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K L F I NII
B I II I
I O T II E K
D I. S W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN N AT I
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Mi
K l ' L T U R K L ' S D L I C H E
ALBERT
HEFTE
HOCH H EIMER
REBELL DER WÜSTE DAS
REICH
VERLAG
DES
M AHDI
SEBASTIAN
LUX
M U R N A U • M U N C II E N • I N N » B R L' C K • B A S E L
In Qmdurman am oberen Nil erinnert ein hochragender Kuppelbau an einen der großen Freiheitskämpfer der arabischen Welt. Sein Aufstieg und sein Auftreten in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts beunruhigten nicht nur die islamischen Völker, sondern aud> die Staaten Europas. Noch heute ist im Sudan und im ganzen Vorderen Orient das Andenken an diesen Mann lebendig, und seine Grabstätte ist Pilgerziel für viele, denen das Wiedererstarken des Islam Herzenssadie ist. Schon seit Jahren gärte der Aufruhr durch die Steppen, Wüsten und Wälder des Sudan, seitdem die Ägypter dieses Land am oberen Nil an sich gerissen hatten und in harter Fron hielten. Von allen Seiten erhielten die Rebellen Zulauf. Im Januar des Jahres 1883 fiel die Stadt El Obeid in die Hände Mohammed Achmeds, der die Aufrührtr anführte und sieh „M.thdi" nannte, von Gott gesandter Prophet, Reformer und Erlöser. — Nun erst begann man den Freiheitskampf der Sudanesen ernst zu nehmen, und von Khartum aus, wo der Generalgouverneur, der Vertreter der ägyptischen Botttzoognnacht, seinen Sitz hatte, jagte Botschaft um Botschaft an die Regierung in Kairo: der Aufstand der Mahdi-Anhänger habe sich so gefährlich entwickelt, daß man sie unter allen Umständen wieder ducken müsse; es sei höchste Zeit, den Stämmen im Sudan durch einen energischen Schlag zu beweisen, daß der General2
gouverneur keine Schattcntigur sei und im Notfall ebenso michtvoll zu handeln vermöge wie der Khedive, der Vizekönig am Nildelta. Weil aber die bisher zur Verfügung gestellten Mittel sich als unzulänglich erwiesen hätten und ein Erfolg ausgeblieben sei, erwarte man Hilfe in größerem Maße und mit größerer Eile. Die Minister in Kairo waren entsetzt. Hatte man nicht schon seit Jahren unablässig Geld, Soldaten und Waffen in den Sudan geschickt und mit den verschiedenen Mitteln versucht, dem lästigen Mohammed Achmed den Garaus zu machen? Und immer sollte es nodi nicht genug sein? Insbesondere der Vertreter Englands, das sich seit zwei Jahren in Ägypten Schutzrechte inmaßte, war empört, daß der große Aufwand unnütz, vertan war, und wehrte sich aus Leibeskräften gegen diesen neuen Aderlaß. Man müsse abwarten, was London anordnen werde, erklärte er, und man könne die schon so gründlich angezapfte Staatskasse nicht noch mehr ausplündern. Als man zu guter Letzt nicht länger in der gefährlichen und unehrenhaften Untätigkeit verharren konnte und die Depeschen aus Khartum immer dringlicher wurden, immer unfreundlicher die Notizen in der Weltpresse, zog mm einige zehntausend Mann zusammen, rüstete sie recht und schlecht aus und schickte sie unter dem Oberkommando des englischen Obersten Hicks und eines ägyptischen Offiziers den Nil hinauf, damit sie dort unten im Süden Wunder wirken sollten. In London wie in Kairo hoffte man zuversichtlich, mit dieser starken Streitmacht dem tollen Abenteurer endgültig das Handwerk zu legen. Allein den Ministern — Tausende von Kilometern vom Kriegsschauplatz, entfernt — war der Blick für das Mögliche längst verlorengegangen. Sie dachten nur in Zahlen, in Provinzen, in „Menschenniatcrial", als sei der Mensch ein Ding, eine Sache; sie hatten nicht die geringste Vorstellung davon, wie die Verhältnisse im unterdrückten Sudan wirklich lagen. Auch vom Mahdi wußten sie recht wenig und ahnten nichts von der schrankenlosen Ergebenheit seiner Anhänger, von dem Mythos, der ihn schon zu Lebzeiten verklärte, von seinem Selbstbewußtsein und seinem Heldentum. Mohammed Achmed war um diese Zeit schon längst nicht mehr der armselige Derwisd» in den Lumpen seiner jüngeren Jahre. Mit seinen ersten Erfolgen waren seine Ziele gewachsen. Mit den Sie3
gen über die Truppen au-. Khartvtn stiegen seine Verwegenheit und die Lust, d.iv Schicksal immer kühner herauszufordern. Und als er jetzt die ägyptischen Truppen unter Hieks, die bedeutendste Heerschar, die ihm je entgegengeschickt wurde, in der Nähe von Fl Obei'd anfiel und fast bis auf den letzten Mann vernichtete, da war er, wie die fanatisierten Krieger um ihn, von den Fanfaren des Sieges wie betäubt und geblendet von seinem eigenen unerwartet glanzvollen Aufstieg. Was war natürlicher, als daß er den Krieg nun erst recht fortsetzen wollte und selbst noch größere, noch gewaltigere Gegner nicht fürchtete? Schon rein zahlenmäßig hatte sich seine Macht in dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren ins Phantastische gesteigert. Aus den wenigen Getreuen seiner Anfänge war ein Heer geworden, das an die hunderttausend Mann zählte. Die meisten waren zwar nur mit Speer und Schwert ausgerüstet, aber viele auch mit modernen, erbeuteten Waffen. Angesichts dieser erstaunlichen Tatsache fragte man sich nach der Niederlage in London und Kairo, ob es nicht besser wäre, den Sudan ganz aufzugeben, statt weiter Opfer zu bringen für eine Sache, deren Sinn nicht mehr zu erfassen war, für einen Zweck, der den Klarsichtigen in immer weitere Ferne entrückte, für den nutzlosesten, grausamsten aller Kriege. Und wirklich — England beugte sich trotz des Verlustes an Anseh n der besseren Einsicht und schickte den General Gordon nach Klurtum, um den Abtransport der dort ansässigen Ägypter und Europäer vorzubereiten und durchzuführen. So war der Mahdi Sieger geblieben. Die hintergründige Leidenschaft dieses Mannes wurde von jetzt an zu einer gefährlichen Bedrohung, mit der sich die Staatskabinette der europäischen Kolonialmächte ernsthaft auseinandersetzen mußten; denn die ganze mohammedanische Welt drohte sich an dieser Flamme zu entzünden. Und jetzt erst — viel zu spät natürlich — fragte man sich in den europäischen Hauptstädten, was es denn mit diesem gefährlichen Heiligen in Wahrheit auf sich habe, ob man sein neues Reich als eine rasch vergängliche, lebensunfähige Schöpfung, von trunkenem Herrscherwillen gezeugt, ansehen könne, oder ob dieser Sudanese Mohammed Achmed einzig durch seine geniale Voraussicht hochgekommen und ein Gegner von bedeutendem Rang sei. 4
Sudan und oberer Nil (eingezeichnet sind auch die heutigen großen Bewässerungsanlagen beider Lander)
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Der Derwisch auf der Nilinsel Zu der Zeit, da Mohammed Achmed als Derwisch und Wandirprediger noch in seiner Einsiedelei auf der Nilinscl Abai lebte, war die seit dem Jahre 1869 bestehende ägyptische Fremdherrschaft im Sudan noch längst nidu gefestigt. Ein paar kräftigt, rücksichtslose Stöße, und das ganze schlecht verankerte Gebäude mußte einstürzen. Trotz dieser offenbaren Schwäche der ägyptischen Herren hatte Mohammed Achmed anfangs noch nicht an einen politischen Kampf gedacht, erst auf Umwegen wurde er zum Rebellen. Auf seiner geräumigen, waldreichen Insel, von Almosen lebend, führte er das stille und beschauliche Dasein eines Weisen und Korangelehrten. Kein Winkel war in seiner Seele, wo die zauberische Flamme der heiligen Schrift des Islam nicht hinleuchtetc. Mohammed Achmed war geboren zu Dongola als Sohn eines Schiffszimmermanns, vermutlich im Jahre 1848, und wanderte, ein Kind noch, mit seinem Vater nach Khartum. Aber der Vater starb unterwegs, und der elternlose Junge trieb sich, auf sich selbst gestellt, darbend und bettelnd auf den Märkten und bei den Moscheen herum; er war einer von den zahllosen streifenden kleinen Strolchen, die die Gassen der orientalischen Städte bevölkern, nachts irgendwo in einem Winkel schlafen und am Tage nach den Abfällen haschen, die ihnen Wohlgesinnte zuwerfen. Als Jüngling erlebte er dann die ungeheure Umwälzung im Sudan, die bittere Auswirkung der ägyptischen Herrschaft über seine Heimat. Er sah die fremden Steuereinnehmer und Soldaten, die das Volk rücksichtslos ausplünderten, die bestechlichen Beamten in ihren Büros und die Qual der gefolterten großen und kleinen Sünder auf öffentlichen Märkten. In dieser Zeit, da alles ins Wanken geriet, was ihm seit seiner Jugend vertraut war: das Gesetz, die Religion und das Land, fing er an, nach einem festen Punkt im Auf und Nieder der Erlebnisse zu suchen. Aber er fand noch nicht sofort seinen Weg. Zunächst entschied er sich für einen gottesfürchtigen Wandel, und jahrelang floß sein Leben in Abgeschlossenheit dahin. Er war ein schöner Mensch. Breitschultrig, von lichtbrauner Hautfarbe, mit strahlenden, schwarzen Augen und einem dunklen, seidi6
gen Bart. Er lächelte fast immer und zeigte dabei sein prachtvolles Gebiß mit einer Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen; für viele war das ein Kennzeichen der besonderen Zuneigung Gottes, und sie nannten ihn „Vater der Zahnlücke". Auffallend war der Eindruck, den er sdion früh auf die Menschen seiner Umgebung machte. — „Als ich sein Antlitz erschaute", schwärmt noch in späteren Jahren Abdullahi, sein Nachfolger, „da vergaß ich alle überItandene Mühsal. Id» sah nur auf ihn, hörte nur seine Worte und mußte meinen ganzen Mut zusammennehmen, um ihn, nach langem Zaudern, endlich anzusprechen." So vergehen drei, vier Jahre in völliger Zurückgezogenheit. Mohammed Achmed lehrt den Koran und sucht mit seinen Blicken das Geheimnis der Schöpfung und die Herzen der Menschen zu durdidringen. Zufrieden mit seinem Los, lebt er im Kreise seiner Schüler. Von jenem unbändigen Willen, von der fanatischen Kraft, die später sein Dasein in große Schwingungen versetzte, ist auf der Insel Abai noch nichts zu spüren. Die Stille des einfachen Lebens dient ihm zur Einkehr, zur Sammlung. Hier bildet sich seine zukünftige Begabung der Menschenbehandlung, hier formt sich sein auf eine große Aufgabe hinzielender Geist. Nichts Glücklichere; konnte geschehen als diese zeitweilige Einsamkeit. Denn wer immer im Strudel der Ereignisse steht, der verliert die wahre Beziehung zu ihnen, die scharfe Übersicht; nur die Unterbrechung in stiller Abgeschlossenheit führt zu neuer Spannkraft. Einsamkeit bringt dem wahrhaft Starken nicht Minderung, sondern Zusammenfassung •einer Kräfte.
Abgekanzelt wie ein Schuljunge Während der Einsiedler selbstgenügsam' seine Tage verbringt, die Worte des Koran erklärend, wie er es von den Lehrern seines Ordens gelernt hat, verbreitet sich der Ruf seiner Heiligkeit allmählich in die Weite, und von überallher strömen die Pilger herbei. Viele bleiben in seiner Nähe und siedeln sich neben seiner Hütte an. So bildet sich eine Gemeinde, die unablässig wachsend sich schließlich über das ganze Gebiet zwischen Blauem und Weißem Nil ausdehnt. Seine Nahrung erbettelnd, zieht er immer wieder mit der tönernen Schale und dem eisenbeschlagenen Stab über Land, 7
verschenkt selbstgeschriebene Koransprüche als Talismane, spricht mit den Stammesführern und den einsamen Menschen von den Nöten des Daseins und den Übeltaten der Fremden. Er predigt Entsagung, verbietet Tanz und Spiel, berauschende Getränke und selbst das Tabakrauchen und ist ein entschiedener Gegner der Pilgerfahrten nach Mekka — doch nicht dieses Predigen ist es, was die Leute anzieht; erst die ungewöhnliche Glut seiner inneren Entflammung, die bezaubernde Anmut seiner Persönlichkeit erzeugen bei seinen Jüngern jene rauschartige Begeisterung, die der leidenschaftliche Ausdruck eines hemmungslosen, urwüchsigen I ebensgefühls ist, wie es nur der Orientale kennt. Bald ist nicht mehr Khartum Umkreis dvr sudanesischen Welt, sondern die Nil-Insel Abai, und die Hütte Mohammed Achmeds ist ihr Mittelpunkt. Diese klar erkennbare Entwicklung darf der ägyptische Generalgouvcrneur, Abd-el-Rauf Pascha, nun nicht mehr übersehen, und da er aus Erfahrung weiß, dal? jede religiöse Bewegung um so gefährlicher wird, je ungehinderter der Reformator sich der Verbreitung seiner Lehre widmen kann, schickt er einen seiner Offiziere zu Mohammed Achmed, um ihn nach Khartum vorzuladen und zur Verantwortung zu ziehen. Der Abgesandte aber benimmt sich wie ein Rüpel und bringt .seinen Auftrag so vor, als stehe er vor einer Front aufsässiger Rekruten. Nicht mit einem Wort fällt es ihm ein einzulenken, als Mohammed Achmed beharrlich schweigt und seine Anhänger finster zu Boden blicken. Dieser Augenblick, da er vor seinen Gläubigen wie ein Schuljunge abgekanzelt wird, ist wohl der bedeutsamste im Leben des Mahdi. — Wenn er jetzt nachgibt, das spürt er, und sich vor diesem Flegel beugt, dann wird seine Nachgiebigkeit allen Glauben an -eine Sendung zertrümmern, dann ist er erledigt, als Scharlatan entlarvt. Und indessen er noch unschlüssig schwankt und nach einer Entscheidung sucht, beginnt plötzlich sich irgendein Übergewaltiges, von dessen Kraft und Übermaß er bisher nichts geahnt hatte, in ihm zu regen, und freudig spürt er sich tief innen, ganz tief innen, von Trotz und verletztem Ehrgefühl angefaßt. Eine unübersichtliche Strömung reißt ihn fort, und der gütige, weiche, wohltuende Glanz seiner Augen wird mit einemmal zu einem einzigen •"alten Blitz, der hart und abweisend zustößt. Die Veränderung 8
Hidts und seine Leute auf dem Vormarsch ist so augenfällig, daß der Offizier unsicher wird und freundlichere Töne sucht, um den Erfolg seiner Sendung nidu zu gefährden. Es sei wohl ratsamer, äußert er, sich dem Willen der Obrigkeit zu beugen, da sie über genug Mittel verfüge, ihrem Befehl Nachdruck zu verleihen, als in Überheblichkeit und Eigensinn zu verharren. Allein solche überzuckerten Drohungen machen nun keinen Eindruck mehr, denn Mohammed Achmed hat schon den ersten Schritt auf seinem neuen Weg getan, und er erwidert, die Seligkeit -.einer Erhöhung vorausempfindend: „Uns werden eure Kugeln nichts anhaben und eure Dampfschiffe werden mit ihren Kanonen versinken, wenn ihr es wagt, gegen den Abgesandten Gottes zu feuern." 9
Nach diesem Schimpf muß sich der Genoralgouverneur in K h i r t u m zu nadidrücklidien Maßnahmen entschließen. F.r sdiickt also eine Expedition von dreihundert Mann aus, um den störrischen Derwisch, den „schmierigen Dongolaner", cinzufangen. Aber die Truppe, sdilocht geführt und ohne jede Dis/.iplin, w i r d von den Jüngern Mohammed Achmeds im Morgengrauen überfallen und niedergemacht. N u r wenigen gelingt es, d is nackte Leben zu retten und nach Khartum zu entkommen.
„ M i r nahte Gott selbst. . ." M i t diesem Handstreich hat sich der junge Reformator außerhalb des Gesetzes gestellt, das erkennt selbst der Einfältigste, und w i , er von der Regierung von K h a r t u m von Stund an noch zu erwarten hat, das .sind Folter und T o d . Warnend hebt das Schicksal seinen Pinger. Aber Mohammed Achmed stürzt sieh bedenkenlos aus seinem f r i schen Ruhm hinab in einen Abgrund von Ungewißheit, wo höch.»ter T r i u m p h oder tiefste Veraditung d i d u nebeneinander auf ihn warten. Er sagt sich von allem los, was ihn an sein bisheriges Leben, die alte Stammesordnung und an sein Münchsleben bindet, und hell flammt nun aus seiner Seele die leidenschaftliche Beredsamkeit der ersten Flugblätter, die er unter das Volk streuen läßt: „ . . . M i r nahte Gott selbst, indem er sprach: ,Du bist geboren au> dem Lichtstrahl meines innersten Herzens. Gehe, reformiere die Moslems und gründe das Reich, dem der ewige Friede folgen w i r d . ' — Dann trat zu mir der Prophet, legte ein Schwert in meine H a n d und sprach: , M i t diesem Schwert wirst du siegen, denn A z r i e l , der Engel des Todes, w i r d d i r rorasttch reiten, und er trägt ein leuchtendes Banner in der Rechten, und Schrecken w i r d fallen auf deine Feinde.' " Zaudern ist nicht Mohammed Achmeds Sache, er kann, wenn es sein muß, auf unheimlich rasche Weise
darum verläßt er die Insel Abai und zieht mit seiner Gemeinde ins Gebirge von Gedir. Er weiß, daß der Sudan müde ist der .igvplischen Willkür, der Steuereintreiber, Soldaten und Gouverneure, müde der grausamen Gesetze und Strafen. Der Sudan will nur noch Ruhe, Ordnung und klare Verhältnisse, vor allem aber gänzliche Befreiung vom lästigen Joch der Ägypter und des hinter ihm stehenden Englands. Hundert Nachrichten münden jeden Tag in Mohammed Achmeds Hütte. Dieser Meister der Untergrundbewegung hat das ganze Land mit Spionen und Zuträgern durchsetzt. Denn Nachrichten und das Wissen um die Schwächen des Gegners sind alles. I-ür wieviel Baksdii-ch die Hauptleute, Jkzirkschcls und Steuereintreiber käuflich sind, von wem die Regiments-Obersten, dii höheren Regierungsbeamten bestochen werden — wer das weiß, wird in diesem Land des Orients vom Untertan zum Übergeordneten. In dem Augenblick, da er die Insel Abai verläßt, ist alles Religiöse — die Gebete, die täglichen Ermahnungen, die Reformierung des Islam — zugleich der Schild, hinter dem er seine machtpolitischen Absichten verbirgt. Er erhebt sich selbst zum Mahdi (sprich: machdi), predigt die Askese und gibt sich für den vom Propheten Mohammed verheißenen Erlöser aus. Bald lernt er auch die höchsten Geheimnisse der Macht kennen: sich sparsam und mit Vorsicht ihrer zu bedienen, sie allein im geheimen zu genießen.
Prophet der Befreiung So gesdiieht es, daß aus dem bescheidenen Klausner in wenigen Monaten ein Rebell und Diktator, ein Prophet der Befreiung wird, dem die Armen und Verfolgten zu Tausenden zuströmen. Denn welcher Volksführer ist nicht allzeit und allerorts beliebt, wenn er mit großen Versprechungen um sich wirft, den Himmel auf Erden verheißt und zu Zugeständnissen bereit ist, sofern man nur seine Kreise nicht stört und seine Politik durch stummes Gewährenlassen fördert. Er kennt die Schwächen der Menschheit, die Sehnsudit der Hungrigen nach einer gefüllten Schüssel, die Gier der Reichen nach noch mehr Geld und Luxus. Gut, sie mögen sich nehmen, was er ihnen zuwirft. Klug beruhigt er so den Lärm seiner Gegner. Ihr 11
Widerstand weicht wohlwollender Stille, und bald erkennt jedermann, daß es ebenso angenehm und einträglich ist, den Mahdi zum Freund zu haben, als es gefährlich ist, gegen ihn zu intrigieren. Die Flucht in die Unwegsamkeit der Berge verwandelt sich dank dem Führergenie Mohammed Achmed! zum Beginn eines triumphalen Aufstiegs. Wenn auch die Strapazen groß sind und die Hindernisse unüberwindlich erscheinen und Weiber und Kinder von der Ermahnung zu Geduld und Gott vertrauen nicht satt werden, so wird die mühsame Flucht in der Vorstellung der Gläubigen doch zui zweiten „Hedschra": Wie der Prophet Mohammed einst vor seinen Bedrängern floh, so sucht nun auch sein Nachfolger, der göttliche Mahdi, sich seinen Feinden zu entziehen, bis er stark genug ist, ihnen in offener Feldschlacht entgegenzutreten . . . Unterdessen werden neue Flugschriften verbreitet. Der Maluli fordert alle Gläubigen zum Heiligen Krieg gegen die ägyptischen Tyrannen auf, nennt seine Anhänger „Ansar", Glaubensstreiter — keiner kennt besser die famulierende Wirkung dieses Ehrentitels als er —, und verspricht allen, die den heiligen Kampf lür Gott und Religion mit dem Leben bezahlen, die himmlischen Freuden des Paradieses. Den Überlebenden aber stellt er als sichere Belohnung, da der Sieg nach dem Beschluß Gottes nicht ausbleiben kann, vier Fünftel der eingebrachten Beute in Aussicht. Ein Fünftel behält er sich zur eigenen Verfügung vor. Fanatismus und die Gier der Besitzlosen, das sind die treibenden Kräfte für seine Anhänger, und der Mahdi versteht es sie für seine Zwecke auszunutzen.
Der Sieg von Gedir Während die Mahdisten in den versteckten Tälern des Gebirges allmählich aus unzuverlässigen, zuchtlosen Horden zu einigermaßen einexerzierten Angriffskolonnen umgedrillt werden, zieht Jussufel-Schellali, der bewährte Feldherr der ägyptischen Regierung, mit einer wohl ausgerüsteten Armee von sechstausend Mann Mitte Mai 1882 in Faschoda ein, dem Hauptort der sudanesischen Südprovinz. Anfang Juni steht er in der Nähe der Berge von Gedir. Das Sdiicksal des Mahdi scheint damit im voraus besiegelt, denn er kann dem modernen Kriegswerkzeug Jussut Paschas nur ein paar hun12
dert Hinten, einige tausend Speere und Schwerter und die religiöse Begeisterung seiner zerlumpten Anhanger entgegenstellen. Aber leine geheime Sehnsucht nach Macht ist entflammt, sein Ehrgeiz grenzenlos. Es war so herrlich, so verlührerisch, Aufrufe zu verladen, feurige Ansprachen zu halten und Provinzen aufzuwiegeln; und diese herrliche Zeit soll, kaum daß die eigene Tatkraft zum Durchbruch gekommen ist, schon zu Ende sein? Nein! — Der Mahdi ist entschlossen, trotz der erdrückenden Übermacht das Äußerste zu wagen und den angebotenen Kampf aulzunehmen. Di» ägyptischen Bataillone beziehen mit herausfordernder Nachlässigkeit Biwak am Puß der Berge. Da die Regenzeit eingesetzt hat, ist das Land morastig, und die Soldaten, von dem beschwerlichen Marsch erschöpft sind wenig um ihre Sicherheit besorgt; kaum daß eine dünne Postenkette aufgestellt und das Lager-mit einem oberflächlich aufgeschichteten Dornenverhau befestigt wird. Die Nacht vor der Entscheidung ist stockfinster, der Blick reicht kaum fünfzig Meter weit. Während die Ägypter in tiefem Schlaf liegen, sammeln sich die Scharen des Mahdi hinter den letzten Hügeln des Gebirges, und dann bricht im ersten Morgengrauen der Sturm los. Ein grauenhaftes Gemetzel hebt an, denn ehe die Schläfer, aus ihrer Betäubung aufgeschreckt, zur Besinnung kommen, sind die Mahdisten schon über ihnen, und im Nahkampf regiert der Dolch, das kurze Schwert, die Lanze. Binnen kurzem ist das blutige Geschäft beendet. Von dem ganzen ägyptischen Heer entkommen nur hundertfünfzig Mann, um die Hiobsbotschaft nach Khartum zu bringen.
Der große Prediger Mit diesem einzigen fürchterlichen Schlag hat der Mahdi der Besatzungsmacht das Rückgrat gebrochen. Beruhigter sieht er jetzt in die Zukunft. In seine „Gottähnlichkeit" gehüllt wie in einen Panzer, in gut gespielter Zurückhaltung, unnahbar und undurchdringlich, prüft er das Kräfteverhältnis für die letzte Auseinandersetzung. Jeden, der sich ihm noch entgegenzustellen den Mut hat, kann er nach diesem Sieg zerschmettern; denn die Beute an modernen Waffen, an Munition, Pferden, Kanonen und Geld ist für die Zeit und die Verhältnisse bedeutend. Die Furcht seiner Gegner vor 13
•.einen fanatisierten Anhängern wird -vidi nun noch mehr, noch lahmender steigern. Seine Anspradien, voll rednerischem Schwung, geschliffen von Mali, werden auch die mißtrauisdien, argwöhnisch-/ rudcrnden Geister der einflußreichen sudanesischen Sdieidis gefügig machen. Schon schwenken manche,bereitwillig ein, reden von Unterwertung unter den Willen Gottes, preisen den Mahdi als den gewaltigsten Mann des Sudan, als den sicheren Sieger in diesem verwegenen, gefährlichen Spiel um die Freiheit und die Madit. Slatin-Pasdia, ein Österreicher aus St. Veit bei Wien, um diese Zeit ägyptischer Gouverneur der Provinz Dafür im südlichen Sudan, faßt die durdt die Sdiladit von Gedir entstandene Lage wie folgt zusammen: „. .. Es ist bekannt, daß alle unzivilisierten Völker außerordentIidic Erscheinungen oder Erfolge übernatürlidien Ursachen zuzusdireiben pflegen. Seit vielen Jahren ist der Sudan im Besitz der Ägypter. Wohl hatten in dieser langen Reihe son | ihren mandimal einige Araberstämme den Tribut verweigert und waren dafür gczüditigt worden, nie aber hatte es bisher jemand gewagt, sidi in dieser Weise — wie der Mahdi — gegen die Herren des Landes aufzulehnen und ihnen in aller Form den Krieg zu erklären. Und nun trat ein bettelarmer, frommer, bisher wenig bekannter Fakir auf und erfodit Sieg auf Sieg. Ja, es konnte nidit anders sein! Er hatte wahr gesprochen. Er mußte der erwartete, der von Gott nlte Meister, der Mahdi sein . . . " Und tatsächlich — in Zukunft versteht es der Mahdi vollkommen, den Stellvertreter Gottes auf Erden zu spielen. Er trägt ein etwas zu kurzes, vielfach geflicktes Gewand, das einen eigentümlichen Gerudi nadi Moschus, Sandelöl und Rosenwasser ausströmt — vergleichbar den im Himmel verbreitet.™ Düften, wie seine Anhanger sagen. Zur Stunde des Gebetes tritt er langsam, mit beabsichtigter Feierlidikeit aus seiner Hütte, laßt sidi nieder und verriditet als Vorbeter mit den Gläubigen die vorgeschriebene Andacht. Nachher spridit er über die Niduigkeit de-, irdisdien Daseins, über die religiösen Pfliditen, fordert zur Entsagung auf, zur Fortset/.uirg des Heiligen Krieges und sdiildert beredt die himmlisdie Glüdtscü'gkcit, die den Gehorsamen im Jenseits erwartet. 14
Zuweilen hebt er, um die Spannung zu steigern, die Stimme und läßt die blitzenden Augen von rechts nach links, von links nach rechts über die gleichsam hypnotisierte Versammlung schweifen, aus deren Mitte von Zeit zu Zeit der Aufschrei einiger in Verzückung geratener Fanatiker aufgellt. Im Tiefsten ergriffen, lauscht die Menge, bis das letzte Wort verhallt ist. Diese aufreizenden Ansprachen sind gewissermaßen der Kitt zwischen dem Mahdi und »einen Anhängern. Durch einfache Worte weiß dieser Witterer der Volksstimmung auch die ungebildetsten Hörer zu fesseln und zu letzter Hingabe mitzureißen. — „Nur wenige außer mir und meinen zwei Freunden", schreibt Slaiin-Pascha, der als Gefangener diese Reden monatelang anzuhören gezwungen wurde, „scheinen ein Gefühl für das Theatralische des ganzen Vorgangs zu haben." In geistigen Fragen wie in Dingen der Politik duldet der Mahdi keinen Widerspruch, keine andere Meinung, und wehe denen, die kühn über die von ihm gesetzten Grenzen hinausgehen, von seinen Vorschriften abweichen, seinen Willen durchkreuzen. Die Strafen sind mitleidlos, selbst für ein geringes Vergehen wartet blutige Vergeltung auf den Sünder. — Obwohl Cr täglidi über seine Pläne spricht, weiß doch niemand deutlich, was er für die nächste Zeit vorhat, was der viele Fäden spinnende, vielgestaltige Mann plant. Selbst seine Unterfeldherren, die Kalifen Abdullahi, Ali woled Helu, Mohammed Schtrif, werden nur über die für ihre Aufgabe wichtigen Aktionen im voraus unterrichtet. In Wirklichkeit ist dieser Prophet, der doch das Wort G o t t « offenbaren sollte, dessen Seele wie ein aufgeschlagenes Buch jedem zugänglich sein müßte, eisig in sich selbst verschlossen, undurchdringlich für jede Neugier.
Die Eroberung von El Obe'i'd Der Mahdi entwickelt nach dem Sieg von Gcdir die gleiche kalte Energie und Umsicht wie ein berufener Feldherr und erzielt blitzschnell weitere Erfolge. Während seine Unterfeldh.rrcn die südlichen und westlichen Randprovinzen des Sudan unterwerfen und eine Truppe des Gencralgouvcrncurs in Khartum geschlagen und zersprengt wird, treffen die Vorhuten der Mahdkien im September vor El ObcVd ein, und es kommt zu jener Schlacht, von der wir 15
sdion zu Beginn beriditet haben. Die Stadt ist von den Ägyptern gut befestigt worden und lür eine lange Belagerung reichlich mit Proviant versehen, zudem kommandiert ein energischer M a n n , Mohammed Said-Pascha, in ihren Mauern. Trotzdem befiehlt der M.iluli den Sturm. Der erste A n p r a l l ist so gewaltig, daß die stürmenden Kolonnen, ungeachtet ihrer furchtbaren Verluste, die Außenwerke überrennen und in die Stadt einbrechen. Da läßt der Kommandant rüdtsiditslof mit Kartätschen in die kämpfende Menge von Freund und Feind hineinschieben, fegt die Angreifer hinweg, und die Stadt ist fürs trete gerettet. A u d i die Angriffe vom 1. und 14. September werden abgesdilagen. Wenn Mohammed Said-Pasdia jetzt t a t k r ä f t i g n.tdigeseizt hätte, so wäre es vermutlich um den M a h d i , sein Prophetentum und sein Reidi geschehen gewesen. Denn die Mahdisten sind nadi dem ergebnislosen Sturm und infolge der außergewöhnlich schweren Verluste entmutigt, und mandie von den Stämmen rüsten sidi sdion, wieder in ihre Dörfer zurückzukehren. Aber es geschieht nichts, und der M a h d i gewinnt Zeit. Und jetzt, d.\ das Schiff gefährlich schwankt und bei seinem unsicheren Kurs jeden Augenblick zu scheitern droht, bewährt sidi und trägt Früdite, was sidi in den stillen Stunden des Einsiedlertums auf der Insel Abai an Glcidimut und Merisdienkentunis im Mahdi verankert hat. Seine Lippen flielicn über vom Ol versohnlidier Reden. Gottvertrauen, Askese, Todesmut — diese Worte kehren in seinen täglichen Ansprachen immer wieder, eindringlicher als sonst, und schließlich gelingt es dem unermüdlichen, nüchternen Verkünder seiner eigenen Revolution t.usädilidi, die Schwankenden unter seiner Fahne zu halten. Sie toben nun nidit mehr, stürzen sidi nidit mehr, wie sie es sidi untereinander getdiworen hatten, mit blanker Waffe gegen den redegewandten Rebellen. Sie beugen ihr l i a u p t , stammeln Gebete und lausdien immer wieder verzückt den Verheißungen auf ein schöneres Dasein im Jenseits. Der M a h d i hat richtig gerechnet: Diese Gemüter braucht man nur für irgend etwas zu begeistern, gleichgültig ob für eine bessere Z u k u n f t oder für Beute, und sdion hält man sie fest am Gängelband. Dennodi ist er vorsiditiger geworden, begnügt sidi damit, El Obei'd von der Außenwelt abzusdiließen, und wartet, bis der 16
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Hunger sein Werk getan hat. Das dauert sechs Monate, und als schließlich das letzte Huhn, der letzte Scheffel Korn verzehrt sind, steigt über die Mauern der bedrängten Stadt die weiße Fahne empor. Die Besatzung tritt in die Reihen des Maluli ein, der aus kluger Berechnung den wackeren Streitern Verzeihung gewährt und sie in Gnaden aufnimmt. Soldaten und Offiziere müssen schwören, auf Gott, den Propheten und den Mahdi zu vertrauen, nie an ihnen zu zweifeln, der Welt zu entsagen und den Glaubenskrieg fortzu-
Das Attentat auf General Gordon, den Verteidiger von Khartum, (Zeitgenössische Darstellung) 17
setzen. Dieser Schwur bewährt sich, er genügt, um die Gefolgschaft künftig zusammenzuhalten. Am 17. Januar 1883 zieht der Sieger in El ObeTd ein; was ihm an Beute zufällt, Kanonen, Gewehre, Munition und bessere Hieb- und Stichwaffen, macht sein Heer nun erst recht unbesiegbar. Ein Zeitgenosse beschreibt die Stimmung der Bevölkerung des Sudan nach der Einnahme von El ObeTd folgendermaßen: „ . . . Je mehr die Machtmittel Ägyptens zerbröckelten, um so mehr wuchs die Überzeugung im Lande, daß der Mahdi, inmitten dieses allgemeinen Zusammenbruchs, die rettende Arche sei; und die Leute befestigten sich in der Zuversicht, sich selbst zu nützen, indem sie ihm ihren Dienst anboten. Denn dieses ist das Geheimnis aller Herrschcrerfolgc, in dem Beherrschten die Überzeugung wach zu rufen, er werde seine eigenen Zwecke unter der Hand eben dieses Gebieters am sichersten erreichen . . . "
Der Allein-Herrscher In El ObeTd entsteht nun auch das erste Gesetzbuch des Mahdi, das die Lebensregeln der Gläubigen festlegt und mit barbarischem Eifer Strafen zumißt. Auf den Gotteslästerer wartet der Galgen. Dem Dieb wird auf offenem Markt die rechte Hand und der linke Fuß abgehackt. Keine Hochzeit darf mehr mit dem gewohnten Pomp und Schmaus begangen werden. Wallender, kriegerischer Haarschmuck ist verpönt. Hinfort hat sich der Gläubige mit Milch und Datteln zu begnügen und seinen Kopf kahlzuscheren. Auf geringeren Vergehen steht Beschlagnahme des Vermögens oder Einkerkerung in Ketten. Geprügelt wird, wer raucht oder ein Glas Wein trinkt. Wer flucht, muß jedes unflätige Wort mit achtzig Hieben büßen. Die Organisation des Mahdi-Reiches, das zu diesem Zeitpunkt bereits die Ausdehnung Mitteleuropas hat, ist äußerst einfach und für die Ziele des Mahdi zweckdienlich organisiert. Die Stämme der als Nomaden lebenden Araber regieren sich selbst nach überkommenem Brauch. Für die Zentralregierung aber wird eine Staatskasse eingerichtet, in der alles zusammenfließt, was an Zehnten, Beuteanteil, durch Vermögenswegnahme und Strafgelder erpreßt worden ist. Den 18
Grundstock bilden die in El Obei'd vorgefundenen 7000 G o l d stücke. Die oberste richterliche Gewalt liegt in den Händen eine» K.uli mit einigen Beisitzern. Sie haben vornehmlich über Fälle von Hochverrat zu befinden, und als Hochverrat gilt schon der leiseste Zweifel an der Sendung und Unfehlbarkeit des M a h d i . Das Studium der Theologie w i r d kurzerhand untersagt und alle religiös-wissenschaftliche Literatur verbrannt, denn das alte mohammedanische Reiigionsgeseta stimmt nicht immer mit den Anordnungen und I5eschlüssen des Mahdi überein. Erlaubt und eifrig gefördert w i r d hingegen das Studium des K o r a n , mit der Einschränkung allerdings, daß öffentliche Erörterungen und die Auslegung der Heiligen Sdirift verboten >ind. Man sieht, der Mahdi hat die wirksamste Methode jeder D i k t a t u r erkannt: die Meinungsbildung zu lenken und Opposition im Keim zu ersticken. Von der eigenen T a t k r a f t berauscht, von der lange unterdrückten Lust des Organisierens und Kommandiereiis ergriffen und von niemandem behindert, kann er sich, nun ungehemmt wie ein Despot austoben. U n d auch dies versteht er wie keiner: sein Privatleben vor den gläubigen Anhängern, die in i h m das V o r b i l d aller Reinheit und Askese zu sehen gewohnt sind, zu verbergen. Wenn er die mit A n t i m o n bemalten, von starkem Feuer glühenden Augen auf sie richtet, wenn seine mäditige Gestalt mit majestätisdien Gebärden vor sie hin t r i t t und der faszinierende Zauber seines Wesens sie packt, dann werden die Mißtrauischen gläubig wie Kinder, die Unruhigen, Aufbrausenden sanft wie Lämmer, und vergessen ist, was man sich von dem seltsamen privaten Lebenswandel des M a h d i in den Lagergassen zuflüstert. Längst hat sich der M a h d i , wie seine K a l i f e n und die bedeutendsten Emire plötzlich zu großem Reichtum gelangt, mit einem wahren Holstaat von Sklaven, Frauen und Dienern umgeben, mit einem T r o ß von prächtigen Pferden, Eseln, von Reitknechten und einer Leibwache in sdiimmernder Wehr. Er versteht zu leben, speist an wohlbeset/.ter T a f e l , schlürft süßen Dattelsaft m i t Ingwer aus den silbernen Kelchen, die man aus den christlichen Kirchen geraubt hat. Aber trotz dieser offensichtlidien Mißachtung seiner eigenen Lehren bleibt er dennodi unangetastet der Ordnende, Gestaltende und Zusammenhaltende dieser dunklen, wilden Masse von Todbereiten. 1»
Und wenn er hoch zu Roß, beim gewaltigen Klang der Kesselpauken und der Trompeten aus Elefantenstoßzähnen, das zusammengewürfelte Heer an sidi vorüberziehen läßt, dann spürt der Wissende: Hier steht ein Herrscher, so groß, so bedeutend, daß er keine Fesseln und keine Hindernisse auf dem Wege zur höchsten Machtstellung im Nil-Lande verträgt.
Der entscheidende Sieg In Kairo sind unterdessen die Vorgänge im Sudan, die bis dahin als „Komüdiantentum" abgetan wurden, zum Tagesgespräch geworden, und mit einem Ruck stellt sidi die ganze Öffentlichkeit auf die Seite der Befürworter energischer Maßnahmen. Allein, dem regierenden Khediven sind die Hände gebunden, denn er steht völlig unter europäischem Einfluß; die Engländer haben den Aufstand als willkommenen Vorwand benutzt, sich nodi stärker in Ägypten festzusetzen. Sie richten sidi in Kairo häuslich ein, und der vielgewandte Lord Cromer bestimmt von nun an die Politik des Landes und das (.evchidt des Sudan. F:ürs erste allerdings ist das englisdie Kabinett nodi nidit geneigt, sich mit Risiken und Kosten zu beladen; denn in London begreift man nicht, daß England, seit seine Armee in Ägypten steht, billigerweis.' audi die Verantwortung des wirklichen Machthabers tragen muß. An diesem verhängnisvollen Fehler wird solange festgehalten, bis sich unter dem Zwang der harten Tatsachen die Notwendigkeit einer Wirkung vollen Aktion aufdrängt. Das ist der Zeitpunkt, als Oberst Hicks b-.-auftragt wird, im Sudan Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. In der Rücksdiau bleibt es unverständlich, warum die Engländer dieser jämmerlichen Expedition ihren Beistand liehen und den Patch« — GeldrarTern aus Geiz, und Verschwendungslust — nicht besser auf die Einger sahen, obwohl alle halben und sdiwädilidien Maßnahmen gegen den Mahdi bis dahin gescheitert waren. Audi die Wahl des Obersten Hicks ist unbegreiflich. 1 licks ist ohne Zweifel ein braver Soldat mit einiger Erfahrung im Kolonialdienst, aber beschränkt, unsicher, im ivisernendienst groß geworden, ein Mann ohne Feldherrngabe. — Und erst seine Truppen! — wenn man diesen elenden Soldatenhaufcn, der nadi 20
einem Mun.it Drill teilweise in Ketten bis Khartum transportiert Verden muß, überhaupt als militärische Einheit ansprechen kann. Hinzu kommt noch die Zersplitterung der Führung. Man hat Hidu als L'nterfeldherrn den Ägypter Allah-el-din beigegeben, und wie nicht anders zu erwarten ist, halten sich die ägyptischen Offiziere an die Kommandos ihres Landsmannet, ohne sidi viel um die Engländer zu kümmern. Diese sogenannte Armee von etwa zwölf- bis fünfzehntaufend Mann, mit fünfundvierzig Geschützen und sechstausend Kamelen steht einer dreimal größeren, schlagkräftigen Übermacht gegenüber. Denn der Mahdi hat aus Sklavenhändlern, Negersklaven, Elefanten- und Straußenjägern ein vorzügliches, zuverlässiges Kontingent zusammengestellt und durch reguläre, ägyptische Truppen, die im Laufe der Monate zu ihm übergelaufen sind, verstärkt. Hicks begeht von allem Anfang an den unverzeihlichen Fehler, die Verbindung mit seiner Hauptstadt Khartum zu vernachlässigen, so daß er sich bald völlig isoliert in der Wüste im Landesinnern verliert. Schwerfällig, des Weges unkundig, mit kolossalem Troß belastet und am Nötigsten leidend, bewegt sich seine Armee vorwärts und erreicht schließlich, entkräftet und durch Strapazen und die Zwistigkeiten in der Führung zerrüttet, den dornigen Buschwald bei Kaschgil, in der Nähe von El Obeid. Und hier wird die Sache verzweifelt. Das Gelände ist ganz unübersichtlich, dem dichten Haufen von Menschen und Tieren, der im Schneckentempo dahinschleicht, fehlt jede Entfaltungsmöglichkeit, und der Geist der Truppe ist denkbar schlecht. Hicks versucht angesichts des Gegners, mit seiner aus Dienstvorschriften erlernten Taktik eine günstigere Angriffsstellung zu gewinnen. Aber schon ist es zu spät. Er hat zu lange gezögert, die Dinge zu lange dem Zufall überlassen. Jetzt gibt es keine Erleichterung mehr, keinen Ausgleich durch größere militärische Erfahrung. Der Mahdi ist durch Überlauter und seine Späher, die das ägyptische Heer bei Tag und bei Nadit, durch das hohe Gras gedeckt, umschwärmen, auf das genaueste über die verzweifelten Zustände beim Feind unterrichtet. Als er die Zeit für gekommen hält, bricht er mit seiner Hauptmacht von El Obeid auf. Ein blutiger Kampf steht bevor. Der Mahdi braucht nur den Finger zu rühren und es geschieht sein Wille, 21
wahrend Oberst Hicks, Scheinfcldhcrr und Scheinführer, ohnmächtig zusehen muß, wie seine ägyptischen Offiziere ihm den Arm lähmen und die Stimmung der Truppe gegen ihn lenken. Die Schlacht beginnt am 3. November 1883 mit einem Angriff der Mahdistui. Sofort verschanzt sich das ägyptische Heer in einem flüchtig errichteten Lager, wo die zusammengepferchte Masse von Soldaten und Tragtieren dem gut gedeckten Gegner ein offenes Ziel bietet. Anderntags befiehlt Hicks den Vormarsch, und dann geldliche das Unvermeidliche. Um seine eigenen Leute zu schonen, läßt der Mahdi bald hier bald da angreifen, damit der Gegner zermürbt wird und sich das Treffen in Einzelgefechte auflöst. Obwohl sich die wenigen Europäer, Engländer und Deutsche, mit äußerstem Mut und tatkräftiger Unerschrockcnheit zur Wehr setzen — einer nach dem anderen erliegt der Übermacht. Der unglückselige Hicks, den falscher Ehrgeiz und Überheblichkeit in diese Katastrophe geführt haben, fällt als einer der letzten inmitten seines erschlagenen Heeres. Drei Wochen später trifft in Khartum Oberst Coetlogon ein, der einzige Europäer, der dem Blutbad entkommen konnte, und seine Meldung ist ebenso kurz wie erschütternd: „Hicks is finished" — „Mit Hicks ist es zu Ende."
Ein Reich — groß wie Europa Der Mahdi steht in diesen Jahren in der Fülle seiner Kraft. Um diese Zeit gibt es unter den Völkern des Sudan kaum nodi eines, das sich ihm nicht als Retter erwartungsvoll zuwendet. In einem Aufruf an das ganze sudanesische Volk bestimmt der Mahdi den Kalifen Abdullahi zu seinem Stellvertreter und späteren Nachfolger: „Im Namen Gottes! — Wisset, o meine Anhänger, daß der Stellvertreter des Mahdi der Emir der Armee, der vom Propheten verkündete Abdullahi ist. Er gehört zu mir, und ich gehöre zu ihm. Bringt ihm die gleiche Verehrung entgegen, die ihr mir entgegen bringt, glaubt an ihn wie an mich, verlaßt euch auf alles, was er sagt, und zweifelt an keinem seiner Worte. Alles, was er tut, geschieht auf Befehl des Propheten und mit meiner Erlaubnis. Er ist mein Vermittler bei der Ausführung des Willens des Propheten. Der Kalif Abdullahi ist der Stellvertreter des Rtchtts. 22
Und so endige ich denn, wie ich begonnen: Claubct an ihn und befolget leine Befehle. Zweifelt niemals an dem, was er sagt, schenkt ihm euer Vertrauen. Möge Gott mit euch sein und euch alle beschützen. Amen." Unübersehbar sind die Folgen des Sieges von Kasdigil: Im Westen des Sudan fallen die letzten ägyptischen Stützpunkte, und sclbit im tropisdien Süden erheben sich die Stämme und zwingen den Gouverneur Emin Pasdia, einen ehemaligen Deutschen mit dem Namen Eduard Schnitzer aus Oppeln in Obersdilcsien, zum Rückzug auf die Großen Seen. Im Osten treibt der Unterfeldherr Osman Digna den Aulstand bis hart an die Kü>ten des Roten Meeres, und ehe da> Jahr 1883 nodi zu Ende ist, beherrsdit der Mahdi ein Gebiet, das fast dem Flächeninhalt von Europa gleichkommt. Das Hauptquartier ist von El Obei'd nadi Rahad verlegt, drei Kameltagereisen von Obeld entfernt, und die vollständige Inbesitznahme des Sudan ist jetzt nur nodi eine Frage der Zeit. — Da erfährt der Mahdi durdi seine Spione, daß am 18. Februar 1884 der englisdie General Gordon fast allein, jedenfalls ohne Armee, in Khartum angekommen ist. Aber mit Achselzucken belädielt er jetzt dieses Ereignis, das ihn nodi vor kurzem vermutlidi nidit wenig crsdired« hätte. Er gewährt der Friedensbotsdiaft des neuen Generalgouverneurs nidit einmal die Ehre einer Erwiderung. Was bildet sidi dieser Engländer ein, ihm, dem Herrn des Sudan, dem Abgesandten Gottes, dem Sdiwert des Engels Az.riel, gnädigst seine Geneigtheit auszusprechen, ihn als Sultan im inneren Sudan anzuerkennen und von Handelsbeziehungen zu reden! Ist das angcsidits des ungleidien Verhältnisses der Kräfte nidit wie Hohn* Statt 7.u verhandeln, wird min den fredien Giaur, diesen Ungläubigen, zum Teufel schicken! Was in diesem großen Spiel um Macht zahlt, das sind nicht Gordons leere Worte, hinter denen nichts steht als einige tausend Mann und eine sdiledit befestigte, isolierte Festung, sondern hunderttausend modern bewaffnete Glaubensstreiter, hundert Kanonen und die unersdiöpflidie Mensdienreserve des Sudan. Im stillen mag sich der Mahdi gewundert haben, daß ein Mann wie Gordon ihm, dem Sieggewohnten, soldie Angebote madit. Denn Gordon kennt den Sudan und die Stimmung seiner Bewohner wie keiner. Sdion einmal, von 1874 an, vertrat er für einige Jahre
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den Khediven in Khartum und ging damals dem Sklavenhandel mit aller Rück>ichtslosigkeit zu Leibe. Er gewann sich mit diesem Eingriff in altüberkommene Einrichtungen und Gewohnheiten wenig Ereunde, und für die Sklavenhändler und den Troß ihres Gefolges wirkte sein Name noch lange wie das flatternde Tuch auf den Stier.
. . . anzusehen wie ein Kriegsgott In Wahrheit hat Gordon nach umständlichem Hin und Her nur den Auftrag übernommen, den Sudan zu räumen und alles Kriegsmaterial, die Akten, Beamten und ihre Familien und die Europäer nilabwärts in Sicherheit zu bringen. Sonderbarerweise aber ändert er, kaum in Khartum angekommen, eigenmächtig diesen Befehl. Der triumphale Einzug in seine Residenzstadt, wo er als Retter angesehen wird, die Ergebenheitsbeweise von Leuten, die unter der Herrschaft des Mahdi alles zu verlieren haben, trüben ihm den Blick, lassen ihn an Tatsachen, wie sie nun einmal sind, vorbeisehen. Und schließlich ist auch er eine Kämpfernatur und was er einmal fest in Händen hält, das gibt er nicht gern ohne Schwertstreich wieder her; das hat er schon im Krimkrieg, in China und auf der Insel Mauritius bewiesen, überall da, wohin ihn der Befehl der Regierung geschickt hat. Den Mahdi unterschätzt und verachtet er, hält ihn für einen verschlagenen Volksverführer, der es intolge der ägyptischen Mißwirtschaft leicht hatte, sich durchzusetzen. Man muß ihm nur die Zähne zeigen, ein paar Monate in Khartum energischen Widerstand leisten, bis ein englisches Entsauheer heran ist, und der ganze zügellose Haufen von Mahdisten wird auseinanderlaufen. Davon ist er von Tag zu Tag fester überzeugt, und aus diesem Grund will er die englische Regierung durch sein Bleiben zwingen, ihn, wenn er erst in ernste Schwierigkeiten gekommen ist, herauszuhauen und den Sudan zu besetzen. Gordon handelt, befestigt die Stadt — er ist von Haus aus Pionieroffizier —, drillt seine Soldaten, die unter der laxen ägyptischen Führung verlottert sind, und verspricht der Zivilbevölkerung den Anbruch einer freieren,, glücklicheren Zeit, indem er die Steuern heruntersetzt, den Wucherern das Handwerk legt und die politischen Opfer seiner Vorgänger aus den Gefängnissen entläßt. Stock, Peitsche und Brandeisen werden abgeschafft und auf offenem Markt 24
Die Schlacht bei Omdurman 1898. das Ende des Mahdi-Reiches (Zeitgenössische Darstellung) vernichtet. Während das alles geschieht, tammelt der Mahdi seine I leeres macht iura Angriff auf Kh.mum. In Gordons Autzeichnungen über die Belagerung Khartums durch die Scharen des Mahdi wird nichts beschönigt. Alles wird mit soviel Einzelheiten geschildert, daß man den Untergang der Stadt förmlich Schritt für Schritt herannahen sieht. Und immer wieder findet Gordon Zeit, über Vorkommnisse zu schreiben, die an sich unbedeutend sind, aber dennoch einen Teil seines Lebens ausmachen und wie ein 25
Spiegelbild seine von Optimismus rasch zur Verzweiflung wechselnde Stimmung aufzeigen. Sein Klick hascht nach allem Merkwürdigen: Er lieht die Gewohnheiten der Diener; entdeckt in einem Araber Ähnlichkeiten mit dem britischen Premierminister Gladstonc; er ärgert sich, wenn Müßiggänger in seinem Beamtenstab um Gehaltserhöhung cinkommen, als gebe es jetzt keine anderen Sorgen. Kurz, sein Auge übersieht nichts in seiner Umgebung. Nur die tatsächlichen militärischen Machtverhältnisse im Sudan verkennt er. Im Monat nach der Ankunft Gordons in Khartum setzt sich das Heer des Mahdi in Bewegung — einer kolossalen Völkerwanderung gleich, wie sie der Sudan noch nicht gesehen hat, eine schlagkräftige und für orientalische Verhältnisse gut organisierte Armee. An jedem Freitag nimmt der Mahdi selbst die Parade ab. Mit der Front gegen Osten, Westen und Norden versammeln lieh dann in einem riesigen, auf einer Seite offenen Viereck die Emire und ihre Gefolgsleute unter dem Gewimmel von schwarzen, grünen und roten Fahnen. Lanzen, Gewehrläufe und die Rohre der eroberten Geschütze blitzen im grellen Licht der Sonne, während der Mahdi auf edlem Roß, an der Spitze eines kleinen Gefolges im Schritt vorüberreitet, anzusehen wie ein Kriegsgott, die Augen leuchtend unter der Überfülle des Glücks und des Machtbewußtseins, ein seltsames Lächeln auf den Lippen. Später in den Unterkünften machen dann die unsinnigsten Gerüchte die Runde. Begeistert oder ängstlich flüstern die Krieger einander zu, was an Wunderbarem ihnen bei der Parade aufgefallen ist: Die einen haben den Propheten Mohammed an der Seite des Mahdi gesehen; andere behaupten, himmlische Stimmen, welche die versammelten Glauben »Streiter gesegnet hätten, vernommen zu haben, und einer der Emire aus Sennar schwört darauf, daß der Schatten einer vorüberziehenden Wolke in Wahrheit der Schatten eines Engels, eines Boten des Allmächtigen, gewesen sei, der den Gläubigen Kraft und Sdiutz geben sollte.
Untergang Khartums Khartum wird auf der Landseite in einer Länge von zwölf Kilometern umfaßt. -Den Belagerungsgürtel verstärken ka-stcllartige Befestigungen, und von der Ostseite des Blauen Nils feuern ununtcr26
brochcn starke Batterien herüber in die Stadt. — 318 Tage, bis /um 26. Januar 1885, hält Gordon stand, und in dieser Zeit wechseln Ausfalle, Scharmützel, unbedeutende Erfolge für die eine wie für die andere Seite miteinander ab, ohne den Gang der Ereignisse entscheidend zu beeinflussen. Der Mahdi sitzt in seinem Hauptquartier in der Nähe von Omdurman und hält mit seinem Heer wie mit einer mächtigen l-'aust die unglückselige Stadt umklammert. Er nimmt sich Zeit. Es eilt ihm nicht, denn er ist seiner Sache sicher. Keine Maus wird ohne seinen Willen aus der Festung entkommen, und es ist gleichgültig, ob die Belagerten einen Monat früher oder später die Waffen strecken. Während der Mahdi selbstbewußt und lässig die Umzingelung von Khartum betreibt, streifen •seine Vortruppen schon den Nil hinab bis zum dritten Katarakt. Von da bis Assuan in Oberägypten ist nur noch ein Sprung. Wenn erst einmal der ganze Sudan und der mittlere Lauf des Stromes fest in seiner Hand sind, liegt Ägypten bis zum großen Delta vor ihm offen, denn der Khedive verfügt über keine schlagkräftigen Truppen mehr, die den seinen gewachsen wären, das weiß er aus hundert Berichten. — So überlegt der Mahdi. Und so läßt er sich durch nichts irremachen, weder durch den hartnäckigen Widerstand Gordons und gelegentliche Schlappen, noch von dem englischen Entsatzheer, das seit dem 15. August von Kairo aus unterwegs ist und, im Schneckentempo vorankriechend, nach fünf Monaten erst bei El Metämmeh, hundert Kilometer nördlich von Khartum, steht. — Mögen die Engländer nur kommen! Man wird sie schon zu empfangen wissen und mit ihnen fertig werden. Wohl mehr aus Hohn als mit einem bestimmten Zweck schickt der Mahdi an Gordon ein Bündel Kleider mit einem Brief: „Von dem Diener des Herrn, Mohammed el Mahdi Ibn Adallahak, an Gordon, im Namen Gottes, des Erbarmers des Barmherzigen. — Ich schicke Dir eine Gewandung, nämlich einen Rock, einen Mantel, Turban und Mütze, einen Gürtel und eine Gebctschnur. Das ist die Kleidung derer, die dieser Welt entsagen samt ihrer Eitelkeit, und die da entgegenschauen der kommenden Welt, der ewigen Glückseligkeit im Paradies. Wenn Du Gott zu schauen wünschest und Dein Leben Ihm gefallen soll, so gehe hin, lege dieses Gewand an und komme hervor, daß Du empfangest Dein ewiges Wohlergehen." 27
Eine Antwort erhalt der Mahdi nicht. In der Frühe des 26. Januar 1883 sammelt sich die Hauptmasse der Mahdisten gegenüber den Befestigungen, die bei Khartum an den Nil stoßen. Der Fluß bildet hier bei sinkendem Pegelstand eine Furt, und das Wasser reicht den Stürmenden kaum bis zu den Hüften. Dieser Punkt ist der schwächste im ganzen Befestigungssystem dei Stadt und aus unbekannten Gründen nicht wie es sein sollte gesichert worden. Zudem sind die Verteidiger durch lange Entbehrungen entkräftet, es gibt nur noch Brot aus Palmbaumrinde. Als im fahlen Licht des Morgens eine dunkle, dichtgedrängte Masse vim Menschen sich durch den Fluß auf sie zuschiebt und fast lautlos näher und näher kommt, packt die Männer auf den Wehrmauern das Entsetzen. In panikartigem Schrecken finden sie gerade noch Zeit, ein paar Alarmschüsse in die Luft zu feuern, dann rennen sie davon. Hinter ihnen erreichen die Angreifer, ehe die Besatzung >ul den Beinen ist, das Bourre-Tor im Osten am Blauen Nil und das Mesalamich-Tor am Weißen Nil, überwältigen in wütendem Angriff alles, was sieh ihnen in den Weg stellt, und brechen bei Sonnenaufgang in Massen in die kaum erwachte Stadt ein. Die fanatischen Mahdisten, denen nichts am eigenen Leben liegt, schonen auch das Leben anderer nicht. Sie schlagen wahllos tot, plündern, zerstören den halben Tag über, bis endlich ein Befehl des Mahdi ihrem Wüten Einhalt gebietet. Wie Gordon fiel, bleibt unklar. Vermutlich erreichte ihn sein Ende in der Nähe des Regierungspalastes. Slatin-Pascha, der auch um diese Zeit noch Gefangener des Mahdi ist, aber an den Kämpfen nicht teilnahm, berichtet über das Ende Gordons: „ . . . Die in den ebenerdigen Räumen befindlichen Diener des Generals wurden niedergemetzelt. Er selbst erwartete den Feind auf den obersten Stufen der zu seinen Gemächern führenden Treppe. Ohne sich um seinen Gruß zu kümmern, stieß ihm der erste Angreiter, die Stufen emporspringend, die Lanze in den Leib. Gordon fiel mit dem Gesicht nach vorn lautlos auf die Treppe und wurde von seinen Mördern bis vor den Eingang des Palais gesdileppt. Hier wurde sein Haupt vom Rumpf getrennt und an den Mahdi und seine Kalifen gesandt, die es mir zu zeigen befahlen." Um die gleiche Zeit, da die Mahdisten in die Stadt einbrechen 28
und die Widerstandsnetter eines nach dem anderen überwältigen, nähert sich eine Vorhut des englischen Entsai/hecres auf kleinen Dampfern schon der Nordspitze der Nilinsel Tuti, in Sichtweite von Khartum — 24 Stunden zu spät. Als am folgenden Tag der Oberbelchlshabcr, General Wilson, durchs Glas die Fahne des Mahdi über der Stadt erkennt, kehrt er um, gibt auch das Lager bei Metämmeh auf und marschiert nach Kairo zurück.
Zu neuem Siegeszug gerüstet In England bricht auf die Nachricht vom Fall Khanums und dem schmählichen Ende des Generals Gordon ein wütender Sturm gegen die Regierung los, die durch ihr hartnäckiges Zögern die Schuld an der Katastrophe auf sich geladen hatte. Man fordert, daß ein neues Expeditionsheer in Marsch gesetzt werde, um den falschen Propheten zu züchtigen, den Sudan zu erobern und zu einer englischen Kolonie zu machen. Allein England ist gerade durch ernste Verwicklungen mit Rußland bedroht, zieht alle verfügbaren Truppen aus Ägypten zurück, und die Aufregung verebbt: Die Drohung eines europäischen Krieges überschattet Gordons Schicksal. Und so bleibt der Mahdi unangefochtener Herr im Sudan. Der Mahdi kann es kaum fassen, daß ihm die Engländer das ganze ungeheure Gebiet kampflos überlassen. Er ist außer sich vor Freude, und sein lange unterdrücktes, klug beherrschtes Temperament geht jetzt mit ihm durch. Großspurig und von seinen eigenen Worten berauscht, schildert er seinen Gläubigen den völlig unbelästigt durchgeführten Rückzug der Armee Wilsons als kopflose Flucht. Der Prophet Mohammed habe ihn wissen lassen, verkündet er mit gewaltiger Stimme, daß die Wasserschläuche der zurückgehenden Ungläubigen durch göttliche Fügung undicht geworden und alle Widersacher Allahs dem Durst erlegen seien. Hemmungslos läßt er seiner Phantasie freien Lauf, und jedes seiner Worte findet fruchtbaren Boden bei der kritiklosen Menge. Knapp fünf Jahre steht der Mahdi nun Auf der Bühne der Weltgeschichte. Daß hinter dem ehemaligen Klausner in Lumpen eine solche Persönlichkeit steckt, das hat in Europa noch niemand geahnt, und auch jetzt sind sich nur wenige der Gefahr bewußt, die Agyp29
ten, dem Vorderen Orient und Indien drohen, wenn alle Mohammed.iner ganz und gar dem Glanz des Imperators verfallen. In Jahrhunderten hat der Sudan nicht einen derart überlegenen Geist hervorgebracht, einen Mann von >o imponierender Größe. Selbst die Kalifen und stolzen Emire, die um ihn sind und seine Schwädicn kennen, nahen sich ihm unterwürfig mit einem Fußfall, und mit einem Fußfall empfehlen sie sich wieder, nicht anders wie die kleinen Schmeichler und Speichellecker. All diese hohen und höchsten Würdenträger nehmen widerspruchslos in sklavischer Unterwürfigkeit die Befehle ihres Herrn entgegen; vertrauliche Besprechungen zu pflegen wie an den Anfängen seiner Laufbahn, ist längst nicht mehr Gewohnheit des Mahdi, gegen den Willen dieses Mannes gibt es keine Gegenrede. Das Reich mit seinen achtzehn Millionen Einwohnern wird durch restlose Überwachung in Schach gehalten. Der Mahdi kontrolliert vermöge seiner Zuträger, von denen Tausende zu seiner Verfügung stehen, die privaten Verhältnisse seiner Generäle, Richter und Staatsbeamten. Ihm entgeht keine der schmutzigen Intrigen unter den Emiren, keines der Zechgelage seiner Kalifen, selbst über den Viehraub der Nomadenstämme an den Grenzen ist er unterrichtet. Seine Macht über die Menschen, erworben durch systemaiisdie Beobachtung, Geschicklichkeit und Verachtung, hat etwas Magisches und Hypnotisches. Nach der Eroberung von Khartum wird der ganze Sudan von den Anhängern des Mahdi besetzt. Von Redjaf, fast an den Quellen des Weißen Nils, bis Sarra in der Nähe des zweiten Katarakts; vom Marathgebirge im Westen bis zum Tana-See in Abessinien — in einem Gebiet von weit über einer Million Quadratkilometern Umfang — gelten jetzt das Wort des falschen Propheten und sein Macht>prudi als höchstes Gesetz. Zwar sehnt sich das Land nach der langen Unterdrückung und den blutigen Kriegen endlich nach Ruhe, der Mahdi aber rüstet bereits für einen neuen Feldzug. Seitdem er Khartum, die Schlüsselstellung nach Ägypten hin, in Besitz hat, denkt er nicht mehr an den Sudan allein, an die Völkerstämme, die ihm zum Sieg verhalfen, sondern mehr noch an die Niloase, an Palästina und das Zweistromland. Nachdem er die erste Aufgabe, .dieer sidi gestellt hat, gelöst und die Knechtsdiaft der Sudanesen in 30
Befreiung umgewandelt hat, ist er jetzt im Begriff, diese kaum geschenkte Freiheit gewaltsam aufs Spiel zu setzen. Sein Plan ist gleichzeitig ein Plan des Mutes und des Übermutes, frevelhafte Selbstüberschätzung und Heroismus zugleich. Er geht nach Omdurman, um die Niederwerfung des Vorderen Orients vorzubereiten.
Der Tod des Propheten Doch Mitte Juni erkrankt er plötzlich und erscheint einige Tage nicht zum Gebet. Vorerst macht sich noch niemand ernshafte Sorgen, denn man hat ja oft genug bei den täglichen Ansprachen zu hören bekommen: dem Mahdi sei die frohe Botschaft zuteil geworden, daß er nicht eher sterben werde, als bis Mekka, Medina und Jerusalem befreit seien. Dann erst, nach einem langen, glorreichen Leben, werde er seine Tage in Kufa am Euphrat beschließen. „Nach einem langen, glorreichen Leben . . . " Und jetzt ist er erst vierzig Jahre alt, ein rüstiger Mann. Da ün nichts zu fürchten, so denken die Getreuen. Allein es handelt sich durchaus nicht um ein leichtes, rasch vorübergehendes Unwohlsein, sondern um einen schweren Fall von Typhus. Am Abend des sechsten Tages wird die um sein Haus versammelte Menge aufgefordert, Bittgebete für die Genesung ihres Herrn und Meisters zu verrichten. Aber erst, als der Tod schon auf der Schwelle steht, erfährt die Schar der Gläubigen erschüttert den wahren, hoffnungslosen Zustand des Mahdi. Man hat ihn bisher mit den üblichen Mitteln der orientalischen Hausapotheke gepflegt und holt nun in letzter Stunde den Ägypter Hassan Seki herbei, Arzt im Militärhospital von Khartum, der durch irgendeinen Zufall dem Gemetzel entgangen ist. „Aber Hassan Seki erkannte wohl", wie Slatin Pascha schreibt, „daß menschliche Hilfe nicht möglich sei. Er war überhaupt nicht geneigt, helfend einzugreifen, und fürchtete überdies, daß, wenn er dem Kranken eine Medizin verabreichen und dieser, wie er bestimmt voraussah, dann sterben würde, er als dessen Mörder angesehen werde und der größten Gefahr ausgesetzt sei." Als es zu Ende geht, versammeln sich die drei Kalifen und die nächsten Verwandten um das Lager des Sterbenden. Während draußen die Gebete der verängstigten Menge und die grellen Anrufe der Gläubigen in das dumpfe Gelaß dringen und in der Ecke 31
Siddina Aischa — die Hauptfrau des Maluli, „Mutter der Gläubigen" — still vor sich hinjammert, wiederholt der Mahdi, /wischen kurzem Wachsein und langer Bewußtlosigkeit, den Wortlaut jenes Aufrufs, in dem er den Kalifen Abdullahi zu seinem Vertreter und Nachfolger bestimmt hat: „Der Kalif Abdullahi ist durch den Propheten zu meinem Nachfolger eingesetzt. Er ist von mir, ich bin von ihm. Wie ihr mir gefolgt seid und meine Befehle ausgetührt habt, haltet es auch mit ihm. Gott erbarme sich meiner!" Sechs Monate nach seinem höchsten Triumph, der völligen Inbesitznahme des Sudan, endet das unerhört erregende Dasein des Mahdi. Seinen Leib bettet man in dem Raum, in dem er gestorben ist, zur letzten Ruhe und errichtet eine großartige Gedenkstatte darüber. Aber nicht dieses Gebäude hält die Erinnerung wach an den gefürchteten, gelährlichen und angebeteten Menschen, der mit seinen kühnen Prophezeiungen fünf Jahre lang die Welt in Staunen \ersetzte und alle seine Widersacher in die Knie zwang; vierzehn Jahre später wird die prunkvolle Ruhestätte durch die siegreichen Engländer dem Erdboden gleichgemacht. Der Grabbau, zu dem heute die Sudanesen pilgern, ist erst in neuerer Zeit über den Trümmern dej alten errichtet worden (vgl. das Umschlagbild). Mehr als in dem Steinmonument lebt die Erinnerung an den Mahdi in den Herzen der Sudanesen weiter, denn er allein von allen Mitspielern seiner Zeit wirkte in die Zukunft. Sein Nachfolger Abdullahi, der zu schwach war, das große Werk fortzusetzen und zu bewahren, und der General Kitchener, der mit seinen Geschützen in dem schrecklichen Blutbad von Omdurman die Scharen der M.ihdisten niederkartätschte, hinterließen Angst, Grauen und Zerstörung. Das Beispiel des Mahdi aber entzündete in den Völkern des Sudan jenen Funken von selbstbewußtem Nationalismus, der, zui Flamme entfacht, im Jahre 1956 die Fremdherrschaft endgültig zum Abschluß brachte und eines der erstaunlichsten Dramen der Neuzeit beendete. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Ullstein-Bilderdienst L u x - L e s e b o g e n 3 9 0 (Geschichte) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliehe Hefte —Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und Jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Le.sebogen sind in jeder guten Buchhandlung: vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.