Caernavan't... wie paßte das zusammen? »Auf diesem Planeten, der für die allgemeine Besiedlung vermutlich nicht freigegeben wird«, fuhr das Mädchen fort, »lebt ein einzelner Mensch. Er ist das, als was er sich bezeichnet.« Cliff unterbrach mit einem sarkastischen Grinsen. »Ich weiß. Der Einsiedler.« Alxeste nickte zustimmend und lächelte Cliff an. »Sie kennen seine Gedichte?« fragte sie. »Ja«, erwiderte Cliff. »Ich kenne seine Gedichte. Sie scheinen so etwas wie Lorca-Verschnitt zu sein, aber wenn der Einsiedler noch etwas älter und folglich reifer wird, dann ist von ihm, ähnlich wie von Pieter Paul Ibsen, ein umfangreiches Lebenswerk zu erwarten.« »Wir haben die Absicht, über den Einsiedler und seine exotische Umgebung einen Film zu drehen. Halb dokumentarisch, halb mit einer Spielhandlung. Und ehe wir weitere Schritte unternehmen, möchten wir uns vergewissern, daß jemand die Dreharbeiten
dort draußen gewissermaßen überwacht.« Cliff nickte wissend und fragte leise: »Was Sie brauchen, ist ein stellarer Dorftrottel, der für einiges Geld alle Arbeiten übernimmt, vom Schleppen der Scheinwerfer angefangen und aufgehört beim Beruhigen von hysterischen Filmleuten. Irre ich wesentlich?« D'Agricola riß die Hände hoch, machte einige beschwichtigende Bewegungen und rief anklagend: »Wie kommen Sie dazu, Kommandant, uns das zu unterstellen? Wir brauchen nur einen Mann, der sich überall zurechtfindet. Der uns in allen Situationen hilft und vielleicht auch aus einigen schlimmen Situationen heraushilft. Ich glaube, diese Aufgabe entspräche Ihren Fähigkeiten. Auf keinen Fall wird es ein Routineflug. Und da Sie im Augenblick ohnehin Urlaub haben...« Cliff schien zu überlegen. Natürlich hatte die Sache einen Haken. Ein Mann, der Flors Charakter besaß, war in hohem Maße unglaubwürdig. »Und auf welche Weise komme ich nach Caernavan't?« fragte Cliff ironisch. »Zu Fuß?« »Mit der ORION, denke ich«, sagte Alxeste. Cliff beugte sich vor und schaukelte leicht mit dem Oberkörper. Wie eine schwere Glocke schaukelte das Amulett mit. Das Mädchen starrte fasziniert auf die Goldkette und auf das Bild in der goldenen Scheibe. Es zeigte eine Konstruktion aus lauter rechtwinkligen Linien und kleinen, runden Punkten. Ein Geheimzeichen? »Die ORION ist Flotteneigentum«, sagte Cliff. »Dachten Sie etwa, ich könnte darüber nach Herzenslust verfügen?«
Alxeste nickte bekümmert. »Im Ernst, ich glaubte es, Cliff«, sagte sie. »Ihnen nehme ich das sogar ab«, erwiderte Cliff. »Aber nicht dem Schakal dort, der Ihre Arbeitskraft ausbeutet. Die Aufgabe würde mich reizen; es würde mir helfen.« D'Agricola fragte: »Helfen? Inwieweit?« Cliff sagte mit einem bitteren Unterton: »Ich würde einen Film sehen, bevor er auf die Rundleinwand kommt. Die Dreharbeiten würden noch mehr Illusionen abbauen, die ich einst hatte. Ich habe es bald geschafft, ein Leben ganz ohne Illusionen zu führen. Es sind nur noch kleine Korrekturen in Teilgebieten nötig. Es tut mir ehrlich leid, daß ich Ihnen nicht helfen kann, Mädchen.« Sie zuckte ratlos die Schultern. Das Geschrei einer Möwe unterbrach die Stille, die sich in dem großen Raum ausbreitete. Cliff saß da, wie Buddha, und die beiden Besucher hatten versucht, es sich auf dem Teppich bequem zu machen. D'Agricola und Alxeste blickten Cliff an, als ob sie von ihm die Lösung eines Rätsels erwarteten. Offensichtlich hatten sie fest damit gerechnet, daß er ihnen half. Cliff hätte ihren Wunsch sogar erfüllt, aber die Hindernisse waren zu groß. Außerdem lief der Urlaub in zwei Wochen ab, und allein die Fahrt hin und zurück hätte zwanzig Tage gedauert. Immerhin – es wäre eine untypische, abwechslungsreiche Sache gewesen, mit einem Filmteam, den Darstellern und der ORION-Crew einen 0,7 g-Planeten zu besuchen, auf dem ein Einsiedler in einer Blockhütte lebte und dichtete.
»Schade«, sagte der Produzent. »Ja, schade«, murmelte Cliff. Als der Möwenschrei geendet hatte, erklang wieder die fernöstliche Melodie, ein Zeichen, daß ein Besucher vor der Tür stand. Cliff hob die goldene Scheibe hoch, drückte einen Finger auf einen bestimmten Punkt des Randes und fragte: »Ich habe Urlaub und möchte nicht gestört werden. Was gibt es?« Eine wohlbekannte Stimme polterte aus einem unsichtbar angebrachten Lautsprecher. »Ärger gibt es, wenn Sie mich nicht hereinlassen, Sie Westentaschen-Guru!« Cliff stöhnte: »Wamsler!« »Jawohl!« donnerte Wamsler. »Höchstpersönlich. Mit einer Flasche Archer's tears zur Einweihung Ihres Schlupfwinkels! Öffnen Sie endlich, mein Junge.« Cliff drehte die Scheibe schnell herum, drückte auf einen Teil der Zierlinien und lehnte sich, soweit er konnte, resignierend zurück. Er sah aus, als erwarte er einen Hurrikan. Wamsler stampfte in den Raum hinein. Nach drei Schritten blieb er stehen, als sei er gegen eine Glasscheibe gerannt. Langsam drehte er seinen Kopf, und seine Hand ließ die Flasche fallen, die geräuschlos in dem hohen Teppich landete. Wamsler musterte den hellen Raum und die drei Insassen. Dann kam der Raummarschall langsam auf Cliff zu; er bewegte sich, als stapfe er durch Morast. Er blieb stehen, stemmte seine Arme in die Hüften und sagte sichtlich erschüttert: »Ich habe schon vieles gesehen, aber das hier... ich bin sprachlos.«
Cliff nickte ruhig und abgeklärt und schielte nach der Flasche, deren Hals aus den Teppichfasern hervorsah. »Wie schön«, sagte er. »Dann bin ich wenigstens vor Ihren alten Scherzen verschont.« Wamsler setzte sich. »Ehe Sie mich beschimpfen«, warnte ihn Cliff, »bedenken Sie doch, daß nunmehr Ihr Charakter wie eine Sternkarte vor mir liegt. Ich kann in Ihnen lesen wie in einem bebilderten Buch.« Wamslers Pranke fuhr durch die Luft und wischte sämtliche Einwände hinweg. »Wer sind diese Leute?« fragte er. »Freunde?« Cliff schüttelte den Kopf und grinste Alxeste kurz an. D'Agricola war im Augenblick von Wamslers wuchtiger Gestalt und von der dunklen, lauten Stimme fasziniert und sagte nichts. Cliff erwiderte ruhig: »Keine Freunde. Sie wollen, was auch Sie wollen.« »Was will ich, mein Junge?« fragte der Raummarschall, und seine Augen suchten nach der kantigen Flasche. »Da Sie sogar ›mein Junge‹ sagen, bin ich sicher. Restlos sicher. Sie wollen, daß ich, mitten in meinem Urlaub, Ihnen helfe.« Wamsler nickte. »Sehen Sie«, sagte Cliff fröhlich. »Das wußte ich doch. Gefällt es Ihnen bei mir?« Wamsler erwiderte mit unverhülltem Sarkasmus: »Nett haben Sie's hier, Cliff. Wirklich. Und so modern! Und so völlig Ihrem wunderbaren Charakter angepaßt! Das Zimmer ist wie Ihr staatsbürgerliches Bewußtsein.«
Cliff neigte den Kopf und hob eine Hand hinter sein Ohr. »Wie?« »Leer!« dröhnte Wamsler. »Cliff, mein Junge, ich bin in einer fürchterlichen Lage.« »Ich weiß«, sagte Cliff resignierend. »Sie haben kein anderes Schiff, Sie haben keine andere Mannschaft, und irgend etwas Außerplanmäßiges ist geschehen. Wenn Sie mir jetzt noch sagen würden, ich müsse mit der ORION in die Nähe der Sonne Vixen fliegen, dann würde ich nicht im mindesten erstaunt sein. Dieser Zufall wäre schon kein Zufall mehr.« »Cliff!« flüsterte Wamsler erschrocken, »woher wissen Sie, daß ich Sie bitten wollte, nach Caernavan't zu fliegen?« Cliffs Gesicht war eine Studie der Verachtung. »Sie hätten sich mehr Zeit lassen sollen. Würden Sie mir morgen mitgeteilt haben, daß ich starten muß, dann hätte ich mich gewundert und ›Ei, was für ein Zufall!‹ gesagt. Aber so? Werden Sie jetzt schon von Filmfirmen bestochen?« Wamsler schüttelte den Kopf und sagte: »Nein. Es ist Ihr gutes Recht, mein Junge, mir nicht zu glauben. Aber ich habe diese beiden Herrschaften hier noch nie in meinem Leben gesehen. Kennen Sie mich persönlich?« Er wandte sich an D'Agricola und Alxeste. »Nein«, sagte der Produzent. »Wir haben von Ihnen gehört.« »Wer hat das nicht«, sagte der Raummarschall leise. »Was wollten Sie von Cliff?« »Er sollte für uns ein Filmteam bewachen und auch beschützen, kurz, sich um die verschiedenen Dinge
kümmern, die nun einmal mit einer Filmexpedition verbunden sind. Wir haben vom Planetenamt die Erlaubnis erhalten, einen Monat lang auf Caernavan't zu drehen. Wir wollten McLane und seine Mannschaft chartern. Er schien, zumindest im Prinzip, nicht abgeneigt zu sein.« Wamsler schaute Cliff ernst an. »Ich mag meinethalben einen transparenten Charakter haben, mein Junge«, sagte er, »ich gebe auch zu, daß ich in Momenten großer Gefahr zu unkonventionellen Mitteln greife, aber ich lüge Sie hier und heute nicht an. Drei Irre sind ausgebrochen, haben ein Schiff gestohlen und sind davongerast. Ich habe seit zwei Stunden versucht, irgendwo eine Suchmannschaft aufzutreiben, aber erstens ist kein Schiff in der Nähe dieses blöden Planeten, und zweitens haben die Flottenverbände unglücklicherweise Manöver. Sie wissen selbst, daß wir wegen der Gefahren einer neuen Regierung gewisse Umorganisierungen vorgenommen haben.« »Das weiß ich«, gab Cliff zu. »Trotzdem glaube ich an ein Privatabkommen Wamsler – D'Agricola.« »Nein«, sagte Alxeste. Cliff sah sie mit hochgezogenen Brauen an. Plötzlich stand der Produzent auf, suchte die Flasche und fand sie endlich. Er blieb mit geschlossenen Augen mitten im Zimmer stehen, vollführte mit dem ausgestreckten linken Arm eine horizontale Bewegung und blieb dann starr stehen. Mit der Flasche deutete er wie mit einem Degen auf McLane und Wamsler. »Das Feuer eines Sterns, einer Sonne«, rief er und fuhr mit ehrfürchtiger Betonung fort:
»hat die Linien des Weltalls gekreuzt! Strahlenfisch, welcher den Weltraum, diese unermeßlich Wüste, darin er gefangen war, flieht... aber nicht weiß, daß gefesselt am Hals eine Trosse ihn hält. Außerirdische Planetenjäger hetzen die silbernen Asteroiden...« »Halt ein!« rief McLane. »Ich kenne den Stil des Einsiedlers. Eine phantastische Darbietung. Werden Sie die Hauptrolle spielen, D'Agricola?« »Nein«, sagte der Produzent, »aber das Drehbuch ist von mir. Es ist mein Lebenswerk.« Wamsler begann hemmungslos zu lachen und wischte sich Sekunden später die Lachtränen aus den Augenwinkeln. Er starrte Cliff an, der mit unbewegtem Gesicht auf seinem Schaumstoffblock saß und das Mädchen musterte. Dann schüttelte der Raummarschall den Kopf und fragte McLane: »Wollen Sie nicht den Einsiedler persönlich kennenlernen, mein Junge?« Cliff nickte und fragte zurück: »Was bedeutet, daß die Crew wieder einmal ihren Urlaub abbrechen und starten muß. Wie kamen die Irren eigentlich zu einem Raumschiff? Und wie kommt es, daß die Irren oder wenigstens einer von ihnen ein Raumschiff von der Erde bis zur Sonne Vixen steuern konnte?« »Sie flohen nicht von der Erde, sondern von einem Planeten in Nord/Drei 006«, sagte der Raummarschall. »Glauben Sie noch immer, wir hätten eine Absprache gehabt, der Filmproduzent und ich? Die Erde braucht Sie, mein Junge.«
Cliff betrachtete nachdenklich die Flasche, die D'Agricola in der Hand hielt und zuckte schließlich die Schultern. »Wie kommt es eigentlich«, sagte er, »daß wir, soweit ich mich erinnern kann, noch niemals nach Ablauf eines Urlaubs, noch niemals nach Beendigung unserer Freizeit, sondern stets mitten aus irgendeiner Tätigkeit heraus gerufen werden?« Wamsler nahm dem Produzenten die Flasche weg und stellte sie vor sich hin, aber in dem hohen Teppich fiel sie immer wieder um. »Sehen Sie«, begann der Raummarschall in einem Ton, als ob er seinen Enkeln eine Gute-NachtGeschichte erzählen wollte »Wir können uns nicht heraussuchen, wann etwas passiert. Wir können nur versuchen, im Fall einer Panne schnell zu reagieren. Und da nun einmal drei gemeingefährliche Irre ausgebrochen und weggeflogen sind, müssen wir reagieren. Wer hat bei allen Unternehmungen die größtmögliche Menge an Umsicht, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit gezeigt?« Alxeste sagte halblaut: »McLane und seine ORION-Crew.« Wamsler bekräftigte dröhnend: »So ist es! Der Mangel an geeigneten Mannschaften und an zur Verfügung stehenden Schiffen zwingt uns förmlich, Sie zu bitten. Helfen Sie uns aus der Klemme, Cliff.« »Bravo!« sagte der Produzent. »Cliff, der Klemmenhelfer. Ein guter Slogan!« »Nur unter einer Bedingung«, sagte Cliff entschlossen. »Ich höre Bedingungen«, sagte der Raummarschall
mit etwas mehr Hoffnung. »Cliff! Ich beschwöre Sie – wir haben sonst niemand für diese Mission. Wir brauchen Sie. Wir haben das Schiff verfolgen lassen, schließlich gibt es genügend Relaisstationen. Aber wenn die Irren zu landen versuchen, werden sie es vermutlich auf Caernavan't tun. Zwei unserer Freunde sind nämlich Verehrer des Einsiedlers.« Cliff stand auf und nahm Wamslers Flasche an sich. »Wir brechen unseren Urlaub ab«, sagte er entschlossen, »starten und versuchen, die drei Irren einzufangen und das Schiff zu retten. Haben Sie alle Unterlagen, Raummarschall?« »Nicht bei mir, aber in meinem Büro. Sie starten also?« Cliff überhörte die Frage und fuhr fort: »Wenn wir die drei Irren gefaßt haben, dann kümmern wir uns auf Caernavan't um die Filmleute. Schließlich möchte ich den Einsiedler auch einmal kennenlernen. Ist das in Ihrem Sinn, Marschall?« Wamsler nickte. Die Sekretärin des Produzenten stand ebenfalls auf und fragte laut: »Bedeutet das, daß Sie unserem Wunsch nachkommen, Kommandant?« »Ja«, sagte Cliff. »Aber Sie hatten sicher nicht die Absicht, Ihren gesamten Stab in die ORION zu setzen und uns als Transportschiff zu mißbrauchen.« »Nein. Wir haben zwei eigene Schiffe«, erwiderte D'Agricola. Cliff ging bis zu der Rückwand des Raumes und legte vorsichtig die Hand mit abgespreizten Fingern gegen eine bestimmte Stelle. Ein rechteckiges Stück
der Wand schob sich langsam hervor, zwei Meter weit in den Raum hinein, und bildete so eine Tischfläche, unter der sich Vorratsfächer befanden. Cliff holte vier kinderkopfgroße Cognacschwenker heraus und stellte sie in einer Reihe nebeneinander. Er nahm die Flasche und goß etwas von dem erstklassigen Alkohol in die Gläser, dann holte er tief Luft und sagte: »Geübte Lügner sagen auch dann die Unwahrheit, wenn es gar nicht nötig ist – nur so, zum Trainieren. Ich glaube weder Ihnen, Marschall noch Ihnen, Alxeste, je ein Wort. Aber ich sehe ein, daß Wamsler im Moment keine andere Crew findet und daß die Filmleute jemanden brauchen, der sich im Raum und auf den Planeten etwas zurechtfindet. Die Terranischen Raumaufklärungsverbände haben nichts dagegen, daß beide Vorhaben nacheinander durchgeführt werden?« Wamsler schlug mit der flachen Hand auf die Platte und rief: »Nein! Natürlich nicht! Aber schaffen Sie uns um alles im Kosmos diese drei Irren vom Hals! Ich habe schon genug Scherereien gehabt! Wenn die drei Leute in den Kältekammern liegen, können Sie von mir aus das Skriptgirl mimen, in Ihrem märchenhaften Aufzug. Und jetzt trinken wir endlich!« »So sei es!« stimmte Cliff resignierend zu. Nachdem sie das Aroma und den Geschmack von Halvorsens Alkohol gekostet hatten, herrschte eine etwas versöhnlichere Stimmung. Cliff sah zwar noch immer so aus wie der Versuch eines Europäers, einen indischen Weisen zu kopieren, aber die Situation hatte sich entspannt. Der Charakter des Produzenten bildete nun kein Hindernis mehr, denn Cliff wußte natürlich, daß die Milliarden der Erdbevölkerung
nicht nur aus Engeln bestanden. Das Mädchen begann ihn zu interessieren, rein akademisch natürlich, und Wamsler war ihm schon seit Jahren kein Unbekannter mehr. Meist dann, wenn der Raummarschall in Not geriet, war es unverschuldet, und wenn er sich an seinen besten Mann wandte, dann hatte dies auch seine Gründe. Cliff war, und das schien immerhin neu zu sein, nicht gerufen worden, um die Erde zu retten, sondern um drei Irre einzufangen – und allein schon das ließ auf einen unterhaltsamen und abwechslungsreichen Einsatz hoffen. »Und die Aussicht, zusammen mit Ihnen beiden einen Film zu drehen, dazu noch auf einem Nullkommasieben-g-Planeten, ausgerüstet mit einem Einsiedler, der echte Reime hämmert – es wird ein kosmisches Happening werden.« Alxeste sah ihn durch die Wölbung des Glases hindurch an und lächelte sphinxhaft zurückhaltend. »Ich fürchte, Sie haben recht«, sagte sie. Keiner der vier Personen konnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt ahnen, daß Cliffs Aussichten durchaus richtig waren, jedoch in ganz anderer Weise. Cliff schnürte den breiten Stoffgürtel um seinen weißen Sarong etwas enger und fragte halblaut: »Wann und wo treffen die ORION-Crew und die Filmleute zusammen?« Das Mädchen schlug das Manuskript auf und schaute nach. Dann sagte sie zögernd: »Wir dachten daran, in genau dreizehn Tagen anzufangen. Direkt auf Caernavan't.« Cliff hob die Brauen und sagte düster: »Jetzt ist nicht der Augenblick, um abergläubisch zu sein!«
D'Agricola kicherte unnatürlich hoch und schlug sich vor Freude auf die Schenkel. »Einverstanden«, sagte Cliff. »Es gibt Planetenkarten. Wir treffen uns in dreizehn oder vierzehn Tagen auf dem Planeten. Ich werde Sie und Ihr Filmteam zweifellos treffen, finden...« Alxeste sagte: »Zweifellos, Kommandant!« Wamsler trank den Rest Alkohol aus und sagte in bestimmtem Ton: »Und der Start wäre dann morgen früh, Kommandant McLane. Komplett. Mit Uniform, und ohne Ihren pseudospirituellen Aufzug. Ohne Medaillon, klar?« Cliff versicherte grimmig: »Ich werde mich hüten, den innersten, wertvollsten Kern meiner Persönlichkeit in einem Diskusschiff zu verschleißen. Ich darf mich für Ihren Besuch bedanken?« Er schüttelte dem Mädchen und, etwas weniger liebenswürdig, auch dem Produzenten die Hand. Er sah ihnen nach, bis er das Geräusch der zufahrenden Tür hörte und wandte sich an Wamsler. Der Raummarschall war noch immer völlig unter dem Einfluß der wirklich bizarren Szene. Cliff sah einige Sekunden hinaus auf das Meer und drehte sich schnell herum. »Ich finde, Raumfahrt und Intelligenz müssen sich nicht unbedingt gegenseitig ausschließen. Würde es Ihnen, Marschall, sehr viel ausmachen, wenn Sie mir die Wahrheit sagen würden?« Wamsler machte ein überraschtes Gesicht. »Wahrheit? Ich verstehe Ihre Frage nicht, Kommandant.«
»Warum muß ausgerechnet die ORION-Crew nach drei Irren suchen, Marschall Wamsler? Mir das klarzumachen, dürfte ziemlich schwerfallen. Östliche Weisheit hin oder her!« Der Marschall und Cliff wechselten einen langen Blick. »Es sind nicht einfach drei Irre, mein Junge.« Cliff nickte zufrieden. »Dachte ich es mir doch«, meinte er. »Es sind also nicht nur drei Irre, die mit einem Diskusschiff geflohen sind, sondern ganz besondere Irre. Ist ihr Irrsinn ansteckend; will sagen, sind es vielleicht Irre mit einer Idee? Revolution, Konterrevolution, Machthunger oder messianische Vorstellungen? Hatten wir alles schon mehrmals in der Geschichte.« Wamsler sagte in unheilvoller Ruhe: »Es sind erstens wichtige Irre. Zweitens sind es Irre, die dadurch, daß wir keine Gelegenheit haben – beziehungsweise haben die Ärzte keine Gelegenheit mehr dazu –, ihre medikamentöse Behandlung weiterzuführen, zum sicheren Tod verurteilt sind. Deshalb ist es so wichtig. Auch haben wir hier strengste Geheimhaltung zu beachten.« »Ich verstehe«, sagte Cliff und schüttete zuerst sich, dann Wamsler noch etwas Alkohol in die Gläser. »Schnell, verschwiegen und sicher zugreifen. Das verlangen Sie von uns?« Wamsler nickte schweigend, dann, nach einer ganzen Weile, sagte er murmelnd: »Verstehen Sie jetzt auch, weswegen gerade Sie gebraucht werden?« »Ja.« Wamsler stellte das leere Glas hart ab, fuhr herum
und sagte scharf, als stünde er selbst unter einer starken nervlichen Anspannung: »Morgen früh fünf Uhr treffen wir uns in meinem Büro. Die ORION VIII ist bis dahin startklar und wartet in der Basis 104. Dort erhalten Sie sämtliche Unterlagen und auch die Medikamente, die Sie spritzen müssen. Die Sache ist wichtig – warum, das werden Sie morgen früh erfahren. Einverstanden?« Cliff streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Haben Sie mich schon ein einziges Mal bei einer Unzuverlässigkeit erwischt, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht?« »Wenn Sie nach Ihren Verdiensten um die Menschheit klassifiziert werden müßten, würde man Ihnen sicher den Job eines planetaren Diktators zubilligen müssen...« »... mein Junge!« schloß Cliff sarkastisch. »So ist es. Und jetzt entschuldigen Sie mich wohl... machen Sie sich noch einen hübschen Nachmittag. Meditieren Sie ein wenig. Oder vielleicht wirken Sie schnell ein paar Wunder. So etwas wie der Stahlseiltrick.« Cliff brachte ihn zur Tür und konnte sich nicht beherrschen zu sagen: »Sie haben zwar im großen und ganzen einen passablen Charakter, Marschall, aber Ihr Sinn für geistreiche Scherze, scheint mir, ist irgendwo im sechsten Lebensjahr in der Entwicklung steckengeblieben.« Wamsler verließ die Wohnung ohne jeden weiteren Kommentar. Cliff kehrte in sein riesiges, leeres Zimmer zurück und preßte wieder seine Hand gegen ein anderes Wandstück. Eine vollrobotische Gläserwaschmaschi-
ne glitt aus der Fläche, und Cliff verstaute die Gläser, nach einigem Nachdenken nahm er seines wieder heraus und goß wieder etwas Archer's tears hinein. Dann ging er hinaus in die Mittagssonne und lehnte sich an einen Pfeiler. Er schaute hinaus auf das Meer, sah die geschwungenen Dreiecke der winzigen, weißen Segel und dachte nach. Was auch immer er unternahm, er konnte dem Zwang der Stunde nicht entkommen. Immer wieder wurde er geholt... gleichzeitig stellte er sich die Frage, was er sich selbst als Alternative anbieten könnte; er hatte nichts gefunden. »Trotzdem...!« knurrte er und schwenkte den Alkohol im Glas. Die Archer's tears erwärmten sich und rochen intensiv, der Geruch vermischte sich mit der salzigen Seeluft. Trotzdem war er irgendwie geflohen. In welche Richtung, allerdings, das wußte er nicht. Er hatte den Bungalow und die Mehrzahl seiner dienstfertigen Robots zu einem sehr günstigen Preis verkauft (jetzt konnten die Nachbesitzer immer sagen: ›Und stellen Sie sich vor, gnädiges Fräulein, hier in diesem Zimmer hat der berühmte McLane mit drei weißen Panthern gekämpft!‹), und hatte sich hierher, in die Anonymität seines kleinen Wohnbezirks in diesem riesenhaften Bauwerk zurückgezogen. Er besaß nur noch die Hälfte seiner Anzüge, aber seine gesamte Waffensammlung und, was das wichtigste war, die Plastiken und alle Bücher und Buchspulen. »Besitz belastet!« murmelte er und schüttete den Rest Alkohol in einen kubischen Pflanzenkübel. Dann ging er hinein, um über das Schicksal nachzudenken und die Crew zusammenzurufen.
2 Die ORION VIII war vor dreißig Minuten gestartet; nach fast sechs Wochen befand sich das silbern glänzende Diskusschiff wieder im All. Das Raumschiff hatte die letzten terranischen Kontrollen hinter sich gelassen und raste jetzt mit ständig wachsender Geschwindigkeit in die nördlichen Raumkuben der 900Parsek-Kugel. Die alte Mannschaft war an Bord – aber Ishmee fehlte. Sie und Skuard, ihr Bruder, befanden sich auf einer Reise nach Valkyrie, dem Turceed-Planeten. Cliff lehnte sich gegen die Kante des Zentralen Bildschirms und hielt die Unterlagen in der Hand, die er vor kurzer Zeit von Wamsler erhalten hatte. Helga Legrelle schaltete das elektronische Bordbuch ein, stand auf und ging langsam auf Cliff zu. Sie schaute voll in sein Gesicht und fuhr mit dem Finger an seinem dünnen, scharf ausrasierten Bart entlang. »Gut siehst du aus, Kommandant!« stellte sie fest. »Und zum zweitenmal in deiner Karriere mit Bart. Ich sehe die grauen Haare in deiner männlichen Zierde; ein weiteres Zeichen deiner Reife. Wie geht es mit der Meditation?« Cliff hob den Blick von den drei plastischen Photos und musterte die dunkelhaarige Funkerin. »Schleppend. Ich werde zu häufig gestört. Das, was ich hier in den Fingern halte, ist ziemlich brisant.« Die Mannschaft, Hasso Sigbjörnson eingeschlossen, versammelte sich um den Platz des Kommandanten. Cliff warf die einzelnen Bilder, Meldungen, Beschreibungen und die kopierten Protokolle auf den Bild-
schirm, verdeckte die Sterne. »Hier: der erste Irre. Alfryd Thorpbjörnson. Er gilt als einer der fähigsten Biologen für extraterrestrische Forschung. Er bekam Wahnvorstellungen, eine deutlich ausgeprägte Paranoia. Er war seit einem Jahr in dem Sanatorium und sollte in vier Monaten entlassen werden. Jetzt, da er ohne die letzte medikamentöse Behandlung frei herumläuft...« Atan Shubashi korrigierte halblaut: »... herumfliegt!« Cliff nickte dem kleinen, schwarzhaarigen Astrogator zu und fuhr fort: »Jetzt also ist die Behandlung gefährdet, vermutlich wird Alfryd vollkommen irre werden. Das gleiche gilt auch für die beiden anderen. Thor Vividon, einer der besten Bioniker, die Terra jemals besitzen wird. Ebenfalls Verfolgungswahn. Und schließlich Bill Delante. Er war der Chefingenieur der Werft die unsere Schiffe herstellt. Drei Männer, die für Terra und die Planeten so gut wie unersetzlich sind – abgesehen davon, daß nicht durchsickern darf, daß sie erstens geisteskrank und zweitens auch noch geflohen sind. Wir werden sie schnell fassen müssen.« Schweigend hörten die ORION-Leute Cliff zu. Schließlich fragte Mario de Monti, der breitschultrige Kybernetiker des Teams: »Unser Ziel, laut deinen Anweisungen, ist Caernavan't bei der Sonne Vixen. Woher wissen wir, daß diese drei Männer versuchen, dorthin zu fliehen?« Cliff deutete auf die kleingedruckten Protokolle der verschiedenen Ermittlungen und antwortete halblaut: »Der Einsiedler ist Alfryd Thorpbjörnsons Bruder. Alle drei Männer sind erklärte Bewunderer des
Dichters, besonders seiner Nordischen Elegien.« Hasso sagte ironisch: »Vertont von Tomas Peter. Ein einzigartiger Kunstgenuß. Wie sicher ist es, daß sich die drei Männer in die Blockhütte des Einsiedlers flüchten?« Cliff zuckte die Schultern. »Ziemlich sicher. Ich bitte euch, die Unterlagen genau durchzusehen. Es steht eine Menge drin. Unter anderem, wie üblich, wie sehr von uns fünf Raumfahrern der Ausgang der Aktion abhängt.« Das alte Team war wieder beisammen. Während, von den Schaltungen des bordeigenen Digitalrechners gesteuert, die ORION sich von der Erde entfernte, stellte sich der alte Zustand wieder ein: Die Mannschaft, die zusammen eine Menge der verschiedensten Abenteuer erlebt hatte, brauchte nur Minuten, um in den alten Rhythmus zu kommen. Auch Bishayr, die Fähigkeit, mit einem Blick den Charakter eines Menschen festzustellen, zeichnete sie aus. Aber untereinander brauchten sie diese Fähigkeit nicht. »Einverstanden«, sagte der siebenundfünfzigjährige Hasso Sigbjörnson, »die ORION-Crew ist wieder im All. Diesmal aber scheint es sich nicht um die Rettung der Erde zu handeln. Ich bin froh, daß wir wieder in unserer eigenen Zeit sind. Drei Irre und einen Filmauftrag... das Leben ist lebenswert.« Cliff fragte: »Sind die Maschinen richtig überholt worden?« Hasso grinste kurz und sagte anerkennend: »Im Maschinenraum herrscht eine sterile Sauberkeit, und jedes angegriffene Teil wurde ausgewechselt. Der gesamte Antriebssatz ist praktisch neu. Hört ihr nicht, wie beruhigend das Summen ist?«
»Doch!« sagte Atan. »Ich bin auch zufrieden. Wenn ich die Unterlagen richtig interpretiere, dann fliegen die drei Männer mit dem gestohlenen Schiff quer durch die Raumkugel, und zwar in einem verrückten Zickzackkurs. Sie sind an insgesamt neun Stellen gesichtet worden.« Helga Legrelle, die Funkerin, meinte überlegend: »Ja. Wir werden etwa gleichzeitig mit den Irren und kurz vor dem Filmteam auf dem Planeten eintreffen.« Cliff setzte sich in seinen Kommandantensessel und holte tief Luft. Er ließ die Atmosphäre des Raumschiffes und die Ausstrahlungen der Partner auf sich wirken. Ein Zeitraum von sechs Wochen, eine Generalüberholung und räumliche Trennung von der Mannschaft waren nicht ohne Folgen geblieben. Dann sagte er: »Wir fliegen noch etwa neun Tage lang, bis wir landen. In der Zwischenzeit hat Helga die meiste Arbeit. Sie muß sämtliche Meldungen auffangen, die sich mit dem Fluchtweg der Irren beschäftigen. Klar?« »Verstanden, Cliff.« Cliff betrachtete nacheinander die Gesichter der drei Männer und des Mädchens. Sie alle waren ausgeruht und sonnengebräunt und schienen voller Tatendrang zu sein. Das war eine gute Voraussetzung, denn Cliff konnte sich leicht ausrechnen, daß nicht alles glatt gehen würde. Er kannte den Planeten nur aus dem Handbuch, den Einsiedler nur von seinen Reimen, das Filmvorhaben nur in Umrissen und die drei Irren lediglich aus Berichten, Bildern und Lebensläufen. Er hatte jetzt neunmal vierundzwanzig
Stunden Zeit, sich alles genau zu überlegen. Cliff drehte seinen Sessel herum, grinste breit und verkündete gutgelaunt: »Kosmos! Du hast uns wieder. Geht aus der Spur – die ORION ist wieder im All!« Atan Shubashi schrie: »Und ein neues, erregendes Abenteuer beginnt.« Mit düsterer Stimme orakelte der weißhaarige Hasso: »Traue niemand in Angelegenheiten, die seine Leidenschaft sind. Mehr Abstand zu den Dingen, Atan!« Shubashi winkte ab. Irgendwo vor ihnen, viele Lichtjahre entfernt, drehte sich ein erdähnlicher Planet um seine gelbe Sonne. Ein Planet mit einer Schwerkraft, die nur sieben Zehntel der irdischen aufwies. Mit Gebirgen, Flüssen, Wüsten und Wäldern. Ein Planet, auf dem nur ein einziger Mensch lebte. Eine Welt, auf der die ORION-Crew eines ihrer merkwürdigsten Abenteuer erleben sollte. Die Sterne auf den Sichtschirmen bewegten sich nicht, als sich der Diskus in die Schwärze des Alls hineinschleuderte. An Bord des Schnellen Raumkreuzers befanden sich fünf Menschen, die sich erst langsam wieder in alles hineinfinden mußten. Und zum erstenmal seit langer Zeit flog das alte Team wieder, ohne Gäste, ohne Begleiter oder Begleiterinnen. Es war fast so wie zu den ersten Einsätzen vor den Invasionskämpfen der Extraterrestrier, die jetzt endgültig besiegt waren – verschwunden in den Fernen des Weltalls. Neun Tage lang dauerte der Flug. Neunmal vierundzwanzig Stunden. Neun Manöver, die das Schiff aus dem Hyperraum
auftauchen ließen und in den normalen Weltraum zurückwarfen. Atan machte seine Positionskontrollen und Helga rief die Meldungen der Relaisstation ab. Als der zehnte Tag anbrach, waren sie sicher, daß das gestohlene Schiff, die JETSTREAM, vor ihnen den Planeten erreicht hatte. »Wie lange fliegen wir noch?« fragte Cliff, der aufmerksam den Zentralschirm und die Sternbilder darauf studierte. »Noch vier Stunden, Kommandant«, sagte der Astrogator. »Ich gebe die Daten eben an Mario weiter.« »Verstanden. Zurück in den Hyperraum.« Wieder verschwanden die Lichtpünktchen von den Schirmen, wieder sahen die fünf Menschen nichts anderes als das stumpfe Grau. Unsichtbar kam die gelbe Sonne näher, unsichtbar auch der Planet Caernavan't. * Fast bewegungslos schwebte die ORION über dem Planeten. Die Verkleinerung des runden, farbigen Bildes füllte genau den zentralen Sichtschirm aus. Von hier aus erschien Caernavan't wie ein Riesenball aus drei Farben: Golden, Blau und Weiß. Es gab nur einen einzigen Erdteil, der annähernd rund war und stark gegliederte Uferstrukturen zeigte. Dieser Kontinent war von Inselketten umgeben, deren Formen erstaunlich reichhaltig waren; es gab eckige, bizarr geschwungene und winzige, punktförmige Inselchen. Flüsse und Gebirge durchzogen den Kontinent. Aber das Merkwürdigste waren die deutlich voneinander getrennten Vegetationszonen.
»Mario?« fragte Cliff unterdrückt. Schnell kam der Chefkybernetiker von seinem Platz vor dem Eingabeelement her und blieb neben Cliff stehen, eine Hand auf dem Rückenteil des Kommandantensessels. »Was siehst du hier?« Cliff deutete auf den Kontinent und stellte gleichzeitig eine deutlichere Vergrößerung her. »Ich sehe... drei, nein vier – fünf verschiedene Kreisausschnitte, Cliff. Sie sind in der Farbe unterschiedlich, natürlich auch in anderen Merkmalen. Und ein Fluß läuft etwa spiralig aus dem Zentrum heraus durch alle fünf Zonen. Hier... eine gebirgige Landschaft...« Jetzt stand auch Helga neben ihnen, deren Geräte den Boden weit unter ihnen nach Funksignalen absuchten. Atan Shubashis Geräte waren ebenfalls nach unten gerichtet und auf höchste Leistungsfähigkeit geschaltet. Sie würden Energieausstrahlungen oder das Vorhandensein von größeren Metallmassen aufspüren. »Und hier eine dschungelartige Waldlandschaft mit drei Ausläufern, einen in die Gebirgszone hinein, einen anderen in eine Wüste und einen dritten, sehr schmalen, über das Zentrum hinweg bis in eine Mischlandschaft hinein.« Cliff deutete zuerst auf die linke, dann auf die rechte Begrenzung des Kontinents und fragte, an Shubashi gewandt: »Wie groß ist der Durchmesser der Landmasse, Atan?« »Sechzehntausend Kilometer. Gemessen entlang der Äquatorlinie.«
»Danke.« Sie sahen etwas, das sie bereits – wenn auch in weniger großen Dimensionen – auf den Welten des Vierzig-Planeten-Systems kennengelernt hatten. Dort waren es aber von intelligenten Lebewesen hervorgerufene Geländestrukturen, hier schien es natürlich zu sein. Grob geschildert war hier eine kreisförmige Fläche in fünf Zonen gegliedert, die etwa die unregelmäßigen Formen großer Tortenstücke hatten. Im Zentrum befand sich ein Gebirge mit gletscherbedeckten Bergriesen. Das Blockhaus des Einsiedlers stand, laut Handbuch, an der Trennlinie zwischen dem gebirgigen Teil und dem Teil mit der Normallandschaft, deren Charakter nicht deutlich ausgeprägt war. »Die Luft ist atembar – was zeigen deine Geräte, Atan?« »Alles und nichts«, sagte der Astrogator unwillig. »Stets dann, wenn man glaubt, es einfach zu haben, kommen die Schwierigkeiten. Ich habe einige Ansammlungen von großen, unterirdischen Erzlagern entdeckt. Und genau auf einem der Lager scheint das Schiff zu liegen oder zu schweben. Kein deutlich erkennbarer Eigenimpuls.« Cliff meinte nachdenklich: »Der Einsiedler hat nur ein automatisches Notrufgerät, falls ihm etwas zustoßen sollte. Er hat sich ausdrücklich erbeten, nicht angefunkt zu werden.« Hasso sah von einem Sichtschirm auf die Gruppe um den Zentralschirm herunter und sagte deutlich: »Wir können uns hier frei bewegen. Landen wir zuerst einmal beim Einsiedler und fragen ihn, ob sein Bruder schon eingetroffen ist. Die Suche bleibt uns so
womöglich erspart.« »Ein ausgezeichneter Vorschlag, Hasso«, sagte Cliff. »Den wir sofort in die Tat umsetzen werden. Meine Freunde – wir landen!« Mario witzelte: »Für uns etwas ganz Neues!« Sie gingen wieder an ihre Plätze. Helga schob sich die schweren, flüssigkeitsgedämpften Kopfhörer über die Ohren und drehte an ihren Suchknöpfen, aber nur das Rauschen der Statik und einige Störungen von interstellarem Wasserstoff waren zu hören. Auch Shubashi, der Astrogator, konzentrierte sich auf seine Suche nach dem Raumschiff. Während des ersten Landeanflugs hatten sie den Raum abgesucht, aber kein Energieecho aufgefangen, das von einem Raumkreuzer stammte. Vermutlich war das Schiff der drei geflüchteten Irren bereits auf Caernavan't gelandet. Cliff setzte sich zurecht und griff nach den Hebeln der Handsteuerung. »Ziemlich ungewohnt, nach sechs Wochen wieder eine Handlandung durchzuführen, wie es die Vorschriften befehlen, nicht wahr?« fragte Helga, halb nach rückwärts gewandt. »Mit jeder Sekunde bekomme ich mehr Sicherheit!« sagte Cliff bestimmt und leitete die Landung ein. Er vollführte in den nächsten Minuten einen jener Landeanflüge, die seinen Ruf bei der Raumflotte begründet hatten. Schnell, in einem gewagten Winkel und mit sämtlichen Möglichkeiten der Schiffsmaschinen. Nachdem der Schallknall eine Geschwindigkeitsmarke signalisiert hatte – natürlich hörten sie es im Innern des Raumschiffes nicht –, schwebte die ORION von Osten her auf die Berge des Zentrums zu.
»Eintausend Meter Höhe«, meldete Atan. »Danke.« Cliff musterte die Bilder auf den Schirmen. Er sah, daß die Lufthülle ein bißchen dunstig schien, daß die Sonne ein riesiger diffuser Lichtfleck hinter einer nebligen Wand zu sein schien und daß dieses milde Licht über der gesamten Landschaft lag. Vielleicht hatte diese verhangene, zarte Lichtfülle den Einsiedler zu seinen Nordischen Elegien inspiriert. Der Schatten des Raumkreuzers war ein deutlich sichtbarer, aber unscharfer Schatten vor der Flugbahn, er huschte über die Unebenheiten des Bodens. Und plötzlich war auch die Spannung wieder da, von den Insassen des Schiffes wie eine alte Bekannte begrüßt. Durch zahllose Abenteuer und Gefahren geschärft ahnten Cliff und sein Team, daß etwas unergründlich Geheimnisvolles auf sie wartete, abgesehen von dem einsamen Mann und der Landschaft in dem diffusen Licht. Cliff sagte plötzlich: »Atan – projiziere bitte die Karte auf den Schirm, mit einer Positionsanzeige unseres Schiffes.« »Wird gemacht.« Während der Astrogator die Schaltungen vornahm, sagte Helga rasch: »Bisher keine Anzeichen für Funkverkehr.« Über das schwache Bild der unter dem Schiff vorbeiziehenden Landschaft legte sich jetzt eine Karte, die von den ersten Pionierschiffen stammte und sämtliche Landschaftsmerkmale zeigte, aber ohne Namen und Bezeichnungen. Mitten in dieses Bild projizierte Shubashi jetzt einen Pfeil hinein, der in Flugrichtung deutete. Es war der Standort des Schif-
fes relativ zu der Landschaft. Weiter oben – das Schiff flog in westlicher Richtung – war ein kleiner, scharfer Kreis zu sehen. Er war das Symbol für die Blockhütte des Einsiedlers. Cliff rechnete schnell und überschlägig die Entfernung aus. »Noch siebentausend Kilometer«, sagte er. »Ich werde höher gehen und die Geschwindigkeit heraufsetzen.« »Verstanden!« sagte Mario. Cliff schaltete die Karte wieder aus dem Kommunikationsnetz heraus und raste mit der ORION los. Er flog in einem flachen Winkel bis in eine Höhe von achttausend Metern und erhöhte die Geschwindigkeit wieder. Wie ein Messer schnitt der Diskus durch die leicht neblige Lufthülle. Je höher das Schiff hinaufglitt, desto transparenter wurde die Luft, desto ungehinderter war die Sicht. Die Mannschaft starrte auf die kleinen Farbmonitoren und versuchte, Einzelheiten der Landschaft zu erkennen. Das Schiff überflog jetzt ein Gebiet, das fast unmerklich anstieg. Es setzte sich aus allen bekannten Geländeformen zusammen. Moore waren hier ebenso zu sehen wie kleine, wüstenähnliche Flächen. Noch in der Ferne verborgen, aber auf den Karten deutlich zu sehen, erhoben sich Hügel, schließlich Berge, und jenseits einer halbkreisähnlichen Barriere standen die eisbedeckten Bergriesen. Der Flug dauerte länger als zwei Stunden, schließlich ließ Cliff das Schiff wieder durchsacken und bremste stark ab. Die Linsensätze im Ring zwischen den beiden Halbschalen des Diskus richteten sich nach schräg vorn aus, bewegten sich klickend in ihren schwerisolierten Verkleidungen. Cliff runzelte die Stirn, er
konnte nicht glauben, was er sah, dann setzte er die Vergrößerung herauf. »Die Filmleute waren schon da!« sagte er und sah auf seine Uhr. Das Datum bewies klar, daß bis zur Ankunft der beiden Filmschiffe noch drei Tage Zeit waren. »Wie?« Cliff klopfte mit dem Zeigefinger auf das Bild und rief: »Kommt alle einmal her! Ich habe Halluzinationen oder ähnliche Dinge. Das darf es doch nicht geben, bei allen Gesetzen der Logik!« Auf einem Hügel, der nicht viel höher als fünfhundert Meter schien, erhob sich schräg, wie ein schwarzer Eisberg, ein Felsen. Die stumpfkegelige, schräg aus dem Boden stoßende Form war ihrerseits mindestens zweihundert Meter hoch, teilweise bewachsen und glänzte im fahlen Sonnenlicht wie Stahl. Und auf den Felsen erhoben sich schlanke, dunkelrote Türme mit eckigen Zinnen, Vorsprünge, ein Schildwall, mehrere Mauern, die so gut wie nahtlos aus den Felsen aufzusteigen schienen. Einige weiße Wimpel flatterten in einem schwachen Wind. Zwei Rauchsäulen erhoben sich aus röhrenartigen Kaminen und ließen sich von der Brise zerteilen. Die Zugbrücke war hochgezogen. Das ganze Bauwerk war in einem intensiven Dunkelrot gehalten, und sämtliche Verzierungen waren kristallen weiß. Mario rieb sich die Augen und murmelte, restlos verwundert: »Der Einsiedler hat sich eine mittelalterliche Burg gebaut. Oder etwa das, was er sich unter einer solchen vorstellte.«
Hasso kam aus dem Lift, der ihn vom Maschinenraum in die Steuerkanzel heraufgebracht hatte, hörte die letzten Worte und sagte einschränkend: »Wenn dieses Bauwerk wirklich vom Einsiedler stammt, dann hatte er Helfer. Er allein würde noch immer die ersten zehn Quader bearbeiten. Unmöglich!« Inzwischen war das Schiff weiter herangetrieben, und Cliff führte ein Manöver aus, das die ORION in einem engen Kreis einmal um die Burg führen würde. »Keine Kulissen!« murmelte er verstört. »Oder haben ihm die Irren geholfen?« Helga sagte: »Das glaubst du doch nicht einmal im Scherz, Kommandant, wie?« Cliff grinste sie unwillig an und schüttelte den Kopf. Wieder zog sich das Bild auseinander, als Cliff die Steuerung drehte und die Vergrößerung heraufsetzte. Die ORION hatte ein Drittel des Kreises beendet. »Hier! Ein Mensch?« rief Hasso plötzlich und deutete auf die runde Plattform, die den höchsten Punkt der Burg bildete. »Er hat recht!« gab Mario de Monti zu und strich eine Strähne seines langen blonden Haares aus der Stirn. Dort stand, wie eine Figur aus einem längst unwiderruflich versunkenen Märchen, ein Mann. Er war groß, schlank und hatte langes Haar, nach Art eines Pagenkopfes geschnitten. Er hatte einen riesigen goldgelben Mantel um die Schultern; der Stoff bedeckte einen Teil der weißen Quader und sah ungeheuer bühnenreif aus. Ein Arm des Mannes winkte der ORION.
Cliff schaltete in der Nähe der Armlehne einen Kontakt und ließ dann die riesigen Landescheinwerfer dreimal aufblinken. Dann schüttelte er den Kopf und atmete scharf aus. Er drehte sich herum und sah in vier ebenfalls fassungslose Gesichter. Er sagte leise und sarkastisch: »Blockhaus! Scheint inzwischen gewachsen zu sein. Der Bau entspricht dem Stil der Gedichte!« Atan kicherte und strich das Haar seines Toupets in die Stirn. »Gischtend donnert das Schiff auf den Pfaden der Ewigkeit, umschäumt von den Schneeflocken der Sterne. Der Recke im Bug, mit Schwert und Raumhelm...« Hasso sagte milde: »Das ist eines seiner frühen Gedichte. Die Nordischen Elegien stabreimen sich erstklassig.« »Mir egal. Landen wir auf dem Söller, Mannen?« Cliff unterdrückte ein Lachen und überlegte, wobei er den Kopf schief legte. Er deutete auf eine freie Fläche zwischen der innersten Mauer und dem wuchtigen Torbauwerk; dort wuchsen Bäume und Büsche, außerdem gab es dort gepflegten Rasen. Die Größe des Platzes erlaubte eine Landung. »Dort landen wir!« sagte er mit Nachdruck. Minuten später fuhr der Zentrallift aus dem Unterschiff und berührte mit seiner untersten Fläche den Boden. Cliff und Hasso stiegen aus, sahen sich um, und der Kommandant meinte: »Schade, daß ich meine Streitaxt auf ORION-Island zurückgelassen habe. Hier ließe sich ein Turnier abhalten.« »Und außerdem«, sagte Mario deutlich, so daß das
Echo zwischen den Mauern hin und her schwang, »kann hier vorzüglich Minne getrieben werden. Aber... mit wem?« Als sie dreißig Meter vom Schiff entfernt waren, das in zehn Metern Höhe auf seinen Schwerkraftpolstern ruhte, sahen sie, wie der Einsiedler die breite, weiße Treppe herunterschritt. Der Mantel glitt hinter ihm her, und sekundenlang wehte so etwas wie altterranische Geschichte über das Bauwerk auf Caernavan't. Der Einsiedler hob die Hand, blieb stehen und rief mit pathetischer, lauter Stimme: »So seid Ihr dennoch gekommen, Ritter der Milchstraße, Brüder der Planeten. Tretet näher, Recken!« »Fürwahr!« rief Hasso dröhnend. »Ein Manneswort!« Helga, die als letzte die ORION verließ, stemmte die Arme in die Seiten und betrachtete kopfschüttelnd die Männer, besonders natürlich den Einsiedler, der unter dem goldgelben Mantel einen enganliegenden, offensichtlich handgefertigten Wildlederanzug trug. Sekunden später schüttelten sich Cliff und der Einsiedler die Hände. »Woher kommt Ihr?« fragte der Mann. Cliff räusperte sich und erwiderte: »Es mag ja sein, daß die lange Einsamkeit und das Beschäftigen mit Reimen Ihnen die Diktion verdorben hat. Trotzdem wären wir recht verbunden, wenn Sie eine halbwegs normale Sprache wählen würden. Hat sich Ihr Herr Bruder schon hier gemeldet?« Schlagartig wich das übertriebene Auftreten des Mannes echter Bestürzung. »Wie?« Cliff erzählte ihm in gedrängter Form, warum sie
hier waren. Neben und hinter dem Einsiedler gingen die Besatzungsmitglieder der ORION die sechsundsechzig Stufen der weißen, halbgekrümmten Freitreppe hoch, bis sie an ein Portal kamen. Es sah ebenfalls so aus, als habe die Phantasie des Mannes den möglichen Baumeister mehr beeinflußt als möglich. Nachdem der Kommandant seine Erzählung beendet hatte, sah ihn der Einsiedler schweigend an. »Das klingt unglaublich!« stellte er fest. »Aber es ist leider sehr wahr«, sagte Cliff. »Sie haben nichts gemerkt?« »Nein«, erwiderte der Einsiedler. »Ich bin vollkommen überrascht. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Helga schaltete sich ein und fragte: »Auch wir sind ziemlich erstaunt. Wir glaubten, hier ein wuchtiges Blockhaus zu finden, aber nicht dieses Monument aus einer mit Phantasie gemischten Vergangenheit. Wer hat die Burg gebaut?« Der Einsiedler zuckte die Schultern und sagte leise: »Das ist es, was mich bedrückt. Ich weiß es nicht. Es begann zu wachsen, nachdem ich zum erstenmal meine Gedichte in den Wind gesprochen hatte.« »Hä?« machte Atan. »In den Wind?« Der Einsiedler bekannte leicht gekränkt und wie um Verständnis bittend: »Ich habe auf diesem Planeten leider niemanden, dem ich meine Reime vorlesen oder deklamieren könnte.« Hasso blieb stehen und lehnte sich an die aus Bohlen gefügte und mit Eisenbändern zusammengehaltene Tür, die mühelos einem Barbarenangriff widerstanden hätte und faßte zusammen: »Sie lebten also in einem Blockhaus, dichteten hier
und sangen Ihre Worte in den Wind. Und nachher begann diese Burg zu wachsen, ohne daß Sie sehen konnten, wer sie baute?« »Auf Treu und Glauben!« versicherte der Dichter. »So und nicht anders war es!« Mario bemerkte leise: »Nicht drei, sondern vier Irre. Und dazu noch einen irren Planeten. Davon allerdings, liebster Kommandant, stand nichts im Handbuch.« »Nein«, sagte Cliff, und ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn, »das ändert alles. Sowohl unsere Aufgabe als auch die Umgebung. Aber mir wäre es lieb, wir könnten in Ihrem Privatgemach verhandeln, Einsiedler.« »Bitte!« Das Portal schwang auf. Als sie in die Halle eingetreten waren, suchte Hasso nach dem Öffnungsmechanismus, aber er sah nur drei dicke Seilpaare, die in Löchern neben den Türangeln verschwanden. Er beschloß, die Aufklärung dieses weiteren Rätsels den nächsten Stunden vorzubehalten. »Nehmen Sie Platz!« sagte der Einsiedler und vollführte eine Geste von umfassender Größe. Sie staunten noch immer. Sie befanden sich nunmehr in einem Thronsaal, der geradewegs aus den Gesichten des Einsiedlers entsprungen schien. Er war nicht viel kleiner als ein Sportplatz, und der Boden bestand zu einem Drittel aus richtigem Rasen, in dem ein paar knorrige Bäume wuchsen. Irgendwo in der Ferne befanden sich ein Tisch und viele Sessel, die mit buntscheckigen Fellen ausgestattet waren. *
Zwei Stunden später wußten sie mehr, aber nicht alles – und außerdem war plötzlich ihr Auftrag sehr geheimnisumwittert: der Planet Caernavan't schien alles andere als eine harmlose Welt mit leicht nebliger Lufthülle zu sein. Zweifellos hatten die Kartographen einige entscheidende Dinge übersehen. Cliff, der sich sofort ein Konzept zurechtgelegt hatte, handelte zunächst nach praktischen Gesichtspunkten. Er würde einen Peilsender aufstellen und auch die beiden Schiffe des Filmteams hierher zur Burg beordern; hier gab es Quartiere genug, und außerdem war dieses malerische Bauwerk eine vorzügliche Kulisse. Der Einsiedler war hocherfreut, als er davon erfuhr. Er liebte die Einsamkeit, aber Unterbrechungen dieser Art waren ihm sehr willkommen. Zweitens würde auch die ORION-Crew ihre Suche nach den drei Männern von hier aus starten. Und drittens rechnete Cliff fest damit, daß sie durch die rätselhafte, geheimnisvolle Natur des Planeten mehr Überraschungen erfahren würden, als ihnen lieb war. Sie tranken eine weinartige Flüssigkeit aus wunderbar gedrechselten Holzbechern und hörten zu, was ihnen der Mann im goldgelben Mantel erzählte. Es war fabelhaft, merkwürdig und unglaubhaft. Seit vier Jahren lebte der Einsiedler hier. Er ernährte sich zuerst von Beeren, Kräutern, Pilzen und Wild, das er mit Pfeil und Bogen erlegte. Nach etwa einem halben Jahr schien sich der Planet um ihn herum in eine Art unsichtbar funktionierendes Paradies zu verwandeln. Er rezitierte seine Gedichte, und nachdem er dies getan hatte, fühlte er
sich auf eine nie gekannte Weise wohl und zufrieden. Gleichzeitig – zuerst hatte er es nicht gesehen, weil seine Blockhütte zwei Kilometer von der Burg entfernt gestanden hatte – schien der Planet die Burg zu erbauen. Er entnahm den Bauplan offensichtlich den Einsiedler-Gedichten, und bevorzugt den Nordischen Elegien, in denen es von Trutzburgen über schwarzen Brandungswellen gegen zerklüftete Felsen wimmelte. Mario meinte, noch immer im Bann der geheimnisvollen Vorgänge: »Literatur als Blaupause – auch etwas, das wir noch nicht erlebten.« »So ist es!« bekannte der Einsiedler in vollkommen künstlerischer Naivität. Er kannte natürlich die Lebewesen seiner Umgebung. Unter ihnen waren, abgesehen von Formen, die terra-ähnlich schienen, Wesen, die er als ›Kugeln mit Beinen‹ schilderte. Er hatte einige von ihnen in seiner Umgebung gesehen, sie waren aber sehr scheu und verschwanden, wenn er sie beobachten wollte. Aber in unmittelbarer Nähe der wachsenden Burg sah er viele von ihnen – immer nur halbe Jahre lang. Dann folgte eine Zeit, in der sämtliche Kugeln verschwunden waren. Damals habe auch der Bau der Burg stagniert. Schließlich war sie fertig, immer wieder beeinflußt von Strophen und Bildern seiner Gedichte. Er bewohnte sie allein, und alles, was er zum Leben brauchte, wurde ihm geliefert. Er berichtete noch eine Reihe kleinerer Einzelheiten, die auch neuartig und verwirrend waren, das Gesamtbild aber nicht veränderten. Als die Sonnenstrahlen schräg durch die runden Aussparungen fielen, in denen sich die Baumkronen der Luft und dem Himmel entgegenstreckten,
stand Cliff auf. Er sagte: »Wir lassen die ORION hier stehen, Thorleifson. Wir werden mit unseren beiden Beibooten nach den drei Männern suchen, weil deren Leben, oder zumindest ihre geistige Gesundheit, davon abhängt, wann wir sie finden.« Hoffnungsvoll fragte Thorleifson Thorpbjörnson: »Sie bleiben aber meine Gäste, nicht wahr?« Cliff schlug ihm schwer auf die Schulter, und nach des Einsiedlers Gesichtsausdruck zu urteilen, war dies eine nordmännische Geste, die ihn freute. »Wir bleiben solange hier«, versicherte Cliff, »bis wir die drei Männer gefunden und den Film zu Ende gedreht haben. Das ist sicher.« Sie verließen den Saal und dessen phantastische Dekorationen, gingen die gebogene Freitreppe hinunter und fuhren mit dem Zentrallift in die ORION hinauf. Dort versammelten sie sich in der Kommandokanzel. »Das ist klar«, eröffnete Cliff die Diskussion, »daß wir hier, wie üblich, unvermutet auf einige Dinge gestoßen sind, die uns noch Sorge bereiten werden. Bis zur Ankunft des Filmteams haben wir noch mehr als zwei Tage Zeit. Ich schlage vor, Helga und Atan bleiben noch kurze Zeit hier und schaffen die Voraussetzungen, daß die LANCETS suchen können und daß die Filmschiffe gleich hierher dirigiert werden. Ist das nach eurem Geschmack?« »Ja, so ziemlich«, sagte Helga. »Und was tun wir, wenn einer der Irren auftaucht?« Atan hob die Hände und winkte ab. »Wir hätten die Massekonzentration eines Raum-
schiffes aufspüren müssen, als wir die Burg anflogen. Ich verwette mein Toupet darauf, daß die drei Männer mehr als nur einen Tagesmarsch weit von der Burg entfernt sind.« Hasso meinte versöhnlich: »Du wirst deinen Skalp behalten – niemand wettet dagegen. Wir nehmen beide Beiboote?« Cliff breitete die Preßluftinjektionsspritzen aus und lud die Kapseln mit dem Medikament. Es waren vier Spritzen. »Die Medikamente wurden im Abstand von fünf Tagen gespritzt«, sagte er halblaut. »Sie sind das einzige bekannte Mittel, um die Geisteskrankheiten wenn nicht zu heilen, so doch entscheidend zurückzudämmen. Seit zehn Tagen haben die Männer keine Spritze mehr bekommen. Es eilt. Atan?« Der Astrogator schaute auf. »Wie können wir die Männer am schnellsten finden? Mario und Hasso in einer LANCET, ich in der anderen?« »Es geht nur mit eingeschalteten Detektoren und dann, wenn das Schiff gefunden worden ist, mit der normalen Beobachtung durch Auge, Fernglas oder Sichtschirmvergrößerung.« »Verstanden.« Cliff schaute auf die Uhr und las ab, daß sie noch fünf Stunden Tageslicht hatten. Der Planet rotierte in knapp zwanzig Stunden, und die fehlenden drei Zehntel Schwerkraft waren sehr angenehm. In vier Stunden konnten beide LANCETS eine Strecke von rund eintausend Kilometern abfliegen und absuchen. Cliff verteilte die Spritzen. »Unbedingt vorsichtig vorgehen«, empfahl er.
»Und auf keinen Fall vorher die Männer mit der Gasdruckwaffe lähmen. Beide Mittel vertragen sich nicht. Ich glaube nicht, daß die Suche einfach wird. Starten wir, Freunde?« Sie zogen sich schnell um, streiften die auffallend gefärbten Expeditionsjacken über und bestiegen die zwei Beiboote. Die kugelförmigen LANCETS schossen aus den Startschächten des Raumschiffes, gewannen schnell Höhe und umkreisten einmal die Zinnen der Burg, die in den schrägen Sonnenstrahlen einen unvergleichlichen Anblick boten und entfernten sich dann. Zwischen dem Schiff und den beiden Booten wurde die Funkverbindung hergestellt. Mario und Hasso suchten weiter dem Zentrum der Landmasse zu die Berge ab, und Cliff flog nach Osten. Während er fast automatisch steuerte, betrachtete er die Detektorschirme, aber er rechnete sich aus, daß er kaum Erfolg haben würde: eine Suche dieser Art war stets zuerst eine zeitraubende Angelegenheit. Er ließ das Erlebte der letzten Stunden an sich vorbeiziehen und versuchte, aus allen Beobachtungen, Vermutungen und Berichten ein umfassendes Bild zu gewinnen, aber er gab es schnell auf. Es fehlte noch zuviel. Er flog fünfhundert Kilometer weit geradeaus, in einer Höhe von zehntausend Metern. Hin und wieder bekam er unterirdische Erzlager auf die Schirme; die Zeiger schnellten hoch. Schließlich, als er sich überlegte, daß er umdrehen müsse, meldete sich Helga Legrelle: »Cliff?« »Ich höre. Was ist los? Schwanken die Türme der Burg?« »Nein. Aber ich habe ein automatisches Signal auf-
gefangen. Kommt sofort zurück – das Signal kam eindeutig aus Nordosten. Dort befindet sich ein riesiges Sumpfgebiet, dort sind auch, laut Karte, die riesigen Wasserfälle. Ihr erreicht das Schiff vor Anbruch der Dunkelheit nicht mehr.« »Verstanden!« sagte Cliff. »Kein Irrtum möglich?« Atan schaltete sich in die Leitung und sagte aufgebracht: »Nein! Kein Irrtum! Schließlich habe ich die Berechnungen vorgenommen. Das Schiff muß soeben gelandet sein. Jedenfalls wurde das Signal soeben ausgestrahlt. Es wurde nicht von Hand betätigt, sondern vom Komputer eingeschaltet. Aus diesem Grund brauche ich Mario.« »Ich komme.« Die beiden Beiboote jagten sofort zurück ins Zentrum des Kontinents. Sie trafen bei der ORION ein, als die mächtige, düster rötlich glühende Sonnenscheibe den Horizont berührte und aus dem Burgberg ein Flammenmeer machte.
3 Nacheinander landeten die zwei LANCETS nach einem Flug von dreitausend Kilometern an den Wasserfällen. Cliff setzte das von ihm gesteuerte Boot auf der langgestreckten Grasinsel ab, zwischen den Kalksteintreppen und dem Hang mit den kerzenförmigen Bäumen. Als der Kommandant aus dem Boot kletterte und Helga Legrelle hinaushalf, spürte er die Wirkung der geringeren Oberflächenschwerkraft. Hasso und Mario kamen von der zweiten LANCET her und blieben neben Cliff stehen. Sie schauten hinüber, dorthin, wo das Schiff lag, teilweise vom Wasser des breiten Flusses umspült. Nichts regte sich. Mario de Monti sagte laut, so daß seine Worte die Stille der Natur zerstörten: »Der Komputer hat den Aufschlag registriert und ein Notsignal ausgestrahlt. Der Sender hat ein planetares Notsignal abgestrahlt, das bedeutet, daß die Maschine den Vorgang hier richtig festgestellt hatte. Es muß aber ein leichter Absturz gewesen sein, denn sonst wäre der Zentrallift nicht ausgefahren worden – sind die Männer im Schiff?« Cliff blickte an sich herunter; er trug wasserdichte Expeditionsstiefel, Gasdruckwaffe, in einer Brusttasche der Expeditionsjacke die Spritze mit den winzigen Würfeln der medikamentösen Ladungen und das Armbandgerät. »Das werden wir gleich feststellen«, sagte er. »Dreht euch langsam nach rechts und seht einmal den Felsen dort an; ich glaube, dort ist eine von Thorleifsons rätselhaften Kugeln.«
Langsam bewegten Helga, Hasso und Mario die Köpfe. Im ersten Licht des Morgens sahen sie, wie zwischen zwei Felskanten ein blauweiß marmorierter Gegenstand eingekeilt schien. Es war eine Kugel von nicht mehr als fünfzig Zentimetern Durchmesser. Das Wesen schien die vier Personen aufmerksam zu beobachten, obwohl sie keine Augen sehen konnten. Plötzlich, mit einem einzigen schnellen Sprung, verschwand die Kugel im Dickicht. Kurz hatten die Männer noch an der Unterseite der Kugel einige Beine gesehen – drei oder vier, das konnten sie nicht genau sagen. »Also – Thorleifsons Kugeln existieren wirklich. Und sie sind so scheu, wie er es uns erzählt hat!« stellte Helga fest. Cliff betrachtete die Strecke zwischen ihrem Standort und dem Schiff; fünfhundert Meter durch Sumpf, durch niedriges Wasser und über Kies. »Versuchen wir festzustellen, was dort los ist, Partner!« sagte Cliff und setzte sich in Bewegung. Sie verließen langsam die Grasinsel, und plötzlich hörten sie das Geräusch des breiten Wasserfalles. Sie gingen durch einen Nebenarm, hinterließen flache Spuren in dem weißen Kies, dann durchquerten sie einen schmalen Streifen niedriger Büsche; und wieder raste eine der blauweiß gemusterten Kugeln davon und versteckte sich. Ein paar andere Tiere hoben die Hälse und starrten die Besucher an. Der Wasserfall bot einen phantastischen Anblick; im Lauf der Jahrtausende hatten sich acht Stufen aus Kalkstein gebildet. Über diese Stufen, verschieden hoch und von blendendem Weiß, fiel das Wasser, das einige hun-
dert Kilometer weiter nördlich den Sumpf entwässerte. Am jenseitigen Ende der Barriere lag das Diskusschiff schräg im Wasser. »Die Schleuse ist halb überflutet«, sagte Hasso leise und schüttelte das Wasser von seinem Ärmel. »Ich bin nicht sicher, ob unsere drei Intellektgeschädigten nicht auch ein bißchen naß geworden sind.« Sie erreichten, bis zu den Knien im Wasser, die offenstehende Schleuse. Cliff hielt sich fest und spähte hinein. Ein Gefühl der unbestimmten Gefahr erfüllte ihn. Er sah den zylindrischen Raum, darin schwamm ein Handschuh – die Schleuse war leer. »Nichts.« Hasso zog Cliff zurück und murmelte: »Das wird ein schönes Stück Arbeit. Ich sehe nach, ob ich das Schiff aufrichten und auf die Schwerkraftpolster stellen kann. Geht ein paar Meter zurück.« Sie zogen sich auf einen Teil der Wasserfall-Treppe zurück, auf der nur wenige Zentimeter hoch das Wasser entlangströmte. Hasso stieg in den Unterteil des Lifts hinein, fuhr den Zylinder langsam und mit langen Pausen ins Unterschiff zurück, und gleichzeitig senkte sich der Diskus immer mehr der Waagerechten zu. Schließlich, als sich der Lift ganz eingezogen hatte, lag das Schiff flach im Wasser. Minuten später hob sich der Diskus wieder und glitt dann in einem kleinen Bogen vom Fall weg und blieb zwanzig Meter von den beiden LANCETS stehen. Cliffs Armbandfunkgerät summte auf. Hassos Stimme sagte aus dem winzigen Lautsprecher. »Alarm, Cliff! Das Schiff ist verlassen. Die Männer
sind weg. Und... sie haben drei Strahlwaffen aus dem Magazin mitgenommen.« »Verstanden«, sagte der Kommandant. »Jetzt fangen unsere Schwierigkeiten erst richtig an.« Hasso kam ein wenig später aus dem Raumschiff und lehnte sich an eine Landestütze der LANCET. »Irrsinn!« sagte er. »Drei Männer, die vor etwa zwölf Stunden das Schiff verlassen haben. Ob wir sie jemals finden? Und in knapp zwei Tagen kommen die Filmleute!« Mario krempelte langsam und bedächtig seine Jakkenärmel hoch und brummte verdrossen: »Ich glaube, hier paßt nichts zusammen. Seit unserem Start sind alle Dinge, die wir erlebten, merkwürdig und äußerst geheimnisvoll. Die Einzelheiten passen nicht in meine Überlegungen. Warum rennen die Irren einfach durch die Gegend? Wohin rennen sie?« Cliff erwiderte: »Es sind kranke Männer, deren Ziel mit Sicherheit das Blockhaus des Einsiedlers ist. Sie wissen ebenso wenig wie wir, daß inzwischen eine Burg daraus geworden ist. Wir müssen ihre Spuren finden. Also los. In die LANCETS.« Helga meinte bekümmert: »Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben!« Sie verteilten sich wieder auf die Beiboote und starteten. Die Landestützen schwebten wenige Meter über dem Boden, als beide Boote über dem Wasserfall Kreise zu ziehen begannen. Einer steuerte, der andere suchte den Boden ab. Nach einer halben Stunde fanden sie die erste Spur. Sie bestand aus einer breiten Reihe von Eindrücken in einer Sandfläche, die von verkümmerten Grasbüscheln durchsetzt war. Cliff
sagte, ohne die Spur aus den Augen zu lassen, ins Mikrophon: »Hasso, Helga... fliegt bitte so schnell wie ihr könnt diese Spur entlang. Sie führt nach Westen, also dem Zentrum der Landmasse zu, mithin der Burg. Wir folgen langsam, vielleicht lesen wir unterwegs einen der Männer auf.« »Verstanden!« Jetzt hatte sie das Jagdfieber gepackt. Die LANCET, von Helga gesteuert, scherte aus dem Kreis aus und entfernte sich nach Westen, immer noch wenige Meter über dem Boden. Mario und Cliff folgten langsamer; Cliff hing in den Gurten auf der breiten Leiter und betrachtete den Boden. Ohne Zweifel – hier waren drei Männer ziemlich schnell gelaufen, aber die Spuren wurden von frischeren Wildfährten gekreuzt. Sie waren also von gestern. Mit vierzig Stundenkilometern Geschwindigkeit schwebte Cliffs LANCET weiter. Mario fragte: »Ob die Irren ein Ziel haben?« »Vermutlich, sonst würden sie nicht geradewegs nach Westen gelaufen sein. Aber das ist nur meine Überzeugung; Beweise habe ich keine dafür.« Im gleichen Moment kam ein Anruf über Funk. »Wir sind etwa fünfzig Kilometer von euch entfernt. Die Spuren gabeln sich, Cliff!« Cliff gab Mario einen Wink, und die LANCET setzte ihre Geschwindigkeit und die Höhe herauf und raste los. Das war wieder solch eine merkwürdige Sache – aber natürlich konnte man die drei kranken Männer nicht mit normalen Überlegungen und normaler Logik beurteilen. Warum hatten sie sich getrennt?
»Wir kommen!« rief Cliff. Eine halbe Stunde später glitt Cliffs LANCET über der Spur, die nach Süden führte. Sie hatten jetzt die Zone von Sumpf und träge fließenden Kanälen hinter sich gelassen. Das Gebiet, das sie absuchten, war ein riesengroßer Keil aus hügeliger Landschaft, in der sämtliche Geländeformen vorkamen. Der Fluß durchzog in unzähligen Windungen dieses Gebiet in der Hauptrichtung Nord-Süd, gabelte sich in zwei deutlich erkennbare Systeme. Diese Spur war neu; das taufeuchte Gras bildete eine dunklere Linie. Summend bewegte sich das Beiboot, langsam, vorsichtig, den Bäumen ausweichend, die hier eine ungewöhnliche Höhe erreichten. Tiere aller Farben und Größen sahen dem Apparat nach. Schließlich, gegen Mittag, sagte der Kommandant: »Halt!« Er schnallte sich los und kletterte nach oben in den kugelförmigen Raum. Er bewegte einen Hebel, und die LANCET drehte sich um dreißig Grad, so daß auch de Monti genau in die Fahrtrichtung sehen konnte. Cliff deutete auf eines der halbkugeligen Fenster und sagte deutlich: »Dort vorn läuft Alfryd Thorpbjörnson, der Bruder des Einsiedlers. Wir sollten ihn überholen. Landen, dann fängst du ihn ab, klar?« »Und du spritzt ihm das Medikament?« »Richtig.« Das Boot flog eine weite Schleife und Cliff spähte durch den schweren Feldstecher, während sie Alfryd neben seiner Spur überholten und fünfhundert Meter vor seinem Standort landeten. Der Mann sah abgerissen und erschöpft aus, aber er lief in einem vorbildli-
chen Langstreckenstil geradeaus. Cliff erinnerte sich, daß ein Teil der klinischen Heilungsversuche auch ein scharfes, sportliches Training gewesen war. Sie landeten hinter einer Buschgruppe, die Maschinen liefen leer, und die beiden Männer verließen hastig das Beiboot. Sie entfernten sich zehn Meter voneinander und gingen langsam und wachsam auf den näherkommenden Mann zu. Sie sahen ihn nicht, aber nach kurzer Zeit hörten sie die Geräusche, mit denen er sich seinen Weg durch Gräser, Büsche und Sträucher bahnte. Schließlich tauchte sein Oberkörper auf, und Cliff zischte Mario zu: »Von hinten! Und – schnell!« Mario hob den Arm, lief an und schlug nach zwanzig Metern einen Haken, dann tauchte er hinter Alfryd auf. Cliff wartete, bis beide Männer an ihm vorbeikamen, und er hörte das hastige Keuchen des Wissenschaftlers. Alfryd bemerkte weder ihn noch den Chefkybernetiker – und Mario warf sich auf ihn. Er umklammerte den Oberkörper des Mannes wie ein Schraubstock, aber Alfryd warf sich nach vorn, hob de Monti hoch und schleuderte ihn über sich hinweg, rollte seitwärts ab, und Cliff, der im gleichen Augenblick auf den Irren lossprang, wurde von der Schulter voll getroffen und in einen Busch zurückgeschleudert. Er war teils erschrocken, teils wütend – und gleichzeitig griffen beide Männer wieder an. Ein wildes Ringen begann. Mario und Cliff hatten mit keinem oder mit nur wenig Widerstand gerechnet, aber Alfryd wehrte sich verbissen. Sie sahen während des Kampfes nicht, daß mindestens zehn der kugelförmigen Wesen sie beobachteten – sie hingen in Ästen, rollten unter Büschen hervor oder liefen
schnell über die kleinen Lichtungen. Endlich wendete Mario, als Cliff Alfryd umgerissen hatte, einen Karategriff an, und der Geisteskranke sackte zusammen. Während Cliff schwer atmend und mit zitternden Fingern die Pistole klarmachte und das Mundstück an der Halsschlagader des Niedergeschlagenen ansetzte, hörte er das undeutliche Murmeln des Mannes. »Nicht...«, sagte er in einer Mischung aus abgehacktem Flüstern und keuchendem Murmeln, »... nicht spritzen... kein... Medikament... in Ruhe lassen...« Das Zischen der Preßluftladung schnitt das Murmeln ab, und der Mann sackte vollständig zusammen, blieb ausgestreckt liegen. Cliff und Mario de Monti sahen sich an und entfernten Zweige und Gräser aus Haar und Ärmeln. »Er wollte nicht, daß wir ihm das Medikament injizieren«, sagte Mario nachdenklich. »Verständlich!« sagte Cliff. »Benachrichtigen wir die anderen und schaffen wir Alfryd in die Kältekammer der ORION.« »Mit Vergnügen, Cliff!« Mario ließ sich von Cliff den bewegungslosen, schlaffen Körper des Wissenschaftlers auf den Rükken heben und kletterte die Leiter hinauf, setzte ihn in den Reservesessel und wartete, bis Cliff eingestiegen war. Cliff rief die andere LANCET, aber niemand meldete sich. »Was ist los?« Cliff preßte die Lippen aufeinander und knurrte: »Wahrscheinlich wird Hasso gerade sanatoriumsreif geschlagen – niemand meldet sich...«
Noch während er sprach, kam Helgas Stimme: »Wir haben den zweiten, Cliff! Wir bringen ihn zur ORION!« »Fabelhaft!« rief der Kommandant. »Jetzt fehlt uns nur noch einer. Wer ist es?« Helga antwortete: »Thor Vividon, der Bioniker!« »Dann fehlt nur noch Bill Delante«, stellte Mario fest und startete die LANCET. Sie rasten einige Minuten später in die Richtung der Burg, gefolgt von dem anderen Beiboot. Und nachdem beide Männer in die Kältekammern eingeschlossen und versorgt worden waren, dauerte es nur bis zum Einbruch der Nacht, bis Bill gefunden war. Er lag vollkommen erschöpft am Ende seiner Spur, die nach Norden geführt hatte, zurück in die Sümpfe. Auch er wehrte sich gegen die Injektion, aber er konnte gegen vier Mann aus der ORION nichts ausrichten. Der erste Teil der Aufgabe des Schiffes war beendet. Die Crew und der Einsiedler saßen nachts in der Halle der Riesenburg. Die Szene war voller Ruhe und Frieden, aber ohne daß einer der sechs Menschen es ahnte, geschahen Dinge, die jene Ruhe sehr empfindlich störten. Sie geschahen im Dunkeln, unsichtbar... mit weitreichenden Folgen. Das Kaminfeuer loderte aus riesigen klobigen Balken und Ästen. Die Felle in den Sesseln waren kühl, der Wein roch und schmeckte ausgezeichnet, und der Einsiedler sprach mit sehr angenehmer Stimme. »Welches Thema hat dieser Film, von dem Sie sprachen?« fragte er. Helga sagte leise: »Wir wissen es nicht genau. Offensichtlich eine Mi-
schung aus Spielfilm und dramatischer Handlung. Sie sollen vorkommen, natürlich wird auch die Burg verwendet werden, und schließlich soll das Team sämtliche fünf Geländeformationen aufnehmen. Wir haben übrigens wiederholt jene Wesen gesehen, von denen Sie sprachen.« »Kugeln, marmoriert aus Weiß und Blau, angefüllt mit mythischer Bedeutung, und immer unsichtbar!« deklamierte Thorleifson laut. »Mythische Bedeutung?« fragte Hasso laut und beugte sich vor. Er hatte noch immer die erstaunlich klaren Formulierungen des Mannes in den Ohren, dem er das Medikament gespritzt hatte. Irgendwie hatte er nicht den Eindruck gemacht, daß er teilweise seines Verstandes nicht mächtig wäre – unerklärlich für jeden »normalen« Menschen, und doppelt unerklärlich für Hasso Sigbjörnson. »Ich habe den Eindruck«, sagte der Einsiedler, »daß diese Kugelwesen mehr können oder mehr sind als nur merkwürdig aussehende Tiere. Sie nehmen jedenfalls lebhaft Anteil an allem, was ich tue. Sie sind jedesmal dabei, wenn ich meine Gedicht deklamiere; aber sie verstecken sich sofort, wenn ich sie ins Auge fasse.« »Interessant«, sagte Cliff. »Berichten Sie uns etwas über Ihren Bruder, und, wenn Sie können, auch über die beiden anderen Männer.« Unvermittelt sagte Thorleifson: »Alfryd ist ein Mystiker. Er liebt alles, was geheimnisvoll ist. Offensichtlich hat dieser Zug seiner Anlagen seine Krankheit ausgelöst.« Die riesige Halle um sie herum war leer und dun-
kel. Die wenigen Sitzgruppen, die Bäume und der schmale Bach, der auf einem Kiesbett die Halle durchquerte, verursachte ein murmelndes Geräusch. Und die ORION-Crew begann, ohne daß sie es richtig erfaßten, eine Ahnung zu bekommen von den Geheimnissen des Planeten Caernavan't, die noch nicht einmal dem Einsiedler aufgefallen waren. Da sich Thorleifson ständig in der Welt seiner Gedichte befand, litt sein Realitätsbezug darunter. »Sie bleiben natürlich meine Gäste«, sagte Thorleifson leise. »Es sind einige Gastzimmer entstanden.« Cliff sprang auf. »Was bedeutet ›entstanden‹?« rief er verblüfft. Thorleifson zuckte die Schultern. »Ich habe während Ihrer Suche heute ein Gedicht über die Gastfreundschaft gemacht und zur Kontrolle laut vorgelesen. Wollen Sie es hören?« Hasso winkte ab und lachte. »Nein, wir ziehen Lyrik in gedruckter Form vor. Sie ist leiser und läßt sich zuklappen. Wie war das?« Thorleifson zog seinen riesigen Mantel enger um die Schultern und sagte mit einer schwungvollen Bewegung: »Ich kann es Ihnen nicht erklären, Kommandant – aber es ist so! Im Rundturm neben der Zugbrücke sind fünf wunderbare Apartments im Stil der Burg entstanden. Die Räume waren bisher leer. Jetzt werden Sie sich darin wohlfühlen, meine Freunde!« »Zweifellos!« murmelte Atan Shubashi. Er fand dies alles aufregend und hoffte auf die Fähigkeit der Crew, alle Dinge innerhalb des Kosmos zur Zufriedenheit aller klären zu können. »Das muß ich sehen!« sagte Hasso, sah auf die Uhr
und stand auf. »Ich werde durch die Wehrgänge bis zu meinem Zimmer schreiten und mit den Geistern dieses Planeten Zwiesprache halten.« »Viel Vergnügen!« empfahl ihm der Astrogator. Nach einer weiteren Stunde, in der die fünf Terraner versuchten, alles aus dem Einsiedler herauszuholen, was er wußte verabschiedeten sie sich und gingen durch die finsteren Wehrgänge bis zum Torturm, die spiralige mit Quadern überdeckte Wendeltreppe hinauf und in ihre Zimmer, die untereinander lagen, wie ein Stapel dicker Münzen. Cliff stand noch lange Zeit am Fenster, betrachtete die Sterne und fragte sich, was das alles sollte. * Und vierundzwanzig Stunden später war die Burg voller Menschen. Zum erstenmal seit seiner Entstehung war der Bau mit Leben erfüllt, wimmelte von technischen Apparaturen, von Scriptgirls, den Männern der zwei Kamerateams, den Helfern und einer Anzahl von Leuten, deren Funktion niemandem klar zu sein schien, am allerwenigsten Cliff und seiner Crew. Er stand mit D'Agricola, der hier offensichtlich das große Wort führte, unter einem eichenähnlichen Baum in der Nähe der heruntergelassenen Zugbrücke und beobachtete aus den Augenwinkeln eine der blauweiß geäderten Kugeln, die ihrerseits die zwei Männer zu belauschen schien. »Wir drehen schon heute«, sagte D'Agricola. »Und ich wäre sehr beruhigt, Kommandant, wenn Sie und ein Mann Ihres Teams bei uns wären.« Cliff nickte.
»Hasso Sigbjörnson, einer der ruhigsten und besonnensten Menschen, die ich je kennengelernt habe, ist gerade in der ORION und packt zusammen, was wir brauchen. Wir haben Ihnen ja versprochen, alles zu überwachen. Was wollen Sie drehen?« D'Agricola schlug das Drehbuch auf und fuhr mit dem Zeigefinger einige Zeilen entlang, dann sagte er zögernd: »Zuerst hauptsächlich Motivsuche und Versuche über die Lichtverhältnisse. Und dann dieses prächtige Bauwerk von fern und nah. Wer hat es eigentlich gebaut? Der Einsiedler?« Cliff lachte unbehaglich auf und erwiderte leise: »Niemand! Oder besser: Der Planet hat es nach Anhörung von Thorleifsons Gedichten selbst entstehen lassen. Ehrenwort... so und nicht anders war es.« D'Agricola maß ihn mit einem halb verwunderten, halb drohenden Blick und sagte heiser: »Darüber werde ich Thorleifson selbst befragen. Ich glaube Ihnen kein Wort, Kommandant!« »Und das kann ich Ihnen nicht einmal verübeln«, begann Cliff. Sein Armbandgerät summte. Er winkelte den Arm an und war plötzlich stark beunruhigt. Seine Befürchtungen erfüllten sich, als Hasso sprach. »Ich bin im Schiff, McLane«, sagte er aufgeregt. »Und ich habe eben festgestellt, daß... nein, komm selbst, ja? Schnell!« »Klar!« Cliff entschuldige sich und spurtete los. Er rannte über die Zugbrücke, deren Bohlen unter seinen Schritten polterten, durch den Toreingang, schob zwei Männer mit einer Schwebeplattform zur Seite und stob zwischen den Gruppen der Filmleute hin-
durch bis zur ORION. Sekunden später stand er neben Hasso im Ringkorridor des Unterschiffes. Hasso deutete auf den kleinen Eingang zur ersten Kältekammer. Er war geöffnet, und ein eiskalter Lufthauch kroch über den Boden auf die beiden Männer zu. »Ich habe das Schott geöffnet«, sagte Hasso. »Schau hinein!« Cliff bückte sich und spähte ins Innere. Eine Lampe brannte und beleuchtete den Platz, an dem noch vor kurzer Zeit Alfryd Thorpbjörnson bewegungslos gelegen hatte. Nur noch der Abdruck seines Körpers war als dunkler Fleck auf der glatten Fläche zu erkennen. Cliff fühlte, wie eine Welle der Kälte über seinen Rücken kroch und die Nackenhaare sich aufstellten. Er zog seinen Kopf aus der Kammer heraus, starrte schweigend Hasso an und fragte: »Die beiden anderen?« Hasso hob die Schultern und ließ sie resignierend wieder sinken. »Auch verschwunden. Aber... niemand war im Schiff. Niemand hat sie befreit. Ich habe die Wachapparaturen selbst eingestellt und kontrolliert. Alle drei Irren sind aus den verschlossenen Kältekammern verschwunden. Oder sie haben sich in Luft aufgelöst.« »In kalte Luft«, sagte Cliff. »Alle drei Männer – verschwunden. Wer war es? Wohin verschwanden sie?« Hasso erwiderte ohne die Spur von Ironie: »Sie sind ebenso verschwunden, wie sich die Burg hergestellt hat.« »Du meinst«, fragte Cliff nachdenklich, »daß derjenige, der die Burg erbaut hat, auch unsere drei Geisteskranken hat verschwinden lassen?«
Hasso steckte die Strahlwaffe in die verdeckte Anzugtasche und murmelte: »Immerhin liegt der Verdacht nahe.« Cliff holte tief Atem und wußte jetzt mit Bestimmtheit, daß sie alle mit ihren undeutlichen Vermutungen recht gehabt hatten. Der Planet besaß Geheimnisse! Cliff sagte resignierend, aber mit deutlichem Trotz in der Stimme: »Gut. Wir suchen weiter. Ich werde es unseren Leuten sagen, aber das Filmteam braucht davon nichts zu erfahren. Wir werden auch zweifellos herausfinden, wer hinter allem steckt – vielleicht finden wir es zu spät heraus. Jedenfalls müssen wir die drei Geisteskranken fassen, weil sie selbst sich gegenüber die größte Gefahr sind. Hasso – du und ich sollen D'Agricola begleiten. Uns stehen harte Tage bevor.« Hasso lächelte verständnisvoll. »Wenn ich das Lächeln richtig deute, mit dem dich das Mädchen Alxeste betrachtet, dann stehen auch harte Abende im Programm.« Cliff grinste ohne Humor. »Möglicherweise hast du recht!« Sie lasen von der Wachautomatik ab, daß die drei Männer verschwunden waren, während sie mit Thorleifson zusammen am Kaminfeuer gesessen hatten; dadurch, daß die »warmen« Körper verschwunden waren, konnte anhand der Kühlleistung die Stunde des Verschwindens abgelesen werden. Als sie die Schleuse verließen und wieder in der geringen Schwerkraft und dem hellen Sonnenlicht standen, sagte Hasso: »Die Männer können, falls sie wirklich von unsichtbaren planetaren Helfern befreit worden sind,
überall sein – Zehntausende von Kilometern entfernt.« Cliff erwiderte: »Wenn sie durch irgendeinen parapsychischen Trick befreit worden sind, dann halten sie sich garantiert in unserer Nähe auf. Aber das bedeutet nicht, daß wir sie deswegen leichter finden.« * Zwei floßartige Plattformen, die sich ähnlich wie eine LANCET schwebend fortbewegten, standen jetzt vierhundert Meter von der Burg entfernt zwei Fußbreit über dem Gras. Etwa ein Dutzend Männer bemühten sich um die zwei Kameras. Cliff und Alxeste saßen auf einem umgestürzten Baumstamm und sahen zu, wie die Männer das Gelände absuchten. Die schweren Kameras summten im Leerlauf. »Es gefällt Ihnen hier?« fragte Cliff. »Ausgezeichnet! Man fühlt sich leicht, beschwingt und sorgenfrei, und obendrein habe ich das Gefühl, mich in einer Welt der Zauberei, der Phantasie zu bewegen. Es ist himmlisch! Schade, daß ich zum Arbeiten hergekommen bin!« Alxeste hatte kurzes, blaues Haar und graue Augen, eine bemerkenswerte Figur und eine sehr angenehme Stimme. Cliff sah ihr Profil und entdeckte in der Verlängerung der Geraden zwei der bekannten Kugeln, nur fünfzehn Meter entfernt. Sie waren fast vollkommen getarnt unter einem kleinen, verkrüppelten Baum. »Eine Welt der Phantasie«, sagte der Kommandant. »Vielleicht haben Sie gar nicht so unrecht.«
Ein Kameramann probierte die Automatik des Gerätes aus und drehte sich mit dem schweren Mechanismus langsam herum. Er hatte seinen Kopf halb in den Apparat versenkt und betrachtete die Landschaft durch die verschiedenen Linsensysteme, und plötzlich hielt die Bewegung des Drehgestells an. Die Linsenmechanik klickte, und Cliff wußte, daß der Kameramann etwas gesehen haben mußte. Er schaltete die Teleoptik ein... Cliff wagte nicht zu atmen. Das Auge des Linsensatzes richtete sich auf den kleinen Baum und die beiden Wesen darunter, und Cliff sah schweigend zu. Die beiden Wesen rührten sich nicht, aber der Kameramann fuhr plötzlich zurück, stand auf und begann zu schreien. Cliff verstand nicht genau, was er sagte, aber er bemerkte daß die beiden Kugeln raschelnd und in rasender Eile unter dem Bäumchen herausschossen und verschwanden. Er sah einen Moment lang die wirbelnde Bewegung der dünnen, stelzenartigen Beine; es waren zwei Paare. Cliff stand auf und zog Alxeste vom Baumstamm hoch. »Die Kamera ist offensichtlich kaputt«, sagte er leise. »Sehen wir nach.« Sie gingen langsam zu der Schwebeplattform hinüber. Um den Kameramann, der aufgeregt herumschrie und die Hände hochwarf, bildete sich eine Gruppe. Cliff nickte Hasso zu, schob sich durch die Menschen und sagte laut: »Ich glaube, ich kann Ihnen erklären, was hier vorging.« Der Kameramann sagte aufgebracht: »Ich weiß es selbst, Raumfahrer. Der Motor für den Filmtransport ist ausgefallen. Irgend etwas hielt ihn
fest, er schmorte durch. Und... hier – ich kann nichts finden, was ihn blockiert haben sollte.« Cliff sah, daß an der Seite des schweren Gerätes eine Klappe geöffnet war. Dahinter befand sich der durchgeschmorte Transportmotor. Ein Techniker wechselte ihn gerade aus. »Es war eine telekinetische Kraft«, erklärte Cliff ruhig, »die den Motor blockiert hat. Und wenn ich nicht völlig irre, dann wurde diese Kraft von den beiden Kugeln ausgelöst, die Sie filmen wollten – oder es wenigstens versuchten. Diese Planetarier sind sehr scheu.« D'Agricola schrie aufgebracht: »Sie sollen uns beschützen, Cliff, nicht meinen Leuten Schauergeschichten erzählen!« Cliff sagte ernst: »Ich wette mit Ihnen jeden Betrag, daß während der gesamten Dreharbeiten keine Kamera stehenbleibt, wenn Sie es vermeiden, die Linsen auf diese Kugeln zu richten.« Er erntete nur Kopfschütteln, aber die Männer schienen immerhin etwas nachdenklicher geworden zu sein. An diesem Tag wurden noch einige Serien von Außenaufnahmen gemacht, und ein toller Sonnenuntergang hinter der Burg wurde von zwei Seiten mit je einer Kamera gefilmt. Das Material, das bereits jetzt »im Kasten« war, schien erste Qualität zu besitzen. Hasso kam auf Cliff zugeschlendert, der sich mit Alxeste unterhielt. »Du scheinst von dieser Theorie überzeugt zu sein, Cliff?« fragte der Bordingenieur. »Ja. Ziemlich stark sogar, Hasso. Ich sah zu, wie sich die Kamera auf zwei der Kugeln richtete. Sie
schienen nichts zu tun, aber noch während der Mann drehte, geschah der Unfall oder die Panne.« Hasso murmelte unterdrückt: »Dann scheinen also diese Kugeln erstens die Gedichte unseres Einsiedlers leidenschaftlich gern zu hören, als Dank für diesen Genuß bauten sie ihm die Burg, indem sie gewisse Ausdrücke und Wünsche seiner Gedichte berücksichtigten.« Alxeste umklammerte McLanes Arm und stotterte: »Das darf doch nicht Ihr Ernst sein, Hasso...?« Hasso ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und fuhr fort: »Daß diese Tiere scheu sind, weiß bereits Thorleifson. Daß sie sich gegen das Gefilmtwerden wehren, ist hiermit aktenkundig geworden. Also verfügen sie nicht nur über starke telekinetische Kräfte, sondern auch über Intelligenz, denn wie sollten sie sonst den Inhalt der Gedichte erkennen und interpretieren? Besitzen sie aber Intelligenz, dann sind es keine Tiere.« Cliff war mehrmals nahe an dieser Kausalkette gewesen, aber er hatte seine Gedanken noch nicht so klar ausformuliert. Er wußte, daß Hasso recht hatte. »So ist es!« sagte er. »Nein! Das ist völlig unmöglich!« rief Alxeste. »Das darf es doch nicht geben!« Und im selben Augenblick taumelte hinter einigen Felsen eine Gestalt heraus; das Kamerateam hatte inzwischen zum viertenmal den Standort gewechselt und hörte gerade auf, den Sonnenuntergang abzulichten. Die Gestalt sah sich um, schien niemanden außer McLane zu erkennen und rannte los. Einige der Filmleute, die mit dem Rücken zum Herankommen-
den standen, wurden zur Seite geschleudert, überschlugen sich und begannen zu fluchen und zu schreien. Cliff wurde aufmerksam, drehte sich halb herum und sah gerade noch, wie sich Alfryd Thorpbjörnson mit einem Riesensatz auf den Kameramann warf und ihn mit drei, vier gezielten Faustschlägen besinnungslos schlug. Dann blieb Alfryd stehen, sah sich ein zweitesmal um und kam schnell auf Cliff zu. Cliff zwang sich zur Ruhe. Der Mann vor ihm sah verzweifelt und ausgemergelt aus, dichter, schmutziger Bartwuchs entstellte sein Gesicht. Die Augen waren übernatürlich groß und aufgerissen. »Bleiben Sie stehen, Alfryd«, sagte Cliff leise, aber sehr bestimmt. »Ich will Sie nicht niederschießen!« Thorpbjörnson rief leise: »Ich bringe Sie um, wenn Sie mir dieses verdammte Medikament noch einmal verabreichen. Halten Sie die Hände weit vom Körper weg – ich will mit Ihnen reden.« Cliff spreizte die Finger und blinzelte. Der Mann vor ihm sprach mit leidenschaftlicher Stimme, aber seine Worte waren völlig klar. Er schien sehr müde und nicht weniger hungrig und durstig zu sein. »Das Medikament«, sagte er keuchend, »das Sie mir spritzten, verschlimmert nur alles. Wir sind auf diesem Planeten, weil wir geheilt werden wollen. Nur hier, inmitten der Mystik dieses Planeten, zwischen den Wesen mit all ihren Fähigkeiten haben wir Ruhe. Und Sie sperren uns ein. Wo sind die beiden anderen Männer, mit denen ich hierher flog?« Cliff richtete langsam die stumpfnasige Gasdruckwaffe auf Thorpbjörnson.
»Eines nach dem anderen«, sagte er. »Wer hat Sie aus der Kältekammer unseres Raumschiffes herausgeholt?« Alfryd murmelte undeutlich: »Ich fror... das ist richtig... aber ich erinnere mich nicht, in einer Kältekammer gewesen zu sein. Ich landete das Schiff – zugegeben, nicht besonders gut –, ich lief dem Blockhaus entgegen, und dann wurde ich überfallen. Zwei Männer... aber ich war in keiner Kältekammer. Ich hätte nämlich einen klaustrophobischen Anfall haben müssen.« Alxeste stand neben Cliff und begriff nichts. »Ein Fall von vorübergehender Amnesie«, sagte Cliff. »Gut, Sie waren also, nachdem mein Erster Offizier und ich Sie niedergeschlagen und versorgt hatten, in der Kältekammer des Schiffes. Eine halbe Stunde, nachdem wir das Schott verschlossen hatten, verschwanden Sie – und gleichzeitig auch Ihre beiden Freunde. Wer oder was hat Sie herausgeholt?« »Ich weiß es nicht...«, stammelte Alfryd. »Ich wachte plötzlich auf und hörte Stimmen. Das war vor einer ganz kurze Zeit.« Um die zwei Männer bildete sich ein Kreis aufgeregter Menschen. Einige Scheinwerfer wurden eingeschaltet und beleuchteten die Szene und die aufgeregten Gesichter Cliffs und Alfryds. Hasso baute sich eine Gasse durch die Filmleute und blieb hinter dem Geisteskranken stehen, ebenfalls die entsicherte Gasdruckwaffe in der Hand. Die Spannung nahm zu. Cliff fragte laut: »Sie wissen, daß Sie mit einem Raumschiff, zusammen mit zwei anderen kranken Männern aus einem terranischen Sanatorium geflohen sind?«
»Ja, etwa vor zwölf Tagen«, antwortete Alfryd sofort. »Sie wissen, weswegen Sie und Ihre Freunde in diesem Sanatorium waren.« »Ja. Verfolgungswahn und Wahnvorstellungen. Wir litten sehr darunter, konnten aber nichts dagegen tun.« »Verständlich«, sagte Cliff scharf. »Sie waren zwölf Tage lang ohne medikamentöse Behandlung. Wir haben Ihnen allen dreien dieses Medikament gespritzt. Warum brüllen Sie mich eigentlich an? Ich will Ihnen helfen, Mister.« Überraschend klar und voller Überzeugungskraft entgegnete Alfryd: »Das Medikament ist Mist! Es hilft nicht – es verschleiert nur den freien Blick auf die geheimnisvollen Kräfte, die hier auf Caernavan't verborgen sind.« Cliff sagte: »Sie sind Biologe, Spezialgebiet extraterrestrische Forschungen. Sie sind auf keinen Fall ein Psychologe, Nervenarzt oder Psychotherapeut. Glauben Sie, daß Sie besser wissen, was Ihnen nützt oder schadet?« »Selbstverständlich«, sagte Alfryd. »Schließlich bin ja auch ich es, der krank war... oder noch ist, denn ich bin noch nicht völlig wiederhergestellt. Wenn Sie mich überwältigen und nochmals dieses verdammte Medikament anwenden, dann halten Sie die Heilung noch länger auf. Nur der Planet kann mich heilen.« Cliff überlegte und versuchte, seine Chancen War abzuschätzen. Er konnte nicht verhindern, daß »der Planet wieder eingriff«, wie es formuliert werden könnte. Vielleicht versuchte er es auf einem anderen Weg?
»Ich bin nicht abgeneigt«, sagte er nachdenklich, »Ihnen zu glauben. Habe ich Ihr Wort?« Der Biologe fragte zurück: »Welches Wort, Kommandant?« »Ich werde mich mit Ihnen privat unterhalten. Versuchen Sie ein zweitesmal zu fliehen, dann bin ich zu schärferen Maßnahmen gezwungen. Geben Sie mir Ihr Wort, nicht wieder wegzulaufen, dann wende ich das Medikament nicht mehr an.« Der Biologe kratzte sich im Bart und fuhr sich nachdenklich über den Nacken, dann spuckte er aus und murmelte: »Sie haben mein Wort. Aber – wo sind die beiden anderen Männer?« Cliff zuckte mit den Schultern und versicherte wahrheitsgetreu: »Ich weiß es auch nicht, Alfryd. Kommen Sie mit auf die Burg Ihres Bruders?« »Wohin?« Cliff winkte ab und bedeutete dem Kameramann, der sich auf Alfryd stürzen wollte, er solle sich zurückhalten. Der Kommandant sagte müde: »Ich werde Ihnen alles erklären, Alfryd. Aber um alles in der Galaxis – sehen Sie in den nächsten Stunden und Tagen nicht jeden frei herumlaufenden Terraner als Ihren persönlichen Gegner an!« Nacheinander setzten sich die beiden Schwebeplattformen in Bewegung und schlugen die Richtung auf die Burg ein, an deren Zinnen hellodernde Fakkeln steckten. Es war ein großartiger, romantischer Anblick und es fehlten nur noch Herolde, die in mächtige Luren stießen und das Kommen der Gäste signalisierten.
4 D'Agricola, der in einem thronähnlichen Sessel neben dem Kamin saß und mißtrauisch die Funken betrachtete, die hin und wieder auf den Balkenboden sprangen, sagte gerade: »Wir haben uns entschlossen – nach den wirren Berichten des Einsiedlers –, das Drehbuch geringfügig zu modifizieren. Wir filmen jetzt, grob ausgedrückt, den Weg eines ausgestoßenen Dichters rund um die Zentralberge, bis er endlich den Hügel findet, auf dem seine Burg entstehen soll. Natürlich mit einigen weiblichen Darstellern und einer Piratengruppe. So haben wir Gelegenheit, alle Sehenswürdigkeiten des Planeten auf den Film zu bringen.« »Ausgezeichnet!« sagte Cliff bitter. »Das bedeutet also für uns von der ORION, daß wir mit dem Team zusammen durch alle fünf Landschaftszonen marschieren müssen?« Alxeste, die Cliff gegenübersaß, um ihn besser beobachten zu können, führte mit halblauter Stimme aus: »Haben Sie Angst? Wir beginnen hier, in der normalen, abwechslungsreichen Landschaft. Dann ziehen wir durch die Lava-Felsen-Gegend, anschließend durch den Dschungel, durch ein Stück Wüste und schließlich durch den Sumpf. Die Handlung endet damit, daß der Darsteller des Einsiedlers auf einem Felsen stehend, eines der Gedichte aus den Nordischen Elegien deklamiert. Daraufhin baut der Planet voller Dankbarkeit die Burg.« »Trefflich!« sagte Cliff. »Die Schemata des Kunstschaffens, hauptsächlich des Filmschaffens, haben
sich in den letzten drei Jahrtausenden nicht verändert. Eine hübsche Klamotte, die Sie da herunterkurbeln, Meister.« D'Agricola bewies hervorragende Kenntnis des Publikumsgeschmacks, indem er kaltlächelnd antwortete: »Was wollen Sie? Wir werden mit dieser Klamotte Millionen einspielen!« »Ich bin restlos davon überzeugt«, sagte Atan Shubashi. »Womit wir beim zentralen Thema wären. Wie geht es Ihnen, Alfryd?« Unterstützt von Helga Legrelle und Hasso Sigbjörnson hatten sie den Geisteskranken, von dem niemand wußte, wie krank er wirklich war, rasiert, gebadet und neu eingekleidet. Daraufhin hatte Alfryd ein Essen zu sich genommen, das selbst die Schilderung von dem Gastmal des Sigwinge aus den Elegien weit in den Schatten stellte. Im Augenblick saß Alfryd hier in Cliffs Zimmer, einem runden Raum mit einer breiten Tür und einem gewaltigen Fenster, das nach Osten ging, und beteiligte sich an der Diskussion. »Es geht mir ausgezeichnet!« bestätigte Alfryd. »Ich spüre innerlich, wie sich der Planet um meine Heilung bemüht.« »Was natürlich kompletter Schwachsinn ist, mit Verlaub«, sagte Atan. »Vielleicht haben Sie recht, und die Ruhe, die natürliche Lebensweise und die verringerte Schwerkraft helfen Ihnen bei der Heilung. Aber die Identifizierung des Planeten mit einem Psychotherapeuten geht mir nun doch etwas zu weit!« Alfryd beugte sich vor, hob beschwörend die Hände und sagte, nicht weniger pathetisch als sein Bruder Thorleifson:
»Nennen Sie es, wie Sie wollen, Atan. Aber hier ist irgend etwas, das sich mit meinem Verstand beschäftigt und die Dinge wieder einrichtet. Ich fühle es direkt körperlich, besonders dann, wenn ich im Dunkeln allein liege und warte.« Cliff warf ein: »Aber das Medikament...?« »Das Medikament mag für Menschen gut sein, die nicht hier den Frieden und das Glück finden. Es hilft vielleicht auf Terra, aber nicht auf Caernavan't. Es verschlimmert nur alles. Wenden Sie es ja niemals wieder an mir an! Ich bleibe hier, bei Ihnen, denn ich will Ihnen die Arbeit nicht erschweren, sondern erleichtern.« Hasso brummte: »Sehr lobenswert. Hat Ihnen der geheimnisvolle Planet auch gesagt, wo die beiden anderen Männer, Delante und Vividon, sind?« »Nein, leider nicht.« »Leider nicht!« wiederholte Atan. »Aber – wir werden sie finden.« Cliff grinste unbehaglich und murmelte: »Oder sie finden uns!« »Auch möglich. Jedenfalls darf ich morgen wieder mit Ihnen rechnen, Cliff?« fragte der Produzent, der, angeregt durch die Erscheinung des Einsiedlers, sich aus dem Kostümfundus einen hellblauen Mantel besorgt und um die Schultern drapiert hatte. Er glich einem modernen Ritter der Tafelrunde, dessen Waffe nicht das Schwert, sondern das Ultravideo war. Er stand auf, verbeugte sich und rauschte hinaus, wobei sein Mantel hinter ihm herschleppte. Als schließlich nur noch Cliff, Alxeste und Alfryd um das Feuer sa-
ßen, hörten sie eine weithin hallende Stimme. »Thorleifson!« flüsterte Alxeste und richtete sich in ihrem Sessel auf. Alfryd sprang auf und stürzte zur Tür hinaus. Cliff nickte und hörte zu. Die Burg hallte wider von den lauten, deutlich betonten Worten. Der Einsiedler stand, beleuchtet von drei knisternden Fackeln, auf der Plattform des höchsten Turmes und deklamierte in die Nacht hinaus. »Gehör heisch ich hallender Haine, bekannter und unbekannter Tierwelt, ich will, Wesen dieser Welt, Weisheit und Wachsein – irgendein Irrer ist irreparabel, Caernavan't kann kurieren den Kranken: Es löse das Band sich vom Bein, das Dunkel vom Denken, der Wahn vom Willen...« Cliff sagte leise: »Wenn das Wotan wüßte! Wütend wähne ich ihn – immerhin: unser Freund richtet an die Natur einen Appell, die Kranken zu kurieren. Er zeigt guten Willen.« »Und auch eine beträchtliche Portion Wahn!« sagte das Mädchen skeptisch. »Glauben Sie daran?« Cliff lächelte sie vorsichtig an. Sie hatte bisher wirklich wenig Kontakt mit Raumfahrern und wenig Erfahrungen mit den Eigenarten anderer Planeten gehabt und mußte deshalb mit Nachsicht behandelt werden. »Ja«, sagte Cliff einfach. »Wie? Sie glauben an diese vielzitierten Geheimnisse?« »Ja. Ich habe im Verlauf meines Lebens derlei Dingen, in dieser oder ähnlicher Form, erlebt. Ich habe da
einen netten Katalog von Dingen, die es eigentlich nicht geben dürfte. Ich glaube natürlich nicht alles wörtlich, aber grundsätzlich scheint sogar Alfryd recht zu haben.« Das Mädchen blieb nachdenklich und zurückhaltend. Sie sagte: »Ich wäre an Ihrer Stelle sehr mißtrauisch dem gegenüber, was ein Kranker über die Heilung zu sagen hat. Besonders ein Geisteskranker über seine eigene Heilung.« Cliff ging langsam neben ihr die Wendeltreppe hinunter; sie bewegten sich zu den Quartieren der Filmleute. Inzwischen hatte Cliff erfahren, daß die beiden Schiffe insgesamt dreißig Menschen mitgebracht hatten. Noch nie in der Geschichte Caernavan'ts waren so viele Terraner auf dieser Welt gewesen. Förderte dieser Ansturm die geheimnisvollen, untergründigen Vorgänge? »Sie glauben gar nicht, wie skeptisch ich bin«, sagte Cliff leise. »Besonders dem eben lautstark geäußerten Wunsch gegenüber.« »Lassen Sie Ihr Denken nicht zu dunkel werden«, empfahl Alxeste. Cliff ließ seine Hand zwei Sekunden zu lang auf ihrem Arm liegen und erwiderte: »Ich werde an Sie denken. Hell wird meines Harrens Halbnacht werden!« Sie schloß lachend die Tür, und Cliff ging in sein Apartment zurück, zog sich aus und schlief ziemlich schnell ein. Am nächsten Tag wollten sie in drei Abschnitten die Wanderung des Einsiedlers filmen. Der Hauptdarsteller war ein nervöser, gutaussehender junger Mann, dem man die Nordischen Elegien ebenso
wenig glaubte wie Cliff die fernöstliche Weisheit, wenn er auf seinem Teppich in ORION-Island kauerte. * Der Mann war groß und schlank. Er trug unter seinem wehenden Mantel einen modischen, dekorativ verstaubten Wildlederanzug, hohe Stiefel und eine altertümliche, fast bizarr aussehende Waffe in der ledernen Tasche eines doppelt handbreiten Gürtels. Ein kantiger Kinnbart, staubbeschmutzt und etwas nachlässig geschnitten, vervollständigte den Eindruck des Entrücktseins; das Haar war lang, im Pagenschnitt frisiert und nicht echt. Echt hingegen war das Wildlederband im Haar. Der Mann ging, einen Reim auf den Lippen, der Sonne entgegen. Vor ihm schwebte eine Plattform, auf der eine Maschine starken Wind erzeugte. Die Kameras und die Detektoren für die Geruchsspuren des Filmes liefen fast lautlos. Es wurde der Marsch des Einsiedlers rund um den Kontinent geschildert. Hundert Meter hinter dem Einsiedler – des Schauspielers, der den Einsiedler verkörperte –, hing das Schiff der drei Irren in der Luft, und über die Flanke des sandigen Hügels zogen sich die Schrittspuren des Schauspielers herunter. Es sah ungeheuer dramatisch aus. Cliff saß am Rand der Kameraplattform, ließ die Beine hängen und spähte in alle Richtungen. Er sah ausnahmsweise keine blauweiß marmorierten Kugeln. Mit festem Schritt, weit ausholend, marschierte der Einsiedler geradeaus weiter. Hinter ihm blieb die ab-
wechslungsreiche Landschaft im Osten der Kontinentalmasse zurück, vor ihm lag jene Zone, die die Grenze zu der felsigen Lava-Gegend bildete. »Danke!« rief der Regisseur, als der Hang in die flache Ebene überging. »Alles bestens. Schluß dieser Einstellung.« Der Schauspieler blieb stehen. »Höllisch heiß«, sagte er. »Wie geht es jetzt weiter? Ich habe Durst.« Jemand vom Team gab ihm einen Plastikbecher kalten Tee mit etwas Alkohol. Der Schauspieler setzte sich, den Becher in der Hand, zwischen Cliff und Alxeste. Er trank einen Schluck, wobei er darauf achtete, den Staub in seinem Bart nicht anzufeuchten. »Wie war ich, Kommandant?« fragte er. »Schlichtweg hervorragend«, sagte Cliff. »Fast so ausdrucksvoll wie das Raumschiff hinter Ihnen.« Aus dem Hintergrund schrie D'Agricola durch das Summen der auslaufenden Windmaschine: »Du wirst nicht für Konversation bezahlt, Junior, sondern dafür, hier den Helden zu mimen. Versuche lieber, deinen Text zu behalten. Es geht weiter – Einstellung Neunzehn!« »Schon gut!« Die beiden Plattformen schwebten los, nahmen Fahrt auf, und die Insassen duckten sich unter die Windschutzscheiben. In rasender Fahrt ging es, einen Meter über dem Boden, über den kargen Boden, auf die Berge, Felsen und Lavamassen zu, die am Horizont als dünne Linie erschienen. Vor Jahrtausenden schien hier eine Reihe von Vulkanen tätig gewesen zu sein, jetzt waren aus den Rundkegeln nur noch große, plumpe Hügel übrig. Der Boden war voller breiter
Spalten. Die erstarrte Lava war stellenweise bewachsen – besonders in Vertiefungen hatten sich im Laufe der Zeit Ablagerungen halten können. Sie speicherten die Feuchtigkeit, und inmitten der vielfarbigen Felsen gab es einzelne Vegetationsinseln, von denen die meisten sogar Bäume enthielten. Ein herrliches Panorama breitete sich aus, als die beiden Plattformen nahe genug herangekommen waren – Farben über die gesamte Breite des Spektrums, unterbrochen von dichten, runden Grünflächen. Alxeste sagte, gegen den Fahrtwind ankämpfend: »Unsere Farbaufnahmen, dazu noch dreidimensional, werden Geschichte machen.« Cliff rief sarkastisch: »Und erst die Handlung! Sie sprengt jeden Rahmen. Jedes erfolgreiche Klischee der Filmgeschichte wird verwendet!« Sie gab lachend zur Antwort: »Es wird sicher ein dramatischer Höhepunkt, wenn Sie als Pirat angreifen!« »Ich werde das Letzte aus mir herausholen«, sagte Cliff. »Ich spiele einen Piraten, der es in sich hat!« »Einer der billigsten Statisten der Filmgeschichte«, schrie D'Agricola zufrieden. »Ihre schauspielerische Leistung wird Ihrer Bezahlung entsprechen.« Cliff schlug ihm auf die Schulter. »Aber dafür komme ich in den Vorspann. Vielleicht bekomme ich auch eine bessere Kritik als die Produktion.« Gegen Mittag kamen sie an dem Ort an, der für die nächsten Einstellungen vorgesehen war. Die Szene, die jetzt vorbereitet wurde, war chronologisch etwa gegen Ende des ersten Drittels ge-
plant. Auf seiner Wanderung durch den Planeten kam der Einsiedler, inzwischen mit Fußschmerzen und Blasen an den Sohlen, in diese Wildnis und war nahe daran, zu verhungern oder zu verdursten. Er taumelte, so sah es das Drehbuch vor, durch die Gegend, brach öfters zusammen und schleppte sich mit letzter Willenskraft weiter, bis in den Schatten. Dort erwachte er, als sich die weibliche Hauptdarstellerin über ihn beugte und ihm Nahrung und Selbstvertrauen einflößte. Bei dieser Gelegenheit zitierte der Einsiedler einige seiner literaturbekannten Geistesblitze aus seiner frühen Schaffensperiode – damals, auf der Erde, waren sie ein Bestseller gewesen. Die Helfer gingen daran, alles vorzubereiten. Zwei Kameras arbeiteten unabhängig voneinander – eine filmte aus großer Höhe, die andere übernahm die Großaufnahmen des müden Wanderers. Und etwa eine Stunde später saß Cliff wieder auf der Kante der Kameraplattform, die vor dem Wanderer schwebte, weit genug entfernt, um nicht ins Bild der zweiten Kamera in siebzig Metern Höhe zu kommen. Vor ihnen stolperte und wankte der Schauspieler. Niemand sprach. Die Strecke war genau markiert worden. Der Mann kam aus einem kleinen Stück Sandfläche, das von Felsen in allen nur erdenklichen Formen und sämtlichen Farben und Farbkombinationen umrahmt waren. Den Hintergrund bildete eine Vegetationsinsel. Der Wanderer, über und über mit Staub bedeckt, kam auf die Kamera zu. Er kletterte über einen geröllübersäten kleinen Hang, hielt sich einige Sekunden lang an einem Felsen fest und spähte nach vorn. Dann kam ein Stück Boden, das in allen Farben
schillerte und breite Spalten hatte, in denen eine kümmerliche Moosart wuchs. Es war glühend heiß, und die neblige Luft war völlig unbewegt. Je höher der Mann kletterte, desto mehr Energie wurde der Windmaschine zugeführt. Jemand leerte in gewissen Abständen aus einer riesigen Spraydose einen Nebel vor die Düsen, und die Fetzen dieses Nebels umwehten den Wanderer. Er blieb stehen, als er ein kleines Plateau erreichte. Ein Kommando ertönte; die obere Kamera übernahm die Arbeit. Sie filmte, wie der Mann über die Fläche wankte. Die andere Kamera filmte sein Gesicht, seine Füße, die neben den Spalten entlangstolperten, gegen kleine Steine traten und die Erschöpfung des Mannes verdeutlichten. Cliff beobachtete genau, was er sah – irgendwie war die Desillusionierung faszinierend. Das Ergebnis, der fertige Film, sah ganz anders als die Dreharbeiten aus. Der Schauspieler stolperte und fiel, das war echt. Er blieb liegen, restlos erschöpft, das war gespielt. Als er ausgestreckt in der prallen Sonne lag, kroch einen Meter vor ihm, aufgescheucht von den Schritten, eine sandgelbe, fast weiße Raupe aus einer der Spalten. Sie wand sich zwischen dem Gestein hervor, richtete sich auf und sah den Mann mit riesigen Facettenaugen an. Die Raupe war etwa einen Meter lang und dreißig Zentimeter dick – die großen Augen waren ausdruckslos auf den gestolperten Mann gerichtet. Cliff sagte zu Alxeste: »Das steht nicht im Drehbuch, Mädchen!« Die angstvoll aufgerissenen Augen des Schauspielers bewiesen es. Plötzlich wimmelte es von diesen Raupen, mindestens einhundert Stück krochen aus
allen Spalten und kamen langsam, mit schlängelnden Bewegungen, auf den Schauspieler zu. Er sprang auf und versuchte weiterzulaufen, aber er fürchtete sich davor, auf eine der Raupen zu treten. Mit einer lächerlich hilflosen Bewegung griff er an seine Waffe, zog sie heraus und richtete sie auf die Raupen. Die Tiere bildeten förmlich einen Wall um ihn, aber sie wichen vor ihm zurück, als er zu Tode erschrocken auf die Kameraplattform zurannte. Der sadistische Kameramann filmte alles, was er konnte, besonders den Ausdruck echten Schreckens auf dem Gesicht des Hauptdarstellers. Jemand murmelte verblüfft: »Cinema verité!« Cliff versuchte einzugreifen, aber er wußte nicht, was er unternehmen sollte. Er sah zu, wie der Mann weiterrannte. Die Raupen schienen ebenfalls weniger angriffsbereit als nur erschreckt zu sein. Sie lösten den Ring auf, verschwanden langsam in den Spalten, wurden weniger, die Szene verlor ihre Bedrohlichkeit. Der Schauspieler rannte weiter, atemlos, tödlich erschrocken und nun wirklich am Ende seiner Fassung. Die letzten Raupen zogen sich zurück. Im Sand blieben nur die Schleifspuren ihrer ungefügen Körper zurück. Wieder stolperte der Darsteller und fiel mit dem Oberkörper in eine breite Spalte hinein. »Hat denn das kein Ende?« brüllte er wütend. Er kam wieder aus der Spalte heraus und betrachtete voller Staunen einen Gegenstand, den er in der Hand hielt. Es war etwas, das aussah wie ein aufgeplatzter Ball, eine Kugelhülle, ein zerfetzter Luftballon, der blauweiß marmoriert war. Cliff machte in
diesem Moment kein besonders intelligentes Gesicht, und noch während er versuchte, seine Entdeckung zu durchdenken, fragte Alxeste: »Was war das, Cliff?« Er zuckte die Schultern und kniff die Augen zu schmalen Spalten zusammen. Der Schauspieler hob den Ball hoch, betrachtete die erschlaffte Hülle verwundert und schleuderte sie dann angewidert zurück in die Spalte. Außer Hasso und Cliff hatte, wie es deutlich schien, niemand die richtigen Folgerungen daraus gezogen. Das Mädchen flüsterte durch das Summen der Kamera: »Das war kein Überfall. Es wirkte so, als wären die Würmer aufgestört worden und hätten nachgesehen, wer sie gestört hat. Geben Sie mir da recht, Cliff?« »Völlig!« sagte Cliff. Die Aufnahme ging ihrem Ende entgegen. Der Schauspieler stolperte weiter, geriet in den Schatten eines schwarzgrünen Felsens und brach zusammen. Er streckte sich aus und blieb liegen. Die zweite Plattform kreiste einmal und landete dann neben dem anderen Gefährt. Eine kurze Mittagspause wurde eingeschaltet, dann machte sich die Hauptdarstellerin fertig. Hasso kam, ein riesiges Sandwich in der Hand und ein zweites für Cliff auf einem Kunststoffteller, und blieb neben Cliff im Schatten stehen. »Sahst du, was ich gesehen habe?« fragte er undeutlich und kauend. »Folgerst du, was ich folgere?« gab Cliff zurück. Hasso meinte: »Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder fressen die
Raupen die Kugeln, wobei wir ein gewohntes Verhältnis zwischen zwei Tiergruppen hätten. Ich bin mit dieser Meinung zurückhaltend, denn die Raupen sind zu langsam, um die Kugeln ernsthaft gefährden zu können.« Cliff biß in sein Sandwich und sagte leise: »Dann bleibt noch eine andere Version übrig: Diese Raupen sind aus den Kugeln hervorgegangen.« Eine Bewegung lenkte ihn ab, er schaute nach oben, dann deutete er mit der Hand aus dem Schatten hinaus und schräg nach oben. In einer Höhe, die er nicht genau bestimmen konnte, flog etwas – wie groß das Ding war, konnte Cliff auch nicht abschätzen. Es sah wie ein großer Schmetterling aus. »Ein Schmetterling?« fragte Hasso ungläubig. Keiner der Filmleute beachtete ihn. Sie aßen, diskutierten, ob die Raupen zur Geschichte gehörig waren oder ob die Szene wiederholt werden mußte. Sie sahen zu, wie die Hauptdarstellerin geschminkt und wie neues Filmmaterial in die Kamera eingelegt wurde. »Vermutlich«, sagte Cliff und spuckte einen Olivenkern aus. »Vielleicht verwandeln sich die Kugeln in Raupen?« »Könnte sein«, sagte Hasso. »Ich bin dafür, noch etwas zu warten, ehe wir unsere Schlüsse ziehen. Vielleicht machen wir noch andere Beobachtungen.« »Das dürfte das beste sein«, sagte Cliff entschlossen. »Aber es ist auf Caernavan't ebenso wie überall – durch lange, sorgfältige Arbeit kann jedes Geheimnis entschlüsselt werden.« Hasso wischte sich die Hände ab und erwiderte: »Freue dich nicht zu früh! Noch fehlen uns die
meisten Informationen.« »Du hast recht.« Die Sonne brannte durch die leicht milchige Atmosphäre auf den Sand, auf die farbigen Felsen, die das Licht und die Hitze reflektierten. Die Terraner und ihre Geräte bildeten die einzige Bewegung in dieser lichterfüllten Stille. Obwohl die Arbeit ablenkte, war deutlich zu spüren, daß sich langsam eine gewisse Nervosität unter den Menschen ausbreitete. Das Lachen war zu grell, die Flüche, wenn etwas beim ersten Versuch nicht klappte, waren verbissen, und D'Agricola raste um die beiden großen Plattformen herum wie ein Hahn um den Hühnerhof und schrie ständig von steigenden Produktionskosten. Cliff stellte ihm einmal in einem unbeobachteten Moment ein Bein, und Flor krachte kopfüber in den Sand. Dann wurde er etwas leiser. Die Dreharbeiten gingen bis zur Einbruch der Nacht, dann rasten beide Plattformen zurück zur Burg. Cliff dachte an den Schmetterling und wunderte sich noch immer... * Es war zwei Tage später: Tiefer Abend. Die Sterne waren nur schwach sichtbar, kein Mond stand am Himmel, aber die nebelartige Lufthülle verbreitete ein leichtes, ungewisses Dämmerlicht. In einer Schlucht, zwischen dem Lavagebiet und dem Anfang des Dschungels, brannte ein mächtiges Feuer. Der Einsiedler, wieder um ein gutes Stück abgerissener und ungepflegter als einige zehntausend Kilo-
meter vorher auf seinem Filmmarsch, saß vor dem Feuer; seine Gesichtszüge wurden durch die flakkernden Flammen noch markanter. Er deklamierte vor sich hin, während er den Fisch über dem Feuer drehte. Zwanzig Meter neben ihm floß das Wasser. »Alles klar? Die Piraten?« »Ja«, sagte der Schauspieler und drehte weiter an seinem Fisch. Der Fluß verließ hier den Cañon, den er sich durch das Felsen-Lava-Gebiet gegraben hatte und trat in das System ein, mit dem er die Wälder und den Kerndschungel durchzog. Es war der dritte Drehtag, und etwa ein Drittel aller Außenszenen waren abgedreht, zugleich mit ihnen waren die Geruchskomponenten aufgenommen worden. Jetzt sollte ein Kernstück des Filmes gedreht werden – der Triumph der Poesie über die rohe Kraft. Zehn Mann waren als Piraten verkleidet worden und sahen in ihren Kostümen bemerkenswert aus. Cliff hütete sich, seine Meinung laut kundzutun; er wollte sich den Spaß nur ungern verderben. Aber die Waffen, die er trug, waren geladen und zudem tödlich. Eine Kette kleiner, aber ebenso merkwürdiger Vorkommnisse hatte seit dem Zwischenfall mit den Raupen die Männer und Mädchen des Teams in Aufregung gehalten. Alfryd war Dauergast in der Burg, aber die beiden anderen Männer blieben noch immer unsichtbar. »Zwei Kameras!« rief der Regisseur. »Der Text sitzt?« »Bei mir schon«, sagte Cliff und lachte laut. Wieder schwebte eine Plattform zwanzig Meter über dem Geschehen und filmte schräg nach unten.
Einige versteckte Scheinwerfer schufen in der Umgebung des Feuers kleine Helligkeitszonen. Die zweite Kamera war auf den Mann gerichtet, der deklamierend seinen Fisch drehte. Eine Souffleuse kauerte hinter einem Busch und half weiter, wenn der ›Einsiedler‹ stockte, was relativ häufig vorkam. Unauffällig musterten Cliff und Hasso die Umgebung, den Fluß und die Bäume, die Büsche und die Felsen der Schlucht. Sie sahen keine Zeichen für eine Bedrohung, nur als Cliff nach oben schaute, bemerkte er wieder zwei Schmetterlinge, die von links nach rechts das Bild durchflogen. Sie waren nur wenige Meter höher als die Plattform, und jetzt wußte Cliff, daß sie fast vier Meter Flügelspannweite hatten. Er stieß Hasso an. »Schon gesehen, Francis Drake«, sagte Hasso. »Riesengroße Exemplare. Ich spreche nach der Szene mit dir darüber.« Einige Minuten lang herrschte eine große Ruhe, ein vollkommenes Schweigen zwischen den Wänden der Schlucht. Dann gab der Regisseur das Zeichen. Lautlos verteilten sich die zehn Männer in einem Kreis um das Feuer, dann hob Cliff die Hand und gab das Signal. Die Männer und er gingen jetzt aus der Deckung auf den Einsiedler zu, Cliff blieb vor ihm stehen und richtete seine Waffe auf ihn. Der Einsiedler blickte auf und drehte den Fisch etwas langsamer. Zischend fiel Fett ins Feuer. »Zuviel der Ehre«, sagte er. »Zehn gegen einen – das zeigt, daß Sie verdammt wenig Selbstbewußtsein haben, Mister.« Cliff erwiderte scharf: »Ich bin gekommen, um Ihnen wegzunehmen, was
Sie besitzen, nicht, um mit Ihnen zu diskutieren.« »Jede Nation hat ihre Helden, aus denen man ohne viel Mühe die Luft herauslassen kann«, sagte der Einsiedler. »Ich bin ein Mann ohne Geld, mit etwas Salz und einer Flasche Alkohol für die Wunden – was wollen Sie hier holen? Meinen Fisch?« Cliff kam noch näher und sagte: »Alles, was Sie haben. Was suchen Sie hier auf diesem Planeten?« Der Einsiedler sah ihn mit einem stählernen, unbeugsamen Blick an und erwiderte langsam: »Ich suche Ruhe. Vor den Menschen. Vor Ihnen und Ihresgleichen. Wenn man Dummheiten macht, dann müssen sie wenigstens gelingen. Es war dumm von Ihnen, mich zu überfallen.« Cliff und seine neun Piraten waren in silberne, enganliegende Schutzanzüge gekleidet und trugen die Raumhelme unter den Armen. Hohe Stiefel, breite Gürtel, allerlei technisches Zeug und schwere Waffen boten einen zusätzlichen, sehr kriegerischen Eindruck. Auf dem Brustteil der Anzüge war in selbstleuchtender Farbe ein schlängelnder Drache aufgespritzt worden. Cliff schnippte mit den Fingern. »Haltet ihn fest«, sagte er. »Durchsucht ihn. Ich überlege mir gerade, ob ich ihn gegen den Fisch auswechseln soll.« Vier Männer drangen auf den Einsiedler ein. Er ließ den Fisch fallen, der in die Flammen fiel. Es begann zu stinken und mächtig zu qualmen. Die Piraten rissen den Mann hoch, bogen seine Arme nach hinten und durchsuchten ihn. Sie nahmen ihm die Waffe ab, das dicke Buch, die verschiedenfarbigen Schreibge-
räte, die Landkarten und ein Stück Seife. Einer der Piraten, die neben Cliff standen, rief plötzlich laut und scharf: »Achtung!« Cliff wirbelte herum, die schußbereite Waffe in der Hand. Dicht über ihm waren riesengroße Schwingen, die einen starken Wind erzeugten. Ein schwarzer Schmetterling senkte sich neben das Feuer, aber weit genug entfernt. Auf dem Rücken des Tieres saß ein verwildert aussehender Mann, hatte eine HM 4 in der Hand und zielte auf den Kommandanten. »Hören Sie auf!« schrie er schrill. »Ich will nicht, daß man den Einsiedler bedroht!« Cliff senkte seine Waffe und gab seinen Männern einen Wink. Sie ließen, obwohl sie vom Drehbuch abwichen, den Einsiedler los. »Sie sind Thor Vividon, der Bioniker«, sagte Cliff. »So ist es. Lassen Sie sofort Alfryds Bruder in Ruhe.« Cliff steckte seine Waffe zurück, nickte Hasso zu und ging langsam auf den Mann zu. Die Kleidung des Geisteskranken war zerfetzt, ein langer Bart wucherte in seinem Gesicht, er war über und über mit Schmutz bedeckt. Die Kameras summten weiter, Cliff hob eine Hand und bedeutete dem Mann, daß er ungefährdet war. Hasso und er gingen rechts und links an dem Irren vorbei, dann erfolgten schnelle Bewegungen, und Hassos Handkante sauste herunter, Cliff fing die tödliche Strahlwaffe auf und steckte sie ein. »Hilfe! Sie greifen an!« schrie eine Stimme. Sie kam von oben. Die Piraten, der Schauspieler und alle anderen Terraner sahen nach oben. Dort zeichnete sich am helle-
ren Himmel ein riesiger Schwarm von Vögeln oder ähnlichen Wesen ab. Es waren Hunderte oder Tausende. Sie kamen aus der Tiefe des Urwaldes und bildeten Kreise um die Plattform, die gefährlich schlingerte. Sie flatterten auf die Menschen los, schlugen mit kleinen, breiten Flügeln, und ein brummendes Geräusch wie von vielen schweren Explosionsmotoren war in der Luft. Die Plattform sackte durch, wurde wieder abgefangen und beschleunigte. Die Tiere – es waren große Motten – warfen sich, exakt wie ein Taubenschwarm, in der Luft herum und flatterten der Maschine nach. Ein Stoßkeil formierte sich, die Plattform flog einen weiten Kreis und kam dann in einem verwegenen Sturzflug auf das Feuer zu. »Vorsicht!« »Weg vom Feuer!« »Kameras aus! Diese verdammten Motten!« »Hilfe!« Die Schreie gellten den Männern in den Ohren. Über dem Feuer vereinigten sich die Mottenschwärme zu einem kleinen Tornado und umkreisten die Männer, die Plattformen und die Flammen. Eines der Tiere versengte sich die Flügel, stürzte in die Flammen und mehrere Sekunden lang ertönte ein hohes Wimmern. Die Terraner flüchteten zwischen die Büsche, der Schauspieler machte einen Hechtsprung und sprang in den Fluß. Cliff packte den Bioniker an der Schulter und drückte unbarmherzig zu. »Haben Sie diese Tiere mitgebracht?« schrie er. »Ja, aber lassen Sie den einzigen Menschen in Ruhe, der uns helfen kann!«
Cliff stöhnte auf und rief: »Verstehen Sie denn nicht? Das hier sind Filmaufnahmen! Sie haben die ganze Aufnahme ruiniert!« »Wie?« Der schwarze Schmetterling neben dem Feuer ließ seine Fühler spielen und klappte seine Flügel auf und zu. Sie waren bunt, und die Linien zwischen den einzelnen Farbflächen und Streifen leuchtete auf, als wären sie aus Diamantstaub. Dann richteten sich die großen Augen des Schmetterlings auf McLane, und das Tier schwang sich in die Luft. In die Wirbel und Schwärme der Motten kamen Lücken, die Tiere sonderten sich ab und flogen zuerst einzeln, dann in immer größer werdenden Gruppen aus der Schlucht heraus und zurück in den Wald. Schließlich, nach etwa insgesamt dreißig Sekunden, hörte das knatternde Geräusch auf. Einige aufgeregte Tiere schrien an den Ufern. »Das waren Filmaufnahmen?« fragte Thor Vividon leise. »Ja«, sagte Cliff. »Und Sie mußten natürlich den Helden spielen.« Er drehte sich herum und deutete auf den Schauspieler, der triefend nach zwischen den Bäumen hervorkam und an seinem vollgesogenen Mantel zerrte. Die Schminke war fort, der Mann sah unbeschreiblich aus. D'Agricola, der zusammen mit dem Regisseur unter einem kugelförmigen Busch hervorkroch, stand kurz vor dem Zusammenbruch und stürzte sich auf Vividon. »Sie elender Narr!« schrie er. »Ausgerechnet für mein Geld müssen Sie Ihren Auftritt produzieren! Hätten Sie nicht noch warten können?«
»Nein, denn der Einsiedler ist in Gefahr gewesen, von diesem Mann hier erschossen zu werden!« Langsam kam eine gewisse Ordnung zurück. »Neuer Anfang!« brüllte der Produzent. »Zieht den Schauspieler um, gebt ihm einen anderen Mantel, fangt einen neuen Fisch! Schnell! Bald ist die Nacht vorbei.« Hasso stöhnte: »Irrsinn!« »Der Mann ist niemals in Gefahr gewesen, Thor!« sagte Cliff beschwörend und schüttelte ihn. »Erstens ist er nicht der Einsiedler, sondern ein Schauspieler namens Garcia, der den Einsiedler spielt. Und zweitens bin ich Kommandant McLane und nur ein verkleideter Pirat. Vermögen Sie mir zu folgen?« »Natürlich!« gurgelte Vividon erstickt und empört auf. »Oder halten Sie mich etwa für geistesgestört?« »Allerdings!« sagte Cliff. »Kommen Sie mit, trinken Sie einen Schluck und stören Sie uns nicht länger.« Ein Kameramann ging auf den Produzenten zu und erklärte ihm, daß beide Kameras fast die gesamte Szene gefilmt hätten; mit üblichen Mitteln wäre sie niemals zustandegekommen. Ob man sich nicht überlegen sollte... »Ja, meinetwegen!« sagte D'Agricola mürrisch. »Wir werden uns die Ergebnisse im Schneideraum ansehen!« Cliff wandte sich an Flor und fragte: »Wie lange wird es dauern, bis wir wieder starten können?« Flor blickte auf die Uhr, sah sich um und betrachtete die Aufräumungsarbeiten. »Etwa eine Stunde.«
»Gut«, sagte Cliff. »Lassen Sie sich nicht ärgern. Versuchen Sie, die Szene unter einem anderen Aspekt zu betrachten – wir sollten die Unterbrechung durch den Schmetterling und die Motten einbeziehen.« »Ja, natürlich! Ich versuche, das beste daraus zu machen.« Cliff und Hasso zogen den Geisteskranken mit sich vom Feuer weg und brachten ihn zum hinteren Teil der Plattform. Dort flößten sie ihm einen Becher heißen Tee mit viel Alkohol ein und begannen dann mit ihren Fragen. Merkwürdig war, daß auch Thor Vividon einen durchaus normalen Eindruck machte, abgesehen von seiner Erschöpfung.
5 »Wenn unsere tiefen Einsichten ebenso sabotiert werden wie das Drehbuch dieses gigantischen Lichtspiels, dann sehe ich unserer baldigen Degradierung entgegen, mein lieber Kommandant!« sagte Hasso Sigbjörnson mit Nachdruck, stellte seinen Piratenhelm ab und streckte die Beine aus. »Immerhin gewinnt dieses Machwerk durch die Einfälle, die von der Natur Caernavan'ts gestartet werden«, gab Cliff zurück und wandte sich an Vividon. »Woher kommen Sie?« fragte er. »Aus der Wüste.« »Wollen Sie mir weismachen, Sie hätten seit dem Zeitpunkt, an dem Sie aus der Kältekammer des Schiffes herausgeholt wurden, in der Wüste im Norden des Kontinents gelebt?« Auch Vividon hatte keine Erinnerungen an die Zeit, in der er behandelt, in die ORION gebracht und von dort herausgeschafft worden war. Cliff glaubte ihm diesen Teil der Auskünfte aufs Wort. »In welchem Teil der nördlichen Wüste?« fragte er. Der Mann zuckte mit den Schultern und sagte leise: »In einem unterirdischen Höhlensystem. Es war voller Kokons. Ich fühlte, daß ich einem Genesungsprozeß unterworfen wurde. Gleichzeitig fühlte ich aber auch, daß der Planet etwas von mir erwartete.« Cliff ging darauf nicht weiter ein und fragte hartnäckig. »Die Wüste, bereits deren Rand, ist mehrere Tausende Kilometer von hier entfernt. Wie lange waren
Sie auf dem Schmetterling unterwegs?« Ohne zu zögern erwiderte Vividon: »Eine Stunde, nicht länger.« »Ein Expreßschmetterling!« knurrte Hasso ungläubig. »Ich erinnere mich deutlich«, verteidigte sich der Bioniker. »Plötzlich war da eine Unruhe. Eine deutlich spürbare Unruhe, aber ich erkannte deren Grund nicht.« »Verständlich!« Die Arbeiten rings um die drei Männer gingen schnell und zielstrebig weiter. Die Scheinwerfer wurden umgestellt, ein neuer Fisch war gefangen worden, und der Schauspieler saß wieder vor dem Feuer. Der Regisseur und der Produzent diskutierten lautstark wegen der Änderung im Drehbuch, herbeigeführt durch den Mottenüberfall. »Was geschah dann?« fragte Cliff unruhig. »Ein Schmetterling kam, und plötzlich wußte ich, daß ich mich auf seinen Rücken setzen sollte. Wir flogen ein Stück über die Wüste, dann waren wir plötzlich in der Nähe der Schlucht. Ich erkannte den Grund der Unruhe – ein Mann sollte umgebracht werden.« »Etwas viel ›plötzlich‹ in Ihren Sätzen«, sagte Hasso vorwurfsvoll. »Ich kann nichts dafür. Alles war wirklich so schnell und unmittelbar. Dieses Wort sagt genau aus, was ich fühlte.« Cliff murmelte: »Kugeln mit Beinen, dann gelbweiße Raupen in dunklen Felsspalten voller Feuchtigkeit, Motten in den Wäldern, Kokons und schwarze Schmetterlinge mit bunten Flügeln in den Wüsten...«
Vividon korrigierte: »Der Schmetterling kam aus dem Sumpfgebiet.« Cliff stutzte. »Woher wissen Sie das, Thor?« erkundigte er sich. »Ich fühlte es einfach. Alles spricht zu mir ohne Stimme.« »Außer mir«, sagte Cliff. »Meine Rede ist durchaus stimmhaft. Was haben Sie jetzt vor, da die Situation geklärt ist?« »Ich möchte zum Blockhaus des Einsiedlers. Nur dort kann ich vollkommen geheilt werden. Dieses verdammte Medikament!« Der Regisseur brüllte vom Feuer her: »Die Piraten zu mir. Ein neues Konzept!« »Sie bleiben hier, Thor«, beschwor ihn Cliff und nahm seinen Helm unter den Arm. »Wenn die Dreharbeit vorüber ist, werden wir uns intensiv mit Ihnen beschäftigen. Eine Menge Fragen sind zu klären.« Während sie zum Feuer zurückgingen, murmelte Thor Vividon glücklich: »Nicht für mich!« Ziemlich geschickt hatten die Männer der Produktion das Drehbuch an das ungewollt geänderte Filmmaterial angeglichen. Die Szene wurde mehrmals gedreht und enttäuschte nicht; schließlich, gegen Morgen, befanden sich die Plattformen auf dem Rückflug zur Burg. Die Hauptdarsteller, das Team und die Piraten suchten in größter Eile ihre Betten auf und schliefen weit bis in den Mittag hinein. Nach dem Essen bat Cliff die wichtigsten Akteure dieses wenig durchsichtigen Spiels zu sich in sein Apartment. Als sie nacheinander eintrafen, war die ORION-Crew bereits vollzählig versammelt.
Cliff holte tief Luft und begann zu sprechen. »Ich darf annehmen«, sagte er grinsend, »daß die Anrede ›meine lieben Freunde‹ keinen großen Widerspruch hervorruft. Wie wir leider miterleben mußten, hat unser Besuch eine ungewöhnliche Reaktion der Wesen von Caernavan't hervorgerufen. Zuerst aber ein anderes Problem, Thorleifson Thorpbjörnson... Sie kennen Ihren Bruder ziemlich genau. Sie wissen, daß er geisteskrank war?« Ungewohnt ernst und ohne stabzureimen erwiderte der Einsiedler: »Ich weiß es. Seine Wahnvorstellungen wurden akut, als ich hierher abflog. Er bildete sich ein, daß jeder Versuch ein Verbrechen wäre. Und er fühlte sich von jedem seiner Patienten verfolgt und bedroht; er sah überall Agenten, Spitzel und Menschen mit Waffen, die ihn verfolgten, um ihn zu verwunden. Seltsamerweise nicht, um ihn zu töten.« Er warf einen um Entschuldigung bittenden Blick zu seinem Bruder hinüber, der lächelnd in einem Sessel saß und jetzt nickte. »Thorleifson hat völlig recht«, sagte er. Cliff richtete seine nächste Frage wieder an den Einsiedler. »Welchen Eindruck haben Sie? Ist Ihr Bruder noch krank oder ist er weitestgehend gesund?« »Er ist erschöpft und braucht sicher noch eine Zeit, bis er völlig wiederhergestellt ist, aber ich habe in den letzten beiden Tagen mit ihm viel gesprochen. Die Wahnvorstellungen sind so gut wie verschwunden. Er erinnert sich aber noch daran, daß er sie hatte und von ihnen verfolgt wurde. Ich würde sagen – etwas auf diesem Planeten hat ihn geheilt. Oder wenigstens
der Heilung nähergebracht.« Cliff und Atan nickten sich zu; sie dachten gleichzeitig an die Nacht, in der der Einsiedler von den Zinnen seiner phantastischen Burg herunter um Heilung gebeten hatte. »Das erledigt unsere Frage an Thor Vividon, den Bioniker. Das gleiche Ergebnis gilt auch für ihn. Wir nehmen an, Einsiedler, daß die Kugelwesen mit Beinen, die wir gelegentlich kurz beobachten, starke telepathische und telekinetische Begabungen besitzen.« »Höre ich recht?« fragte D'Agricola neugierig. »Sie hören recht«, erwiderte Helga. »Aber Sie sollten noch eine Weile weiter zuhören.« »Zweifellos verstehen diese Wesen, intelligent wie sie sind, den Text Ihrer poetischen Arbeiten!« stellte Cliff fest. Überrascht zwinkerte der Einsiedler, dann zog sich seine Stirn in ungläubigen Falten zusammen. »Wie schön!« rief er fröhlich. »Richtig. Sie sprachen von Burgen hoch auf Hügeln, von Söllern und Zugbrücken, von Stühlen und von gewaltigen, nordischen Hallen. Das alles entstand hier binnen kurzer Zeit. Was ich hier relativ ruhig ausführe, ist immerhin eine wissenschaftliche Sensation ersten Ranges. Abgesehen von den schwachen telepathischen Begabungen der Turceed und den sehr weit entfernten Dara, außerhalb unserer Galaxis, haben wir hier auf Caernavan't zum erstenmal richtige Telepathen entdeckt. Wissen Sie, was das für Terra und die anderen Planeten bedeutet?« »Langsam begreife selbst ich, was du meinst«, sagte Atan halb bewundernd, halb spöttisch. »Aber du hast noch etwas im Programm.«
»Ich habe noch immer dann etwas im Programm, wenn andere... aber lassen wir das heute. Hören Sie weiter. Diese Tiere, die uns mehrfach aufgefallen sind, besitzen zweifellos eine Menge Intelligenz. Sie haben natürlich keine Finger, um etwas herzustellen oder ein Werkzeug gebrauchen zu können, aber ein Teil von ihnen vermag genau das, und zwar mit Hilfe der telekinetischen Kräfte.« »Die Burg... von Telekineten erbaut?« flüsterte der Einsiedler verblüfft. »Nicht nur dies«, sagte Cliff. »Sie haben es nur nicht gemerkt, Thorleifson. Die einzelnen Formen sind zugleich die Stationen einer Verwandlung, einer echten Metamorphose.« »Endlich kommt er auf den Kern der Sache«, knurrte Hasso. Mario schwieg noch immer. »Die Kugeln sind, das vermute jedenfalls ich, die Eiform dieser Wesen«, führte Cliff aus. Er sah in ungläubige und ablehnende Gesichter. »Die Raupen, über die unser geschminkter Garcia stolperte, haben sich aus den laufenden Eiern entwikkelt. Die nächste Station dürften die Motten gewesen sein, wenn ich richtig beobachtet habe.« »Sie sind völlig verrückt!« sagte D'Agricola laut. Cliff hob beide Hände und erwiderte schroff: »Das ist natürlich unbewiesen, insofern haben Sie recht, Flor. Aber es ist eine interessante Arbeitshypothese.« Mario stand auf, musterte reihum die Anwesenden und versicherte drohend: »Es ist die beste, die wir im Moment haben. Ich bin von der Richtigkeit überzeugt.«
Alxeste meinte leise und nachdenklich: »Dann wären Kokons die nächste und Schmetterlinge die letzte Stadion dieser Metamorphose?« Helga fuhr fort: »Und die Eier der Schmetterlinge sind die blauweiß geäderten Kugelwesen mit der telepathischen Kraft.« »So muß es sein«, sagte Cliff. »Schön«, sagte der Produzent und stand auf, »wir haben zwar heute drehfrei, aber ich habe mir diesen Quatsch lange genug angehört. Daß die Kamera ausfiel, ist ein reiner Zufall gewesen. Und wenn hier eine Kompanie Geistesgestörter auf Schmetterlingen angeritten kommt – ich drehe meinen Film zu Ende und fliege wieder ab. Was interessiert mich diese Meta...« Cliff half höflich aus: »... morphose, Flor. Vielleicht kommen Sie noch in die Verlegenheit, die Hilfe der Wesen zu erbitten. Dann werde ich persönlich hinter die Kamera gehen und Ihr Gesicht filmen. Das dürfte sehr kassenwirksam sein.« D'Agricola schmetterte die schwere Tür zu und verließ die Szene. Cliff grinste und lehnte sich zurück. »Wir haben bisher zwei Dinge nicht genügend berücksichtigt«, sagte Mario de Monti. »Das Schiff muß noch sichergestellt werden, und unser Vorgesetzter wartet auf eine Vollzugsmeldung.« Cliff winkte schnell ab. »Für Raummarschall Winston Woodrov Wamsler liegen unsere drei Opfer noch immer in den Kältekammern. Aber du hast recht – holt das Schiff.« Das Mädchen sagte plötzlich, zusammenhanglos: »Aber warum haben diese Wesen Angst vor Kameras?«
»Keine Ahnung!« erwiderte der Kommandant. »Ich weiß auch nicht genau, ob wir recht haben. Eines ist jedenfalls sicher. Bis wir diesen Planeten verlassen, wird noch allerhand Unerwartetes passieren.« »Worauf du dich verlassen kannst«, sagte der Erste. »Atan – fliegen wir mit der LANCET los, holen wir das andere Schiff? Es wird inzwischen an der Sonne getrocknet sein.« Cliff winkte ihnen zu, als sie den Raum verließen. »Was ist die Meinung eines der besten Bioniker der Planeten und eines Spitzenbiologen zu meinem Vortrag?« Thor Vividon sagte: »Einige sehr großzügige Gedankensprünge, aber grundsätzlich haben Sie sicher recht. Wir beiden haben nur Teilaspekte kennengelernt. Und – wir waren krank, als wir hierher kamen.« »Ich erinnere mich... in dem Höhlensystem. Da gab es einen Geruch, der mich heilte. Und menschliche Stimmen!« Cliff blickte Vividon scharf an, der Bioniker nickte heftig. »Wir können Ihnen vielleicht Auskunft über den Ort geben, an dem wir uns wiederfanden«, sagte er zögernd, »aber über das Warum, das Wie oder ähnliche Fragen können wir nichts sagen. Außerdem habe ich Hunger.« Er winkte Alfryd, und drei Personen verließen den Raum. Nur noch Alxeste, Cliff, Helga und Hasso waren hier. »Und was tun wir?« fragte Hasso gutgelaunt. Cliff sah zum Fenster hinaus und murmelte: »Wir sollten Bill Delante suchen, Hasso. Schließlich
lautet unser Auftrag, die drei Männer zurückzubringen.« Hasso sagte resignierend: »Wenn du mir sagst, wo ungefähr Delante zu finden ist, helfe ich augenblicklich mit allen Kräften. Aber unter den Umständen – aussichtslos.« »So ist es!« seufzte der Kommandant. * Kommandant Cliff Allistair McLane saß schweigend und mit ausgestreckten Beinen in dem Sessel. Er hatte die Absätze seiner Stiefel quer über das Steuerpult der LANCET gelegt – eine Position, in der er ausgezeichnet nachdenken konnte, wie er immer entschuldigend behauptete. Durch die kuppelförmigen Fenster des Beibootes fiel die Sonne des frühen Nachmittags. Cliff hatte aus dem Bordvorrat der ORION eine Flasche halbtrocknen Sekt geholt, dazu eines seiner Gläser. Jetzt betrachtete er den Burghof durch die Wölbung des halbgefüllten Glases. Er sah die Leute des Filmteams, die verschiedene Dekorationen errichteten, Lichtwände aufstellten und Leitungen abspulten. Und er sah – Alxeste. Er sah Alxeste, das Mädchen, von dem er den Nachnamen nicht kannte, durch den goldgelben Sekt. Klein, fast mikroskopisch und leicht verzerrt, aber schließlich, so tröstete er sich, sah kein Mann die Frauen so, wie sie wirklich waren, sondern immer verzerrt. Die Linsenwirkung eines Glases war da direkt das geringstmögliche Übel. »Ich wette, McLane, sie sucht dich!« murmelte er.
Cliffs Probleme waren im Augenblick ziemlich vielschichtig. Sie bestanden aus drei verschiedenen Teilen. Die Männer, die er nach Terra bringen sollte, der Film und die Wesen dieses Planeten. Und was die Sache verschlimmerte: Alle drei Themen waren ineinander verflochten wie ein Zopf. Alxeste suchte ihn! Er sah zu, wie sie einen Arbeiter fragte, wie dieser unverschämt grinste und auf die LANCET deutete. Cliff sah das Mädchen auf das Beiboot zukommen. Sie hatte sehr gerade Beine, fast eine Spur zu schlank, und sie trug eine Hose, die in der Basis 104 einen Volksauflauf verursacht hätte. Die Filmleute schauten schon gar nicht mehr hin. Dazu das blaue Haar und die grauen Augen... irgendwie eine interessante Farbkombination. Jetzt verschwand sie aus Cliffs Gesichtsfeld, und er blieb faul sitzen und wartete. Schließlich tauchte ihr Kopf am oberen Ende der Leiter auf, halb in der Kabine. »Sie trinken, Kommandant?« »Ich unterstütze die Denkgeschwindigkeit durch unwesentliche Alkoholbeigaben«, sagte er leise. »Denken Sie mit?« »Mit Vergnügen!« »Mit Sekt!« sagte Cliff und holte einen weißen Plastikbecher aus dem Sockel des Steuerpultes hervor. »Sie haben mich gesucht und auch gefunden – was liegt an?« Während Cliff das Glas dreiviertelvoll goß, sah er sie genau an. Sie war wirklich bezaubernd. »Ich weiß nicht, ob es Ihre Planungen berührt«, sagte Alxeste und setzte sich gegenüber Cliff in den Sitz des Funkers.
»Alles, was auf Caernavan't passiert«, knurrte Cliff, »berührt meine Überlegungen. Zumindest diese, vielleicht auch die Planungen. Was wollen Sie mir sagen?« »Sie haben graue Haare im Bart«, sagte sie. »Morgen wird – und übermorgen auch – in der Burg gedreht. Innenszenen und anderes. Ich habe aus diesem Grund frei, weil ich für die Außenarbeiten verantwortlich bin.« »Ihre Haarfarbe ist auch unecht«, sagte Cliff, »außerdem sind Sie genau der Typ, der leicht Migräne bekommt. Sie wollen mir doch nicht einen Spaziergang vorschlagen?« Sie trank und nickte dann. »Einen Spazierflug!« bestätigte sie. »Haben Sie eine Freundin?« »Eine ganze Serie, und es ist noch kein Ende abzusehen«, sagte Cliff unbewegten Gesichtes, »und wohin soll die Reise gehen? Zu den Inseln der Seligen?« »Zu der Grotte der Kokons. Sind sie hübscher als ich?« Cliffs Gesichtsausdruck blieb, weil er sich entsprechend anstrengte, fast neutral. »Die Kokons?« fragte er. »Die Freundinnen. Ich glaube, Vividon hat recht. Wir sollten uns überzeugen, daß die herrschenden Vermutungen stimmen. Außerdem habe ich ein merkwürdiges Ergebnis... Verzeihung, Erlebnis gehabt.« Cliff grinste jetzt; er durchschaute wenn nicht alles, so doch einen Teil der Theorie. »Hat Mario de Monti Ihnen einen Antrag gemacht? Das wäre eigentlich fällig!«
»Nein«, sagte sie. »Ich versuchte, mit der Spiegelreflex eine Kugel zu fotografieren.« Cliff streckte die Hand aus. »Wo ist der Abzug?« »Hihi!« machte das Mädchen und hielt ihm den leeren Becher entgegen. »Nix Abzug. Ich... ich muß es Ihnen ganz genau erzählen. Ich saß neben der Zugbrücke, weil ich die Lichtproben für morgen überwachte und sah eine Kugel langsam im Burggraben treiben. Plötzlich hatte ich den Eindruck, sie sähe mich an. Ich wollte es ausprobieren, weil ein Schaden in der kleinen Spiegelreflexkamera nichts bedeutet und richtete den Apparat auf die Kugel.« Cliff entkorkte die Flasche und goß nach, sich auch. »Dieser Sekt ist erstens hervorragend und zweitens preiswert«, sagte er leise. »Wie schnell werden Sie betrunken? Und was geschah dann mit der Kamera?« »Nichts.« Cliff grinste. »Und das finden Sie erwähnenswert, Alceste?« »Alxeste, bitte«, sagte sie. »Mit mir passierte etwas. Ich fand mich plötzlich auf der höchsten Plattform der Burg, auf dem Hauptturm – dort, wo Thorleifson seine Reime in den Wind brüllte.« Sie war plötzlich sehr ernst geworden. Cliff nahm die Stiefel vom Pult und beugte sich vor. »Ich scheine nicht mehr in Form zu sein«, sagte er. »Hören Sie zu, Mädchen, ich flirte mit Ihnen lieber als mit dem Einsiedler, zugegeben, aber ist Ihre Erzählung auch wahr? Hier verstehe ich keinen Spaß!« Alxeste sagte: »Sehr wahr, Kommandant. Ich erschrak nicht schlecht, als ich mich plötzlich dort oben wiederfand.
Ohne, daß ich etwas gemerkt hätte. Lautlos, ohne Zeitverlust, ohne Windhauch oder so.« Cliff meinte mürrisch: »Ich werde also den Fehler begehen und einer jungen Dame glauben. Und warum sollen wir die Kaverne der Kokons suchen?« »Ich dachte mir, es wäre interessant«, sagte sie. »Und dann fliegen wir auf zwei Schmetterlingen zurück und erschrecken D'Agricola.« »Ja, das wäre eine lustige Sache. Dachten Sie vielleicht daran, daß dieser ganze Komplex alles andere als lustig ist?« Sie zuckte die Schultern. »Wenn die Wesen tatsächlich über Parakräfte verfügen«, meinte Cliff mehr zu sich selbst, »dann befinden wir uns in der Situation uneingeladener Gäste. Das ist auf alle Fälle peinlich, sicher aber nicht ungefährlich. Mit dieser Begabung können uns die Gastgeber schiffsweise ins All zurückwerfen, ohne daß wir etwas dagegen tun können.« »Richtig.« »Und außerdem muß ich noch einen Mann finden«, sagte Cliff. »Unbedingt! Wamsler würde es mir nicht verzeihen.« »Und das Schlimmste wäre«, sagte Alxeste in weiblicher Intuition, »daß Sie sich selbst das auch nicht verzeihen könnten. Im Ernst – wir sollten die Höhlen suchen, und ein zweites Kommando sollte uns nachfliegen und uns notfalls retten. Ich habe die Idee, daß wir in diesen Kavernen auch Bill Delante finden können. Ich weiß allerdings nicht, woher ich diese Gewißheit habe.« Cliff sah in ihre Augen und glaubte zu erkennen,
daß sie die Wahrheit sprach. »Niemand auf diesem verdammten Planeten scheint etwas zu wissen, McLane eingeschlossen«, sagte er wütend. »Jeder ahnt etwas, denkt etwas und fühlt eine ganze Menge. Ich werde noch wahnsinnig auf Caernavan't!« Sie lächelte und flüsterte schmeichelnd: »Sie doch nicht, Kommandant. Der Held der Neunhundert-Parsek-Raumkugel, der unerschrockene Entdecker des Großen Schiffes, der Sieger über die drei Unsterblichen... Sie werden alle auftretenden Schwierigkeiten mit der Ihnen eigenen Art restlos unter Kontrolle bringen.« »Sie werden einen Rollmops noch als Gymnastik treibenden Rassehund bezeichnen, wenn Sie sich davon einen Erfolg versprechen«, sagte Cliff, noch immer unentschlossen. »Ich bitte mir Bedenkzeit bis morgen zum Sonnenaufgang aus.« Er verteilte den Rest des Getränkes auf ein Glas und einen Becher. »Genehmigt!« sagte das Mädchen. Als Cliff ihr zwanzig Minuten später von der breiten Leiter half, wußte er, daß keine einzige der aufgetauchten Fragen wirklich gelöst war. Jede Erkenntnis hatte weitere Fragen aufgeworfen. Nichts war klar. Nur die Hälfte des Filmes war gedreht – bisher der einzige Erfolg. Cliff hatte, während er allein in seinem Zimmer aß, ein besonders schlechtes Gefühl. Er fühlte sich wie ein Stümper. Aber das kam wohl von den Geheimnissen, die scheinbar offen dalagen und sich trotzdem nicht lösen ließen. Er beneidete glühend den Einsiedler, der hier lebte, dichtete und sich von den Nahrungsmitteln ernährte, die ihm je-
mand telekinetisch auf den großen Tisch der Halle servierte, als Dank für seine Gedichte. Die Möglichkeiten, die in dieser Überlegung enthalten waren, übersah Cliff vollkommen. Er verließ sein Zimmer und ging hinüber zur ORION, die noch immer mitten im Burghof schwebte. Dort holte er sich einige Taschenbücher mit utopischen Erzählungen von PieterPaul Ibsen und das Bandgerät. Gerade als er nachlas, wie souverän sich irgendwelche kosmischen Händler verhielten, klopfte es an die Tür. »Wer immer es ist – herein!« rief Cliff unwillig. Er hatte es gefürchtet; es war Alxeste. »Ich habe meinen Sekt schon ausgetrunken«, murmelte Cliff, legte eine zusammengefaltete Planetenkarte zwischen die Seiten und grinste. »Sie werden es auf meine Tugend abgesehen haben, denke ich.« »Nein«, sagte sie und lehnte sich an den Stein, der das Kamingehäuse abschloß, »ich konnte nur nicht einschlafen, und da dachte ich, Sie würden mir ein Schlaflied singen.« Cliff musterte sie von Kopf bis Fuß. Was er sah, gefiel ihm. »Die Männer, die mit den Frauen am besten auskommen«, murmelte er undeutlich, »sind dieselben, die am besten wissen, wie man ohne sie auskommt. Das Leben im Raum ist hart.« Sie flüsterte: »Ich wollte nur wissen, was ich morgen anziehen soll. Schließlich ist eine solche Expedition ins Ungewisse keine leichte Sache. Da muß man schon gerüstet sein.« Cliff stand auf und ging langsam auf das Mädchen
zu. Sein Blick wurde abgelenkt; eine Bewegung oder ein Schatten – jedenfalls blickte er zum Fenster und blieb stehen, als sei er erstarrt. »Schnell! Das Licht aus!« rief er unterdrückt. Sie gehorchte wortlos. Dann griff der Kommandant nach der Hand Alxestes und zog das Mädchen zum Fenster, öffnete es und machte es weit auf, ein Windhauch verfing sich im Stoff und bauschte den Vorhang auf. »Was ist los?« flüsterte sie und drängte sich an ihn. »Sehen Sie...« Sie blickten hinaus auf den Hauptturm der Burg, einen schlanken Schaft, mehr als hundert Meter hoch. Dort oben stand wieder der Einsiedler, hob die Arme zum Himmel und deklamierte, aber man verstand kein Wort. Ein anderes Geräusch wurde lauter und lauter. »Die Motten!« Aus der milchigtrüben Fläche des nächtlichen Nebels bildeten sich sichelförmige Schatten heraus. Wenige zuerst, dann immer mehr. Schließlich zog sich eine S-förmige Schleife vom Boden schräg nach oben, bildete einen Kreis und wirbelte um die Zinnen des Turmes. Wieder hörten sie das Brummen und Knattern zahlloser Flügel, als ob riesige Trommeln geschlagen würden. Tausende von Motten rasten in einer sechsfachen Spirale um den Turm und verdeckten den Körper des Mannes. Der Einsiedler schien nicht zu wissen, was um ihn herum geschah. Er sprach unhörbar zu unsichtbaren Geistern oder zu den rätselhaften Wesen dieses Planeten. Für lange Minuten wehte ein starker Hauch von mittelalterlicher Mystik über die Burg, und selbst in Cliff erstarb
jeglicher Hang zur Ironie. Es war ihm, als sei er um sechs Jahrtausende in die Vergangenheit zurückversetzt worden, in eine Zeit, in der Geister und Gespenster, mythische Vorgänge und eine merkwürdige Art von Pannaturalismus zum Leben der Menschen gehört hatten wie die Atemluft oder das Wasser. »Wahnsinn!« flüsterte er. Er fror plötzlich und fühlte nicht einmal, wie sich die Hände Alxestes um seinen Arm krallten. »Da, ein Schmetterling!« Während sich die Schwärme der dicken, blaugrünen Motten langsam auflösten und im Nebel der Atmosphäre verschwanden, kreiste ein riesiger Schmetterling zwanzig Meter über dem Hauptturm. Und – auf dem Schmetterling saß, deutlich sichtbar, eine menschliche Gestalt. Sie hielt sich mit einer Hand fest und hatte den anderen Arm hoch erhoben, als führe sie eine Armee an. Und ganz plötzlich und unvermittelt, verschwand der Schmetterling mitsamt seiner Last. »Verteufel unangenehm«, sagte Cliff leise. »Er ist weg.« »Also hat Vividon, der Bioniker, doch recht. Die Schmetterlinge können auch große Entfernungen durch einen Teleportationssatz überwinden.« Cliff zog das Mädchen an sich. »Oder eines der kugelförmigen Wesen hat sie befördert. Das ist ebenso möglich. Aber schließlich wissen wir, daß Bill Delante noch lebt.« »Ja«, sagte sie. »Und wir leben auch.« Cliff stellte fest: »Der Widerstand der Frauen ist eine von den jahrtausendealten Regeln vorgeschriebene Arabeske.
Warum, beim Sirius, wehren Sie sich nicht, wenn ich Sie zu küssen versuche?« »Es ist nicht Mode, ›beim Sirius‹ zu sagen«, wisperte sie. »Ein anderer Kraftausdruck wäre angebrachter.« Cliff schwieg. Er ahnte, daß er geschlagen war. * »... ORION VIII an Marschall Wamsler... high speed... dringend: Alfryd Thorpbjörnson und Thor Vividon gefunden. Sie sind unter dem Einfluß von telepathisch begabten Wesen dieses Planeten geheilt worden. Bill Delante wurde gesehen; offensichtlich ist er ebenfalls geheilt. Keine Sorge, alles in Ordnung. Filmarbeiten gehen zuverlässig weiter. Einsiedler bester Laune. Rückfragen nicht notwendig. Grüße... McLane... über EOS IV an T.R.A.V. Ende.« Cliff schaltete das Armbandfunkgerät probeweise zweimal ein und aus und kontrollierte den Ausschlag der Zeiger an Helga Legrelles Funkpult. Wie immer, wenn ein anderes weibliches Wesen in Cliffs Nähe war, verwandelte sich die Funkerin in ein wortkarges, kratzbürstiges Wesen – noch immer schien Cliff das Traumbild ihrer späten Abende zu sein. »Kurz und bündig, so wie du selbst«, sagte Helga. »Findest du es nicht ungerecht, mit dieser blauhaarigen Sekretärin herumzufliegen?« Cliff fragte in ausgesucht höflichem Tonfall: »Würdest du Alxeste deinen Platz hier anvertrauen? Schau... du hast viel mehr Verantwortung für mein Leben als sie. Außerdem fliegst du noch die nächsten zehn Jahre mit uns, und Alxeste...« Er ließ den Satz unbeendet und beschäftigte damit
Helgas Phantasie. »Viel Glück«, sagte sie, mühsam beruhigt. »Glaubst du, daß ihr Delante finden werdet?« Cliff zog sich die Expeditionsjacke an und steckte mehrere Magazine für die Gasdruckwaffe ein. Er kontrollierte sorgfältig seine Ausrüstung, bis hinunter zu den Messern im Stiefelschaft. »Ich hoffe es, aber natürlich weiß ich es nicht«, sagte er. »Aber ich werde den Peilsender nicht ausschalten.« »Gut. Mario und Atan sind bereit, Cliff.« Cliff beugte sich zu Helga herunter und küßte sie leicht auf die Stirn. »Du bist der einzige Lichtblick in meinem zur Neige gehenden Leben«, sagte er mit Nachdruck und stellte sich in den kleinen Lift. »Paß schön auf uns auf, Helgamädchen!« »Leicht, Liebster, gelingt's, wenn List du brauchst!« zitierte Cliff, als er das Schiff verließ und Alxeste Ortega dekorativ an der Landestütze der LANCET lehnen sah. »Starten wir?« Cliff wartete, bis sie eingestiegen war, dann schaltete er Antrieb und sämtliche notwendigen Geräte ein. »Gen Nordwest sie wallten«, sang er leise, »Ostwind im Wams, Wahn in den Wanten!« Alxeste versicherte, während die LANCET startete und aus dem Burghof schräg nach Nordwesten flog: »Eines Tages werde ich diese stabreimenden Nordischen Elegien verfluchen. Im Team spricht niemand mehr normal. Jeder verständigt sich nur noch per: ›Heia, du Hunding, hole die Hirnarme!‹ oder ›Ich
renne, ratend, wo Rolf sich reckt!‹ Wie schön ist doch die Sprache, wenn sie nicht manipuliert wird.« »Thorleifson hat darüber andere Ansichten«, sagte Cliff, zog die Landestützen ein und schob den Fahrthebel bis zum Anschlag nach vorn. Das Summen des Antriebs machte für eine Minute jede Unterhaltung unmöglich, dann wurde es leiser. Die LANCET raste der Wüste entgegen. Eine Stunde verging in rasendem, überschallschnellen Flug, eine zweite. Das Boot überflog die eisbedeckten Gipfel der Bergriesen, dann die Gebirgstäler, die Hügel und die Gletscherbäche, die nur teilweise den Fluß erreichten. Die Wüste begann, und Cliff gab alle zwanzig Minuten Positionsmeldungen durch. Außerdem war der Positionssender ununterbrochen in Betrieb. »Die Wüste fängt an«, murmelte das Mädchen. Sie hatte fast nur durch die verschiedenen Kuppelfenster hinausgesehen und die Landschaft betrachtet. Immerhin wechselte im Verlauf von rund hundertzwanzig Minuten die Aussicht dreimal grundlegend: Zuerst die normale Landschaft aus Wäldern, Hügeln und Bächen, überragt von der Burg, dann die leblose und eisbedeckte Welt der Berge, schließlich die Wüste. Cliff deutete nach unten und sagte: »Einige Millionen Quadratkilometer Wüste. Und wo, beim Rigel, soll ich jetzt die Kavernen suchen?« Er sagte nicht, daß er in dieser Nacht einen Traum gehabt hatte. Er selbst glaubte nicht daran, daß es ein Traum gewesen war – er ahnte, ohne daß er dafür mehr als gefühlsmäßige Anhaltspunkte gehabt hätte, daß es eine Art Informationsaustausch bei ausge-
schaltetem Wachbewußtsein gewesen war. »Keine Ahnung. Haben Sie da nicht Geräte, mit denen Sie Löcher im Boden feststellen können?« Cliff runzelte die Stirn und sagte verblüfft: »Seit wann benutzt du schon wieder das Sie?« Sie blickte auf die Mikrophone und sagte irritiert: »Ach so, ich dachte, das Mikrophon wäre eingeschaltet. Und ich wollte deine Funkerin nicht eifersüchtig machen.« »Ich verstehe«, sagte Cliff und spähte nach draußen. »Ich kann keine Löcher im Boden feststellen, aber große Hohlräume per Bodensonde kann ich hier ablesen. Aber ich suche nach einem besonderen Geländemerkmal.« Es war eine Stunde nach Sonnenaufgang; sie waren nach Westen gerast, und über diesem Teil der Wüste ging eben die Sonne ein zweitesmal auf – für Alxeste und Cliff. »Welches Merkmal?« »Ein gleichschenkeliges Dreieck aus Sandsteinbergen, vielleicht eintausend Meter hoch.« »Woher weißt du etwas von diesem Felsendreieck?« Cliff überlegte kurz, während er die LANCET leicht schräg stellte und den Boden unter sich genau musterte. Dann sagte er: »Ich habe die Fähigkeit, den Charakter eines Menschen ziemlich genau und binnen kurzer Zeit zu durchleuchten.« Sie lächelte ihn schmelzend an und erkundigte sich leise: »Muß ich mich jetzt schämen?« »Nicht nötig, du bist schließlich kein Raumfahrer.
Und da ein Charakter niemals genau lokalisierbar ist, fließen in diese Betrachtung auch einige andere Faktoren mit hinein. So zum Beispiel bei Vividon und Thorpbjörnson. Ich habe in ihren Gedanken dieses Bild ebenfalls entdeckt; ich glaube es wenigstens. Wahrscheinlich haben sie es nicht gesehen, aber sie haben die Gedanken der Kugeln und der Schmetterlinge miterlebt. Ein Teil der planetaren Intelligenzwesen und vorläufig vier Menschen bilden inzwischen, ohne daß sie es ganz genau wissen, ein gedankliches System. Jeder weiß etwas vom anderen, und alles verläuft lautlos. Ich hatte außerdem heute nacht einen ähnlichen Traum.« Er kontrollierte sorgfältig die Instrumente, während das Beiboot in großer Höhe dahinschoß. Jede kleinste Erhebung warf einen langen, stechend scharfen und schwarzen Schatten nach Westen. »Hier Cliff«, sagte er in das Mikrophon. »Helga... ist Atan im Schiff?« Der Lautsprecher knackte, und die Funkerin aus der ORION sagte: »Ja, Atan ist hier. Wir haben euch genau angemessen. Ihr seid jetzt fast genau in der Mitte zwischen den Zentralbergen des Kontinents und dem Ufer des Meeres. Hast du etwas gesehen?« »Nicht einmal einen Schmetterling«, erwiderte der Kommandant ernst. »Etwas Neues in der Burg?« »Nein. Nur einmal sind zwei Schmetterlinge gesichtet worden. Thorleifson berichtete mir, daß es die ersten Schmetterlinge waren, die er seit seinem Einzug in die Burg zu Gesicht bekommen hatte.« »Danke«, sagte Cliff. »Ich melde mich wieder, sobald ich mehr weiß.«
Er setzte die Sendeenergie des Peilsenders herauf, schaltete das Funkgerät wieder ab und widmete sich wieder dem Studium der Landschaft. Eine Viertelstunde später sah er die ersten Felsen, und Minuten danach, als die LANCET sich dem Boden entgegengesenkt hatte, wußte er, daß er hier das Felsendreieck unter sich hatte. »Da ist es!« sagte er und deutete hinunter. »Sie hatten recht – ein Dreieck. Ob darunter wirklich die Kavernen sind?« Cliff schaltete den Detektor ein und drehte den großen Knopf bis zum Anschlag. Er steuerte in zweihundert Metern Höhe über die ersten Felsen hinweg und wußte, daß beim ersten größeren Hohlraum unter dem Sand die Zeiger wie wild ausschlagen würden. Cliff war ein Mann, der sich fast ausschließlich nach den Anforderungen richtete, die von Menschen und Vorgängen an ihn gestellt wurden. Aber jetzt fühlte er, daß er und das blauhaarige Mädchen neben ihm direkt auf der Spur der Geheimnisse waren. Auf einer heißen Spur – denn jetzt schlug der Zeiger aus. »Hundert Meter unterhalb des Sandes ist eine Höhle. Wir suchen nur noch den Eingang«, stellte der Kommandant fest und verringerte die Flughöhe der Maschine. »Hast du Angst, Alxeste?« »Ein bißchen«, erwiderte sie.
6 Hier hatte sich eine keilförmige Felsformation aus dem Sand erhoben. Einige der Felsen hingen über, der Sand war völlig ohne Spuren und glattgeweht wie eine Tischplatte. Die Sonne brannte trotz der frühen Stunde und der milchigtrüben Lufthülle unbarmherzig in den Kessel hinein. Wie ein Gegenstand aus einer völlig anderen Zeit stand das Beiboot zwischen den schrägen, gelbweißen Felswänden. Eine Doppelspur tiefer, scharfer Eindrücke, nur durch die Schatten sichtbar gemacht, führte zwischen den vier Landebeinen auf den Eingang unter den Felsen zu. Am Ende dieser Spuren standen Alxeste Ortega und Cliff McLane. Cliff rekapitulierte: »Der Peilsender arbeitet, das Funkgerät ist auf unsere beiden Armbandgeräte geschaltet worden, wir haben Lebensmittel, Ausrüstungen und Batterien für mehrere Wochen, abgesehen vom Wasservorrat, bei uns. Wir haben alles zu unserer Sicherheit unternommen.« Er hob den Arm an und drückte den Kontakt, dann sagte er in das kleine Mikrophon: »Hier Cliff. Wir stehen vor dem Eingang zum Höhlensystem, soweit ich es feststellen konnte, war es der einzige Eingang. Wenn wir nach zwanzig Stunden nicht wieder herausgekommen sind, sucht uns bitte. Verstanden, Atan?« Der Astrogator erwiderte: »Verstanden, Cliff. Jede Menge Glück euch beiden!« »Danke. Ende.«
Noch fünfzig Meter trennten die beiden Terraner, deren Augen in dem hellen Licht zu schmerzen begannen, von der Felsplatte, unter der sich der etwa zehn Meter breite und vier Meter hohe Eingang befand. Nichts deutete darauf hin, daß hier lebende Wesen versteckt waren. »Ich frage mich nur«, sagte Cliff und nahm das Mädchen am Arm, »aus welchen Gründen die drei Männer ausgerechnet hierher gekommen sind. Ausgerechnet nach Caernavan't, zum Einsiedler.« Vor ihnen war jetzt der Eingang. »Hinein«, sagte das Mädchen. Sie gingen aus der Sonne in den Schatten hinein, zehn Meter, fünfzehn Meter, und dann blieben sie stehen. Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die veränderten Lichtverhältnisse. Nach einigen Sekunden erkannten sie, daß der Sand auch hier flach und ohne Spuren war. Er bildete eine gerade Fläche zwischen den dunkleren Felswänden. Weiter hinten schien die Sandfläche nach unten abzufallen. Das Mädchen flüsterte: »Kein Geräusch, keine Stimmen, kein Geruch nach Feuer... nichts. Ich beginne mich zu fürchten.« Sie gingen langsam weiter. Cliff hatte die HM 4 gesichert in der verborgenen Tasche, aber die Gasdruckwaffe mit den Narkosenadeln steckte entsichert in der Hülle. Jetzt nahm Cliff den kleinen Handscheinwerfer, der mit einem dünnen Kabel an die Gürtelbatterie angeschlossen war. Ein Lichtkegel zuckte nach vorn und verlor sich in der Dunkelheit. »Nichts deutet darauf hin, daß diese Wesen etwas gegen uns haben. Ich glaube, die Kugeln und
Schmetterlinge sind einfach aufgestört und neugierig gemacht worden.« »Schon möglich. Und in dieser Höhle sollen sich die Kokons befinden?« »Ja. Alles deutet darauf hin.« Sie gingen dicht nebeneinander dem Licht nach. Hundert Meter nach der Felsenöffnung senkte sich der Sand, gleichzeitig wichen die Felswände trichterartig nach beiden Seiten und nach oben zurück. Vor den zwei Terranern tat sich eine Höhle auf. Sie blieben stehen, und Cliff drehte den Scheinwerfer nach allen Richtungen. Geradeaus: die Höhle verschluckte den Lichtstrahl – also war sie weiter als dreihundert Meter, denn so weit reichte der Lichtstrahl. Hinter ihnen war die Öffnung zu einem winzigen hellen Loch zusammengeschrumpft. Rechts und links gab es glatte, hellgelbe Sandsteinwände, und langsam schwenkte der Lichtkegel nach oben, nach vorn. »Vividon hat nicht gelogen!« flüsterte Alxeste. Das Echo warf ihre Worte vielfältig gebrochen zurück. Ein kalter Schauder lief dem Kommandanten über den Rücken. Langsam, Schritt um Schritt, bewegten sie sich weiter in die Höhle hinein. Die Kokons. Sie hingen da wie seltene, exotische Früchte mit lederner Haut. Je näher die Kokons dem Eingang hingen, desto größer waren die Abstände voneinander. Zweihundert Meter von der Öffnung der Felsen entfernt hingen d i e eingesponnenen Tiere förmlich in Trauben, in dichtgestaffelten Galerien. Jeder noch so winzige Felsvorsprung war von ihnen ausgenutzt worden.
»Das ist... unfaßbar!« sagte das Mädchen. Cliff schüttelte den Kopf und murmelte: »Nur entsprechend vergrößert. Sie sind auf Terra auch zu finden, in ähnlichen Mengen, nur wesentlich kleiner.« Etwas raschelte unter ihren Füßen, als sie weitergingen. Es klang wie dürres Laub. Als das Licht darauffiel, sahen Cliff und Alxeste, daß es sich um kleine Bruchstücke von Kokons handelte, nicht viel größer als zehn oder zwanzig Quadratzentimeter und entsprechend gekrümmt. Die Kokons selbst waren doppelt spindelförmig und etwa einen Meter lang, dreißig bis zwanzig Zentimeter durchmessend. Diese Behälter hingen an einem System von gesponnenen Fäden, die von dem rauhen Fels ausgingen. Die Menge der Kokons war ziemlich groß – Cliff schätzte die Anzahl, die er sehen oder gerade noch erkennen konnte, auf mehr als zehntausend. Sie gingen durch die raschelnden Reste, die einen halben Meter hoch und federleicht den Sandboden bedeckten, weiter in die Höhle hinein. Nach weiteren fünfzig Metern hielt Cliff das Mädchen zurück. »Was gibt es?« Sie wagte nicht laut zu sprechen. »Eine Spur.« Cliff leuchtete den flachen Graben aus, der sich fast quer zu der Richtung hinzog, in der sie gingen. »Vividon oder Delante?« fragte Alxeste. »Schon möglich.« Cliff bog nach links ab. Noch eine Viertelstunde lang folgten sie diesem Graben, dann schaltete der Kommandant den Scheinwerfer aus. Eine stauberfüllte Stille breitete sich aus. Vor ihnen, in einer Entfernung von mehr als zweihundert Metern, gab es ei-
ne deutlich erkennbare Zone aus diffusem, gelbem Licht. Und gleichzeitig merkten sie, daß ein merkwürdiger Geruch in der unbeweglichen Luft stand. Es roch wie Azeton oder ein ähnliches Lösungsmittel. »Wenn wir das Zeug noch länger einatmen«, sagte Cliff in der Finsternis, »dann besteht die Gefahr, daß wir bewußtlos werden. Wo Licht ist, scheint auch eine Öffnung zu sein.« »Ja«, meinte das Mädchen, »gehen wir in diese Richtung.« Es war nicht Furcht, die sie in ihrem Griff hielt, sondern ein merkwürdiges Gefühl, gemischt aus Verwunderung, leichtem Schwindel, Staunen und der Erwartung eines plötzlich eintretenden Geschehens, dessen Natur sie nicht ahnen konnten. Immerhin schien hier an der Decke der Beweis zu hängen, daß die intelligenten Wesen dieser Welt in fünf Formen einer Metamorphose auftraten, von denen die schwarzen Schmetterlinge die Endphase waren. Und zweifellos hatten diese schlafenden und sich umwandelnden Wesen hier kaum irgendwelche telepathischen Gaben. Keiner von ihnen spürte die Anwesenheit der zwei Terraner. »Mach bitte das Licht wieder an«, sagte Alxeste. »Natürlich.« Der Lichtkegel schnitt durch die Dunkelheit, und in seinem Bereich begann der aufgewirbelte Staub zu tanzen wie Plankton im Wasser. Der Geruch nahm zu, und Cliff dachte daran, daß er eine Sauerstoffmaske hätte mitnehmen sollen. Nach weiteren hundert Schritten summte das Armbandgerät auf. »Hier Cliff?« meldete er sich und blieb stehen. »Hier spricht Hasso. Wie fühlt ihr euch?«
Cliff berichtete in kurzen Sätzen, was sie gesehen hatten und wo sie sich befanden. Dann fragte er zurück: »Ein besonderer Grund, warum ihr anruft?« »Nein. Hier alles in Ordnung.« »Danke.« Auf Cliffs Uhr war es fast Mittag, als sie den Rand der hellen Zone erreichten. »Endlich – hier gibt es frische Luft«, sagte Cliff. Er blickte sich aufmerksam um. Je länger er schaute, desto mehr Einzelheiten entdeckte er. Ein Schacht, annähernd kreisrund und etwa hundert Meter hoch, führte hier an die Oberfläche. Er war fast senkrecht angelegt, und auf den Sandboden prallten die Sonnenstrahlen. In die Wandungen dieses gelben Sandsteinschachtes waren in verschiedenen Höhen Nischen eingeschnitten, und zwischen den schmalen Einschnitten führten eine Art von doppelten, parallel laufenden Leitern hin und her, ebenfalls in den Fels eingeschnitten. »Interessant!« sagte Cliff laut und wischte sich den Schweiß und eine Staubschicht von der Stirn. Ein klapperndes Geräusch war von oben zu hören, dann schrie jemand: »Bei den Einöden der Beteigeuze! Terraner!« Cliff und Alxeste sahen sich an, dann murmelte der Kommandant: »Delante?« Er legte den Kopf in den Nacken und ging bis in den Mittelpunkt des Schachtes hinein, hielt dann eine Hand an den Mund und brüllte: »Delante? Bill Delante!« Aus einer der Öffnungen, vierzig oder fünfzig Me-
ter über dem Boden, schob sich ein dunkler Kopf hervor. »Ja. Wer sucht mich?« »Cliff McLane«, sagte Cliff laut. »Kommen Sie herunter! Ich muß Sie sprechen!« Delante winkte fröhlich und schrie: »Einen Augenblick!« Dann stieß er einen schrillen Pfiff aus. Cliff schüttelte den Kopf und sah nahezu fassungslos zu, wie sich aus dem untersten nischenartigen Einschnitt der Körper eines Schmetterlings mit angelegten Flügeln schob. Die Flügel waren mehrfach gefaltet und ragten kaum über den Insektenkörper hervor. Der Schmetterling hakte seine Endglieder in zwei Vertiefungen der parallelen ›Treppe‹ ein und kletterte fast senkrecht die Felswand hoch, dann warf er sich herum, breitete die Flügel aus, und die Farben, die durch das hauchdünne Gewebe und die Sonneneinstrahlung erzeugt wurden, erfüllten wie in einem Kaleidoskop den Schacht. Der Schmetterling schraubte sich lautlos und mit schnellen Flügelbewegungen nach oben und kroch in die Nische herein, in der sich der Terraner befand. Eine halbe Minute später sahen Alxeste und Cliff das Schauspiel, wie sich ein Terraner, auf einem riesigen Schmetterling reitend, durch den Schacht niederschraubte und dicht neben ihnen landete. Das Wesen faltete seine Flügel wieder ein und richtete einen seiner langen, haarigen Fühler auf Cliff, den anderen auf das Mädchen. Überwältigt lehnte sich der Kommandant gegen die warmen Felsen. »Sie sind Bill Delante, der Chefingenieur, nicht wahr?« fragte er, denn der Mann war derartig zer-
lumpt und verschmutzt, daß ihn Cliff nicht mehr wiedererkannte. »Ja. Wie haben Sie mich gefunden?« »Ziemlich schnell«, sagte Cliff. »Zuerst eine Kernfrage: Sie kurieren hier Ihre Geistesgestörtheit aus?« Delante grinste Alxeste an und kam dann auf Cliff zu. Er war verwahrlost, aber seine Augen schienen klar zu sein. »So ist es. Und das Schönste ist, ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin.« Cliff erzählte ihm in einigen raschen Sätzen, was er bisher erlebt hatte und was er wußte. Delante setzte sich in den Sand und winkte dem Schmetterling zu; er tat dies mit schnellen, gelösten Bewegungen. Cliff wandte Bishayr an und entdeckte den Charakter eines Menschen, der einige sehr schwere und belastende Jahre hinter sich hatte und jetzt, aus reiner Freude darüber, daß sein Verstand wieder funktionierte, wie er es wollte, alles andere vernachlässigte. Eines stand für Cliff sofort fest: Delante war weder im Augenblick unehrlich noch ein Lügner. Er sprach, wie auch die beiden anderen Männer, die Wahrheit. »Los«, sagte er heiter, »fliegen wir nach oben. Im Moment ist keine Kugel da, die uns teleportieren könnte – wir müssen diesen Lift nehmen. Ich habe es ziemlich bequem dort.« Er ging auf Alxeste zu, und Cliff beobachtete, wie das Mädchen gegen den Impuls ankämpfte, wegzulaufen. Delante nahm sie an der Hand, führte sie zum Schmetterling und erklärte ihr, wie und wo sie sich festhalten müsse. Dann trat er zurück und grinste breit, die Arme in die Hüften gestemmt.
»Nett, nicht wahr?« fragte er aufgeräumt. In Cliff begann die Wut zu kochen. Zuerst nur mit kleiner Flamme, aber die Aussicht, daß er vor lauter merkwürdigen Erlebnissen noch immer nicht zum Kern der Sache vorgestoßen war und dieser Mann sich hier eines Schmetterlings als Lift bediente, ärgerte Cliff mehr, als er sich gegenüber zugestand. »Ja. Geradezu irrsinnig originell. Warum haben Sie Ihren Rundflug um die Burg nicht unterbrochen?« Delante lachte schallend und sagte laut: »Warum hätte ich das tun sollen? Schließlich hat es doch gewirkt, nicht wahr?« Cliff ahnte plötzlich, was Delante damit hatte sagen wollen. »Kommen Sie, Kommandant«, sagte Bill leutselig und führte Cliff zum Schmetterling, der mit ausgebreiteten Flügeln wartend auf dem Boden kauerte. »Nehmen Sie den Fahrstuhl!« Cliff setzte sich vorsichtig dicht hinter den Kopf des Wesens, klammerte sich an den Vorderkanten der Flügel an und fühlte, wie sich plötzlich ruckend und mit erheblicher Windentfaltung der Schmetterling vom Boden abhob und in engen Kreisen in dem Schacht nach oben flatterte. Mit dem letzten Schwung warf sich der Schmetterling in die Nische, in der das Mädchen wartete, noch immer sprachlos und unter dem Eindruck des Geschehens. Cliff ließ sich seitwärts aus dem provisorischen Sattel gleiten und atmete tief ein und aus. »Auch hier riecht es so merkwürdig«, stellte er fest und setzte sich in einen Sessel, der mit denen in der Burg so gut wie identisch war. »Wie fühlst du dich?« Sie sagte leise:
»Unbeschreiblich. Träume ich?« Cliff sah schweigend zu, wie auch Bill Delante abstieg und sich zu ihnen setzte, dann sagte der Kommandant leise und mit ungewöhnlicher Schärfe: »Sie sind also nur deswegen, im Verein mit einem riesigen Mottenschwarm, um den Burgturm geflogen, weil Sie jemanden darauf aufmerksam machen wollten, nach Ihnen zu suchen?« Delante strich das strähnige Haar aus dem Gesicht und zog überrascht die Brauen hoch. »Grundsätzlich richtig. Aber nicht ich wollte, daß jemand hierher kommt, sondern die Schmetterlinge. Oder noch genauer: die Kugeln.« »Höre ich recht?« fragte Cliff. »Wie verständigen Sie sich mit diesen Wesen?« Bill Delante hatte schwarzes, langes Haar und intensiv blaue Augen. Er saß locker und entspannt in seinem Sessel und schien nicht nur prächtigster Laune, sondern auch bester körperlicher und geistiger Gesundheit zu sein. »Das ist schwierig zu sagen. Wortlos«, meinte Bill. »Verkehren Sie etwa in Träumen mit ihnen?« wollte Alxeste wissen. »So ungefähr«, sagte Delante. »Hören Sie zu«, sagte Cliff. »Sie sind, zusammen mit zwei anderen Männern, die inzwischen...« »... auf der Burg leben, bei dem Einsiedler, ich weiß«, ergänzte Delante. Cliff seufzte. »Sie landeten hier auf Caernavan't. Warum gerade hier?« Delante hob einen abgenutzten Lesewürfel hoch und warf ihn Cliff zu. Cliff fing ihn auf, schaltete ihn
ein und sah, daß der Text von Gedichten des Einsiedlers erschien. Irritiert blickte der Kommandant hoch und sagte leise: »Nordische Elegien, ich weiß... aber was hat das mit Ihrer Geisteskrankheit zu tun?« Delante meinte lächelnd: »Sie sind Raumfahrer, kein Psychotherapeut, auch kein Mystiker. Um es kurz und sehr vereinfachend zu sagen: In vielen Stücken der ziemlich umfangreichen Nordischen Elegien sind, sehr verschlüsselt und nur für Menschen mit einem eindeutig gestörten Wirklichkeitsbezug zu erkennen, gewisse Nachrichten enthalten.« Cliff keuchte überrascht auf. Er fragte heiser: »Über diesen Planeten hier?« Alxeste blickte schweigend von einem Mann zum anderen, dann zuckte sie die Schultern. Sie hatte in ihrem Leben noch nicht genug erlebt, um Merkwürdigkeiten wie diese hier akzeptieren zu können. »Ja, über Caernavan't, Mister McLane. Das bedeutet folglich, daß jeder literarisch interessierte Geistesgestörte, der die Elegien liest und zwischen den Zeilen literarische Deutungen unternimmt, darauf hingewiesen wird.« »Worauf?« fragte Cliff kühl. »Darauf, daß hier Heilung von vielerlei geistigen Gebrechen möglich ist. Auch der Einsiedler ist davon nicht verschont geblieben; früher war er instabil, jetzt ist er sehr stabil.« »Einen Augenblick«, sagte Cliff. Der Kopf begann ihm zu schwirren. »Ich habe folgendes behalten: Sie, also die drei Männer, haben im Sanatorium und auch früher die Gedichte gelesen, die hier entstanden sind. Richtig?«
Delante lachte. »Richtig!« sagte er mit Nachdruck. »Ein heller Kopf, dieser Kommandant McLane!« Cliff winkte ab. »Sie beschlossen, statt der Medikamente die Wirkung dieses Planeten zur Heilung zu benützen. Dabei wußten sie noch nichts von den Wesen, die es hier gibt. Ist auch das richtig?« »Und dann landete das Schiff, etwas schräg, wie mir schien. Sie versuchten, sich zum Einsiedler durchzuschlagen. Und dann...« »Dann ging etwas schief. Ich kann mich nur noch erinnern, daß ich hier lag und mich von Stunde zu Stunde besser fühlte.« »Aha«, machte Cliff. »So war es. Diesen Wesen ist gelungen, was die besten terranischen Medikamente nicht schafften.« Auch jetzt wußte Cliff, daß Delante die Wahrheit sprach. »Wie schafften sie es?« fragte er. Cliff lehnte sich zurück, wippte etwas mit dem Sessel und betrachtete den Mann vor sich sehr genau. »Auf eine Weise, die ich nicht kenne. Die ich vermutlich auch nicht erkennen kann«, sagte Delante ruhig, »weil ihre Fähigkeiten lautlos und ohne Schmerzen angewendet werden. Irgend etwas geschieht mit unserem Verstand.« »Es geschieht immer etwas mit jenem«, sagte Cliff bitter. »Meist wenig spektakuläre Dinge. Sie halten sich also auch für heiter, gelassen und vor allen Dingen – für geheilt?« »Jawohl!« antwortete der Chefingenieur. »Dann steht einer Rückkehr nach der Burg nichts
im Weg?« erkundigte das Mädchen sich und stand auf. »Behalten Sie Platz, Schönste«, sagte Delante. »Schließlich habe ich Sie beide nicht hierher gelockt, um eine Transportmöglichkeit zu haben. Die Kugelwesen wünschen Kontakt mit Ihnen, McLane.« Cliff sprang senkrecht aus dem Sessel hoch und schrie: »Mit mir?« »Mit einem Mann, der Cliff Allistair McLane heißt«, sagte Delante. »Es muß sich um eine bekannte Persönlichkeit handeln, wie mir scheint.« »Es scheint nur Ihnen so«, murmelte Cliff resignierend. »Warum soll ich hier diese Kugeln unterhalten?« Delante wurde schlagartig ernst und sagte förmlich: »Ich weiß es nicht, Kommandant. Ich habe nur die Gedanken übermittelt bekommen, daß diese Kugeln und die Schmetterlinge Sie sprechen wollen. Dieses Sprechen ist aber nicht wörtlich zu nehmen – der Vorgang ist ein Austausch von Gedanken im schläfrigen Zustand.« »Was habe ich zu tun?« fragte Cliff zögernd. Bill Delante sah auf eine altertümliche Uhr; er zog an einer langen, dünnen Kette aus feinen Gliedern, worauf aus seiner Hosentasche eine Kugel fiel. Er fing sie auf, klappte sie auseinander und sah auf die digitalen Zahlen. Er blickte das Zifferblatt an, warf einen nachdenklichen Blick auf das Mädchen, schaute dann wieder den Kommandanten an. Er sagte: »Könnten Sie es über sich bringen, noch genau drei Stunden zu warten?«
»Unter Umständen.« »Unter welchen Umständen?« »Ich muß einsehen können, wozu es gut ist.« Bill Delante sagte leise: »Ich glaube, Sie wissen, daß dieser erste Kontakt mit Telepathen innerhalb der Neunhundert-ParsekRaumkugel eine wissenschaftliche Sensation ersten Ranges ist. Eine weitere Sensation dieser Art wird es sein, wenn einer der besten Raumfahrer der Erde zum erstenmal einen wissentlichen Dialog mit diesen Wesen führt. Diese Wesen werden die Schmetterlinge und die Kugeln sein, denn die anderen drei Formen, also Motten, Raupen und Kokons, verfügen über keinerlei intelligente Fähigkeiten, es sind nur Übergangsstadien. Sehen Sie jetzt ein, wozu es gut ist?« Cliff lächelte das Mädchen an und murmelte: »Natürlich, Bill, natürlich!« Dann wartete er darauf, was geschehen sollte. * Kommandant Cliff McLane lag entspannt auf einer Bank, die aus dem gelbweißen Sandsteinfelsen herausgearbeitet worden war. Die Oberfläche des Felsens sah nicht so aus, als sei mit einem Meißel gearbeitet worden, sondern bildete geschwungene, gänzlich glatte Flächen. Cliff lag auf drei oder vier weichen Fellen, und direkt über seinem Kopf befand sich eine Öffnung im Fels. Es war das Endstück einer langen Röhre, die aus der großen Kokon-Höhle heraufführte bis hierher, zehn Meter unterhalb der Sandfläche.
Cliff schlief noch nicht ganz, aber er befand sich in jenem Stadium, in dem die Gedanken langsamer zu laufen schienen. Der süßliche Geruch, der aus der Kokon-Höhle kam, hatte ihn in diesen schläfrigen Zustand versetzt. Ihm gegenüber, auf einer ähnlichen Felsenbank, lag das Mädchen und schlief bereits. Sie atmete in langen, flachen Zügen, hatte die Augen geschlossen und lag regungslos und ausgestreckt wie eine Mumie da. Auch sie war von der azetonähnlichen Absonderung der Kokons eingeschläfert worden. »Lieblich! Als wenn beide unschuldige Kindlein wären!« brummte Bill Delante, der zwischen ihnen, aber weit von den Löchern in der glatten Wand entfernt saß und wartete. In dem Schacht flog ein Schmetterling langsam hinauf und herunter, als wäre er hochgradig nervös. Cliff schlief ein. »Hallo, Freunde!« sagte Delante leise, als die beiden Kugeln auftauchten. Sie stellten sich jeweils in Kopfnähe von Cliff und Alxeste auf. Selbst Bill hatte sie selten bei vollem Bewußtsein aus dieser Nähe beobachten können. Sie waren mathematisch rund und von einer tiefblauen Farbe, die mit weißen Marmorstrukturen unterbrochen war. Die vier Beine, nicht mehr als dünne Stelzen, besaßen zwei Gelenke und fünf Knochen, die wie bei einem menschlichen Fuß gespreizt waren, jedoch ohne die Zehen. An den Enden der von dünner, lederartiger Haut umkleideten Knochen saßen kleinere Kugeln, ähnlich wie bei Froschfüßen. Es war keinerlei Sinnesorgan festzustellen, weder ein Mund, noch Augen oder Höröffnungen.
Stille trat ein, nur durch die Atemzüge der drei Terraner unterbrochen. Dann begann die Kommunikation zwischen Cliff und den Planetariern. Eine lautlose, aber intensive Zwiesprache. Sie wurde über Gedankenbilder geführt, also über komplexe Muster, die alle nur möglichen Informationen enthielten. Aber das Wachbewußtsein der Menschen war daran nicht beteiligt. Cliff »sah« die Kugeln. Nicht mit seinen Augen, denn sie waren geschlossen, sondern er fühlte ein Bild, das die Kugeln von sich ausstrahlten oder in Cliffs Gedanken hineinprojizierten. Eine Frage wurde ihm gestellt. Du bist Raumfahrer? Gleichzeitig ein Bild, das ziemlich genau schilderte, was sich die Kugeln unter Weltraum und Raumfahrt vorstellten. Es war logisch, klar und ziemlich einfach, aber grundsätzlich richtig, auch wenn es die meisten kosmischen Bestandteile nicht enthielt. Jedenfalls war ein durchsichtiges Schiff, das wie die ORION aussah, der Mittelpunkt der Gedanken. Das Schiff raste zwischen einem blauen, mit weißen Wolkenfeldern bedeckten Planeten und Caernavan't zwischen den Sternen dahin. »Ich bin Raumfahrer«, erwiderte Cliff schweigend, »seit vielen Jahren fliege ich zwischen den Sternen.« Du bist zum erstenmal hier auf unserer Heimatwelt, nicht wahr? Schnell hintereinander erschienen fünf typische Geländeformen dieses Planeten: zuerst die Sumpfgegend mit ihren merkwürdigen Gräsern und Büschen, dann die ruhige Landschaft des Ostens, die Felsen-
Lava-Gegend und der Dschungel mit den dunklen Flüssen, schließlich die nordwestliche Wüste. In jedem dieser Landschaftsbilder sah der schlafende Kommandant die typische Metamorphoseform der Intelligenzwesen – ein leuchtender, farbiger Schmetterling über den Sümpfen, eine Kugel in der Nähe der Burg, ein gelbweißer Raupenwurm in einer Lavaspalte, eine Anzahl schwirrender Motten und schließlich die Kokons in der Riesenhöhle. »Ja, zum erstenmal«, sagte Cliff. Was hast du hier gesucht, Raumfahrer McLane? »Die drei Männer.« Cliff schilderte in einigen Gedankenbildern, ohne daß sein Wille dabei beteiligt gewesen wäre, das Schicksal dreier Spitzenwissenschaftler, deren Verstand aus den Fugen geraten war, und die der unterdrückten Botschaft zwischen den Gedichtzeilen des Einsiedlers gefolgt waren. Er schilderte die Verwirrung, die nach der Nachricht vom Diebstahl des Schiffes und einer rasenden Fahrt quer durch die Raumkugel ausgebrochen war. Er deutete an, daß er wußte, aus welchem Grund die drei Geistesgestörten gerade hierher geflogen waren, zum Einsiedler und unbeabsichtigt auch unter den Schutz der Wesen. »Das ist es«, sagte er. Du fandest die drei Männer, und inzwischen weißt du, daß wir sie geheilt haben. Ihre Vernunft war unordentlich, sie verstieß durch diese Unordnung gegen das Gleichgewicht der Gesamtheit. »Ich verstehe – es ist also richtig, daß die drei Männer ihren Verstand wieder so gebrauchen können wie vorher?« Ja.
Es entstand eine kleine Pause. Plötzlich fragte der Kommandant: »Wir sind Gäste auf diesem Planeten. Ist euch unsere Anwesenheit zuwider?« Nicht die der drei Männer, nicht die des Einsiedlers, den wir brauchen und deshalb lieben... Ein Bild: der Einsiedler stand wieder auf seinem Lieblingsplatz, dem Turm, und er schrie die Zeilen seiner Gedichte hinaus in die schweigende Natur. Überall verbargen sich die Kugeln und hörten zu, und jene, die nicht zuhörten, bekamen den Genuß durch die Gedanken ihrer Rassegenossen übermittelt, denn sämtliche Kugeln waren Teile eines Ganzen. »Das ist neu«, meinte der Raumfahrer, »demnach seid ihr also eine Gemeinschaftsintelligenz?« So ist es. Die Erklärung folgte sogleich – diese Wesen waren außerordentlich wirklichkeitsbezogen. Sie taten nichts, was unsinnig erschien oder unnütz. Sie handelten und dachten rein pragmatisch. Der einzige Kunstgenuß ihrer Entstehungsgeschichte fiel mit dem Auftreten des Einsiedlers zusammen, der noch heute nicht ahnte, was er angerichtet hatte – angerichtet in einem durchaus positiven Sinn. Dafür sollte er natürlich belohnt werden, denn das kollektive Entzücken der Kugelwesen und aller ihrer Rassegenossen war geradezu phänomenal. Wie aber konnte man diesen laut deklamierenden Menschen belohnen? Man nahm die Bilder seiner Gedichte, verwandelte sie auf telekinetischem Weg in Realitäten, verband die einzelnen Bilder miteinander und ergänzte dabei, was nach den Gesetzen der Logik daran noch fehlte.
So entstand die Burg mit allen ihren phantastischen Einrichtungen. Es war eine Belohnungsgeste von geradezu barokkem Umfang. »Ich habe jetzt gesehen, wie ihr die Burg gebaut habt«, erklärte Cliff. »Es ist auf diese oder jene Weise ziemlich wunderbar. Der Einsiedler braucht euch, um seine Gedichte vorlesen zu können, und ihr braucht den Einsiedler, um euch erfreuen zu können – eine literarisch-architektonische Symbiose. Aber... ihr seid scheu, ihr laßt euch niemals gern beobachten. Warum ist das so?« Wir sind scheu. Einige blitzschnelle Bilder zeigten, wie sich die Kugeln jedesmal dann zurückzogen, wenn sie merkten, daß sie beobachtet wurden. Und wenn sie sich nicht augenblicklich verstecken konnten, dann teleportierten sie einfach die Beobachter hinweg. Ein anderes Bild schob sich in die Gedanken des schlafenden Mannes – die beiden Filmkameras, die irgendwann in der letzten Zeit Kugelwesen anvisiert hatten, ruhten sorgfältig in einem Versteck. »Ihr habt die summenden Maschinen mit den gläsernen Augen versteckt?« fragte Cliff mit verworrenen Vorstellungen. »Warum?« Wir sind nicht schön, wir schämen uns über unsere uninteressanten Körper. Wir wollen nicht, daß Bilder von uns entstehen. Cliff sagte deutlich: »Es gibt eine Schönheit, die in gewissen Dingen enthalten ist. Ein Viereck ist schön, ein Würfel ist ebenfalls schön, und eine der schönsten Formen, die unsere Kultur kennt, ist die Kugel. Eine Sonne ist ku-
gelförmig, und ein Planet oder seine Monde sind kugelförmig. Die Früchte in den Bäumen sind rund wie die Kugeln – warum ist ausgerechnet ein kugelförmiger Körper, in dem auch noch intelligentes Leben enthalten ist, nicht schön? Es ist so!« bestätige er nach einer kleinen Pause. Wir sollen also die Kameras zurückbringen? Cliff meinte: »Ja, denn sie brauchen diese Maschinen ebenso, wie ihr den Einsiedler und dessen Gedichte braucht.« Es ist gut. Ihr könnt sie mitnehmen. Wir werden sie in euer kleines Kugelboot bringen. »Gut so!« sagte Cliff. Dann erschien ein anderes Bild: Die Kugeln waren durch alles, was sie in den letzten Tagen gesehen hatten, neugierig geworden. Sie kannten einen schmalen Ausschnitt der terranischen Zivilisation und der Kultur, und sie wollten mehr davon sehen und hören. Aber obwohl der neue Gedanke – daß nämlich die mathematisch vollkommene Form der Kugel nicht unschön zu sein brauchte... der Gedankengang und seine logische Begründung verbreitete sich inzwischen in allen Hirnen dieses Kollektivs – sich allmählich durchzusetzen begann, wollten nicht die Kugeln die Erde und ihre Einrichtungen sehen, sondern sie wollten die Schmetterlinge delegieren. »Das wird sich machen lassen«, sagte Cliff. »Darüber hinaus gibt es einige Fragen von großer Wichtigkeit.« Welche Fragen? Cliffs Unterbewußtsein entwickelte in den nächsten Stunden – oder waren es nur Sekunden? – eine Art terranisches Kolonialbewußtsein. Er sagte sich, daß
die Zusammenarbeit zwischen Terra und diesen telepathisch hochbegabten Wesen zwar grundsätzlich problematisch, aber auch für beide Teile nutzbringend sein konnte. »Ich nehme gern einige Schmetterlinge mit«, sagte er. »Aber ich weiß, daß die Schmetterlinge erstens nur eine gewisse Zeitlang leben und dann Eier ablegen, ich ahne, daß es dadurch einige Schwierigkeiten geben wird.« Sehr geringe Schwierigkeiten. »Zweitens: Angenommen, wir würden alle Menschen, die an einem ähnlichen Leiden erkrankt sind wie diese drei Männer, hierher schicken. Würdet ihr sie für uns heilen? Natürlich müßten wir noch etwas aushandeln, womit wir eure Mühe entschädigen.« Auch dagegen ist nichts zu sagen. »Könnt ihr alle Geisteskrankheiten heilen?« Nur solche wie die der Männer, wo eine Ordnung aus der Unordnung herzustellen ist, andere nicht. »Darüber können wir uns auf der Erde unterhalten. Noch eine Schwierigkeit: Ist eine Unterhaltung mit euch nur im Schlaf oder in Narkose möglich?« Nur auf diese Art möglich, nicht anders. »Macht es euch Freude, zu sehen, wie Bilder hergestellt werden, die euren Planeten als Hintergrund haben?« Ja. Aber ohne Kugelwesen. »Würdet ihr den Männern mit den Apparaten einen Gefallen tun?« Wenn du darum bittest, und wenn der Einsiedler uns sagt, was zu tun ist – ja! »Eine letzte Frage«, wollte Cliffs Unterbewußtsein wissen, »wie verschieden sind die Fähigkeiten auf die
fünf Stationen der Metamorphose verteilt?« Wieder sah er Bilder, deren Bedeutung umfassend war. Die Kugeln im Bereich der normalen Landschaft konnten die Gedanken lesen, die gedacht wurden, wenn beispielsweise der Einsiedler seine Gedichte aufsagte. Sie konnten einen Dialog in der Form führen, wie ihn Cliff hier miterlebte. Und sie konnten auch auf dem Umweg über besonders intensive Träume auf Terraner einwirken, wie es zu wiederholten Malen geschehen war. Auf diese Art hatten sie auch die Gedanken des Einsiedlers in bestimmte Bahnen geleitet. Und außerdem waren sie Telekineten, die mit ihren gedanklichen Fähigkeiten eine Burg bauen konnten und ähnliches. Sie wanderten, wenn nach dreißig Umläufen des Planeten um seine Sonne ihr Leben zu Ende ging, ins Felsen-Lava-Land. Dort verkrochen sie sich in die zahlreichen Bodenspalten in der mittelbaren Nähe des Flusses und warteten die Verwandlung ab. Aus ihnen wurden die Raupen. Drei Jahre dämmerten sie als Raupen in den Spalten, ernährten sich von den wenigen Gräsern, Früchten und Blättern der Vegetationsinseln und wanderten dann, ohne jede aufsehenerregende Fähigkeit, bis zum Fluß und ließen sich in die Wälder treiben. Dort wurden sie in etwa zwei Jahren zu Motten, wurden fett und träge und flogen dann in die Höhle, begannen einen Kokon zu spinnen und hängten sich an die Decke. Der Reifevorgang dauerte ein Jahrzehnt, und dann lebten sie als Schmetterling mit den gleichen Fähigkeiten wie die Kugeln fünfzig Umläufe lang.
Das war alles, was du wissen wolltest. Ich werde dich jetzt aus dem Luftstrom mit dem betäubenden Gas herausnehmen, denn das kleine Gerät an deinem Handgelenk ruft dich. »Ich verstehe«, sagte Cliff. Dann fühlte er nur einen Blitz, der die farbenerfüllte Dunkelheit seines Unterbewußtseins spaltete, und als der Kommandant aufwachte, war es tiefste Nacht. Er fror.
7 Er saß da, mit dem Rücken gegen einen kalten Sandsteinfelsen gelehnt und sah durch die trübe Lufthülle das Licht der Sterne. »Verdammt!« murmelte er durch das Sausen seiner Ohren, »wo bin ich, und was ist passiert?« Dann nahm er das Summen wahr, das wie eine zornige Hornisse die Stille durchschnitt. Er lokalisierte das Geräusch; es ging von seinem linken Handgelenk aus. Das Armbandfunkgerät! Er schaltete es ein. »Hier Cliff McLane«, sagte er schwerfällig. Nur zögernd lichtete sich die Benommenheit. »Cliff! Endlich! Wir rufen dich schon fast eine Stunde lang! Was ist los?« Cliff erinnerte sich langsam. »Nichts«, sagte er schleppend, »ich komme gerade langsam zu mir. Ich habe merkwürdige Dinge erlebt. Ich fühle mich etwas schwach, aber es ist nichts Gefährliches.« Hassos Stimme, die Cliff mühsam genug erkannte, klang erregt, als er antwortete: »Dafür gibt es hier auf der Burg einige Aufregungen.« Cliff atmete tief durch. Die kühle Luft der Nacht vertrieb den Nebel in seinem Kopf und stoppte das Tränen der Augen. »Was ist los, Hasso?« »Erstens ist Bill Delante, glücklich und offensichtlich restlos geheilt, auf einem Schmetterling reitend angeflogen gekommen. Das wollte der Regisseur fil-
men, aber niemand fand die Kameras. Dann sucht D'Agricola wie ein Wahnsinniger nach Alxeste, denn sie hat etwas, das er unbedingt braucht. Und schließlich ist der Einsiedler verschwunden.« Cliff stöhnte auf. »Nein. Die Raumschiffe stehen noch da, und die Burg ist auch noch ohne nennenswerte Schäden. Deine Stimme klingt erschöpft, Cliff – was hast du?« Cliff versuchte ihn zu beruhigen, blickte sich um und entdeckte seinen Handscheinwerfer neben dem Stiefel im Sand. »Nichts. Ich werde dir alles berichten, sobald ich zurück bin. Ich muß jetzt die LANCET suchen, sobald ich sie gefunden habe, melde ich mich wieder. Im Team alles in Ordnung?« Hasso lachte kurz. »Helga ist eifersüchtig und bemüht sich, es nicht zu zeigen, und Mario hat eine Auseinandersetzung mit dem Produzenten gehabt. Es ist nichts von Bedeutung gewesen. Wo bist du?« Cliff sah sich um und erwiderte: »Ich denke, im Sandsteingebirge der nordwestlichen Wüsten, in der Nähe des Beibootes.« »Du denkst es...?« »Ich hoffe. Ende.« Er schaltete das Funkgerät aus, stand auf und machte einige Kniebeugen, reckte sich und hob dann den Scheinwerfer auf. Er verstellte den Fokus des Gerätes, schaltete es ein und suchte in kreisenden Bewegungen den Sand ab. Er fand keine Spuren, aus denen er ersehen konnte, von welcher Richtung er hier abgesetzt worden war oder hergetaumelt war. Eine dunkle Ahnung beschlich ihn; war er allein gewesen?
Das Mädchen! Offensichtlich hatte er eine vorübergehende Amnesie. Er erinnerte sich jetzt genauer, die einzelnen Schritte seit der Landung hier kamen wieder zurück, als ob sie in ein Vakuum eindrängen. Die Landung, der Eingang, der Marsch durch die riechende Höhle mit den Kokons, Bill Delante... und der Schmetterling. Cliff holte tief Luft und schrie: »Alxeste!« Keine Antwort, kein Geräusch. »Idioten sind eine weise Einrichtung der Natur«, sagte Cliff und meinte sich selbst damit. »Sie erlaubt es den Dummköpfen, sich für klug zu halten.« Er ging langsam geradeaus und überlegte. Sie waren heute morgen von Osten gekommen, genauer von Südosten. Die LANCET war an der östlichsten Spitze des dreieckigen Gebirgszuges gelandet. Also bestand die Wahrscheinlichkeit, daß Cliff in der Nähe des Beibootes war und es nicht wußte. Er schob den Ärmel seiner Expeditionsjacke hoch, und als er die dicken Säume sah, wußte er plötzlich, daß er einen mörderischen Hunger hatte. Der leuchtende Zeiger des Kompasses zeigte nach Norden, und Cliff stellte fest, daß er, wenn er jetzt geradeaus weiterging, nach Osten lief. Stand dort das Beiboot? Er öffnete einen der Säume und zog den Trinkschlauch heraus, nahm einen langen Schluck des gekühlten Wassers, riß dann ein Stück eines anderen Saumes auf und schälte drei verschiedene Konzentrattabletten aus der Plastikumhüllung. Er aß und trank im Stehen und fühlte, wie seine Kräfte langsam zurückkehrten – jedenfalls war ihm jetzt wohler als vor einer Viertelstunde. Er rief abermals:
»Alxeste!« Hatte er sich getäuscht, oder war dies ein stöhnendes Geräusch gewesen? Er zuckte die Schultern, zog aus der Brusttasche der Jacke eine Magnesiumpatrone heraus und steckte die auf das Endstück der Gasdruckwaffe. Dann streckte er den Arm senkrecht nach oben und drückte ab. Fauchend entlud sich die Kammer und warf die Patrone hundert Meter nach oben. Ein hartes, schneeiges Licht flammte auf, und das zischende, knisternde Geräusch der Flammen drang bis zu ihm herunter. Langsam segelte die Ladung abwärts. Neun Sekunden hatte er jetzt Zeit, sich umzusehen. Er war in einem offenen Felsenkessel. Jenseits zweier Felstürme sah er ein Stück der geraden Sandfläche. Nirgends konnte er Schatten oder Spuren entdecken. Er holte eine zweite Patrone hervor und drehte sich um – auch in seinem Rücken war nichts zu sehen. Dann spurtete er los. Gerade als die Patrone in den Sand fiel, erreichte der Kommandant die beiden Felsnadeln. Er blieb stehen, als das Magnesium verbrannt war und schaltete den Scheinwerfer wieder ein. »Cliff!« Er hörte zuerst schwach die Stimme des Mädchens, dann eine Reihe von verzerrten Echos. Langsam bewegte sich Cliff McLane in die Wüste hinaus. Sie war hier fast völlig eben, und nur winzige Wellenlinien, wenige Millimeter hoch, verzierten ihre Oberfläche. Cliffs Lampe drehte sich nach allen Seiten, aber er sah noch immer keine Spuren. Er schüttelte den Kopf, machte die Waffe fertig und feuerte
die zweite Magnesiumpatrone ab. Die flackernde Helligkeit, die über dem Sand erschien, zeigte ihm, was er suchte. »Alxeste!« rief er und rannte los. Der dunkle Körper des Mädchens lag auf halbem Weg zwischen der LANCET und dem Felsentor. Die auffallend eingefärbte Expeditionsjacke glänzte im harten Licht der heruntersinkenden Leuchtkugel. Cliff kauerte sich neben dem Mädchen hin und richtete den Lichtkegel auf den Sand neben ihrem Kopf. »Was ist passiert?« fragte er halblaut. »Ich... ich fürchte... ich komme vor Kopfschmerzen um... was war das, Cliff?« stammelte sie. Cliff hob sie hoch, setzte sich dann in den Sand und lehnte das Mädchen gegen seine angewinkelten Knie. Er flößte ihr ein schnellwirkendes Medikament ein, fütterte sie dann mit einigen Konzentratwürfeln und wartete schweigend, bis das Medikament wirkte. »Wo sind wir?« fragte sie. Im schwachen Licht der umgekippten Lampe sah Cliff in ihre Augen. Auch das Mädchen kam langsam wieder zu sich; sie war unter dem gleichen Maß an Benommenheit gelegen wie er. »In der Wüste, dicht neben unserem Beiboot«, sagte er. »Wie fühlst du dich jetzt?« »Etwas besser. Wir haben mit den Kugeln diskutiert«, sagte Alxeste. Cliff ahnte, daß Alxeste recht hatte; seine Erinnerungen hatten sich noch nicht wieder ganz eingestellt. Er wußte aus den Erfahrungen der letzten Abenteuer außerhalb des terranischen Raumsystems, daß die Zeit, bis alles wieder klar und verständlich war, unter Umständen lang sein konnte.
»Höchstwahrscheinlich«, sagte der Kommandant leise. »Ich kann mich noch nicht genau erinnern. Ich weiß nur, daß eine Menge Träume darauf warten, ins Bewußtsein vorzudringen und artikulierbar zu werden.« Sie stützte sich auf seine Schulter und stand auf. »Es geht schon wieder«, meinte sie. »Was geschieht jetzt?« Cliff nahm den Scheinwerfer in die Hand, stand ebenfalls auf und legte seinen Arm um Alxestes Schulter. »Wir fliegen zurück«, versicherte er. »Ja, bitte. Und, wenn möglich, mit Höchstgeschwindigkeit. Das alles war mehr unheimlich als interessant... zuviel für eine kleine Sekretärin, die nicht in kosmischen Dimensionen und Begriffen denkt.« Cliff sah äußerst befriedigt, wie sich das Licht seines Scheinwerfers an den halbkugeligen Fenstern der LANCET brach. »Da du bereits schöne, lange Sätze bilden kannst, nehme ich an, daß dein Verstand zufriedenstellend funktioniert.« Sie erwiderte, während sie sich gegen eine Landesstütze lehnte: »Es ist unmöglich, du Held des Planeten, in deiner Nähe einen zufriedenstellend funktionierenden Verstand zu behalten.« »Man kann die angewandte Ironie auch übertreiben!« sagte Cliff. »Komm in das Raumboot, Alxeste!« Er öffnete die Schleuse und fuhr die Leiter aus. Dann half er dem Mädchen in die Kabine hinein und kletterte selbst hinterher. Die Leiter zog sich ein, die
Schleuse schloß sich. Cliff betrat die Kabine und lehnte sich verblüfft an die abgerundete Wand. Sein Blick fiel auf die beiden Linsensysteme, die nebeneinander im Kommandantensessel lagen. »Verdammt!« sagte er. »Was ist das?« Plötzlich durchströmte eine Menge neuer Gedanken und Vorstellungen sein Bewußtsein. Er wußte nun, daß die beiden wichtigsten Teile der zwei Filmkameras, nämlich die elektronischen Linsensysteme und die damit zusammengebauten Motorelemente »entwendet« worden waren, weil die Filmleute versucht hatten, die Kugelwesen zu filmen. »Die Kamerasysteme... wie kommen sie hierher?« fragte das Mädchen und ließ sich erschöpft in den Funkersessel fallen. Cliff sagte halblaut: »Sie sind telekinetisch entfernt worden. Wir sollen sie zurückbringen. Ich weiß nun, daß ich mit den Kugeln gesprochen habe – sie haben mich gebeten, die Kamerateile zurückzubringen.« Cliff hob nacheinander, die beiden Konstruktionen aus seinem Sitz heraus und legte sie auf das halbhohe Pult, das den gesamten Innenraum umlief, klemmte sie mit einigen federnden Bändern fest und startete dann die LANCET. Die Landescheinwerfer beleuchteten die Umgegend – heller Sand, dunkle Schatten in den Fußspuren und die Rußflächen der ausgebrannten Leuchtkugeln. Langsam hob das Beiboot ab, ging höher, wurde schneller. Cliff schaltete, und die vier Landestützen schoben sich zusammen und legten sich an die Rundung. Dann raste die LANCET mit Höchstgeschwindigkeit los und steuerte nach Südost. Einige Minuten später schaltete Cliff das Bildfunkge-
rät ein und wartete darauf, daß sich das Bild der Bordwache in der ORION zeigte. Es war Hasso Sigbjörnson. »Hallo, Kommandant«, sagte er. »Du siehst etwas mitgenommen aus!« »Ebenso fühle ich mich«, erwiderte Cliff. »Zuerst eine gute Nachricht: ich habe hier an Bord die beiden vermißten Kameraelemente. Sie sind, soweit ich das beurteilen kann, unzerstört.« Hasso antwortete: »Ich werde es sofort D'Agricola melden. Du hast begriffen, was das bedeutet? Der Einsiedler ist mitten aus dem Abendessen heraus verschwunden. Mit Mantel, Schreibzeug und stabreimender Rede. Einfach verschwunden. Das schien, in Verbindung mit den beiden Kameras, sogar den Produzenten zu überzeugen.« »Ausgezeichnet«, meinte Cliff. »Bei euch alles in Ordnung?« »Ja. Die anderen schlafen. Ich habe, wie du schon bemerkt haben wirst, die Bordwache übernommen. Übrigens – eben bekomme ich den ersten Kontakt mit deinem Boot auf dem Radarschirm. Was hast du erlebt?« Cliff erwiderte mit ernster Stimme: »Einige merkwürdige Dinge. Ich bin noch damit beschäftigt, alle Eindrücke aus dem Unterbewußtsein in die normalen Gedanken zu holen. Bill Delante... wie geht es ihm?« Hasso lächelte auf seine beruhigende Art. »Das Wiedersehen mit den beiden anderen war eine großartige Sache. Sie scheinen wirklich gesund zu sein.«
Cliff sagte betont: »Sie sind geheilt. Ich weiß es. In diesem Punkt ist unser Auftrag restlos erfüllt worden.« »Woher weißt du das, Cliff?« fragte Hasso und runzelte die Stirn. »Die Kugeln haben mit mir korrespondiert.« »Ich verstehe. Ich erwarte dich in zwei Stunden, Kommandant.« Cliff hob die Hand und grinste. »Einverstanden!« sagte er laut und schaltete die Verbindung aus. Dann wandte er sich an Alxeste. »Du hast es gehört«, sagte er leise. Durch die relativ dünne Haut der Zelle hindurch hörten sie die Windgeräusche. Die LANCET raste mit der höchsten Geschwindigkeit ihrer kleinen Maschinen durch die dünne Atmosphäre. Unter ihnen schien sich eine riesige, zusammenhängende Fläche von weißem Bodennebel auszubreiten; die Sterne über ihnen waren ziemlich deutlich zu sehen. Alxeste lag im Sessel des Funkers, hatte die Beine ausgestreckt und schien sehr erschöpft zu sein. Aber dies war weniger eine körperliche Erschöpfung als eine solche des Verstandes – zuviel war in den vorangegangenen Stunden geschehen, das sie noch nicht begreifen konnten. Es mußte noch einige Zeit vergehen, bis sie genaue Überlegungen anstellen konnten. Alxeste wischte sich über die Stirn und murmelte: »Ja, ich habe es gehört«, antwortete das Mädchen mit dem blauen Haar. Sie blinzelte. »Ich bin restlos erledigt. Ich muß erst einmal vierundzwanzig Stunden lang schlafen.« Cliff bemerkte sarkastisch:
»Ob das D'Agricola gefallen wird? Schließlich will er in...«, Cliff schaute auf die Uhr und stellte fest, daß die Tagesgrenze um zwanzig Minuten überschritten worden war, »... acht Stunden die ersten Außenaufnahmen drehen.« Sie sagte: »Eine Kamera ohne diese Teile wird nicht funktionieren. Er ist selbst daran schuld – wir haben ihn davor gewarnt, die Kugeln zu filmen. Außerdem bin ich unabkömmlich; er kann mich nicht hinauswerfen.« »Das«, murmelte Cliff, »ist sicherlich das kleinste Problem unserer Reise nach Caernavan't.« Das Mädchen schlief mitten im Satz ein, und Cliff widmete sich wieder der Steuerung. Als die LANCET nach rund hundertzwanzig Minuten terranischer Zeit neben dem riesigen Diskus der ORION landete, mitten im dunklen, schlafenden Burghof, wartete Hasso bereits neben der ausgefahrenen Zentralschleuse des Raumschiffes. Er half dem Kommandanten, das Mädchen in ihr Zimmer zu bringen und sagte dann, als sie sich vor der Tür zu Cliffs Zimmer verabschiedeten: »Ich werde D'Agricola die Linsensätze bringen und ihn darüber aufklären, wie die Dinge zusammenhängen. Schlaft euch erst einmal aus – das erscheint mir wichtiger als alles andere.« Cliff stützte sich schwer gegen die Bohlen. »Und der Einsiedler?« Hasso schüttelte den Kopf und bemerkte beruhigend: »Niemand hier ist gefährdet. Alles, was bisher geschehen ist, deutet darauf hin, daß die Wesen ihre Fähigkeiten nicht dazu verwenden werden, uns zu schaden, sondern eher zum Gegenteil. Der Einsiedler
wird zurückkommen – verlaß dich darauf!« Cliff gähnte. »Um ihn zu suchen, bin ich ohnehin zu müde.« Sie schüttelten sich die Hände, und Cliff schaffte es gerade noch, sich auszuziehen. Dann fiel er in sein Bett und schlief ein, als habe man ihn betäubt. Er schlief genau achtzehn Stunden, und als er aufwachte, war es bereits wieder dunkel geworden. Langsam kam er zu sich. In seinem Verstand schienen sich zwei verschiedene Bezirke deutlich voneinander zu unterscheiden: Seine eigenen Gedanken und ein Vorrat von Wissen und Erkenntnissen, der eindeutig der Terminologie und den merkwürdigen Überlegungen der Planetarier entstammte. * Schließlich, einige Tage nach dem Wiederauftauchen der Kameraelemente, wurden die letzten Außenaufnahmen gedreht. Eine Serie von Innenaufnahmen würde man in den Studios auf Terra abdrehen, nachdem hier genügend Photos von der Umgebung und der Dekoration gemacht worden waren. All das konnte auf Terra mit wenig Mühen und Kosten aufgebaut werden – die Gespräche des Einsiedlers mit seiner Retterin, seine langen Nächte, in denen er dichtete; die Schneidetechnik, die musikalische Untermalung und die nachgesprochenen Dialoge wurden nicht auf Caernavan't aufgenommen oder durch geführt. Man besaß mehrere Kilometer belichteten Filmmaterials und konnte daraus auswählen, was immer man wollte. »Was ist heute dran?« fragte Cliff den Produzenten,
der neben ihm am Fuß des Burgberges stand. D'Agricola schien ausnahmsweise bester Laune zu sein. Er sagte laut: »Die große Schlußszene. Nachdem der Einsiedler die wichtigen Stellen seiner Elegien deklamiert hat, steht plötzlich die Burg da. Er geht hinein und sieht, was ihm der Planet für seine Gedichte geschenkt hat.« »Ich bin gespannt!« sagte Cliff. »Und unser Hauptdarsteller, der wirkliche Einsiedler, ist noch immer verschwunden.« In das Gesicht des Produzenten kam ein listiger Ausdruck. »Ich habe da etwas geträumt«, verriet er flüsternd dem Kommandanten. »Einen großartigen Traum in Breitleinwand, Farbe und dreidimensional. Sogar mit Musik. Der echte Einsiedler wird kommen wie ein apokalyptischer Reiter und unseren Film mit einer einmaligen Aktion bereichern.« Cliff hatte keinen solchen Traum gehabt, auch keinen anderen ähnlicher Art. Er besaß nur seine fremden Gedankenbilder. »Was verstehen Sie unter einer einmaligen Aktion?« fragte er leise. »Ich weiß es nicht genau.« Es war früher Vormittag. Die Schiffe kamen jetzt aus dem Burghof heraus, hoben sich über die Mauern und Zinnen und flogen so weit, daß sie hinter den Kameras wieder landeten. Man brauchte später am Tag eine Burg ohne jeden zivilisatorischen Fremdkörper. Es waren vier Raumschiffe des gleichen Typs; ein Schneller Kreuzer, nämlich die ORION, das gestohlene Schiff der drei nunmehr geheilten Geistes-
kranken, die den Gewichtsverlust, den sie während ihres Verschwindens dadurch erlitten hatten, daß sie nur von Wasser und Früchten gelebt hatten, allmählich ausglichen. Dann die beiden Frachtschiffe der Filmgesellschaft. Die Beiboote steckten wieder in den Startschächten. »Zehn Uhr!« brüllte Flor D'Agricola plötzlich. »Kann es losgehen?« Der Kameramann schrie zurück: »Von mir aus alles klar! Wo steckt Garcia, dieser Analphabet?« Garcia raffte seinen Mantel um sich und rief: »Ich bin hier, wägend und wartend, Wütender!« Ungerührt knurrte der Kameramann zurück: »Schäme dich, du schäbiger Schuft!« Sie filmten zuerst, wie der Einsiedler nach einer durchdichteten Nacht aus dem Blockhaus heraustrat. Zu diesem Zweck hatten sie das verfallene Gebäude aus Felsen und Baumstämmen wieder halb aufgebaut und restauriert, die Umgebung durch umgepflanzte Bäume etwas attraktiver gemacht. Dann wurde gezeigt, wie der Einsiedler nach der morgendlichen Waschung langsam seinen Aussichtsfelsen erkletterte und von dort aus die Burg zum erstenmal in seinem Leben sah. Die folgenden Überlegungen, lautstark und oftmals stabgereimt, wurden gefilmt und aufgenommen. Dann folgte das Ganzbild der Burg. Zuerst in natürlicher Größe, dann durch eine heranschwebende Plattform mit Kamera vergrößert, schließlich durch Linseneinstellungen verkleinert. Und gerade, als die beiden Plattformen sich zurückzogen, um die nächsten Einstellungen vorzubereiten
– der Weg des Einsiedlers von seiner Hütte bis zur Burg sollte durch vier oder fünf einzelne Passagen deutlich gemacht werden –, geschah das, wovon der Produzent gesprochen hatte. Der echte Einsiedler kam. Und er kam wirklich wie einer der apokalyptischen Reiter, aber wesentlich weniger drohend. Er saß mit wehendem Mantel auf einem riesigen, schwarzen Schmetterling. Es war ein Exemplar mit mehr als fünf Metern Flügelspannweite, und Cliff, der atemlos vor Staunen den Flug durch einen schweren Feldstecher beobachtete, mußte anerkennen, daß dies ein wirklich atemberaubendes Bild war. Zwanzig Meter vor einem gigantischen Keil aus Schmetterlingen flog der Einsiedler auf die Burg zu. Hinter ihm schwebten zwei weitere Schmetterlinge, ebenfalls blauschwarz und irgendwie Ausdruck einer exotischen Drohung. Berücksichtigte man die Fähigkeiten dieser Wesen, verstand man diese verhüllte Drohung. »Ich hab's ja gesagt!... geträumt!« schrie D'Agricola und schlug Cliff auf die Schulter. Cliff bestätigte trocken, ohne das Fernglas von den Augen zu nehmen: »Geträumt haben Sie's!« Der Regisseur gab seinen beiden Kameraleuten ein Zeichen; sie drehten weiter, was sie sahen. Von Nordosten näherte sich eine gewaltige Wolke. Sie bestand aus Zehntausenden von Schmetterlingen. Die breiteste Stelle der Wolke verschmolz mit dem Horizont, während die Spitze sich in der Nähe der Burg befand. Die ersten hundert Wesen waren schwarz, bildeten einen Keil, der jetzt in eine leichte
Schleife ging und um den Hauptturm einschwenkte. Der Rest des Schwarmes kam näher und löste sich in viele Einzelwesen auf, deren farbige Flügel ein verwirrendes Bild über die Fläche des pastellblauen Himmels zogen. Eine Spirale begann sich zu bilden, eine zweite und eine dritte. »Das ist verblüffend!« sagte Atan, der in der Nähe der Kamera stand und zur Burg hinüberblickte. »Eine Szene wie aus einem Traum«, sagte Alxeste. »Aus meinem Traum!« beharrte D'Agricola. Eine enge Spirale der schwarzen Schmetterlinge zog jetzt unablässig um den schlanken Hauptturm, während sich das erste Exemplar mit dem Reiter zwischen den Flügeln auf der Plattform niederließ. Der Einsiedler stieg ab und blieb stehen, und der Schmetterling schwang sich wieder in die Luft und setzte sich an die Spitze der Spirale. Wie ein modernes Kunstwerk, dessen Elemente sich bewegten, wie eine Schlange, die sich um einen Stab ringelte, umkreisten mindestens dreihundert schwarze Wesen den Hauptturm. Immer dann, wenn die Sonnenstrahlen auf die Flügelflächen fielen, gab es einen dunkelblauen Reflex, wie von blauschimmerndem Stahl. Es war in der Tat ein grandioses Bild. »Gleichzeitig«, flüsterte Alxeste dem Kommandanten zu, »ist das Geheimnis geklärt. Die Kugeln oder die Schmetterlinge haben den Einsiedler telekinetisch entführt. Aber wozu?« »Ja... wozu?« fragte sich McLane laut. Die Spirale um den Hauptturm blieb mehrere Minuten lang konstant. Die Luft war von einem leisen, rauschenden Ton erfüllt, wie von einem heftigen Wind. Aber über diesen Teil der Landschaft zog nur
eine leichte, schmeichelnde Brise hin. Der gewaltige Schwarm aber bildete einen ringförmigen Wulst, der sich, von rechts nach links drehend, um die Burg legte und die dunkelroten Mauern umkreiste. Beide Kameras filmten, solange Film sich in den Kassetten befand. Langsam schoben sich die Plattformen an die Burg heran. »Ich möchte wissen, wozu diese Demonstrationen dienen soll«, überlegte Hasso Sigbjörnson laut. Cliff zuckte die Schultern. »Wir werden es erfahren – aber sicher nur in Bruchstücken und ziemlich langsam. Denn hier geschieht nichts offen und direkt, alles erfolgt auf dem Umweg über Träume oder Trance.« Atan knurrte wütend: »Kurzum: ein Poesieplanet mit schwarzen Schmetterlingen.« In einem einzigen Schwarm vereinigten sich jetzt die wenigen schwarzen und die gewaltige Menge der farbigen Schmetterlinge. Man sah einzelne Exemplare und erkannte die Linien, Punkte und Streifen der vielfarbigen Flügel. Es waren ausnahmslos reine und ungebrochene Farben. Der Ring und die Spirale lösten sich auf; regellos, aber ohne Chaos flatterten sämtliche Schmetterlinge aufwärts und bildeten eine waagrechte Wolke über der Burg. Das Gemäuer wurde plötzlich dunkel, die weißen Verzierungen grau, dann drehte der Schwarm ab und flog zurück nach Nordosten. Fünf schwarze Wesen sonderten sich ab und flogen auf den Schauspieler zu, der noch immer regungslos auf dem Felsen stand und mit der flachen Hand über den Augen die Burg anstarrte. Eine Kameraplattform drehte herum, beschleunigte und ver-
folgte den Schwarm. Shubashi wunderte sich noch mehr. »Die Schmetterlinge haben offensichtlich nichts dagegen, gefilmt zu werden«, stellte er leise fest. »Sie verkörpern schließlich die Schönheit«, sagte der Kommandant. »Die Kugeln...«, fing der Astrogator an. »Die Kugeln werden ihre Scheu, sich menschlichen Augen auszusetzen, erst nach langer Zeit ablegen, wenn überhaupt. Sie halten sich für häßlich, unansehnlich«, sagte Alxeste. Cliff nahm an, daß sie mit der Kugel etwa das gleiche Gespräch geführt hatte wie er. Auch Alxeste besaß jetzt ein unterdrücktes Wissen, das sie stückweise, je nach auslösendem Impuls, anwenden konnte. Die Kameraplattform blieb in der Nähe des Einsiedlers schweben und filmte die Ankunft der Schmetterlinge. Die Wesen flogen weniger ruckend und weniger unregelmäßig als die Schmetterlinge der Erde; die schmalen, spindelförmigen Körper mit den riesigen Augen und den langen Fühlern waren schwerer im Vergleich zu den Muskeln innerhalb des Chitinpanzers und dem Gewebe der mächtigen Flügel. Fünf schwarze Schmetterlinge flatterten sehr nahe um den Kopf des Schauspielers herum, dann ließen sie sich nieder. Sie klappten die Flügel zusammen und blieben auf dem Felsen sitzen; regungslos und rätselhaft. D'Agricola sagte, halb verzweifelt: »Und was jetzt?« Cliff antwortete: »Warten Sie ab!«
»Soll denn dieses ewige Rätselraten niemals aufhören?« rief der Regisseur und ließ die Kameras anhalten. »Doch!« sagte Atan Shubashi deutlich. »Mit unserer Abreise meine Damen und Herren.« Sie schauten hinüber zur Burg, dann auf den Schmetterlingsschwarm, der langsam in der nebligen Dämmerung verschwand und auf die fünf Körper um den Schauspieler, der sie anstarrte, ohne zu begreifen, worum es ging. Auch sie begriffen es nicht, aber es war viel weniger geheimnisvoll, als sie alle dachten. Es war eine Art Vertragsunterschrift. Als sich Cliff schließlich umdrehte, standen die drei Männer vor ihm, nach denen er gesucht hatte. Alfryd Thorpbjörnson, Bill Delante und Thor Vividon schienen unbedingt mit dem Kommandanten sprechen zu wollen. »Worüber?« fragte Cliff argwöhnisch. »Über einen Flug nach Terra!« sagte Bill Delante mit einem Lächeln, das seine unbedingte Sorglosigkeit ausstrahlte. »Von mir aus«, sagte Cliff. »Möchten Sie sofort starten, oder hat es drei, vier Minuten Zeit?« Großzügig erwiderte der Chefingenieur Delante: »Alle Zeit dieser Welt!« Cliff drehte sich halb herum und betrachtete nachdenklich das Raumschiff, mit dem die Geistesgestörten aus dem Sanatorium geflohen waren. Es schwebte unversehrt zehn Meter über dem Gras, das von dem Muster der Fußspuren durchzogen war. »Gut«, sagte Cliff leise. »Sprechen wir darüber. Ich glaube, Sie sollten nach Terra fliegen.«
8 Der Kommandant sagte leise: »Doktor Bill Delante – ich muß natürlich gewisse Risiken ausschalten. Sie werden verstehen, daß ich meine Vorgesetzten verständige.« Der Chefingenieur saß im Sessel des Kommandanten der JETSTREAM und baumelte demonstrativ mit den Beinen. Selbstverständlich konnte er ein Schiff dieser Klasse steuern, er hatte schließlich die wichtigsten Teile konstruiert. Gutgelaunt meinte Delante: »Sie haben schon seit jeher mehr als mein vollstes Verständnis gehabt, Cliff McLane. Sicher wollen Sie einen Funkspruch an den guten, alten Wamsler absetzen?« Cliff meinte: »Sicher will ich das, meine Herren. Aber was wollen Sie?« Alfryd meinte mit gerunzelter Stirn: »Ich verstehe Sie nicht recht, Kommandant. Wie meinen Sie diese Frage?« Cliff erwiderte kühl: »Ich habe Sie durch die halbe Raumkugel gejagt, durch die Landschaft dieses Planeten und durch die geheimnisvollen Aufenthaltsorte nahe der Kugeln oder der Schmetterlinge. Mein Team und ich taten dies, weil wir den Auftrag hatten, drei geisteskranke Männer vor Verrücktheiten oder dem eigenen Tod zu retten. Sie haben mir versichert daß Sie nunmehr restlos geheilt sind. Und in einer Unterhaltung mit einer Kugel, bei der Bill Delante sekundierte, erfuhr
ich das gleiche. Die Frage für mich lautet nun: Sind Sie geheilt oder nicht? Es war meine Aufgabe, dies festzustellen.« Thor Vividon schlug das Buch zu, in dem er während Cliffs Ausführungen gelesen hatte und antwortete: »Wir sind geheilt. Bill wird das Schiff zum Carpentariagolf fliegen und dort landen; wir melden uns offiziell bei Wamsler zurück. Zufrieden, Kommandant?« Cliff nickte. »Relativ zufrieden. Bill... können Sie eine schnelle Verbindung zu Wamsler herstellen?« »Natürlich?« Cliff bog das Mikrophon zurecht, schaltete das Bandgerät ein und sprach eine Nachricht an seinen Vorgesetzten durch. »Cliff McLane an Marschall Wamsler, T.R.A.V. ... wenige Minuten nach Eingang dieser Nachricht startet die JETSTREAM mit Thorpbjörnson, Vividon und Delante zurück nach Terra. Alle Männer durch gewisse Eigenheiten des Planeten Caernavan't restlos geheilt. Mündlicher und ausführlicher Bericht folgt nach Ankunft der ORION VIII in der Basis. Grüße: McLane... high speed!« Delante stellte die Verbindung her und fuhr das Band ab. »Sie werden, nehme ich an«, sagte Cliff ernst, »Ihre alten Berufe wieder aufnehmen?« »Ja. Und zwar mit großer Freude und doppeltem Eifer«, sagte Delante lachend. Und plötzlich wurde er ernst; sein Gesicht strahlte eine ungewöhnlich tiefe Nachdenklichkeit aus. »Kommandant McLane«, sagte er halblaut und
streckte die Hand aus, deren Finger kaum wahrnehmbar zitterten, »wir wissen sehr genau, was wir hinter uns haben und wie knapp wir vom Abgrund des Wahnsinns entfernt waren. Wir haben auch alle Achtung vor Ihrer Leistung und der Ihrer Crew – kurz: Wir bedanken uns sehr herzlich. Seien Sie unbesorgt... wir sind tatsächlich wieder in Form, mehr als je zuvor. Diese Kugelwesen sind in dieser Beziehung wahre Künstler. Wir werden Wamsler gegenüber sagen, was Sie für uns getan haben. Jede Menge Dank dafür, Kommandant!« Die Männer schüttelten sich die Hände. »Einverstanden«, sagte Cliff. »Die JETSTREAM soll starten. Und verbreiten Sie bitte die Erfolge Ihrer schnellen Heilung nicht eher, bis Wamsler es Ihnen gestattet. Einer Invasion von geistig Kranken ist Caernavan't noch nicht gewachsen.« »Genau das werden wir unterlassen«, versprach Vividon und ergriff Cliffs Hand. »Helfen Sie diesen drolligen Filmleuten, ihre Aufnahmen zu einem guten Ende zu bringen. Wir haben jetzt schon Einladungen zu der Uraufführung bekommen!« Cliff sagte sarkastisch: »Filmarbeit ist scheußlich. Ich bin für den Rest meines Lebens als Besucher eines Videotheaters verloren.« Delante schloß: »Sie werden, wie immer, versuchen, Ihr Bestes zu geben, Cliff. Leben Sie wohl!« Cliff stellte sich in den kleinen Lift und hob die Hand. »Viel Glück und einen guten Flug, meine Herren!« Er verließ das Schiff langsam und sehr nachdenklich. Er war innerlich fast davon überzeugt, daß diese drei Männer geheilt waren und die Basis 104 ohne
Schwierigkeiten erreichen würden. Aber nur fast, und diese letzte Ungewißheit störte ihn. Wenige Minuten später startete die JETSTREAM lautlos, hob sich höher und höher und verschwand schließlich in der dunstigen Atmosphäre. Dann erst hörten sie das Krachen des Überschallknalls. Cliff ging langsam zu der wartenden Gruppe hinüber, die aus einem Teil des Teams und der Hälfte aller Filmleute bestand und holte tief Luft. Jetzt, da er ausgeschlafen und wieder im vollen Besitz seiner Kräfte war, fühlte er die Wohltat der verringerten Schwerkraft besonders stark. Ein Teil seines Auftrags war hiermit erledigt – hoffentlich endgültig. Er begegnete dem Blick des Produzenten. D'Agricola, an seiner Seite Alxeste Ortega, kam langsam auf Cliff zu und sagte: »Keiner von uns weiß einen Rat, Mister McLane. Wir haben einfach zu viele gute Aufnahmen, die aber nur dann zu verwerten sind, wenn wir das Konzept radikal umwerfen. Sehen Sie sich die fünf Schmetterlinge an! Seit zwei Stunden kauern sie auf dem Felsen, neben Garcia. Wie können wir sie verwenden?« Cliff sah zuerst nach dem Sonnenstand, dann auf die Uhr. »Können Sie heute noch den Weg des Einsiedlers zu seinem neuen Wohnsitz abdrehen?« Alxeste nickte. »Ja. Wir sind aber schon drei Tage hinter unseren Terminen hinterher. Was wir jetzt brauchen, ist Eile.« Cliff lächelte sie an und sagte: »Ich glaube, ich habe eine Idee. Aber ich bestehe darauf, als Berater in den Vorspann zu kommen.« »Genehmigt!« rief Flor D'Agricola. »Von mir aus!
Wir kommen heute in Ihr Apartment und sprechen alles durch, ja?« »Ja!« sagte der Kommandant und fragte sich in Gedanken mehr oder minder verzweifelt, wozu man einen biederen Raumschiffskommandanten verwenden konnte; offensichtlich zu allem, was denkbar war. Immerhin: Schließlich verpflichtete sein Name. Er schrie D'Agricola nach: »Ich weiß auch einen neuen Titel für den Streifen, wenn Sie einen brauchen!« Flor blieb ruckartig stehen, drehte sich um und fragte verblüfft: »Welcher Titel, Cliff?« Cliff grinste säuerlich und sagte: »Die schwarzen Schmetterlinge!« Sinnloses Zeug vor sich hermurmelnd, ging der Produzent zu den beiden Schwebeplattformen zurück und war völlig irritiert und noch mehr frustriert darüber, daß dieser hervorragende Titel nicht ihm, sondern einem Raumfahrer eingefallen war. Die Dreharbeiten gingen in den folgenden Tagen nach Cliffs Vorschlägen weiter und wurden beendet. Die letzte Szene, die man hier drehte, war auch die letzte in dem monumentalen Filmwerk, das dank der überraschenden Vorkommnisse besser werden würde als ursprünglich geplant. Der Einsiedler deklamierte in der großen Halle seiner Burg, und durch die riesige Halle flatterten die fünf schwarzen Schmetterlinge, als würden sie zu seinen Worten in der Luft einen seltsamen Tanz aufführen. *
Atan Shubashi schaltete nacheinander methodisch seine sämtlichen Geräte aus; für Sekunden gab es in der stillen Steuerkanzel der ORION VIII nur harte, knackende Geräusche. Das Schiff sank langsam durch den Schacht, der aus graugrünen Wasserwänden gebildet wurde, bis auf den Grund der Landebasis 104 ab. Dann drehte der Astrogator seinen Sessel herum, löste die breiten Gurte und fragte laut: »Jetzt, Sekunden vor der Landung, ist mir fast alles klar, nur eines nicht.« Hasso fragte gutmütig lächelnd von seinem Sichtschirm herunter: »Möchtest du etwas über die Geheimnisse der Raumfahrt erfahren, Atan?« »Nein!« schnappte der kleine Astrogator und befühlte seine Stirn; das Toupet saß ausgezeichnet. »Ich möchte nur wissen, aus welchem Grund gegen Ende der Aufnahmen dieser riesige Schmetterlingsschwarm erschien und mit ihm der Einsiedler?« Cliff korrigierte mit der Handsteuerung den Fall der letzten Meter, dann hielt das Schiff an, schwebte zehn Meter über dem hellen Betonboden. Die riesigen Stahltore wurden zugefahren, die Energiewand zwischen Wasser und Landungszylinder fiel langsam in sich zusammen. Cliff sagte halblaut: »Ich weiß es, Atan.« Mario legte den Hauptschalter des Eingabeelements herum und versetzte den riesigen Digitalrechner des Schiffes in den Leerlauf-Zustand. Dann stand der Erste Offizier auf, reckte sich und erwiderte an Cliffs Stelle: »Es war eine Demonstration, Atan!« »Das weiß ich selbst!« rief Atan laut. »Aber wozu
oder wofür oder wogegen?« Cliff verpackte die Bänder des elektronischen Bordbuches, die Flugpapiere, seine Aufzeichnungen und die inzwischen entwickelten Fotos und deutete mit dem Daumen nach draußen. »Eine Demonstration der Planetarier, in der sie sich voll zeigten Sie deuteten damit an, daß sie uns alle – nicht grundsätzlich alle Terraner, sondern nur die Besucher des Einsiedlers und die drei wiederhergestellten Irren – als Bekannte akzeptierten. Den Ausdruck ›Freunde‹ wage ich in diesem frühen Stadium der Beziehungen noch nicht anzuwenden. Außerdem wollten sie uns die Delegation vorstellen. Aber... das alles wird im Büro Wamsler noch eingehend erörtert werden. Verlassen wir unsere gute, alte ORION!« Sie waren vierzig Tage unterwegs gewesen. Als sich der Zentrallift ein drittesmal ins Schiff hinaufschob und wieder hervorkam wie ein metallener Rüssel, stutzte Anette Kendrix, die in der Kontrollabteilung Dienst hatte. Die ORION-Crew schien, vierzig Meter von dem schwebenden Diskus entfernt, auf etwas zu warten. Und dann gab es eine Sensation! Cliff ging in der Mitte seiner Leute; die Mannschaft bildete eine Reihe und bewegte sich schnell und zielstrebig auf die gekennzeichnete Schleusentür zu. Hinter den fünf Raumfahrern schwebten fünf riesige schwarze Wesen, die aussahen wie Schmetterlinge. Ein Lautsprecher knackte, dann hörten die ORIONLeute die Stimme der Kontrollbeamtin: »McLane... was ist das, das Sie mitgebracht haben? Eine neue Invasion? Ich löse Alarm aus!« Cliff kam jetzt an den großen Videoschirm nahe
der Personenschleuse, schaltete ihn ein und sagte deutlich: »Das ist eine Invasion des guten Willens, Anette! Das, was wie Schmetterlinge aussieht, sind fünf ausgebildete Psychotherapeuten. Unterstehen Sie sich und lösen einen Alarm aus! Wamsler wird Sie feuern!« »Übernehmen Sie die Verantwortung?« fragte das Mädchen aufgeregt. Cliff schloß seufzend: »Würde ich für die Verantwortung bezahlt werden, könnte ich mir inzwischen zwei bis drei kleinere Planeten kaufen! Lassen Sie uns einen Robotwagen vorfahren, ja?« Er schaltete grinsend den Videophonschirm ab, durchquerte die Schleuse und vergewisserte sich, daß seine fünf schwarzen Schützlinge ihm folgten. Einige Stunden vor der Landung hatte er sich mit Hilfe eines leichten Sedita-Medikaments in Trance versetzt und den Schmetterlingen geschildert, wie sich die Landung abspielen würde und was in den Minuten und Stunden nachher zu beachten war. Die Mannschaft setzte sich jetzt auf den Robotwagen, stellte das Ziel ein und startete die Maschine, die summend durch die unterirdischen Korridore und Straßen rollte. Langsam und vorsichtig folgten die fünf Fremden von Caernavan't, und noch schneller lief das Gerücht den Terranern und ihren Gästen voraus. In den Stollen der Basis 104 stauten sich die Menschen, die Kreuzungen wurden frei gemacht, und die merkwürdige Prozession fuhr und flatterte bis in unmittelbare Nähe von Marschall Wamslers Büro.
Die Schmetterlinge erkannten die Bilder wieder, die ihnen Cliff im Halbschlaf übermittelt hatte und richteten sich nach seinen Anweisungen. Einige GSDBeamte in der Menschenmenge meldeten die kleine Invasion an Oberst Villa, aber Cliff erreichte das Vorzimmer der Terranischen Raumaufklärungsverbände unangefochten. Wamsler stand bereits in der Öffnung der Lichtflutbarriere und erwartete das Team mit wütendem Gesicht und in die Hüften gestemmten Armen. »Sind Sie wahnsinnig, McLane!« rief er, als er Cliff sah. Cliff ging mit seinen Leuten auf ihn zu und grinste leicht. »Nein«, sagte er laut, so daß es auch die jüngste Ordonnanz hören konnte, »aber falls Sie inzwischen wahnsinnig geworden sind, habe ich das beste Mittel dagegen eingeflogen. Möchten Sie sich bedienen, Sir?« Wamslers Gesicht wurde krebsrot, dann wieder weiß, schließlich trat er zur Seite und ließ die fünf Terraner und die fünf exotischen Wesen in das Büro hinein. Hinter ihnen schloß sich die Barriere. Wamsler brüllte: »Was soll das, Sie... Sie...« Cliff ergänzte höflich: »... Raumfahrer, wollten Sie sagen. Ich bringe Ihnen hier fünf Wesen, deren Heimat der Planet Caernavan't ist. Sie haben die drei Wissenschaftler geheilt. Möchten Sie jetzt die Phonzahl Ihrer werten Ausführungen nicht etwas zurücknehmen, Marschall Wamsler?« Cliff deutete auf fünf auseinanderliegende Punkte
auf dem Bodenbelag, und die Schmetterlinge flatterten darauf zu und ließen sich nieder. Dann falteten sie graziös und lautlos die Flügel zusammen und richteten Augen und Fühler auf Wamsler, der mühsam seine Wut oder Aufregung niederrang. Schließlich brummte er mürrisch: »Nehmen Sie Platz!« Cliff ordnete auf der Tischplatte vor sich seine Unterlagen und sah schweigend zu, wie Wamsler um den riesigen Tisch mit der spiegelnden Platte herumging und sich in seinen Sessel fallen ließ. Die Pneumatik fauchte, und das Leder gab knarrende Geräusche des Protestes von sich. Wamsler ließ sich vornüberfallen, stützte seinen Kopf schwer in die Hände und stöhnte. Sein Blick ging von den Schmetterlingen zu Cliff und wieder zurück. Schließlich sagte der Marschall, sichtlich um Fassung kämpfend: »Ich bekomme doch sicher eine Erklärung von Ihnen, nicht wahr? Diese drei Wissenschaftler, die Sie mir schickten, machten zwar einen wenig schwachsinnigen Eindruck, aber als sie erzählten, wer und was sie geheilt hatte, mußten wir sie wieder ins Sanatorium zurückschicken. Sie wehrten sich heftig.« Cliff und Mario warfen sich einen kurzen Blick zu, dann begannen sie gleichzeitig zu lachen. Zuerst grinsten sie breit, dann polterte Mario de Monti los, sah mit einem Seitenblick in Wamslers fassungsloses Gesicht, lachte noch mehr und brach endlich in ein dröhnendes Gelächter aus, das nicht zu enden schien. Cliff schüttelte sich vor Lachen, Helga kicherte zuerst unterdrückt, dann lauter und freier, schließlich konnte sie sich nicht mehr retten. Zwei oder drei Minuten lang sah der Marschall von
einem der lachenden Männer zum anderen, dann starrte er die Schmetterlinge an, deren Fühler sich wie kleine Schlangen bewegten. Dann schlug der Raummarschall mit beiden flachen Händen auf die Tischplatte und brüllte laut: »RUHE!« Cliff wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und keuchte atemlos: »Wer hat die drei Wissenschaftler eingeliefert... wer ist dafür verantwortlich, Marschall?« Wamsler dröhnte: »Natürlich ich! Wer sonst! Sonst kümmert sich niemand um die Belange dieses merkwürdigen Planeten!« »Sonst blamiert sich auch niemand in diesem großartigen Stil«, sagte Oberst McLane respektlos. »Sind Sie sicher, daß nicht Michael Spring-Brauner die Einweisung in jene Heil- und Pflegeanstalt veranlaßt hat?« Jetzt hörten auch Atan Shubashi und Hasso auf zu lachen und lehnten sich erschöpft zurück. »Ich verantworte die Einweisung!« sagte Wamsler scharf. Cliff erwiderte ernst: »Und Sie haben unrecht, Marschall. Glauben Sie mir. Es ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen erzählen kann und belegen werde. Diese Wesen hier, Metamorphose-Typen von Caernavan't, sind wahre Meister im Beseitigen gewisser geistiger Störungen. Ich fange ganz vorn an... dies ist ein dienstlicher Bericht, Marschall, also hören Sie bitte sehr gut zu.« Cliff holte tief Atem und berichtete genau, was er und die anderen Terraner auf diesem Planeten erlebt hatten.
Er brauchte dazu hundertzwanzig Minuten, sämtliche Fotos, seine Notizen und Auszüge aus dem elektronischen Bordbuch. Seine Mannschaft unterbrach ihn an den Stellen, an denen sie den Eindruck hatten, die Erklärungen ausführlicher und das Verstehen leichter zu machen. Schließlich lehnte sich Cliff triumphierend zurück und meinte leise: »Glauben Sie mir jetzt, Marschall?« »Ich bin nicht abgeneigt«, sagte Wamsler und schaltete sein Videophongerät ein. Er starrte auf die Scheibe und sagte halblaut: »Verbinden Sie mich mit dem Hospital, in das wir die drei Wissenschaftler gesteckt haben... ja, diese Herren, die vor sieben Tagen gelandet sind. Danke.« Er wartete drei Minuten, dann schien er mit einem der Ärzte zu sprechen, denn er machte ein dienstliches Gesicht. »Hören Sie«, sagte er in einem Tonfall, der zu nebensächlich klang, als daß ihn jemand glauben konnte. »Diese drei Männer, die wir bei Ihnen wohlverschnürt abgegeben haben.« »Ja? Ich höre!« »Sind sie noch bei Ihnen?« Die Stimme des unsichtbaren Mediziners klang vorwurfsvoll und etwas unsicher. »Sie sind noch bei uns, obwohl sämtliche Testuntersuchungen ergeben haben, daß die Männer geheilt sind. Auf Wunsch können Sie Einsicht in die Untersuchungsprotokolle nehmen, Marschall. Wir stehen vor einem Rätsel. Noch nie wurden uns so gesunde Kranke überwiesen.« Wamsler zögerte etwas, dann sagte er: »Sagen Sie Ihnen, es täte mir leid, ich ließe mich
entschuldigen, sie bekämen direkt von mir Nachricht, und Terra wird sie für diese Tage entschädigen, und einen Orden oder ein paar können sie auch noch kriegen. Aber versuchen Sie bitte, alles zu tun, damit es die Presse nicht erfährt – meine Reputation steht auf dem Spiel. Entlassen Sie die Männer sofort! Jagen Sie sie aus dem Haus, falls es ihnen dort gefallen sollte! Die Männer sind tatsächlich vollkommen normal und einwandfrei. Sie werden in den nächsten Wochen wieder das werden, was sie vor ihrer... Krankheit waren: Stützen der Gesellschaft!« Drei Sekunden nach diesem großen Monolog sagte der Arzt mit deutlicher Verwunderung: »Das können Sie von dort aus beurteilen, Marschall? Sind Sie sicher?« Wamsler starrte ihn an, als habe er sich verhört. Er rief: »Wenn ich sage, die Männer sind gesund, dann sind sie gesund! Klar?« Der Mediziner schien Freude am berechtigten Widerspruch zu haben, denn zu Cliffs grenzenloser Freude antwortete er schlagfertig: »Sie sagten vor wenigen Tagen, diese Männer wären geistesgestört. Jetzt sagen Sie, diese Männer sind nicht geistesgestört Was wird Ihnen in zwei Tagen einfallen? Die Möglichkeiten sind gering... immerhin ist dieses Gespräch aufgezeichnet, und ich werde die drei Wissenschaftler entlassen. Guten Abend.« Ein scharfes Klicken bewies, daß die Verbindung abgerissen war. Cliff konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und sagte leise:
»Wir glauben immer an etwas, das nicht vorhanden ist, Marschall. Seit dem Beginn meiner Karriere ist dies zufälligerweise die Vernunft. Können wir jetzt gehen, oder haben Sie einen neuen Auftrag für uns?« Wamsler schloß die Augen und schwieg. Er kochte innerlich, er ärgerte sich und war über sich selbst beschämt. Und das alles gleichzeitig, wie die Crew erkannte. »Danke, Oberst!« sagte er schließlich. »Sie haben Ihren Auftrag mustergültig erfüllt.« Jeder einzelne Buchstabe schien ihm förmlich Schmerzen zu bereiten. Dann fiel sein Blick auf die fünf Schmetterlinge, denen man nicht ansah, ob sie etwas verstanden hatten. Wamsler blickte Hasso Sigbjörnson an und fragte murmelnd: »Was sollen wir mit diesen Gästen tun?« Hasso zuckte die Schultern und sagte: »Begrüßen, mit Medaillen auszeichnen, ein Hotelzimmer besorgen und eine Inselrundfahrt unternehmen. Und alles, was Sie den Schmetterlingen sagen wollen, müssen Sie im Halbschlaf oder in Trance sagen. Apart, nicht wahr?« Cliff deutete auf das Videophongerät und sagte beschwichtigend: »Wenn Sie es schaffen, jetzt noch Professor Sherkoff hierher zu bitten, dann erkläre ich ihm und seinen Psychodynamikern alles ganz genau. Es ist ziemlich sinnlos, sich mit unseren Gästen im herkömmlichen Sinn unterhalten zu wollen.« »Gut. Ausgezeichnet – ich versuche es!« sagte Wamsler verwirrt. Er besann sich und wandte sich an Helga, Atan, Mario und Hasso.
»Ich glaube, Sie können Ihren Urlaub antreten, denn Cliff ist sicher so nett und bleibt noch eine Weile bei mir, bis die Sache mit Sherkoff geklärt ist. Herzlichen Dank; ich wußte schon immer, daß die ORIONCrew meine beste Mannschaft ist.« Mario stand auf, die anderen folgten. »Und nach diesen schönen Worten unseres Vorsitzenden«, sagte der Chefkybernetiker, dem dies nicht gerade neu war, »ziehen wir uns zurück ins Privatleben. Kommt, Freunde, lassen wir Cliff mit Wamsler und seinen Problemen allein.« Helga nickte und schloß: »Und mit fünf exotischen Gästen.« Sie verabschiedeten sich und gingen hinaus, zerstreuten sich schon auf der ersten Kreuzung und hatten es ziemlich eilig, in ihre Wohnungen zu kommen. Sie waren müde, und vor ihnen lagen zehn Tage Freizeit. Nur Cliff blieb zurück. Eine halbe Stunde später kam Professor Sherkoff, und Cliff setzte ihm genau auseinander, auf welche Weise man mit diesen Schmetterlingen verkehren konnte, was sie waren, wo ihre Fähigkeiten lagen und zu welchem Zweck sie mit der ORION VIII nach Terra geflogen waren. Dann verabschiedete er sich und war wenig später wieder in seiner Wohnung im einhundertsten Stockwerk von ORION-Island, zog sich die Uniform aus und den Sarong an. Er saß kaum, mit seinem Medaillon um den Hals, auf seinem Schaumstoffsockel, als die Melodie des Türkontaktes zu hören war. Das Geräusch der aufgleitenden und zufahrenden Tür sagte ihm, daß sich
das Schicksal in Form von Ishmee näherte; es war so gut wie sinnlos, ein schlechtes Gewissen verbergen zu wollen, denn Ishmees Fähigkeit, die Natur von Gedanken lesen zu können, würde ohnehin alles ans Tageslicht zerren. Cliff rief durch den halbdunklen Raum: »Erfreut bin ich, Freundin, viele Tage vermißte ich Freude!« Ishmee, die als einziger Mensch außer Cliff einen Schlüssel für diese Wohnung besaß, kam langsam über den hohen Teppich auf Cliff zu und blieb vor ihm stehen. »Raumfahrer, Filmdarsteller, Drehbuchautor und Spezialist für Geisteskrankheiten und TranceDiskussionen... du warst einmal mehr in voller Aktion.« »Möchtest du nicht etwas trinken – oder vielleicht einige östliche Weisheiten anhören?« fragte Cliff zurück und legte seinen Arm um ihre Schultern. Sie lächelte unbestimmt; die lange Reise mit Skuard zusammen und die vierzigtägige Abwesenheit Cliffs schufen eine seltsame Unsicherheit auf beiden Seiten. »Du gehörst auch zu jenen Männern, die schlafenden Vulkanen gleichen, aber nichts von der Lava wissen. Wie war es auf Caernavan't?« Cliff fuhr das Fach mit den Gläsern und Flaschen aus der Wand hervor und entkorkte eine Sektflasche. »Leidlich anstrengend«, sagte er. »Du bist natürlich auch eingeladen, Teuerste.« Ishmee schaltete zwei versteckte Beleuchtungskörper ein. Indirektes Licht schuf einige Helligkeitszonen in dem großen Raum, und Cliff dachte an die Halle in des Einsiedlers Burg, in der richtige Bäume wuchsen
und ihre Äste durch Löcher in der Decke streckten. »Eingeladen? Wozu?« Cliff goß den Sekt ein und vermied es, Ishmee in die Augen zu sehen. »Zur großen Premiere, Liebste.« »Deine Premiere? Längst vorbei, Raumfahrer! Seit Jahrzehnten.« Cliff grinste verstört und antwortete: »Ich sprach nicht von einem Remake oder einer Wiederaufführung, sondern von einer Erstaufführung. Filmpremiere. Titel: Die schwarzen Schmetterlinge. Ich spiele mit.« Sie lächelte ihn über den Rand des Glases hinweg an, und an diesem Lächeln erkannte Cliff, daß Ishmee mehr wußte, als er glauben durfte. »Du spielst immer mit«, sagte sie. »Ein bezauberndes Mädchen, diese Alxeste!« Cliff nahm einen tiefen Schluck und entschuldigte sich: »Frauen warten auf die Versuchung, manche Männer gehen ihr entgegen, und gewisse Männer stolpern mitten hinein.« »Ich weiß«, antwortete die Turceed nachsichtig. »Aus diesem Grunde habe ich auch keine Waffe mitgebracht. Wie ich in deinen außergewöhnlich aufgeregten Gedanken erkennen kann, ist – auf die Dauer gesehen – dieses Mädchen Alxeste Ortega für mich keine echte Konkurrenz. Hat deine Robotküche, diese Miniausgabe ihrer früheren Schönheit, noch einige Vorräte?« Cliff lehnte sich an die Wand und fragte in einem Ton, der baldigen Ärger prophezeite: »Bist du etwa spät in der Nacht hierher gekommen, um mit Hilfe deiner anerkannt geistvollen Konversa-
tion meine moralische Abrüstung anzufangen?« »Natürlich nicht«, sagte sie leise und hielt Cliff das leere Glas entgegen. Cliff füllte es wieder auf. »Oder bist du gekommen, um mir zu beweisen, daß du weiterhin den Posten der Königin meines Herzens einnehmen möchtest?« »Du hast recht«, sagte sie. »Mit einigen Einschränkungen.« Cliff berührte ein anderes Stück der Wand, und eine schmale Tür schob sich zur Seite. Gleichzeitig schaltete sich in einem Raum von zwei mal zwei Metern Bodenfläche die Beleuchtung ein, ein Exhaustor lief an. Cliff deutete mit dem Daumen über seine Schulter und sagte: »Mit welchen Einschränkungen, Ishmee?« Cliff betrachtete sie genau und schwieg. Seine Gedanken schwangen weit zurück, bis zu jenem Moment, in dem er auf der langgestreckten Kiesbank des Saurierplaneten das Mädchen entdeckt hatte. Die gemeinsam erlebten Abenteuer zogen vorbei, die aufregenden Jagden in Verbindung mit den drei Unsterblichen, die verrückten Vorkommnisse weit außerhalb der Galaxis, und hinter dem Bild Ishmees begann das des Mädchens Alxeste zu verblassen, zu zerfließen. »Du solltest versuchen, dich in den nächsten markanten Stationen deiner Abenteuer zu verhalten wie ein fast vierzigjähriger Oberst der Raumflotte.« Cliff zog sich langsam in die fast vollautomatische Miniküche zurück und fragte: »Und wie etwa soll ich mir dieses vorstellen, Liebste?«
Sie lächelte wie eine schwarzhaarige Sphinx mit goldfarbenen Augen und flüsterte: »Nicht etwa würdevoll, wie du jetzt denken wirst, sondern in der Auswahl derjenigen Damen etwas anspruchsvoller, die du in deiner unmittelbaren Umgebung zu sehen und zu – spüren begehrst.« Cliff kippte die Tastatur des Komputers nach vorn und zog die Brauen hoch. Dann fragte er leise: »Das bedeutet, daß du weiterhin an meiner Seite die grauenvolle Unendlichkeit des finsteren Alls zu bezwingen wünschest!« »So ist es. Was planst du für den Imbiß?« Cliff antwortete: »Ein leichtes Menü nach Raumfahrerart.« Sie lehnte sich gegen ihn und verschüttete etwas vom Sekt. Die Tropfen versickerten in dem tiefen Teppich. Knackend, summend und mit allerlei Lichteffekten begann die robotische Küche zu arbeiten. Cliff drückte eine der zahlreichen Gewürz-Tasten und murmelte: »In dem, was die Terraner Liebe nennen, muß ein Mann nicht bis drei zählen können. Es ist besser, wenn er vollkommener Analphabet ist. Oder Raumfahrer. Soviel über sämtliche Abenteuer vor, auf und rund um Caernavan't, und damit möchte ich die Diskussion abschließen.« Sie sagte schicksalsergeben: »So sei es.« Dann setzten sie sich auf die Terrasse und aßen. Es war fast wie vor einiger Zeit – damals, Tage nach der ersten Landung mit Ishmee auf Terra. *
Und einige Tage später drohte die Uraufführung des Filmes Die gefährlichen schwarzen Schmetterlinge des Planeten der Verwandlungen in eine gesellschaftliche Sensation auszuarten. Die Filmgesellschaft hatte das größte und am besten eingerichtete Videotheater der gesamten Insel gemietet, und aus Gründen der Reklamewirksamkeit waren die prominentesten Vertreter dreier verschiedener Berufsgruppen eingeladen worden. Sämtliche bekannten Darsteller und Schauspieler, die man jemals in Raumfahrerrollen gesehen hatte, wurden auf die Insel gebracht und machten sich durch ihr Benehmen, mit dem sie echte Raumfahrer nicht einmal kopieren konnten, ziemlich unbeliebt. »Das kann mehr als nur heiter werden!« bemerkte Hasso Sigbjörnson trocken, als er davon in den Nachrichten erfuhr. Dann reisten die Leute an, deren Beruf die Raumfahrt war. Sie hatten den kürzesten Weg. Sie, beziehungsweise ihre prominentesten Vertreter, erhielten gedruckte Einladungskarten und wußten noch nicht genau, worum es ging. Sie dachten noch immer, es wäre ein guter Film, deren Mittelpunkt die Raumfahrt sein sollte. »Fast zuviel der Ehre«, sagte Mario de Monti zu Atan Shubashi, als sie miteinander über die Einladungen sprachen. Schließlich reiste das Filmteam an, an seiner Spitze Flor D'Agricola. Es war ein Aufzug in Breitleinwand, Stereo und Farbe. Die ORION-Crew saß geschlossen in einer der ersten Reihen. Cliff hatte lange geschwankt, ob er den
Notwendigkeiten des Establishments nachgeben und seine Ausgehuniform oder seinen Sarong und die Sandalen anziehen sollte. Schließlich hatte er sich entschlossen, die Kritik nicht übermäßig herauszufordern, und war in Uniform erschienen. Es war der übliche Rummel des totalen Kinos. Eine Leinwand, die einen Fast-Halbkreis von hundertvierzig Grad gespannt war, wie es schien, Hunderte von Lautsprechern, eine Duftorgel und sämtliche psychotechnische Tricks – das waren die technischen Voraussetzungen. Der Saal war gefüllt, und nach den unvermeidlichen Reden begann der Film. Der Vorspann wies allein zweimal den Namen ORION VIII und dreimal den des Kommandanten aus. Ishmee flüsterte boshaft: »Die vierte Rolle, die du spieltest, wird leider nicht gezeigt – aber ich muß meine Kritik teilweise zurücknehmen. Das Mädchen ist wirklich hübsch und sogar nett.« Cliff grinste und gab zurück: »Ich hatte zusammen mit ihr einige entzückende Erlebnisse – in Trance.« Dann schlugen die Wellen des Spektakels über ihnen zusammen. Die Sterne des Weltalls, der näherkommende Planet – seltsam, dachte der Kommandant, wenn er selbst eine Landung durchführte, dann sah dies viel weniger aufsehenerregend und spannend aus – er dachte daran, bei der nächsten Landung aufzupassen, ob sich dieser Eindruck bei ihm auch einstellte. Wamsler beugte sich vor und flüsterte Cliff zu: »Ich wußte gar nicht, daß Raumfahrt so schön ist!«
Hinter ihnen rief jemand unterdrückt: »Ruhe!« Cliff lehnte sich zurück und ließ die Abenteuer an sich vorüberziehen. Er sah den langen Marsch des Einsiedlers durch die fünf verschiedenen Gegenden des Planeten, sah die Raupen, die Puppen und die Falter, den Überfall und die Rettung, die Piraten und alle nicht einkalkulierten Vorfälle: im Schneideraum war hervorragende Arbeit geleistet worden. Cliff sah sich selbst als Pirat, bildete sich seine eigene Meinung über seine schauspielerischen Fähigkeiten und grinste still in sich hinein. Schließlich, als inmitten der grandiosen Schmetterlingsschwärme die Burg auftauchte und der Film endete, merkte er, daß ihm jemand auf die Schulter tippte. Er drehte sich um. Bill Delante, der Chefingenieur. »Man hat Sie tatsächlich schon entlassen?« erkundigte sich Cliff spöttisch. »War die Behörde so schnell?« Delante grinste Cliff an und sagte: »Sherkoffs Leute wurden einen halben Tag nach Wamslers Anruf in einen panischen Schrecken versetzt. Zwei Schmetterlinge tauchten auf und heilten binnen zweier Tage die zwei schwierigsten Paradefälle der gesamten psychodynamischen Abteilung. Seit diesem Moment herrscht in Kreisen der betreffenden Ärzte heillose Panik. Übrigens – ich habe mir einen netten Gag ausgedacht.« Die Schlußakkorde verhallten. Langsam erhellte sich der Saal, und in der Nähe des Haupteinganges schien tatsächlich Panik auszubrechen. Schreie ertönten, Sektgläser splitterten, und einige Statisten in Raumfahreruniform flohen krei-
schend durch die Gänge. Über dem Auditorium flatterten fünf schwarze Schmetterlinge auf die Leinwand zu – sie sahen aus wie Schreckgespenster aus einem unbekannten All. Die fünf Wesen landeten in dem breiten Gang zwischen Leinwand und den ersten Sitzreihen. Ishmee wandte sich an Cliff und sagte aufgeregt: »Cliff! Ich empfange ihre Gedanken!« Cliff fragte ungläubig zurück: »Was wollen die Schmetterlinge?« Das Mädchen sprach die Wahrheit; die Turceed konnten nicht anders. Ishmee sagte eindringlich und so laut, daß auch Bill Delante ihre Worte verstand: »Die Schmetterlinge wollen, nachdem sie den Film gesehen haben, auf dem schnellsten Weg nach Caernavan't. Die Erde gefällt ihnen zwar, aber sie haben unbezwingbares Heimweh.« Delante und McLane sahen sich schweigend an, verstanden sich sofort und ohne Worte und standen auf. Sie kletterten über die Sessellehnen und gingen auf die Schmetterlinge zu. »Das war deutlich!« sagte Cliff und setzte sich gleichzeitig mit Delante hinter den Kopf eines der exotischen Wesen. »Bringen wir sie weg!« Delante rief leise zurück: »In die Nähe eines Raumschiffes, damit ihr Heimweh etwas vergeht.« Die beiden Terraner flogen nebeneinander auf den Ausgang zu, gefolgt von drei reiterlosen schwarzen Schmetterlingen. Durch die helle Sonne des Tages flogen sie durch die offenen Tore, vorbei an der Gruppe der wartenden Filmleute und über die Insel zu einem Materialaufzug, der sie hinunterbringen
würde in die Basis 104. Als Cliff über Alxeste hinwegflog und zögernd winkte, sagte das Mädchen zu Flor D'Agricola: »Wenn ich zwischen dir und McLane einen Vergleich ziehen würde, Florrie, dann glaube ich, würdest du nicht so gut abschneiden. Aber schließlich bist du kein Raumfahrer.« Der Produzent sah den fünf Schmetterlingen nach und ärgerte sich. Als Ishmee zu der Gruppe stieß, merkte sie diesen Ausdruck seiner Gedanken sehr genau und freute sich darüber, daß er sich ärgerte.