Terra Astra 521
E. C. Tubb
Planet der
Tagträumer
Ein Roman mit Earl Dumarest, dem Weltraumvagabunden
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Terra Astra 521
E. C. Tubb
Planet der
Tagträumer
Ein Roman mit Earl Dumarest, dem Weltraumvagabunden
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Der Waldschrat
Titel des Originals: THE TERRA DATA Aus dem Englischen von Denis Scheck Copyright 1980 by E C. Tubb
Die Hauptpersonen des Romans: Earl Dumarest - Der Sternentramp auf einer heißen Spur Hans Zalman - Dumarests Begleiter Nequal - Der Erste Cyber versagt Elge - Nequals Nachfolger. Isobel Boulaye - Eine Frau mit einem Geheimnis Sven Axilia - Ein Bergwerksspezialist.
1.
In der Dunkelheit weinte ein Kind. Ein gewöhnlicher Mensch hätte auf das dünne Wimmern reagiert, für Elge war es lediglich das Symptom eines störenden Problems. Der heulende Mensch war schon vor Elges Geburt alt gewesen, und dennoch schluchzte er jetzt wie ein Kleinkind. Weshalb? „Katatonie", sagte der Mann an seiner Seite. Wie Elge trug er die scharlachrote Robe der Cyber. „Die Wahrscheinlichkeit ist so hoch, daß jeder Zweifel ausgeschlossen ist. Aus irgendwelchen Gründen versucht das Gehirn, sich in die Vergangenheit zu flüchten." Eine Antwort, die wahrscheinlich richtig war, aber sie ließ das Kernproblem ungelöst. Warum mußte das Gehirn denn überhaupt flüchten? „Hast du Itels Akte?" fragte Elge. Er wartete, während das kleine Plättchen, das einen Bericht über das ganze Leben eines Menschen speicherte, in die Maschine eingegeben wurde. Itel hatte gut gedient, da er sich nie geirrt hatte, und seine Belohnung erhalten. Eine Belohnung, die er jahrhundertelang genossen hatte - weshalb sollte er jetzt weinen? „Katatonie", antwortete Icelus auf seine Frage. „Dies ist sein augenblicklicher Zustand, aber nicht die Ursache dafür." „Richtig, die Ursache ist bis jetzt unbekannt. Alle in Frage kommenden Gründe wurden durch Versuche widerlegt." „Aber es besteht ein Zusammenhang mit früheren Ausfällen. Diese Einheit wurde von ihrem ursprünglichen Platz entfernt und isoliert gehalten." „Um die Seuchengefahr zu verringern", erklärte Icelus. „Sie war früher nahe einer fehlerhaften Einheitenbank."
Gehirne, die dazu übergingen, nur noch Unsinn zu stammeln, und die mitsamt ihrer restlichen Einheit auf Befehl des Ersten Cybers vernichtet worden waren. Eine Entscheidung, die nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hatte. Das Gehirn, das immer noch wimmerte, war einmal Teil des Zentralcomputers gewesen, eingebettet inmitten anderer Gehirne, die zusammen den riesigen Cybernetischen Computer bildeten, der in der Lage war, ungeheuer viele Informationen zu verarbeiten. Das Herz der Cyber war in Gefahr. Elge und andere Cyber erkannten die Gefahr. Eine Einheit konnte ausfallen, und wenn dieser Ausfall auf das Versagen des Versorgungsapparats zurückgeführt werden konnte, so war dies hinzunehmen. Fie l eine Einheit jedoch ohne ersichtlichen Grund aus, so war eine Bestrafung der Diensttuenden nicht ausreichend. Der Grund mußte gefunden und ausgemerzt werden. Um jeden Preis! „Der Rat erwartet dich, um deine Schlußfolgerungen zu hören", sagte Icelus. Meister Nequal, der Erste Cyber, saß allein in seinem Büro und dachte über das nahende Ende seines Lebens nach. Er würde sterben. Er hatte den Tod durch sein Versagen verdient. Ein Lämpchen blinkte auf seinem Schreibtisch auf, und eine Stimme ertönte, als er einen kleinen Schalter betätigte. „Meister?" „Ja?" „Der Rat tritt zusammen", sagte Jarvet, sein Assistent. Er wartete einen Moment lang und unterbrach die Verbindung, als Nequal nichts mehr sagte. Wenige Augenblicke später betrat er das Büro. „Meister! Der Rat..." „Erwartet mich. Ich verstehe." „Nein, Meister. Sie sind bereit, dich zu entschuldigen, falls du dies möchtest."
Eine Rücksichtnahme auf seinen Rang, wodurch sie aber gleichzeitig die Tatsache betonten, daß sie die wirkliche Macht der Cyber waren. „Ich werde sie nicht warten lassen. Geh schon voraus und benachrichtige den Rat, daß ich auf dem Weg bin." Sie bewegten sich, als er den Saal betrat; ein Dutzend Männer, die durch ihre Roben, von denen jede mit dem großen Siegel der Cyber geschmückt war, wie Brüder aussahen. Bevor er sich setzte, sagte er: „Ich bin mir des Zweckes dieser Versammlung bewußt. Als Erster Cyber bin ich bereit, befragt zu werden. „Sollten wir nicht vor der Abstimmung die Anklageschrift hören?" sagte ein Mann am Ende des Tisches. „Das ist unnötig", erwiderte Dekel. „Kommen wir zur entscheidenden Frage: Meister Nequal, stimmen wir darin überein, daß du nicht länger als Erster Cyber nützlich bist?" „Ja." „Dann sind wir derselben Meinung." „Eine Frage ist aber noch zu entscheiden", sagte Thern. Nequal wußte, was gemeint war. „Wer beschuldigt mich des Versagens?" Boule sprach als erster. „Ich. Du hast mit deiner Behandlung der kranken Gehirne versagt, was spätere Ereignisse beweisen. Und es ist dir nicht gelungen, das Geheimnis des Affinitäts-Zwillings wiederzubekommen." Fakten, aber was hätte er anders tun sollen? Einheiten zeigten Störungen und mußten von anderen getrennt werden. Sie zu zerstören, war am klügsten erschienen. Was den anderen Vorwurf betraf, so hatte er dafür keine Verteidigung. „Abstimmung", sagte eine Stimme entschlossen. „Die endgültige Entscheidung mag dem neuen Ersten Cyber überlassen werden." Nequal nahm das vor ihm liegende Papier, auf dem drei Namen standen, und markierte einen davon mit einem dicken Strich. Andere taten dasselbe, und er war sich sicher, wen sie gewählt
hatten. Denselben Mann wie er, da es eine Sache einer einfachen logischen Gedankenkette war. Im Aufstehen sagte er: „Mit eurer Erlaubnis kehre ich in mein Büro zurück. Nachdem Cyber Elge über seinen neuen Status unterrichtet worden ist, wird er vielleicht kommen und es für sich beanspruchen." Er betrat den Raum leise und schaute sich lange um. „Deine Entscheidung?" fragte Nequal. „Du hast versagt." „Das bedeutet vollkommene Vernichtung. Gehirn, Körper und Knochen werden wieder in die Grundelemente umgewandelt. Was ist mit den infizierten Gehirnen?" „Weitere Ansteckungen konnten vermieden werden. Durch meine Untersuchung der vorherigen Versagen halte ich dich für schuldig, den Befehl zur Zerstörung der betreffenden Einheiten gegeben zu haben. Hätte man sie geheilt, so würden sie vielleicht wertvolle Informationen besessen haben." „Es war unbedingt erforderlich, eine Seuchengefahr zu vermeiden", sagte Nequal. die Versuche hatten bewiesen, daß dies nicht zu befürchten war." „Vielleicht nicht auf der rein physischen Ebene. Ich befürchtete jedoch eine Psy-Seuche. Ein verrückter Mensch kann andere anstecken. Dasselbe gilt möglicherweise auch für Gehirne. Eine Möglichkeit, die ich berücksichtigen mußte. Du weißt um das Dilemma. Es war unbedingt erforderlich, Zeit zu gewinnen und den Zentralcomputer zu schützen." „Und jetzt?" fragte Nequal, nachdem Elge nichts auf seine Ausführungen erwidert hatte. „Eine neue Entwicklung. Eine Einheit ist in die Zeit ihrer Kindheit zurückgekehrt. Katatonie. Ich würde sagen, daß der Zustand durch die Isolation hervorgerufen wurde." Tränen, Schreie, Gestammel - wie lange würde es dauern, bis der Computer falsche Informationen weiterleitete?
„Ich habe einen Vorschlag", sagte Nequal. „Es könnte von Nutzen sein, eine direkte Verbindung mit der kranken Einheit herzustellen. Würde ich entsprechend behandelt und mit der kranken Einheit verbunden, wäre es möglich, daß ich das ganze Problem lösen könnte." Ein Spiel, das er nicht verlieren konnte. Hatte er Erfolg, so würde er mit den restlichen Gehirnen verbunden werden, eine Belohnung, die er immer noch anstrebte. Versagte er, so würde er nichts verlieren. „Und was ist mit der anderen Sache?" fragte Elge. „Dem Äffinitäts-Zwilling?" „Und Dumarest." „Earl Dumarest, mein wirklicher Fehler. Die verfallenden Einheiten - wer kann schon mit absoluter Gewißheit die Zukunft voraussagen? Es verbleibt immer ein unbekannter Faktor, der Zufall, unberechenbare Elemente. Zum Beispiel ein Mann namens Brasque, der das Geheimnis aus einem unserer Laboratorien auf Riano stahl. Der es seiner sterbenden Frau gab, die es dazu benützte, jung und schön zu werden. Die daraufhin starb und es vorher Dumarest anvertraute. Einem Wanderer. Ein Vagabund zwischen den Sternen." Ein Mann, der die Cyber besiegt und den Tod für die vo n ihm umgebrachten Cyber verdient hatte. Der Unglaublicherweise den für ihn aufgestellten Fallen entgangen war." „Fünfzehn Moleküle", sagte Nequal zu sich selbst. „Wir kennen die Einheiten. Wir wissen, daß die richtige Kombination ein Gehirn befähigt, die Form eines anderen Wesens zu übernehmen, so daß es eine nahezu perfekte Nachahmung dieses Wesens, Mensch oder Tier, wird. Uns fehlt nur die richtige Anordnung dieser Moleküle." Es würde Jahrzehntausende dauern, sämtliche mögliche Kombinationen durchzuspielen. „Du bist dir bei deinem Angebot im klaren, daß ein Versagen die Auslöschung bedeutet?" fragte Elge.
„Ja."
„Dein Angebot ist angenommen. Wann wirst du fertig sein?"
„Sofort", sagte Nequal.
2.
„Dumarest? Earl Dumarest?" fragte die Frau an der Tür. „Ist das
Ihr Name?"
„Weshalb fragen Sie?"
„Ich habe eine Nachricht für Sie." Sie trat ein, und er roch ihr
schweres Parfüm.
„Wollen Sie mir keinen Platz anbieten?"
„Verschwinden Sie."
„Soll ich eine Nachricht mitnehmen? Soll ich Ihrem Freund
ausrichten, Sie anzurufen. Wäre Ihnen das recht?"
„Ich sagte, Sie sollen verschwinden."
„Ja, ich habe verstanden. Soll er Sie nun anrufen?"
„Von mir aus." Ohne seine mürrische Stimme zu verändern,
fügte er hinzu: „Wie hieß er gleich?"
„Bochner. Habe ich Ihnen das nicht gesagt? Leo Bochner."
Die Frau hatte gelogen, der Mann war nicht der Jäger. Bochner
war groß und schlank gewesen, hatte keine Falten im Gesicht
gehabt, und seine Stimme war ebenso sanft gewesen wie seine
Hände. Der Mann kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
„Earl! Gut, daß du gekommen bist:" Ihre Finger berührten sich
und trennten sich wieder. „Zalman", sagte er. „Hans Zalman.
Wie wäre es mit etwas Wein?"
Er schenkte ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Der Mann
war einen Kopf kleiner als Dumarest und dicker. Er trug teure
Kleidung und machte den Eindruck eines reichen Mannes, der
ein Zimmer bewohnte, das nicht gerade billig schien.
„Ich habe Geld", sagte er. „Nicht soviel, wie ich möchte, aber genug für das Nötigste. Nein, ich möchte dich nicht betäuben oder dich in irgendeiner Weise verletzen. Wir sind in dieser Wohnung allein, du kannst nachschauen, wenn du möchtest. Ich erwarte keinen Besuch. Bochner ist nicht hier." Dies waren Antworten auf Fragen, an die Dumarest zwar gedacht, die er aber nicht gestellt hatte. Zalman antwortete noch einmal. „Bochner ist tot. Er beging den Fehler, die Träger der scharlachroten Roben zu unterschätzen." Die Cyber - was wußte der Mann von der Organisation? „Genug, um sie wie eine Giftschlange zu behandeln." War Zalman ein Telepath? „Nein." Zalman lächelte, während er seinen Wein trank. „Ich lese nicht in deinen Gedanken, aber dennoch lese ich etwas ab. Wie du stehst, wie du dich bewegst, die Bewegung deiner Gesichtsmuskeln, ein kurzes Aufblicken deiner Augen, die Spannung, die du ausstrahlst und vieles mehr. Ich habe diese Begabung seit meiner frühen Kindheit. Die Fähigkeit, die Gedanken eines anderen Menschen durch die kleinen Signale seines Körpers zu erkennen. Jetzt wirst du auch verstehen, warum ich dich durch eine Botin holen ließ." „Um mich ungestört beobachten zu können. Was möchtest du von mir wissen?" „Deine wahre Identität. Ich war mir fast sicher, aber ich konnte mich auch irren. Jetzt habe ich keine Zweifel mehr. Noch etwas Wein?" Dumarest hätte sein erstes Glas noch kaum berührt. Während Zalman sich nachschenkte, untersuchte Dumarest die kunstvollen Verzierunge n des Zimmers. Jede konnte ein elektronisches Abhörgerät oder eine Kamera verbergen. Es konnte jetzt schon zu spät sein. „Nein!" sagte Zalman überzeugend. „Ich gebe dir mein Wort, daß dies keine Falle ist."
Wie konnte er ihm vertrauen? „Das ist schwierig für dich, aber ich schwöre, daß es wahr ist. Ich muß mit dir sprechen, Earl, um eine bestimmte Sache zu diskutieren, die zu unser beider Vorteil ist. Wie kann ich dich davon überzeugen, daß ich die Wahrheit sage? Willst du wissen, was mit Leo Bochner wurde?" „Ja, aber nicht hier", sagte Dumarest. „Du vertraust diesem Zimmer nicht. Wo dann? Die Bäder, das ist gut. Aber welches? Earl, du hast die Wahl.“ In der Stadt waren viele. Dumarest wählte eines aus und blieb in der Nähe von Zalman, als sie sich umzogen. Sie betraten einen Saal aus Marmor, der mit bunten Dämpfen gefüllt war. Dämpfe, die nach Parfüm und stechenden Ölen rochen, aber auch Drogen waren in ihnen enthalten. Der Saal wurde durch elektronische Barrieren in einzelne Gebiete unterteilt, in denen jeweils ein anderer Dampf vorherrschte. In einer Wolke smaragdgrünen Dampfes erfuhr Dumarest, wie Bochner gestorben war. „Er starb bei einer Explosion. Ich war gerade auf einer Reise und erfuhr erst später von seinem Tod." Zalman war nur ein undeutlicher Schemen im Dampf. Diese Strafe stand bei den Cybern auf Versagen, und Zalman hatte Glück gehabt, daß er nicht ebenfalls getötet worden war. Was hatte er von dem Jäger erfahren? „Etwas, das er nur zu ahnen vermochte", sagte er. „Aber ich weiß, daß er ungefähr wußte, was es ist. Etwas von unschätzbarem Wert für unsere Freunde in den scharlachroten Roben, etwas, für das sie sehr viel bezahlen würden. Bochner war einer ihrer Agenten, wie du sicherlich vermutet hast. Er sollte dich in eine Falle locken und festsetzen, aber irgend etwas brachte den Plan zum Scheitern. Aber du bist immer noch wichtig für sie, und ich glaube, daß du dir der Gefahr, in der du schwebst, auc h bewußt bist." „Und?"
„Du hast etwas, daß den Cybern sehr viel wert ist", sagte Zalman. „Etwas, das zumindest für sie ungeheuer kostbar ist. Wenn es für sie so wertvoll ist, warum dann nicht auch für andere? Ich schlage vor, daß wir den meistbietenden Interessenten suchen und uns den Erlös teilen. Wie ich schon sagte, ein Plan, der zu unser beider Vorteil ist." Zalman war aufgestanden, und Dumarest schaute angestrengt nach ihm, während er den ungewöhnlichen Geruch des Dampfes in der Nase spürte. „Earl?" Za lmans Körper tauchte im Smaragdgrün auf. „Was sagst du dazu? Wir werden Partner. Wir arbeiten zusammen, um ..." Zalman starrte auf Dumarests Hand, deren Finger sich um seinen Hals legten. Leise sagte er: „Warum?" „Ich halte von deiner Idee des beid seitigen Vorteils nichts. Ich gebe alles, und was gibst du mir? Tut mir leid, Hans." „Nein! Laß es mich erklären, Earl." Er schluckte, als sich die Finger wieder zu lockern begannen. „Höre mir um Gottes willen zu. Ich habe deinen Teil erwähnt, aber noch nicht meinen Beitrag. Ich kann dich zur Erde bringen!" Lügen! Es mußte eine Lüge sein! „Die Erde, Earl!" Zalman befreite sich von der Hand. „Ich weiß, wie man sie findet." Außerhalb des Gebiets mit smaragdgrünem Dampf war die Luft rein, und Dumarest sog sie gierig ein, um einen vorübergehenden Schwindel zu vertreiben. Drogen und andere Beigaben des Dampfes hatten unterdrückte Gewalttriebe angesprochen. Warum hatte er überhaupt daran gedacht, Zalman umzubringen? Er hatte den Cybern entkommen können - es würde sehr viel leichter sein, einem Menschen zu entkommen. „Earl!" Zalman war die Angst anzusehen. „Du hättest mich umgebracht!" Es hatte keinen Sinn, zu lügen.
„Der Dampf. Dieser verdammte Dampf." Zalman zitterte. „Ein sehr ungeschickter Ort für eine Unterhaltung." Sie verließen das Bad und fanden im anschließenden Park eine Bank. „Setz dich, Earl, wir müssen reden." „Über die Erde und seine Behauptung." „Natürlich. Wo soll ich beginnen? Mit meinem Wissen von deiner Suche? Ich habe dies von Bochner erfahren, der es wiederum von einer Frau wußte, die du ins Vertrauen gezogen hast. Er dachte wie sie, daß du dich von einer Sage zum Narren halten läßt, da du ja die Koordinaten des Planeten nicht hast." „Hast du sie?" „Nein." Zalman blickte ihm in die Augen. „Ich bin ehrlich zu dir, Earl. Du wirst mich nicht umbringen. Nicht hier. Nie, es sei denn, daß ich versuche, dich zu betrügen, was nicht vorkommen wird." Er fügte schnell hinzu: „Nein, ich habe dies auch nicht erzählt, um mein Leben zu retten." „Was weißt du dann von der Erde?" fragte Dumarest. „Daß sie wirklich existiert. Oder ich weiß zumindest von einem Mann, der schwört, daß dies so ist. Ich werde dich zu ihm bringen, und von ihm wirst du erfahren, was du wissen möchtest. Dies ist mein Beitrag zu unserer Abmachung. Und deiner?" „Ich habe nichts, was du verwenden könntest." „Das sagst du, aber ich bin vom Gegenteil überzeugt. Nun, ich kann warten. Später, wenn du diesen Mann getroffen hast, werden wir noch einmal darüber reden." Er stand auf. „Gehen wir?" „Wohin?" „Zum Hafen, um ein Schiff zu finden und unsere Reise zu buchen. Der Mann, der dich interessiert, wohnt auf Elysius." Er lag in der Schlafkoje, die er zusammen mit Zalman bewohnte, und starrte zur Decke. Viele Fragen blieben offen.
Es gab Zufälle, wie Zalman schon gesagt hatte. Sein Zusammentreffen mit Bochner, der Umstand, daß er zur gleichen Zeit auf derselben Welt wie Dumarest war und daß er einen Mann kannte, der wußte, wo die Erde war. Alles konnte Zufall sein, aber so viele und zusammenhängende Zufälle? Die Phril war das dritte Schiff, das sie seit Verlassen von Lyton bestiegen hatten und das letzte, das er sich leisten konnte. Elysius war nicht gerade leicht zu erreichen. Aber wenn sich dort ein Mann aufhielt, der wußte, wo die Erde war, mußte er einfach dorthin gehen. Es gab keine andere Wahl. Dumarest stand auf, reckte sich und ging von der Kabine über den Gang zum Salon. Estelle hatte bis vor kurzem noch gesungen und saß jetzt mit leer blickenden Augen in einem Sessel. Trotz der verwelkten Blume in ihrem Haar und dem billigen Schmuck, wirkte sie sehr jung. Im Vergleich zu Julie Dimault. „Earl, komm, setz dich zu uns!" lud Ocher ihn ein. Vielleicht bringst du mir Glück." „Können brauchst du, nicht Glück." Rosichien war verärgert. „Der hohe Preis für eine Passage erster Klasse, und jetzt werden wir auf der Reise auch noch ausgenommen. Verdammt!" Er stand auf, warf seine Karten auf den Tisch und verließ den Salon. Tocsaw sah ihn den Raum verlassen und sagte: „So unrecht hat er nicht." „Sie glauben, daß ich Sie betrüge oder beraube?" Wie auf allen solchen Schiffen, war auch auf der Phril ein professioneller Spieler, der mit einem Prozentsatz seines Gewinns bezahlt wurde. Chambo sah in die Runde. „Wenn Sie wollen, können wir gern ein anderes Spiel machen. Von mir aus mit anderen Karten. Es kann sogar jemand von Ihnen mischen." „Einige Menschen sind schlechte Verlierer, und einer davon ist gerade gegangen. Das ist kein großer Verlust. Möchtest du seinen Platz einnehmen, Earl?" fragte Zalman.
„Machen Sie mit?" wollte Chambo wissen. Als sich Dumarest
hinsetzte, fügte er hinzu: „Sehr schön. Zeigen Sie Ihr Geld."
Nach einigen Stunden warf Julie ihre Karten hin.
„Jetzt reicht's!" Sie blickte Zalman finster an, als dieser seinen
Gewinn einstrich. „Vier in Lila und drei in Rot, und trotzdem
verliere ich! Ich höre auf!"
„Ich auch!" Ocher hatte genug, wie die Frau. „Was ist mit dir,
Sven?"
Chambo zuckte mit den Schultern, als der Bergmann seinen
Kopf schüttelte. „Ein anderes Spiel vielleicht? Poker? Nova?
Ogacihc? Nein?" Er stand auf und gähnte. „Ich habe dann auch
genug für heute. Wenn Sie weiterspielen wollen, bedienen Sie
sich." Seine Geste bezog sich auf den Tisch, die Karten und die
Würfel.
„Hat er uns übers Ohr gehauen, Earl?" Julie prüfte die Karten
auf irgendwelche Markierungen hin.
„Er mußte gar nicht betrügen."
„Hat er es aber?"
„Nein." Dumarest lachte, während die Frau die Karten nach
versteckten Knicken oder anderen Zeichen untersuchte. „Er ist
ein Profi", erklärte er. „Er verdient sich seinen Lebensunterhalt,
ind em er Sie blufft, Ihre Karten errät und ganz einfach besser
spielt als Sie."
„Was dann mit ihm?" Sie schaute zu Zalman hinüber. „Und Sie
haben auch nicht verloren."
„Ich habe Glück gehabt", sagte Zalman. „Earl ist einfach klug."
„Waren Sie schon einmal auf Elysius?"
„Nein, warum?"
„Ich versuche, Ihnen nur behilflich zu sein."
„Halten Sie mich für dumm? Natürlich ist dies mein erster
Aufenthalt auf Elysius, aber ich habe dieses Mädchen hier." Sie
schaute auf Estelle. „Wenn einer über Elysius Bescheid weiß,
dann sie. Schließlich wurde sie auf Elysius geboren."
*
Der Wein war so stark verdünnt, daß er gerade noch genug Aroma besaß, um den Geschmack der Droge zu überdecken. Dumarest kniete vor ihr mit dem Weinglas in der Hand und versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. „Hier!" Er zwang das Weinglas in ihre Hand. „Trink! Ich möchte, daß du trinkst." „Trinken?" Ihre Stimme war leer wie ihre Augen. „Sie möchten, daß ich trinke?" „Ja." Er hatte Geduld. „Nimm einen Schluck. Und noch einen Schluck." Ihr Hals bewegte sich mechanisch. „Richtig. Und jetzt den Rest." „Geht es dir besser?" Dumarest nahm ihr das leere Glas aus der Hand. Bald würden ihr die Drogen die Kraft verleihen, ihren Panzer zu sprengen. „Wie wäre es mit etwas Musik?" Ein Fehler - wie oft man sie wohl schon zum Spielen aufgefordert hatte? Er spürte, wie sie sich wieder zu jenem gemütlichen Platz in ihrem Innern zurückzog, wo sie niemand angreifen oder verletzen konnte. „Erzähl mir über deine Heimat, Estelle", sagte er sanft. „Erzähl mir etwas über Elysius." Als Antwort strich sie über die Saiten des Instruments. „Elysius", sagte er noch einmal. „Estelle, erzähle mir über deine Heimat." „Du verschwendest deine Zeit", sagte Sven Axilia. „Was kann sie dir schon sagen? Für sie war ihre Heimat ein Ort, der ihr nicht gefiel." Ohne sich umzudrehen, sagte Dumarest: „Misch dich nicht ein. Trink deinen Wein und laß es damit bewenden." „Soll ich beim Trinken einem Idioten zuhören?" Der Wein plätscherte, als er sein Glas füllte. „Frauen! Nichts als Ärger. Wie die Hexe, die mir Säure ins Gesicht geschüttet hat. Sie zielte auf die Augen, aber ich konnte das Zeug gerade noch mit einer instinktiven Bewegung auf die Wange lenken."
Er starrte einen Moment lang auf den Boden und wankte dann
zur Tür. Als er verschwunden war, zog Dumarest sein Messer.
„Estelle!" Ein strahlendes Licht ging von dem polierten Stahl
aus. Er lenkte das Licht direkt in ihre Augen. „Estelle!"
Das Mädchen konnte einen Psycho-Block haben, und nach den
Äußerungen des Bergmanns war er sich dessen ziemlich sicher.
„Estelle, hör mir zu." Er bewegte das Messer hin und her, so daß
die leeren Augen vom Licht getroffen wurden. „Du wachst jetzt
auf. Du möchtest aufstehen und reden. Wach jetzt auf, Mädchen.
Wach auf!"
„Wieviel Uhr ist es? Ist es schon Zeit? Sind wir angekommen?
Möchten Sie, daß ich singe? Ich kann sehr gut singen."
„Und was kannst du sonst noch?"
„Ich kann auch tanzen. Und kochen und sticken." Ihre Stimme
wurde tiefer, als ob sie sich plötzlich seines Gesichts und des
Messers bewußt würde. „Was soll das? Wer sind Sie? Was tun
Sie hier?"
„Ich stelle ein paar Fragen." Er steckte das Messer wieder in
seinen Stiefel. „Wir unterhielten uns nur ein wenig. Fühlen Sie
sich besser?"
„War mir schlecht?"
„Sie waren ein wenig benommen", log er. „Ich habe Ihnen etwas
zu trinken gegeben. Kennen Sie Julie schon lange?"
„Nein."
„Aber Sie reisen zusammen mit ihr, oder?" Als sie nickte, sagte
er: „Warum?"
„Geschäftlich."
„Haben Sie Familie?" fragte er sanft. „Eltern?" Ihre Antwort
fiel, wie erwartet, kurz aus. „Sie müssen keine Angst vor mir
haben. Warum erzählen Sie mir nicht ein wenig über sich und
Ihre Familie?"
Einen kurzen Augenblick lang glaubte er, gewonnen zu haben,
aber dann fielen die Türen hinter ihren Augen wieder zu, und ihr
Gesicht war wieder die alte Maske.
„Earl!" Zalman stand an der Tür und schaute in den Salon. „Bist
du immer noch hier?"
„Ja, ich wollte mit ihr reden."
„Und du hattest kein Glück."
„Richtig. Wo ist Julie?"
„Sie schläft." Zalman schaute zu dem Mädchen hinüber, das mit
dem Instrument in den Händen vor sich hin starrte.
„Ich möchte sie kaufen", sagte Dumarest.
„Estelle? Aber wieso..."
„Kaufe sie." Geduldig erklärte Dumarest, daß Estelle von
Elysius stammte. „Julie hat schwere Verluste beim Spiel gehabt
und wird froh sein, so ihre Fina nzen aufzubessern. Mit etwas
Geschick wirst du sie billig bekommen. Beeile dich aber, wir
landen morgen.
3.
Nur das Gehirn von Nequal existierte noch, und dies auch nur deshalb, weil es den Verstand beherbergte. Das Gehirn war jetzt in einem Behälter verschlossen; eine Ansammlung von Zellen, die nur wenig größer als zwei Fäuste war. Nur das war noch von Nequal geblieben, der vor kurzem noch Erster Cyber gewesen war. „Ist alles geprüft und getestet worden?" Allein die Frage war eine Beleidigung für die Techniker, aber er brauchte die Gewißheit. „Sind alle Verbindungen hergestellt?" „Es besteht nur eine Verbindung mit dem infizierten Gehirn", sagte Icelus. „Es wird keinen Kontakt mit dem Zentralcomputer geben. Elektronische Meßgeräte werden alles aufnehme n und registrieren." Elge stand einige Augenblicke unbeweglich und überlegte.
„Meister?" Icelus wartete. „Wir können die augenblickliche
Situation noch 30 Stunden lang aufrechterhalten, aber ein
längeres Warten würde eine Verschlechterung der Psyche mit
sich bringen."
War nur so wenig Zeit? Icelus wartete auf seine Entscheidung.
„Jetzt!"
Nequal war sofort wach.
Es war ein Erwachen, ohne zu sehen, ohne zu fühlen, wie ein
Mensch, der gerade aufsteht, aber immer noch schläfrig ist.
„Die Anfangsstörungen nähern sich dem Höhepunkt", sagte
Icelus, während er die Instrumente beobachtete.
Irrsinn!
Er versuchte zu schreien, entdeckte jedoch, daß er keinen Mund
hatte. Er konnte nur denken, sich bewußt sein, wissen, was
geschehen war und als was er jetzt existierte.
Euphorie!
Jetzt konnte er sich ausruhen und abstrakten Gedanken
nachgehen.
„Die Einheit hat den Höhepunkt erfolgreich überschritten“
meldete Icelus. „Die Kurve verläuft normal, aber weitere
Isolierung könnte Risikofaktoren bringen, die wir besser
vermeiden sollten."
Eine weitere Entscheidung war zu treffen.
„Stellt die Verbindung her." Elge schaute auf die
Instrumententafel.
Ein Schalter klickte, und Nequal war nicht mehr länger allein.
„Die Einstellung aller klaren Gedankengänge ist jetzt
unverkennbar. Die Vereinigung der Gehirne führte nicht zum
gewünschten Ergebnis", sagte Icelus von seinem Platz am
Steuerpult.
Ein Versagen, das Elge nur widerstrebend akzeptierte. „Erhöhe
die Gehirnreize auf Stufe fünf."
„Ergebnis?"
„Der vorherige Schluß wird bestätigt."
Und somit auch sein Versagen. Aber irgend etwas mußte doch bei dem Versuch herausgekommen sein. Warum war Nequal wahnsinnig geworden? „Mit deiner Erlaubnis möchte ich gern ein Experiment durchführen", bat einer der Techniker. „Mit den kranken Einheiten?" „Und mit den Aufzeichnungen. Vielleicht stecken in den Teilen, die wir von der eigentlichen Aufnahme geschnitten haben, Informationen. Obwohl es für uns nur Geräusche sind, kann es für die, die diese Geräusche erzeugen, doch so etwas wie ein Kode sein. Vielleicht ist es möglich, durch diesen Kode zu einer Antwort zu gelangen." Die Idee war gut. „Wie würdest du eine Antwort übersetzen, falls du eine erhältst?" fragte Elge. „Mit elektronischen Vergleichen, Herr. Wir können jedes Signal in einzelne Teile zerlegen und diese wiederum in mehrere Unterteile aufspalten. Ein Kode muß sich ja wiederholen, und es sollte möglich sein, ihn nachzuahmen, auszusondern und auszuwerten, um ein umfassendes Ergebnis zu erhalten. Man wird viel Zeit benötigen, und die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs liegt niedrig, ungefähr bei 18 Prozent." „Ich stimme dir zu." Elge stand von dem Stuhl auf. „Laß mich sofort wissen, wenn du zu einem Ergebnis kommst." Er erhielt es fünfzehn Stunden später, als er Berichte von Dutzenden von Welten studierte. Es war sehr kurz, nur ein einziges Wort. Elysius. * Es gab kein Tor, keinen Zaun und keine Wachen. Der Raumhafen war nichts anderes als ein Feld, das im Norden durch einige Gebäude begrenzt wurde, die Lagerhäuser sein mochten.
„Ich bin wieder zu Hause", sagte Estelle. „Willkommen auf Elysius." Ihr Ton verriet Bitterkeit, und Dumarest konnte sich den Grund dafür denken. Sie hatte geschlafen und gebadet und sah jetzt sauber und ordentlich aus. Dumarest sah sich noch einmal die Stadt an und war mit dem, was er sah, nicht zufrieden. Er erkannte die schon vertrauten Zeichen und konnte sich vorstellen, weshalb das Mädchen weggelaufen war. Der Planet hatte keine Industrie und nicht einmal genügend Landwirtschaft. Ein Planet, auf dem ein Mann nicht einfach eine Arbeit annehmen und sich das Geld für die Weiterreise verdienen konnte. Eine Sackgasse für jeden Reisenden. Saß man einmal fest, war das Verhungern einfach. „Nein, hier nicht, Earl." Zalman schien sich über seine Gedanken zu belustigen. „Davor brauchst du hier keine Angst zu haben." „Schön, daß ich das jetzt weiß. Weshalb hast du es mir nicht schon früher gesagt?" „Warum? Würde es irgendeinen Unterschied gemacht haben?" Er schaute zum Himmel, wo die Sonne dem Horizont entgegenstrebte. „Wir sollten uns lieber einen Platz zum Übernachten suchen." „Ein mieser Ort." Sven Axilia spuckte aus. „Ich habe gehört, daß es hier Bergbau geben soll. Große Minen. Eines Tages werde ich mit dem Betrüger abrechnen, der mir das erzählt hat." „Du wolltest hier arbeiten?" Ocher lächelte und schüttelte den Kopf. „Warum sich abrackern? Auf Elysius muß man nicht arbeiten, nicht wahr, Jon?" „So hat man es mir gesagt." Quail atmete tief ein. „Kommt, wir suchen uns einen Platz zum Ausruhen. Vielleicht können wir dort auch etwas Richtiges essen. Kommst du mit?" Tocsaw murmelte: „Spielt ja keine Rolle."
„Und du?" Quail schaute Dumarest an. „Wohl kaum." Er warf dem Mädchen einen Blick zu. „Viel Spaß." Manche Leute gehen gern Risiken ein", sagte Zalman leise, nachdem die Gruppe in eine andere Richtung gegangen war. „Aber ich freue mich, daß du dich nicht beleidigt gefühlt hast. Aber was ist jetzt mit dem Mädchen?" „Muß ich dir das sagen?“ „Nein, aber ich richte mich nach deinem Rat. Abwarten, bis mir andere sagen, was ich bereits weiß. Natürlich zum Haus." „Was sonst?" Dumarest fügte noch hinzu: „Wer kann ihre Familie besser ausfindig machen? Du machst dich, Hans." Das Mädchen konnte vor der Armut weggelaufen sein, und in diesem Fall war sie sicherlich bei ihrer Familie nicht willkommen. Mtouba beseitigte Earls Zweifel. Er traf sie in seinem Büro am Rand, des Hafens. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück und betrachtete das Mädchen. „Estelle Lamont." Sein Blick richtete sich auf Dumarest. „Es war nett von Ihnen, sie zurückzubringen." „Sie kennen sie?" „Ich kenne ihre Familie. Sie haben ein Gut im Westen. Wenn Sie möchten, werde ich Kontakt mit ihren Verwandten aufnehmen." Er würde dies sowieso tun. „Sagen Sie ihnen nur, daß das Mädchen hier ist. Werden Sie sie abholen?" „Heute nicht. Haben Sie nicht den Himmel gesehen? Er ist voller Farbe - aber ich vergaß, daß Sie ein Fremder sind. Kann sie bei Ihnen bleiben? Morgen werde ich vielleicht eine Reisemöglichkeit finden. Innerhalb weniger Tage wird sie sicher daheim sein." „Wenige Tage?" „Ich werde tun, was ich kann. Es ist eine Zeitfrage, wissen Sie. Können Sie irgendwo übernachten? Nein? In die sem Falle kann ich Ihnen die Argive-Pension empfehlen. Sie gehört einer Dame mit außergewöhnlicher Kochkunst und ist sehr sauber." „Wo finde ich diese Muster-Pension?" fragte Dumarest ironisch.
Sie war wie ihre Gastwirtschaft, groß, breit und schön anzusehen. Sie kam ihnen entgegen, lächelnd und begrüßte sie mit erhobenen Händen. „Willkommen im Argive-Haus. Ich bin Anna Shefton, und wer sind Sie?" Sie schaute Dumarest an. Ihr Lächeln wurde breiter. „Earl! Mir gefällt der Name. Werden Sie lange hier bleiben?" „Einen Tag, vielleicht mehrere, kommt ganz darauf an. Machen Sie die ganze Arbeit hier allein?" „Mir gehört die Pension, und ich bin laufend auf der Suche nach Hilfskräften. Wie wäre es mit Ihnen? Kost und Logis, soviel Sie essen und trinken können. Nach sechs Monaten die Kosten für ein Ticket dritter Klasse, falls Sie bis dahin noch Interesse daran haben." „Wer hätte daran kein Interesse?" „Zum Beispiel mein letzter Arbeiter, Celia!" Das Mädchen war offensichtlich ihre Tochter. „Zeige den Herren Zimmer 15, während ich mich um die junge Dame kümmere. Für Dumarest fügte sie hinzu: „Das Essen wird in einer Stunde fertig sein." Das Zimmer war groß, der Boden aus Stein, und die Wände waren mit schweren Holzplatten getäfelt. „Ich habe dort unten nichts gesagt, Earl, aber wenn du lieber ein eigenes Zimmer haben möchtest, dann sage es einfach", sagte Zalman. „Das hier reicht völlig", entgegnete Dumarest. Während sie zusammen in einem Zimmer waren, konnte er den Mann beobachten - hatte Zalman dieselbe Idee? Als dieser den Kopf schüttelte, ging Dumarest durch das Zimmer, um es näher zu untersuchen. Obwohl es einmal sehr solide gebaut worden war, zeigte das ganze Haus mehr oder minder starke Verfallserscheinungen. Hier zeigten sich Risse an der Wand, dort waren einige Steinplatten gesprungen. Ein schönes Haus, das langsam dem Verfall anheimfiel. Er erinnerte sich an den schlechten Zustand der gesamten Stadt.
„Hie r fehlt es an Arbeitern, Earl." Es bedurfte keiner besonderen
Fähigkeit, um zu erkennen, woran Dumarest gedacht hatte. Du
hast das Angebot der Frau gehört; Kost und Logis und soviel
man trinken kann. Ein guter Ort für jeden gewöhnlichen
Reisenden und ein Traum für einen Mittellosen. Wie ich dir
sagte, es besteht keine Gefahr, auf Elysius zu verhungern.
Ja, dies war eines der wenigen Dinge, die Zalman gesagt hatte,
aber auch erst dann, als sie bereits gelandet waren. Welche
anderen Überraschungen hielt er no ch in der Rückhand?
Als Dumarest das Bad verließ, ertönte der Gong. Zalman war
bereits nach unten gegangen und winkte ihm zu, als er das
Eßzimmer betrat. Einige Jugendliche standen an der Bar.
„Das ist anscheinend die beste Gastwirtschaft in der Stadt",
sagte Ocher. Die anderen waren ebenfalls anwesend.
„Hast du Glück bei deiner Suche gehabt?"' fragte Tocsaw den
Bergmann.
Sven schüttelte den Kopf. „Bisher noch nicht. Wenn es
überhaupt eine Minengesellschaft auf diesem Planeten gibt,
dann muß es eine kleine sein.
„Vielleicht sind die Gruben weit abgelegen und müssen deshalb
autark sein", meinte Zalman.
„Vielleicht." Axilia war von dieser Möglichkeit nicht sehr
überzeugt. »Vielleicht weiß es der Hausi. Ich werde ihn morgen
fragen. Im Moment habe ich nur Hunger."
Das Essen war gut und reichhaltig.
„Ein Trinkspruch, Freunde", sagte Ocher. „Auf die beste Reise,
die wir machen konnten!"
„Die beste?" Tocsaw schüttelte den Kopf. „Vielleicht die
schlechteste. Ich werde darauf trinken, nicht auf das andere."
„Nur weil du ein Dummkopf bist. Kennst du denn nicht das
Geheimnis von Elysius? Es ist herrlich! Du mußt nicht arbeiten.
Du bedienst dich einfach, niemand wird dich aufhalten."
„Ich würde es nicht versuchen", bemerkte Dumarest trocken.
„Warum nicht? Hast du Angst?"
„So könnte man es ausdrücken." „Vor denen?" Ocher deutete auf die Leute an der Bar und an den Tischen. „Schafe, die aufs Scheren warten. Dies ist eine sanfte, kleine Welt. Ich weiß es von einem Mann, der mehrere Jahre hier lebte." „Ist noch niemand von euch schon einmal auf Elysius gewesen?" fragte Zalman schnell. „Keiner? Das habe ich mir gedacht. Wenn einer von euch schon einmal hier gewesen wäre, würde es kein dummes Gerede über Schafe, die aufs Scheren warten, geben. Die Besitzenden wissen, wie sie ihr Eigentum beschützen können, und die, die es nicht verteidigen, haben auch nichts zum Stehlen. Arbeiten, das kannst du hier." „Das kann ich überall. Dazu bin ich nicht auf diesen Planeten gekommen." „Du möchtest also nur noch dasitzen und träumen." Zalman zuckte mit den Schultern. „Warum auch nicht. Und ihr?" Er schaute zu Ocher und Tocsaw hinüber. „Genauso wie Quail. Aber du nicht, Sven, oder?" „Ich bin zum Arbeiten hierhergekommen. Ein Mann kann nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Ich muß sparen." Seine Hand berührte das entstellte Gesicht. „Was ich benötige, ist nicht gerade billig." Kosmetische Chirurgie, um die Narbe zu entfernen, die Narbe in seiner Erinnerung würde sich jedoch nie beseitigen lassen. Eine Erinnerung, die seine Hand, die er eben ausgestreckt hatte, um sich nachzuschenken, plötzlich in der Bewegung innehalten ließ. „Diese Hexe!" Er wurde lauter und schrie: „Diese Hexe - sie ist hier!" Sie stand an der offenen Tür und wurde vom tanzenden Licht der hin und her schwingenden Laternen beleuchtet. „leko!" schrie Axilia, als er auf die Füße sprang und den Tisch umwarf. Die Frau runzelte die Stirn, als sie den Bergmann den Tisch umwerfen. und auf sie zu rennen sah.
„Endlich!" sagte er hämisch. „Erinnerst du dich, wann wir uns zuletzt sahen? An das Geschenk, das du mir gabst?" Sein Kopf schoß in einer schlangenartigen Bewegung vor. „Siehst du es? Beachte, wie schön die Narbe ist." „Nein!" Zalman packte Dumarest am Arm. Ein privater Streit, der andere nichts anging, aber Dumarest konnte nicht zusehen, wie Axilia, der jetzt ein blutgieriges Tier ohne Urteilsvermögen war, einen Fehler beging. „leko!" Axilia war zwischen sie und die Tür gesprungen, um ihr die Flucht unmöglich zu machen, und stand jetzt geduckt vor ihr, kostete seine Rache aus. „Das Schicksal ist mir gnädig. Wie oft habe ich darum gebeten, noch einmal mit dir zusammenzutreffen?" „Nein!" Sie wich zurück, ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. „Du bist verrückt!" Gerade, als er einen weiteren Schritt auf die Frau zu ging, sprang ihn Dumarest von der Seite an. In seiner Wut hatte Axilia nicht damit gerechnet, daß einer der Anwesenden in der Pension eingreifen würde. Der Schlag gegen die Schläfe kam völlig überraschend für ihn. Im Fallen schlug er noch schwach nach seinem Gegner, was jedoch nur ein Kratzer im Gesicht von Dumarest bedeutete. „Earl!" Zalman kam zu ihm gelaufen. „Mir ist nichts geschehen." Dumarest schaute auf den am Boden liegenden Mann. „Kümmert euch um ihn. Wascht ihm das Gesicht und achtet darauf, daß er atmen kann." Erst dann suchte er nach der Frau.
5.
Er entdeckte sie im Zimmer nebenan. Die helle Beleuchtung zeigte die Frau, wie sie wirklich war. Sie war ungefähr vierzig Jahre alt, hatte einen breiten Mund mit vollen Lippen und ein rundes Kinn, das Entschlossenheit verriet. Ihre Augen saßen tief unter den Brauen und waren durchdringend und blau. „Ich bin Isobel Boulaye", sagte sie. „Herzlichen Dank, daß Sie mir mein Leben gerettet haben." „Er wollte Sie nicht umbringen." „Er wollte mich aber verletzen. Warum? Welche Gründe hatte er dafür?" „Er hielt Sie für jemand anderen. Ein Mädchen, das ihn hintergangen hat." „Ich habe ihn noch nie in meinem Leben gesehen." Dumarest bewunderte ihre Ruhe. „Das Licht verwirrte ihn, außerdem war er betrunken." Er sah zu, wie ein Mädchen ihr Glas neu einschenkte und ihm einen Brandy gab. Die Frau trank ihr Glas mit einem Schluck leer. „Das war nötig. Noch einen?" „Ich habe genug." Dumarest nahm einen kleinen Schluck. „Ein schreckliches Erlebnis, Frau Boulaye, aber wenigstens haben Sie keine Verletzungen erlitten. Entschuldigen Sie mich jetzt bitte?" „Sie gehen schon?" „Ich muß mich duschen." „Benützen Sie doch mein Bad", sagte sie. „Bitte schlagen Sie das nicht ab." Eine Bitte, die er gern annahm. Dumarest nickte. „Schön!" Ihre Freude war echt. „Ich werde etwas Wein bestellen. Ich habe Zimmer 9." Das Zimmer war kleiner als sein eigenes, dafür jedoch gemütlicher. „Setz dich, Earl." Sie lächelte, als er sie anschaute. „Ja, ich kenne deinen Namen, auch die der anderen. Anna gab sie mir. Ich wollte gerade auf dich zugehen, um mit dir zu reden, als ich angegriffen wurde. Wenn du mich nicht verteidigt hättest..." Sie zitterte ein wenig. „Du hättest ihn töten können, ja, du solltest
ihn sogar getötet haben, anstatt den anderen zu sagen, sich um ihn zu kümmern. Warum hast du das getan?" „Er war aufgedreht, betrunken und sich nicht bewußt, was er tat." „Sind das Gründe, um sein Leben zu schonen? Was ist, wenn er an dir Rache nehmen will?" „Das wird er nicht." „Aber sollte er es tun, dann wirst du ihn töten." Sie runzelte die Stirn und versuchte, zu verstehen. „Weil es dann eine persönliche Angelegenheit wäre; deshalb? Was er mir anzutun drohte, ging dich nichts an, und deshalb hattest du kein Recht, dich einzumischen. Aber du konntest nicht mitanschauen, wie er mich bedrohte." Eine Erklärung, die sie zufriedenzustellen schien. „Niemand anders schien an deiner Rettung interessiert zu sein", bemerkte er. „Meinst du die an der Bar? Nein, warum sollten sie auch Interesse daran haben? Sie sind anders. Ich - ach, kümmere dich nicht darum. Auf deine Gesundheit, Earl, und nochmals herzlichen Dank." Dumarest duschte ausgiebig. Als er aus dem Bad kam, saß sie immer noch an derselben Stelle. „Kann ich sonst noch etwas für dich tun, Earl?" fragte sie ihn. „Vielleicht noch etwas Wein?" „Du wolltest mit uns sprechen. Warum?" wollte er wissen, als sie ihm das Glas reichte. „Um euch Arbeit anzubieten und euch um Hilfe zu bitten. Ich besitze eine Mine, die - was ist denn daran so lustig?" Sie war verwirrt, als er zu lächeln begann. „Der Mann, der dich angriff, ist ein Bergarbeiter. Er sucht Arbeit." „Bei mir braucht er seine Zeit nicht zu verschwenden!" „Bist du auf Elysius geboren?"
„Nein. Mein Heimatplanet ist Askelius. Ich bin mit meinem Ehemann hierhergekommen, um die Mine auszubeuten." Schnell fügte sie hinzu: „Er ist tot." „Würdest du mir etwas über die Bevölkerung von hier erzählen?" „Bevölkerung? Ich nehme an, daß ich sie wohl kenne. Wen suchst du?" „Ich suche einen Mann, der vielleicht alt ist. Möglich, daß er Wissenschaftler oder so etwas ist. Einer, der Bücher und Antiquitäten gern hat." Er spürte ihre Überraschung. „Ich glaube nicht, daß er hier geboren wurde, möglich wäre es jedoch. Ein Mann, der vielleicht ausgelacht wird, weil er an alte Legenden glaubt." Sie sagte nichts und schenkte sich nach. „Bitte, es ist sehr wichtig für mich", drängte Dumarest. „Vielleicht kennst du so einen Mann. „Wie heißt er?" „Das weiß ich nicht." Ein Geheimnis, das Zalman für sich behalten hatte. „Ich weiß nicht, wo er lebt, auch nicht, wie er ausschaut." „Tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen", sagte sie. „Ich kenne niemand, auf den die Beschreibung paßt." Als ob sie seinen Unglauben spürte, fügte sie hinzu: „Ich lebe in einem alleinstehenden Haus und arbeite in einer abgelegenen Mine. Ich habe keinen Besuch, keine Freude und nur wenig Umgang. Ich komme nur in die Stadt, um Vorräte mitzunehmen, eine Ladung abzugeben oder um unter den Neuankömmlingen nach Arbeitern zu suchen." Dumarest verstand den Schmerz, der aus den Worten sprach. Er sagte nichts, und die Spannung im Raum knisterte förmlich. „Earl! Um Gottes willen, Earl!" *
Er erwachte, als es zu dämmern anfing, und betrachtete das Lichtmuster, das von dem Fenster ohne Vorhänge an die Zimmerdecke geworfen wurde. Neben ihm lag Isobel wie ein entspanntes Kind mit einem friedvollen Gesicht. Sie zu wecken, würde den Schmerz der Trennung nur noch verstärken. Wenn sie sich später trafen, würde sie nur schöne Erinnerungen haben. Es war still im Haus, als er die Tür zumachte. Ein enger Gang führte zu dem Zimmer, das er mit Zalman teilte, und er ging ihn lautlos entlang. Zalman schlief fest. Er lag auf der Seite. Seine Kleidung lag neben ihm, und Dumarest griff gerade danach, als Zalman erwachte. „Was,..?" Zalman bewegte sich im Schlaf mit geschlossenen Augen, aber seine Hand fuhr wie eine Schlange unter das Kopfkissen. Dumarest nahm die Hand in einen eisernen Griff und fühlte das Fleisch, die Knochen und das Metall des Lasers. Es war eine kleine, teure Waffe, die im Nahkampf tödlich war. „Earl!" Zalman hörte auf, sich zu wehren. „Was tust du hier?" „Lies es doch an meiner Körperhaltung ab!" „Laß deine Spielchen. Wieviel Uhr ist es?" Er warf einen kurzen Blick auf die im Licht erstrahlenden Fenster und zerrte an seiner Hand. „Gut, wenn du es so haben möchtest. Du hast mich gepackt, um sicherzugehen, daß ich dich nicht erschieße. Du hast angenommen, daß ich dich für einen Eindringling halten könnte. Ich bin jetzt aber wach, und du kannst mich loslassen." „Hans, es ist Zeit für eine Unterredung zwischen dir und mir." „Später. Ich habe Kopfschmerzen. Wir haben angefangen, zu trinken, als du gegangen warst, und jetzt im Moment ist gerade ein Teufel mit einem Hammer damit beschäftigt, auf meinen Kopf einzuschlagen. Du hast die Nacht sicherlich besser verbracht als ich." „Vielleicht." „Da gibt es keine Zweifel." „Wann wirst du zu einer Unterredung bereit sein?" „Worüber? Natürlich, über den Mann, den wir hier finden wollen. Earl, ich muß erst noch herausfinden, wo er sein kann.
Gib mir etwas Zeit, und alles wird wie besprochen abgemacht werden." „Wie heißt er?" Zalman schüttelte den Kopf. „Ich vertraue dir, Earl, aber alte Gewohnheiten lassen sich schlecht ablegen. Ich muß etwas in der Hinterhand behalten." Er gähnte. „Earl, könntest du mir einen Gefallen tun? Bitte das Personal unten, mir heißes Tisan und Tabletten heraufzuschicken." Obwohl es sehr früh war, arbeitete Anna bereits. Dumarest fand sie in der Küche. Sie knetete Teig, und er schaute zu, wie sie ihn zu verschiedenen Forme n verarbeitete: Schlangen, Fische, Tiere und Blumen. „Das sind Brötchen", erklärte sie ihm. „Es ist alles dasselbe Brot, aber Abwechslung ist das halbe Leben. Ich backe immer sehr viel und friere alles ein, was wir nicht sofort verbrauchen." Sie runzelte die Stirn, als Dumarest ihr sagte, was ihm Zalman aufgetragen hatte. „Kopfschmerzen? Das hätte ich nicht gedacht, er hält sich mit dem Wein immer sehr zurück." Ein Schmorgericht stand auf dem Herd, und während es Dumarest versuchte, kümmerte sich ein Junge um Zalman. Es waren noch mehr junge Männer und Frauen in der Küche. „Sie sind gern hier", sagte sie, als er sie danach fragte. „Die Arbeiter haben es gern, wenn sie wissen, daß ihre Kinder gut aufgehoben sind, und der Rest kümmert sich nicht darum. Ich gebe ihnen zu essen, und als Gegenleistung helfen sie mir, so gut es geht. Viel können sie nicht tun, aber auch die kleinste Hilfe zählt." „War es schon immer so?" „Wie, immer? Schäbige Zimmer, nötige Reparaturen und wenig Arbeitskräfte? Ich dachte mir schon, daß du das bemerkt hast. Ich weiß nicht." Während sie den Teig knetete, fügte, sie hinzu: „Es könnte anders gewesen sein, und ich glaube, daß es auch einmal anders war, aber das war vor meiner Zeit. Ich bin mit meinen Eltern hergekommen, vor langer Zeit. Wir blieben
beim Besitzer dieses Hauses, und als er starb, habe ich es
übernommen."
„Und deine Eltern?"
„Ich habe sie vergessen, also solltest du dich nicht um sie
kümmern."
„Der Mann, mit dem du gekämpft hast", sagte sie plötzlich.
„Axilia?"
„Sven Axilia. Was ist mit ihm?"
„Hat er Geld?"
„Etwas. Genug, um für seinen Aufenthalt zu bezahlen, bis er
wieder auf den Beinen ist."
„Wie ich mir dachte. Und dann? Möchte er arbeiten?"
Hätte er eine andere Wahl? Dumarest sagte: „Er wird arbeiten.
Möchtest du ihn einstellen?"
„Ja, ich kann ihn gut gebrauchen."
Dumarest stellte den leeren Topf hin. Während er aufstand,
betrat Celia die Küche und blieb vor dem mehlbestreuten Tisch
stehen.
„Sie ist wach, Mutter."
„Hat sie Durst?"
„Ja, sie möchte..."
„Ich weiß, was sie möchte." Anna ging zu einem Wandschrank,
aus dem sie ein Fläschchen, eine Schachtel und ein hohes Glas
nahm. In der Flasche befand sich eine bernsteinfarbene
Flüssigkeit, die Anna in das Glas füllte. „Hier!" Sie reichte
Dumarest einen Löffel zum Kosten hin. „Erkennst du es?"
Es war sehr süß und enthielt viel Traubenzucker, Vitamine und
Proteine. Die Grundnahrung eines Weltraumfahrers, denn eine
Tasse voll ergab genügend Energie für einen ganzen Tag.
„Hat sie Hunger?"
„Estelle? Sie muß ein wenig aufgepäppelt werden, aber es steckt
noch etwas anderes dahinter." Anna nahm eine abgemessene
Menge Pulver aus der Schachtel und gab es in das Glas. Es
blinkte und funkelte kurz, dann hatte es sich mit der Flüssigkeit
vermischt. Sie bot Dumarest nichts davon zum Kosten an.
„Was ist das?"
„Man nennt es Manna. Wenn irgend jemand Manna braucht,
dann sie, und ihre Schwester weiß, daß sie es hier bekommt.
Mtouba benachrichtigte sie, und sie rief mich an. Sie wird
Estelle irgendwann heute vormittag abholen."
Er würde sie begleiten - die Dankbarkeit der Familie waren die
einzigen Mittel, die ihm im Moment zur Verfügung standen.
* Der Schirm erlosch, und Elge lehnte sich in seinem Sessel zurück und rieb sich die Augen. Elysius - ein Wort mit vielen Bedeutungen. War es eine Blume, eine Droge, ein Tanz oder eine bestimmte Mischung? Diese Liste ließ sich beliebig fortsetzen. Bedeutungen, die im Computer gespeichert und aufgrund der Höhe ihrer Wahrscheinlichkeit zueinander in Bezug gesetzt wurden. Viele waren bereits ausgeschlossen worden. Sollte es sich um einen Eigennamen handeln, so war es reine Zeitverschwendung, nach dem Ursprung des Wortes zu suchen. Das Gebiet der Kunst war wenig vielversprechend; Cyber würden sich nicht von einem solch gefühlsbetonten Feld beeinflussen la ssen. Blumen? Systeme? Meinungen? Diese Interpretationen waren zwar möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Eine kurze Handbewegung, und der Schirm erwachte wieder zum Leben. Wörter erschienen auf dem Schirm, verschwanden wieder und wurden durch neue ersetzt, während Elge Notizen und Bemerkungen diktierte. Die Antwort konnte man oft am Anfang finden, eine so offensichtliche Lösung, daß man sie meist übersah. ELYSIUS - Ein Wort, das von Elysian abgeleitet wurde.
ELYSIAN - Ein Wort, das von Elysium abgeleitet wurde. ELYSIUM - Ein Ort zukünftigen Glücks. Die Antwort?
Während seiner Ausbreitung über die Galaxis hatte der Mensch viele merkwürdige Dinge beibehalten. Namen, die jetzt Planeten bezeichneten. Eden, Paradies, Nirwana - eine ganze Reihe von Kürzungen, Verzerrungen und Abänderungen, die durch die häufige Verwendung entstanden waren. Elysium, Elysian, Elysius - die Verbindung war offensichtlich. Ein Planet? Der Schirm flackerte und beruhigte sich wieder, um die Informationen zu übermitteln. Es gab sieben Planeten, die früheren Siedlern wie ein Platz zukünftigen Glücks erschienen sein mochten. War es der in der Nähe eines Roten Riesen? Eine Welt dampfender Meere und ausgedorrter Wälder? Für Kolonisten von einem Eisplaneten mag diese Welt erstrebenswert erschienen sein. Derjenige, der von drei Sonnen beleuchtet wurde und auf dem immer Tag herrschte? Menschen von einem Planeten mit einer sehr langen Nacht mochte dies vorteilhaft erschienen sein. Wieder rief er die Techniker. „Testet alle Abweichungen bei der Aussprache des Wortes Elysius. Testet außerdem alle möglichen Veränderungen." „Alle, Meister?" „Alle." Das Wort hatte sieben Buchstaben, was über fünftausend Kombinationen bedeutete, die man auf mögliche Verbindungen mit dem Problem untersuchen mußte.
6.
Jarvis Lamont war alt und hatte viele Falten im Gesicht. Er setzte sich in den Sessel und sagte: „Sie haben Estelle zurückgebracht, und Sie werden eine Belohnung erwarten." „Ich würde es eher eine Entschädigung für die entstandenen Kosten nennen." Dumarest schaute über den großen Schreibtisch zu dem Mann hinüber. „Hat sie Ihnen die Geschichte erzählt?" Eine dünne Hand hob sich in die Luft und machte eine bestimmte Geste. „Sie war sehr vage in ihren Beschreibungen." „Dazu hatte sie allen Grund." „Vielleicht. Möchten Sie mehr berichten?" „Nein", sagte Dumarest. „Es gibt nichts, was ich Ihnen sagen könnte, das sie nicht auch wüßte. Vielleicht zieht sie es vor, den ganzen Zwischenfall zu vergessen." Wie auch er diese Unterredung hinter sich bringen wollte. Jarvis war so schnell wie möglich gekommen, um seine Nichte zu sehen. Und jetzt diese Befragung. Estelle war zurückgebracht worden, und es war eine Sache der Familienehre, für alle dabei entstandenen Kosten aufzukommen. „Eine Entschädigung", murmelte der alte Mann. „Um wieviel geht es, dabei?" Er war sichtlich erstaunt, als er die Antwort vernahm. „So viel?" „Es muß für ihre Reisekosten aufgekommen werden und außerdem für den Betrag, den sie mich gekostet hat. Außerdem für das Essen und die Übernachtung in der Pension. Zusätzlich ist es eine Sache großer Unbequemlichkeit für mich gewesen. Wenn Sie sich freuen, das Mädchen wiederzuhaben, wird Ihnen diese Summe sicherlich nicht zuviel sein, oder?" „Nein, es ist nicht zuviel. Aber dennoch muß man das Geld erst haben. Wie lange sind Sie schon hier?" „In Ihrem Haus? Morgen werden es vier Tage."
„Und auf Elysius?"
„Einen Tag länger."
„Fast fünf Tage, lange genug, um gewisse Dinge zu entdecken,
den allgemeinen Zustand des Hauses hier zum Beispiel."
„Sie haben kein Geld", sagte Dumarest.
„Das trifft zu."
„Aber Sie haben Besitztümer, Felder..."
„Reichtum ist nicht unbedingt die Frucht, die man sich von
einem Baum pflückt, mein Freund." Die dünne, alte Stimme
klang bitter. „Reichtum kommt vom Erlös der Früchte, und der
wiederum kommt nur durch harte Arbeit zustande. Was aber,
wenn man keine Arbeiter hat?"
„Sie haben Menschen." Dumarest betrachtete sein volles
Weinglas. „Junge Männer und Frauen."
„Niemand von ihnen will arbeiten. Einige kleine Aufgaben
können auch sie nicht umgehen, aber selbst um die versuchen
sie sich zu drücken. Vielleicht haben Sie sich gewundert,
weshalb ich. so lange Zeit benötigte, um hierherzukommen.
Vielleicht haben Sie sich gedacht, daß ich mir nichts daraus
mache, meine Nichte zu begrüßen. Ich habe versucht, Arbeiter
anzuwerben, aber vergebens. Ich stehe in Ihrer Schuld, Earl.
Nein, von diesem Wein haben Sie schon zuviel getrunken. Hier,
versuchen Sie den und ich werde Ihnen dabei Gesellschaft
leisten." Der alte Mahn zog ein Fläschchen mit reiner, gelber
Flüssigkeit hervor. „Auf Ihr Wohl!"
Es war ein erfrischender Wein.
„Sie wurden auf diesem Planeten geboren?" fragte Dumarest.
„Ja." Jarvis blinzelte verwirrt, als er ihm dieselbe Frage stellte,
die er Isobel gestellt hatte. „Ein Forscher? Jema nd, der sich für
Legenden und Antiquitäten interessiert? Nein, ich kenne
niemand, auf den dies zutrifft, aber das will nicht viel heißen.
Ich verlasse das Haus nur, um nach Arbeitern zu suchen. Ich bin
ein alter Mann, wissen Sie."
„Sie geben zu leicht auf", sagte Dumarest. „So alt sind Sie auch wieder nicht. „Vielleicht haben Sie recht, aber das Alter ist nicht das einzige. Der Schweber flog fehlerhaft, wie sie sicherlich bemerkt haben werden. Der Pilot arbeitet zwar daran, aber die Reparaturen sind schwierig und vielleicht undurchführbar. In der Zwischenzeit sind Sie mein Gast." Jarvis nippte an seinem Wein. „Earl, was Ihre Unkosten anbelangt. Ich kann Ihnen ein Heim für unbegrenzte Zeit anbieten. Ein Teil von allem, was wir haben. Aber Geld kann ich Ihnen nicht geben. Es würde mich trösten, wenn Sie das verstehen würden." Ein alter, an seinen Stolz festhaltender Mann, der den langsamen Untergang seiner Familie und seines Hauses mitansehen mußte. „Ich verstehe", sagte Dumarest. „Es genügt, wenn Sie dafür sorgen, daß ich in die Stadt zurückkomme." Als Pilot war der Mann schlecht, als Mechaniker hoffnungslos. Dumarest betrachtete den Schweber. Der Antrieb war nicht einmal berührt worden. Wieviele Tage waren seit seiner Unterredung mit Jarvis vergangen? Vier Tage? Fünf? Die Unordnung störte ihn; man sollte keine Maschine in solch einem Zustand lassen. Er machte sich auf die Suche nach dem Mechaniker. Dieser lag unter einem schattigen Busch, neben ihm ein Mädchen, von einem anderen wurde ihm Wein in den Mund geträufelt. Er blinzelte, als Dumarest plötzlich über ihm stand. „Earl? Möchtest du etwas?" „Du sagtest, daß der Schweber heute fertig sein würde." „Sagte ich das?" Boyce schüttelte den Kopf. „Ich werde mich später darum kümmern." „Wann, später?" „Später. Der Schweber kann warten." Und Zalman konnte auch warten. Zalman! Dumarest hatte ihn vergessen, aber das spielte keine Rolle. Trotzdem störte ihn der Zustand des Schwebers. Er könnte Mtouba benachrichtigen und
sich ein Fahrzeug herschicken lassen, aber das bedeutete Unkosten, die er sich nicht leisten konnte. Der Schweber war seine einzige Möglichkeit. „Morgen", sagte Seiina, als er sie danach fragte. „Du kannst dich morgen darum kümmern. Wir werden später fliegen." Dumarest erinnerte sich und sagte: „Wenn Farbe am Himmel ist?" " „Wenn was?" „Der Hausi hat irgend etwas darüber gesagt, daß Farbe am Himmel sei. Vielleicht könnten wir es uns ansehen." „In sie hineinfliegen, meinst du das? Das wäre herrlich, Earl! Das habe ich noch nie gemacht. Wir werden es zusammen tun. Wir werden hochfliegen und direkt in die Farbe hineinfliegen und ... Wann, Liebster? Wann?" „Sobald der Schweber fertig ist. Wirst du mir helfen?" „Ja! Gern! Wieviel Zeit haben wir? Zwei Tage?" Sie runzelte die Stirn, dann klärte sich ihr Gesicht wieder auf. „Es spielt ja keine Rolle. Aber du wirst mich mitnehmen, ja? Versprichst du es mir?"
7.
Seiina war außer sich vor Freude, sie strahlte förmlich mit ihrem ganzen Körper innerliches Vergnügen aus. „Es ist herrlich, Earl. Siehst du die Wolken?" Der ständig größer werdende Hügel wirkte von ihrer Höhe aus klein, ein pulsierender Fleck unter den ockergelben Felsen, die den Boden bedeckten. Immer mehr Fliegen sammelten sich, um das letzte Stadium ihres Lebens durchzumachen - den Paarungsflug. Dumarest hatte inzwischen erfahren, was die Farbe am Himmel bedeutete. Ein weiterer Fleck war zwischen den Felsen aufgetaucht.
„Das habe ich noch nie zuvor gesehen." Seiina lehnte sich an ihn, und er roch ihr süßliches Parfüm. „Jarvis . hätte uns nie den Schweber gegeben, und die Farben werden vom Wind ins Inland getrieben. Er wußte bestimmt nicht, wie schön es ist. Earl, es ist wundervoll! Es ist, als ob man auf dem Rücken eines Vogels reitet." Auf einem alten, verkrüppelten Vogel. Boyce hatte geschworen, daß der Schweber nie besser fliegen würde, und hatte sogar die Steuerung übernommen, aber von Anfang an hatte der Schweber in der Luft geschaukelt und war abgesackt, obwohl die Luft völlig ruhig war. Lag es an dem schlechten Piloten oder an fehlerhaften Steuerungselementen? An dem Antrieb, der nicht mehr genügend Energie zu den Antigraveinheiten führte? Anfangs war Dumarest ebenso sorglos wie die anderen gewesen, doch jetzt, da sie über felsübersäten Boden flogen, hatte der Wind seine Gedanken etwas geklärt. „Vie lleicht sollten wir landen", sagte er. „Alles ist in Ordnung, Earl. Setz dich wieder hin und genieße den Flug", sagte der Pilot. Der Horizont verschwand plötzlich vor seinen Augen, tauchte wieder auf und verschwand abermals. War der Pilot oder die Maschine die Ursache dafür? So etwas konnte man bei schlecht beladenen Schwebern beobachten, aber nur er, Seiina und der Pilot saßen in dem Schweber. „Earl?" „Einen Moment." Er verließ das Mädchen und betrachtete sich den Antrieb. Sollte es je eine Schutzabdeckung gegeben haben, so war diese entfernt worden. Die Farbe blätterte bereits an einigen Stellen ab, und an manchen Punkten sah man schon das blanke Metall; beides waren Zeichen von Alter und Nachlässigkeit bei der Pflege. „Boyce, wie ist der Auftrieb?" „Möchtest du höher fliegen?" Der Mann zuckte mit den Schultern. „Dann fliegen wir eben höher." In diesen bewegten Luftschichten war es sicherer, höher zu fliegen; der größere Abstand zum Boden verringerte die
Wirkung aufkommender Thermik. Aber Dumarest wollte nicht höher fliegen, sondern die Funktionsfähigkeit des Antriebs überprüfen." Der Schweber stieg langsam und kippte weg, als Boyce die Kontrollen bediente. „Die Stabilisierung ist nicht so, wie sie sein sollte", sagte er sachlich. „Aber darüber muß man sich keine Sorgen machen." Vielleicht, und selbst wenn Dumarest mit seiner Vermutung recht hatte, sollte die Notenergieversorgung ausreichend sein, um sicher zu landen, falls der Hauptantrieb ganz ausfallen sollte. Neigte sich der Schweber jedoch zu stark auf eine Seite, bestand die Gefahr, herauszufallen. „Earl?" Seiina war weggerückt, als er versucht hatte, sie mit den Gurten sicher anzuschnallen. „Was machst du da?" „Ich will dich nur anschnallen." „Du willst mich ans Geländer ketten? Nein, Earl, das lasse ic h nicht zu. Ich möchte mich frei bewegen können." Er wurde auf die Windstöße aufmerksam, die unbarmherzig den Schweber angriffen, an ihm zerrten. Die aufsteigende warme Luft stieß hier mit der kalten Seeluft zusammen und verursachte Turbulenzen. Jetzt wußte er, warum die Farbschleier am Himmel so bewegt erschienen. „Runter!" Dumarest spürte die Gefahr. „Mann, bringen Sie uns 'runter!" „Warum denn? Wegen dem Wind? Macht doch Spaß, Mensch." „Runter!" Dumarest wandte sich an Seiina. „Befiehl ihm zu landen." Sie lachte ihm ins Gesicht. „Hör doch endlich auf, dir Sorgen zu machen. Siehst du das?" Sie deutete auf etwas. Die pulsierenden Flecke lösten sich zu Farbschleiern auf. Direkt vor ihnen sah er nur noch Gelb. „Weg von hier, Boyce. Weg!" Zu spät. Gerade als er den Befehl gab, spaltete sich unter ihnen einer der Farbflecke auf, und im nächsten Moment waren sie
von einer olivgrünen Dunkelheit umgeben, aber es war eine lebendige Dunkelheit. Eine, die töten konnte. „Earl!" Seiina schrie, als die Fliegen sie einhüllten. Geflügelte Körper, mehrere Zentimeter lang. Einzeln waren sie harmlos, aber in der Masse machten sie einen blind, ließen keine Luft in die Lungen kommen und krochen in die Ohren. Das Gewicht von ihnen drohte die Gleichgewichtslage des Schwebers zu gefährden. Dumarest spürte, wie er umkippte, als er das Mädchen festhielt. Boyce schrie und schlug mit den Armen um sich, in eine dichte Wolke von Fliegen gehüllt. Er rutschte aus und fiel gegen das Instrumentenbrett. Dumarest packte das Geländer, als er spürte, wie der Schweber unter ihm absackte. Er hing in der Luft und hielt sich nur mit einer Hand fest, während er mit der anderen Selina umklammerte. Eine zerrende Last, die ihm zu entgleiten drohte, als ein Schwärm von Fliegen seinen Kopf einhüllte. Er konnte nicht atmen. Einen schrecklichen Moment lang hing er völlig frei in der Luft, dann wurde der Schweber von einem Aufwind erfaßt und stabilisierte sich wieder. Er hatte wieder Boden unter den Füßen. „Earl! Hilf mir!" Er hob Selinas Körper auf, zerrte ihn zum Geländer und ließ sie los, als ihre Hände sich fest um den Halt geklammert hatten. Seiina war neben ihm; ihre fest geschlossenen Augen waren mit einer Schicht von Fliegen bedeckt. Als er die Fliegen vertrieben hatte, öffnete sie die Augen. Die Wolke war nun weniger dicht, anstelle von ihr war ein olivgrüner Schleier getreten, der zusehends lichter wurde. Boyce war verschwunden; er war herausgefallen und lag jetzt tot zwischen den Felsen. Seiina rief nach ihm, als sich Dumarest seinen Weg zu dem Steuerpult bahnte. „Earl! Laß mich jetzt nicht allein!"
„Rühr dich nicht vom Fleck und halte dich fest." Dumarest wischte sich die Fliegen vom Gesicht. Unter seinen Füßen begann der Schweber von neuem zu schaukeln und fing an, wie ein Blatt im Herbst auf dem Boden zu sinken. Ließ man ihn unkontrolliert abstürzen, würde dies den sicheren Tod für die Insassen bedeuten. Dumarest erreichte das Steuerpult genau in dem Moment, als eine neue Wolke von Fliegen den Schweber einhüllte. Einen Moment lang war er blind, taub und in seinen Bewegungen völlig gelähmt. Aber dieser Augenblick verschwand so schnell, wie er gekommen war, und er kämpfte um das Gleichgewicht des Schwebers, bis er ihn mit einem schmerzhaften Geräusch zwischen den Felsen aufsetzen ließ. Er hatte die Land ung gut überstanden, aber Selina war tot. Sie lag zwischen den Felsen, ungefähr fünfzig Meter von dem Schweber entfernt. „Earl!" Isobel Boulaye stand nur wenige Meter von ihr entfernt, neben ihr ein zur Hälfte beladener Schweber. „Ich wußte nicht, daß du in dem Schweber warst. Ich sah ihn abstürzen und kam sofort hierher." Ihr Blick richtete sich auf das Mädchen. „Ist sie tot?" „Ja." „Mach dir keine Vorwürfe, Earl. Du hättest nichts für sie tun können. Das Manna ist schuld. Es ist ein Fluch. Das Manna ist die Geißel dieser Welt. Die meisten können ohne es nicht leben, einige kümmern sich nicht darum und nur wenige lehnen es ab." „Und du?" „Ich rühre nichts davon an. Und sie?" „Sie aß viel davon." „Schade. Sie war sehr schön. Earl..." „Ich werde sie zu ihrem Gut bringen. Darf ich deinen Schweber benützen?" „Earl, es gibt verschiedene Sitten und Gebräuche auf den einzelnen Planeten. Auf Elysius läßt man die Toten dort liegen,
wo sie gestorben sind. Lange bleiben sie dort nicht. Verstehst du?" Einiges sprach für diese Sitte - sozusagen eine Rückgabe des Körpers an die Natur, aber auf diesem Planeten steckte wahrscheinlich noch etwas anderes dahinter. Sie würde in den aufsteigenden Wolken der Fliegen auferstehen. Er fragte sich, welche Farbe sie wohl haben mochte.
8.
Anna war in der Halle beschäftigt, als er die Argive-Pension betrat. „Earl! Schön dich zusehen." Sie runzelte die Stirn, als sie seine dreckige Kleidung sah. „Wie siehst du denn aus? Was ist geschehen?" Sie schüttelte den Kopf, als er es ihr erzählte. „Das arme Mädchen. Aber was ist mit dir? Nach deinem Aussehen zu schließen, hast du ein Bad nötig." Dies war ihm auch schon von Isobel angeboten worden, aber er hatte abgelehnt. „Wo ist Zalman?" „Hans? Er ist irgendwo draußen, aber kümmere dich nicht um ihn. Steig in die Badewanne und laß deine Kleidung vor der Tür liegen. Sei kein Dummkopf, Earl. Zalman kann warten." Das Wasser dampfte, und Dumarest stieg in die Wanne. Er wurde sich plötzlich jeder seiner Prellungen an der Schulter, an den Füßen und auf dem Rücken bewußt. Nach dem Bad legte er sich auf das Bett. Warum war er so unvorsichtig gewesen? Die Zuckersüße der toten Fliegen hatte ihm jedes Dringlichkeitsgefühl geraubt. Das Manna hatte seine auf der Farm verbrachten Tage zu einer Reihenfolge erfreulicher Geschehnisse gemacht, wobei Zeit keine Rolle spielte. Isobel hatte es einen Fluch genannt. Die Geißel dieses Planeten, aber das konnte das Manna nicht schon immer gewesen sein.
Die Häuser waren gut und sorgfältig gebaut worden, ebenso die Stadt, ja die ganze Kolonie. Diese Siedler hatten mehr Glück als andere gehabt, denn das Manna war eine proteinreiche Nahrung. Es stellte eine Sicherheit für jeden dar. Der Planet war reich und glücklich gewesen. Dann war etwas geschehen. Aber was? Anna hatte gesagt, daß sie zur Zeit ihrer Jugend nach Elysius gekommen war - vor nicht mehr als vierzig Jahren. Die Verwahrlosung der Häuser konnte soviel Zeit in Anspruch genommen haben. Es würde langsam und heimtückisch angefangen haben. Eine Mutation der Fliegen, die das Manna, ein harmloses Nahrungsmittel, zu etwas weit Komplizierterem werden ließen. Ein Fenster muß repariert werden? Morgen. Eine Tür soll wieder in die Angeln gehoben werden - morgen. Ein elektronischer Schaltkreis muß repariert werden - morgen. Ein Morgen, der niemals kam. Es dämmerte, als er erwachte. Zalman stand neben seinem Bett und beugte sich gerade über seine gewaschene und geflickte Kleidung, die über einem Stuhl hing. Er richtete sich auf, als Dumarest zum Fenster schaute. „Hans?" „Du bist wach!" Er drehte sich . rasch um. „Ich bin froh, daß du wieder zurück bist. Ich habe dir deine Kleidung aufs Zimmer gebracht." „Warum hast du mich nicht gewarnt?" „Vor dem Manna?" Zalman versuchte nicht, seiner Frage auszuweichen. „Ich wußte nichts davon, Earl. Wirklich nichts." Das Zeug hatte diese Welt jahrzehntelang verrotten lassen, wie konnte er da behaupten, nichts davon gewußt zu haben? „Bitte glaube mir!" Zalman hatte Dumarest Ärger und Unglauben abgelesen. „Ich bin noch nie auf diesem Planeten gewesen. Verstehst du mich denn nicht? Ich bin hier ebenso fremd wie du. Nein!" Er zog sich bis zur Wand zurück, als Dumarest aufstand und auf ihn zuging. „Ich lüge nicht!"
„Du hast mir erzählt, daß du jemanden kennst. Einen Mann, der hier auf Elysius wohnt!" „Das stimmt, Earl, aber ich habe nie gesagt, daß ich schon einmal hier gewesen bin." „Wußtest du dann auch nichts von dem Manna?" „Nichts, Earl, ich schwöre es. Als ich davon erfuhr, warst du bereits mit Estelle verschwunden. Ich versuchte, dich anzurufen, aber niemand im Haus machte sich die Mühe abzunehmen." Das war eine mögliche Erklärung. „Der Mann, der deiner Meinung nach von der Erde wußte", fragte Dumarest. „Wo ist er?" „Earl, ich habe nicht gelogen. Ich traf ihn, bevor er hierher kam, und er wußte alles über die Erde. Zu dieser Zeit bedeutete es mir nichts, nur eine kuriose Information, aber er hatte die Koordinaten, davon bin ich fest überzeugt. Ich traf ihn auf Askelius...", fügte er hinzu. „Askelius! Wie heißt er?" Er wußte es schon, bevor Zalman den Namen aussprach und fühlte den alten, wohlbekannten Schmerz - mußte er immer zu spät kommen? Rudi Boulaye war tot. War sein Geheimnis mit ihm gestorben? „Earl, ich freue mich sehr, daß du angerufen hast", sagte Isobel Boulaye. „Natürlich ist auch dein Freund willkommen." Ihre Augen wanderten zu Zalman, der neben dem auf dem Dach gelandeten Schweber stand. „Wie ich dir schon sagte, erhalte ich nie Besuch."„Seit Rudi gestorben ist?" „Auch schon zuvor. Das Gesellschaftsleben auf diesem Planeten ist nicht gerade berauschend." „Wenn wir ungelegen kommen, dann sage es ruhig'*, bemerkte Dumarest. „Aber ich muß mit dir reden." Sie hoffte, daß er dies aus denselben Gründen wie sie tun wollte. Der Tag war eine Qual gewesen, da ihre Gedanken ständig um ihn gekreist waren. Sein wirkliches Erscheinen war eine unerwartete Freude. „Wenn Sie hierbleiben können, werde ich
jetzt zurückfliegen", sagte Mtouba hinter dem Steuerpult des Schwebers hervor. „Meine Empfehlung, Frau Boulaye. Viel Glück, Earl!" Als der Schweber abhob, fragte sie: „Was wollte er damit sagen?" Dumarest lächelte. „Vielleicht habe ich einen falschen Eindruck bei ihm erweckt, um schnell hier heraus zu dir zu kommen. Ich habe gesagt, daß ich als Bergmann gearbeitet habe, und ließ dabei eine Bemerkung fallen, daß ich eventuell in deiner Mine arbeiten würde. Als Agent deiner Mine liegt es ihm natürlich am Herzen, daß mehr gefördert wird." „Damit seine Prozente davon abgehen." Sie nickte. „Und, bist du einer?" „Ein Bergmann?" „Ja. Hast du in Stollen gearbeitet. Weißt du über dieses Gebiet Bescheid? Würdest du eventuell..." Sie brach den Satz ab, als ihr bewußt wurde, daß ihr Temperament mit ihr durchging. „Laßt uns ins Haus gehen." , „Ich bin nicht auf Besuch eingerichtet", sagte sie, als sie die beiden ins Wohnzimmer führte. „Ich habe natürlich etwas zum Essen da, aber mein Koch kommt nur gelegentlich. Wenn ihr euch ein wenig in Geduld übt, werde ich etwas vorbereiten. Bedient euch selbst mit Wein. Diese Maschine hier ist für Musik, diese erzeugt Farbmuster. Fühlt euch wie zu Hause." Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, sagte Zalman: „Sie ist nervös und aufgeregt." „Hat sie Angst?" „Nein, sie möchte, daß du irgend etwas tust. Es könnte sein, daß du den Platz ihres Gatten ausfüllen sollst." Sachlich fügte er hinzu: „Du bist dir im klaren darüber, daß sie in dich verliebt ist?" „Sonst noch etwas?" fragte Duma rest, ohne auf die Feststellung einzugehen. „Nichts, das sich deutlich abzeichnet."
Eine Frage konnte allen seinen Zweifeln ein Ende setzen, aber der Zeitpunkt, an dem er die Frage stellte, entschied über alles. Hatte ihr Mann sie ins Vertrauen gezogen? Teilte sie mit ihm das Geheimnis? „Hier, nimm etwas Wein." Zalman hatte sich mit den angebotenen Erfrischungen beschäftigt. Dumarest nahm den Wein und untersuchte das leuchtende Violett und entdeckte, daß er keine funkelnden Teilchen enthielt. Er schmeckte nach Zitrone und Thymian. Während er das Glas in der Hand hielt, betrachtete er den Raum eingehender. „Vernachlässigt", bemerkte Zalman, als er seine Gedanken abgelesen hatte. „Wie alles andere in diesem Haus auch, so vermute ich zumindest, aber was kann man schon anderes erwarten? Eine alleinstehende Frau versucht, alles selbst zu machen. Gott weiß, warum sie das alles nicht verkauft und weggeht." „Weil ich das nicht tun kann." Sie hatte den Raum betreten und Zalmans Worte gehört. „Niemand möchte diesen Besitz kaufen. Wie kann man eine Mine betreiben, wenn niemand arbeiten möchte, und wer möchte schon graben, wenn eine Handvoll Manna für alles Notwendige ausreicht? Ich habe nur deshalb Helfer, weil sie zu faul dazu sind, für sich selbst zu sorgen. Gelegentlich habe ich auch Arbeiter, aber nur, weil ihnen das Manna ausgegangen ist und sie es in Kauf nehmen, für mein Essen ein wenig im Dreck zu wühlen. Wenn die Teufel aber wieder tanzen, vergessen sie, weshalb sie eigentlich hier sind, und rennen davon. Ein Fluch, Earl. Dies war einmal ein blühender Handelsplanet. Als es dann nichts mehr zum Exportieren gab, stellten die Schiffe ihr Kommen bald ein. Früher oder später wird es nicht einmal mehr einen Hausi geben, und wenn er geht, bedeutet dies ein für allemal das Ende. Diejenigen, die dann noch hierbleiben, werden herumsitzen, grinsen, spielen und sich auf irgendeine Art den Tag lang
beschäftigen. Ansonsten werden die Stunden an ihnen vorübergleiten und sie werden wie glückliche Kinder sein! Wie Schwachsinnige!" „Nein!" Zalman sprach sehr energisch. „Was du zuerst gesagt hast, war richtig. Warum arbeitet ein Mensch? Um sich und seine Familie zu ernähren. Und warum sonst noch? Um die Dinge zu kaufen, die angeblich für seinen Status und seinen Komfort notwendig sind: ein Haus, ein Fortbewegungsmittel, Kle idung, Spielzeuge, besondere Eß waren - die Liste ist so lang, wie die Besitzer der Läden auf den jeweiligen Planeten sie nur machen können. Und die Herrscher strecken immer eine Hand für Steuern und sonstige Abgaben aus. Hier gibt es so etwas nicht. Man ißt Manna und ist glücklich. Kann einem das Paradies mehr bieten?" „Earl", sagte sie. „Denkst du genauso darüber?" „Hans hat eine Frage gestellt. Kannst du sie beantworten?" Als sie schwieg, fügte Dumarest hinzu: „Jeder nach seiner Art, Isobel. Für dich sind diese Leute Schwachsinnige, für andere besitzen sie alles, was man sich wünschen kann. Es kommt alles auf den jeweiligen Standpunkt an." „Und was ist dein Standpunkt?" „Ganz einfach - leben und leben lassen." Er trank den Rest Wein in seinem Glas. „Darf ich fragen, ob das Essen schon fertig ist?" Das Essen war einfach und bestand aus Fleisch, Gemüse und einigen schnell zubereiteten Soßen. Zalman füllte sich sein Glas nach und sagte: „Sie sind so nachdenklich, Frau Boulaye. Erinnern Sie sich vielleicht an ein bestimmtes Ereignis?" „Ich denke an meinen Gatten." Sie stellte ihren Teller beiseite. „Er liebte gutes Essen, Wein und Tischgespräche. Ich mache ihm nicht gerade Ehre."
„Mit diesem Essen?" Er schüttelte lächelnd den Kopf. „Einfache Nahrung, hübsch angerichtet, was will man mehr? Gibst du mir recht, Earl?" „Das Essen war ganz ausgezeichnet", sagte Dumarest. „Wenn du schon gerade an deinen Gatten denkst, können wir ja gleich über ihn reden. Natürlich nur, wenn wir dabei nicht alte Wunden aufreißen. Nein? Wo habt ihr euch kennengelernt? Auf Askelius?" „Ja. Er unterrichtete an der Universität. Ich war die älteste Studentin der Klasse, und das reichte aus, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Wir haben einige Male zusammen gegessen und sind ausgegangen und dann..." „... habt ihr geheiratet." „Ja." Sie hielt inne und schien sich zu erinnern. „Rudi war schon immer ein Phantast gewesen, und als er von Elysius hörte und von dem Reichtum, der dort auf der Straße lag ... Es stimmt, das Geld liegt hier auf der Straße oder besser, in den Hügeln. Die Gegend hier um das Haus steckt voller Jaskar." Mit einem bitteren Ton in der Stimme fügte sie hinzu: „Allerdings muß man erst einmal an das Metall herankommen." „Hat Rudi mich je einmal erwähnt?" Zalman zuckte mit den Schultern, als sie den Kopf schüttelte. „Das macht nichts. Wir haben dieselbe Leidenschaft für alte Dinge gehabt; Legenden, Sagen, Erzählungen und so. Er erzählte mir, daß er Beweise für die wirkliche Existenz einer dieser sagenumwobenen Planeten habe. Hat er je davon gesprochen? Der Planet heißt Erde." Dumarest brannte vor Ungeduld auf die Antwort der Frau. „Die Erde? Nein, ich glaube nicht. Ein Planet soll das sein? Komischer Name." „Er hat noch einen anderen", sagte Dumarest. „Terra. Sagt dir der etwas?" „Nein, ich glaube nicht." Sie stand auf und stellte die Teller zusammen, um sie wegzuräumen. „Wenn ihr wieder ins
Wohnzimmer gehen wollt, werde ich das Tisan dort servieren. Oder wollt ihr etwas anderes zum Trinken?" „Tisan genügt vollauf", sagte Zalman schnell. „Nach der Art, wie Rudi es mochte." „Er mochte es heiß und gut gewürzt. Earl, wie möchtest du es?" „Genau so bitte, Isobel." Im Wohnzimmer sagte Zalman leise: „Laß sie weiter an ihren Ehemann denken. Ich habe etwas gelesen, eine kleine Bewegung; ich glaube, daß sie etwas weiß, sich dessen aber nicht bewußt ist. Der Mann muß mit ihr über seine Entdeckung gesprochen haben. Übe dich aber in Geduld." Ein Spiel, in dem sie alle Trumpfkarten in der Hand hielten, denn sie wußten, wann Isobel log oder die Wahrheit sagte, oder das, was sie für die Wahrheit hielt. Dumarest schaute zu, wie Zalman Isobel an der Tür das Tablett abnahm, das dampfende Tisan ausschenkte und mit gespieltem Genuß trank. „Genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Rudi hatte eine Vorliebe für starke Gewürze. Warum gab er seine Stellung an der Universität auf?" „Er dachte, er würde es für mich tun. Ich war zwanzig Jahre jünger als er, und er war sich des Altersunterschieds wohl bewußt. Er wollte mir das Universum zu Füßen legen, weil ich so gnädig gewesen war, ihn zu heiraten. Das war natürlich dumm, aber es machte ihm Freude. Eines Tages erzählte er mir dann, daß wir hierher kommen würden. Wir würden hier reich werden und mit diesem Geld zu einem Planeten gehen, wo wir Reichtümer finden würden, die jede Vorstellungskraft sprengten. Es war alles Unsinn." „Erzähl weiter", sagte Dumarest. „Die Reisekosten fraßen unser gesamtes Vermögen auf", sagte sie. „Und trotzdem, obwohl er dich liebte, kam er hierher." „Um zu sterben und begraben zu werden." „Aber er hat sicherlich etwas hinterlassen. Eine Truhe, Papiere?"
„Er hat einige Zeichnungen angefertigt, als er die Gesteinsformationen der Mine untersuchte." „Aber es muß doch mehr geben", drängte Zalman. „Papiere, die er von Askelius mitgebracht hat. Bücher? Tafeln?" Er nickte, als ob sie etwas , gesagt hätte. „Sie könnten die Antwort für deine Probleme enthalten, meine Liebe. Rudi war kein Dummkopf, und ich bin mir sicher, daß er deine Zukunft nicht ohne ausreichenden Grund riskierte. Könnten wir die Unterlagen sehen?" Er entspannte sich, als sie den Raum verlassen hatte. „Earl, mein Freund, ich glaube, wir sind am Ziel." „Hier habe ich es." Isobel war mit einem dicken Ordner zurückgekommen. Er schaute sich den Ordner an. Er war mit einer billigen Schnalle verschlossen, die er mit dem Daumen aufspringen ließ. Als er den Ordner öffnete, roch er vergilbtes Papier. „Earl?" Dumarest achtete nicht auf den anderen Mann. Das oberste Blatt war mit sauber handgeschriebenen Zeilen bedeckt. Als er es las, schienen die Wörter von sich aus zu glühen ... Erde ... Terra ... das Urvolk. Er las weiter: Das Urvolk is t eine unbedeutende Sekte von religiösen Fanatikern, die auf verschiedenen Planeten in. der ganzen Galaxis verbreitet ist. Die Sekte ist ein Geheimbund. Junge Anhänger werden von dem natürlichen Nachwuchs der alten Mitglieder gewonnen. Der Hauptlehrsatz ihres Glaubens ist, daß die Menschheit von einer einzelnen Welt abstammt, dem sagenumwobenen Planeten Erde, und daß die Menschheit, nachdem sie durch Prüfungen und Versuchungen geläutert worden ist, zu diesem angeblichen Ursprungsort zurückkehren wird. Dann wird das Universum aufhören zu existieren und die Menschheit in eine höhere Lebensform verwandelt. Dieser Glaube, der auf einem offensichtlichen Irrtum faßt, ist von
esoterischen Riten und komplizierten Zeremonien, die auf einem
primitiven Fruchtbarkeitskult basieren, umgeben.
(Auszug aus „Riten und Zeremonien der Romantiker" Band 3,
Universität von Askelius)
Anmerkung 12: Die Annahme, daß der sagenumwobene Planet
deshalb nicht existieren kann, weil die Religion, die ihn umgibt,
völlig absurd ist, ist ein deutliches Beispiel für irrationales
Denken und somit unwahr. Siehe auch Anmerkung 28, TERRA.
Dumarest blätterte in den Papieren und beachtete die anderen
Anwesenden nicht.
„Terra ist ein anderer Name für die Erde, der eine Verbindung
mit dem Glaubensbekenntnis des Urvolks zu tun haben könnte,
das besagt: Sie flohen vor dem Terror, um neue Orte zu finden,
wo sie ihre Sünden sühnen konnten. Nur wenn das Volk der
Menschen geläutert ist, wird es wieder vereint sein.
Anmerkung 28: Der Name scheint für den Glauben der Sekte zu
sprechen, könnte aber auch eine zufällig entstandene
Abwandlung sein. Auf alle Fälle unterstützt er die Annahme,
daß dieser Planet wirklich existiert und aus irgendwelchen
Gründen vergessen wurde. Sieht man einmal von den
offensichtlichen Irrtümern des Glaubens ab, so bleibt die
Ähnlichkeit der Namen und die nicht verleugbare unwillkürliche
Verbindung mit einem Ort, der verlassen wurde und jetzt darauf
wartet, wiederentdeckt zu werden. Wenn wir einsehen, daß
Sagen Nachrichten von einer Gene ration an die nächste sind,
daß die Nachrichten im Lauf der Zeit und durch das vielmalige
Erzählen abgewandelt werden, und daß es notwendig ist, diese
Nachrichten so einfach und klar wie möglich zu halten, dann
erkennen wir die Möglichkeit, daß der Glaube in seinem Innern
das Wissen um eine Welt namens Erde birgt.
Es stand noch mehr auf den einzelnen Blättern, und Dumarest las alles. Die Hinweise darauf, daß die Erde ein Verwahrungsort für ungeheure Reichtümer war. Rudi Boulaye hatte daran geglaubt, daß es die Erde wirklich gab. Er hatte gewußt, daß sie existierte. „Earl!" Diesmal konnte er Zalman nicht ignorieren. „Es steht alles drin, oder? Die Antwort. Ich habe mein Versprechen gehalten. Mehr als gehalten. Du hast nicht den Mann kennengelernt, aber du hast alles erfahren, was er wußte. Ich habe meinen Teil zu unserer Abmachung beigetragen." „Ist es das, was du wolltest?" fragte ihn Isobel. „Die Koordinaten eines Planeten?" „Ja." „Und hast du sie gefunden?" „Nein." Zalman sprang auf die Füße. „Earl, du ..." Er brach den Satz ab, als er die Wahrheit ablas. „Nein", sagte er ungläubig. „Das kann nicht wahr sein. Schau noch einmal nach, Mensch, lies es noch einmal." Dazu bestand keine Veranlassung. Die Enttäuschung Zalmans war ein Nichts gegen die seine. Dumarest lehnte sich zurück und sah die Akten, die er gelesen hatte, noch einmal durch. Trockene Ausführungen, präzise Angaben und Beschreibungen, die den Autor widerspiegelten. Ein Dozent, der seine Gedanken niedergeschrieben hatte, die einzelnen Schritte, die ihn zu seiner Entdeckung führten - aber das eigentliche Ergebnis hatte er nicht miteingeschlossen. Warum nicht? Und warum enthält der Ordner eine Rechnung von einem Juwelier? Dumarest schaute sie sich noch einmal an. „Isobel, hat Rudi irgendein Schmuckstück getragen?" „Nein. Das heißt, doch, ein Medaillon." Sie nahm die Rechnung und schaute sie sich an. „Ja, die ist für das Medaillon. Ich fragte
mich damals, warum er es sich gekauft hatte. Earl! Dein Gesicht - ist etwas nicht in Ordnung?" Ein Mann erlaubt sich einen Witz, indem er das Geheimnis, das er entdeckt hat, immer um den Hals trägt. Dumarest konnte ihn fast dabei sehen, wie er das Medaillon kauft, die wertvollen Koordinaten eingraviert und es sich stolz anlegt. Ein Geheimnis, das vor Spionen wohl geschützt ist - und jetzt lag es unter soundsoviel Tonnen Gestein.
9.
Axilia fegte gerade die Dachrinne aus, als Dumarest wieder in
die Pension kam.
„Sven! Kann ich mit dir reden?"
„Einen Moment, gleich."
Axilia beendete rasch seine Arbeit.
„Nun?"
„Wie geht es deiner Verletzung?"
in wenigen Tagen würde sie verheilt sein.
„Bist du hierher gekommen, um mich das zu fragen?" sagte
Axilia.
„Wegen unserem Kampf? Nein. Ich will nur wissen, ob du
verstanden hast, daß er beendet ist. Hast du es begriffen?"
„Der Zwischenfall war ein Fehler von mir, Earl, ein schwerer
Fehler. Ich war betrunken, angestachelt, du weißt, wie so etwas
sein kann. Diese Frau - ich hatte unrecht." Es klang, als ob er
sich freute, seinen Fehler eingestehen zu können. „Anna hat mir
erzählt, was geschehen ist. Sie sagte, daß du mich hättest töten
können."
„Wie kommst du mit ihr aus?"
„Mit Anna? Ich stehe in ihrer Schuld und arbeite, um sie zu bezahlen. Die Dachrinne, das Dach und einige Kleinigkeiten im Innern müssen repariert werden. Sie bot mir ein Geschäft an. Ich glaube, sie hat dir dasselbe angetragen." „Ja, das hat sie. Hast du angenommen?" „Nein. Ich möchte mich zuerst einmal ein wenig umsehen. Soviel ich beurteilen kann, gibt es hier mehr als genug Arbeit für einen Mann. Vielleicht finde ich ein besseres Angebot auf einem der großen Güter." Er schaute von Dumarest zu dem Schweber, in dem er gekommen war. „Ich sehe, daß du ihn repariert hast." „In gewisser Beziehung ja. Bist du immer noch an Minen interessiert?" Dumarest sah die Antwort. „Sehr schön. Hast du irgendwelche Einwände, wenn du für eine Frau arbeiten mußt? Für die Frau, die du umzubringen versucht hast?" Als der Mann zögerte, fügte er hinzu: „Sie trägt dir nichts nach, Sven, aber ich glaube, daß du ihr etwas schuldest. Stimmt's?" Der .Bergmann nickte. „Um was für eine Mine handelt es sich?" Dumarest erklärte es ihm, als er die Geräte aufgeräumt hatte und sie mit Bechern voll dampfenden Tisan im Haus saßen. Axilia legte die Stirn in Falten, als er die Zeichnungen sah, die Dumarest vor ihm ausbreitete. „Ist das der Plan?" Er machte ein finsteres Gesicht, als Dumarest nickte. „Das riecht nach Amateurarbeit. Diese Dummköpfe sind der Meinung, daß alles, was man zum Betreiben eines Bergwerks tun muß, das Graben von ein paar Löchern ist. Woraus besteht der Untergrund? Aus Kalkstein? Sandstein? Wenn es sich um harten Fels handelt, wird es Schwierigkeiten geben, es sei denn, ihr habt die nötige Ausrüstung. Jaskar, hast du gesagt?" „Ja." Dumarest streckte die Hand aus. „Hier." Es war ein Stückchen Metall, das Rudi in der Hand gehalten hatte, als er gestorben war. Axilia untersuchte es, indem er mit seinem Fingernagel versuchte, daran zu ritzen. Das Metall war
bläulich und weich; der Kratzer seines Nagels war deutlich sichtbar. Er wog es in der Hand und legte es wieder hin. „Ist schon viel gefördert worden?" „Nein." „Gut. Das hier könnte vom Hauptlager stammen. Hast du das Zeug je gefördert? Es liegt Klümpchenweise in Schichten, wo die Bedingungen für sein Entstehen günstig waren. Was man wissen muß, ist, daß es einen Kern bildet, um den herum viele kleinere Partikel angeordnet sind. Wenn die Mine noch nicht in großem Stil ausgebeutet wurde, könnte der Kern immer noch vorhanden sein." „Und darauf warten, ausgebeutet zu werden?" „Vielleicht. Aber wir müssen zuerst einmal überhaupt an das Jaskar herankommen, und das wird nicht leicht sein. Der Untergrund ist meist instabil, und das Verschieben von Spannungen kann leicht zu Einbrüchen führen." „Nimmst du das Angebot an, Sven?" fragte Dumarest nach einer Weile des Schweigens. Axilia zögerte und schaute sich die Pläne noch einmal genau an. „Ein Anteil, wenn es mir gelingt, das Jaskar zu finden, ist das angemessen?" „Ja." „Und völlig freie Hand? Ich möchte nicht, daß mir jemand anders vorschreibt, wie ic h meine Arbeit tun muß. Die Schächte werden dort gebaut, wo ich will." Er fügte hinzu: „Aber wer soll die Schächte graben?" „Du, ich und Zalman. Wie steht es mit den anderen? Ochen? Quail? Tocsaw? Glaubst du, daß sie mitmachen würden?" „Gegen Anteile? Vielleicht. Sonst noch jemand?" „Die Frau beschäftigt manchmal einige Männer, aber die sind unzuverlässig. Es ist möglich, daß es in der Stadt noch andere gibt, die Geld benötigen." Diese Details hingen alle davon ab, ob der Bergmann das Angebot annahm; ohne sein Geschick und seine Erfahrung war das Vorhaben hoffnungslos. Dumarest
sagte sachlich: „Sollte die Arbeit zu hart werden, kannst du dich noch immer an das Manna halten. „Ich nicht!" rief Axilia empört und sah sich erneut die Pläne an. „Dies muß der erste Schacht gewesen sein, oder?" „Das hat mir Isobel gesagt. Er war schon angelegt, als sie kamen." „Das ist der zweite Schacht? Das dachte ich mir. Völlig falsch angelegt. Aber dieser Stollen förderte etwas Metall, oder?" „Etwas." „Aber nicht viel. Sie haben sich durch das Umfeld hindurchgearbeitet." Sein Finger deutete auf einen anderen Teil. „Was ist hier?" „Ein geschlossener Schacht." Dort war Rudi begraben, und deshalb war dieser Stollen das Hauptziel von Dumarest. „Er könnte zu der Ader führen." „Wie kommst du darauf?" Duma rest erklärte es ihm. „Könnte stimmen. Was schlägst du vor?" „Vielleicht können wir den Schacht öffnen", sagte Dumarest. „Die Frau möchte ihren Mann gern auf seiner Heimatwelt bestatten." „Das kann sehr schwierig werden", sagte Axilia. „Es könnte sogar ganz unmöglich sein; wenn der Untergrund in Bewegung ist, wird der Schacht schneller wieder zu sein, als wir ihn öffnen können. Vielleicht können wir an einer anderen Stelle anfangen zu graben und die Ader dann von einem anderen Winkel aus ausbeuten. Ich werde es mir ansehen müssen." Er schaute Dumarest an. „Nun? Wann fangen wir an?"
* „Meister?" Der Kommunikator summte in einem gleichmäßigen
Ton. „Ratsmitglied Boule, wie du erwartet hast."
„Führ ihn herein", sagte Elge.
Eine Unterbrechung, die er auf sich nehmen mußte. Cyber Boule war fanatischer als die meisten anderen dazu entschlossen, auch jede Spur von Unfähigkeit zu beseitigen. „Ratsmitglied." Elge stand auf, um ihn zu begrüßen. „Sie sind mir willkommen. Es handelt sich sicherlich um Elysius." Boule machte keine Umschweife. „Zeit und Energie werden für eine Suche vergeudet, die völliger Wahnwitz ist. Keine der beiden Einheiten hatte irgendeine Verbindung mit etwas, das Elysius heißt, aber dennoch hast du die Techniker angewiesen, Planeten mit diesem und ähnlichen Namen zu untersuchen." „Das ist richtig." „Ich kann keinen Grund dafür erkennen." „Ich untersuche alle Möglichkeiten, wobei es keine Rolle spielt, wie unwahrscheinlich sie sein mögen", sagte Elge. „Wir haben nur dieses eine Wort als Hinweis darauf, was diese von Katatonie befallene Einheit angesteckt haben könnte. Nequals Opfer darf nicht umsonst gewesen sein. Deshalb habe ich den Cybern befohlen, jede dieser Welten aufzusuchen und einen Bericht darüber abzufassen." „Ganze zwölf." „Jede trägt einen Namen, der in Verbindung mit unserem Wort stehen könnte: Lysius, Elsius, Silysus - du hast bestimmt die komplette Liste." „Wie hoch ist deine Schätzung für die Erfolgswahrscheinlichkeit?" „Niedrig", gab Elge zu. „Aber selbst wenn die Erfolgsaussichten nur ein Zehntel eines Prozents hoch wären, würde ich die Anstrengung für gerechtfertigt halten." „Du vielleicht, aber ich zweifle daran, ob der Rat hierin mit dir übereinstimmt. Ich muß dich davor warnen, daß der Rat vielleicht verlangen wird, daß du dich hierfür verantwortest." Eine offizielle Nachricht über die bevorstehende Verurteilung. Als Erster Cyber konnte er sie ignorieren, aber wenn er dies tat, bewies er damit, daß er für seine jetzige Position nicht geeignet
war. Er war kein Gott. Schon war er gewarnt worden, daß er einen Fehler gemacht haben könnte. Weshalb hatte er die Untersuchung der Planeten angeordnet? Boule hatte mit seiner Behauptung recht gehabt, daß es keinen logischen Grund für soviel Aufwand gab. Er war müde gewesen, und die Müdigkeit hatte die Effektivität seines Denkens beeinflußt. Daß er seine Entscheidung nicht widerrufen hatte, war ein Beweis dafür, daß er die Lage nicht erkannt hatte. Sollte der Rat beschließen, seine Fähigkeiten anzuzweifeln, würde das gegen ihn sprechen. Elysius, warum Elysius? Dumarest war auf Harg gestorben. Die Wahrscheinlichkeit war so groß gewesen, daß jeder Zweifel ausgeschlossen war. Sein Tod hatte Nequals Schicksal besiegelt. Wie sein eigenes besiegelt sein würde, sollte sich die Annahme, daß auf Elysius die Antwort auf das Problem der weinenden Gehirne war, als falsch erweisen. Elge wußte, daß man ihm keine zweite Chance geben würde. * „Ich kann dir die Kette nicht geben", sagte Mtouba geduldig. „Warum nicht?" fragte die junge Frau. „Sie ist schön." „Sehr schön, aber du hast keinen Kredit bei mir." „Du kannst mir vertrauen." „Natürlich kann ich dir vertrauen, und ich hoffe, daß du mir vertraust, daß ich die Kette so lange aufbewahre, bis du mir etwas Wertvolles bringst." Er führte das Mädchen hinaus und drehte sich dann lächelnd um. „Sie sind wie Kinder, Earl. Wenn sie etwas Glänzendes sehen, wollen sie es haben" Sein Blick wanderte zu dem Schweber. „Wie ich sehe, konntest du dich mit Frau Boulaye einigen." „Ja."
„Das freut mich für sie. Diese Frau arbeitet hart und verdient nicht sehr viel dabei. Eine Erfrischung? Tisan? Vielleicht einen Likör? Oder bevorzugst du das hier?" Dumarest betrachtete die Schachtel, die ihm der Hausi entgegenhielt. In ihr glitzerte es. „Nein." „Gut, ich habe mich gefragt, ob du es nimmst." Der Agent verschloß die Schachtel mit einem klappenden Geräusch und warf sie neben anderen Dingen auf seinen Schreibtisch. „Ich möchte etwas über die Schiffe erfahren, die sich hier anmelden. Der Verkehr ist nicht besonders groß, oder?" „Ganz offensichtlich nicht. Die Phril hat ein Schwesterschiff, die Mercator, und die beiden fliegen jeweils die entgegengesetzte Route. Beide Schiffe landen hier in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Manchmal fliegen auch andere Schiffe vorbei. Gelegentlich melden sie sich, wenn sie Passagiere oder eine Lieferung an Bord haben. Gewöhnlich bekomme ich einen Tag vorher eine Nachricht. Einem Hausi konnte man vertrauen. Sie logen nie, was aber nicht bedeutete, daß sie immer die vollständige Wahrheit sagten. „Warum landen sie überhaupt?" fragte Duma rest. „Was kann Elysius bieten?" Er folgte Mtoubas Blick zu der Schachtel auf dem Schreibtisch. „Manna?" „Gewisse Einrichtungen haben einen Bedarf dafür. Es ist billig, effektiv, und damit können unheilbar Kranke und Alte ohne Pflege sterben - es sind Leute, wie die Frau von eben, die es für mich ernten. Der Profit ist klein, aber es ist eine regelmäßige Einnahmequelle." „Du hast feste Lieferanten?" fragte Dumarest. „Natürlich, aber wieso..." „Ortsansässige, die schon lange hier leben. Natürlich werden sie bevorzugt." Er zog eine Liste mit Namen aus seiner Tasche und gab sie dem Agenten. „Diese Leute werden vielleicht versuchen, sich auf diese Weise Geld zu verdienen. Ich würde es begrüßen, wenn du ihre Beschäftigung ablehnen würdest."
Mtouba runzelte die Stirn, als er die Liste sah. „Hier stehen die Männer, mit denen du angekommen bist, und andere, die kürzlich landeten." „Anna gab mir ihre Namen. Sie arbeitet mit uns zusammen, indem sie ihnen keinen Kredit gewährt." Mtouba verstand, worauf Dumarest hinaus wollte. „Du möchtest sie in die Zange nehmen, damit sie gezwungen sind, für dich in der Mine zu arbeiten. Aber wie steht es mit meinem Gewinn? Neuankömmlinge bringen das beste Geschäft. Soll ic h ihnen sagen, daß ich das Manna nicht möchte? Soll ich meine Lieferungen einschränken? Wo ist mein Profit bei diesem Geschäft?" „Der Gewinn liegt in dem Jaskar, das sie fördern werden", sagte Dumarest. „Die Kommission dafür wird den Verlust durch weniger Manna mehr als wettmachen." „Und wenn man kein Jaskar findet?" Mtouba zuckte mit den Achseln, bevor er eine Antwort erhielt. „Ein Risiko, aber das Geschäft gefällt mir." Dumarest lächelte. Der Agent würde nichts verlieren - andere konnten das Manna sammeln -, aber möglicherweise sehr viel an dem Jaskar verdienen. Sozusagen ein Geschenk, um ihn für eine weitere Zusammenarbeit einzustimmen. Während der Mann Wein einschenkte, sagte er: „Als ich die alte Anlage untersuchte, entdeckte ich einen Tunnel. Er ist mit einer Maschine in den Berg getrieben worden. Weißt du, was mit ihr geschah?" „Nein." Der Agent gab Dumarest ein kleines Glas und nahm dann sein eigenes. „Auf gute Zusammenarbeit!" „Auf beiderseitigen Gewinn!" Sie tranken und stellten die Gläser auf den Tisch. „Dieser Tunnel", sagte Dumarest. „Isobel zufolge hast du Werkzeuge, Sprengstoffe und Bohrer, sowie einige andere Dinge geliefert, aber keine schweren Maschinen."
„Das stimmt." Mtouba beantwortete die nichtausgesprochene Frage. „Sie konnten es sich nicht leisten. Ich versuchte, sie vor den örtlichen Schwierigkeiten zu warnen, aber der Mann wollte zuerst nicht darauf hören. Ich mußte Frau Boulaye vor kurzem daran erinnern, daß die letzte Lieferung alles war, was ich ihr geben kann, es sei denn, sie erne uert ihr Guthaben bei mir." „Was ist, wenn sie sich zum Verkauf entscheidet?" „Wer würde kaufen? Die Mine ist wertlos. Ihr Haus ist ein Wertgegenstand, vielleicht kann ich auch für den Schweber etwas bekommen, aber die Gesamtsumme wird sehr klein sein. Ihre einzige Chance ist, einen Käufer zu finden, der von den örtlichen Gegebenheiten keine Ahnung hat." „Warst du schon hier, als die Ausbeutung der Mine begann?" „Nein, das war vor meiner Zeit." „Du weißt also nicht, was mit den Maschinen geschah?" Dumarest schaute den Agenten nachdenklich an. „Es ist möglich, daß sie immer noch hier sind. In einem der alten Lagerhäuser vielleicht. Wollen wir einmal dort nachschauen?" Sie fanden sie unter einer Ecke aus duftendem Schilfrohr. Sie war verstaubt und vernachlässigt. Gebrochenes Metall deutete auf kaputte Teile hin, der Schutzanstrich war an vielen Stellen abgeblättert. „Ich sollte dich unter Vertrag nehmen, Earl. Natürlich steht sie in den Büchern, aber wer würde da schon nachsehen?" Der runde Lichtkreis der Taschenlampe bewegte sich von einer Stelle zur anderen, als Mtouba die Maschine näher begutachtete. „Die Erstbesitzer haben entweder den Mut verloren, oder ihnen ist das Geld ausgegangen. Diese Maschine wurde wahrscheinlich als Zahlung für ausstehende Schulden entgegengenommen. Vielleicht wurde sie nie benutzt." „Sie wurde benutzt", sagte Dumarest. „Schau dir die abgenützten Stellen an." „Kaum welche zu sehen." „Und der allgemeine Zustand?" „Wie man ihn nach einer solch langen Aufbewahrungszeit erwartet.
Man muß einige Stellen schweißen, dann noch etwas Farbe, und sie ist wieder wie neu. Für jeden scharfsinnigen Anleger ein Glückskauf. Komm Earl, wir gehen zu meinem Büro zurück und reden über alles weitere. Willst du die Maschine gleich kaufen oder nur mieten? Wenn du sie mieten möchtest, mußt du die Maschine in dem Zustand nehmen, in dem sie gerade ist." Er bewegte die Taschenlampe, so daß er Dumarests Gesicht sehen konnte. „Nein?" „Nein." „Was schlägst du dann vor?" „Wenn die Maschine hier steht, ist sie nutzlos. Wenn du sie uns leihst, können wir sie wieder zum Arbeiten bringen und neue Schächte damit graben, um Jaskar zu finden." „Leihen?" „Was kannst du schon verlieren? Im schlimmsten Fall hast du eine funktionierende Maschine statt eines Schrotthaufens. Und wenn wir erst einmal das Jaskar gefunden haben, wird deine Kommission... Muß ich den Satz zu Ende führen?" „Nein", sagte, der Agent. „Wieder ein Glücksspiel. Weißt du, Earl, du gibst mir Grund genug, dich nie zu vergessen."
10.
„Schau dir das an!" Sven Axilia hielt eine Schale mit Öl in der Hand, in der ein brennender Docht schwamm. Vorsichtig stellte er sie auf den Boden und ging zu Dumarest zurück. Der kleine Lichtpunkt glühte völlig regelmäßig. Zu regelmäßig, wie Dumarest wußte. „Kein Luftzug", sagte er.
„Das heißt, daß es keine Belüftung gibt." Axilia schlug gegen eine Schachtwand. „Verfluchte Dummköpfe! Sie haben viermal soviel Erde weggegraben, wie notwendig war, haben aber vergessen, daß Männer auch atmen müssen." „Aus Ungeduld", sagte Dumarest. „Sie hatten es sehr eilig, das Jaskar zu finden." Er schaute auf die erlöschende Flamme. „Raus hier." Die Öffnung des Schachtes lag auf der Seite des .augenblicklichen Arbeitsgebiets. Der Boden war ausgefahren, und Axilia bückte sich, um ihn zu untersuchen, stand wieder auf und ließ den Staub durch seine Finger rieseln. Er drehte sich um und schaute finster in den Schachteingang hinein, ließ seinen Blick dann zu den Hügeln darüber gleiten, um die Masse und das Gewicht des Gesteins darüber zu schätzen. „Es ist festes Gestein, Sven. Es sollte einen langen und breiten Schacht verkraften." „Vielleicht einen geradlinigen, aber du hast gesehen, wie es da drinnen aussah. Verdammt viele Knicke. Das hier können wir getrost vergessen." Dies war der alte Schacht, aber die von den Boulayes gegrabenen waren wenig besser. Axilia hatte sich die Mine angesehen und gab jetzt seinen Kommentar dazu ab. „Der Mann - hieß er Rudi? - hatte keine Erfahrung. Vielleicht hatte er einige Bücher oder so was gelesen." „Er unterrichtete Geologie." „Er wußte also über Gesteine und Schichten Bescheid. Aber wußte er auch etwas über Bergbau? Er arbeitet nur nach der Theorie, und das kann tödlich sein." Es war tödlich gewesen, aber Dumarest sagte nichts. Es war besser, den Mann völlig unbehindert arbeiten zu lassen. „Der Schacht, an dem augenblicklich gearbeitet wird, ist völlig nutzlos", sagte Axilia. „Er führt durch das Randgebiet des Vorkommens, aber er kann uns nicht zeigen, in welche Richtung wir weitergraben müssen. Ich möchte Bohrlöcher im Winkel
von 30 und 40 Grad in den Boden treiben, um die Konzentration des Jaskars an diesen Stellen herauszufinden. Sind die Funde reich, können wir die Bohrlöcher zu Schächten erweitern." „Was ist mit dem Schacht, in dem Rudi begraben ist?" „Der ist hier drüben." Axilia deutete in eine bestimmte Richtung. „Es gibt nicht viel zu sehen." Eine Senkung im Gelände, die an einem Ende mit Geröll übersät war. Einige Pflanzen, hie und da ein Fels, das Glitzern von staubfeinem Manna. Rudis Grab. „Er liegt tief drinnen", sagte Axilia. „Der Erdsturz muß bis zu dem Eingang vorgedrungen sein, vielleicht hat sie ihn auch künstlich hervorgerufen. Sie hat ein Nugget aus seiner Hand genommen?" „Das hat sie mir gesagt." „Dann hat sie sehr viel Glück gehabt, nicht selbst begraben worden zu sein. Wenn dieses Zeug erst einmal in Bewegung kommt, ist es nicht mehr zu bremsen." „Sie wollte ihn begraben", sagte er. „Jetzt will sie ihn aber auf seinen Heimatplaneten zurückbringen." „Du kannst dir vorstellen, wieviel noch von ihm übrig ist?" fragte Axilia. „Es ist ihre Mine, Sven, und es ist ein Teil der Abmachung." Dumarest stieg einen kleinen Hang hinauf. Ein Dutzend Männer mit Schaufeln konnten einen Monat arbeiten und nur wenig bei diesem Untergrund erreichen. „Die Männer werden nicht hierbleiben, wenn sie kein Jaskar finden", sagte Axilia, der ihn beobachtet hatte. Wo er stand, war keine Spur des kostbaren Metalls. Dumarest drehte sich um und betrachtete die Hügel. Er versuchte, den Verlauf des eingestürzten Schachtes herauszufinden. Es war unmöglich, denn es kam nicht nur auf die Richtung an, sondern auch auf den Winkel. Wie weit war Rudi vom Eingang entfernt gewesen, als er starb? Informationen, die er nur von Isobel bekommen konnte.
Sie kam zusammen mit Zalman und den letzten Teilen der auseinander gebauten Maschine in der Abenddämmerung an. Tocsaw war auch dabei. Er lachte, als Dumarest beim Ausladen des Schwebers half. „Bist du überrascht, mich zu sehen?" „Es freut mich. Was ist mit den anderen?" „Fritz zeigt Interesse, und Jon könnte man überreden. Soll die Maschine hier zusammengesetzt werden?" Nachdem Dumarest genickt hatte, begann er mit der Arbeit. Chell schaltete die Scheinwerfer ein. Er sah müde und rastlos aus, und Dumarest schätzte, daß er bei der erstbesten Gelegenhe it verschwinden würde. Als er es erwähnte, stimmte ihm Isobel zu. „Ich werde den Schweber fluguntüchtig machen, so daß er, wenn er verschwinden will, laufen muß." „Hast du mehr Arbeiter gefunden?" „Bis jetzt noch nicht, aber Mtouba sagte, daß einige der vo n dir erwähnten Männer versucht hätten, Manna an ihn zu verkaufen." „Sonst irgendwelche Neuigkeiten?" „Was für welche?" Ihre Augen musterten sein Gesicht. „Ein Schiff? Hoffst du, daß ein Schiff ankommt?" „Er wußte nicht, daß er die Maschine hatte", sagte Dumarest. „Es könnte andere Dinge geben, die er vergessen hat. Sprengstoff, zum Beispiel. Wenn du morgen in die Stadt gehst, frag ihn, ob er irgendetwas hat, womit man losen Boden gefrieren lassen kann." Er sah, wie sie die Stirn runzelte, und erklärte es ihr. „Bergarbeiter benützen es, wenn sie in feuchtem Sand arbeiten müssen. Das Zeug fließt wie Wasser, wenn man ein Loch gräbt. Sie lassen es durch bestimmte Gase gefrieren und schneiden dann wie durch eine Torte. Sven wird dir die technischen Einzelheiten geben. Gehen wir ins Haus zurück. Ich muß mir die Pläne noch einmal ansehen."
Er studierte sie ausgiebig, nachdem er ein Mahl zu sich
genommen hatte, das aus Tisan, kaltem Pudding und einer
Pastete aus Fleisch und verschiedenen Gemüsesorten bestand.
„Habe ich alle Pläne, Isobel?" fragte er sie.
„Ja, du hast alle."
Zalman hätte herausfinden können, ob sie log, aber Dumarest
war davon überzeugt, daß sie die Wahrheit sagte. Die Pläne
waren dieselben, die er sich schon einmal angesehen hatte, aber
jetzt ging er sie sorgfältiger durch. Rudi war kein Fachmann für
Bergbau gewesen, aber als Geologe wußte er, wie wichtig Pläne
waren. Seine Geländerisse waren jedoch sehr schlecht.
Dumarest runzelte die Stirn, als er eines der Blätter ansah.
„Ist es hier geschehen?" Sein Finger deutete auf einen
bestimmten Punkt.
„Ich bin mir nicht sicher, Earl. Es wurde dunkel, ich war
verwirrt - wie soll ich mir da sicher sein?"
„Versuch es!"
Sie schwieg.
„Isobel?"
„Es ist nichts." Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich dachte
nach, habe mich erinnert. Rudi war in dem Einschnitt, der zum
Schacht führte. Obwohl es schon spät war, konnte ich ihn im
Licht gut sehen. Seine Hand war ausgestreckt, und er wollte
gerade etwas sagen, als es passierte."
„Was passierte? Der Einsturz?"
„Es gab keine Warnung, Earl. Er stand vor mir und schaute mich
an, im nächsten Moment war überall Staub, und ich hörte seinen
Schrei. Ich war zu ihm hingerannt und hatte seine Hand berührt.
In ihr war das Nugget, das ich wohl genommen haben muß."
„Und dann?"
Sie schüttelte den Kopf und er wollte sie nicht weiter drängen.
Nach einer Weile sagte er: „Isobel? Wo genau stand Rudi?"
„Ich glaube hier - nein, hier!" Sie .deutete mit dem Finger auf eine Stelle der Karte. „Hier hatte er eine Lampe aufgehängt; er stand genau hinter ihr."
11.
In den Kopfhörern erklang Zalmans Stimme. „160 Meter, Earl."
.
„O.K."
Dumarest zog seine Knie an und kroch weiter. Er durfte seine
Luft nicht durch unnötiges Reden vergeuden.
„250 Meter, Earl."
„O.K."
Dumarest hielt an, als der Lichtkreis der Taschenlampe das
zeigte, wonach er gesucht hatte. Mit der kleinen Hacke grub er
ein Jasker-Nugget aus, steckte es in seine Tasche und berichtete
über seinen Fund.
„Ich habe ein Nugget gefunden."
„Prima. Wie sieht es aus, Earl?" Zalman war sehr optimistisch.
Als Dumarest den Fund beschrieb, wurde er sehr schnell
ernüchtert. Schlechte Farbe, was? Vielleicht findest du noch
mehr, wenn du weitergehst."
Eine unbegründete Hoffnung. Das Jaskar lag weit verstreut, und
es war durchaus möglich, einen Schacht durch die Schicht des
Vorkommens zu treiben, ohne ein einziges Nugget zu finden.
Bis jetzt hatte er Glück gehabt. Von den einzelnen Funden ließ
sich eine Richtung ableiten, wo man vielleicht mehr finden
würde. Dies war Axilias Methode.
„430, Earl."
„O.K."
„Earl?" Die Stimme, die aus seinen Kopfhörern kam, klang
nervös. „Du bist tief genug gegangen. Wir haben nur 600 Meter
tief gebohrt, und du bist jetzt 570 Meter tief. Sollen wir dich
hochziehen?"
„Hochziehen", sagte Dumarest. „Hochziehen!"
Er spürte, wie sich das Seil spannte.
„Beeilt euch!"
„Earl, was ist?"
„Ihr sollt euch beeilen!"
Als sich das Seil weiter spannte, begannen Steine von oben auf
ihn herabzufallen.
„Earl!" Zalman kniete neben ihm, als er aus der Schachtöffnung
herauskletterte. „Bist du verle tzt?"
„Nein." Dumarest nahm den Helm und die Atemmaske ab. „Ein
paar Prellungen, aber sonst nichts. Hast du die Funde auf der
Karte notiert?" Er lächelte, als Zalman nickte. „Gut gemacht,
Hans. Danke."
„Wir sind Partner, Earl, hast du das vergessen?"
* In zehn Tagen war viel geschehen. Wo gähnende Öffnungen
verrottender Schächte und ein Lager gewesen war, in dem die
Männer arbeiteten, wann es ihnen gerade paßte, herrschte nun
ein geordnetes Chaos.
Axilia schaute auf, als Dumarest zu ihm kam. „Glück gehabt?"
„Ein wenig, aber nicht, was wir wollten."
„Irgendwelchen Ärger?"
„Ja, auch. Das Bohrloch stürzte ein." Dumarest schaute zu der
Maschine hinüber. „Ist sie die ganze Zeit über in Betrieb
gewesen?"
„Nein. Der Motor gab den Geist auf, und es dauerte eine Weile,
bis wir ihn repariert hatten." Axilias Augen verengten sich.
„Glaubst du, daß die Maschine den Boden erschüttert hat und
die Schachtdecke einstürzen ließ?"
„Könnte sein. Von jetzt an muß jede Arbeit mit der Maschine
eingestellt werden, wenn jemand in einem Schacht ist."
Dumarests Blick wanderte zu Tocsaw. Der Mann arbeitete hart
und schwitzte. „Er macht sich gut."
„Ich wünschte, man könnte dies von den anderen auch sagen."
Axilia schaute zu Ocher und Quail, die an einem Tisch saßen.
Sie hatten zusammen mit anderen aus der Stadt hier angefangen,
aber einige waren bereits wieder verschwunden, und Dumarest
war überzeugt, daß andere ihnen folgen würden.
„Ich werde die Funde mit dir später auswerten", sagte er. „Jetzt
könnte ich etwas zu trinken gebrauchen. "
Axilias Finger fuhr über den vor ihm liegenden Plan.
„Dies ist das Bohrloch, das du untersucht hast, Earl. Ich habe die
einzelnen Fundstellen miteinander verbunden, es. kam aber kein
brauchbares Ergebnis dabei heraus. Zwar haben manche Funde
die richtige Farbe, aber davon gibt es nur wenige, und außerdem
nehmen sie nach außen hin ab statt zu. Ich glaube, daß wir durch
das Randgebiet hindurchgestoßen sind."
„Die Männer sind sehr ungeduldig", sagte Zalman. „Die meisten
sind bereit aufzuhören."
„Auch Quail und Ocher?"
„Ja, die auch, Earl, aber die kann man schnell wieder beruhigen,
indem man ihnen einige Nuggets in die Hand drückt. Nein, das
wirkliche Problem sind die anderen Männer. Ihre Geduld neigt
sich dem Ende zu, einige haben bereits versucht zu stehlen. Sie
blicken immer wieder auf die Farbe am Himmel."
„Wenn sie gehen wollen, können wir sie nicht aufhalten."
Dumarest wandte sich an die Frau in der Gesprächsrunde. „Was
hat Mtouba gesagt?"
„Daß er uns allen Kredit gegeben hat, den er überhaupt geben
kann. Von jetzt an werden wir für erhaltene Waren bezahlen,
und wenn wir nicht bald eine Ladung Jaskar abliefern, wird er das Unternehmen schließen lassen." „Das wird ihm nicht sehr leicht fallen", sagte Axilia. „Er muß nur abwarten", sagte Dumarest. „Wir benötigen Vorräte, die er uns nicht zu liefern braucht. Was wir im Moment haben, will er nicht wieder zurückbekommen, aber er könnte kommen und die Maschine mitnehmen." „Das darf er gern." Tocsaw wischte sich übers Gesicht. „Der verfluchte Kasten ist ein einziger Schrotthaufen." Die Maschine mußte tatsächlich immer wieder repariert werden. Dumarest schaute sich wieder die Karten an, die er nun wohl schon über hundertmal studiert hatte. Die Nuggets bewiesen, daß das Jaskar tatsächlich in den Hügeln lag, aber wo war das Hauptvorkommen? „Wir nehmen an, daß das Hauptvorkommen unter den Hügeln im Westen liegt. Ist es nicht auch möglich, daß es im Osten liegt?" fragte Dumarest. „Es ist nicht ganz unmöglich", sagte der Bergmann, „aber wenn dort tatsächlich das Hauptvorkommen liegt, dann wäre es eine große Ausnahme." „Aber es wäre möglich?" „Ja." „Woran denkst du, Earl?" fragte Isobel. „Wieso hast du danach gefragt?" „Wegen Rudi. Du sagtest, daß er lächelte, als er auf dich wartete. Er war vorausgegangen, hatte sich umgedreht und hielt etwas in der Hand." „Das Nugget war in seiner Hand." „Vielleicht steckte mehr dahinter. Er könnte vielleicht eine Überraschung geplant haben." Nach einer kleinen Pause sagte er: „Was, wenn er die Ader gefunden hatte?" „Rudi? Aber das ist unmöglich! Er würde es mir gesagt haben!" „Vielleicht hatte er genau das vor, als die Decke auf ihn niederstürzte. Weshalb sollte er dir sonst ein Nugget
entgegenhalten? Ein Fund, gut und schön, aber daran ist ja wohl
nichts Besonderes. Und außerdem war er noch ungeduldig,
erinnerst du dich?"
„Nein, es ist nicht möglich", sagte sie tonlos. „Er hat die Ader
nicht entdeckt. Er hätte es mir erzählt, hat aber nichts gesagt."
Aus Gründen, die sie vielleicht nicht erwähnt hatte. Ein Streit
vielleicht?
„Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Earl", sagte Axilia.
„Vielleicht hast du sogar recht, aber was macht das schon? Wir
können diesen Schacht nicht öffnen, und es gibt auch keinen
Hinweis darauf, wo er die Ader genau entdeckt hat. Wir müssen
planmäßig vorgehen. Es hat keinen Sinn, verrückt zu spielen."
Damit war die Diskussion beendet, denn Axilia bestimmte, wo
gegraben wurde.
„Kommst du mit ins Haus, Earl?" fragte Isobel.
„Nein."
„Warum nicht? Ein Bad und ein richtiges Bett würden dir nicht
schaden." Sie wurde sich bewußt, daß sie bettelte, und versuchte
es deshalb mit Logik. „Das wäre das erstemal, seit die Maschine
angekommen ist. Du kannst dich nicht unbegrenzt belasten."
Er konnte es sich nicht leisten, bequem zu leben, während seine
Männer hart arbeiteten. Als er es ihr erklärte, runzelte sie die
Stirn.
„Das verstehe ich nicht, Earl. Warum sollten die Männer etwas
dagegen haben, wenn du zurück ins Haus kommst?"
„Weil sie auch nur Menschen sind. Weil sie es hassen,
ausgebeutet zu werden. „Wir arbeiten für Anteile, und wenn
einer nicht richtig mitarbeitet, leiden alle."
„Ich habe nicht richtig mitgearbeitet."
„Dir gehört die Mine."
„Das spielt keine Rolle, Earl. Morgen werde ich wie der Rest
arbeiten."
Fünfzehn Stunden später war der Probeschacht fertiggestellt,
und Dumarest hörte Zalman zu, wie er Axilia, der über 200
Meter tief war, Angaben über seinen Abstieg durchgab. Neben
ihm versuchte Tocsaw, seine Schuhe etwas zu säubern, indem er
sie an einigen Steinen rieb.
„Dieser Schacht hat mehr Windungen als ein Korkenzieher. Es
war jedoch Svens Idee, daß wir so schnell wie möglich bohren.
Wir stießen jedoch auf sehr hartes Gestein. Vielleicht hat er
Glück."
„260. Sven." Zalman nickte, als Axilia antwortete. „Wie
kommst du voran?"
Dumarest konnte es sich gut vorstellen, wie Axilia zumute sein
mußte. Ein enger Schacht, der so viele Windungen hatte, mußte
ein Alptraum sein. In diesem Moment kam Isobel auf ihn zu.
„Ist irgend jemand in den anderen Schächten?" fragte er.
„Ich glaube nicht. Zumindest nicht in dem alten Schacht, und
auch nicht im zweiten und dritten."
„Hast du Quail und Ocher gesehen?"
„Heute früh. Sie wollten Sprengstoffe und ..." Sie brach den Satz
ab, als sie Dumarests Gesichtsausdruck sah. „Ist etwas?"
„Sie wollten Sprengstoff? Hast du ihnen welchen gegeben?"
„Sie sagten, du hättest sie geschickt." Sie erriet, was er dachte.
„Du hast sie nicht geschickt. Aber dann... Earl!"
Er rannte los und versuchte, so schnell wie möglich Schacht 4
zu erreichen. Die Explosion ereignete sich, als er den Eingang
erreicht hatte.
Es war ein tiefes Geräusch, als ob eine Riesenfaust auf einen
Gong schlagen würde. Dann folgte ein Strom glühendheißer
Luft, und eine Wolke aus feinen Sandkörnchen hüllte ihn ein.
„Earl!" Isobel war mit ihm gekommen. „Hier hast du die
Atemmaske."
Dumarest streifte sie sich über und rannte in den Schacht hinein.
Durch den dichten Staubnebel sah er das glitzernde Licht einer
Laterne. Er ging auf sie zu und hörte plötzlich eine Stimme.
„Mein Fuß! O Gott, mein Fuß!"
Ocher lag links von ihm, sein Fuß war unter Geröll begraben. Er
hustete, als Dumarest ihn erreicht hatte, und schaute ihn mit
großen, erschrockenen Augen an.
„Earl?" Er hob eine Hand, als Dumarest sich neben ihn kniete.
„Bist du das, Earl?"
„Ja." Dumarest zog die Maske ab. „Was ist passiert?"
„Quail hatte eine Idee. Er wollte die Schächte plündern und
dann abhauen. Er wollte die Nuggets finden, indem er einige
genau dosierte Sprengladungen an den Schachtwänden
anbrachte. Er hat aber wohl zuviel genommen."
„War er allein?"
„Ja. Er ging hinter eine Deckung, aber ich lief zum
Schachteingang zurück. Mein Fuß. Mein Gott, mein Fuß!"
„Wie tief war er unten?"
„Quail? Er war an der Sohle. Hilf mir, Earl!"
Dumarest schaute sich um. Langsam sank der Staub wieder zu
Boden.
Dennoch drang der Lichtkreis seiner Lampe nur wenige Meter
weit vor.
„Earl!" Ocher versuchte, sich aufzusetzen. „Hilf mir!"
Dumarest untersuchte das Gestein, unter dem Ochers Fuß
begraben lag. Ocher schrie auf, als er ihn an den Schultern
packte und hervorzog.
Steine fielen rings um sie herunter, als Dumarest den Mann ins
Freie brachte. Überraschenderweise hielt die Schachtdecke. Als
der Staub am Eingang zu Boden gesunken war, erfuhr
Dumarest, daß Axilia festsaß.
12.
Im Eingang des Bohrschachts herrschte Stille.
„Es gibt keine Zweifel am Ausmaß der Blockierung?" fragte Dumarest." „Keine." „Man kann keinen zweiten Schacht um die Blockierung herum graben?" „Nein. Die Auswirkungen der Explosion ließen die Decke auf weiter Strecke zusammenfallen. Die Blockierung fängt 50 Meter nach dem Eingang an, und ich schätze, daß sie bis kurz vor den Aufenthaltsort von Sven, der ungefähr 500 Meter tief ist, geht. Das Seil hat sich verfangen. Wir können mit ihm reden, ihn aber nicht heraufziehen." „Es ist alles meine Schuld", sagte Isobel. „Hätte ich ihnen nicht die Sprengladungen gegeben, wäre das alles nicht geschehen." „Wir können nichts für ihn tun. Es wäre besser gewesen, wenn er sofort getötet worden wäre." „Vielleicht nicht", sagte Dumarest. Er hatte sich an etwas erinnert. „Hans, hast du Sven die Tiefe angegeben? Ja? Ich möchte einen genauen Plan des Schachtes, einen sehr genauen. Miles, hol deine Karte und komm zu Schacht 4." * Der Schacht war ein unregelmäßiges Loch, das tief in den Hügel
hineinreichte. Die Explosion hatte tatsächlich etwas bewirkt.
„Eine Höhle!" Isobels Stimme klang ungläubig. „Eine Höhle,
hier, das ist doch unmöglich!"
„Nur ein Spalt", berichtigte Dumarest sie. „Ein Riß. Siehst du?"
Er leuchtete mit seiner Lampe in die Öffnung hinein, deren
Wände eng beieinander lagen.
„Miles?"
Tocsaw war da. Er sprang förmlich in den Riß hinein und
untersuchte ihn, wie ein Hund, der einer Spur folgt. Mit
verschiedenen Instrumenten stellte er den Verlauf des Spaltes
fest.
„Nun?" „Ich bin mir nicht sicher, Earl." Der Ingenieur blickte in seine Karten. „Es sieht so aus, als ob er in Richtung des Bohrschachts verläuft, aber man kann das nicht mit absoluter Gewißheit sagen." Streng dich an", sagte Dumarest. „Vergiß nicht, daß sich Sven auf uns verläßt. Wir müssen spätestens in fünfzehn Minuten anfangen." Er machte seine Ausrüstung bereit und trug Zalmans Angaben über den Verlauf des Schachtes in die Karte ein. Er sprach auch mit Axilia. „Sven?" Als Antwort war nur Schweigen zu hören." „Sven!" „Was ist? Bist du das, Earl? Ich dachte schon, ihr hättet beschlossen, mich zu vergessen. Könnte euch deshalb auch keinen Vorwurf machen. Ich habe einmal mit solch einem Todeskandidaten gesprochen und würde es nie wieder tun. Wo warst du?" „Wir mußten verschiedene Dinge besprechen." „Natürlich." Jetzt bin ich da, Sven. Irgend jemand wird jetzt immer da sein." Dafür besteht kein Anlaß. Ich werde es nicht zum Schlimmsten kommen lassen. Eine scharfe Kante, eine Ader - es wird schnell gehen." „Laß das sein!" Dumarest verlieh seiner Stimme Schärfe. „Ich komme und werde dich retten, und ich riskiere nicht mein Leben, um eine Leiche zu bergen. Kannst du dich bewegen?" „Das Seil hat sich verfangen, und ich bin daran festgehakt. Hinter mir habe ich einen Freiraum von etwa sechs Metern. Löse ich mich vom Seil, kann ich zur Sohle des Schachtes vordringen, die etwa fünfzehn Meter entfernt ist. Dahinter ist der Schacht blockiert. Keine Ahnung, was mich davor bewahrt hat, begraben zu werden. Welchen Plan hast du?"
„Ich hoffe, mir einen Weg zu dir von einem Spalt aus zu bahnen, den wir zufällig entdeckt haben. Er wurde durch die Explosion freigelegt. Es wird eine Weile dauern, werde also nicht ungeduldig." „Soll ich anfangen zu graben?". „Nicht, bis ich es dir sage." Dumarest machte eine Pause und fügte hinzu: „Sven, geh sparsam mit deiner Luft um." Vorsichtig führte Dumarest die Sprengladung in das Loch ein, das er gerade gebohrt hatte. Er verschloß die Öffnung. „Sven?" „Earl?" „Ja. Ich sprenge jetzt. Höre auf das Geräusch." Dumarest zog sich mit seiner Ausrüstung hinter eine Deckung zurück, wo bereits seine Vorräte waren. Ein .Seil, das um seinen Bauch geschlungen war, enthielt einen Draht, der ihn mit dem Mann verband. Benötigte Dumarest zuviel Zeit, würde er eine Leiche vorfinden. Als er auf den Auslöser drückte, explodierte die Sprengladung und schuf eine lange, enge Öffnung im Gestein. Wie ein Aal kroch Dumarest durch die entstandene Lücke. „Hast du etwas gehört, Sven?" „Ganz schwach, Earl. Wie ein Räuspern, rechts unten von mir." „Ein Räuspern?" Dumarest runzelte die Stirn. Das Geräusch hätte klar und gut verständlich hörbar sein müssen, wenn es nur soliden Fels zu überwinden gehabt hätte. Irgendein Hohlraum mußte zwischen ihnen liegen. Wenn es ein luftgefüllter Raum war, vergleichbar mit dem Spalt, durch den er gekommen war, hatte er Glück. War es etwas anderes, Pech. Der Bohrer winselte erneut, er schob die Sprengladung hinein und ließ sie explodieren, bewegte sich vorwärts. Tatsächlich ein Hohlraum. „Earl?" Axilia klang beunruhigt. „Wieder ein Räuspern, etwas lauter aber nicht klar genug."
„Halte dein Ohr gegen den Fels", sagte Dumarest. „Ich werde mit dem Hammer gegen die Felswand schlagen. Wenn du mich laut und deutlich hörst, sag es mir." „Sei vorsichtig", sagte eine andere Stimme. Isobel. „Dieser Spalt macht mir Sorgen. Es könnte sein, daß diese ganze Formation in einem labilen Gleichgewicht ist. Ich habe solche Formationen schon gesehen." „Dies ist eine." „Dann..." „Ich bin ganz nahe. Mach die Verbindung frei." Er drang zur hinteren Seite des Hohlraums vor und zog an einer Leine seine Vorräte und Geräte mit. Sauerstoffflaschen, Batterien für die Lampen und andere wichtige Dinge. Kleine Steine prasselten von der Decke. Wo sollte er klopfen? Hier? Der Fels sah stabil aus. Oder hier? Ein Fehler würde sein letzter sein. „Earl, ich habe nachgedacht." Svens Stimme klang entschlossen. „Wenn die Lage tatsächlich so ist, wie sie Isobel geschildert hat, dann hast du keine Chance, mich zu erreichen." „Hör auf!" „Was ist?" „Halt den Mund und streng deine Ohren an!" Dumarest klopfte mit dem kurzen, schweren Hammer gegen den Fels. „Laut und deutlich. Du bist ganz nahe!" Wieder heulte der Bohrer und sprühte goldene Funken. Eine Sprengladung zu plazieren, ist eine Wette. Man wettet auf die Stabilität des Gesteins und spielt, indem man die Menge Sprengstoff festsetzt, sie richtig plaziert und zündet. Er verlor die Wette. „Earl!" Er hörte den Schrei, als die Decke hinter ihm zusammenbrach. Isobel mußte die Gefahr gefühlt oder die Verlagerung des Gewichts gespürt haben. Der Schrei ging in dem Getöse niederstürzender Felsen unter. Staub erfüllte die Luft, während er hinter seiner Deckung darum bat, daß er sich nicht um allzuviel verkalkuliert hatte.
„Sven?" Keine Antwort. Die Verbindung war unterbrochen. Der Weg, den er gekommen war, war ihm jetzt versperrt, und selbst wenn die Tonnen von Gestein nicht gewesen wären, hätte er ohnehin nicht zurückgefunden. Die einzige Wahl war die Öffnung, die sich vor ihm auf tat. Er hatte noch zwei Sprengladungen und einen Wasserkanister. Er preßte sein Ohr gegen den Fels und klopfte mit dem Hammer dagegen. Die Antwort kam klar und deutlich. Wie besessen schlug er mit der Spitzhacke auf den Fels ein. Mit den Händen schaffte er die Steine beiseite, die er losgeschlagen hatte, schlug wieder zu, bis er endlich zu dem Schacht durchdrang, wo ihn Axilia erwartete, der aus Luftmangel schon rot im Gesicht war. „Earl lebt!" sagte Isobel. „Gott sei Dank!" „Sie leben beide und atmen jetzt die Luft aus den mitgebrachten Flaschen", sagte Zalman. „Das war die gute Nachricht. Jetzt die schlechte: Der Weg, den Earl nahm, ist blockiert, und deshalb sitzt er jetzt wie Sven in der Falle." Nach einer Pause sagte er: „Er will mit dir reden, Isobel." „Earl?" „Du hast mich über dieses Gebiet gewarnt", sagte Dumarest. „Du hast recht gehabt. Jetzt liegen unsere Leben in deinen Händen. Ich möchte, daß du Tocsaw genau erklärst, wo er bohren muß, um den Raum über dem zusammengestürzten Gebiet zu treffen. Verstehst du, was ich meine?" „Ich bin mir nicht ganz sicher." Sie schwieg eine Zeit lang und dachte nach. „Hoffst du darauf, daß durch den Einsturz eine Höhle entstand?" „Ja." „Du könntest unrecht haben, Earl."
„Der Fels ist heruntergestürzt. Es muß ein Hohlraum entstanden sein. Er fühlte seine Ungeduld und versuchte, sich vorzustellen, wie es dort unten war. „Du hast Geologie stud iert, Isobel. Gebrauche jetzt dein Wissen. Du kennst die Gesteinsformation, weißt, wie sie sich wahrscheinlich verhalten wird. Unsere einzige Chance ist zu graben, bis wir auf den Schacht stoßen, den ihr mit der Maschine ins Gestein treibt." „Aber Earl, ihr seid doch über 160 Meter tief!" „Nein; der Schacht war zwar so lang, aber er hatte viele Windungen. Wir sind nur ungefähr 100 Meter unter der Oberfläche. Wenn wir nach oben klettern können und einen mit Luft gefüllten Raum vorfinden, können wir es schaffen. Gib mir Tocow." „Nein!" Sie wollte nicht zulassen, aß er sie für unfähig hielt, diese Entscheidung zu treffen. „Ich weiß, was zu tun ist." „Gib ihn mir trotzdem." Dumarest schaute zu Axilia, der von dem Licht der einzigen Laterne, die sie hatten, beleuchtet wurde. „Sie wird es richtig machen", versicherte er ihm. „Wenn irgend jemand das Gebiet kennt, dann sie. Sie wird den Bohrkopf der Maschine durch die verschiedenen Risse führen und schnell zu uns durchstoßen. Miles. Setz alles ein, um den Schacht schneller voranzutreiben. Lockere die oberen Schichten mit Sprengstoff. Ja, ich kenne die Gefahr. Wieviel Zeit haben wir deiner Meinung nach? Wir müssen die Verbindung jetzt unterbrechen. Los geht's!" Sein Messer durchtrennte den Draht. „Jetzt nach oben und raus hier!" * Axilia übernahm die erste Schicht zum Graben. In dem engen Schacht konnte immer nur ein Mann arbeiten, ohne den anderen zu gefährden. Als er schließlich ermüdete, übernahm Dumarest
die Arbeit und erweiterte den Schacht. Zweimal suchten sie Deckung, nachdem sie Sprengladungen angebracht hatten. „Earl!" Axilia hielt mit dem Arbeiten inne. „Hier verläuft ein Spalt. Links oder rechts?" „Rechts." Sie schoben sich in einem Kamin vorwärts, der nur eine Schulter weit breit war. „Hoch", sagte Dumarest. „Oben verbreitert sich der Kamin." Sie kamen in einen Stollen, der lang und niedrig war. Hier konnten sie sich niedersetzen und die Masken abnehmen. Die Luft war abgestanden und roch scharf. Axilia legte sein Ohr gegen die Felswand. „Nichts zu hören", antwortete er auf Dumarests Frage. „Wenn der Bohrkopf in der Nähe wäre, sollten wir etwas hören." „Wenn sie gerade arbeiten. Die Maschine kann auch wieder kaputt gegangen sein." „Da hat sie sich dann den richtigen Ze itpunkt ausgesucht. Nun, zumindest können wir hier eine Zeitlang bleiben. Wir haben Luft und Wasser und können es ohne Nahrung aus halten. Vielleicht haben wir auch Glück und finden welche. Insekten zum Beispiel. Sie sind zwar klein, aber wenn man genug davon sammelt, kann man trotzdem ein Essen daraus machen. Du hast Erfahrung, Earl. Ich glaube, daß du überleben würdest, wo ein normaler Mensch sterben würde. Was für Chancen haben wir, hier lebend herauszukommen?" „Wir sind am Leben", sagte Duma rest. „Wir sind besser dran als vorher." „Ich bin dank dir am Leben. Das werde ich nie vergessen." Axilia hackte ein wenig auf den Fels ein. „Manchmal glaube ich, daß wir alle verrückt sind. Wir sind hier auf einer Welt, die uns alles bietet, was wir uns erträumen können, und wir machen keinen Gebrauch davon. Statt dessen Wühlen wir im Boden herum. Und warum? Um an das Metall heranzukommen, mit dem wir uns alles kaufen können, was wir uns erträumen. Das
glauben wir zumindest. Ich weiß es besser." Er hob einen abgesplitterten Stein des Felsens auf. Noch einen, dann einen dritten. „Earl!" „Was ist?" „Gib mir deine Lampe. Mensch, gib mir Licht!" Axilia hielt den Atem an, als der Lichtstrahl den Inhalt seiner Hand bläulich schimmernd zeigte. „Schau dir das an!" „Jaskar?" „Man braucht es nur aufzuheben. Schau dir das an!" Er nahm die Laterne und beleuchtete die Decke und die Wände. Als er mit der Spitzhacke gegen die Oberfläche schlug, rieselte Staub herunter. Die herausgeschlagenen Teile funkelten bläulich. „Jaskar, Earl, rings um uns ist nur reines Jaskar. Wir haben das Hauptlager gefunden!"
13.
Sie waren genau ins Herz des Vorkommens vorgestoßen. Dumarest dachte nach, erinnerte sich an die Zeichnungen und Pläne, die er sich angesehen hatte. Hatte Rudi den Platz entdeckt, an dem sie jetzt warteten? Wenn dem so war, dann mußte es eine Verbindung zu dem Schacht geben, in dem er begraben wurde. Diese Verbindung würde ihn zu der Leiche und dem kostbaren Medaillon führen. „Earl?" Axilia wandte sich von dem Felsen, an dem er gehorcht hatte, zu Dumarest. „Wohin gehst du?" „Ich möchte mich ein wenig umschauen. Hörst du irgend etwas?" „Ich bin mir nicht sicher. Ich ..." Er brach den Satz ab und hob eine Hand. „Doch, ich höre etwas. Was könnte es sein?"
Es war ein Flüstern, ein mahlendes Geräusch, das durch Schichten unterschiedlicher Dichte zu ihnen drang. Das Geräusch eines mit den Zähnen knirschenden Riesen. Es wurde leiser, dann lauter und wieder leiser. „Der Bohrkopf!" Dumarest richtete sich auf. „Wir sind gerettet!" Wenn die Zeit ausreichte. Wenn die Maschine nicht endgültig kaputtging. Wenn der Bohrschacht richtig angesetzt worden war und in der Nähe des Hohlraums endete. Wenn die durch die Maschine verursachte Vibration nicht die Decke zum Einstürzen brachte. Er erwähnte diese Dinge nicht, als er den Bergmann verließ und zum anderen Ende der Höhle ging. Ihr Glück, das sie bisher am Leben erhalten hatte, konnte jeden Moment umschlagen, aber dagegen konnten sie nichts tun. Es war das beste, sich irgendwie zu beschäftigen. Die Le iche - wo war die Leiche? Der Schacht war nach Westen gerichtet, hatte nach dem Eingang einen Bogen nach Süden gemacht und war in diese Richtung verlaufen. Der Schacht, den er benutzt hatte, war nach Osten gerichtet, und das Bohrloch war irgendwo zwischen Süden und Osten gewesen. Danach hatten sie zusammen nach Osten und Norden gegraben - aber mit welchem Winkel?" Wie konnte er in diesem dreidimensionalen Labyrinth seinen genauen Standort bestimmen? Er konnte nur raten und sich auf „seinen Instinkt verlassen. Wenn Rudi das Hauptvorkommen entdeckt hatte, mußte er in die Nähe des Hohlraums gekommen sein, in dem Dumarest jetzt stand. Von dort bis zu der Stelle, wo er lag, mußte es einen zurückverfolgbaren Verbindungsgang geben. Hatte er aber den Hohlraum gefunden, oder nur das reiche Vorkommen am Rand entdeckt? „Earl?" Axilias Stimme hallte durch die Höhle. „Es wird lauter." „Gut. Hör weiter."
Der Mann mußte beschäftigt werden. Dumarest ging zu dem Ende der Höhle und ließ seinen Lichtstrahl daran entlangwandern. Die Wände liefen zusammen, aber es gab einen Spalt, durch den ein gelenkiger Mensch schlüpfen konnte. Er legte die Sauerstoffflaschen und seine sonstigen Ausrüstungsgegenstände ab und schlüpfte durch die Öffnung. Der Gang machte eine Kurve, und er folgte ihm, stieß mit einem Stiefel gegen den Fels, stieg über herumliegende Steine und ging einer Abzweigung nach, die ihn schließlich zu einer Öffnung gelangen ließ und er erleichtert aufseufzte. Weiter unten glitzerte etwas. Es waren die Scherben einer zerbrochenen Flasche. Dumarest bückte sich, um sie zu untersuchen. Der Hals war mit einer Schrauböffnung versehen. Die Flasche war klein genug, um in die Tasche gesteckt zu werden. Im Aufstehen schaute er sich den Fels an und bemerkte einige angeschlagene Stellen. Aus dem Spalt wurde weiter vorne nach einer Biegung ein Schacht, in dem man die Spuren künstlicher Bearbeitung sehen konnte. Ein Schacht, der durch Geröll abgeschnitten war, das von der Decke bis zum Boden reichte. „Earl!" Axilias Stimme war durch einen zufälligen Effekt seltsam laut. „Earl, wo bist du?" Er war, wo er sein wollte, an dem Ort, wo Rudi begraben lag, nur durch einen Haufe n Geröll von ihm getrennt, den er nicht wegschaffen konnte. „Earl?" „Ich komme!" Der Rückweg war ein Alptraum von Engstellen, aber der Weg konnte verbreitert werden. Axilia starrte ihn an, als er aus dem Spalt auftauchte, zuerst mit den Händen, dann mit dem Kopf und dem übrigen Körper. „Mensch, wie siehst du denn aus? Was hast du entdeckt?" „Vielleicht einen Weg nach draußen. Was ist mit dem Bohrschacht?"
„Dort im Osten. So wie es sich angehört hat, ist der Bohrkopf in einen benachbarten Hohlraum eingebrochen. Das ist für uns ziemlich günstig. Ich glaube, daß der Schacht ganz nahe ist." Nahe genug, um Staub von der Decke fa llen zu lassen und laute Geräusche zu verursachen. Nahe genug, daß sie sich eine Verbindung zu dem Rettungsschacht graben konnten. Fünf Stunden später .waren sie in Sicherheit. * Das Essen war ein Ereignis gewesen, das Mtouba genossen hatte. Das Geschäftliche war immer das gleiche, aber wenn man es mit solchen Gelegenheiten verbinden konnte, gewann es viel hinzu. Er erhob sein Glas und sagte: „Meine Glückwünsche, Frau Boulaye. Sie haben hart gearbeitet und sich den Erfolg redlich verdient. Ich trinke auf Ihr weiteres Glück!" Dumarest und Zalman schlo ssen sich diesem Toast an. Andere Gäste saßen nicht am Tisch. „Jetzt bin ich an der Reihe." Isobel füllte sich ihr Glas nach. Der Wein war erstklassig und wurde von Mtouba auf ihre Kosten gestellt, ebenso das Essen. „Auf die, die das alles erst ermöglichten!" „Earl." Ihre Hand berührte die seine, als er sich umdrehte. „Wie lange wird die Ausbeutung der Mine dauern?" „Da fragst du besser Sven. Er ist der Fachmann." „Ohne dich wäre er jetzt tot." „Und ich ohne dich und die anderen, ebenfalls." Dumarest betrachtete sein Weinglas. .„Man braucht ein Team, um eine Mine zu betreiben, und kein Mann ist wichtiger als der andere. Jeder verläßt sich auf seinen Kameraden. Fehlt dieses Vertrauen, kann man auch nicht arbeiten. " „Bist du deshalb Sven gefolgt? Weil du wußtest, daß er sich auf dich verläßt?" Sie fühlte sein Unbehagen gegenüber dieser Frage
und wechselte schnell das Thema. „Glaubst du, daß Sven mit seiner Vorgehensweise recht hat?" „Wie ich schon sagte, er ist der Fachmann." Dumarest stellte sein Glas hin. „Deshalb hat er einen Schacht bis zum Hauptvorkommen graben lassen. Deshalb arbeitet er jetzt dort. „Ich habe das Zeug gefunden, nach dem du gefragt hast", sagte Mtouba. „Flaschen mit Gefriergas. Es ist zwar alt, sollte aber immer noch verwendbar sein. Ich war so frei und habe es gleich mitgebracht. Es ist in meinem Schweber, wenn du immer noch daran interessiert bist." „Earl?" Isobel war verwirrt. „Was wolltest du haben?" „Etwas, womit man den feuchten Sand in dem Schacht, in dem Rudi begraben liegt, gefrieren lassen kann. Mtouba hat etwas Gas gefunden." Nachdem er sich sicher war, daß er auch dafür bezahlt werden würde. Dumarest konnte die Vorsicht des Agenten verstehen. „Warum denn?" fragte sie schnell. „Weshalb brauchen wir das? Sven hat nichts davon gesagt, und du hast doch selbst gemeint, daß er der Fachmann ist. Es hat doch keinen Sinn, diesen alten Schacht von dem Geröll zu befreien. Wir wissen, daß dort kein Jaskar ist. Wir würden unsere Zeit und unser Geld zum Fenster hinauswerfen. Völlig sinnlos." „Ich werde meine Zeit verschwenden", sagte Dumarest. „Und mein Geld. Ich werde es holen, Mtouba. Es ist im Schweber, hast du gesagt?" „ja.“ „Earl, bleib doch noch einen Moment ..." „Gut Isobel. Lade es dann bitte vor der Mine ab, Mtouba. Geh mit ihm, Hans, und sage Sven, daß er es zu dem alten Schacht bringen soll." Nachdem sie gegangen waren, sagte er leise: „Warum?" „Warum was, Earl?" „Warum möchtest du nicht, daß ich Rudis Leiche finde?"
„Habe ich das gesagt?" Der Wein schwappte über, als sie sich nachschenkte, und rubinrote Tropfen begannen das Tischtuch zu färben. Es sah aus wie Blut. „Ich möchte nicht, daß du dich wieder irgendwelchen Gefahren aussetzt, Liebster. Du kannst dir die Gründe denken, oder?" Wenn nicht, konnte er sie von ihren Augen ablesen, von ihrem Lachen und von der Röte ihrer Wangen. Sie stand auf. „Earl?" „Du weißt, warum ich die Leiche finden muß." „Um das Schmuckstück zu bekommen, das Rudi um den Hals getragen hat. Dieses dumme Medaillon." Nicht das Medaillon wollte er, sondern die Informationen, die es verbarg. Sie wollte dies jedoch nicht beachten. „Wir brauchen es nicht, Earl. Wir sind durch das Jaskar der Mine reich. Reich, Liebling, verstehst du nicht? Wir können uns eine Passage 1. Klasse kaufen und zu einer richtigen Welt fliegen, uns dort ein Haus kaufen und Bedienstete anstellen und einen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Wir würden auf Askelius respektiert werden. Ich habe Freunde dort, und alles wäre sehr einfach. Es wird so leicht sein, wenn du mir alles überläßt. Vergiß dieses Medaillon. Was kann es dir geben, das ich nicht habe? Liebe? Du wirst mehr geliebt, als du denkst. Luxus? Komfort? Macht? Earl, bei mir kannst du alle diese Dinge haben. Und wenn du darauf bestehst, können wir Männer anstellen, die nach diesem Planeten suchen. Dieser Erde." „Rudi hat an sie geglaubt." „Er war ein Dummkopf!" Sie sah seine Miene und schaute dann auf ihr Glas. „Überrascht dich das, Earl? Bringt dich das durcheinander? Die liebevolle, fürsorgende Frau, die so von ihrem Gatten spricht? Jemanden zu lieben, heißt nicht, daß man gegenüber seinen Fehlern blind ist. Rudi hatte wie jeder andere Mann seine Fehler, die ich kannte und tolerierte. Was für einen Schaden richtete er schon an, wenn er von sage numwobenen Planeten träumte? Alle Männer sind im Grunde ihrer Herzen
Kinder, und es war eine nette Illusion. Aber schließ du dich um Gottes willen nicht auch noch dieser Kinderei an." „Sei doch vernünftig", sagte Dumarest ungerührt, „versuche, die Dinge einmal aus meiner Lage zu sehen." „Was?" Sie schaute ihm stirnrunzelnd ins Gesicht. „Oh, du machst Witze. Ich bin vor Angst fast gestorben, als du Sven folgtest und mit ihm im Fels eingeschlossen warst. Nicht alles Jaskar auf der Welt hätte mich für deinen Tod entschädigen können. Ich liebe dich, Earl. Kannst du nicht verstehen, was es für mich bedeutet, oder willst du es nicht verstehen. Du bedeutest mein Leben für mich!" Eine entschlossene Frau, die ihre Meinung ohne Rücksicht auf andere durchsetzen wollte und dabei jede mögliche Waffe benutzte - auch ihren eigenen Körper. „Wir fangen morgen an, Isobel", sagte Dumarest, während sie ihm immer näher kam. „Es wäre hilfreich, wenn du dabei wärst." * Der Ort hatte sich verändert. Lampen erhellten jetzt das Zwielicht, und der enge, kurvenreiche Gang war erweitert worden, damit man besser vorankam. Maschinen hatten den Fels in ihrem Hunger nach dem blauen Metall aufgerissen, und Schläuche hatten die losen Gesteinsbrocken abgesaugt. Die Arbeit war jetzt unterbroche n, da Dumarest sich den völlig versperrten Eingang des Schachtes ansah. „Wir brauchen ein System", sagte Axilia. .„Hast du schon einmal mit Gefriergas gearbeitet?" „Ich selbst nicht." „Dann hältst du es vielleicht für einfach - das denken die meisten. Man steckt einfach einen Schlauch in das Zeug, dreht an einem Ventil, und schon ist man fertig. Wenn du das denkst, kannst du dabei umkommen."
„Oder zum Krüppel werden", sagte Zalman. „Du kannst deine Hände, Augen, Füße und dein Gesicht verlieren. Du brauchst uns nicht Angst zu machen, Sven. Wir wissen genug, um vorsichtig zu sein." Er schaute zu Tocsaw, den beiden Männern und Isobel in schwerer Arbeitskleidung, die sie völlig formlos erscheinen ließ, hinüber. „Wir alle werden vorsichtig sein. Was muß zuerst getan werden?" Als Antwort schlug der Bergmann eine Spitzhacke in das lose Gestein und schaute finster zu, wie ein Regen feiner Teilchen dabei entstand. Wieder schlug er auf den Geröllhaufen ein und wischte sich schließlich über das Gesicht. „Hast du einen bestimmten Plan, Earl?" „Nein." „Dann müssen wir ein Risiko eingehen. Mein Vorschlag ist, daß dort, dort und hier angefangen wird. Einverstanden?" „Du bist der Chef hier." „Bis ich auf Schwierigkeiten stoße und du kommst, um mich auszugraben, wie?" Axilia murmelte vor sich hin und schüttelte den Kopf. „In einer Lage wie dieser kann Instinkt genauso hilfreich sein wie Wissen. Was haben wir schon zu verlieren?" Er winkte zu Tocsaw und den anderen. „Macht die Schläuche fertig!" Sie waren lang, dünn und mit zahllosen Löchern übersäht. Unter Axilias Aufsicht wurden sie in den Geröllhaufen geschoben. Die von Mtouba gelieferten Flaschen enthielten eine Mischung verschiedener Che mikalien, die unter Druck ein hervorragendes Gefriergas ergaben. Trat es aus den Löchern der Schläuche aus, würde es die vielen Gesteinsbrocken zu einer festen Masse verbinden. „Fertig?" Axilia bückte sich über die Verbindungen. „Los geht's!" Eis bedeckte die Verbindungen und Schläuche und legte einen weißen Schleier über das Geröll. Der Bergmann hob warnend den Arm, als Tocsaw sich darauf zu bewegen wollte.
„Halt an!"
„Warum? Fangen wir mit der Arbeit an!"
„Natürlich! Und was ist, wenn ein Loch im Gestein eine
Explosion verursacht? Wenn du sterben möchtest, gibt es
schmerzlosere Methoden dafür. Ich sage dir, wann wir
anfangen." Er senkte seinen Arm und zählte die Sekunden.
„Jetzt! Geh "rein!"
Es war, als ob man auf einen riesigen Schwamm aus Sand und
Kies einschlug. Das brüchige Material zerbrach in feine
Körnchen und ließ klaffende Löcher zurück. Schnell ließ der
Bergmann neues Gas nachfließen und arbeitete sich immer
weiter in der Masse voran.
„Schafft das Zeug raus", befahl er, als das Loch größer und
tiefer wurde. „Bewegt euch, verdammt. Earl, wo genau liegt er
nun?"
Irgendwo in dem langen Schacht, der drei Meter und mehr breit
war und dessen weiterer Verlauf unbekannt war. Ihn ganz von
dem Geröll zu befreien, war nicht möglich.
„Isobel?"
„Ja?"
Sie zögerte und kam schließlich mit bleichem Gesicht zu dem
ehemaligen Schachteingang. „Wo liegt Rudi nun genau?"
„Ich weiß nicht, Earl. Ich stand am anderen Eingang des
Schachtes und sah ihn nur undeutlich. Wie kann ich es ganz
genau sagen?"
Dumarest hatte Geduld. „Versuche, dich zu konzentrieren,
Isobel. Du hast etwas erwähnt, eine Laterne, die hinter Rudi
angebracht war." Er sah, wie sie den Kopf schüttelte. „Hast du
Rudi gesehen?"
„Er lag da, unter Steinen begraben. Earl - muß das sein?"
„Wo lag er? In der Mitte des Schachtes? Auf welcher Seite?
Rechts? Links? In der Mitte?"
„In der Mitte. Er muß in der Mitte gelegen haben."
Eine dürftige Auskunft, aber besser als nichts. Das Loch wurde tiefer, aber ohne Erfolg. Vielleicht verlief der Schacht überhaupt nicht gerade aus? Axilia warnte ihn, als Dumarest befahl, Seitengräben zu graben. „Sei vorsichtig, Earl. Das Material ist so fest wie Staub." „Ich weiß." „Das dachte ich mir. Wenn du zuviel weggräbst, schaufelst du dir dein eigenes Grab. Ein lautes Geräusch, und die Decke fällt ein." Ein Risiko, das zu den vielen anderen hinzukam und ebenso wie diese unbeachtet blieb. Die engen Gänge wurden vorangetrieben und bildeten ein Labyrinth aus Gräben mit niedrigen Decken. Nach vorne gebückt, mit der kurzen Schaufel in den kalten Händen, arbeitete Dumarest. Durch die Wolke, die sein Atem verursachte, sah er etwas vor sich liegen. „Earl?" Zalman flüsterte seinen Namen, als er sich neben ihn kniete. „Ist etwas?" „Nichts." „Dann ..." Zalman atmete heftig, als Dumarest mit der Schaufel weitergrub. „Mein Gott, du hast ihn gefunden." Ein Ding, alt, vertrocknet und ohne Fleisch. Eine zerknüllte Masse aus Knochen und Kleidung lag vor ihm. Der Schädel grinste ihn an, und zwischen den beiden leeren Augenhöhlen befand sich ein kreisrundes Loch.
14.
„Jetzt weißt du es also, Earl", sagte Isobel. „Ich habe darum gebetet, daß du es nie entdeckst." Sie war hinter ihnen hergekommen, ihre dicken Sohlen hatten jedes Geräusch verhindert. Jetzt stand sie auf der Seite, und in
ihrer Hand hielt sie die Pistole ebenso fest wie Dumarest die Schaufel in der seinen. „Leg die Schaufel weg!" Die Pistole hob sich ein wenig in seine Richtung, um den Befehl zu unterstreichen. „Leg sie einfach hin, Earl. Du bist schnell, ich weiß, aber glaube mir, daß ich dich erschießen kann, bevor du Gelegenheit hast, sie nach mir zu werfen. Ich kann damit umgehen." „Hast du es auf der Universität gelernt?" „Ich war drei Jahre lang Meister im Pistolenschießen." Sie nickte befriedigt, als die Schaufel auf den Boden fiel. „Das ist schon besser. Jetzt geht ihr einmal ein wenig zurück. Weiter. Du auch, Hans." Die Pistole deutete einen kurzen Moment auf ihn, kehrte dann aber sofort wieder zu Dumarest zurück, um ihn unter Kontrolle zu halten. „Zurück, verdammt noch mal, zurück!" Sie war wie eine Mine, bei der leichtesten Erschütterung bereit zum Explodieren. Während er zurückging, beobachtete Dumarest sie und die Waffe in ihrer Hand. Es war ein kleiner Werfer, der zwar wesentlich einfacher als ein Laser gebaut war, aber ebenso tödlich sein konnte. Eine hervorragende Waffe für eine Frau, die in Schwierigkeiten geriet. „Warum hast du das getan?" fragte er, nachdem er stehengeblieben war. „Warum?" Ihre Stimme war vor Aufregung schrill. „Du fragst immer nach dem Warum. Was glaubst du denn, was ich für Gründe hatte?" „Du warst gelangweilt, frustriert und böse auf den Mann, der dir so viel versprochen und so wenig gehalten hat. Aber warum mußtest du ihn umbringen? War das nötig? Warum hast du Rudi nicht einfach verlassen und bist woanders hingegangen, hast ein neues Leben angefangen?" „Was hätte ich tun sollen? Hätte ich zu meiner Heimatwelt zurückkehren sollen und mich als gescheiterte Existenz zum Spott machen sollen? Die junge Närrin, die einem alten Mann
vertraut und ihre Lektion gelernt hat?" Sie fühlte, wie sich das Metall unter dem Druck gegen ihre Hand preßte. Gott, all die verlorenen Jahre! „Warum hast du es getan, Earl? Ich habe dich förmlich angebettelt, ihn zu vergessen. Ich habe dir alles geboten, aber nein, für dich war dies nicht genug. Du mußtest diesem dummen Traum nachjagen." Und er war fest entschlossen, diesem Traum auch weiterhin nachzujagen. Der Körper lag immer noch begraben, aber der Kopf und der Oberkörper waren Schon freigelegt worden. Um den Hals konnte er ein metallisches Funkeln entdecken. Die Kette, an der das Medaillon befestigt war. In wenigen Sekunden konnte er das Schmuckstück sicher in den Händen halten und damit am Ende seiner Suche angelangt sein. „Earl - nein!" Zalman schrie die Warnung. Sein Gesicht war wie unter der Folter verzerrt. Er hatte erraten daß ein inneres Streben Dumarest drängte, wider aller Vernunft zu handeln. „Sie erschießt dich, wenn du es holst!" Dies entsprach der Wahrheit, wie Dumarest selbst erkannte. Sie wurde durch das heftige Herumfahren der Pistole bestätigt. „Zurück, Earl! Geh zurück!" Sie beobachtete ihn, wie er sich Zentimeter um Zentimeter von der Leiche entfernte. „Warum sind Männer so dumm? Ihr setzt euer Leben für eine Illusion aufs Spiel, aber die Annehmlichkeiten der Realität schlagt ihr aus. War ich dir nicht genug? Ich und mein Reichtum? Mein Körper, me in Geld, das Haus, die Mine - alles. Warum hattest du nach einer Leiche Sehnsucht?" Ihre Stimme hatte einen schrillen Klang, der Blick ihrer Augen war zu glasig, zu starr. Ein verwirrtes Tier, das vor einem möglichen Angriff Angst hat, schaute so. Und ein Mensch, der durch seine Schuld und Angst bis an die Schwelle des Wahnsinns getrieben worden war, hatte auch solche Augen. „Du brauchst vor nichts Angst zu haben, Isobel", sagte Dumarest sanft. „Niemand hier will über dich richten. Niemand will verurteilen. Rudi ist tot - laß ihn begraben. Laß mich nur
das Medaillon nehmen und wir alle können diesen Ort verlassen." „Nein!" „Warum nicht? Es ist kalt hier. Du wirst sicher frieren. Laß uns ins Warme gehen. Außerdem hast du versprochen ..." „Nichts! Ich habe nichts versprochen. Du lügst! Ich habe gegeben und du hast genommen. Ich habe etwas angeboten, und du hast abgelehnt! Du hast mich abgelehnt! Mich!" Eine Frau, die sich einbildete, verschmäht worden zu sein, und deshalb gefährlich war. Dumarest entspannte die Beine, ließ seine Muskeln spie len, um nicht steif zu sein, wenn es darauf ankam. Die Kälte wirkte betäubend Und würde ihn langsam werden lassen, aber er mußte mehr als schnell sein, um sich aus dieser Situation zu retten. Selbst wenn er es fertigbrachte, der Kugel auszuweichen, würde der Knall des Werfers die Decke zum Einsturz bringen. Allein ihr Schrei würde das schon bewirken. Zalman? „Widersetz dich ihr nicht, Earl", antwortete Zalman leise, der die Frage gelesen hatte. „Sie ist eine Bombe und wartet nur darauf zu explodieren. Ein falsches Wort, ein falscher Blick, und sie wird die Pistole benützen." Ein Mann, der sich verwirren ließ, der durch den entschlossenen Gesichtsausdruck von ihr sich einschüchtern ließ. Seine Begabung stand ihm in diesem Fall im Weg und nützte ihm nicht viel. „Isobel", sagte Dumarest ruhig. „Nimm das Medaillon und wir gehen." „Das Medaillon?" Sie runzelte die Stirn und schaute auf den Schädel und die Kette. Als sie wieder Dumarest anschaute, waren ihre Augen kalt. „Wenn du es erst einmal in den Händen hältst, wirst du mich verlassen. Nur das willst du, oder? Die ganze Zeit über hast du nur das gewollt. Dieses verdammte Medaillon!"
„Das Medaillon und dich." „Du lügst." „Ich kann es dir beweisen!" „Wie? Indem du mein Geld nimmst, um deinen Traum zu finanzieren? Genau das wollte Rudi. Er erwartete von mir, daß ich ihn verstehen und dankbar sein würde. Ich sollte wie ein Tier leben, während er sich amüsierte. Alles, was er mir gab, waren leere Versprechungen. Wenn wir erst einmal das Jaskar gefunden hätten, würden wir diese sagenumwobene Erde suchen, und dann würden wir reich und berühmt werden - wie kindisch das war! Wie es mir auf die Nerven ging! Aber ich benötigte das Jaskar. Wenn ich ohne es nach Askelius zurückkam, würde ich mein Versagen eingestehen. Kannst du das verstehen? Ich würde versagt haben!" „Es wäre Rudis Versagen gewesen, nicht deines", sagte Dumarest. „Deine Freunde würden das sicher verstanden haben, oder?" Er mußte sie weiter zum Reden animieren, so daß sie abgelenkt war, während er versuchte, wieder elastisch in den Beinen zu werden. Wenn er vorwärts springen und sie niederwerfen konnte, bevor sie eine Gelegenheit zum Schießen oder Schreien hatte, hatte er eine Chance. Sie beachtete die Frage jedoch nicht. „Du hast es gewußt", warf sie ihm vor. „Als du die Leiche sahst, warst du nicht überrascht." „Nein." „Also hast du gewußt, daß ich ihn umgebracht habe." „Und ich kann mir auch denken, warum." Dumarest redete weiter und zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, während Zalman, wie er hoffte, sich dem kostbaren Medaillon näherte. Eine Mitteilung, die der Mann anscheinend nicht ablesen konnte, denn er bewegte sich nicht. „Er hatte dich betrogen. Du hast dich auf ihn verlassen, und er hat dich enttäuscht. Er war ein Schwächling." Genauso wie Zalman ein Schwächling war
weshalb ergriff er nicht die günstige Gelegenheit? Zentimeter konnten entscheidend sein, wenn die Chance für sein Eingreifen kam. „Er war schwach", sagte sie. „Alt und schwach." „Zuerst hast du keinen Verdacht geschöpft", sagte Dumarest. „Und als du dann die Wahrheit erfahren hast, war sie zuviel für dich. Alle deine Hoffnungen, Wünsche und Pläne waren gescheitert, weil er nicht deine Entschlossenheit besaß. Er konnte den Lockungen des Mannas nicht widerstehen. Ab er das ist schon lange her. Es spielt heute keine Rolle mehr, Isobel." Sie hatte ihn nicht gehört. „Er lachte", sagte sie teilnahmslos. „Er fand es amüsant. Er stand in dem Schacht, hinter ihm die Laterne, und bot mir irgendwelchen billigen Fusel in einer Flasche an. Er lachte." „Und du hast die Flasche genommen und in den Schacht geworfen?" „Ich sah, wie sie zerbrach. Rudi hat sich nicht einmal umgedreht. Er gab mir einfach das Jasker-Nugget und sagte, ich solle ihm damit mehr von dem Zeug kaufen. Er befahl mir, es zu kaufen. Das Manna!" „Also hast du ihn erschossen?" Sie schaute auf den Werfer in ihrer Hand. „Ich wußte nicht einmal, daß ich es getan hatte. Ich hörte einen Knall, und er lag blutüberströmt am Boden, und plötzlich hatte ich Angst. So furchtbare Angst. Aber es spielte ja keine Rolle, weil alles nur ein Traum gewesen war. Aber dann kamst du und wolltest ihn finden, und ich wußte ganz genau, daß dies nicht möglich war, aber du hast es jetzt doch geschafft, und... und..." Sie war verwirrt, und Dumarest ging langsam auf sie zu, als Zalman mit der Stiefelspitze gegen einen Stein stieß. Ein lautes Geräusch, das die Stimmung völlig zerstörte, obwohl Dumarest versuchte, sie zu retten.
„Das Medaillon", sagte er. „Bitte das Medaillon, Isobel. Gib mir das Medaillon." „Was?" „Es hängt um seinen Hals. Du kannst die Kette sehen." „Ja." Sie bewegte sich ein wenig, aber die Gelegenheit war vorüber, die Pistole wandte sich zu Zalman, um seine Bewegung zum Stillstand zu bringen, dann zu Dumarest, um auch ihn innehalten zu lassen. „Diese verdammte Kette." Sie schaute spöttisch zu dem grinsenden Schädel. „Hör auf, mich anzustarren! Schaut ihn euch an. Meinen wunderbaren, intelligenten und gebildeten Gatten. Der Mann, der mir das Paradies auf dem silbernen Tablett servieren wollte." Sie trat gegen den Schädel. „Ich habe gesagt, du sollst aufhören, mich anzustarren!" Der Schädel rollte weg, und das Metallstück glitzerte, eine Scheibe, auf der Zeichen angebracht waren. Dumarest konnte sie nicht genau erkennen. „Hör auf, mich anzustarren!" „Nein", rief Zalman. „Earl..." Dumarest sprang vorwärts und hörte den donnernden Knall der Pistole, der seine Trommelfelle erschütterte. Er sah die Kugel, die den Schädel in viele Teile zerspringen ließ, sich in das weiche Metall des Medaillons eingrub und die Zeichen unkenntlich machte. Das Bild verschwamm vor seinen Augen, als der Donner der Pistole von dem des herunterstürzenden Erdreichs beantwortet wurde. Isobel Boulaye wurde unter der ersten Welle von Erdreich begraben, die wie vo n einem durchbrochenen Damm auf Dumarest zuschoß. Er sah, wie Zalman von ihr erfaßt, niedergerissen und begraben wurde. Ein schlaffer Arm hob sich kurz aus dem Schlamm, sank dann wieder kraftlos zurück. Begierig schloß der Schlamm Dumarest ein, umfaßte seine Knie, reichte ihm bis zur Brust und schlug mit einem schmatzenden Geräusch über seinem Kopf zusammen, als
plötzlich ein starker Ruck ihn nach hinten riß und der. nasse Schlamm sein Gesicht freigab. „Das war knapp", sagte Axilia. „Verdammt knapp." Seine Augen wurden ausdruckslos, als er daran dachte. „Du warst zu lange da drinnen, und ich dachte mir schon, daß etwas schief gelaufen war. Während ihr euch dort drinnen unterhalten habt, konnten wir mehr Gefriergas hineinpumpen, und tatsächlich hielt es den Schlamm ausreichend lange fest, bis wir dich herausziehen konnten. Aber es war knapp." Nur Sekunden lagen zwischen Leben und Tod. Er hatte Schürfwunden am ganzen Körper, war von der niedrigen Temperatur in dem Schacht bis auf die Knochen durchgefroren und hatte überall Prellungen und häßliche Druckstellen, die er von dem Strick, an dem er herausgezogen worden war, abbekommen hatte. Aber er hatte wieder einmal Glück gehabt. „Du hast mir das Leben gerettet", sagte Dumarest. „Und du mir meins - ein gerechter Ausgleich. Vergiß es!" Axilias Blick verfinsterte sich. „Es ist schade um Hans, ich mochte ihn. Sie war verrückt. Absolut wahnsinnig!" Anna Shefton stellte den Topf mit heißem Tisan auf den Tisch und setzte sich zu ihnen. Es war Isobels Tisch, ihr Haus und ihre Vorräte. Sie hatte dies ohne einen Erben hinterlassen, ihr Geist war jedoch immer noch anwesend. „Sie war eine verzweifelte Frau! Ich habe sie nicht sehr gut gekannt, habe aber Mitleid mit ihr. Sie saß in der Falle. Sie wollte davonrennen, konnte aber nirgends Zuflucht finden. Ohne Freunde. Allein." „Sie war eine Mörderin." „Die mit jeder Sekunde ihres Lebens für diese eine impulsive Tat bezahlte. Du solltest sie so verstehen, wie ich weiß, daß Earl es tut, Sven." Eine Frau, die in einem Kulturkreis aufgewachsen war, in dem die Gewalt auf Worte und scharfzüngige Artikel begrenzt war und wo man tatsächliche Gewalt für unsagbar primitiv hielt. Aber dennoch hatte sie versucht, auf eine Art auszubrechen. Sie
hatte eine Pistole mit sich geführt und sie in dem Augenblick, als der Druck einfach zu groß wurde, auch benützt. Aber für diese Benützung hatte sie mit Qualen bezahlt, die andere nur schwer verstehen konnten, denn ihr Gewissen folterte sie über Jahre hinweg grausam und mitleidslos. Im Aufstehen sagte Dumarest: „Die Mercator kommt im Lauf des Tages. Ich werde mit ihr diesen Planeten verlassen." „Du gehst?" Axilia starrte ihn ungläubig an. „Das kannst du nicht. Du kannst doch nicht einfach so verschwinden. Wir haben schließlich einige Dinge, die zu klären sind. Die Mine. Das Jaskar - nein, Earl, du mußt hierbleiben." Um einen Hügel anzustarren, wo eine Frau, ein Medaillon und eine verlorene Hoffnung begraben liegen? Es gab zu viele Geister auf dieser Welt. „Ich werde den Rest des Jaskars, der nach Abzug aller entstandenen Unkosten übrig ist, als meinen Teil nehmen", sagte Dumarest. „Ihr könnt alles haben, was in der Mine noch ungefö rdert steckt." „Alles?" Axilia hatte seine Zweifel. „Es ist sehr viel, Earl." „Hältst du es für zuviel?" „Deinen Teil? Um Gottes Willen, nein, du hast sogar wesentlich mehr verdient. Ich meine das, was übrig bleibt." „Du wirst zuerst einmal danach graben müssen", erinnerte ihn Dumarest. „Außerdem mußt du dich auch noch erst mit den anderen einigen." Er stand auf und ging über die Treppe auf das Dach des Hauses, um die Diskussion abzubrechen und betrachtete die in der Ferne liegenden Hügel. Über ihnen schwebten Farbschleier aus Orange, Gelb und Grün, als ob sie den Altar eines grausamen Gottes schmücken würden. Wie hatte Isobel sie bezeichnet? „Teufel", bemerkte Anna. Sie war ihm gefolgt und stand jetzt dicht hinter ihm. Sie hatte sich Zeit genommen, um sich zu parfümieren. „Tanzende Teufel - ich frage mich, wie oft sie wohl in ihnen das Gesicht von Rudi gesehen haben mag."
Viel zu oft, selbst wenn sie sich etwas zusammengeträumt hatte, um sich seinen Tod zu erklären. Eine Lüge, die für sie das Leben wieder ertragbar gemacht hatte. So fest hatte sie daran geglaubt, daß sich selbst Zalman davon hinters Licht hatte führen lassen. Ein Fehler, den er mit seinem Leben bezahlt hatte. „Hältst du sie für schuldig?" fragte Dumarest. „Weil sie ihn getötet hat? Nein. Wer bin ich, daß ich andere richten kann? Wer weiß, wann ich die eine Tat meines Lebens begehe, die ich immer bereuen werde?" Die Verzögerung, die Achtlosigkeit, seine Ungeduld - dies hatte ihn um das Medaillon gebracht. Ein Wort zu Axilia, und sie wäre von der Grabung ferngehalten worden. Sein eigenes Mißtrauen hätte dafür sorgen müssen, daß sie nicht dabei gewesen wäre, aber wie hatte er auch ihre heftige Reaktion auf den grinsenden Schädel voraussehen können? Der Wahnsinn, der durch den Anblick der Knochen ausgelöst wurde? Der Schmerz der verspielten Chance bohrte ihm wie ein Messer zwischen den Rippen. Die Koordinaten der Erde waren nur Zentimeter weit entfernt gewesen, aber jetzt waren sie für immer verloren. Und sie sagte etwas von „bereuen"! Als ob sie seine Gedanken erriet, ging sie näher auf ihn zu, und er konnte den starken Duft ihres Parfüms und die Hitze ihres Körpers wahrnehmen. Sie benützte die Waffen einer Frau, um seine Gedanken von den Toten zu den Lebenden zu holen. Als sie aber sprach, sagte sie etwas von den Toten. „Ich vermisse Hans", sagte sie. „Er war ein sanfter und einsamer Mann. Einer, der einen Freund brauchte, wie auch Isobel einen Freund brauchte. Hast du sie geliebt?" Als er keine Antwort gab, fügte sie sanft hinzu: „Du mußt sie geliebt haben. Selbst wenn es nur für eine kurze Zeit war. Earl - mußt du schon so bald gehen? Kannst du nicht wenigstens auf das nächste Schiff warten?" Weit hinter den Hügeln stieg eine neue Farbe auf und vermischte sich mit der alten. Der Wind formte die Wolke zu
einer gebückten Gestalt ohne Gesicht. Sie sah aus, als ob man sie mit Blut gegen den Himmel gemalt hätte. „Ich störe", sagte sie leise, als das Schweigen andauerte. „Du möchtest allein sein, um vielleicht ein wenig zu klagen. Aber es ist so wenig Zeit und so wenig Vergnügen. Sven ist ein guter Mann, aber ...", sagte sie leise. „Er ist ein guter Mann." Dumarest hörte, wie sie scharf einatmete, als sie von ihm zurücktrat. „Ein wirklich guter Mann", stimmte sie ihm zu. „Und ich kann ihn glücklich machen. Earl - kannst du jemals glücklich sein?" * In seinem Büro sah Meister Elge zu, wie eine Galaxis starb. Zuerst wurden die vereinzelten Sterne mit ihren vereinzelteren Planeten vertilgt, dann drang das Schwarz in die Spirale selbst vor, dämpfte die Lichtkaskaden, bis sie ganz verschwunden waren, brachte die Wolken aus kosmischen Staub, die Hochöfen der Roten Giganten, den glühenden Zorn der Weißen Zwerge und das ganze Spektrum der Farben zum Erlöschen. Nach und nach verschwand die ganze Galaxis, bis nur noch ein einsamer Lichtpunkt vor seinen Augen schwebte. Elysius. Das Licht des Sterns blinkte auf dem Schirm. Dort war die Antwort für das Problem, das seine neugewonnene Position gefährdet hatte. Der Ursprung des Wortes, das man durch Nequals Opfer erfahren hatte. Elge berührte einen Knopf auf seinem Schreibtisch und sprach in das eingebaute Mikrofon, als das Lämpchen aufleuchtete. „Zu den Notizen über die Elysius-Angelegenheit: Es ist jetzt offensichtlich, daß es von Anfang an hoffnungslos war, von der von Katatonie befallenen Einheit Informationen von Wert gewinnen zu wollen. Wir haben immer noch keinen Hinweis auf
den Erreger der Geisteskrankheit. Die Gefahr für den Zentralcomputer besteht daher weiterhin. Die erkrankte Einheit wurde völlig vernichtet." Auch die andere Einheit hatte man vernichtet. Elge unterbrach die Aufnahme und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf den Lichtfleck, der in der Dunkelheit schwebte. War er voreilig gewesen. Nequals Verstand war durch seinen Kontakt mit der katatonischen Einheit eine Gefahr gewesen, aber hatte er vernichtet werden müssen? Der Rat der Cyber hatte darauf bestanden, und er hatte sich dem Rat gebeugt - ein Zeichen von Schwäche, das er nie wiederholen würde, da jetzt seine Stellung gesichert war. War Nequal grundlos gestorben? Die Antwort darauf war in dem Bericht festgehalten; der Mann war schon vor seinem Angebot zum Tode verurteilt gewesen, aber selbst unter den gegebenen Umständen hatte er nicht völlig versagt. Wieder fühlte Elge das Gefühl des Erstaunens gegenüber dieser ungeheuer großen Anstrengung des Geistes. Das Gehirn, dessen Schicksal besiegelt war, hatte alle seine Kräfte für eine letzte Voraussage mobilisiert und sie in einem Wort zusammengefaßt. Elysius. Kein Planet, sondern eine Positionsangabe, die durch logische Gedankenketten, Extrapolation und dem Abwägen aller Möglichkeiten erarbeitet worden war. Auf Band sprach er: „Das Versagen, die wahre Bedeutung der Nachricht von Nequal nicht zu erkennen, rief die Verwirrung hervor. Es wurde angenommen, daß das Wort, von der erkrankten Einheit stammte und einen Hinweis auf den Erreger der Seuche darstellt. Jetzt steht fest, daß Nequals Gehirn das Wort sowohl als Lösung für die befallene Einheit, als auch als Ursprung der Gefahr für den Zentralcomputer uns übermitteln wollte. Die Lösung der Fragen liegt in dem Geheimnis des Affinitäts-Zwillings, das den Cybern gestohlen wurde und
Dumarest zufällig in die Hände fiel. Die Wahrscheinlichkeit seines Todes war so groß, daß Nachforschungen nach ihm als Verschwendung angesehen werden mußten. Wir wissen jetzt genau, daß dies ein schwerwiegender Fehler war. Der nach Elysius geschickte Cyber hat erfahren, daß Dumarest immer noch lebt." Wie Nequal tief in seinem Unterbewußtsein vermutet haben mußte - warum hätte sein Verstand sich sonst über dieses Problem Sorgen gemacht? Völlig isoliert, ohne jedweden Kontakt zur Außenwelt, hatte er den Aufentha ltsort eines Mannes ermittelt, der den Cybern die alleinige Herrschaft über das Universum geben konnte. Elge stand auf; die abgebildete Galaxis erstrahlte wieder in der ursprünglichen Form und beleuchtete sein Gesicht. Jeder Cyber könnte ein Herrscher werden. Die vereinigten Gehirne könnten körperliche Träger bekommen, um die Erfüllung des Großen Plans zu besiegeln. Und er würde diesen Erfolg erzielen. Er würde diesen Mann gefangennehmen. . Ein Mann, der wie ein von unbekannten Kräften gelenktes Teilchen vo n Planet zu Planet wanderte, ohne festen Kurs. Aber Elge wußte es besser. Für jede Handlung gab es einen Grund, und wenn man erst einmal die nötigen Daten gesammelt hatte, ließ sich diese Handlung voraussagen und manipulieren. Dumarest war von Elysius aus weitergezogen. Wäre der Cyber eine Woche früher angekommen, wäre Dumarest festgenommen worden, aber es hatte keinen Sinn, dies zu bedauern. Er war am Leben und war entdeckt worden, das genügte. Elge ließ seinen Blick von seinem Arm bis zu der Hand heruntergleiten, deren Finger gekrümmt waren, als ob sie Beute festhielten. Nequal hatte versagt. Er würde dies nicht tun. ENDE