Thomas Kunze Russlands Unterwelten
Thomas Kunze
Russlands Unterweiten Eine Zeitreise durch geheime Bunker und vergessene Tunnel
Ch. Links Verlag, Berlin
Meinem Freund Mark Weil geboren am 25. Januar 1952 in Taschkent, ermordet am 7. September 2007 in Taschkent
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet d iese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage, September 2008 © Christoph Links Verlag- LinksDruck GmbH Schönhauser AUee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0 Internet: www.linksverlag.de;
[email protected] Umschlaggesta ltung: KahaneDesign, Berlin unter Verwendung eines Fotos von Stalins Geheimbunker in Samara, dem »Objekt NL 4• Gestaltung und Satz: BildlDruck, Berlin Druck: Eibe Dntckerei Wittenberg GmbH, Lutherstadt Wirtenberg ISBN 978-3-86153-490-7
Inhalt
Zum Geleit Vorwort
7 12
Steinzeitlicher Kulturraum vom Atlantik bis :z:um Ural
15
Kungur und eine der ersten Höhlenkarten der Welt
15
Die Bilderhöhlen von Kapowa und Ignatjewka
18
Die Höhlen auf der »Insel der heiligen Wera «
21
Fahrt in die Bronzezeit: Arkaim
22
Russland im Minelalter
26
Das Höhlenkloster von Kiew
26
Unter dem Moskauer Kreml
30
Russischer Pioniergeist und das Ende der Monarchie
52
Tunnelbauwerke auf der Transsibirischen Eisenbahnlinie bis 1917
52
Unterirdische Festungen in Nikolajewsk und Wladiwostok
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Propaganda aus dem Gemüsekeller
60
Tod in Kellergewölben
62
Sowjetmacht und die beiden Lenin-Mausoleen
64
Furcht und Größenwahn in der Stalin-Ära
71
Voraussetzung für gigantische Bauprojekte: das GULag-System
71
Japanische Tunnel in Russland: das unbekannte Sachalin
76
Stalins Kanalbauten und die DreifachUntertunnelung des Moskwa-Wolga-Kanals
80
Auf dem Weg :z:ur europäischen Großmacht
37
Russla nds »Neues j erusalem<<
37
Geheime Eisenbahntunnel und die Baikai-Amur-Magistrale
83
Der sumpfige Untergrund von St. Petcrsburg
39
Sowjetisches Prestigeprojekt: die »Kaganowitsch-Metro <<
89
Das verschollene Bernsteinzimmer
42
Die Katakomben von Odessa und Wasserversorgungstunnel
45
Stadterneuerung im Zeichen der Industrialisierung
47
Vertrauen in Hitler-Deutschland und Kriegsbeginn in Metroschächten
100
Frontlinienbunker der Stalin-Linie und der Molotow-Linie
100
Moskaus verbannte Flüsse
47
Stalins Kommandozentrale in der Metrosration Kirowskaja
104
Die ersten Kanalisations- und Regenwassertunnel
48
Schurzräume für das Volk: die Moskauer Metro im Krieg
105
Bunker der Nomenklatura
109
Stalins Bunker in Moskau-lsmailowo
109
Wettlauf um die Vormachtste llung in derWelt
154
Stalins Geheimbunker in Samara: das >>Objekt Nr. 4 «
115
Verwirrende Onsbezeichnungen und gesperrte Regionen
154
Berija-Bunker und das Sanatorium »Wolga<<
118
Bunker des Kalten Krieges
159
Ein Festakt unter der Erde
121
Der Kommandobunker »G. 0. 42<< in Moskau
159
123
Der unterirdische U-Boot-Hafen von Balaklawa
162
126
Die Befehlszentrale der »Pazifikflotte Wladiwostok«
164
Die geheime »Metro Nummer 2« in Moskau
166
Der Ausbau der Metro
169
Bauboom und Milliardeninvestitionen im neuen Russland
174
Anhang
181
Anmerkungen Literaturverzeichnis Abbildungsnachweis Orrsregjster Zum Autor
181 188 190 191 192
Bunker unter der Lubjanka und Stalins Datscha in Moskau-Kunzewo Unterkellerte Wohnhäuser der Moskauer Nomenklatura Russische und deutsche Bunker an der Front
130
H itlers östlichstes » Führerhauptquartier<<: dje »Bärenhöhle<< in Smolensk
130
Unterirdische Kommandozentralen der Roten Armee in Stalingrad
133
Letzte deutsche Rückzugsorte in Stalingrad und Königsberg
138
Stadt unter der Stadt: das >> Objekt B 11 « in Wladjwostok
141
Gescheiterte Großprojekte nach dem Kriegsgewinn
144
Die »tote Eisenbahn << am Polarkreis
144
Die Untertunnelung des Ochotskischen Meeres
148
Zum Geleit
Dieses Buch ist ein Genre für sich: Es ist weder ein reines Wissenschaftswerk noch eine Legendensammlung, weder Reisebericht noch Reiseführer. Der Autor lädt uns ein zu einer ausgedehnten Reise in die unterirdische Welt des vergangeneo und des heutigen Russland. Thomas Kunze, der mehrere Jahre in unserem Land verbracht hat, besuchte viele der im Buch beschriebenen Höhlen, Tunnel und Bunker. Alle konnte er nicht sehen - einige von ihnen gehören nach wie vor zu den streng gehüteten Staatsgeheimnissen. Und doch hat das Ende der sowjetischen Ära den Vorhang der Geheimhaltung vor den unterirdischen Anlagen der vergangeneu Jahrhunderte etwas gelüftet. Mit einer Eintrittskarte kann man sowohl in den BunkerStalins als auch in eine unterirdische Kommandozentrale aus der Zeit des Kalten Krieges gelangen. Natürliche und künstlich geschaffene Höhlen in den entferntesten Winkeln Russlands werden zur Pilgerstätte für Touristen, andere sind kaum bekannt und werden nur von Neugierigen und Forschern erkundet. Die Anziehungskraft der unterirdischen Welt in allen ihren Ausformungen hat tiefe Wurzeln. In den russischen Märchen, wie im Übrigen auch in den Legenden anderer Völker, lagern unter der Erde unermessliche Schätze, schlafen schöne Prinzessinnen, leben gute Zwerge und böse Drachen, kämpft das Gute gegen das Böse, das Licht gegen das Dunkel. In historischen Chroniken begegnen uns Verliese, wo die Eingekerkerten ausgeklügelten Foltern unterworfen werden, und unterirdische Gänge, die den Einwohnern belagerter Städte eine letzte Chance auf Rettung geben. Für unsere fernen Vorfahren waren gerade die Höhlen über Tausende von Jahren Heimat. Ohne Übertreibung kann man sie die Wiege der Menschheit nennen. Ein Raum unter einer Erdschicht wirkt auf unser Unterbewusstsein ebenso wie die magische Kraft des Feuers. Er lässt in uns ein schwaches Echo jener Emotionen anklingen, welche auf die Jäger der Urzeit einstürmten. Stockte Ihnen nicht auch schon einmal der Herzschlag, als Ihr Zug in einen Tunnel einfuhr und Sie sich plötzlich für einige Augenblicke, vielleicht für eine
Minute, in undurchdringlicher Finsternis befanden? Erinnern Sie sich an den unwillkürlichen Seufzer der Erleichterung im Abteil, als der Zug wieder in das Tageslicht hinausfuhr? Als Kind ging es mir manchmal so. Ich denke, dass die heutigen Höhlenforscher oder Digger die gleiche Beklemmung verspüren, wenn sie ihre Helme aufsetzen und sich in die Erde herablassen. Gewöhnliche Passagiere der Moskauer Metro stehen ihnen dabei in nichts nach - Dutzende von Malen musste ich mir Geschichten von anderthalb Meter langen Ratten anhören, die in den Tunneln zwischen den Stationen hausten und die dicksten Kabel durchnagen könnten. Kaum war ich Student an der Historischen Fakultät der Moskauer Universität geworden, machte ich mich daran, die Bibliothek Iwans des Schrecklichen zu suchen, um die es auch im Buch geht. Es spielte keine Rolle, dass ich keinen Zugang zu den Kellern des Kremls hatte - Bekannte steckten mir einige Adressen zu, wo gewiss die bibliographischen Raritäten des 16. Jahrhunderts zu finden sein mussten. Noch eine persönliche Erinnerung, diesmal aus meinen Kindertagen: In der Schule lasen wir im Literaturunterricht die wunderbare Erzählung >>Kinder des Untergrunds << von Wladimir Korolenko, die am Ende des 19. Jahrhunderts geschrieben wurde. Die Gestalten der Bettelkinder, die in den Ruinen einer Kapelle lebten, erschütterten mich, sie schienen das Symbol der verfluchten >>dunklen<< Vergangenheit zu sein, von der uns die tapferen Revolutionäre, Lenin und seine Kampfgefährten, befreiten. Tatsächlich wurde die russische Revolution von 1917 von den Zeitgenossen als ein Gefecht zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis aufgenommen. N icht zufällig sieht man auf den Plakaten jener Jahre das Bild von Arbeitern und Bauern, die aus dunklen Kellern hin zu den Strahlen der aufgehenden Sonne streben. Auch die rote Fahne, mit der die Revolutionäre zum Sturm auf die alte Welt antraten, war nicht so sehr eine Verkörperung des vergossenen Blutes als ein Symbol des Lichtes und der Wärme, das Symbol der >>roten Sonne << . Auf diesen Bildern gründete sich die offizielle 7
Interpretation der sowjetischen Geschichte, sie wurden, wie die Heiligendarstellungen, zu Ikonen. Der tatsächliche Verlauf der Ereignisse nach der Errichtung der Diktatur der Bolschewiki wich jedoch immer weiter von den Versprechungen einer >>hellen Zukunft<< für jeden und alle ab. An der Macht war nun eine neue Elite, die sich wieder durch sakrale Rituale vom Volk abgrenzte. Man braucht nur die Seiten dieses Buches zu lesen, die der Einbalsamierung von Lenins Körper und dem Bau des Mausoleums gewidmet sind. Das Erdreich wurde erneut zum Versteck eines Schatzes, an dem man nur nach einem starren Ritual teilhaben konnte. Erinnern wir uns: stundenlanges Warten in der Schlange bei jedem Wetter, dann die Treppen hinunter unter den strengen Augen der Wachen, um eine Biegung und noch eine Kehre, und dann endlich - der unvergängliche Körper. Bis heute gibt es in Russland einen Streit darüber, ob Lenin umgebettet und erdbestattet werden soll. Der Streit um die Bestattung Lenins spiegelt die diametral entgegengesetzten Vorstellungen der modernen russischen Gesellschaft sowohl über die Revolutionsführer des Jahres 1917 als auch über die Normen der Bestattungskultur wider. Zuletzt flackerte die Debatte im Oktober 2007 wieder auf, als der Chef der Präsidialverwaltung, Wladimir Koschin, vorschlug, ein Referendum über die Beerdigung Lenins durchzuführen. Es ist leicht zu vermuten, dass dieses Problem noch lange keine Lösung finden wird. Nach Lenins Tod gerieten seine Kampfgefährten, die dem Volk den Sprung ins Licht versprochen hatten, immer tiefer in einen Strudel dunkler Geschäfte, oft im Wortsinne. In langer Reihe ziehen auf den Seiten des Buches unterirdische Eisenbahnstrecken, Tunnel unter Meeres buchten, geheime militärische Objekte, versteckt unter meterdicken Betonschichten, an uns vorbei. Sie alle wurden geschaffen um den Preis unbezahlter Arbeit und des Lebens von Millionen politischer Gefangener, jener Bewohner des >>Archipels GULag<<, der zu einem der schwarzen Zeichen des vergangeneu Jahrhunderts wurde. In den Erinnerungen der Gefangenen werden eindrucksvoll die Dunkelheit und die Feuchtigkeit der Kellergewölbe geschildert; sie spielten die Rolle einer zusätzlichen und immerwährenden Folter, welche die Angst und das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit verstärkten und oft zum Wahnsinn führten . Und doch fanden die Gefangenen in sich die Stärke, Mensch zu bleiben
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und nach dem TodStalins aus den düsteren Lagern und Verliesen in das Leben der Gesellschaft zurückzukehren. In einem der autobiographischen Lieder des großartigen Liedermachers Wladimir Wyssotzki gibt es folgende Zeile: >>Korridore enden mit einer Mauer, aber Tunnel führen ins Licht.« Die Geschichte der Sowjetunion vereinte beides und ließ eine nicht geringe Anzahl unfertiger Tunnel zurück, die zu einem materiellen Symbol dieser vergangeneu Epoche wurden. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte eine totale Kommerzialisierung ein, die auch um die Geheimnisse der Unterwelt keinen Bogen machte. Viele militärische Objekte standen nicht mehr unter Geheimhaltung, die Begräbnisstätten der Opfer der politischen Repression wurden bekannt. Moskau und andere Großstädte des modernen Russland öffneten ihre Unterwelten und ermöglichten so den Forschern Einblicke in nicht wenige Geheimnisse der fernen und der jüngsten Vergangenheit. Das unterirdische Archäologiemuseum, das nur wenige Meter vom Kreml entfernt am unterirdisch verlaufenden Flüsschen Neglinnaja liegt, ist mit seinen Exponaten eine der gelungensten Brücken, die aus der Gegenwart in die Tiefe der Jahrhunderte hinübereichen. Wie wird sich Moskau weiter entwickeln? In die Höhe oder in die Tiefe - Moskau hat nur diese beiden Varianten für seine Entwicklung. Hoffen wir, dass geheime Objekte verschiedener Art, die der Autor dieses Buches beschreibt, darunter die legendäre >>Metro Nummer 2«, einmal das Leben von Millionen Moskauern erleichtern werden, die sich jetzt noch durch Staus und im überfüllten öffentlichen Nahverkehr quälen. Dass die Russen ihren Sinn für unterirdische Geheimnisse nicht verloren haben, beweist der durchschlagende Erfolg des Science-Fiction-Romans >>Metro 2033 «. Sein Autor, Dmitri Gluchowski, wählte ein im Prinzip nicht sehr originelles Sujet: Nach einer Atomkatastrophe gibt es nur noch in der Moskauer Metro Leben, in den Stationen leben Menschen, in den Tunneln Mutanten, und beide Gruppen kämpfen unversöhnlich gegeneinander. Der Leser gerät nicht nur in die bekannte Landschaft des >>Untergrunds «, sondern auch in eine >>Metrowelt«, die ein Spiegelbild, gerrauer gesagt ein Modell des ihm so vertrauten Gesellschaftssystems ist. Thomas Kunzes Buch stimuliert die Gedanken und die Phantasie, indem es den Leser an die Grenze des
Unbekannten führt, Legenden nachspürt und Fragen stellt. Ich glaube, dass dieses Buch eine dankbare Leserschaft finden und die Historiker dazu bringen wird, in ihre Arbeiten neue Aspekte aufzunehmen. Das Letzte und vielleicht das Wichtigste, was mir bei der Lektüre des Textes aufgefallen ist, wird sich dem Leser schon beim Aufschlagen der nächsten Seite eröffnen. Ich meine des Autors lebhaftes Interesse an sowie seine Verbundenheit mit Russland, seinen unermesslichen Weiten, seiner Geographie und Geschichte. Und natürlich des Autors Interesse an den Geheimnissen von Russlands Unterwelten, bei denen es bis zum heutigen Tag schwer ist, Dichtung von Wahrheit zu unterschei-
den, die schöne Legende von dem geschichtlichen Faktum. Um darüber zu schreiben, muss man Russland nicht nur kennen, sondern auch fühlen. Man muss seine Besonderheit und gleichzeitig sein gemeinsames Schicksal mit Europa berücksichtigen. Die Erzählung endet mit einer optimistischen Note - Russland, das für viele Ausländer ein Buch mit sieben Siegeln ist, wird seinen europäischen Charakter in diesem Jahrhundert zeigen. Daran möchte ich glauben. Prof. Dr. Alexander Watlin Historische Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität >> M. W. Lomonossow<<
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Vorwort
>>The Stalin Subway«- so heißt ein Computerspiel russischen Ursprungs.1 Statt wie üblich als westlicher Held gegen Kommunisten zu kämpfen, verteidigt ein KGBAgent Stalin gegen einen Putschversuch. Das blutige PC-Gemetzel erfreute sich kurz nach Erscheinen in Russland 2 großer Beliebtheit. Kein Wunder, denn die imaginäre Handlung spielt im Moskauer Untergrund, einem Ort, der immer wieder Anlass zu Spekulationen bietet, Spekulationen, mit denen ich schon bald nach meiner Ankunft in Russland Bekanntschaft machte. Als ich Anfang Februar 2005 in Moskau landete, lagen vor mir drei Jahre Russlandaufenthalt. Ich kannte Moskau von einer Reise im Jahr 1979, die ich damals mit dem DDR-Jugendreisebüro >>lntourist<< unternommen hatte. In Erinnerung geblieben waren die sich über Hunderte von Metern windende Menschenschlange vor dem Lenin-Mausoleurn auf dem Roten Platz, irgendeine semmelmehlreiche Boulette in einem speisesaalgleichen Restaurant auf dem Neuen Arbat, die sich >> Kiewski Kotlet« nannte, und ein Ausflug nach Gorki, dem Sterbeort des >>Führers der Oktoberrevolution<<. Bei meiner damaligen Reise regierte noch Leonid Iljitsch Breschnew, der 1964 N ikita Chruschtschow aus dem Amt gejagt hatte. Schwarze Wolgas, Schigulis, Moskwitschs und Saporoschets bestimmten das Straßenbild auf den breiten Boulevards. Nur wenige Sowjetbürger konnten sich ein Auto leisten. Und wenn doch, dann musste man mehrere Jahre warten, es sei denn, man gehörte zur kommunistischen Nomenklatura. Welch ein Unterschied zur Gegenwart! Deutsche Großstädte wirken im Vergleich zu Russlands Metropole geradezu beschaulich und bescheiden. Moskau kommt nie zur Ruhe. In der Nacht erwacht die Stadt zu einem ganz eigenen Leben. Die Prachtboulevards sind zugeparkt mit den Ferraris, Porsches und Maibachs der Superreichen. Am Tag bestimmen endlose Staus das Bild. Mittlerweile gibt es in Moskau drei Millionen registrierte Autos, bei einer Einwohnerzahl von geschätzten 15 Millionen ein stolzer Schnitt. Die Verkehrsdichte und eine Fahrweise, die an >>russisches Roulette<< erinnert, haben mich rasch mit der
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>>normalen<< Unterwelt - der Moskauer Metro- Bekanntschaft machen lassen. Rund neun Millionen Passagiere nutzen täglich >>ihre « Metro. Zu Spitzenzeiten stellt sich nicht die Frage, ob man einen Sitzplatz bekommt, sondern in den wievielten der im Minutentakt fahrenden Metrozüge man gedrückt wird. Die Moskauer Metro, so hörteich von Jegor, einem Freund und Bankangestellten aus Moskau, sei aber mehr als der für alle nutzbare unterirdische Schienenstrang und diene in seiner Gesamtheit nicht nur dem zivilen Transport von Passagieren. Jegor ist Digger3 und gehört damit zu einem recht gut funktionierenden Netzwerk junger, unkonventioneller Leute, die in einigen russischen Großstädten die Welten unter dem Straßenpflaster erkunden. Tief unter Moskau, so Jegor, gebe es ein weitverzweigtes Netz von Fahrstraßen, Bunkern und geheimen Metrolinien. Bis heute seien diese Anlagen der politischen Elite für den Katastrophenfall vorbehalten. Erst wenige Wochen zuvor war Jegors Bekannter, ein Architekt, bei Restaurationsarbeiten in einem Nachbargebäude des GUM-Kaufhauses auf dem Roten Platz, direkt gegenüber dem zum Kreml gehörenden SpasskiTurm, auf eine unterirdische Fahrstraße gestoßen, die aus dem Kreml heraus Richtung Nordosten führte : >>Derzeit scheint sie nicht benutzt zu werden<<, so der Architekt. >>Bei der Straße handelt es sich um eine breite und asphaltierte Straße, die im Dunkel verschwindet. Ein paar Schützenpanzerwagen stehen dort unten und einige alte Wolgas, die mit Planen abgedeckt sind.« Meine Neugier war geweckt worden, und dies umso mehr, da ich aus Berlin wusste, welche Geheimnisse sich unter Großstädten befinden können. Dort bietet >> Berliner Unterwelten e. V. «, eine >>Gesellschaft zur Erforschung und Dokumentation unterirdischer Bauten «, seit 1999 Führungen durch die Unterwelt der deutschen Hauptstadt an. Als ich begann, mich in Moskau umzuhören, drangen immer neue Gerüchte an mein Ohr: Unter der Oberfläche gebe es eine zweite Stadt; neben der weltbekannten Moskauer Metro existiere eine weitere Untergrundbahn, von deren Vorhandensein nur wenige Eingeweihte etwas wüssten, und dergleichen mehr.
Doch nicht nur das Zentrum der russischen Hauptstadt soll unterhöhlt sein. In vielen Städten des europäischen Teils Russlands, aber auch in Sibirien und im Fernen Osten kursieren Legenden über die Unterwelt: Das Politbüro der Kommunistischen Partei habe sich angeblich 1941 in der Wolgastadt Samara unterirdische Zufluchtsmöglichkeiten geschaffen, während die deutsche Wehrmacht vor den Toren Moskaus stand. In Chabarowsk (Sibirien) gebe es einen Tunnel, der unter einem der mächtigsten Ströme Russlands, dem Amur, entlangführen soll. Im Fernen Osten, an der Pazifikküste, seien Arbeiten für einen Tunnel unter dem Ochotskischen Meer ausgeführt worden, der nach Stalins Willen das russische Festland mit der Insel Sachalin verbinden sollte. Am Polarkreis sollte der Ob untertunnelt werden. Im Ural vermutet der amerikanische Geheimdienst heute eine gigantische unterirdische Basis für 60 000 Menschen. In Wladiwostok, dem russischen Haupthafen am Pazifik, seien riesige Bunker vorhanden, die vor japanischen Angriffen schützen sollten. In wohl kaum einem anderen Land der Erde wird so ausgiebig über geheimnisvolle Unterwelten spekuliert wie in Russland. Nirgendwo sonst gibt es so viele raunende Berichte über die Existenz geheimer Luftschutzkeller, unentdeckter Tunnelsysteme und unterirdischer Städte. Basieren solche Spekulationen auf Tatsachen? Ist es wirklich so, dass es in Russland unterirdische Bauwerke gibt, von deren Existenz nur wenige Russen, geschweige denn Ausländer et\vas wissen? Einmal in den Bann solcher Gerüchte gezogen, beschloss ich, den Geschichten im Wortsinne auf den Grund zu gehen. Sooft es meine Zeit zuließ, war ich während der drei Jahre meines Aufenthaltes in Russland den Geheimnissen der russischen Unterwelten auf der Spur. Als ich Fotos und Material sichtete, war ich erstaunt, dass sich an der Historie von Höhlen, Katakomben, Tunneln und Bunkern die Geschichte Russlands nachvollziehen lässt. Sie liegen zwar geographisch über ganz Russland verstreut, spiegeln jedoch - jeder Ort für sich und in seiner Zeit - einen Teil der bewegten russischen Geschichte wider. So entschloss ich mich, die spannendsten unterirdischen Objekte, die ich aufgesucht hatte, in chronologischer Reihenfolge in einem Buch zu dokumentieren und den Leser auf eine Zeitreise durch die Geschichte Russlands und seiner unterirdischen Welten mitzunehmen. Dass dies überhaupt möglich wurde, verdanke ich in erster Linie Jegor, mit dem ich in den Jahren meines
Russlandaufenthaltes fast alle Erkundungstouren durch die russische Unterwelt plante und unternahm. Jegors Freunde in den halblegalen Digger-Klubs - meist lose Netze junger Abenteurer und Untergrundforscher, die oft eine Internetseite betreiben - halfen uns im ganzen Land, nicht alle wollten namentlich genannt werden. Außerdem konnte nicht jedes in dem Buch beschriebene unterirdische Objekte fotografisch dokumentiert werden, da ich mich an die Gesetze der Russischen Föderation halten musste und wollte. Das machte die Forschungsarbeit nicht eben einfacher. Im Gegenteil. Manchmal fühlt man sich in russischen Archiven oder Bibliotheken immer noch dem Generalverdacht ausgesetzt, etwas Verbotenes erkunden zu wollen. Nach wie vor gibt es in Russland Städte und Regionen, die gesperrt und nur mit Sondergenehmigung des Inlandsgeheimdienstes FSB4 zu betreten sind. Bis heute ist, zumindest formal, ein altes Gesetz aus dem Jahr 1933 in Kraft, das dem Fotografen von Eisenbahnanlagen mit sofortiger Verhaftung droht. 5 Und es gibt einen neuen präsidialen Erlass aus dem Jahr 2006, der Informationen, die für die Landesverteidigung von Belang sein könnten, zu Staatsgeheimnissen erklärt.6 Der 43 Seiten umfassende »Präsidial-Ukas<< lässt dabei kaum einen Bereich aus. Die Worte >>Taina « (>> Geheimnis << ) oder gar >> Gosudarst\vennaja Taina<< (>>Staatsgeheimnis << ), die in Russland einen ehrfurchtsvollen Schauer erzeugen, machen die Arbeit von Journalisten und Wissenschaftlern nicht leicht. Für Russen ist die Autorität des Staates etwas Unumstößliches, selten wird sie hinterfragt. Selbst wer nur kurze Zeit in Russland lebt, wird deshalb auf jeden Fall ein Wort kennenlernen: >>Nelsja! <<- >> Es ist verboten! « Meist ausgesprochen mit steinerner Miene, ist es die Annvort von Bürokraten jeglicher Couleur auf die höflich gestellte Frage, ob man irgendetwas machen kann oder darf. >>Nelsja! <<- diese Annvort wird nie begründet. Einheimische fügen sich in ihr Schicksal, Ausländer sind verwundert, ärgern sich, oder sie kommen nie wieder. >>Nelsja! « ist ein Wort, das auch ich bei meinen Recherchen zu diesem Buch gehört habe. Doch viel öfter begegnete mir das andere Russland: ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten und ein Land der >>entwaffnenden<< Herzlichkeit. Derselbe Offizier, der mir eben noch in einem Atombunker mit furchterregender Miene die Räumlichkeiten erklärt hatte, die ich auf keinen Fall besichtigen dürfe, fragte - sobald man miteinander ins 13
Gespräch gekommen war - , ob ich schon einmal mit einer russischen Pistole geschossen hätte. Auf meine verneinende Antwort entsicherte er seine Waffe und drückte sie mir nicht nur in die Hand, sondern bedeutete mir, mit unnachahmlich hintergründigem Lächeln auf einen dunklen Stollen weisend, sie nun auch abzufeuern. Meine schreckgeweiteten Augen nach dem Schuss quittierte er mit mitfühlend väterlicher Geste und meinte verwundert, was denn aus den >> Fritzen<< von einst geworden wäre. Dieselbe Archivarin, die eben noch behauptete, die von mir gesuchten Aktenbestände habe es nie gegeben, brachte mir nach der zweiten Tasse Tee persönlich die Ordner aus dem Keller und dazu noch Konfekt und einen Stapel weiterer Dokumente. Da ist er gewissermaßen hautnah zu spüren, der personifizierte Widerspruch zwischen der sprichwörtlich russischen Seele und dem über Jahre anerzogenen Misstrauen gegenüber dem >>Westen<< bzw. der Angst vor der eigenen Staatsgewalt. Immer noch, im Kleinen wie im Großen, leben so im Russland des 21. Jahrhunderts Reflexe der Zeit des Kalten Krieges fort. Wenn bei uns, >>im Westen<< , über Russland berichtet wird, ist das oft nicht anders. Doch Russland hat sich für die Freiheit entschieden. Das kann angesichtsder unglaublichen Entwicklung, die das Land politisch und ökonomisch zwischen dem Ende der kommunistischen Diktatur und heute - also einem aus historischer Sicht zu vernachlässigend kurzen Zeitraum - genommen hat, nicht ernsthaft bezweifelt werden. Edith Martha Almedingen schreibt im Vorwort ihrer Monographie >> Die Romanows<< über die Russ-
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landreisen des deutschen Schriftstellers und Diplomaten Adam Olearius 7 in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts: >> [Er] musste die[ ... ] Erfahrung machen, dass es sich dabei um eine Gegend handelt, in welcher es auch dem bestgeschulten Beobachter nicht immer gelingen konnte, bis zum Kern einer Sache vorzudringen. Die wahre >res Muscovita
res publica<werden; wie sollte dann erst ein vorübergehend dort zu Besuch weilender Ausländer hoffen dürfen, das Geheimnis Russlands zu ergründen? << 8 Ich danke deshalb all denen, die mir geholfen haben, einen Teil dieses Geheimnisses zu erforschen. Mein besonderer Dank gilt meiner Mutter Helga, meiner Frau Ure sowie Rudolf Moran für das sach- und fachkundige Erstlektorat und eine Fülle von Anregungen und Ergänzungen. Stephan Lahrem vom Christoph Links Verlag danke ich für seine hervorragende Betreuung. Ich bedanke mich außerdem herzlich bei Swetlana Argazewa, Olga Acharowa, Elisabeth Bauer, Marcel Blessing-Shumelin, Henri-Giscard Bohnet, Tatjana Boldowa, Anton Himmelspach, Saskia Hoffmann, Sergej Ignatenko, Knut Keding, Natascha Schoch, Jelena Petuchowa, Dr. Lars Peter Schmidt, Eugen Semendeew, Dr. Larisa Serba, Artur Uluchodschajew, Dr. Susanne Zwiener und bei allen russischen Gesprächspartnern, auch denen, die nicht genannt werden wollten, für die vielfältige Unterstützung meiner Arbeit. Thomas Kunze Moskau/Berlin im August 2008
Steinzeitlicher Kulturraum vom Atlantik bis zum Ural
Kungur und eine der ersten Höhlenkarten der Welt Meine Kenntnis über den Urat erschöpfte sich in der Erinnerung an unzählige Stunden zur Geographie der Sowjetunion in der DDR-Schule. Ich wusste, was jeder weiß: Der Urat trennt den eurasischen Kontinent in Europa und Asien. Dabei war der Urat schon immer eine Kulturregion. Dort befinden sich die geheimnisvollsten und kulturhistorisch interessantesten Höhlen Russlands. Meine erste Reise in den Urat führte mich nach Perm. Bis 1958 hieß die Stadt Molotowsk, benannt nach Wjatscheslaw Molotow, Stalins langjährigem Premier- und Außenminister. Mich begleitete Wladimir Lukin, der Menschenrechtsbeauftragte der Russischen Föderation.
Er gehört zu den prominentesten Persönlichkeiten Russlands. Als Mitbegründer der Partei >> Jabloko«, die heute einflusslos geworden ist, war er in den 90er Jahren Botschafter seines Landes in den USA und später Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, dem russischen Parlament. In Städten wie Perm, so Lukin, gehe es den Menschen seit einigen Jahren deutlich besser. Vorbei seien die Jahre, in denen sie, wenn überhaupt, ihren Lohn nur in Naturalien ausgezahlt bekamen. Auf Perm trifft das zu. Die Stadt hat sich nach dem wirtschaftlichen und politischen Chaos, das Russland in den 90er Jahren erschütterte, schnell entwickelt. Der Abstand zu Moskau, ein Maßstab für jeden Russen, scheint geringer geworden sein. Lukin reiste noch am Abend wieder zurück nach Moskau. Ich aber wollte, obwohl es schon dunkel wurde, noch die 100 Kilometer
Prinzessin Viktoria von Hessen und Prinzessin Louise von Bottenberg besuchten 1914 während einer Russlandreise die Eishöhle von Kungur.
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Gang in die Eishöhle von Kungur. Sie entstand vor mehr als 10 000 Jahren.
Wenn die Temperatur unter minus 30 Grad fällt, reichen die Kristalle bis zum Höhlenboden.
Wissenschaftler aus Kungur feiern alljährlich das Jolkafest (Neujahr) in »ihrer« Eishöhle; die Tanne gehört in jedem Fall dazu.
entfernt liegende Stadt Kungur erreichen, in der zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine der weltweit ersten geographischen Karten eines unterirdischen Höhlensystems entstand. Dort sollte meine Erkundungsreise durch die Unterwelten Russlands beginnen! Der nächste Bus wäre erst am frühen Morgen gefahren. Aber das nach wie vor funktionierende Schwarztaxi-System ließ mich innerhalb weniger Minuten einen Wagen finden. Es funktionierte wie überall in Russland: Man steht mit ausgestrecktem Arm am Rand des Bürgersteiges, macht wippende Bewegungen mit Zeigeund Mittelfinger. Entweder hält ein ältliches Gefährt sowjetischer Bauart oder eine teure Luxuslimousine an. Der Fahrer des sowjetischen Modells benutzt sein eigenes Auto, um für einen Zuverdienst zu sorgen. Der Fahrer der westlichen Limousine hat es leichter. Er nutzt lediglich die Abwesenheit seines Chefs, eines höheren Staatsbeamten oder eines neureichen Unternehmers, um sein Gehalt etwas aufzubessern. Mich brachte Wolodja, ein aus Norilsk im russischen Norden stammender arbeitsloser Arzt, in einem alten Schiguli nach Kungur. Die Stadt ist für russische Verhältnisse mit 68 000 Einwohnern eher klein. Der Name Kungur stammt aus dem Tatarischen und bedeutet >>dunkel, finster << . Zar Alexej Michailowitsch ließ die Stadt im Jahr 1683 als Festung zum Schutz gegen die kriegerischen Baschkiren gründen. Damit ist Kungur nach Tobolsk und Tomsk die drittälteste Stadt im Ural.
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Eine der ältesten Höhlenkarten der Weit ( 1703). Sie stammt von Semjen Remisow, dem Kartegraphen Peters des Großen.
Am nächsten Morgen, bei einem Treffen mit dem Bürgermeister, klagte dieser über unerfüllte Hoffnungen. 2003 war der russische Präsident Wladimir Putin zusammen mit seinem deutschen Duzfreund Gerhard Sehröder zu Gast gewesen. Die Kungurer träumten danach davon, dass sich ihre Höhle zu einem Touristenmagneten entwickeln und Besucherströme in die Stadt bringen würde. Doch bislang ist sie eher ein Ausflugsziel für Gäste aus der unmittelbaren Umgebung geblieben. Die Eishöhle von Kungur, entstanden vor 10 000 bis 12 000 Jahren, hat die Chance, in die Weltnaturerbeliste der UNESCO aufgenommen zu werden. 1 Ihr Eingang liegt am Ende der >>Straße der Freiheit«, die ihren Anfang bezeichnenderweise an der örtlichen Strafvollzugsanstalt nimmt. Alte Frauen verkaufen vor dem Höhleneingang Souvenirs. Die Höhle mit ihren über 100 Grotten und 60 Seen wird seit 1948 intensiv erforscht.
Einzigartig ist der temperaturabhängige Wechsel der Dicke des Höhleneises. Bei Temperaturen unter 30 Grad Celsius, die 2006 das letzte Mal erreicht wurden, ragen die Eiskristalle bis zum Boden. Erst mit dem Anstieg der Temperatur wird die Höhle dann wieder begehbar. Umstritten ist, ob diese Höhle einmal bewohnt war. Finno-ugrische Stämme könnten sie vor rund 1000 Jahren als Lager benutzt haben. Eindeutige Beweise dafür wurden aber bislang nicht gefunden. Zusammen mit einer Studentengruppe der Permer Universität und zwei dänischen Rucksacktouristen hielt ich mich über zwei Stunden in dem Labyrinth auf. Nach einer Weile schaltete die Führerin für einige Minuten das Licht aus. An die entstandene absolute Dunkelheit gewöhnt sich das menschliche Auge nicht. Beklemmende Verlorenheit sprang uns an, ein Gefühl der Ungewissheit von Zeit und Raum bemächtigte sich unser. Erst das wieder aufflammende Licht und der Blick auf
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>>Saal der Zeichen« in der Kapowa·Höhle. Möglicherweise existierte hier nach dem Ende der Eiszeit ein unterirdischer See.
eine im Vorjahr offensichtlich von wissenschaftlichen Mitarbeitern zurückgelassene und mit leeren Bier- und Wodkaflaschen gesäumte »]olka<< (Tanne)- das Symbol des russischen Neujahrsfestes- holte uns abrupt in die Wirklichkeit zurück. Vor 300 Jahren hatte Peter der Große seinen Kartographen Semjon Remisow zur Erforschung dieser Höhle in den Urat geschickt. Seine Reise ging in die Annalen ein. Remisow kehrte mit einer Karte zurück, die zu den Standardwerken der Kartographie zählt. Allerdings blieben nur wenige Exemplare davon erhalten. Rätselhaft ist, warum in Rernisows Buch >>Siuschebnaja tschertjoshnaja Kniga<< (Dienstkartenbuch), das 1703 erstmals herausgegeben wurde, die für die Kurrgur-Höhle vorgesehene Seite 51 leer blieb. Auch in später erschienenen Nachdrucken dieses Werkes wurde die Karte nicht publiziert. Möglicherweise gab es Streit um die Urheberrechte zwischen Remisow und dem Deutschen Daniel Gottlieb Messerschmidt bzw. dem Schweden Tabbert von Strah-
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lenberg, mit denen gemeinsam Remisow damals seine Exkursion angetreten hatte. Wer von den drei Wissenschaftlern den alles entscheidenden Beitrag für das Entstehen einer der ersten Höhlenkarten der Welt leistete, ist heute nicht mehr aufzuklären. Der Bürgermeister Kungurs berichtete mir voller Stolz, dass sich ein seltenes Exemplar der Kungur-Karte im Besitz der Stadt befinde. Sie sei aber noch nie publiziert worden. 2
Die Bilderhöhlen von Kapowa und lgnatiewka Meine Erkundungsreise durch den Ural führte mich zu weiteren Höhlen, die westeuropäischen Forschern weitestgehend unbekannt sind. Dabei lassen mindestens zwei- die von Kapowa und Ignatjewka- die Annahme zu, dass es bereits in der Eiszeit einen einheitlichen Kulturraum vom Atlantik bis zum Urat gegeben hat.3
Blick in den »Großen Saal« der lgnatjewka-Höhle, über der sich eine 25 bis 30 Meter dicke Schicht aus Kalkstein
Malereien auf Höhlenwänden sind das älteste Zeugnis von Kunst überhaupt. Erst seit 100 Jahren ist bekannt, dass schon Steinzeitmenschen beeindruckende Kunstwerke schufen. Die meisten europäischen Fundorte solcher Höhlenbilder liegen in Frankreich, Italien und Spanien und stellen meist Jagdszenen dar. Sie entstanden etwa 30 000 bis 15 000 v. Chr., als weite Teile Europas noch mit Gletschern überzogen waren.4 Bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts vermutete kein Forscher, dass es paläolithische Bilderhöhlen außerhalb Westeuropas gibt. Doch dann machten russische Höhlenforscher im südlichen Urat eine sensationelle Entdeckung: die Kapowa-Höhle am Oberlauf des Flusses Belaja. Die Bewohner der Umgebung kannten sie seit langem, aber die Kunde von ihrer Existenz drang gerade einmal bis nach Moskau. Die meisten Städte im Urat waren bis zum Untergang der UdSSR für Ausländer gesperrt, für Sowjetbürger war der Besuch- wenn überhaupt- nur mit Sondergenehmigung möglich.
be~ndet.
Wenn man mit Russland vertrauter geworden ist, stellt man fest, dass trotz der Größe des Landes über Verwandtschaften und freundschaftliche Bindungen ein Beziehungsgeflecht existiert, das von Kaliningrad bis nach Wladiwostok reicht. Oft bediente ich mich während meiner Reisen dieses Geflechts, das auch im Fall der Kapowa-Höhle funktionierte: Eine Kollegin aus meinem Büro hatte Verwandte in Baschkortostan. Diese Teilrepublik der Russischen Föderation liegt westlich des Uratgebirgesam äußersten Ostrand Europas. Mit dem Nachtzug fuhr ich in die Hauptstadt Ufa, bepackt mit einigen Taschen voller Geschenke und Lebensmittel für die Verwandtschaft. Weiter ging es mit einem Vorortbus. Die 77-jährige Fanja Iwanowna, die mit ihrer Tochter ein recht baufälliges Haus im baschkortischen Ort Burzjan bewohnt, erzählte immer wieder abschweifend, dass Stalin gleich nach dem >>Großen Vaterländischen Krieg« Wissenschaftler hierher gesandt habe. Sie hätten in einer Höhle in der Umgebung nach etwas gesucht,
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Steinzeitliche Abbildung von Mammuts in der Kapowa·Höhle, ousge· führt in rotem Ocker.
Im »Endsaal« der lgnatjewka·Höhle beflndet sich die Zeichnung eines Pferdes, die zu den besterhaltenen der Höhle gehört.
seitdem kämen immer mal wieder fremde Leute. Sie stamme eigentlich aus der Region Twer, ihre Familie sei aber 1939 in den Ural umgesiedelt worden. In der Höhle selbst, so Fanja, sei sie irgendwann in ihrer Jugend einmal gewesen, habe aber nichts von Bedeutung sehen können. Die wissenschaftliche Expedition, an die Fanja Iwanowa sich erinnert, gab es tatsächlich. Allerdings fand sie nicht unmittelbar nach dem Krieg statt, sondern erst im Jahr 1958. Damals wurden in dieser Höhle 50 bildliehe Darstellungen aus der Steinzeit entdeckt. Es handelt sich dabei um Abbildungen von Tieren, meist Mammuts, um verschiedene Zeichen sowie verschwommene Farbflecken. Die meisten davon sind im sogenannten Saal der Malereien zu sehen. Diese Höhlengrotte hat einen Durchmesser von 40 Metern. Kurze Zeit später fand man in einer weiteren Höhle im Ural, der Ignatjewka-Höhle in der Nähe von Serpiewka im Kreis Kataw-Iwanowsk, noch mehr steinzeitliche Bilder. Wiederum sind überwiegend Mammuts dargestellt, aber auch eine Frauenfigur und ein rotes Pferd. So sensationell die Entdeckung von Kapowa und Ignatjewka war, so unbekannt blieben im Westen diese russischen steinzeitliehen Bilderhöhlen bis in unsere Zeit hinein. Zu abgeschottet war die Sowjetunion hinter dem Eisernen Vorhang, um der internationalen Forschergemeinde Zugang zu Höhlen im Ural zu ermöglichen. Während sich die Universitäten in den großen UralStädten Tscheljabinsk und Ufa in den 60er, 70er und
80er Jahren noch intensiv der archäologischen und Höhlenforschung widmeten, ist das Interesse daran danach eher zurückgegangen. Immer wieder traf ich in Russland auf Universitätsprofessoren, die den Verlust an wissenschaftlicher Qualität nach dem Untergang der Sowjetunion bedauerten. >>Sicher«, so Anatoli Moisejewitsch, ein Historiker und Emeritus aus Tscheljabinsk, >>damals ging es vor allem darum, alles mit dem Marxismus-Leninismus zu verbinden. Aber jeder wusste das doch, und alle wussten, wie man diesen Schein wahrt. Wenn das Vorwort stimmte und in den Arbeiten ein Dutzend Mal Lenin zitiert war, konnte man aber Forschungsarbeiten publizieren, die heute so gar nicht mehr denkbar sind. Wen interessiert schon Archäologie? Die jungen Leute wollen nur einen Hochschulabschluss, meist sogar zwei. Die wollen sich Ökonom nennen oder Jurist. Aber Geschichte, Archäologie, Höhlenforschung ... ? Nein, das ist nichts für die Jugend von heute. << Der Mann machte eine bedeutungsschwere Pause. >> Bei uns im Ural << , fuhr er dann fort, >>gibt es vielleicht noch Dutzende von Höhlen wie die, die Sie gesehen haben. Ich werde es allerdings wohl nicht mehr erleben, dass man sie erkundet. << Den Professor schmerzt, dass kaum bekannt gemacht und weiter erforscht wird, was er für sensationell erachtet: Kapowa und Ignatjewka zeigten, dass es in der Steinzeit parallele kulturelle Entwicklungen von Westeuropa bis hin zum Ural gegeben hat. Und es ist tatsächlich nicht auszuschließen, dass im Ural weitere, unentdeckte Bilderhöhlen vorhanden sind.
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Die Höhlen auf der »Insel der heiligen Wera« Neben der Eishöhle von Kungur und den Höhlen von Kapowa und Ignatjewka wollte ich im Urat unbedingt noch dorthin gelangen, wo vor ungefähr 4000 Jahren unterirdische Höhlen von Menschenhand ausgehoben worden sein sollen - auf die >>Insel der heiligen Wera «. Eine der in der Sowjetzeit gesperrten Städte ist Mjass im mittleren Urat. Sie liegt 80 Kilometer von Tscheljabinsk entfernt, der Gebietshauptstadt der gleichnamigen Region. Mjass bleibt mir als einzige Stadt Russlands in Erinnerung, in der das Schwarztaxi-System nicht funktionierte. Vergeblich meine Versuche, ein Auto anzuhalten, um den 15 Kilometer von Mjass entfernten und angeblich 15 Millionen Jahre alten Turgojaksee zu er-
reichen, der als einer der kleinen Brüder des mächtigen Baikaisees gilt. Schließlich schaffte ich es, eines der wenigen offiziellen Taxis zu organisieren, die es in der Stadt gibt. Der Turgojaksee empfing mich mit einer erhabenen Bergkulisse. Bademöglichkeiten und glasklares Wasser locken neuerdings auch wohlsituierte Russen an. Am Seeufer haben sich Hotels und Erholungsheime etabliert. Die Gegend um den Turgojaksee ist bereits seit fünf Jahrtausenden besiedelt. Die Insel im See, bekannt als >>Insel der heiligen Wera «, bietet einen weiteren Einblick in Russlands vorgeschichtliche Unterwelt. Die Überlieferung besagt, eine Frau namens Wera habe im 17. Jahrhundert auf dieser Insel in Höhlen gelebt. Nach einer Legende flüchtete die junge Frau auf die Insel, da ihre Eltern sie zwingen wollten, einen Mann zu heira-
Sumpf am Turgojaksee. Auf der »Insel der heiligen Wera« sollen Neandertaler gelebt haben.
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Fahrt in die Bronzezeit: Arkaim
Eingang zu einer der Höhlen auf der »Insel der heiligen Wera«. Die Decke bilden übereinandergeschichtete Steinplatten.
ten, den sie nicht liebte. Sie solllange in einer Erdhütte gelebt und erfolgreich die Heilkunst praktiziert haben. Wera gehört sicherlich ins Reich der Legenden, die Höhlen jedoch existieren. Die Urai-Außenstelle der Russischen Akademie der Wissenschaften initiierte 2004 eine archäologische Exkursion mit überraschendem Ergebnis. N icht ausschließen wollen die Archäologen, dass auf der Insel bereits vor undenkbar langer Zeit, vor etwa 100 000 Jahren, Neandertaler gelebt haben. Ausgrabungen, die endgültigen Aufschluss darüber geben sollen, stehen noch aus. Gesichert ist, dass die Höhlen auf der Insel vor ungefähr 3500 bis 4000 Jahren durch Menschenhand entstanden sind. Sie dienten nicht zu Wohnzwecken. Da die Insel bewaldet ist, wäre es einfacher und praktischer gewesen, Gräben mit Holz zu überdecken. Wahrscheinlich handelte es sich um einen kultischen Ort. Die Bauweise der Höhlen zeugt von einer für die damalige Zeit erstaunlichen Baukultur: Ein kunstvoll aus Steinplatten konstruiertes bogenförmiges Gewölbe spannt sich über die unterirdische Anlage. Nach diesem Prinzip sind Jahrtausende später, im 18. Jahrhundert n. Chr., weitere Erdhütten gebaut worden, die sich in der N ähe befinden. Sie dienten sogenannten Altgläubigen als Schutz, die sich im 17. Jahrhundert einer Kirchenreform in Russland verschlossen hatten, sich dann vor Verfolgungen durch Staat und Kirche zu retten suchten und in abgelegene Gebiete flohen. 22
Noch in Moskau war ich auf den vergilbten Aushang eines kleinen Reisebüros gestoßen, auf dem eine >>unterirdische Stadt und Festung der uralten Arier<< im Gebiet Tscheljabinsk beworben wurde. Arkaim, so ihr Name, sei das rätselhafteste und geheimnisvollste archäologische Denkmal auf dem Territorium Russlands. Die Urstadt sei vor ungefähr 4000 Jahren aus unbekannten Gründen von ihren Einwohnern verlassen und niedergebrannt worden. Arkaim gehörte zum sogenannten >>Land der Städte«, einem eindrucksvollen Denkmal bronzezeitlicher Kultur, das sich über ein Areal mit einem Durchmesser von 350 Kilometern erstreckte. Archäologen konnten bisher mehr als 20 antike Städte aus der Zeit von 2000 bis 1700 v. Chr. nachweisen. Sie reichten allesamt bis an die Schwelle der Zivilisation heran, überschritten sie aber nicht. Ihre Kultur wird als Sintasch-Kultur bezeichnet. Möglicherweise bestand sogar eine Verbindung zwischen den Urat-Kulturen und dem mykenischen Griechenland. Da das Reisebüro schon seit Monaten geschlossen hatte und weitere Recherchen erfolglos blieben, entschloss ich mich, vom Turgojaksee aus Arkaim auf eigene Faust zu erkunden. Doch wo sollte ich nach diesem verheißungsvollen Ort suchen? Er ist auf keiner Karte verzeichnet. Lediglich auf einigen Internetseiten finden sich Routenempfehlungen. Ihren Angaben zufolge sollte Arkaim in der Nähe der Stadt Magnitogorsk liegen, sechs Autostunden von der Gebietshauptstadt Tscheljabinsk entfernt. Um sieben Uhr am Morgen ging es los. Da es Sonntag war, gab es kaum Verkehr auf den Straßen, und zügig näherten wir uns Magnitogorsk. Bis kurz vor der Stadt genossen wir noch die traumhafte Landschaft der asiatischen Ausläufer des Urals. Dann tauchte Magnitogorsk auf- wie aus dem Nichts, denn die Stadt war von den Dunstwolken der örtlichen Chemieindustrie eingenebelt. Ein penetranter, beißender Gestank lag in der Luft, dem die Einwohner lebenslang ausgesetzt sind. In Magnitogorsk begann das Suchen. Keinem der Passanten, die wir fragten, war bekannt, dass sich in unmittelbarer Nähe die Überreste einer bronzezeitlichen Stadt befinden, die angeblich bereits bewohnt war, als in Ägypten die Pharaonen regierten. Ich war kurz davor, aufzugeben, als ein weiterer Passant, bei
Bis 1991 war die Region um Magnitogorsk Sperrgebiet. Die Luftaufnahme von Arkaim wurde vermurlieh in den 70er Jahren gemacht.
Schema von Arkaim. Innerhalb der beiden Verteidigungsringe lagen die Wohnstätten; in der Mitte gab es einen zentralen Platz.
dem ich mich erkundigte, ein Mann um die 60, plötzlich sagte: ••Nehmt dort die zweite Straße nach links, fahrt bis zum Ende, dann nach rechts abbiegen ... « Auf einmal unterbrach er seine Erklärungsversuche: »Dawaite, wmeste! (Los, zusammen!)- das findet ihr sonst sowieso nie! « Ohne zu fragen setzte er sich auf den Rücksitz. Mein neuer Führer hieß Oleg, und wahrlich, ich hätte keinen besseren treffen können. Der ehemalige
Offizier der Roten Armee war früher in der Gegend stationiert gewesen, in die ich wollte. Von unterirdischen Anlagen wusste Oleg nichts. Aber er konnte mir erklären, warum so wenige Bewohner von Magnitogorsk überhaupt etwas mit Arkaim verbinden: »Bis 1991 war das gesamte Gebiet um Magnitogorsk militärisches Sperrgebiet.« Nach einer weiteren Stunde Fahrt über staubige Nebenstraßen hatten wir das Ziel erreicht. Mich überraschte die enorme Ausdehnung der Anlage. Darüber hinaus erstaunte mich in Anbetracht der kaum erhältlichen Informationen die Betriebsamkeit. Auf Archäologen und einige Touristen trafen wir hier ebenso wie auf Hare-Krishna-Anhänger, Wünschelrutengänger oder Esoteriker, die geheime Energien und Spiritualität suchten. Obskure Theorien ranken sich um den Ort: Sewa, ein Geschichtsstudent aus Tscheljabinsk, der mich gemeinsam mit Oleg durch Arkaim führte, behauptete steif und fest, dieser Ort sei das eigentliche Ziel des Russlandfeldzuges von Adolf Hit!er gewesen. In Arkaim habe Hitler den Kraftpunkt der Welt gesehen. Fest steht, dass die Entdeckung des »Landes der Städte« im Südural eine große archäologische Sensation im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts bedeutete. Mit Arkaim hatte man nichts Geringeres als eine befestigte Wohnstadt aus der Bronzezeit gefunden. Ich blieb zwei Tage in Arkaim. Sewa, der Student, verfügte über ein erstaunliches Wissen über den Ort. 1956, so erzählte er, seien für militärische Zwecke Luftaufnahmen gemacht worden. Sie zeigten schon damals die zwei markanten Ringwälle und den zentralen Platz. Doch in einem militärischen Sperrgebiet sei an wissenschaftliche Forschung nicht zu denken gewesen. Diese setzte erst 30 Jahre später ein. 1987 entdeckte eine archäologische Expedition der Universität Tscheljabinsk einen einzigartigen Komplex archäologischer Denkmäler der Bronzezeit. Man erschloss 8055 der 20 000 Quadratmeter großen Urstadt. Die Stadt Arkaim soll zwischen 1800 und 1600 v. Chr. entstanden sein. Sie bestand aus zwei Verteidigungsringen, zwei Ringen von Wohnstätten innerhalb der Verteidigungswälle, einem zentralen Platz sowie einer Ringstraße, die einst eine Holzpflasterung und Regenkanalisation gehabt haben soll. Die Wissenschaftler der ersten Expeditionsreise untersuchten 29 Wohnstätten, Teile des inneren und äußeren Verteidigungsringes und einen Teil des Zentralplatzes. Das restliche Territo-
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Kegelförmige Hügel, sogenannte Kurgane, waren charakteristisch für Arkaim.
ln den Kammern der Kurgone wurden die Toten bestattet. Die Abbildung zeigt das Innere des rekonstruierten Kurgans »Temir«.
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rium der Stadt wurde zunächst nur geophysikalisch untersucht. Im inneren Kreis Arkaims gab es 27 Wohnstätten mit Brunnen, Kellern und Feuerstellen, im äußeren Ring 60 Wohnhäuser. Die vier Tore der Festung waren nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet. Der innere Ring hatte einen Durchmesser von 85, der äußere von 145 Metern. Die Stärke des Walls betrug am Fuß drei bis fünf Meter. Die Einwohner von Arkaim waren Sonnenanbeter. Verzierungen auf dem Geschirr, das bei Ausgrabungen zu Tage gefördert wurde, zeigen unter anderem Hakenkreuze, alte Sonnensymbole. Nach Meinung russischer Archäologen befand sich hier die Heimat der legendären Arier. Die Indoeuropäer gelten als Schöpfer des Zoroastrismus, der Religion der Feueranbeter und ersten Religion in der Welt. Der Zoroastrismus verbrei-
Rekonstruierte Wohnstätte in Arkaim.
tete sich später in Zentralasien und auf dem Gebiet des heutigen Iran. Doch was war dran an der »unterirdischen Stadt Arkaim «, mit der das Moskauer Reisebüro geworben hatte? Unweit der Urstadt Arkaim erheben sich kegelförmige Hügel. Dort, so Sewa, vermutete man zunächst den Einstieg in eine unbekannte Unterwelt. >>Als ich vor zwei Jahren begann, in den Semesterferien hier zu arbeiten, kamen einmal zwei Tourismusmanager aus Moskau zu Besuch«, erzählte er. >>Doch denen war das alles hier nicht spektakulär genug.« Dabei ist Arkaim einer der phantastischsten Orte, die es in Russland gibt. « Bei den kegelförmigen Hügeln handelt es sich um sogenannte Kurgane, in deren Kammern die Toten bestattet wurden. Die drei bis fünf Meter breiten Grab-
kammern waren teilweise mit Holz bedeckt. Die Wissenschaftler fanden bei ihren Ausgrabungen Einzel-, Paar- und Gruppengräber mit Bronzemessern, Harpunen, Schmuck, Pferdegeschirr, Speerspitzen und Pfeilen aus Bronze als Grabbeigaben. Da die Grabkammern sehr groß waren, entstand die Legende über die »Unterirdische Stadt<<. Arkaim und das geheimnisvolle >> Land der Städte<<sind dennoch ein mystischer Ort geblieben, der eine beständige Anziehungskraft auf das einschlägige Publikum ausübt. Und die Fragen, ob dort wirklich der Ausgangspunkt für den Zoroastrismus lag, warum die Kultur an der Schwelle zur Bronzezeit verschwand und warum es zum >>Land der Städte<< keine Entsprechung an irgendeinem anderen Ort gibt, werden die Wissenschaftler wohl noch lange beschäftigen.
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Russland im MiHelalter
Das Höhlenkloster von Kiew Zurückgekehrt nach Moskau, traf ich Jegor, der eine Woche Recherchearbeit in der Lenin-Bibliothek, der größten Bücherei Russlands, hinter sich hatte. Digger erforschen den Untergrund meist spontan und punktuell, sie verlassen sich bei ihren Erkundungen eher aufs Hörensagen. Deshalb fand mein Bekannter die Idee, die russische Unterwelt von ihren Anfängen her systematisch zu erkunden, eine interessante Abwechslung. Es war allerdings beschwerlich, Literatur und damit einen historischen Einstieg in das Thema zu finden. Eine der wenigen Arbeiten dazu stammt aus dem Jahr 1997. >>Tainy podsemnoi Moshvy« (Geheimnisse des unterirdischen Moskau) heißt das Werk der Historikerin Taisija Belousowa, die sich vor allem mit den Anfängen unterirdischer Baukunst im Mittelalter beschäftigt.1 Auch aus einem zweiten Grund hatte Jegor nichts dagegen, mir bei der Literatursuche und -auswertung zu helfen. Einer seiner Digger-Freunde war zehn Tage zuvor vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB vorgeladen worden. Eine Internetseite, in deren Forum unterirdische Erkundungstouren durch Moskau beschrieben wurden, war für diese wachsamen Herren der Stein des Anstoßes gewesen. Jegors Freund ist zwar unmittelbar nichts widerfahren, doch das Gespräch mit den Geheimdienstleuten war auf jeden Fall dazu angetan, die Lust auf Einstiege in die Moskauer Unterwelt zumindest vorläufig zu dämpfen. Dadurch erweiterte sich unser zeitlicher Rahmen, gemeinsam den Faden zur historischen Bestandsaufnahme der russischen Unterwelt aufzunehmen und ihm durch die Zeitläufe der russischen Geschichte zu folgen. Im Frühmittelalter und im Mittelalter entstand in Russland eine Vielzahl von Anlagen im Untergrund. Baumeister schufen wahre Meisterwerke. Hierzu gehören Labyrinthe, Tunnel und Katakomben als Teil von Klöstern, Kirchen und Festungen. Die meisten davon sind bis heute nicht zugänglich. Von der Existenz solcher Anlagen wussten in Russland immer nur wenige Menschen. Dieses Wissen wurde in den meisten Fällen 26
mündlich weitergegeben, was zu einer schwierigen Quellenlage führt. Immer wieder findet man - mehr oder weniger zufällig- unterirdische Gänge. Viele von ihnen wurden im Verlauf der Jahrhunderte zugemauert und fielen der Vergessenheit anheirn. Kein Wunder also, dass dabei Phantasien häufig die Fakten überlagern. Die älteste und sagenumwobenste, die ausgedehntesteund zugleich berühmteste unterirdische Anlage der Russen aus jener Zeit ist Petscherskaja Lawra, das Höhlenkloster von Kiew.2 Es hat sich über die Jahrhunderte zu einem von Mauern umgebenen, 28 Hektar umfassenden Klosterkomplex mit über 80 Gebäuden entwickelt. 1990 wurde ihm von der UNESCO der Weltkulturerbe-Status verliehen. Die Anlage breitet sich malerisch über zwei Hügel mit einem dazwischenliegendem Tal aus. Hier am Dnjepr schlug vor rund 1000 Jahren- fast zeitgleich mit der Herausbildung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation- die Geburtsstunde des ersten russischen Staates, der Kiewer Rus . Ein Kiewer Großfürst christianisierte die Rus, und das Kiewer Höhlenkloster gehört bis zum heutigen Tag zu den heiligsten Orten der Russen. Als 1991 die Sowjetunion zerbrach und 16 ehemalige Unionsrepubliken unabhängig wurden, schmerzte Russland der Verlust der Ukraine besonders. Kiew gilt als >> Mutter der russischen Städte<< und ist den Russen mindestens genauso wichtig wie Moskau oder St. Petersburg. Bis ins Mark wurde deshalb Russland durch die >> Orangene Revolution<< des Jahres 2004 in Kiew getroffen. Viele Russen empfinden: Je stärker sich die Ukraine heute dem Westen zuwendet, desto mehr verliert Russland von seiner Geschichte.3 Vor dem offiziellen Eingang zum Höhlenkloster wartete Pater Kyrill auf mich, ein 31-jähriger Mann, der ein halbes Jahr zuvor zum christlich-orthodoxen Priester geweiht worden war und, dem Brauch folgend, seinen bürgerlichen Namen Pjotr aufgegeben hatte. Pjotrs Eltern sowie seine drei Brüder und sieben Schwestern leben in der Nähe von Donezk in der Ostukraine. Mir fiel es schwer, ihn mit seinem neuen Namen anzusprechen,
Uspenski-Kathedrale des Höhlenklosters Petscherskoje Lawra, wo sich die größten unterirdischen Anlagen aus dem Mittelalter befinden.
denn ich kannte ihn schon als Studenten aus Moskau. Er gestattete mir deshalb, es im persönlichen Gespräch bei Pjotr zu belassen. Pjotr alias Kyrill ist einer der vielen jungen Männer, die sich in Russland und der Ukraine für ein Klosterleben entscheiden. Ohne ihn hätte ich nur einen Bruchteil der Kiewer Unterwelt zu Gesicht bekommen. In den Katakomben der ukrainischen Hauptstadt begann eine Zeitreise durch 1000 Jahre Geschichte. Im Jahr 1020 soll ein griechischer Eremit, Ilarion mit Namen, die erste Höhle in einem Wald beim Dorf Berestowo unweit von Kiew gegraben haben, in der er fortan hauste. In den darauffolgenden Jahren der Einsiedelei gelangte er zu immer größerer Popularität. Menschen aus der Umgebung pilgerten zu ihm und
baten um seinen Segen. Ihm wurde die Fähigkeit zugesprochen, Wunder bewirken zu können. 1040 zog ein weiterer asketischer Eremit namens Antoni in die Höhle ein. Er kam vom heiligen Berg Athos auf der Chalkidike-Halbinsel im Ägäischen Meer. Dort hatte er in der griechischen Mönchsrepublik Ajion Oros 4 seine Lehrjahre verbracht. Fürst Jaroslaw der Weise (978-1054), unter dem das Kiewer Reich seine Blütezeit erlebte, erhob Ilarion im Jahr 1051 in den Rang eines Metropoliten (Bischof) . Nach seiner Ernennung verließ Ilarion die Einsiedelei und begann, die Kirche zu führen . Antoni jedoch, so die Überlieferung, blieb bei seinem Höhlenleben als Eremit und gründete 1051 ein orthodoxes Kloster, das sich zum führenden Kloster der Rus entwickelte. Außer 27
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Plan der nahen Höhlen des Kiewer Höhlenklosters: A- Unterirdische Kirche der Einführung der Gottesmutter in den Tempel; B - Unterirdische Kirche des Mönchs Antonius; C - Unterirdische Kirche des Abts Warlaam; D- Zelle des Mönchs Antonius
Scharen von Pilgern zog es viele Mönche an, die sich in frommer Askese üben wollten. Die Mönche bauten unter der Erde Korridore und eine Verkündigungskirche. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde das unterirdische Labyrinth ständig erweitert. Dort lebten die Mönche, und dort starben sie. Das änderte sich erst im 20. Jahrhundert. Nach der Oktoberrevolution und den anschließenden Bürgerkriegswirren wurde das Kiewer Höhlenkloster 1926 zunächst in ein >>Museum des Atheismus « umgewandelt, die Höhlen geschlossen. 1941 durfte es seinen Betrieb wieder aufnehmen; Mönche, die bis dahin den Stalin'schen Repressalien noch nicht zum Opfer gefallen waren, kehrten zurück. 1961, in den Jahren der Kirchenverfolgung durch den KPdSUChefNikita Chruschtschow, wurde das Kiewer Höhlen-
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klostererneut geschlossen und 1965 ein zweites Mal in ein Museum umgewandelt. Erst seit 1991 gehört es wieder der orthodoxen Kirche und ist heute ein funk tionierendes Mönchskloster. Ich war natürlich begierig, mehr als ein »normaler« Besucher zu erfahren bzw. zu sehen zu bekommen. Auf meine entsprechende Bitte verständigte sich Pjotr mit einem anderen Mönch, der blasshäutig und mit einem langen grauen Bart in einer Gebetsnische saß. Beide führten mich durch eine geheime Tür, hinter der sich die Katakomben fortsetzen; Besucher gab es dort keine mehr. Ein paar Mönche in der N ähe schauten erstaunt auf, ihr Gespräch erstarb augenblicklich, und fragende Stille machte sich breit, als sie mich »Eindringling<< in ihrer abgeschlossenen Welt erblickten. Erst als Pjotr zum Ältesten in der Gruppe ging und erklärend auf
ln diesem Sarg beflndet sich ein beigesetzter Mönch, dessen Körper sich im Verlauf der Jahrhunderle mumifiziert hat.
mich zeigte, löste sich die Spannung. Mit einem Lächeln eröffnete er mir: >> Du darfst mitkommen, Pater Leonid kennt deine Heimatstadt Leipzig und die Russisch-Orthodoxe Kirche dort. Er sagt, du gehörst zu uns.« Von weißgetünchten niedrigen Gängen führen Nischen und kleine Kapellen ab. In einfachen Schreinen liegen verstorbene Mönche, deren Körper nicht der Verwesung anheimgefallen sind. Pjotr erklärte mir flüsternd die Bestattungsriten: Man wusch ihnen die Körperteile, die unbedeckt waren, faltete ihnen die Hände auf der Brust, bedeckte ihr Gesicht und legte sie auf ein Brett. Auf diesem Brett wurde der Verstorbene dann in eine N ische geschoben. Diese Nische wurde zum Höhlenkorridor hin mit einer Ikone verschlossen, manchmal gar zugemauert. Nach drei Jahren öffnete man die Ni-
Gang, der die Katakomben des Kiewer Höhlenklosters mit der Außenwelt verbindet.
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Im Höhlenkloster be~nden sich mehrere Grabnischen mit mumi~ zierten Leichen.
sehe wieder, nahm die Überreste der Leichname heraus und bestattete sie. Beim Öffnen der Grabnischen fand man aber auch Körper vor, die nicht verwest waren. In diesen Fällen blieb der Tote in der N ische. Auf Ikonen wurden dann die geistlichen Taten des Mönches beschrieben. >> Mönche, die höchste Vollendung im Gebet und in der Schweigsamkeit anstrebten<< , so Pjotr, >> ließen sich schon zu Lebzeiten in kleinen Zellen einmauern. Die Verbindung zur Welt blieb ein kleines Fenster. Zwei Mal pro Woche erschien ein Bruder und reichte etwas Speise und Wasser in die Zelle. Wenn aus dem Fenster keine Antwort mehr kam und das Essen unangetastet blieb, bedeutete es, dass der Mönche seine Askese vollendet hatte. << Das größte Geheimnis der Kiewer Unterwelt jedoch konnte mir Pjotr nicht erklären. Bis heute streiten Wissenschaftler darüber, warum sich die Körper mancher Mönche über Jahrhunderte hinweg erhalten haben. Die täglichen Temperaturschwankungen in den Katakomben betragen sieben bis neun Grad. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei über 80 Prozent. Es handelt sich also eher um ungünstige Bedingungen für die Erhaltung organischer Stoffe. >> Das Wunder der Nichtverwesung ist für uns Menschen bestimmt, die wir uns auf dem Weg zur Ewigkeit befinden, die wir in unserem Glauben gestärkt werden müssen und die wir geistigen Trostes bedürfen<<, sagte Pjotr mir zum Abschied.
Unter dem Moskauer Kreml
Unterirdische Schädelstätte; nicht alle Körper verstorbener Mönche haben sich durch die Zeit erhalten.
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Nicht nur in Kiew wurde unterirdisch gebaut. Im Lauf der Christianisierung entstanden überall in den Fürstentümern der Rus Kirchen, Klosterlabyrinthe und geheime unterirdische Räume. Das Christentum, ursprünglich die Religion der Verfolgten, nahm in Russland ebenfalls seinen Anfang in den dunklen Welten der Katakomben. Die Labyrinthe des >>Kiewer Typs<< waren im Vergleich zu anderen russischen (bzw. heute ukrainischen oder weißrussischen) Städten sehr ausgedehnt und verzweigt. Da sie in einem trockenen und festen Grund gegraben werden konnten, mussten sie fast nie mit Steinen oder Ziegeln ausgebaut werden. N ach ihrem Beispiel errichtete man später ganze unterirdische Siedlungen. Bekannt sind die Klostersiedlungen in Swjatogorje und Diwnogorje am Mittellauf des Don, in der Nähe der Stadt Tschernigow, in der Umgebung der
Stadtansicht von Weliki Nowgorod, Stich aus dem Jahr 1656. Auch dort wurden schon früh unterirdische Gänge ausgehoben.
Stadt Oskol sowie bei Lubny (alle in der heute unabhängigen Ukraine). Einen anderen Charakter hatten geheime unterirdische Anlagen in Nordwestrussland (Pskow, Nowgorod, Wologda). Gänge verbanden Fürstenresidenzen und Kirchen miteinander, dienten aber oft auch zur Wasserversorgung der Festungen oder als Ausfallwege für Soldaten bei Belagerungen. In der Gegend um Kiew und in Südwestrussland war die Existenz der Labyrinthe weitestgehend bekannt, im Nordwesten wurde sie von Beginn an geheim gehalten. Dem im 13. Jahrhundert erfolgenden Ansturm ostasiatischer Stämme war die Kiewer Rus nicht gewachsen. Fast ein Vierteljahrtausend sollte der russische Staat unter der Herrschaft der >> Goldenen Horde «5 stehen, deren Khane in Sarai an der unteren Wolga residierten. In dieser Zeit, die von der russischen Geschichtsschreibung als>> Tatarenjoch« bezeichnet wird, spielten viele der unterirdischen Anlagen eine wichtige Rolle. Dort brachten die Fürsten der Rus Schätze, Waffen und
Munition vor den mongolisch-tatarischen Besatzern in Sicherheit. Nach dem Fall von Kiew verschob sich das Zentrum des russischen Reiches nach Osten. Der Metropolit, der bis 1229 noch in den Trümmern von Kiew gehaust hatte, verlegte seinen Sitz zunächst nach Wladimir. 1328 übertrug der Tatarenkhan Usbek dem Moskauer Fürsten Iwan- wahrscheinlich weil dieser gut dafür zahlte- den Großfürstentitel von Wladimir. Als Iwan Kalita (1283-1341) begründete er das Moskauer Großfürstentum und setzte die Vorherrschaft Moskaus über Russland durch. Jegors Digger-Freunde in Moskau kamen nicht zur Ruhe. Nach dem Verhör eines Freundes von ihm durch den FSB traf dieses Schicksal nun noch einen weiteren Bekannten. Mittlerweile ahnte Jegor die Ursache für die Nervosität des Geheimdienstes. Mitte 2006 kamen beim Abriss des riesigen Hotels >>Rossija«, gleich gegenüber dem Kreml, Gänge zum Vorschein, die möglicherweise Teil des geheimnisumwitterten unterirdischen 31
Bei Abrissarbeiten am Hotel »Rassija« nahe dem Kreml stieß man 2006 auf unterirdische Gänge. Schnell wurde die Baustelle abgeriegelt.
Blick über den Kreml und den Roten Platz. ln der Bildmitte ist das lenin·Mausoleum zu sehen.
Netzes aus der Sowjetzeit sind. Der FSB war sofort zur Stelle, um die Absicherung zu übernehmen . Der Bauherr des neuen Hotel komplexes, das anstelle des >> Rossija « entsteht, erklärte gegenüber der Presse: »Einige Leute in Zivil haben meinen Arbeitern den Zugang zu einem Teil der Baustelle verwehrt.« 6 Infolge der Entdeckungen unter dem Hotel »Rossija« befragte der Geheimdienst auch einige Moskauer Journalisten, die über ein geheimes Straßen- und Tunnelsystem unter Moskau spekuliert hatten. Außerdem hatte ein Digger in einem Internet-Forum über verschiedene Einstiege in die Unterwelt nahe dem Kreml berichtet. Nun hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass die Digger-Szene stärker unter Kontrolle gebracht werden sollte. Die Sensibilität der russischen Sicherheitskräfte ist verständlich. Im Kreml, von wo aus früher die Zaren und später die Parteiführer der KPdSU regierten, haben heute die Präsidenten der Russischen Föderation ihren Sitz. Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn in nur 300 Meter Entfernung vom Weißen Haus in Washington Versuche unternommen würden, in die unteren Etagen des Präsidentensitzes zu gelangen. Der Kreml ist das Herzstück Russlands. Der Moskauer Stadtgründer, J uri Dolgoruki (deutsch: J uri Langhand, 1090-1157), ließ ihn 1156 errichten. Die hölzernen Verteidigungsanlagen des ersten Moskauer Kremls wurden aber durch häufige Brände regelmäßig zerstört. Während der Regierungszeit von Großfürst Dmitri Donskoi (1350-1389) entstand in den Jahren
1366 bis 1368 der steinerne Kreml. Die Chroniken erwähnen zwar keinerlei unterirdische Anlagen, aber der Kreml, der auf einem hohen und wasserlosen Hügel stand, hatte gewiss schon in früher Zeit Wassertunnel zu den Flüssen Neglinnaja und Moskwa. Kreml, zu Deutsch Festung, gibt es in allen größeren russischen Städten, die im Mittelalter gegründet wurden. Der Moskauer Kreml aber, in dem das russische Staatsoberhaupt residiert, ist legendenumwoben wie kaum ein anderes Bauwerk in der Welt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein dienten die unterirdischen Anlagen des Kremls nicht nur der Wasserversorgung, sondern auch der geheimen Versorgung mit Waffen oder Munition und als Verlies für Gefangene. Seit 1991 gibt es außerdem ernstzunehmende Hinweise und Anzeichen, dass völlig abgeschottet von der Außenwelt unter dem Kreml eine geheime Metrostation und ein tief gelegener Bunker existieren.7 Im Mittelalter gelangte die Meisterschaft unterirdischer Baukunst auf zwei Wegen nach Moskau: aus den nordwestlichen Fürstentümern der Rus sowie aus der Kiewer Rus im Süden des Landes. In der weiteren Umgebung Moskaus findet man ebenfalls viele Städte mit unterirdischen, geheimen Anlagen: In Tula und Kolomna gibt es zum Beispiel unterirdische Festungsanlagen und in Twer Gänge unter Kirchen. Vor allem der als » Tatarenbezwinger << in die russische Geschichte eingegangene Großfürst Iwan III. (1440-1505) ließ zielgerichtet und im großen Maßstab
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Der Spasski-Turm ist einer von 20 Türmen der Kreml-Befestigung, die am Ende des 15. Jahrhunderts erbaut wurden.
Die Historikerin Taisija Belousowa veröffentlichte 1997 einen Plan, in dem unterirdische Ausfallgänge aus dem Kreml verzeichnet sind.
unter der Erde bauen.8 Der Moskauer Kreml wurde in seiner Ära in eine Festung verwandelt, die Feuer oder Wasser standhalten sollte. Jetzt gab es Steinmauern und 20 zwischen 1485 und 1495 erbaute Türme. Diese Befestigungsanlagen machten den Kreml zu einer mächtigen Burg. Innerhalb der Mauern verbanden unterirdische Gänge einzelne Türme miteinander, in deren Keller sich Zisternen befanden. Damit Belagerer keine Tunnel graben und Sprengsätze dort deponieren konnten, wurden zahlreiche Horchgänge angelegt, die später als Kerker dienten. Aber auch in diesem Fall fehlen schriftliche Quellen. Nur ein kleiner Personenkreis kannte die unterirdischen Geheimnisse der Moskauer Festung.9 Anfang des 17. Jahrhundert gab es im Kreml über 20 Straßen und zehn Plätze. Seine heutige Gestalt erhielt der Kreml im Zuge des Wiederaufbaus nach dem >>Va-
terländischen Krieg<< gegen Napoleons Truppen im Jahr 1812. Bei Ausgrabungen gemachte Funde bestätigen den Auftrag von Iwan III., unterirdische Anlagen unter der Zitadelle einzurichten.10 Der russische Herrscher lud italienische Baumeister nach Russland ein, da er über seine Frau Sophia, eine Nichte des vorletzten byzantinischen Kaisers Johannes XIII. Paläologos, von der Unbezwingbarkeit der Festungen in Italien gehört hatte. Die Italiener sollten die Residenz nach den Regeln der Festungsbaukunst jener Zeit gestalten. Einige der damals entstandenen unterirdischen Anlagen haben heute noch Bestand: Tunnel für Ausfälle gegen Belagerer, Wasserversorgungsanlagen, Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden, Kammern für die Aufbewahrung des Staatsschatzes sowie Munitions- und Lebensmitteldepots. 33
Bei Ausgrabungsarbeiten legte man Reste der mittelalterlichen Moskauer Stadtbefestigung frei. Sie sind heute im Büro- und Geschäftszentrum »Romanow Dworez« (oben) und im Archäologischen Museum (unten) zu besichtigen.
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Die unter dem Kreml entstandenen Tunnel und Gewölbe dienten also nicht nur Verteidigungszwecken. Die angehäuften Schätze der Großfürsten sollten nicht zuletzt vor Feuersbrünsten geschützt werden. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass es die sagenhafte Bibliothek Iwans IV. (1530-1584), genannt >>der Schreckliche«, wirklich gegeben habe. Wo sonst, wenn nicht unter dem Kreml, hätte man sie sicher aufbewahren können? Die Bibliothek soll wertvollste Bücher umfasst haben, die Sophia Paläologos aus Konstantinopel als Morgengabe nach Moskau mitbrachte, als sie den Großfürsten Iwan III. heiratete, sowie Bücher, die später Iwan der Schreckliche selbst gesammelt hatte. Einige russische Historiker glauben, dass die Sammlung irgendwann aufgelöst und in verschiedenen Klosterbibliotheken untergebracht worden sei. Andere wiederum mutmaßen, sie sei verbrannt. Eine dritte Gruppe ist der Meinung, die Bibliothek lagere noch in einem geheimen unterirdischen Versteck. Vermutet wird sie an verschiedenen Orten im Untergrund: in Alexandrowskaja Sloboda, der ehemaligen Residenz Iwans IV. im Gebiet Wladimir, 11 im Kyrillo-Belooserski-Kioster bei Wologda oder eben unter dem Moskauer Kreml. Als Stalin dort residierte, gestattete er 1933 dem Archäologen Ignati Jakowiewirsch Stelezki, nach dieser Bibliothek zu graben. Dessen Suche blieb aber ohne Erfolg, nicht zuletzt, weil man ihm die Fortführung seiner Arbeiten untersagte, nachdem er auf zahlreiche Gänge und Räume unterhalb des russischen Machtzentrums gestoßen war. 12 Iwan der Schreckliche, der erste Moskauer Großfürst, der sich auch zum Zaren krönen ließ, 13 machte Russland in den Auseinandersetzungen um das Erbe der >> Goldenen Horde « zum eurasischen Großreich. Unter ihm wurden in Moskau in einem bis dahin nicht da gewesenen Umfang unterirdische Anlagen gebaut. Das geschah nun nicht mehr durch italienische, sondern durch russische Baumeister. Zar Iwan IV. hat sich im wahrsten Sinne des Wortes in die Erde eingegraben. Vom Opritschnaja-Palast, 14 wo die berüchtigte Leibgarde Iwans IV. ihren Sitz hatte, führten unterirdische Gänge zum Kreml und weiter aus der Stadt Moskau heraus. Ihre Reste entdeckte man zu verschiedenen Gelegenheiten: beim Abriss oder Neubau von Häusern, bei Straßenbauarbeiten und schließlich beim Bau der Moskauer Metro. Iwan IV. fürchtete Aufstände von Bauern genauso wie Angriffe des Adels, also der Bojaren. Nur in den
Iwan IV. besaß eine sagenhafte Bibliothek, die verschollen ist. Historiker vermuten sie in einem geheimen unterirdischen Versteck.
geheimen Kammern seiner Paläste fühlte er sich sicher. Er schien in seiner beispiellosen Brutalität selbst finsteren Unterwelten entstiegen. Nachdem er als 17-Jähriger 1547 zum Zaren gekrönt worden war, erneuerte er Russland mit eiserner Hand. Er gründete das erste russische Parlament und reformierte die Gesetzgebung sowie das Heer. Parallel dazu überzog er das ganze Land mit einem Terror bislang unbekannten Ausmaßes. Vor 35
Bei Ausgrabungen im Alexandergarten in den 70er Jahren stieß man auf alte Stadtbefestigungsanlagen und unterirdische Gänge.
allem die >> Üpritschniki «, seine Geheimpolizei, war gefürchtet. Die Gewaltherrschaft traf nicht nur seine Feinde, sondern auch die eigene Familie - in einem Wutanfall erschlug er seinen Lieblingssohn Iwan. Überall im Land wurden Menschen grundlos verfolgt, gefoltert und getötet. In seinem Drang zur Alleinherrschaft ließ er ganze Familien hinschlachten. Den Angehörigen der Bestraften warf man die abgeschlagenen Köpfe ihrer Verwandten vor die Füße. Die Zahl der von dem sadistischen Zaren eigenhändig Ermordeten wird auf mehr als 4500 geschätzt.15 Das Interesse des misstrauischen Zaren an unterirdischen Bauten machte Schule. Iwans Vertraute verbanden so ihre Moskauer Residenzen mit dem Kreml. Maljura Skuratow, der oberste Henker des Zaren, ließ seine Wohnsitze in Moskau regelrecht unterhöhlen.
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Von seinem Haus an der Soljanka führte ein Gang zum Fluss Moskwa. Die Soljanka-Straße im Moskauer Zentrumsbezirk Kitai Gorod bot immer wieder Anlass zu Spekulationen über unterirdische Gänge von enormen Ausmaßen. 16 Im Jahr 2001 wurden sie endgültig bestätigt. Als die Straße im Zuge von Bauarbeiten aufgerissen wurde, sahen die Passanten zu ihrer Überraschung nicht nur Gänge, sondern breite Fahrstraßen für schwere Lastkraftwagen, die zu einem bis heute bestehenden, unterirdischen Straßensystem gehören. Ihre Neugierde konnten die Schaulustigen nur kurz befriedigen. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Baustelle weiträumig abgesperrt und die Straßenbauarbeiten unter strikter Geheimhaltung fortgesetzt, ähnlich wie fünf Jahre später beim Hotel >>Rossija «.
Auf dem Weg zur europäischen Großmacht
Russlands »Neues Jerusalem« In Anbetracht der Beunruhigung in der Moskauer Digger-Szene konzentrierte sich Jegors und mein Ehrgeiz darauf, zunächst unterirdische Anlagen in Moskaus Umgebung in Erfahrung zu bringen, die am Beginn der Neuzeit entstanden sind. Bei der Beschäftigung mit dieser Epoche, so unsere Annahme, war eine Einmischung der staatlichen Geheimnisschürzer kaum zu erwarten. Nikita Minon, der berühmteste Mönch der russischen Geschichte, der es bis zur Patriarchenwürde brachte, ließ Mitte des 17. Jahrhunderts unweit von Moskau unterirdische Kirchenräume ausheben. Diese Kirche, die man noch heute über eine in die Tiefe führende Steintreppe erreicht, ist Bestandteil und zugleich Mittelpunkt einer Klosteranlage im heutigen Moskauer Oblast (Bezirk) . In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts stieß man im Kloster auf einen Tunnel, der die Zelle des Patriarchen und die Hauptkathedrale miteinander verband.1
Unscheinbarer Eingang zur unterirdischen Kapelle des Klosters, das im 17. Jah rhundert entstand.
Als ich das Kloster das erste Mal besuchte, traf ich auf eine et\va 80-Jährige, die im kleinen Laden, der zum Kloster gehört, Kerzen verkaufte. Die alte Frau hilft den Mönchen seit den 90er Jahren bei der Bewirtschaftung, nachdem das Kloster wieder seiner Bestimmung zugeführt wurde. »Es kommen wenige Ausländer zu uns, früher war das anders «, klagte sie schwerverständlich aus fast zahnlosem Munde. Mit >> früher<<meinte sie die Sowjetzeit, als hier ein Museum untergebracht war und ihrer Meinung nach sowieso alles besser gewesen sei.
Kirche unter der Kirche in >>Neu·Jerusalem«. Bei Moskau sollte ein Stück des heiligen Landes kopiert werden.
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Hauptkathedrale des Klosters »Neues Jerusalem«.
Nachdem ich ihr ein paar Kerzen abgekauft hatte, entging ich nur mühsam ihrem Versuch, mir die gesamte Familiengeschichte zu erzählen. Ihrer innigen Umarmung entkam ich aber nicht. Mit den Worten >> Viel Glück, mein Söhnchen! << und dem Wunsch, dass der Allmächtige mich immer und aufallmeinen Wegen beschützen möge sowie einem wohl in diesem Zusammenhang etwas unpassendem, gleichwohl aber überaus herzlichem >> Druschba! << (Freundschaft! ) gab sie mich wieder frei. Als N ikita Minon 1656 begann, ein Kloster mit einer unterirdischen Kirche erbauen zu lassen, wollte er bei Moskau ein Stück des Heiligen Landes kopieren. Einige Dörfer, Hügel und Täler des Moskauer Gebietes wurden entsprechend dieser Konzeption umbenannt. Der
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Fluss Istra, an dem das Kloster liegt, wurde so zum Jordan. Das Kloster selbst erhielt den Namen >>NeuJerusalem << (N owo-jerusalimski monastyr) oder auch >> Russisches Palästina << . Neu-Jerusalem ist eines der schönsten russischen Klöster. In die Kirchengeschichte ging Nikita Minon unter dem Namen Nikon ein. Er entstammte einer Bauernfamilie, wurde Mönch im Solowezki-Kioster auf der gleichnamigen Insel im Weißen Meer und stieg dank seiner Intelligenz und seines Machtstrebens rasch in der orthodoxen Kirche auf. Als er schließlich 1649 Metropolit von Nowgorod wurde, konnte ihn niemand mehr aufhalten. Im Jahr 1652 wurde Nikon zum >>Heiligen Patriarchen von Moskau und ganz Russland<
Nikon, einflussreich und mächtig geworden, begnügte sich bald nicht mehr mit der Rolle des Kirchenfürsten und Oberhauptes der russischen Orthodoxie. Auf dem Gipfel seiner Macht, die sich nicht zuletzt auf den gewaltigen materiellen Reichtum seiner Kirche gründete, spielte Nikon eine ähnliche Rolle wie Kardinal Richelieu in Frankreich- als einflussreiche Graue Eminenz der Politik. Im Zentrum seines Wirkens stand die Reformierung der orthodoxen russischen Kirche, um in allen Landesteilen eine einheitliche Kirche mit griechischer Liturgie zu schaffen. Doch als sich der Patriarch selbst gegen den Zaren aufzulehnen begann, fiel er in Ungnade und wurde verbannt. Erst sein Leichnam kehrte nach Neu-Jerusalem zurück und hat dort seine letzte Ruhestätte gefunden. Nikons Kirchenreformen hatten trotz der religiösen und sozialen Erschütterungen, die sie auslösten, Bestand, wenngleich es noch heute neben der RussischOrthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats die konservative Russisch-Orthodoxe Kirche der Altgläubigen mit etwa einer halben Million Angehörigen gibt. Die Jahre, in denen Nikon Karriere machte, waren für Russland chaotische Jahre. Nach dem Tod Iwans IV. besetzten fremde Mächte (insbesondere Polen und Schweden) große Teile seines Territoriums bzw. lösten sie aus dem russischen Reich heraus, so zum Beispiel die heutige Ukraine - das sogenannte Kleinrussland - , Weißrussland und im Norden das Gebiet um Nowgorod. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts erholte sich das Moskauer Reich wieder und schüttelte in opferreichen Kriegen seine Besatzer ab. Wichtige Städte wie Kiew, Smolensk und Nowgorod kehrten in den Schoß Russlands zurück. Russland gewann allmählich wieder Gewicht in Europa. Nur kurz nach Nikons Tod, im Jahr 1689, bestieg Peter I. (1682-1725) aus dem Geschlecht der Romanows, der als Peter der Große in die Geschichte eingehen sollte, den Moskauer Zarenthron. Ab 1721 führte er wie alle seine Nachfolger den Titel >>Imperator« (Kaiser). Er tolerierte keinen Patriarchen mehr neben sich und ließ nach dem Vorbild der Lutheraner eine Synode bilden, um fortan die Russisch-Orthodoxe Kirche zu führen. Erst über 200 Jahre später, am 5. November 1917, wurde wieder ein Patriarch gewählt. 2 Trotz darauffolgender mehr als 70-jähriger kommunistischer Herrschaft ist der orthodoxe christliche Glabe tief im russischen Volk verwurzelt und wird auch >> der russischen Glaube« genannt.
Der sumpfige Untergrund von St. Petersburg In Moskau gibt es rund ein Dutzend sogenannter Digger-Klubs. In St. Petersburg, der zweitgrößten Stadt Russlands, ist das anders. Dort wagen sich nur Einzelne in den Untergrund der Stadt. Mit ihnen wollte ich Kontakt aufnehmen und fuhr vom Leningrader Bahnhof in Moskau in die Stadt an der Newa. Die Geschichte von St. Petersburg ist untrennbar mit Peter dem Großen verbunden. Unter ihm stieg Russland zur europäischen Großmacht auf, auch wenn er zu Lebzeiten umstritten war - zu radikal verletzte er religiöse und traditionelle Vorstellungen der Russen, zu fortschrittlich erschienen seine Neuerungen: In seiner Regierungszeit reformierte er die Verwaltung, das Militär, das Steuerwesen, die Schulen, die Kirche und die Wirtschaft. Oft waren die Reformen sprunghaft, nicht immer er-
Unter Peter dem Großen verlor Moskau an Bedeutung. St. Petersburg wurde 1712 neue russische Hauptstadt und blieb es bis 1918.
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St. Petarsburg wurde auf sumpAgem Untergrund errichtet. Die histo· rische Zeichnung zeigt Peter den Großen als Baumeister.
Dieses kleine Holzhaus wurde 1703 innerhalb von drei Tagen für den Zaren gebaut; heute ist es Teil eines Museums.
folgreich, doch er stellte Russland vollkommen »auf den Kopf«. Dabei ging es nicht nur um Äußerlichkeiten- so befahl er etwa den Bojaren, westliche Kleidung zu tragen und sich die Bärte abzuschneiden - , sondern um die grundlegende Neuausrichtung Russlands nach Westen, für die die Gründung von Sr. Petersburg im Jahr 1703 das Symbol schlechthin ist. Nur neun Jahre später wurde die junge Stadt zur Hauptstadt Russlands erhoben, was sie bis 1918 bleiben sollte. Erst Lenin zog mit seiner Regierung wieder nach Moskau zurück. Für Moskau, das Peter I. als Sinnbild des rückwärtsgewandten >> Erzrussischen « verachtete, bedeutete der Verlust des Hauptstadtstatus eine Zäsur. Die russischen Architekten wurden vom weiteren Aufbau Moskaus ferngehalten. Der Stadt wurde nur noch dann Aufmerksamkeit zuteil, wenn es kriegerische Ereignisse erforderten. Im Mündungsdelta der Newa in die Ostsee hingegen entstand das neue St. Petersburg, eine auf 44 Inseln mit 68 Kanälen und Flussarmen gelegene Stadt, die eine selten anzutreffende stilistische Geschlossenheit der Architektur auhveist. Ein Bekannter meines Moskauer Freundes Jegor namens Alexander gehört zu den wenigen Diggern in St. Petersburg. Er ist Student und absolviert gerade ein zweites Hochschulstudium, nachdem er bereits ein Geschichtsstudium abgeschlossen hat. Nichts Ungewöhnliches für junge Menschen in Russland. Seine Stadt, so erklärte er mir, sei für Untergrundgänger eher uninter-
essant: Im Vergleich zu Moskau, wo seit dem frühen Mittelalter im Untergrund Verteidigungs- und Schutzanlagen entstanden sind, fänden sich in Sr. Petersburg nur wenige unterirdische Bereiche. Selbstverständlich gebe es unter der Peter-und-Paui-Festung Katakomben, die einst als Gefängnis dienten/ und natürlich hätten einige Paläste der Adligen Kellergewölbe, in denen sich Kabale und Morde ereigneten. Aber dies ließe sich nicht mit der Moskauer >>Unterwelt« vergleichen, denn St. Petersburg, das >>Venedig des Nordens«, sei an dieser Stelle in erster Linie aus militärisch-strategischen Überlegungen heraus entstanden. Die Schlüsselstellung zwischen Ostsee und Ladogasee, zwischen den Einflussbereichen von Schweden und Russen habe den Standort der Festungs- und Hafenstadt Petersburg in einem unwirtlichen Sumpfgebiet bestimmt. Der vorwiegend sandige Boden liege knapp über dem Meeres- und Grundwasserspiegel. Nur ein ausgeklügeltes Drainagesystem halte ihn trocken und tragfähig. Aber statische Probleme, schloss Alexander, seien vorprogrammiert und selbst der Bau von Kellern vielerorts unmöglich. Eine Besonderheit bringt die sumpfige Lage der Stadt jedoch mit sich. Die St. Petersburger Metro ist aus diesem Grund die am tiefsten gelegene Untergrundbahn der Welt. Sie führt zwischen 50 und 75 Metern unter den sumpfigen Bodenschichten entlang, die tiefste Station (Admiralitejskaja), die sich derzeit im Bau befindet, liegt 102 Meter unter der Erde.4 Das Schienennetz der
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Metro in St. Petersburg ist bei weitem nicht so ausgedehnt wie das in Moskau, doch die Stationen sind nicht weniger beeindruckend. Jede Einzelne hat ihren eigenen Stil, von dem von Stalin bevorzugten >>Zuckerbäckerstil<< bis hin zu vornehmer Eleganz, vom Prunkvollen bis zur Sterilität. Besonders schön sind die Metrostationen auf der Linie 1 zwischen Kirowskij Sawod und Ploschtschad Wstanija. Geradezu rasant ist das Tempo der Rolltreppen. Als ich sie das erste Mal benutzte, war mir, als ob ich aufspringen müsste. Und wie überall, so bekommt man auch in St. Petersburg in der Mitte stehend ein unwirsches >>Na prawa !<< (Nach rechts !) zu hören, denn links stürzen die vorbei, denen die Treppe immer noch zu langsam ist. >>Für mich wäre es schon sehr interessant, die Metroschächte zu erkunden, um zu sehen, ob es in dieser Tiefe Luftschutzbunker gibt, die an das Metrosystem angeschlossen sind«, sagte Alexander und ergänzte: >>Seit dem Skandal von 2002 gibt es aber keine derartigen Versuche mehr.<< Er schaute mich an, als müsste ich wissen, um was es geht. Damals herrschte in Sr. Petersburger Sicherheitskreisen für wenige Minuten höchste Alarmstufe. Es war das Jahr, in dem tschetschenische Terroristen ein Moskauer Musicaltheater besetzt hatten, was viele Opfer kostete. Erst zwei Jahre zuvor waren bei einem Sprengstoffanschlag in einer Moskauer Metrostation acht Menschen ums Leben gekommen. An einem Novembertag des Jahres 2002 schließlich beobachteten Sicherheitskräfte der St. Petersburger Metro, wie zu Betriebsschluss drei Gestalten, die mit dem letzten Zug in der Station Lesnaja angekommen waren, in Gegenrichtung zu Fuß im Tunnel verschwanden. Dem umgehend informierten Inlandsgeheimdienst FSB gelang es, die drei Leute in kürzester Zeit festzunehmen . Doch das Verhör förderte keine Terrorabsichten zutage. Bei den verdächtigen Tunnelgängern handelte es sich um Digger aus Moskau, Tula und Minsk, die- bestens ausgerüstet mit Lampen, Seilen, Nachschlüsseln für Metrodiensträume sowie Video- und Fotokameras - Geheimnisse über die tiefsten Metrotunnel der Welt in Erfahrung bringen wollten.5 >>Seitdem<<, so Alexander, >>ist für Digger die Erkundung der St. Petersburger Unterwelt ganz schwierig geworden. Es ist schier unmöglich, sich nach Betriebsschluss noch unten in den Metrostationen aufzuhalten. Früher haben wir die Milizionäre und Sicherheitsleute der UBahn überlisten können. Heute ist die Bewachung einfach zu gut.<<
SI. Petarsburg wird häu~g auch als >>Venedig des Nordens« bezeichnet, da mehrere Kanäle und Flüsse die Stadt durchziehen.
Katakomben unter der Peter·und-Paui·Festung (Petropawlowskaja Kre· post) in St. Petersburg, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstand.
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Das verschollene Bernsteinzimmer In der russischen Exklave Kaliningrad, der ehemaligen ostpreußischen Hauptstadt Königsberg, sind Grabungen und Forschungen im Untergrund hingegen etwas Selbstverständliches. Seit Jahrzehnten wird unter der Stadt das Bernsteinzimmer vermutet. Zar Peter der Große brachte es 1716 aus Deutschland als Geschenk von Friedrich Wilhelm I. (1688-1740), dem legendären »Soldatenkönig<<, mit nach Hause. Friedrich Wilhelm trennte sich von dem Schatz aus dem Besitz seines Vaters nicht zuletzt, um sich der Bündnisgunst Russlands bei der Übernahme Pommerns durch BrandenburgPreußen zu versichern. Über 200 Jahre später, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, verschwand das Bernsteinzimmer spurlos. Befindet es sich unter dem ehemaligen Königsherger Schloss, dessen Ruine 1968 trotzder Proteste Kaiirringrader Studenten gesprengt wurde? Die Reise des Bernsteinzimmers glich von Beginn an einer Odyssee. Ursprünglich war das Bernsteinzimmer vom ersten preußischen König Friedrich I. (1667-1713) für seine Frau Sophie Charlotte als Bernsteintäfelung für eine Kammer im Schloss Charlottenburg bei Berlin (damals noch Schloss Lietzenburg) in Auftrag gegeben worden. Als die Täfelung fertig war, benötigte man sie für das Schloss schon nicht mehr. Schließlich fand sich aber ein neuer, repräsentativer Ort für die >>Tapete aus Bernstein<<: das Stadtschloss in Berlin. Sein Sohn schenkte es 1716 Zar Peter I. Das Bernsteinzimmer wurde in die neue russische Hauptstadt überführt, zunächst in einem Winterhaus und später, nach dessen Fertigstellung, im Winterpalais, eingebaut. Es erhielt unter Katharina II. (1729-1796), die den Beinamen »die Große<< bekam, schließlich sein endgültiges Aussehen sowie einen würdigen Platz in dem Schloss Versailles nachempfundenen Katharinen-Palast in Zarskoje Selo (Zarendorf) bei St. Petersburg. Katharina liebte das Bernsteinzimmer. Italienische Kunsthandwerker brauchten acht Jahre, um es in den vorgesehen Raum in der zweiten Etage, über dem Spiegelsaal des Schlosses, einzubauen. Da die Räume im Katharinen-Palast um ein Vielfaches größer waren als die im Schloss Charlottenburg, mussten viele Elemente neu angefertigt werden. Nach Fertigstellung der Arbeiten bestand das Bernsteinzimmer nur noch zum kleineren Teil aus der Originalsubstanz des Berliner Schlosses. Es erhielt unter Katharina II. sein endgültiges Aussehen 42
und wurde aufgrund seiner Pracht als »achtes Weltwunder<
Eine der wenigen erhalten gebliebenen Aufnahmen des Bernstein· zimmers in Zerskoje Selo vor dessen Verhringung nach Königsberg.
Mosaik und eine Kommode. Doch die Hoffnung, dass sich das Rätsel über den Verbleib des gesamten Zimmers nun bald lösen würde, erfüllte sich nicht. Die Teile waren schon vor dem Transport nach Königsberg beiseitegeschafft worden. Immer wieder gab es Gerüchte über unterirdische Verstecke. Das Zimmer wurde >> in schon so ziemlich jedem alten Stollen oder verschütteten Keller zwischen Kaliningrad und Berchtesgaden vermutet<<,6 schrieb eine deutsche Zeitung 1999. Zu diesem Zeitpunkt behauptete gerade ein Bürgermeister aus dem Erzgebirge, das »achte Weltwunder« sei im Fortunastollen bei Deutschneudorf versteckt. Erst 2008 feierte dieses Gerücht, garniert mit wildesten Verschwörungstheorien und medienwirksamen Bohr- und Grabungsversuchen, fröh liche Urständ.
Aber auch aus Kaliningrad gibt es bis zum heutigen Tag Meldungen zum Verbleib des Kunstwerkes. Ende 2006 sind Archäologen bei Ausgrabungsarbeiten in den Kellern des ehemaligen Stadtschlosses auf einen Geheimgang gestoßen. Der Kaliningrader Historiker Sergej Trifonow ist davon überzeugt, dass das Bernsteinzimmer und andere Kunstschätze in einem dieser geheimnisvollen unterirdischen Tunnel zwischen Schloss und Dominsel liegen. Der 2006 entdeckte Tunnel stammt wahrscheinlich aus dem späten 14. Jahrhundert. Als Versteck, so Trifonow, sei der Tunnel sehr gut geeignet: »Dort unten herrschen konstante Temperaturen um zwei Grad plus, ideal für die Lagerung von Bernstein.<<7 Der Schatz selbst indes wurde bisher noch nicht gefunden. Geschichten wie diese halten den Mythos um das Bernsteinzimmer jedoch am Leben, denn
Ausgrabungsarbeiten unter dem ehemaligen Königsberger Schloss: Auch hier vermutete man das nach dem Krieg verschollene Bernsteinzimmer.
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fast jede neue Baustelle in Kaliningrad öffnet Blicke auf unbekannte Fundamente. Die Topographie der ehemaligen Hauptstadt von Ostpreußen, im Krieg zerbombt und zu sowjetischer Zeit fast eingeebnet, taucht heute langsam wieder auf. Dass mit den alten Fundamenten vielleicht doch noch der Bernsteinschatz zum Vorschein kommt, will offiziell niemand ausschließen. Ich hielt mich eine Woche in Kaliningrad auf, sprach mit Archäologen, Historikern und traf dort ebenfalls auf Freunde aus Jegors Digger-Netz. Den Optimismus von Sergej Trifonow teilen allerdings wenige: >>Wir haben unter dem ehemaligen Schloss mittlerweile alle Gänge durchsucht, in die wir gelangen konnten<<, so Pawel Petrowitsch vom Museum für Geschichte der Stadt. >>Gefunden haben wir allerlei Gegenstände, aber
keinen Bernstein. Wir wissen nicht, ob es Sinn hat, weiter in die Tiefe zu gehen, und wir vermuten, dass die Deutschen alles in Sicherheit bringen konnten.<< Eine originalgetreue Kopie des Bernsteinzimmers kann indes seit 2003 wieder an historischer Stelle, in Zarskoje Selo, besichtigt werden. Wie das Original ist auch die Kopie ein Geschenk aus Deutschland, diesmal aber nicht im Austausch gegen Ländereien oder gegen >>lange Kerls << . Im 21. Jahrhundert geht es um Energie. Die E.ON Ruhrgas AG, im Russlandgeschäft gut vertreten, unterstützte im Rahmen eines Sponsoring-Abkommens mit dem russischen Kulturministerium und dem staatlichen Museum Zarskoje Selo mit 3,5 Millionen Dollar die originalgetreue Rekonstruktion des Kunstwerks.
Seit 2003 ist im Katharinen·Palast von Zerskoje Selo eine originalgetreue Kopie des Bernsteinzimmers zu besichtigen.
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Die Katakomben von Odessa und Wasserversorgungstunnel Was unter Peter dem Großen begann und nach dessen frühem Tod im Jahr 1725 unter den nachfolgenden sechs Kaiserinnen und Kaisern zunächst ins Stocken geriet, setzte Katharina II. mit enormer Energie fort: den Aufstieg Russlands zur Großmacht. Russland, dessen Territorium sich durch die dritte Teilung Polens (1795) und infolge des Krieges gegen das Osmanische Reich (1787-1792) vergrößerte, wurde ein absolutistischer Staat. 1794 ließ Katharina auf den Resten einer türkischen Festungsanlage am Schwarzen Meer die Hafenstadt
Odessa (in der heutigen Ukraine) gründen. Der Abbau von Muschelkalk, der für den Bau der Stadt benötigt wurde, führte zur Entstehung eines ausgedehnten Systems unterirdischer Katakomben, das noch heute besteht und ein kilometerlanges unterirdisches Labyrinth bildet. Dieser Untergrund diente im Lauf der Geschichte als Versammlungsort für Freimaurer und Revolutionäre, aber auch als Unterschlupf für Obdachlose oder sogar für gesuchte Verbrecher. Im Zweiten Weltkrieg führten Partisanen aus den Katakomben heraus einen erbitterten Widerstandskampf gegen die rumänische Besatzung der Stadt, die von Oktober 1941 bis April 1944 dauerte. Unter Karharina der Großen wurde das erste große unterirdische Tunnelobjekt zur Wasserversorgung rea-
Unter der von Katharina der Großen gegründeten Hafenstadt Odessa (heute Ukraine) existiert ein ausgedehntes Katakombensystem.
Wandzeichnung in den Katakomben von Odessa, wo sich während des Zweiten Weltkriegs Partisanen verschanzt hielten.
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Der prachtvoll gestaltete Sarkophag Katharina II., der sich in der Peter-und-Paui-Kathedrale befindet.
Das 45 Kilometer von St. Petarsburg entfernt gelegene Schloss Gatschina schenkte Katharina einem ihrer Favoriten.
Vom Kellergeschoss in Schloss Gelschina führt ein unterirdischer Gang in den Park.
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lisiert. Sie ließ Ende des 18. Jahrhunderts einen Wasserleitungstunnel graben. Er sollte die Sommerresidenz Zarskoje Selo mit Wasser aus Quellen eines nahegelegenen Guts versorgen. Der Tunnel beförderte das Wasser in einer Tiefe von zehn bis 15 Metern unter Ausnutzung eines zu diesem Zwecke angelegten Gefälles in den Sommersitz der Kaiserin. Die Verwirklichung eines ersten Wasserversorgungsprojekts für Moskau fällt gleichfalls in die Herrschaftszeit der Kaiserin. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte die Stadt bereits 200 000 Einwohner. Die Wasserversorgung und die hygienischen Bedingungen aber waren katastrophal. Die Stadt drohteameigenen Gestank zu ersticken. Fäkalien flossen die Gehsteige entlang, aber auch die Anzahl der Wasserbrunnen entsprach nicht den Anforderungen an eine immer weiter wachsende Stadt. Nach vielen Beschwerden ordnete Katharina II. im Jahr 1779 an: >>Generalleutnant Bauer hat die Wasserarbeiten zum Nutzen unserer Siedlungsburg Moskau durchzuführen.«8 Der Deutsche Friedrich-Wilhelm von Bauer (17311783) diente der Kaiserin in St. Petersburg als Generalingenieur_ Für Moskau plante er nach Vermessung der Stadtumgebung ein ehrgeiziges Projekt: Am Oberlauf der Jausa wurde Flusswasser entnommen und durch einen unterirdischen Kanal aus Ziegeln mittels eines künstlich hergestellten Gefälles über eine Länge von 22 Kilometern in die Stadtmitte geleitet. Die Höhendifferenz betrug insgesamt sechs Meter, die Leitung verlief in einer Tiefe von bis zu 19 Metern. Weder Katharina noch Generalingenieur FriedrichWilhelm von Bauer erlebten den Abschluss der Arbeiten. Die Wasserleitung aber wurde 1804 mit einer maximalen Tagesleistung von 4300 Kubikmetern erfolgreich in Betrieb genommen.9 Bekanntlich ging Katharina II. auch durch eine Vielzahl amouröser Abenteuer in die Geschichte ein. Meist belohnte sie ihre Liebhaber im wahrsten Sinne fürstlich: So erhielt zum Beispiel der von ihr zum Generalfeldzeugmeister beförderte Grigori Grigorjewitsch Orlow nicht nur für seine >>Verdienste<< beim Sturz von Peter III. das unweit von Petersburg befindliche Schloss Gatschina, das praktischerweise für stille Schäferstündchen über einen Tunnel vom Garten bis direkt in die Gemächer der Kaiserin verfügt. Zum Tunnel gelangt man durch eine unscheinbare Tür. Der unterirdische Gewölbegang ist gut erhalten und trocken. Seine Länge beträgt ungefähr 100 Meter.
Stadterneuerung im Zeichen der Industrialisierung Moskaus verbannte Flüsse Wie ganz Europa wurde auch Russland zu Beginn des 19. Jahrhunderts von den Armeen Napoleons heimgesucht. Im Juni 1812 begann Napoleon den Krieg gegen Russland. Seine Hoffnung, dass sich die Armeen von Zar Alexander I. (1777-1825) rasch einer Entscheidungsschlacht stellen würden, erfüllte sich nicht. Immer tiefer lockten die zurückweichenden russischen Generäle die napoleonischen Truppen in die Weite des Riesenreiches. Die wenigen, verlustreichen Schlachten brachten keine Entscheidung. Am 15. September 1812 zog Napoleon schließlich mit seiner erschöpften Armee in Moskau ein. Der Großteil der Einwohner hatte die Stadt bereits verlassen. Am Folgetag ging Moskau in Flammen auf. Die Russen selbst hatten Moskau angezündet, um den Besatzern das Winterquartier zu rauben. Für Napoleon bedeutete dies den Anfang vom Ende. Am 18. Oktober 1812 begann seine Armee notgedrungen mit dem Rückzug, und fast auf den Tag genau ein Jahr später wurde er in der Völkerschlacht bei Leipzig durch die alliierten Armeen vernichtend geschlagen. Nach dem Krieg wurde der Architekt Ossip Iwanowitsch Bowe mit der Neuplanung und dem Wiederaufbau der Stadt beauftragt. Moskau veränderte sich radikal. Wie es einmal aussah, ist heute nur noch an wenigen Stellen nachzuvollziehen. Bis 1817 prägte neben der Moskwa die Neglinnaja (umgangssprachlich: Neglinka), die unweit der Kreml-Mauern durch die Innenstadt floss, das Stadtbild. Die Schmiede-Brücke (Kusnezki Most) verband beide Ufer. 10 Allerdings soll der Fluss wegen starker Versehrnutzung und beginnender Versumpfung buchstäblich zum Himmel gestunken haben.U Im Zuge der Stadtsanierung verschwanden die Neglinka, aber auch andere kleinere Flüsse wie die Schuscha im Moskauer Oblast, im Untergrund. Sie wurden verrohrt. Über der Neglinka entstand der Alexandergarten,12 der sich direkt an die Kreml-Mauer anschließt. An einigen Stellen fließt sie heute wieder oberirdisch. Als der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow 1994 den Manege-Platz im Alexandergarten restaurieren ließ, wurden Springbrunnen angelegt, welche die Wasser der Neglinka hier wieder zum Vorschein brachten.
Der Fluss Neglinnajo (Neglinko) wurde beim Wiederaufbau Moskaus noch dem Stadtbrand von 1812 in den Untergrund verlegt.
Gewölbe aus Ziegelsteinen: Die Neglinko fließt in unmiHelborer Nähe des Kremls auch unter dem Alexandergarten hindurch.
Der Springbrunnen an der Manege wird aus der unterirdischen Neglinka gespeist.
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Kanalisation unter Samara, das 1851 zur Gouvernementshauptstadt erhoben wurde.
Kanalisationstunnel im Stadtbezirk Piwsawod (Brauerei) in Samara, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde.
Die ersten Kanalisations- und Regenwassertunnel
unter Zar Alexander II. (1818-1881) im Jahr 1861. In Österreich war die Leibeigenschaft bereits 1781, in Preußen 1799 aufgehoben worden. Die Industrialisierung Russlands, und damit verbunden auch eine neue Etappe der unterirdischen Bautätigkeit, begann Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts. Die Großstädte wuchsen, und die Ansprüche an die Infrastruktur nahmen zu. Moskau war die erste Großstadt des Imperiums, in der ein Kanalisationssystem für Abwasser gebaut wurde. Dieses System mit Pumpstationen und Filteranlagen entstand zwischen 1893 und 1898. Die Kanalisationstunnel waren ziegelummantelt und hatten eine lichte Höhe von bis zu 1,60 Meter. 13 In den Folgejahren wurden in mehreren Städten des russischen Reiches solche Tunnel geschaffen: in Kiew, Warschau, 14 Odessa, Samara und Rostow am Don.
Russland blieb im 19. Jahrhunden zunächst hinter der stürmischen Entwicklung in Mittel- und Westeuropa zurück. Die europäische industrielle Revolution, die um 1830 begann, erreichte das Land erst Jahrzehnte später. Autokratie und Leibeigenschaft wurden bis Mitte des 19. Jahrhunderts nicht in Frage gestellt. Mehr noch: Zar Nikolaus I. (1796-1856) betrieb, geschockt von einer Reihe von Putschen und Aufständen, eine eher restaurative Politik, die auf Bürokratisierung und Militarisierung setzte. Erst nach dem verlorenen Krimkrieg (1853-1856), den England und Frankreich ausgelöst hatten, um den russischen Einfluss auf dem Balkan zu beschränken, kam es zu Reformen. Die Wichtigste von ihnen war zweifellos die Aufhebung der Leibeigenschaft
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Ausgetrockneter Kanalisationstunnel in Samara; im Hintergrund ist eine Treppe zu sehen, die ans Tageslicht führt.
Die zur Museumsanlage »Panorama der Schlacht von Stalingrad« gehörige Ruine erinnert an die Kämpfe im Winter 1942/43.
Doch man baute nicht nur Abwasserkanäle, es entstanden zur Jahrhundertwende auch Anlagen zur Ableitung des Regenwassers, um Überschwemmungen der Straßen bei starkem Regen vorzubeugen. Einer der technisch anspruchvollsten und längsten Tunnel dieser Art, so hörte ich, soll angeblich 1903 in Zarizyn, dem späteren Stalin- bzw. Wolgograd, 15 ausgehoben worden sein und unter der gesamten Stadt entlangführen. Im Sommer 2006 fuhr ich von Moskau das erste Mal mit dem Zug in die Stadt an der Wolga. Keine andere russische Stadt hat so unter dem Vormarsch der Wehrmacht leiden müssen wie Wolgograd. Nirgendwo gab es so viele Opfer wie in der Stadt und ihrer Umgebung. Über 700 000 Menschen, Zivilisten wie Soldaten, kamen bei der Schlacht um Stalingrad (1942/43) ums Leben. Ein 29-jähriger Taxifahrer, der mich vom Bahnhof zum Museum >> Panorama der Schacht von Stalingrad<<
brachte, erzählte mir während der Fahrt unent\vegt von der Stalingrader Schlacht: >>Fünf Kilometer westlich von dieser Kreuzung begann die 23. Schützendivision der Roten Armee ihren Vorstoß<<, sagte er, als wir an der Ampel anhalten mussten. Mich verwunderte sowohl das Detailwissen als auch die Tatsache, dass ein junger Taxifahrer heute gegenüber einem Fremden die Schlacht von Stalingrad als so ausführliches Konversationsthema wählte. Aber vielleicht geschah es gerade deshalb, weil mein Russisch unüberhörbar von deutschem Akzent geprägt ist. Ich war mit Swetlana Argazewa, der stellvertretenden Direktorin des Museums >>Panorama der Schlacht von Stalingrad<<, verabredet. Von Moskau aus war nicht in Erfahrung zu bringen gewesen, ob der Einstieg in den berühmten Tunnel von 1903 überhaupt möglich ist. Der Direktorin eilte der Ruf voraus, eine der profun49
Eingang zum unterirdischen Regenwassertunnel in Wolgograd. Er diente während der Schlacht um Stalingrod der Roten Armee als Stabsquartier.
desten Kennerinnen der Geschichte von Wolgograd zu sein. Ihr Museum beherbergt das mit einer bemalten Fläche von 1000 Quadratmetern größte Gemälde Russlands: »Die Niederlage der faschistischen Truppen bei Stalingrad «. Swerlana arbeitet in einem kleinen, 15 Quadratmeter großen Büro. Aktenberge, Zeitschriften und Bücher türmen sich vor ihr auf, auf einem kleinen Tisch steht eine Kochplatte für den Kaffee. Als ich ankam, saßen auf drei Stühlen und einem alten Sessel eine etwa 85-jährige weißhaarige Frau sowie drei Veteranen der Stalingrader Schlacht. Damit war der Raum voll, ich drängte mich in eine Ecke. Selbst in diesem kleinen Zimmer war die Geschichte lebendig, die vier Pensionäre brauchten eine >>Sprawka« (Bescheinigung) darüber, dass dort, wo sie damals wie heute wohnten bzw. wohnen, 1942/43 Kampfhandlungen stattgefunden ha50
ben. Durch ein kommunales Gesetz aus dem Jahr 2006 kommen sie dann in den Genuss von 200 Rubel (etwa sechs Euro) mehr Rente. Außerdem müssen sie nur 50 Prozent der Kommunalabgaben zahlen. Swetlana geht in ihrer Arbeit auf. Sie diskutiert mit ihren Gästen, die eigentlich nichts anderes wollen als einen Zettel mit einem Stempel, leidenschaftlich Fronrverläufe. Bei den Wohnorten der drei Männer war sie sich sicher, bei dem Wohnort der Frau nicht. Die >>Sprawka« bekamen alle. Mit Tränen der Freude in den Augen verließ schließlich auch die weißhaarige Rentnerin das Büro. Swetlana Argazewa harte mir am Telefon bestätigt, dass Zarizyn Anfang des 20. Jahrhunderts untertunnelt worden sei. Sie selbst sei vor vielen Jahren einmal unter Tage gewesen. Ein Zugang zum Tunnel gebe es am Ufer der Wolga, an den zweiten Zugang könne sie sich nur
Ein zweiter Tunnelzugang zum Kanalisationssystems, am Ufer der Wolga gelegen, ist inzwischen durch illegale Bauarbeiten zugeschüttet worden.
noch bruchstückhaft erinnern. Wir begannen gemeinsam mit der Suche nach diesem Eingang, der sich in der Nähe eines Bahndammes befinden sollte. Zwei Stunden lang umkreisten wir förmlich die vermutete Stelle hinter einer abgelegenen Garagensiedlung. Als wir schon aufgeben wollten, trafen wir auf ein obdachloses Paar, das sich nahe dem Bahndamm im Gestrüpp eine Art Waldhaus gebaut hatte. In ihrer unnachahmlichen Art sprach Swetlana die beiden gestikulierend an, erzählte, ohne sie zunächst auch nur zu Wort kommen zu lassen, von der architektonischen Beschaffenheit des Tunnels und davon, dass dort im Untergrund 1942/43 sogar ein Divisionsstab der Roten Armee sein Hauptquartier gehabt habe. Die beiden verwahrlosten Gestalten verstanden nicht viel von der Erzählung, beim Wort >>Tunnel<< aber wie-
sensie wortlos auf eine Böschung in 150 Meter Entfernung. Durchs Gestrüpp arbeiteten wir uns vorwärts . Dann sahen wir ein mächtiges, übermannshohes Portal: den Eingang zum Tunnel. Ausgerüstet mit Lampen und dem notwendigen Gerät tasteten wir uns vorwärts. Der Tunnel, ein solider Ziegelsteinbau, schien weitestgehend intakt zu sein, es gab keine Einbrüche. Dennoch gelang es uns nicht, weiter als 500 Meter in den Stollen vorzudringen. Das Wasser, das uns zunächst nur bis zu den Knöcheln reichte, stand hier schon kniehoch. Und die Tunnelratten zeigten immer weniger Scheu. Wir beschlossen, einen weiteren Erkundungsversuch vom zweiten Eingang aus zu unternehmen, den Swetlana in Ufernähe der Wolga kannte. Aber schon vom Auto aus mussten wir angesichts einer riesigen neu aufgeschütteten Fläche erkennen, dass dieser Zugang leider 51
ebenfalls ein Opfer zügelloser Bauwut und Wolgograd um ein Denkmal der besonderen Art ärmer geworden war. Zwar erfuhren wir später, dass die dortigen Bauarbeiten illegal seien, mochten aber nicht so recht glauben, dass der >> Investor « zur Rechenschaft gezogen werden würde. Resigniert bemerkte Swetlana: >>Dollarscheine in entsprechender Zahl haben eben eine größere Überzeugungskraft als manches Zeugnis unserer Geschichte.<<
Russischer Pioniergeist und das Ende der Monarchie Tunnelbauwerke auf der Transsibirischen Eisenbahnlinie bis J9 J7 Die topographischen Bedingungen und ein überwiegend kaltes und raues Klima ließen (und lassen) Tiefbauarbeiten in Russland zu einer besonderen Herausforderung werden. Gebirgsdurchbrüche und Tunnelbauten beim Bau von Eisenbahnstrecken waren und sind zwar auch in Russland die hohe Schule der Ingenieurwissenschaften, die erforderliche Vielzahl solcher Bauwerke hat jedoch dort bereits ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Herausbildung einer Schicht besonders erfahrener Spezialisten und Techniker geführt. Witali, ein Petersburger Universitätsprofessor für Anglistik, den ich auf einer Reise von Moskau nach St. Petersburg kennengelernt hatte, gehört nicht zu diesen Technikerkoryphäen. Sein Wissen über die russische Eisenbahn in Vergangenheit und Gegenwart ist jedoch von unglaublicher Fülle und phänomenaler Präzision. Hätte mir während mancher Eisenbahnreise in Russland nicht Witali zur Seite gestanden, wären mir viele aufschlussreiche Einblicke in die Russische Staatsbahn verwehrt geblieben. Ich behaupte, dass es keinen zweiten Menschen in Russland gibt, der so viel über Eisenbahnen weiß wie Witali. Es gibt keine Fahrkarte, die er nicht besorgen kann, und das ist eine fast übermenschliche Leistung beim hochbürokratischen Verkaufssystem auf russischen Bahnhöfen. Aus seinem Mund sprudeln minutengerrau die aktuellen Abfahrtszeiten der unterschiedlichsten Zugverbindungen im ganzen Land. Es gibt kaum eine Strecke, die er nicht kennt, kaum einen Tunnel, von dem er nichts zu berichten weiß, sei es im europäischen Teil Russlands oder im asiatischen. 52
Die erste russische Eisenbahnlinie wurde am 30. Oktober 1837 zwischen Sr. Petersburg und Zarskoje Selo in Betrieb genommen. Danach ging es mit der Verlegung eines Schienennetzes zunächst schleppend voran. 1847, zehn Jahre nach Inbetriebnahme der ersten russischen Eisenbahnlinie, existierten gerade einmal 381 Kilometer Bahnstrecke. 1851 wurde der Verkehr auf der sogenannten Nikolaibahn, der Strecke zwischen Sr. Petersburg und Moskau, aufgenommen. Die bekanntesten Tunnelbauten wurden erst ab den 50er Jahren gegraben bzw. gebohrt. Auf der zwischen 1852 und 1862 verlegten dritten russischen Eisenbahnstrecke zwischen St. Petersburg und Warschau entstanden auf litauischem Gebiet der Wilnaer Tunnel (Wilnisski tunnel) mit einer Länge von 427 Metern und der Kaunaser Tunnel (Kowenski tunnel) mit einer Länge von 1278 Metern.16 Ende des 19. Jahrhunderts begann der Bau von Eisenbahnlinien in den schwer zugänglichen Gebirgsgegenden des Kaukasus, auf der Halbinsel Krim und schließlich im Urat, in Sibirien und im Fernen Osten. In diesem Zeitraum wurden zur Überwindung des Hauptmassivs des Kaukasus von Tichoretschkaja nach Noworossisk zwei Tunnel mit Längen von 383 bzw. 1385 Metern gebohrt. Als Meisterwerk der Ingenieurtechnik gilt der knapp vier Kilometer lange zweigleisige Suramer Eisenbahntunnel auf der Strecke Poti- Tiflis (Tbilissi) in Georgien. Doch das ist nichts im Vergleich zu den Pionierleistungen beim Bau der Transsibirischen Eisenbahn (>>Transsib<<), sie und die Strecke selbst sind zu einer Legende geworden.
Kurierzug, der auf der StreckeSt. Petersburg-Moskau verkehrte, Aufnahme um 1900.
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Die Transsibirische Eisenbahn ist eines der kühnsten Bahnprojekte der Geschichte; Streckenverlauf auf einer Karte aus dem Jahr 1897.
Meine erste Fahrt mit der »Transsib « war zugleich meine längste Bahnfahrt überhaupt. Nachdem der Zug den Jaroslawler Bahnhof in Moskau verlassen hat, braucht er eine Woche, bevor er in Wladiwostok, am anderen Ende Russlands, ankommt. In jedem Waggon gibt es eine Schaffnerin, die die Geschicke in der Hand hält und heißen Tee zubereitet. Beim Halt auf den Durchgangsbahnhöfen warten Einheimische am Bahnsteig, um frische Pelmeni oder andere Spezialitäten der russischen Küche zu verkaufen. Die Körperhygiene ist das Einzige, was in dieser Woche zu kurz kam. Zum Duschen war ich auf einen schlichten Schlauch angewiesen, der im Toilettenabteil an die Armatur angeschlossen wird, ein kaltes und umständliches >> Vergnügen<<. Eisenbahnexperte Witali, der gleichfalls nach Wladiwostok fuhr, war wie immer und überall bestens vorbereitet. Neben der Baugeschichte der Tunnel, die größtenteils von Häftlingen und Soldaten gegraben wurden, erfuhr ich so gut wie alles über die Historie der »Transsib<<. Die Erschließung der Weiten Sibiriens und des Fernen Ostens war seit jeher ein russischer Traum. 1891 fiel unter Zar Alexander III. (1845-1894) die Entscheidung für
den Bau der Transsibirischen Eisenbahnlinie zwischen Moskau und Wladiwostok. Es waren politisch unruhige Zeiten. In Finnland, Polen, der Ukraine und dem Baltikum kam es zu schweren Unruhen gegen eine forcierte Russifizierungspolitik. Antisemitische Pogrome veranlassten Zehntausende Juden, nach Palästina oder in die USA auszuwandern. Der >>Kampfbund zur Befreiung der Arbeit<< von Wladimir Ilitsch Uljanow (18701924), der später unter dem Namen Lenin weltberühmt werden sollte, machte erstmals von sich reden. Parallel dazu gab es außenpolitische Ereignisse, die den Bau der Transsibirischen Eisenbahn direkt beeinflussen sollten: Russland besetzte 1897 den zu China gehörenden Hafen Port Arthur (Lüshun) auf der Halbinsel Liaotung, die zur südlichen Mandschurei gehört, und 1900 schließlich die gesamte Mandschurei. 1904 griff Japan in den russisch-chinesischen Konflikt ein. Mit dem japanischen Überfall auf das russisch besetzte Port Arthur begann am 9. Februar 1904 der russischjapanische Krieg um die Vorherrschaft in Ostasien. Er endete 1905 mit einem Sieg des militärtechnisch überlegenen Japans über Russland, das fast zeitgleich von einer Revolution erschüttert wurde. Russland musste Port Arthur an die Japaner abtreten, die Mandschurei 53
Mühselig und gefährlich: Tunnelbauarbeiten auf der Strecke um den Baikalsee, um 1900.
verlassen, Korea als japanisches Protektoratsgebiet anerkennen und verlor darüber hinaus den südlichen Teil der Insel Sachalin. Wegen dieser einschneidenden Ereignisse in Fernost wurde der Bau der Transsibirischen Eisenbahn in diesen Jahren mit Hochdruck vorangetrieben. Sie galt als strategisches Objekt. Insgesamt entstanden bis 1916 auf der Strecke 49 teilweise gewaltige Tunnel. Der erste war der Kiparissowo-Tunnel. Er wurde 1894 östlich der Station Sirenewka, auf der Teilstrecke Wladiwostok-Kiparissowo, 17 fertiggestellt. Allein auf der Strecke zwischen Archara und Bira mussten sieben Tunnel angelegt werden. 18 Weitere vier entstanden zwischen Tschita und Magdagatschi. 19 Die größten Probleme gab es nach dem Bau des Lagar-Aul-Tunnels, 8206 Kilometer von Moskau entfernt. Aufgrund eines Projektierungsfehlers war keine wasserundurchlässige Isolierung eingebaut worden. Das führte dazu, dass ständig Wasser in den Tunnel eindrang und im Winter zu dicken Eisschichten gefror. In den 20er Jahren wurden deshalb an beiden Portalen Tore angebracht, die nur geöffnet wurden, wenn ein Zug nahte. Im Tunnel selbst installierte man Öfen. Der Bau der Transsibirischen Eisenbahnstrecke stellte die Ingenieure immer wieder vor schier unlösbare Herausforderungen. Noch Jahre nachdem am 1. Juli 1903 der erste Zug auf der »Transsib << gerollt war, klaffte in Ostsibirien eine Lücke im Schienenstrang. Es gab keine Verbindung über Land zwischen der 70 Kilometer östlich der Stadt Irkutsk gelegenen Station Port Baikai und dem Haltepunkt Mysowaja. Zwischen bei-
Tunnel an der Station Polowinnyi im Flusstal der Polowinnaja.
Die Inschrift zeigt die Bauzeit des Tunnels.
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den Stationen liegt der Baikalsee, mit 1637 Metern der tiefste See der Welt. Um den See zu überqueren, wurden die Eisenbahnwaggons zunächst auf Eisbrecher, die in Großbritannien gebauten Dampfschiffe >> Baikal << und >>Angara <<, umgeladen. Die >> Baikal<< war damals - gemessen an der Motorleistung - der zweitstärkste Eisbrecher der Welt. 20 Doch selbst dieses Schiff konnte den extrem dicken Eisschichten des Baikaisees nicht beikommen. Im Winter 1903/04 mussten deshalb erstmals Schienen direkt auf der Eisdecke des Baikaisees verlegt werden, über die Lokomotiven die Waggons einzeln über den See zogen. Bereits 1901 hatte man deshalb mit dem Bau der Baikalbahn begonnen, deren erhalten gebliebene Reststrecke ich bei anderer Gelegenheit befuhr. Diese verläuft zwischen Port Baikal und Sljudjanka. 1956 ist die Hauptstrecke bei Irkutsk in dem von einem Wasserkraftwerk angestauten Baikaisee-Zufluss Angara untergegangen. Die übriggebliebene Teilstrecke zählt zu den beeindruckendsten und schönsten Eisenbahnstrecken in ganz Russland, aber auch zu den gefährlichsten. Der Bau der halb versunkenen Baikalbahn zwischen Port Baikal über Sljudjanka nach Mysowaja erwies sich als die teuerste und anspruchsvollste Etappe der >> Transsib<< . 41 Tunnel sowie 248 Viadukte und Brücken entstanden am Ufer des Baikalsees. Während dieser Arbeiten benötigte man pro Trassenkilometer einen Güterwaggon Dynamit, um den Weg durch die Felsen freizusprengen . Teilweise fiel das Gebirge so steil in Richtung des Sees ab, dass es nur zwei Möglichkeiten
gab: entweder Tunnel oder Gerüst brücken zu bauen oder mit Hilfe von Sprengungen Terrassen anzulegen, auf denen die Gleise verlegt wurden. Beide Methoden wurden oft kombiniert, weil die Überquerung der vielen Bergflüsse und der Schutz der Gleise gegen Steinschlag, Erdrutsche oder Wellenschlag zu bewältigen war. Um den Baikaisee herum wurde so eine Eisenbahnlinie geschaffen, bei der Tunnel, Viadukte und Brücken ineinander übergehen. Bis 1956 konnte ihre Existenz weitgehend geheim gehalten werden. Zur Zarenzeit entstanden somit zwei verschiedene Strecken, die unter dem Namen Transsibirische Eisenbahn geführt wurden: Zum einen baute man die bis heute genutzte Strecke von Moskau nach Wladiwostok, die vor Chabarowsk parallel zum Arnur verläuft. Auf dieser Strecke fuhren wir gerade. Zum zweiten führt eine Linie über chinesisches Territorium, die heute von China betrieben wird. 21 Eine technische Meisterleistung führte schließlich die Schienenstränge aus Richtung Wladiwostok und Moskau zusammen. Nachdem 1914 die letzten Gleise am linken Ufer des Arnur verlegt worden waren, errichtete man 1916 die zu damaliger Zeit mit 2,6 Kilometern längste Brücke der östlichen Hemisphäre. Doch diese Überwindung des Arnur bei Chabarowsk sollte nicht nur im Jahre 1916 für einen Superlativ sorgen. Stalin ließ an dieser Stelle 1937 eines der unglaublichsten Bauprojekte der Sowjetzeit starten: die geheime Untertunnelung des Amur, von der später noch ausführlich die Rede sein wird.22
Im Winter 1903/04 wurden Schienen auf das Eis des Baikaisees gelegt, um den westlichen und ösrlichen Strang der Transsibirischen Eisenbahnlinie zu verbinden. Das Foto zeigt eine eingebrochene Lokomotive.
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Tunnel »Kirkirejski« am Kilometer 123 der Baikalbahn. Wegen ständiger Bergrutsche wurde am Tunnelportal eine Stützwand angebracht.
Teil des Tunnelkomplexes »Schumichinski« auf der Baikalbahn: »italienische Wand« für eine nicht fertiggestellte Galerie.
Ausfahrt aus Port Baikal. Diese DampAokomotive verkehrt auf der Strecke Port Baikai - Siudjanka.
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Unte rirdische Festungen in Nikolajewsk und Wladiwostok Obwohl Chabarowsk entlang der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn liegt und es genügend Gründe gäbe, den Amur-Tunnel sofort näher in Augenschein zu nehmen, fuhren Witali und ich mit dem Zug weiter bis nach Wladiwostok. Als wir den Amur bei Chabarowsk auf der gewaltigen Eisenbahnbrücke überquerten, zerstob meine Hoffnung, wir würden vielleicht durch den sagenhaften Tunnel geleitet werden. Es passiert gelegentlich, doch nie stehen die Signale für den Zug >> Rossija «, in dem wir reisten, auf Grün. >> Rossija << ist ein sogenannter Qualitätszug, in dem üblicherweise auch ausländische Touristen reisen. Witali behauptete, es handele sich immer noch um Maßnahmen des Staatsschutzes und der Geheimhaltung, diesen Zug ausschließlich über die Brücke fahren zu lassen. Wladiwostok. Der Name bedeutet >>Herrscher des Ostens<<. Der Bahnhof ist ein Kleinod. Aufwendig restauriert, bildet er den Mittelpunkt der Stadt. Obwohl Wladiwostok 9259 Kilometer von Moskau und nur 100 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt liegt, ist es eine europäische Stadt. Und doch schien et-
was anders zu sein als in Moskau oder St. Petersburg. Ich stand auf dem Bahnhofsvorplatz und konnte mir das Gefühl zunächst nicht erklären. Erst als wir in ein Taxi stiegen, wurde es mir klar. Die meisten Autos in Wladiwostok haben das Steuer auf der rechten Seite. Zehntausende von Gebrauchtwagen aus Japan bestimmen das Stadtbild. Jeden Tag legen Schiffe aus dem Land der aufgehenden Sonne an, die den schier unendlichen Bedarf der Russen an westlichen Autos bedienen. Bei meinem ersten Besuch im Fernen Osten zogen mich jedoch nicht die japanischen Exporte, sondern die unterirdischen Verteidigungsanlagen aus der Zarenzeit in ihren Bann. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren russische Expeditionstruppen erstmals bis zur Amur-Region und weiter bis zur Küste des Stillen Ozeans vorgedrungen. Bis zum Ende jenes Jahrhunderts rüstete Russland nicht nur seine Pazifikflotte auf, es machte die gesamte Küstenregion am Pazifik zur Festung, insbesondere als Vorkehrung gegen das aggressiv zum Festland drängende Japan. Zunächst war Nikolajewsk die bedeutendste russische Hafenstadt im Fernen Osten. 1855 wurde dort, am Ufer der Amur-Mündung, die unterirdische Festung
Endstation der Transsibirischen Eisenbahnlinie: Bahnhof Wladiwostok. Er liegt 9259 Eisenbahnkilometer von Moskau entfernt.
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Verborgen und vergessen in einem Waldstück: Zugang zur unterirdischen Festung Tschnirrach bei Nikalajewsk.
Festung Tschnirrach: Gang zum verschütteten Munitionsdepat. Einst sollte die Festung vor japanischen Angriffen Schutz bieten.
Tschnirrach ausgehoben. Als 1871 auf Befehl von Alexander II. Wladiwostok zum wichtigsten Stützpunkt der russischen Pazifikflotte ausgebaut wurde, verlor Nikolajewsk mehr und mehr an Bedeutung. Wladiwosrok erhielt die Bezeichnung >> Haupthafen des Ostozeans«. Verteidigungswälle mit unterirdischen Stützpunkten existieren in Wladiwostok seit 1872.23 Die größten wurden zwischen 1904 und 1914 errichtet. Einmal drohte den Bauarbeiten die Einstellung. Im Jahr 1908 schlug der Generalgouverneur des Gebiets Primorje, in dem Wladiwostok liegt, vor, die zweitgrößte Gebietsstadt, die Gegend um Nikolsk (heute: Ussurisk), anstelle Wladiwostoks weiter zu befestigen, da er sich hiervon einen besseren Schutz der gesamten Region versprach. Ein Jahr lang tagten verschiedene Militärkommissionen, um diesen Vorschlag zu prüfen. Schließlich lehnte Moskau das Projekt ab. In Wladiwostok entstanden bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges insgesamt 16 Forts sowie mehrere Dutzend weiterer Verteidigungsstützpunkte mit unterirdischen Anlagen und Verbindungsgängen. Bei den Forts handelt es sich um stahlbewehrte Betonkonstruktionen mit ausgedehnten Bunker- und Tunnelsystemen, hermetisch durch schwere Metalltüren abgeriegelt. Drinnen gab es alles, was die Garnisonen zum Leben brauchten: Ventilatoren zur Versorgung mit Frischluft, Brunnen, Lebensmittel- und Munitionslager. Die Forts besaßen Schießscharten, aber man konnte auch schwere
Geschütze auf ihren Dächern in Stellung bringen. Es existierten Galerien unterhalb der Erdwälle, die die einzelenen Forts umgeben, Räume für die Stäbe und Mannschaftsunterkünfte. Vier der 16 Forts befinden sich nicht auf dem Festland, sondern auf der Wladiwostok vorgelagerten >>Russischen Insel« (Russki osrrow), die heute mehrmals pro Tag mit einer Autofähre zu erreichen ist. Zur Sowjetzeit war Wlacliwostok eine >>geschlossene Stadt «, das heißt, weder sowjetischen Staatsbürgern noch Ausländern war der Zutritt ohne Sondergenehmigung erlaubt. Die Forts der Kaiserzeit nutzte nun die Rote Armee als Stützpunkte. Die mächtigen Betonkonstruktionen dienten in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, nach dem durch Nikita Chruschtschow vollzogenen Bruch der sowjetischen Führung mit China, zur Sicherung der Grenze zum benachbarten ehemaligen >>Brudervolk<<. Zwischen 1969 und 1976 wurden aber Teile der Forts und ihrer unterirdischen Labyrinthe geschleift. Einige Festungen, so zum Beispiel Fort Nummer 7, in dem sich heute ein provisorisches Museum etabliert hat, blieben jedoch bis 1998 in Betrieb. Aus früherer Zeit stammt auch der Museumsleiter, ein ehemaliger Oberst der Sowjetarmee, dem die Unzufriedenheit darüber, dass es >>seine« Sowjetunion nicht mehr gibt, deutlich anzumerken war. Während er bis 1991 als Politoffizier gearbeitet hatte, führt er heute für ein paar Rubel seltene Besucher auf den Hügel vor den Toren der Stadt, auf dem sich Fort Nummer 7 befindet.
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Unterirdische Anlage von Fort Nr. 7 in Wladiwostok. Das Fort war eines von 16, die die Küstenlinie des Pazi6k sichern sollten.
ln den Räumen des Fort Nr. 7, das bis 1998 militärisch genutzt wurde, be6ndet sich heute ein provisorisches Museum.
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dem Festvngsgroben 8 - Unterirdische Gol«ie lunler dem Erdwoll I C - Geochützuntersland D -!Mchgönge E - Stände liK Seobochtvngsposten F -Ausgang G- Ko.........UUnnel
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Übersichtplan von Fort Nr. 7 in Wladiwostok.
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Propaganda aus dem Gemüsekeller Während Anfang des 20. Jahrhunderts die Auseinandersetzung mit Japan im Osten des Imperiums enorme Kräfte band, zogen am 9. Januar 1905 über 140 000 Arbeiter zum Petersburger Winterpalast, in dem Nikolaus II. (1868- 1918} residierte, um ihm eine Bittschrift zur Verbesserung ihrer sozialen Lage zu überreichen. Das Regime ließ in die Massen schießen, mehrere hundert Tote waren zu beklagen. Mit diesem >> Blutsonntag<< begann eine Welle revolutionärer Ereignisse, die das Kaiserreich in den Grundfesten erschüttern sollte. Die liberale Intelligenz forderte größere politische Freiheiten, die Bolschewisten unternahmen einen ersten Versuch, sich an die Spitze von Arbeiterunruhen zu stellen, und es kam schließlich zu einem Bauernaufstand gegen die Gutsbesitzer sowie zu einem Generalstreik. Dass die Bewegungen zwar zeitlich parallel, aber relativ isoliert agierten, war >> Glück<< für das zaristische Regime. Das Chaos konnte einigermaßen überwunden und der Abgrund notdürftig überbrückt werden. Doch obwohl die Revolution scheiterte, veränderte sie Russland. Nikolaus II. musste bürgerliche Freiheiten anerkennen und akzeptieren, dass ein Parlament, die Staatsduma, eingerichtet wurde und zu einer ernstzunehmenden Macht im Staat aufstieg. Russland wurde eine konstitutionelle Monarchie. Eines der kleinsten und ausgefallensten Museen der russischen Hauptstadt erinnert an die Februarrevolution von 1905, und mit einem Besuch dort setzte ich nach meiner Rückkehr aus Wladiwostok die Erkundungstour ungewöhnlicher Orte im Untergrund fort. Einem georgischen Obst- und Gemüsehändler namens Kalandadse gehörte ein kleiner Laden in der Lesnaja-Straße 55. Im Kellergewölbe des Geschäfts wurden während der Revolution auf einer amerikanischen Druckmaschine heimlich Flugblätter und die sozialdemokratische Zeitung >>Der Arbeiter<< hergestellt. Kalandadse richtete gemeinsam mit einem zweiten Georgiernamens Jenukidse, unmittelbar vor der Nase eines Polizeireviers, diese illegale Druckerei ein. Direkt unter der kleinen Ladenwohnung befindet sich noch heute ein Gewölbe, in dem die Druckmaschine steht. In Holzkisten mit doppeltem Boden, oben durch Obst getarnt, wurden Papier, Druckerschwärze oder Ersatzteile hineingebracht bzw. die fertigen Flugblätter oder Zeitungen heraustransportiert. Die beiden Georgier gehörten der 1898 in Minsk gegründeten Sozialdemokratischen 60
Der Laden des georgischen Revolutionärs und Gemüsehändlers Kalandadse in Moskau ist noch wie vor ein Revolutionsmuseum.
Druckmaschine im Keller des Gemüseladens; a uf ihr wurden 1905 revolutionäre Druckschriften vervielfä ltigt.
Unterirdischer Aufenthaltsraum für den Drucker. Hier wurden die Propagandaschriften in Obst· und Gemüsekisten verpackt.
Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) an, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts in zwei Fraktionen - die Anhänger Lenins (Bolschewiki) und die Anhänger Plechanows und Martows (Menschewiki) -spaltete. Aus dem Bolschewiki-Flügel entwickelt sich später die Kommunistische Partei, die deswegen auch KPdSU-B hieß. Im Museum arbeiten strenge ältere Damen, die dort schon Jahrzehnte tätig sind. Zu sowjetischer Zeit mussten sich Schulklassen regelmäßig über die Geschichte der russischen Revolution informieren, der Besuch des
Kalandadse-Ladens gehörte dazu. Entsprechend groß waren die Besucherzahlen. Heute verirrt sich tagelang niemand in das Geschäft. Unnachgiebig wird dennoch darauf geachtet, dass niemand das Fotografleeverbot im unterirdischen Teil des Ladens verletzt. Ich konnte die herrische Führeein zwar überlisten, aber keine Erklärung für diese Strenge finden . Womöglich hängt auch dies damit zusammen, dass alles Unterirdische den Ruch des Staatsgeheimnisvollen hat -selbst ein alter Obstladen. 61
Tod in Kellergewölben
Mit Ereignissen aus zwei weiteren unterirdischen Gewölben in zwei anderen Städten, St. Petersburg und Jekaterinburg, ist schließlich das Ende der russischen Monarchie verbunden. Widersprüchlichste und zugleich sensationslüsterne Aussagen und Gerüchte ranken sich um einen Mann, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts großen Einfluss auf Nikolaus II. und insbesondere die deutschstämmige Kaiserin Alexandra Fjodorowna (geb. Alice von Hessen-Darmstadt, 1872-1918) ausübte: Grigori J. Rasputin (um 1865-1916) 24 • Er starb in den unterirdischen Kammern des Jussupow-Palastes in St. Petersburg. Manche Quellen interpretieren selbst Raspurins Namen, der übersetzt in etwa die Bedeutung von >>ausschweifend« hat, als bezeichnenden Ausdruck für seine Persönlichkeit und Lebensweise. Der Bauernsohn aus Prokowskoje am Rand des Ural schloss sich um das Jahr 1900 einer religiösen Sekte an und lebte in einer mönchsähnlichen Gemeinschaft. Um 1905 ließ er sich in St. Petersburg als eine Art Wunderheiler nieder. Man rief ihn dorthin, weil sich Nikolaus li. und die Kaiserin Linderung der Bluterkrankheit ihres Sohnes Alexej versprachen. Von diesem Zeitpunkt an erlangte Raspurin enormen Einfluss auf das Monarchenpaar. Zeitweise wurden sogar Minister nur mit seiner ausdrücklichen Befütwortung ernannt. Rasputin, ein rigoroser Gegner jeglicher Reformen, wurde aber mit fortschreitenden militärischen Miss-
erfolgen während des Ersten Weltkrieges, kriegsbedingt beschleunigtem wirtschaftlichen Niedergang und politischer Erstarrung immer mehr zur Zielscheibe radikaler Monarchisten, die in ihm den Verantwortlichen für den Verfall Russlands sahen und ihn nun zu beseitigen suchten. Am 16. Dezember 1916 wurde Raspurin- obwohl er gewarnt worden war, sein Haus zu verlassen - unter fadenscheinigen Gründen in den Palast des Fürsten Felix Jussupow gelockt, den er bis dahin zu seinen wenigen noch verbliebenen Vertrauten zählte. Im Keller des Palastes wurde er am frühen Morgen des 17. Dezember 1916 von Jussupow und weiteren Mittätern, die fast alle zum engeren Kreis des Zarenhofes zählten, ermordet. Aber selbst sein Tod im Untergrund dieses prächtigen Palastes entspricht dem Mysterium, das sein ganzes Leben umhüllt, denn es gibt davon unterschiedlichste Versionen bis hin zur Mitwirkung des englischen Geheimdienstes. Entgegen den Aussagen des Haupttäters Jussupow wurde Raspurin laut Obduktionsbericht schwer gefoltert. So war ein Auge ausgeschlagen und hing seitlich aus dem Schädel, sein gesamter Körper war mit Blutergüssen übersät, seine Hoden waren zerquetscht worden, wahrscheinlich, um aus Raspurin ein Geständnis über vermutete intime Beziehungen zur Kaiserin herauszupressen und es für aufkommende Verdächtigungen zu nutzen, die deutschstämmige Kaiserin würde für Deutschland spionieren. Die Täter belegte man, wenn überhaupt, nur mit geringfügigen Strafen.
Palast von Fürst Felix Jussupow in St. Petersburg. Jussupow, ein entschiedener Gegner Rasputins, starb 1967 in Paris.
in diesem Keller des Jussopow·Palastes wurde 1916 Rosputin, der Vertraute des Zarenpaares, umgebracht.
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Zuvor war dem Zaren aus den eigenen Reihen gedroht worden, ihn zu stürzen, falls er sich einer solchen Vorgeheusweise widersetzen sollte. In ihrem Buch >> Mein Vater Rasputin<< beklagte dessen älteste Tochter Maria: >> Man hat Raspurin alle möglichen Namen zugedacht. Man schalt ihn einen >Pferdedieb<, den >Sohn eines Zuchthäuslers<, einen >Trunkenbold<, >dreckigen Muschik<, >Verräter<, >Spion<, >Mädchenschänder<, >Hypnotiseur<, einen >tollen Mönch< und einen >heiligen Teufel<. In Wirklichkeit war er nichts als ein Prügelknabe. «2s Der gewaltsame Tod Raspurins erscheint wie ein Menetekel kommender geschichtlicher Ereignisse, die die Welt bis in die Grundfesten erschüttern und das Unterste zuoberst kehren sollten. 1917 zeichneten sich Russlands drohende militärische Niederlage, der wirtschaftliche Ruin und die weiter um sich greifende politische Zerrüttung immer deutlicher ab. Unzureichend ausgerüstet, mitunter regelrecht zerlumpt und bis zur Erschöpfung ausgehungert, hatten die russischen Truppen insbesondere den vordringenden Deutschen nichts mehr entgegenzusetzen. Die Bevölkerung im Hinterland hungerte, es kam zu ersten Krawallen und kleineren Aufständen gegen das Zarenregime. Im Februar 1917 brach die Monarchie selbst für ihre erbitterten Gegner - die Bolschewiki - überraschend schnell zusammen, der russische Kaiser dankte ab und wurde mit seiner Familie unter Hausarrest gestellt. Der Sturm auf das Winterpalais im Oktober brachte die Bolschewiki unter der Führung von Lenin endgültig an die Macht.
Die Kaiserfamilie wurde nach Jekaterinburg im Ural zwangsumgesiedelt. Sie ahnte nicht, dass sie diese Stadt lebend nicht wieder verlassen sollte. Aus Angst, Nikolaus II. und seine Angehörigen könnten wieder befreit werden, befahl Lenin ihre Exekution.26 In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 wurden sie im Kellergewölbe des beschlagnahmten Hauses eines reichen Kaufmannes namens Ispatjew erschossen. Dem Blutbad fielen Zar Nikolaus II., seine Gemahlin Alexandra, vier Töchter, ein Sohn, der Leibarzt und mehrere Bedienstete zum Opfer. Die sterblichen Überreste wurden verscharrt. Das Haus, in dessen Keller die letzten RomanowHerrscher umgebracht wurden, steht heute nicht mehr. Da es zunehmend zur Pilgerstätte für Regimegegner und für gläubige Russen zu werden drohte, verfügte Staats- und Parteichef Leonid Breschnew 1977 den Abriss. Das neue Russland korrigierte diese Schandtat. An der Stelle, wo einst das Ispatjew-Haus gestanden hatte, wurde am 17. Juli 2003, genau 85 Jahre nach der Ermordung der Romanow-Familie, eine Kathedrale, die >>Kirche auf dem Blut«, geweiht. Zum Gedenken an das Blutbad vom Sommer 1918 ließ die orthodoxe Kirche in der Kathedrale den Keller, in dem die Monarchenfamilie hingerichtet wurde, nach bauen. Die sterblichen Überreste des !erzten Zaren und seiner Familie, die die Bolschewiken 1918 in Jekaterinburg verscharrt hatten, hatte man bereits am 13. Juli 1991 geborgen und am 17. Juli 1998, 80 Jahre nach der Erschießung, in der Peter-und-Paul-Kathedrale in St. Petersburg beigesetzt.
1977 verfügte Breschnew den Abriss des lspa~ew·Hauses in Jekaterin· burg, in dessen Keller 1918 die Zarenfamilie ermordet wurde.
Nachbau des Erschießungskellers in der Kathedrale >>Auf dem Blut<<, die seit 2003 an der Stelle des lspatjew·Hauses steht.
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Sowietmacht und die beiden Lenin-Mausoleen
Der leipziger Maler und Bildhauer Fritz Zalisz (1893-1971 ) traf Lenin 1911 in einem Münchner Kaffeehaus. Es entstand dieser Holzstich, das vermutlich erste Lenin-Porträt außerhalb Russlands.
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Während bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg im Zuge der Industrialisierung und Erschließung des Fernen Ostens die Transsibirische Eisenbahnlinie samt den beschriebenen aufwendigen und gewaltigen Tunnelwerken entstanden waren, trat nach der Oktoberrevolution in Bezug auf den Ausbau der Infrastruktur des Landes völliger Stillstand ein. Die Sowjetmacht hatte anderes zu tun. Nach der Hinrichtung der Zarenfamilie galt es, die Herrschaft zu sichern. Noch immer war der Erste Weltkrieg in vollem Gange. Deutsche Truppen rückten nach Petrograd1 vor. Lenin sah sich als Vorsitzender des Rates für Volkskommissare 2 gezwungen, dem für Russland schmachvollen Frieden von Brest-Litowsk mit dem Deutschen Reich zuzustimmen. Gleichzeitig tobte in Russland ein Bürgerkrieg. Noch während des Bürgerkrieges begannen die Bolschewisten mit der Verstaatlichung der Wirtschaft. Es herrschte sogenannter Kriegskommunismus. Im Ergebnis war die Wirtschaft völlig zerrüttet, das Volk hungerte, und ein Aufstand der Bauern und der Matrosen drohte die gerade errichtete Ordnung wieder zu zerstören. Lenin lenkte ein und setzte gegen den Widerstand aus den eigenen Reihen 1921 die Einführung der >>Neuen Ökonomischen Politik<
dingte enge Beziehung zum Mausoleum, in dem der >> Führer der Oktoberrevolution<< bis heute aufgebahrt ist und zur Schau gestellt wird. Der Zustand des präparierten Körpers wird regelmäßig von einem Wissenschaftlerteam untersucht. Nicht einmal Boris Jelzin, der 1991 die KPdSU in Russland verboten hatte, 4 schaffte es, Lenin aus dem Mausoleum umzubetten. Zwar gab es in den 90er Jahren erstmals Überlegungen, die Mumie zu bestatten, doch dagegen regte sich rasch erstaunlicher Widerstand. Lenin ist in Russland immer noch eine der populärsten Figuren der russischen Geschichte.5 Allerdings ließ Jelzin 1993 die Ehrenwachen vor dem Mausoleum abziehen. Während zur Sowjetzeit Abermillionen Menschen an Lenins Leichnam vorbeidefilierten und sich die Schlange der Wartenden mäandergleich über den Roten Platz zog, ist der Andrang heute geringer. Das Mausoleum wird natürlich noch bewacht, aber Zigaretten rauchende und mit Handys telefonierende Milizionäre bieten ein eher irritierendes Erscheinungsbild. Allerdings waren bereits die Überlegungen irritierend, die zur Errichtung eines der bekanntesten Bauwerke der Geschichte führten . Für die Neuzeit war das Vorhaben schaurig und phantastisch zugleich. Gewiss hatten schon die alten Ägypter ihre Pharaonen einbalsamiert, sie aber danach in versiegelten Särgen in unterirdischen Kammern der Pyramiden beigesetzt. Doch niemals wurde ein Toter auf Jahrzehnte den Blicken so vieler Menschen ausgesetzt wie Lenin. Der Vorgängerbau des heutigen Mausoleums, in dessen unterirdischer Gruft Lenin ruht, wurde 1924, unmittelbar nach Lenins Tod, errichtet. Vor allem Josef Wissarionowitsch Stalin (eigentlich: Josej Wissarionowitsch Dschughaschwili; 1878- 1953), den Lenin letztlich als seinen N achfolger vermeiden wollte, wurde zum eifrigsten Fürsprecher der >> Mausoleumisierung<< . Er war überzeugt, dass der im Mausoleum ausgestellte Leichnam zu einem Objekt von einheitsstiftender Bedeutung für die junge Sowjetunion werden könnte, und er behielt damit recht. Außerdem wollten die Politbüromitglieder die Wertschätzung, die Lenin aufgrunddes >> Dekrets über Grund und Boden<< von 1917, durch das die Bauern Land erhielten, und der >> Neuen Ökonomischen Politik<< von 1921 in der Bevölkerung genoss, auf sich übertragen.6 Noch in der Nacht nach Lenins Tod konstituierte sich eine neunköpfige Kommission hoher Funktionäre zur Vorbereitung der Trauerfeierlichkeiten, die für den
Der Vorgängerbau des Lenin·Mausoleums: Bis 1930 stand auf dem Roten Platz als Provisorium ein Holzmausoleum.
Eine kaum zu überblickende Menschenmenge gab Lenin am 27. Januar 1924 auf dem Roten Platz das letzte Geleit.
27. Januar 1924 angesetzt wurden. Die strengen winterlichen Verhältnisse machten es erforderlich, zunächst an der Kreml-Mauer mit Dynamit ein Loch in den Erdboden zu sprengen. Im Rekordtempo wurde dann ein Holzmausoleum ereichtet, das allerdings bis zur Beisetzung nur ein Provisorium blieb. Der 27. Januar war der kälteste Tag des noch jungen Jahres. Ein Lenin-Biograph beschreibt die Atmosphäre: >>Die Trompeter mussten ihre Instrumente mit Wodka benetzen, um nicht durch ihre Atemluft mit den Lippen festzufrieren. Die Masse auf dem Roten Platz sang die Internationale, als der Leichnam Lenins aus dem Gewerkschaftshaus7 getragen wurde. Sinowjew, Kamenew, Stalin, Bucharin, Molotow, Tomski, Rudsutak
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Akten aus dem Russischen Staatsarchiv belegen, dass die deutsche Firma Siemens 1924 Heiztechnik für das erste Mausoleum lieferte.
Mit Hilfe der Siemens· Heizkörper wurde die Temperatur im a lten lenin·Mausoleum konstant auf plus zwei Grad gehalten.
und Dsershinski trugen den Sarg [ ... ]. Das öffentliche Leben in Moskau kam zum Stillstand. Fabriksirenen und Pfeifen ertönten. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich in den anderen Städten und Dörfern der UdSSR. Züge stoppten auf freier Strecke. Schiffe legten an. Vor der Kremlmauer auf dem Roten Platz war eine Gruft ausgehoben worden. Um vier Uhr nachmittags wurde Lenins Leichnam in die Erde gesenkt. Es war schon dunkel, und es wurde immer dunkler. ,,s Unmittelbar nach dem Trauerakt begann man, sich intensiv Gedanken über die weitere >> politische Vermarktung<< des Lenin-Andenkens zu machen. An alles wurde gedacht. Lenin sollte >>mit dem Gesicht zum Kreml<< liegen. Um den Leichnam vor >>hysterischen<< Besuchern zu schützen, sollte er in einem >>massiven Glassarg « ruhen und >>schnell ein künstlerisch an-
spruchsvoller, leichter, aber widerstrandsfähiger Zaun<< um den Sarg gezogen werden. Vor allem aber war es den neuen Machthabern wichtig, sich selbst ins richtige Licht zu setzen: >>In Anbetracht dessen, dass die Genossen eher kleineren Wuchses sind, und derzeit, auf dem Fußboden stehend, das Gesicht von Wladimir Iljitsch nicht sehen können<<, wurde angeordnet, >>einen Schritt von der Tür [der Grabkammer] entfernt, eine Erhöhung zu errichten. ,,9 Bis Mai 1924 wurde das in Eile aufgebaute Holzmausoleum befestigt und die unterirdische Kammer mit neuer Kühl- und Heiztechnik ausgestattet. N ach Kühlmaschinen hatte man bis dahin in ganz Russland gefahndet. Die Heizung für das Holzmausoleum wurde in Deutschland bestellt. Den Zuschlag erhielt die SiemensEiektrowärme-Gesellschaft Sörnewitz bei Meißen. Im
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Lenin auf dem Totenbett. Die bizarre Idee, seinen Körper für die Nachwelt zu erhalten, wurde zu einer wissenschaftlichen Herausforderung.
Angebot hieß es: >>Der walzenförmige Heizkörper, der in seiner äußeren Form dem bewährten Dampfheizkörper ähnelt, weist nur glatte Flächen auf, auf denen sich wenig Staub ansammelt und die jederzeit leicht gereinigt werden können.«1o Zu diesem Zeitpunkt war Lenins Körper noch nicht einbalsamiert, sondern wurde im Sarg lediglich bei einer Temperatur von minus 8 Grad Celsius gekühlt, die Raumtemperatur hielt man konstant auf plus 2 Grad Celsius. Ende März 1924, 56 Tage nach Lenins Tod, wurde die Einbalsamierung beschlossen, da der Prozess der Veränderung des Körpers einen kritischen Punkt erreicht hatte. Ein Professorenteam konstatierte: Die Augäpfel waren deformiert, an der Stirn hatten sich rote Flecken gebildet, Nase und Ohren waren eingetrocknet, die Mundöffnung hatte sich erweitert, wo-
durch die Schneidezähne sichtbar geworden waren. An den Wangen und am Hals hatten sich Falten gebildet. Zudem waren die Finger dunkelrot und pergamentartig geworden. Entlang der Venen hatten sich dunkelrote Streifen und grüne Flecken gebildet, die von Fäulnisund Verwesungsprozessen herrührten.U Alle Veränderungen wurden in einem Protokoll festgehalten . Der Bruder des Schriftstellers Boris Pasternak, seines Zeichens Maler und Architekt, wurde gebeten, mittels eines Aquarells den veränderten Farbzustand der Leiche festzuhalten, da es noch keine Farbfotografie gab. Die Aufgabe einer dauerhaften Konservierung übertrug man mehreren Professoren, die unverzüglich mit Experimenten an anderen Leichen begannen. Die Methode des Tieffeierens wurde bald als ungeeignet verworfen, da sich relativ schnell unansehnliche Verände-
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Einige der eingereichten Entwürfe zum 1925 ausgeschriebenen Architektenwettbewerb für ein neues lenin-Mausoleum.
rungen am Körper des Toten einstellten . Also suchte man nach anderen Wegen. Selbst heute noch lässt mancher Vorschlag erschauern: Ein Professor aus Charkow wollte Gesicht und Hände mit Vaseline bedecken, um den Prozess des Austrocknens zu verhindern. Durch die Blutgefäße sollte eine Balsamierungsflüssigkeit in den Körper eingeführt werden. Ein weiterer Anatom regte an, die inneren Organe zu entfernen und in die Augenhöhlen Prothesen einzusetzen. Sofort verworfen wurde der Vorschlag eines Professors, in die eingefallenen Körperpartien der Leiche Kakaobutter einzuspritzen. Ein anderer Pathologe wollte den Luftraum über dem Körper verringern, um die weitere Austrocknung zu vermeiden. Ferner regte er das Lackieren der Gesichtshaut an, um Falten zu glätten und dem Körper insgesamt ein frischeres Aussehen zu geben. Das farblose Glas im Sargdeckel sollte durch rosafarbenes ersetzt werden, um Lenin damit buchstäblich in ein besseres Licht zu rücken. 12 Eine Kommission, an deren Spitze Wjatscheslaw Molotow stand (eigentlich: Wjatscheslaw Michailowitsch Skrjabin; 1890-1986), der spätere Premierund Außenminister der Sowjetunion, beschloss schließlich, Lenin die inneren Organe zu entnehmen. Des Weiteren einigte man sich mit den Pathologen darauf, den Körper durch Formaldehyd zu erhalten, das durch 68
die Arterien eingespritzt wurde. Darüber hinaus legte man den Körper in ein Formaldehydbad und spülte die Körperhöhlen mit Essigsäure aus. Formalinlösungen wurden an den Stellen des Körpers eingespritzt, wo das Gewebe weich zu werden drohte. Um die vielen roten Hautflecken zu entfernen, setzte man Essigsäure und Wasserstoffperoxyd ein. Lenin erhielt zwei Augenprothesen, sein Mund wurde zugenäht. Die Temperatur der Grabkammer erhöhte man von zwei auf 15 bis 16 Grad Celsius. Die Einbalsamierung verlief erfolgreich, aber das am 1. August 1924 eröffnete Mausoleum aus Holz erwies sich für den Dauerbetrieb rasch als ungeeignet. Immer wieder wurden Schäden am Fundament und an der Holzkonstruktion gemeldet. Entnervt klagte der Kommandant des Moskauer Kremls: >>Bei Regen lässt das Dach des Mausoleums an vielen Stellen Nässe durch.«13 Deshalb wurde schon 1925 ein Wettbewerb >>zur Errichtung eines Denkmals für W. l. Lenin in Moskau« ausgeschrieben: >>Der innere Mittelpunkt des Mausoleums soll ein Saal sein, in dem sich die Grabkammer befindet. Dieser unterirdische Saal muss mit allen technischen Notwendigkeiten versehen sein, die diesem Zweck dienen. «14 Die Kommission erhielt eine Unmenge von Vorschlägen. Viele davon stammten von
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Keines der teilweise absonderlichen und bombastischen Projekte konnte sich durchsetzen. Einige höHen bei ihrer Realisierung das architektonische Ensemble des Roten Platzes für immer zerstört.
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Der Architekt Alexej W. Schtschusew baute - nach dem Holzmauso· leum - schließlich auch das 1930 fertiggestellte neue lenin·Mauso· leum.
Laien, es handelte sich teilweise um Handzeichnungen seltsamster Art. Andere wiederum reichten bekannte russische Architekten ein. Einige der Entwürfe hätten durch ihre Umsetzung mit ihrem Gigantismus das Ensemble des Roten Platzes für immer zerstört. Die Ausschreibung gewann schließlich Alexej W. Schtschusew, der bereits das Holzmausoleum projektiert hatte. Er war Stalins Favorit. Viermal erhielt er die renommierte >>Stalin-Prärnie«, für den Entwurf des LeninMausoleums wurde er mit dem Titel >>Verdienter Architekt der Sowjetunion<< ausgezeichnet. Schtschusews Ent\vurf orientierte sich an dem bisherigen Holzmausoleum, das schon weltbekannt geworden war. 1930 wurde das neue Mausoleum fertiggestellt. Die Form einer Stufenpyramide blieb erhalten, und in die unterirdische Grabkammer führte jetzt eine Marmortreppe. Lenin lag dort zunächst in Uniform. Ende der 30er Jahre zog man ihm einen dunklen Anzug und eine Kra-
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warte an. Während der Belagerung Moskaus durch die Deutsche Wehrmacht wurde Lenins Sarg 1942 vorübergehend nach Tjumen evakuiert. Nach Kriegsende, während der Siegesparade 1945, warfen dann Soldaten der Roten Armee die erbeuteten Fahnen der Wehrmacht und der SS vor dem Mausoleum zu Füßen Lenins und der auf der Tribüne um Stalin versammelten führenden Parteigenossen in den Staub. An denJahresragen der Oktoberrevolution, und seit 1945 auch zum >>Tag des Sieges << , wie der 9. Mai bis heute in Russland offiziell heißt, standen die jeweiligen Sowjetführer- Stalin, Chruschtschow, Breschnew, Andropow, Tschernenko und Gorbatschow - mit ihrem Politbüro auf dem Dach des Mausoleums . Das war nicht immer ein Vergnügen, denn oft war es bitterkalt. Deshalb gab es einen rückwärtigen Raum mit einer Bar und so manchem >>Wässerchen«. Außerdem standen, nicht sichtbar für die Vorbeidefilierenden und die Kameras, Stühle bereit, auf denen sich die kommunistische Führungsriege zwischendurch erholen konnte. Dennoch: Das erste Staatsoberhaupt der Sowjetunion, Jakow Michailowitsch Swerdlow (1885- 1919}, war bereits 1919 nach einem frostigen Defilee auf dem Roten Platz, auf dem schon damals Paraden stattfanden, gestorben. Alexander Schtscherbakow, eines der einflussreichsten Politbüromitglieder der Stalin-Ära, raffte 1945 die Abnahme der Siegesparade vom Dach des Lenin-Mausoleums dahin. Der tschechische Präsident Klement Gott\Vald fiel 1953 den eisigen Stunden der Trauerfeier für Stalin zum Opfer. 1s In den Jahren 1953 bis 1961lag Stalin, einbalsamiert und aufgebahrt, neben Lenin in der unterirdischen Grabkammer. Dann wurde sein Körper im Zuge der Entstalinisierung aus dem Mausoleum entfernt und an der Kreml-Mauer beigesetzt. Die 1953 mit dem Namen Stalins erweiterte Inschrift über dem Haupteingang des Mausoleums wurde wieder auf >>Lenin<< reduziert.
Furcht und Größenwahn in der Stalin-Ära
Voraussetzung für gigantische Bauproiekte: das sowiefische GU Lag -System Die gewaltigen Industriekomplexe und Infrastrukturprojekte, die in der Sowjetunion nach der Lenin-Ära aus dem Boden gestampft wurden, wären in ihrem Gigantismus nicht ohne den rücksichtslosen Charakter des genauso erbarmungslosen wie intriganten Machtmenschen Stalin entstanden. Gestalungswille und Brutalität gingen eine Symbiose ein.
Stalinistischer Terror eliminierte in wenigen Jahren große Teile des eigenen Volkes. Es war unerheblich, ob es sich um Vertreter der alten Gesellschaftselite oder um Anhänger des Bolschewismus handelte. In den Gefängnissen und GULags der Sowjetunion starben unter unvorstellbaren Bedingungen Arbeiter, Bauern, Intellektuelle, Soldaten und Offiziere der Roten Armee, bolschewistische Führer und schließlich selbst die treuesten Henker des Systems. Das Schreckenswort >> GULag<<stand als Abkürzung für >> Hauptverwaltung der Arbeits- und Erziehungslager der Sowjetunion<< . Sie unterstand dem Volkskommissariat (später Ministe-
Blick auf Magadan. Wo heute die Türme der Kathedrale stehen, befand sich einst die Verwaltung des GUlag·Komplexes »Dalstroi«.
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rium) des Innern. Das schier unendliche Reservoir an Arbeitskräften, die dem GULag immer wieder zugeführt wurden, diente nicht zuletzt der Umsetzung von Großbauten, auch unterirdischer. Mit brutaler Zielstrebigkeit, ohne vor der Zahl der Opfer zurückzuschrecken, peitschte Stalin Sowjetrussland in die industrielle Moderne. Wer sich in den Weg stellte oder selbst nur den Verdacht erweckte, anderer Meinung zu sein, wurde regelrecht niedergewalzt. Ein erschütterndes Beispiel für die von Stalin in Gang gesetzte Unterdrückungs- und Vernichtungsmaschinerie war »Dalstroi«. Dieser Name ist die Abkürzung von »Dalnyi Wostok« (Ferner Osten) und >>Stroitelstwo << (Bauwesen). Es handelte sich dabei um ein administratives Verwaltungsgebilde der zum sowjetischen GULagSystem gehörenden Arbeits- und Umerziehungslager am Fluss Kolyma. Den Hauptsitz hatte >> Dalstroi << in der ab 1933 an zwei Buchten des Ochotskischen Meeres erbauten Hafenstadt Magadan im Fernen Osten Russlands. Magadan wurde für Hunderttausende Strafgefangene das Eingangstor zur Hölle. Ich flog auf Einladung von >>Memorial<< , einer 1988 auf Initiative von Andrej Sacharow gegründeten Menschenrechtsorganisation, zu Vorträgen nach Magadan. >> Memorial<< ist die einzige nichtstaatliche Organisation in Russland, die sich landesweit der historischen Aufarbeitung der Stalin'schen Gewaltherrschaft widmet. In der Hafenstadt machte ich Bekanntschaft mit Moischa Ossipowitsch, einem 78-jährigen russischen
Hunderttausende Häftlinge wurden mit Transportschiffen nach Maga· dangebracht und von dort in die Lager an der Kolyma geschafft.
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Juden. Als er erfuhr, dass ich in den nächsten Tagen unter anderem nach Susuman, einer Siedlung westlich von Magadan fahren wollte, bat er darum, ihn mitzunehmen. Seine Enkelin und deren Familie wohnten dort. Am Flughafen, der 50 Kilometer vor den Toren der Stadt liegt, empfing mich der alte Mann. Er hatte vier Jahre seines Lebens zunächst in einem Straflager in der kasachischen Steppe verbracht, bevor er nach Magadan kam. Die Umstände seines >>Umzugs << umschrieb er blumig, ich konnte nur ahnen, was sich hinter diesen Floskeln verbarg. Auf jeden Fall war er nicht als Häftling nach Magadan gekommen, sondern hatte in der Lagerverwaltung gearbeitet. >>Heute ist unser Ferner Osten wie eine Insel. Mütterchen Russland hat ihn aufgegeben <<, beklagte Moischa und lobte Stalins Nachfolger Chruschtschow, Breschnew, Andropow und Tschernenko. Sie hätten die Sowjetbürger zumindest noch mit hohen Löhnen, niedrigerem Pensionsalter, preiswertem Wohnraum und regelmäßigen Kuraufenthalten am Schwarzen Meer in diese von der Natur nicht verwöhnte Gegend gelockt. >>Wir haben neun Monate Winter. Minus 53 Grad habe ich schon erlebt<< , sagte er und zeigte auf sein Gesicht, als wären die Falten nur das Ergebnis der Kälte. Als der Mann erfuhr, dass ich mich für unterirdische Anlagen interessierte, berichtete er von Butugytschak, einem Uranbergwerk, dem ein Lager angeschlossen war. Ohnehin käme ich die nächsten Tage daran vorbei. >>Es ist ja schon Jahrzehnte stillgelegt. Sie können dort reingehen. Es ist nichts mehr abgesperrt. Die Ärzte sagen, man kann sich unter Tage durchaus länger als fünf Minuten aufhalten, ohne verstrahlt zu werden. << Angesichts solcher Prognosen verzichtete ich dankend, mich diesem Höllenschlund in die Unterwelt auch nur zu nähern. Am Abend gab es eine von >>Memorial << initiierte Diskussionsrunde zum Thema >> Geschichtsaufarbeitung<< in einem überraschend gut ausgestatteten Konferenzsaal des Magadaner Stadtmuseums. Im Museum selbst sind noch heute die Orden und Ehrenabzeichnen ausgestellt, die früher die Lagerkommandanten trugen. Wie eine >>Straße der Besten<< wirken die Porträt-Galerien der ehemaligen Offiziere. Erinnerungen an Häftlingsschicksale wirken daneben eher verschämt platziert. Meine darauf zielenden Fragen wurden nur ausweichend beantwortet, gerade so, als könnten es die in Öl glänzenden Mächtigen von einst auch heute noch hören.
Am Morgen darauf verließen wir Magadan in Richtung Westen, mehr als 1000 Kilometer Fahrt über Ust Omtschug lagen vor uns. Genügend Zeit also, um von Moischa Ossipowitsch mehr über dieses vom Unheil der Vergangenheit und von der Unsicherheit der Zukunft geprägte Gebiet im Fernen Osten des Riesenreiches zu erfahren. Der Magadan-Oblast ist in seiner Flächenausdehnung fast halb so groß wie Europa und war das einzige Gebiet der Sowjetunion, in dem es keine Räte (Sowjets} gab. Das >>Dalstroi<< unterstellte Gebiet umfasste 1953 drei Millionen Quadratkilometer, ein Siebentel des Territoriums der gesamten Sowjetunion. Es handelte sich dabei um die heutigen Gebiete Magadan, den Autonomen Bezirk der Tschuktschen, den östlichen Teil Jakutiens und den nördlichen Teil der Region Chabarowsk. Zwischen 1931 und 1957 wurden allein aus dem Transitlager an der Magadaner Nagajewo-Bucht Hunderttausende Häftlinge in Lager wie Butugytschak, Jagodnoje oder Sejmtschan verbracht.1 Die meisten von ihnen kamen nie zurück. Sie starben an permanenter Unterernährung, Erfrierungen, harten Strafen, Erschöpfung durch Überarbeitung und Krankheiten sowie durch das Fehlen jeglicher Möglichkeit zur Hygiene. »Es ist verbürgt<<, so Moischa, »starben Häftlinge beim Bau der Straßen zum Beispiel zu den unermesslichen Steinkohlen- und Goldlagerstätten an der Kolyma, wurden sie gleich im Unterbau der Trasse entsorgt.« Plötzlich brach es aus meinem Begleiter hervor: Ur-
sprünglich stamme er aus Tula, einer Stadt südlich von Moskau, in der er bis 1948 als Arbeiter in einer Rüstungsfabrik tätig gewesen war. In diesem Jahr wurde er abgeholt. Man bezichtigte den 18-Jährigen, sich missbilligend über die Sowjetregierung geäußert zu haben, undtrotzaller Unschuldsbeteuerungen verurteilte ihn ein Schnellgericht zu vier Jahren Zwangsarbeit. Er kam in ein Lager bei Karaganda in Kasachstan. Kurz vor seiner Entlassung kündigte man ihm an, dass die Strafe verlängert würde, es sei denn, er erkläre sich mit einem >>Umzug<< nach Magadan bereit, um dort beim Aufspüren von Feinden der Sowjetunion mitzuhelfen. >>Glaube mir << , unvermittelt duzte er mich, >>ich hätte sogar meine Großmutter verkauft, um die Prügelorgien im Lager nicht weiter ertragen zu müssen. All das kann ich nicht vergessen, ich fühle mich mitschuldig für die vielen Toten! Manchmal meine ich ihre Schreie zu hören, wenn ich hier über diese Straßen fahre . Das wird mich bis zu meinem Tod verfolgen! << Lange Zeit schwiegen wir. Ich wusste nicht, ob ich ihn nun verurteilen oder bemitleiden sollte. Bis 1991 war der Bezirk Magadan, einschließlich seiner Hauptstadt, Sperrgebiet. Seit 1996 erinnert die >> Maske der Trauer<<, ein 15 Meter hohes Monument des Bildhauers Ernst Njeiswestnyi, auf einem Berghang über Magadan an die Opfer der Stalin'schen Repression. Es gibt nicht viele solcher Mahnmale in Russland, schon gar nicht im Vergleich zu der Unmenge an LeninDenkmälern, die man immer noch auf den Hauptplät-
Im Uranbergwerk in Butugytschak ging die Überlebenschance gegen null. Innerhalb kürzester Zeit waren die Häftlinge verstrahlt.
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>>Versteinerter<< Schädel, der an der Straße zu den Kolyma-lagern gefunden wurde.
Die vom Bildhauer Ernst Njeiswestnyi geschaffene »Maske der Trauer« erinnert seit 1996 an die Opfer des Lagersystems im Fernen Osten.
Beim Straßenbau entlang der Kolyma gestorbene Gefangene wurden meist im Unterbau der Straße »entsorgt«.
Diese Skulptur be~ndet sich auf einer Plattform der begehbaren »Maske der Trauer<<.
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zen fast aller Städte findet. Die Aufarbeitung der Geschichte des GULag-Systems ist in Russland nach 1991 nur langsam in Gang gekommen. Es gab keinen Elitenwechsel im Land, Verdrängungsmechanismen funktionieren, und nach wie vor gilt Stalin nicht nur als Diktator, sondern auch als großer Kriegsherr und Modernisierer der Sowjetunion. Als er am 5. März 1953 starb, hinterließ er ein anderes Land. Insgesamt hatten Zwangskollektivierung, Hungerkatastrophen und roter Terror zwischen zehn und 20 Millionen Menschen das Leben gekostet.2 18 Millionen Menschen hatten die Lager des GULag durchlaufen. Weitere sechs Millionen waren verbannt worden.3 Das GULag-System überzog die ganze Sowjetunion: vom Polarkreis bis nach Mittelasien und von der Ukraine bis zur Küste des Pazifik. Die ersten Lager auf dem Sowjetterritorium entstanden bereits unter Lenin. Als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare verordnete er im August 1918, mit >>schonungslosem Massenterror gegen Kulaken, Popen und Weißgardisten vorzugehen und sie in Konzentrationslager außerhalb der Stadt einzusperren«.4 1926 erschien in England unter dem Titel >>An Island Hell<< ein Buch, das die grausamen Verhältnisse im Konzentrationslager auf der Solowezki-Insel im Weißen Meer beschrieb.5 Dort hatten die Bolschewisten eines ihrer Lager in einem ehemaligen Kloster eingerichtet. In den Klosterkatakomben vegetierten die ersten Opfer des Archipel GULag. Das widersprach dem Bild, das die Sowjetführung gern über ihre >> neue Gesellschaft<< im Westen verbreitete (und dem nicht wenige glaubten).
Stalin bat Maxim Gorki, der als Schriftsteller welt\veit Ansehen genoss, auf die KZ-Insel zu reisen: >>Wes Zeugnis könnte ein besseres Dementi der niederträchtigen ausländischen Falschmeldung sein?! <<6 Der durch Privilegien verwöhnte und durchStalins Bitte geschmeichelte Dichter ließ sich darauf ein und bezeugte anschließend, dass sich die Häftlinge dort eines wunderbaren Lebens und einer herrlichen Erziehung erfreuen würden.7 Danach drang bis zu Stalins Tod nur noch wenig über das GULag-System an die internationale Öffentlichkeit. Ab 1929 wurden Häftlinge als Zwangsarbeiter zur Industrialisierung der Sowjetunion sowie zur Erschließung von Territorien im hohen N orden, in Sibirien und im Fernen Osten eingesetzt. Seine größte Ausdehnung erreichte der GULag zu Beginn der 50er Jahre. Insgesamt entstanden in der Stalin-Ära fast 500 Lagerkomplexe mit Tausenden Einzellagern. Die Häftlinge arbeiteten in fast allen Industriezweigen: Holzwirtschaft, Uranabbau, Bergbau, Rüstungswirtschaft, Eisenbahnbau, Landwirtschaft. Ihr Lebensraum war praktisch ein Staat im Staat.8 Zur selben Zeit funktionierte eine ungeheure Propagandamaschinerie, die Millionen von Sowjetbürgern zu glühenden Verehrern Stalins machte. Aus einem solchen Konglomerat aus Angst, Schrecken, Propaganda, Glauben und Führerkult entstanden in der Stalin-Ära gewaltige Großprojekte. Darunter befinden sich unterirdische Anlagen, deren Existenz teilweise erst vor wenigen Jahren bekannt wurde oder die noch heute der Geheimhaltung unterliegen: Schurzbunker, Tunnelanlagen und Rüstungsfabriken.
Auf der Solowezki·lnsel im Weißen Meer wurde noch unter Lenin eines der ersten Konzentrationslager eingerichtet.
Überreste einer Gefängnisanlage bei Ust Omtschug. Enrlang der Kolyma gab es bis in die 80er Jahre hinein Gefängnisse.
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Japanische Tunnel in Russland: das unbekannte Sachalin Während in der Sowjetunion die ersten Terrorwellen rollten, sich die Straflager füllten und Hungersnot um sich griff, entstanden im von Japan besetzten Süden Sachalins (japanisch: Karafuto} blühende Landschaften. Die Hauptstadt Juschno-Sachalinsk (Toehara) und vor allem die Hafenstädte erwachten in den 20er und 30er Jahren zum Leben. Fabriken und Gewerbebetriebe eröffneten, übergesiedelte Japaner ließen sich Häuser bauen, japanische Kunst und Kultur hielt Einzug, und der Südteil der Insel veränderte sich völlig. Im russischen Norden der Insel gab es keinerlei Infrastruktur, sondern lediglich Straflager.9 Die Japaner indes begannen sofort mit regem Eisenbahnbau und verlegten in ihrer Besatzungszeit zwischen 1905 und 1945 fast 700 Kilometer Gleise mit der Spurbreite 1067 Millimeter. 10
Die erste Strecke zwischen Juschno-Sachalinsk und Korsakow (Otomari) wurde bereits 1906 in Angriff genommen. Von 1925 an bauten die Japaner die Strecke Cholmsk (Maoka)-Juschno-Sachalinsk, um die Häfen Newelsk (Honto) und Korsakow zu verbinden. Auf der 83,9 Kilometer langen Trasse entstanden 15 Tunnel mit einer Gesamtlänge von 5087 Metern. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Rückeroberung von Südsachalin durch die Sowjets wurde diese Linie erneuert. Damit russische Lokomotiven und Waggons eingesetzt werden konnten, die mit 1520 Millimetern eine weitaus größere Spurbreite haben, wurden die Tunnel der Japaner entsprechend verbreitert. Weil kein wirtschaftlicher und kein militärisch-strategischer Bedarf mehr bestand, die Instandhaltung der Tunnel aber viel zu teuer war, legte man 1994 die Strecke Cholmsk-Juschno-Sachalinsk teilweise still .11 Ursprünglich hatte ich vorgehabt, von Magadan weiter nach Juschno-Sachalinsk zu fliegen. Diesen Plan
KettensträRinge in einer Strafkolonie auf Sachalin, 1890. Auf der Insel gab es Ende des 19. Jahrhunderts mehrere russische StraRager.
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musste ich mangels einer direkten Flugverbindung aufgeben. Die Hauptstädte der >>Föderalen Subjekte<< (Gliedstaaten) sind in einigen Fällen nur über das >>Drehkreuz« Moskau erreichbar, selbst wenn das 10 000 Kilometer weit entfernt ist. Ich verschob deshalb die Erkundungsreise um ein paar Monate und wurde so prompt Opfer einer neuen Bestimmung des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB aus dem Jahr 2006. Teile Sachalins sind- wie schon zur Sowjetzeit- erneut zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden, das Ausländer nur mit Sondergenehmigung besuchen dürfen. Jegor, mein Moskauer Freund, mit dem ich gemeinsam die von den Japanern erbauten Tunnel auf Sachalin fotografieren wollte, war fest davon überzeugt, die FSBBestimmung werde entweder nicht kontrolliert oder ließe sich umgehen. Er meinte wohl, für diese Einschätzung aufgrund der Erfahrungen seiner Moskauer Digger-Freunde mit dem Geheimdienst kompetent genug zu sein. Ich jedenfalls ließ mich überreden, vertraute
Bahnhof5vorplatz in Juschno·Sachalin5k.
Da5 Ende de5 Kommuni5mu5 hat den Lenin·Denkmälem nicht5 anhaben können, auch nicht in Ju5chno-Sachalin5k.
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seinem nicht ganz korrekten, aber typisch russischen Spruch >> Die Welt ist bunt, und der Zar ist weit!«. Wir flogen zusammen in einer alten Iljuschin 62 nach Juschno-Sachalinsk. In Moskau herrschte schon Frühling, nicht aber auf Sachalin. Beim Anflug sah man die schneebedeckten Gipfel des Gebirges, das Sachalin in Nord-Süd-Richtung durchzieht. Um den Hauptplatz von Juschno-Sachalinsk gruppieren sich einige kleine Hotels, die für schlechten Service erstaunliche Preise verlangen, und der Bahnhof. In der Mitte steht das unvermeidliche Lenin-Denkmal. Die neuen Bestimmungen für Ausländer galten nicht für die Hauptstadt Sachalins, so dass wir noch problemlos übernachten konnten. Gesperrt seien angeblich nur alle Küstenstädte der Insel sowie 20 Kilometer Hinterland. Knapp zwei Stunden dauerteamnächsten Nachmittag die Fahrt mit einem uralten Linienbus nach Cholmsk am Japanischen Meer. Jegor behielt recht. Im einzigen Hotel des Ortes saß zwar neben der Empfangsdame ein Milizionär, der uns erläuterte, dass es einen FSB-Erlass gebe und Ausländer nicht beherbergt werden dürften.
Er selbst sei aber nicht vom FSB, sondern von der Miliz, und deshalb ginge ihn das nichts an. Unbegreifliches Russland! Das Ziel der Reise lag in greifbarer Nähe. Jegor und ich waren gut vorbereitet: Kartenmaterial, Fotoausrüstung, Winterstiefel, Proviant und Tee in Thermoskannen hatten wir bei uns . Ausgangspunkt unseres Fußmarsches war ein alter, nun schienenloser Bahndamm, zu dem uns am nächsten Tag niemand Geringeres als besagter Milizionär begleiten wollte. Der erste Tunnel der nicht mehr betriebenen, ursprünglich japanischen Eisenbahnstrecke sollte von dort aus etwa acht Kilometer entfernt liegen. Ein Katzensprung, wie es uns anfänglich schien, doch wir erreichten den Tunnel nie ! Über Nacht hatte es erneut geschneit, und der Bahndamm war kaum noch zu erkennen. Wir versanken stellenweise knietief im Schnee, und selbst dem optimistischen Jegor fror das Lächeln ein. Unser Begleiter namens Juri, an diesem Tag nicht in Uniform, schien sich zu freuen. Ohnehin sei der Weg sehr gefährlich, da nach dem langen Winter die Braunbären hungrig seien. Er
Das am Japanischen Meer auf Sachalin gelegene Cholmsk dürfen Ausländer nur mit Sondergenehmigung bereisen.
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ünks: Dieser Damm in der Nähe von Cholmsk führt zu den Tunneln, die die Japaner auf Sachalin vor dem Zwei· ten Weltkrieg gebaut haben.
Rechts: Während der Besatzungszeit zwi· sehen 1905 und 1945 bauten die Japaner im Süden Secholins eine Eisenbahnlinie mit 15 Tunneln.
würde uns nicht empfehlen, den Marsch zu riskieren. Das Argument mit den Braunbären überzeugte mich vollends. Acht Kilometer bei Schnee und Kälte zu Fuß durch die menschenleere Sachalin-Taiga und dann noch der Gefahr ausgesetzt, von Bären angefallen zu werden - das war mir nicht einmal mein Berliner Verleger wert. Wir verstanden nun, warumJuri so vehement darauf bestanden hatte, uns zu begleiten. Sein Vater, so ließ er in unsere Unterhaltung einfließen, habe ein Schneemobil, das er ab und zu vermiete. Es handele sich um einen Zweisitzer. Juri schlug deshalb vor, uns nacheinander zum Tunnel bringen zu wollen. 10 000 Rubel, fast 300 Euro, sollte dieser >>Spaß « kosten, für Juri und Co. ein überaus einträgliches Geschäft. Aber nicht nur beim Preis hatte er den Bogen überspannt, auch mit seinen eindringlichen Warnungen vor wilden Tieren hatte er sich einen wahrhaftigen Bärendienst erwiesen. Unser Mut tendierte nun gegen null, allein die Vorstellung stundenlangen einsamen Warrens an einem verfallenen Tunnelbauwerk ließ mich erschauern. Wir entschlossen uns, zum Hotel zurückzukehren. Juri, über das entgangene Geschäft sichtlich verärgert und wieder ganz dienstlich, erklärte förmlich, seine Pflichten nicht noch einmal vergessen zu können. In Cholmsk dürfe zumindest ich, der Ausländer, nicht bleiben. Unser Abschied war kühl, und am gleichen Tag fuhren wir mit dem Bus weiter nach Newelsk, der nächsten Stadt an der Sachaliner Westküste, die ein Jahr später, im August 2007, von einem Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen werden sollte.
Eine Unmenge von Robben sonnte sich auf einer vorgelagerten künstlichen Insel. Das war aber das einzig Sehenswerte! Nirgendwo zuvor habe ich einen Stadtstrand gesehen, der so verkommen ist: Garagenruinen, Berge von Abfällen und Bootswracks waren über Kilometer verteilt. Da ein Spaziergang am Strand beim besten Willen nicht in Frage kam, besuchten wir das kleine Heimatmuseum, ein Glücksfall, wie sich herausstellte. Als die Chefin, die gleichzeitig die einzige Angestellte ist, erfuhr, weswegen wir da waren, erzählte sie uns, dass sie als Studentin vor einigen Jahren bei den japanischen Tunneln gewesen war. Sie sollte eine Arbeit über die Ausbeutung von Sträflingen durch die Japaner während der Besetzung von Sachalin schreiben. Bei den Tunnelbauarbeiten seien überwiegend koreanische und chinesische Zwangsarbeiter (>>tako<<) eingesetzt worden. In der Regel seien das keine Häftlinge im klassischen Sinne gewesen, vielmehr Angehörige der ärmsten Schichten. Von privaten Firmen angeworben, seien sie wie Arbeitssklaven gehalten worden und de facto fast rechtlos gewesen. Sinnigerweise, so die Museumsdirektorin, habe der schwierigste Abschnitt der Strecke in der Nähe der Station Nikolaitschuk (Ekonohara) und der bekannten >> Teufelsbrücke<< die Form einer Schlinge. Für die Japaner, das war offensichtlich, hatte die Frau aus Newelsk wenig übrig. Die Tunnel, die die Japaner durch die Berge Südsachatins gebaut haben, würden sowieso verblassen im Vergleich zu den Bauten, die Stalins Ingenieure in Angriff genommen hatten, so ihre abschließende Einschätzung.
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Stalins Kanalbauten und die Dreifach-Untertunnelung des Moskwa-Wolga-Kanals Mit ihrem Urteil hatte die Museumsleiterin recht. Waren schon die Japaner nicht zimperlich gewesen, wenn es um Zwangsarbeit ging, so hatte unter Stalin keinerlei Mangel an >> Menschenmaterial<< geherrscht, um die schier unglaublichsten Projekte durchführen zu können, denn der >> Nachschub « für die GULags wurde ab 1929 zum immer breiter werdenden Strom . Stalin ließ zu Beginn der 30er Jahre mit der Arbeit an mehreren arbeitsintensiven Großprojekten beginnen. Er verstand sich als >>Baumeister des Kommunismus <<
und >>weiser Umgestalter der N atur «.12 Hauptaufgabe des ersten >>Pjatiletka « (Fünfjahrplans) der UdSSR, den der XV. Parteitag der KPdSU im Dezember 1927 beschlossen hatte, waren >>Maschinisierung, Motorisierung, Elektrifizierung<<, kurzum: die Industrialisierung der Sowjetunion. Kraftwerke wurden aus dem Boden gestampft. In Magnitogorsk (Ural) baute man das größte Stahlwerk der Welt, neue Industriezweige entstanden, und neue >>sozialistische Städte << wuchsen inmitten unwirtlicher Landschaften empor. Gigantische Kanalbauten und damit verbundene riesige Schleusensysteme - unter anderem zur Ent\vicklung der Binnenschifffahrt als >>blaues Transportband<<- sind ebenfalls kennzeichnend für diese Zeit. Die sowjetischen Kanalbauten der Jahre 1930 bis 1953 wurden von >> Gla-
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Die Bildunterschrift aus dem Jahr 1953 lautet: >>Schematische Darstellung der Großbauten des Kommunismus, der neuen Bewässerungssysteme und Waldgürtel, die das Sowjetvolk auf Initiative J. W. Stalins ausführt.«
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wgidrostroi << (Abkürzung für >> Hauptverwaltung für Wasserbauarbeiten<<) organisiert, einem Konzern und GULag-Ableger, der damit dem NKWD (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) unterstand. 13 Den ersten Sowjetkanal, der hoch oben im N orden das Weiße Meer mit der Ostsee verbindet, erbauten ab 1931 insgesamt 170 000 Häftlinge und Zwangsumsiedler innerhalb von nur 21 Monaten. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal, die Arbeitsnormen >> menschenfressend << . 25 000 Zwangsarbeiter verloren während des Baus ihr Leben.14 Der >>zweite Mann<< im Staat, Wjatscheslaw Molotow, verteidigte zynisch die Häftlingsarbeit: >> Es ist vorteilhaft für die Gesellschaft. Es ist nützlich für die Verbrecher. << 15 Dem WeißmeerOstsee-Kanal folgten der Moskwa-Wolga-Kanal (19311937) und der Wolga-Don-Kanal (1947- 1952). In Moskau, in der Nähe der Metrostation Tuschinskaja, befindet sich ein 409 Meter langer Auto- und Straßenbahntunnel, der den Moskwa-Wolga-Kanal unterquert und beredtes Beispiel für die hohe Leistungsfähigkeit der russischen Ingenieure und Tunnelbauer jener Zeit ist. Der Kanal selbst ist 128 Kilometer lang,
Einweihung des Wolgo·Don·Konols om 27. Juli 1952. Das Bild stammt aus einem 1953 zu Ehren Stolins herausgegebenen Heft.
Schleuse im Moskwo-Wolga·Kanol, unter der sich drei Tunnelröhren beAnden.
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Der Moskwa·Wolga·Kanal ist in Moskau dreifach untertunnelt. Die erste Tunnelröhre entstand 1937.
beim Bau musste ein Höhenunterschied von 50 Metern überwunden werden. Zehn Schleusen dienen diesem Zweck, 16 eine von ihnen ist direkt über dem Tunnel zu sehen. Aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens wurde in den 70er Jahren neben dem Tunnel aus der Stalin-Zeit ein zweiter Autotunnel gebaut, im Jahr 2003 kam ein dritter hinzu. Parallel zu den gewaltigen Schifffahrtskanälen entstanden ab den 30er Jahren riesige Wasserkraftwerke und Bewässerungskanäle. Mit einer Kraftanstrengung, wie sie Russland, vielleicht sogar die Welt, in einer so kurzen Periode noch nicht gesehen hatte, wurden unfruchtbare Landstriche des Riesenreiches für eine landwirtschaftliche Nutzung kultiviert. Es herrschte der
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unerschütterliche Glaube, dass der Mensch in der Lage sei, die Natur bedingungslos zu unterwerfen und zu seinem Nutzen zu verändern. Bis heute leiden jedoch die ehemaligen Sowjetrepubliken an den Umweltfolgen dieses Größenwahns. Es wurde ein ökologischer Raubbau betrieben, wie er für das gesamte sozialistische Lager kennzeichnend war. Der immer weiter austrocknende Aralsee an der Grenze zwischen Usbekistan und Kasachstan ist ein Symbol dafür. In der Sowjetunion spielte Umweltschutz keine Rolle. Im heutigen Russland entsteht bei der sich ent\vickelnden Mittelschicht erst langsam ein Gefühl für ökologische Probleme. Die Größe Russlands mag viele Russen glauben lassen, die Schätze der Natur gebe es im Überfluss.
Mitten in Wladiwostok be~ndet sich ein einstmals geheimer Tunnel mit dem Namen »Genosse Stalin«. Die Inschrift ist erhalten geblieben.
Geheime Eisenbahntunnel und die Baikol-Amur-Magistrale Neben den Kanalbauten gehörte der weitere Ausbau des Eisenbahnnetzes zu den Prioritäten der Stalin-Ära. Die Bahndirektion unterstand zwischen 1935 und 1944 dem Volkskommissar für Transportwesen, Lazar Kaganowitsch (eigentlich : Lazar Moissejewitsch Kogan; 1893- 1991). Als Politbüromitglied und ehemaliger Parteichef von Moskau war er einer der mächtigsten Männer der Sowjetunion und ein enger Vertrauter Stalins. Der » Woshd<< (deutsch: Führer}17 schätzte Kaganowitschs rigoroses Durchsetzungsvermögen und dessen Fähigkeit, Beschlüsse ohne Rücksicht auf Verluste an
Menschenleben umzusetzen. Wie für die Kanalbauten war auch für die Umsetzung der mit aufwendigen Tunnelbauten verbundenen Eisenbahnprojekte eine Spezialabteilung zuständig, die bis 1932 zum GULag-Imperium gehörte und danach direkt dem Volkskommissar des Innern (später dem Innenminister) unterstellt war. 18 Mit Hilfe des Einsatzes von Häftlingen entstand 1934/35, in einer Rekordzeit von nur einem Jahr, das >> Objekt Nr. 2/051 <<, ein im Zentrum von Wladiwostok gelegener Tunnelbau, der den Namen >>Genosse Stalin<< erhielt. Das Bauwerk ist außerhalb der Stadt weitestgehend unbekannt, da Wladiwostok eine >>geschlossene Stadt<< war. Der Tunnel hat eine Länge von 1330 Metern 83
Promenade am Amur in Chabarowsk, einer wichtigen Station der Transsibirischen Eisenbahn.
Zug im Amur·Tunnel. Bei Chabarowsk wurde in den 40er Jahren unter höchster Geheimhaltung mit der Untertunnelung des Amur begonnen.
und ist Teil der Eisenbahnstrecke Perwaja Retschka-Kap Tschurkin. Durch den Tunnel fahren alle Güter- und Vorortzüge, deren Ziel Kap Tschurkin ist. Fernverkehr gibt es auf dieser Strecke nicht. Am Portal sind der Name und die Bauzeit » 1934-1935 <<noch zu erkennen. Der Bau des Tunnels war schon zur Zarenzeit begonnen, nach Beginn des Krieges gegen Japan im Jahr 1904 jedoch eingestellt worden. In den 30er Jahren ging man dann davon aus, dass der Anlage vor allem eine militärische Bedeutung zukommen könnte. Neben neuen Transportmöglichkeiten im Heimathafen der russischen Pazifikflotte sollten bei eventuellen feindlichen Angriffen Waffensysteme (z. B. Panzerzügel im Tunnel versteckt werden. Heute hat die Anlage ihre militärische Bedeutung eingebüßt, sie wird jedoch nach wie vor bewacht. Es ist aber kein Problem mehr, direkt bis zum Tunneleingang zu kommen. Selbst Fotografieren wird durch das Wachpersonal, wenn auch mit einigem Erstaunen, billigend in Kauf genommen. Auf völlig andere Umstände traf ich in Chabarowsk, 766 Schienenkilometer nordwestlich von Wladiwostok. Dort hatte man 1937 mit dem Bau einer unterirdischen Anlage begonnen, die für die damalige Zeit eine technische Sensation darstellte und bis in unsere Tage eines der bestgehüteten Geheimnisse der Sowjetunion geblieben ist. Unter dem Amur, dem gewaltigen Grenzstrom zwischen Russland und China, entstand eine Durchfahrt für die Züge der Transsibirischen Eisenbahnstre-
cke. Der Tunnel wird noch heute als strategisches Objekt strengstens bewacht, die Portale sind weiträumig abgesperrt. Der erste Zug unterquerte im Juli 1941 den Amur, der regelmäßige Betrieb begann am 25. OktOber 1942. Die Amur-Querung hatte schon immer besondere strategische Bedeutung. Wie bereits an früherer Stelle beschrieben, überspannt seit der Zarenzeit eine Brücke den bei Chabarowsk fast drei Kilometer breiten Strom. Die Amur-Brücke blieb allerdings einspurig und war damit ein Nadelöhr. Die anderen Streckenabschnitte der >>Transsib<< waren ab 1940 durchgehend zweigleisig befahrbar. Statt eine zweite Spur zu verlegen, wurde aus militärischen Erwägungen beschlossen, unter strikter Geheimhaltung einen Tunnel zu bauen. Am Hafen von Chabarowsk kam ich ins Gespräch mit einem älteren Mann, der mich sofort als Deutschen identifiziert hatte. Er selbst sei >>Volksdeutscher«, sagte er stolz und mit unverkennbarem Dialekt. Sein Name war Gerhard Rudolfowitsch, er wohnte mit seiner Mutter in einer winzigen Einzimmerwohnung in Hafennähe. Seine Familie stammte aus Engels, der ehemaligen Hauptstadt der autonomen Republik der Wolgadeutschen, von wo aus sie nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 nach Sibirien deportiert wurde. Zur Sowjetzeit arbeitete Gerhard Rudolfowitsch als Lehrer, heute verdient er als Stadtführer und mit Bootsfahrten für Touristen auf dem Amur ein Zubrot. Ob-
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Ostportal des Amur-Tunnels. Der erste Zug unterquerte 1941 den mächtigen Strom.
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Geheimobjekt Amur-Tunnel: Für den Bau wurden keine SträRinge eingesetzt. Geheimhaltung ging vor.
wohl seine Muttersprache schon längst vom Russischen überlagert war, bemühte er sich, Deutsch mit mir zu sprechen_ >>Als Kind haben wir nur Deutsch gesprochen«, so Gerhard Rudolfowitsch, >>aber mit meinen Kinderfreunden bin ich jetzt abgefreundet. << Sein Wissen über die Geschichte von Chabarowsk und über das, was mich besonders interessierte, war dafür solide. Die Amur-Untertunnelung, so berichtete er mir, erhielt die verschlüsselte Bezeichnung >> Bauvorhaben Nr. 4 << . Die meisten geheimen Bauprojekte der Sowjetzeit trugen solche Codenamen: Nummern, Buchstaben oder Kombinationen aus beiden, die aber nicht in der Reihenfolge der Projekte, sondern willkürlich vergeben wurden, was zur besseren Verschleierung ihres Ortes und ihres Charakters beitragen sollte.
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Zur Überwindung des Höhenunterschiedes, aber auch zur Tarnung, wurden die Eingänge in den Tunnel in großer Entfernung vom Fluss gebaut, so dass die Länge des Tunnels schließlich 13 Kilometer betrug. Sein Innendurchmesser im Abschnitt unter dem Wasserspiegel misst 7,4 Meter. Der Streckenabschnitt im Tunnel ist elektrifiziert so wie die >>Transsib<>Kulaken<< ) herangezogen. Sie hausten mit ihren Familien bei Temperaturen bis minus 60 Grad in >>Sondersiedlungen<< , die aus armseligen Erdhütten, Zelten oder behelfsmäßigen Baracken ohne Fußboden bestanden. 19 Zu den unterirdischen Arbeiten wurden 900 Fachkräfte aus Moskau abkommandiert, die beim Metrobau Erfahrungen gesammelt hatten. Die Hauptlast schwerer körperlicher Arbeit trugen jedoch Soldaten der Eisenbahntruppen_ Insgesamt waren nach heute vorliegenden Informationen etwa 5500 Menschen unmittelbar beim Tunnelbau eingesetzt_20 Alle mussten sich zur Geheimhaltung verpflichten; noch bis Anfang der 70er Jahre hieß es in der Sowjetunion offiziell, es gebe nur die Amur-Brücke. Im Ausland ist über dieses Geheimprojekt aus der Stalin-Ära bis heute nichts Näheres bekannt. In den 30er Jahren wurde nicht nur die Transsibirische Eisenbahnlinie weiter ausgebaut, sondern man begann auch mit dem Bau einer Parallelstrecke von Moskau nach Sowjetskaja Gawan am Ochotskischen Meer, der Baikai-Amur-Magistrale (BAM). Diese zweite Eisenbahntrasse- eine weitere stählerne Nabelschnurist über 3000 Kilometer lang und führt nördlich der >>Transsib << durch die karge, fast unbesiedelte Bergwelt Ostsibiriens. 1932 wurde das sogenannte Baikai-Amur-Lager (>>BAM-Lag<<) eingerichtet, einer der größten Lagerkomplexe des GULag. Das BAM-Lag war kein Lager im traditionellen Sinn_ Zu ihm gehörten einige hundert Lagerbereiche, die teilweise bis zu 5000 Kilometer voneinander entfernt lagen_ Bis zu 200 000 Häftlinge gleichzeitig fristeten dort ihr DaseinY Somit war das BAMLag eher ein riesiger Konzern auf der Basis von entwürdigender Zwangsarbeit- Die Arbeits- und Le-
Luftaufnahme der Amur·Brücke. Direkt unterhalb der Brücke be~ndet sich der GeheimtunneL
bensbedingungen waren katastrophal. 22 Die Verwaltung dieses >>Konzerns<< befand sich in der Stadt Swobodny (deutsch: frei) . »Arbeit macht frei«- die Parallelen sind unübersehbar. 23 Dem Bau der BAM lagen wie bei den meisten derartigen Projekten jener Tage im hohen Maße militärstrategische Überlegungen zugrunde. Zunächst spielte die Angst vor Japan eine Rolle. Hätte Japan im Fall eines Krieges die weiter südlich gelegene Transsibirische Eisenbahnstrecke erobert, wäre der Transportweg in den Fernen Osten zumindest auf diesem Parallelweg sichergestellt worden. Vor dem Zweiten Weltkrieg konnten jedoch, entgegen der irrwitzigen Terminvorgabe von lediglich dreieinhalb Jahren für das gigantische Gesamtvorhaben, nur einige Dutzend Kilometer der BAM nördlich von Taischet24 sowie westlich und östlich von
Permskoje am Amur (heute: Komsomolsk) gebaut werden.25 Außerdem entstanden bis 1941 die Stichverbindungen zwischen BAM und >>Transsib << .26 Immer wieder vorgenommene Projektänderungen und eklatante Fehlplanungen ließen die Arbeiten nur langsam vorankommen . Den ersten Tunnel der BAM-Linie stellten GULagHäftlinge im Oktober 1940 bei Komsomolsk am Amur fertig. Es handelt sich um eine »tote Durchfahrt«. Der Stollen wurde durch Veränderungen bei der Streckenplanung nie zum Eisenbahntunnel, ist aber erhalten geblieben.27 Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion wurde der Bau der BAM-Strecke vorübergehend eingestellt, nach Ende des Zweiten Weltkrieges unter Regie des GULag wieder aufgenommen und nach Sta-
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Staats· und Parteichef Leanid Breschnew besuchte im Jahr 1978 eine Baustelle der Baikai-Amur·Magistrale. Auf dem Banner steht: »Die BAM- Stolz des Lenin'schen Komsomol«.
Iins Tod im Jahr 1953 erneut unterbrochen. Die BAM konnte erst zwischen 1974 und 1984 vollendet werden. In diesen Jahren waren auch Tausende Mitglieder der Freien DeutschenJugend (FDJ), der staatlichen Jugendorganisation der DDR, an der BAM im Einsatz. Es entstanden Tunnel mit Längen zwischen 750 Metern und sieben Kilometern.28 Der Bau des mit 15,3 Kilometer längsten Tunnels in Russland- des Seweromujsk-Tunnels, ein Kilometer östlich der Station ltykit- begann 1976. Der Abschluss der Arbeiten war für 1983 geplant. Der Durchbruch entstand an einer Stelle, an der ein tektonischer Bruch verläuft und es viele heiße unterirdische Quellen gibt. Hier kam es zu einem tragischen Unfall, bei dem eine ganze Schicht der Tunnelbauer ihr Leben verlor- heißes Wasser war mit einem Druck von bis zu 34 bar in den Schacht geströmt. Die Arbeiten am Tunnel wurden erst im März 2001 abgeschlossen. Der erste Zug fuhr am 21. Dezember 2001 durch den Tunnel, zwei Jahre spä88
ter wurde schließlich der reguläre Zugverkehr aufgenommen. Für die Bauarbeiter brachte der Abschluss der Bauarbeiten Probleme mit sich. 2004 traten Arbeiter, die in der Stadt Tonnelny wohnten, in den Hungerstreik. Fast alle hatten viele Jahre lang in ärmlichen Baracken gehaust, nun wollten sie bessere Wohnungen oder Beihilfen, die es möglich machen würden, anderswohin zu ziehen. Zu allem Überfluss war noch die Anweisung gekommen, das Heizwerk der Stadt stillzulegen: DieMenschen drohten zu erfrieren, die meisten hatten kein Geld, um die Ortschaft zu verlassen. Erst nachdem die Aktion Aufsehen in ganz Russland erregt hatte, kam finanzielle Hilfe. Entlang der Trasse leben immer noch Menschen, die von den sowjetischen Verheißungen beim Bau der Strecke angelockt wurden; heute braucht sie niemand mehr. Ihre Siedlungen verfallen, die Alten sterben, die Jungen wandern in Russlands Großstädte ab.
Bemerkenswert sind schließlich noch die >>Kaptunnel « in Sewerobaikalsk: Auf den beiden Seiten des Komplexes, der aus vier Tunneln besteht, stehen Stelen mit dem Buchstaben >> M «, dem Symbol der U-Bahn in Russland. Selbst von der Autostraße aus sieht man das in den Stein der Stelen gemeißelte Leitmotiv der BAMTunnelbauer: >>Tunnel werden von echten Männern gebaut.«
Sowjetisches Prestigeprojekt: die »Kaganowitsch-Metro« Das größte und prestigeträchtigste unterirdische Bauobjekt Sowjetrusslands ist die Moskauer Metro, für die es schon vor über 100 Jahren Pläne gab, mit deren Bau aber erst in den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts begonnen wurde. Ab 1872 beförderte zunächst eine Pferde-Straßenbahn die Fahrgäste. Ab 1899 verkehrte in Moskau eine elektrisch betriebene Straßenbahn. Gleichzeitig machten sich Moskauer Stadtplaner Gedanken über die Einrichtung von Untergrundbahnlinien. Ausgangspunkt solcher Überlegungen war die Lage der verschiedenen Moskauer Bahnhöfe am damaligen Stadtrand. Über einen Zentralbahnhof verfügte Moskau nicht, so dass die verkehrstechnische Verbindung dieser Stadtrandbahnhöfe erforderlich war. Zwischen 1902 bis 1907 wurde ein Eisenbahnring gebaut. Parallel dazu entstanden verschiedene Projekte für eine Untergrundbahn.29 Unterirdische Bahnen verkehrten in dieser Zeit bereits in London (seit 1863),3° Istanbul (seit 1875),31 Budapest (seit 1896), Paris (seit 1900), Berlin (seit 1902) und New York (seit 1904). Der erste Vorschlag für eine als >>Metropolitain<< bezeichnete Moskauer Stadtbahn stammte von dem Ingenieur K. I. Gusewitsch. Er bat gemeinsam mit dem Adligen K. W. Trubnikow beim Innenministerium um eine Genehmigung, geologische Bohrungen für ein entsprechendes Projekt anstellen zu dürfen. Der Antrag wurde an die Stadtduma verwiesen. Da die Antragsteller aber keine konkreten Planungen vorlegen konnten, wurde das Ansinnen abgelehnt. 32 Ein zweites Projekt stammte von drei Ingenieuren namens A. I. Antonowitsch, N . I. Golinewitsch und N . P. Dmitrjew.33 Sie planten eine Ringlinie und vier Radiallinien, wobei Letztere durch Tunnel und über Viadukte ins Zentrum führen und in einem Zentralbahnhof beim Kreml enden sollten. Das dritte und aussichtsreichste Projekt hatte der
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts verkehrten in der russischen Hauptstadt pferde·Straßenbahnen.
Erbauer der Transsibirischen Eisenbahnlinie, der Ingenieur Jewgeni Knorre, gemeinsam mit seinem Kollegen Pjotr Balinski entwickelt: Zwei miteinander verbundene Ringlinien sollten eine gemeinsame Zentralstation unter dem Theaterplatz (am Bolschoi-Theater) erhalten. 34 Knorre und Balinski wollten den Bau durch ausländische Kapitalgeber finanzieren, was Proteststürme in der Moskauer Presse auslöste. Auch die orthodoxe Kirche reihte sich in die Phalanx der Gegner ein, wenngleich mit anderer Begründung. Ein Erzbischof schrieb 1903 an den Metropoliten von Moskau, es sei >>ein sündiger Traum und eine Erniedrigung des Menschen, wenn er in die Unterwelt hinabsteige<< .3s Die Stadtduma lehnte das Knorre-Balinski-Konzept 1903 ab. Erst 1912 setzte sich bei den Moskauer Stadtvätern aufgrund des stetig wachsenden Verkehrsaufkommens die Überzeugung durch, dass die Zeit für die Metro reif sei. Diesmal hatte man über vier verschiedene Projekte zu beratschlagen. Eines davon stammte wiederum von Knorre, ein weiteres hatte die Stadtduma selbst vorgelegt. Beide Pläne waren fast identisch und sahen drei unterirdisch verlaufende Linien mit Eisenbahnanbindung ins Stadtzentrum sowie perspektivisch den Bau einer alles verbindenden Ringlinie vor.36 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges machte diese Vorhaben zunächst zunichte. Mit dem Machtantritt der Bolschewisten wurde Moskau wieder zur Hauptstadt Russlands. Der öffentliche N ahverkehr in den russischen Großstädten war 89
1912: Diese Metroplanung (J. Knorre u. a.) wurde 1923 von V. A. Schmakow in der Zeitschrift »Eiektronika, trud i technika« (Elektronik, Arbei t und Technik) publiziert. Die drei Metrolinien sollten zu den vorhandenen Bahnhöfen der Eisenbahn führen.
nach der Oktoberrevolution und den darauffolgenden Wirren des Bürgerkriegs völlig zum Erliegen gekommen. In Moskau begann der Straßenbahnbetrieb erst 1922 wieder einigermaßen zuverlässig zu funktionieren. Moskauer Stadtplaner dachten nun über die Wiederaufnahme der Pläne für die Moskauer Untergrundbahn nach, die 1914 zu den Akten gelegt worden waren. 1923 beschloss der Mossowjet (Moskauer Rat), Verhandlungen mit deutschen Unternehmen über den Bau einer Untergrundbahn in Moskau aufzunehmen . Die Beziehungen des bolschewistischen Russland zum Weimarer Deutschland waren gut, konnte man doch so zum beiderseitigen Vorteil die wirtschaftliche und politische Isolierung irrfolge des Ersten Weltkriegs bzw. der 90
Russischen Revolution zumindest mildern. Die Verträge von Rapallo (1922) und von Berlin (1925), in denen man die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen und den Verzicht auf Reparationszahlungen beschloss, waren für Russland wie für Deutschland Trumpfkarten in der Auseinandersetzung mit Großbritannien und Frankreich. Stalin galt als Befürworter einer engen Zusammenarbeit mit Deutschland. Bis in die späten 30er Jahre existierte eine geheime Kooperation zwischen der Roten Armee und der Reichswehr bzw. Wehrmacht, die unter den Auflagen des Versailler Vertrages litt.37 Vor diesem politischen Hintergrund zeigten sowohl die AEG als auch die Siemens-Bauunion Interesse am Bau der Moskauer Metro. Beide konnten jedoch die Finanzierungsfrage nicht lösen. Siemens bot an, >> die Moskauer Straßenbahnen [zu] übernehmen, sie nach dem Prinzip des maximalen Ertrags [zu] führen und aus den Gewinnen erste, besonders profitable Untergrundbahnlinien [zu] bauen<< .38 Die AEG schlug vor, dass Moskau die zaristischen Vorkriegsschulden anerkenne und in die Kreditierung einbeziehe.39 Beides kam für die Sowjets jedoch nicht in Frage. Da das Verkehrsproblem angesichtssprunghaft steigender Einwohnerzahlen aber auf eine Lösung drängte- allein zwischen 1920 und 1924 wuchs die Bevölkerungszahl der russischen Hauptstadt um mehr als 500 000 Einwohner auf 1,8 Millionen40 - ,suchte der Moskauer Sowjet nach Wegen aus der Krise. 1925 veranlasste die Verwaltung der Moskauer Städtischen Eisenbahnlinien erste Probebohrungen. Die Siemens-Bauunion erhielt den Auftrag für eine Machbarkeitsstudie, den die Firma in der Hoffnung auf spätere Auftragserteilung auch durchführte. Den Zuschlag erhielt sie nicht, aber das erste eigene Projekt, das die Moskauer Eisenbahnverwaltung nun selbst entwickelte, hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Siemens-Entwurf. 41 Zur unmittelbaren Umsetzung kam es jedoch nicht. 1928 stand die Führung der Moskauer Parteiorganisation Stalins Plänen der forcierten Industrialisierung und Entwicklung der Schwerindustrie kritisch gegenüber. Sie galt als >>Hochburg der Rechten<< in der Kommunistischen Partei. Darüber hinaus förderte die Stalin'sche Kulturrevolution (1928-1931) das Entstehen abstruser Stadtplanungsideen. Architekten diskutierten lebhaft darüber, was das Wesen der sozialistischen Stadt im Unterschied zur kapitalistischen ausmache.42 Unterirdische Verkehrsmittel kamen zunehmend in Verruf: >> Muss
Der Volkskommissar für Schwerindustrie, Grigori K. Ordschonikidse (Mitte rechts), besichtigt 1933 eine Metrobaustelle.
nicht der Mensch des 20. Jahrhunderts, insbesondere der sozialistische Mensch, danach streben, sich von unter der Erde ans Licht und an die Sonne zu bewegen? «43 Und wenn schon unterirdische Fortbewegung nötig sei, sollte sie wenigstens preiswert sein. Ein Autor schlug in der Moskauer Zeitschrift für Kommunalwirtschaft die Einrichtung unterirdischer Passagier-Förderbänder vor. Sie seien durch den kleineren Tunneldurchmesser billiger und brauchten weniger aufwendige Technik.44 Wie so oft war Stalins Reaktion intrigant und unberechenbar. Die bei der Moskauer Eisenbahnverwaltung für die Metroprojekte zuständigen Ingenieure wurden als >> bürgerliche Spezialisten « und >>Schädlinge « verhaftet. Die >> Prawda << druckte Stellungnahmen empörter Arbeiter ab, in denen Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser gefordert und gegen den >>teuren Luxus << einer Untergrundbahn protestiert wurde. Das Projekt der Moskauer Metro fand keine Aufnahme in den ersten Fünfjahrplan der UdSSR, und die Parteiführung Moskaus wurde abgelöst.
Stalins Vertrauter Kaganowitsch wurde 1930 neuer Parteichef Moskaus, N ikolai Alexandrowitsch Bulganin (1895-1975) Vorsitzender des Moskauer Stadtsowjets und Bürgermeister der Hauptstadt. Erst jetzt wurden die Metropläne wieder aktuell. Unter Kaganowitschs Leitung sollte eine Moskauer Untergrundbahn mit einem Kostenaufwand und in einer Pracht entstehen, von dem die verhafteten bisherigen Metroplaner nicht einmal zu träumen gewagt hatten. Ein speziell gegründetes und finanziell bestens ausgestattetes Unternehmen namens >> Metrostroi << (Abkürzung für >>Metrostroitelstwo<<- >> Metrobau<<) schuf die Voraussetzungen für den Beginn der Bauarbeiten. Darüber hinaus erhielt das Projekt gesamtstaatlichen Charakter. Molotow schlug vor, ausländische Spezialisten aus Paris, Berlin und London einzuladen. Stalin widersprach: >>Die Deutschen reichen. << 45 Der Rat der Volkskommissare erhob >>Metrostroi << 1931 in den Rang einer >>Stoßbaustelle << (udarnaja stroika), die bei der Zuteilung von Ressourcen mit besonderer Dringlichkeit zu behandeln war. 46 91
Der »Palast der Sowjets« sollte an der Stelle der 1931 gesprengten Christus-Erlöser-Kathedrale errichtet werden. Der Zweite Weltkrieg machte dieses Vorhaben zunichte.
Erster Direktor von >> Metrostroi « wurde der Ingenieur Pawel Roter, der sich bereits einen Namen beim Bau eines weiteren Großprojektes der Stalin-Zeit, des DnjeprStaudamms, gemacht hatte. Die 1929 als >>Schädlinge<< verhafteten Metrospezialisten der Moskauer Eisenbahnverwaltung kamen wieder frei . Dennoch geriet der Beginn des Moskauer Metrobaus zum Fehlstart. Niemandem war klar, wie eigentlich gebaut werden sollte. Das Machtwort sprach Kaganowitsch: >>Wir werden hier nicht viel nachdenken. Wir bauen die erste Linie von Sokolniki bis zum Palast der Sowjets, und eine zweite Linie [ ...] vom Smolensker Platz zur Leninbibliothek. << 47 Für den Bau des »Palastes der Sowjets<<, der dann nie errichtet wurde, hatten Stalin und Kaganowitsch 1931 die Christus-Erlöser-Kathedrale im Moskauer Zentrum sprengen lassen.48 Auf Grundlage der Siemens-Studie aus dem Jahr 1926 begann man schließlich mit der Projektierung. Ein erster Probeschacht wurde im November 1931 im Hof des Hauses in der Rusakowskaja-Straße 13a gegraben. Bevor die Gesamtprojektierung für die Metro fertig war, mussten die örtlichen Bauleiter mit den Arbeiten beginnen. Unfälle waren vorprogrammiert. Manche Ingenieure machten aus der Not eine Tugend: »Ich habe keine Ausrüstung, ich weiß nicht, wie man unterirdisch 92
baut, aber es lohnt sich trotzdem, Schächte zu graben, die dann mit Wasser vollaufen und einstürzen, denn dann gibt man mir Strom, Leute und alle mögliche Ausrüstung, damit die Straße nicht einbricht<<, erklärte der Chefingenieur Chimuchin.49 Resigniert meinte ein hochrangiger »Metrostroi<<-Beamter im Herbst 1932, es sei billiger, jedem zehnten Moskauer ein Auto zu kaufen, als eine Metro zu bauen. Dann könnten die Leute wirklich fahren, während es beim derzeitigen Projektierungs- und Arbeitstempo ungewiss sei, wann die Metro fertiggestellt werde.5° Die Situation besserte sich erst, nachdem das Politbüro Ende April 1932 für die Konsultation ausländischer Experten erneut finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt hatte. Aufgrund der sehr schwierigen hydrogeologischen Bedingungen (die den Moskauer Metrobauern bis heute Kopfschmerzen bereiten) war keine einheitliche Bauweise möglich. Es galt, unterirdische Flussläufe zu überwinden, außerdem gab es unterschiedlich festen Boden, schwierige Grundwasserbedingungen und Treibsand. Am einfachsten und preiswertesten wäre die sogenannte Berliner Bauweise gewesen, bei der die Strecken in offenen Baugruben verlegt und später mit einer Decke versehen werden. Damit kann man aber keine großen Tiefen erreichen. Deshalb mussten Tunnel und Stationen unter Anwendung verschiedener Methoden ausgehoben bzw. vorangetrieben werden. Der größte Teil entstand schließlich nach der sogenannten Pariser Bauweise, bei der zunächst Vertikalschächte ausgehoben werden, die den Bau tiefliegender Tunnel möglich machen. Die Berliner Bauweise sah Tunnel aus Stahlbeton vor, die Pariser Bauweise setzte auf Steingewölbe.51 Ein erneutes Machtwort von Kaganowitsch führte dazu, dass »Metrostroi << 1933 den Leitungsapparat straffte, eine konkrete Projektierung ablieferte, die Arbeiter technisch schulte, den Untertage-Lohn erhöhte und auf strenge Disziplin auf den Baustellen achtete. »Bürgerlicher Demokratismus <<, das hieß Diskussionen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, war ab sofort tabu. Im Gegensatz zu den anderen »Großbaustellen des Kommunismus<< kamen beim Bau der Moskauer Metro keine Häftlinge zum Einsatz. 52 Dafür bauten die Einwohner Moskaus durch »Subbotniks << (»freiwillige<< Arbeitseinsätze) die Metro zu großen Teilen mit. Den eigentlichen Umschwung beim Baufortschritt brachte der im Frühjahr 1933 beginnende und drei Wellen um-
fassende Einsatz von insgesamt 10 000 Komsomolzen auf den Baustellen. Gemeinsam mit einem Kern von Parteiaktivisten sollten die Angehörigen der Jugendorganisation der Partei die >>Beeinflussung, Kontrolle und Erziehung der >rückständigen< Arbeiter garantieren« .53 1934 arbeiteten mehr als 70 000 Menschen beim Metrobau. In Großbritannien wurden bei der Firma Markharn & Co. zwei Schildvortriebsmaschinen gekauft, jede zum Preis von über 100 000 GoldrubeL Das erste Vortriebsschild wurde für Probebohrungen verwendet, das zweite auf Anregung des damals 40-jährigen Nikita Chruschtschow, der in der Moskauer Parteileitung unter anderem für den Bau der Metro mitverantwortlich war, demontiert und kopiert. Der Erfolg war durchschlagend: Nach einem halben Jahr gab es bereits 42 solcher Fräsen, nunmehr aus »vaterländischer Produktion« .54 Ständige Probleme bereitete die Isolierung der Tunnel. Wieder griff die Partei ein: Sie gab im Sommer 1934 die kämpferische Parole >>Damit es nicht tropft« aus. Auf Kaganowitschs Anweisung wurden die Isolierungsarbeiten nun konsequent überwacht, die Tunnel mit Dachpappe und Bitumen isoliert.55 Am 8. Oktober 1934 testete man den Prototyp einer Rolltreppe. Die dazu erforderlichen schrägen Schächte wurden unter vorheriger Vereisung des Bodens in die Erde getrieben. Rolltreppen waren damals eine technische Neuheit, die 1932 erstmals bei der Untergrundbahn in London Verwendung gefunden hatte. Weltweit gab es nur zwei Hersteller, die Otis Elevator Company (Großbritannien) und den Demag-Konzern (Deutschland). Den Sowjets gelang es, die westliche Technik zu kopieren und in den Dimensionen zu übertreffen. In der Station Kirowskaja (heute: Tschistyje Prudy)5 6 - benannt nach Stalins einstigem Favoriten und späterem innerparteilichen Rivalen, dem 1934 unter ungeklärten Umständen ermordeten Leningrader Parteichef Sergej Kirow (eigentlich: Sergej Mironowitsch Kostrikow)wurde die mit 60 Metern damals längste Rolltreppe der Welt installiert. Am 15. Oktober 1934 rollte schließlich der erste Probezug von der Station Komsomolskaja zur Station Sokolniki. Ende Dezember waren die Arbeiten nahezu abgeschlossen. Zur Frischluftversorgung der Tunnelsysteme dienten Bauschächte, die in Ventilationsschächte umgewandelt worden waren. Die verbleibenden Wochen bis zur Eröffnung der Metro im Mai 1935 waren von Hektik geprägt: Ihre
Montage einer Schildvortriebsmaschine, 1934 oder 1935.
Rolltreppe in der Station Krasnyje Worota.
Erste Testfahrt eines Metrozuges am 15. Oktober 1934.
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Verzierungen in Moskauer Metrostationen. oben: Kapitelle in der Station Pawletzkaja aus dem Jahr 1950 (links) und Komsomolskaja aus dem Jahr 1935 (rechts); Mitte: Kacheln in der Station Belorusskaja (1952); unten: Plaketten in der Station Park Kultury (1950).
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Inbetriebnahme sollte durch keine Panne überschattet werden. Die Sowjetunion wollte dem Ausland und der eigenen Bevölkerung beweisen, die beste Untergrundbahn der Welt gebaut zu haben. Davon wollte sich Anfang April schließlich auch Stalin überzeugen. Er unternahm gemeinsam mit hochrangigen Parteiführern eine Probefahrt, bei welcher der schlimmste aller Fälle eintrat. Eine Signalanlage versagte, und Stalin steckte samt Begleitung im Tunnel fest . Eine halbe Stunde dauerte es, bis der Generalsekretär befreit werden konnteP Ein Mitglied der unmittelbar darauf mit der Untersuchung des Vorfalls beauftragten Regierungskommission schrieb später, Stalin sei nach Verlassen des Metrowaggons grußlos an den wartenden Ingenieuren und den Mitgliedern der Kommission vorbeigegangen und direkt ins Auto gestiegen.58 Was mit den Verantwortlichen für die Panne passierte, ist nicht bekannt. Am 15. Mai 1935 war es dennoch so weit. Um 5.35 Uhr öffneten sich die Türen von elf der 13 Stationen des ersten Bauabschnitts der Moskauer Metro. Schon am Vorabend hatten sich lange Schlangen vor den Stationen gebildet. Allein an den ersten drei Tagen wurden 700 000 Fahrgäste gezählt. Für den Bau des ersten Abschnitts der Moskauer Metro wurden 88 000 Tonnen Metall, 581 000 Kubikmeter Holz, 296 000 Tonnen Zement, 305 000 Rollen Isolationsmaterial, fast eine Milliarde Kubikmeter Schotter und 23 000 Quadratmeter polierte Marmorplatten verwendet. 59 Die Streckenlänge betrug 11,6 Kilometer. Lazar Kaganowitsch verkündete stolz: >>Wir wollen, dass dieses Bauwerk, größer als jeder Palast und jedes Theater, Millionen Menschen zur Verfügung steht und den Geist von Millionen Menschen erhebt. Uns, die Bolschewisten und Proletarier, versucht die Bourgeoisie als Barbaren darzustellen und als Zerstörer der Kultur. Diese Lüge unserer Feinde ist endgültig entlarvt. Wir kämpfen für eine neue Kultur. [... ]Jede Metrostation ist et\vas Besonderes. Wo sind denn hier, meine Herren Bourgeois, die Kasernen? Wo ist die Vernichtung der Persönlichkeit? Wo ist die Vernichtung der Kreativität? Wo ist die Vernichtung der Kunst? «60 In der Tat ist die Moskauer Metro beeindruckend. Die ideologische Bedeutung, die das Sowjetsystem ihrem Prestigeobjekt zumaß, ließ anstelle von funktionalen Stationen kathedralenartige Hallen entstehen. Gestaltungselemente waren Marmorfresken und Mosaike, Bronzeskulpturen und -kronleuchter, Buntglasfens-
Ausschnitt aus einem Mosaik in der Station Majakowskaja.
ter und Wandgemälde, die in höchster Qualität ausgeführt wurden und sich noch immer in einem guten Zustand befinden. Dabei sind die Stationen des ersten Bauabschnittes mit einer Mischung aus Klassizismus, Rationalismus und Moderne noch relativ schlicht. Nach der offiziellen Inbetriebnahme der Metro wagte Stalin im Frühsommer 1935, trotzder schlechten Erfahrung bei seiner ersten Fahrt, einen zweiten Versuch. Für seinen Hofstaat völlig unerwartet, beschloss er während einer Geburtstagsfeier der Kinderfrau seiner Tochter Swetlana, sich einer Exkursion der Geburtstagsgesellschaft anzuschließen. Die Leibwächter erbleichten. Man rief Regierungschef Molotow an, und binnen weniger Minuten wusste das halbe Politbüro Bescheid. Molotow eilte zu Stalin und versuchte, ihn von dem Vorhaben abzubringen. Kaganowitsch schlug
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Station Arbatskaja, 1935. Bis 1955 trug die Moskauer Metro den Namen »L. M. Koganowitsch«, der über dem Metroportal zu lesen ist.
vor, erst nachts zu fahren, wenn alle Stationen geschlossen seien. Doch Stalin ließ sich von seinem Beschluss nicht abbringen. Ein Biograph berichtet: >>Wenig später verließen drei Limousinen mit Magnaten, Frauen, Kindern und Leibwächtern den Kreml. Bei der nächstbesten Station stiegen ihre Insassen aus und verschwanden in der Unterwelt. Leider stand auf dem Gleis gerade kein Zug bereit, und man kann sich Kaganowitschs verzweifeltes Bemühen, sofort einen anzufordern, bildhaft vorstellen. Das Publikum bemerkte Stalin und rief ihm Komplimente zu, dieser jedoch schien ungeduldig. Als schließlich ein Zug eintraf, bestieg ihn die Gruppe jubelnd.«61 Kaganowitsch hatte es geschafft. Trotz aller Verzögerungen und Pannen hatte Moskau nun eine Untergrundbahn, die in technischer und gestalterischer Hinsicht Weltspitze war. Zu Ehren seines verantwortlichen Erbauers gab man ihr nach Fertigstellung im Jahr 1935 den Namen >> Moskowskij metropoliten imeni L.M. Kaganowitscha<< (Moskauer Metro L.M. Kaganowitsch). Erst im Zuge der Entstalinisierung, als 96
Chruschtschow auch den Kult um noch lebende Personen abschaffte, wurde sie 1955 in >> Moskowskij metropoliten imeni W.l. Lenina<< (Moskauer Metro W. l. Lenin) umbenannt. Mit der Metro veränderte sich die russische Hauptstadt. Ein Generalplan zur Stadtent\vicklung legte 1935 die städtebauliche Umstrukturierung fest. Die Stadt sollte kompakter werden, der Gegensatz zwischen armen Randvierteln und dem wohlhabenden Zentrum verschwinden. 1935 lebten in Moskau drei Millionen Menschen, im Jahr 2009 werden es mehr als 15 Millionen sein. Die Untergrundbahn versuchte, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Von Jahr zu Jahr kamen neue Linien und Stationen hinzu. Die architektonische Gestaltung der Stationen wurde in den Stalin-Ära immer anspruchsvoller und pompöser. Während in der Sowjetunion in den Jahren 1937/38 der >>Große Terror<< tobte, der Millionen von Opfern forderte, suchten sich die Künstler, die mit der Ausgestaltung der >>unterirdischen Paläste für das Volk<< beauf-
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Metroplan aus dem Jahr 1935. Die Linienführung nahm sich im Vergleich zu den späteren Erweiterungen noch bescheiden aus.
Säulen und Bögen aus Marmor in der Station Komsomolskaja verdeutlichen den Anspruch, »Paläste fürs Volk« gebaut zu haben.
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tragt waren, mit ihren Entwürfen in der Jagd um Gunst und Ansehen gegenseitig zu übertreffen. Der sozialistische Realismus setzte sich auch in Metrostationen durch. Während der zweiten Bauphase, die bis Ende 1938 dauerte und bei der >>Metrostroi « unter anderem mit dem Bau der heutigen grünen Linie begann/2 entstanden zum Beispiel die Stationen Teatralnaja (bis 1990: Ploschtschad Swerdlowa), Sokol, Aeroport, Belarusskaja und Ploschtschad Rewoljuzi (Platz der Revolution). In der Station Platz der Revolution, von der aus man direkt zum Roten Platz gelangt, stehen unter 40 Kuppelbögen aus Bronze gegossene idealtypische Helden der Oktoberrevolution: ein Pionier mit Gewehr, die Besatzung des Panzerkreuzers >>Aurora<<, ein Grenzsoldat, eine Mutter mit Kind- und natürlich Lenin. Während des Zweiten Weltkriegs wurde weiter an der Untergrundbahn gebaut, auch wenn jetzt militärische Erwägungen im Vordergrund standen. Der Bau der Metro in Leningrad dagegen, mit dem noch kurz vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Jahr 1941 begonnen worden war, konnte wegen der deutschen Blockade nicht fortgesetzt werden. In Moskau schritten die Arbeiten unverdrossen voran. Nach offiziellen russischen Angaben wurden dort in den Kriegsjahren 13,3 Tunnelkilometer gegraben.6 3 Parallel dazu setzte die beinahe vollständige Untertunnelung und Unterbunkerung des gesamten Moskauer Zentrums ein, so dass die realen Kilometerangaben um ein Vielfaches höher liegen dürften. Nach dem gewonnenen Krieg konnte es beim Metrobau bis in die 50er Jahre hinein gar nicht bombastisch genug zugehen. Am 4. März 1954 wurde die Ringlinie vollendet, welche die damals bestehenden drei Radiallinien miteinander verband. Entlang der Ringlinie schienen die >>Paläste des Sozialismus<< unter der Erde in direkte Konkurrenz zu den oberirdischen Kirchen treten zu wollen. Die prachtvollen Säle der Stationen wurden als stein- und marmorgewordener Triumph sozialistischer Ideale propagiert und werden von nicht wenigen bis heute so wahrgenommen. Die Metro war zu einem Symbol für die siegreiche Sowjetunion geworden. Heute verfügt die Moskauer Metro über ein Streckennetz mit elf farblieh unterschiedlich gekennzeichneten Linien, einer Gesamtstrecke von 262 Kilometern und 170 Stationen. Die unter Kaganowitschs Leitung gebauten ersten Moskauer Metrostationen liegen auf der heutigen roten und hellblauen Linie.64 98
ln der 1938 eröffneten Station Platz der Revolution stehen unter 40 Bögen in Bronze gegossene idealisierte Helden der Sowjetmacht.
Jeder Moskauer kennt den Bronzesoldaten mit Hund. Das Streicheln der Hundeschnauze soll Glück bringen.
Eine Inschrift in der Station Platz der Revolution erinnert on den Tag des Sieges im »Großen Vaterländischen Krieg«.
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Prunkvolle Deckenleuchter schmücken die Station Komsomolskaja.
Metroplan der russischen Hauptstadt. Zur Orientierung dienen verschiedene Farben für die jeweilige Linie - Linie I: rot, Linie 2: dunkelgrün, Linie 3: dunkelblau, Linie 4: hellblau, Linie 5: braun, Linie 6: ocker, Linie 7: violett, Linie 8: gelb, Linie 9: grau, Linie I 0: hellgrün, Linie II: mittelblau. Die Metro verkehrt von 5.30 Uhr morgens bis ein Uhr nachts. Rund neun Millionen Passagiere werden täglich befördert. ln den Hauptverkehrszeiten fahren die Züge im Minutentakt.
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Vertrauen in Hitler-Deutschland und Kriegsbeginn in Metroschächten Frontlinienbunker der Stalin-Linie und der Molotow-Linie
Ab 1929 entstand vom Finnischen Meerbusen im Norden bis zum Schwarzen Meer im Süden auf einer Länge von 1835 Kilometern die sogenannte Stalin-Linie. Sie bestand aus unzähligen Betonbunkern sowie eingebundenen natürlichen Hindernissen: Seen, Flüssen und Sümpfen. Die Bunker verfügten über leichte und schwere Bewaffnung. Insgesamt umfasste das Bollwerk mehr als 3000 einzelne Gefechtsanlagen, die teilweise durch Tunnel verbunden waren und eine Art Fort bildeten. Die Stalin-Linie sollte das Land vor westlichen Aggressoren schützen. Doch zunächst wurden Land, Bevölkerung und Armee von Stalin heimgesucht. In den Jahren des >>Großen Terrors << (1937/38), aber auch noch später, hatte er auf Grundlage verleumderischer Anklagen systematisch >>mehrere Schichten von Führungskadern [der Roten Armee] Repressalien ausgesetzt, angefangen bei der Kompanie- und Bataillonsebene bis hin zu allen höheren Militärzentren«.65 Die Armeeführung wurde in diesen Jahren faktisch enthauptet. 1941 waren nahezu alle erfahrenen Unteroffiziere, Offiziere und Generäle liquidiert worden, ein Zeichen dafür, dass der Führer der Sowjetunion nicht mit dem baldigen Beginn eines Krieges gerechnet haben kann. Aufgrund der Stalin'schen >>Säuberungen<< fehlten außerdem Militäringenieure, und viele Arbeiten an der Stalin-Linie mussten von zivilen Kräften durchgeführt werden. Das wirkte sich negativ auf die Qualität aus. In zahlreichen Bunkern fehlten Stromversorgung und Ventilation, von den elementarsten Bequemlichkeiten für die Besatzung ganz zu schweigen. In Deutschland sah Stalin lange keinen Hauptfeind. Zwar kannte er Hitlers Buch »Mein Kampf<< und wusste um Hitlers Ziele. Doch sein ansonsten sicherer politischer Instinkt schien durch eine gewisse Faszination für Programm und Vorgehensweise des deutschen »Führers« getrübt zu sein. Als in Deutschland nach dem sogenannten Röhm-Putsch 1934 die »Nacht der langen Messer« stattfand, sagte er: »Hitler, das ist ein toller Bursche! So muss man mit politischen Gegnern umgehen. << 66 Noch im März 1939, auf einer Rede zu
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Die Bollwerke der Stalin·linie (rechts) bzw. der Molotow·linie (links) sollten die Sowjetunion vor einem Angriff aus dem Westen schützen.
den Delegierten des XVIII. Parteitages der KPdSU, sprach Stalin von einem bevorstehenden »Krieg zwischen den imperialistischen« Staaten, unterstellte Deutschland aber keine eigenen Aggressionsabsichten gegen die Sowjetunion. Die Gefahr sei lediglich, dass Frankreich, Großbritannien und die USA Deutschland »anstacheln wollten, weiter nach Osten vorzudringen<< .67 Vor diesem Hintergrund unterzeichneten die Sowjetunion und das Deutsche Reich am 23. August 1939 einen Nichtangriffs- und Neutralitätspakt. Die Unterzeichnung dieses Pakts durch die beiden Außenminister Joachim von Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow68 schlug wie eine Bombe in die internationale Politik ein.
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Im geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 wurde die Teilung Polens und die Aufteilung des Baltikums, Finnlands und Bessarabiens in »Interessensphären« beschlossen. Es trägt die Unterschriften der Außenminister Ribbentrop und Molotow.
Damit waren nicht nur die britisch-französischen Be· mühungen gescheitert, die Sowjetunion in eine »große Allianz« gegen Hitler-Deutschland einzubeziehen, son· dern auch die westliche Appeasement-Politik gegenüber dem >> Dritten Reich«. In einem geheimen Zusatzproto· koll zum Molotow-Ribbentrop-Pakt, dessen Existenz von der Sowjetunion bis zum Beginn der 90er Jahre strikt geleugnet wurde,69 teilten die beiden Vertrags· partner die drei baltischen Staaten (Litauen, Lettland, Estland), Bessarabien und Finnland in >>Interessensphären« auf7° und beschlossen die vierte Teilung Polens. Hitler besaß durch die mit dem Pakt erreichte Neutra· lisierung der Sowjetunion die >>carte blanche« zum Überfall auf Polen. Am 1. September 1939 überschritt die deutsche Wehrmacht die polnische Westgrenze und entfesselte damit den Zweiten Weltkrieg. Am 17. Sep· tember 1939 überquerten sowjetische Truppen die polnische Ostgrenze. Am 22. September fand in Brest·
Litowsk eine gemeinsame deutsch-sowjetische Sie· gesparade statt, und sechs Tage später legten Deutsch· land und die Sowjetunion in einem Grenz· und Freundschaftsvertrag, der sogar in den sowjetischen Ta· geszeitungen veröffentlicht wurde/1 eine gemeinsame, neue Grenze fest. Der polnische Staat existierte nicht mehr. Die Bunker der Stalin-Linie, so meinte man in der sowjetischen Führung, hätten nun ihre Bedeutung ver· Ioren, verlief die Verteidigungsstellung doch nunmehr relativ weit von der Grenze entfernt. Nach 1939 wur· den viele Gefechtsanlagen der Stalin-Linie daher nicht mehr von der Armee gewartet. Waffen und Ausrüs· tungen verschwanden, die Bauten verfielen oder wur· den Kolchosen als Lager zur Verfügung gestellt. Entlang der gerade geschaffenen Grenze mit dem Deutschen Reich ließ Stalin nun ein neues Bollwerk er· richten: die Molotow-Linie. Sie verlief 300 Kilometer 101
Freundschaftliches Treffen deutscher und sowjetischer Soldaten noch der Aufteilung und Besetzung Polens im September 1939.
Noch dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion: deutsches Propagandaplakat aus dem Jahr 1941.
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westlich der alten Befestigungsanlage mitten durch Polen sowie entlang der ostpreußisch-litauischen Grenze. Die Bunker der Molotow-Linie wurden überwiegend mit Geschützen der Stalin-Linie bestückt. Irrfolge des Freundschaftsvertrags mit Deutschland verzichtete man in der Sowjetunion weitestgehend auf antifaschistische Propaganda. Hitler-Reden erschienen auszugsweise in der >>Prawda «. In der »Bibliothek für ausländische Literatur<< in Moskau lagen nationalsozialistische Zeitungen aus.72 Über 1000 deutsche Kommunisten, die in der Sowjetunion Asyl gesucht hatten, wurden entweder nach Deutschland ausgeliefert, wo sie in den Konzentrationslagern verschwanden, oder sie kamen in sowjetische Lager. Für besorgte Stimmen sowjetischer Agenten und Diplomaten, die vor einem bevorstehenden deutschen Überfall warnten, war Stalin relativ taub. Trotz sich häufender alarmierender Signale wurden keine ernsthaften Gegenmaßnahmen eingeleitet.73 In der Nacht zum 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Stalin, der sich in seiner Datscha in Moskau-Kunzewo aufhielt, weckte ein Anruf des Chefs des Generalstabs der Roten Armee, Georgi Schukow. Nachdem Schukow seinen Bericht durchgegeben hatte, herrschte am anderen Ende der Telefonleitung »Schweigen, nur unterbrochen durch Stalins schweren Atem<< .74 Nicht einmal in diesem Moment glaubte er daran, dass Hitler ihn hintergangen habe. Stalin vermutete, dass der Krieg »eine Provokation des deutschen Offizierskorps << sei.75 Die Sowjetunion war beim Überfall der Wehrmacht nicht auf den Krieg gegen Deutschland vorbereitet. In einer als »Geheimrede << in die Geschichtsschreibung eingegangenen Ansprache an die Delegierten des XX. Parteitages der KPdSU, die in der Sowjetunion erst 1989 veröffentlicht wurde, sagte Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow am 25. Februar 1956, die Industrie sei nicht >>rechtzeitig und ausreichend zur Versorgung der Armee mit Waffen und nötigem Gerät mobilisiert worden<< . Im Moment des Kriegsausbruches habe es nicht einmal >>eine ausreichende Zahl von Gewehren zur Bewaffnung der Einberufenen<
Erhalten gebliebene Bunker der Stalin-Linie. Die Verteidigungsanlage der Stalin-Linie bildeten für die Wehrmacht kein Hindernis.
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Stalins Kommandozentrale in de r Metrostation Kirowskaja Da man nicht oder zumindest nicht so schnell mit einem deutschen Angriff gerechnet hatte, ist es wenig verwunderlich, dass es in Moskau wie überall im Land an unterirdischen Schutzräumen und sicheren, gut ausgerüsteten Kommandozentralen mangelte. Weder der Kreml noch Stalins Datscha in MoskauKunzewo besaßen zum Zeitpunkt des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion Schutzbunker. Marschall Schukow schrieb in seinen Memoiren: »Der Versuch, den Krieg vom Schreibtisch im Arbeitszimmer des Kreml aus zu führen, hat die Tätigkeit des Generalstabes negativ beeinflusst.<<78 Stalin selbst verfügte anfänglich vermutlich außer einem Bunker in MoskauIsmailowo/9 der sich in geringer Tiefe befindet, über keinen weiteren einsatzbereiten unterirdischen Stützpunkt. Es bestand also dringender Nachholbedarf: Lazar Kaganowitsch, der sich bereits um den Bau der Moskauer Metro und russischer Eisenbahnstrecken verdient gemacht hatte, bekam die Leitung der neuen Bunkerbauten für Stalin übertragen. Mit Hochdruck und im Eiltempo entstanden zwei sichere unterirdische Schutzräume. Wahrscheinlich im Dezember 1941 konnten an Stalin ein Bunker unter dem Kreml und im März 1942 ein Bunker unter seiner Datscha in Kunzewo übergeben werden. 80 Bevor diese Arbeiten vollendet waren, nutzte Stalin die Kommandozentrale der Luftabwehr in der KirowStraße (heute: Mjasnizkaja-Straße 33).81 Dieser Befehlsstand befand sich in unmittelbarer Nähe der Metrostation Kirowskaja (heute: Tschistyje Prudy). Es bestand eine Verbindung zwischen den oberirdischen Gebäudeteilen und der Metrostation. Stalin erlebte die ersten Luftangriffe in dieser Kommandozentrale. Bei Fliegeralarm fuhr er mit dem Fahrstuhl in die Metrostation hinunter, die mit 35,2 Metern der am tiefsten gelegene Haltepunkt entlang der ersten (heute rot gekennzeichneten) Metrolinie war. Ende Juni 1941 schloss man die Eingänge zur Station und schirmte die Bahnsteige so ab, dass man von den durchfahrenden Zügen aus nicht erkennen konnte, was dort vor sich ging. Möglicherweise hat es sogar unter den Gleisen der Metrostation Kirowskaja weitere Räumlichkeiten gegeben.82 Die Durchgänge zwischen den Säulen der Station waren durch Wände abgesperrt. In dem so entstan104
denen Mittelraum gegenüber der Rolltreppe arbeitete der Generalstab der Roten Armee. Hier fanden auch die Sitzungen des Staatlichen Verteidigungskomitees statt. Stalin diente >>zum Kampieren [...] ein speziell umgebautes, mit einer Sperrholzverkleidung gegen Lärm geschütztes Abteil. Viele seiner Mitarbeiter schliefen in dazu umfunktionierten, gleich nebenan abgestellten U-Bahnwaggons. Das neue Hauptquartier tief unterhalb der Kirow-Straße bestand aus Büros mit Schreib-
Die heutige Metrostalion Tschistyje Prudy trug zwischen 1935 und 1990 den Namen des 1934 ennordeten Leningrader Parteichefs Kirow.
Durchgang zu den Gleisen der ehemaligen Station Kirowskaja, die Stalin zu Kriegsbeginn als Bunker diente.
Auszug aus der Prowdo: Elf Tage noch dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion rief Stolin zur Verteidigung der Heimat auf.
Die Station Krosnyje Woroto gehört zu den ältesten Moskouer Metro· stotionen. Sie wurde om 15. Mai 1935 eröffnet.
tischen und Schlafabreilen. Nach vielen Stunden angestrengter Arbeit begab sich Stalin schließlich früh am Morgen in die Koje. [...] [Die] Leibwächter hielten davor Wache. [...] Man kann sich kaum andere Kriegsherren vorstellen, die ein solches Leben führten, aber Stalin war seit seinen frühen Revoluzzertagen daran gewöhnt. «83 Er schlief kaum im Bett, sondern bevorzugte Couchs, auf denen er sich oft gleich in seiner Uniform zum Schlafen niederlegte.
Schutzräume für das Volk: die Moskauer Metro im Krieg
Eine zweite Metrostation, die unmittelbar nach Kriegsbeginn für den Publikumsverkehr geschlossen wurde, gehört gleichfalls zu den ältesten Stationen Moskaus: Krasnyje Worota. Sie befindet sich unmittelbar am Lermontow-Platz (heutige rote Metrolinie) und war am 15. Mai 1935 in Betrieb genommen worden. Die Architektur der Station, auf der Pariser Weltausstellung 1937 mit einem Preis ausgezeichnet, ist vom sowjetischen Konstruktivismus der 20er und 30er Jahre geprägt. Wie die Kirow-Station gehört sie zu den am tiefsten gelegenen unterirdischen Bahnhöfen des ersten Bauabschnitts. Lazar Kaganowitsch, Stalins Volkskommissar für Eisenbahnwesen, dessen Führungsstab und die
Zwischen 1949 und 1953 wurde eine der sieben »Stolin·Schwestem« über der Station Krosnyje Woroto errichtet.
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Unter dem Denkmal des Moskauer Stadtgründers Juri Dolgoruki beflndet sich eine nie in Betrieb genommene Metrostation. Sie dient als Bunker.
Fernmeldestelle des Volkskommissariats benutzen die Station als Luftschutzbunker. In den Jahren zwischen 1949 und 1953 errichtete man direkt über der Metrostation ein Hochhaus im >>Zuckerbäckerstil<<, eine der sogenannten Stalin-Schwestern.84 Das Eisenbahnministerium der Sowjetunion hatte hier seinen Sitz. Eine Eingangshalle der Metrostation liegt in unmittelbarer Nähe des Hochhauses. Da man befürchtete, dieses Vestibül könnte durch den Bau des Hochhauses beschädigt werden, wurde der gesamte Untergrund mittels riesiger Kältemaschinen tiefgefroren. 85 Ursprünglich hatten militärische Überlegungen bis auf wenige Ausnahmen beim Bau der Moskauer Metro 106
kaum eine Rolle gespielt. Kaganowitsch hatte zwar bereits in den 30er Jahren auf einem Truppenübungsplatz Nachbauten von Metrotunneln in unterschiedlicher Tiefe von der eigenen Luftwaffe probehalber bombardieren lassen, 86 und es gibt zudem Hinweise darauf, dass die Metrobauer schon vor dem Krieg mit der Errichtung von unterirdischen Schurzräumen betraut waren. Inwieweit diese Arbeiten aber bis 1941 abgeschlossen waren, ist offenY Allerdings existiert mitten im Moskauer Stadtzentrum, direkt unter dem Denkmal für den Moskauer Stadtgründer Juri Dolgoruki, ein Bunker mit Zugang vom Sitz des Moskauer Oberbürgermeisters und
vermutlich auch vom ehemaligen Hotel >>Lux<< in der Twerskaja-Straße. Dort wohnten in den 30er Jahren kommunistische deutsche Emigranten, darunter Walter Ulbricht und Herbert Wehner. Bei dem Bunker handelt es sich um die während der ersten Metrobauphase geplante Station Sowjetskaja. Sie wurde nie eröffnet und blieb >>eine tote Station<< .88 Der nach wie vor funktionstüchtige Bunker ist nach Auskunft eines hochrangigen Moskauer Verwaltungsbeamten der Zivilverteidigung vorbehalten und ein geheimer Bestandteil der heutigen grünen Metrolinie. Im April1941, kurz vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, beschloss der Rat der Volkskommissare, die übrigen Metrostationen an die Erfordernisse des Luftschutzes für die Bevölkerung anzupassen, und stellte dafür beträchtliche wirtschaftliche Ressourcen und finanzielle Mittel zur Verfügung. Bei Fliegeralarm konnten sich schließlich fast eine halbe Million Menschen in die Stationen und Tunnel in Sicherheit bringen. Die Metrozüge verkehrten in den Kriegsjahren bis 18 Uhr. Danach rüstete man die Stationen um. Die Gleise erhielten eine Holzabdeckung, es gab Trinkwasserstellen, Toiletten und andere Vorrichtungen, die notwendig sind, um Menschen in großer Zahl unterbringen zu können. Die Moskauer Bevölkerung durfte nachts nur bei bereits ausgelöstem Fliegeralarm in die Metrostationen hinein. Ausnahmen gab es lediglich für Frauen mit Kindern bis zwölf Jahre, die sofort nach Abschluss der täglichen Umrüstungen einen Platz für die Nacht in den Stationen erhielten. Die Metro sollte nicht nur vor Bomben, sondern auch vor einem befürchteten Gasangriff schützen. Das erforderte die Ausrüstung mit Filteranlagen und hermetisch schließenden Türen. Während des Alarms verwandelten sich die Metrostationen in unterirdische Stadtviertel. Es eröffneten Geschäfte, Friseursalons und in der Station Kurskaja sogar eine Bibliothek. Während des gesamten Krieges gab es nur zweimal Situationen, in denen das Leben der Menschen, die in der Metro Zuflucht gesucht hatten, in Gefahr war: Am 22. Juli 1941 fiel eine Fliegerbombe auf die Abdeckung des vergleichsweise niedrig liegenden Tunnels zwischen den Stationen Arbatskaja und Smolenskaja. Gleichzeitig wurde eine Haupt\vasserleitung zerstört, so dass sich Wassermassen in den gebildeten Bombentrichter ergossen. Nur mit großer Mühe gelang es, die Menschen aus dem stark beschädigten Tunnel zu evakuieren. Am gleichen Tag zerstörte eine Fliegerbombe am Belorussischen
Bahnhof eine Hauptwasserleitung. Dort überflutete das Wasser die Eingangshalle der Metrostation und gelangte in den Maschinenraum der Rolltreppen. Nach nur wenigen Minuten drang das Wasser in die Metrostation ein. Auch dort schaffte man es nur unter großen Anstrengungen, das Wasser abzupumpen, so dass es nicht in den Tunnel gelangte, wo sich die schutzsuchenden Moskauer zusammengedrängt hatten. Im Frühjahr 1942, nach der gewonnenen Schlacht um Moskau, wurden Arbeiten zur Erweiterung des Metrosystems, die nach Kriegsausbruch unterbrochen worden waren, wieder aufgenommen. Zwei neue Abschnitte wurden am 1. Januar 1943 bzw. am 18. Januar 1944 fertiggestellt: der erste vom Swerdlow-Piatz bis zur Station Awtosawodskaja und der zweite vom Kursker Bahnhof bis zur Station Ismailowskaja. An jeder der in Betrieb genommenen Stationen erinnern heute Gedenktafeln mit der Aufschrift >>Errichtet in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges « an die Bauanstrengungen. Noch während des Krieges begann auch der Bau von sieben Stationen einer Ringlinie, der aber erst nach 1945 in Dienst abgeschlossen wurde. Immer wieder brachten die Kriegsereignisse neue Schwierigkeiten mit sich. Die Bauteile für die Station
Hilfsleistungen für Moskauer Kinder während des Zweiten Weltkrieges: Milchausgabe in der Metrostation Majakowskaja.
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Mehrere Moskauer Metrostationen können im Bedarfsfall durch Sicherheitsschotts hermetisch abgeriegelt werden, so etwa die Stationen Sportivnaja (oben links), Kurskoje (oben rechts), Sawiolowskaja (unten links) und Tschechowa (unten rechts).
Pawelezkaja beispielsweise lagerten in der von den Deutschen besetzten Stadt Dnjepropetrowsk (Ukraine). Deshalb konnte die am 1. Januar 1943 eröffnete Station nur mit viel Improvisation gebaut werden. Da die meisten Männer an der Front kämpften, wurde diese Station zudem fast ausschließlich von Frauenbrigaden errichtet. Die bitteren Lehren der Kriegszeit waren nicht umsonst: Seit Ende des Zweiten Weltkrieges werden beim Bau der Metrolinien, aber nicht nur dort, die Belange des Katastrophenschutzes und der Zivilverteidigung berücksichtigt. Im Katastrophenfall können heute die
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meisten Moskauer Metrostationen als >>Bunker für das Volk « dienen, indem sie durch eingebaute Schotts hermetisch abgeriegelt werden. In manchen Bahnhöfen können nicht nur die Ein- und Ausgänge abgeschottet werden, sondern auch die Durchgänge zu den Gleisen. >>Das Funktionieren der beweglichen Schotts wird regelmäßig kontrolliert«, so ein Sicherheitsbeauftragter. »Das passiert natürlich nachts, wenn die Metro geschlossen ist. Denn eigentlich<< , so fährt der Mann sichtlich stolz fort, »schläft die Moskauer Metro nie. Auch dann nicht, wenn der Betrieb für die Öffentlichkeit ruht. <<
Bunker der Nomenklatura Stalins Bunke r in Moskau-lsmailowo Heute gibt es ein zweites, unbekanntes Moskau unter der eigentlichen Stadt: Tunnelsysteme, Fahrstraßen, die selbst für Lastkraftwagen und Panzer ausgelegt sind. Riesige, miteinander verbundene Bunkeranlagen befinden sich unter der vom Boulevardring umschlossenen Innenstadt Moskaus, aber nicht nur dort. Zwar begann die Unterhöhlung der russischen Hauptstadt schon im Mirtelalter und wurde in der Zarenzeit fortgesetzt, doch erst unter Stalin und später in den Jahren des Kalten Krieges erreichte sie Ausmaße, wie sie vermutlich weltweit kaum eine zweite Stadt vorweist. Die meisten
Anlagen sind weiterhin streng geheim und stehen unter der Obhut der Armee, des Ministeriums für Katastrophenschutz oder des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Das trifft nicht nur auf funktionstüchtige und einsatzbereite Objekte zu, sondern auch auf stillgelegte Anlagen. Ich hörte jedoch, dass es einen Bunker von Stalin in Moskau geben sollte, den man begehen könne. Jegor wusste davon nichts, was mich verwunderte. Doch wahrscheinlich sind offiziell zugängliche Objekte zu langweilig für ihn und sorgen für keinen ausreichenden Adrenalinschub. Aber selbst deutsche Kollegen, die teilweise schon mehrere Jahre in Moskau lebten, wussten von der Existenz eines solchen Bunkers nichts. Den entscheidenden Hinweis bekam ich von einem Georgier,
Digger finden wie hier unter der Soljanka·Straße immer wieder Zugänge zu geheimen Fahrstraßen unter Maskaus Zentrum.
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Ganz in der Nähe eines belebten Marktes in Moskou-lsmoilowo be~ndet sich der Eingong zu Stolins erstem Geheimbunker.
der sich in einer Metrounterführung mit seiner Violine ein Zubrot verdiente und dessen erstklassigem Spiel ich des Öfteren mit Anteilnahme zugehört hatte. Wir kamen ins Gespräch, und später spielte David zu verschiedenen Anlässen bei uns zu Hause, zwischen uns erwuchs eine Freundschaft. David stammt aus Metechi in Mittelgeorgien, der Gegend, inderStalins Geburtsstätte liegt. David war bis Anfang der 90er Jahre in einem Orchester engagiert, doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war im neuen Georgien kein Geld mehr vorhanden für staatlich geförderte Kunst. Seitdem ernährt er seine Familie mir dem, was ihm Passanten in der Metrounterführung der Starion Lenin-Bibliothek in den Violinenkoffer werfen. Alle drei Monate fährt er nach Hause zu seiner Frau und seinen zwei Töchtern, denn länger als
Prächtig ausgestattet und aufwendig restauriert: Gong zum unterirdischen Konferenzroum.
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ein Vierteljahr dürfen sich Ausländer nicht in Russland aufhalten, ohne das Land zwischendurch verlassen zu haben. David hasst seinen berühmten Landsmann Stalin. Anders als viele ehemalige Sowjetbürger sieht er in ihm weder den erfolgreichen Kriegsherren noch den Schöpfer eines industrialisierten Russland, sondern lediglich ein Monster. Von dem von mir gesuchten Bunker hatte er durch Zufall erfahren. Wenn er in Moskau ist, wohnt er in einem Zimmer, das er sich mit zwei Landsleuten in einem heruntergekommenen Plattenbau teilt, im Moskauer Stadtbezirk Ismailowo. Der Bezirk liegt östlich vom Stadtzentrum und entwickelte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg Schritt um Schritt zum städtischen Wohnbezirk. In den 30er Jahren verlief hier die Moskauer Stadtgrenze, es gab Linden- und Birkenwälder, aber keine Häuser. »Dort ist der Bunker, den du suchst«, sagte David. >>Der Eingang ist mitten auf einem Markt. Es soll ein Museum im Bunker untergebracht sein, aber ich habe nur ab und zu Leute hineingehen sehen.« Ich fuhr nach Ismailowo, besuchte den Markt, und tatsächlich: Zwischen Ständen, deren Inhaber vor allem billige Textilien mit teuren Labels verkaufen, befindet sich unübersehbar und von mehreren Fahnen gerahmt eine massive Tür. Wie vermutet, war sie verschlossen, ein Straßenkehrer mittelasiatischer Herkunft sagte, der »Chef<< komme meist gegen 17 Uhr. Er sprach so ehrfürchtig von ihm, dass man annehmen konnte, er meinte den Generalissimus höchstselbst. »Ja, hinter der Tür ist ein Bunker<<, bestätigte der Mann auf meine Nachfrage, hinein gelangte ich an diesem Tage aber nicht mehr. Mir erschien es damals unglaublich: Inmitten eines belebten Marktes des Stadtbezirkes ist der Eingang zum wahrscheinlich ersten Bunker, den Stalin zu seiner persönlichen Verwendung bauen ließ. Schon zur Sowjetzeit gab es unter den Moskauern Gerüchte über ein großes unterirdisches Objekt aus den 30er Jahren in Ismailowo. Doch erst nach 1996 wurden die Gerüchte zur Gewissheit. Nach und nach drangen Details an die Öffentlichkeit, die einer Sensation gleichkamen. Der Stalin-Bunker war als Kommandozentrale vorgesehen, alle wicht igen Fernmeldeanlagen waren vorhanden. Er lag strategisch günstig im Osten Moskaus, denn mögliche feindliche Angriffe zu Lande waren nur aus dem Westen zu befürchten. Zudem gab es in der Nähe zwei Militärflughäfen. Der Bunker ist heute offiziell eine Filiale des Zentralen Museums der Russischen Streitkräfte. Doch nur sei-
Generalstabskarte im Konferenzraum des Stalin·Bunkers in Moskau· lsmailowo, dessen Existenz bis 1996 ein Staatsgeheimnis war.
ren wird interessierten Touristen die Tür geöffnet. Das aufwendig restaurierte Bunkerinnere dient Militärs und FSB-Mitarbeitern für Festlichkeiten aller Art. Bei einem späteren Besuch, kurz nach dem Neujahrsfest 2006, hingen noch Luftballons und Papierschlangen über einer riesigen Generalstabskarte, in einem Nebenraum waren zwei Frauen damit beschäftigt, einen ansehnlichen Berg an Wodka- und Weinflaschen zu entsorgen. Beziehungen, die ich zu einem Bekannten in der Regierungspartei »Einiges Russland « hatte, ermöglichten einer deutschen Delegation und mir diesen Einblick in die Refugien einstiger Sowjetmachthaber. Die unterirdische Anlage erstreckt sich über 1460 Quadratmeter,89 allerdings liegt der Bunker in nur geringer Tiefe. Er ist durch Platten aus Stahlbeton, zwischen sechs und acht Metern dick, gegen mögliche Luftangriffe geschützt. Die sogenannte Stalin-Einheit des Bunkers besteht aus einem Arbeitszimmer, einem Ruheraum, einem Speisesaal, Mitarbeiterbüros und einem SitzungssaaL Mehrere Säulen stützen die Kuppel, die den zentralen Teil des Raumes überwölbt und unter der ein großer Beratungstisch steht. Stalin sprach stets sehr leise, und die Kuppelkonstruktion diente als akustischer Verstärker. Die am Tisch sitzenden Personen konnten hören, was Stalin sagte, die sich außerhalb des Säulenkreises aufhaltenden Personen nicht. Uns begrüßte Wladimir Lukin, ein Mann, dessen Alter schwer zu schätzen ist. Die Namensgleichheit mit
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Speisesaal des Bunkers. Stalin schätzte die Küche seiner Heimatregion Georgien.
Marmorsäulen stützen die massive Kuppeldecke des Bunkers.
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Der Saal ist mit einem mächtigen Konferenztisch ausgestattet.
dem bekannten Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation ist zufällig. Lukin trug zwar keine Uniform, aber vom Scheitel bis zur Sohle sah man ihm an, dass er eigentlich kaum etwas anderes gewesen sein kann als Politoffizier der Roten Armee: >>JosefWissarionowitsch<<- die Nennung von Vor- und Vatersnamen ist in Russland üblich, wenn man über einen besonders geschätzten Menschen spricht - >> hat sich während der deutschen Belagerung Moskaus im Jahr 1941 zweimal mehrere Tage im Bunker aufgehalten. Von hier aus leitete er die Verteidigung der Hauptstadt unseres Vaterlandes gegen die deutschen Faschisten. << Der Offizier, heute wohlgemerkt Direktor dieses Museums, berichtete voller Stolz über die Geschichte der Entstehung des Bunkers: >>Zum Bau dieser unterirdischen Anlage waren über 2000 Mann im Einsatz. Über Tage haben sie sich nie gesehen. Die Genossen haben nicht nur den Bau, sondern natürlich später auch die Existenz des Bunkers geheim gehalten. Bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wusste niemand, dass es dieses Objekt gab. Erst nach Gorbatschow«- hier verzichtete er auf Vor- und Vatersnamen - >>wurde alles anders. « In der Tat gelang es, nichts über das Entstehen des Stalin-Bunkers nach außen dringen zu lassen - eine Meisterleistung sowjetischer Propaganda. Man strickte eine >>wasserdichte << Legende für den riesigen Erdaushub. Offiziell dienten die Bauarbeiten der Errichtung des Zentralstadions der Sowjetunion. Inspiriert vom Bau des Berliner Olympiastadions und den propagandistischen Massenaufmärschen anlässtich der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin plante Stalin, das weltweit größte Stadion zu bauen. Damit wurde auch die im zweiten Metrobauabschnitt ab 1938 mit Hochdruck vorangetriebene Verlängerung der heutigen dunkelblauen Metrolinie nach Ismailowo begründet.90 Die Zuschauer, so hieß es, sollten das geplante Stadion schnell und bequem erreichen können. 1939 kam es zum Baustopp für den Sportkomplex. Die offizielle Begründung lautete, dass man aufgrund der sich verschlechternden internationalen Beziehungen das Projekt nicht fortsetzen wolle. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch sowohl Stalins Bunker als auch die Zufahrtswege dorthin bereits fertiggestellt. Der Direktor führte uns weiter herum und präsentierte Stalin-Devotionalien aller Art. Im Arbeitszimmer des Diktators stand ein seltsames Brettspiel. >> Nur Josef Wissarionowitsch und ich kennen die Regeln«, warf sich unser Führer in die Brust. Meine Zweifel behielt
Brettspiel in Stalins Arbeitszimmer im lsmailowo·Bunker.
Die Schrift über der Tür- »Dobro Poschalowatch« (Herzlich will· kommen) - ist nicht ernst gemeint. Hier beginnt eine unterirdische Fahrstraße zum Kreml.
ich nicht nur für mich, sondern streichelte mit weiteren interessierten Fragen seine eitle Seele. Gewissermaßen als >>Belohnung« raunte er dann, mich mit bedeutungsschwerer Miene anschauend und betonend, dass er das nicht jedem erzähle: >>Von diesem Bunker aus führt eine 17 Kilometer lange unterirdische Straße direkt zum Kreml! Glauben Sie mir, mein Herr, da kann man nicht nur mit dem Fahrrad entlangfahren! << 91 Er zeigte mir die Einfahrt. Ich kannte bislang lediglich Spekulationen, dass eine Verbindung zwischen dem Bunker Ismailowo und der
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Die noch sichtbaren Bohrlöcher in der Wand zeugen von der mehr· maligen Umbenennung der heutigen Metrostation Partisanskaja.
Metrostation Partisanskaja existiert. Diese Station wurde am 18. Mai 1944 eingeweiht, und ihre mehrfache Umbenennung sorgt bis heute für Verwirrung. 92 Partisanskaja gehört neben Poleschajewskaja zu den beiden Metrostationen, in denen es nicht zwei, sondern drei Gleisstränge gibt. Der dritte Schienenstrang in der Station Partisanskaja war ebenfalls mit der Errichtung des erwähnten Großstadions und des zu erwartenden Besucherandrangs begründet worden. Die mittlere Spur, so die damalige Propaganda, sollte Stalin als Sondergleis dienen, um unproblematisch zu Veranstaltungen ins Stadion zu gelangen. Fährt man heute mit der Metro von Partisanskaja weiter zur Station Ismailowskaja, sieht man einen Tunnel mit Gleisen, der nach rechts wegführt. Möglicherweise handelt es sich hierbei um die unterirdische Gleisverbindung zum Bunker.
Sondergleis für Stalin in der Station Partisanskaja. Es gibt in Moskau nur zwei Metrostationen mit drei Gleisen.
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Unser Bunkerführer gab uns abschließend noch einmal Agitationsunterricht in Sachen Sowjetgeschichte. Sein Resümee: >>Stalin hat viel für unser Land getan.<< Nachdem wir im Speisesaal des Stalin-Bunkers mit georgischen Spezialitäten bewirtet worden waren, verließen wir den unheimlichen Ort, viele meiner Begleiter, denen die Sowjetnostalgie mancher Russen weniger vertraut war, mit einem Kloß im Hals.
Stalins Geheimbunker in Samara: das »Objekt Nr. 4« Im Oktober 1941 näherte sich die Front scheinbar unaufhaltsam Moskau. Seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion bis zum Frühherbst 1941 hatte die Wehrmacht fünf sowjetische Armeen zerschlagen. Über eine halbe Million Soldaten der Roten Armee marschierte in trostlosen Kolonnen in deutsche Gefangenschaft. Am 19. September 1941 fiel Kiew. Obwohl die Situation der Sowjetarmee nicht zuletzt aufgrund des »roten Terrors << der Jahre 1937 und 1938 kritisch war, setzte Stalin auch nach dem Überfall Hitler-Deutschlands weiterhin auf gnadenlose Härte gegen das eigene Volk und die eigene Armee. Militärgerichte verurteilten insgesamt 994 000 Soldaten. Wer vor den deutschen Truppen zurückwich, galt als Vaterlandsverräter 157 000 von ihnen wurden allein in dieser kurzen Zeitspanne erschossen.93 Hitler entschloss sich, berauscht von den bisherigen Kriegserfolgen, zum Sturm auf Moskau, obwohl die Wehrmacht nicht für einen Winterfeldzug ausgerüstet war. In seinen Planungen hatte er bereits für den 7. November 1941, den Jahrestag der Oktoberrevolution, vorgesehen, den Fall Moskaus mit einer Siegesparade der Wehrmacht auf dem Roten Platz zu feiern. Am 15. Oktober 1941 war die Front bis auf 16 Kilometer an Moskau herangerückt. In dieser Situation beschloss das Staatliche Verteidigungskomitee, die Volkskommissariate (Ministerien), einige zentrale Ämter und das gesamte diplomatische Korps in die Wolgastadt Samara zu evakuieren. Ein Teil des Staatsschatzes sollte ebenfalls ausgelagert werden.94 Samara, das damals Kuibyschew hieß95 und etwa 1500 Kilometer Luftlinie von Moskau entfernt liegt, wurde zur Behelfshauptstadt der Sowjetunion und behielt diese Funktion bis August 1943. Wjatscheslaw Molotow und Anastas Mi-
kojan (1885-1976), der stellvertretende Vorsitzende des Rates der Volkskommissare, wurden beauftragt, den Umzug zu organisieren. In Moskau blieben im Oktober 1941 nur kleine, operative Verwaltungsgruppen der Volkskommissariate zurück. Die in der Sowjetunion akkreditierten diplomatischen Vertretungen, die Familien der Nomenklatura, ja selbst das Ensemble des Bolschoi-Theaters evakuierte man in die neue Hauptstadt. In der Nacht vom 15. zum 16. Oktober 1941 wurden alle beweglichen Anlagen der Moskauer Metro demontiert. Am 16. Oktober 1941 funktionierte die Metro erstmals seit ihrer Eröffnung im Mai 1935 nicht mehr. Die Moskauer Bevölkerung versetzte dieser Umstand in Panik. Hunderttausende verließen die Stadt fluchtartig mit Schubkarren, Handwagen und ähnlichen Hilfsmitteln gen Osten. In Moskau herrschte Chaos. Plünderer trieben ihr Unwesen. Am 17. Oktober 1941 hielt der Sekretär des Zentralkomitees und Kandidat des Politbüros, Alexander Schtscherbakow (1901-1945), eine Rundfunkansprache, in der er versuchte, die Moral der Hauptstädter zu stärken. Der Versuch misslang. Stalin befahl für den Fall, dass die Wehrmacht Moskau einnehmen sollte, die Metrostationen zu sprengen und zu fluten. Vorbereitungen dafür wurden schon getroffen. In der provisorischen Hauptstadt Samara entstand für den »Woschd« nicht nur der sicherste, sondern der damals vermutlich auch tiefste Bunker der Welt. Als »Objekt Nr. 4<< getarnt, war sein Bau wie der des Ismailowo-Bunkers eine Meisterleistung sowjetischer
Eingang zum »Objekt Nr. 4«. Hinter der Tarnbezeichnung verbarg sich Stalins Bunker in der provisorischen Hauptstadt Samara.
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Verbindungsgang zwischen Arbeitsräumen des bis zu 37 Meter in die Erde reichenden Bunkers.
Telefonapparate aufStalins Schreibtisch. Dieser Bunker in Samara kann bis heute zur Zivilverteidigung genutzt werden.
ln einer Tiefe von 34 Metern liegt der Besprechungsraum.
Massive Eisentüren riegeln die einzelnen Bunkereinheiten ab.
Geheimhaltungspolitik. Bis November 1942 wurden Unmengen von Erdreich bewegt, ohne dass die Bevölkerung ahnte, welches gewaltige Vorhaben unter ihren Füßen Gestalt annahm. Die Bauarbeiten verantwortete wiederum die Moskauer Firma >> Metrostroi<<, die 700 Spezialisten und Tunnelbauer nach Samara abkommandiert hatte. Überhaupt nutzte man die Erfahrungen der Moskauer Metrobauer ab Ende der 30er Jahre für die meisten Bunkerbauten in der Sowjetunion. Noch bis 1991 war die Bunkeranlage geheim. Heute sind Teile zugänglich, jedoch bei weitem nicht der gesamte Komplex. Ich besuchte die Anlage ein paar Mo-
nate nachdem ich mirStalins ersten Moskauer Bunker angesehen hatte. Als sich die Tür hinter mir schloss, glaubte ich zunächst an eine Halluzination. Der Mann, der mich begrüßte, schien ein Klon des Bunker-Direktors in Moskau-Ismailowo zu sein: Die beiden sahen sich nicht nur ähnlich, auch der in Samara entpuppte sich als ehemaliger Offizier der Roten Armee, der wie sein Moskauer Kollege den ruhmreichen Josef Wissarionowitsch pries. Stalins Bunker in Samara besteht aus drei vertikalen Schächten, wovon der größte einen Durchmesser von 8,5 Metern aufweist. Ein weiterer Schacht hat einen
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Vertikalschacht im Bunker von Samara. Die Bauarbeiten wurden von der Firma »Metrostroi« ausgeführt, die auch die Metrobauten verantwortete.
Durchmesser von 6,5 Metern. Außerdem gibt es einen dritten sogenannten Sicherheitsschacht. Die Anlage reicht 37 Meter in die Tiefe. Damit lag der Bunker viermal so tief wie Hitlees Bunker unter der Reichskanzlei in Berlin. Auf den verschiedenen Ebenen sind Arbeitsräume und technische Ausrüsttmgen untergebracht. In einer Tiefe von 34 Metern befinden sich das Büro Stalins, ein Ruheraum und der Sitzungssaal des Generalstabes mit einem langen Beratungstisch und Tischen für Protokollanten an der Seite. In dieser kleinen Unterweltstadt konnten rund 100 Personen für längere Zeit leben und
arbeiten sowie weitere 600 Personen kurzfristig Schutz vor Bomben finden. Es gab eine autarke Wasser- und Stromversorgung. Eine hermetische Abriegelung ließ das Objekt möglichen Gasangriffen trotzen. Im Gegensatz zum Bunker in Moskau wird die Anlage in Samara noch heute für die Zivilverteidigung vorgehalten. Samarer Schulen nutzen die Anlage, um ihren Schülern am historischen Ort Unterricht in Zivilschutz zu erteilen. Selbst Mobilfunkgespräche sind tief unter der Erde möglich. Der Bunker, so macht es den Eindruck, ist nach wie vor einsatzfähig. 117
Berija-Bunker und das Sanatorium »Wolga« Samara dürfte neben Moskau die russische Stadt mit den meisten unterirdischen Anlagen sein. Unter der Stadt existieren eine Vielzahl weiterer Luftschutzkeller, Bunker und Tunnelverbindungen. Der russische Fernsehsender NTW berichtete Ende 2006 von einer >>geheimen unterirdischen Stadt fürs Politbüro<<. Die drohende Einnahme Moskaus durch die deutschen Truppen hatte anscheinend dazu geführt, dass in Samara mit Hochdruck das nachgeholt werden sollte, was in Moskau vor dem Krieg versäumt worden war: die Schaffung sicherer Kommandozentralen für den Ernstfall. Eine dieser unterirdischen Anlagen liegt in Samara unter dem Chlebnaja-Piatz. Wieder einmal funktionierte Jegors Digger-Netzwerk. Unter Pseudonym be-
treibt einer seiner Bekannten in Samara eine Webseite, die er mit Berichten und Fotos unterirdischer Erkundungsgänge speist. Den Bunker unter dem ChlebnajaPiatz bezeichnet der Samaraer Digger, der darum bat, seinen Namen nicht preiszugeben, als >> Berija-Bunker<< , aber auch als >> Mikojan-Bunker<< oder einfach nur als >> Regierungsbunker << . Die Archive haben noch nicht verraten, zu welchem Zweck der nicht fertiggestellte Bunker gebaut wurde. Vermutlich war er als ReserveKommandozentrale für die Streitkräfte gedacht. Es gibt keine Türen, die groben Betonplatten sind nicht verkleidet, in den Räumen liegen Reste von Baumaterialien herum. Ein durchgerostete Treppe führt 29 Meter in die Tiefe. Unten existiert ein System von Tunneln, die kniehoch unter Wasser stehen. Sie enden als Sackgassen oder sind zugeschüttet. Es gibt einen etwa sechs mal
Im sogenannten Berijo·Bunker gelangt man mehrere Etagen unter die Erde; ob der NKWD·Chef Berijo ihn je nutzte, ist nicht bekannt.
Vermurlieh für Lawrenti Berijo, einen der gefürchtetsten Männer der Sowjetvnion, entstand in Samara ein weiterer Tielbunker.
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Teilweise geRuteter Gong des Berijo·Bunkers, der mit den Schutzräu· men unter dem Sanatorium >>Wolgo« verbunden ist.
zwölf Meter großen Saal, der möglicherweise einmal für Konferenzen und Besprechungen dienen sollte. Da nicht alle Räumlichkeiten des Bunkers zugänglich sind, stellt sich die Frage, ob es nicht noch tiefer unten, unter Wasser, weitere Etagen gibt. Inwieweit Stalins Bunker mit solchen und anderen unterirdischen Anlagen Samaras verbunden ist, kann mit einer Ausnahme bisher nicht beantwortet werden, da die entsprechenden Archivmaterialien der Geheimhaltung unterliegen. Auf jeden Fall gibt es eine unterirdische Verbindung zu einem zweiten Bunker, der sich unterhalb des Sanatoriums >>Wolga << befindet.96 In diesem Sanatorium lebten ab Oktober 1941 die Familien eines Teils der Parteielite. Doch selbst dort hielt sie Stalin in permanenter Unsicherheit. Das ständige, meist willkürliche Verhaften, Foltern, Verurteilen und Hin-
richten von Mitgliedern der sowjetischen Nomenklatura und ihren Angehörigen gehörte zu seinem »Spiel << mit Angst und Macht. Niemand aus Stalins Umgebung konnte sich wirklich sicher sein, den nächsten Tag zu erleben. Kurz vor dem Umzug nach Samara fiel die Frau von Stalins Büro Ieiter, Alexander Poskrebyschew, einer Intrige zum Opfer. Lawrenti Berija (1899- 1953 ), Volkskommissar des Innern und Geheimdienstchef, hatte sie mit GenehmigungStalins am 13. Oktober 1941 hinrichten lassen. In Samara entstand nach Oktober 1941 die notwendige Infrastruktur für die Übernahme der Hauptstadtfunktion. In Moskau waren Recht und Ordnung zusammengebrochen. Viele Spitzenfunktionäre hatten sich bereits mit einem Sonderzug in Richtung Samara in Sicherheit gebracht, darunter das nominelle Staatsober-
Mehrfach gesichert: der Bunker unter dem Sanatorium in Samara, wohin sich ein Teil der Nomenklatura am Anfang des Kriegs flüchtete.
Gang mit Versorgungsleitungen im Bunker des Sanatoriums, das am Ufer der Wolga liegt.
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Am 19. Oktober 1941 verkündete das Staatliche Verteidigungskomitee den Belagerungszustand über Moskau.
Nach Stalins Entscheidung, Moskau nicht aufzugeben, errichteten Soldaten Straßenbarrikaden in der Gorkistraße (heute: Twerskaja· Straße).
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hauptder Sowjetunion, Michail Kalinin. Auch Swetlana, die gemeinsame Tochter Stalins und dessen zweiter Frau Nadeschda Allilujewa, hatte bereits ein kleines Stadthaus in Samara bezogen. Stalins Datscha in Moskau-Kunzewo war vermint und zur Sprengung vorbereitet, ein Zug und ein Flugzeug standen für Stalin bereit, und seine Umgebung drängte zur Abreise. Doch Stalin plagten Zweifel, ob er Moskau verlassen sollte. Er schwankte, da er begriff, dass seine Abfahrt als Flucht vor dem Feind verstanden werden und nicht nur den Verlust Moskaus, sondern möglicherweise den des ganzen Landes nach sich ziehen könnte. Stalin-Biograph Sirnon Montefiore berichtet, es sei eine einfache Frau gewesen, die Stalin letztlich von der Flucht abgehalten habe. In Anwesenheit des versammelten Politbüros habe Stalin seine Haushälterin gefragt: >>Walentina Wasilewna [ ...],wären Sie bereit, Moskau zu verlassen?<< Sie ant\vorte: »Genosse Stalin. Moskau ist unsere Mutter, unsere Heimat. Wir sollten es verteidigen. « 97 Ob diese Geschichte nun den Tatsachen entspricht oder nicht - Stalin traf jedenfalls eine wahrhaft schicksalhafte Entscheidung und blieb in der Hauptstadt. Vordringlichste Aufgabe war es, zunächst wieder Ordnung in der Stadt herzustellen. Am 19. Oktober 1941 erklärte das Staatliche Verteidigungskomitee den Belagerungszustand über Moskau. Plünderer wurden sofort standrechtlich erschossen. Die Memoiren des damaligen Generalstabschefs zeigen, mit welcher Kompromisslosigkeit die Erhöhung des Widerstandswillen der eigenen Truppen durchgesetzt wurde: >>Strenge Disziplin herrschte [nun] bei den Truppen aller Waffengattungen, die die Hauptstadt verteidigten. Wer Panik verbreiten wollte, wurde als Handlanger des Feindes belangt.<
Ein Festakt unter der Erde
Nach Stalins Entscheidung, in Moskau zu bleiben und die Stadt zu verteidigen, wurden dafür alle verfügbaren Kräfte mobilisiert. Der Kreml-Chef und seine Führungsriege entschlossen sich Anfang November 1941 zu einer eindrucksvollen Demonstration des Widerstandes gegen die deutschen Belagerer Moskaus. Am Jahrestag der Oktoberrevolution, dem 7. November 1941, an dem Hitler eigentlich seine eigene Siegesparade in Moskau hatte abhalten wollen, sollte trotz der anhaltend angespannten militärischen Lage, permanenter Luftangriffe und ständigen Artilleriebeschusses die traditionelle Parade der Roten Armee wie gewohnt auf dem Roten Platz stattfinden. Stalin erklärte: >> Dafür werde ich persönlich sorgen. Sollten die Deutschen gleichzeitig Luftangriffe fliegen, die Tote und Verwundete fordern, so müssen wir die Opfer schnellstmöglich aus dem Weg räumen, damit der Vorbeimarsch weitergehen kann.<< 99 Die Festveranstaltung des Obersten Sowjets und des Rates der Volkskommissare am Vorabend der Parade jedoch fand geschützt unter der Erde statt. Die 1938 eröffnete Metrostation Majakowskaja, von Architekt Alexej Duschkin entworfen, gehört zu den elegantesten U-Bahnhöfen Moskaus. Sie beeindruckt durch schlichte Säulen aus italienischem Marmor und rostfreiem Edelstahl. Den besonderen Glanz der Station untermauert die Verwendung des rot-violett leuchtenden Halbedelsteins Rhodonit. Kuppelmosaike des russischen Künstlers Alexander Deineka bilden Errungenschaften der sowjetischen Luftfahrt ab. Eine Kopie der Station wurde auf der New Yorker Weltausstellung 1939/40 präsentiert und prämiert. Die Station bot somit durch ihre bauliche Pracht, ihre Bekanntheit, aber auch durch ihre Größe und ihre sichere Tiefe die idealen Voraussetzungen für einen Festakt der besonderen Art. Am 6. November 1941 hielten hier keine Züge mehr. Den ganzen Tag herrschte Betriebsamkeit. Das oberirdische Areal um die Station war abgesperrt. In großer Hektik transportierten Militärfahrzeuge Ausrüstungsgegenstände heran. Am Nachmittag wurde herbeigeschafft, was die russische Küche an Delikatessen zu bieten hat. Der große Abend konnte kommen. Auf dem Bahnsteig hatte man die Bestuhlung des BolschoiTheaters montiert und eine Tribüne aufgestellt. Ein riesiges Buffet war vorbereitet worden. Am Abend ließ sich Stalin zunächst zur Metrostation Belorusskaja
Am Abend des 6. November 1941 fand in der Metrostation Majakowskaja ein Festakt an lässlich des 27. Jahrestages der Oktoberrevolution statt (oben). Die von Alexej Duschkin entworfene Station gehört zu den elegantesten Moskaus.
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Demonstration des Durchhaltewillens: Trotz drohender Luftangriffe fand am 7. November 1941 die Parade auf dem Roten Platz statt.
bringen, um seinen Auftritt noch wirkungsvoller zu inszenieren. Er bestieg dort einen Sonderzug, mit dem er unter tosendem Applaus in der Station Majakowskaja einfuhr. Ein sowjetischer Rundfunkstar der 30er und 40er Jahre kommentierte das Ereignis von einem speziellen Sendewagen aus . Ein NKWD-Ensemble spielte auf. In seiner Ansprache richtete Stalin eine unmissverständliche Warnung an den Feind: >>Wer einen Vernichtungskrieg will, der soll ihn haben<< 100- was später für Millionen Deutsche grausame Wirklichkeit werden sollte. Am kommenden Morgen, Punkt acht Uhr, fand dann die große Parade auf dem Roten Platz statt. Der bereits während der Revolutionsjahre und der Interventionskriege zur lebenden Legende gewordene Reitergeneral und 1935 zum >>Marschall der Sowjetunion<<
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ernannte Semjon Budjonny (1883-1973) ritt mit gezogenem Säbel auf einem Schimmelhengst vom SpasskiTor des Kremls auf den Platz und salutierte vor Stalin. Direkt von der Parade zogen dann die Truppen die Gorkistraße (heute: Twerskaja-Straße) entlang weiter an die Front. Besser konnte man Politik nicht inszenieren. Stalin hatte ein wichtiges Ziel erreicht: Die ganze Welt wusste nun, dass die Sowjetunion nicht die Absicht hatte, sich zu ergeben. Anfang Dezember ließ die Angriffskraft der deutschen Truppen nach. Die berühmte Gegenoffensive der Roten Armee, die durch die Verlegung von Truppen aus dem Fernen Osten nach Moskau neue Schlagkraft gewonnen hatte, setzte am 5. Dezember 1941 ein. Die Gefahr für die Sowjetunion war jedoch lang noch nicht gebannt.
Schreckensort Lubjanka: Im ehemaligen Gebäude des sowjetischen Geheimdienstes KGB residiert heute der russische Inlandsgeheimdienst FSB.
Bunker unter der Lubjanka und Stalins Datscha in Moskau-Kunzewo Alles, was im Vorfeld des Krieges hinsichtlich der Luftschutzvorkehrungen versäumt worden war und was Stalin dazu gezwungen hatte, während der ersten Luftangriffe in der Metrostation Kirowskaja auszuharren, versuchte man ab 1941 mit enormer Geschwindigkeit wieder aufzuholen und baute in Moskau zeitgleich an mehreren Bunkern: unter anderem unter dem Kreml, unter dem Lubjanka-Gebäude, unterStalins Datscha in Moskau-Kunzewo, unter dem Theater der Sowjetarmee, unter dem Volkskommissariat für Verteidigung sowie unter der zentrumsnahem Datscha Stalins in Moskau-Matwejewskoje, dem heutigen Ministerium für Katastrophenschutz.
Lubjanka - der Name steht für Folter, Verbannung, hunderttausendfachen Mord, unmenschliche Verbrechen, welche die Stalin-Ära so unbegreiflich machen. Das gelbe Backsteingebäude am Lubjanka-Platz ist der ehemalige Sitz einer Moskauer Versicherungsanstalt. Nach der Oktoberrevolution zogen das Volkskommissariat für Inneres (NKWD) und das Volkskommissariat für Staatssicherheit (NKGB, ehemals: Tscheka) 101 ein, aus denen 1954 der sowjetische Geheimdienst KGB (Komitee für Staatssicherheit) hervorging. Die berüchtigsten Volkskommissare bzw. Geheimdienstchefs der Stalin-Jahre waren Genrich Jagoda, Nikolai Jeschow, Lawrenti Berija und Wiktor Abakumow. Alle selbst gnadenlose Henker, ereilte sie am Ende ihres Lebens samt und sonders das Schicksal, das sie eigentlich nur den ihnen Ausgelieferten zugedacht hatten.
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ln der Nähe der Lubjanka erinnert ein Stein von der Solowezki·lnsel an die Opfer des kommunistischen Terrors.
Die Geschichte des KGB ist noch nicht geschrieben. Immer wieder gelangen neue Fakten ans Tageslicht. Im Oktober 2007 fanden Bauarbeiter im Keller des Hauses Nr. 8 der Moskauer Nikolskaja-Straße, die den Roten Platz mit dem Lubjanka-Piatz verbindet, 34 Skelette. Mitten im Moskauer Zentrum, nur wenige hundert Meter vom Kreml entfernt, hat es einen Erschießungskeller gegeben, dessen Existenz erst 2007 bekannt wurde. Nach der Exhumierung der Leichen versiegelte die Polizei den Ort umgehend. Heute residiert in der Lubjanka der russische Inlandsgeheimdienst FSB. Die Statue des Gründers der sowjetischen Geheimpolizei, Felix Dscherschinski (1877-1926), die vor der Lubjanka stand, hat man 1991 umgesetzt, sie steht nun in einem Park an der Moskwa. Ein 1990 von der russischen Menschenrechtsorganisation >> Memorial<< gestiftetes bescheidenes 124
Denkmal mahnt am Lubjanka-Gebäude, die Verbrechen des Kommunismus in der Sowjetunion nicht zu vergessen. Unter der Lubjanka befinden sich nicht nur ehemalige Gefängniszellen, in denen zu Tode gefoltert oder hingerichtet wurde. Seit 1941 verfügt der sowjetische (und heute russische) Geheimdienst dort über einen tiefliegenden Luftschutzbunker für 1000 Menschen sowie eine unterirdische Kommandozentrale. Der Bau dieser als streng geheim eingestuften Anlagen wurde am 13. Mai 1941 vom Rat der Volkskommissare beschlossen. Projektierung und Bau übertrug man >>Metrostroi<< .102 Bereits Ende 1941 sollen die Bunkeranlagen fertiggestellt worden sein und erhielten vermutlich einen getarnten Ausgang in den Gleistunnel der Metro in der Nähe der Station Dscherschinskaja (heute: Lubjanka), die 1935 eröffnet worden war. Ein solcher Zu-
gang zur Metro wäre kein Einzelfall. Die meisten in diesen Tagen und später errichteten unterirdischen Geheim bauten dürften im Moskauer Stadtzentrum über entsprechende Anhindungen verfügen. Gleichfalls Ende 1941 waren voraussichtlich auch die Arbeiten für das bis heute wohl geheimste Objekt Russlands, den Kreml-Bunker, beendet worden. Stalin konnte den provisorischen Schutzraum in der Metrostation Kirowskaja verlassen. Es gibt keinerlei zugängliche Quellen über das Objekt unter dem Kreml. Der Bunker-Arbeitsraum Stalins soll nach Aussagen des Stalin-Biographen Sirnon Montefiore jedoch seinem überirdischen Arbeitszimmer im Kreml, dem sogenannten Kleinen Eck, nachempfunden worden sein. Selbst die dort vorhandenen Holzverkleidungen seien in Kopie übernommen worden, auch >>wenn die langen schmalen Gänge [im Bunker] dadurch eher an einen Schlafwagen erinnern«. 103 1991 veröffentlichte das amerikanische Verteidigungsministerium einen Lageplan, demzufolge unter dem Kreml eine Metrostation vorhanden sein soll. 104 Immer wieder entfachen Besonderheiten der Moskauer Metro Spekulationen über die geheime Unterwelt Moskaus. So gibt es die Stationen Arbatskaja und Smolenskaja gleich doppelt und entlangzweierverschiedener Linien. Diese beiden Linien sind im aktuellen Linienschema hellblau und dunkelblau gekennzeichnet. Die offizielle Begründung für den Bau der zweiten blauen
Linie hat sich seit den 40er Jahren in der offiziellen russischen Technikgeschichtsschreibung erhalten: Das Gefälle zwischen der 1935 fertiggestellten Station Komintern (heute: Alexandrowski Sad) und der 1938 in Betrieb genommenen Station Platz der Revolution habe sich als zu steil erwiesen, weshalb eine Parallellinie gebaut werden musste. 105 Der wahre Grund dürfte ein anderer gewesen sein. Stalin brauchte eine eigene, gegen Bombenangriffe geschützte unterirdische Verbindung vom Kreml zum Bunker unter seiner Moskauer Datscha in Kunzewo. 106 Stalins Datscha einschließlich des dazugehörigen Bunkers war von Ende der 90er Jahre bis 2006 nach Voranmeldung zugänglich, heute unterliegt das Objekt wieder der strikten Geheimhaltung. Der Bau des 15 Meter tiefen Schutzbunkers wurde im Frühjahr 1942 vollendet. Zur Abdeckung verwendete man Bleischienen. Nach Angaben eines Offiziers des Ministeriums für Katastrophenschutz soll dieser Bunker noch heute einem Volltreffer durch eine Fliegerbombe standhalten. Im sogenannten Generalskabinett, in dem Stalin Sitzungen des Verteidigungsrates abhielt, sind die Wände wie in den meisten Arbeits- und Konferenzräumen der sowjetischen Nomenklatura dieser Zeit mit Holz aus Eiche und karelischer Birke verkleidet. Die rustikalen achtarmigen Leuchter sind erhalten geblieben. Neonlampen in der Anlage verraten aber, dass nicht mehr das Jahr 1942 geschrieben wird. 107
Bis heute verwirrend: Die Stationen Arbatskaja und Smolenskaja existieren zweimal. Gibt es eine unterirdische Verbindung zu Stalins ehemaliger Datscha in Moskau·Kunzewo?
Inmitten eines Waldstücks in Moskau·Kunzewo liegt Stalins Datscha. Dort erhielt Stalin die Nachricht vom deutschen Überfall auf die Sowjetunion.
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Unterkellerte Wohnhäuser der Moskauer Nomenklatura Luftschutzbunker entstanden in der Stalin-Ära auch unter den Wohnhäusern der sowjetischen Nomenklatura. Die höchstrangigen Funktionäre wohnten überwiegend in der Granowskistraße (heute: Romanow pereulok/Romanow-Gasse) sowie im sogenannten Grauen Haus am Ufer der Moskwa.108 Die Romanow-Gasse ist die Moskauer Wohnstraße, die in kürzester Entfernung zum Kreml liegt. Hier wohnte in prachtvollen, zwischen 1880 und 1913 gebauten Bürgerhäusern, wer in der Sowjetunion Rang und Namen hatte: Politbüromitglieder, Minister, Marschälle und Generäle, darunter Wjatscheslaw Molotow, die >>Nummer 2<< der Sowjetunion.
Die Wohnungen hingen am Abhörnetz des NKWD. Es bedurfte nur eines Fingerzeigs Stalins, und aus den mächtigen Männern der Sowjetunion wurden Häftlinge und Todeskandidaten. Dieses Schicksal ereilte nach dem Zweiten Weltkrieg noch die bereits designierten Nachfolger in den Ämtern als Premierminister und Generalsekretär der Kommunist ischen Partei, Nikolai Wosnessenski (1903-1950) und Alexej Kusnezow (1905-1950).109 Dass die ranghohen Funktionäre abgehört wurden, dafür fand ich selbst Hinweise. Denn als ich nach Moskau übersiedelte, hatte ich Glück und konnte in der Romanow-Gasse die Wohnung anmieten, in der früher Wjatscheslaw Molotow und vor ihm Lenins Bruder Dmitrij Uljanow gelebt hatten. Meine Wohnung war seit Jahrzehnten nicht gründlich renoviert worden. Die
ln der kremlnahen Romanow·Ga sse wohnte, wer in der Sowjetunion Rang und Namen besaß, unter anderem Budjonny, Molotow und Kossigyn.
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Fernmeldemechaniker, die mir ein neues Telefon und Internet anschlossen, hatten Probleme, die richtige Leitung zu finden. >>So viele seltsame Drähte haben wir lange nicht gesehen. Was hatten sie früher denn hier angeschlossen? «, fragten sie Eine gewisse Überwachung gibt es noch heute. Die Hausverwaltung untersteht einer >>Kommandantin«, eine passende Bezeichnung für die resolute Dame, die einst als Verwaltungsdirektorin im Bolschoi-Theater gearbeitet hat. Ihr wiederum unterstehen Dutzende von »Deschurnajas«: Rentnerinnen, die rund um die Uhr in den kleinen Zimmerehen sitzen, die es in jedem Hausaufgang gibt und die das Kommen und Gehen der Bewohner und ihrer Gäste beobachteten. Mit meinem Wunsch, an einem der Wohnungsfenster eine Satellitenanlage anzubringen, machte ich mich
allerdings von Beginn an nachhaltig verdächtig. Die Bearbeitung meines Antrages durch die >>Kommandantin « nahm zwei Wochen in Anspruch, schließlich wisse man ja nicht, was ich vorhätte, und der Kreml sei nur 300 Meter entfernt. Sie beschimpfte meinen Fahrer, warum er als Russe für einen deutschen Spion arbeite. Nach zwei Wochen konnte ich jedoch die Antennenschüssel anschrauben lassen. Wieder einmal musste die >>Kommandantin « nachgeben und einsehen, dass die >>guten alten Zeiten<< vorbei waren. Die Nachkommen der Molotows, Kalinins und Budjonnys, denen die Millionenobjekte in der Romanow-Gasse heute zum Großteil gehören, zeigen sich am neuen Dollarglanz interessierter als an sowjetischer Staatsräson. Von den Mieten, die sie monatlich einnehmen, leben sie behaglich in London, Paris oder Rom.
Hofansicht des Häuserkomplexes in der Romanow·Gasse. Die Gründerzeithäuser waren schon in der Zarenzeit eine >>erste Adresse<<.
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ln dieser Wohnung in der Romanow·Gasse 3 lebte bis 1986 Sialins langjähriger Premier· und Außenminister Wjatscheslaw Molotaw.
Meine Beziehung zur >> Kornrnandantin<< verlief letztlich trotzallem freundlich, vielleicht dank des Konfekts, das ich ihr zu keinem 8. März, dem internationalen Frauentag und einem der wichtigsten russischen Feiertage, zu schenken vergaß. Vielleicht aber auch, weil sie wusste, dass sie im Vergleich zu den millionenschweren Eigentümern die von Vergangenheit und Gegenwart am meisten Betrogene ist. Schließlich verriet sie mir sogar etwas über die >> Unterwelt<< der Wohnhäuser, unter denen sich ein großer Luftschutzbunker befinde. Er sei nach Beginn des Zweiten Weltkrieges gebaut worden. Von seiner Existenz erzählte mir auch eine Anwohnerin, die ungenannt bleiben wollte, und ergänzte: Der Luftschutzbunker sei un128
terirdisch nicht nur mit der Regierungspoliklinik gegenüber den Häusern Nr. 2 bis Nr. 5 verbunden, sondern auch mit dem Kreml. Hohe Funktionäre, denen in der Stalin-Ära keine Wohnungen in den repräsentativen Häusern in der damaligen Granowski-Straße zugewiesen wurden, wohnten meist im >> Grauen Haus << am Ende der MoskwaBrücke Bolschoi Kamenny, direkt gegenüber dem Kreml. Der gewaltige Komplex ist zwischen 1927 und 1931 im sowjetischen Stil jener Zeit, der sich an die Bauhausarchitektur anlehnte, errichtet worden. Einer der ersten Luftschutzbunker der Sowjetzeit wurde unter diesem Haus errichtet. 110 Dieses Gebäude war noch aus einem anderen, makabereren Grund bekannt. Es
Kelleretage in der Romanow·Gasse. Die angrenzenden Schutzräume sind heute nicht mehr zugänglich.
Das >>Haus an der Moskwa«, im Volksmund auch >>Graues Haus« oder >>Haus des Todes« genannt.
gab hier während der Stalin-Zeit eine regelrecht inflationäre »Mieterfluktuation<<. Über Nacht verschwanden ganze Familien und tauchten nirgends wieder auf, weshalb dieses Haus hinter vorgehaltener Hand bald den Beinamen >>Haus des Todes« erhielt. Zu den bekanntesten Moskauer Bauwerken gehören die >>sieben Schwestern<<: Hochhäuser im typischen Stalin'schen >>Zuckerbäckerstil << der Nachkriegszeit. Sie wurden in den Jahren 1947 bis 1957 errichtet und prägen die Silhouette Moskaus. Der höchste Bau unter ihnen ist mit 240 Metern die Lomonossow-Universität. Die anderen >>Stalin-Schwestern<<sind die Hotels >>Ukraine« und >>Leningrad«, das Gebäude des Außenministeriums, das Hochhaus >>Krasnyje Worota«, die beiden Wohnhochhäuser an der Straße Kotelnitscheskaja-Nabereschnaja sowie am Kudrinski-Piatz (ehemals: Ploschtschad Wostanija/Piatz des Aufstandes). So interessant ihre Architektur über der Erde ist, so spannend und geheimnisvoll ist der unterirdische Teil. Da in Moskau felsiger Untergrund, der für den Bau von Häusern dieser Höhe erforderlich ist, nur in sehr tiefen Schichten zu finden ist, entschlossen sich die Architekten und Tiefbauer für Schachtelfundamente. Dabei handelt es sich um sehr dicke Stahlbetonplatten, die in einem Abstand von sechs bis zehn Metern übereinander liegen und durch vertikale Zwischenwände abgetrennt sind. In den so entstandenen Hohlräumen sind technische Anlagen vorhanden sowie Luftschutzbunker, die es unter jedem der Hochhäuser gibt.111
Das Hotel »Leningrad«, eine der sieben »Stalin·Schwestern«. ln dem Fundament des Hochhauses befinden sich zahlreiche Schutzräume.
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Russische und deutsche Bunker an der Front Hitlers östlichstes »führerhauptquartier«: die »Bärenhöhle« in Smolensk Hitlees Hoffnung auf einen Blitzkriegerfolg im Russlandfeldzug stützte sich auf die drei Heeresgruppen der Deutschen Wehrmacht, die bis zum Herbst 1941 kurz vor Moskau standen, im Norden Leningrad und in der Ukraine Kiew erreicht hatten. Im Mittelabschnitt war nach einer zwölftägigen Kesselschlacht Smolensk eingenommen worden. Dort ließ Hitlee sein >> Führerhauptquartier<< auf erobertem Gebiet errichten: die »Bärenhöhle<< . Unmittelbar nach Kriegsbeginn gab es noch keine »Führerhauptquartiere<< . Hitler besichtigte die Kriegsschauplätze des Polen- und Jugoslawienfeldzuges mit dem >>Führersonderzug<<. Im Mai 1940 wurde das erste feste Hauptquartier, das »Felsennest<< bei Bad Münstereifel, fertiggestellt. Während >> Führerhauptquartiere << wie das >>Felsennest<< , die >>Wolfsschanze<< (bei Rastenburg) oder >>Tannenberg<< (bei Kniebis im Schwarzwald) bekannt sind, gibt es über die unterirdische Anlage bei Smolensk kaum Informationen. Die >>Bärenhöhle<< war das einzige »Führerhauptquartier<< in der Sowjetunion. Eine Erforschung des Bunkers nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war für deutsche Historiker nicht möglich, und die Sowjets hatten ihrerseits an eigenen Untersuchungen keinerlei Interesse. Ich kam mitten im Januar 2007 nach Smolensk. Die Stadt war tief verschneit, keine gute Ausgangslage für die Suche nach dem Hitler-Bunker, der sich in einem Waldgebiet befinden sollte. Dank der Hilfe von zwei Studenten, die der »Jungen Garde<< , einer Jugendorganisation der Purin-Partei »Einiges Russland << , angehörten und die sich in ihrer Freizeit mit einem für junge Leute heute eher >> uncoolen << Thema - der Heimatgeschichte - befassten, gelangte ich an erste Informationen. Das ehemalige >>Führerhauptquartier <<, so sagten sie, stehe in einem Wald linkerhand der Straße, die von Smolensk nach Katyn führt. Bereitwillig boten sie mir an, mich zu begleiten. Unterwegs erfuhr ich, dass die Stadtverwaltung von Smolensk 2003 eine Kommission gebildet hat, die sich mit der Geschichte und dem Bau des deutschen Bunkers bekannt machen sollte. Wiktor, einer meiner beiden Begleiter, gehörte ihr seit einem Jahr an. Vor 2003, so sagte er, habe man sich über-
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Baracken der Roten Armee dienten nach der Eroberung als Wohnun· terkünfte der »Organisation Tod!« beim Bau der >>Bärenhöhle«.
Hinter der »Bärenhöhle<< führt ein Bahndamm in die nahegelegene Ortschaft Gnjozdowo. Das >>Führersondergleis<< existiert nicht mehr.
haupt nicht um den Steinklotz im Wald gekümmert. Nur Gerüchte habe es gegeben. Man vermutete eine große unterirdische Stadt sowie tiefliegende Tunnel, die vom Bunker zum Flughafen und zum Dnjepr führen. Diese Gerüchte hätten sich aber nicht bestätigt. Der Bunker sei in Anbetracht der Tatsache, dass er eigens für Adolf Hitler gebaut worden sei, eher bescheiden. Wir verließen Smolensk in Richtung Katyn, dem Ort, an dem 1940 Einheiten des NKWD ein Massaker an Tausenden polnischen Offizieren und Zivilisten verübten. Nach zehn Kilometern Fahrt stoppten wir. Zur Linken sah man im Wald ein umzäuntes Areal aus Baracken und Blockhäusern. >>Vorwärts << , sagte Wiktor. Ich stieg aus dem Auto, und wir stapften durch den Schnee in den Wald. Die Baracken ließen wir unbeachtet hinter uns. Nach 20 Minuten tauchte vor uns ein
steinerner Koloss auf: die >> Bärenhöhle<< - Hitlers östlichstes >> Führerhauptquartier << . Ich stieg zunächst auf einen aufgeschütteten Damm hinter dem Bunker. Irgendwann sind dort die Schienen des ehemaligen >> Führersondergleises << abmontiert worden, das den Bunker mit dem einen Kilometer entfernt liegenden Bahnhof der kleinen Ortschaft Gnjozdowo verband. Der würfelartige Überbau des Bunkers ist lediglich 43 Quadratmeter groß. 900 Kubikmeter Beton sind für ihn verbaut worden. Im Bunker versuchte ich vergebens, nach unten zu gelangen. Es ist unklar, wie tief die Anlage sich unter der Erdoberfläche ausdehnt, denn der eigentliche Zugang ist verschüttet und wurde bisher nicht geöffnet. Zur Wasserversorgung des >> Führerhauptquartiers << dienten drei Leitungen: eine Trinkwasserleitung (1950
Die >>Bärenhöhle<< liegt in einem Waldstück bei Smolensk. Zur Tarnung wurden zusätzlich 400 Bäume und mehrere tausend Sträucher gepRanzt.
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Hirlers ösrlichstes »Führerhauptquartier«: die »Bärenhöhle«. Der Überbau des nur für Hirler vorgesehenen Bunkers ist lediglich 43 Quadrohneier groß. Als der Bau der »Bärenhöhle« Mitte August 1942 abgeschlossen war, wurde sie durch den neuen Frontverlauf nicht mehr als Hauptquartier benötigt. Nach Kriegsende verfiel die Anlage.
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Meter), eine Löschwasserleitung (1050 Meter) und eine Brauchwasserleitung (910 Meter). Das Trinkwasser kam aus zwei Brunnen mit jeweils 120 Metern Bohrtiefe. Eine Hochspannungsleitung aus Smolensk versorgte die >>Bärenhöhle<< mit Elektrizität, es gab außerdem zwei Notstromaggregate. Das Objekt >>Bärenhöhle<< errichteten Angehörige der >>Organisation Todt<<, einer streng hierarchisch gegliederten und nach dem Reichsminister für Bewaffnung und Munition benannten Bauorganisation für militärische Anlagen in Deutschland und den besetzten Gebieten. Außerdem kamen russische Bauarbeiter zum Einsatz. Reichsminister Fritz Todt besichtigte die Fortschritte des im Oktober 1941 begonnenen Bunkerbausam 2. Januar 1942. 112 Hitler hielt sich nach gegenwärtigem Kenntnisstand nie in der >>Bärenhöhle << auf, weil sich der Kriegsverlauf nach deren Vollendung im August 1942 relativ schnell zuungunsten der deutschen Wehrmacht entwickelte. Dieser Bunker wurde deshalb nicht mehr als >>Führerhauptquartier « benötigt und der Heeresgruppe Mitte als Ausweichquartier zur Verfügung gestellt. Nach Ende des Krieges blieb das Objekt leerstehen. Es wurde nicht von der Roten Armee genutzt, obwohl die Häuser, die zum Areal des >> Führerhauptquartiers<< gehörten, nun von der Sowjetarmee bewirtschaftet wurden. Das änderte sich auch nach 1991 nicht. Zwar verewigten sich Jugendliche mit Graffiti auf dem Würfel im Wald - dass sie Hitlers verfallenen Bunker besprühten, ahnten sie aber nicht.
Eingangsbereich des »Führerhauptquartiers«, das Hirler selbst nie betreten hat.
Unterirdische Kommandozentralen der Roten Armee in Stalingrad Kaum wieder zu Hause in Moskau, läutete das Telefon. Swetlana, die Museumsdirektorin aus Wolgograd, mit der ich mich dort ein paar Monate zuvor auf Tunnelexkursion begeben hatte, war am anderen Ende der Leitung. Sie erkundigte sich nach meinem Buchprojekt und versprach, mir bei meinem nächsten Besuch einen unterirdischen Kommandopunkt mitten im Stadtzentrum zu zeigen, von dem aus der Widerstand gegen die Wehrmacht koordiniert worden sei. Sie selbst habe den Zugang erst vor einigen Wochen entdeckt. Swetlana sprühte vor Begeisterung. Ich ließ mich anstecken und fuhr ein weiteres Mal ins ehemalige Stalingrad, auf das nach dem Scheitern des deutschen Angriffs auf Moskau ab Sommer 1942 eine neue deutsche Großoffensive gezielt hatte. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit der Wehrmacht war 1942 gebrochen. Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits erhebliche Verluste an Mensch und Material. Ohne einen baldigen durchschlagenden militärischen Erfolg drohte nicht nur die Stimmung in der Truppe zu kippen, sondern vor allem die militärische Initiative verlorenzugehen. Die Offensive im Süden Russlands zielte deshalb auf die Stadt, die Stalins Namen trug und so nicht nur eine bedeutende Industriemetropole an der Wolga, sondern ein Symbol war, das man mit aller Macht zu zerschmettern suchte. Zudem war man auf die Eroberung der strategisch wichtigen Ölquellen am Kaukasus aus. Am 21. August 1942 konnte zwar der Elbrus, der höchste Berg des Kaukasus, bestiegen werden, für die Besetzung der strategisch wichtigen transkaukasischen Ölgebiete fehlte der Wehrmacht jedoch schon die Durchschlagskraft. Nicht nur im Kaukasus, sondern auch in Stalingrad sahen sich die deutschen Truppen nun zunehmend Verteidigern gegenüber, denen der Sieg vor Moskau neue Kampfmoral verliehen hatte. Außerdem erhielten die sowjetischen Truppen aus den nach Osten verlegten Rüstungsbetrieben ständig Nachschub an modernen Waffen, die den deutschen gleichwertig oder mitunter sogar überlegen waren. Der Kampfpanzer T 34 ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Ab September 1942 tobte in und um Stalingrad der Kampf zwischen der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus auf der einen und vier sowjetischen Armeen auf der anderen Seite. Sie unterstanden 133
dem Oberbefehl von Marschall Semjon Timoschenko (1895-1970). Rolf Grams, der als ehemaliger Major und Kommandeur eines Kradschützenbataillons die Schlacht um Stalingrad miterlebte, berichtete: >>Es war ein unheimlicher Kampf auf und unter der Erde. In den Trümmern, Kellern, Kanälen der großen Stadt und der Industriewerke. Mann gegen Mann. << 113 Ein anderer Autor schrieb: >>Das Geheimnis [des Vorteils für die Rote Armee] lag [in den] Löß-Schluchten des Wolgaufers. [... ] Hier mündeten die Abwasserkanäle der Industriewerke, jetzt leere lange Höhlenwege, die in den Rücken der deutschen Front führten. Sowjetische Stoßtrupps krochen hindurch. Hoben vorsichtig die Gullydeckel. Brachten MGs in Stellung.<< 114 Swetlana nahm mich gleich am Bahnhof in Empfang. Sie war in Eile, da die Feierlichkeiten zum 9. Mai, dem 62. >>Jahrestag des Sieges << , bevorstanden und in ihrem Museum eine Festveranstaltung stattfinden sollte. Sie brachte mich deshalb zunächst ins Archiv, wo sie mich mit Akten über den Bunker eindeckte, die sie gefunden hatte. 1941 wurden in Stalingrad zwei Kommandopunkte fertiggestellt, von denen aus später die Verteidigung der Stadt geleitet wurde. Beim ersten handelt es sich um einen Bunker in der Nähe des Wolgaufers. Er hatte die Form eines kyrillischen >> P<<. Der zweite Kommandopunkt, ein Luftschutzbunker, der auch vor Gasangriffen Schutz bot, befindet sich mitten im Stadtpark (Park des Komsomol). Beide Anlagen wurden während der Schlacht um Stalingrad stark beschädigt. In einem Ge-
heimerlass verfügte die Stalingrader Leitung der KPdSU deshalb 1943 den Wiederaufbau dieser Verteidigungsanlagen. Eisenbahnminister Kaganowitsch wurde beauftragt, die unterirdischen Arbeiten durch die Moskauer Firma >>Metrostroi<>Wolgograd << und damit, ohne es zu wissen, in unmittelbarer Nähe des Bunkers. Am nächsten Morgen um sechs Uhr traf ich Swetlana in der Hotelhalle. Sie wollte vermeiden, dass im Park Spaziergänger auf unser Tun aufmerksam würden. Lediglich eine Straße mussten wir überqueren, schon waren wir an Ort und Stelle. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass von einem unscheinbaren Steinhäuschen, das aussah wie ein überdachter Brunnen, ein Abstieg in die Geschichte des Zweiten Weltkrieges möglich ist. Wir bogen die Metallstäbe einer Luke auseinander, ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und schwang mich über die Brüstung. Eine Art Feuerleiter führte in die Tiefe. Swetlana, korpulenter als ich, verzichtete auf den Abstieg. Sie sei ja schon unten gewesen und wolle lieber aufpassen, dass mich niemand störte. Von Dunkelheit mngeben, kletterte ich an der rostigen Leiter hinab, an der einige Sprossen fehlten. Als
Soldaten der Roten Annee beim Häuserkampf in Stalingrad im Winter 1942/43.
Einstmals eine der Befehlszentralen für die Verteidigung Stalingrads, in den 60er Jahren zugeschüttet: »Kommandopunkt Nummer 1<<.
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Mitten im Stadtpark von Wolgograd ~ndet sich ein getarnter Eingang zum unterirdischen »Kommandopunkt Nummer 2«.
ich festen Boden unter den Füßen spürte, stieß ich eine Tür auf. Schaltanlagen, alte Elektrokästen und allerlei Mülllagen herum. >>Hier ist schon jahrelang niemand mehr gewesen<< , dachte ich. Dann jedoch fiel mein Blick auf eine Matratze, neben der verschimmeltes Brot und einige leere Flaschen lagen. Wahrscheinlich kennen Obdachlose das Versteck. Von einem Raum führte eine Treppe in ein noch tiefer liegendes Geschoss. Mit der Taschenlampe leuchtete ich die Etage aus. Dort mussten - angesichts der alten Bettgestelle und Stühle, die dort herumstanden - früher die Unterkünfte gewesen sein. Jede der Etagen hat sieben oder acht Räume, die zum Teil mit schweren Eisentüren verbunden sind. Erneut sah ich eine Luke im Boden. Unter mir erstreckte sich ein weiteres Stockwerk, doch ich gelangte nicht tiefer. Die Treppe war durchgerostet, und die nächste
ln einem Schacht mit einem Durchmesser von 1,20 Meter führt eine Feuerleiter in die Tiefe.
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Abstieg in das zweite Untergeschoss, das verschüttet ist; eventuell gibt es noch tiefer gelegene Geschosse.
Die ehemalige Kommandozentrale der Roten Armee war bis in die 80er Jahre hinein einsatzbereit. Heute ist sie weitgehend vergessen und dem Verfall überlassen. Nur einige Obdachlose scheinen die unterirdischen Räumlichkeiten gelegentlich aufzusuchen.
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Etage- vielleicht gibt es sogar mehrere- war völlig verschüttet. Swetlana erwartete mich schon unruhig am Ausgang. Ohne es wahrzunehmen, hatte ich über eine Stunde mit Fotografieren verbracht. Auf dem Rückweg ins Hotel erzählte Swetlana nicht ohne Stolz, dass deutsche Truppen zwar bis in den Park gelangt seien, den Bunker jedoch hätten sie nicht entdeckt. Auch jetzt solle dort nicht jeder herumschnüffeln. Die Schlacht um Stalingrad war ein Straßen- und Häuserkampf von unvorstellbarem Ausmaß und grausamer Härte. Die schwersten Auseinandersetzungen mit den meisten Toten gab es vor den Toren des Traktorenwerkes der Stadt. Aus diesem Werk, das als Rüstungsproduktionsstätte diente, rollten 1942 neue T-34Panzer ohne Anstrich direkt an die Front.U6 Unter der Fabrik befinden sich mehrere Bunker und ein Tunnelsystem. Sie waren in den 90er Jahren unter Jelzin- als in Russland beinahe alles möglich war- für kurze Zeit zugänglich gewesen. Heute sind sie erneut gesperrt, denn nach wie vor produziert das Traktorenwerk nicht nur Traktoren. Nachdem ich am Morgen aber bereits so erfolgreich in der Wolgograder Unterwelt gewesen war, beschloss ich den Versuch zu wagen, die Bunker im Traktorenwerk zu besichtigen. Maxim, den Pressesprecher der Fabrik, einen sympathischen und westlich orientierten Mann, der gar nicht so recht in die immer noch zutiefst sozialistisch geprägte Atmosphäre des Staatsunternehmens zu passen schien, hatte ich in Moskau auf
einer Tagung kennengelernt. Er war noch nicht lange bei seinem Arbeitgeber beschäftigt, dementsprechend optimistisch versprach er, mir Zugang zu verschaffen. Das Traktorenwerk hat ein eigenes >> Traditionskabinett«, eine Art Museum, das in sozialistischer Manier von den Heldentaten der Arbeiter kündet. Dessen Chefin, so Maxim, sei die Schlüsselgewaltige über einen alten, sehr tief gelegenen unterirdischen Befehlsstand. Aus diesem Grund ließ ich es über mich ergehen, dass die energische Dame mir mehr als eine Stunde lang die Exponate ihres kleinen Kabinetts erklärte. Anschließend konnte Maxim sie überzeugen, uns zum Bunker zu führen, dessen Eingang am anderen Ende des riesengroßen Werkgeländes lag. Wir kamen dort nie an. Das Traktorenwerk erinnerte mich an eine Fabrik aus einem vergangenen Jahrhundert. Verfallene Gebäude, rostende Anlagen und dazwischen verschwitzte, schmutzige Arbeiter mit leeren Gesichtern. All das faszinierte mich auf eine traurige Art, so dass ich meine Kamera nahm und fotografierte. Plötzlich hörten wir hinter uns quietschende Autoreifen und Sirenen. Brandneue Jeeps, die überhaupt nicht in diese Umgebung passten, jagten an uns vorbei und verstellten den Weg. Irgendjemand musste den betriebseigenen Sicherheitsdienst darauf aufmerksam gemacht haben, dass sich ein Ausländer auf dem Gelände aufhielt und fotografierte. Unmissverständlich und grob wurden nicht nur ich, sondern auch der Pressesprecher und die Leiterin des hauseigenen Geschichtsmuseums aufgefordert, mitzukommen. Ich gelangte nicht zum Bunker, sondern auf dem schnellsten Weg zum Ausgang des Werks, wo ich meinen Fotoapparat abgeben sollte. Ich weigerte mich standhaft, Maxim verschwand mit dem Chef der >>schnellen Eingreiftruppe« in einem Büro und kam nach einer halben Stunde, die ich umringt vom Wachdienst auf dem Werkhof verbrachte, betreten zurück. Ihm war ungeheuer peinlich, was passiert war. Die Kamera konnte ich behalten, doch das Traktorenwerk musste ich verlassen. Die Werksuhr zeigte 15.45 Uhr. Auf einmal ertönte aus mehreren Lautsprechern laute Marschmusik. Schichtende! Aus den einzelnen Werkhallen quoll fast auf einen Schlag eine uniforme Masse von Arbeitern. Dieser Menschenstrom schluckte schließlich auch mich, der Film >> Metropolis<< kam mir in den Sinn ... Das Werk sah ich nie wieder, und die unterirdischen Anlagen werden - so mein Eindruck nach diesen Erlebnissen - noch für lange Zeit nicht zugänglich sein.
Einstmals eine Rüstungsschmiede der Sowjetunion, in der 1942 T-34Panzer gebaut wurden -das Traktorenwerk von Wolgograd. Hinter dem mächtigen Haupteingang scheinen die Industrieanlagen zu ver· kommen. Dennoch soll es dort nach wie vor eine geheime Rüstungs· produktion geben, auch wenn das Denkmal die Traktorenbauer ehrt.
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Letzte deutsche Rückzugsorte in Stalingrad und Königsberg Wesentlich leichter als in die Bunker des Traktorenwerkes gelangt man in Wolgograd in die ehemalige unterirdische Kommandozentrale von Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, in der heute ein privates Museum betrieben wird. In dem Gebäude darüber, direkt gegenüber der >> Ewigen Flamme<< , die im Wolgograder Stadtzentrum an die Toten des Bürgerkrieges nach der Oktoberrevolution erinnert, ist ein Kaufhaus untergebracht. Verlässt man die im Erdgeschoss gelegene Abteilung mit Kosmetikwaren, Uhren, Mobiltelefonen Lmd Haushaltsartikeln in Richtung Keller, gelangt man direkt dorthin, von wo aus Paulus verzweifelt versuchte, von Hit! er die Erlaubnis zum Ausbruchsversuch aus Stalingrad zu bekommen. Von einem drei Meter
breiten Mittelgang gehen nach rechts und links kleinere Räume ab. Die Gesamtfläche beträgt ungefähr 200 Quadratmeter. Zu sehen sind Gebrauchsgegenstände aus dem Bunkeralltag und eine lebensgroße Puppe, die Generalfeldmarschall Paulus an seinem Schreibtisch darstellen soll. Ab November 1942 waren die Divisionen der 6. Armee eingekesselt. Doch Hitler untersagte Paulus jegliche Absetzbewegung. Entgegen dem ausdrücklichen Befehl Hiders, bis zum letzten Mann zu kämpfen, kapitulierte Paulus angesichts der katastrophalen militärischen Lage Ende Januar 1943. Der Untergang seiner 300 000 Mann starken Armee leitete die Kriegeswende ein. Paulus und rund 90 000 deutsche Soldaten gerieten in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Nur 5000 von ihnen sahen die Heimat wieder. Ein Angebot Hitlers, Paulus gegen den in deutsche Gefangenschaft geratenen
Als Stalins Sehn Jakow (2. von links) im Juli 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet, meinte sein Vater: »Der Narr- schaffte es nicht einmal, sich zu erschießen.« Stalin lehnte einen Austausch gegen General Paulus ka tegorisch ab.
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Im Kellergeschoss des Kaufhauses im Stadtzentrum von Walgagrad liegt der Zugang zum sogenannten Paulus-Bunker.
Mittelgang in der unterirdischen Kommandozentrale von Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, die heute ein Museum ist.
Jakow Dschugaschwili, Sohn aus Stalins erster Ehe mit Jekaterina Swanidse, auszutauschen, lehnte Stalin ab und kommentierte gegenüber seiner Tochter: »Nein Krieg ist Krieg.« 117 Bedeutete die Kapitulation von Generalfeldmarschall Paulus die Wende im Zweiten Weltkrieg, so wurde die Kapitulation von General Otto von Lasch in Königsberg (heute: Kaliningrad) zum Anfang des endgültigen Untergangs des sogenannten Dritten Reiches. Das Inferno des Krieges kam jetzt nicht nur aus der Luft, sondern auch zu Lande mit grausamer Gewalt über Deutschland und die Deutschen. Ende Januar 1945 hatte die Rote Armee die Hauptstadt Ostpreußens eingekreist und damit jegliche Flucht gen Westen unmöglich gemacht. 250 000 sowjetische Soldaten setzten am 5. April zum Sturm auf die Stadt an, die von Hitler zuvor zur Festung erklärt worden war. Deutsche Soldaten verschanzten sich in den Katakomben mehrerer Forts, die in den Jahren 1871 bis 1905 gebaut worden waren. Lasch leitete die im Angesicht der Übermacht der Roten Armee hoffnungslose Verteidigung von einem Bunker in der Nähe der Königsberger Universität aus. Der Eingang befindet sich gegenüber dem Denkmal für den größten Sohn der Stadt: Immanuel Kant. Der Stahlbetonbunker ist 42 Meter lang, die Innenwände sind bis zu einem halben Meter dick. Er besteht aus 21 kleinen Räumen, die zu beiden Seiten eines Mittelganges liegen. Heute ist dort eine Außenstelle des
Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Königsberg (heute: Kaliningrad) zwölf Forts mitweitläu~gen unterirdischen Gängen.
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Außenansicht eines Forts aus der Zarenzeit, in dem sich im April 1945 deutsche Soldaten vor der anrückenden Raten Armee verschanzten.
Eingang zum lasch-Bunker in der Nähe der Kaliningrader Universität.
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Mittelgang im lasch-Bunker, von dem 21 Räume abgehen.
>>Museums des Vaterländischen Krieges« der Stadt Kaliningrad untergebracht. Im Raum mit der Nummer 13 liegen noch die letzten Lageberichte des Generals ans >>Führerhauptquartier<<, ein Wehrmachtsmantel hängt am Garderobenhaken. Lasch und sein Stab hielten sich dort vier Tage lang, am 9. April kapitulierte er. Die Zerstörungswut der Rotarmisten kannte keine Grenzen. Genährt vor allem vom Bewusstsein der Verbrechen der Sonderkommandos der SS in der Sowjetunion, angestachelt aber auch von Stalin'scher Propaganda, nahmen sie unversöhnliche Rache und erklärten alle Königsherger gewissermaßen zum Freiwild. Erstmals in diesem Krieg, der allein in der Sowjetunion 20 Millionen Menschen das Leben kostete, lag eine deutsche Großstadt, zudem die Krönungsstadt preußischer Könige, wehrlos vor den sowjetischen Soldaten. Für die Besiegten begann die Hölle. Es kam zu Massenerschießungen, Folterungen und Massenvergewaltigungen. Ein Zeitzeuge berichtete: >>Alles, was wir tagsüber sahen, hatte uns so entsetzt, dass niemand mehr ein Wort sprechen konnte. Aber was wir nachts hörten, erschütterte mich noch mehr. Schreie, Hilferufe, Schüsse, Jammern. << 118 Königsberg wurde zum Internierungslager. Von den geschätzten 110 000 Einwohnern, die bei der Besetzung noch in der Stadt waren, blieben knapp 15 000 am Leben. Keine andere deutsche Stadt hat für den Krieg so grausam bezahlen müssen wie Königsberg.
Gebietskomitee Primorje der KPdSU und der Inlandsgeheimdienst NKGB. Während in Moskau die Szene der Digger argwöhnisch von Geheimdienstlern beobachtet wird, gibt es in Wladiwostok einen Digger-Klub, der gegen Bezahlung Erkundungstouren durch die Unterwelt anbietet. Jegor hatte dienstlich in einer der Filialen seiner Bank in Wladiwostok zu tun, ich nahm es zum Anlass, ihn zu begleiten. Diesmal war keine Zeit für die Fahrt mit der Eisenbahn; anstelle von acht Tagen Zugfahrt flogen wir acht Stunden mit dem Flugzeug. Der Digger-Klub Wladiwostok besteht aus zwei Personen: Jegor und ich hatten mit ihnen in einem Internetforum Kontakt aufgenommen. Wir glaubten nicht daran, dass in Wladiwostok möglich sein sollte, was in Moskau einfach undenkbar ist: behördlich geduldete Untergrundführungen. An einem Samstag trafen wir uns in aller Frühe vor dem Gorki-Theater. Igor und Andrej waren Profis. Für alle Fälle hatten sie für uns Ausrüstung dabei: Grubenlampen, Gummistiefel in verschiedenen Größen und wasserdichte Umhänge. Seit drei Jahren, so Andrej, bieten sie die Touren an. Ihren Gewinn versteuern sie, und mittlerweile werden sie sogar häufig von offizieller Stelle um Expertenrat gefragt, wenn es um Luftschutzkeller, Bunker oder Tunnel unter Wlacliwostok geht. Nachdem wir uns bekannt gemacht hatten, gingen wir um das Theater herum und standen nach wenigen Schritten vor einer Eisentür. Es handelt sich um einen der acht Zugänge zum Riesenbunker, dem einst streng geheimen »Objekt B 11 <<. >>Zu Sowjetzeiten haben Post-
Stadt unter der Stadt: das »0bie kt 8 11 « in Wladiwostok War die Verteidigung Moskaus und Stalingrads entscheidend für das Schicksal der Sowjetunion im Kampf gegen die Deutschen an der Westfront, nahm Wladiwostok eine Schlüsselstellung bei der Abwehr eines möglichen Angriffs der Japaner ein. Obwohl Japan entgegen anfänglich bestehenden Befürchtungen die UdSSR nicht angriff, war die Sowjetunion seit Jahren für eine kriegerische Auseinandersetzung gerüstet. Stalin wollte dadurch die Schmach der Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg der Jahre 1904/05 tilgen, bei der das russische Zarenreich die Hälfte der Insel Sachalin an Japan hatte abtreten müssen. Zwischen 1939 und 1949 baute man unter Wladiwostok eine Bunkerstadt, die der Parteielite im Fall des Falles Schutz bieten sollte. Nutzungsrecht besaßen das
Durch diese Eisentür in der Nähe des Theaters von Wladiwostok gelangt man in die einst geheime Bunkerstadt >>B 11«.
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kartenfotografendas Gorki-Theater immer nur von der anderen Seite aufnehmen dürfen, damit diese Tür nicht mit auf das Bild gerät<<, erklärte Igor. Bis zum Jahr 2000 stand der Bunker unter militärischer Bewachung. Igor holte einen Schlüssel hervor und öffnete die Tür. Ein Gang lag vor uns, der in die Tiefe führte, in einen Bunker, der über 2000 Quadratmeter groß ist: eine Stadt unter der Stadt. 119 Die Luftfeuchtigkeit und der Temperaturunterschied zur Außenwelt waren derart hoch, dass es einige Zeit dauerte, bis die Linse meiner Kamera nicht mehr beschlug. >> B 11 <<, so Andrej und Igor, wurde Ende der 40er Jahre atomwaffensicher ausgebaut. Der Eingang am Gorki-Theater sei mäanderartig ausgeführt worden, um der Druckwelle eines eventuellen Atomschlags standhalten zu können. Unsere Führer halten sich oft dort unten auf und kennen die Gänge wie ihre Westentasche. >>Hier gab es alles, was zum Überleben not\vendig ist«, erklärten sie: >>eine Telefonstation mit Standleitungen nach Moskau, ein Brunnen, Dieselgeneratoren zur Elektroversorgung, Ventilation, Heizungsanlagen, Arbeits-, Lager- und Wohnräume und sogar einen Kinosaal. << Im alten Kinosaal hatte Andrej seinen letzten Geburtstag gefeiert. Die Reste der Party waren unübersehbar. Die Stadt unter Wladiwostok war vollständig unabhängig von einer Versorgung von außen. Ein Tunnelsystem verbindet die Räume miteinander, der Höhenunterschied beträgt 60 Meter. Außerdem besitzt die Bunker-Stadt einen zusätzlichen Evakuierungstunnel mit einer Länge von 1,5 Kilometern. Er ist mit einem zweiten Tunnel verbunden, der zu einem Bunker des ehemaligen Geheimdienstes NKGB gehörte und am Hafen endet. Eine weitere Verbindung, so Igor, bestehe bis heute zur Wladiwostoker Außenstelle des Moskauer Verteidigungsministeriums. Sie sei aber nicht zugänglich. Jegor und mich interessierte, wie es möglich gewesen war, die Bauarbeiten für ein solch großes Objekt geheim zu halten. In Moskau erklärte man unterirdische Arbeiten, von denen niemand etwas wissen sollte, mit dem Ausbau der Metro. Doch Wladiwostok verfügt über keine Untergrundbahn. Andrej erklärte, das ausgehobene Gestein sei auf geschlossenen Wagen abtransportiert worden: >> Die Bevölkerung ahnte natürlich, dass sich die Parteielite einen gesonderten Schutzraum baute. Doch jedes Wort dazu hätte GULag oder Tod bedeutet. << Die Wladiwostoker Digger erkunden die Geschichte des Bunkers seit drei Jahren. Die meisten Ausrüstungs142
Oben: Hauptgang in die Unterwelt von >>B 11 «. Unten: Bis Mitte der 80er Jahre in Betrieb, bis zum Jahr 2000 unter militärischer Bewachung - seidem verrotten die Anlagen bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit.
Teil der Wasserversorgungsanlage der autarken Bunkerstadt.
Hennetische Abriegelung als Schutz vor einem möglichen Atomschlag.
Digger nutzen die unterirdischen Räumlichkeiten des ehemals streng geheimen und abgeschotteten Objekts gelegenrlich für Partys.
Übergang von >>B 11 « zum NKWD·Schutzbunker; der Geheimdienst· bunkerverfügt über einen Ausgang zum Hafen von Wladiwostok.
gegenstände von >> B 11 « seien 19 84 in ein neues unterirdisches Objekt außerhalb der Stadt gebracht worden, obwohl man im Jahr zuvor den Bunker noch einmal generalüberholt habe: >>Fehlgeleitete Planwirtschaft«, stellte Igor nüchtern fest. Andrej ergänzte, das neue Objekt sei strategisch günstiger gelegen - knapp 30 Kilometer vom Wladiwostoker Flughafen entfernt. Es ist heute streng abgeschirmt und dient dem Gouverneur der Region Primorski Krai120 als Schutzbunker. Ursprünglich wollten wir uns noch ein zweites Objekt ansehen, das Anfang der 40er Jahre unweit des Evakuierungstunnels von >> B 11 << entstanden ist: ein 1500 Quadratmetern großes geheimes unterirdisches
Werk für Rüstungsproduktion . Es trug die Tarnbezeichnung >>040 40<< . Im Inneren des Werks, so Igor und Andrej, verlaufen Schienen für eine schmalspurige Eisenbahn. Doch der Eingang zur Fabrik wurde vor einigen Monaten zugeschweißt, nachdem sich mehrere Unfälle ereignet harten und Menschen in die Tiefe gestürzt waren. Das ehemalige geheime Werk hatte Obdachlosen und Drogenabhängigen a ls Zufluchtsort gedient. Obwohl wir >>040 40 « nicht sehen konnten, verließen wir das Zentrum von Wladiwostok mit dem sicheren Gefühl, dass die Stadt am Japanischen Meer eine der am meisten unterbunkerten Städte Russlands ist. 143
Gescheiterte Großproiekte nach dem Kriegsgewinn Die »tote Eisenbahn« am Polarkreis Moskau, Wolgograd, Samara, Wladiwostok - die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren in der Sowjetunion viele unterirdische Bauten entstanden. Die außergewöhnlichsten Reisen, die ich in Russland unternahm, führten mich jedoch auf die Spuren zweier gigantischer Vorhaben der Nachkriegszeit, an den Polarkreis sowie ans Ochotskische Meer. Stalins Position war nach dem Krieg stärker als je zuvor. Nichts und niemand konnte ihn daran hindern, neue kolossale Projekte anzuordnen, die einen unermesslichen Tribut an Menschenleben forderten. Im Frühjahr 1947 wurde ein geheimes Projekt befohlen, das zweierlei umfasste: den Bau eines Kriegshafens
am Kap Kamenny und den einer Eisenbahnlinie parallel zum Polarmeer, die zwischen Salechard/Labytnangi am Ob und Igarka am Jenissej verlaufen sollte. Die Trasse ging unter der Bezeichnung >>Stalin-Bahn« oder >>Polarbahn« in die Annalen der GULag-Geschichte ein, denn gebaut wurde sie vom Tausenden von Lagerhäftlingen. Es gab sogar den unglaublichen Plan, zwei Tunnel unter den mächtigen Strömen Ob und Jenissej zu graben, um eine Durchfahrt für die Eisenbahn zu ermöglichen. 121 Das große Interesse Stalins für das Projekt, der sich regelmäßig über den Fortgang der Arbeiten Bericht erstatten ließ, mag etwas mit emotionalen Bindungen zu tun gehabt haben, war er doch unter dem Zaren an den Polarkreis, in den Ort Kurejka, verbannt worden. Der Bau der Polarbahn begann in den Anfangszeiten des Kalten Krieges. Als sich die Beziehungen der UdSSR zu den USA dramatisch verschlechterten, wollte die Sowjetunion dem damals noch bestehenden Atomwaffen-
Flusshafen in Salechard am Polarkreis. Hier plante Stalin die Untertunnelung des Ob, um die Polarbahn an Labytnangi anzubinden.
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monopol der USA Paroli bieten. Man überlegte, die in der Entwicklung befindlichen Atomraketen am Polarkreis zu stationieren, da sie von dort aus die Vereinigten Staaten am schnellsten erreichen konnten. Mit dem Bau eines Hafens hoch oben im russischen Norden wollte man zum anderen die Nordflanke der Sowjetunion stärken. Hochseehäfen gab es bis dahin nur in Sewastopol, Leningrad und Wladiwostok. Und schließlich verfolgte man mit dem Doppelprojekt Hafen- und Eisenbahnbau noch ein drittes Ziel: Die Lager des GULag sollten miteinander verbunden werden. Ohne gründliche Vorbereitung wurde im März 1947 mit dem Bau einer 700 Kilometer langen Eisenbahnstrecke unter arktischen Bedingungen begonnen. Sie sollte von Tschum über Jar-Sale und die Bucht Nachodka bis nach Kap Kamenny führen. Für die Finanzierung gab Stalin uneingeschränkt grünes Licht. Unter der Tarnbezeichnung >>Objekt Nr. 503 « begannen gleichzeitig die Arbeiten für den Hafen in Kap Kamenny. Die Bedingungen für die Sträflinge waren unvorstellbar. Im Winter litten und starben sie in teils ungeheizten Baracken bei Temperaturen von bis zu minus 50 Grad. Im Sommer wurden sie Opfer der Insekten. Eine gängige Strafe war es, Häftlinge nackt an Bäume zu binden. Nach wenigen Minuten war der Körper schwarz von Blutsaugern. Diese Tortur endete meist mit dem Tod. Ein Überlebender dieser Strafkompanie berichtete, das Schlimmste sei der Hunger gewesen, der die unterkühlten, eitrigen Körper hätte unförmig anschwellen lassen. In ihrem Wahn hätten die Gefangenen selbst Fässer mit Maschinenöl belagert. >>Unser Organismus «, so der Zeitzeuge, >>war bereits in der Lage, sogar mit Maschinenöl fertig zu werden. «122 Nur knapp zwei Jahre später, im Januar 1949, erging ein Baustopp. Viel zu spät hatte man in Erfahrung gebracht, dass der Zugang zum Kap Kamenny in der ObBucht für Hochseeschiffe nicht tief genug war. Da hatten bereits Tausende Häftlinge aus Straflagern ihr Leben gelassen! Daraufhin sollte ersatzweise ein entsprechender Hafen in Igarka am Jenissej entstehen. Der Trassenverlauf der Polarbahn wurde entsprechend geändert. Für den Streckenabschnitt vom Fluss Pur nach Igarka übernahm man die alte Bezeichnung >>Objekt 503<<, die Strecke Tschum über Salechard bis zum Pur nannte man >>Objekt 501 <<. Trotz des ständigen Drucks aus Moskau gingen die Bauarbeiten eher schleppend voran: Es mangelte an Erfahrungen mit dem Eisenbahnbau auf Perma-
Mit solchen Masken versuchten sich die beim Bau der Polarbahn eingesetzten GUlag·Häftlinge vor Temperaturen von bis zu minus 50 Grad zu schützen.
»Die Gleise am äußersten Rande der Weit wurden ohne Gnade mit Menschenschicksalen verlegt.« Inschrift auf dem Denkmal für die Opfer der Polarbahn in Salechard.
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Zwischen Nadym und Salechard verläuft eine >>Winterstraße«. Das Schild an der Zufahrt in Nadym zeigt den Straßenverlauf.
Begegnung auf der »Winterstraße«: Die im russischen Norden ansässigen Nenzen leben von der Rentierzucht.
Nur mit speziellen Ballonreifen ausgerüstete Fahrzeuge können die »Winterstraße« befahren.
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Monument der »toten Eisenbahn«: eine Holzbrücke, 40 Kilometer hinter Nadym gelegen.
Für den Bau der Polarbahn wurden demontierte Schienen aus der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands verwendet.
Verlassene Behausung am Rande der Gleise.
Unterführung entlang der Strecke Nadym-Salechard.
frostboden, der erst ab einer gewissen Tiefe ganzjährig durchgefroren ist. Im Winter verlegte Schienen, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands demontiert worden waren, sackten im Sommer an der auftauenden Oberfläche wieder weg. Sie wurden an vielen Stellen regelrecht von dem über den weiterhin gefrorenen tieferen Erdschichten entstehenden Sumpf verschlungen, so dass ständig nachgebessert oder sogar neu verlegt werden musste. Im Winter des Jahres 2006 führte mich- gemeinsam mit einem Berliner Journalisten- eine Vortragsreise auf
Einladung des russischen Journalistenverbandes nach Nowy Urengoi und Salechard. Spätestens seit auf den Weltmärkten die Gaspreise explodieren, ist die im Autonomen Kreis der Jamai-Nenzen gelegene Stadt Nowy Urengoi in aller Mtmde. Sie gilt als >>Gashauptstadt Russlands<<. Mehrere Gazprom-Unternehmen haben dort ihren Sitz. Erreichten wir Nowy Urengoi noch bequem mit der Eisenbahn, so gestaltete sich die Weiterreise schwierig. Von Nowy Urengoi in den Ort Nadym, südöstlich des Ob-Busens, führt noch eine normale Fernstraße. Doch die in Aussicht gestellte Flugverbin-
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dung von N adym nach Salechard, eine Stadt direkt am Polarkreis, gab es nicht mehr, so dass wir auf das mühsame Unterfangen angewiesen waren, die nun folgende, knapp 600 Kilometer lange Strecke auf einer sogenannten Winterstraße entlang den Gleisen der ehemaligen »Stalin-Bahn« zurückzulegen. Ich fand nach längerem Suchen ein Auto, das bereit war, uns mitzunehmen. Ausgerüstet mit speziellen Ballonreifen, einem zusätzlichem 20-Liter-Benzinkanister, auf dem mein Begleiter etwas ängstlich Platz nahm, sowie einem großen Koffer mit Ersatzteilen und Werkzeug machten wir uns auf den Weg. Nach insgesamt drei Reifenpannen in der eisigen Tundra, die unser Fahrer jedes Mal meisterhaft behob, erreichten wir nach 16 Stunden schließlich das Ziel. In dieser Zeit waren uns neben einigen rentierhütenden Nenzen, Angehörigen des indigenen Volksstammes des russischen Nordens, gerade einmal zwei andere Fahrzeuge begegnet. Der nördliche Teil der Westsibirischen Tiefebene ist kaum besiedelt. Deshalb sind die Reste der Polarbahn nicht anderweitig >>verwertet« worden, wie es an vielen Orten so oft in Manier >>sozialistischer Selbstbedienung<< geschah. Die Spuren der Bahn sind heute noch sichtbar. Aber es bietet sich dem Besucher ein fast apokalyptischer Anblick: in sich zusammengefallene Pfeiler der Holzbrücken, Gleise, die im Sommer scheinbar schwerelos über sumpfigen Wasserflächen schweben und im Winter zu grotesken Eismonstern werden, oder mancherorts auch noch Dampfloks und Güterwagen, die langsam vor sich hin rosten. Ein Zug geht hier nicht mal mehr nach Nirgendwo! Der Abschluss der Bauarbeiten war für das Jahr 1953 vorgesehen, die Länge der Strecke hätte dann 1300 Kilometer betragen. Sofort nach dem TodStalins am 5. März 1953 wurden aber alle Arbeiten an der Trasse eingestellt. Dieselben, die sich gestern noch demütig vor Stalin geduckt und das Projekt bejubelt hatten, sahen es plötzlich als nutzlos und als unsinnige Selbstherrlichkeit Stalins an. Trotz der bis zu diesem Zeitpunkt bereits erreichten beträchtlichen Bauergebnisse - mehrere ZubringerStreckenabschnitte waren in Betrieb, so konnte man vom Jaroslawler Bahnhof in Moskau zum Beispiel direkt nach Salechard und Nadym fahren - wurde die »Stalin-Bahn<< zur >> toten Eisenbahn<< . Lediglich die Strecke Tschum- Labytnangi, die erst in den 70er Jahren auf Grundlage des alten Projekts gebaut wurde, ist noch in Betrieb. 148
Die Untertunnelung des Ochotskischen Me eres Anders als die einstmals geplanten Tunnel unter dem Ob und dem Jenissej, die Hirngespinste blieben, wurde mit dem Bau eines anderen Untertunnelungsprojekts tatsächlich begonnen, das mindestens genauso größenwahnsinnig war. Im Fernen Osten sollte unterhalb des Ochotskischen Meeres ein Tunnel Kap Sredni auf dem Festland und Kap Pogibi auf der Insel Sachalin verbinden. Im August 1945 hatte die Sowjetunion den südlichen Teil der Insel Sachalin von den Japanern zurückerobert. Als Ende der 40er Jahre die USA ihre militärische Präsenz in Japan Schritt um Schritt ausbauten und die Flottenpräsenz in diesem Raum erhöhten, wollte Stalin als Antwort auf diese Entwicklung Sachalin zum sowjetischen Bollwerk ausbauen. Dazu, so die damaligen Vorstellungen, bedürfe es einer Eisenbahnverbindung mit dem Festland. 1949 erwogen Verteidigungsministerium, Innenministerium und Eisenbahnministerium drei Varianten: Tunnel, Brücke und Fähre. Im März 1950 traf Stalin die Entscheidung und segnete ein neues, schier wahnwitziges Projekt ab: Bis 1955 sollte ein Tunnel unter dem Ochotskischen Meer gebaut werden. Jegor, mein Moskauer Digger-Freund, hatte inzwischen immer größeres Interesse an der chronologischen und systematischen Erforschung unterirdischer Bauwerke in Russland gefunden. Zwar hatte sich die Aufregung in der Moskauer Digger-Szene wegen zweier Vorladungen ihrer Angehörigen zu den >>Staatsorganen<< wieder etwas gelegt, doch was ursprünglich aus der Not geboren worden war, fand er nun sinnvoll und
Ein Denkmal bei Juschno·Sachalinsk erinnert an das Kriegsende und die Rückeroberung Südsachalins von den Japanern.
spannend. Vom Festland-Sachalin-Tunnel hatte er noch nie etwas gehört. Ein anderer Freund von mir jedoch, ein Professor für Kulturwissenschaft an einer privaten Moskauer Hochschule, erzählte mir Bemerkenswertes. Sein Großvater sei als Ingenieur zu Beginn der 50er Jahre im Fernen Osten gewesen. Andrej Iwanowitsch, so der Name meines Bekannten, meinte, es müsse sich bei dem Einsatz um das Tunnelprojekt gehandelt haben. Auf jeden Fall aber habe er alte Aufzeichnungen zu Hause und wolle nachschauen. Die Unterlagen, die er fand, bestätigten seine Vermutung. Sein Großvater hatte sich von 1952 bis 1954 in der Ortschaft Lazarew aufgehalten. Was er dort getan hatte, war nicht mehr zu recherchieren, aber bei dem Ort handelte es sich genau um die Stelle auf Kap Sredni, von der aus auf dem Festland die Tunnelbohrungen begannen.
Die lange Reise nach Fernost trat ich mit Jegor und Rainer, einem Freund aus Deutschland, an. Wir wollten nach Lazarew fahren, um zu erforschen, ob von dem Tunnel überhaupt noch etwas zu sehen war. Anschließend beabsichtigten wir, auf die Insel Sachalin überzusetzen, um auch dort den Tunnelschacht zu suchen, der sich in der Ortschaft Pogibi befinden sollte. Die nächstgrößere Stadt in der Nähe von Lazarew ist Nikolajewsk am Amur. Auf dem Landweg ist Nikolajewsk nicht zu erreichen. Ein klappriges Flugzeug vom Typ Jak 40, dessen Produktion bereits 1976 ausgelaufen ist, brachte uns aus Chabarowsk zu unserem ersten Ziel. Ich wollte eigentlich nie wieder eine Jak 40 besteigen. Die Erinnerung an einen Landeanflug ein Jahr zuvor in Taschkent, bei dem sich der Pilot 30 Minuten vergeblich bemüht hatte, das Fahrwerk auszufahren, bevor es endlich gelang, hat bei mir tiefe Spuren hinter-
Amur-Hafen in Nikalajewsk.
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lassen. Meine Begleiter überredeten mich aber dann doch, nicht in Chabarowsk zu bleiben, und gemeinsam mit 27 weiteren Passagieren, mehreren Säcken undefinierbaren Inhalts sowie dem gesamten Gepäck aller Passagiere in der Kabine wagten wir schließlich den Flug. Ein Steward Ende 50 im schlecht sitzenden, durchgeschwitzten Hemd mit Schmutzkragen, forderte die Fluggäste gemäß den internationalen Flugregeln pflichtgetreu auf, sich anzuschnallen. Gurte suchten wir allerdings vergebens. Die Gastfreundschaft, die man uns in Nikolajewsk entgegenbrachte, ging zu Herzen. Die Leiterin des ört-
Hotel »Sewer« in Nikolojewsk.
Iichen Museums, Jelena lbragimowna, die aus ihrem Archiv für uns zusammentrug, was sie für unser Anliegen nur finden konnte, versprach, sich um unser Weiterkommen zu kümmern. Lazarew sei eine gesperrte Ortschaft, Ausländer benötigten eine Genehmigung des Inlandsgeheimdienstes. Sie würde aber einen Weg finden! Wir verbrachten den Abend im Hotel >> Sewer« (Nord), der einzigen Gästeunterkunft der Stadt. Wie überall in kleineren Städten des Fernen Ostens gewinnt man den Eindruck, in einer sterbenden Region zu sein. Für die Bewohner ist es schwer, sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Vor einigen Plattenbauten sind Kühe angepflockt. Selbstversorgung steht hoch im Kurs. Am Nachmittag des kommenden Tages brachen wir in einem alten ausrangierten Militärjeep auf, den uns ein Bekannter der Museumsdirektorin borgte. Bis nach Lazarew sind es 180 Kilometer. Wir hofften, in spätestens vier bis fünf Stunden am Ziel zu sein. Doch schon das zweistündige Warten auf die Fähre, die uns über den bei Nikolajewsk zwei Kilometer breiten Amur bringen sollte, machte den Zeitplan zunichte. Für die sich anschließende Fahrt durch eine von Waldbränden gezeichnete Landschaft brauchten wir elf Stunden. Die auf der Karte als regionale Straße angegebene Strecke war nicht mehr als ein ausgefahrener Feld- und Waldweg. Eine Autopanne mitten in der Nacht ließ uns jedoch den wohl klarsten Sternenhimmel unseres Lebens bewundern. Wenn es Orte geben sollte, die am Ende der Welt liegen, dann gehört Lazarew dazu. Die Kleinstadt ist
Blick auf Lozorew om Ochotskischen Meer.
Nur noch wenige Häuser in Lozorew sind bewohnt.
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abgeschnitten von der Zivilisation. Im Kulturhaus, in dem vor 30 Jahren zumindest einmal wöchentlich ein Ensemble aus Chabarowsk oder aus Nikolajewsk aufgetreten war, sind eine Verwalterin und drei Putzfrauen übriggeblieben, die den Verfall verwalten. Ortsmittelpunkt ist ein Speisesaal mit angeschlossenem Allerweltswaren- und Lebensrnittelgeschäft. Am Hafen rosten Schifferkähne vor sich hin. Nur das russische Wappen am Verwaltungsgebäude hatte vor kurzem einen neuen Anstrich erhalten. Es mochte Einbildung sein, aber irgendwie hatten wir den Eindruck, als wüsste der ganze Ort bereits über unsere Ankunft und unsere Suche nach dem alten Tunnel aus der Stalin-Zeit Bescheid. Wir trafen kaum Menschen auf der staubigen Dorfstraße. Ein Fischer, den wir am alten Hafen nach dem Bauwerk fragten, behauptete mürrisch, so etwas gebe es in Lazarew nicht. Zwei Jugendliche, die mit alten Motorrädern, deren Beiwagenfahrgestelle mit Holzbrettern belegt waren, um die Wette fuhren, zeigten uns schließlich doch noch den Weg. Jegor, mein Freund aus Deutschland und ich kletterten am Ortsausgang eine Böschung hinab und kämpften uns durch hohes Gestrüpp. Dann- auf einer Lichtung- sahen wir ihn: den Schacht, der gewissermaßen den Auftakt für den Tunnelbau bedeutete, der das russische Festland mit der Insel Sachalin verbinden sollte. Aus dem Meer vor uns ragte in einer Entfernung von ungefähr zwei Kilometern eine künstlich angelegte Insel empor. Am Horizont erkannten wir die Umrisse der Insel Sachalin.
Beim Bau des Tunnels waren teilweise bis zu 45 000 GULag-Häftlinge gleichzeitig eingesetzt gewesen, jedoch aus Geheimhaltungsgründen nur im Vorfeld und nicht unmittelbar bei den Tunnelarbeiten. Damit waren Spezialisten für den U-Bahnbau aus Moskau und Soldaten betraut. Zu diesen Spezialisten musste der Großvater von Andrej Iwanowitsch aus Moskau gehört haben. Die GULag-Insassen errichteten Wohn-, Sozial- und Verwaltungsgebäude in Lazarew und Pogibi (Sachalin), Dämme, Autostraßen und Schienenstrecken. Sie schufteten in Steinbrüchen und bauten am See Kisi -etwa 110 Kilometer vom Tunnel entfernt- ein getarntes, vor
Armseliger Anblick: Sitz der Stadtverwaltung.
Auch im Hafen von lazarew herrscht der Verfall vor.
Begrenztes Angebot: der einzige lebensmittelladen am Ort.
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Zwischen dem Fesrland und der Insel Sachalin ist eine künsrliche Insel aufgeschüttet, von der aus ein dritter Vertikalschacht zur Tunnelröhre führen sollte.
feindlichen Bombern gesichertes unterirdisches Kraftwerk, von dem aus der Tunnel mit Strom versorgt werden sollte. Denn um teure Lüftungssysteme zu sparen, hatte man beschlossen, die Strecke im Tunnel zu elektrifizieren. Der Tunnel selbst erhielt die Bezeichnung >> Objekt Nr. 6 << , die Häfen am Kap Newelskowo und am Kap Uangi sowie das unterirdische Kraftwerk hießen >> Objekt Nr. 507<< . Die Länge des Sachalin-Tunnels sollte 13,9 Kilometer betragen. Es war vorgesehen, in einer Entfernung von 30 bis 40 Kilometern zur eigentlichen Anlage Attrappen aufzustellen, die über den wahren Standort des Tunnels hinwegtäuschen sollten. Aus dem gleichen Grund sollten die beiden Eingangsportale weit vor der Küste errichtet und seitlich zur Tunnelachse versetzt werden. 152
1950 begannen umfangreiche Erschließungsarbeiten, die für die land- und inselseitige Anbindung des Tunnels notwendig waren.123 Nach dem TodStalins wurden alle Arbeiten von einem Tag auf den anderen eingestellt, obwohl bereits kilometerlange Eisenbahndämme auf Sachalin und dem Festland gebaut, Hunderte Kilometer Gleise verlegt, Straßen planiert, das Tunnelportal auf dem Festland errichtet, Tunnelschächte gebohrt, zwei Kilometer vor der Lazarewer Küste eine künstliche Insel aufgeschüttet124 und der Hafen von Newelskowo fast fertiggestellt waren. Das Tunnelportal auf dem Festland ist nicht mehr auffindbar, offensichtlich wurde es schon 1953 oder kurz danach gesprengt. Vom unterirdischen Kraftwerk blieb lediglich eine riesige, mit Wasser gefüllte Grube übrig. Erhalten geblieben sind von dem Vorhaben des Stalin'schen Gigantismus bis heute die beiden vertikalen Tunnelschächte in Lazarew und Pogibi, von denen aus die eigentliche Untertunnelung des Ochotskischen Meeres in Angriff genommen wurde. Auch die künstliche Insel existiert nach wie vor. Hier sollte ein senkrechter Schacht entstehen. 125 Wir waren stolz, am Ziel zu sein. Der Vertikalschacht in Lazarew, das ergaben unsere Messungen, ist knapp 70 Meter tief. In Schachtnähe, im Gestein der Uferböschung, befindet sich ein ehemaliges Sprengstofflager, das durch einen heute verschütteten Gang mit dem Tunnelschacht verbunden war. Er ist damals in den Fels gesprengt worden. Am Ufer, unterhalb des Vertikalschachtes, beschlossen wir nach Vermessungs- und Fotoarbeiten, trotzder wenig verlockenden Wassertemperaturen von 14 Grad, ein Bad im Pazifik zu nehmen. Jegor tauchte zuerst in die Fluten. Als Rainer und ich nach fünf Minuten frierend aus dem Wasser kamen, vermissten wir ihn. Nach zehn Minuten war er immer noch nicht zurück. Es verging eine halbe Stunde, und es verging eine Stunde. Nach eineinhalb Stunden schnürte uns die Angst schon die Kehle zu. Wie angewurzelt standen wir auf einer Anhöhe und starrten auf den Ozean. Endlich- nach knapp zwei Stunden endlosen Wartens sahen wir einen abgekämpften Schwimmer, der sich auf die Küste zubewegte. Wie ein Schiffbrüchiger fiel Jegor ans Ufer und dann in unsere Arme. Er habe nachprüfen wollen, ob es auf der künstlichen Insel einen Bohrschacht gebe, keuchte er. Nach einem Kilometer habe er gemerkt, dass er seine Kräfte überschätzt hatte. Auf dem Rückweg sei er dann in eine Strömung geraten. Wäre Jegor
Der Schacht erinnert an einen Metrotunneli auch im Fernen Osten wurden Metroingenieure aus Moskau mit dem Tunnelbau betraut.
70 Meter tiefer Tunnelschacht bei Lozarew. Anfangs waren beim Bau des »Sachalintunnels« 45 000 GULag·Häftlinge eingesetzt.
Eingang zum nahe dem Tunnelschacht gelegenen ehemaligen Sprengstofflager.
Das SprengstofRager sollte wahrscheinlich durch einen Gang mit dem Tunnel verbunden werden. Er ist heute verschüttet.
kein trainierter Eisbader gewesen, hätte er dieses Abenteuer nicht überlebt. Am nächsten Morgen gingen wir zum Hafen, um einen Fischer dazu zu bewegen, uns nach Sachalin überzusetzen. Doch unser Gefühl vom Vortag, nicht wirklich willkommen zu sein, meldete sich wieder. Keiner der Fischer ging auf unsere Angebote ein. Das Meer sei zu rau, das Übersetzen zu gefährlich, erwiderten sie, ob-
wohl die Wasserfläche ruhig wie ein Spiegel vor uns lag. Jelena aus Nikolajewsk hatte es zwar geschafft, uns die notwendige Bescheinigung des FSB zu besorgen, damit wir in Lazarew übernachten durften, aber offensichtlich müssen hinter unserem Rücken die Drähte geglüht haben. Wir verließen Lazarew und meinten wahrzunehmen, wie ein Aufatmen durch den Ort ging, der sich durch die Anwesenheit von Fremden gestört fühlte .
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Wettlauf um die Vormachtstellung in der Welt
Verwirrende Ortsbezeichnungen und gesperrte Regionen Josef Wissarionowitsch Stalin starb am 6. März 1953. Er hinterließ ein Imperium, das in den knapp drei Jahrzehnten seiner Herrschaft von einem Agrarstaat zur Weltmacht aufgestiegen war. Industriekomplexe waren aus dem Boden gestampft worden. In bisher kaum zugänglichen Regionen Sibiriens und des Fernen Ostens baute man Bodenschätze ab. Hitler-Deutschland war besiegt, das neue, geteilte Deutschland unter alliierter Kontrolle, und in Osteuropa existierte ein Gürtel sowjetischer Satellitenstaaten. Doch Stalins Erfolge hatten einen hohen Preis. Unvorstellbare Verbrechen, physischer und psychischer Massenterror, bolschewistische Ideologie und ein absurder Personenkult hatten die »Sowjetmenschen« einer Gehirnwäsche unterzogen, die
BeisetzungStalins am 9. März 1953. Unter den Sargträgern waren Lawrenti Berija (vorn rechts), Georgi Malenkow (vorn links) und Wjatscheslaw Molotow (2. hinter Malenkow).
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in der Geschichte kaum ihresgleichen hat. Verzweiflung und panische Furcht vor Repressionen paarten sich mit unbändigem Stolz auf das Erreichte und Führerverehrung. Nach Stalins Tod fragten sich die Völker der Sowjetunion, wie es weitergehen sollte. Zu sehr hatte sich die Rolle des >>Übervaters « eingeprägt, zu stark wirkte die Propaganda nach. Während der Beisetzungsfeierlichkeiten für Stalin kam es zu Massenhysterien überall im Land. Hinter den Kreml-Mauern tobte derweil ein Machtkampf um die Nachfolge, aus dem N ikita Chruschtschow, Georgi Malenkow und - für kurze Zeit - Lawrenti Berija als Sieger hervorgingen. Politbüromitglied Berija, langjähriger Volkskommissar des Innern und Chef des KGB, den Stalin einst als >>unseren Himmler« bezeichnet hatte, machte sich Hoffnungen auf das große Erbe. Als Stalin neben Lenin im Mausoleum auf dem Roten Platz beigesetzt wurde, hielt er die Trauerrede. Drei Monate später wurde Berija nach einem Komplott des Politbüros verhaftet und vermutlich am 23. Dezember 1953 hingerichtet. Die Verbrechen der Stalin-Ära wurden im inneren Kreis der KPdSU erst 1956 thematisiert. In der >> Geheimrede << des neuen Ersten Sekretärs des ZK der KPdSU, Nikita Chruschtschow,t an die Delegierten des XX. Parteitages des KPdSU rechnete der ehemalige Weggefährte Stalins 1956 mit der Politik seines einstigen Förderers ab.2 Dem XX. Parteitag folgte ein innenpolitisches >>Tauwetter<< . Über 70 Prozent der Strafgefangenen wurden freigelassen, zwei Drittel der Straflager aufgelöst.3 Auch in den Führungsgremien der Partei kam es zur Entstalinisierung. Engste Vertraute Stalins wie Wjatscheslaw Molotow, Lazar Kaganowitsch, Georgi Malenkow und Kliment Woroschilow verloren ihre Ämter. Mit Chruschtschow veränderte sich die von Stalin geprägte Sowjetunion. Doch weder Chruschtschow noch seine Nachfolger Leonid Breschnew, Juri Andropow und Konstantin Tschernenko stellten das totalitäre System als solches in Frage. Eines ihrer Machtinstrumente blieb nach wie vor, die Bevölkerung als Objekte
Megadan am Ochotskischen Meer. Hier hatte »Dalstroi« seinen Sitz, der GULag-Konzern, der die Lager im Fernen Osten betrieb.
der Politik zu betrachten und sie in Unwissenheit zu halten. Beispiele für Letzteres sind die große Zahl an Städten und Gebieten, die nicht zugänglich waren, und die massenhafte Codierung von geographischen oder Städtebezeichnungen. Oft handelte es sich dabei um Orte mit unterirdischen Anlagen. Topographische Karten waren bis in die 90er Jahre hinein Mangelware. Von vielen Regionen gab es sie überhaupt nicht. Verfügbare Karten waren oft verfälscht und verzeichneten nicht alle Städte und Siedlungen. Die Tradition, Städten falsche oder erfundene Namen bzw. Code-Bezeichnungen zu geben, reicht bis in die 20er Jahre zurück, ist aber nicht zu verwechseln mit der häufigen Umbenennung von russischen Städten nach kommunistischen Führern, die bis heute für Verwirrung sorgt.4 Außerdem gab es eine Vielzahl von Sperrgebieten. Seit Stalin gehörten dazu vor allem die Regionen mit
Lagerkomplexen des sowjetischen GULag. Das Gebiet um Magadan an der Kolyma, in dem sich der riesige Lagerkomplex >>Dalstroi«5 befand, war grundsätzlich gesperrt und blieb eine der geheimsten Regionen des Landes. Neben >>Dalstroi « waren im Fernen Osten eine Reihe weiterer Gebiete mit überdurchschnittlich vielen Lagern vorhanden, die ebenfalls zu Sperrgebieten erklärt wurden. Die größten waren der nördliche Teil der Republik Komi und der Gebietskörperschaft Tjumen sowie die Bereiche entlang der künftigen Baikal-AmurMagistrale. Ferner brauchte man Sondergenehmigungen für die Regionen, in die ganze Volksgruppen deportiert worden waren. Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, der Altai, die Gebiete Omsk, Nowosibirsk und Krasnojarsk sowie Jakutien wurden zur neuen Zwangsheimat vertriebener Völker, darunter die unter Katharina li. ursprünglich an der Wolga angesiedelte deutsche Minderheit.
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Linienbus von Palana nach Petropawlowsk, der frei zugänglichen Hauptstadt Kamtschatkas.
Teile Kamtschatkas, wie beispielsweise die Stadt Palana, sind für Ausländer bis heute nur mit einer Sondergenehmigung zu erreichen.
Während die ersten Konzentrationslager, die bereits unter Lenin existierten, noch direkt nach dem Ort benannt wurden, bei dem sie errichtet wurden (z. B. Solowezki), verlegte man sich später auf Tarnbezeichnungen. So gab es Lager mit N amen aus Ziffern oder Buchstabenkombinationen. Zum >> Bauobjekt 501<>StalinBahn<< am Polarkreis.6 Hinter der Buchstabenkombination >>DS« verbargen sich Lager, in denen Häftlinge in den Bergwerken von Krasnojarsk nach Buntmetallen schürften. Andere Lagernamen waren reine Erfindungen. Vor allem Sonderlager mit besonders harten Haftbedingungen, in denen politische Häftlinge untergebracht waren, trugen Benennungen wie >>Retschlag« oder >> Berlag«.' Schließlich wurden bewusst falsche geographische Bezeichnungen vergeben. Ein Lager, das den Namen der Stadt Borsk (bei Krasnojarsk) trug, lag nahe der Ortschaft Sinelga im Gebiet Tschita. Unter Stalin gab es drastische Zuzugsbeschränkungen für Großstädte. Als Erstes wurden sie für Moskau, Leningrad und Charkow (Ukraine) eingeführt. Sich in diesen Städten oder ihrem Umland8 anzusiedeln war nur mit Sondergenehmigung möglich. Ehemaligen Häftlingen sowie >>asozialen Elementen« blieb der Zuzug grundsätzlich verwehrt. Die Anzahl derartiger Städte stieg kontinuierlich an und erreichte 1953 die stattliche Zahl von 340.9 Gleichfalls gesperrt waren zur Stalin-Zeit alle Grenzgebiete, und das bis zu 500 Kilometern ins Hinterland.
Wenn ein Sowjetbürger aus einem solchen Gebiet wegzog, verlor er in der Regel für immer das Recht zur Rückkehr. Komplett gesperrt waren bis 1953/54 das Gebiet Kaliningrad sowie die gesamte Westukraine. Außerdem konnte man alle Stationen der Transsibirischen Eisenbahn östlich von Irkutsk nur mit Sondergenehmigung erreichen. Die Regionen Primorje (mit der Hauptstadt Wladiwostok) und Chabarowsk waren genauso Sperrgebiete wie die Insel Sachalin und die Halbinsel Kamtschatka. Ende der 40er Jahre entstanden dann in der Sowjetunion die ersten geheimen Städte. Hierbei handelte es sich um wichtige Militärstandorte, Ansiedlungen von Rüstungsfabriken und Rüstungsforschungseinrichtungen, die sich auf Atom- und Raketentechnik spezialisiert hatten. Diese Städte - etwa 20 an der Zahl- waren auf keiner Karte verzeichnet und strengstens abgeschirmt. In der Regel trugen sie die Bezeichnung einer anderen, real existierenden Stadt sowie eine Nummer. Bei >> Moskau-300<< handelte es sich um die Stadt Sarow (Atomindustrie), bei >>Tomsk-7 « um Sewersk (Urananreicherung), bei >>Schkotowo-22 « um Dunai (Flottenstützpunkt) oder bei >>Krasnojarsk-66« um Kedrowy (Raketenstützpunkt}. Meist lagen diese Siedlungen in der Nähe derjenigen Städte, deren Namen sie trugen. Die Ziffer gab oft die ungefähre Entfernung in Kilometern an. Bei Tscheljabinsk-40 (auch Tscheljabinsk-65), in der Nähe von Osjorsk gelegen, handelte es sich um Majak,
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Kaspisk gehörte zu den gesperrten Städten der Sowjetunion. Vor der Küste befindet sich auf einer künstlichen Insel ein Torpedowerk.
eine der ersten sowjetischen Atomanlagen. Dort wurde der Großteil des kernwaffenfähigen Plutoniums gewonnen. 1957 ereignete sich in Majak ein Unfall, der schwerer war als die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986.10 Sie wurde jedoch streng geheim gehalten. Über Opferzahlen ist selbst gegenwärtig nur wenig bekannt.11 All diese Städte tragen heute zwar keinen Code-Namen mehr, sie zählen aber weiterhin zu Sperrgebieten >>erster Kategorie<<, das heißt, sie sind ohne Sondergenehmigung weder für russische Staatsbürger noch für Ausländer zugänglich. In den Stalin-Jahren spielten solche Sonderregelungen für Ausländer kaum eine Rolle, da es in der Sowjetunion nur wenige von ihnen gab. Zu Beginn der 60er Jahre, als unter Chruschtschow ein zaghafter Tourismus einsetzte, beschloss man jedoch, die Verbote für
Küstenstreifen des Kaspischen Meeres in Kaspisk in der südrussischen Republik Dagestan, der Nachbarrepublik Tschetscheniens.
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Ausländer noch auszuweiten. Während Russen sich jetzt im eigenen Land etwas freier bewegen durften, wurden fast alle sowjetischen Großstädte, in denen es Rüstungsproduktion gab (und wo gab es diese nicht!), für Ausländer gesperrt. In einigen Fällen musste man abwägen. So blieb Wolgograd trotz der dortigen Panzerproduktion aufgrund der historischen Bedeutung der Stalingrader Schlacht immer offen. Das Gleiche galt für Moskau und Leningrad. Manche Städte waren jedoch bis 1992 komplett abgeriegelt, beispielsweise Wladiwostok. Viele Geheimnisse gelangen nur langsam ans Tageslicht. So existierte im Kaspischen Meer, der
Bis heute darf man nur mit Sondergenehmigung noch Seweroclwinsk om Weißen Meer reisen. Grund ist diese U·Boot·Werft.
Stadt Kaspisk (Dagestan/Nordkaukasus) vorgelagert, ein für die sowjetische Rüstungsproduktion bedeutendes Torpedowerk. Bis heute gibt es gesperrte Städte und Regionen in Russland. Ausländer dürfen beispielsweise nicht nach Sewerodwinsk, Norilsk oder einige Gebiete der Halbinsel Kamtschatka reisen. Noch strenger abgeschirmt sind der Autonome Bezirk der Tschuktschen, fast die gesamte Küste des Eismeers, die Inseln Dikson und Nowaja Semlja (Atomtestgelände), Sneschnogorsk, Bolschoi Kamen und Chatanga. Seit 2006 hat sich die Anzahl der Sperrgebiete sogar wieder erhöht. Hinzugekommen sind erneut zum Beispiel Teile der Regionen Primorje, Chabarowsk sowie der Insel Sachalin. Spekulationen löste eine Region im Ural aus. Im Jamantau-Gebirgsmassiv soll es eine gigantische Untergrundbasis geben. Das berichtete ein amerikanischer Journalist im Jahr 2000. Er berief sich aufUS-amerikanische Geheimdienstkreise, denen zufolge diese Basis eine von rund 200 ähnlichen unterirdischen russischen Anlagen sei. In Jamantau könnten angeblich 60 000 Menschen dank spezieller Luftfilter nach einem Nuklearschlag bzw. einem Angriff mit chemischen oder biologischen Waffen monatelang überleben. Es handele sich damit um das weltweit größte Objekt dieser Art.12 Ein Überläufer des russischen Geheimdienstes hatte bereits 1990 erklärt, dass es mehrere solcher Anlagen in Russland gebe.13 Wo sie sich befinden, gehört zu den am besten gehüteten Staatsgeheimnissen Russlands - und das wird wohl auch noch einige Zeit so bleiben.
Gedenkstein in Seweroclwinsk für die Matrosen, die bei der U·Boot· Kotostrophe der »Kursk« im Jahre 2000 ums Leben kamen.
Kirche in Cholmsk an der Westküste Sacholins. 2006 sind die Küsten· städte der Insel wieder zum Sperrgebiet erklärt worden.
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Bunker des Kalten Krieges
Unter dem Schock der US-amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki hatte Stalin noch 1945 Berija zum Verantwortlichen für ein forciertes sowjetisches Atomwaffenprogramm gemacht, in das über Jahre auch internierte deutsche Wissenschaftler aus der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands einbezogen wurden. Viele von ihnen, darunter Manfred von Ardenne, erhielten später hohe sowjetische Orden. Aus den >>Unterwelten<< des in der Sowjetischen Besatzungszone gelegenen Erzgebirges wurden ab 1946unter primitivsten Bedingungen und ganze Landstriche umpflügend - Tonne um Tonne Uran gegraben und in die Sowjetunion gebracht, vordringlich zum Bombenbau. Dort waren geschätzte 250 000 GULag-Häftlinge an der Errichtung der Atomanlagen beteiligt. Viele von ihnen wurden verstrahlt, ihre Schicksale weitestgehend verschwiegen. Am 29. August 1949 zündete die Sowjetunion in der kasachischen Steppe bei Semipalatinsk ihre erste Atombombe, im August 1953 ihre erste Wasserstoffbombe. Nun begann ein Wettrüsten ohnegleichen. In den 60er Jahren führte der Atomwettlauf zwischen den USA und der Sowjetunion auf beiden Seiten zu berstend vollen Arsenalen des Schreckens. Das Atomzeitalter brachte völlig neue Herausforderungen auch an unterirdische Schutzräume mit sich.
Die Führung der UdSSR reagierte auf die veränderte Situation relativ frühzeitig und beschloss, in einer Reihe großer Städte Schutzobjekte unter der Erde zu errichten, die in der Lage sein sollten, bei einem Atomschlag eine begrenzte Sicherheit zu gewähren. Sie nannten sich >> G. 0 .<<(Gosudarst\venny Objekt = staatliches Objekt) und waren nummeriert. Einer dieser »Neubauten<< aus den 50er Jahren, die Kommandozentrale »G. 0 . 42<<, findet sich im Zentrum Moskaus, 150 Meter von der Metrostation Taganskaja entfernt. »G. 0 . 42<< ist eine Art Stadt unter der Stadt. Auf mehr als 7000 Quadratmetern gibt es über 300 Räume, Büros, Gänge, Galerien und Tunnel, im Notfall mit einer Aufnahmekapazität für 2000 Menschen. Arbeits- und Ruheräume, Küchen, ein Kino, Waffen- und Lebensmittellager, Funkräume und Anlagen für die Sauerstoff- sowie Generatoren für die Stromversorgung machten es möglich, dass sich die mehreren hundert Personen, die ständig dort im Einsatz waren, bis zu 90 Tagen ununterbrochen unter Tage aufhalten konnten. Alle Tunnel und Gänge sind mit Stahlblech verkleidet. Das Objekt verfügt über vier Ebenen, die tiefste liegt 60 Meter unter der Erde. Nur sie ist zugänglich, die anderen Teile unterliegen weiterhin der Geheimhaltung. Im Jahr 2006 wurde die unterste Etage versteigert. Es handelte sich um eine Privatisierung der besonderen Art: Militärs und Geheimdienstmitarbeiter mit besten Verbindungen in die Politik gründeten eine Betriebsgesellschaftnamens >>Nowik Service<< und erwarben das Objekt. In Kauf und erste Erhaltungskosten dürften be-
Hinter diesem Eisentor liegt der Zugang zum Objekt »G. 0. 42«, einem von ungefähr 50 atomsicheren Bunkern unter Moskau.
Einer von etwa 300 Räumen, Tunneln und Galerien, über die die 7000 Quadratmeter große Bunkeranlage verfügt.
Der Kommandobunker »G. 0. 42« in Moskau
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»G.O. 42« war früher die unterirdische Kommandozentrale des Ministeriums für Fernmeldewesen.
Die tiefste Bunkeretage liegt 60 Meter unter der Erde. Nur sie ist der Öffentlichkeit zugänglich, die anderen sind nach wie vor gesperrt.
reits Millionen geflossen sein, über die Herkunft der Mittellässt sich genauso phantasieren wie über das zukünftige Konzept. DieGeschäftsführerinder Betriebsgesellschaft, Olga Acharowa, empfing mich noch vor der offiziellen Bunkereröffnung im April 2007. Unter der Erde arbeiteten Dutzende Tadschiken, billige Arbeitskräfte, die den Bunker in einen begehbaren Zustand brachten. Aber auch die Staatsmacht war vertreten. Ein Major berichtete mir über die Baugeschichte. Der Bau von >>G. 0. 42<< begann 1952 nach einer zweijährigen Projektierungsphase. Die Arbeiter, so der Offizier, wussten nicht, was sie bauten. Sie gingen davon aus, dass es sich um eine technische Anlage für den Betrieb der Metro handelte. Man brachte sie gruppenweise in gesonderten Metrozügen und vor Arbeitsbeginn der Metro nachts und am frühen Morgen ins Objekt. Olga führte mich durch metallverkleidete, labyrinthartige Tunnel bis zu einer massiven Tür. >>Hier kamen sie rein<<, sagte sie. Wir standen hinter einem geheimen und verblendeten Zugang am Ende des Bahnsteiges der Metrostation Taganskaja. Durch einen Spalt konnten wir die einfahrenden Züge sehen. Die Passagiere ahnten nicht, dass es in unmittelbarer Nachbarschaft ein Geheimobjekt gibt. Nach knapp vier Jahren Bauzeit wurde der Bunker 1956 seiner Bestimmung übergeben. Er diente als Kommandozentrale des Ministeriums für Fernmeldewesen. Militär- und Zivilangestellte dieses Ministeriums, des
Verteidigungsministeriums sowie der technischen Abteilung des KGB waren damit befasst, das Telefon- und Telegrafennetz des Landes zentral zu steuern und abzusichern. Außerdem befand sich in dem Objekt für den Fall eines Atomschlages das Kommando der Luftabwehr der Moskauer Militärzentrale. Ab 1978 wurde die technische Ausrüstung des Bunkers Schritt für Schritt erneuert. Da der Staatshaushalt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab 1991 für >>G. 0 . 42<>Zentralny Telegraf<< (Zentrales Telegrafenamt) die Kosten für den Unterhalt, stellte die Finanzierung aber 1995 wieder ein. Elf Jahre später erfolgte die Privatisierung. Olga und ihre Mitstreiter haben hochfliegende Pläne. So sollen 60 Meter unter der Erde ein >>Museum des Kalten Krieges<<, Diskotheken, Restaurants und eine Wellness-Oase entstehen.14 Nach Auskunft eines Mitarbeiters von >>Nowik Service<< und eines Militärangehörigen gibt es neben >>G. 0 . 42<< ungefähr 50 weitere derartige Anlagen unter Moskau, die der Geheimhaltung unterliegen und über die keinerlei Informationen zu haben sind. Man kann, wie bei den meisten bereits beschriebenen Anlagen aus der Stalin-Ära, davon ausgehen, dass sie miteinander verbunden sind und - ebenso wie >> G. 0. 42<<- über eine Anbindung an das Metronetz der offiziellen Linien oder der geheimen Metro 2 15 verfügen.
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Mit Stahlplatten verkleideter Tunnelgang von »G. 0. 42<<.
Nachdem die unterste Etage des Bunkers 2006 versteigert wurde, sind die Umbauarbeiten für die weitere Nutzung in vollem Gange.
Der Bunker »G. 0. 42<
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Nach dem Untergang der Sowjetunion traf der Verlust der Halbinsel Krim, nun zur selbständig gewordenen Ukraine gehörte, Russland in besonderem Maße. Sie war nicht nur der begehrteste Erholungsort der >>Sowjetbürger<< gewesen. In der Hafenstadt Sewastopol befand sich der südlichste Flottenstützpunkt der Sowjetunion, und im Taucisberg von Balaklawa, einer 15 Kilometer von Sewastopol entfernt liegenden Bucht im Südwesten der Krim, verbarg sich ein unterirdischer Hangar für die Atom-U-Boote der Schwarzmeerflotte. Intern hieß dieser geheime Ort >> Objekt 825 GTS << . Bis 1993, also zu einem Zeitpunkt, da die Ukraine bereits ihre Unabhängigkeit erlangt hatte, war Balaklawa hermetisch abgeriegelt. Danach blieb der Stützpunkt ohne jegliche Bewachung und wurde geplündert. 2003 begann man, ein Museum daraus zu machen. Die gespenstische Atmosphäre der U-Boot-Stadt nutzten Künstler seitdem wiederholt für spektakuläre Fotoausstellungen und Kunst-Events. Die Bucht von Balaklawa ist vom offenen Meer aus nicht einsehbar. Schon die Römer errichteten hier eine Festung. Der Bau der Bunkerstadt wurde 1947 beschlossen, aber erst zehn Jahre später begann man, rund um die Uhr daran zu arbeiten. Nicht einmal die Ortsansässigen ahnten, was da gebaut wurde. Das ausgehobene Erdreich transportierte man ausschließlich nachts
entweder in nahegelegene Steinbrüche oder verklappte es im Schwarzen Meer. 1961 war der Hangar fertig . Zu diesem Zeitpunkt verschwand die Bucht von allen Landkarten. Die Bewohner der Gegend brauchten einen Passierschein. Familienzuzug war faktisch nicht möglich. Der Eingang in die unterirdische Werft war früher durch ein mit Gesteinsbrocken beschwertes Tarnnetz verdeckt, dahinter eiegelte eine mehrere Tonnen schwere hydraulische Stahltür die Anlage hermetisch ab. Die UBoote fuhren durch einen in den Berg getriebenen Kanal in den unterirdischen Hangar. Die breiteste Stelle der Zufahrt maß 22 Meter, die Höhe bis zur Felsdecke 12 Meter. An der Anlegestelle auf der rechten Seite des Kanals wurden die U-Boote dann auf Spezialwagen verladen und auf Gleisen in den unterirdischen Reparaturstollen gebracht. Die Wagen hatten keine Motoren, waren aus einer Speziallegierung hergestellt und wurden mechanisch betrieben, um so sicherzustellen, dass die Atomsprengköpfe nicht zufällig gezündet würden. Innerhalb des Objekts befanden sich Unterkünfte für die U-Boot-Besatzungen, Kantinen, Werkhallen, Tunnel und Räumlichkeiten für den Führungsstab. Insgesamt bot die unterirdische Stadt 3000 Menschen Platz. Sie hätte dem direkten Einschlag einer Atombombe von 100 Kilotonnen T NT Sprengkraft - das ist fast sieben Mal so viel wie die Sprengkraft der Hiroshima-Bombestandhalten können. Ihre Bewohner hätten im Bunker danach wohl noch einen Monat überleben können. 16
Zufahrt für atomgetriebene U·Boote in den unterirdischen Hafen im Taurisberg von Balaklawa auf der Krim (Ukraine}.
Einfahrt in das »Objekt 825 GTS«. Die Bucht von Balaklawa war bis 1993 hermetisch abgeriegelt und von den Landkarten getilgt worden.
Der unterirdische U-Boot-Hafen von Balaklawa
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Unterirdischer Kanal, der zur Anlegesteile für die U·Boote führt.
Für Wartungsarbeiten wurden die U·Boote auf schienengeführten Spezialwagen in einen Reparaturstallen gebracht.
Im Stollen von Balaklowa wurden alle Atam·U·Boote der sowjetischen Schwarzmeerflotte repariert und gewartet.
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Die Befehlszentrale der »Pazifilcflotte Wladiwostok«
Nicht nur der Kalte Krieg zog militärische Schutzbauten großen Ausmaßes nach sich, auch an einer anderen Front wurde in den 60er Jahren die Lage ernst. In den sowjetisch-chinesischen Beziehungen standen die Zeichen auf Sturm. Es ging um die Frage der Vorherrschaft in der kommunistischen Welt. Jede Seite meinte, Gralshüter der reinen marxistischen Lehre zu sein. Als der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU mit dem Personenkult seines Vorgängers Stalin abrechnete, betrachtete der Führer der chinesischen Kommunisten, Mao Tse-tung, dies auch als Angriff auf seinen Führungsstil. Ohnehin fühlte sich Mao nach dem Tod von Stalin um die Rolle des Führers der kommunistischen Weltbewegung betrogen. Die 1958 von Peking eingeleitete Politik des >>Großen Sprungs nach vorn«, die China über Nacht zu einer wirtschaftlichen Großmacht machen sollte, führte zur größten selbstverursachten Hungersnot in der Menschheitsgeschichte, nicht aber zur Übernahme der ersehnten Führungsrolle. Ab 1960 kam es zunehmend zu feindlichen Auseinandersetzungen zwischen beiden kommunistischen Regimes, die 1969 mit dem Grenzkonflikt am Fluss Ussuri einen Höhepunkt erreichten. Erstmals standen sich die Truppen der kommunistischen Großmächte direkt gegenüber.
Aufgrund dieser Entwicklungen widmete die sowjetische Militärführung der >>Festung Wladiwostok« wieder verstärkte Aufmerksamkeit- nun aber durch deren teilweisen Rückbau. Festungsanlagen aus dem 19. Jahrhundert wurden geschleift, zur sowjetisch-chinesischen Grenze transportiert und dort als Bollwerk in Stellung gebracht. Manche Forts blieben erhalten. Fort Nummer 5 wurde zum zentralen Kommandopunkt für die Seestreitkräfte in Wladiwostok ausgebaut. Im Jahr 2004 sprengte man dort nach Angaben des Digger-Kiubs W ladiwostok gesetzwidrig Munition. Das Fort selbst wurde dadurch zum großen Teil zerstört. In weitere unterirdische Anlagen, die aus der StalinZeit sowie den 50er und frühen 60er Jahren stammten,17 wurde neu investiert. Außerdem entstanden unterirdische Neubauten, so der provisorische Kommandopunkt des Ersten Landbezirks des Wladiwostoker Verteidigungsbezirks der Pazifischen Flotte, den ich mit Igor und Andrej, den Diggern aus Wladiwostok, aufsuchte. Er liegt etwa zehn Kilometer vom heutigen Stadtzentrum Wladiwostoks entfernt in einem Waldstück. Nachdem wir uns durch den Schnee zum Bunkereingang und dann in das Bunkerinnere vorgekämpft hatten, fiel der Schein unserer Grubenlampen auf einen Tunnel, dessen Wände sich nach oben wie bei einem Schiffsrumpf verjüngen. Nach beiden Seiten führen Gänge in kleinere Kabinette, von denen aus wieder
Eingang zum früheren provisorischen Kommandopunkt der PaziAkRotte bei Wladiwostok.
Abschnitte der Anlage sind als Fertigteilbunker vom Typ >>SBK« gebaut worden, der in Deutschland als >>Tonne« bezeichnet wird.
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Fertigteilbunker vom Typ »USB«. Diese auch in der DDR verwendete Konstruktion erinnert an einen umgekehrten Schiffsrumpf.
Korridore abzweigen. Dieser Raum ist am besten erhalten geblieben. Die meisten Räumlichkeiten sind vom Grundwasser stark in Mitleidenschaft gezogen worden. 1998 wurde die Anlage aufgegeben, seitdem ist sie dem Verfall an heim gegeben. Ausrüstungsgegenstände sindmit Ausnahme verrottender Luftversorgungsanlagen nicht mehr vorhanden. Entdeckt wurde die insgesamt 800 Quadratmeter umfassende unterirdische Anlage 2003 von Diggern. Weder der Tod Maos (1976) noch der von Chruschtschow-Nachfolger Breschnew (1982) brachten einen grundlegenden Wandel der russisch-chinesischen Beziehungen mit sich. Die Konkurrenzsituation im kommunistischen Lager blieb bis Mitte der 80er Jahre bestehen. Erst mit dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow setzte eine Wiederannäherung ein, die sich nach Auflösung der Sowjetunion fortsetzte.
Teil der Luftversorgungsanlage im unterirdischen Kommandopunkt
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Die geheime »Metro Nummer 2« in Moskau
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Dieses Linienschema der geheimen Metro 2 veröffenrlichte 1991 dos US·amerikanische Verteidigungsministerium.
Die Zeitung »Argumenty i Fakty« (Argumente und Fakten) publizierte den Plan in Russland.
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>>Na sicher gibt es hier eine Station. << Ein ehemaliger Student der Lomonossow-Universität bestätigte mir gegenüber ein Gerücht, das sich seit Beginn der 90er Jahre hartnäckig hält. Unter dem Hauptgebäude der renommiertesten Universität Russlands liegen Gleise. »Vor drei Jahren war ich mit einem der Sicherheitskräfte in einem der Untergeschosse. Ich schätze, wir befanden uns 30 Meter unter der Erde. Dort verlaufen Schienen, und es gibt eine Art Plattform, von der man in Zugwaggons einsteigen könnte. Aber es sieht anders aus als eine gewöhnliche Moskauer Metrostation. Es gibt nur ein Gleis, und der unterirdische Raum ist ganz einfach. Ohne jeglichen Schmuck und ohne Verzierungen.<< Das US-amerikanische Verteidigungsministerium hatte im September 1991, unmittelbar nach dem gescheiterten Staatsstreich gegen Michail Gorbatschow, eine Studie mit dem Titel »Military Forces in Transition<< veröffentlicht, in der erstmals über geheime Metrolinien unter Moskau und über eine Station unter der Lomonossow-Universität spekuliert wurde. Die Studie analysierte das militärische Verteidigungspotential des ehemaligen Hauptgegners und vermutete, dass die sowjetische Führung darauf vorbereitet sei, selbst nach einem Nuklearschlag effektiv zu handeln. Es gebe »bedeutende, tief unter der Erde liegende Kommandopunkte, einer davon unter dem Kreml<<, ein anderer »unter der Moskauer Staatlichen Universität<<. 18 Man schätzte, dass sie in einer Tiefe von 200 bis 300 Metern liegen. Nach dem Linienschema, das in der Pentagon-Studie abgebildet ist,19 existieren in Moskau drei »inoffizielle<< Linien, die sternförmig von einer direkt unter dem Kreml liegenden Metrostation wegführen und die Zentrale der Macht mit verschiedenen strategischen Objekten verbinden. Die erste, südöstlich verlaufende Linie führt über ein unterirdisches Militärobjekt in Moskau-Ramenki zum Regierungsflughafen Moskau-Wnukowo (Länge: 27 Kilometer). Die zweite, südlich Linie verbindet den Kreml mit den Bunkern des Generalstabs (60 Kilometer). Die dritte, östliche Linie führt zur Kommandozentrale der russischen Luftabwehr (25 Kilometer}.20 Es dauerte nur wenige Wochen, bis diese Informationen auch in Moskau publik wurden. Zuerst veröffentlichte die Wochenzeitung »Argumenty i Fakty<< (Argumente und Fakten) die Sensationsmeldung.21 Es folgten
Berichte in >>Sowerschenno sekretno« (Streng Geheim)22 und in >>Moskowskije Nowosti « (Moskauer Nachrichten)Y Schließlich publizierte ein kleiner Verlag den Roman >>Preispodnjaja<< (Die Hölle) eines selbsternannten >>Unterweltforschers<< namens Wladimir Gonik.24 Der Autor hatte 13 Jahre, von 1973 bis 1986, an dem Buch gearbeitet. Nicht einmal seine Freunde wussten, was er in seiner Freizeit recherchierte. In einem Interview erklärte er später, unter welchen Umständen sein Buch entstanden war: >> Das Material musste ich Stück für Stück zusammentragen. Manchmal gelang es mir, mich mit einem Rentner zu treffen, der früher an solchen Objekten gearbeitet hatte. Die alten Leute, die noch Angst hatten vor dem Geheirnhaltungsregime, die für ihr ganzes Leben vom Sozialismus und der Sowjetmacht geschädigt waren, hatten tödliche Angst und schwiegen lieber. Mein Gott, wie sie sich fürchteten. In ihren Augen stand diese Furcht geschrieben. Die Alten wissen nur zu gut, was aus denen geworden ist, die den Mund aufmachten. N ur mit größter Mühe gelang es mir, sie zu einem Gespräch zu überreden.«25 Das Thema >> Metro Nummer 2<< verschwand genau so schnell wieder aus den Medien, wie es aufgetaucht war. Möglicherweise lag das daran, dass in den 90er Jahren eine weitere geheime Metrolinie zum neuen >> Reichenviertel<< Moskaus an der Rubljowskoje Chaussee gebaut werden sollte. Ein Journalist berichtete: >>Angaben über diese Linie bestehen fast ausschließlich aus Spekulationen. Im russischen Haushalt für 1997 war eine Summe für ihren Bau vorgesehen worden. Diese Tatsache löste einen Skandal und Untersuchungen
im US-Kongress aus, denn der Bau sollte aus amerikanischen Krediten finanziert werden. In der Nähe der Metrostation >SmolenskajaGO A-50<) an der Rubljowskoje Chaussee 48 (neben dem Wohnhaus Jelzins am Osenni Boulevard) und schließlich zum Sanatoriums- und Bunkerkomplex in Barwicha. «26 Es hat bis heute keine offizielle russische Äußerung zu dem Pentagon-Bericht oder den in der russischen Presse erschienenen Beiträgen gegeben: »Alle Versuche, in dieser Richtung vorzustoßen, treffen auf absolut taube Ohren. Darüber spricht man einfach nicht. Betäubendes Schweigen, eine undurchdringliche Mauer.«27 Digger berichten auf einschlägigen Internetseiten über ihre bisher erfolglosen Bemühungen, in das System der >> Metro Nummer 2<< einzudringen: »Ich denke, den Eingang zur Metro 2 im öffentlichen Raum zu suchen, ist sinnlos. Die Zugänge befinden sich in Verwaltungsgebäuden, die Ausgänge entweder tief unter der Erde oder auch in solchen Gebäuden. Und diese gehören zu einer Kategorie von Gebäuden, da kommst du nicht hinein, Bruder! Man muss doch nicht erklären, dass es unmöglich ist, frei in den Kreml, das >Weiße Haus< [Sitz der russischen Regierung], das Verteidigungsministerium, zum KGB [der Schreiber bezieht sich auf dessen Nachfolgeinstitution FSB] oder was es da noch gibt zu kommen.« 28
Neben der Metrostation Smolenskaja soll ein geheimer U-Bahnhof existieren; ganz in der Nähe be~ndet sich das Außenministerium.
Digger stoßen unter Moskau immer wieder auf Tunnel, deren Zweck sie sich nicht erklären können.
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Unter dem gewaltigen Bau der Moskauer lomonossow·Universität (oben) sollen sich mehrere Etagen be~nden, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Digger fahnden im näheren Umfeld der Hochschule nach möglichen Einstiegen in diese Unterwelt.
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Ein hochrangiges Mitglied der Partei >>Einiges Russland« versicherte mir: >> Es gibt ein zweites Metrosystem unter Moskau. Heute ist es nicht in Betrieb, Stationen und Tunnel sind konserviert, es kann aber jederzeit wieder in Betrieb genommen werden. << Der Direktor der Filiale des Zentralen Museums der Russischen Streitkräfte in Moskau-Ismailowo, der mich durch den ersten Stalin-Bunker geführt hatte, bestätigte ebenfalls das Vorhandensein dieser Anlagen. 29 Ein Mitarbeiter der Metroverwaltung beschrieb mir gegenüber die Beschaffenheit der Züge: >> In einem Depot stehen Metrowagen vom gleichen Typ, wie sie auf den normalen Linien unserer Metro verkehren. Allerdings sind sie anders ausgestattet. Es gibt Tische, Polstersitze und allerlei Luxus. Wie sie eingesetzt werden, weiß ich nicht.<< All diese Äußerungen sind ein starkes Indiz dafür, dass es tatsächlich unbekannte Metrolinien unter Moskau gibt. Der regierungsinterne Name für diese Metro sei >>D 6<<, die Bezeichnung >>Metro Nummer 2<< gehe auf die erwähnten Zeitungsartikel der 90er Jahre zurück, so ein anderer Insider. 30 Der deutsche Historiker und Spezialist für die Moskauer Metro, Dietmar Neutatz, vermutet, dass die geheimen Metrolinien erst nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut worden sindY Eine russische Quelle nennt als Datum der Fertigstellung für die vom Pentagon erwähnte Linie vom Kreml zum Flughafen Wnukowo das Jahr 1967. Die Kreml-Station und die offizielle Station Biblioteka imeni Lenina (Lenin-Bibliothek) seien miteinander verbunden. Auf dem Weg nach Wnukowo gebe es neben den von den Amerikanern genannten Punkten Anbindungen an den Smolenskaja-Platz (Sitz des Außenministeriums), die Akademie des Inlandsgeheimdienstes FSB, die Akademie des Generalstabes und an die Lomonossow-Universität auf den Sperlingsbergen. Außerdem wird vermutet, dass diese Linie 1986/87 verlängert wurde und Wnukowo noch mit zwei außerhalb Moskaus liegenden Militärsiedlungen verbindet.32 Die zweite Linie der >>Metro Nummer 2<< sei 1987 fertiggestellt worden. Auf der Strecke zu den Bunkern des Generalstabes gebe es einen Zugang zum Regierungssanatorium >> Bor<< .33 Linie 3 der Geheimmetro, die gleichfalls 1987 vollendet worden sein soll, verbinde den Kreml mit der Lubjanka, dem Stab der Moskauer Luftabwehr in der Mjasnizkaja-Straße und führe zum gleichfalls im Pentagon-Bericht erwähnten zentralen Kommandopunkt der Luftabwehr nach Moskau-Balaschicha.34
Der Ausbau der Metro Heute gibt es auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR in 17 Städten Untergrundbahnen. Zwei Jahre nach Stalins Tod nahm 1955 die Leningrader Metro ihren Betrieb auf, deren Bau im Krieg nicht fortgesetzt werden konnte. Es folgten Metrolinien in den Hauptstädten verschiedener Sowjetrepubliken. Seit 1960 rollen Züge unter Kiew (Ukraine) . Die Metros in Tiflis (Georgien) und Baku (Aserbaidschan) fahren seit 1966 bzw. 1967. Taschkent (Usbekistan) hat seit 1977 ein unterirdisches Liniennetz, Jerewan (Armenien) seit 1980 und Minsk (Weißrussland) seit 1984. In der heutigen Russischen Föderation, also der ehemaligen Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik, verkehren außer in Moskau und in Sr. Petersburg in sechs weiteren Städten Metros: Nischni Nowgorod (seit 1985), Nowosibirsk (seit 1986), Samara (seit 1987), Jekaterinburg (seit 1991), Kasan (seit 2005) und Wolgograd (seit 1984).
Bei der Metro in Wolgograd handelt es sich allerdings eher um eine unterirdische Straßenbahn, weshalb sie auch als Metrotram bezeichnet wird. Anstelle der in den anderen Städten im Einsatz befindlichen russischen Metrotriebwagen und -waggons verkehren im Wolgograder Untergrund Straßenbahnen der im ehemaligen Ostblock bekannten tschechischen Marke >>Tatra «. Schließlich gibt es seit 1995 noch eine Untergrundbahn in Dnjepropetrowsk (Ukraine). Moskau jedoch, dessen Bevölkerungszahl zwischen 1956 und 2008 von knapp fünf auf geschätzte 15 Millionen Einwohner regelrecht explodierte, hat den größten Bedarf an unterirdischen Beförderungswegen. N achdem es unter Stalin beim Ausbau der Moskauer Metro bombastisch und prunkvoll zugegangen war, schlug Chruschtschow auch baupolitisch eine andere Richtung ein. Er verurteilte nach seiner »Geheimrede« den Hang zu pompösen, wirtschaftlich unsinnigen Vorzeigeobjekten und stellte den Wohnungsbau in den
Station Pobeda (»Sieg«) in Samara. Die Bauarbeiten für die Metro in Samara begannen 1980, der erste Abschnitt wurde 1987 eröffnet.
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Metrostation Geologitscheskojo in Jekaterinburg.
Sozialistischer Realismus: Relief om Zugang zur Metrostation Ploschtschad Gorina-Michailowskowo in Nowosibirsk.
Schriftzug der Metrostation Pachtekor (»Boumwollpflücker«} in der usbekischen Hauptstadt Toschkent.
Metrostation Komsomolskaja in Wolgograd; in der Stadt verkehren nur unterirdische Straßenbahnen der tschechischen Marke »Totro«.
Mittelpunkt. Die Einfachheit, die Nikita Chruschtschow predigte, spiegelte sich in den neuen Metrostationen wieder, zu sehen zum Beispiel in den ersten Stationen der orangefarbeneo (Kaluschsko-rischskaja) Linie, die 1958 eröffnet wurden. Die Stationen WDNCh (Allrussisches Ausstellungszentrum), Alexejewskaja, Rischskaja und Prospekt Mira sind zwar im Geschmack der Zeit sorgfältig ausgestaltet und ausgeschmückt, entbehren aber des Pomps, den die Stationen der noch unter Stalin entstandenen Ringlinie kennzeichnen.
Das rasante Wachstum der Stadt erforderte die ständige Erweiterung des Metronetzes: Bestehende Linien wurden verlängert, dazu kamen neue Linien: 1966 wurde die Linie Tagansko-Krasnopresnenskaja (violett), 1969 die Linje Kachowskaja (hellblau), 1979 die Linie Kalininskaja (gelb) und 1983 die Linie Serpuchowsko-Timirjasewskaja (grau) in Berrieb genommen. Danach geschah lange Zeit nichts, erst über ein Jahrzehnt nach dem Zerfall der Sowjetunion, in der PurinÄra, eröffnete man 2003 wieder eine neue Linie (Butowskaja). Es handelt sich um eine sogenannte leichte
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Die von den Architekten A. Wigdorow und L. Borzenkow entworfene Station Koschuchowskojo in Moskou.
Effizientes und faszinierendes Transportmittel: Rolltreppen -hier in der Station Tschechowskojo- bringen die Menschen in die Tiefe.
Bahnsteig und Wandschmuck der 1996 in Betrieb genommenen Metrostotion Marine in Moskou.
Lampen in Molekülform in der noch dem russischen Chemiker Dmitri Mendelejew benannten Metrostotion Mendelejewskojo.
Metro, das heißt, die Strecke verläuft zum größten Teil oberirdisch. Die zuletzt gebauten Metrostationen wie etwa Delowoi Zentrund Moskwa City gleichen nun wieder Palästen, wenngleich auf andere Art: Sie erstrahlen im futuristischen Glanz. Modernste Architekturelemente versinnbildlichen das wiedergewonnene Selbstbewusstsein Russlands, das auf Milliardengewinnen einer immer schneller voranstürmenden Wirtschaft gründet. Im Moskauer Metronetz gibt es Stationen, die aus verschiedenen Gründen nicht fertiggebaut wurden bzw.
nicht genutzt werden.35 Die ungenutzte Station Wolokolamskaja (an der Wolokolamsker Chaussee; bis dorthin drangen die deutschen Truppen im Kriegswinter des Jahres 1941 vor), auf der Linie Tagansko-Krasnopresnenskaja und 1975 gebaut, befindet sich zwischen den Stationen Schtschukinskaja und Tuschinskaja. Hier sollte ein Wohngebiet entstehen, was dann aber doch nicht errichtet wurde. Man kann die Station bei der Durchfahrt gut erkennen. Es gibt keine Ausgänge, nur einige Lampen beleuchten den Bahnsteig und zwei Pfeilerreihen. 171
Eingangsbereich der Station Delowoi Zentr, einem der modernsten Metrobahnhöfe der russischen Hauptstadt.
Die Metro ist nicht nur das am meisten frequentierte Fortbewegungs· mittel der Moskauer, sie ist auch »Kult<<- Restaurant »Metro«.
MOCKOBCKM~ n~BHOH PECTOPAH
Das einer Metro-Fahrkarte nachempfundene Billett ist die Eintritts· karte ins Metrorestaurant
Metrointerieur als Restaurantrnöbel: Blick in die angesagte Lokalität in der Werchnaja·Raditschewskaja·Straße 22.
Lange blieb die Moskauer Metro von Zwischenfällen verschont, bis am 8. Januar 1977 in Moskau drei Bomben explodierten: eine in einem vollbesetzten Metrozug zwischen den Stationen Ismailowskaja und Perwomaiskaja, eine weitere in einem Lebensmittelladen und eine dritte in einer Mülltonne. Es war ein Terroranschlag, wie es ihn in der Sowjetunion noch nie gegeben hatte. Er forderte sieben Todesopfer und 37 zum Teil schwer Verletzte. Die Explosion im Metrowaggon, die um 17.33 Uhr, also mitten im Berufsverkehr erfolgte, war am folgenschwersten. Außer Erwachsenen starben
im völlig zerstörten Wagen Kinder, die gemeinsam mit ihren Eltern von einem Neujahrs-Kinderfest kamen. Die Stationen Perwomaiskaja, Ismailowskaja und Schtscholkowskaja wurden abgesperrt, die Passagiere schnellstmöglich evakuiert. Die sowjetische Informationspolitik über den Anschlag war wie gewohnt nebulös und nichtssagend, was dann fast folgerichtig zu Gerüchten über Hunderte von Opfern führte. Zehn Monate wurde nach den Tätern gefahndet, bis schließlich am 3. November 1977 drei armenische Separatisten verhaftet werden konnten. Bei ihnen wurden Beweise für
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ihre Täterschaft und Bauteile für weitere Bomben sichergestellt. Nach einem geheimen Prozess wurden die drei Armenier am 24. Januar 1979 zum Tode verurteilt und nach einigen Tagen durch Erschießen hingerichtet. Fast zwei Jahrzehnte nach diesem ersten Terroranschlag und fünf Jahre nach dem Ende der Sowjetunion detonierte am späten Abend des 11. Juni 1996 in einem Metrozug zwischen den Stationen Tulskaja und Nagatinskaja ein selbstgebastelter TNT-Sprengsatz. Die Wucht der Explosion zerstörte den Wagen, in den anderen Wagen gingen Fensterscheiben zu Bruch; aufgrund der starken Rauchentwicklung konnte der Zug nicht weiterfahren, und alle Fahrgäste mussten durch den Tunnel evakuiert werden. Dieser Anschlag, der tschetschenischen Terroristen zugeschrieben wird, forderte vier Todesopfer und 16 Verletzte. Der dritte und folgenschwerste Anschlag in der Moskauer Metro ereignete sich am 6. Februar 2004. Gegen 8.30 Uhr, gerade in der morgendlichen Hauptverkehrszeit und auf einer stark frequentierten Linie, sprengte sich ein 20-jähriger tschetschenischer Selbstmordattentäter zwischen den Stationen Awtosawodskaja und Pawelezkaja in die Luft. Der Waggon, in dem der Sprengsatz hochging, wurde fast komplett zerrissen, die beiden benachbarten Wagen wurden durch die Detonation ebenfalls stark beschädigt. Weil Waggontüren blockierten, konnten viele Passagiere nur mit Mühe befreit werden. Die Bergung der Opfer und die Aufräumarbeiten dauerten bis zum Abend. 39 Menschen verloren bei diesem Anschlag ihr Leben, über 100 erlitten zum Teil schwerste Verletzungen. Die Moskauer Stadtverwaltung hat die Sicherheitsvorkehrungen in der Metroangesichts der Terrorgefahr ständig ausgebaut. Das betrifft neben den notwendigen technischen Erhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen vor allem den nachhaltigen Ausbau des Brandschutzes und natürlich die Überwachung der Wagen und Stationen. Im Jahr 2006 wurde mehr als eine Milliarde Rubel (etwa 30 Millionen Euro) für die Ausrüstung der Stationen der Moskauer Metro mit Überwachungskameras ausgegeben. Nicht zuletzt stockte man die Zahl der in der Metro eingesetzten Milizionäre und Bereitschaftspolizisten beträchtlich auf. Außerdem parrollieren Armeeangehörige in Dreiergruppen durch den Untergrund- je zwei Soldaten und ein Unteroffizier. Durch solche Maßnahmen soll die Moskauer Metro, seit über 70 Jahren das unterirdische Prestigeobjekt Russlands, in eine sichere Zukunft fahren.
Gedenktafel für die 39 Toten des Terroranschlags; in der Unterführung zu den Stationen Tschechowskaja, Puschinskaja und Twerskaja.
Am 6. Februar 2004 sprengte sich ein tschetschenischer Selbstmordallentäter in einem Metrowaggon in die Luft.
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Bauboom und Milliardeninvestitionen im neuen Russland
In Russland waren die 90er Jahre unter Präsident Boris Jelzin Jahre ungezügelter Freiheit - manchmal schon an der Grenze zur Anarchie- und eines ungebremsten Kapitalismus. Breite Kreise der Bevölkerung verarmten, während aus ehemaligen Parteifunktionären und Leuten mit Beziehungen wichtige Personen im Jelzin-Cian und Milliardäre wurden. Der Präsident ließ Führung vermissen, weltpolitische Weichenstellungen gingen an Russland vorbei, und 1998 geriet das Land schließlich an den Rand eines Staatsbankrotts. Unter Jetzins Nachfolger Wladimir Putin gewann Russland wieder an Selbstbewusstsein und Kraft. Das neue Russland will stark und souverän sein, die sprudelnden Einnahmen aus Rohöl und Erdgas helfen, diesem Ziel nahezukommen und neue Stärke nach innen und außen zu demonstrieren. Und womit könnte man das besser als durch neue Großbauten. Russische Architekten zeigen im Verbund mit ausländischen Kollegen, was sie können. Geld spielt dabei kaum eine Rolle. Das alte Europa will es manchmal noch nicht wahrhaben, aber Russland ist angekommen in der Moderne.
Moskau gehört heute zu den 20 Metropolen weltweit mit der höchsten Bevölkerungsdichte. Dem Ansturm von Wohnungssuchenden, Geschäftsleuten und Investoren hält es kaum noch Stand. Der Mietspiegel ist in der Welt einer der höchsten überhaupt. Für eine einigermaßen ordentlich ausgestattete Wohnung mit zwei Zimmern, nicht allzu weit vom Zentrum entfernt, zahlt man um die 2000 Euro. Jegor etwa hatte Mühe, für 500 Euro ein eher schäbiges Ein-Zimmer-Appartement am Rand der Stadt zu mieten. Dabei wächst Moskau im Durchschnitt jährlich ein Prozent in die Breite. Um diesen überdimensionalen Landverbrauch einzudämmen, sollen in den nächsten Jahren, ausgehend vom bestehenden unterirdischem Einkaufszentrum >>Ochotny Rjad« (Handelszeile), dessen Eingänge sich im Alexandergarten, wenige Meter von der Kreml-Mauer entfernt, befinden, noch weitere Straßenzüge untertunnelt werden. Dann könnte sich die neue unterirdische Stadt bis zu den Ausläufern des Moskauer Gartenrings erstrecken. Der Kasaner, der Jaroslawler und der Leningrader Bahnhof sollen unterkellert werden. Beim Pawelezki-Bahnhof ist dies schon
Im Jahr 1997, pünktlich zur 850-Jahr-Feier Moskaus, wurde das mon· däne unterirdische Einkaufszentrum »Ochotny Rjad« fertiggestellt.
Lichtkuppel im Einkaufszentrum »Ochotny Rjad«, das dem berühmten Kaulhaus GUM Konkurrenz macht.
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geschehen. Nicht weniger als 80 Prozent aller Lager, 70 Prozent aller Garagen und die Hälfte der Archive könnte man nach Aussagen des stellvertretenden Leiters der Abteilung für Stadtbaupolitik in die Unterwelt verlegen. Seine Abteilung will die Nutzung unterirdischer Flächen bis 2010 um zwölf Prozent im Vergleich zum Jahr 2007 erweitern. Im Endeffekt möchte man erreichen, dass jährlich mindestens 1,8 Millionen Quadratmeter an nutzbarer Fläche unter der Erde entstehen. Moskaus Bürgermeister Luschkow spricht sich für solche Konzepte aus: Moskau könne nicht wie Tokio bauen, ohne dass die historische Gestalt und das einmalige Gesicht verlorengeht. Die Strategie für das Zentrum bleibe der unterirdische Bau.1 Inwieweit diese ehrgeizigen Pläne Wirklichkeit werden, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Teile der bestehenden und nach wie vor geheimen tmterirdischen An-
Der 2003 eingeweihte Lefortowski·Autotunnel soll für Entlastung im Moskauer Stadtteil Lefortowo östlich des Zentrums sorgen.
Orientierung an den »Stalin·Schwestern«: Mit 264 Metern ist der 2005 bezogene Triumph· Palast das höchte Wohnhaus Europas.
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Könnte zu einem der neuen Wahrzeichen Moskaus werden: der 340 Meter hohe Föderations·Turm im Stadtbezirk »Moskwa City«.
Blick in die Baugrube für »Moskwa City«. Die Fundamente für die neuen Wolkenkratzer beeinträchtigen den Grundwasserspiegel.
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lagen Moskaus einbezogen werden können oder nicht. Jegor und andere Moskauer Digger sind sich sicher, dass sich die strikte Geheimhaltungspolitik nicht ewig durchhalten lässt. >>Russland wird immer freier, sobald erste Nachrichten an die Öffentlichkeit gelangen, ist es wie beim Domino<< , sagt er. Ohnehin sei die ganze Geheimniskrämerei um Anlagen aus dem letzten Jahrhundert sinnlos: >>Mit >google earth< kann jeder, der es will, in die kleinste Gasse in jedem Ort der Welt schauen. Wenn das schon möglich ist, will ich nicht wissen, was die milliardenschweren Geheimdienste alles können.<< In Bezug auf Teile des geheimen Untergrunds der Moskauer Hauptstadt scheint es bald einerlei zu sein, ob Jegor recht behält oder nicht. Einige Hohlräume, die durch die bisherige unterirdische Nutzung der Stadt entstanden sind, drohen das alte Moskauer Zentrum absacken zu lassen. Ein Experte der Geologischen Universität sieht als Ursache dafür einen >>hausgemachten<< Erosionsprozess, der bis heute anhält: Bei unterirdischen Bauarbeiten in den 70er Jahren des vergangeneo Jahrhunderts mussten gewaltige Mengen Grundwasser abgepumpt werden. Infolgedessen sank der Wasserspiegel beträchtlich ab. Regenwasser, das früher langsam in den gewachsenen Bodenstrukturen versickerte, rauscht nun durch inzwischen ausgetrocknete obere Erdschichten nach unten und reißt Sand und Gestein mit sich. 2 Solche Gefahren bestehen beim Bau in entgegengesetzter Richtung nicht. Nach oben ist genug Baufreiheit vorhanden, wenngleich die erforderlichen riesigen Fundamente den Untergrund und seine Wasserzirkulation ebenfalls beeinträchtigen. Das mit einer Höhe von 264 Metern höchste Wohnhaus Europas, der sogenannte Triumph-Palast am Lenin-Prospekt, steht schon jetzt. Der Himmelsstürmerei scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. In unmittelbarer Nähe der Moskwa baut man seit 2003 ein Gebäude der Superlative. Auf einem kolossalen Fundament, das mehrere Dutzend Meter in die Tiefe reicht, entsteht das mit 340 Metern höchste Gebäude Europas: der Föderations-Turm, der höhere Turm einer modernistischen gläsernen Zwillingskonstruktion. Er gehört zu >>Moskwa City<<, dem neuen Geschäftszentrum der russischen Hauptstadt. Aber auch sein unterirdischer Teil bricht mit über 40 000 Quadratmetern Nutzfläche Rekorde. Architekten sind der Russe Sergej Tschoban und der Deutsche Peter Schweger. Insgesamt sollen in >>Moskwa City << 15 Wolkenkratzer gebaut werden. In einigen Jahren wird selbst
Ehrgeizige Pläne für die Zukunft: So könnte der Moskauer Metroplan im Jahr 2029 aussehen.
der Föderations-Turm noch weit überragt werden. Im September 2007 legte Bürgermeister Luschkow, gleichfalls im Komplex >>Moskwa City<<, den Grundstein für eines der ambitioniertesten Projekte Russlands überhaupt: den Hochhausturm >> Rossija<< . Mit einer geplanten Höhe von 648 Metern wird er zu den höchsten Wolkenkratzern der Welt gehören und laut Luschkow >>ein Symbol Russlands [sein], das in die Höhe strebt«.3 Die Neigung zum Bau von Großprojekten ist in Russland ungebrochen. Den russischen Eliten ist klar, dass sie das Land allein durch den Verkauf teurerer Rohstoffe nicht zukunftsfähig machen können, sondern dass ausschließlich gesamtwirtschaftliche und infrastrukturelle Innovationen darüber entscheiden werden,
ob Russland in den kommenden Jahren die angestrebte Weltmachtposition zurückerlangen kann. 2006 stellte die kremlnahe Partei >>Einiges Russland« auf einem Parteitag in Jekaterinburg fest: >>Das Ausmaß dieser Aufgaben vergleichen wir mit den wichtigsten historischen Etappen unseres Landes, wie es die Industrialisierung und die Elektrifizierung und der Aufbau der Wirtschaft nach dem Krieg waren. Nur bei der Verwirklichung einer komplexen Modernisierung des Staates und der Gesellschaft können wir das Fundament für den nationalen Erfolg Russlands im 21. Jahrhundert legen und ein hohes Lebensniveau unserer Bürger sichern. <<4 Falls die Preise für Rohstoffe so hoch bleiben sollten wie derzeit und falls Russlands Elite die damit einherge177
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Ein alter Traum könnte wahr werden: Russland und Alaska sollen durch die Untertunnelung der Beringstroße verbunden werden.
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Neue Planungen für einen Tunnel nach Alaska wurden 2007 auf der der Konferenz »Großprojekte für Russlands Osten« vorgestellt.
herrden immensen Gewinne wirklich in Infrastrukturprojekte investieren würde, könnte das einen langanhaltenden Boom im flächengrößten Land der Erde bedeuten. Legte man als Maßstab für mögliche zukünftige Erfolge nur den Planungsstand für neue unterirdische Großprojekte an, sähe die Prognose günstig aus. Im neuen Russland gibt es Vorhaben, deren Umsetzung enorme Ressourcen, Ehrgeiz, Energie und Durchhaltevermögen erfordern. Am anspruchsvollsten dürfte dabei der geplante Tunnel unter der Beringstraße sein, die zwischen der russischen Tschuktschen-Halbinsel und Alaska liegt. Überlegungen dazu wurden Ende der 90er Jahre ange178
Noch schneller könnte ein anderes ambitioniertes Projekt realisiert werden: die Tunnelverbindung zwischen Sachalin und Japan.
stellt. Das >> Monsterprojekt<<,S so wird spekuliert, soll mit über 100 Kilometern doppelt so lang werden wie der Tunnel unter dem ÄrmelkanaL Schon vor 100 Jahren gab es unter Zar Nikolaus II., dessen Großvater Alexander II. im Jahr 1867 Alaska an die USA verkauft hatte, Pläne für ein solches Vorhaben. Damals waren sie utopisch. Auch heute erscheint selbst hartnäckigen Optimisten schwer vorstellbar, dass es gelingen könnte, ein russisch-kanadisch-amerikanisches Konsortium zu bilden, das die Finanzierung des mit 65 Milliarden Euro veranschlagten Untergrundprojektes sicherstellt. Zuvor müssten allerdings erst einmal die Tschuktschen-Halbinsel selbst infrastrukturell erschlossen und Tausende Eisenbahn- oder Straßenkilometer auf Permafrostboden gebaut werden, andernfalls würde der Tunnel keinen Sinn ergeben. Der russische Gliedstaat Tschukotka, der international vielleicht am ehesten dadurch bekannt ist, dass Roman Abramowitsch, Multimilliardär und Eigner des Londoner Fußballclubs FC Chelsea dort als Gouverneur residiert, ist bis dato weder per Eisenbahn noch auf der Straße zu erreichen. Es existiert lediglich eine Flugverbindung zwischen Moskau und der Tschuktschen-Hauptstadt Anadyr. Man braucht aber nicht nur ein Flugticket, sondern auch eine Sondergenehmigung des Inlandsgeheimdienstes, denn Tschukotka ist weiterhin militärisches Sperrgebiet. Ökonomisch sinnvoller und deshalb wahrscheinlicher als ein Tunnel von Russland nach Alaska ist der Bau einer Tunnelverbindung nach Japan. 2001 hatte der damalige russische Eisenbahnminister Nikolai Aks-
ln St. Patersburg ist die Newa·Untertunnelnung beschlossene Sache, um die wenigen Brücken der Stadt zu entlasten.
Einer der Projektvorschläge einer britischen Tunnelbau~rma für die Zufahrt zum geplanten >>Orlowski·Tunnel« unter der Newa.
jonenko erklärt, in fünf Jahren >>könnte es einen BerlinTokio-Express und Containerzüge von Amsterdam nach Japan geben<< .6 Die fünf Jahre sind zwar inzwischen verstrichen, ohne dass etwas passierte wäre, doch das ist in Russland nichts Außergewöhnliches. Ideen werden mit Leidenschaft geboren und vertreten, um dann in der Versenkung zu verschwinden, aus der sie zu ungeahnter Zeit plötzlich wieder auftauchen. Das Projekt erscheint nach wie vor interessant. Es würde nicht nur Japan mit dem rohstoffreichen russischen Fernen Osten verbinden, sondern Russland zur Drehscheibe zwischen Europa und Asien machen. SolltenJapan und Russland den seit Ende des Zweiten Weltkrieges ausgetragenen Streit über die Zugehörigkeit der Kurileninseln einmal beilegen, könnte aus der Vision Wirklichkeit werden. Schon konkreter sind die Pläne für ein neues Untergrundprojekt am entgegengesetzten Ende Russlands, in St. Petersburg. Die russische Regierung und die St. Petersburger Stadtregierung haben 2006 Pläne für ein milliardenschweres Projekt bestätigt: Ein Tunnel unter der Newa soll den nordöstlichen Zipfel des Stadtzentrums in der Nähe des Smolny mit dem Piskarjow-Prospekt am gegenüberliegenden Newa-Ufer verbinden. Derzeit wird St. Petersburg in der Nacht de facto in zwei separate Hälften geteilt. Die Newa-Brücken werden für einige Stunden hochgeklappt, um größeren Schiffen die Passage zu ermöglichen. Der geplante >>Orlowski-Tunnel « wird die Brücken nicht nur entlasten, sondern gleichzeitig dafür sorgen, dass sie länger als bisher für den anwachsenden Schiffsverkehr geöffnet bleiben.7
Große Pläne gibt es auch für Sotschi. Die Hauptstadt der Region Krasnodar wird in den kommenden Jahren rasant ausgebaut werden. Wladimir Putin hat in seiner letzten Amtszeit versprochen, zwölf Milliarden Dollar zur Vorbereitung der Olympischen Winterspiele 2014 in der Schwarzmeerregion investieren zu lassen. Pläne für neue unterirdische Verbindungswege gibt es bereits seit längerem. In Sotschi befindet sich die Sommerresidenz der russischen Präsidenten. Schon 2004 hatte ein russischer Oligarch angekündigt, einen Tunnel vom Winterkurort Krasnaja Polana ins 30 Kilometer entfernte Sotschi bauen zu lassen.8 Zwei weitere Tunnelprojekte sind wohl eher aus politischer Hilflosigkeit und empfundener Demütigung denn aus ernsthaftem Kalkül geboren: Seit dem Zerfall der Sowjetunion und dem damit verbundenen Verlust der Halbinsel Krim an die Ukraine gab es Pläne, einen Tunnel von der russischen Region Krasnodar unter dem Schwarzen Meer zur Krim zu bohren.9 Der einst beliebteste Urlaubsort der Russen sollte so wieder näher an Russland heranrücken. Ferner gab es nach dem Beitritt Polens und Litauens zur Europäischen Union Vorschläge, das nun zur Enklave gewordene Kaliningrad, das ehemalige ostpreußische Königsberg, durch einen 300 Kilometer langen Tunnel mit Russland zu verbinden.10 Die Forderung nach einem solchen Tunnel ist populistisch. Geboren wurde sie aus Verärgerung darüber, dass Kaliningrader, die auf dem Landweg nach Russland reisen, entweder in einem >>versiegelten« Zug sitzen müssen oder ein litauisches Visum brauchen.
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Wiedererwachtes nationales Selbstbewusstsein, das auch den Großprojekten der Zukunft zugutekommen soll: »Gemeinsam müssen wir Russland einig und stark machen.- W. W. Putin«, Teil einer Fotoausstellung im Bunker »G. 0. 42« im Oktober 2007.
Man mag über derartige Tunnelgräber-Phantastereien belustigt sein, sie als Ausdruck immer noch nicht verstandener Veränderungen in der Welt bewerten oder sie gar als Beweis ungebrochenen Hegemoniebestrebens Russlands verurteilen- das Motiv für solches Denken ist wohl tiefgründiger: Russland fühlt sich nicht nur untrennbar mit der europäischen Zivilisation und Kultur verbunden, Russland gehört zu Europa. Der russische Zar Peter I. riss sein Land vor 300 Jahren aus einer langen Stagnationsphase und näherte es dem in technischer, sozialer und politischer Hinsicht fortschrittlicheren europäischen Entwicklungsmodell an. Das Wirken Peters I., Katharinas II. oder Alexandra Romanowas, der letzten Zarengattin, und selbst die Politik Lenins belegen die Af-
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finität Russlands vor allem zu Deutschland. Dafür stehen mannigfache Beispiele enger wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Zusammenarbeit über Jahrhunderte hinweg. Auch an heutigen Großprojekten in Russland sind deutsche Unternehmen beteiligt. Mancher russische Partner fragte mich, warum Deutschland den ausgestreckten Arm Russlands nicht entschlossener ergreife. Jegor, der mir >>Russlands Unterwelten<< nicht nur erschloss, sondern mich auch an viele Orte begleitete, stieß bei seinen Recherchen in der Lenin-Bibliothek durch Zufall auf einen Satz von Otto von Bismarck aus dem Jahr 1887: >>Vielleicht hält der Osten die Schlüssel der Zukunft Europas bereit: China, Russland - oder beide. <<
Anhang
Anmerkungen
Russland im Mittelalter
Vorwort
1 Belousowa, Taisija: Tainy podsemnoi Moskwy, Moskau 1997. 2 • Petschare: Höhle, •Lawra•: Hauptkloster. 3 Da d ieses unterirdische Kloster eng mit der Geschichte Russlands verbunden ist, wurde es in dieses Buch, das sich mit den Unterwelten Russlands beschäftigt, aufgenommen, obwohl es sich in der heute selbständigen Ukraine befindet . Aus ähnlichen Gründen wurden auch die unter Katharina II. entstandenen Katakomben von Odessa in dieses Buch aufgenommen sowie der ehemals geheime U-Boot-Hafen in der Bucht von Bala klawa (heute ebenfalls Ukraine), in der d ie atOmgetriebenen Unterseeboote der sowjetischen Schwarzmeerflotte stationiert waren. 4 Diese griechische Mönchsrepublik ist seit 1913 von der griechischen Regierung als AutOnomiegebiet mit 20 Klosterburgen und etwa 13 000 Einwohnern (alles Mönche und keine einzige Frau) anerkannt und inzwischen von der UNESCO zum Weltku lturerbe erklärt worden. 5 Goldene Horde: Selbstbezeichnung nach dem reichen Goldschmuck der Kopfbedeckung (Jurte) des Fürsten. 6 Schalwa Tschigirinski gegenüber •Komsomolskaja Prawda« vgl. http://www.ortszeit.org/?p = 42more-42 (abgerufen am 3. 4.2007) 7 Vgl. unten, S. 166-168. 8 Vgl. Slukin, Wsewolod: Tainy uralskich podsdszemelii, Jekaterinburg 2005. 9 Vgl. Belousowa: Tainy podsemnoi Moskwy, S. 20. 10 Slukin: Tainy uralskich podsdszemelü, S. 6. 11 Schon Iwans Vater hatte dort seine Residenz, die er von russischen und italienischen Meistern ausbauen ließ. Im Dezember 1564 floh Iwan IV. aus Moskau (das er nicht besonders liebte) nach Alexandrowskaja Sloboda, von wo er praktisch in den folgenden 17 Jahren Russland regierte. 12 Vgl. Belousowa: Tainy podsemnoi Moskwy, S. 103. 13 BereitS Iwan III. hat sich • Zar« nennen lassen, nachdem Byzanz 1453 untergegangen und d ie Stellung des byzantinischen Kaisers als Schutzherr der orthodoxen Kirche nach Moskau gewechselt hatte. Iwan IV. wurde jedoch a ls erster Zar auch offiziell gekrönt. 14 Der Palast befand sich in Moskau an der Stelle des heutigen alten Gebäudes der Staatlichen Universität (Ul. Mochowaja). 15 Vgl. die Aussage von Daniel Alsehitz von der Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg, in: Russlands erster Zar. Iwan der Schreckliche besteigt den Thron in Moskau, ZDF, 14. Mai 2006. 16 Vgl. dazu Internetseiten russischer Digger wie http://deepdig. narod.ru; http://docent.msk.ru; http://gugno.diggers.ru/diggers. htrnl; http://mihvad.nm.ru; http://fotlife.narod.ru; http://duskzone.xost.ru/main.php?p :/links.
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Das Spiel wu rde von Buka Entertainment (www.buka.ru) 2005 auf den Markt gebracht. Die Bezeichnung »Russland « wird im Buch oft auch dann verwendet, wenn es »Russische Föderation« heißen müsste. Nach wie vor ist die Bezeichnung »Russland« gängiger Sprachgeb rauch. »Digger« vom englischen •tO dig• (gtaben). FSB: Federalnaja Sluschba Besopasnosti (Födera ler SicherheitSdienst). Vgl. die offizielle Webseite der Russischen Staatsbahn (www.rzd. ru). Ukas Presidenta Rossiskoi Federazii, Nr. 90, 11. Februar 2006 -http://document.kremlin.ru/doc.asp?ID 32374&PSC (abgerufen: 10. September 2007). Ola rius, Adam: Moskowitische und persische Reise. Die holsteinische Gesandtschaft 1633-1639, Stuttgart 1986 (Erstausgabe 1647). Almedingen, Edith Martha: Die Romanows. Die Geschichte einer Dynastie. Russland 1913-1917, Frankfurt a. M./Berlin 1992, 7.
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Steinzeitlicher Kulturraum vom Atlantik bis zum Ural Im November 2004, beim UNESCO-Forum »Der Karst und das Welterbe in Europa «, wurde d ie Höhle für Kungur in die Kandidatenliste aufgenommen. Gegenwärtig gibt es in Russland zehn Objekte mit diesem Status. 2 Dieser Kupferstich geht auf d ie französische Übersetzung (Paris 1757) einer 1730 in Schweden von Tabbeet von Strahlenberg herausgegebenen Veröffentlichung zurück. 3 Zur Höhlenforschung im Ural existiert ein Standardwerk von Schrschelinski, Wjatscheslaw/Sirokow, Wladimir: Höhlenmalerei im Urat. Kapowa und Ignatjewka. Die altsteinzeitlichen Bilderhöh len im südlichen Ural, Sigmaringen 1999. 4 Die bekanntesten Beispiele fü r Höh lenkunst finden sich in der Grotte Chauvet, benannt nach ihrem Entdecker, und im Valion Pont d'Arc in Südfrankreich. Die 1994 entdeckten großflächigen Wandbilder von Chauvet zeigen Tiere und Tiergruppen. Entstanden sind sie um 31500 v. Chr. Damit gilt Chauvet als die bisher ä lteste und bedeutendste Bilderhöhle. Bekannt sind auch die Bilderhöhlen von Cosquer bei Marseille (27 000 bis 18 000 v. Chr.), Lascaux bei Montignac (um 17000 v. Chr.) und Altamira im spanischen Kantabrien (15 000 bis 14 000 v. Chr.).
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Auf dem Weg zur europäischen Großmacht 1 Vgl. Belousowa: Ta iny podsemnoi Moskwy, S. 72. 2 Nach dem Thronsverzicht Nikolaus' II. im März 1917 konnte ein Konzil der Russisch-Orthodoxen Kirche zusammenkommen, das mehrere Reformen beschloss. Unter anderem entschied man sich für die Abschaffung der synodalen Kirchenverwaltung und die Wiedereinsetzung eines Patriarchen. Am 5. November 1917 wurde der Moskauer Metropolit Tichon zum Patriarch gewählt. Inzwischen hatten die Bolschewiken die Macht übernommen. Noch vor der Beendigung des Konzils, im Sommer 1918, begannen die ersten Verfolgungen. Das Patriarchat als Institution blieb aber dennoch während der Sowjetzeit bestehen. 3 http: II www. petersburg.akt uell.ru/ peters bu rg/ku I tu r Igegenwartskunst_in_der_ku Itu rha u ptStadt_von_gestern_5 6. html. 4 Die Station wird nicht vor 2010 eröffnet werden. 5 Vgl. www.aktuell.ru (28. November 2002). 6 Leipziger Volkszeitung vom 27. März 1999. 7 www.aktuell.ru (18. Dezember 2006). 8 Zit. nach: Bessolow, Pawel: Tiefbau in Russland. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: European Forum on Underground Construction - www.efuc.org/downloads/paris/Besolow_D .doc (abgerufen: 15. Januar 2007). 9 Vgl. ebd. 10 Die Brücke selbst gibt es nicht mehr. Kusnezki-Most bezeichnet heute eine Metrostation. 11 Vgl. Stille Wasser in der Tiefe. Wie die Vergangenheit unter der Oberfläche des heutigen Moskau fortexistiert, in: Moskauer Deutsche Zeitung vom 28. Januar 2006. 12 Der Garten ist heute wie der Kreml oder der Rote Platz ein Symbol Moskaus, d ies vor allem wegen der »ewigen Flamme« am Grabma l des Unbekannten Soldaten, das sich am Eingang zum Alexandergarten befindet. 13 Vgl. Bessolow: Tiefbau in Russland. 14 Nach dem Wiener Kongress von 1815 wurden Polen (Kongresspolen) und Russland in Personalunion vom n tssischen Zaren regiert. 1864 wurde Polen, nach einem Aufstand gegen das Zarenregime, ganz in das russische Imperium einverleibt. Es blieb bis 1918 (Friedensvertrag von Brest-Litowsk) ein Teil Russlands. Warschau war nach Moskau und St. Petersburg die drittgrößte • russische« Stadt. 15 1925 wurde Zarizyn in Stalingrad umbenannt. Seit 1961 heißt es Wolgograd. 16 Der Tunnel bei Wilna (heute: Vilnius) ist längst zugeschüttet und durch eine Umfahrung ersetzt. Der zweite Tunnel jedoch wird heute noch betrieben. 17 Er befindet sich bei Kilometer 9236 der Transsibirischen Eisenbahn (Kilometer »0« ist Moskau). 2004 wurde ein neuer Kiparissowo-Tunnel, parallel zum alten, gebaut. Genutzt werden heute beide. 18 1. der Ratschi-Tunnel (Km 8111, ein Kilometer östlich der Station Ratschi), 2. der Tarmantschukan-Tunnel (Km 8141, ein Kilometer östlich der Zwischenstation Km 8140), 3. der Kleine Kasatschi-Tunnel (Km 8162, zwei Kilometer westlich der Sta tion Kasatschi, heute nicht mehr genutzt), 4. der Große Kasatschi-Tunnel (Km 8167, drei Kilometer östlich der Station Kasarschi), 5. der Kassatkin-Tunnel (Km 8148, fünf Kilometer östlich der Station Tonnelny), 6. der Oblutschje-Tunnel (Km 8193, drei
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Kilometer östlich der Station Oblutschje) und 7. der Lagar-AulTunnel (Km 8206, unmittelbar westlich der Station LagarAul). 1. der Ulrurschi-Tunnel (Km 7345, unmittelbar westlich der Station Ulrutschi), 2. der Kendagiry-Tunnel (Km 6771, acht Kilometer westlich der Station Kendagiry), 3. der Arte-Uschka-Tunnel (Km 6855, unmittelbar östlich der Station Tjaschely) und 4. ein Tunnel zwei Kilometer östlich der Station Schewja (Km 6555, wird nicht mehr genutzt). Nach dem ebenfalls russischen Eisbrecher • Jermak•. Während eines spektaku lären Besuches des chinesischen Staatsund KP-Chefs Mao Tse-tung, einigten sich Mao und Stalin 1950 auf die unentgeltliche Übertragung dieser sogenannten chinesisch-östlichen Linie der Transsibirischen Eisenbahn an China. Vgl. unten, $. 83-88. Vgl. Vgl. Ajuschin, H. B. u. a.: Wladiwostokskaja krepost, Wlad iwostok 2006. Über sein Geburtsdatum gibt es unterschiedlichste Aussagen, manche nennen ganzgezielt den 10. Januar 1869- andere vage d ie Jahre 1864, 1865 oder 1871. Wie dem auch sei, alle Daten liegen in der Nähe des GeburtSjahres des späteren Zaren Nikolaus II., dessen Lebensweg d ie geheimnisvolle Spur Raspurins auf schicksalhafte Weise kreuzen sollte. Rasputina, Maria: Mein Vater Rasputin, Stuttgart 1968. Vgl. Kellrnann, Klaus: Stalin. Eine Biographie, Darmstadt 2005, $.50.
Sowjetmacht und die beiden Lenin-Mausoleen 1 Der Name St. Petersburg war itn Jahre 1914 •russifiziert• und in Petrograd umgewandelt worden. Zwischen 1924 und 1991 hieß die Stadt Leningrad. Heute trägt sie wieder ihren alten Namen St . Petersburg. Im Volksmund wird sie liebevoll •Piter• genannt. 2 Die Funktion des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare entspricht der Funktion eines Ministerpräsidenten. Bis März 1946 wurden d ie »Volkskommissariate« in der Sowjetunion von »Volkskommissaren« geleitet, erst danach führte man d ie westliche Bezeichnung •Ministerium« und •Minister• ein. 3 Vgl. Service, Robert: Lenin. Eine Biographie, München 2000, $. 207 ff. 4 1993 wurde d ie Kommunistische Partei neu gegründet. 5 Mehr als die Hälfte der Bürger Russlands ist positiv gegenüber Lenin eingestellt. Diese Angaben veröffentlichten das Meinungsforschungsinstitut WZIOM und die soziologische Gesellschaft »Baschkirowa i Partnjory« itn Vorfeld des Jahrestages der Oktoberrevolution am 7. November 2005; vgl. www.russlandonline. ru, 7. November 2005 (abgerufen am 30. Ma i 2006). 6 Vgl. Service: Lenin, S. 618 ff. 7 In der Säulenhalle des Gewerkschaftshauses im Moskauer Zentrum wurden verstorbene Politbüromitglieder und hochrangige M ilitärs vor der Beisetzung aufgebahrt. 8 Service: Lenin, S. 618. 9 Russisches Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte, Fond. 16, Op. 1, D. 102, L. 1-2.
10 Russisches Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte, Fond. 16, Op. 1, D. 105, L. 10200. 11 Vgl. Kusnezow, L. E. u. a.: Balsamirowanie i restawrazija trupow, Moskau 1999, S. 9. 12 Vgl. ebd., S. 92 ff. 13 3. April1926, Russisches Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte, Fond. 16, Op. 1, D. 108, L. 35. 14 Beschluss von 1925, ohne genaue Datumsangabe, ebd. 15 Vgl. Montefiore, Sirnon Sebag: Sta lin. Am Hof des roten Zaren, Frankfurt a. M . 2006, S. 119.
Furcht und Größenwahn in der Stalin-Ära
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Zahlenangaben nach Heimat-Museum Ust-Omtschug, Ob last Magadan. Die Schätzungen von Historikern sind hier seit Jahrzehnten unterschiedlich. Vgl. App lebaum, Anne: Der GULag, Berlin 2003, S. 11. Lenin, Wladimir Iljitsch: Wojennaja perepiska (1917-1920), Moskau 1957,$.61. Malsagoff, $. A.: An Island Hell. A Soviet Prison in the Far North, London 1926. So lschenizyn, Alexander: Archipel GULag, Bd. 2, Harnburg 2005,S.57. Vgl. ebd., S. 59. Vgl. Appelbaum: Der GULag, S.10. Schon unter dem Zaren war Sachalin ein Verbannungsort. Ende des 19. Jahrhunderts bewohnten die Insel etwa 40000 Menschen, neben den Ureinwohnern, den Ainu , handelte es sich dabei überwiegend um Zuchthäusler. Die russische Spurbreite beträgt 1520 Millimeter, westliche »Normalspur« 1435 Millimeter. Betrieben werden heute nur noch die Teilstrecken CholmskNiko laitschuk und J uschno-Sachalinsk-Nowoderewenskaja, auf diesen Abschnitten gibt es jedoch keine Tunnel. Sowjetunion. Illustrierte Monatsschrift, Moskau, April 1953, 20 ff. Vgl. Kokurin, A.I./Morukow, J. N.: Stalinskie stroiki GULAGA. 1930-1953, Moskau 2005, S. 9 ff. Vgl. App lebaum: Der GULag, S. 97 ff. Zit. nach: Solschenizyn: Der Archipel GULag, Bd., 2, $. 526. Die Schleusen sind identisch. Die Länge beträgt 290, die Breite 30 Meter. Vgl. Der Moskau-Wolga-Kanal, in: Walga-Exkursion Lehrstuhl Wasserbau- http://www.uni-weimar.de/Bau ing/iww/ exkursionen/wolga/index2.htm1 (abgerufen am 17. Mai 2007). Der Begriff" Woschd« (Führer) wurde zwar für Stalin verwandt, aber nicht im gleichen Kontext gebraucht wie für Hitler in Deutschland. Es handelte sich um keine »Position• im Staarsgefüge. Üblich war auch der Gebrauch im Plural in Bezug auf Lenin und Sta lin ( » Woschdi Rewoluzü «-Führer der Revolution). Weitere übliche Wendungen waren: » Woschd mirowowo proletariata (Führer des Weltproletariats) in Bezug auf Marx und Lenin, "Woschd narodow« (Führer der Völker) in Bezug auf Sta lin. Auch vorher hatte es den Begriff gegeben, der Gebrauch war allerdings eingeschränkt. Nach der Oktoberrevolution nahm er durch d ie revolutionäre und kommunistische Ideologisierung des Begriffes zu.
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18 Zum GULag, der Hauptabteilung des VolkskommissariatS des Inneren (später des Innenministeriums) für die Lagerverwaltung gehörte bis 1932 die Abteilung für Eisenbahnbau (bis 1932) (Otdel schelesdoroschnowo stroitelstwo), dann wurde eine neue Lagerverwaltungseinrichtung, die »Abteilung des Volkskommissariars des Inneren für Eisenbahnbau im Fernen Osten• (Uprawlenie schelesnodoroschnowo stroitelstwo NKWD na Dalnem Wostoke) mit Sitz in Swobodny eingerichtet. Diese Bezeichnung war missverständlich, weil die Abteilung auch für den Eisenbahnbau in vielen anderen Regionen der Sowjetunion verantwortlich war, zum Beispiel im Gebiet Archangelsk, im Gebiet Murmansk, in Westsibirien. Die Lager der Abteilung unterstanden nicht dem GULag, sondern unmittelbar dem Volkskommissar. Nach 1940 wurde der Zusatz »im Fernen Osten« gestrichen, die Abteilung zur »Hauptabteilung« und außerdem direkt nach Moskau verlegt. Die genaue Bezeichnung lautete: G lawnoje uprawlenije lagerei schelesnodoroschnowo stroitelstwo NKWD/ MWD - Lagerhauptverwaltung für den Eisenbahnbau des VolkskommissariatS des Innern/später: des Innenministeriums. 19 Jeder Versuch, aus diesen »Siedlungen• zu fliehen, wurde wie eine Flucht aus dem Straflager bestraft. Dennoch waren diese Siedlungen -zumindest formal- keine Lager: In der Regel durfte man mit der Familie zusammen wohnen, die Arbeiter bekamen einen, wenn auch erbärmlichen, Lohn. 20 Vgl. Burkowa, W./Sujew, W.: Dalnewostotschnaja magistral Rossii, Chabarowsk 1997, S. 83. 21 Vgl. www.memorial.nt (abgerufen am 11. Februar 2007) 22 Eine Historikerin aus Wladiwostok, O lga Jelanzewa, die über den Bau der Strecke Komsomolsk-Sowjerskaja Gawan das Buch »Objekt Nr. 500« verfasst hat, beschreibt mit erschütternder Anschaulichkeit die haarsträubenden Zustände in dem Transitlager Wanino (einige Kilometer nördlich von Sowjetskaja Gawan) im Jahr 1939. Die Beschreibungen beruhen auf sowjetischen Archivdokumenten. 23 Bis 1924 hieß die Stadt Alexejewsk. Die Umbenennung hatte zunächst mit dem Lagersystem nichts zu tun, da Swobodny erst 1932 zu einem der wichtigsten Zentren im GULag-Imperium wurde. Dennoch ist eine Parallele auffällig. Einer der großen Lagerkomplexe mit Sitz in Swobodny nannte sich »SwobodLag« (Freiheitslager). 24 Taischet ist eine Station an der Transsibirischen Eisenbahnstrecke im Gebiet Irkutsk, wo die BAM beginnt. 25 Es handelte sich um 57 Kilometer Gleise auf der Strecke Taischet-Padun und etwa 180 Kilometer Gleise auf der Strecke Komsomolsk-Sowjetskaja Gawan (130 Kilometer auf der Amurseite, 50 Kilometer auf der Pazifikseite). 26 Wolorschajewka-Komsomolsk, Bam-Tynda und lswestkowajaUrgal. 27 Vgl. Kusmina, M . A.: Nas k morju vyvela doroga, Komsomolski Amur 2005, S. 121 ff. 28 Korschunicha-Tunnel (eingleisig, 950 Meter, Km 550 der BAM, zwei Kilometer westlich der Station Korschunicha); Baikai-Tunnel (eingleisig, 6686 Meter, Km 1007, unmittelbar westlich der Station Daban); vier zweigleisige Tunnels (»Kaptunnels«) westlich von Sewerobaika lsk (Km 1067-074, der erste Tunnel beginnt vier Kilometer östlich von Sewerobaikalsk); Kodar-Tunnel (eingleisig, 1981 Meter, Km 1645, ein Kilometer westlich der Station Kodar); Dusse-Aiin-Tunnel (eingleisig, 1800 Meter, km
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3383, unmittelbar westlich der Station Dusse-Alin); Tunnel auf der Seweromujsk-Umgehungsstrecke (eingleisig, 2142 Meter, sieben Kilometer östlich der Station Osypnoj, 18. Kilometer der Umgehungsstrecke, gezählt von Angarakan; innerhalb des Tunnels dreht sich der Zug um 180 Grad); zwei Tunnel auf der Umgehungsstrecke (eingleisig, 752 Meter, fünf Kilometer östlich von Gorjatschi Kljursch, 54. Kilometer der Umgehungssrrecke, gezählt von Angarakan). Der Historiker Dierrnar Neueatz hat sich mit seiner Habilitationsschrift (Die Moskauer Metro. Von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus, Köln/Weimar/Wien 2001) um die Erforschung der Geschichte der Moskauer Merro verdient gemacht; er gilt als einer der besten Kenner ihrer Baugeschichte. Die nachfolgenden Ausführungen zur Baugeschichte der Moskauer Metro stützen sich wesentlich auf Neutatz' Forschungsergebnisse. Zunächst wurde d ie Londoner Bahn mit Dampf, ab 1890 dann elektrifiziert betrieben. Tünel-Bahn zwischen dem Goldenen Horn und der lstiklal Caddesi (Grand Rue de Pera), gleichzeitig kürzeste Untergrundbahn der Welt (614 Meter). Vgl. Neutatz: Die Moskauer Merro, S. 31. Vgl. ebd. Am Roten Platz und an einigen Abschnitten im Stadtzentrum war der Linienverlauf unter der Erde geplant; vgl. ebd., S. 35. Zit. nach: ebd., S. 36. Vgl. ebd., S.41. Vgl. z. B. Haffner, Sebastian: Der Teufelspakt, Zürich 1988. Siemens Bauunion an d ie sowjetische Handelsvertretung in Berlin, 26. November 1924, zit. nach: Neutatz: Die Moskauer Metro, S.49. Vgl. ebd., S.47. Vgl. ebd., S. 46. Vgl. ebd., S. 53. Vgl. ebd., S. 65. A. I. Kolychew, zit. nach: ebd., S. 67. Vgl. ebd. Vgl. lswestja, Nr. 131, 14. Mai 1931, S. 2, zit. nach: ebd., S. 73. Vgl. ebd., S. 89. Sten. Gespräch, 2.12.1934, GARF R-7952/7/314, BI. 312f., zit. nach:ebd.,S.95. 1958 wurde der Bau gestoppt. Anstatt des Palastes baute man nun ein Schwimmbad. 1992 erfolgte die Grundsteinlegung für den origina lgerreuen Wiederaufbau der Christus-Erlöser-Kathedrale. Sie wurde im Jahre 2000 eingeweiht. Seen. Gespräch mit Chefingenieur Chimuchin, GARF R-7952/7/266, BI. 22 f., zit. nach: ebd., S.101. Vgl. ebd., S.105. Vgl. ebd., S. 53. Vgl. u. a. den Befehl von Nikolai Jeschow, Volkskommissar für Inneres und Generalkommissar für Staatssicherheit, vom 20. 5.1937, in: Kokurin/Morukow: Stalinskije stroik i GULAGA,S.99. Neutatz: Die Moskauer Merro, S. 110. Vgl. Kusy, I. A./Naumow, L. M.: Moskowskoje Merro, Moskau 2005, S.16. Vgl. Neutatz: Die Moskauer Merro, S. 600. Die Station hieß während der Bauphase Mjasnizkije Worota und wurde bei ihrer Eröffnung am 15. Mai 1935 nach dem 1934
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ermordeten Leningrader Parteichef Kirow benannt. Diesen Namen rrug sie bis 1990. Wenige Monate (bis 5. November 1990) hieß sie dann Mjasnizkaja, bevor sie ihren heutigen Namen Tschistyje Prudy erhielt. Vgl. Sta lin steckte im Metrotunnel fest - www.aktuell.ru/ mos kau/metro/kurioses/stalin_steckte_im_metro-tun nel_ fest_2.html (abgerufen am 2. März 2007). Vgl. Neutatz: Die Moskauer Metro, S. 123. Vgl. Kusy/Naumow: Moskowskoje Metro, S. 17. Kaganowitsch während einer feierlichen Versammlung am 4.Ma i 1935,zit.nach:ebd. Montefiore: Stalin, S. 202. Die heutige grüne Linie verband 1938 den Swerdlow-Platz (heute: Theaterplatz) und d ie Datschensiedlung Soko! (Station Soko!) miteinander. Vgl. Kusy/Naumow: Moskowskoje Metro, S.19. Im Mai 1935 wurden entlang der heutigen roten Linie folgende Stationen in Betrieb genommen: Sokolniki, Komsomolskaja (Projektbezeichnung während der Bauphase: Kalantschewskaja), Krasnoselskaja, Krasnyje Worota, Tschistyje Prudy (damals: Kirowskaja), Lubjanka (damals: Dscherschinskaja), Ochotny Rjad, Biblioteka imeni Lenina, Kropotkinskaja (damals: Dworez Sowjeta) und Park Kulrury. Entlang der heutigen hellblauen Linie fahren seit dem 1. Mai 1935 Metrozüge durch d ie heutigen Stationen Alexandrowskij Sad (damals: Komintern, dann: Kalininskaja), Arbatskaja und Smolenskaja. Vgl. Nikita Chntschtschow an die Delegierten des XX. Parteitages der KPdSU am 25. Februar 1956 (Geheimrede). Ersrrnals veröffentlicht in: lswestja ZK KPSS, Nr. 3/1989, S.128-170; deutsche Übersetzung: http://www.geheimrede.de.vu (abgeru fen: 18. Mai 2007). Zit. nach: Bühl, Achim (Hg.): Der Hitler-Stalin-Pakt. Die sowjetische Debatte, Köln 1989; Hass, Gerhard: 23. August 1939. Der Hitler-Stalin-Pakt. Dokumentation, Berlin 1990, S. 40. Stalin: Rechenschaftsbericht an den XVIII. Parteitag über die Arbeit des ZK der KPdSU (B), in: Stalin: Werke, Bd.14- http:// www.stalinwerke.de/band14/b14-015.hrml (abgerufen: 6. September 2007). Molotow hatte das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten 1939 zusätzlich zu seinem Amt als Vorsitzender des Rates der Volkskommissare von Stalin übertragen bekommen. Er löste damit Maxim Litwinow ab, der als Verfechter der »kollektiven Sicherheit •, also eines Bündnisses mit Frankreich und Großbritannien, galt. Die erstmalige Veröffen tlichung in Russland erfolgte 1991: Felschtinski,Ju. (Hg.): Oglascheniju podleschit: SSSR- Germanija. 1939-1941. Dokumenty i materialy, Moskau 1991, Dok. Nr. 33, S. 71; Dokumenty wneschnej politiki, Bd. XXII: 1939, 2 Bde., Moskau 1992, Bd.1: janwar-awgust, Dok. Nr. 485, S. 632. Litauen sollte demnach ursprünglich von Deutschland besetzt werden; d iese Vereinbantng wurde jedoch in einem Geheimprotokoll zum deutsch-sowjetischen Freundschafts- und Grenzvertrag, der am 28. September 1939 gesch lossen wurde, geändert. Nun fiel auch Litauen in die »Interessensphäre• der UdSSR, während der deutschen • Interessensphäre« zusätzlich die polnische Woywodschaft Lublin und Teile der Woywodschaft Warschau zugesprochen wurden.
71 Vgl. Prawda vom 29. September 1939; Iswestja vom 29. September 1939. 72 Vgl. Leonhard, Wolfgang: Der Schock des Hitler-Stalin-Pakces, München 1989, S. 76 ff. 73 Mit Richard Sorge (Deutsche Botschaft Tokio), Herbert King (Britisches Außenministerium) und Rudolf von Schelhia (Auswärtiges Amt Berlin) verfügte Moskau über drei hervorragend platzierte Auslandsagenten, die vor der Gefahr eines deutschen Überfalls warnten. 74 Montefiore: Stalin, S. 413. 75 Ebd., S.414. 76 Vgl. Chruschtschow: Geheimrede, S. 128-170. 77 Vgl. Kaufmann, J.E.: Fortifikazia Wtoroi M irowoi Wo iny 1939-1945, Moskau 2006, S. 341 ff. 78 Shukow, G. K.: Erinnerungen und Gedanken, Stutegart 1969, S.324. 79 Vgl. unten, S. 109-115. 80 Vgl. unten, S. 125. 81 Vgl. Kusy/Naumow: Moskowskoje Metro, S. 127. 82 Vgl. Neutatz: Die Moskauer Metro, S. 605. 83 Ebd., S. 453. 84 Vgl. unten, S. 129. 85 Vgl. www.mos-sky.narod.ru/podsemel.hcm (abgerufen am 20. Mai 2007). 86 Vgl. Neutatz: Die Moskauer Metro, S. 104. 87 In einem Schriftstück des Rates der Volkskommissare vom Dezember 1934 heißt es, finanzielle Prob leme von •Metrostroi« seien zu einem geringen Teil auch durch •zusätzliche Aufga ben « (unterirdische Schutzräume) entstanden; vgl. Mezlau k an Molotow, handschriftliche Notiz o. D. (zwischen 15. und 25. Dezember 1934), GARF R-5446/15a/513, Bl. 2, zit. nach: ebd., S.605. 88 Die auf der heutigen grünen Metrolinie relativ weit voneinander entfernt liegenden Stationen Majakowskaja und Teatralnaja (damals: Swerdlowskaja) existieren seit September 1938. Erst 41 Jahre später wurde auf halber Strecke der für das Moskauer Stadtzentrum ungerechtfertigt langen Entfernung zwischen diesen beiden Metrostationen ein neuer Halt eingerichtet. Die heutige Station Twerskaja (Bezeichnung bis 5. November 1990: Gorkowskaja), d ie sich unterhalb des Puschkinplatzes befindet, g ing in Betrieb. Bereits im Bauprojekt der 30er Jahre war ein Halt zwischen Majakowskaja und Teatralnaja vorgesehen, a llerdings nicht am gleichen Ort wie heute. Die ursprünglich mitten im Moskauer Stadtzentrum geplante Station sollte Sowjetskaja heißen und sich unter dem Platz befinden, auf dem heute das Denkmal des Moskauer Stadtgründers Juri Dolgoruki stehe. 89 Gespräch mit Wladimir Lukin, Direktor der Filiale Isma ilowo d es Zentralen Museums der Russischen St reitkräfte, 28. April 2006. 90 Vgl. zur ersten Metrobauphase oben, S. 92 ff. 91 Gespräch mit Wladimir Lukin, Direktor der Filiale Isma ilowo des Zentralen Museums der Russischen Streitkräfte, 28. Ap ril 2006 92 In der Projektphase plante man, der Station später d ie Bezeichnung »Stalin-Station« zu geben, bis 1963 hieß sie Ismailowskaja (nicht zu verwechseln mit der heutigen Station Ismailowskaja), anschließend Ismailowski Park und seit 2005, mit Wladimir Pu-
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eins patriotischer Rückbesinnung auf sowjetische Werte, heißt sie schließlich Partisanskaja. Vgl. Jakowlew, Alexander: Die Abgründe meines Jahrhunderts. Eine Autobiographie, Leipzig 2003, S. 248. Allerdings wurde er vermutlich nicht nach Samara, sondern nach Nischni Nowgorod (damals: Gorki) verlagert. Samara wurde 1935 in Kuibyschew um benannt und trug diesen Namen bis 1991. Walerian Kuibyschew (1888-1935) war von 1923 bis 1927 Vorsitzender der Zentralen Kontrollkommission, von 1923 bis 1935 Mitglied des Rates der Volkskommissare, von 1927 bis 1935 Vorsitzender von Gosplan (Staatskomitee für Planung) und von 1927 bis 1935 M itglied des Politbüros. Er galt als einer der mächtigsten Politiker seiner Zeit und starb 1935 unter bislang ungeklärten Umständen. Die Existenz dieser Verbindung ist durch Berichte von Diggern belege. Zit. nach: Montefiore: Stalin, S. 454. Shukow: Erinnerungen und Gedanken, S. 324. Zit. nach: Montefiore: Stalin, S. 459. Zit. nach: ebd., S.460. Die Tscheka (eigentlich WeTscheKa) ist d ie Abkürzung für »Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage« (russisch: Wserossiskaja Tschreswitschainaja Kommisija po borbe s Kontrrewoljuziej, spekuljaziej i sa bocaschem), einer am 20. Dezember 1917 gegründeten bolschewistischen_Geheimpolizei. Aus ihr ging das NKGB hervor. Staatsarchiv der RF, F. R-5446, op. 25 a, d. 7217, ll. 51-58http://metro .mo lo t .ru/ bunker.shcml (abgerufen am 15. Ma i 2007). Vgl. Montefiore: Stalin, S.457. Vgl. unten, S. 166-168. Vgl. Kusy/Naumow: Moskowskoje Metro, S.194. Nachdem eine deucsche Bombe im Juli 1941 unter anderem den in relativ geringer Tiefe verlaufenden Tunnel zwischen den a lten Stationen Arbatskaja und Smolenskaja geeroffen hatte, wurde mit Hochdruck an dieser Parallellinie gebaut. Die heute vorhandenen Stationen gleichen Namens entlang dieser neuen Strecke entstanden jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg und wurden erst 1953 nach Sealins Tod eingeweiht. Zu d iesem Zeitpunkt wurde die Strecke der öffentlichen Nutzung übergeben. Vgl. Saizew, Juri: Die •geheime Moskauer Metro 2•, in: Russlan d.ru - http://russland.ru/mecromoskau/morenews. php?iditem 1, 1. Juli 2003 (abgerufen am 12. November 2006). Das •Graue Haus « wird auch »Dom na nabereschnoi « (Haus am Ufer) genannt. Vgl. Montefiore: Stalin, 674 ff. Vgl. http://www.irn.ru (Meldung vom 17. September 2003, abgerufen am 18. Oktober 2006). Vgl. Podsemelja wysotok, in: Wysotnyje sdanija Moskwywww.mos -sky.naro d. ru/podsemel.hcm (abgerufen am 11. Juli 2007). Vgl. Dmitri Tichonow in Truda vom 1. November 2003. Zit. nach: Zentner, Ch ristian (Red.): Große Geschichte des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges. Heimatfront und Bomben krieg. Band »Von der Wolga zur Weichsel«, München 1989, S.17.
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185
114 Pau l Carell, zit. nach: ebd., S. 20. 115 Vgl. Abschrift des Protokolls NL 201, § 14 der Sitzung der Büros des Stalingrade OBKOMS und des ISPOLKOMA des Sealingrader Gebietssowjets der Arbeiterdeputierten, GAWO, Fond 2115, op. 3, d. 36, L. 24 (in Kopie freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Museum »Panorama der Schlacht von Stalingrad «; Privatarchiv des Autors). 116 Vgl. Zentner (Red.): Große Geschichte, S.15. 117 Zit. nach: Montefiore: Stalin, S. 506. 118 Wieck, Michael: »Zeugnis vom Untergang Königsbergs•, in: Plath, Thoralf: Wir spürten nur Hass, in: Stern -http://www. s ter n. de/ pol itik/ h isco rie/: Kriegsen de -Besiegt,-Deutschland-1945-48/538777.html?eid 537265&s 7 (abgerufen am 18. Juni 2007). 119 Gespräch des Autors mit Andrej Romanenko, Digger-Klub Wladiwoscok, am 30. April2007. 120 Primorski Krai ist ein Gliedstaat der Russischen Föderation, seine Haupestade ist Wladiwoscok. 121 Vgl. Baika lo-Amurskaja magistral: cechnitscheski onschjot ob ispytanijach, projektirowanü i stroicelst:we, 1974-1989, w 5 t., T. 1., Welsk 1990. 122 Gennadi Scroganow war wegen Diebstahls von einer Flasche Wodka zu sieben Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Sein Bericht findet sich unter http://www.memorial.krsk.ru/deu/Dokument/Memuar/noname1.htm (abgerufen am 23. März 2008). 123 Auch in diesem Fall bediente man sich codierter Bezeichnungen wie zum Beispiel »Objekt 506« für die 327 Kilometer lange Verbindungsstrecke von Pogibi nach Pobedino auf Sachalin. Die weitere Verbindung zur Südküste Sachalins bestand bereits durch eine von den Japanern angelegte Trasse. 124 Der Bau einer zweiten Insel war vorgesehen, jedoch konnte damit nicht begonnen werden. 125 Um die Insel zu bauen, war seinerzeit ein 1,9 Kilometer langer Damm aufgeschüttet worden. Der obere Teil des Dammkörpers wurde nach 1953 zerstört, Dammreste sind allerdings noch zu sehen.
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1 Chruschtschow übte dieses Amt von 1953 bis 1964 aus. 2 Vgl. Chruschtschow: Geheimrede; vgl. auch oben, S. 100. 3 Vgl. Nolce, Hans-Heinrich: Kleine Geschichte Russlands, Bonn 2005, 296. 4 Seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden in der Sowjetunion über 100 Städte nach kommunistischen Führern benannt. Die bekanntesten Städte sind Sc. Pecersburg (Leningrad) und Wolgograd (Stalingrad), aber auch Molocow (Perm sowie Sewerodwinsk/Molocowsk), Ka linin (Twer), Swerdlow (Jekaterinburg/ Swerdlowsk) Gorki (Nischni Nowgorod), Kirow (Wjatka), Kuibyschew (Samara), M ikojan (Karatschajew), Breschnew (Nabereschnije Tschelny), AndropOw (Rybinsk), Woroschilow (Lugansk) und viele andere wurden bedacht. Moskau selbst sollte den Namen •Stalinodar « erhalten, der Tod Sealins kam dem zuvor. 5 Vgl. oben, S. 72 f. 6 Vgl. oben, S. 144-148. 7 »Retschlag•: •Recsch« steht für »retschka• (Fluss) und »lag « für Lager- so hieß ein Lager am Fluss bei Workuta; »Berlag•:
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Wettlauf um die Vormachtstellung in der Welt
s.
8
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»Ber• steht für •Bereg« (Küste)- so hieß ein Lager an der Küste im Gebiet Magadan. Für Moskau und Leningrad galt im Umkreis von 100 Kilometern, für Charkow im Umkreis von 50 Kilometern ein Zuzugsverbot. Vgl. Pasporta, in: Wserossiskoje Genealogicscheskoje Drewowww.vgd.ru/ENGLISH/pasport.h cm (abgerufen am 11. Mai 2007). Es wurden mehr als »20 Millionen Curie freigesetzt. Das ist d ie doppelte Menge der bei der Tschernobyl-Katastrophe emittierten Strahlung. Davon verseuchten 18 Millionen Curie den Erdboden in der Umgebung und weitere 2 M illionen Curie wurden durch eine radioaktive Wolke auf eine Fläche von über 15000 Quadratkilometern verteilt. Mehr als 10000 Menschen wurden evakuiert« (zit. nach: http://www.physik.uni-oldenburg. de/epol/public_htrnl/risiko/mayak.html, abgerufen am 3. September 2007). Vgl. http://archive.greenpeace.org/mayak/index.html (abgerufen am 2. September 2007). Vgl. Timmerman, Kenneth R.: Can Moscow be trusted? Inside Russia's magic mountain, in: WorldNetDaily- http://www.wnd. com/news/article.asp?ARTICLE_ID 17518 (abgerufen am 16. August 2007). Vgl. Andrew, Christopher/Gordievski, Oleg: KGB. The Inside Story of Its Foreign Operations from Lenin tO Gorbachev, New York 1990. Gespräch mit der Direktorin Olga Acharowa am 8. Juni 2007. Vgl. unten, S. 166-168. Vgl. Skitalez: Objekt 825 GTS [VI/1006], in: http://www.geocaching.su/?pn = 101&cid = 1006 (abgerufen am 1. April2007). Vgl.oben,S.141-143. Military Forces in Transition, hg. vom Department of Defense, United States of America, Washington 1991, S. 40. Vgl. ebenda, S.43 Vgl. ebd. und Kommentare dazu in Argumenty i Fakty, 2/1992. Vgl. Argumency i Fakty, 2/1992. Vgl. Sowerschenno sekretno, 3/1992. Vgl. Moskowskije Nowostij, 8/1992. Gonik, Wladirnir: Preispodnjaja, Moskau 1992. Vgl. Vorwort des Autors zur 2. Auflage, in: Gonik, Wladimir: Preispodnjaja- http://spelesco.nn.ru/lib.php?book gonik&ch 2 (abgerufen am 19. Januar 2007). Vgl. Saizew: Die •geheime Moskauer Metro 2•. Gonik: Preispodnjaja, S. 287. River, in: http://www.caves.ru/index.php/topic,10936.0.html (abgerufen am 16. Febntar 2007). Gespräch mit Wladimir W. Lukin am 28. April 2006. Vgl. Interview mit Juri Saizew in: faqs.org.ru- http://faqs.org. ru/transp/mecro2.htm (abgentfen am 18. Februar 2007). Vgl. Neutatz: Die Moskauer Metro, S. XXX. Der Autor spricht von der Militärsiedlung Wlasicha (auch Odinzowo-10 genannt), einer Kommandozentrale der Raketentruppen, und der Ortschaft Golizyno-2, wo sich die Zentralverwalnmg der Weltraumtruppen befindet. Der Eingang zu deren Bunkern liege in unscheinbaren Gebäuden, die wie Wohnhäuser aussehen. Vgl. Saizew: Die •geheime Moskauer Metro 2•. Vgl. Interview mit Juri Saizew in: faqs.org.ru- http://faqs.org. ru/transp/mecro2.htm (abgentfen am 18. Februar 2007).
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34 Vgl. Saizew: Die »geheime Moskauer Metro 2 «. 35 Vgl. auch oben, S. 107.
Bauboom und Milliardeninvestitionen im neuen Russland
2
3
4
5
Vgl. Wladimirowa, Olga: Eine große Stadt taucht ab, in: Moskau. Offene Stadt, 2/2007. Vgl. Moskau ba ld vom Erdboden versch luckt?, in: RusslandAktuell, 6. 6. 2006- www.a ktuell.ru (abgerufen am 18. November 2006). Vgl. Lushkow legt Grundstein für höchstes Haus Europas, in: Russland-Aktuell, 19. April 2007- www.aktuell.ru (abgerufen am 18. September 2007). Programmerklärung der Partei »Einiges Russland « auf dem Parteitag in Jekaterinburg, 2. Dezember 2006. So nannte Jewgeni Nadorschin, Chefökonom der Moskauer Trust Investment Bank, das Projekt; vgl. ders.: Russla nd baut den längsten Tunnel der Welt, in: Spiegel Online, 19. April 2007http://www.spiegel.de/wirtschaft/O,1518,478320,00.htm1 (a bgerufen am 15. September 2007).
6 Vgl. Mrozek, Gisbert: In 5 Jahren Berlin-Tokoi-Express via Moskau, in: Russland-Aktuell, 22. Januar 2001 - www.aktuell. ru (abgerufen am 4. Februar 2007). 7 Vgl. Deeg, Lothar: Peters burgs erster Autotunnel ist beschlossene Sache, in: Russland-Aktuell, 15. April2005- www.a ktuell. ru (abgerufen am 10. September 2007). Vgl. auch Peters burg: Tunnel unter der Newa geplant, in: Russland-Aktuell, 18. August 2006 - www.aktu ell.ru (abgerufen am 15. September 2007). 8 Die Ankündigung stammte von Wladimir Potanin, BuntmetallOligarch und Präsident der Finanzholding • lnterros«; vgl. Potanin will Winterkurort bei Socschi ausbauen, in Russland-Aktuell, 27. Dezember 2004 - www.aktuell. ru (abgerufen am 22. Juli 2007) 9 Vgl. Wieder Eisenbahnfähre zwischen Krim und Russland, in: Russland-Aktuell, 4. Oktober 2004- www.aktuell.ru (abgerufen am 8. Oktober 2006). 10 Vgl. Alexandrow, Waleri: Ein 300-Kilometer-Tunnel ins Mutterland. Diskussion um Kalirungrad treibt kuriose Blüten, in: Moskauer Deucsche Zeitung, 30. Juli 2002; vgl. auch Kaliningrad: Shirinowski will Tunnel bauen, in: Russland-Aktuell, 17. November 2004www.aktuell.ru (abgentfen am 1. Februar 2007).
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Archive Archiv des Museums Nikolajewsk am Amur. Archiv des Museums •Panorama der Schlacht von Stalingrad•. Russisches Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte.
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Abbildungsnachweis Elisabeth Bauer: 40 r., 41 u., 62 r. Diggergemeinschaft Samara/analitik: S. 48, 491., 118, 119 Maxim Kipelow: S. 167 r., Umschlag hinten Thomas Kunze: S. 16, 21, 22, 24, 25, 29, 32, 33 l., 34, 37, 38, 43, 44, 46,47 u., 50, 51, 54 u.l., 54 u.r., 56, 58, 59 o.l., 59 o.r., 60, 61, 621., 63 r., 70, 71,74 o.r., 74 u.r., 75 r., 77, 78, 79 1., 81 u., 82, 83, 84 l., 87, 93 M ., 94, 95, 97 u., 98, 99 o.l., 99 o. r., 104 u., 105 o.r., 105 u.r., 108,110,111, 112, 113, 114 o., 115, 116, 117, 121M., 121 u., 123,124,126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 135, 136, 137, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 149, 150, 151, 152, 153, 155, 157, 158, 159, 160, 161, 164, 165, 168, 170,171,172 o.l., 172 o.r., 172 u.r., 173 o., 174,175 o., 176, 180 Mott MacDonaldJRobert Wilson: S. 179 r. Wjatscheslaw Scelinski: S. 18, 20 l. Wladimir Schirokow: S. 19, 20 r. Lars Peter Schmidt: S. 121 r. Aja Skawesowa: S. 47 o. Artur Uluchodschajew: S. 106, 114 u., 1671., 175 u. Christopher Volle: S. 11/12, 100 Archiv Thomas Kunze: S. 15, 57, 59 u., 63 l., 75, 92, 101, 102 u., 107, 125 l., 156, 172 u.l. Archiv Maren Wuch: S. 45 Nachlass Fritz Zalisz (Fritzi Lenk): S. 64 Archäologisches Museum Moskau: S. 36 Archiv des Museums »Panorama der Schlacht von Stalingrad «: S. 134 r. Archiv des Verlages: S. 40 l., 42, 65 u., 67, 73, 120 u., 122, 134 l. bigstockphoto.com: S. 27 (Korolow), 163 o. (Sorokin), 169 (Losewski) Bildarchiv des Bundesarchivs: S. 102 o. (1011-121-0008 -25) Bildarchiv Preußischer Kultur besitz, Berlin: S. 154 Heimatmuseum Nikolajewsk am Amur: S. 58 l. istockphoto.com: S. 41 o. (Kowa lenko ), 103 (Kamschylin), 162 l. (Beesley) Museum der Fernöstlichen Eisenbahnabteilung, Chabarowsk: S. 84 r. (Wiktorow), 85, 86 (beide Krascheny) Museum Port Baikal: S. 54 o. Naturwissenschaftliches Museum für Karst und Speleologie beim Kungur-Laboratorium, Kungur: S. 17 picrure alliance/a kg: S. 91 Russisches StaatSarchiv für Sozialpolitische Geschichte, Moskau: 66,68,69 Staatliches Historisches Museum, Moskau: S. 121 o. Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF): S. 93 o. sz-photo: S. 138 Tonnelnaja assotziatzia, Moskau!S. N. Wlasow: S. 178 u.l. Transportwegekommission des Ministeriums für Ökonomische Entwicklung und Handel, Moskau/Alexander Granberg: S. 178 o.l., 178 r. UUstein-Bilderdienst, Berlin: S. 55, 76, 88, 93 u., 148, 173 u.
s.
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Wikimedia Commons: S. 53 Wissenschaftliches Forschungs- und Projektierungsinstirut für Territorialentwicklung und Transportinfrastru ktur, St. Petersburg: S. 179 l. Architektura SSSR (1935): S. 104 o. Architektumaja Gazeta (1935): S. 96 Argumenty i Fakty (1992): S. 166 u. Taisija Belousowa: Tainy podsemnoi Moskwy, Moskau 1997: S. 33 r. Juri Bril: Otkrytie Arkaima, Jekaterinburg 2005: S. 23 Sergej Chalanski: Kreschtschyie Adom, Magadan 2005: S. 72, 74 o.l., 74 u.l. Military Forces in Transition, hg. vom State Department of Defense, United States of America, Washington 1991: S. 166 o. Richard Möller: Rußland. Wesen und Werden, Leipzig 1940: S. 31, 35,39 Moskwa, Enzeklopedia, hg. von P. A. Woronina u. a., Moskau 1980: 65 o. Dietmar Neutatz: Die Moskauer Metro. Von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus 1897-1935, Köln/Weimar/ Wien 2001: S. 90 Petschery, hg. vom Kiewo-perscherskoi Lawry, Kiew 2006: S. 28, 30 Prawda (1941): S. 105 l., 120 o. E. P. Schlelajewa: Moskwa v Fotografiach. Konez XIX- natschalo XX waka, St. Petersburg 2004: S. 52 (Konosewitsch), 89 Sowjetunion (1953): S. 80, 81 o. Zarizyn, Sta lingrad, Wolgograd, hg. von Maxim M. Zagorulko, Wolgograd 2000: S. 49 r.
s.
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Farbtafeln (Die römischen Ziffern verweisen auf die vier Farbblöcke, d ie arabischen auf die jeweilige Seite innerhalb des Farbb locks.) Diggergemeinschaft Samaralanalitik: 1-3, 11-7, 11-8 Leonid Fedotow: IV-4 Maxim Kipelow: 1-4, 1-5 Roman Wukolow: IV-6, IV-7, IV-8 Archiv Thomas Kunze: 11-1 Archiv Maren Wuch: 1-2 u. bigstockphoto.com: 11-2 o. (Wislijaew), 11-3 o. (Losewski), IV-5 u. (Gudella) http://photofile.name/users/viqqen: IV-5 o. Thomas Kunze: a lle übrigen Farbfotos
Ortsregister Es wurden nur Orte in Russland bzw. der früheren Sowjetunion aufgenommen. Moskau wurde aufgrundder häufigen Nennung nicht berücksichtigt. Kursive Zahlen verweisen auf eine Bildunterschrift. Alexandrowskaja Sloboda
35,
181 Alexejewsk (s. Swobodny) Anadyr 178 Angarakan 184 Archara 54 Baku 169 Bam 183 Berestowo 27 Bira 54 Bolschoi Kamen 158 Borsk 156 Brest-Litowsk 101 Burzjan 19 Butugyrschak 72, 73 Chabarowsk 13, 55, 57, 84,
84, 86, 149-151 Charkow 156, 181 Chatanga 158 Cholmsk 76, 78 f., 78 f , 158,
183 Daban 183 Diwnogorje 30 Dnjepropetrowsk 108, 169 Donezk 26 Dunai 156 Engels 84 Garschina 46, 46 Gnjozdowo 130, 131 Gorki (s. Nischni Nowgorod) Igarka 144 f. Irkutsk 54 f. lswestkowaja 183 ltykit 88 Jar-Sale 145 Jekaterinburg 62 f., 63, 169,
170,177,186 Jerewan 169 Juschno-Sachalinsk 76, 77, 78,
148,183 Kaliningrad (ehern. Königs berg) 42 f., 42 f, 44, 139, 139 f, 141,179 Karaganda 73 Karartschajew 186 Kasan 169 Kasatscru 182 Kaspisk 157, 158 Katyn 131
Kedrowy 156 Kendagiry 182 Kiew 26-28, 29, 30 f., 39, 48,
115,130,169 Kiparissowo 54 Kodar 184 Kolomna 32 Komsomolsk (ehern. Permskoje am Amur) 87, 183 Königsberg (s. Kaliningrad) Korsa kow 76 Korschunicha 183 Krasnoja rsk 156 Kuibyschew (s. Samara) Kungur 15 f., 15 f, 17 f., 21 Kurejka 144 Labytnangi 144, 144, 148 Lagar-Aul 182 Lazarew 149 f., 150 f, 151-153 Leningrad (s. St. Peterburg) Lubny 31 Lugansk 186 Magadan 71 f, 72 f., 76, 155,
155 Magdagatschi 54 Magnitogorsk 22 f., 23, 80 Majak 156 f. Metechi 110 Minsk 60, 169 Mjass 21 Molotowsk (s. Perm) Mysowaja 54 f. Nabereschnije Tschelny 186 Nadym 146 f , 148 Newelsk 76,79 Newelskowo 152 Nikola itschuk 79, 183 Nikolajewsk am Am ur 57 f., 58, 149 f., 149 f, 151 Nikolsk (s. Ussurisk) Nischni Nowgorod (ehern. Gorki) 12,169, 185 f. Norilsk 16, 158 Nowaja Semlja 158 Nowgorod 31, 31, 38 f. Nowoderewenskaja 183 Noworossisk 52 Nowosibirsk 169, 170 Nowy Urengoi 147
182 Oblutschje Odessa 45, 45, 48, 181 Osjorsk 156 Oskol 31 Osypnoj 184 Padun 183 Palana 156 Perm (ehern. Molotowsk) 15, 186 Permskoje am Amur (s. Komsomolsk) Perwaja Retschka 84 Petrograd (s. St. Petersburg) Petropawlowsk 156 Pobedino 186 Pogibi 149, 151 f., 186 Polowinnyi 54 Port Artbu r (Lüshun) 53 Port Baikai 54 f., 56 Poti 52 Prokowskoje 62 Pskow 31 Rostow am Don 48 Rybinsk 186 Salechard 144, 144, 145, 145-147, 147 f. Samara (ehern. Kuibyschew)
13, 48,48 f, 115-119,115119, 120, 144,169,169, 185 f. Sarow 156 Schewja 182 Semipalatinsk 159 Serpiewka 20 Sewastopol 145, 162 Sewerobaikalsk 89, 184 Sewerodwinsk 158, 158, 186 Sewersk 156 Sinelga 156 Sirenewka 54 Sljudjanka 55, 56 Smolensk 39, 130 f., 131, 133 f., 134 Sneschnogorsk 158 Sorschi 179 Sowjetskaja Gawan 86, 183 St. Petersburg (ehern. Petrograd, Leningrad) 26,39-41,
39-41,42,46,46,52,60,62,
62, 63, 98, 130, 145, 158, 169,179,179,182,186 Stalingrad (s. Wolgograd) Susuman 72 Swerdlowsk 186 Swjatogorje 30 Swobodny (ehern. Alexejewsk)
87,183 Taischet 87, 183 Taschkent 169,170 Tichoretschkaja 52 Tiflis (Tbilissi) 52, 169 Tjaschely 182 Tjumen 70 Tobolsk 16 Tomsk 16 Tonnelny 88, 182 Tscheljabinsk 20-22 Tschernigow 30 Tschernobyl 157 Tschita 54 Tschum 145, 148 Tu la 32,73 Twer 32, 186 Tynda 183 Ufa 19 f. Ulrutschi 182 Urgal 183 Ussurisk (ehern. Nikolsk) 58 Ust Omtschug 73, 75 Vilnius (Wilna) 182 Weliki Nowgorod (s. Nowgorod) Wjatka 186 Wladirnir 31,35 Wladiwostok 13, 53, 55, 57,
57,58,59, 83,83, 84, 141143, 143, 144 f., 156, 158, 164,164, 186 Wolgograd (ehern. Zarizyn, Stalingrad) 49 f., 50, 133 f.,
134 f, 136, 137, 138, 139, 141,144,158, 169,170, 182, 186 Wologda 31,35 Wolorschajewka 183 Workuta 186 Zarizyn (s. Wolgograd) Zarskoje Selo 42, 42, 44, 44,
46,52
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Zum Autor T homas Kunze Jahrgang 1963; Studium der Geschichte, Germanistik und Pädagogik an den Universitäten Jena und Leipzig, Dr. phil.; 2002-2007 Leiter der Außenstellen Taschkent und Moskau der Konrad-Adenauer-Stiftung, seit 2007 Leiter der Europa/Nordamerika-Abteilung der KonradAdenauer-Stiftung; Ehrenprofessuren an der Präsidialakademie Taschkent und der Staatlichen Al-ChorezmUniversität (Usbekistan). Bücher im Ch. Links Verlag: >>Nicolae Ceausescu. Eine Biographie<<, 2000; »Staatschef a. D. - Die letzten Jahre des Erich Honecker«, 2001.
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