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Seewölfe 363 1
Davis J.Harbord 1.
An jenem Abend Mitte September 1593, an dem die Seewölfe mit dem Franzosen Honore Letray an Bord der „Isabella IX.“ Rabbit Island ansteuerten und auf diesem Eiland vor der Festlandküste eine immense Schatzbeute vereinnahmten, liefen fünf gut armierte spanische Galeonen sehr viel weiter östlich in den Hafen von Pensacola ein. Dort, an der Nordwestküste von Florida, hatten die Spanier einen Stützpunkt errichtet - in der Hoffnung, von hier aus den nördlichen Golf von Mexiko besser kontrollieren zu können. Schnapphähne aus der Karibik trieben dort ihr Unwesen, aber es galt auch, andere Neugierige von dem Land fernzuhalten, das vielleicht Reichtum barg und erst von ein paar Konquistadoren erforscht worden war. Dieses Land mußte von unheimlicher Größe sein - ein Grund mehr, es gegen Glücksritter, Abenteurer oder gar forschende Seefahrer aus den anderen Ländern der Alten Welt abzuschirmen oder zu verhindern, daß andere Mächte aus dem alten Europa an diesen Küsten Fuß faßten und womöglich ihrerseits Stützpunkte errichteten. So herrschte in Pensacola ziemliche Aufregung, als die fünf spanischen Kriegsgaleonen unter dem Kommando des Don Augusto Medina Lorca einliefen, im Hafen vertäuten und die sehr ehrenwerten Senores des Flaggschiffs „Santa Veronica“ sehr schnell an Land gingen, kaum daß die Stelling ausgebracht war. Die Mienen dieser sehr ehrenwerten Senores versprachen wenig Gutes und sahen insgesamt so aus, als seien ihnen einige Läuse-Geschwader über die Leber gelaufen. Die Herumlungerer und Tagediebe, die es hier genauso wie in allen Häfen der Welt gab, registrierten diese miesen Mienen der sehr ehrenwerten Senores und erbauten sich daran, weil so etwas selten geschah. Denn sonst pflegten die Senores sehr hochmütig dreinzuschauen, etwa so, als
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seien sie Seine Allerkatholischste Majestät im fernen Spanien höchstselbst. Dieses Mal waren sie nicht „höchstselbst“, blickten auch nicht blasiert über das Hafengetriebe, als sei alles ein einziger Ekel, nein, sie stierten bodenwärts, obwohl dort Dreck und Unrat herumlag, der sonst für ihre hochwohlgeborenen Augen eine Beleidigung war. Und das freute die Strolche im Hafen, die Penner, Eckensteher und Faulsäcke, die als menschliches Treibgut zu bezeichnen waren, durch irgendeinen Wind an diese ferne Küste geschwemmt und hier hängen geblieben. Als die Senores in der Kommandantur verschwanden, rissen die Kerle dann doch die Augen auf, und ihr höhnisches Grinsen verflüchtigte sich, denn weitere Personen trabten über die Stelling an Land, aber das waren weiß Gott keine Hochwohlgeboren, nein, das waren eher Typen ihres Schlages. Die Tagediebe hielten Maulaffen feil. Das taten sie sonst auch nach Art ihres beschäftigungslosen Herumtrödelns, aber jetzt gerieten sie doch ins Staunen. Denn die Kerle, die nach den Senores das Flaggschiff verließen, waren gefesselt und wurden von mindestens doppelt so vielen Seesoldaten bewacht. Diese Kerle sahen zum Fürchten aus. Noch fürchterlicher - und das war wie ein Hieb in die Magengrube - wirkte das große knochige Weibsbild, das indianischer Abstammung zu sein schien. Aber eher war vorstellbar, daß diese Hexe der Hölle entstammte und demnach nicht gefesselt sein durfte, sondern auf einem Besen durch die Lüfte hätte reiten müssen. Einer der Herumlungerer zischte: „Mardengo und Oka Mama, des Teufels Großmutter!“ Und damit verschwand er, als sei der. Leibhaftige samt Familie und Gefolge an dieser Küste erschienen, um Pensacola mit Feuer, Pech und Schwefel auszurotten und auszuräuchern. Es stimmte, was er den anderen zugezischt hatte - bis auf die Tatsache, daß Oka Mama nicht des Teufels Großmutter, sondern die Mutter Mardengos war. Aber das kam fast aufs selbe hinaus, ob nun Mutter oder
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Großmutter. Denn Mardengo selbst war ein Teufel, der Teufel von Florida, das er den Spaniern mit seinem Angriff auf Fort St. Augustine hatte entreißen wollen. Die Kerle, die am Hafen herumlungerten, gaben Fersengeld, zumal die Seesoldaten ausschwärmten und mit ihren angeschlagenen Musketen sehr deutlich unterstrichen, daß sie rücksichtslos schießen würden, falls der Pöbel versuchte, den Galgenvogel Mardengo, seine Oka Mama und die Bande zu befreien. Aber da konnten sie ganz unbesorgt sein. Die Tagediebe hatten vor Mardengo und seinem Haufen mehr Angst als vor der bewaffneten spanischen Macht. Sogar gefesselt war diese berüchtigte Piratenbande immer noch furchterregend. Zwar sahen sie allesamt ziemlich gerupft aus, aber gerade ihre Blessuren zeigten an, daß mit ihnen nicht zu spaßen war. Fünfzehn Kerle waren es, die mit Mardengo und Oka Mama zur Feste getrieben wurden, wo man sie in den Kellerverliesen einlochen würde. Das Ganze war ziemlich rätselhaft. Wenn man Mardengos Piratenhorde zerschlagen und ihn selbst mit Oka Mama und fünfzehn Kumpanen gefangen hatte, warum bliesen die ehrenwerten Senores dann Trübsal, statt sich über den Fang zu freuen? Sehr merkwürdig war das. In Pensacola wucherten die Gerüchte und trieben seltsame Blüten. Schon Tage zuvor war bekannt geworden, daß Indianersklaven in dem spanischen Lager an der Waccasassa Bay rebelliert hätten und mit einer nagelneuen Galeone in den Golf von Mexiko geflohen wären. Das mußte man sich mal vorstellen! Halbnackte Wilde auf einem Schiff Seiner Allerkatholischsten Majestät! Allerdings sollte diesen dreisten Wilden ein schwarzhaariger Teufel geholfen haben, als Don Bruno Spadaro mit seiner „Galicia“ die Ausbrecher auf See gestellt hatte. Die „Galicia“ war ohne Fockmast und mit ziemlichen Brandschäden nach Pensacola zurückgekehrt, gewissermaßen auf einem Fuß hinkend. Dieser schwarzhaarige Teufel - man erzählte sich,
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er sei aus England - und seine höllischen Gesellen sollten bei dem Gefecht mit der „Galicia“ regelrecht Feuer gespuckt haben, Feuer aus Flaschen! Ja, dieser Teufel aus England sollte mit dem Teufel Mardengo einen unheiligen Bund geschlossen haben mit dem Ziel, alle spanischen Siedlungen in der Neuen Welt einzuäschern, die Frauen zu entführen und zu verhexen und die Männer am Halse lang zu ziehen oder über dem Feuer zu rösten. Die Leute von Pensacola einschließlich der Tagediebe sahen dunkle Wolken über sich aufziehen. Vielleicht stand sogar der Weltuntergang bevor. Da sollten die höllischen Mächte vorher besonders wild toben und ihr Unwesen treiben - sagten die frommen Padres! Indessen versammelten sich folgende Senores in der Stadtkommandantur: Don Augusto Medina Lorca, Befehlshaber des Verbandes der fünf Kriegsgaleonen, mit denen er eigentlich zu dieser Zeit längst auf dem Wege nach Spanien sein sollte, Don Lope de Sanamonte, Kommandant von Fort St. Augustine, den die Seewölfe um einen Schatz erleichtert hatten, der dem spanischen König zugedacht gewesen war, und Don Jose Isidoro, Kapitän der auf ein Riff gelaufenen und dann von Duvaliers Piraten ausgeplünderten „Santa Teresa“, sowie sein Erster und sein Zweiter Offizier, zusammen mit ihrem Kapitän die drei einzigen Überlebenden dieser Kriegsgaleone. Diese fünf Senores hatten soeben das Flaggschiff „Santa Veronica“ verlassen und darum gebeten, in der Kommandantur sofort mit den Befehlshabern der Stadt und des Hafens sowie dem Vertreter der Admiralität sprechen zu können, da sie wichtige Nachrichten hätten. Diese Senores wurden hastig zusammengetrommelt. Es erschienen: Don Bruno Spadaro, Kapitän der Kriegsgaleone „Galicia“, Don Angelo Baquillo, Kommandant des spanischen Lagers und der Werft an der Waccasassa Bay, ferner Don Moreno Borgo-Antigua, der Vertreter der Admiralität, sowie der Stadtkommandant und der Hafenkapitän.
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Eine illustre Gesellschaft war das, die hier in der Kommandantur zusammentraf und sich im großen Beratungsraum an einem mächtigen Rundtisch auf die lederbezogenen Stühle niederließ, nachdem man einander begrüßt und die üblichen Floskeln ausgetauscht hatte. Wären die Tagediebe anwesend gewesen, dann hätten sie ein zweites Mal hämisch grinsen können, denn auch die fünf hinzugekommenen Hochwohlgeborenen hatten Friedhofsmienen aufgesetzt, als gelte es, einen teuren Toten zur letzten Ruhe zu betten. Da nutzte es wenig, daß ein herausgeputzter Diener auf einen Wink des Stadtkommandanten hin den Senores rubinroten Wein in funkelnden Gläsern servierte. Man prostete sich gemessen, eher verdrießlich, zu, der Diener schenkte noch einmal nach und mußte sich dann entfernen, damit die Senores unter sich sein konnten. Don Moreno Borgo-Antigua als der Rangälteste unter den Senores richtete den Blick auf Don Augusto Medina Lorca, räusperte sich und sagte: „Was haben Sie zu berichten, Don Augusto?“ Er runzelte die Stirn. „Ich bin sehr verwundert, Sie hier in Pensacola anzutreffen. Sie hatten doch Order, Fort St. Augustine anzulaufen, dort die für Seine Majestät bestimmte Gold- und Silberladung zu übernehmen und unverzüglich nach Spanien zu bringen. Oder irre ich mich?“ Don Augusto Medina Lorcas rechtes Augenlid begann zu zucken. Das passierte, wenn er aufgeregt war. „Nein, Sie irren sich nicht, Don Moreno“, sagte er gepreßt. „Tatsächlich hätte ich mit meinem Verband längst auf Heimatkurs sein können, nur konnte ich die von Ihnen erwähnte Ladung in St. Augustine nicht übernehmen, weil sie nicht mehr da war.“ Und jetzt folgte der Seitenhieb, der ihn dafür entschädigen sollte, daß ihm der Kommandant von Fort St. Augustine seit knapp vier Wochen auf die Nerven gegangen war: „Leider war Don Lope als Kommandant von Fort St. Augustine nicht in der Lage, die Ladung, von der wir
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sprechen, sicher zu verwahren. Sie wurde ihm geraubt!“ Don Moreno, der Beauftragte der Admiralität, saß da, als habe ihm jemand ein Brett vor den Kopf geschlagen. „Was sagen Sie da?“ flüsterte er. „Geraubt? Die Gold- und Silberladung wurde geraubt?“ „So ist es“, erwiderte der Generalkapitän. Er weidete sich an dem wütenden Gesichtsausdruck Don Lopes, des Kommandanten von Fort St. Augustine, der ja die ganze letzte Zeit bei ihm an Bord gewesen war und alles besser gewußt hatte. Jetzt habe ich dir's gegeben, du Kröte, dachte er. „Das ist ja nicht zu fassen“, murmelte Don Moreno erschüttert. Dann zuckte sein Kopf herum zu Don Lope de Sanamonte, und er fragte scharf: „Wie konnte das geschehen?“ Der etwas schwammige Don Lope schwitzte und zwirbelte seinen schwarzen Spitzbart, was er immer tat, wenn er ratlos oder wütend war. „Das - das Fort wurde Opfer eines hinterhältigen Überfalls!“ stieß er hervor. „Das Fort hat als uneinnehmbar gegolten!“ schnappte Don Moreno. „Dafür sind Unmengen von Geld ausgegeben worden, wie Sie selbst wohl am besten wissen. Sie haben doch ständig lamentiert, es fehle zum Ausbau des Forts noch dies und das und verlangten von der Staatskasse die entsprechenden Mittel!“ Don Moreno wurde immer erregter. „Mir scheint, hier wurden unsere Gelder zum Fenster hinausgeworfen! Und wer, bitte sehr, hat das Fort überfallen?“ „Mardengo und seine Mörderbande.“ Don Lope schnaufte. „Dank meiner Initiative konnte er später überwältigt und festgenommen werden. Ich veranlaßte ...“ Don Augusto Medina Lorca, der Generalkapitän, unterbrach ihn mit einem höhnischen Lachen. „Von einer Initiative Ihrerseits kann wohl keine Rede sein. werter Don Lope! Veranlaßt haben Sie schon gar nichts, weil Sie über meinen Verband gar keine Befehlsbefugnis haben. Das wäre ja auch noch schöner. Sie waren
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lediglich Gast bei mir an Bord, als meine Schiffe die Verfolgung Mardengos und des Engländers aufnahmen ...“ Jetzt fuhr Don Moreno wieder dazwischen. „Was für eines Engländers, zum Teufel! Ich denke, Mardengo hat das Fort überfallen? Kann mir einer der Senores endlich einmal einen klaren Bericht über die Geschehnisse geben? Bitte sehr, Don Augusto!“ Der Generalkapitän hatte Oberwasser, sein rechtes Augenlid zuckte auch nicht mehr. Er hatte starke Bedenken gehabt, entgegen der Order auf eigene Faust im Golf von Mexiko auf Piratenjagd zu gehen, um den geraubten Schatz zurückzuerobern. Die Admiralität konnte in ihren Entscheidungen sehr eigen sein, und. sie liebte es gar nicht, wenn Verbandsführer oder Generalkapitäne nach eigenem Gutdünken Aktionen unternahmen, die absolut nichts mehr mit dem ursprünglichen Auftrag zu tun hatten. Aber jetzt spürte er, daß Don Moreno, der Beauftragte der Admiralität, mehr auf seiner Seite stand als auf der Don Lopes. Tatsächlich - daran gab es gar nichts zu rütteln - war Don Lope de Sanamonte der eigentliche Sündenbock. Der Generalkapitän sagte: „Ich traf mit meinem Verband in Fort St. Augustine ein, als der Überfall Mardengos bereits stattgefunden hatte. Dieser Pirat hatte das Fort von der See- und gleichzeitig von der Landseite her angegriffen. Mit sehr schnellen und wendigen Einmastern hatte er fast alle Schiffe im Hafen zusammengeschossen und auch erhebliche Zerstörungen im Hafen selbst angerichtet, während ein starker Landtrupp in das Fort eindringen konnte. Merkwürdigerweise tauchte im Laufe des ganzen Kampfes eine recht große, gut armierte Galeone vor St. Augustine auf, die in den Kampf eingriff und die Mardengo-Bande in die Flucht jagte. Don Lope beging den Fehler, den Kapitän dieser Galeone als Befreier zu begrüßen. Der entwaffnete ihn jedoch, vereinnahmte die für Seine Majestät bestimmte Schatzladung, ließ sie an Bord seiner Galeone schaffen und segelte davon.
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Ich entschloß mich, die Verfolgung aufzunehmen, bei der es mir dann gelang, Mardengos Piratennest auszuheben und ihn, seine Mutter und fünfzehn Kerle seiner Bande gefangen zu nehmen ...“ „Nachdem dieser verdammte Engländer bereits gute Vorarbeit geleistet hatte und über den Schlupfwinkel der Piratenbande hergefallen war, werter Don Augusto!“ knurrte Don Lope. „Und vielleicht sollten Sie auch erwähnen, daß es Ihnen zwar gelungen war, die Galeone des Engländers in Ihren Besitz zu bringen, was den Engländer aber nicht hinderte, Ihnen sein Schiff wieder abzunehmen und erneut zu verschwinden.“ Jetzt war Don Lopes Stimme voller Hohn. „Leider begingen Sie die Dummheit, die Schatzladung nicht sofort auf unsere Schiffe zu verfrachten.“ Das rechte Augenlid des Generalkapitäns begann wieder zu zucken. „Dazu war gar keine Zeit!“ fauchte er. „Wir waren an Land in die Kämpfe mit den Piraten verwickelt. Und bitte sehr: Sie hätten sich ja mit Ihrem dicken Hintern auf die Ladung setzen können, um sie persönlich zu bewachen, nicht wahr? Aber stattdessen standen Sie auf dem Achterdeck herum und meinten, mir unmaßgebliche Ratschläge erteilen zu müssen.“ „Dieser Einwand Don Augustos ist richtig“, sagte Don Moreno und blickte Don Lope tadelnd an. „Sie persönlich hätten die Ladung überwachen und unter Einsatz Ihres Lebens verteidigen müssen, nachdem das Schiff von Don Augusto erobert worden war. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen, genau das! Dies um so mehr, weil Ihnen die Ladung bereits einmal geraubt worden war. Auf dem Achterdeck des Flaggschiffs herumzustehen und Ratschläge zu erteilen, halte ich dagegen für eine ziemliche Unverfrorenheit. Ein Generalkapitän und Geschwaderführer weiß selbst, was er zu tun hat. Er hat es nicht nötig, sich von einem Fortkommandanten belehren zu lassen, der selbst nicht einmal in der Lage war, sein Fort erfolgreich gegen einen Angreifer zu verteidigen, geschweige
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denn, die Güter Seiner Majestät zu bewachen, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Das muß hier einmal ganz klar gesagt werden.“ Der Beauftragte der Admiralität kniff die Augen etwas zusammen und fixierte Don Lope scharf. „Ich habe den Eindruck, daß Sie Don Augusto die Schuld für Ihre eigenen Fehler zuschieben wollen, Senor de Sanamonte.“ „Das war nicht meine Absicht“, beteuerte Don Lope, der sich wie ein Aal wand und noch mehr schwitzte. „Dann unterlassen Sie gefälligst solche Bemerkungen wie die letzte, bei der Sie dem Generalkapitän Dummheit vorwarfen“, sagte Don Moreno kühl. „Solche Bemerkungen stehen Ihnen nicht zu, schon gar nicht gegenüber einem ranghöheren Offizier.“ 2. Don Augusto konnte frohlocken. Sein rechtes Augenlied beruhigte sich wieder. Es war zu schön, zuzuhören, wie Don Lope, dieser impertinente Hundesohn, gerüffelt wurde. Jetzt wurde er wieder von Don Moreno angesprochen: „Sagen Sie, Don Augusto, konnten Sie den Namen dieses Engländers in Erfahrung bringen?“ „Nicht nur das“, erwiderte der Generalkapitän betont höflich, „sondern dank eines Zufalls auch, wo sich dieser Mann samt seinem Schiff jetzt ungefähr aufhalten könnte. Aber das ist eine Geschichte, die Ihnen Capitan Isidoro von der ,Santa Teresa' besser als ich erklären kann. Zunächst: dieser Engländer stellte sich in Fort St. Augustine unserem werten Don Lope sowie einigen anderen Senores als Philip Hasard Killigrew vor ...“ Er brach ab, weil Don Moreno den Kopf vorstreckte und ächzte. „Fehlt Ihnen etwas, Don Moreno?“ fragte er besorgt. „Sagten Sie - äh - Killigrew?“ Don Augusto nickte. „Ja, so nannte sich dieser Mann.“ Er fuhr sich mit der Hand über die .Stirn. „Irgendwo habe ich diesen
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Namen schon gehört, aber ich weiß nicht. mehr, in welchem Zusammenhang.“ Don Moreno Borgo-Antigua ächzte immer noch und sagte heiser: „Der Seewolf! Ist Ihnen das ein Begriff?“ Don Augusto zuckte etwas zusammen und holte hörbar Luft. „Du meine Güte“, murmelte er, „natürlich, jetzt fällt mir das wieder ein - der Seewolf. Auf seinen Kopf hat die Krone eine Belohnung ausgesetzt! Heilige Madonna, und dieser Kerl ist uns durch die Lappen gegangen!“ Er starrte wütend über den Tisch zu Don Lope. „Hätte Ihnen das nicht auch einfallen können, Sie Alleswisser? Sie haben den Kerl doch gesehen und erlebt, verdammt noch mal! Er hat sich Ihnen sogar vorgestellt!“ „Ihnen ist bei dem Namen ja auch nichts eingefallen“, sagte Don Lope aufgebracht. „Und woher sollte ich kleiner Fortkommandant wissen, daß es sich bei diesem Bastard um den Seewolf handelte? Aber Sie als Generalkapitän hätten das wissen müssen. Ich habe Ihnen diesen Mann genau beschrieben ...“ „Ich bitte um Ruhe!“ Don Moreno war sehr erregt und pochte mit den Fingerknöcheln der rechten Hand auf den Tisch. „Es bringt uns um nichts weiter, wenn Sie sich hier gegenseitig Versäumnisse vorwerfen, Senores! Ich stelle fest, daß dieser Feind Spaniens im Golf von Mexiko aufgetaucht ist und sein Unwesen treibt. Vermutlich handelt es sich um denselben Mann, der sich mit rebellischen Indianern verbündet und sie gegen unsere ,Galicia` unter Capitan Spadaro verteidigt hat. Senor Spadaro, wie sah dieser Mann aus? Was hatte er für ein Schiff, als Sie mit ihm aneinander gerieten, um die von den Indianern geraubte ,San Donato` zurückzuerobern?“ Don Bruno Spadaro, ein Mann mit einem verwegenen, harten Gesicht, das von einem gesträubten Schnauzbart verziert wurde, reckte die breite Brust und sagte: „Dieser Mann war sehr groß; schlank und schwarzhaarig. Durchs Spektiv konnte ich erkennen, daß sich von seiner rechten Stirn
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über die linke Augenbraue bis zur linken Wange eine Narbe hinzieht ...“ „Das ist er!“ stieß Don Lope hervor. „Die Narbe! Wie ein Teufel sieht der Kerl aus!“ Don Bruno Spadaro musterte ihn kühl und sagte: „Ein Teufel? Unsinn! Der Mann sieht wie ein Kämpfer aus - und er versteht, zu kämpfen, davon kann ich ein Liedchen singen. Im übrigen darf an dieser Stelle wohl daran erinnert werden, daß dieser Mann zu den englischen Kapitänen gehörte, die unsere Armada so vernichtend schlugen. Ich betone weiterhin - wenn das stimmt, was ich über diesen Mann hörte -; daß er ein fairer Kämpfer ist. Er soll sogar nach der Schlacht im englischen Kanal unseren wracken Schiffen Hilfe geleistet haben.“ „Das klingt fast so, als liebten Sie diesen Kerl“, sagte Don Lope spitz. „Ich habe Respekt vor einem Gegner, der sich fair verhält“, erwiderte Don Bruno Spadaro sehr langsam und sehr betont. „Eine Eigenschaft, die Ihnen offenbar abgeht, Don Lope „ „Dieser Kerl gibt sich mit rebellischen Wilden ab!“ sagte Don Lope wütend. „Und vergessen Sie nicht, mit welcher Frechheit er in Fort. St. Augustine Beute gerissen hat ...“ „Dank ihres Unvermögens, Ihr Fort zu verteidigen, mein Bester“, entgegnete Kapitän Spadaro ironisch. „Aber auch hier fällt auf, daß er Sie und Ihre Offiziere verschont hat. Bei einem Mann wie Mardengo wären Sie über die Klinge gesprungen. Vielleicht sollten Sie darüber einmal nachdenken.“ „Danke für Ihre Belehrungen“, sagte Don Lope mit blasierter Miene. „Bitte sehr, gern geschehen.“ Don Bruno Spadaro war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Man sagt zwar, daß die Dummen nicht aussterben, aber ich bin sehr glücklich, daß Sie sich für meine Belehrungen bedanken. Das läßt für Sie hoffen!“ Don Lope erstickte an seiner Wut, zog es aber vor, nichts mehr darauf zu erwidern. Ihm entging keineswegs, daß die
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allgemeine Stimmung gegen ihn war. Da war es wohl besser, zurückhaltend zu sein. Don Bruno Spadaro wandte sich wieder Don Moreno zu und sagte: „Vielleicht darf ich jetzt Ihre Frage nach dem Schiff des Engländers beantworten, Don Moreno. Tatsächlich handelt es sich um eine sehr auffallende Galeone mit bemerkenswert niedrigen Aufbauten und sehr hohen Masten. Sie heißt ,Isabella', ist sehr gut bestückt, schnell und wendig, ganz abgesehen davon, daß sie hervorragend geführt wird. Mir bricht kein Stein aus der Krone, wenn ich hier offen zugebe, daß ich diesen Gegner unterschätzt habe. Neben ihren Culverinen und Drehbassen setzten die Engländer in dem Gefecht gegen die ,Galicia` Pulverpfeile und Flaschen ein ...“ „Flaschen?“ unterbrach ihn Don Moreno perplex. „Ja, ganz gewöhnliche Flaschen“, erwiderte der Kapitän und strich sich über den Schnauzbart, „aber dennoch höllische Dinger, weil sie mit Pulver, Nägeln und Eisenteilchen gefüllt waren. Eine im Flaschenhals verdämmte Lunte - vor dem Abschuß entzündet - sorgte dafür, das Pulver und damit die Flasche explodieren zu lassen. Wir konnten beobachten, daß die Dinger sogar unter Wasser krepierten. Jedenfalls hatten diese Flaschen eine verheerende Wirkung, vor allem wegen der Streuung nach allen Seiten.“ „Sie sagten ,Abschuß' „, Don Moreno runzelte die Stirn, „dann wurden diese Flaschen nicht geworfen?“ „Nein, geschleudert, und zwar mit einem katapultartigen Gerät, das sogar auf vier Holzrädern wie eine Lafette steht und daher überall an Deck aufgestellt werden kann. Die Trefferquote war relativ hoch. Der Mann, der dieses Gerät bediente, ein rothaariger Riese, mußte ein gutes Augenmaß und sehr viel Routine haben. Das gleiche galt für die beiden Bogenschützen, die sich großer Langbögen bedienten.“ Don Bruno Spadaro nickte vor sich hin und fügte etwas gallig hinzu: „Schiff, Mannschaft und Kapitän kann man nicht anders als perfekt bezeichnen. Bei denen saß jeder Handgriff, jedes
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Manöver und fast jeder Schuß. Ich bin kein Neuling im seemännischen Kriegshandwerk, aber so was habe ich noch nicht erlebt. Ich muß das betonen, damit die Senores wissen, mit was für einem Gegner wir es zu tun haben. Und ich wiederhole noch einmal, es wäre unser größter Fehler, ihn zu unterschätzen.“ „Danke, Don Bruno“, sagte Don Moreno sehr nachdenklich, „das waren wertvolle Informationen.“ Er richtete den Blick auf Don Jose Isidoro, den Kapitän der „Santa Teresa“. „Dürfte ich jetzt Ihren Bericht hören, Don Jose?“ „Sehr wohl, Don Moreno“, erwiderte der Kapitän respektvoll. „Ich begegnete der ,Galicia' nach ihrem Gefecht mit dem Engländer, erfuhr von Don Bruno, was passiert war und nahm die Verfolgung der ,Isabella' und der ,San Donato' auf. Wir sichteten die beiden Schiffe bei den Chandeleur-Inseln. Offenbar suchten sie unter Land Schutz vor dem beginnenden Sturm, der dann auch mit voller Wucht losbrach. Ich konnte mich an die ,Isabella` heranarbeiten, wobei es dem Engländer allerdings gelang, mich auf ein Riff zu locken ...“ Ein empörtes Gemurmel wurde in der Runde laut - es galt nicht der Tatsache, daß Don Jose Isidoro auf diesen Trick hereingefallen war, sondern daß der verdammte Engländer diesen Trick benutzt hatte, um seinen Verfolger abzuschütteln. Allerdings wußten nur Don Jose Isidoro und seine beiden Offiziere, daß diese Version nicht stimmte, aber sie klang gut, um den Engländer zu verteufeln. Tatsächlich war die „Santa Teresa“ nicht auf das Riff gelockt worden, sondern Don Jose Isidoro hatte es an der notwendigen seemännischen Vorsicht mangeln lassen, obwohl er von seinem Ersten Offizier auf die Gefahren des Riffs bei den ChandeleurInseln hingewiesen worden war. Aber das war jetzt alles unerheblich. Der Engländer mußte als Sündenbock herhalten. Damit ersparten sich Don Jose Isidoro und seine beiden Offiziere seitens des Vertreters der Admiralität den Vorwurf, fahrlässig und unverantwortlich
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gehandelt zu haben. Im übrigen war Don Jose Isidoro gerissen genug gewesen, seine beiden Offiziere auf diese Version einzuschwören. Don Lope wiederum nutzte die Gunst des Augenblicks, es nunmehr Don Bruno Spadaro heimzuzahlen. Er sagte sarkastisch: „Nennen Sie das auch fair, verehrter Don Bruno? In meinen Augen ist das die Verhaltensweise eines heimtückischen, mordgierigen Piraten. Statt zu kämpfen, lockt er seinen Gegner in die Falle - fürwahr, sehr nobel, nicht wahr?“ Don Bruno Spadaro zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Was ist erlaubt, was nicht? Wer bestimmt die Regeln? Der Engländer hat eine Kriegslist angewandt, die keineswegs neu ist. Versetzen Sie sich einmal in seine Lage, in der er es offenbar als seine Aufgabe ansieht, die Indianer auf der ,San Donato' abzuschirmen, übrigens Indianer, die zum Teil am Sumpffieber erkrankt waren und zum anderen kaum etwas vom seemännischen Handwerk verstanden. Wäre mir eine ähnliche Aufgabe übertragen worden, hätte ich auch versucht, einen Verfolger auf diese Art abzuschütteln.“ „Ich stelle fest“, sagte Don Lope empört, „daß Sie diesen englischen Bastard ständig in Schutz nehmen und verteidigen!“ „Was Sie feststellen, ist mir völlig gleichgültig“, sagte Don Bruno Spadaro gelassen und fügte grob hinzu: „Kümmern Sie sich um den Dreck, der vor Ihrer eigenen Tür liegt, an dem haben Sie genug zu kehren. Wenn Sie nicht versagt hätten, brauchten wir hier nicht zusammenzusitzen ...“ Don Moreno klopfte wieder mit den Knöcheln auf die Tischplatte. „Ich darf doch bitten, Senores! Wir haben Wichtigeres zu tun, als uns hier herumzustreiten. Fahren Sie bitte fort, Don Jose!“ Don Jose Isidoro nickte und sagte: „Der Rest ist schnell erzählt. Die ‚Santa Teresa' wurde Stunden nach dem Auflaufen von der Piratenbande eines gewissen Duvalier überfallen und geentert. Meine Seesoldaten
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und die Männer kämpften wie die Löwen, aber wir hatten keine Chance, die Piraten waren in der Überzahl. Duvalier verschonte nur meine beiden Offiziere und mich, um, wie er uns später erklärte, ein Lösegeld für uns zu erpressen. Wir wurden auf die Insel Comfort gebracht, dem .Schlupfwinkel der Piraten. Er ließ dort vier Wächter zurück und brach mit seiner Horde zu einem weiteren Beutezug auf, um nämlich die englische Galeone und die ,San Donato' zu vereinnahmen. Es gelang meinen beiden Offizieren und mir, die vier Wächter zu überwältigen und mit einem Einmaster von der Insel zu fliehen. So begegneten wir dem Generalkapitän und seinem Verband, der uns an Bord nahm.“ „Hm, danke, Don Jose“, sagte Don Moreno. „Was meinen Sie, wo die ,Isabella` und die ,San Donato' jetzt stecken könnten?“ „Ich könnte mir vorstellen, daß beide Schiffe im Lake Pontchartrain Schutz gesucht haben, vielleicht auch davor im Lake Borgne.“ „Und warum sollten sie dort noch sein?“ „Don Bruno erwähnte bereits die an Sumpffieber erkrankten Indianer. Mit solchen Kranken können keine langen Reisen unternommen werden.“ Don Moreno nickte. „Das leuchtet ein. Was ist jetzt mit diesem Duvalier? Mit diesem Kerl wird die ganze Sache noch komplizierter. Vielleicht ist es ihm inzwischen gelungen, die ,Isabella' und die ,San Donato` zu kapern. Wenn dem so ist, dann befindet er sich jetzt im Besitz der Schatzladung, und wir müßten nach ihm, statt nach dem Engländer suchen. Dieser Gedanke gefällt mir gar nicht, wenn ich davon ausgehe, daß Duvalier diese ganze Küste samt Mississippimündung wie seine Hosentasche kennt und genau weiß, wo er sich verstecken kann. Tatsächlich bieten sich hier ja unzählige Schlupfwinkel an, sonst hätten wir diese Burschen längst erwischt. Fassen wir zusammen: Der englische Pirat Killigrew, genannt der Seewolf, hat sich in Fort St. Augustine die Schatzladung geholt, die für Seine Majestät bestimmt war. Dann hat er einem
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rebellischen Indianerstamm geholfen, der mit der ,San Donato` aus der Waccasassa Bucht geflohen ist. Im Laufe eines Gefechts wehrt er die ,Galicia` ab und schafft es im weiteren, die ,Santa Teresa' auf ein Riff zu locken, wo sie wiederum von Piraten überfallen und ausgeplündert wird. Hier nun tritt Duvalier auf den Plan. Wir haben es also mit zwei Gegnern zu tun, mit denen abgerechnet werden muß, vielleicht aber auch nur mit einem. Aber beide müssen gesucht werden.“ Die Senores nickten mit ernsten Mienen. „Ich schätze“, sagte Don Moreno, „daß das Maß dessen, was wir uns als Spanier bieten lassen können, mehr als voll ist. Die Untaten des Philip Hasard Killigrew müssen gerächt werden, das sind wir der Spanischen Krone schuldig. Und unsere Rache muß den Piraten Duvalier treffen, der es wagte, eine unserer Kriegsgaleonen zu überfallen und auszurauben. Ich befehle daher, daß Ihr Verband, Don Augusto, unverzüglich noch in dieser Nacht zur Jagd auf den Seewolf ausläuft.“ „Jawohl, Don Moreno“, sagte der Generalkapitän. Er war wenig entzückt über die neue Aufgabe, dachte aber im selben Moment auch an das Kopfgeld, das die Spanische Krone auf Philip Hasard Killigrew ausgesetzt hatte. Wenn er diesen Mann erwischte, konnte er damit rechnen, zum Admiral aufzusteigen. „Ist die ,Galicia' repariert und wieder seeklar, Don Bruno?“ fragte Don Moreno jetzt. „Jawohl, Don Moreno“, erwiderte Don Bruno Spadaro. „Gut, dann werden Sie mit Ihrem Schiff dem Verband unterstellt und nehmen an der Jagd teil. Zu Ihnen werden sich Don Jose Isidoro, seine beiden Offiziere und Don Angelo Baquillo an Bord begeben.“ Die betreffenden Senores verbeugten sich im Sitzen. „Und ich?“ fragte Don Lope in der Hoffnung, nach Fort St. Augustine zurückkehren zu können. Er hatte inzwischen die Nase ziemlich voll. Zur See zu fahren, war auch nicht seine Sache.
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„Sie“, sagte Don Moreno schroff, „werden wieder auf der ,Santa Veronica` einsteigen und es als Ihre vornehmste Aufgabe ansehen, daß die Schatzladung in unsere Hände zurückkehrt. Ich erwarte Ihren vollen Einsatz! Gleichzeitig weise ich Sie darauf hin, daß Sie sich strikt den Befehlen des Generalkapitäns unterzuordnen haben. Sollten Sie sich ihm widersetzen, würde ich mich gezwungen sehen, Sie nach Ihrer Rückkehr vor ein Kriegsgericht zu stellen. Haben Sie mich verstanden?“ Erbleichend murmelte Don Lope: „Jawohl, Don Moreno.“ „Gut.“ Don Moreno wandte sich wieder der Tafelrunde zu. „Mein Befehl lautet also: Bringen Sie Philip Hasard Killigrew zur Strecke, wenn möglich lebend, damit er in Spanien vor Gericht gestellt werden kann. Der Pirat Duvalier ist samt seiner Bande zu vernichten. Selbstverständlich erwarte ich, daß Sie im Zuge Ihrer Aktionen die Schatzladung Seiner Majestät zurückerobern und nach Pensacola zurückbringen. Ich selbst werde sie dann hier übernehmen und im Geleit nach Spanien verschiffen.“ Er schaute den Generalkapitän an. „Sie haben einen Verband von sechs Kriegsschiffen, Don Augusto, sind der englischen Galeone also haushoch überlegen. Der Erfolg Ihres Unternehmens steht damit außer Zweifel.“ Er richtete sich auf, hob sein Glas und fügte hinzu: „Senores, ich trinke auf Ihren Sieg und auf Seine Majestät, den König von Spanien!“ Sie standen alle auf und leerten ihre Gläser. Um Mitternacht verließen die sechs Schiffe den Hafen von Pensacola und gingen auf Westkurs. 3. Die „Isabella IX.“ lag auf Südostkurs bei Wind aus Osten, was bedeutete, daß sie mit dichtgeholten Segeln über Steuerbordbug durch die See bügelte - Richtung FloridaStraße. Den Kurs würden die Seewölfe halten können, wenn der Wind nicht südlicher drehte. Tat er das - und er war
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ein launischer Geselle -, dann würde man kreuzen müssen. Aber vorerst schien Rasmus mit den Arwenacks ein Einsehen zu haben. Hinter dem Heck der „Isabella“ blieb die Küste des großen Kontinents zurück und mit ihr auch die kleine Rabbit-Insel, auf der die Arwenacks einen feinen Schatz gehoben hatten, sozusagen einen Bilderbuchschatz in Form von zehn Schatzkisten, deren Besitzer wahrscheinlich nicht mehr unter den Lebenden weilten. Der Abenteurer Honore Letray hatte diesen Schatz durch einen Zufall gefunden, sein Geheimnis aber leider mit einer Hure geteilt, die ihr Wissen wiederum einem Schurken namens Arvidson ins Ohr geflüstert hatte. Und dieser Schurke hatte sich den etwas leichtsinnigen Letray geschnappt, ihn kräftig gezwiebelt, um zu erfahren, wo das Inselchen mit dem feinen Schatz liege, und hatte den Ärmsten dann gefesselt in einem sinkenden Schiff zurückgelassen. Dort hatten ihn die Seewölfe entdeckt und befreit. Zum Dank hatte Letray von dem Schatzgeheimnis berichtet, und da lag es für die Seewölfe nahe, dem Inselchen einen Besuch abzustatten. Die Konfrontation mit den Kerlen des Schurken Arvidson hatten sie mit gewohnter Bravour zu ihren Gunsten entschieden. Die Beute war zwischen ihnen und Letray getreulich geteilt worden, Letray selbst war auf seinen Wunsch hin von ihnen in einer stillen Bucht abgesetzt worden, und die Seewölfe hatten wieder Kurs auf den Golf von Mexiko genommen, um zur Schlangeninsel zurückzukehren, wo sie einen kleinen Geleitzug zusammenstellen wollten, um die Timucuas vom Lake Salvadore abzuholen. Das lag nun alles hinter ihnen, und sie konnten sich wahrhaftig als Kinder des Glücks bezeichnen, bargen die Frachträume der „Isabella“ doch bereits die Schatzladung aus Fort St. Augustine und die sehr beachtliche Schatzbeute eines gewissen Mardengo, die man von Pirate’s Cove, dem Schlupfwinkel Mardengos,
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hatte mitgehen lassen. Und man hatte einen kleinen Indianerstamm gefunden, der bereit war, sich auf Coral Island ansiedeln zu lassen, dort friedlich zu ackern und auf diese Weise auch die Schlangeninsel mit Naturalien zu versorgen. Ende gut, alles gut! Sogar Old O'Flynn war geneigt, sich dieser schönen Illusion hinzugeben. Es waren ja auch nur noch an die dreizehnhundert Meilen bis zur Schlangeninsel im Bereich der CaicosInseln. Nicht der Rede wert, Sir, wirklich nicht, ein kleiner Fisch für uns, die wir bereits zigtausende von Meilen abgeklüst haben, quer durch die Hölle und zurück, aber nicht nur einmal. Ein bißchen spann Old O'Flynn auch schon auf die Kneipe, die er auf der Schlangeninsel errichten wollte, weil ein alter Mann - obwohl er recht eigentlich noch sehr jung war - auch mal daran denken mußte, seßhaft zu werden. Vielleicht würde er sich auch noch ein feines Schnuckelchen zum Weibe nehmen, denn was der Wikinger konnte, das konnte er schon lange. Hm, hm, da würde er mal nach Tortuga segeln müssen, um bei dem alten Schlitzohr Diego in dessen Kneipe „Zur Schildkröte“ hereinzuschauen. Dort waren solche „Schnuckelchen“ anzutreffen, nein, nicht diese schrägen Vögelchen, die natürlich auch, aber nicht alle waren so. Es gab auch Veilchen, die im Verborgenen blühten. Hm, hm! Mit Diego würde er sowieso verhandeln müssen, um für die eigene Kneipe die Getränke einzukaufen oder zu ordern. Gläser und Humpen würde er auch brauchen. Aber vor allem brauchte er ein „Schnuckelchen“, schon wegen der Kneipe, wo er nicht alles allein machen konnte. Aber was würden Dan und Hasard sagen, wenn er auf Tortuga auf Brautschau ging? Der Alte kratzte sich hinter dem Ohr. Verdammt, das würde ein Problem werden. Mit solchen Gedanken war Old O'Flynn beschäftigt, obwohl es, wie gesagt, noch an die dreizehnhundert Meilen bis zur Schlangeninsel waren, eine Strecke, für die
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sie bei günstigem Wind mehr als eine Woche brauchen würden. Nur - vor dem geistigen Horizont Old O'Flynns tauchten keine dunklen Wolken auf. auch im Beinstumpf wurden keine Bedenken angemeldet. Der Himmel war königsblau, nachdem die Morgennebel verschwunden waren, lediglich ein paar weiße Wolkenfetzen trieben westwärts, aber die waren nicht der Rede wert. Indessen stand Carberry auf dem schräg nach Steuerbord geneigten Deck der Kuhl, breitbeinig, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und musterte die fünf Kisten, die noch von der Nacht her an Deck gestapelt waren, natürlich verzurrt, damit sie nicht verrutschten. Aber jetzt bei Tage wurde es Zeit, daß sie in den Laderäumen verstaut wurden. Die Dinger mit dem feinen Inhalt waren im Wege, und schließlich mußte alles seine Ordnung haben. Und für die Ordnung an Bord der „Isabella“ war er, der Profos, zuständig. Das alte Spiel hub an. Es bestand darin, daß die Kerls so taten, als wüßten sie von nichts. Bei Gefechten oder haarsträubenden Manövern wußten sie exakt, was zu tun war, ohne daß ihnen das jemand zu sagen brauchte. Aber hier konnte von einem Gefecht oder einem riskanten Manöver nicht die Rede sein. Da standen nur fünf Kisten. Und diese fünf Kisten warteten darauf, bewegt zu werden. Die Kerls hingegen warteten darauf, daß der Profos losblökte, weil das zum Spiel gehörte. Und darum taten sie so, als gäb's die fünf Kisten gar nicht. Sie fummelten da und dort herum und markierten Beschäftigung, während sie gleichzeitig, aber heimlich, den Profos beobachteten und ebenso heimlich in sich hineingrinsten. Gleich würde der Profos wie ein Pulverfaß explodieren, die Haltung kannten sie leicht angeduckt, das wüste Rammkinn vorgeschoben, die Pranken in den Hüften. Na? Jetzt? Nein, noch nicht. Plymmie streunte über Deck zu den Kisten und schnüffelte sie ab. Carberry senkte den Schädel und beäugte die Hundelady.
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Plymmie ließ sich nicht stören. Sie schnüffelte weiter, der Profos existierte für sie nicht. Die Kisten standen an der Mittschiffsladeluke zwischen den beiden Niedergängen zum Quarterdeck, drei nebeneinander an Deck, die beiden letzten auf ihnen. Plymmie widmete sich der mittleren unteren Kiste in der Dreierreihe, nachdem sie alle abgeschnüffelt hatte, auch die beiden oberen, bei denen sie sich auf die Hinterbeine gestellt hatte. Aber jetzt ging's los! Plymmie wetzte mit dem Hinterteil hin und her und knurrte die mittlere untere Kiste an. Ihre Augen wurden schwarz vor Wut, ihre Lefzen waren hochgezogen und gaben ihren prächtigen Fang frei. „Krrrrrrrrr ...!“ dröhnte es über das Kuhldeck. Arwenack, der auf der Nagelbank am Großmast gehockt hatte, sauste wie der Blitz am Großmast hoch und verschwand im Mars, wo Nils Larsen den Ausguck übernommen hatte. Sir John nahm nichts zur Kenntnis, er saß auf der Fockrah und hatte den Kopf unter die Flügel gesteckt. Offenbar hatte er Schlaf nachzuholen, obwohl dafür die Nacht da war. Aber in der letzten Nacht war es doch recht turbulent zugegangen. Zu dem Knurren Plymmies gesellte sich ein neuer Laut. Aus der Kiste, die sie sich vorgenommen hatte, erklang deutlich vernehmbar ein Rasseln, was Plymmie wiederum veranlaßte, nunmehr wie verrückt zu bellen. Als das Rasseln ertönte, war Carberry zusammengezuckt. Dann hatte er den Kopf vorgeschoben. „Was'n nun los?“ brummelte er und starrte ratlos auf die Kiste, die so seltsame Töne von sich gab. Die Kerls rückten den Kisten näher und stierten genauso verblüfft auf die bellende Plymmie und auf die rasselnde Kiste. Aus der Kombüse schossen Hasard und Philip junior, gefolgt vom Kutscher und von Mac Pellew. Alles versammelte sich. An der Querbalustrade des Quarterdecks tauchte
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der Seewolf auf, neben ihm Ben Brighton und Big Old Shane, kurz danach auch Old O'Flynn. Alle waren verwundert. Hasard und Philip junior drängelten sich durch die Reihe der Männer, und Philip junior sagte scharf: „Zurück, Plymmie!“ Plymmie stellte ihr Bellen ab und zog sich etwas zurück. Das Rasseln in der Kiste verstummte. Carberry massierte sein Rammkinn, schaute zu Hasard hoch und sagte verstört: „Hat man so 'ne Kiste schon mal gesehen? In der rappelt's!“ „Aha!“ sagte Old O'Flynn. Ehe er eine weitere Weisheit kundtun konnte, sagte Hasard: „Was war los, Ed?“ „Weiß nicht, Sir“, sagte der Profos unbehaglich. „Ich wollte jetzt beigehen und die Kisten nach unten in den Laderaum mannen lassen, da tauchte Plymmie auf, schnüffelte die Kisten ab und knurrte die da in der Mitte unten an. Und kurz darauf ging in der Kiste die Rasselei los ...“ „Da ist jemand drin!“ sagte Old O'Flynn dumpf. „Und wer?“ fragte Hasard „Ein Rasselgeist“, erklärte der Alte. Hasard blieb weiterhin gelassen. In letzter Zeit hatten sich die Zusammenstöße mit Old Donegal gehäuft. Da war es besser, die Ruhe zu bewahren und nicht gleich wieder Kollisionskurs zu steuern, obwohl der Alte mal wieder kräftig am Spinnen war. „Ist das ein freundlicher Geist?“ fragte Hasard. „Das kann man nie genau nicht wissen“, murmelte Old Donegal. Nie genau nicht! Das war auch wieder so eine erlesene Antwort. „Wenn man's nie genau nicht weiß“, sagte Hasard, „dann sollte man vielleicht mal nachschauen, wie?“ „Davon rate ich ab“, sagte Old O'Flynn düster. „Es ist besser, man läßt den Rasselgeist in der Kiste und zeichnet einen Drudenfuß drauf.“ „Drudenfuß?“ fragte Hasard. „Du meinst diesen fünfzackigen Stern?“ „Ja. Der Drudenfuß bannt den Rasselgeist in die Kiste, so daß er nicht raus kann. Er
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bannt auch Hexen, Kobolde, Dämone und Teufelchen.“ „Aha“, sagte Hasard. „Wenn man also einen Drudenfuß auf die Kiste malt, dann bleibt der Rasselgeist drin, ja?“ „So ist es“, erwiderte Old O'Flynn und nickte gewichtig. „Er ist ja gebannt, nicht wahr?“ „Er kann nicht von der Stelle?“ „Nein, kann er nicht. Er ist dann wie gefesselt“, erklärte Old O'Flynn. „Und wenn man die Kiste dann öffnet?“ „Das bleibt sich gleich. Der Rasselgeist ist gebannt.“ „Das ist gut“, sagte Hasard. „Ich überlegte nämlich, wie wir an den Inhalt der Kiste gelangen könnten, wenn der Rasselgeist da drin sitzt. Aber wenn er von dem Drudenfuß gebannt wird, besteht ja keine Gefahr, nicht?“ „Nein, die besteht nicht.“ Die Männer lauschten diesem erbaulichen Dialog und waren sich nicht so recht klar, wohin das führen sollte, zumal Hasard keine Miene verzog. Old Shane drehte sich ihm zu und schnaubte: „Sag mal, glaubst du etwa diesen Käse, verdammt noch mal? Dieser alte Spinner ist doch wieder mal außen vor! Den hat 'ne Nixe geküßt oder so was!“ „Nixe hin, Nixe her“, sagte Hasard. bevor Old O'Flynn lostoben konnte, „Old Donegal wird uns jetzt einen Drudenfuß auf die Kiste pinseln. Ist doch klar, nicht?“ „Ich?“ fragte Old O'Flynn entsetzt. „Warum ich denn? Und wenn der Rasselgeist in dem Moment aus der Kiste fährt? Was ist dann?“ „Weiß ich nicht“, sagte Hasard. „Weißt du's denn? Du bist doch der Fachmann fürs Übersinnliche, für Strahlungen, Deutungen und die Künste des Hinter-die-KimmBlickens. Ich bin nur ein kleiner Kapitän, der davon nichts versteht.” „Und wenn mich der Rasselgeist entführt?“ fragte Old O'Flynn. „Dann sind wir dich endlich los!“ knurrte Big Old Shane. „Und die ,Isabella` malen wir mit Drudenfüßen voll, damit du gebannt bleibst, du Armleuchter!“
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Hasard warf dem Riesen einen tadelnden Blick zu, aber Old Donegal ermannte sich, reckte die Brust und erklärte: „Dir werde ich's zeigen, Mister Shane! Du wirst dich noch wundern, wie ich die Geister zähme! Mister Carberry! Ich brauche einen Farbtopf, schwarz, und einen Pinsel. Sofort, pronto, pronto!“ Carberry raufte sich die Haare und knurrte: „Ist denn hier alles verrückt geworden? Diese Scheißkiste....“ Und er verpaßte der Kiste einen Fußtritt, der es in sich hatte. Prompt begann's in der Kiste wieder zu rasseln, Plymmie fuhr auf sie los, knurrend natürlich und außer sich vor Wut. Die Männer redeten durcheinander und waren gleichfalls erregt. „Ich bitte um Ruhe!“ rief Hasard scharf. Philip junior schnappte sich Plymmie und zerrte sie zurück. Die Männer verstummten. Das Rasseln brach ab, ertönte noch einmal, dann kehrte erneut Ruhe ein. „Ed, schwarze Farbe und den Pinsel!“ befahl Hasard. „Aye, Sir“. brummte Carberry unwillig und trollte sich zur Vorpiek. Minuten .später kehrte er mit einem Pott voller Teerfarbe und einem Pinsel zurück, ziemlich aufgebraßt Und wütend. „Ich schlag vor, wir schmeißen diese verdammte Kiste über Bord!“ erklärte er wild. „Hast du sie nicht alle?“ fuhr ihn Smoky an. „Da sind Klunkerchen, Perlen, Diamanten, Gold und Silber drin! Willst du die Haie damit füttern?“ „Ja, samt Rasselgeist!“ blökte Carberry zurück. „Der kann dann im Haifischmagen weiterrasseln, wenn's ihm Spaß macht! Und dir pinsele ich gleich einen Drudenfuß auf deinen Affenarsch, wenn du noch mal das Maul aufreißt!“ „Mister Carberry! Ich wäre dir sehr verbunden, wenn die beiden oberen Kisten weggenommen werden könnten“, sagte Hasard in aller Gemütsruhe, „damit Old Donegal freie Hand hat. Ich glaube, der Drudenfuß muß auf den Deckel gemalt werden, nicht wahr, Old Donegal? Oder gehört er auf die Vorderfront?“
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„Nein, oben drauf“, erklärte Old O'Flynn. „Du hast genau -erkannt, auf was es ankommt, Sir. Geister fahren immer nach oben in die Lüfte und erst dann zur Seite oder in die Erde. Das ist Geistergesetz.“ Big Old Shane knirschte mit den Zähnen und verdrehte die Augen. Hasard drehte sich weg, um sein Grinsen nicht zu zeigen. Auch Ben Brighton biß die Zähne zusammen, Dan O'Flynn ebenfalls. Vier Männer lösten die oberen Zurrings und wuchteten die beiden Kisten an Deck. Old O'Flynn stelzte den Niedergang hinunter und nahm von Carberry Topf und Pinsel in Empfang. Die Männer traten zurück. Old O'Flynn näherte sich der Kiste mit glitzernden Augen, dabei murmelte er Sprüche vor sich hin, die kein Mensch verstand. Offenbar handelte es sich um Zauber- oder Beschwörungsformeln. Paddy Rogers, der rothaarige Bulle, der so empfänglich für derlei Hokuspokus war und zum Aberglauben neigte, hatte den Mund weit offen. Matt Davies, der neben ihm stand. stieß ihn an und sagte: „Mach's Maul zu, Paddy, sonst fliegt der Rasselgeist durch deine Luke!“ Paddys Mund schnappte zu wie eine Falle, sein Adamsapfel stieg auf und nieder. Er war sehr aufgeregt. Old O'Flynn tunkte den Pinsel in die Teerfarbe. „Wenn du mir das Deck versaust, Mister O'Flynn“, grollte Carberry, der's nicht lassen konnte, „stopf ich dir den Pinsel samt Stiel in die Gurgel und teer dich von innen!“ „Pschtt!“ flüsterte Smoky, der jetzt auch sehr erregt war. Carberry spießte ihn mit seinem Blick auf, aber das merkte Smoky gar nicht, weil er gebannt auf Old O'Flynn 'schaute. Der tupfte den Pinsel ab, stellte den Topf auf die mittlere Kiste und begann sein Werk. Da tropfte von der Teerfarbe wohl einiges durch die Ritzen im Deckel. Schlagartig setzte das Rasseln ein, lauter als je zuvor. Old O'Flynn sprang entsetzt zurück, was mit dem Holzbein schlecht
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funktionierte. jedenfalls stürzte er rücklings in Carberrys Arme, und weil er seinerseits mit den Armen herumruderte, wie es jeder tut, der die Balance verliert, klatschte er dem Profos den Pinsel um die Ohren und zog ihn auch einmal quer über das zernarbte Gesicht. Carberry röchelte zuerst, dann stieß er einen Urschrei aus. Big Old Shane sagte später, so röhrten Hirsche zur Brunftzeit. Sir John schreckte aus seinem Schlummer auf und wäre fast von der Fockrah gefallen. Flatternd hielt er sich fest und krakeelte los - nach echter Profos-Manier. Es war wieder was los auf der „Isabella“. In der Kiste ging das Gerassele weiter, Plymmie kläffte, der Profos tobte, Old O'Flynn zeterte, als würde er bereits vom Rasselgeist entführt, Sir John wetterte in übelster Weise, und auch Arwenack schimpfte vom Großmars herunter und spielte den verrückt gewordenen Affen. Die Männer jedoch lachten und hielten sich die Bäuche, zumal der jetzt im Gesicht quergestreifte Carberry seinerseits Rache nahm, sich den Pinsel schnappte und seine vorherige Drohung zwar nicht wortwörtlich erfüllte, aber den zeternden Donegal zumindest von außen teerte, und das streifenweise von oben nach unten. Und es kümmerte ihn nicht die Bohne, daß er dabei sein geheiligtes Deck mit Farbklecksen „versaute“. Er tunkte den Pinsel immer wieder frisch in den Pott und verzierte Old Donegal mit schwarzen Längsstreifen. „Hier! Und hier!“ brüllte er, klatschte dem Alten den Pinsel an den Schädel und zog die Streifen ruckzuck nach unten. Im Schnellverfahren verwandelte er Old O'Flynn in ein Zebra, während der Rasselgeist in der Kiste herumtobte, die Arwenacks Tränen lachten und die Bordviecher lamentierten, knurrten und keckerten. Carberry selbst sah mit seinem schwarzen Querstreifen von einem Ohr zum anderen aus wie ein Indianer mit Kriegsbemalung, fürwahr, ein Bild zum Fürchten, aber das war nichts im Vergleich zu Old Donegal, der in seinem eisernen Griff zappelte, Zeter
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und Mordio schrie und schwarz und schwärzer wurde. Dann war der Pott leer, und Carberry feuerte ihn samt Pinsel außenbords. Auf der Kiste prangte nur ein halber Drudenfuß, aber der war kaum noch zu erkennen, weil der Profos so wild gewirtschaftet und auch den Deckel vollgekleckst hatte. Als er Old Donegal aus seinem Griff entließ, donnerte der ihm zum Dank den Knüppel seiner Holzprothese vors Schienbein, und hinter diesem Tritt steckte so ziemlich alles, was der Alte an berstender Wut in sich aufgestaut hatte. Carberry sauste ab und versammelt sich brüllend über der mittleren Kiste. Damit wurde der halbe Drudenfuß vollends verschmiert, was den Rasselgeist in der Kiste schier zum Wahnsinn zu bringen schien, womit bewiesen war, daß ein verschmierter Drudenfuß noch weniger taugte als ein halber. Was ein ganzer taugte, war sowieso fraglich. Noch bevor sich Carberry und Old O'Flynn an die Gurgeln gehen konnten - denn dazu waren sie entschlossen -, stand Hasard zwischen ihnen und schirmte den einen vor dem anderen ab. „Schluß jetzt“, sagte er mit heiterer Milde, und das wirkte mehr, als wenn er scharf geworden wäre. „Vertragt euch wieder und verzeiht einander, wie es unter Christenmenschen üblich ist!“ Sie keuchten beide und pumpten Luft in ihre Lungen. Carberry grinste unter Schmerzen und rieb sich das Schienbein. Und Old O'Flynn grinste auch, weil es ihm gelungen war, Carberry vors Schienbein zu treten. Dieser Wüstling würde in der nächsten Zeit ganz schön humpeln. Hasard sagte: „Smoky, wenn du mit deinem Grinsen fertig bist, solltest du ein paar Pützen, zwei Bürsten und Schmierseife holen, damit sich die beiden Gentlemen entschwärzen können.“ „Aye, Sir!“ sagte Smoky hastig und flitzte ab. 4.
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Als sich „die beiden Gentlemen“, wie sich Hasard ausgedrückt hatte, „entschwärzt“ hatten - bei Old O'Flynn war ein Kleiderwechsel notwendig gewesen -, versammelte sich die Crew erneut um die geheimnisvolle Rasselkiste. Old O'Flynn zog es vor, zu schweigen, zunächst jedenfalls. Carberrys Miene war umwölkt, aber das beruhte mehr auf der Erkenntnis, daß er es sich selbst zuzuschreiben hatte, wenn das Deck nun versaut war. Folglich würde er es auch sein müssen, der die schwarzen Flecken mit dem Scheuerstein wegzuschrubben hatte er und kein anderer, das war Ehrensache. Nur dachte er dabei an die grinsenden Kerle, die zuschauen würden, und das bereitete ihm Mißbehagen. Hasard stand bei der gewissen Kiste, in der zur Zeit Ruhe herrschte, und ließ den Blick gedankenverloren über seine Männer wandern. „Kann mir“, sagte er, „einer erklären, auf was das Rasseln in dieser Kiste zurückzuführen ist? Ich meine, wenn wir einmal davon absehen, daß Old Donegal von einem Rasselgeist sprach. Vielleicht findet sich noch eine andere Erklärung.“ „Es ist ein Rasselgeist“, beharrte Old O'Flynn. Hasard seufzte ein bißchen. „Nun gut. Aber er hat dich nicht entführt, weil du noch unter uns weilst. Vermutlich steckt er auch noch drin. Soll ich mal gegenklopfen?“ „Lieber nicht“, murmelte Old O'Flynn. „Es könnte ihn erzürnen.“ „Old Donegal“, sagte Hasard geduldig, „wir müssen die Kisten im Laderaum verstauen, nicht wahr? Und dann geht die Rasselei womöglich da unten weiter. Vermutlich werden wir die Kiste auch irgendwann öffnen, um den tatsächlichen Wert ihres Inhalts festzustellen oder dies und jenes als Zahlungsmittel zu benutzen. Bedenke auch bitte, daß Plymmie mit dieser Kiste nicht einverstanden ist. Sie erregt in höchstem Maße ihren Unwillen.“ „Sie riecht eben den Rasselgeist!“ erklärte Old O'Flynn und bewies da- mit zum wiederholten Male, wie unendlich stur er
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sein konnte, wenn es sich um seine geliebten unsichtbaren Geister handelte. „Ha-ha!“ äußerte sich Big Old Shane oben an der Quarterdecksbalustrade, über der er sich mit den Unterarmen abgestützt hatte. Er sah aus wie Petrus, der sich aus dem Himmelsfenster neigt, um die Erde zu betrachten. Old O'Flynn blickte schief zu ihm hoch. „Du hast doch keine Ahnung, Mister Shane.“ Und triumphierend setzte er hinzu: „Jedenfalls bist du viel zu unbedarft, um eine Erklärung zu finden. Oder hast du eine?“ „Ich weiß nur, daß kein Rasselgeist in der Kiste ist“, sagte Old Shane. „Da geh ich jede Wette mit dir ein.“ Smoky horchte auf. Für Wetten war er zuständig, und er hätte auch gleich sehr gerne mitgewettet, aber er unterdrückte diesen Wunsch, weil mit diesen übersinnlichen Dingen nicht zu spaßen war. Erst recht durften sie dann auch nicht Gegenstand einer Wette, sein. Old O'Flynn hingegen reckte das Kinn streitlustig vor. „Wetten willst du?“ fragte er. „Na gut, ich halte dagegen. Und um was geht die Wette?“ „Wenn ich verliere“, sagte Big Old Shane grinsend, „darfst du mir meinen Bart abschneiden und die Kopfhaare mit Teerfarbe anstreichen, und zwar immer wieder neu, bis der Bart auf seine jetzige Länge nachgewachsen ist. Einverstanden?“ „Einverstanden!“ Old O'Flynn rieb sich die Hände. „Die Wette verlierst du. Wetz schon mal das Messer, Mister Shane.“ „Das geht klar“, sagte Old Shane und streichelte seinen mächtigen Bart. „Aber wenn du verlierst, dann mußt du mich in deiner geplanten Kneipe auf der Schlangeninsel eine Woche lang frei .saufen lassen, und zwar alles, was ich wünsche: Einverstanden?“ „Zwei Wochen lang!“ erklärte Old O'Flynn großzügig. „Und mein Schnuckelchen muß dir alle Speisen zubereiten, die du haben möchtest ...“ „Schnuckelchen?“ fragte Old Shane verblüfft. „Wer ist das denn?“
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„Äh ...“ Old O'Flynn merkte, daß er sich vergaloppiert hatte in seinem Eifer und sagte hastig: „Das ist meine - äh Beschließerin und Wirtschafterin!“ Und fast trotzig fügte er hinzu: „Jede Kneipe hat so was!“ Old Shane starrte zu Old Donegal hinunter, als hätte er einen Irren vor sich. Bei den Männern ging schon wieder das Grinsen um. Hasard war sich auch nicht ganz klar, was da mal wieder im Kopf des Alten herumspukte. Er schaute zu Dan hinüber, der etwas verdattert wirkte. Old Shane konnte auch ziemlich stur sein und hakte nach. „Du hast dieses Weib aber eben dein ,Schnuckelchen` genannt, Kann man vielleicht erfahren, was- du darunter verstehst, Mister O'Flynn?“ Wahrhaftig, Old O'Flynn kriegte rote Ohren. „Da - da mußt du dich wohl verhört haben“, sagte er nervös. „Also, gilt die Wette jetzt, oder gilt sie nicht?“ „Klar gilt sie“, sagte Old Shane, „und wenn ich gewinne, natürlich mit deinem Speisevorschlag, den dein Schnuckelchen dann auszuführen hat. Kann die Lady denn kochen? Und ist sie hübsch? Ich meine, so richtig knackig und so?“ Old O'Flynn überging geflissentlich die letzten Fragen und sagte: „Jawohl, die Wette gilt. Alle haben es gehört und sind Zeugen. Mister Shane behauptet, in der Kiste sei kein Rasselgeist. Ich hingegen erkläre, es sei einer drin. Wer verliert, muß zu seinem Wort stehen.“ „Old Donegal“, sagte Hasard sanft, „du scheinst dir nicht darüber klar zu sein, daß du die Wette verlieren wirst. Tritt also lieber von ihr zurück ...“ „Ich denke gar nicht daran!“ rief Old O'Flynn aufgebracht. „Du willst bloß nicht, daß ich gewinne!“ „Im Gegenteil, ich will nicht, daß du verlierst, mein Freund“, erwiderte Hasard. „Ich weiß nämlich, was in der Kiste ist, und das ist weiß Gott kein Rasselgeist.“ Er blickte zum Kutscher hinüber. „Stimmt's, Kutscher?“ „Aye, Sir, stimmt“, sagte der Kutscher lächelnd.
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„Was ist denn drin?“ fauchte Old O'Flynn. „Nimmst du die Wette zurück?“ fragte Hasard. „Letzte Chance!“ „Nein!“ schrie Old O'Flynn. „Ein Mann steht zu seinem Wort!“ „Na, dann steh mal schön“, sagte Hasard mit Spott in der Stimme, „einschließlich deinem Schnuckelchen, das für Old Shane zwei Wochen lang die gewünschten Speisen zubereiten muß. Wer ist denn die Auserwählte?“ „Ich will wissen, was sich in der Kiste befindet!“ brüllte Old O'Flynn außer sich. „Ich bin nicht schwerhörig, Mister O'Flynn“, sagte Hasard ruhig, „aber du bist der sturste Ochse, der mir je begegnet ist!“ Er schaute zum Koch und Feldscher der „Isabella“ hinüber. „Sag's ihm, Kutscher!“ „In der Kiste ist eine Klapperschlange“, sagte der Kutscher. „Auch wenn sie mit den Klappern - das sind Hornkörper am Ende des Schwanzes - rasselt, kann man sie wohl kaum als ,Rasselgeist` bezeichnen, es sei denn, Mister O'Flynn behauptet jetzt, Schlangen gehörten zur Gattung der Geister. Dem würde ich allerdings sehr energisch widersprechen, weil Geister etwas Unwirkliches sind, was auf eine Schlange nicht zutrifft.“ „Richtig“, sagte Hasard. Big Old Shane grinste breit. „Na, Mister Rasselgeist-O'Flynn? Da bleibt dir die Spucke weg, wie? Hoffentlich sind später in deinen Flaschen, die ich aussaufen werde, die richtigen Geister drin - die Weingeister, mein Alter! Und auf dein Schnuckelchen bin ich auch schon gespannt.“ Old O'Flynn zuckte zusammen. Dann stampfte er mit dem Holzbein auf und schrie: „Und es ist doch ein Rasselgeist in der Kiste! Die Wette gilt immer noch!“ „Ist das ein Blödmann!“ sagte Big Old Shane erschüttert. „Der größte Blödmann aller Zeiten! Und so was fährt an Bord der ,Isabella` zur See! Es ist wirklich nicht zu fassen.“ „Die Kiste muß geöffnet werden!“ schrie Old O'Flynn. „Klar muß sie das“, sagte Hasard und kratzte sich die Wange. „Fragt sich nur,
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wie wir das hinkriegen. Klapperschlangen sind nämlich giftig.“ „Ach du Scheiße“, murmelte Carberry und starrte mißtrauisch auf die Kiste. „Ich weiß was“, sagte der Kutscher. „Na?“ fragte Hasard. „Wir hebeln den Deckel so weit an“, sagte der Kutscher, „daß wir was hineinschieben können - zum Beispiel ein Stück Holz. Ich schätze, daß die Klapperschlange es annehmen und zubeißen wird. Damit entleert sie ihre Giftdrüse und wird schon ungefährlicher.“ Er wiegte den schmalen Kopf. „Riskant ist das natürlich auch, aber es dürfte die einzige Möglichkeit sein, ihr das Gift gewissermaßen abzuzapfen.“ „Ich könnte ihr auch meinen Haken anbieten“, sagte Matt Davies grimmig. „Was, Jeff?“ Er schaute zu dem anderen Hakenmann hinüber. „Klar, Matt“, sagte Jeff Bowie. „Da bin ich dabei! Wir lassen das Biest ein bißchen an unseren Haken nuckeln. Wär doch gelacht!“ „Oder unser Rasselgeist-Donegal schiebt sein Holzbein rein“, sagte Old Shane saugrob. „Shane!“ Das war Hasard - und ziemlich scharf. „Jetzt hör aber auf! Alles hat seine Grenzen! Wir haben hier jetzt genug Theater gehabt!“ Er fuhr herum. „Alle Mann zurück - auf die Back oder das Quarterdeck oder in die Wanten. Ferris! Ich brauche einen langen Kuhfuß, eine lange Zange und ein schmales Stück Holz!“ „Du?“ fragte Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, gedehnt. „Ja, ich, verdammt noch mal!“ Bei Philip Hasard Killigrew, dem Kapitän der „Isabella“, schien der gewisse Punkt erreicht zu sein. Jener Punkt, bei dem es ratsam war, aus dem Kinken zu treten und nichts weiter zu tun, als die Ohren anzulegen. Auch bei einem Sturm tat man das, und dieser Philip Hasard Killigrew war ein Sturm. „Aye, Sir“, murmelte Ferris Tucker und wandte sich ab, um aus der Zimmermannslast das Gewünschte zu holen.
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Aber da stand plötzlich Hasard junior vor seinem Vater, reckte das Kinn hoch, sah ihm blitzblank in die Augen und sagte sehr gelassen und sehr höflich: „Sir, es gibt da noch eine Möglichkeit, gar nicht erst an dem Deckel herumzuhebeln und irgendwas reinzustecken.“ Vater Hasard starrte auf sein Söhnchen hinunter - mit ziemlich eisigen Augen, so etwa, als wolle er sagen, daß dies hier eine Sache von ausgewachsenen Männern, aber nicht von Killigrew-Hüpfern sei. Er knurrte: „Und was soll das sein, diese Möglichkeit?“ „Ganz einfach“, sagte Hasard junior. „Wir unterfangen diese verdammte Rappelkiste mit vier Stropps, hängen sie an die große Talje, mit der wir die Boote abfieren oder hochhüsern, schwenken die Großrah wie gehabt aus und fieren die Kiste ins Wasser ab. Dann geht die Klapperschlange baden, nicht?“ Vater Hasard hatte den Mund offen, die Arwenacks genauso. Die sahen alle aus, als seien sie eben auf dem Mond gelandet, von dem Old O'Flynn einmal behauptet hatte, dort hüpften die Kälber mit vergoldeten Schwänzen herum. Bei Vater Hasard schnappte der Mund mit einem ähnlichen Laut zu wie zuvor bei Paddy Rogers. Er fuhr zu dem Kutscher herum. „Überstehen diese Biester so was?“ Der Kutscher zuckte etwas ratlos mit den Schultern. „Wenn ich das wüßte! Es soll ja Schlangen geben, die im Wasser leben. Aber von den Klapperschlangen ist mir das nicht bekannt.“ Er kaute auf der Unterlippe herum und hatte zwei steile Falten über der Nasenwurzel. „Mir ist die ganze Zeit schon durch den Kopf gegangen, wie dieses Vieh auf die Rabbit-Insel gelangt sein soll, denn nur dort kann die Schlange in die Kiste geschlüpft sein ...“ „Ha!“ schrie Old O'Flynn. „Also doch ein Rasselgeist!“ Hasard warf ihm einen vernichtenden Blick zu und zischte: „Old Man! Jetzt ist Schluß mit diesem verdammten Kram! Ich will's nicht mehr hören. In der Kiste ist eine Klapperschlange wie sie hineingeraten ist, werden wir nie mehr
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ergründen -, aber wir werden das tun, was mein Sohn vorgeschlagen hat. Und wenn wir die Kiste danach wieder an Deck haben, kann Plymmie schnüffeln. Sie genau wird uns sagen, ob das Biest noch lebt oder tot ist. Ich ersäufe zwar ungern Tiere, noch dazu eine Schlange, die unfreiwillig oder durch einen Zufall auf die ,Isabella' geraten ist, aber sie ist giftig, jetzt sowieso aufs höchste gereizt, und ich will nicht riskieren, daß einer von uns gebissen wird.“ Der Alte sagte nichts mehr und preßte die Lippen zusammen. Dafür sagte Ben Brighton sehr bedächtig: „Ein feiner Vorschlag von Hasard junior, Sir.“ Er wechselte den Blick und schaute vom Quarterdeck zum Junior hinunter. „Möchtest du gerne ersäuft werden, mein Junge? Ohne eine Chance zu haben, dich wehren zu können?“ „Nein, Mister Brighton, Sir“, sagte Hasard junior fest. „Ich gebe dir recht. Das Ersäufen ist eine verdammt miese Sache. Aber ich wollte nicht, daß mein Vater riskiert, gebissen zu werden. Wenn er die Kiste anhebelt, kann es passieren, daß die Schlange rausflitzt. Wir wissen ja nicht, wie dick sie ist. Darum habe ich das Ersäufen vorgeschlagen, auch wenn's mir den Magen umdreht.“ Das Söhnchen wollte nicht riskieren, daß der Vater gebissen wurde, und der Vater wollte nicht, daß irgendeinem der Arwenacks etwas passierte. Eine absurde Situation, die Ben Brighton nun auch noch kompliziert hatte, als er seine Fragen stellte. Dabei stand außer Frage, daß die Klapperschlange so oder so kein sehr langes Leben mehr haben würde: Bliebe sie in der Kiste, würde sie verhungern, hievte man sie in der Kiste außenbords ins Wasser, würde sie ertrinken, das heißt, ersticken, und ließ man sie aus der Kiste heraus, mußte man sie töten, bevor sie zubiß. Verhungern war grausam, Ersäufen genauso. Da blieb nur das Töten übrig, schnell und vielleicht schmerzlos. Aber was wußte man schon vom Schmerz eines Tieres!
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Bei diesem Gedanken angelangt, sagte Hasard: „Also, ich weiß nicht ...“ Er verstummte wieder, weil sich Carberry räusperte. „Ja, Ed? Hast du eine Lösung?“ Der Koloß von Profos zupfte an seinem rechten Ohr herum, grinste etwas verlegen, scharrte mit dem Fuß über die Planken und sagte dann: „Ja, so, vielleicht - vielleicht, ich meine, vielleicht sollten wir die Klapperschlange als viertes Bordtier bei uns behalten, was, wie?“ Die Männer starrten ihn perplex an. Ein viertes Bordtier! „Bist du verrückt?“ Das war Ferris Tucker, der sich als erster faßte. „Willst du das liebe Tierchen vielleicht hätscheln und streicheln und in der Tasche spazierentragen wie deinen Sir John? Und was soll das Vieh fressen, he? Etwa Hafergrütze oder Bananen oder vergammelten Schiffszwieback? Und jeden Tag wird einer gebissen, wie?“ „Ich mein ja nur“, murmelte der Profos. „Wir könnten natürlich auch das Tierchen in einen Käfig sperren und später irgendwo wieder an Land setzen, nicht?“ Die Sache wurde immer verrückter. „Dann hol das Tierchen mal aus der Kiste raus und setz es in deinen Käfig!“ höhnte Ferris Tucker. „Sag ihm auch, es solle schön brav sein! Am besten, du killerst es unterm Hals, damit es bei guter Laune bleibt. Bestimmt schaffst du es, das Biest zum Kichern zu bringen! Also, ich bau den Käfig nicht, damit du klar siehst, verdammt noch mal!“ Hasard sagte: „Ferris hat recht, Ed. Eine Klapperschlange als Bordtier wäre für uns alle zu gefährlich, auch wenn wir sie in einem Käfig unterbringen würden. Laß den verdammten Zufall eintreten, daß sie daraus entwischt, und schon ist das Unglück passiert. Ich wüßte auch nicht, mit was wir sie füttern sollten. Da muß ich Ferris ebenfalls recht geben. Kutscher, was fressen Klapperschlangen?“ „Kleingetier, Sir“, erwiderte der Kutscher, „Mäuse, Frösche, Vögel und so weiter. Aber sie frißt nicht im üblichen Sinne, sondern würgt ihre Beute mit Haut und Haaren herunter...“
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„Mahlzeit“, sagte Ferris Tucker angeekelt. Der Kutscher musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen. „Das ist eine sehr unangemessene Bemerkung, Mister Tucker“, sagte er. „Tiere haben eben andere Eßgewohnheiten als wir. Wenn ich euch allerdings manchmal das Essen herunterschlingen sehe, dann seid ihr den Schlangen gar nicht so unähnlich.“ „Danke“, sagte Ferris Tucker trocken. „Die Giftzähne überlassen wir dafür dir, damit du ordentlich auf uns herumhacken kannst.“ „Sehr witzig, Mister Tucker“, sagte der Kutscher kühl und wandte sich wieder Hasard zu: „Sir, es dürfte unmöglich sein, die Schlange an Bord zu ernähren. Allerdings ist mir nicht bekannt, innerhalb welcher Zeit sie ihrem Ernährungstrieb folgt.“ „Du meinst, wie lange sie ruht oder schläft, bis sie wieder auf Beutejagd geht?“ fragte Hasard. „Ja.“ „Was weißt du sonst noch über die Klapperschlangen?“ Der Kutscher lächelte. „Nicht viel, Sir. Nur scheint sie ein höfliches Tier zu sein, weil sie mit ihrem Rasseln einen Gegner warnt, ihr nicht zu nahe zu treten. Verglichen mit unserer Verhaltensweise setzt sie ihm also einen Schuß vor den Bug. Erst wenn die Warnung mißachtet wird, stößt sie zu, dann allerdings mit tödlichem Erfolg.“ Ferris Tucker verzog das Gesicht. „Ein entzückendes Tierchen!“ „Ferris, hör auf!“ sagte Hasard. „Du magst keine Schlangen, aber sie leben nun einmal auf dieser Welt, und als Mäusevertilger sind sie sogar nützlich. So, und jetzt hau ab und hol mir einen Kuhfuß, die längste Zange, die du hast, ein schmales Stück Holz und einen stabilen Kistendeckel, den du entbehren kannst.“ „Aye, Sir“, brummte Ferris Tucker. „Wozu den Kistendeckel?“ „Als Floß“, erwiderte Hasard knapp. „Für die Schlange?“ fragte der Schiffszimmermann verblüfft. „Für mich
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jedenfalls nicht“, sagte Hasard ironisch. „Sonst noch Fragen?“ „Ich geh ja schon.“ „Sehr begrüßenswert“, sagte Hasard. „Sonst unterhalten wir uns morgen noch über die Klapperschlange, nicht wahr?“ Ferris Tucker verschwand brummelnd. Hasard scheuchte alle Männer von der Kuhl, auch seine beiden Söhnchen samt Plymmie. Ben Brighton erklärte, daß er bei der Kiste mithelfen wollte, wurde von Hasard aber abgeschmettert. „Das ist jetzt meine Sache“, sagte er schroff. „Aber du kannst doch nicht ...“ „Und ob ich kann!“ unterbrach ihn Hasard wild. „Ende der Diskussion. Wir haben jetzt lange genug herumpalavert. Ich jage das Biest außenbords und gebe ihm mit dem Kistendeckel eine Chance, zu überleben. Mehr kann ich nicht tun.“ Der Kutscher rief von der Back her: „Klapperschlangen sollen übrigens auch Fische verschlingen!“ „Na bitte“, sagte Hasard. Ferris Tucker kehrte zurück, legte die gewünschten Sachen auf die linke Kiste und verzog sich mit brummigem Gesicht aufs Quarterdeck. Die Männer hatten alle verbissene Gesichter. Es paßte ihnen absolut nicht, passiv zuschauen zu müssen, während ihr Kapitän Kopf und Kragen riskierte, damit keiner von ihnen von der verdammten Klapperschlange erwischt wurde. Aber sich zu widersetzen war auch nicht drin, denn da würden sie bei ihrem Kapitän auf Granit beißen. Allerdings bewaffneten sie sich mit Spillspaken und waren entschlossen, draufzuschlagen, wenn das Biest aggressiv wurde. Hasard öffnete die Geschützpforten des 17pfünders hinter dem Steuerbordniedergang zum Quarterdeck und des 25pfünders auf der Kuhl vor dem Niedergang. Dann sprang er auf die Mittelkiste, und schon ging das Gerassel wieder los. Old O'Flynn oben auf dem Quarterdeck ächzte. Hasard grinste verwegen zu ihm hoch.
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„Paß genau auf, Old Donegal!“ sagte er. „Jetzt geht's um deine Wette mit Shane Rasselgeist oder Klapperschlange!“ Er langte nach dem Kuhfuß, grätschte weit die Beine, so daß er auf den Kanten der Vorder- und Rückseite stand, den Rücken nach Backbord gewandt, beugte sich vor und rammte den Kuhfuß, mit dem Kisten aufgebrochen werden, in die Spalte zwischen Deckel und Gehäuse. Dann hebelte er den Kuhfuß an, nicht hart, sondern mit Gefühl. Es knarrte. Dazu erklang das Rasseln - die Warnung, von welcher der Kutscher gesprochen hatte.. Ben Brighton war lautlos drei, vier Stufen des Steuerbordniedergangs hinuntergestiegen, duckte sich jetzt und spähte zu der Spalte, in welcher der Kuhfuß steckte und die ihm zugewandt war. „Jetzt das Holz!“ sagte er heiser. „Es müßte schon passen!“ Hasard schaute auf und knurrte: „Verschwinde da, Mister Brighton! Sonst beißt dir die Schlange die Nase ab!“ Ben Brighton stieg zwei Stufen höher und zog die Pistole. „Mich wirst du nicht los, Sir“, sagte er verbissen. „Hier habe ich auch ein Wörtchen mitzureden.“ Seine Augen schimmerten granitfarben, ein Grau, das sie annahmen, wenn's bei ihm zur Sache ging. Hasard kannte das und sagte: „Ben, sei friedlich. Das hier ist mein Job, nicht deiner!“ „Interessiert mich nicht.“ „Meutern, wie?“ „Nenn's, wie du's willst!“ Ben Brighton wich um keinen Deut zurück. „Ein Kapitän, der sich allein mit einer Klapperschlange anlegt, hat nicht alle Tassen im Schapp, damit das klar ist.“ Hasard seufzte. „Na gut, dann tritt wenigstens aus dem Kinken, wenn das Biest die Nase raussteckt.“ „Bin ja nicht lebensmüde.“ „Ich auch nicht.“ „Sollte man aber meinen.“ Dieser Ben Brighton, breitschultrig und kantig, sparte mit keiner Erwiderung und zahlte hart zurück.
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Hasard gab's auf. Ganz friedlich sagte er: „Siehst du schon was?“ Ben Brighton stieg wieder zwei Stufen hinunter und peilte zu dem Spalt. „Ich seh nur, daß sich da was bewegt“, sagte er. Das Rasseln hörte nicht auf. Hasard klemmte das Holz zwischen die Backen der Zange, stieß es mittels der Zange, die er von oben hielt, zwischen den Spalt, löste den Zangengriff und trieb das Holz dann mit dem Kuhfuß tiefer in die Kiste. Das Rasseln brach jäh ab, Bruchteile von Sekunden später erzitterte das Stück Holz. Ben Brighton konnte das deutlich sehen. „Sie hat zugebissen“, sagte er. Das Rasseln setzte wieder sein, aber sehr leise. Hasard zog das Holz mit der Zange aus dem Spalt, nahm es vorsichtig in die Hand und betrachtete die Oberseite. Ja, da waren zwei haarfeine Löcher zu sehen, nebeneinander und augenscheinlich feucht. „Und?“ fragte Ben Brighton. „Stimmt”, sagte Hasard, „sie hat zugebissen. Aber es wird ihr nicht geschmeckt haben. Fragt sich jetzt, wie viel sie von ihrem Gift abgegeben hat - oder ob sie merkt, daß das Holz gar kein Feind ist.“ „Laß sie doch noch mal kosten.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Die ist doch nicht blöd. Ben! Nach ihrer Erfahrung muß die Beute jetzt tot sein, wobei Holz sowieso schon tot ist, jedenfalls dieses Stück Holz. Das hat keinen Zweck mehr.“ Er warf das Stück nach außenbords und nahm wieder den Kuhfuß zur Hand. „Paß jetzt auf und tritt aus dem Kinken, Ben. Ich hebele den Deckel höher!“ Die Männer, die alles mitverfolgt hatten, hielten den Atem an. Ben Brighton glitt wieder zwei Stufen höher und richtete die Pistole auf den Spalt. Er hielt sie mit beiden Händen umklammert, um sie beim Schuß nicht zu verreißen. „Ben“, sagte Hasard ruhig, „du schießt nur, wenn sie angreift, verstanden?“ „Verstanden.“ Hasard nickte ihm zu, beugte sich vor und setzte jetzt Kraft ein. Mit einem Ruck riß
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er den Kuhfuß, den er in den Spalt geschoben hatte, zurück. Der Deckel wurde auf dieser Seite um etwa zwei Handbreiten angelüftet. „Da ist sie!“ zischte Ben Brighton und zielte. Hasard blieb ganz still, seine Hände umklammerten den Kuhfuß, dieses lange Hebeleisen, dessen unteres Ende umgebogen, geplattet und dreiecksförmig eingeschnitten war. Hasard hielt den Spalt offen und rührte sich nicht. An Bord herrschte Totenstille - abgesehen vom Knarren der Takelage, dem Singen des Windes in den Stagen, Wanten und Pardunen und den klatschenden Geräuschen der See. Der Schlangenkopf schob sich aus dem Spalt. Er hatte etwas Ähnlichkeit mit dem Kopf einer Schildkröte. Sachte pendelte er hin und her, der Leib folgte langsam, glitt weiter und über den Deckel der danebenstehenden Kiste. Ben Brighton verfolgte das Gleiten mit dem Pistolenlauf, die Mündung auf den Kopf gerichtet. Das Tier war bräunlich geschuppt, oben dunkler als an den Seiten. Schwarze Flecken waren in regelmäßigen Abständen über den ganzen Leib verteilt bis hin zur Schwanzspitze, wo sich die „Klapper“ befand, jene scheppernden verhornten Hautringe. Aber die waren jetzt nicht am Rasseln. Hasard schätzte das Tier auf etwa anderthalb Yards Länge. Es hatte die Kiste verlassen und verharrte jetzt unschlüssig an der Außenkante der anderen Kiste. Wieder pendelte der Kopf hin und her, aus dem Maul züngelte eine lange, schmale Zunge, die vorn gespalten war. Es sah aus, als schmecke das Tier die Luft ab. Hasard konnte aufatmen. Aber er verharrte immer noch in derselben Stellung und bewegte sich nicht, um die Schlange nicht zu einer Reaktion zu veranlassen. Wenn sie jetzt anfängt, das Schiff zu untersuchen, dachte er, muß was passieren. Die Schlange glitt an der Kiste hinunter. Jetzt hielt auch Hasard die Luft an. Sie bewegte sich schlängelnd auf die geöffnete Pforte des 17pfünders zu, als würde sie
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von dort magisch angezogen. Nichts kümmerte sie mehr, kein Links und kein Rechts. Hasard war starr vor Staunen. Ein bißchen hatte er gehofft, daß die Schlange diesen Weg nehmen könnte. Daß sie es nun tat, war eins der Rätsel, das niemand würde lösen können. Der. Kutscher sagte später sehr nachdenklich, er habe den Eindruck gehabt, daß sie unbedingt zum Wasser wollte. Jedenfalls rückte die Schlange unaufhaltsam auf die Pforte zu, stieß hindurch und verschwand. Hasard sprang wie der Blitz von der Kiste, schnappte sich den Kistendeckel, den Ferris gebracht hatte, eilte zum Steuerbordschanzkleid - wie alle Männer -, sah die Schlange auftauchen und warf den Deckel in ihre Richtung. Und nun passierte wieder etwas sehr Erstaunliches: Das Tier schlängelte durchs Wasser, den Kopf starr erhoben, auf den Kistendeckel zu, schob sich hinauf und kringelte sich in der Mitte zusammen. „'ne Schlange, die zur See fährt“, sagte Carberry, der neben Hasard aufgetaucht war. „Ich glaub, ich spinne!“ Er hatte kaum ausgesprochen, da passierte das dritte Erstaunliche. Eine Möwe stieß auf das kleine Floß hinunter, der Schlangenkopf zuckte hoch, das weit aufgerissene Maul schnappte zu, etwa am Hals der Möwe, und fuhr wieder zurück. Das Gift mußte augenblicklich wirken, denn die Möwe klatschte wie betäubt auf das Floß, die Flügel bewegten sich noch schwach, dann rührte sie sich nicht mehr. Das Floß trieb achteraus. Die Schlange begann ihr Mahl. Die Männer reckten die Hälse, in ihren verblüfften Mienen spiegelte sich das Erstaunen über das, was sie eben als unmittelbare Zeugen erlebt hatten. Total erschüttert sagte Carberry: „'ne Schlange, die nicht nur zur See fährt, Leute, sondern eine, der auch noch die gebratenen Tauben ins Maul fliegen!“ „Es war 'ne Möwe, Ed“, sagte Mac Pellew in seiner grämlichen Art, „und 'ne Möwe
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ist in der Einzahl und kann nicht als ,gebratene Tauben' bezeichnet werden.“ „Mir doch egal“, brummte der Profos. „Und sie ist ihr auch nicht ins Maul geflogen“, sagte Mac Pellew beharrlich, „sondern die Schlange hat, sie gebissen. Und gebraten war sie schon gar nicht, sonst wäre sie braun gewesen, nicht weiß.“ „Hä?“ Carberry hatte gar nicht richtig zugehört. Er war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. „Was faselst du da, du Dünnmann? Das ist 'ne ganz besondere Schlange, sag ich dir. So was hat's noch nie gegeben, 'ne klappernde Seeschlange ist das, verstanden?“ „Bestreite ich ja gar nicht“, sagte Mac Pellew beleidigt. „Nur frißt sie keine gebratenen Tauben.“ „Wer sagt das denn?“ fuhr ihn der Profos an. „Du!“ „Ich?“ „Ja!“ „Quatsch ...“ Hasard räusperte sich, um den sinnigen Dialog zu beenden, bei dem der Profos erfahrungsgemäß mal wieder losböllern würde. Er sagte: „Gentlemen, ich stelle hiermit fest, daß Mister O'Flynn der Ältere die Wette mit Mister Shane verloren hat, es sei denn, jemand behauptet, die Klapperschlange sei ein Rasselgeist gewesen.“ Sein Blick wanderte über die grinsenden Arwenacks. „Wer das meint, soll bitte die rechte Hand heben!“ Das Grinsen verstärkte sich. Alle Augen richteten sich auf Old Donegal. Keine Hand wurde gehoben. Old Dongeal sah ziemlich verbiestert aus. Wütend erklärte er: „Der Rasselgeist hat sich in eine Schlange verwandelt! Geister haben die Fähigkeit, jede gewünschte Gestalt anzunehmen!“ „Soll das heißen, daß du die Wette gewonnen hast?“ fragte Hasard grimmig. „Himmel, Arsch und Rasselgeist, du hast die Wette angenommen, obwohl ich dich gewarnt hatte! Du hast mich sogar angeschrien, Old Man! Und du hast gesagt: Ein Mann steht zu seinem Wort! Wir
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waren alle Zeugen. Du hast gesagt: Die Wette gilt! Jetzt komm mir nicht mit fadenscheinigen Ausflüchten, verdammt noch mal! In der Kiste war eine Klapperschlange, und zwar von Anfang an. Dein Rasselgeist ist ein Phantasieprodukt. Du stellst Behauptungen auf, die du hinterher nicht beweisen kannst. Aber gegen jede Regel der Vernunft beharrst du auf deinen Behauptungen und phantasierst weiter. Da soll einem nicht der Kragen platzen! Erkennst du die Wette an oder nicht?“ „Ich sag überhaupt nichts mehr!“ zeterte der Alte. „Das wäre für uns alle ein Segen“, erwiderte Hasard mit klirrendem Spott. „Aber aus der verlorenen Wette wirst du nicht entlassen, Mister O'Flynn. Die wirst du einlösen, oder wir nehmen tagtäglich deine geplante Schnapsbude auf der Schlangeninsel auseinander, wie wir das von Plymsons ,Bloody Mary' her gewohnt sind. Nur werden wir bei dir noch kräftiger zupacken als bei Plymson. Wir werden die Hölle loslassen, und ich werde der erste sein, der dir das Dach über dem Kopf wegpusten wird, das verspreche ich dir!“ „Jawohl, richtig, Sir!“ brüllte Carberry begeistert. „Jeden Tag gibt's Zunder! Da bin ich dabei als frommer Pilger! Und ich werde jedesmal ganz freundlich fragen: Old Donegälchen, hast du schon deine kleine Wette eingelöst, mein Alterchen? Nein, hast du noch nicht? Dann muß ich leider deinen Tresen auf den Kopf stellen, mit ein paar Fässerchen herumwerfen, ein bißchen die Dielen aufreißen und die Wände umstoßen!“ Carberry grinste wie tausend Teufel. „Und dir polier ich den Affenarsch, mein Alter!“ Old Donegal war blaß und blässer geworfen. Für die Zukunft seiner Kneipe sah er dagegen schwarz. Hasard war kein Mann leerer Sprüche, was der versprach, das hielt er. Und wenn Carberry, dieser Raufbold, den „frommen Pilger“ spielte, dann wackelten nicht nur die Wände, sondern sie stürzten auch ein. Und die ganze Arwenack-Bande würde mitmischen - nach Art der Schlachten in Plymsons
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Hafenkneipe, um die schon Legenden gewoben wurden. Zerknirscht sagte Old O'Flynn: „Aye, Sir, ich habe die Wette verloren. Mister Shane hat gewonnen. Er kann zwei Wochen lang in meiner Kneipe trinken, soviel und was er will, und meine Wirtschafterin wird sich um sein leibliches Wohl kümmern. Aber nur um sein leibliches Wohl, Sir, amouröse Anbiederungsversuche seitens Mister Shanes haben zu unterbleiben, weil ich ein anständiges Haus habe, kein - kein ...“ Er verstummte, weil er bemerkte, daß Hasards Söhnchen aufmerksam zuhörten. „... Etablissement, Sir“, sagte Hasard junior laut und deutlich. Vater Hasard zuckte zusammen. „Sehr wohl, Söhnchen“, sagte Old O'Flynn hastig. Er lachte etwas nervös. „Ist jetzt alles klar, Sir?“ „Alles klar, Old Donegal“, sagte Hasard, runzelte aber die Stirn. „Ich kapier nur nicht, was du immer von einer Wirtschafterin redest ...“ „’Schnuckelchen` hat er sie genannt!“ Big Old Shane grinste von einem Ohr zum anderen. „Da muß ich mich wohl versprochen haben“, sagte Old O'Flynn wiederum sehr hastig. „Oder du hast dich verhört, Mister Shane. Jedenfalls habe ich beschlossen, eine Wirtschafterin einzustellen, die mir zur Hand geht, nicht? Und ich weiß wirklich nicht, was es da zu grinsen gibt. Ich kann mich nicht gleichzeitig um die Küche und die Gäste kümmern.“ Hasard nickte. „Das ist schon richtig, Old Donegal. Aber mir ist nicht klar, wo du eine solche Wirtschafterin herkriegen willst. Oder hast du schon eine?“ „Nein, noch nicht. Ich dachte, ich schau mal bei Diego auf Tortuga rein. Vielleicht kann der mir was vermitteln, nicht?“ „Hm, könnte sein“, meinte Hasard, fragte aber nicht weiter. Dennoch, da steckte mehr dahinter. Old Donegal tat viel zu harmlos, und den „Versprecher“ mit dem „Schnuckelchen“ hatte jeder gehört. Der Alte brütete irgendetwas aus, und Hasard hatte so eine Ahnung, daß sein Schwiegervater die Absicht hatte, auf
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Brautschau zu gehen. Na, das würde noch was geben! Als Hasard sich Carberry zuwandte, um ihn an das Verstauen der fünf Kisten zu erinnern, bemerkte er amüsiert, wie Old Donegal sichtlich aufatmete. Der alte Halunke! 5. Drei Galeonen des Sechserverbandes, der in der Nacht aus Pensacola westwärts gesegelt war, blieben vor dem Lake Pontchartrain beigedreht und mit aufgegeiten Segeln liegen. Das Flaggschiff „Santa Veronica“, die „Galicia“ und eine dritte Galeone stießen in den See vor. Bisher war dem Verband kein Schiff begegnet, obwohl Don Augusto Medina Lorca, der Generalkapitän, befohlen hatte, die Ausgucks auf allen sechs Galeonen doppelt zu besetzen. Sie hatten nichts entdeckt, absolut nichts. Man suchte nach der bekannten Nadel im Heuhaufen. Die „Isabella“ und die „San Donato“ konnten sonst wo sein. Aber immerhin hatte Don Jose Isidoro, der Kapitän der auf ein Riff gelaufenen „Santa Teresa“, ja erklärt, er vermute, daß die beiden gesuchten Schiffe im Lake Pontchartrain Schutz gesucht haben könnten. Jetzt breitete sich der See in seiner ganzen Weite vor den drei Galeonen aus. Aber auch hier war auf Anhieb kein Schiff zu sehen. Dafür entdeckten die Ausgucks aller drei Schiffe Trümmerteile, die auf dem Wasser herumschwammen. Der Generalkapitän, der nervös auf dem Achterdeck seines Flaggschiffs auf und ab marschiert war, befahl, eine Jolle auszusetzen, um die Trümmerteile untersuchen zu lassen. Vielleicht ergaben sich aus diesen Teilen irgendwelche Rückschlüsse. Die Jolle wurde ausgeschwenkt und abgefiert. Die Bootscrew samt Bootsführer enterte ab, ein Schiffszimmermann und der Erste Offizier der „Santa Veronica“ folgten ihnen.
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Den beiden anderen Galeonen befahl der Generalkapitän, den See bis zum Ende abzusuchen und dann wieder umzukehren. Er selbst werde hier mit dem Flaggschiff warten. Die Jolle legte ab und krebste auf ein Trümmerstück zu. Der Generalkapitän nahm seine Achterdeckswanderung wieder auf - ein Vorrecht, das nur Kapitänen oder Verbandsführern zustand. War ein Admiral an Bord, dann mußte auch der Kommandant auf dieses Vorrecht verzichten. Immerhin legten die allerhöchsten Herren der Schiffsführung auf diese Weise nie gezählte Meilen zurück, richtige Marschierer waren sie, obwohl sie zur See fuhren. Meist hatten sie die Hände auf dem Rücken verschränkt, und die Falten auf ihren Stirnen verrieten, daß sie mit schwerer Denkarbeit beschäftigt waren. Um sie ungestört denken zu lassen, waren die anderen Herren auf dem Achterdeck dazu verurteilt, die Haltung von Salzsäulen einzunehmen und schweigend zu verharren. Geflüsterte Befehle waren erlaubt, aber auch nur, wenn das unbedingt notwendig war und den denkenden Marschierer nicht störte. Meistens wurden in solchen Fällen die Befehle auch gar nicht geflüstert, sondern mit entsprechenden Handbewegungen und Mimiken kundgetan. Es hatte sich da eine eigene Zeichensprache entwickelt, die wiederum aber auch nur angewandt wurde, wenn der Erhabene dem Signal- oder Befehlsgeber den Rücken zuwandte. Nicht wahr, auch erregte Handbewegungen waren dazu angetan, den Denkprozeß des Wanderers zu stören. Es war schon eigentümlich, was sich da so auf den Achterdecks speziell spanischer Kriegsschiffe abspielte: Einer wanderte hin und her, zumeist von der Backbordseite zur Steuerbordseite und wieder zurück, die anderen standen da wie bestellt und nicht abgeholt, oder einer von diesen anderen schnitt Grimassen und gestikulierte. Und alle waren stumm.
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Zu dieser Stunde auf dem Achterdeck des Flaggschiffs passierte das Unmögliche, daß eine Möwe quer über das Achterschiff flog und das fallen ließ, was man als Endprodukt der Verdauung zu bezeichnen pflegt. Es bestätigte sich hier die Binsenwahrheit, daß Tiere keine Notiz von den Gepflogenheiten der Menschen nehmen, in diesem besonderen Falle hatte die Möwe in gröblicher und unverschämter Weise respektlos gehandelt. Allerdings hatte sie ungenau gezielt, unterstellte man ihr die Absicht, daß sie den Generalkapitän treffen wollte. Aber das wäre nun wirklich eine böswillige Unterstellung gewesen. Das grauweiße Häufchen klatschte hinter dem Generalkapitän auf die Planken und spritzte ein bißchen auseinander. Der Erhabene hatte nichts mitgekriegt. Er langte am Backbordschanzkleid an. Die Senores - jene Salzsäulen - starrten stieren Blicks auf das Häufchen, das der Generalkapitän wieder überqueren würde, wenn er den Rückmarsch antrat. Oder er würde hineintreten. Drehte er sich um? Nein! Er blieb am Backbordschanzkleid stehen entgegen der bisherigen Marschroutine und blickte sinnend über das Wasser, nein, natürlich nicht sinnend, sondern gedankenschwer, wie es Geschwaderführern ansteht, die gewichtige strategische Entscheidungen zu treffen haben. Das Häufchen mußte weg! Und so setzte denn hinter dem Rücken des Generalkapitäns das ein, was wir mit Zeichensprache erklärten. Die Senores gestikulierten alle gleichzeitig, hatten verzerrte Gesichter, deuteten auf das Häufchen mit der einen Hand und vollführten wischende Bewegungen mit der anderen. Die einen schneller, die anderen heftiger - je nach Temperament. Vom gemeinen Schiffsvolk weilten nur der Rudergänger, zwei Signalgasten, ein Läufer und ein Trompeter auf dem Achterdeck. Und alle fünf Kerle fühlten sich nicht zuständig, natürlich nicht, weil
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das Achterdeck als Reinschiffstation nicht ihre Sache war. Dafür waren wiederum andere Kerle eingeteilt, schließlich gab es dafür einen Rollenplan, und an den hatte man sich zu halten, sonst brauchte man einen solchen Plan ja gar nicht erst aufzustellen, nicht wahr? Die Bewegungen der Senores hingegen wurden immer grotesker und hysterischer, weil ja kostbare Zeit verstrich. Das Häufchen hätte längst entfernt werden können! Keiner der Senores verfiel auf den Gedanken, den Möwendreck selbst wegzuräumen. Es waren anwesend: der Zweite und der Dritte Offizier, der Signalmeister, der Adjutant, der Schiffsarzt, der Zahlmeister sowie der Capitan und ein Teniente der Seesoldaten. Jetzt stach in allerhöchster Not der Zeigefinger des Zweiten Offiziers auf den Läufer zu, und seine Lippen formten stumme Befehle. Der Läufer kannte sich jedoch in der Taubstummensprache nicht aus, und ein Taubstummer hätte mit den Lippenbewegungen des Zweiten Offiziers vermutlich auch nichts anzufangen gewußt. Nun hatte nach allgemeinem Reglement ein Läufer für alles bereit zu sein - ob allerdings für die Beseitigung von Möwendreck, das hätte erst geklärt werden müssen. Der Zweite Offizier meinte mit seiner Gestik und Taubstummensprache zwar, der Läufer solle den Möwendreck pronto - pronto! - wegwischen. Aber der Läufer verstand nicht oder wollte nicht verstehen. Dafür aber sauste er ab - das war seine Auslegung über das Herumhampeln und Fratzenschneiden des Zweiten Offiziers -, brauste auf die Kuhl hinunter und wahrschaute den Bootsmann über das Unglück, das dem Achterdeck widerfahren war. „Möwenscheiße?“ sagte der Bootsmann verächtlich. „Die tritt sich fest oder wird vom nächsten Regen abgewaschen. Oder morgen beim Reinschiff.“ Der Läufer kriegte Zustände und betonte, daß der Zweite Offizier ihn geschickt habe.
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Jetzt erschien der Zweite Offizier auch noch an der Querbalustrade des Achterdecks - er war auf Zehenspitzen dort hingeschlichen, natürlich unter sorgfältiger Umgehung des Häufchens - und hampelte dort weiter herum. Er sah aus wie eine Marionettenclown. Zum Glück verharrte der Generalkapitän Don Augusto Medina Lorca immer noch in seiner Denkerpose am Backbordschanzkleid. Der Bootsmann sandte einen stillen Fluch in den blauen Vormittagshimmel, weil er den Zweiten Offizier sowieso für einen Hampelmann hielt, bequemte sich aber, einem Seemann den Befehl zu erteilen, die „Möwenscheiße“ auf dem Achterdeck zu beseitigen. Der Seemann war begriffsstutzig, weil er sich nicht vorstellen konnte, daß sich eine Möwe ausgerechnet das geheiligte Achterdeck als Ziel für den gewissen Zweck ausgesucht hatte. „Hä?“ sagte er und starrte in den Himmel. Vielleicht kreiste die Urheberin des Attentats noch über dem Schiff, was immerhin ein Beweis für den Abwurf gewesen wäre. Aber die Möwe hatte längst das Weite gesucht. „Hol Feudel und Pütz, du Idiot!“ zischte der Bootsmann. „Auf dem Achterdeck liegt Möwendreck rum. Wisch's weg, verdammt noch mal!“ Der Seemann trollte sich. Warum ausgerechnet er aufs Achterdeck sollte, um dort Möwendreck wegzuwischen, leuchtete ihm nicht ein. Außerdem war seine Reinschiffstation auf der Back. Er beeilte sich nicht besonders. So verstrich weiterhin Zeit. Der Zweite Offizier umklammerte jetzt den Handlauf der Balustrade, als drohe er, in den nächsten Sekunden umzufallen, und im übrigen schwitzte er Blut und Wasser. Er bedauerte sich, der Leidtragende zu sein, weil er in Abwesenheit des Ersten Offiziers jetzt der verantwortliche Mann auf dem Achterdeck war, jawohl, auch für die Exkremente von Möwen war er verantwortlich, so sie das Achterdeck verunzierten. Wäre das Häufchen auf der
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Kuhl oder der Back gelandet, hätte ihn das nicht weiter interessiert, zumal dies die Bereiche des Schiffsvolks waren. Hinter ihm polterte etwas. Er fuhr herum. Don Lope de Sanamonte erschien auf dem Achterdeck, Don Lope, der Kommandant von Fort St. Augustine, mit dem der Generalkapitän in ständiger Fehde lag, wie alle Senores des Achterdecks wußten. Der Zweite Offizier zuckte zusammen und wollte noch warnen, aber es war bereits zu spät. Der nicht sehr große und etwas schwammige Don Lope de Sanamonte trat mit dem rechten Schnallenschuh vierkant in das Häufchen - und erstarrte. Natürlich hatte er gemerkt, daß sich unter seiner Schuhsohle etwas Weiches befand, das mit der Härte der Planken nicht identisch war. Er verdrehte den Kopf nach rechts unten, winkelte das rechte Bein an und besichtigte die Schuhsohle. „Schweinerei!“ schrie er, womit er erneut bewies, was er für ein Ignorant war, weil er die Riten und Gebräuche auf den Achterdecks spanischer Kriegsschiffe mißachtete oder nicht kannte. Der Zweite Offizier wünschte ihm die Pest an den Hals. Zu weiteren freundlichen Wünschen langte es nicht, weil der Generalkapitän - aus seinem strategischen Denken aufgeschreckt - herumgewirbelt war und den Dicken mit vernichtenden Blicken regelrecht aufspießte. „Sind Sie nicht bei Troste?“ fuhr er Don Lope an. „Man hat mich in Kot treten lassen!“ sagte Don Lope de Sanamonte empört. „Warum liegt hier Kot auf dem Fußboden? Ausgerechnet an dieser Stelle, über die ich treten muß, wenn ich von dort komme!“ Er deutete auf das Achterdecksschott. Kot auf dem Fußboden! Dieser Mensch wußte noch nicht einmal, wie man diesen Schiffsteil bezeichnete! De i Generalkapitän fertigte ihn sofort ab. „Fußboden? Hier gibt es keinen Fußboden. Statt in Ihrer Kammer zu schlafen, sollten Sie sich tunlichst unterrichten lassen, wie man sich seemännisch richtig ausdrückt. Das hier ist ein Deck, genauer gesagt das
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Achterdeck, das von den Achterdecksplanken gebildet wird. Im übrigen sollten Sie Ihre Augen aufsperren, wenn Sie an Deck erscheinen. Aber wahrscheinlich haben Sie noch geschlafen, nicht wahr?“ Don Lope zerrte an seinem Spitzbart und sagte sehr erregt: „Ich nahm an, auf den Decks der Schiffe Seiner Majestät des Königs herrsche Sauberkeit. Aber da muß ich mich wohl geirrt haben, wie der Kot an meinem Schuh beweist!“ Der Zweite Offizier verdrehte die Augen, denn jetzt würde sich das Donnerwetter über ihm entladen. Er hätte diesen Dicken erwürgen können. Doch da stieg der Seemann den Niedergang zum Achterdeck hoch, bewaffnet mit Pütz und Feudel. Er meldete sich bei dem Zweiten Offizier und erlöste ihn damit aus seiner Seelenpein. „Na endlich!“ stieß er hervor und wies den Seemann an, zunächst das Deck und dann den Schuh des sehr ehrenwerten Don Lope de Sanamonte zu säubern, was den Dicken wiederum erboste, weil er meinte, er habe Vorrang vor dem Deck. „Das steht ja wohl außer Frage, nicht wahr?“ sagte er zu dem Zweiten Offizier von oben herab. Hier konnte er draufhauen, weil der Zweite Offizier rangmäßig unter ihm stand. Don Lope war als Fortkommandant Capitan, der Zweite Offizier nur Teniente, also Leutnant. „Irrtum“, sagte der Generalkapitän schroff, „zuerst wird das Deck gesäubert, Ihr Schuh kann warten, werter Don Lope. Das Schiff hat Vorrang, zumal Sie sich ja darüber erregten, hier herrsche Unsauberkeit übrigens eine Bemerkung, die ich als unverschämt zurückweise. Was dort an Deck liegt, ist lediglich die Ausscheidung einer Möwe, der ich leider nicht befehlen kann, an welcher Örtlichkeit sie sich zu entleeren habe. Wie Sie feststellen können, hat mein Zweiter Offizier bereits Maßnahmen ergriffen, das Deck reinigen zu lassen. Ihr Vorwurf von vorhin war also nicht nur unverschämt, sondern entbehrt jeder Grundlage.“
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Don Lope de Sanamonte lächelte ölig, obwohl er innerlich kochte. „Ich lasse mich gern belehren, werter Don Augusto“, sagte er. „Darf ich dann in aller Höflichkeit fragen, was die Jolle auf dem Wasser sucht und warum wir hier warten?“ Indessen kniete der Seemann an Deck und hantierte mit dem Feudel. Er wischte um Don Lopes Schuh herum und wartete dann ergeben, daß dieser geruhte, beiseite zu treten und den beschmutzten Schuh anzulüften, damit auch dort die Reinigung vorgenommen werden konnte. „Sie stehen dem Mann im Weg“, sagte der Generalkapitän. „Und vielleicht heben Sie Ihr Bein, damit er Ihren Schuh putzen kann.“ „Ah ja“, sagte Don Lope, rückte zur Seite und winkelte das Bein an. Er mußte mit den Armen rudern, um das Gleichgewicht zu halten. Die Senores auf dem Achterdeck genossen den Anblick. Der Generalkapitän lächelte süffisant. Nebenbei sagte er: „Wir befinden uns auf dem Lake Pontchartrain, mein Freund, was Sie wohl in Ihrer Kammer verschlafen haben. Vielleicht wäre es künftig ratsam, daß Sie bereits früh am Morgen auf dem Achterdeck erscheinen und auf diese Weise miterleben, was sich alles tut. Das würde mir lange Erklärungen ersparen, die ich Ihnen gegenüber auch für unnötig halte, da Sie von der Führung eines Geschwaders sowieso nichts verstehen, geschweige denn von der seemännischen Praxis.“ Don Lope biß sich auf die Lippen und hielt sich jetzt an der Schulter des Seemanns fest, der bei ihm kniete und nunmehr den ehrenwerten Schuh der befohlenen Reinigung unterzog. Er tat dies mit dem nassen Feudel, den er zuvor in die Pütz getunkt und ausgewrungen hatte. Daran war im Grunde nichts auszusetzen, aber Don Lope meckerte den Seemann an, warum er dazu nicht sauberes Wasser nähme, das Wasser in der Pütz sei ja bereits verdreckt, und dieser Dreck würde jetzt auf seinem Schuh verteilt. Es war dies einer der seltenen Fälle, in denen sich der Generalkapitän dazu
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herabließ, einen Vordecksmann zu verteidigen. Er sagte: „Wenn Ihnen das nicht paßt, Don Lope, dann putzen Sie Ihren verdammten Schuh gefälligst selbst. Meine Leute sind nicht Ihre Diener, falls Sie sich das eingebildet haben sollten. Im übrigen kann der Mann absolut nichts dafür, daß Sie in den Haufen getreten sind. Sie hätten eben besser aufpassen sollen.“ Nachdem der Vertreter der Admiralität bei der Besprechung in Pensacola unmißverständlich dargelegt hatte, wer sich wem unterzuordnen hatte, ließ sich der Generalkapitän keine Gelegenheit entgehen, dem dicken Don Lope eins auszuwischen und ihn spüren zu lassen, wer das Sagen hatte. Er hatte sich selbst vorgenommen, sich von dem Dicken nicht mehr auf der Nase herumtanzen zu lassen, der mußte ständig Zunder kriegen, wieder und immer wieder. Mit Befriedigung bemerkte er, daß der werte Don Lope nur mit Mühe seine Fassung bewahrte. „Wollten Sie noch etwas sagen, lieber Freund?“ fragte er mit falscher Freundlichkeit. „Es gibt hier wohl nichts mehr zu sagen“, erwiderte Don Lope erbittert. „Es sei denn der Hinweis, daß ich es nicht nötig habe, mich in Gegenwart subalterner Personen von Ihnen abkanzeln zu lassen. Sie können versichert sein, daß ich über Ihr taktloses Verhalten mir gegenüber einen Bericht abfassen und dem königlichen Hof zuschicken werde. Dieser Bericht wird auch die Maßnahmen enthalten, die Sie als - äh - Geschwaderführer ergreifen, um das englische Piratenschiff zu stellen. Falls sich diese Maßnahmen als falsch erweisen, werde ich mich nicht scheuen, das besonders hervorzuheben. Da Sie offenbar keinen Wert auf eine gute Zusammenarbeit legen, bleibt mir keine andere Wahl als dieser Bericht. Sollte dieses Unternehmen mißlingen, gilt dies umso mehr, denn ich habe keine Lust, für Ihre Fehler den Kopf hinzuhalten. Schon jetzt wird in diesem Bericht zu lesen sein, dass Sie meine Bitte, über Ihre Maß nähmen informiert zu
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werden, schroff und in beleidigender Form ablehnten. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“ „Es reicht auch“, sagte Don Augusto Medina Lorca gereizt, weil er sich ärgerte, daß es dieser Dickmops noch wagte, zurückzukläffen. „Dabei scheinen Sie wieder einmal vergessen zu haben, daß es Ihr Fort war, das ausgeplündert wurde. Und warum wurde es ausgeplündert? Weil Sie unfähig waren, die Räuber zu verjagen. Und Sie maßen sich an, hier von Berichten zu schwafeln, die Sie abzufassen gedenken, falls unser Unternehmen ein Fehlschlag wird! Dann fangen Sie mit Ihrem Bericht besser gleich in Fort St. Augustine an und legen dem königlichen Hof dar, wie es passieren konnte, daß Ihnen die für den König bestimmte Schatzladung buchstäblich unter Ihrem Hintern weggeholt wurde! Darüber werde nämlich ich einen Bericht verfassen, denn auch ich habe keine Lust, für Ihre Fehler geradezustehen!“ Der Generalkapitän redete sich in Wut: „Wer sind Sie denn überhaupt, Senor? Ein mieser Fortkommandant, der nicht in der Lage war, sein Fort gegen ein paar Spitzbuben zu verteidigen, der sich einen Schatz rauben ließ und jetzt hier an Bord eines Flaggschiffs das Maul aufreißt und es wagt, mir mit einem Bericht an den königlichen Hof zu drohen. Das muß man sich einmal vorstellen!“ Er brüllte, der Senor Generalkapitän, er brüllte so laut, daß sogar die Kerle in der Jolle die Ohren spitzten und zum Flaggschiff hinüberschauten. Der Seemann, der immer noch kniete, obwohl seine Arbeit beendet war, zog den Kopf ein und verschwand vom Achterdeck. Keiner nahm es wahr, obwohl er die eigentliche Schmutzarbeit geleistet hatte. Ein freundlicher Dank war nicht üblich. Zu was gab's denn die Leute vorm Mast, nicht wahr? „Ich werde nach dem Unternehmen Genugtuung verlangen!“ schrie Don Lope de Sanamonte, hochrot im schwammigen Gesicht, den Spitzbart vorgereckt wie eine Lanze, die Hände zu Fäusten geballt.
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„Sie haben gar nichts zu verlangen, Sie Scheißer!“ brüllte der Generalkapitän, und er hatte die gleiche hochrote Farbe im Gesicht wie der Dicke. Außerdem war er drauf und dran, den Degen zu ziehen. Der Schiffsarzt trat dazwischen, ein behäbiger Mann mit den Pausbacken eines Posaunenengels und der roten Nase des Weinsüfflers. Er hob beide Hände und sagte besänftigend: „Aber Senores, das führt doch zu nichts. Keinem ist gedient, wenn Sie sich hier auf dem Achterdeck duellieren. Wir haben einen Auftrag, wenn ich mir erlauben darf, daran zu erinnern. Und ich schätze, wir haben für diesen Auftrag noch eine Menge zu tun. Vertagen Sie Ihre Unverträglichkeiten, bis wir nach Pensacola zurückgekehrt sind. Don Moreno möge darüber entscheiden, ob sich einer der Senores in seiner Ehre beleidigt fühlen darf, nicht wahr?“ „Ich stelle fest“, sagte Don Lope verbissen, „daß ich in Gegenwart der Senores auf dem Achterdeck als ‚Scheißer' bezeichnet wurde - eine Beleidigung, die ich als Offizier Seiner Majestät des Königs von Spanien nicht hinzunehmen bereit bin. Ich werde den Generalkapitän nach unserer Rückkehr zum Duell fordern. Es bleibt dabei!“ „Zur Kenntnis genommen!“ schnarrte der Generalkapitän, und sein rechtes Augenlid zuckte wie verrückt, er brachte es nicht unter Kontrolle. „Verschwinden Sie jetzt vom Achterdeck, Senor de Sanamonte! Das ist ein Befehl, und hier führe ich das Kommando!“ Don Lope deutete eine stumme Verbeugung an und bewegte sich steif wie eine Marionette zum Achterdecksschott. Als er weg war, knurrte Don Augusto Medina Lorca: „Widerliche Kröte!“ Für die Senores als Rächer der Spanischen Krone war das insgesamt gesehen kein sehr guter Anfang. 6. Die Jolle kehrte zum Flaggschiff zurück, und der Erste Offizier ließ einige
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Trümmerteile, die man aufgefischt hatte, an Bord hieven. Sie wurden aufs Achterdeck gebracht. Er enterte mit dem Schiffszimmermann auf und meldete sich zusammen mit ihm bei Don Augusto auf dem Achterdeck. Etwas verwundert stellte er fest, daß der Generalkapitän aussah, als habe er mit Galle gegurgelt. Außerdem zuckte sein rechtes Augenlid. Die anderen Senores auf dem Achterdeck wirkten ebenfalls so, als sei ihnen die Suppe verhagelt. Was da wohl vorgefallen war? „Irgendwelche Ergebnisse?“ fragte der Generalkapitän mißgelaunt und musterte die Trümmerstücke, die jetzt das Achterdeck verzierten. „Ich denke schon“, sagte der Erste Offizier vorsichtig. „Und?“ schnappte der Generalkapitän. „Es handelt sich bei allen Stücken, die wir untersucht haben, mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit um Teile kleiner Segelschiffe“, erwiderte der Erste Offizier. „Etwa um Einmaster, also Schaluppen, größere Pinassen und so weiter ...“ „Wie bitte?“ unterbrach ihn der Generalkapitän irritiert. „Das kann doch nicht sein!“ Der Schiffszimmermann räusperte sich und sagte: „Entschuldigung, Senor Generalkapitän, ich habe tatsächlich nahezu jedes Stück, das wir ansteuerten, untersucht und nicht ein einziges Teil finden können, das nach Umfang, Dicke oder Gesamtmaß darauf hindeutete, daß es einmal zu einem großen Schiff, einer Galeone etwa, gehörte. Das möchte ich ganz klar feststellen. Die Unterschiede zwischen Galeone und Einmaster sind in den Holzmaßen zu groß, da ist jeder Irrtum ausgeschlossen, und ich weiß, wovon ich spreche!“ Er räusperte sich noch einmal, weil es ihm peinlich war, auf seine Fachkenntnisse hinzuweisen, die hier offenbar angezweifelt wurden. Er deutete auf ein Stück und sagte: „Dort liegt zum Beispiel ein Ruderblatt, Senor Generalkapitän. Es ist einwandfrei das Ruderblatt eines Einmasters. Sie sehen selbst - die Pinne steckt noch im
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Ruderkopf. Beide, Pinne und Ruderblatt, sind größer als die gleichen Teile einer großen Jolle, aber kleiner als die einer auch noch so kleinen Karavelle, von einer Galeone erst gar nicht zu sprechen.“ „Hm“, äußerte sich der Generalkapitän, „da muß ich zustimmen.“ „Und dort“, sagte der Schiffszimmermann und deutete auf das nächste Teil, „haben wir die Teile einer Beplankung, samt zweier Spanten, wie genau zu sehen ist. Planken und Spanten beweisen wiederum eindeutig, daß sie nur zu einem Einmaster gehört haben können. Sie kennen die Planken und Spanten unserer ,Santa Veronica', Senor Generalkapitän. Der Unterschied dazu ist gewaltig, nicht wahr?“ „Stimmt“, murmelte Don Augusto Medina Lorca. Das Zucken seines rechten Augenlides war verschwunden. Nachdenklich strich er sich über die rechte Schläfe. „Aber was bedeutet das?“ Er hob den Kopf und blickte den Ersten Offizier an. Der sagte: „Meiner Meinung nach hat hier ein Gefecht stattgefunden, denn in einigen der Stücke entdeckten wir Musketenkugeln, andere Stücke wiederum deuteten auf Feuer hin, die Brandspuren waren nicht zu übersehen. Kein Stück, nicht ein einziges, konnte als zu einer Galeone gehörig identifiziert werden. Ich möchte daher eine Hypothese aufstellen, die ich darauf gründe, was uns Capitan Isidoro berichtete, nachdem wir ihn an Bord genommen hatten, als er mit seinen beiden Offizieren von der Pirateninsel Comfort geflohen war. Er sagte, der Pirat Duvalier hätte die Absicht gehabt, die englische Galeone und die gestohlene ,San Donato' zu kapern. Er sagte ferner, die Piratenbande des Duvalier wäre mit schnellen Einmastern ausgerüstet gewesen, mit denen sie ja auch seine ,Santa Teresa' überfallen hatten. So bleibt bei dieser Hypothese eigentlich nur der Schluß, daß Duvalier zwar die beiden Galeonen überfallen, aber eine gründliche Abfuhr erhalten hat - die Trümmerteile beweisen es.“
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„Klingt logisch“, meinte der Generalkapitän. „Nur frage ich mich, wo dann die ,San Donato' und die ,Isabella' der Engländer geblieben sind? Wenn sie tatsächlich den Piraten eine vernichtende Niederlage beigebracht haben, dann sehe ich nicht ein, warum sie hier verschwinden sollten.“ „Aus Sicherheitsgründen, Senor Generalkapitän“, erwiderte der Zweite Offizier. „Sie wollten unentdeckt bleiben, wurden aber tatsächlich von Duvalier und seinen Kerlen gefunden. Angenommen, es konnten zwei, drei Einmaster der Vernichtung entgehen und fliehen, weiterhin angenommen, die Bande verfügt über Reserveschiffe und weitere Mannschaften, dann liegt es doch nahe, daß die Kerle einen zweiten Versuch unternehmen, die beiden Galeonen - oder auch nur eine - in ihren Besitz zu bringen. Sie leben doch vom Seeraub, nicht wahr? Das ist sozusagen ihr Handwerk. Jetzt haben sie bei ihrem ersten Überfall erfahren, daß sich der Gegner zu wehren versteht. Aber vielleicht haben sie bei dem Gefecht erkannt, daß der Gegner doch eine Schwachstelle hat. Ich persönlich sehe eine Schwachstelle bei der ‚San Donato' mit ihrer indianischen Besatzung, die für ein Seegefecht ungeeignet ist. Diese Indianer mögen an Land zu kämpfen verstehen, aber auf See dürften sie hoffnungslos unterlegen sein. Darum werden sie ja auch von den Engländern abgeschirmt, wie wir von Capitan Spadaro erfahren haben. Ich halte diesen Kapitän Killigrew für einen schlauen Fuchs. Er vermeidet jedes Risiko. Folglich hat er sich mit der ,San Donato' einen neuen Schlupfwinkel gesucht. Daß wir hinter ihm her sind, wird er sich gleichfalls denken können, nachdem er die ,Galicia` angegriffen hat.“ „Hm, hm, alles soweit richtig“, murmelte der Generalkapitän, „jedenfalls theoretisch und vorausgesetzt, daß Ihre Annahmen stimmen. Aber können Sie mir mal verraten, was den Engländer veranlaßt, mit diesen rebellischen Indianern zu paktieren, ja, für sie sogar ins Gefecht zu gehen?“
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„Darauf weiß ich keine Antwort, Senor Generalkapitän, höchstens die, daß er sich davon irgendeinen Vorteil verspricht. Aber was besagt das schon!“ „Das könnte sehr viel besagen“, erwiderte der Generalkapitän. „Vielleicht haben ihm die Indianer für seine Hilfe Gold versprochen.“ Der Erste Offizier hob die Augenbrauen. „Ah, das wäre allerdings ein Motiv, sogar ein sehr handfestes Motiv. Das würde des weiteren bedeuten, daß sich Killigrew an Gold zu bereichern gedenkt, was eigentlich der Spanischen Krone zusteht.“ „Eben.“ Der Generalkapitän nickte. „In Fort St. Augustine hat er sich ja bereits bedient - die Katze läßt das Mausen nicht! Dieser Mann ist ungeheuer gefährlich, deswegen hat die Krone ja auch einen Kopfpreis auf ihn ausgesetzt.“ Die beiden Senores dachten da in ihren gewohnten Kategorien, vor allem ereiferten sie sich darüber, daß es ihrer Meinung nach um Gold ging, auf das die Spanische Krone einen Anspruch hatte, aber sonst niemand. Dabei gründete sich dieser Anspruch lediglich auf die unheilvolle Bulle des nicht minder unheilvollen Papstes Alexander VI., in der er festgelegt hatte, alles Land westlich der Azoren gehöre zu Spanien und das östlich der Azoren zu Portugal. So einfach war das. Laut dieser Bulle hatten also die lausigen Engländer kein Recht, den Spaniern in diesem Teil der Neuen Welt etwas wegzunehmen. Sie durften dort überhaupt nicht hinreisen und auch keinen Handel treiben. Und wenn sie es dennoch taten, dann drohte der Papst mit der Strafe der Exkommunizierung - was die meisten Freibeuter nicht weiter kratzte -, oder aber die Spanier mußten zusehen, wie sie ihrem Machtanspruch Geltung verschafften. Nach dieser Bulle hatten natürlich auch die Eingeborenen der betreffenden Länder den Spaniern untertan zu sein, ob ihnen das nun paßte oder nicht. Und rebellierten sie, dann gab's ein Massaker. Die Timucuas hatten rebelliert, weil sie erfahren hatten, daß ein solches Massaker
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bevorstand - Don Angelo Baquillo, der Lagerkommandant der spanischen Niederlassung und Werft an der Waccasassa-Bucht, hatte den teuflischen Plan gefaßt, alle Fieberkranken des Stammes ermorden zu lassen. Daß menschliche Gründe bei den Engländern eine maßgebende Rolle spielten, die sie veranlaßte, den Timucuas beizustehen, hätte bei Don Augusto Medina Lorca und seinen Offizieren allenfalls ein Hohngelächter hervorgerufen. Menschlichkeit gegenüber „Wilden“ war für sie ein fremder Begriff. Für sie stand fest, daß die Engländer von den „Wilden“ mit Gold geködert worden waren, mit Gold, das einzig den Spaniern zustand. In den Augen des Generalkapitäns begann es zu glitzern. Hier boten sich bei der Jagd nach den Engländern und den geflohenen roten Bastarden völlig neue Perspektiven an! Gut, der geraubte Schatz aus Fort St. Augustine war genau registriert, das wußte Medina Lorca. Aber wenn diese Timucuas über eine den Spaniern unbekannte Goldquelle verfügten, dann lag es an ihm, dem Generalkapitän, sie gewinnbringend für die eigene Tasche anzuzapfen, bevor alles für die Krone beschlagnahmt wurde. Diese Gedanken beflügelten den Generalkapitän. Bisher war er einem Befehl gefolgt - mit der Aussicht, bei Gelingen des Unternehmens mit einer Beförderung rechnen zu können. Das war natürlich nicht zu verachten. Aber mit dem Gold der Timucuas war das eine ganz andere Sache, das eröffnete tatsächlich neue Aspekte! Man würde etwas manipulieren müssen, vor allem würde man sehr scharf aufpassen müssen, daß dieser verdammte Don Lope de Sanamonte nicht zu schnüffeln begann und seine Nase in Dinge steckte, die ihn nichts angingen. Don Augusto Medina Lorca - gedanklich bereits auf dem Wege, seinen König zu betrügen mußte sich gewaltig zusammennehmen, um seine Erregung zu verbergen.
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Fast gleichgültig sagte er daher: „Schön, wir sind uns also darüber einig, daß die ,Isabella` und die ,San Donato' den Lake Pontchartrain mit unbekanntem Ziel verlassen haben. Wir müssen noch abwarten, ob die ,Galicia` und die ,Santa Monica' bei ihrer Suche etwas entdeckten, was für uns wichtig sein könnte.“ „Sind bereits in Sicht, Senor Generalkapitän“, meldete der Zweite Offizier, der mit dem Kieker eifrig den westlichen Sektor des Sees abgesucht hatte. Gleich darauf meldete auch der Ausguck im Hauptmars die beiden Galeonen. „Danke“, sagte der Generalkapitän etwas zerstreut. Er nahm seine Wanderung wieder auf, blieb dann aber abrupt vor dem Ersten Offizier stehen und sagte: „Wohin mögen diese Bastarde gesegelt sein?“ „Wäre ich der Engländer“, erwiderte der Erste Offizier, „dann würde ich zusehen, so viele Meilen wie möglich zwischen mich und Pensacola zu bringen. Von daher könnte ich mir vorstellen, daß er das Mississippi-Delta umrundet hat und auf Westkurs gegangen ist.“ „Und warum nicht auf Südkurs? Dieser Kerl muß in der Karibik einen Schlupfwinkel haben.“ „Mag sein.“ Der Erste Offizier war ein heller Kopf. „Aber dort ist nicht die Heimat der Timucuas, Senor Generalkapitän. Deren Heimat ist an diesen Küsten. Und dort wird auch das Gold sein, von dem wir sprachen. Wenn wir diese rebellischen Wilden schnappen, dann wissen wir es.“ „Sie meinen also, wir sollten ebenfalls das Delta runden und nach Westen hin die Küste absuchen?“ „Jawohl, Senor Generalkapitän. Ich schlage auch vor, daß wir ab der Südspitze des Deltas einen weiten; etwas halbmondförmigen Suchstreifen bilden eine Harke gewissermaßen, mit der wir die See nach Westen hin absuchen. Unsere sechs Galeonen stellen die Zinken dar, Querabstand von Galeone zu Galeone äußerste Sichtweite. Nach Westen gesehen sollte die nördlich stehende Galeone guten
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Sichtkontakt zur Küste haben, auch in die zahlreichen Buchten.“ Der Erste Offizier warf einen prüfenden Blick über das Wasser. „Ich schätze - wenn das Wetter weiter so gut bleibt -, daß wir von Schiff zu Schiff eine Sichtweite von etwa zwanzig Seemeilen haben. Bei sechs Schiffen, die beiden äußeren im Norden und Süden einbezogen, hätten wir mithin einen Suchstreifen von etwa einhundertvierzig Seemeilen Breite, ein beachtlicher Bereich, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.“ „Dürfen Sie, dürfen Sie, mein lieber Teniente“, sagte der Generalkapitän wohlwollend. „Sie nehmen mir das Kopfrechnen ab und entwickeln die gleichen Pläne, die ich auch bereits hatte. Mit diesem breiten Suchstreifen sollte es doch mit dem Teufel zugehen, daß wir die Kerle nicht erwischen, nicht wahr?“ „So ist es, Senor Generalkapitän. Darf ich noch etwas bemerken?“ „Aber natürlich, mein Bester! Ich weiß es zu schätzen, wenn meine Offiziere Initiativen entwickeln, vor allem, wenn sie mitdenken und mir auf diese Weise die Entscheidungen zwar nicht abnehmen, aber doch sehr erleichtern. Sie werden das später selbst feststellen, wenn Sie Kommandant oder gar Geschwaderführer sind, Teniente. Das Zeug dazu haben Sie!“ Er war wirklich eitel Wohlwollen, der Senor Generalkapitän. Und da er auch über genügend Schlitzohrigkeit verfügte, sagte er sich, daß er dem Ersten Offizier Zucker geben mußte, herrlich süßen, zuckersüßen Zucker. „Ich fühle mich sehr geehrt“, sagte der Erste Offizier und verbeugte sich. Der Generalkapitän nickte mit der Miene des Gönners, den es nichts kostet, Lobsprüche zu verteilen. „Und was wollten Sie bemerken?“ „Wir passieren auf dem Weg südwärts zum Delta die Insel Comfort, Senor Generalkapitän, jene Insel, auf der die Piraten Duvaliers ihren Schlupfwinkel haben sollen, wie Capitan Isidoro berichtete. Wir sollten ihr einen Besuch abstatten, natürlich mit unseren
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Seesoldaten. Auf diese Weise schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe - einmal führen wir den Befehl aus, diese Bande zu liquidieren, und zum anderen werden wir Gelegenheit haben, aus einem der Burschen herauszuquetschen, was hier passiert ist. Zumindest wären wir dann um eine vielleicht für uns wichtige Information reicher.“ „Sehr gut, ausgezeichnet, Teniente!“ Der Generalkapitän drohte schelmisch mit dem Finger. „Sie sind mir ein ganz schlauer Fuchs, mein Guter! Da könnte ich mich ja fast auf die faule Haut legen und brauchte mich um nichts mehr zu kümmern.“ „Sie beschämen mich“, sagte der Erste Offizier. Der Zweite Offizier stand etwas abseits und wurde vom Neid geplagt. Er durfte Möwendreck aufsammeln lassen, während sich der Erste in den Vordergrund spielte und dem Generalkapitän um den Bart ging. Dabei waren alle Maßnahmen, die der Erste vorschlug, eigentlich selbstverständlich. Um seinerseits ebenfalls „Initiative“ zu zeigen, sagte er: „Entschuldigung, Senor Generalkapitän, werden die Trümmerstücke noch gebraucht, oder können sie über Bord geworfen werden?“ „Wie bitte?“ fragte der Generalkapitän unwirsch, weil er mit seinen Gedanken ganz woanders war - nämlich bei der Goldquelle der Timucuas, die allerdings nur in seiner Phantasie existierte und ein Wunschbild war. Der Zweite Offizier wiederholte seine Frage und erlebte eine herbe Enttäuschung. Der Generalkapitän sagte verärgert: „Stellen Sie immer so dämliche Fragen, Teniente? Zu was sollten wir das Zeug denn noch brauchen, wie? Um daraus neue Schiffchen zu schnitzen?“ Der Zweite Offizier kriegte einen roten Kopf. Der Schiffszimmermann fragte gar nicht erst lange, sondern schnappte sich die Teile und warf sie außenbords. 7.
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Die sechs Galeonen des Don Augusto Medina Lorca waren gefechtsklar, als der Verband die Insel Comfort erreichte - man war vom Lake Pontchartrain sofort aufgebrochen, als sich herausgestellt hatte, daß auch die „Galicia“ und die „Santa Monica“ auf dem See nicht fündig geworden waren. Mit seinen sechs Schiffen konnte der Generalkapitän die kleine Insel gewissermaßen abriegeln, und so postierte er sie auch rings um die Insel, obwohl sich dort überhaupt nichts rührte. Aber das mochte eine Falle sein. Für dieses Unternehmen hatte sich der Generalkapitän - bevor der Verband vom Lake Pontchartrain Iosgesegelt war - Don Jose Isidoro, den Kapitän der aufs Riff gelaufenen und von Duvaliers Piraten ausgeplünderten „Santa Teresa“, als Lotsen an Bord geholt. So lag denn die „Santa Veronica“ jetzt mit aufgegeiten Segeln vor der Bucht, die Don Jose als den natürlichen Hafen der Piratenbande bezeichnet hatte. Er kannte ja die Örtlichkeiten der Insel, weil die Bande ihn und seine beiden Offiziere dort gefangen gehalten hatte, bis es ihnen gelungen war, die vier Wächter zu töten und mit einem Einmaster von der Insel zu fliehen. Don Jose stand neben dem Generalkapitän am Schanzkleid des Achterdecks und studierte durch ein Spektiv die Bucht sowie die Hütten. Dann schwenkte er aber das Spektiv hastig wieder zur Bucht zurück, weil er zuvor flüchtig dort etwas registriert hatte, was ihm erst jetzt richtig bewußt wurde. „Merkwürdig“, murmelte er „Was ist merkwürdig?“ fragte der Generalkapitän ungeduldig. Don Jose Isidoro ließ das Spektiv sinken und erwiderte: „Als meine beiden Offiziere und ich von der Insel flohen, war die Steganlage noch in Ordnung. Jetzt sieht sie ziemlich ramponiert aus, als sei einer der Einmaster dagegengekracht.“ „Na und? Jetzt ist jedenfalls in der Bucht nicht ein einziger Einmaster zu sehen“, erklärte der Generalkapitän. „Die können
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solche Schiffe doch nicht einfach verstecken. Was sagten Sie - wie viele Einmaster hatte diese Bande?“ „Sieben - mit dem Einmaster, auf dem wir flüchteten, acht, Senor Generalkapitän.“ „Also sieben Schaluppen oder Pinassen. Und wo sind die jetzt?“ Don Jose Isidoro runzelte die Stirn. „Ich kann mir nur vorstellen, daß die Bande die Insel verlassen hat - oder sie ist von ihrem Beutezug noch gar nicht zurückgekehrt.“ „Oder auf dem Lake Pontchartrain restlos vernichtet worden“, sagte der Erste Offizier, der dabeistand und zugehört hatte. „Die Möglichkeit ist natürlich nicht auszuschließen“, sagte Don Jose, „obwohl mich dieser ramponierte Steg dabei irritiert, der darauf schließen läßt, daß nach unserer Flucht doch etwas zumindest in der Bucht passiert ist. Es muß jemand dort gewesen sein, denn wir haben nur die vier toten Wächter auf der Insel zurückgelassen. Sonst befand sich niemand mehr auf der Insel.“ Der ramponierte Steg! Tatsächlich - aber das konnten die Senores nicht wissen - war einer der drei Einmaster, die das Gefecht auf dem Lake Pontchartrain heil überstanden hatten, und zwar Duvaliers Einmaster, in den Steg gekracht, weil die Kerle noch vor dem Anlegen wie die Irren von Bord gestürzt waren. Sie hatten angenommen, ihre vier Kumpane, die sie als Wächter zurückgelassen hatten, wären mit der Reserve-Schaluppe und unter Mitnahme des bisherigen Beuteguts von der Insel getürmt. Der Erste Offizier sagte: „Um Klarheit zu schaffen, sollten wir dennoch einen Trupp Seesoldaten an Land setzen, wobei ich gern die Führung übernehme und vorschlage, daß uns Capitan Isidoro begleitet, da er ja die Insel kennt.“, „Genehmigt“, sagte der Generalkapitän knapp. Zehn Minuten später wurde eine große Jolle in die Bucht gepullt, besetzt mit den Rudergasten, acht Seesoldaten, dem Ersten Offizier und Don Jose Isidoro.
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Auf der „Santa Veronica“ lauerten die Geschützmannschaften hinter den ausgerannten Kanonen. Die zurückgebliebenen Seesoldaten waren ebenfalls bereit, sofort das Feuer aus ihren Musketen zu eröffnen, falls die Piraten aus einem Hinterhalt zum Angriff auf den Landetrupp vorgehen sollten. Aber der Trupp landete, ohne daß etwas geschah. Auf dem Achterdeck des Flaggschiffs herrschte eine gewisse Nervosität. Das mochte zum Teil daran mit liegen, daß Don Lope .de Sanamonte wieder an Deck erschienen war. Schließlich war er nicht zu Kammerarrest verurteilt und hatte durchaus das Recht, aktiv oder passiv an dem Geschehen teilzuhaben, zumindest würde er mitkämpfen müssen, wenn es hart auf hart ging. Als er an Deck erschienen war, hatte der Generalkapitän das mit einem Nasenrümpfen quittiert und ihn von da ab wie Luft behandelt. Natürlich hielt er es nicht für nötig, dem Dicken irgendwelche Informationen zuteil werden zu lassen. Mit einem Kerl, der einen zum Duell gefordert hatte, wechselte man keine Worte mehr. So wandte sich Don Lope de Sanamonte an den Zweiten Offizier mit der Bitte, ihn darüber aufzuklären, was sich hier abspielte. Der Zweite Offizier geriet mal wieder ins Schwitzen. Sollte er antworten? Durfte er antworten? Er schielte zum Generalkapitän. Aber der drehte ihnen den Rücken zu und schaute zu der Bucht hinüber, wo die Männer gerade aus der Jolle stiegen und an Land wateten, während sie nach allen Seiten sicherten. „Sind Sie taubstumm?“ fragte Don Lope stirnrunzelnd. „Ich habe eine Frage an Sie gerichtet und darf wohl erwarten, daß mir geantwortet wird. Oder ist es an Bord der Kriegsschiffe Seiner Majestät nunmehr üblich, Fragen eines ranghöheren Offiziers zu überhören oder zu ignorieren?“ Don Augusto Medina Lorca drehte sich langsam um und sagte kühl: „Wir liegen gefechtsklar vor der Pirateninsel Comfort, einem Schlupfwinkel der Duvalier-Bande,
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und ein Landetrupp stellt fest, ob sich noch Piraten auf der Insel befinden.“ „Ergebensten Dank“, sagte Don Lope genauso kühl. „Ich hatte Sie allerdings mit meiner Frage nicht belästigen wollen und mich daher an Ihren Zweiten Offizier gewandt.“ „Sehr rücksichtsvoll“, sagte der Generalkapitän von oben herab und drehte sich wieder dem Land zu, um das weitere Geschehen zu beobachten. Er hatte es für besser gehalten, doch zu antworten. Tatsächlich ging es nicht an, daß ein Teniente die höfliche Frage eines ranghöheren Offiziers mit Schweigen beantwortete. Nun war der Zweite Offizier seit der Auseinandersetzung auf dem Lake Pontchartrain zweifellos verunsichert und hatte sich nicht getraut, auf die Frage des Dicken einzugehen. Duell hin - Duell her, dieser Don Lope brachte es fertig, für die Krone einen Bericht abzufassen, in dem solche Dinge drinstehen würden, die ihn, den Generalkapitän, in ein schlechtes Licht rückten. Da würde drinstehen, er habe mit seinem eigenen Beispiel jüngere Offiziere ermuntert, sich ranghöheren Offizieren gegenüber respektlos zu verhalten. Nein, man durfte das nicht auf die Spitze treiben. Vielleicht auch hatte dieser verdammte Kerl besonders gute Beziehungen zum Hof, auf die er sich stützen konnte. Anders war das impertinente Auftreten dieses Mannes nicht zu erklären. Zwar duckte er sich, wenn man ihm sein Versagen als Fortkommandant vorwarf, aber das war nie von langer Dauer. Vorsicht, Vorsicht! sagte sich der Generalkapitän. Nichts wäre schlimmer, als den Kerl zu unterschätzen. * Indessen stieß Don Jose Isidoro auf den Schnapphahn, der von Duvalier in einem Zustand der Raserei einfach über den Haufen geschossen worden war. Der Kerl lag bei den Hütten, aber nicht dort, wo Don Jose und seine beiden Offiziere die drei Wächter umgebracht hatten - den ersten
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hatten sie noch in der Gefangenenhütte ins Jenseits befördert. Don Jose stutzte und warf einen Blick zu der Feuerstelle, wo die drei toten Wächter lagen - ja, drei! Wer war dann dieser hier? Er beugte sich nieder, drehte den Mann um und stellte fest, daß er keiner der vier Wächter war. Nein, dieser Kerl war mit Duvaliers anderen Schnapphähnen losgezogen, um die „Isabella“ und die „San Donato“ zu überfallen. „Ist was?“ fragte der Erste Offizier. „Ja.“ Don Jose nickte und deutete auf den Toten. „Dieser Mann hat hier noch nicht gelegen, als wir die Insel verließen. Er gehörte auch nicht zu den vier Wächtern.“ „Es sind aber vier“, sagte der Erste Offizier. „Dieser hier und die drei Toten bei der Feuerstelle.“ Don Jose schüttelte den Kopf. „Den ersten Wächter erwischten wir dort in der Gefangenenhütte. Erst dann fielen wir über die drei anderen her. wir können in der Hütte nachsehen.“ Es stimmte, was Don Jose sagte. Der Tote lag immer noch in der Hütte abseits der anderen Hütten. Don Jose preßte die Lippen zusammen. Der Geruch in dem Raum war unerträglich, und sie traten schnell wieder nach draußen. Der Erste Offizier war etwas blasser geworden. Don Jose grinste in sich hinein. Er hielt den Ersten Offizier des Flaggschiffs für ein ziemliches Großmaul, das ständig um den Generalkapitän herumstrich und sich in den Vordergrund spielte. Dem Burschen schadete es gar nichts, wenn ihm mal Leichengeruch in die Nase stieg. „Ja, mein Freund“, sagte er zu dem Ersten Offizier, „die Wirklichkeit ist immer noch ein Stück brutaler, als man sich das so allgemein vorstellt, nicht wahr?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, führ er fort: „Statt des Kerls in der Hütte hätten dort auch die Leichen von drei spanischen Offizieren liegen können - eine davon wäre meine gewesen. Ich hoffe nicht, daß Sie dann auch blaß geworden wären. Als Leiche hätte es mich stattdessen gefreut, wenn Sie bewundernd gesagt hätten: Was für ein Mann! Er ist hier auf dem Felde der
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Ehre gefallen - für unseren König!“ Er grinste zynisch. „Da liegt eben der Unterschied bei stinkenden Leichen. Haben Sie das begriffen, Teniente?“ „Ich finde das sehr makaber“, sagte der Erste Offizier und hatte eine gequälte Miene. „Aber nicht doch“, sagte Don Jose. „Der Tod liebt es, manchmal schmutzig zu sein. Darüber sollten Sie nachdenken - auch darüber, was mit meinen beiden Offizieren und mir passiert wäre, hätte man unseren Fluchtversuch vorzeitig entdeckt. Dann nämlich wären Sie - falls überhaupt - auf drei Leichen gestoßen, bei deren Anblick sich Ihr Magen umgedreht hätte.“ Der Erste Offizier, das bemerkte Don Jose mit Genugtuung, schluckte mehrere Male sehr heftig. Da war ihm wohl einiges in den Hals gestiegen. „Aber lassen wir das“, sagte Don Jose freundlich. „Besinnen wir uns auf die Gegenwart, wie sie sich hier darstellt. Wir haben fünf Leichen, von denen die fünfte nicht zu den Wächtern gehört. Die Visagen der vier Wächter kenne ich sehr genau, da ich Gelegenheit hatte, sie zu studieren und mir einzuprägen. Als meine beiden Offiziere und ich die Insel verließen, blieben vier tote Wächter zurück. Frage: Welche Bewandtnis hat es mit dem fünften Toten, einem Mitglied der DuvalierBande?“ Etwas verbissen erwiderte der Erste Offizier: „Zumindest liegt der Zeitpunkt, an dem dieser fünfte Mann getötet wurde, nach Ihrer Flucht, Senor Capitan.“ „Richtig. Er liegt etwa bei der Zeit, zu der Duvalier mit seiner Bande hierher zurückkehrte - wir sagen besser: mit seiner gerupften Bande, denn es wurde ja festgestellt, daß die Trümmerteile auf dem Lake Pontchartrain von Kleinseglern stammten. Ihre These, die Bande sei bei dem Gefecht restlos vernichtet worden, dürfte also nicht stimmen. Einige - wir wissen nicht, wie viele - haben den Überfall überlebt. Und jetzt kommt's: Sie stellen bei ihrer Rückkehr fest, daß die vier Wächter tot und die drei Gefangenen mit der Ersatz-Schaluppe geflohen sind. Die
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Schaluppe ist ja verschwunden, nicht wahr? Folglich hat die Restbande nichts Eiligeres zu tun, als gleichfalls das Weite zu suchen. Und warum das? Weil sie befürchten müssen, demnächst von uns besucht zu werden. Denn die drei geflohenen Gefangenen werden nach Pensacola segeln und dort Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit dieser Schlupfwinkel ausgeräuchert wird. Können Sie mir folgen?“ „Ja“, sagte der Erste Offizier gepreßt. „So wird es gewesen sein.“ Don Jose klopfte ihm auf die Schulter. „Fein, daß Sie das einsehen. Sie hatten gern die Führung bei dieser Landeaktion übernommen, und ich weiß es zu schätzen, daß ich Sie begleiten durfte. Darum schlage ich vor - Sie müssen das natürlich entscheiden -, daß wir die Hütten noch einmal gründlich untersuchen. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass die Kerle alles mitgenommen haben, was für sie irgendwie von Wert ist. Es existiert da eine Hütte - aus der wir uns auch bedient haben -, die man als eine Art Lagerschuppen der Bande bezeichnen kann. Wenn diese Hütte zum größten Teil geräumt ist, dann dürfte dies der endgültige Beweis dafür sein, daß die Bande diese Insel als Schlupfwinkel aufgegeben hat. Aber bitte sehr, das überlasse ich ganz Ihrer Entscheidung, mein lieber Teniente. Wir können auch gleich an Bord zurückkehren, wie's beliebt. Wissen Sie, eigentlich ist es unüblich, daß ein Teniente einen Landetrupp führt, dem ein Capitan auf seinen Wunsch noch beigeordert wird, wirklich, ich habe das noch nicht erlebt, und ich bin erst seit fünfundzwanzig Jahren bei der Flotte Seiner Majestät. Wie lange sind Sie dabei, Teniente?“ Der Erste Offizier war nicht mehr blaß, im Gegenteil. Er war einschließlich der Ohren und des Halses tomatenrot. Und er stotterte: „Ich - ich bin - äh - seit acht Jahren Offizier, Senor Capitan.“ „Ah!“ Don Jos strahlte. „Seit acht Jahren Offizier? Na so was! Warten Sie mal, da muß ich bei mir nachrechnen, um nichts Falsches zu sagen. Aber ja doch, so ist das
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gewesen, genau! Fünf Jahre nach meinem Patent zum Teniente wurde ich Kommandant einer zweimastigen Kriegskaravelle Seiner Majestät! Wie doch die Zeit vergeht, nicht wahr? Damals kämpfte ich im Mittelmeer - gegen die Barbaresken. Die schossen mir die Karavelle unter dem Hintern weg, fischten mich von einer Planke, diese Hunde, und ließen mich drei Jahre in einer Galeere als Rudersklave schuften. Ja, das waren noch Zeiten. Unsere Kerls erwischten die Galeere, zerschossen sie, und ich konnte mich wieder retten - nur knapp, nur knapp. Ich hatte noch die Armketten um die Handgelenke. Bevor ich absoff, zogen mich unsere Leute an den Haaren aus dem Wasser. Da hab ich Geburtstag gefeiert, unten im Hafen von Almeria - mit Hafenhuren. Die brachten mir bei, daß das Leben noch lebenswert sei, na ja, drei Jahre auf einer Schindergaleere, da konnte man schon lebensmüde werden ...“ Capitan Isidoro wischte sich über die Stirn. „Sagen Sie mal, warum erzähl ich Ihnen das alles? Wie? Ach so, ja, ich bin wohl doch um eine Kleinigkeit älter als Sie, nichts für ungut. Manchmal fällt einem das so ein, und dann redet man drauflos. Sie müssen das nicht so genau nehmen, mein Guter. Wollten wir nicht noch die Hütten untersuchen?“ „Jawohl, Senor Capitan“, sagte der Erste Offizier geradezu ehrfürchtig, „und ich möchte noch hinzufügen, daß ich bestimmt nicht die Absicht hatte, die Führung des Landetrupps für mich zu beanspruchen. Das ist sicherlich ein Mißverständnis, das ich hiermit korrigieren möchte. Ich hatte mich wohl falsch ausgedrückt, als ich den Generalkapitän um das Kommando ersuchte.“ „Nicht so wichtig, nicht so wichtig, lieber Freund“, sagte Don Jose liebenswürdig, „wir ziehen ja alle an einem Strang. Nun. dann wollen wir mal!“ Sie marschierten zu den Hütten zurück, und Don Jos steuerte eine bestimmte Hütte an, trat die Tür auf und drang ein. Der Erste Offizier folgte ihm.
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„Na bitte“, sagte Don Jos mit einer ausladenden Handbewegung. „So ziemlich ausgeräumt. Sie sehen sogar noch an den Schmutzrändern, wo Kisten gestanden haben. Oder?“ Er blickte den Ersten Offizier an. „Stimmt, Senor Capitan“, sagte der Erste Offizier. „Es sieht sogar so aus, als hätten es die Kerle sehr eilig gehabt.“ Er deutete auf Schleifspuren. „Sie haben die Kisten nicht getragen, sondern hin und her gezerrt oder geruckt, um sie weiterzubefördern.“ „Gut beobachtet“, sagte Don Jose:. „Schauen wir mal draußen nach, wo die Schleifspuren hinführen.“ Sie führten zum Steg oder daneben ans flache Ufer. „Na?“ fragte Don Jose lächelnd. „Die Kerle haben ihren Schlupfwinkel geräumt und das Weite gesucht“, sagte der Erste Offizier. „Das steht fest. Dabei haben sie das mitgenommen, was für sie noch brauchbar war.“ „Richtig. Und was meinen Sie, in welche Richtung die Restbande sich abgesetzt hat?“ „Westwärts“, erwiderte der Erste Offizier, „denn von Osten her mußten sie uns erwarten.“ „Ebenfalls richtig. Dann können wir unsere Aktion wohl abbrechen. Melden Sie dem Generalkapitän das Ergebnis. Mich bringen Sie bitte vorher zur ,Galicia' zurück, denn als Lotse werde ich auf dem Flaggschiff wohl kaum noch gebraucht.“ „Sie wollen dem Generalkapitän das Ergebnis nicht selbst melden, Senor Capitan?“ fragte der Erste Offizier erstaunt. „Sie hatten doch das Kommando!“ sagte Don Jose schroff. „Übrigens: Ich fühle mich auf der ,Galicia` auch wohler. Don Bruno Spadaro ist ein alter Freund von mir. Aber das brauchen Sie dem Generalkapitän nicht in die Ohren zu pusten.“ „Nein“, sagte der Erste Offizier verwirrt und wurde ein zweites Mal tomatenrot. Eine Viertelstunde später segelte der Verband südwärts. Als er die MississippiMündung gerundet hatte, ging er auf
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Westkurs, weit auseinander gezogen zu einem Suchstreifen, wie es der Erste Offizier vorgeschlagen hatte. Da war es Nachmittag geworden, und der Wind hatte von Osten auf Südosten gedreht - mit zunehmender Stärke... 8. Rasmus hatte offenbar doch kein Einsehen mit den Seewölfen, weil er seinen Standort wechselte, dazu gewaltig Luft holte und sie aus voller Lunge nach Nordwesten pustete. Und hinter seinem Rücken zauberte er Wolken hervor, recht unschöne Wolken, die er ebenfalls nach Nordwesten jagte. Da half alles nichts, die Arwenacks konnten die Florida-Straße nicht mehr anliegen und mußten kreuzen. Hasard knobelte mit Dan O'Flynn im Ruderhaus über der Seekarte des Golfes von Mexiko herum, nahm die Meilen in den Zirkel, setzte gedachte Kurse ab und erwog die Möglichkeit, einen anderen Weg zu nehmen, nämlich durch die YucatanStraße, die zwischen der gleichnamigen Halbinsel und Kuba den Golf von Mexiko mit dem Karibischen Meer verband. Bei dem Wind aus Südosten würden sie die Yukatan-Straße ganz knapp anliegen können, ohne Kreuzschläge fahren zu müssen. „Und wenn der Wind noch weiter auf Süden dreht“, sagte Dan O'Flynn verbissen, „müssen wir ebenfalls kreuzen.“ „Wenn die ,Isabella` Flügel hätte, könnte sie fliegen“, sagte Hasard spöttisch. „Hat sie aber nicht.“ „Eben.“ „Verdammt!“ Dan O'Flynn wurde ärgerlich. „Das schmeckt mir nicht mit der Yukatan-Straße. Wenn wir die nehmen, segeln wir auf einem Umweg zu den Caicos-Inseln. Die alte Regel lautet immer noch: segele auf dem kürzesten Weg zu deinem Ziel!“ „Man muß auch kompromißbereit sein“, sagte Hasard. „Alles schön und gut, nur dreht der Wind tatsächlich weiter auf Süden, wird der Umweg noch größer“, erklärte Dan
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O'Flynn beharrlich. „Weiter mußt du einkalkulieren, daß wir in dieser verdammten Straße den Strom gegenan haben, der uns andererseits in der FloridaStraße wieder voranschiebt. Es wäre schwachsinnig, gegen Wind und Strom anboxen zu wollen. Dann lieber jetzt kreuzen und später weiter südlich den Strom ausnutzen. Ist doch klar!“ „Gut gebrüllt, Löwe“, sagte Hasard, „und daß ich schwachsinnig bin, wußte ich schon lange. Man gewöhnt sich dran. Aber eins hast du vergessen: auf dem Kreuzkurs zur Florida-Straße besteht immer die Möglichkeit, daß uns die Dons in die Quere geraten. Die sind jetzt aufgescheucht, weil wir in Fort St. Augustine ganz hübsch was eingesackt haben. So wäre vorstellbar, daß sie versuchen, die Florida-Straße abzuriegeln. Vergiß nicht den Kriegsschiffverband, dem wir auf Mardengos Pirateninsel ganz knapp entwischt sind. Ferner wissen die Dons von der „Galicia`, die sich bei uns blutige Nasen geholt haben, als sie die ,San Donato' vereinnahmen wollten, daß wir uns im Golf von Mexiko herumtreiben. Also: von daher sagt mir mein Schwachsinn, lieber den Umweg über die Yukatan-Straße in Kauf zu nehmen als den Dons in die Arme zu laufen. Die werden entzückt sein, uns umarmen zu können.“ Dan O'Flynn richtete sich etwas auf. „Sir“, sagte er, „erstens möchte ich feststellen, daß ich dich persönlich nicht mit schwachsinnig bezeichnet habe, sondern das ganz allgemein meinte. Zweitens bringen uns alle Überlegungen nicht weiter, weil wir von Hypothesen ausgehen, wobei in meinem Fall allerdings der Gegenstrom und der Umweg Tatsachen sind. Nur der Wind ist unberechenbar.“ Dan grinste. „Wenn er nach Osten zurückdreht, ist meine Version sogar noch besser, denn dann können wir die FloridaStraße wieder anliegen. Ob wir den Dons begegnen, hängt doch wohl vom Zufall ab. Ob sie die Florida-Straße abriegeln, ist genauso fraglich und von dir eine Annahme. Ich halte meine Argumente für stichhaltiger.“
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„Mal ganz was Neues, daß einer von seinen eigenen Argumenten überzeugt ist“, sagte Hasard ironisch. „Und ich halte meine Argumente für die besseren. Was nun?“ „Wir losen“, sagte Dan O'Flynn und feixte seinen Kapitän an. „Auch was Neues, um Probleme der Navigation, der Strategie und Taktik zu lösen“, brummte Hasard. „Na gut, und wie losen wir?“ „Wir brauchen natürlich nicht zu losen“, sagte Dan O'Flynn. „Wenn du befiehlst, daß wir jetzt. die Yukatan-Straße ansteuern, dann ist völlig selbstverständlich, daß wir das tun. Du bist der Kapitän und triffst die Entscheidungen.“ „Danke.“ „Bitte.“ Hasard seufzte. „Und wie losen wir jetzt'?“ Dan O'Flynn fischte einen Tampen aus seiner Tasche, ein Stück Kabelgarn, von dem er ein kurzes und ein längeres Stück abschnitt. Die beiden Stücke gab er Hasard. „Wenn es dir recht ist“, sagte er, „ziehe ich. Wenn ich das längere Stück ziehe, steuern wir die Florida-Straße an.“ „Logischer wäre, du ziehst das kürzere Stück, wenn wir schon mal Schicksal spielen“, sagte Hasard. „Das kürzere Stück symbolisiert den kürzeren Weg.“ „Aha! Gut, in Ordnung, wenn ich das kürzere Stück ziehe, bleibt's also bei der Florida-Straße.“ „Sehr wohl, Mister O'Flynn. Aber eins sag ich dir: auf diese verdammte Loserei lasse ich mich kein zweites Mal ein. Ich betone das nur, damit du dir nicht einbildest, daß wir das künftig immer so handhaben.“ „Verstanden, Sir“, sagte Dan O'Flynn. „Schade, daß mein Alter im Moment nicht dabei ist. Für den wäre das Losen die reinste Glückseligkeit!“ „Bloß nicht!“ sagte Hasard, und dann lachten sie beide schallend. Hasard drehte Dan den Rücken zu, legte die beiden ungleichen Kabelgarnstücke in die linke Hand, schloß sie zur Faust, so daß über seinem Zeigefinger zwei gleichlange
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Enden herausschauten, und wandte sich wieder um. Dan wiegte den Kopf, betrachtete die/ beiden Enden und schien unschlüssig zu sein. „Wer die Wahl - hat die Qual“, sagte Hasard. „Aber es war dein Vorschlag, Mister O'Flynn, nicht meiner. Nun zieh schon!“ Dan schloß die Augen und zog. Er zog das kürzere Ende. „Na bitte“, sagte er zufrieden, „was besser war, hat gewonnen.“ „Ob's besser war, muß sich erst noch herausstellen“, sagte Hasard, „aber ich gebe zu, daß natürlich der kürzere Weg vorzuziehen ist.“ So nahm denn die „Isabella“ nach diesem Pokerspiel nicht Kurs auf die YukatanStraße, sondern kreuzte mit langen Schlägen südostwärts auf das ferne Ziel der Florida-Straße zu. Die „Isabella“ war ein guter Am-WindSegler, aber eine knappere Höhe als etwa fünfeinhalb Strich zur Windrichtung konnte sie auch nicht laufen. Das war sowieso schon enorm, denn die meisten Galeonen schafften allenfalls sechs Strich, und schon das war ein Traum. Die „Isabella“ würde also bei dem Schlag über Backbordbug etwa einen Kurs zwischen Ostnordost und Osten-zumNorden segeln, auf dem Steuerbordbug hingegen etwa zwischen Süden-zumWesten und Südsüdwest. So oder so würde das eine elende Knüppelei werden. Rahsegler waren für stetige, periodische Winde auf den Ozeanen mit guten Raumschotseigenschaften versehen. Aber wenn sie den Wind gegenan hatten und kreuzen mußten, da sah das anders aus, nämlich gar nicht rosig. Hinzu kam jetzt, daß sich eine böse See aufzubauen begann, weil der ostwärts setzende Strom gegen das vom Südostwind nach Nordwesten gezwungene Wellensystem anbolzte, also. daß die See hackig wurde.
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Als die „Isabella“ bei ihrem zweiten Schlag über Backbordbug war und Ostnordost steuerte; ging der Tanz los. Er kündigte sich mit Sam Roskills Ruf an, daß er Mastspitzen Steuerbord voraus gesichtet hatte. Sam ging Ausguck im Großmars der „Isabella“. „Kein Grund zur Aufregung“, sagte Hasard auf dem Achterdeck der „Isabella“ mehr zu sich selbst und rief zu Sam hoch, die Mastspitzen im Auge zu behalten - was der sowieso tat. Das war alles ganz normal. Mastspitzen, na ja! Mal sehen, was hinter den Mastspitzen steckt oder vielmehr: darunter. Der Kurs wurde durchgehalten. Das tat das Schiff, zu dem die Mastspitzen gehörten, ebenfalls. Die Mastspitzen gehörten zu einer Galeone, die in etwa auf Gegenkurs lag. Man würde sich also - auch „in etwa- begegnen. Hasard zuckte zusammen, als Sam Roskill die nächste Meldung brüllte. Sie lautete: „Eine spanische Kriegsgaleone!“ Nach dem Zusammenzucken reagierte Hasard fast automatisch. „Klar Schiff zum Gefecht!“ donnerte er, und wenn er einen Befehl donnerte, dann hörten das sogar die Kakerlaken im Kabelgatt und verkrochen sich. Die Arwenacks reagierten gleichfalls automatisch. Das nahm alles seinen hundert- und mehrfach erprobten Gang. Weit außerhalb jeder möglichen Schußentfernung wurden auf der spanischen Kriegsgaleone drei deutlich vernehmbare Kanonenböller gelöst. „Don hat drei Böller abgeschossen!“ brüllte Sam Roskill vom Großmars aufs Achterdeck hinunter. „Hab ich auch gehört“, sagte Hasard, „bin ja nicht taub.“ Aber es war schon richtig, daß Sam alles meldete, was sich bei dem Don so tat. „Spinnen die?“ fragte Ben Brighton. „Weiß nicht“, sagte Hasard und peilte durch den Kieker nach Steuerbord voraus. Über die Schulter sagte er zu Pete Ballie, der sofort nach dem Alarm Gary Andrews am Ruder abgelöst und seine
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Gefechtsstation im Ruderhaus besetzt hatte: „Bleib so hoch am Wind wie möglich, Pete! Keinesfalls abfallen! Nimm jede Bö mit, um Höhe zu schinden!“ „Aye, Sir“, sagte Pete Ballie. Er stand breit und wuchtig hinter dem Ruder, gelassen und ruhig wie immer, mit einem Auge auf den Kompaß und voraus peilend, mit dem anderen Auge den Stand der Segel prüfend. Und er sorgte dafür, „Höhe zu schinden“. Die „Isabella“ schwenkte höher an den Wind. „Schiff ist gefechtsklar“, meldete Al Conroy, der aufs Achterdeck geentert war. „Danke, Al“, erwiderte Hasard. „Wenn dann werde ich zuerst die Steuerbordseite einsetzen. Richtet euch darauf ein.“ „Alles klar, Sir.“ Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“, sprang wieder auf die Kuhl hinunter. „Die drei Böller“, sagte Hasard verbissen. „Verdammt, die bedeuten was ...“ Er hatte kaum ausgesprochen, da brüllte Sam Roskill: „Galeone Backbord voraus!“ Und Sekunden später: „Spanische Kriegsgaleone!“ „Zwei also“, sagte Hasard grimmig. „Die eine hat der anderen mit den drei Böllern ,Feind in Sicht' signalisiert, da freß ich Old O'Flynns Holzbein!“ „Feind? Wieso Feind?“ sagte Ben Brighton. „Wir haben keine Flagge gesetzt.“ „Eben“, knurrte Hasard. „Wer in dieser Ecke und in der Karibik keine Flagge setzt, ist für die Dons ‚Feind'. Das heißt, Freibeuter, Piraten und Korsaren setzen keine Flagge - und alle sind Feinde für die Dons.“ Fast gemütlich entgegnete Ben Brighton: „Dann laß uns doch die Sankt-GeorgsFlagge setzen, damit die Dons Bescheid wissen, mit wem sie sich anlegen!“ „Darauf kannst du dich verlassen!“ Hasard geriet allmählich in Fahrt und brüllte zur Kuhl hinunter: „Ed! Laß im Groß topp unsere Flagge vor-heißen, verdammt noch mal!“ „Aye, Sir!“ röhrte der Profos. Eine Minute später stieg die weiße Flagge mit dem roten Kreuz zusammengerollt an
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der Flaggleine hoch, ein Ruck - und sie entfaltete sich, wehte weit aus und knatterte im Topp. Der Tanz konnte beginnen, der Höllentanz mit den brüllenden Breitseiten, den Pulverwolken, dem Orgeln der Kugeln, dem Splittern von Holz, dem Reißen und Brechen von Tauwerk, dem Stöhnen und den Todesschreien der getroffenen Männer - und dem Untergang. Plötzlich fiel der Wind raumer ein, etwa aus Südosten zum Süden. Hasard reagierte wiederum sofort. „Noch höher ran, Pete! So hart wie möglich. Ich will den Don so dicht wie möglich haben - kürzeste Schußentfernung!“ Das war eine eiskalte Rechnung, die auch ins Auge gehen konnte. Aber Hasard hatte die Leeposition, und diesen Mangel konnte er nur ausgleichen, wenn er sich die Kriegsgaleone so nah wie möglich vor die Rohre holte. „Aye, Sir!“ schmetterte Pete Bailie und luvte mit sensibler Hand an. Die „Isabella“ schwenkte den Bugspriet nach Steuerbord, der Winkel zu der spanischen Galeone verkürzte sich. Die Dons mußten die Engländer für verrückt halten. Es würde ein Passiergefecht Werden - auf nahe Distanz. Der Querabstand zum Gegner würde allenfalls hundert Yards betragen, wahrscheinlich weniger. Die zweite Galeone rauschte mit fast südlichem Kurs auf die „Isabella“ zu, befand sich aber noch außerhalb der Schußweite. In etwa zehn Minuten würde sie so weit heran sein, um das Feuer eröffnen zu können. „Kerls!“ dröhnte Hasards Stimme über die Decks. „Wenn ihr die Steuerbordbreitseite in den Mond schießt, jage ich euch alle zum Teufel und heuere bei den Dons als Moses an, so wahr ich Philip Hasard Killigrew heiße!“ Ein Gejohle fegte über die „Isabella“ und prallte den Dons entgegen. Vielleicht war das der Grund, daß der spanische Kommandant nervös wurde und den Feuerbefehl gab. Vielleicht drehte er auch durch, weil es schien, als hätten die englischen Bastarde die Absicht, sein
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Schiff auf die Hörner zu nehmen. Jedenfalls ließ er zu früh feuern. An der Steuerbordseite der spanischen Kriegsgaleone blühten die roten Mündungsfeuer auf, nahezu gleichzeitig, und stießen den eisernen, heißen Tod vor sich her, er leckte nach der „Isabella“, erreichte sie aber nicht. Das hatte einen einfachen Grund, Die Spanier segelten raumschots über Steuerbordbug westwärts. Im Moment des Feuerns legte eine Bö die Galeone noch weiter nach Steuerbord über. Keiner der Kanoniere wartete das Aufrichten der Galeone ab, um das feindliche Schiff wieder ins Ziel wandern zu lassen. Die „Isabella“ verschwand für Momente hinter einer Wand aufgischtender Wassersäulen, die an ihrer Steuerbordseite von voraus bis etwa zu ihrer Mitte hochschossen. Als diese Wand in sich zusammenbrach, befand sich die spanische Kriegsgaleone genau querab der „Isabella` und bot ihr ihre ganze Steuerbordseite dar. „Feuer!“ brüllte Hasard. Tatsächlich betrug jetzt der Querabstand zum Gegner nicht mehr als achtzig Yards. Das war beste Kernschußweite - mit dem entsprechenden Erfolg. Die Breitseite der „Isabella“ krachte voll ins Ziel und zerhämmerte die Steuerbordseite der spanischen Galeone. Es sah aus, als breche die Galeone an Steuerbord in sich zusammen. Der Großmast und der Fockmast neigten sich einander zu und verfingen sich mit den Rahen. Sekunden später raste etwa mittschiffs eine Feuersäule in den Himmel. Eine Druckwelle fegte zur „Isabella“ hinüber, daß den Arwenacks die Ohren flatterten. Wiederum Sekunden später flog die spanische Kriegsgaleone in einer grellen, ohrenbetäubenden Explosion auseinander, und die Arwenacks zogen die Köpfe ein, als es Trümmer regnete. Bill wurde erwischt. Er stand an einem der 25pfünder auf der Steuerbordseite der Kuhl. Ein Splitter fetzte über seine linke Hüfte und schlitzte sie auf. Bill brach stöhnend zusammen.
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Mac Pellew und der Kutscher sprangen zu ihm, unterfingen ihn und schleppten ihn in den Krankenraum unter der Back. „Nachladen!“ brüllte der Profos. „Schlaft nicht ein, ihr Schnarchsäcke, munter, munter, wir haben noch nicht Feierabend!“ „Was ist mit Bill?“ schrie Hasard vom Achterdeck her. „Splitterverletzung, Sir!“ schrie der Profos. „Gibt später mal 'ne feine Narbe!“ „Der hat heute wieder seinen witzigen Tag“, murmelte Hasard, wandte sich zu Pete Ballie um und befahl: „Abfallen, Pete, Kurs Nord!“ „Aye, Sir, Kurs Nord“, wiederholte Pete. „Fiert auf Schoten und Brassen!“ röhrte Carberry. Die „Isabella“ drehte nach Backbord und lief auf diesem Bug raumschots der zweiten spanischen Kriegsgaleone entgegen, die hart am Wind über Steuerbordbug lag. Jetzt hatte die „Isabella“ die Luvposition, und wieder ließ Hasard sein Schiff so dicht wie möglich an den Gegner heransteuern. „Shane, Batuti!“ rief er zu den beiden Marsen hoch. „Feuer frei für euch! Deckt ihn ein!“ Noch auf eine Entfernung von über vierhundert Yards schossen die beiden Riesen ihre Langbögen mit den Brand- und Pulverpfeilen ab. Sie arbeiteten beide mit der gewohnten Präzision, es wirkte fast gelassen, dennoch war die Schußfolge unerhört schnell. Ein Pfeil folgte dem anderen auf der Bahn, die einen sanften Bogen bildete, dessen Ende sich der zweiten Kriegsgaleone entgegenneigte. Der Mann aus Gambia und der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack setzten keinen Pfeil daneben. Niemand an Bord hätte sagen können, wer der bessere Schütze war. Die Brandpfeile - mit Widerhaken versehen - verkrallten sich in den Segeln der Kriegsgaleone, blieben dort hängen und fraßen sich mit ihrem Feuer in das Segeltuch. Die Pulverpfeile explodierten, wo sie landeten, und verstreuten nach allen Seiten Glut und Grobschrot. Da und dort entstanden kleine Brandherde.
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Hier war es die Vielzahl der Treffer, die Verwirrung stiftete, und die Spanier konnten nicht überall gleichzeitig sein, um die aufflackernden Feuer zu löschen, besonders nicht oben in den Segeln. Ein Pulverpfeil bohrte sich in einen Stapel bereitgestellter Kartuschen, explodierte und entzündete den Stapel. Das war auf der Kuhl an Backbord. Eine Stichflamme fauchte hoch, und die Kanoniere wichen entsetzt zurück. Noch bevor der Schock bei fast allen Dons an Oberdeck der Galeone vorbei war - sie hatten bereits die andere Galeone in die Luft fliegen sehen und dachten, jetzt passiere bei ihnen das gleiche Unglück -, war die „Isabella“ wiederum auf Kernschußweite heran, und ihre Backbordbreitseite, 25pfünder und 17pfünder samt der Drehbassen, krachte in den Gegner. Der Besanmast wurde umgelegt, die Großrah löste sich aus dem Rack und sauste mit brennendem Segel auf die Kuhl hinunter, gleichzeitig ein paar Kupferbecken mit glühender Holzkohle umreißend, Teile des Backbordschanzkleides zerbarsten, der Rumpf wurde an Backbord in der Wasserlinie von fünf Treffern aufgerissen, in die sich das Wasser ergoß. Für die Dons war alles zu schnell gegangen, viel zu schnell. Und sie waren zu sehr mit dem Löschen der Brände beschäftigt gewesen. Die „Isabella“ rauschte an dem tödlich getroffenen Schiff vorbei, ohne beschossen zu werden. Jetzt hätten die Arwenacks ihr Siegesgebrüll anstimmen können, aber das verging ihnen. Sam Roskills Stimme war schrill und überschlug sich. „Eine spanische Kriegsgaleone Backbord querab, eine zweite Backbord voraus, eine dritte und vierte fast genau voraus!“ Hasard erstarrte. Die Seewölfe standen wie gelähmt, als hätten sie einen Volltreffer erhalten. „Bist du wahnsinnig?“ brüllte Hasard zum Großmars hoch. Das war klar - Sam Roskill hatte diese vier Kriegsgaleonen zu spät gesichtet, viel zu
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spät, sie waren längst über der Kimm und rauschten auf die „Isabella“ zu, natürlich alarmiert von den drei ersten Böllern und noch mehr aufgescheucht von dem Donner der Kanonen und der Explosion der ersten Galeone. Der Verband des Don Augusto Medina Lorca brauchte den Feind nicht mehr zu suchen und die See abzuharken. Er war gestellt, aber er hatte bereits gewütet und zugeschlagen - eine Galeone war in die Luft geflogen, die andere brannte und hatte Backbordschlagseite, ihr Besanmast schleifte im Wasser. Hasard war außer sich vor Wut. Sam Roskill verschwand in der Deckung der Segeltuchverkleidung. Daß er die vier Kriegsgaleonen zu spät gesichtet und gemeldet hatte, wußte er selbst. Hasard brüllte Dan O'FLynn an: „Dein Scheißlos, verdammt hoch mal! Wir wären diesen Bastarden nie begegnet, wenn wir den anderen Weg genommen hätten!“ „Wenn die ,Isabella' Flügel hätte, könnte sie fliegen“, sagte Dan O'Flynn rotzfrech und erinnerte damit seinen Kapitän an dessen eigenen Ausspruch, als sie über dem einzuschlagenden Kurs gebrütet hatten. „Die ,Wenns' sind es, nicht wahr? Die geben allem erst die richtige Würze. Hat das jetzt noch Zweck, daß wir uns darüber streiten und in die Haare geraten?“ „Hat's nicht“, knurrte Hasard, halbwegs wieder besänftigt, „aber Flügel könnten wir jetzt tatsächlich gebrauchen.“ „Welchen Don nehmen wir uns zuerst vor?“ fragte Dan O'Flynn sachlich. „Den Backbord querab“, erwiderte Hasard. „Klar zur Halse!“ „Klar zur Halse!“ brüllte Carberry. „Pete!“ rief Hasard zum Ruderhaus hinüber. „Wir bleiben in Lee des Dons, klar?“ „Aye, Sir, klar!“ rief Pete Ballie zurück. Die „Isabella“ ging mit dem Heck durch den Wind und auf westlichen Kurs. Wieder würde es ein Passiergefecht geben. „Al!“ rief Hasard zur Kuhl hinunter. „Ihr müßt jetzt schnell sein, schneller als sonst! Ich will versuchen, zwischen den beiden Dons, die wir an Backbord hatten,
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durchzubrechen. Schießt zuerst auf den Don an Backbord, der uns entgegenläuft, dann auf den an Steuerbord, der schräg auf uns zusegelt. Feuer frei nach eigener Entscheidung. Klar?“ „Klar, Sir!“ brüllte Al Conroy zurück. „Batuti, Shane! Feuererlaubnis!“ rief Hasard zu den Marsen hoch. „Mister Roskill! Enter ab, damit ich dir in den Hintern treten kann!“ Sam Roskill flitzte an den Backbordwanten nach unten. Von den beiden Marsen zischten die Brand- und Pulverpfeile los. Batuti schoß auf den Gegner an Backbord, Shane auf den an Steuerbord, wechselte aber auch das Ziel und bedachte die beiden anderen Galeonen, die fast genau voraus gewesen waren, als Sam sie gesichtet hatte, mit seinem Segen. Sam enterte mit unglücklicher Miene zum Achterdeck hoch. „Kehrt marsch!“ befahl Hasard grinsend. „Scher dich an Bills Kanone! Den Tritt verpasse ich dir morgen, wenn wir noch am Leben sind, du Schlafmütze!“ „Aye, Sir!“ Noch auf dem Niedergang' wirbelte Sam Roskill herum und raste zu dem 25pfünder an Steuerbord. „Du Affenarsch!“ brüllte der Profos hinter ihm her. „Wenn du einen Schuß vergeigst, roll ich dich zusammen und schieß dich mit unserer Höllenschleuder zu den Dons hinüber. Dort kannst du die Decks aufputzen und den Senores erzählen, was du für eine triefäugige Blindschleiche bist!“ „Aye, Mister Carberry“, murmelte Sam Roskill und richtete den 25pfünder aus, nachdem er kurz übers Rohr gepeilt hatte. Blacky ging ihm zur Hand und war am Grinsen. Minuten später donnerte die Backbordbreitseite der „Isabella“, Sekunden später feuerte der Gegner. Bei den Spaniern wirbelten Holzteile durch die Luft - und ihre Galeone schoß in den Wind. Als sie der „Isabella“ ihr Heck zudrehte, setzte ihr Old O'Flynn mit einem wilden Lachen seine Drehbassenladung in
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die Ruderanlage. Damit war dieser Gegner manövrierunfähig. Gleichzeitig aber erschütterten drei, vier Treffer den Rumpf der „Isabella“. Ferris Tucker sauste unter Deck, um nach möglichen Lecks zu sehen und sie sofort abzudichten. Nils Larsen auf der Kuhl kippte um mit einem Kopfstreifschuß. Der Kutscher und Mac Pellew waren wieder zur Stelle und schleppten ihn in den Krankenraum. Es ging wüst zu jetzt. Und im Südosten bis nach Osten hoch schob sich eine schwarze Wand über die Kimm, wuchs sehr schnell und breitete sich noch weiter aus. „Das gibt einen auf die Mütze!“ knurrte Ben Brighton. „Gut so“, sagte Hasard grimmig, „weil's unsere Chance ist, Fersengeld zu geben!“ Die ersten Böen jaulten heran und ließen die „Isabella“ nach Steuerbord krängen. Als sie sich wieder aufrichtete, stieß die Galeone an Steuerbord auf sie zu - es war die „Santa Veronica“, das Flaggschiff des Generalkapitäns. „Ein alter Bekannter!“ brüllte Hasard. „Gebt's ihm, Arwenacks!“ Beide Breitseiten dröhnten gleichzeitig, dazwischen flackerte das Musketenfeuer der Seesoldaten auf der „Santa Veronica“. Beide Seiten erzielten Treffer, und auf der „Isabella“ flogen die Fetzen und die Splitter. Al Conroy krümmte sich zusammen und preßte beide Hände auf den linken Oberschenkel, der von einem Holzsplitter aufgerissen worden war. Und Luke Morgan fluchte erbittert, sein rechter Arm war wie gelähmt und schlenkerte nutzlos herum, getroffen von einer Musketenkugel. Hasard und Philip junior sausten heran und halfen den beiden, in den Krankenraum zu gelangen. ' Aber die „Isabella“ brach durch, unter vollen Segeln und mit schäumender Bugwelle. Die drei restlichen Galeonen blieben ihr jedoch auf den Fersen - die „Galicia“, die „Santa Monica“ und die „Santa Veronica“.
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Nur übernahm jetzt der Wind die Befehlsgewalt und diktierte den Jägern und ihrem Wild, was sie zu tun hatten nämlich vor seiner Gewalt herzulaufen und sich nach ihm zu richten. Westwärts tobte die wilde Jagd. 9.
Der rollende Kanonendonner - als die „Isabella das Gefecht gegen die beiden zuerst gesichteten Kriegsgaleonen eröffnet hatte - war vom Südostwind über die See nach Nordwesten getragen und von jenen Kerlen gehört worden, die hinter dem Kap Pointe au Fer an der Atchafalaya Bay westlich der Mississippi-Mündung ihre erste Zuflucht gesucht hatten, nachdem sie Hals über Kopf von der Insel Comfort geflohen waren. Es handelte sich um Duvalier und seine Restbande von knapp dreißig Galgenvögeln, die sich hierher mit ihren letzten drei Einmastern verzogen hatten aus Angst vor der Rache der Spanier. Als jetzt der Donner über die See grummelte und ihre Ohren erreichte, horchten sie auf. Der Kerl, der wegen seines kahlen Schädels „Glatzkopf“ genannt wurde, einer der Unterführer Duvaliers, sagte: „Da scheint was los zu sein.“ „Klar ist da was los“, sagte Duvalier mit zusammengekniffenen Augen. Es war Nachmittag, Und sie saßen alle um ein kleines Feuer herum. Duvalier ließ die Zügel etwas schleifen, er hatte eingesehen, daß seine Kerle die Niederlage auf dem Lake Pontchartrain und die Flucht aus ihrem Schlupfwinkel auf der Insel Comfort erst einmal verdauen mußten. Er hatte auch gespürt, daß sie nicht weit von einer Meuterei entfernt gewesen waren, weil sie meinten, seine Qualitäten als Piratenhäuptling anzweifeln zu müssen. Die Schnapsflasche kreiste. Einer der Kerle rülpste und sagte verdrossen: „Mich kratzt das nicht, wenn da was los ist.“ „Du Idiot“, sagte Glatzkopf. „Wenn da was los ist, gibt's für uns vielleicht was zu holen.“
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„Richtig“, sagte Duvalier. „Ach so“, brummte der Kerl und kratzte sich im Genick. Er kratzte sich da schon die ganze Zeit, was vermuten ließ, daß sich dort gewisse kleine Tierchen angesiedelt hatten. „Ach so, ach so!“ äffte ihn der Glatzkopf nach. „Dich kratzt das nicht, aber im Genick zwicken die Läuse, wie? Ich kann das bald nicht mehr mit ansehen.“ „Sieh doch weg“, sagte der Kerl. Duvalier stand auf und sagte: „Die Leute meiner Schaluppe machen sie jetzt klar. Wir segeln hin. Wenn wir was erbeuten, wird das nur unter uns geteilt.“ Er blickte seine Kerle lauernd an. Der Glatzkopf nickte und sagte: „In Ordnung, ich übernehme die andere Schaluppe, Duvalier. Dann sind wir schon zwei Mannschaften.“ Er stand ebenfalls auf und stieß den Kerl an, der links neben ihm gesessen hatte. „Los, hoch mit dir, du Mistkäfer! Soll ich unsere Schaluppe vielleicht allein auftakeln?“ Duvalier sagte: „Recht so, Glatzkopf. Wenn sich zwei Mannschaften die Beute teilen, bleibt immer noch genug für jeden.“ Die Beute teilen! Jetzt standen alle auf, auch der Kerl, den die Läuse zwickten. Das war klar: wer aus diesen oder jenen Gründen keine Lust hatte, an einem Beutezug teilzunehmen, hatte auch kein Anrecht auf die eventuelle Beute. Er ging leer aus. „Ach, auf einmal alle?“ fragte Duvalier höhnisch und musterte besonders den Läusekerl. „Wo's was zu holen gibt, bin ich immer dabei“, sagte der Läusekerl. Eine halbe Stunde später rundeten die drei Einmaster Duvaliers die Landzunge von Pointe au Fer und nahmen Kurs nach Südwesten. Sie konnten auf Kreuzkursen höher anliegen als Rahsegler, und sie waren dabei auch noch schnell. Im Grunde waren sie für Schnapphähne von ihrer Sorte die idealen Fahrzeuge. Daß der Wind zulegte und die See hackiger wurde, störte die Kerle zunächst nicht. Sie waren von der alten Gier gepackt, Beute zu reißen.
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Etwa zwei Stunden nach dem Aufbruch es ging allmählich auf den frühen Abend zu - sichteten sie eine treibende Galeone. Sie hatten jetzt allerdings auch bereits die schwarze Wand bemerkt, die sich am ganzen östlichen Kimm höher und höher schob. Die Galeone lag vor einem Treibanker, die Segel waren aufgepackt, am Heck arbeiteten mehrere Männer, wie Duvalier durch ein Spektiv erkannte. Und er sah auch, daß die spanische Galeone etliche Treffer hatte. Sie war also angeschlagen. „Die scheinen ein Notruder zu basteln“, sagte er zu dem Kerl, der an der Pinne war. Der nickte nur stumm. Duvalier winkte den beiden anderen Einmastern zu, ihm zu folgen. Und so segelten alle drei Fahrzeuge in Lee der treibenden Galeone fast außerhalb der Sichtweite : vorbei weiter ostwärts, denn Duvalier wollte erst angreifen, wenn es dunkler wurde. Da wollte er außerdem die schwarze Wand im Rücken haben, die ihn zusätzlich tarnen würde. Der Wind wurde stärker, und Duvalier begann es zu dämmern, daß sich hier mehr als ein Sturm anbahnte, vielleicht sogar ein Hurrikan. Das brachte ihn in Zugzwang. Er wartete noch etwas ab und grunzte zufrieden, als die Sicht immer schlechter wurde. Dann entschloß er sich, umzukehren und die Galeone anzusteuern. Die beiden anderen Einmaster wurden durch Zuruf verständigt. Sie würden von zwei Seiten angreifen und entern, allerdings zwei Einmaster auf der einen und nur eine auf der anderen Seite. Es ging nicht anders. Hätten sie ihre Reserve-Schaluppe noch gehabt, wäre das besser gewesen. Aber es klappte, es klappte besser, als Duvalier erwartet hatte. Immerhin enterten sie eine Kriegsgaleone, wie sie das schon einmal getan hatten. Dort wie hier waren die Mannschaften genervt. Das war vielleicht der Vorteil für die Piraten. Und sie überrumpelten die Galeone. Sie schoren mit ihren Einmastern längsseits, wobei sie in den Wind gegangen waren, enterten wie die Affen an
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beiden Schiffsseiten auf und fielen über die völlig überraschten Spanier her. Ihre Einmaster trieben davon. Sie waren der Meinung, sie nicht mehr zu brauchen eine Galeone war besser für ihr Schnapphahngeschäft, noch dazu eine Kriegsgaleone, mit der man sich zunächst immer als Spanier tarnen konnte. Duvaliers Traum war immer eine Galeone gewesen - und hier fiel sie ihm gewissermaßen in den Schoß. Daß er .sich dabei übernahm, kam ihm nicht in den Sinn. Die Metzelei war nach knapp acht Minuten beendet, und nur ein Bootsmann überlebte das Massaker. Er wurde zu Duvalier gestoßen, der bereits auf dem Achterdeck der Galeone herumstolzierte und sich als Kapitän aufplusterte. „Was war hier los?“ herrschte er den Bootsmann an. „Sprich, du spanischerHund, oder ich lasse dich über dem Kombüsenfeuer rösten!“ „Wir hatten ein Gefecht“, sagte. der Bootsmann grimmig. „Mit wem - und wer war noch alles dabei?“ „Wir waren sechs Kriegsgaleonen und hatten den Auftrag, die englische Galeone ,Isabella` und die von Indianern geraubte ,San Donato` aufzubringen und den englischen Kapitän zu fangen. Ferner sollte die Piratenbande eines gewissen Duvalier erledigt werden ...“ Duvalier riß den Kopf zurück und stieß ein gellendes Gelächter aus. Dann schrie er: „Duvalier steht vor dir, du Hund!“ Der Bootsmann zuckte zusammen und biß die Zähne aufeinander. Jetzt wußte er, daß sein Leben keinen Pfifferling mehr wert war. „Sprich weiter!“ fauchte Duvalier. „Der Engländer wurde hier in diesem Gebiet gestellt, aber er konnte zwei von unseren Galeonen versenken. Unsere Galeone empfing einen Treffer achtern in der Ruderanlage. Inzwischen wurde ein Notruder hergestellt. Der Engländer brach nach Westen durch, unsere drei letzten
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Galeonen nahmen die Verfolgung auf. Mehr weiß ich nicht.“ „Wo ist die ,San Donato`?“ fragte Duvalier lauernd. „Das entzieht sich meiner Kenntnis. Die englische Galeone war allein und kreuzte nach Südosten auf, als sie von uns gesichtet wurde ...“ Der Bootsmann brach ab, duckte - sich, schnellte vor und unterlief Duvalier. Gleichzeitig hämmerte er ihm die rechte Faust in die Magengrube und versuchte, ihm den Degen zu entreißen. Es war Wahnsinn, was der Bootsmann tat, aber er wollte kämpfend untergehen. Vielleicht würden sie ihn auch foltern, diesem Lumpengesindel war alles zuzutrauen. Duvalier schrie wie ein Irrer und wurde von dem Bootsmann bis ans Schanzkleid gedrängt. Glatzkopf sprang hinzu und hämmerte dem Spanier einen Belegnagel über den Schädel. Als der Mann zusammenbrach, stach Duvalier mit dem Degen zu. Eine Viertelstunde später segelte Duvalier mit seiner Beutegaleone westwärts. Ihm blieb auch nichts anderes übrig, als vor dem Sturm herzulaufen. Aber den Bastard von Engländer wollte er sowieso verfolgen. * Es wurde ein Hurrikan, und er trieb Freund und Feind vor sich her. Es kümmerte ihn nicht, wer die Menschen auf den Schiffen waren. Die „Isabella“ zog Wasser, und die Arwenacks mußten an den Pumpen schuften. Vier Männer waren zur Zeit ausgefallen: Bill, Nils Larsen, Al Conroy und Luke Morgan. Manntaue wurden gespannt, alle Luken und Schotten verschalkt, die Geschütze doppelt und dreifach mit Brooktauen gesichert. Ferris Tucker bolzte in den Laderäumen herum, auf der Suche nach den Lecks, von denen er schon einige gefunden hatte. Aber die Arwenacks mußten immer noch gegen das steigende Wasser anlenzen.
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Die drei Verfolger waren außer Sicht geraten. Kurz danach hatte Hasard die
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Sturmsegel setzen lassen. Und westwärts ging die Höllenfahrt...
ENDE