Piraten der Sterne
Atlan in Richmonds Schloss - unter den
Plünderern der kosmischen Barriere
von H. G. Francis
Atla...
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Piraten der Sterne
Atlan in Richmonds Schloss - unter den
Plünderern der kosmischen Barriere
von H. G. Francis
Atlan - Held von Arkon - Nr. 122
erschienen Januar 1974
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Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man das Jahr 10.497 v.A. – eine Zeit, die dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht, eine Zeit also, da die Erdbewohner in Barbarei und Primitivität verharren und nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen. Arkon hingegen – obzwar im Krieg gegen die Maahks befindlich – steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der den Tod seines Bruders Gonozal VII inszeniert hat, um selbst die Herrschaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Imperator von Arkon zu fürchten: Atlan, den rechtmäßigen Thronerben, der kurz nach dem Tode Gonozals zusammen mit Fartuloon, dessen Leib arzt, spurlos verschwand und bei der Allgemeinheit längst als verschollen oder tot gilt. Doch der junge Kristallprinz ist quicklebendig! Nachdem man ihn über seine wahre Herkunft informiert und sein Extrahirn aktiviert hat, strebt er den Sturz des Usurpators an. Doch von diesem Ziel ist Atlan gegenwärtig weiter denn je entfernt. Denn nach seiner gelungenen Flucht vom Planeten des Folterkönigs gerät Atlan in die Gewalt von PIRATEN DER STERNE … Atlan Der Kristallprinz fällt unter die Piraten Farnathia Atlans Begleiterin auf der Flucht von der Folterwelt Bronton Deflar Atlans Begleiter auf der Flucht von der Folterwelt Tonven Debaaner Atlans Begleiter auf der Flucht von der Folterwelt Lord Correson Atlans Begleiter auf der Flucht von der Folterwelt Probis Tobanaschol Atlans Begleiter auf der Flucht von der Fol terwelt Jepson Tropp Atlans Retter Hanwigurt Sheeron Herr von Rich monds Schloß Trockman Quit Kopf einer Konspiration gegen Hanwigurt Sheeron Schrika Kopf einer Konspiration gegen Hanwigurt Sheeron
Die Hautpersonen des Romans: Atlan - Der Kristallprinz fällt unter die Piraten Farnathia - Atlans Begleiterin auf der Flucht von der Folterwelt Bronton Deflar, Tonven Debaaner, Lord Correson, Probis Tobanaschol - Atlans Begleiter auf der Flucht von der Folterwelt Jepson Tropp - Atlans Retter Hanwigurt Sheeron - Herr von Richmonds Schloß Trockman Quit - Kopf einer Konspiration gegen Hanwigurt Sheeron Schrika - Kopf einer Konspiration gegen Hanwigurt Sheeron
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1.
Viel zu spät begriff ich, daß ich mich in Bronton Deflar gründlich ge täuscht hatte. Dieser Mann war alles andere als mutig und verläßlich. Der Sohn eines Edelsteinhändlers war ein Feigling und deshalb gefährlich für uns alle sechs. Schon bald nach dem Start von der Folterwelt merkte ich, daß etwas mit ihm nicht stimmte. Seine Haltung, die anfangs einen gewissen Eindruck auf mich gemacht hatte, ließ zusehends nach. Zunächst waren wir alle froh, daß es uns gelungen war, von der Welt des Grauens zu fliehen. Nie mand achtete auf den anderen. Ich hatte nur Augen für Farnathia, der ich deutlich ansehen konnte, daß sie sich mehr und mehr aus dem PsychoBann lösen konnte. Dann wurde es still an Bord. Nachdem die schwierigsten Aufgaben be wältigt waren, und ich das Schiff auch allein beherrschen konnte, machte sich bei den anderen die Erschöpfung bemerkbar. Lord Correson, Tonven Debaaner und Probis Tobanoschol schliefen ein. Farnathia versuchte wach zu bleiben. Sie bemühte sich in rührender Weise um mich, aber dann hielt auch sie sich nicht mehr auf den Beinen. Die Anstrengungen der letzten Tage waren einfach zu groß gewesen. Nur Bronton Deflar schien keine Müdigkeit zu kennen. Er hockte schweigend hinter mir und beobachtete mich. Die Krise kam nach der vierten Transition. Die FARNATHIA, wie ich das Kleinstraumschiff getauft hatte, materia lisierte in einem Teil des Weltraums, der mir völlig unbekannt war. Wäh rend ich mich noch zu orientieren suchte, beugte sich Deflar vor und legte mir die Hand auf die Schulter. »Wo sind wir?« fragte er. Ich antwortete nicht. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich wußte es ebensowenig wie er. Meine Augen brannten. Ich war mir darüber klar, daß ich abgelöst wer den mußte. »Ich will wissen, wohin Sie uns gebracht haben«, sagte er mit einer Stimme, die mich aufmerksam werden ließ. »Haben Sie Geduld«, erwiderte ich. »Ich kann Ihnen bis jetzt noch nichts sagen, aber das ist keine Katastrophe.« »So?« Er rüttelte mich, so daß ich herumfuhr und seine Hand zurück stieß. »Dann sehen Sie sich die Bild- und Ortungsschirme an.« Ich hatte es längst getan. Irgend etwas stimmte nicht – entweder mit mir oder mit meiner Umge bung. Ich konnte nichts mehr klar erkennen, was außerhalb des Schiffes war. Die Sterne wirkten verwischt, als ob ein fettiger Schleier sowohl über den Außensensoren, als auch über der Panzerplassitkuppel des Raumers
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liege. Der Weltraum bot nicht das gewohnte Bild samtener Schwärze, son dern hatte eine eigentümlich rötliche Farbe und wurde von riesigen Schlie ren durchzogen. Niemals zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen. Des halb glaubte ich zunächst, mit mir sei etwas nicht in Ordnung. Mein Logiksektor stellte mit eiskalter Sachlichkeit fest, daß ich mich getäuscht hatte. Diese seltsame Erscheinung hatte nichts mit mir und mei ner Müdigkeit zu tun. Wir wurden mit einer unglaublichen Wirklichkeit konfrontiert. Zugleich wurde mir mit erschreckender Deutlichkeit bewußt, welch ein psychisch instabiles Gebilde unsere kleine Gruppe darstellte. Sie war in keiner Weise den Gefahren gewachsen, die mit etwa halber Lichtge schwindigkeit auf uns zukamen. Bronton Deflar handelte, bevor ich ihn daran hindern konnte. Er zerrte die anderen aus dem Schlaf hoch und schrie sie an. »Seht euch an, was er mit uns macht«, rief er. »Wacht doch auf.« Ich drehte mich zu ihm herum, packte ihn an der Schulter und schleu derte ihn in seinen Sessel zurück. Aber es war schon zu spät. Die anderen Arkoniden waren durch den Lärm wach geworden. Benommen versuchten sie, sich zu orientieren. »Was ist denn überhaupt los?« fragte Probis Tobanoschol ärgerlich. »Warum lassen Sie uns nicht schlafen?« Deflar warf sich nach vorn und schlug mit beiden Fäusten auf mich ein. »Ihr Narren«, brüllte er. »Ihr glaubtet, von der Folterwelt entkommen zu sein, aber jetzt geht es erst richtig los. Seht euch doch nur um.« Er war wie von Sinnen. Jetzt begriff ich wenigstens, was mit ihm los war. Er glaubte, von dem Blinden Sofgart und mir getäuscht worden zu sein, und war unfähig, klar zu denken. Den anderen aber erging es kaum anders. Nur Farnathia wußte, daß sie mir bedingungslos vertrauen durfte. Tonven Debaaner und Probis Tobanoschol ließen mich nicht zu Wort kommen. Sie stürzten sich auf mich und entwaffneten mich. »Nein«, schrie Farnathia voller Entsetzen, als sie sah, daß Tobanoschol den Strahler auf mich richtete und mich töten wollte. »Das dürfen Sie nicht tun.« Ich blickte in Augen, in denen sich die nackte Panik spiegelte. Bronton Deflar hatte diese beiden Männer mitgerissen. Auch sie wußten nicht mehr, was sie taten. Da kam mir von unerwarteter Seite Hilfe. Lord Correson packte entschlossen zu. Mit einem Griff entwand er To banoschol die Strahlwaffe und wich bis in den hintersten Winkel der Kabi ne zurück. Unwillkürlich atmete ich auf, obwohl ich wußte, daß die Gefahr noch
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lange nicht beseitigt war. Im Gegenteil, je mehr Zeit wir hier mit unnützen Streitereien verschwendeten, desto tiefer flogen wir in die Zone hinein, die uns so sehr erschreckt hatte. »Lassen Sie den Unsinn«, befahl ich. »Glauben Sie wirklich, der Blinde Sofgart würde derartige Anstrengungen unternehmen, um so relativ un wichtige Männer wie Sie auf ganz besondere Weise zu foltern? Das hätte er auch auf seiner Welt haben können.« Ich machte eine Pause. Die Männer starrten mich an. In ihren Augen hatte sich nichts verändert. Ich hätte auch gegen eine Wand reden können. Nur Lord Correson machte einen vernünftigeren Eindruck. Ich wußte mittlerweile, daß er ein erklärter Gegner des Orbanaschol-Regimes war. Er hatte mir gesagt, daß er meinen Onkel haßte. Zufällig hatte ich ihn beob achtet, als ich zu Sofgart gesagt hatte, daß ich Atlan, der rechtmäßige ar konidische Thronfolger sei und um mein Recht kämpfen wolle. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte ich erkennen können, daß er voll auf meiner Seite stand. Sein von der Folter gezeichnetes Gesicht hatte förmlich aufgeglüht. Deshalb wußte ich, daß er niemals auf mich schießen würde. »Sie alle haben gehört, daß ich Atlan bin. Versuchen Sie zu denken! Ein Mann wie ich könnte niemals etwas mit dem Blinden Sofgart zu tun ha ben. Mir geht es ebenso um Sicherheit wie Ihnen. Also benehmen Sie sich wie Männer.« »Sie haben es gehört, meine Herren«, sagte Lord Correson 'mit schlep pender Stimme. »Setzen Sie sich bitte, und stören Sie uns nicht.« »Sie sehen doch, wohin er das Schiff geführt hat«, kreischte Bronton Deflar. »Er bringt uns alle um.« Wieder warf er sich auf mich. Er mißachtete die Waffe und packte mich an der Kehle, doch jetzt nahm ich keine Rücksicht mehr, zumal ich wußte, daß ich mit Worten nichts erreichen würde. Meine gestreckten Finger sta chen ihm dicht unter dem rechten Ohr in den Hals. Ich traf das richtige Nervenbündel, und Deflar sank mir seufzend in die Arme. Ich schob den Bewußtlosen auf seinen Sitz zurück. »Bleiben Sie jetzt ruhig«, sagte ich zu den anderen. »Vielleicht geht noch alles gut.« Ich nickte Lord Correson zu und setzte mich wieder hinter die Instru mente. Rasch orientierte ich mich, und dann mußte ich selbst mit der auf steigenden Panik kämpfen. Die Geräte zeigten absolut unsinnige und widersprüchliche Werte an. Nichts stimmte überein mit anderen Anzeigen. »Es könnte die Sogmanton-Barriere sein«, vermutete Lord Correson mit leiser Stimme. Ich wußte sofort, daß er mit seiner Vermutung recht hatte. Es gab keine andere Möglichkeit. Es war die berüchtigte Sogmanton-Barriere, in die wir
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geraten waren. Die Instrumente zeigten stärkste Strukturerschütterungen im Raum-Zeit-Gefüge an, und ein Hypersturm zog herauf. Nur dadurch waren die verrückten Instrumentenanzeigen zu erklären. Die nach ihrem Entdecker benannte Barriere war für ihre Hyperstürme bekannt. Hyperphysiker vermuteten, daß hier eine überdimensionale Be zugsebene mit jener unseres Kontinuums tangierte, so daß es auf beiden Seiten immer wieder zu sogenannten »Einbrüchen« kam. Ich erinnerte mich, davon gehört zu haben, daß stellenweise ein Energieaustausch von Normalenergie und Hyperenergie stattfinden sollte. Dadurch wurden Hy perstürme ausgelöst. Das Zentrum der Sogmanton-Barriere bildete eine Zusammenballung kosmischer Materie. In ihr brodelte und gärte es ständig, weil sich dort die fremdartigen Energieströme am deutlichsten bemerkbar machten. Jetzt wußte ich auch, was die Verfärbung des Alls und die Schlieren zu bedeuten hatten. Mit, blinden Transitionssprüngen hatten wir uns von der Folterwelt entfernt. Jetzt rasten wir genau auf das Zentrum der Sogman ton-Barriere zu. Das Risiko, nach unprogrammierten Transitionssprüngen in einem derartigen Gefahrenherd zu landen, war angesichts der Weite der Galaxis denkbar gering. Wir hatten Pech gehabt, oder das Transitionstrieb werk unseres Kleinstraumschiffes war durch die Hyperstürme beeinflußt worden, so daß wir von den hyperenergetischen Wirbeln förmlich ange saugt worden waren. Die direkten wie die indirekten Sichtverhältnisse wurden immer schlechter. Ich glaubte, die Ballung kosmischen Staubes sehen zu können, in der schon zahllose Raumschiffe und ganze Flottenverbände verschwun den sein sollten. Innerhalb weniger Sekunden erkannte ich die ganze Sachlage. Zugleich bemühte ich mich darum, das Kleinstraumschiff unter Kontrolle zubrin gen. Zunächst erzielte ich auch einigen Erfolg. Das Normaltriebwerk reagier te. Dennoch bekam ich das Schiff nicht voll in den Griff. Es gehorchte meinen Befehlen nicht so, wie ich es wollte. Tonven Debaaner kam zu mir. »Versuchen Sie eine weitere Transition, Atlan«, sagte er, zu mir. »Vielleicht können wir damit entkommen.« Ich blickte ihn an. Sein Gesicht war schweißüberströmt. »Das Triebwerk beschleunigt nicht«, entgegnete ich. »Wir machen nicht genügend Geschwindigkeit für eine Transition. Außerdem müssen wir da mit rechnen, daß wir bei den hier herrschenden Verhältnissen im Hyper raum verschwinden – ohne die Chance für eine Rückkehr.« »Atlan hat recht«, stimmte Lord Correson zu. Wieder und wieder ließ ich meine Finger über die Tasten gleiten, aber
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die angestrebten Erfolge blieben aus. Das Schiff löste sich nicht aus seiner Bahn. Immer wieder versuchte ich, die FARNATHIA herumzuschwenken und das Heck in Fallrichtung zu bringen. Ich hatte die Hoffnung, die Triebwerke dann in Gang bringen zu können. Die Gyros funktionierten zwar, aber sie erzielten keine Wirkung. Jetzt verlor Probis Tobanoschol die Beherrschung. Er sprang auf. »Ich will raus«, schrie er und stieß Lord Correson brutal zur Seite. Überhastet wollte er die Schleusenschotte öffnen, rutschte aus und stürzte. Als er wieder auf die Beine kam, war Correson schon bei ihm und packte ihn. Mit leichten Schlägen auf die Wangen brachte er ihn zur Vernunft. »Draußen haben Sie noch weniger Chancen«, sagte er. »Vielleicht ist der Gedanke gar nicht einmal so abwegig«, bemerkte ich und erhob mich von meinem Sitz, weil es sinnlos geworden war, noch län ger an den Schaltungen herumzuhantieren. »Was willst du damit sagen?« fragte Farnathia, die sofort zu mir kam. Ärgerlich blickte sie mich an. Ich legte ihr den Arm um die Schulter und spürte, daß sie sich augenblicklich beruhigte. »Wir müssen das Schiff herumschwenken und das Triebwerk auf das Zentrum der Barriere richten«, erklärte ich. »Vielleicht können wir es dann doch noch schaffen, uns aus den Wirbeln zu lösen.« »Wie wollen Sie das anstellen?« fragte Correson. »Mit Hilfe der Rückstoßaggregate der Schutzanzüge«, antwortete ich. »Mit einem Gerät allein schaffen Sie es auf gar keinen Fall. Die Schub leistung reicht nicht aus«, sagte Correson. »Das ist mir klar. Ich müßte mehrere Aggregate an einem Anzug an bringen und zusammenschalten. Der Schub könnte genügen.« »Das könnte Ihnen so passen«, rief Bronton Deflar, der wieder zu sich gekommen war. »Sie wollen sich absetzen und dafür unsere Notausrü stung benutzen. Dann haben wir überhaupt keine Chance mehr.« »Reden Sie keinen Unsinn«, entgegnete ich ruhig. Deflar erhob sich und kam auf mich zu. Seine Hände zitterten, und sei ne Augen sahen dunkelrot aus vor Angst. »Er hat uns doch nicht mitgenommen, um uns von der Folterwelt zu ret ten«, schrie er die anderen an. Er mußte sich an die Rückenlehne eines Sit zes klammern, weil das Schiff immer wieder heftig erschüttert wurde. Die Antigravneutralisatoren konnten die Beschleunigungsschwankungen nicht mehr voll ausgleichen. Auch sie wurden durch die überdimensionierte Energie gestört. »Er mußte uns mitnehmen, weil er allein nicht hätte fliehen können«, brüllte er. Seine Stimme überschlug sich immer wieder. »Was mit uns ge schieht, ist ihm völlig egal. Und jetzt handelt er genauso. Er will ausstei
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gen und uns hier zurücklassen. Er ist ein Teufel.« Ich spürte, daß Tonven Debaaner und Probis Tobanoschol unruhig und unsicher wurden. Auf Lord Correson konnte ich mich offenbar verlassen. Der Mann machte einen ausgesprochen beherrschten Eindruck. »Sie können es betrachten, wie Sie wollen«, sagte er. »Wir haben nur diese eine Chance. Natürlich können Sie auch nach draußen gehen, Deflar. Wir binden Sie fest, ebenso wie Atlan es mit sich selbst geplant hatte. Ih nen kann dann nicht viel passieren, wenn Sie sich geschickt anstellen.« Deflar erstarrte. »Ich gehe nicht nach draußen. Ich bin kein Selbstmörder«, erklärte er heftig. »Atlan kann die Arbeit ruhig übernehmen, aber ich stelle ihm dafür mein Rückstoßgerät nicht zur Verfügung.« »Ich schlage vor, daß die Herren abstimmen«, sagte ich, wobei ich ein kleines Lächeln nicht unterdrücken konnte. »Vielleicht werden Sie sich dann einig. Ich nehme an, Farnathia, daß du ohnehin nichts gegen meinen Plan einzuwenden hast – oder irre ich mich?« »Natürlich nicht«, erwiderte sie. Die anderen Männer beachteten den Feigling nicht mehr. Sie öffneten die Ausrüstungsschränke und nahmen ihre Schutzanzüge daraus hervor. Ich legte einen Anzug an, und die anderen befestigten die Rückstoßaggre gate an meinem Gürtel. Lord Correson übernahm es, sie zusammenzu schalten, so daß ich sie alle zünden und steuern konnte. Bronton Deflar kauerte in einem Sessel und schwieg. Mit leeren Augen blickte er auf die Instrumente und die Bildschirme, auf denen jetzt kaum noch etwas zu erkennen war. Wir hatten nicht mehr viel Zeit und arbeiteten in fieberhafter Eile. Wir wußten nicht mehr, wie schnell wir uns bewegten, und wie weit wir noch vom Zentrum der Barriere entfernt waren. Wir hatten die Orientierung ver loren. Endlich war es soweit. Lord Correson begleitete mich in einem Schutzanzug in die Schleuse. Er befestigte die Sicherheitsleine an meinem Gürtel. Voller Spannung warteten wir darauf, daß sich das Außenschott öffnen würde. Es bewegte sich viel zu langsam für unsere Ungeduld. Der Weltraum sah bräunlich-rot und verwaschen aus. Sterne konnte ich nicht mehr erkennen. Ich hatte das Gefühl, in die von Orkanen zerrissene Atmosphäre eines Methanplaneten zu tauchen. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Dann brach plötzlich wieder das Licht einiger Sterne durch das Chaos. »Sie müssen raus, Atlan«, schrie Correson mir zu. Seine Stimme dröhn te in den Helmlautsprechern. Ich gab ihm ein Zeichen mit der Hand, dann hangelte ich mich aus der Schleuse. Sofort packte mich eine unsichtbare Faust und zerrte mich von
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dem Raumschiff weg. Mit aller Kraft klammerte ich mich an die Haltebü gel an der Außenhaut. Dabei hatte ich einige Mühe, meinen Schock zu überwinden. Hier gab es nichts, was mich hätte wegreißen können. Wir befanden uns nicht innerhalb einer Atmosphäre, sondern im Weltraum. Was war das Unsichtbare, das an mir rüttelte? Ich zwang mich, es zu ignorieren. Es mußte eine Erklärung für das Phä nomen geben, aber ich mußte sie nicht unbedingt jetzt finden. Ich hatte ei ne viel wichtigere Aufgabe zu erledigen. Ich blickte zurück und erkannte Lord Correson, der mich beobachtete. Die Sicherheitsleine bildete eine sichelförmige Linie. Eigentlich hätte sie schlaff und lose sein müssen, aber das war sie nicht. Sie spannte sich so scharf, daß ich mich kaum noch halten konnte. »Geben Sie mir mehr Leine«, schrie ich in mein Mikrophon. Ich sah, daß Correson gehorchte. Er schleuderte das ganze Bündel, das noch in der Schleuse lag, hinaus. Sofort straffte sich die Verbindungs schnur, bildete erneut einen Halbkreis und zog noch schärfer. »Ich kann mich nicht mehr halten«, teilte ich Correson mit. »Die Leine reißt mich weg.« »Ich werde sie kappen.« »Nein«, rief ich, aber es war schon zu spät. Sein Energiestrahler blitzte auf, und der Zug ließ nach. Ich fühlte mich frei. Einige Sekunden lang hing ich ausgestreckt am Raumer. Irgend etwas schien an meinen Beinen zu saugen. Ich kletterte vorsichtig weiter. Jetzt konnte ich es mir noch viel weniger als vorher leisten, meinen Halt loszulassen. Eine endlose Zeit verstrich, bis ich das Heck des zehn Schritte langen Schiffes erreichte. Noch immer konnte ich Correson in der Schleuse se hen. Er hob sich deutlich gegen den Deltaflügel ab, der vor der Kammer aus dein Schiffskörper ragte. Er sah verzerrt aus, wie alles andere auch. Der Deltaflügel wies einen deutlichen Knick in der Mitte auf. Ich war si cher, daß er nicht tatsächlich' beschädigt war. Vermutlich unterlag ich nur einer optischen Täuschung. Ich zündete die Rückstoßaggregate zum erstenmal. Der Effekt war ex akt, so, wie ich es vorausberechnet hatte. Deutlich merkte ich, wie das Heck des Kleinstraumschiffes dem Schub nachgab. Lord Correson winkte mir begeistert zu. Sein Arm schien mächtig anzuwachsen. Er wurde fast so lang wie der Flügel des Schiffes. Da wußte ich, daß ich nichts von dem als wahr akzeptieren durfte, was ich sah. Ich befand mich in einer unwirklichen Welt, in der alles anders war. Ich zündete erneut, und abermals konnte ich das Heck herumdrücken. Stimmte das aber auch wirklich? Oder täuschte ich mich? Irgend etwas traf mich an der Hüfte. Ich zuckte zusammen. Der
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Schmerz betäubte mich fast. Unwillkürlich griff ich mit meiner linken Hand zum Gürtel. Lord Correson schrie mir eine Warnung zu. »Nicht loslassen, Atlan!« Ich hörte seine Wort wie aus weiter Ferne, ohne wirklich zu begreifen, was er meinte. Wieder packte mich etwas Unsichtbares. Es zerrte und riß mit einer Kraft an mir, der ich einfach nicht mehr gewachsen war. Ich sah, wie sich meine Hand öffnete, wie sich meine Finger von dem Haltering am Schiff lösten. »Atlan – festhalten!« Es war zu spät. Plötzlich war ich weit von dem kleinen Raumschiff mit den Deltaflü geln entfernt – oder es war auf eine Größe von nur einigen Handlängen zu sammengeschrumpft. Ich wußte es nicht. Alles schien mich überhaupt nichts mehr anzugehen. In meinen Ohren dröhnte die Stimme von Lord Correson, aber ich verstand ihn nicht. Seltsamerweise interessierte mich auch nicht mehr, was er sagte. Die Sogmanton-Barriere hatte mich. Ich wurde zum hilflosen Spielball hyperenergetischer Mächte, die zu nächst nicht nur die technischen Einrichtungen des Schiffes und meines Raumanzugs beeinflußten, sondern auch meinen Verstand. Ich konnte nicht mehr klar denken. Dann aber vernahm ich die Stimme von Farnathia! Sie rüttelte mich auf. Ich sah ihre hellroten Augen und ihr schulterlan ges Silberhaar vor mir. Ihre Lippen schienen mich direkt anzusprechen. »Ich kann dich hören, Farnathia«, sagte ich keuchend. »Ich versuche, zu euch zurückzukommen.« Ich zündete die Rückstoßaggregate und gab Vollschub. Das Raumschiff wurde größer. Ich näherte mich ihm sehr schnell – glaubte ich, bis es plötzlich verschwand. Betroffen drehte ich mich um mich selbst und such te, aber ich fand es nicht wieder. »Farnathia? Wo seid ihr?« schrie ich. »Du bist direkt von uns weggeflogen«, entgegnete sie. Ich warf mich herum und versuchte es in der Richtung, die ich für ent gegengesetzt hielt. Sekundenlang veränderte sich nichts. Ich flog durch unwirkliche Schleier aus leuchtender Energie hindurch, bis ich die Stimme von Lord Correson hörte. »Sie fliegen an uns vorbei, Atlan«, sagte er. »Blicken Sie nach rechts.« Ich folgte seinem Rat, sah jedoch nichts. Daraufhin wandte ich mich zur anderen Seite hinüber, und jetzt entdeckte ich das kleine Raumschiff mit den Deltaflügeln. Ich tat etwas völlig Unsinniges, denn ich beschleunigte in der falschen Richtung. Der Schub hätte mich von dem Raumer wegfüh ren müssen. Tatsächlich brachte er mich näher an ihn heran. Lord Corre
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son und Farnathia standen in der Schleuse. Sie streckten mir ihre Arme entgegen. Je näher ich ihnen jedoch kam, desto geringer wurde die Schubleistung der Geräte an meinem Gürtel. Ich konnte ihre Gesichter durch die transpa renten Helme hindurch deutlich erkennen. Ich sah Farnathias angstvoll ge weitete Augen. »Ich schaffe es nicht«, rief ich keuchend. »Die Aggregate machen nicht mit.« »Beschleunigen Sie stärker«, riet mir Lord Correson. »Mehr geht nicht«, entgegnete ich. Dabei streckte auch ich meine Arme aus. Langsam rückte ich den beiden näher. Bald trennte mich nur noch ei ne Armlänge. Dann plötzlich blitzte es auf. Der gesamte Bereich der Sogmanton-Barrie re schien zu explodieren. Ich fühlte, wie mich etwas traf. Geblendet schloß ich die Augen, aber nur für einen ganz kurzen Moment, denn ich merkte, daß ich ungeheuer beschleunigt wurde. Ich glaubte, in einem Raumschiff ohne Antigravneutralisatoren zu sein. Die Luft blieb mir weg. Es war wieder dunkler geworden, Lord Correson und Farnathia waren verschwunden. Auch der kleine Raumer war nicht mehr da. Ich befand mich irgendwo in der Barriere und wurde von den tobenden Energiewir beln wie ein Spielzeug herumgeschleudert. Für Bruchteile von Sekunden tauchte unmittelbar neben mir ein Raum schiff auf. Es war wenigstens zweihundert Meter lang und sah torpedoför mig aus. Bevor ich schreien konnte, war es schon wieder verschwunden. Ich wußte nicht, ob ich geträumt hatte oder ob es wirklich vorhanden gewesen war. Vielleicht litt mein Verstand unter den überdimensionierten Energien so stark, daß er mir Bilder vorgaukelte, die mit der Gegenwart nichts mehr zu tun hatten.
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2.
Irgendwann verlor ich in diesem Chaos das Bewußtsein. Die Verbindung mit der so unglaublichen Wirklichkeit riß ab, und ich sank ins Dunkel. Als ich wieder zu mir kam, hatte sich nichts verändert. Alles war so, wie es vorher gewesen war. Ich schien inmitten einer gigantischen Wolke zu schweben, in der es keine einheitliche »Windrichtung«, sondern nur ein unbegreifliches Durcheinander verschiedener Ströme gab. Hin und wieder wurde ich von diesen »Winden« erfaßt und mitgerissen, bis ich in Wirbel oder Strudel geriet, die mich abfingen und herumschleuderten. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich war verzweifelt und suchte im mer wieder nach der FARNATHIA. Sie war meine einzige Hoffnung, ob wohl ich mir sagen mußte, daß auch sie verloren war. Sie konnte sich ebensowenig orientieren wie ich. Ich zwang mich zur Ruhe. Offensichtlich war die Gefahr innerhalb der Sogmanton-Barriere nicht ganz so groß, wie wir alle ursprünglich angenommen hatten. Wir hatten befürchtet, innerhalb weniger Sekunden entmaterialisiert und in den Hyperraum geschleudert zu werden. Aber so schnell war der Tod hier nicht. Er ließ sich Zeit – und das sollte uns eigentlich eine gewisse Chance geben. Plötzlich tauchte die FARNATHIA wieder vor mir auf. Sofort beschleu nigte ich mit aller Kraft. Ich holte alles aus den Rückstoßaggregaten her aus, was sie leisten konnten. Wiederum konnte ich mich nur optisch orien tieren, und ich steuerte auf das Ziel zu, das ich sah. Ich triumphierte. Ich hatte mich nicht geirrt. Die FARNATHIA kam ra send schnell näher. Die Schleuse war geschlossen. Das bedeutete, daß Lord Correson und Farnathia sich zurückgezogen hatten. Ich streckte meine Arme aus, als ich die Bordwand greifbar nahe vor mir hatte. Vor Erleichterung schloß ich die Augen. Ich hatte es geschafft. Als ich sie wieder öffnete, sah ich, wie meine Hände in das molekular verdichtete Material der Außenwand eindrangen. Meine Finger stießen ins Nichts. Im nächsten Moment glaubte ich, die einzelnen Atome der Hülle beobachten zu können. Irgend etwas drehte mich sanft herum. Und dann hatte ich den Raumer durchquert. Ich befand mich wieder in den Energie wirbeln. Wo war ich gewesen? War ich bereits in überdimensionierte Bereiche eingedrungen? Ich hörte, daß kosmischer Staub gegen meinen Schutzanzug trieb. Eine akute Gefahr entstand dadurch jedoch nicht für mich, wie mir ein Blick auf die Kontrollen zeigte.
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Vor mir erschien ein Ding, das aussah wie ein riesiges Ei. Ich blickte hinüber und lächelte bitter. Diesmal würde ich mich auf gar keinen Fall täuschen lassen und erneut Energie verschwenden. Ich war entschlossen, geduldig auf meine Chance zu warten, um dann, wenn sie sich mir bot, al les auf eine Karte zu setzen. Das Ei bestand auf der einen Seite aus einem schwarzen Metall und auf der anderen aus einem transparenten Material. Wenn es wirklich war, dann durchmaß es in der Höhe etwa sechs und an der breitesten Stelle etwa vier Schritte. So etwas wie einen Antrieb konnte ich nicht ausmachen. Das be stärkte mich in der Ansicht, daß es sich hier um eine der zahlreichen opti schen Täuschungen handelte, auf die ich auch schon vorher hereingefallen war. Ich rührte die Schaltungen für die Aggregate nicht an, zumal ich ohne hin auf das Ding zutrieb. Stutzig wurde ich, als ich im Innern dieses Gebil des eine Gestalt im Raumanzug entdeckte. Sie strich mit den Händen ruhig über die Oberfläche einer Platte, die außerhalb meines Blickfeldes lag. Da mit dirigierte sie das Schiff. Jetzt wurde mir auch klar, daß ich mich nicht bewegte, sondern daß dieses Ei auf mich zukam. Ich schloß die Augen. Nein, sagte ich mir. Das ist unmöglich. Niemand kann ein Raumschiff in der Sogmanton-Barriere nach seinem Willen lenken. Falsch! signalisierte mein Logiksektor. Ich blickte wieder hin. Das Ding war nur noch eine Körperlänge von mir entfernt. Ich starrte in ein männliches Gesicht. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Der Mann steuerte das Ei um mich herum, als wollte er mich von allen Seiten begaffen. Ich winkte mit den Armen, doch er reagierte nicht. Ärgerlich schaltete ich mein Funkgerät ein. »Was ist los mit Ihnen?« brüllte ich. »Fischen Sie mich endlich auf. Ich kann mich nicht mehr lange halten.« Das Ei stoppte seine Geisterfahrt. Die transparente Seite drehte sich mir zu, und eine Luke öffnete sich. Mit einem vorsichtigen Schub aus den Rückstoßaggregaten brachte ich mich an das Loch heran und klammerte mich an einfache Halterungen. Völlig erschöpft kroch ich in die winzige Schleuse, die dahinter lag. Erst jetzt merkte ich, wieviel Kraft mein Auf enthalt im Raum gekostet hatte. Ich fühlte, wie meine Muskeln vor Schwä che zuckten. Das Schott schloß sich. Ich konnte keine Veränderung feststellen. Der Fremde schien nicht zu beschleunigen. Mir war im Augenblick auch ziemlich egal, was er tat, aber das würde sich natürlich sehr schnell ändern, wenn ich mich ein wenig er holt hatte.
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Die Innentür glitt auf. Ich konnte mich auf richten. Vor mir stand ein großer, breitschultriger Arkonide, der mich spöttisch anblickte. Verblüfft richtete ich mich auf, denn ich hatte nicht damit gerechnet, hier jemanden aus meinem eigenen Volk zu treffen. »Lassen Sie den Schutzanzug in der Schleuse zurück«, befahl er mir. Ich gehorchte. Als ich in den kleinen Kommandoraum kam, saß mein Retter wieder auf seinem Platz. Er hantierte an den Schaltungen auf dem Pult vor sich. Der Weltraum sah klar aus. Die Sterne leuchteten in dem ruhigen und kal ten Licht, das ich kannte. Der Fremde hatte mich aus der Sogmanton-Barrie re herausgeflogen. »Danke«, sagte ich. Er drehte sich um und musterte mich mit leicht verengten Augen. »Es ist ziemlich ungewöhnlich, einen Mann wie Sie und dazu in einer solchen Aufmachung hier zu finden«, erklärte er. »Sie sind über Bord ge sprungen, wie?« »So könnte man es nennen«, erwiderte ich knapp. »Sie sehen mir aber nicht wie ein Feigling aus.« »So? Vielleicht haben Sie recht.« Er lächelte unmerklich und nickte mir zu. »Setzen Sie sich, und halten Sie den Mund. Wir sind bald am Ziel.« Ich ließ mich in einen der gepolsterten Sitze sinken, weniger, weil er es so wollte, als vielmehr, weil ich mich so schwach fühlte. »Ich habe ein Bitte«, sagte ich. »Reden Sie.« »Ganz in der Nähe befindet sich das Raumschiff, das ich verlassen ha be. Es ist die FARNATHIA. An Bord sind vier Arkoniden und ein Mäd chen. Retten Sie sie.« »Später.« Ich fuhr auf. »Wenn Sie nicht sofort handeln, wird es vielleicht kein Später mehr ge ben. Der Antrieb funktioniert nicht. Das Schiff ist hilflos.« »Wie unangenehm für die Besatzung!« »Wer sind Sie?« »Mein Name ist Jepson Tropp, junger Mann. Ich pflege nicht sehr rück sichtsvoll mit Gesprächspartnern umzugehen, die meinen, mir etwas be fehlen zu können.« »Das wird sich sehr schnell ändern«, antwortete ich scharf. Ich erhob mich und ging auf ihn zu. »Ich verlange, daß Sie sofort nach meinen Freunden suchen.« »Tun Sie das«, sagte er.
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Er reizte mich bis aufs Blut. Ich war nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. »Ich habe kein Verständnis für Ihre Haltung, Tropp, und ich werde auch nicht zulassen, daß Sie sich noch weiter von der Barriere entfernen.« »Werden Sie das nicht?« Er blickte mich an und grinste. Ich schlug mit aller Kraft zu, aber meine Faust flog an seinem Kinn vor bei, weil er seinen Kopf zur Seite bog. Der Schwung trieb mich nach vorn. Instinktiv blockte ich meinen Körper mit dem linken Arm ab und konnte so einen Schlag abwehren, mit dem er mich umgeworfen hätte. Ich krallte meine Hände in seinen Kragen und riß ihn aus seinem Sessel hoch. Ineinander verschlungen, stürzten wir zu Boden. Blitzschnell stach ich ihm meine gestreckten Finger in den Hals, doch ich traf das Nerven bündel nicht. Tropp stöhnte nur auf und antwortete mit einem fürchterli chen Hieb in meine Seite. Ich rollte mich von ihm weg und preßte die Ar me gegen den Leib. Ich konnte keine Luft bekommen. Doch da ich wußte, daß er mich jetzt leicht erledigen konnte, richtete ich mich auf und warf mich kopfüber auf ihn. Damit nahm ich seinem erneuten Angriff den vol len Schwung. Er flog mit dem Rücken gegen einen Ausrüstungsschrank. Ich hörte, wie es krachte. Für einen kurzen Moment glaubte ich, eine echte Chance gegen ihn zu haben. Wieder setzte ich einige Griffe an, mit denen ich bis her jeden Gegner überwunden hatte. Doch ich war viel zu geschwächt. Jepson Tropp handelte so schnell, daß ich nichts mehr tun konnte. Be vor ich recht wußte, was geschah, hebelte er mich aus und ließ mich auf sein angewinkeltes Knie fallen. Ich verlor sofort das Bewußtsein. Jepson Tropp blickte mich zynisch grinsend an, als ich wieder zu mir kam. Er rieb sich seine Faust, die vom Kampf gezeichnet war. »Das genügt hoffentlich«, sagte er und reichte mir ein Glas mit einer rötlichen Flüssigkeit. Ich nahm es und trank es mit kleinen Schlucken aus. Ich war wie ausgedörrt. »Sie glauben doch nicht wirklich, daß ich aufgebe?« fragte ich. Er nickte gelassen. »Doch, davon bin ich überzeugt. Ich werde Sie nämlich ohne Rauman zug über Bord werfen, wenn Sie noch einmal einen Ihrer schmutzigen Tricks versuchen. Verstanden?« »Warum wollen Sie die anderen nicht befreien? Warum wollen Sie sie nicht retten?« »Sie interessieren mich nicht.« »Sie sind ein Lump.« »Danke. Ich fühle mich geehrt.« Er wandte sich ab und setzte sich wieder hinter die Kontrollen. Jetzt verspürte ich eine geringe Beschleunigung. Ich richtete mich auf und hatte
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Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Mein ganzer Körper schmerzte. Seine Schläge hatten deutliche Spuren hinterlassen. Langsam ging ich zu dem Sessel, den er mir schon einmal angewiesen hatte. Er brauchte nicht zu merken, wie elend und schwach ich mich fühl te. Meine Knie zitterten, so daß ich fürchtete, erneut zusammenzubrechen. »Was ist dies für ein Ding?« fragte ich. »Wie funktioniert es? Warum können Sie damit in der Sogmanton-Barriere fliegen?« »Das Ei kämpft nicht gegen die energetischen Ströme an, sondern paßt sich ihnen an«, erklärte Tropp überheblich. »Auf diese Weise wird es zum Kinderspiel, hierzu fliegen.« »Die FARNATHIA hätte keine Möglichkeit gehabt, sich den Strömen anzupassen«, erwiderte ich, um ihn daran zu erinnern, was ich von ihm er wartete, doch er ging nicht darauf ein. Er deutete nur schweigend durch die transparente Kuppel nach vorn. Wie aus dem Nichts heraus tauchten plötzlich elf weitere Eier auf, die jeweils mit einem Mann besetzt waren. »Hat jemand von ihnen meine Freunde gerettet?« fragte ich. Er schüttelte den Kopf. »Die Staubeier hatten andere Aufgaben«, erklärte er, als ginge ihn mein Problem überhaupt nichts an. Die merkwürdigen Raumschiffe schlossen sich uns an. Im Verband jag ten wir durch das All, immer am Rande der Staubballung entlang, die ich auf einem der Bildschirme beobachten konnte. »Sie gehören zu den Piraten«, sagte ich, einer plötzlichen Erkenntnis folgend. »Sie sind Aasgeier, die hier an der Sogmanton-Barriere darauf lauern, daß Raumschiffe verunglücken, um sie dann auszuplündern.« »Und Sie sind ein kluger Junge«, erwiderte er spöttisch. »Was Sie nicht alles erraten!« Ich lehnte mich zurück und schloß die Augen. Jetzt verstand ich so ziemlich alles. Jepson Tropp gehörte tatsächlich zu jenen Hyänen, deren Existenz bis jetzt noch nicht eindeutig bewiesen worden war. Nur selten wagten sich Raumschiffe in diesen Bereich der Galaxis, weil man die Ge fahren kannte. Häufiger schien es durch Fehlsteuerungen des Transitions triebwerks zu falschen Raumsprüngen zu kommen. Statt am vorprogram mierten Ziel, strandeten die Raumschiffe in der Sogmanton-Barriere. Und hier warteten Männer wie Tropp auf sie, um Beute machen zu können. Jetzt begriff ich auch, weshalb Tropp nicht auch Farnathia und die ande ren Männer an Bord der FARNATHIA gerettet hatte. Er hätte dann fünf Fremde und ein Mädchen an Bord gehabt. Einen Kampf mit ihnen hätte er kaum überstanden. Daher hatte er von vornherein auf das Risiko verzich tet. Er konnte ja warten, bis die Besatzung des Kleinstraumschiffes tot war. Sollte die FARNATHIA in den Hyperraum geschleudert werden, hat
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te er Pech. Blieb sie innerhalb des Mahlstromes, konnte er sie immer noch
bergen. So gesehen, hatte ich unglaubliches Glück gehabt, daß er mich
aufgenommen hatte.
Der Anblick des Piratennestes überraschte mich.
Ich hatte nicht mit einem solchen Gebilde gerechnet. Die Wegelagerer hatten sich auf einem unregelmäßig geformten Asteroiden niedergelassen. Überall auf der Oberfläche waren bündelweise Raumschiffe und Raum schiffteile befestigt worden. Offenbar hatten die Piraten sie aneinanderge schweißt, so daß teilweise wahre Berge entstanden waren, die weit in den Raum hinausragten. Tropp merkte mir meine Überraschung an. »Einen gewissen Fleiß kann man Ihnen nicht absprechen«, sagte ich. »Es fällt allerhand an«, gab er grinsend zu. »Wir brauchen nur zu war ten. Es gehört ein wenig Geduld dazu, aber dafür haben wir fast immer Er folg. Ständig verunglücken Schiffe in der Barriere.« »Und Sie brauchen nur mit Ihren Staubeiern hineinzufliegen, um sich holen zu können, was Sie haben wollen.« »So ist es.« Ich mußte zugeben, daß ich in gewisser Weise fasziniert war. »Wie gefällt Ihnen Richmonds Schloß?« fragte er mich. Ich beobachtete ihn, wie er das Staubei lenkte, denn ich wollte so schnell wie möglich begreifen, wie man diese seltsamen Schiffe fliegen konnte. »Nicht schlecht«, gab ich widerwillig zu. Er merkte mir an, daß ich nur halb bei der Sache war, und er erriet, wo mit ich wirklich beschäftigt war. Er lachte. »Geben Sie sich keine Mühe. So schnell werden Sie nicht herausbekom men, wie man ein Staubei behandelt. Es hat schon mehr als ein Gefange ner versucht, von Richmonds Schloß zu fliehen – bis jetzt ist es noch kei nem gelungen.« »Irgendeiner ist irgendwann der erste.« Das Ei senkte sich, ohne daß Tropp viel tat, zwischen zwei Raum schiffsberge. Aus zahlreichen transparenten Luken fiel Licht auf uns. Wie von Geisterhand geleitet, schob sich das Staubei an die Schleuse eines Raumschiffs heran, verharrte einige Sekunden davor und flog dann hinein. Der Raumer war nach meiner Schätzung etwa zweihundert Schritte hoch und glich einer stumpfen Rakete. Die Leit- und Stützflossen waren bis auf unwesentliche Reste entfernt worden. Deutlich konnte ich die Spu ren erkennen, die der Staubsturm der Sogmanton-Barriere an der Außen haut hinterlassen hatte. Sie machten mir erst bewußt, wieviel Glück wir im Unglück gehabt hatten, daß wir nicht sofort zermahlen worden waren. Bei diesem Gedanken erschrak ich. Wer sagte mir denn, daß die FAR
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NATHIA nicht gerade jetzt von Gewalten heimgesucht wurde, denen sie nicht mehr gewachsen war? Wer sagte mir denn, daß der Kleinstraumer sich behauptet hatte? Vielleicht war Farnathia schon längst tot. »Bringen Sie mich zu Richmond«, forderte ich. Jepson Tropp lachte schallend. »Zu wem?« fragte er. »Zu Richmond?« »Sicher«, gab ich kühl zurück. »Zu wem sonst?« Er grinste mich an. »Richmond gehört längst der Vergangenheit an, junger Freund«, erklär te er mir. »Unser Stützpunkt ist zwar noch immer nach ihm benannt, aber Richmond existiert nicht mehr. Immerhin habe ich soviel begriffen, daß Sie den Kommandanten sprechen wollen.« »Kluger Junge«, sagte ich spöttisch. Er schüttelte den Kopf. »Heute nicht«, lehnte er ab. Ich wollte ihn am Kragenaufschlag packen, doch er fing meine Hand ab und hielt sie mit eisernem Griff fest. Noch war er mir überlegen, weil ich zu erschöpft war. »Ich bringe Sie um, wenn Sie mich nicht zu Ihrem Oberpiraten führen«, drohte ich, obwohl ich nicht viel machen konnte. Er stieß mich zurück. »Aussteigen«, sagte er. Ich erhob mich und ging durch die offene Schleuse hinaus. Hinter mir schloß sich das Schott des Staubeis. Die inneren Tore des großen Schiffs öffneten sich. Jepson Tropp, den ich durch die transparente Scheibe sehen konnte, bedeutete mir mit einer eindeutigen Geste, daß ich mich beeilen sollte. Plötzlich begriff ich. Wenn ich nicht sofort in die nächste Schleuse überwechselte, war ich verloren. Er wollte starten. Wenn ich nicht ge horchte, würde sich die Kammer nach außen hin öffnen. Die Luft würde ins All entweichen. Ich rannte an dem Ei vorbei, als ich sah, daß die Innenschotte sich schon wieder bewegten. Mit einem Satz sprang ich durch den sich schließenden Spalt. Ich schaffte es nur knapp. Kaum war ich auf dem Boden gelandet, als die Tore krachend aneinanderschlugen. Ich hörte, wie die Luft aus der Nebenkammer entwich. In diesen Momenten beschloß ich, es Jepson Tropp irgendwann zurückzuzahlen. In der Schleuse herrschte ein dämmriges Licht, das von den schlecht strahlenden Platten an der Decke ausging. Ich erhob mich und sah mich um. Dabei wurde mir klar, daß ich in einem Gefängnis war. Zunächst hatte ich ganz selbstverständlich angenommen, daß ich diesen Raum sofort wie der verlassen würde, um in die Hände von Piraten überzugehen, die im In nern des Schiffes hausten. Jetzt erkannte ich, daß ich mich geirrt hatte. Das Innenschott ließ sich nicht mehr bewegen. Es war restlos verrostet. Die
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Kanten waren vom Hashleypilz befallen, der die hochverdichteten Mole küle verändert und miteinander verschmolzen hatte. Hier war nur mit ei nem Desintegrator oder mit einem Thermoschweißgerät weiterzukommen. Ich setzte mich und überlegte. Auf gar keinen Fall wollte ich hier untätig warten, bis es irgend jeman dem in Richmonds Schloß einfiel, mich zu verhören. Ich mußte mich be mühen, so schnell wie möglich Hilfe für die FARNATHIA zu organisie ren. Wie aber sollte ich dieses Verlies aufbrechen? Ich wußte ja noch nicht einmal, ob in dem Raumschiff überhaupt eine atembare Atmosphäre vorhanden war. Suchend blickte ich nach oben, aber ich sah ein, daß ich dort nicht wei terkommen konnte. Die Decke war einfach zu hoch für mich. Ich konnte sie noch nicht einmal mit den Fingerspitzen erreichen. Blieb nur der Bo den, da mir die Seitenwände undurchdringlich zu sein schienen. Ich saß auf einem nicht sehr harten Material, das bräunlichrot aussah und an mehreren Stellen Blasen aufwies. Mit meinem Messer stach ich ei ne von ihnen auf. Darunter lag blankes Metall, also gab es dort auch kei nen Ausweg. Ich wollte mich bereits auf die Decke konzentrieren, um dort vielleicht doch noch .eine Ausbruchsmöglichkeit zu finden, als ich mich daran erinnerte, daß es im Boden einen Zugang für die elektronischen Schaltungen und für Versorgungseinrichtungen geben mußte. Wichtige Kabel- und Rohrleitungen liefen üblicherweise unter den Schleusen zu sammen, weil sie hier im Reparaturfall am besten zugänglich waren. Sollte das hier nicht auch der Fall sein? Der Raumer war schon sehr alt, aber das Prinzip größter Wirtschaftlichkeit sollte bei ihm verfolgt worden sein. Al les andere wäre unlogisch gewesen. Ich schnitt den Bodenbelag auf. Dabei kam ich nur sehr langsam voran, denn er war nur dort weich, wo er Blasen geworfen hatte. Es gelang mir jedoch, nach einiger Zeit eine quadratische Platte herauszutrennen und sie mit dem Messer abzulösen. Darunter zeichneten sich die Verschlußlinien eines runden Deckels deutlich ab. Mühsam entfernte ich das Plastikmateri al aus den Rillen, bis ich endlich die entscheidende Kontaktstelle fand. Ich hörte es unter mir knacken. Die Platte sprang an einer Seite einige Finger breit hoch. Ich griff in den Spalt und klappte sie ganz auf. Darunter lag ein mannshoher Schacht, in dem, wie ich vermutet hatte, zahlreiche Kabelund Rohrverbindungen zusammenliefen. Einige Lampen erhellten ihn. Ich ließ mich mit den Füßen voran hineinsinken und blickte mich um. Es dauerte eine geraume Weile, bis ich das Schott entdeckte, das hinter ganzen Bündeln von Kabeln verborgen lag. Es war nur klein und diente dazu, einige hochkomplizierte Schaltungen von der anderen Seite errei chen zu können.
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Bedenkenlos zerstörte ich die elektronischen Einrichtungen und Schalt stellen, die mich von diesem Ausgang trennten. Dann öffnete ich ihn mit einem Tastendruck und schob mich hindurch. Ich mußte an Fartuloon den ken. Der Bauchaufschneider hätte spätestens an dieser Stelle aufgeben müssen, weil er höchstens seinen Kopf durch dieses kleine Loch gebracht hätte. Meine Befürchtungen, ich könnte in atmosphärelose Bereiche ein dringen, erwiesen sich als übertrieben. Ich befand mich in einem kleinen Raum, in dem zahlreiche elektroni sche Geräte aufbewahrt wurden. Ich durchsuchte die Kammer flüchtig, weil ich hoffte, irgend etwas zu finden, was ich als Waffe benutzen konn te, aber es war nichts dergleichen vorhanden. Ich stieß die Tür auf und trat auf einen matt erhellten Gang hinaus. Er war irgendwann einmal von den Piraten geplündert worden, denn jetzt waren kaum mehr als die nackten Metallwände vorhanden. Auf dem Boden lagen noch Reste eines ehemals kostbaren Belags. Ich bückte mich und zerrieb das Material zwischen den Fingern. Überrascht stellte ich fest, daß es sich um gewachsene Teppiche gehandelt haben mußte, wie sie auf einem unserer Kolonialplaneten vorka men. An den Namen dieser Welt erinnerte ich mich nicht, aber ich wußte, daß dort Pflanzen existierten, die bahnenförmige Blätter entwickelten. Diese sahen wie geknüpft aus und trugen die erstaunlichsten Muster. Die Pflanzer dieses Planeten verstanden es, die Musterentwicklung mit ver schiedenen Strahlenarten zu beeinflussen. Damit erreichten sie, daß kein Teppichblatt dem anderen glich. Auf diese Weise hatten sie einen Export artikel entwickelt, der seinesgleichen in der Galaxis suchte und entspre chend teuer war. Wer mit solchen Teppichen ein ganzes Raumschiff ausle gen konnte, mußte über einen unglaublichen Reichtum verfügen. Die Pira ten hatten mit diesem Schiff eine einmalige Beute gemacht. Allmählich wurde mir klar, daß sich das Geschäft dieser Weltraumhyä nen lohnte. Sie brauchten bei solchen Bedingungen tatsächlich nur darauf zu warten, daß sich Schiffe in der Barriere verfingen. Leichter konnten sie kaum Geld verdienen. Ich eilte auf ein Zwischenschott zu, mittlerweile fest davon überzeugt, daß dieser Raumer bewohnt wurde. Ich konnte es mühelos mit einem Knopfdruck öffnen. Geblendet schloß ich die Augen. Für einen kurzen Moment konnte ich nichts sehen. Das genügte den Männern, die auf mich gewartet hatten, mich zu überwältigen. Sie ergriffen mich und warfen mich zu Boden. »Oh, lauter Helden«, spottete ich und musterte die verwahrlosten Ge sichter über mir. Sie ließen meine Arme los und richteten sich auf. Eher neugierig denn drohend blickten sie mich an. Ich blieb zunächst liegen, wo ich war. Fünf Männer standen um mich herum. Es waren Arkoniden. Sie alle trugen
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Uniformen, die sie wahllos aus Beutegut zusammengestellt hatten. Einer von ihnen war nur mit einer violetten Hose bekleidet. Er hatte sich aller dings ein blaues Fell auf die Brust geklebt, das beide Schultern mit seinen oberen Enden berührte und sich zu den Hüften hin stark verjüngte. Dieser Mann stieß mir seinen nackten Fuß in die Seite. »Stehen Sie auf, Erhabener!« befahl er mit einem sardonischen Grinsen, wobei er sicherlich nicht ahnte, daß mir dieser Titel zustand. Langsam er hob ich mich. Ich befand mich in einem Raum, der einer primitiven Höhle glich. An den Wänden hingen kostbare Felle und edelsteinbesetzte Ketten aus selte nen Metallen. Das Licht kam aus der Decke und dem Boden, ohne daß ei ne genaue Quelle zu bestimmen gewesen wäre. In der Mitte dieser seltsa men Unterkunft brannte ein offenes Feuer. Es wurde von einem Stück Holz gespeist, das viel zu klein für die auffallend große Flamme war. Ein Kind hockte mit untergeschlagenen Beinen davor und blies immer wieder hinein. Es hatte einen unverhältnismäßig großen Kopf mit einem winzigen Babygesicht. Als es die Augen aufschlug und mich anblickte, er schauerte ich, denn es waren nicht die Augen eines Menschen, sondern die eines Insekts. In Tausenden von Facetten spiegelte sich die Flamme.
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Einer der Männer drückte mir die Mündung einer Waffe in den Rücken. Ich hob die Arme und ließ es zu, daß er mich durchsuchte. Er nahm mir das Messer ab. »Viel ist es nicht«, stellte er fest. »Warum kommt nicht einmal jemand zu uns, der sich mit Schmuckstücken behängt hat? Es ist ein jammervolles Leben, das wir führen müssen.« »Niemand zwingt Sie, hier zu bleiben«, sagte ich. Er lachte. »Doch – meine Faulheit, Erhabener.« Ich überlegte. Irgendwie mußte ich mir diese Männer zunutze machen. Ich mußte versuchen, sie für mich zu gewinnen, um dann mit ihrer Hilfe vielleicht doch entfliehen zu können. Vielleicht konnten sie mir auch hel fen, die FARNATHIA zu finden. Der Mann mit dem Fell auf der Brust legte mir die Hand auf die Schul ter. »Setz dich«, sagte er. Ich gehorchte, weil ich es für das beste hielt, nachzugeben. Mir blieb wahrscheinlich noch genügend Zeit, ihnen zu zeigen, daß ich meinen Mann stehen konnte, wenn es darauf ankam. Einige Türen öffneten sich. Bis jetzt waren sie hinter Fellen und Teppichen verborgen gewesen. Män ner und Frauen kamen herein, die ebenso phantasievoll gekleidet waren wie die anderen. Wißbegierig starrten sie mich an. Sie ließen sich auf den Boden sinken und verschränkten die Arme über den Knien. Einige rauch ten. Nur wenige von ihnen waren bewaffnet, und die, die es waren, trugen ausschließlich Kaccem-Strahler, die klein und leistungsschwach waren, aber für Kämpfe auf engstem Raum vollauf ausreichten. Voller Spannung wartete ich auf das, was kommen sollte. Ich ahnte, daß der Junge mit den Facettenaugen etwas damit zu tun hatte, glaubte aber nicht, daß ich mich in einer direkten Gefahr befand. »Wie ist dein Name?« fragte der Knabe plötzlich. Es wurde still im Raum. Alle starrten mich gespannt an. »Mein Name ist Atlan«, antwortete ich ruhig. »Wer ist dein Vater?« »Der Mann, der mich gezeugt hat. Wer sonst?« Ich glaubte, so etwas wie Verblüffung in seinem Gesicht erkennen zu können. Einige der Männer lachten. »Du brauchst mir nicht mehr zu sagen, wer deine Mutter ist«, sagte das Kind. »Ich habe es bereits erraten.« »Das freut mich für dich.«
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Er strich sich mit seinen kleinen Händen über den mächtigen Kopf. Eine blaue Kutte aus einem leichten Stoff umhüllte seinen zerbrechlich wirken den Körper. Er verneigte sich vor mir, wobei er mich unverwandt anstarr te. Sein Lächeln wirkte kalt und drohend. Dieses mutierte Wesen schien über keinerlei menschliche Gefühle zu verfügen. »Erlaubst du, daß wir uns ein wenig auf deine Kosten amüsieren?« frag te der Junge. »Es ist so langweilig bei uns, so daß wir für jede Abwechs lung dankbar sind.« »Bitte«, entgegnete ich knapp, ohne zu ahnen, auf was ich mich da ein gelassen hatte. »Wenn es dir recht ist, werde ich ein wenig über deine Zukunft erzäh len«, fuhr er fort. Ich richtete mich auf und nickte. »Wenn es dir Spaß macht«, sagte ich. »Du solltest aber wissen, daß ich an diesen Unsinn nicht glaube.« »Gib mir deine Hände!« Ich erhob mich und setzte mich so dicht vor ihm nieder, daß ich ihm die Hände reichen konnte. Er ergriff sie, und ich erschauderte abermals, denn seine Haut fühlte sich kalt und feucht an. »Die Sorge um die FARNATHIA bringt dich fast um«, behauptete er. Ich zuckte zusammen. Er konnte nichts von dem Raumschiff wissen, denn ich hatte noch nichts darüber gesagt. »Dann weißt du, worum es mir geht. Tatsächlich denke ich nur noch an die FARNATHIA. Sie hat etwas an Bord, was überaus wertvoll ist. Es fällt mir schwer, euch zu begreifen. Warum habt ihr sie nicht längst gebor gen?« Die unheimlichen Augen starrten mich an. »Das hat Zeit.« »Durchaus nicht. Es sind vier Männer und ein Mädchen an Bord. Für sie ist jeder Augenblick kostbar. Deshalb möchte ich euch ein Geschäft vorschlagen. Wenn ihr sie rettet, dann werde ich euch einen Bergungslohn auszahlen, der sich sehen lassen kann.« »Aber nur, wenn sie noch leben«, sagte er. Ich hörte den Unterton her aus und erschrak. »Selbstverständlich«, erwiderte ich unsicher. »Dann wird es nichts mit dem Lohn. Die vier Männer und das Mädchen sind tot.« Unwillkürlich sprang ich auf. Farnathia, meine Farnathia, lebte nicht mehr! Ich war unfähig, auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. »Das überrascht dich?« fragte er mich. Ich stöhnte. Meine Augen wurden feucht. Ich wollte und mußte allein sein. Inmitten dieser Menge hielt ich es einfach nicht mehr aus. Da begann einer der Männer neben mir zu lachen. Ein anderer ließ sich davon anstecken, und wenig später sah ich nur noch lachende Gesichter um mich herum. Mir dröhnten die Ohren. Am liebsten hätte ich mich auf
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das Kind gestürzt, aber zwei Männer hielten mich an den Armen fest. Ich begriff, daß man sich nur einen Scherz mit mir erlaubt hatte. Sofort schüttelte ich die Männer ab und setzte mich wieder auf den Bo den. Ich zwang mich zur Ruhe. Von jetzt an würde ich nichts mehr glau ben, was auch immer dieser häßliche Mutant sagen würde. Er wollte mich psychischem Terror aussetzen, um sich dann über meine Reaktionen zu amüsieren. »Eine seltsame Art von Humor hast du, mein Junge«, sagte ich kühl. »Immerhin gebe ich zu, daß du mich überrascht hast. Von jetzt an werde ich dich jedoch enttäuschen.« »Du solltest aber wissen, daß die Arkonidin, die du so liebst, gerettet werden wird. Sie wird dir dann allerdings in einer Form gegenüberstehen, die dir wenig gefallen wird.« »Das ist Geschmackssache«, entgegnete ich abweisend. »Du dürftest es schwer haben, derartige Dinge zu beurteilen.« Er errötete leicht, und mir taten meine Worte leid. Ich hatte ihn nicht verletzen wollen. »Nun gut«, fuhr der Mutant fort. »Ich will davon nicht mehr sprechen. Reden wir lieber von deiner fernsten Zukunft. Du wirst älter werden als al le anderen Arkoniden.«. »Mag sein, doch das Gespräch langweilt mich. Können wir uns nicht über interessantere Dinge unterhalten?« »Interessiert es dich nicht, daß du einige Jahrtausende schlafen wirst?« Ich erhob mich und klopfte imaginären Staub von meinen Oberschen keln. »Nein, nicht im geringsten.«. Jetzt war ich fest davon überzeugt, einem Halbirren gegenüberzustehen. Es gab noch keine Technik, mit deren Hilfe man Jahrtausende lebend überstehen konnte. Das Kind schien sich über meine Gleichgültigkeit zu ärgern. »Noch in mehr als zehntausend Jahren wirst du leben und eine der be rühmtesten Persönlichkeiten der Galaxis sein«, rief es mit schriller Stim me. Sein Gesicht verfärbte sich blau-rot. »Im Gegensatz zu dir«, antwortete ich herablassend. »Dich werde ich schon vergessen haben, wenn ich diesen Raum verlassen habe. Gibt es hier auch Männer, mit denen ich mich vernünftig unterhalten kann?« Ein Schott öffnete sich. Jepson Tropp kam herein. »Hier bist du also, Freundchen«, sagte er mit zorniger Stimme. »Ich habe Ihnen meine Freundschaft nicht angeboten, Tropp«, entgeg nete ich scharf. »Kommen Sie mit!« Ich ging an dem Zwerg vorbei auf Tropp zu, als mehrere Männer zu die
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sem kamen und erregt auf ihn einredeten. Er schob sie zurück und sah mich an. »Wer sind Sie?« forschte er. »Atlan ist mein Name«, gab ich gleichgültig zurück. »Mehr erfahren Sie von mir nicht.« Er zeigte mit ausgestecktem Arm an mir vorbei. »Haben Sie nicht gehört, was Axym vorausgesagt hat?« Ich lachte laut auf. »Ja, das habe ich, Tropp. Dieser Narr hat lauter Unsinn von sich gege ben. Man wollte sich über mich amüsieren. Es tut mir leid, daß die Erwar tungen meines Publikums so sehr enttäuscht wurden. Bringen Sie mich weg von hier. Ich habe keine Lust, noch länger bei diesen Verrückten zu bleiben.« Axym ließ den Kopf hängen. Die Flamme war erloschen. Er bot ein Bild des Jammers. »Ich kann mich doch nicht so geirrt haben«, hörte ich ihn flüstern. Er schluchzte leise. Ich ging an Jepson Tropp vorbei auf den Gang, durch den er gekommen war. Auch hier standen zahlreiche phantasievoll gekleidete Männer. Sie al le sahen nicht sehr kraftvoll und entschlossen aus, sondern schienen ir gendwie abhängig zu sein. Ich vermutete, daß sie von dem Knaben mit den Facettenaugen geistig beeinflußt wurden. Das machte sie für mich und meine Pläne untauglich. Als wir ein breites Schott passiert hatten, blieb ich stehen. Wir befanden uns auf einem Gang, dessen Wände mit Farbmagnetfeldern versehen wa ren. Wir schienen mitten zwischen einigen Regenbögen zu schweben, in denen die Farben sich ständig bewegten. Um die Jahrhundertwende waren solch künstlerische Spielereien in großer Mode gewesen. Mit ihnen hatte man versucht, Sterilität und Langeweile von Bord der Raumschiffe zu ver treiben. »Sie müssen mir schon ein Angebot machen«, sagte ich zu Tropp. Er blickte mich an, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt. »Warum?« »Sie wissen, worauf es mir ankommt. Ich bestehe darauf, daß Sie so schnell wie möglich versuchen, die FARNATHIA zu bergen«, erklärte ich. »Solange Sie das nicht tun, werde ich Ihnen Schwierigkeiten machen, wo immer ich nur kann.« Er lächelte überrascht. »Sie scheinen sich über Ihre Lage nicht klar zu sein, Atlan«, erwiderte er. »Sie sind Gefangener und können absolut nichts tun, um mich unter Druck zu setzen.« »Das wird sich zeigen, Tropp.«
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Sein Lächeln verstärkte sich. Er unterschätzte mich. Offenbar übersah er, daß ich bei unserer ersten Auseinandersetzung sehr geschwächt gewesen war. »Sie sind auf einem atmosphärelosen Asteroiden, Atlan. Etwa 10.000 Männer und Frauen leben hier, um auf ihre Art Geld zu verdienen. Glau ben Sie nur nicht, daß Sie auch nur einen Freund unter ihnen finden wer den. Für sie alle sind Sie nur Beute, weiter nichts. Sollte sich für Sie ein bestimmter Wert ergeben, dann werden alle gemeinsam dafür sorgen, daß Sie zum Höchstkurs versilbert werden. Alles andere ist für uns völlig unin teressant. Das sollten Sie allmählich begriffen haben.« »Axym und seine Freunde scheinen das etwas anders zu sehen«, wandte ich ein. »Sie vergessen die Langeweile«, entgegnete er achselzuckend. »Hier passiert nicht viel.« Er gab mir einen Wink. Ich ging vor ihm her durch den farbenprächti gen Gang und überlegte. Irgend etwas mußte ich tun. Von Tropp konnte ich keine Hilfe erwarten, also mußte ich mich an andere Piraten wenden. Sie alle waren nur am Geschäft interessiert. Was aber konnte ich ihnen bieten? Herzlich wenig – oder besser noch, gar nichts. Auf gar keinen Fall konnte ich ihnen meine wahre Identität offenbaren. Hätte ich es getan, hätten sie mich vermutlich sofort an Orbanoschol ver kauft. Damit wäre mein Weg zu Ende gewesen. Ich dachte an den Jungen mit den Facettenaugen. Hatte er wirklich die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, oder wollte er sich nur über mich lustig machen? Gewisse Dinge hatte er gewußt, aber die hatte er natürlich auch von Tropp erfahren können. Vielleicht war in der Zwischenzeit schon ein Bericht über Videophon an alle Piraten ergangen, so daß mittlerweile jeder darüber informiert war, daß die FARNATHIA in der Sogmanton-Barriere gestrandet war. Je mehr ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien mir diese Möglichkeit. Jepson Tropp hatte von Langeweile gesprochen. Mußte nicht jede Neu igkeit diese Öde durchbrechen? Langeweile produziert nur zu leicht auch Aggressionen. Etwas davon hatte ich schon bei Axym zu spüren bekommen. Sollte es aber nicht mög lich sein, daß ich mir aufgestaute Spannungen zunutze machte? Mit Si cherheit gab es Gruppen unter den Piraten, die mit der Führung nicht ein verstanden waren, und die aus dem festgelegten Schema ausbrechen woll ten. 10.000 Piraten konnten keine homogene Gemeinschaft bilden. Das war unmöglich – jedenfalls unter den gegebenen Umständen. Viel schlechter hätte es vermutlich für mich ausgesehen, wenn die Gesetzlosen in ständige Kämpfe verwickelt gewesen wären. Gemeinsame Gefahr hätte sie verbunden. Tatenlosigkeit aber mußte die vielen kleinen Gegensätz
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lichkeiten, die sonst gar nicht auffallen, deutlich sichtbar machen. Als ich unter den Farbenschleiern ein Schott bemerkte, blieb ich abrupt stehen. Tropp wurde völlig überrascht. Er lief gegen mich und mußte sich mit den Händen an mir stützen, um nicht zu stolpern. In diesem Augen blick schlug ich hart zu. Ich traf ihn so, wie ich ihn hätte im Staubei treffen mögen. Er starrte mich mit weiten Augen an und sackte kraftlos zusammen. Ich zog ihm seinen Strahler aus dem Gürtel und schob ihn mir unter die Bluse. Da hörte ich eilige Schritte. Ich fuhr herum. Zwei bewaffnete Männer rannten auf mich zu. Ich preßte die Hand gegen die Kontaktscheibe des Schotts. Es rollte zur Seite, und ich sprang hindurch, während ich meine Hand abermals gegen den Öffnungskontakt legte. So achtete ich kaum darauf, wohin ich geriet. Als ich es sah, war es zu spät. Ich rutschte eine schneeweiße schiefe Ebene hinunter, die mit zahlrei chen Buckeln und Mulden versehen war. Weit unter mir standen farbenprächtig gekleidete Gestalten in einer lan gen Reihe. Sie waren aufmerksam geworden und blickten zu mir hinauf. Vergeblich bemühte ich mich, irgendwo Halt zu finden. Der Boden war zu glatt, und meine Fahrt wurde immer schneller. Ich merkte, daß in den Mul den eine viel geringere Gravitation herrschte als auf den Höckern. So ver suchte ich, öfter über die Senken hinwegzugleiten, aber ich wurde nur noch mehr beschleunigt. Hinter den Männern und Frauen, die mich gelassen erwarteten, erhob sich eine Reihe von Büschen und Bäumen mit schweren, fettigen Blättern. Als ich nahe genug gekommen war, wichen die Piraten zur Seite aus, und ich rutschte mit den Beinen voran in das Unterholz. Mühsam schützte ich meinen Kopf mit Armen und Händen und hoffte, den Sturz einigermaßen heil zu überstehen. Ich sah einen dicken Baumstamm auf mich zukommen und warf mich zur Seite. Dann landete ich in einem Busch, und eine Wol ke von gelben Insekten regnete auf mich herab. Im nächsten Moment spür te ich die Stiche der Blutsauger. Ich kroch, so schnell ich konnte, auf meiner Spur zurück, bis ich die Beine der Piraten vor mir sah. Zugleich vernahm ich die zornige Stimme von Jepson Tropp. »Sie wollen doch wohl nicht behaupten, Trockman Quit, daß dieser Bursche nicht hier ist?« rief er. Eine Baßstimme antwortete ihm. »Verschwinden Sie. Hier ist niemand erschienen.« Durch die Blätter der Büsche und an den Beinen der Piraten vorbei konnte ich Jepson Tropp sehen. Er stand hoch oben auf der weißen Rut
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sche. »Ich weiß genau, daß er hier ist.« Ein nadelfeiner Energiestrahl fuhr lautlos zu Tropp hinauf und schlug knapp neben ihm ein. In der Wand bildete sich ein glühender Fleck, und eine dunkle Rauchwolke stieg zur Decke auf. »Hanwigurt Sheeron wird alles Weitere regeln, Trockman Quit«, brüllte der Mann, dem ich entkommen war, wütend. »Das werden Sie noch bereu en.« Er trat zurück und verschwand durch die Türöffnung, durch die ich auf die schiefe Ebene gesprungen war. Ich wischte mir die lästigen Insekten aus dem Gesicht. »Stehen Sie auf, Fremder, und kommen Sie heraus«, forderte mich die abgrundtiefe Baßstimme auf. Trockman Quit sah ganz anders aus, als ich ihn mir nach dem Klang seiner Stimme vorgestellt hatte. Der dröhnende Baß hatte in mir das Bild eines schwergewichtigen, großen Mannes geweckt. Statt dessen trat ich einem Arkoniden gegenüber, der mir kaum bis zu den Schultern reichte. Quit war klein und mager. Sein Gesicht verriet den Asketen. Das silber ne Haar reichte ihm bis fast zu den Hüften hinunter und wurde im Nacken von vier metallenen Spangen zusammengehalten. Er reichte mir einen Hörknopf und befahl mir, ihn ins Ohr zu stecken. Dann zeigte er auf eine gepanzerte Tür in der Nähe. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, und blieb stehen, wo ich war. Doch damit war er nicht einverstanden. Er machte eine kaum sichtbare Handbewegung. Vier Männer ergriffen mich und schleppten mich auf die Tür zu. Eine Arkoni din öffnete sie, und die Männer warfen mich hindurch. Ich fiel rücklings auf eine Schräge, die jener vollkommen glich, über die ich vorhin gerutscht, war. Wieder begann eine wilde Fahrt in die Tiefe, doch jetzt endete sie bereits nach etwa fünfzig Schritten. Ich wurde von ei nem Buckel hochgeschleudert und flog in hohem Bogen in einen Haufen aus Plastikspänen. »An deiner Stelle würde ich schnell aufstehen, Fremder«, erklang die Grabesstimme von Trockman Quit in meinem Ohr. »Es sei denn, daß du für alle Zeiten so liegenbleiben möchtest.« Ruckartig richtete ich mich auf und blickte mich um. Allmählich klärte sich mein Kopf. Ich befand mich in einer kreisrunden Senke, die einen Durchmesser von etwa siebzig Körperlängen hatte. Nicht weit von mir stand ein Mann, der bis auf einen kleinen Schurz unbekleidet war. Es war ein Arkonide, wie ich an den rötlichen Augen und dem weißen Haar deutlich erkennen konn te. Er sah aus, als habe er sich in seiner Kindheit zuletzt gewaschen – und das war schon eine ganze Weile her.
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Seine Augen wirkten merkwürdig kalt und gläsern. Zunächst erkannte ich nicht, wodurch dieser Eindruck entstand, dann aber sah ich, daß er sei ne Lider praktisch nicht bewegte. Das hätte mir bereits alles über meinen Gegner sagen müssen, aber noch schwieg mein Logiksektor. Bevor ich mich ganz erhoben hatte, griff er an. Er rannte einige Schritte auf mich zu und sprang dann mit ausgestreckten Armen auf mich zu. Blitzschnell rollte ich mich zur Seite. Ich hörte, wie er dumpf neben mir auf den Boden schlug und keuchend atmete. Zögernd, wie mir schien, richtete er sich auf. Ich erwartete ihn mit leicht nach vorn geneigtem Oberkörper und ange winkelten Armen. In dieser Position konnte ich seine nächste Attacke leicht parieren. Wieder schnellte er sich ausgestreckt auf mich zu. Er woll te mich mit seinen Armen umschlingen. Aber ich tänzelte zur Seite und ließ ihn an mir vorüberfliegen. Er stürzte schwer. Sein Kopf wurde nach vorn gerissen und prallte krachend gegen den harten Kunststoffbelag. Unwillkürlich ließ ich die Arme sinken, denn ich erwartete, daß der Kampf bereits vorüber war. Doch der Nackte stand auf, als sei nichts ge wesen, und schritt langsam auf mich zu. Vorsichtig wich ich zurück. Auf einen Standkampf wollte ich mich nicht einlassen, denn ich fürchtete, diesem Mann kräftemäßig nicht ge wachsen zu sein. Da warf er sich mit ausgebreiteten Armen auf mich. Ich konnte ihm nur knapp ausweichen. Mit beiden Händen umfaßte ich sein linkes Handgelenk und schleuderte meinen Gegner mit kräftigem Schwung herum. Er überschlug sich in der Luft und landete auf den Kni en. »Das war gar nicht schlecht, Fremder«, dröhnte die Baßstimme in mei nem Ohr. »Auf diese Weise machst du ihn langsam, aber sicher, wütend.« Ich ließ mich für einen kurzen Moment ablenken, aber das war schon zu lange. Der Nackte federte aus der Hocke hoch, riß mich herum, schob mir beide Hände unter den Armen durch und faltete sie in meinem Nacken. Dann drückte er sofort mit aller Kraft zu, so daß mein Kinn auf die Brust gedrückt wurde, und ich es in mir krachen hörte. Ich blieb nicht lange ge nug für ihn in diesem Griff, weil ich die Arme sofort nach oben streckte und mich fallen ließ, gleichzeitig setzte ich eine Beinschere aus der Schule Fartuloons an und hebelte ihn aus. Er schrie zum erstenmal laut und gellend auf und blieb wie benommen sitzen. Auf allen vieren kroch er auf mich zu und packte meine Beine. Ich ließ es zu, weil ich überzeugt war, dadurch einen Griff ansetzen zu kön nen, der ihn ausschalten würde. Aber ich irrte mich gründlich. Seine Hände umspannten meine Knöchel wie Schraubstöcke, und sie
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schlossen sich immer mehr. Niemals hätte ich eine derartige Kraft bei ihm vermutet. Er versuchte, mir die Knochen zu brechen! Der Schmerz benebelte meine Sinne. Ich beugte mich über ihn und be nutzte den Trick, den ich, bei Fartuloon gelernt hatte. Dann ließ ich mich zur Seite fallen, um ihm die Arme zu verdrehen. Das gelang mir auch. Jeder andere Gegner hätte in dieser Situation vor Pein geschrien, er aber preßte kaum die Lippen zusammen. Der Schraubstock um meine Beine schloß sich immer mehr. Ich stemmte mich mühsam wieder auf die Füße hoch, wobei ich die Beine noch immer überkreuzte, so daß seine Arme verdreht blieben. Dann ließ ich mich schwer auf ihn herabfallen. Auch das genügte noch nicht. Er gab mich einfach nicht frei. Erst als ich mich weit zurücklehnte und ihm mit aller Kraft die Arme über den Kopf zog, lösten sich seine Finger all mählich von meinen Knöcheln. Ich rollte mich von ihm ab. Er blieb liegen und beobachtete mich. In einer Entfernung von mehreren Schritten wollte ich aufstehen, aber die Beine gaben unter mir nach. Meine Füße fühlten sich taub an. In diesem Moment begriff ich, daß ich ihn körperlich nicht besiegen konnte. Kämpfte ich mit einem Arkoniden? Ich wußte es nicht. »Gibst du schon auf, Fremder?« fragte Trockman Quit. Seine Stimme schien direkt in meinem Kopf aufzuklingen. »Wenn du jetzt liegenbleibst, bringt er dich um. Du wärest nicht der erste, den er tötet.« »Wer ist das?« fragte ich. Niemand antwortete mir. Natürlich nicht. Ich konnte nur die Stimme Quits hören, weil ich das Gerät im Ohr hatte, er aber konnte mich nicht verstehen. Das bedeutete, daß ich keine Hilfe erwarten konnte. Ich blickte die Schräge hinauf und erkannte oben Hunderte von Piraten, die auf dem Boden kauerten und zu uns hinabstarrten. Keiner von ihnen würde in den Kampf eingreifen. Sie wollten ein Ergebnis sehen. Sie hielten sich einen Kämpfer und warteten darauf, daß sich ein Geg ner für ihn fand. So gesehen, nahmen sie wahrscheinlich für den Halb nackten Partei, denn wenn er siegte, konnten sie auf weitere Kämpfe hof fen. Gewann ich, brachte ich sie zugleich um ihre beliebteste Unterhal tung. Es konnte sich nicht um einen Androiden handeln. Ein solcher wäre nicht phantasiebegabt genug gewesen. Er hätte die Piraten nicht immer wieder in diese Arena locken können. Ich hockte noch immer auf dem Boden und massierte mir die Knöchel. Allmählich kehrte das Gefühl zurück. Dabei beobachtete ich mein Gegen über. Er näherte sich mir Schritt für Schritt. Seine Mimik verriet, daß er
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nicht recht wußte, was er mit mir anfangen sollte. Zweifellos hatte er es noch nicht erlebt, daß jemand einfach sitzen blieb und auf ihn wartete. Meine Haltung machte ihn unsicher. Seine Taktik wurde mir immer klarer. So wurde ich nicht überrascht, als er plötzlich angriff. Er bemühte sich, sehr schnell zu sein. Dennoch erschienen seine Bewe gungen schleppend. Ich ließ mich zurückfallen. Er prallte gegen meine Beine, die ich ihm entgegenstemmte. Mit einem kräftigen Schwung warf ich ihn über meinen Kopf hinweg. Wieder stürzte er schwer, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich abzurollen oder abzufangen. Schmerzen schien er nicht zu empfinden. Dieses Mal ließ er keine lange Zeit bis zu seinem nächsten Versuch ver streichen. Kaum hatte er sich aufgerichtet, als er auch schon wieder auf mich zulief. Genau in diesem Augenblick erschwerte Trockman Quit die Bedingun gen. Ich fühlte mich mit einem Schlage leichter. Die Schwerkraft sank um mehr als die Hälfte. Eine unbedachte Bewegung genügte, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Mein Gegner wurde schneller mit dem Wechsel fertig. Er schien damit gerechnet zu haben. Er wuchtete seinen Körper kraftvoll gegen mich und schleuderte mich quer durch die Arena. Er um klammerte mich mit beiden Armen. Ich stöhnte auf, als er versuchte, mir den Brustkorb einzudrücken. Was ich auch tat, aus diesem Schraubstock kam ich nicht mehr heraus. Ich versuchte, ihm Schmerzen zuzufügen, merkte aber sehr schnell, wie sinnlos das war. Er reagierte nicht darauf. Ich hörte ihn an meinem Ohr stöhnen. Er gab unartikulierte Laute von sich. Wie ein Blitz durchfuhr es mich. »Weder Androide, noch Mensch«, signalisierte mein Logiksektor. »Die Wahrheit liegt in der Mitte.« Das mußte es sein! Mein Gegner war ein Arkonide, dessen Körper fast vollständig durch einen Androidenkörper ersetzt worden war. Er beherrschte ihn nicht voll kommen, und die Innervation funktionierte nicht einwandfrei. Daher die manchmal so schleppenden und zögernden Bewegungen. Deshalb verspür te er auch keinen Schmerz. Seine Wahrnehmung war gestört. Ihm blieben nur zwei Möglichkeiten, sich zu orientieren – die LinsenAugen und das Gehör. Ich schlang meinen Arm mit letzter Kraft um seinen Kopf, so daß er beide Ohren bedeckte und preßte ihm eine Hand über die gläsernen Au gen. Die Reaktion kam sofort. Der grauenhafte Druck auf meinen Oberkörper ließ nach. Mein Gegner
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erstarrte förmlich. Er schien zu horchen und sich voll auf die Signale zu konzentrieren, die ihn über seine Umwelt errichteten. Ich wußte nicht, was von seinem ursprünglichen Körper übriggeblieben war. Vielleicht war es nicht sehr viel mehr als sein Gehirn gewesen. Jetzt ahnte ich, wie es in ihm zuging, denn ich erinnerte mich an Experimente, die die Mediziner unternommen hatten. Als sie menschliche Gehirne von allen Kommunikationsmöglichkeiten abgeschlossen hatten, waren diese wahnsinnig geworden, weil sie mit der absoluten Einsamkeit nicht fertig werden konnten. Mein Gegner war längst nicht mehr das, was man als normal bezeichnen konnte. Er lebte an der Grenze zwischen Wahnsinn und Vernunft. Plötzlich gab er mich frei. Er riß und zerrte an meinen Armen, bis Au gen und Ohren unbedeckt waren. Laut stöhnend wich er vor mir zurück, wandte sich um und floh auf eine Öffnung auf der anderen Seite der Arena zu. Trockman Quit war nicht damit einverstanden, daß der Kampf auf diese Weise endete. Er erhöhte schlagartig die Gravitation. Ich wurde davon ebenso überrascht wie mein Gegner. Während er aber mitten im Sprung erfaßt wurde und schwer zu Boden stürzte, ließ ich mich nur auf die Knie sinken. Ich schätzte, daß Quit auf wenigstens 3 g hochgeschraubt hatte. Der Nackte stemmte sich hoch und . kroch auf allen vieren davon. Ich blickte ihm nach, bis er durch die Öffnung verschwunden war.
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4.
Die Szenerie veränderte sich in bemerkenswerter Weise. Man schien mich vergessen zu haben. Während ich unten in der Arena lag und versuchte, mit den hohen Gravitationswerten fertig zu werden, zo gen die meisten Zuschauer ab. Einige Paare aber legten sich in die Mulden auf der Schräge. Ich sah, wie sich schwarze Energiefelder aufbauten, die sie glockenförmig umhüllten, so daß sie vollkommen darunter verschwan den. Einige Male kroch ich zum Rand der Arena. Dabei hoffte ich, in Berei che zu kommen, in denen eine geringere Schwerkraft herrschte. Jedesmal stieß ich gegen unsichtbare Prallfelder, die mich zurückhielten. Schließlich beschloß ich, mich ganz ruhig zu verhalten. Wenn es Trock man Quit Spaß machte, mich so zu quälen, dann wollte ich ihm das Ver gnügen lassen. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verstrich, bis der Mann mit der abgrundtie fen Stimme endlich vor mir erschien. Seine Stimme klang in mir auf. »Du bist ein zäher Bursche«, sagte er. Ich hob den Kopf. Er stand nur einige Schritte von mir entfernt. In den Händen hielt er einen Schaltkasten. Jetzt berührte er einige Tasten. Die Last wich von mir. Ich fühlte mich leichter und konnte mich aufrichten. Doch dann merkte ich, daß die Gravitationsfolter Kraft gekostet hatte. Die Beine drohten unter mir wegzusacken. Er beobachtete mich, als ich die Arena verließ und mich auf einen der Buckel setzte. Viel länger hätte ich mich nicht halten können. »Wie bist du drauf gekommen?« Ich machte eine unbestimmte Bewegung mit der rechten Hand. »Es war nicht schwer.« Er kam zu mir und setzte sich ebenfalls. Dabei deutete er auf eines der schwarzen Energiefelder. »Willst du schwärzen? Ich habe hübsche Mädchen für dich.« »Schwärzen?« Dann begriff ich. Er wollte wissen, ob ich mich mit einer Piratin unter einer schwarzen Glocke amüsieren wollte. Ich schüttelte den Kopf. »Dafür habe ich keine Zeit«, erwiderte ich. »Keine Zeit? Das sind seltsame Worte für einen Mann wie dich.« »Da draußen kämpft ein kleines Raumschiff. Ich meine die FARNA THIA«, erklärte ich. »An Bord befinden sich noch vier Männer und ein Mädchen.« »Ist sie hübsch?« fragte er. »Willst du mit ihr schwärzen?« »Ich will, daß sie gerettet wird«, entgegnete ich heftig. »Ich will, daß ihr
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sie endlich aus der Sogmanton-Barriere herausholt.« Er gähnte gelangweilt. »Es gibt so viele Mädchen«, sagte er. »Was regst du dich über dieses ei ne auf?« »Kannst du mir ein Staubei besorgen?« fragte ich. Er schüttelte den Kopf. »Was hätte ich davon?« erkundigte er sich. »Das brächte nur Ärger ein. Ich kann nichts machen, solange Hanwigurt Sheeron nicht will.« »Wer ist Hanwigurt Sheeron?« »Er bestimmt, was hier geschieht«, antwortete Trockman Quit bereit willig. »Bringe mich zu ihm«, forderte ich. Er schwieg und starrte mich forschend an. Was wollte er von mir? Ir gend etwas plante er. Das war mir klar. »Du bist gut mit ihm fertig geworden«, sagte er plötzlich. »Ich sagte schon, daß es nicht schwer war.« »Vor dir hat es noch keiner geschafft«, eröffnete er mir. »Du bist der er ste. Alle anderen hat er getötet.« »Wie kurzweilig für euch.« Er nickte und tat, als habe er die Ironie in meinen Worten überhört. »Wer ist er?« fragte ich. »Er gehörte zu den Wissenschaftlern, die ursprünglich hier gearbeitet haben«, entgegnete er. »Man wollte die Sogmanton-Barriere erforschen. Bei einem der zahlreichen Unglücksfälle wurde er schwer verletzt. Bis auf das Gehirn, das Rückenmark und einige innere Organe mußte alles durch kybernetische Geräte und robotische Prothesen ersetzt werden. Er wurde damit nicht fertig.« Trockman Quit tippte sich mit bezeichnender Geste an die Stirn. Ich wartete. Ich mußte wissen, was er von mir wollte. Er starrte mich an. »Wir könnten einen Mann wie dich gebrauchen«, sagte er. Ich wich seinen Blicken nicht aus. Endlich ließ er ein wenig mehr von seinen Absichten erkennen. »Ich eigne mich nicht als Wegelagerer«, erwiderte ich schroff. Er tat, als habe er die Beleidigung nicht gehört. Nach wie vor blickte er mich an, als wolle er meine Gedanken erraten. Ich begann zu ahnen, daß dieser Mann noch viel gefährlicher war, als ich zunächst angenommen hat te. Wenn er sich in diesem Sektor des Piratennestes durchgesetzt hatte, dann sicherlich nicht auf Grund körperlicher Kräfte. Dazu war er zu klein und zu schmächtig. »Wir könnten über das Mädchen und das Schiff reden«, sagte er. Er gab mir einen Wink. »Komm mit.«
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Er ging auf die Öffnung zu, durch die der Nackte geflohen war. Ich folgte ihm und geriet auf einen Gang, der so schmal war, daß wir nur hin tereinander gehen konnten. Die Wände bestanden aus einem rötlichen Ma terial, das aus sich selbst heraus leuchtete. Quit schwieg. Er eilte mir vor aus und blickte sich nicht ein einziges Mal um, um sich davon zu überzeu gen, daß ich auch bei ihm blieb. Schon nach wenigen Schritten erreichten wir einen Saal, in dem etwa zwanzig Männer und Frauen arbeiteten. Fast alle Männer trugen nur Ho sen. Den nackten Oberkörper zierten Ketten aus edlen Metallen und Stei nen. Quit führte mich zu einem wandhohen Bildschirm, auf dem ich zu nächst nur ein chaotisches Durcheinander von Linien und farbigen Flächen erkennen konnte. »Das ist die Sogmanton-Barriere«, erläuterte er, stellte sich auf die Ze henspitzen und drückte seine Finger gegen einen leuchtenden Punkt. »Das ist das Schiff mit dem Mädchen.« Er fuhr mit der Hand an einem rötlich schimmernden Bogen entlang, der von gelben und blauen Wirbeln durch ein pulsierendes weißes Band getrennt war. »Wie du siehst, treibt der Raumer in den Spiralfeldern. Er ist weit von dem hyperenergetischen Einbruch entfernt, von dem an tatsächlich die Ge fahr besteht, daß er in den Hyperraum geschleudert wird. Dort wäre alles aus.« Ich kreuzte die Arme vor der Brust und schwieg. Angestrengt verfolgte ich seine Erklärungen und bemühte mich dabei, die Zusammenhänge zu begreifen. Je länger er sprach, desto deutlicher wurde mir alles. Schließ lich gelang es mir, wichtige Einzelheiten aus dem Ortungsschirm heraus zulesen. Wenn alles stimmte, was Quit mir erzählt hatte, dann bestand im Augenblick tatsächlich keine akute Gefahr für die FARNATHIA. Das be deutete aber nicht, daß sich in den nächsten Stunden nichts ändern würde. »Also gut«, sagte ich. »Die FARNATHIA hält es noch einige Zeit aus. Dennoch müssen wir etwas tun.« »Das ist richtig«, gab er zu. »Aber was wir unternehmen, das hängt al lein von dir ab.« »Warum?« »Ich sagte es doch schon: Wir könnten einen Mann wie dich brauchen.« »Wozu?« Er grinste, gab mir einen Wink und ging auf ein Schott zu. Wieder folg te ich ihm. Flüsternd sprach er mit einem bewaffneten Mann, der vor dem Ausgang stand, und führte mich danach in einen Raum, der mit Beute stücken bis unter die Decke vollgestopft war. Zwischen aufgestapelten po sitronischen Geräten setzten wir uns auf Bündel von exotischen Fellen. »Ich habe gerade erfahren, daß Hanwigurt Sheeron dich suchen läßt.
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Jepson Tropp ist einem Tobsuchtsanfall nahe. Meine Leute glauben, daß er dich auf der Stelle umbringt, wenn er dich findet.« Ich tat, als interessiere mich die Nachricht nicht. Sie war auch nicht überraschend für mich, denn für mich war selbstverständlich, daß Tropp versuchen würde, mich wieder einzufangen. Ich wartete. »Sheeron und Tropp haben eigenartige Methoden«, fuhr Quit fort. »Sie gefallen uns nicht immer.« »Dann ändert sie ab.« »Das ist eine Möglichkeit, die wir uns ständig überlegen.« Ich begriff. »Ihr seid mit dem Verteilungsmodus der Beute nicht mehr einverstan den. Ihr würdet es begrüßen, wenn Sheeron und Tropp verschwänden. Ist es so?« Seine Augen verrieten mir, daß ich recht hatte. »Und jetzt wollt ihr ihn umbringen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das auf gar keinen Fall. Damit würden wir alle anderen auf Rich monds Schloß gegen uns aufbringen. Sheeron muß verschwinden, aber er muß überleben.« Er räumte einige Boxen mit Filmmaterial zur Seite und zapfte zwei Becher Tee aus dem dahinter verborgenen Automaten ab. Er bot mir das grünliche Getränk an. »Es schmeckt gut.« Ich trank und mußte ihm recht geben. »Außerdem wäre es praktisch unmöglich, ihn umzubringen. Sheeron wird ständig von seiner Leibwache umgeben. Niemand kommt an ihn her an, wenn er bewaffnet ist.« Ich stellte das Gefäß mit dem Tee ab. »Es geht also um ein Geschäft«, sagte ich. »Helfe ich euch, dann bergt ihr die FARNATHIA.« »Jetzt hast du es begriffen.« »Wann wollt ihr losschlagen?« »So bald wie möglich. Wenn alles vorbereitet ist und die Lage sich so entwickelt, wie ich annehme, dann werden wir Sheeron im Anschluß an diese Schlafperiode in ein Schiff setzen und verjagen.« »Und warum ich? Warum muß es ein Fremder sein, der deinen Plan durchsetzt?« »Ich habe mich nicht in dir getäuscht«, sagte er anerkennend. »Du hast tatsächlich erfaßt, um was es geht. Es muß ein Fremder sein, weil ein an derer nicht nahe genug an ihn herankommt. Dich aber werden sie früher oder später zu Sheeron bringen. Er wird dich verhören wollen. Er ist Tele path und wird alles aus dir herausholen, was er wissen will. Er kann das. Deshalb ist er ja zum ersten Mann gewählt worden.« Er verzog das Gesicht und blickte mich bezeichnend an. Er wollte mir damit zu verstehen geben, daß er von der Wahl, die stattgefunden hatte,
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überhaupt nichts hielt. Vermutlich hatte Sheerons Clique das Ergebnis zu seinen Gunsten verändert. Ich trank den Tee aus und stellte den Becher weg. »Wenn er wirklich Telepath ist, kann ich auch nichts ausrichten.« »Oh, doch, Freund. Sehr viel sogar. Jeder Gefangene, der zu Sheeron geführt wird, ist unruhig und nervös. Jeder denkt an Flucht oder daran, durch einen Gewaltstreich seine Position zu verbessern. Sheeron weiß das, und es stört ihn nicht, weil kein Gefangener wirklich etwas gegen ihn un ternehmen kann. Seine Roboter schützen ihn sicher.« »Du bist ein Narr, Trockman Quit. Auch ich kann nichts tun.« »Sehr viel sogar, Atlan.« Ich hatte ihm meinen Namen noch nicht genannt. Daß er ihn kannte, be stärkte mich in der Ansicht, daß er schon über mich informiert gewesen war, bevor ich in den Kampf mit dem Nackten verwickelt wurde. Wahr scheinlich hatte sich die Nachricht über den neuen Gefangenen blitz schnell verbreitet. »Hanwigurt Sheeron hält sich für sehr schlau. Dieser ewig schwitzende Fettwanst ist nicht nur eitel, arrogant und habsüchtig, sondern auch raffi niert. Er kann seine gesamte Robotergarde von einer Spezialschaltung aus steuern, die er am Gürtel trägt. Wenn jemand diese Einrichtung zerstören kann, erledigt er sämtliche Roboter mit einem Schlage. Und das wird dei ne Aufgabe sein.« Er rieb sich die Hände. »Bei jedem von uns rechnet er damit, daß er so etwas versucht. Ein Fremder aber kann davon nichts wissen.« In diesem Moment sank die Schwerkraft auf dem Asteroiden auf nahezu null g. Trockman Quit machte eine unbedachte Bewegung und schwebte zur Decke empor. Eine krachende Explosion erschütterte das Schiffssegment, in dem wir uns befanden. Trockman Quit begann zu fluchen. Er stieß sich von der Wand ab und flog mit ausgestreckten Armen zur Tür hinüber. Mit seinen Bewegungen brachte er die Dinge durcheinander, die bisher noch herumgelegen hatten. Jetzt wirbelten Becher, Decken, eine Jacke, Schreibwerkzeug, eine Fla sche, Stiefel und ein Visiphon durch den Raum. Ich folgte Quit so schnell ich konnte. Wir zogen uns durch das offene Schott auf den Gang hinaus und prall ten mit zwei Männern zusammen, die in dicke Pelz Jacken gekleidet wa ren. Sie trugen Kampfhelme mit geschlossenen Schutzscheiben. In den Händen hielten sie armlange Elektropeitschen, mit denen sie sofort auf uns einschlugen. Ich wurde am Hals getroffen und schrie unwillkürlich vor Schmerz auf.
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Der Schock erfaßte meinen ganzen Körper, und meine Muskeln ver krampften sich. Für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Instinktiv hob ich die Arme und konnte so den nächsten Schlag abwehren. Der Stock prallte gegen meinen Ellenbogen, und ich glaubte, meine Kno chen müßten zersplittern. Dann stieß ich meine Faust blind nach vorn. Sie bohrte sich tief in wei chen Pelz und traf auf etwas Hartes. Ich setzte nach und ließ die andere Faust folgen. Das verschaffte mir etwas Luft. Meine Blicke klärten sich. Ich sah, daß der andere Mann Trockman Quit vollkommen in seiner Ge walt hatte. Er trieb ihn vor sich her und stieß ihm die blitzende Kontakt scheibe der Peitsche auf die unbedeckten Körperstellen. Quit konnte schon gar nicht mehr schreien. Sein Gesicht hatte sich bläulich verfärbt, und die Augen quollen ihm weit aus den Höhlen. Der Anblick dieses gequälten Menschen brachte mich zur Raserei. Ich wich einem Stoß aus, der gegen mein Gesicht geführt wurde, und griff er neut an, wobei ich mich kraftvoll von der Decke abstieß. Ich flog auf meinen Kontrahenten zu, packte sein Handgelenk und ver suchte, ihm die Waffe zu entreißen. Aber das erwies sich als unmöglich, weil der Stock, wie ich jetzt sah, in einer Art Spange auslief, die sich um sein Handgelenk spannte. Mit einem Fußtritt schleuderte mich mein Gegner weg. Ich überschlug mich mehrfach und mußte mich ganz darauf konzentrieren, Halt zu finden. Diesen Moment nutzte der andere. Er gab mir die Elektropeitsche erneut zu spüren. Ich tat, als hätte ich das Bewußtsein verloren, um einen weiteren An griff herauszufordern. Der andere fiel auf das Täuschungsmanöver herein und kam. Ich setzte einen Schulterangriff an, den ich bei Fartuloon gelernt hatte, drehte meinen Gegner über mich hinweg und riß ihm beide Arme auf den Rücken. Ich hörte seine Gelenke krachen, mußte seine Abwehr niederkämpfen und hebelte die Arme dann so hoch, daß er jeden Wider stand aufgab und mich nur noch anflehte, ihm die Knochen nicht zu bre chen. Das war durchaus nicht meine Absicht. Ich hielt ihn mit der Hand, nahm mit der anderen die Peitsche und setzte ihm die Kontaktplatte ins Genick. Er ruckte so stark, daß er mir fast aus den Händen gerissen wurde. Sein Körper verkrampfte sich und wurde steinhart. Ich wiederholte die Prozedur einige Male hintereinander, bis er das Be wußtsein verlor. Dann stieß ich ihn weg. Er flog durch den Gang davon und überschlug sich immer wieder. Ich wandte mich dem anderen Mann zu und sah, daß er mich bereits er
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wartete. »Komm her, Junge«, sagte er. »Dich haben wir gesucht. Und hier sind wir. Hanwigurt Sheeron möchte dich sehen.« »Aber ich habe wenig Lust, ihn zu sehen«, erwiderte ich. Dabei klam merte ich mich an eine Leiste, die unter der Decke entlanglief. Hinter dem Mann hing Quit regungslos in der Luft. Er streckte Arme und Beine weit von sich und drehte sich langsam um sich selbst. Ich sah, daß sich die Farbe seines Gesichtes weitgehend normalisiert hatte. Nur auf der Stirn und den Wangen trug er die rot flammenden Spuren der Elektro folter. »Mir ist das egal«, sagte der Helfer Sheerons. Er trug einen rötlichen Pelz mit zahlreichen blauen Punkten. Sein schwarzer Bart wucherte unter dem geschlossenen Helm hervor. Durch die spiegelnde Sichtscheibe konn te ich sein Gesicht nur vage erkennen. Wieder wurde das Schiff von einigen Explosionen erschüttert. »Es hat keinen Sinn, sich gegen Sheeron aufzulehnen«, sagte der Bärti ge. Seine Stimme kam klar und gut verständlich über die Außenlautspre cher seines Kampfhelmes. »Wir gehören zu seiner Truppe, und wir verfah ren mit allen so wie mit Trockman Quit, wenn sie glauben, gegen Shee rons Interessen handeln zu können. Quit wird sein Wohnschiff verlieren. Wenn wir uns zurückziehen, bleibt nur noch ein Trümmerhaufen übrig. Er wird sich woanders einquartieren müssen, aber das wird nicht leicht sein. Niemand läßt sich gern mit einem Rebellen ein, der von Sheeron bestraft wurde. Also … was ist? Willst du etwas mit einem geschlagenen Mann zu tun haben?« »Rede nicht soviel«, erwiderte ich. »Komm her und hol dir deine Prügel ab.« Er fluchte, stieß sich von der Wand ab und schwebte langsam auf mich zu. Dabei streckte er die Arme weit vor. Ich sah die Kontaktplatte der Peit sche auf mich zukommen. Er rechnete damit, daß ich den Stock ergreifen würde, aber ich tat ihm diesen Gefallen nicht. Ich wich zur Seite aus, stieß seinen Arm weg und kippte vornüber. Mit aller Kraft rammte ich ihm den Fuß gegen die Sichtscheibe seines Kampfhelms. Ich konnte sie damit nicht zerstören, aber ich erschütterte ihn bis in die Zehenspitzen hinein. Jetzt brauchte ich ihm nur noch den Kopf zur Seite zu biegen, so daß der Hals frei wurde. Dann stieß ich ihm die gestreckten Finger unter das Ohr. Er erschlaffte in meinen Armen. Ein weißer Gegenstand zischte an mir vorbei. Ich drehte mich herum und bemerkte ähnlich gekleidete Männer, die sich mir näherten. Noch waren sie über dreißig Schritte von mir entfernt, aber sie bewegten sich sehr schnell. In den Fäusten trugen sie ebenfalls
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Elektropeitschen. Einer von ihnen öffnete ein Seitenschott, als sie daran vorbeikamen. Ein anderer warf einen runden Körper hinein. Die Tür schloß sich, wurde dann aber von einer Explosion zerschlagen. Ich sah, wie ein ganzer Schauer von messerscharfen Splittern gegen die Wände prallte. Ich krallte meine linke Hand um den Kragen von Trockman Quit und hangelte mich an der Wand entlang. Dabei wurde ich immer schneller, so daß der Abstand zwischen mir und den Verfolgern nicht geringer wurde. An dem bewußtlosen Gegner vorbei kamen wir an ein Zwischenschott. Ich drückte die Kontaktplatte und wartete, daß die Lamellen zur .Seite glitten. Da bemerkte ich, daß Sheerons Männer eine Bombe auf uns warfen. Quit regte sich. Er wurde wach, begriff aber noch nicht, was geschah. Das Schott rollte zur Seite. Ich ließ die Bombe an uns vorbeifliegen. Sie bewegte sich quälend langsam. Auf der anderen Seite des Schotts hielt sich niemand auf. Ich preßte meine Hand gegen die Kontaktplatte und wartete. Die Türplatten schienen sich nicht bewegen zu wollen, und die Zeit schien still zu stehen. Unendlich langsam schloß sich der Türspalt. Dann erfolgte die Explosi on. Der Luftdruck stieg schlagartig an. Trockman Quit stöhnte laut auf. Ich achtete nur auf das Schott. Es hielt stand, aber damit war die Gefahr für uns nicht behoben. Die Häscher Hanwigurt Sheerons kamen schnell näher. Es waren sechs Männer. Zu viele also. Da fuhr Quit mit der Hand über die Wand neben uns. Ich glaubte, mei nen Augen nicht trauen zu dürfen, als sich eine Platte zur Seite schob. Da hinter lag eine Röhre, die einen Durchmesser von etwa einer Körperlänge hatte. »Schnell«, sagte Quit ächzend. »Du zuerst.« Ich packte ihn wortlos und stieß ihn hinein. Dann kroch ich hinterher. Ich hörte das wütende Gebrüll unserer Verfolger. Quit schob sich an mir vorbei, strich mit der Hand über scheinbar völlig glattes Metall neben der Öffnung, und die Platte schob sich wieder in ihre alte Lage. »Das war's«, sagte er stöhnend und fiel erneut in Ohnmacht. Mir war klar, daß wir hier auf gar keinen Fall bleiben durften. Sheerons Männer würden das Hindernis, das uns jetzt noch schützte, früher oder später beseitigen können. Erst jetzt fragte ich mich, ob mein Entschluß, zu Quit zu stehen, wirk lich richtig gewesen war. Ich hatte nicht anders handeln können. Von Hanwigurt Sheeron wußte ich, daß er nicht daran dachte, die FARNATHIA jetzt schon zu bergen. Vielleicht würde er es später tun, wenn die Besatzung nicht mehr lebte, und seine Leute nicht zu fürchten brauchten, von ihr angegriffen zu wer
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den. Ein anderes Motiv für sein Zögern konnte es eigentlich nicht geben. Dabei mußte er doch wissen, daß die Besatzung der FARNATHIA völ lig verzweifelt war. Sie würde sich auf gar keinen Fall wehren, sondern je de Hilfe sofort annehmen. Etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig. Ich dachte an Farnathia. Ich mußte etwas für sie tun. Nur schnelle Hilfe konnte sie davor bewah ren, in der Barriere zu sterben. Ein leichter Sog erfaßte mich und Trockman Quit. Ich hielt ihn fest. Zu gleich blickte ich mich um. Das Ende der Röhre konnte ich nicht erken nen. Es schien sich um einen geheimen Antigrav-Schacht zu handeln, der quer durch den ganzen Asteroiden führte. Zunächst hatte ich das Gefühl, daß er waagerecht verlief, je mehr aber der Zug zunahm, desto mehr schi en die Röhre zu kippen, bis ich schließlich glaubte, senkrecht in die Tiefe zu stürzen. »Trockman!« schrie ich dem Bewußtlosen ins Ohr. Es mußte doch eine Möglichkeit geben, diese unheimliche Fahrt zu stoppen. Irgend etwas stimmte nicht mit diesem Lift. Wir wurden viel zu stark beschleunigt. Der Pirat rührte sich auch dann noch nicht, als ich versuchte, ihn mit leichten Ohrfeigen wachzurütteln. Auch hier leuchteten die Wände aus sich selbst heraus. Alle fünfzig Schritte passierten wir einen Ring, der besonders hell strahlte. An diesen Lichtbarrieren konnte ich abschätzen, um wieviel schneller wir wurden. Weit vor uns schien ein Scheinwerfer direkt in die Röhre gerichtet zu sein. Einzelheiten waren nicht mehr auszumachen. War dort der Schacht zu Ende? Befand sich dort ein Schott, an dem wir unweigerlich zerschmet tert werden würden, wenn nichts geschah, was uns aufhielt? »Quit!« brüllte ich. Er öffnete die Augen und blickte mich an, aber ich bemerkte, daß er noch völlig benommen war. Er wußte nicht, um was es ging. Als er die Augen wieder schloß, rüttelte ich ihn. »Bleiben Sie wach, Quit. Wir stürzen ab.« Am Windzug hätte er doch merken müssen, was geschah! Er seufzte, klammerte sich an mich und verlor erneut das Bewußtsein. Jetzt war alles vorbei. Auch ich schloß die Lider. Ich wußte nicht mehr, was ich tun konnte. Noch niemals zuvor hatte ich mich so hilflos gefühlt. Kurz bevor wir die hellste Stelle der Röhre erreichten, blickte ich nach unten. Die Luft schlug mir so scharf in die Augen, daß sie zu tränen be gannen. Ich sah nur noch einen unerträglich hellen Lichtkegel und gab auf. Im gleichen Augenblick schien alles von mir abzufallen. Mir wurde leicht, und ich stemmte mich nicht mehr gegen das Ende. Vor meinen Augen ent stand das Bild Orbanaschols III, des Mannes, der meinen Vater Gonozal
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VII ermordet hatte. Der Gedanke an ihn hätte einen Sturm von Emotionen in mir auslösen müssen, aber er tat es nicht. Ich blieb so ruhig und gelas sen wie zuvor, so als ginge mich alles nichts mehr an. Mir blieben nur noch zwei oder drei Atemzüge, dann würde ich zusammen mit Trockman Quit gegen eine Wand prallen.
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Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Wir rasten in die Lichtschranke hinein, aber kein Hindernis hielt uns auf. Es wurde wieder dunkler, und wir entfernten uns von der Stelle, an der ich das Ende der Röhre vermutet hatte. Dabei kennzeichnete sie höch stens die Hälfte, denn weit von uns entfernt entdeckte ich einen weiteren, hell strahlenden Punkt. Wieder schien sich der Asteroid um mich zu dre hen. Glaubte ich bis jetzt, senkrecht in die Tiefe zu fallen, so hatte ich jetzt das Gefühl, vertikal in die Höhe zu steigen. Dabei wurde meine Geschwin digkeit von Atemzug zu Atemzug geringer. Ich spürte den Gegenzug der Gravitation, die mich zu der Lichtschranke zurückreißen wollte. Trockman Quit trieb langsam von mir ab. Er war jetzt schon so weit weg, daß ich ihn mit der Hand nicht mehr erreichen konnte. Ich beobach tete ihn. Er war noch immer ohne Bewußtsein. Es hatte keinen Sinn, ihn anzubrüllen. Er würde es doch nicht hören. Ich konzentrierte mich jetzt ganz auf die Wände. Irgendwo mußte es einen Ausgang geben. Quit wäre niemals mit mir in diese Röhre gekro chen, wenn er nicht gewußt hätte, wie er wieder aus ihr herauskommen konnte. Unsere Geschwindigkeit sank immer mehr. Ich drehte mich mit mehreren Rucken um. Die Lichtschranke war schon so weit entfernt, daß sie nur noch als hell strahlender Punkt auszumachen war. Wir erreichten die Stelle, an der unser Sturz aufgefangen wurde. Für einige kurze Augen blicke hingen wir ruhig in der Röhre, dann kehrte sich die Bewegung um, und wir wurden in entgegengesetzter Richtung beschleunigt. In dieser Phase warf ich mich gegen die Wand und tastete sie mit den Händen ab. Dabei stemmte ich mich mit den Füßen an die gegenüberlie gende Wand, so daß ich quer in der Röhre hing. Ich konnte mich jedoch nur kurz halten, weil ich abrutschte und nicht sofort erneut Halt fand. Trockman Quit war schon weit unter mir. Wieder versuchte ich mich zu halten, aber vergebens. Die Verschalung war so glatt, daß meine Füße ab glitten. Jetzt konnte ich nichts mehr gegen den Sturz tun. Wenig später flog ich bereits so schnell, daß ich meinen Arm vor das Gesicht legen mußte, um die Augen zu schützen. Jetzt jagte mir die Lichtschranke keinen Schrecken mehr ein. Ich raste hindurch und spürte sofort den Gegenzug, der mich immer stärker verzö gerte. Diesmal wollte ich mir die Chance nicht entgehen lassen. Ich glaube bereits zu wissen, worauf ich achten mußte. Und tatsächlich entdeckte ich unmittelbar darauf die feinen Umrisse eines Schotts in der Wand. Noch bewegte ich mich zu schnell, so daß ich es nicht erreichen konnte, aber schon wenig später konnte ich mich so fest gegen die Wand pressen, daß
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ich mich halten konnte. Ich schlitterte noch einige Schritte weiter und be fand mich dann direkt vor einem Schott. Blitzschnell tastete ich es ab, in der Hoffnung, so die Kontaktplatte zu finden. Da stürzte Trockman Quit mit einem wilden Schrei auf mich. Er riß mich mit sich, und wir stürzten beide in die Tiefe. »Das hättest du dir doch denken können«, rief er stöhnend. Ich schüttelte ihn, weil ich verhindern wollte, daß er erneut bewußtlos wurde, aber es war schon zu spät. Er erschlaffte, und ich schalt mich einen Narren, weil ich einen deutlichen Impuls meines Logiksektors einfach überhört hatte, als wäre er gar nicht gekommen. Jetzt konnte ich nur noch warten, bis wir die Lichtschranke passiert hat ten und den Kulminationspunkt erreichten, an dem der Rücksturz begann. Da ich bis dahin nichts unternehmen konnte, begann ich damit, Trockman Quit die Unterarme zu massieren. Das bekam ihm offensichtlich gut, denn schon wenig später öffnete er die Augen. Sie sahen jetzt schon viel klarer aus. »Hoffentlich bringst du uns hier bald heraus, Piratenhäuptling«, schrie ich ihn an. »Mir reicht's allmählich.« »Ich weiß gar nicht, weshalb du dich aufregst«, erwiderte er mühsam. »Es ist doch alles in Ordnung.« Unser Sturz wurde immer langsamer. Plötzlich streckte Quit sich aus. Kreischend rutschten seine Sohlen über die Wand. Ich verringerte meine Geschwindigkeit auf die gleiche Weise. Zugleich konnte ich beobachten, wie er an ein Schott gelangte, dessen Umrisse ich kaum erkennen konnte. Mit sicherem Griff öffnete er es und zog sich hindurch. Dann streckte er mir die Hand entgegen. Ich nahm sie und folgte ihm in eine kleine Kam mer, in der zahlreiche Kleincontainer standen. Die Aufschriften ließen er kennen, daß pflanzliches Material darin aufbewahrt wurde. »Hör zu, Atlan«, sagte er und drohte mir mit ausgestrecktem Finger. »Wir kommen jetzt zu Schrika, der alten Vettel. Sie wird uns helfen, wenn du dich vernünftig benimmst. Laß dich vor allem nicht auf politische Dis kussionen ein, und wenn du es schon nicht umgehen kannst, dann gib dich als Verehrer von Orbanaschol III zu erkennen.« »Ich bin alles andere, nur nicht das.« Er blickte mich finster an. Dann machte er eine wegwerfende Bewe gung. »Mir ist es egal, ob du im Oberstübchen ganz in Ordnung bist oder ob du primitiv genug bist, andere politische Richtungen für besser zu halten. Das ist deine Sache. Schrika aber ist in der Lage, jeden eigenhändig umzu bringen, der gegen Orbanaschol III ist. Halte dich daran.« »Orbanaschol III ist ein Mörder«, sagte ich kalt. »Wenn du willst, daß ich dir helfe, dann sorge dafür, daß ich nicht für ihn eintreten muß.«
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Sein Gesicht verzerrte sich. »Begreifst du denn nicht? Wenn du nicht parierst, ist es aus mit der FARNATHIA. Also richte dich nach mir.« »Mit dir ist es auch nicht mehr so gut bestellt, Trockman Quit«, erwi derte ich. »Die Horden von Hanwigurt Sheeron haben dein Schiff zertrüm mert und deine Mannschaft zerschlagen. Du bist auf der Flucht. Also be nimm dich nicht wie jemand, der gerade das Kommando über den gesam ten Asteroiden übernommen hat.« »Du scheinst an unseren Erfolgsaussichten zu zweifeln.« »Das ist recht milde ausgedrückt.« »Wenn es so ist, dann brauchst du dich nur Sheerons Leuten zu stellen. Du hast dann deine letzte Chance vertan.« »Ich werde weiterhin versuchen, Sheeron zu überrumpeln«, verriet ich. »Aber auf meine Weise. Ich tue, was ich für richtig halte. Haben wir uns verstanden?« Er lachte mir ins Gesicht. »Warte doch nur ab, Kleiner«, sagte er. »Wir wollen doch einmal sehen, wie lange du noch große Töne spuckst.« Er stieß ein Schott auf und gab mir einen Wink, ihm zu folgen. Als ich an ihm vorbeiglitt, schlug er mir die Faust mit voller Wucht in den Magen. Ich wurde von seinem Angriff völlig überrascht. »Das war für die Behauptung, Orbanaschol III sei ein Mörder«, erklärte er mir grimmig. Ich flog durch die Kammer und prallte gegen die Container. An ihnen hielt ich mich fest. Trockman Quit verschwand durch die Öffnung, als sei nichts geschehen. Ich sah, daß er aufrecht ging. Da draußen herrschten al so wieder normale Gravitationsverhältnisse. Trockman Quit hatte mich in eine Wohnlandschaft geführt, die mich ver blüffte. Schrika – wer auch immer das sein mochte – lebte in einer Halle, deren Ende ich nicht sehen konnte. Sie war nur etwa zwei Körperlängen hoch. Von der Decke hingen Plastikscheiben herab, die unterschiedlich tief befe stigt und in harmonischen Farben zusammengestellt waren. Aus ihnen rag ten an vielen Stellen Teppiche, Felle und mobile Plastiken hervor. Die we nigen Stützsäulen fielen kaum auf, zumal sie äußerst geschickt mit Fellen oder Teppichen verhüllt wurden. Überall sah ich kleinere Wohninseln, die individuell eingerichtet worden waren. Während Quit vor mir herging, blickte ich mich um. Ich entdeckte nur Mädchen, die sich in schwarze hautenge Anzüge kleideten und sich nur durch die Haarfarbe, die Stiefel und die metallenen Gürtel voneinander un terschieden. Die meisten saßen oder lagen auf den bequemen Möbeln her um und schwatzten miteinander, verfolgten ein Unterhaltungsprogramm
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im Trivideowürfel oder vergnügten sich mit kleinen Spielen. Einige tanz ten, andere bastelten an Modellraumschiffen, und wiederum andere trai nierten den waffenlosen Kampf. Wir liefen kleine Treppen hinauf, durchquerten Entspannungsinseln, in denen Mädchen zusammensaßen und erbeutete Getränke probierten, und wir stiegen endlich auf den Rücken von hölzernen Tieren, um auf ihnen wie in einem Karussell herumzuschwingen. Als wir abstiegen, standen wir vor einer kreisrunden Plattform, zu der nur eine einzige Treppe hinauf führte. Auf den Stufen stellten sich uns drei üppige Mädchen entgegen. Sie hatten alle drei feuerrotes Haar, trugen grüne Gürtel und grüne Stiefel. »Du kennst mich, Helta«, sagte Trockman Quit zu dem Mädchen, das ich am attraktivsten fand. »Ich muß Schrika sprechen, und zwar sehr schnell.« Sie schürzte die Lippen. »Du kennst mich auch, Kleiner«, entgegnete sie mit eisiger Stimme. »Bevor du dich nicht gesäubert hast, kommst du nicht einen Schritt wei ter.«. »Es ist, schlicht gesagt, eine Schweinerei von dir, daß du überhaupt so weit gelaufen bist, ohne dir den Dreck von der Haut zu spülen«, sagte das Mädchen in der Mitte. »Du stinkst«, fügte die rechte knapp hinzu. Sie blickte mich an und rümpfte die Nase. »Es ist wichtig.« »Sauberkeit ist wichtiger. Verschwinde.« Trockman Quit wußte, daß er verloren hatte, aber er wußte nicht, wie er es mir beibringen sollte, ohne sein Gesicht zu verlieren. Er blickte mich an, wischte sich mit der Hand über die Nase und schniefte. »Wo können wir uns reinigen?« fragte ich. Er atmete erleichtert auf. »Ich zeige es dir, Atlan. Komm.« »Atlan heißt er. Wie nett«, sagte eine der drei Schönen hinter mir. Ihr Tonfall trieb mir das Blut in die Wangen. Quit eilte vor mir her. Wir durchquerten ein halbiertes Kleinstraum schiff, das mitten in der Wohnhalle stand. Die Mädchen hatten es feuerrot gespritzt. Ich mußte zugeben, daß die Idee dekorativ war. Quit raubte mir meine Illusionen. Er schlug die flache Hand gegen die Hülle des Wracks und sagte grinsend: »Die Mädchen könnten eine halbierte FARNATHIA bestimmt auch gebrauchen.« Er sprang zurück, als er meine Reaktion sah, und lief davon. Ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Er führte mich an eine silbrig glänzende Wand, die aus lauter Toten masken bestand, die von unsichtbarer Hand ständig bewegt wurden. Es
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sah aus, als ob die ganze Wand auf dem Meer schwimme und von den Wellen hin und her geworfen wurde. Sie öffnete sich vor uns, als Quit ei ner Maske die Fingerspitzen in die Augen drückte. Dahinter lagen Hygie nekabinen. »Zieh dich aus und wirf deine Kleider in den Automaten. Er gibt sie wieder 'raus, wenn wir fertig sind.« Er brachte mich in ein Schwitzbad, in dem die Temperaturen so hoch waren, daß ich glaubte, mir platzten sämtliche Poren auf. Quit brach unter dem Hitzeschock fast zusammen. Er machte Anstalten, aus der engen Ka bine zu fliehen, nahm sich dann jedoch zusammen und beobachtete mich. Mir schoß der Schweiß aus der Haut, und zugleich wurde es angenehmer für mich. Wir blieben nicht lange in dem Abteil, weil Trockman Quit behauptete, sterben zu müssen. »Ich muß unter die Dusche«, sagte er stöhnend und zog mich mit sich. Nach der Hitze folgte ein Eisbad. Als wir die Maskenwand später wieder durchschritten, kam ich mir na hezu keimfrei sauber vor. Trockman Quit glühte förmlich. »Ich kann nicht reden«, sagte er und griff sich an die Kehle. »Ich bin vollkommen ausgetrocknet.« »Wie schön. Dann habe ich endlich ein bißchen Ruhe vor dir«, erwider te ich lächelnd. »Und nun Tempo, mein Lieber, sonst stelle ich mich wirk lich.« Die drei Mädchen erwarteten uns an der Treppe. »Wer bist du denn?« fragte die linke und beugte sich zu Quit hinab. »Du weißt genau, wer ich bin, Helta«, sagte er wütend. »Laß mich jetzt endlich durch, oder du wirst etwas erleben.« »Tatsächlich«, rief sie und stellte sich überrascht. »Das ist Trockman Quit. Wer hätte das gedacht. So sauber habe ich das Kerlchen noch nie ge sehen. Bist du's wirklich. Kleiner?« Er wollte sich an ihr vorbeischieben, doch sie packte ihn mit beiden Händen an den Schultern und hob ihn mühelos hoch. Sie hielt ihn mit aus gestreckten Armen und blickte ihn neugierig an. Er strampelte mit Armen und Beinen, konnte aber nichts gegen sie ausrichten. Sie grinste höhnisch, drehte sich mit ihm um und ließ ihn auf die Stufen fallen. Sie wandte sich mir zu und versuchte das gleiche Spiel bei mir. Sie hat te mich unterschätzt. Bevor sie mich hochstemmen konnte, legte ich ihr meine Hände von innen an die Unterarme und bog sie ihr mit einem Ruck nach außen. Sie wurde blaß bis in die Lippen und sank ächzend vor mir auf die Knie. »Laß mich los«, bat sie leise. »Du brichst mir die Knochen.« »Das täte mir wirklich leid.«
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Ich gab sie frei, lächelte den anderen freundlich zu und stieg die Treppe hoch. »Sie sollten wissen, daß ich sonst immer sehr höflich zu Damen bin«, fügte ich hinzu. Trockman Quit wartete auf mich. Seine Augen blitzten so stolz, als habe er diesen kleinen Sieg errungen. Hinter ihm erschien eine korpulente Frau, die ihr Haar blau gefärbt hatte. Ihre rötlichen Augen wiesen sie als Arkoni din aus. Sie hätte besser eine andere Kleidung als die enge Kombination wählen sollen. Der Anblick wäre etwas angenehmer gewesen. Sie eilte mit watschelnden Schritten auf Trockman Quit zu und hieb ihm die rechte Hand auf die Schulter. Ich erwartete, daß der Pirat zu Boden ge hen würde, aber er schien mit der Attacke gerechnet zu haben. Er tat, als sei überhaupt nichts geschehen, drehte sich langsam um und blickte die Dicke an, als sei er überrascht. »Schrika, alte Vettel«, rief er. »Wo kommst du plötzlich her?« »Tu nicht so«, entgegnete sie. »Ich habe deutlich gehört, wie deine Knochen brachen.« Er griff sich an die Schulter, massierte sie leicht und schnaufte abfällig. »Du hast eine völlig falsche Vorstellung von Männern«, erklärte er. »Aber das wirst du wohl nie begreifen. Ich habe eine wichtige Nachricht für dich.« »Und ich habe eine für dich, du Zwerg.« Sie lächelte ihn so herzlich an, als wolle sie ihm mitteilen, daß sein Beu teanteil soeben drastisch erhöht worden sei. »Was gibt's?« fragte er. »Hanwigurt hat eben bekanntgegeben, daß dieser Knabe entwischt ist. Er hat eine hohe Prämie auf seinen Kopf gesetzt. Wie man ihn bei ihm ab liefert, ist ihm egal. Er hat gesagt, es genüge, wenn noch ein bißchen Le ben in ihm verbleibe.« »Und?« »Und? Was und?« äffte sie ihn nach. »In Richmonds Schloß ist der Teu fel los. In sämtlichen Nestern machen sich die Männer auf. Alle wollen deinen neuen Freund jagen. Endlich gibt es ein wenig Abwechslung bei uns.« Sie lachte schadenfroh. »Von deinem Nest ist nichts mehr übriggeblieben. Sheeron hat es sich nicht nehmen lassen, einen Filmbericht über die Strafaktion seiner Leute ausstrahlen zu lassen. Du nennst jetzt nur noch einen Trümmerhaufen dein eigen. Es wäre besser gewesen, wenn du diesen Jüngling sofort an Jepson Tropp übergeben hättest. Dann wärest du jetzt noch ein recht wohlhaben der Mann.« »Was ist aus meinen Leuten geworden?«
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»Zweiundzwanzig von ihnen sind schon hier eingetroffen. Sie liegen ausnahmslos in der Klinik. Es ist keiner ohne schwere Verletzungen da vongekommen. Na, was ist, willst du Sheeron immer noch vom Sockel stoßen?« »Jetzt erst recht«, erwiderte Trockman Quit verbissen. Sie nickte, als habe sie nichts anderes erwartet. Ohne sich um uns zu kümmern, wandte sie sich um und eilte davon. Wir gingen ihr nach. An ei nigen Stellwänden vorbei kamen wir zu einer Liegeinsel. Mehrere Mäd chen mit ungefärbten Haaren servierten Getränke, aber ich hatte keine Au gen für sie. Mir gegenüber, nur etwa sieben Schritte von mir entfernt, stand mein Oheim, der Imperator Orbanaschol III, der Mann, der am Tode meines Vaters schuld war! Trockman Quit hieb mir brutal die Faust in den Rücken. »Komm zu dir, du Narr«, sagte er zischend. »Du wirst doch wohl nicht auf eine Plastik hereinfallen!« Schrika ließ sich auf die Liege sinken und bot uns Platz an. Ich hatte meinen Schock überwunden. Ich setzte mich neben Quit, ergriff seinen Arm und zwang ihn, mich an zusehen: »Bei der nächsten Aufmerksamkeit dieser Art bringe ich dich um. Ich rate dir nur, diese Warnung nicht als Scherz anzusehen.« Die fette Anführerin der Piratinnen musterte mich und nickte. Sie schien mit meinem Verhalten einverstanden zu sein. »Und jetzt wollen wir endlich zur Sache kommen«, sagte ich. »Die Be satzung der FARNATHIA hat keine Zeit mehr zu verschenken.« »Er ist amüsant«, stellte Schrika fest. »Er gefällt mir. Wer ist das?« »Er nennt sich Atlan«, antwortete Trockman Quit. »Er behauptet, einen Geheimauftrag für Orbanaschol III erledigt zu haben.« Sie wurde aufmerksam. Argwöhnisch starrte sie mich an. Ich spürte, daß der Pirat zu dick aufgetragen hatte. »Was für ein Auftrag?« forschte sie mit einer Stimme, die mich ahnen ließ, daß sie nicht von ungefähr das Kommando in diesem Nest führte. »Das steht nicht zur Debatte«, erwiderte ich. »Hier geht es um die FAR NATHIA und um Hanwigurt Sheeron. Ich werde euch behilflich sein, Sheeron zu entmachten, aber ich lasse mich nur auf dieses Spiel ein, wenn ihr sofort etwas für die FARNATHIA unternehmt.« »Du hast ja keine Ahnung, was in Richmonds Schloß los ist«, erklärte Schrika. »Hier befinden wir uns in einer ruhigen Insel. Von meinen Mäd chen ist keine Gefahr zu erwarten. Sie fühlen sich alle wohl hier und ken nen keine Langeweile. Draußen aber wirst du von 10.000 Raubtieren ge sucht. Du hast keine Chance, wenn du mein Nest verläßt, es sei denn, daß wir dich direkt zu Sheeron bringen. Aber das können wir erst, wenn wir al les genügend vorbereitet haben. Sheeron ist kein Narr. Er rechnet ständig
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damit, daß jemand versucht, ihn auszuschalten.« Trockman Quit blickte mich verständnisheischend an. »Es ist in der letzten Zeit praktisch nichts passiert«, sagte er. »Die Män ner sind verrückt vor Langeweile. Sheeron nutzt die Situation geschickt aus. Sie werden ihre Aggressionen bei der Jagd nach dir abbauen.« »Am wirkungsvollsten werden sie das vor allem dann können, wenn sie mich haben«, ergänzte ich. Ich konnte nicht verhehlen, daß ich unruhig wurde. Es war kein ange nehmes Gefühl, von 10.000 Piraten gesucht zu werden. Ich konnte mir vorstellen, was man mit mir machen würde, wenn man mich einfing. Sheeron hatte schließlich die Bedingung gestellt, ein »bißchen Leben« müsse noch in mir bleiben. »Dieser Mann scheint mir ziemlich klug zu sein«, sagte ich. »Er braucht nur zu warten. Wenn ich vernünftig bin, gehe ich so schnell wie möglich zu ihm, denn da bin ich am sichersten.« »Du wirst aber nicht vernünftig sein, Kleiner«, erklärte Schrika. »Das wird sich zeigen«, entgegnete ich. »Zunächst möchte ich mehr über den Plan wissen.« »Ich habe dir alles gesagt«, behauptete Trockman Quit. Ich lächelte spöttisch. »Eigentlich solltest du doch gemerkt haben, daß ich nicht ganz so dumm bin, wie du glaubst.« Er hob die Arme, als sei er hilflos gegen soviel Hartnäckigkeit. Zugleich wechselte er verständnisvolle Blicke mit Schrika. »Also gut«, begann Quit. »Von der Robotgarde habe ich dir schon be richtet. Sie ist nur auf die von mir geschilderte Art auszuschalten. Anders geht es nicht.« »Ich habe ihm sogar schon eines meiner schönsten Mädchen auf den Hals geschickt. Natürlich in allen Ehren«, fügte die Fette empört hinzu. »Aber er läßt niemanden an sich heran.« »Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Das sind die Phalanen – eine Gruppe von Arkoniden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Hanwi gurt Sheeron zu schützen. Das ist ihre Art, sich die Langeweile zu vertrei ben. Sie tun es freiwillig und ohne Auftrag, und Sheeron läßt es sich gefal len. So kommt er zu einer perfekt funktionierenden Sonderwache, ohne dafür zahlen zu müssen.« »Wir müßten den Phalanen schon den Spaß verderben, wenn wir Shee ron absetzen wollen«, ergänzte Schrika. Ein weißhaariges Mädchen kam herein und reichte ihr eine Platte mit kaltem Braten. Ohne uns etwas anzu bieten, verzehrte sie ihn. »Umbringen können wir sie nicht. Dann hätten wir alle anderen gegen uns. Verprügeln hilft nicht.« »Das würdet ihr auch gar nicht schaffen«, stellte Quit fest. »Bei allem
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Respekt vor deiner Truppe, Schrika.« Ich war noch immer nicht zufrieden, denn ich spürte, daß die beiden mir noch nicht alles gesagt hatten. Irgend etwas fehlte noch. Ich versuchte, mich an den Flug mit dem Staubei zu erinnern. Wie hatte Jepson Tropp es gelenkt? Wie hatte er sich in der Sogmanton-Barriere orientiert? Sollte es mir nicht möglich sein, selbst so ein Kleinstraumschiff zu steuern? Je länger ich über diese Frage nachdachte, desto deutlicher wurde mir bewußt, daß ich es nicht allein schaffen konnte. Ich war auf die Hilfe eines Mannes wie Trockman Quit angewiesen, so sehr mir das auch mißfiel.
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Unsere Unterredung war schlagartig zu Ende, als aus zahlreichen versteckt angebrachten Lautsprechern das Marschlied »Orbanaschols Ehre unter den Sternen« ertönte. Der Donnerhall der Blasinstrumente ließ das Mobiliar erzittern. Die gesamte Wohnlandschaft schien aus den Fugen zu geraten. Überall sah ich die Mädchen hochschnellen. Auch Schrika sprang erbleichend auf. Ich war überrascht, daß eine so korpulente Frau sich so geschmeidig bewegen konnte. »Rasch, du mußt dich verstecken«, rief sie. »Die Horden sind in unser Nest eingedrungen. Sie suchen dich. Wenn sie dich hier finden, zerschla gen sie alles. Sie warten ja nur darauf, uns etwas nachweisen zu können. Unser Leben paßt ihnen schon lange nicht.« Sie plapperte haltlos drauflos, als müsse sie mir alle Zusammenhänge auf einmal erklären. Ich blickte mich suchend um. »Wo kann ich mich verstecken?« fragte ich. Sie hörte mich überhaupt nicht. Ich verlor die Nerven. Wütend riß ich sie an mich und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Ihr feistes Gesicht bebte. Fassungslos starrte sie mich an und hielt sich die Wange. Dann zeigte sie jammernd nach oben. »Da finden sie dich nicht«, rief sie. Dann kam sie zu sich, steckte zwei Finger in den Mund und pfiff. Un mittelbar darauf eilten von allen Seiten Mädchen herbei. Schrika rief ihnen etwas zu, was ich nicht verstand. Sie packten mich, drückten mir etwas in die Hand und schleuderten mich nach oben. Schwerelos flog ich zwischen die Plastikscheiben. Ich bemerkte Stangen, Lautsprecher, Nischen und al lerlei technisches Gerät, das unter der Decke gelagert wurde, ohne das Bild der Wohnlandschaft zu stören. Eilig klammerte ich mich an einen Ka sten und schob den eiförmigen Antigravitator, den die Mädchen mir gege ben hatten, unter meine Bluse. So konnte ich mich mühelos halten, aber ich fühlte mich keineswegs sicher, da ich nach unten hin weitgehend unge deckt war. Wer zufällig zu mir hinaufblickte, mußte mich sehen. Brüllend rannten einige farbenprächtig gekleidete Piraten unter mir vor bei. Ich beobachtete, wie sie ein Mädchen niederschlugen und sich daran machten, die Liegeinsel auseinanderzureißen. »Er muß hier irgendwo sein«, schrie einer von ihnen. Ich entdeckte einen Kasten, bei dem der Deckel fehlte. Vorsichtig han gelte ich mich zu ihm hinüber und stellte fest, daß er bis zur Hälfte mit ar konidischen Münzen gefüllt war. Hier lagerte ein kleines Vermögen. Ich setzte mich auf das Geld und war von unten her nicht mehr zu sehen. Über die Kante hinweg lugte ich auf die Szene der Zerstörung. Es tat
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mir leid, daß ich nicht eingreifen konnte. Sechs Mädchen tauchten plötzlich bei den Männern auf. Ein lautloser Kampf begann, der nur mit gestreckten Fingern, Handkanten und Ellenbo gen ausgetragen wurde. Dieser Taktik waren die Piraten nicht gewachsen. Sehr schnell wurde es ruhig unter mir. Noch immer übertönte die Marschmusik den Kampfeslärm in in den an deren Bereichen der Wohnlandschaft, so daß ich die Ereignisse nicht ver folgen konnte. Ich konnte nur warten. Ab und zu sah ich einige Mädchen vorbeilaufen. Einige von ihnen schleiften bewußtlose Arkoniden hinter sich her. Das zeigte mir, daß Schrika inzwischen Herr der Lage war. Ich kroch aus meinem Versteck heraus und ließ mich langsam absinken. Der Antigravitator trug mich. Vorsichtig blickte ich nach allen Seiten. Ich konnte keine aufrecht stehenden Männer mehr sehen. So ließ ich mich auf den noch nicht zerstörten Teil der Liegeinsel hinunterschweben und streckte mich aus. Wieder einmal war ich zur Untätigkeit verdammt. Ich konnte nichts tun, als über meine Lage und die von Farnathia nach zudenken. Die Marschmusik verklang. Schrika und Trockman Quit kamen zurück. Sie sahen beide zerzaust aus. Quit konnte kaum noch aus den Augen schauen. Sein Gegner hatte ihn voll getroffen. Die Lider waren kräftig angeschwollen, so daß nur noch schmale Schlitze frei blieben. Die fette Anführerin der Piratinnen war ein wenig besser weggekommen – bei ihr hatte sich nur ein Auge geschlossen. »Ihr seht euch erstaunlich ähnlich«, sagte ich. »Quit, von wem bist du verprügelt worden? Von dem männlichen Suchkommando oder von der weiblichen Abwehr?« Er stieß wütend mit dem Fuß nach mir, verfehlte mich jedoch, weil ich mich zur Seite drehte. In diesem Augenblick entdeckte ich den Energie strahler, der zwischen den Kissen lag. Es handelte sich um eine superleichte Brikks, die eine Reichweite von nur etwa zehn Schritt hatte. Für mich war dieser Blaster jedoch vollkom men ausreichend. Ich schob mich mit dem Rücken über die Waffe und bot Quit meinen Platz an, dabei behielt ich ihn ständig im Auge, weil ich wissen wollte, ob er etwas bemerkt hatte. Als sich meine Hand um den Kolben des Strahlers legte, machte er eine blitzschnelle Bewegung. Er richtete einen Desinte grator auf mich. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich hatte ihn unterschätzt. Er hatte weitaus mehr Format, als ich ange nommen hatte, und er schien sehr genau zu wissen, was er zu tun hatte. Schrika schob sich schnaufend an mir vorbei und nahm mir die Brikks
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ab. Vorwurfsvoll schüttelte sie den Kopf. »Wenn du so ein Ding unter dem Hemd hast, kommst du niemals bis zu Hanwigurt Sheeron«, sagte sie. »Zur Seite«, flüsterte Trockman Quit mir zu. »Schnell.« Ich preßte mich ebenso fest an die Wand wie er. Ein riesiger Arkonide kam uns entgegen. Seine mächtige Gestalt wirkte durch eine dicke Fell jacke noch erdrückender. Der Mann hatte sich das Haar schwarz gefärbt und zu dicken Zöpfen geflochten. Mit finsterer Miene marschierte er an uns vorbei, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Zwei kleinere Männer folgten ihm. Sie starrten uns neugierig an, erkannten uns jedoch nicht. »Deine Maske ist perfekt«, stellte Quit zufrieden fest, als sie außer Hör weite waren. Wir gingen durch einen Hauptgang eines der größten Beuteraumschiffe, die mit den anderen am Asteroiden verschweißt worden waren. Erstmals konnte ich durch quadratische Luken nach draußen sehen. Das Licht der Sterne erhellte die Wracks, aber Einzelheiten waren nicht auszumachen. Einige Bauroboter arbeiteten an einem halbkugelförmigen Gebäude. »Weiter«, drängte Quit. »Wir haben nicht viel Zeit.« In der spiegelnden Scheibe konnte ich mein Aussehen überprüfen. Mein Gesicht war nicht mehr wiederzuerkennen. Mit Hilfe von Bioplas ma hatte eine Maskenbildnerin meine Züge so nachhaltig beeinflußt, daß ich selbst glaubte, einem Fremden gegenüberzustehen. Ich mußte daran denken, wie Schrika währenddessen die Pläne erläutert hatte, die schließlich zum Sturz des Telepathen Sheeron führen sollten. Ich schürzte die Lippen. Bei allem Respekt vor dieser korpulenten Dame konnte ich nicht umhin, ihr Vorhaben als wahnwitzig zu bezeichnen. Wiederum machte ich nur mit, weil man mir in aller Freundlichkeit beigebracht hatte, daß dies die einzige Chance für die FARNATHIA und ihre Besatzung war. In diesem Moment näherten sich dreißig Zweiergruppen dem Nest der Phalanen, also jenem Bereich, in dem die arkonidische Leibwache Shee rons hauste. Es handelte sich dabei um eine Splittergruppe, die dem Pha laym-Glauben anhing. Für mich waren sie, nachdem ich Näheres erfahren hatte, schlicht Göt zendiener. Das hatte ich Schrika auch gesagt und mir dafür eine Reihe von Analysen über meinen Geisteszustand anhören müssen, auf die ich lieber nicht eingehe. Dennoch blieb ich bei meiner Meinung. Arkoniden, die eine Säule anbeteten, huldigten dem Götzendienst, was auch immer diese Säule tat. »Los doch«, drängte Trockman Quit. »Oder hast du Angst?« »Wenn mein Leben und meine Sicherheit von dir abhängen, ist mir im mer bang zumute«, entgegnete ich kühl.
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»Achtung!« warnte er. Ich sah die Gruppe auch schon, die auf uns zukam. Sie bestand aus fünf Phalanen. Sie trugen hellblaue Kombinationen aus einem samtähnlichen Stoff. Auf ihrer Brust prangte eine dunkelblaue, schimmernde Säule. Die Männer waren mit Energiestrahlern schwersten Kalibers bewaffnet. Trockman Quit ging auf die nächste Tür zu und stieß sie auf. An ihm vorbei konnte ich einen älteren Mann sehen, der auf einem Bett lag. Er hatte offensichtlich geschlafen. Jetzt richtete er sich unwillig auf und blin zelte in das Licht, das vom Gang hereinfiel. Quit betrat die Kammer, warf sich auf den Boden und blickte unter die Liege. Dann sprang er auf und riß einen Schrank auf. »Wo hast du ihn versteckt?« brüllte er. Die Phalanen blieben bei uns stehen. Sie beobachteten, daß Quit den Al ten durchschüttelte. Einer von ihnen packte den Kleinen an der Schulter und schleuderte ihn mit einem Ruck aus der Kabine. »Das kann doch ein Affe sehen, daß hier niemand versteckt ist«, sagte der Phalane verächtlich. Quit landete in meinen Armen. Ich klopfte ihm mit den Knöcheln gegen die Stirn. »Er hat einen ziemlich heißen Kopf«, sagte ich entschuldigend. »Vorhin hat er sogar mich, seinen besten Freund, für diesen Atlan gehalten.« »Vielleicht bist du es sogar«, meinte einer der Blauen und riß mit den Fingern an meinen Augenbrauen. Ich nahm seinen Daumen und den kleinen Finger und spreizte beide gleichzeitig von der Hand ab. Er sackte aufschreiend auf die Knie. »Oh, ich war wohl etwas heftig?« Ich beobachtete Trockman Quit, der sich bleich bis an die Wand zu rückzog, wo er hoffte, von den Phalanen nicht belästigt zu werden. Die Blauen umringten mich. Jetzt wurde mir doch etwas eigenartig in der Magengegend. Ich hatte doch gewußt, daß der Plan Schrikas seine Tücken hatte. Wie hatten wir nur hoffen können, ungestört bis in den in nersten Bereich des Phalanen-Nestes zu kommen. »Die Jagd auf den entflohenen Gefangenen ist freigegeben worden«, sagte ich, wobei ich mich bemühte, möglichst ruhig zu erscheinen. »Sollte sich das noch nicht überall herumgesprochen haben?« Einer von ihnen griff zu seinem Thermostrahler. Die anderen drängten sich etwas näher an mich heran, so daß Trockman Quit mich nicht mehr sehen konnte, obwohl er unmittelbar neben uns stand. Noch viel weniger hätte man verfolgen können, was hier geschehen sollte, wer weiter von uns entfernt war. Mir begannen die Augen zu tränen. Ich konnte dieses Zeichen äußerster Erregung nicht länger unterdrücken. Die Phalanen gaben keinen Laut von
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sich. Schnell trafen sie ihre Vorbereitungen, mich umzubringen. Ich aber gab noch nicht auf. Ich war entschlossen, mich so teuer wie möglich zu verkaufen. Da bekam ich von unerwarteter Seite Hilfe. »He, Baesh, Trong, Keila!« rief jemand mit befehlsgewohnter Stimme. »Kommt her. Schnell.« Die Männer ließen sofort von mir ab. Auf dem Gang stand ein gewichtiger Arkonide, der eine goldene Kette zur blauen Uniform um den Hals trug. Die Phalanen eilten auf ihn zu. »Da flüchten sie«, sagte Trockman Quit verächtlich. »Wo du gerade da bei warst, sie zu verprügeln – oder sollte ich mich irren?« Er blickte mich nachdenklich an, und sein Tonfall änderte sich. Jetzt ließ seine Stimme einen gewissen Respekt erkennen. »Ich habe dich unterschätzt, Freund Atlan«, erklärte er. »Seltsam, du bist noch sehr jung, und doch verhältst du dich wie ein Mann, der eine Schule allererster Qualität durchgemacht hat. Darf man fragen, durch wes sen Hände du gegangen bist?« »Ich bin ein Naturtalent«, entgegnete ich. »Hast du das noch nicht ge merkt?« Er lächelte eigenartig. »Ich denke, du wirst mir noch sagen, wer dein Meister war«, sagte er. »Komm jetzt. Wir verschwinden, bevor die Phalanen auf den Gedanken kommen, daß sie bei dir noch etwas nachzuholen haben.« »Du hast recht, Kleiner. Sie könnten sich dessen bewußt werden, daß sie sich auf einen Falschen konzentriert haben.« Auch Quit hatte sich unter den Händen der Maskenbildnerin verändert. Er sah jetzt brutal und häßlich aus. Sein Äußeres ließ auf eine gewisse Pri mitivität schließen. »Da vorn ist das blaue Schott«, sagte Trockman Quit. Wir standen an einer Gangzweigung. Recht deutlich waren die Schweißstellen zu sehen, an denen zwei Schiffskörper zusammengefügt worden waren. Nicht weit von uns entfernt erschienen zwei Mädchen aus Schrikas Gruppe. Sie gaben uns ein Zeichen. Sie waren kampfbereit, und mit ihnen waren es wenigstens zehn weitere Zweiergruppen. Quit drückte mir den Paralysator in die Hand und nickte mir aufmun ternd zu. »Wir verlassen uns auf dich«, sagte er. Ich nahm die Waffe und schob sie mir hinten in den Gürtel. Dann rannte ich auf das blaue Schott zu. Dabei blickte ich mich immer wieder um, so als werde ich verfolgt. Die Wache am blauen Schott fiel prompt darauf herein. Der Durchgang öffnete sich, und ein breitschultriger Mann kam mir ent
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gegen. »Stehenbleiben«, rief er mir zu. Ich hatte ihn fast erreicht. Wollte ich ihn nicht umrennen, konnte ich nichts anderes tun, als ihm zu gehorchen. »Mein Name ist Atlan«, sagte ich. »Ich bin der entflohene Gefangene, den alle suchen. Bitte, ich kann nicht mehr. Ich …« »Atlan? Ich habe davon gehört, aber ich habe auch sein Bild gesehen.« Ich griff mir ans Kinn und entfernte einen Teil der Biomasse. Er begriff. »Du kannst hereinkommen«, erklärte er und drehte sich halb um. Dabei konnte ich an ihm vorbeisehen. Hinter dem Schott lag noch ein zweiter Durchgang, der jedoch nicht bewacht wurde. Ich zog die Waffe aus dem Gürtel und löste sie aus, bevor er Gegenwehr leisten konnte. Er brach zu sammen. Ich packte ihn an der Brust und riß ihn nach vorn, so daß er ge nau in der Gleitbahn des Schotts landete. Damit hatte ich es blockiert. Trockman Quit und einige Mädchen hetzten herein, während ich über den Bewußtlosen hinwegstieg und mich auf das nächste Schott konzen trierte. Bevor ich jedoch einen der Knöpfe drücken konnte, drängten mich die Mädchen zur Seite. »Vorsichtig! Das geht nicht so einfach.« Ich trat zurück. Wenigstens zwölf Mädchen kamen in die Schleuse. Ein weiteres Dutzend wartete draußen. Das blaue Schott schloß sich, nachdem Trockman Quit den Paralysierten weggezogen hatte. Unmittelbar darauf war der Weg ins Phalanen-Nest frei. Die Mädchen rannten los. Sie griffen eine Gruppe von Blauen an, die um einen Tisch herum standen und mit einander diskutierten. Sie wurden von den Mädchen völlig überrascht. Be vor sie überhaupt erfaßt hatten, was geschah, lag die Hälfte von ihnen be wußtlos auf dem Boden. Trockman Quit zog mich mit. Wir eilten an den Kämpfenden vorbei auf ein weißes Schott zu, das zwischen zwei Einbauschränken kaum zu erken nen war. Mein Begleiter fand den Öffnungskontakt sofort. Wir kamen auf einen Gang, der steil in die Höhe führte. »Dies ist ein Schiff der Maahks gewesen«, erläuterte Quit, als wir die Schräge hinaufliefen. »Das Phalaym befindet sich in der ehemaligen Zen trale.« Die Alarmpfeifen heulten auf. Es hatte lange gedauert, bis die Phalanen gemerkt hatten, was gespielt wurde. Jetzt kam es darauf an. Schrika hatte behauptet, auf unserem Wege hätten wir kaum mit Gegnern zu rechnen. Er sollte uns direkt über die frühere Hauptleitzentrale führen. Von dort aus sollten wir versuchen, das Phalaym zu erreichen. Wir hatten die Aufgabe, die blaue Säule an uns zu bringen, in einen schwer zugänglichen Teil dieses Maahk-Wracks zu schleppen und für eine Weile zu verteidigen. Schrika hatte behauptet, eine solche Aktion werde
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Phalanen lähmen, da sie alle extrem von dem Phalaym abhängig seien. Dies sei der einzige Weg, die freiwilligen Leibwächter Sheerons für die entscheidende Phase des Kampfes auszuschalten. Wir wollten ihnen ihr Heiligtum zurückgeben, sobald Sheeron entmach tet war. »Hast du das Phalaym jemals weinen gesehen?« fragte ich Quit. Er blieb atemlos stehen und rang nach Luft. Wir hatten ein weiteres Schott erreicht, das mit fremdartigen Schriftzeichen versehen war. »So wahr Gonozal VII in der tiefsten Hölle aller Höllen schmort«, ant wortete er keuchend. »Das Ding kann wirklich Wunder vollbringen!« Für seine unverschämte Behauptung über meinen Vater hätte ich ihm den Schädel einschlagen können. Ich beherrschte mich, weil ich mir sagte, daß es sinnlos gewesen wäre, Quit jetzt zur Rechenschaft zu ziehen. Er hätte vermutlich überhaupt nicht begriffen, um was es mir ging. »Wunder?« fragte ich spöttisch. »Mir scheint, euch Piraten ist das faule Leben hier in Richmonds Schloß nicht bekommen. Wunder gibt es in un serer Zeit nicht mehr.« »Sieh da! Der aufgeklärte junge Mann erlaubt sich, einige Weisheiten von sich zu geben. Du bist ein wenig zu grün, mein Junge, um in Sachen Wunder mitreden zu können.« »Du hast recht«, erwiderte ich. »Es gibt noch Wunder. Eines davon ist, daß ich dir nicht schon lange den Hals umgedreht habe für deine Frechhei ten. Wie lange willst du hier eigentlich noch herumstehen? Ein Mann mit deiner schwachen Kondition sollte nicht an solchen Spielchen wie diesem teilnehmen.« »Mir wird die Luft knapp«, gestand er mühsam. »Mein Herz ist nicht mehr so …« »Der Besatzung der FARNATHIA geht es noch viel schlechter«, ant wortete ich grob. »Sie hat kein Verständnis dafür, daß wir unnötige Zeit vergeuden.« Ich stieß ihn zum Schott. Er gehorchte und öffnete es. Dahinter lag ein kreisrunder Raum, in dem ein Phalane an einer Trivideo-Multiphon-Orgel spielte. »Hallo, Freund, besser hätten wir . es wirklich nicht treffen können«, rief Trockman Quit. Flink wie ein Wüstenpritt setzte er über die Elektro nik der Orgel hinweg und sprang dem Phalanen an die Gurgel. Zusammen mit ihm stürzte er über die Tastatur, die den Spieler ringförmig umgab. Das chaotische Durcheinander der Töne ließ die Lautsprecher unter unse ren Füßen in der ehemaligen Hauptleitzentrale des Raumschiffs aufbrül len. Ich fühlte, wie der Boden erzitterte. Der Pirat erschien über den Ta sten der Orgel und rieb sich die linke Faust. »Der Bursche hat ein stahlhartes Kinn«, sagte er. Dann beugte er sich
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über das Instrument und drückte eine Reihe von Knöpfen ein. Jetzt bebte der Boden unter mir. Der Lärm durchdrang die Isolierung, so daß ich mir annähernd vorstellen konnte, was jetzt unten los war. Vermutlich hielt es keiner der Phalanen in dem dort herrschenden Krach aus. »Denk doch auch mal an die Mädchen«, rief ich ihm zu. »Sie sind schließlich auch in der Zentrale.« »Die hören nichts«, antwortete er grinsend. »Denen hängen doch die Haare über die Ohren!« Ich wollte die Orgel dämpfen, als sich zwei Schotte gleichzeitig öffne ten und vier Blaue hereinkamen. Ich löste den Paralysator auf sie aus und fällte zwei von ihnen. Die beiden anderen warfen sich über Quit, so daß ich nicht schießen konnte, ohne auch ihn zu paralysieren. »Bleib, wo du bist«, brüllte der Kleine, als er sah, daß ich in den Kampf eingreifen wollte. »Mit diesen beiden Würstchen werde ich spielend fer tig.« Das waren vorläufig seine letzten Worte. Beide Phalanen schlugen zu gleich zu. Ihre Fäuste landeten an seinem Kinn, und Trockman Quit streckte sich seufzend aus. Nun kam es nicht mehr darauf an. Bevor die beiden Piraten sich erheben konnten, paralysierte ich sie. Sie fielen über Quit und blieben regungslos auf ihm liegen. Ich zog ihn unter den beiden heraus und richtete ihn auf, merkte aber sofort, daß er mir nicht mehr helfen konnte. Er würde erst wieder zu sich kommen, wenn schon alles vorüber war – so oder so. Ich setzte ihn auf die Tastatur der Orgel, wobei ich den Bereich der hö heren Töne wählte. Dann hastete ich weiter, nachdem ich die Blauen nach Waffen untersucht hatte. Sie hatten keine bei sich. Im Laufen überprüfte ich den Paralysator, den Schrika mir übergeben hatte. Das Magazin war schon halb entladen gewesen, als ich ihn bekom men hatte! Jetzt reichte die Energie höchstens noch für zwei Schüsse. Die Piraten hatten sich alles sehr schön ausgedacht und alles vorgeplant, damit ich genau das tat, was sie von mir erwarteten. Sie sollten sich dennoch getäuscht haben. Bis zu einem bestimmten Punkt würde ich ihre Pläne verfolgen, so wie sie es sich vorgestellt hatten, aber dann würde ich den Spieß umkehren und sie nach meinen Regieplänen führen. Ich erreichte die Stelle, die mir Schrika beschrieben hatte. Von hier aus führte ein Stichgang zu einer geräumigen Kabine, die ehemals für einen Maahkoffizier vorgesehen sein mußte. Sie war leer bis auf einige versie gelte Kästen, die mich nicht interessierten. Ich mußte sie jedoch zur Seite rücken, um die Platte im Boden freizulegen. Alles war so, wie Schrika ge sagt hatte. Deutlich konnte ich die Rillen erkennen. Ich schob die Desinte
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gratorklinge des Messers hinein, das sie mir gegeben hatte, und führte sie langsam um das Quadrat herum. Dann legte ich das Werkzeug zur Seite, da ich einen Metallstift sah, mit dem ich die Platte viel besser anheben konnte. Mit einem Ruck warf ich sie schließlich hoch. Darunter lag die von den Maahks verwendete Isolierungsschicht, die ich ebenfalls mit dem Desintegratormesser heraustrennen mußte. Dann folgte bereits die Kunst stoffverschalung der Decke von der Hauptleitzentrale. Ein unbeschreibli cher Lärm kam von unten hoch. Die zahlreichen Lautsprecher der Orgel dröhnten in unerträglicher Weise. Ich setzte das Messer an. In diesem Moment wurde es schlagartig still. Nur das Geschrei der Kämpfenden war noch zu hören. Endlich hatte es ei ner der Phalanen geschafft, die Orgel abzuschalten. Rasch trennte ich das Material durch, wobei ich darauf achtete, daß die Platte nicht in die Zentrale hinabfiel. Ich blickte direkt auf die Spitze des blauen Phalayms! Die Säule hatte einen Durchmesser von etwa einer Handbreite. Wie lang sie war, konnte ich nicht genau erkennen. Ich schätzte, daß sie übermanns hoch war. In ihrem Innern herrschte ein eigenartiges Leben. Blasen und stäbchen förmige Kristalle stiegen in ihr auf und ab, und milchige Schleier glitten an ihrer Peripherie entlang. Mehrere Phalanen kauerten andächtig auf dem Boden, den Kopf auf die Knie gesenkt. Das alles aber hätte mich kaltgelassen. Was mich erregte, war der Anblick, den Schrika bot. Die Blauen hatten sie in ihre Hände gebracht und vor das Phalaym ge schleift. Sie lag direkt unter mir auf der Seite und schlang Arme und Beine um die Säule. Die Phalanen hatten sie gefesselt und sie so in diese Lage gezwungen. Ihr Körper war transparent. Er schimmerte in einem hellen, bläulichen Licht. Deutlich konnte ich ihre Organe erkennen. Ihr Kopf leuchtete blutig rot. Nur ihr Gehirn hatte eine grünliche Farbe, die das Rot überstrahlte. Da ich die Bewegungen ihres Herzens verfolgen konnte, wußte ich, daß sie noch lebte. Ich war wie gelähmt, und ich mußte an die Worte von Trockman Quit denken. Fast war ich geneigt, an ein Wunder zu glauben, bis ich einen kräftigen Tritt gegen die Beine erhielt. Er befreite mich aus der parapsychischen Fessel des Phalayms.
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7.
Über mir stand ein Mann, der mich auf den ersten Blick an Fartuloon erin nerte. Er wirkte übermäßig fett und trug eine Art Lederrüstung, die seinen Körper vollständig umhüllte. Der kahle Schädel glänzte, als ob er mit Fett poliert worden sei. Das Gesicht verschwand fast völlig unter einem schwarzen Bart. Nur die Augen leuchteten nicht gelblich, sondern rot. In der Faust hielt der Pirat ein Schwert. Es war außerordentlich scharf, wie er mir sogleich demonstrierte. Er ritzte mir den Oberschenkel auf. Ich hatte kaum eine Berührung gespürt, und doch begann die Wunde stark zu bluten. »Steh auf«, befahl er mir. Langsam erhob ich mich, wobei ich fieberhaft überlegte, wie ich mei nen Gegner überwinden konnte. Der Raum war eng. Für einen Kampf blieb kaum genügend Platz. Alle Vorteile lagen bei dem Piraten. »Was treibst du hier?« Ich stand breitbeinig über der Öffnung. Jetzt deutete ich nach unten und antwortete: »Das Phalaym!« Dann trat ich zurück. Mochte er sich selbst zusammenreimen, was ich meinte. Er setzte mir die Schwertspitze an die Kehle und schob mich zu rück, bis er in das Loch sehen konnte. Ruckartig fuhr sein Kopf hoch. Er starrte mich haßerfüllt an. »Du wolltest es zerstören«, sagte er. »Geht denn das überhaupt?« Hinter ihm erschien Trockman Quit. Der Kleine näherte sich ihm auf Zehenspitzen. Dennoch war er nicht leise genug. Ich sah, wie der Mann in der Lederrüstung die Augen verengte, und glaubte erkennen zu können, wie er die Ohren spitzte. Der Druck des Schwertes auf meine Kehle ver stärkte sich. »Falls jemand auf einen dummen Gedanken kommen sollte, bist du ein toter Mann«, verkündete er so laut, daß Quit es hören konnte. Dabei schob er seinen linken Fuß einen halben Schritt zur Seite. Er beachtete das Loch im Boden nicht und verlor das Gleichgewicht. Blitzschnell schlug ich das Schwert zur Seite, ohne mich an der Schnei de zu verletzen. Trockman Quit hieb dem Ledernen einen Gegenstand über den Kopf. Ich konnte nicht sehen, was es war. Auf jeden Fall erzielte er damit eine volle Wirkung. Der Mann mit dem Schwert stürzte in das Loch. Er paßte jedoch nicht ganz hindurch. Ich dachte an das Phalaym und an Schrika, die da unten lag, und wollte ihn wieder nach oben ziehen, aber Trockman Quit hatte sich schon auf ihn geworfen. Er landete mit angezogenen Knien auf seinen Schultern und
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preßte ihn dadurch ein Stück weiter nach unten. »Verdammt, jetzt ist es ganz dicht«, sagte er. Jetzt erschien es mir unmöglich, den Dicken wieder nach oben zu zie hen. Deshalb schob ich kräftig nach. Das reichte. Er stürzte nach unten. fiel auf die Spitze der Säule und von dort weiter. Ich beobachtete, daß er nur ganz knapp neben dem rot leuchtenden Kopf der Piratin auf den Bo den krachte und liegenblieb. Quit stieß mit dem Fuß gegen die Klinge, und die Waffe kippte über den Rand, bevor ich sie halten konnte. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Sie flog auf Schrika zu und bohrte sich unter ihrem Kinn in den Boden. Dabei verletzte sie die Gefesselte. Grünlich schimmerndes Blut strömte aus. Trockman Quit starrte nach unten. »Was ist das?« fragte er stöhnend. »Ich habe Schrika immer für eine Ar konidin gehalten.« Er begriff nicht, daß die Farbveränderungen durch das Phalaym hervor gerufen wurden. Ich nahm meinen Gürtel ab, drängte Quit zur Seite und legte den Gürtel um die Öffnung. »Schnell«, rief ich. »Gib mir deinen Gürtel auch noch. Vielleicht reicht einer nicht aus.« Die Phalanen unter uns waren aus ihrer Andacht aufgeschreckt. Sie schrien wild durcheinander. Einige von ihnen verlangten nach Paralysato ren, mit denen sie uns ausschalten wollten. Wir durften keine Zeit mehr verlieren. Trockman Quit nestelte nervös an seinem Gürtel herum. Er konnte das Schloß nicht öffnen, weil er viel zu hastig vorging. Ich schlug ihm die Hände zur Seite und nahm ihm den Gürtel ab, um ihn ebenfalls um die Öffnung zu legen. Jetzt beruhigte sich der Pirat. »Los doch, los doch«, sagte er. Wir legten uns auf den Boden und zogen die tarnende Verkleidung von den Gürteln ab. Darunter wurden die Schaltungen für die kleinen Antigra vitatoren sichtbar. Wir stimmten die Justierungen aufeinander ab. Ein negatives Schwerefeld entstand. »Jetzt«, rief Quit. Wir senkten das Feld ab und verstärkten es zugleich. Es legte sich wie eine Klammer um das Phalaym und zog daran. Nach unseren Berechnun gen hätte die Säule aufsteigen müssen. »Verfluchter Gonozal«, sagte Quit keuchend. »In tausend Höllen sollst du schmoren! Es hätte doch schon längst kommen müssen!« Bevor ich ihn daran hindern konnte, verstärkte er das Schwerefeld um das Zehnfache. Die Säule war jetzt einem Traktorfeld ausgesetzt, das es aus der Verankerung reißen mußte.
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Unter uns erschienen mehrere Phalanen mit Paralyseschockern. Sie richteten sie auf uns. In diesem Moment brach das Phalaym knirschend aus seiner Halterung. Die Blauen brüllten vor Entsetzen. Wie eine Rakete stieg die Säule auf und beschleunigte rasend schnell. Damit trat genau das ein, was wir nicht beabsichtigt hatten. Überhastet versuchte Trockman Quit, seinen Fehler wiedergutzumachen, aber er er reichte damit gar nichts. Das Phalaym flog wie ein blauer Schatten an uns vorbei und prallte mit voller Wucht gegen die Decke. Ich erwartete, daß es hindurchbrechen und in höhere Regionen des Schiffes eindringen würde. Doch das trat nicht ein. Das Phalaym zerbarst! Plötzlich entstand ein Lärm, der uns die Trommelfelle zu sprengen drohte. Die Säule explodierte und löste sich in mikroskopisch kleine Parti kel auf. Eine türkisfarbene Wolke entstand, die den Raum schlagartig bis in den letzten Winkel füllte. Trockman Quit rang keuchend und würgend nach Luft und atmete dabei den Staub ein. Ich preßte mir den Ärmel vor das Gesicht, packte den Pira ten an der Schulter und zerrte ihn hinter mir her. Auf dem Gang war die Wolke nicht ganz so dicht, dennoch hielt ich weiter die Luft an, bis ich einen Gang erreichte, der völlig sauber war. Quit brach zusammen. Er wälzte sich auf dem Boden und schnappte nach Luft. Ich sah, daß sein Kopf sich rötlich verfärbte und langsam trans parent wurde. »Trockman Quit«, sagte ich und richtete ihn auf. »Das kann doch nicht wahr sein.« »Was ist? Wovon redest du?« fragte er stammelnd. »Dein Kopf ist durchsichtig geworden«, erklärte ich. »Und ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugen können, daß du tatsächlich ein Gehirn in deinem Schädel hast. Jetzt glaube ich auch an Wunder.« Er war beleidigt. Mit verschlossenem Gesicht schob er sich an mir vorbei und eilte zum nächsten Schott. An der spiegelnden Fläche konnte er sich sehen. Bedau erlicherweise verschwand das Phänomen wieder, so daß er nur noch einen roten Schimmer wahrnehmen konnte. Er fuhr herum. »Du hast ja keine Ahnung, was du angerichtet hast«, erklärte er. »Die Phalanen werden uns alle umbringen. Sie werden Amoklaufen. Das Pha laym war ihr Heiligtum. Du hast es vernichtet.« Er legte die Hand an die Kontaktplatte. Das Schott glitt zur Seite. Wir sahen etwa dreißig Phalanen, die mit Energiestrahlern, Schwertern, Mes sern und Stangen bewaffnet waren. Sie stürmten auf uns zu. Trockman Quit erbleichte vor Schreck und verschloß das Schott schnell
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wieder, bevor einer der Blauen auf uns schießen konnte. Sie hatten uns je doch entdeckt und schrien vor Wut. »Weg hier«, rief der Kleine keuchend und rannte an mir vorbei. Ich packte ihn, so daß er von seinem eigenen Schwung herumgewirbelt wurde. »Wohin willst du?« fragte ich. »Du läufst in eine Sackgasse. Da hinten ist Schluß. Es gibt nur einen Ausweg.« Bei diesen Worten schleppte ich ihn schon in die Kabine, in der das Phalaym explodiert war. An den Wänden, an der Decke und am Boden klebte türkisfarbener Staub. Hinter uns hörten wir die Schritte der Verfol ger. »Da unten ist es ganz aus mit uns«, sagte Quit entsetzt. Ich setzte mich auf den Boden und schob die Beine durch die Öffnung. »Gut«, erwiderte ich. »Dann bleib hier. Die Blauen werden sich freuen, wenn sie wenigstens einen von uns erwischen.« »Du bist ein Teufel«, sagte er mit wutbebender Stimme. »Du würdest glatt zusehen, wie sie mich auseinandernehmen.« »Immerhin könnte ich dann feststellen, ob du tatsächlich ein Gehirn in deinem Schädel hast oder ob das eine optische Täuschung war.« Ich sprang, bevor er seinen Zorn an mir auslassen konnte. Dicht neben Schrika stürzte ich zu Boden. Sie lag blaß und erschöpft auf dem Sockel, auf dem vorhin noch das Phalaym gestanden hatte. Bevor ich mich erhe ben konnte, prallte Trockman Quit auf mich. Dadurch kam er weniger hart auf als ich. Ihm gelang es auch, schneller auf die Beine zu kommen. »Los doch. Schnell«, rief er. »Die Blauen sind schon da.« Ich wälzte mich zur Seite und zog Schrika mit. Wir fielen von dem Sockel herab und entgingen dadurch einem Energiestrahl, der von oben herabzuckte. In der ehemaligen Hauptleitzentrale des Maahk-Schiffes herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander. Die Spuren schwerer Kämpfe waren nicht zu übersehen. Einige Phalanen lagen bewußtlos zwischen Kissen und Liegen. Auch einige der Mädchen Schrikas hatten den Kampf nicht unbe schadet überstanden. Es waren jedoch keine Waffen eingesetzt worden, mit denen schwere Verletzungen hätten verursacht werden können. Ich zog Schrika mit mir. Sie war so benommen, daß sie kaum laufen konnte. Trockman Quit dachte nicht daran, uns zu helfen. Er flüchtete auf das Hauptausgangsschott zu und setzte dabei in hohen Sprüngen über alle Hindernisse hinweg, die auf seinem Wege lagen. Ich befürchtete bereits, er wolle uns im Stich lassen, als er das Schott er reichte, sich bückte und einen schweren Paralysestrahler aufnahm. Die Waffe war mit einem Mikroantigravitator versehen, sonst hätte er sie gar nicht tragen können. Er richtete sie auf den Sockel, auf dem das Phalaym gestanden hatte.
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Dort regneten jetzt die Blauen herab. Wir wären verloren gewesen, wenn Quit nicht so konsequent gehandelt hätte. Er löste die Waffe immer wieder aus, so daß keiner der Phalanen noch einsatzfähig war, als er auf dem Boden ankam. »Ich nehme alles zurück, was ich über dein Gehirn gesagt habe«, ver sprach ich, als Schrika und ich ihn erreichten. Er richtete den Paralysestrahler auf mich. »Das will ich auch hoffen«, entgegnete er. Seine Augen starrten mich kalt an. »Du bist mir ein wenig zu eigenmächtig«, sagte der Pirat. »Das gefällt mir nicht.« »Nimm die Waffe weg!« befahl Schrika. Sie schob sich energisch an mir vorbei und stellte sich vor Trockman Quit. Er verzog das Gesicht und trat unschlüssig einen Schritt zurück. »Vergiß nicht, daß du ohne mich überhaupt nichts ausrichten kannst«, mahnte sie. »Dein Nest ist zerstört, und deine Leute sind demoralisiert. Wir haben eine Vereinbarung mit Atlan, und die werden wir halten.« Ich hätte ihr Gesicht sehen mögen, denn ich war bereit, jede Wette dar auf abzuschließen, daß sie ihm jetzt zuzwinkerte. Ich konnte es ihrer Stim me anhören, daß sie nicht daran dachte, wirklich das zu tun, was ich er wartete. Wir hatten übersehen, daß weitere Phalanen durch die Öffnung in der Decke herabgekommen waren. Jetzt rückten sie auf uns zu. Ich hörte sie und drehte mich nach ihnen um. Die meisten von ihnen waren bewaffnet, doch keiner von ihnen richtete seine Waffe auf uns. In ihren Gesichtern stand tiefe Trauer. Einige Männer schienen völlig verzweifelt zu sein. »Komm her!« befahl Schrika und zog mich zur Seite, so daß Quit freies Schußfeld hatte. Er brauchte den Paralysator jedoch nicht einzusetzen. Die Blauen blieben stehen. »Warum habt ihr das getan?« fragte einer von ihnen mit tonloser Stim me. Ich verspürte keine Reue. Ich hatte ein Götzenbild zerstört. Mehr nicht. Darüber hinaus trug ich nicht die Schuld. Wäre es nach mir gegangen, dann wäre das Phalaym auch jetzt noch unbeschädigt gewesen. »Wir haben sie«, flüsterte Trockman Quit mir zu. »Sie sind vollkom men fertig.« »Hanwigurt Sheeron ist seine Leibwache los. Jetzt kann er sich nur noch auf die Roboter verlassen und auf ein paar Männer, die nicht viel tau gen«, raunte Schrika. »Verschwindet«, rief der Kleine. »Es wurde Zeit, daß euch jemand zur Vernunft brachte.« Schrika öffnete das Schott. An ihr vorbei konnte ich auf den sich an
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schließenden Hauptgang sehen. Dort standen die Phalanen dicht an dicht. Sie boten alle den gleichen Anblick. Sie waren blaß und sahen verstört aus. Einige von ihnen trugen deutliche Spuren des Kampfes, den sie mit den durchtrainierten Mädchen Schrikas durchgestanden hatten. Die Niederlage der Blauen war vollkommen, doch jetzt kehrte sich in mir das Gefühl des Triumphs um. Plötzlich dachte ich anders über das Phalaym und die Phalanen. Ich hatte nicht gewußt, daß ihnen der Götze so viel bedeutet hatte. Bis jetzt hatte ich nur an die FARNATHIA gedacht und rücksichtslos meine Ziele verfolgt, ohne die Probleme der anderen zu sehen. Ich hatte die Piraten als eine Art Menschen zweiter Klasse eingestuft und mußte er kennen, wie falsch das gewesen war. Ich fühlte mich gedemütigt. In diesen Augenblicken erkannte ich, daß ich mich auf den Anschlag gegen das Phalaym nicht hätte einlassen dürfen. Was wußte ich schon von dieser Säule? War es nicht reichlich vermessen von mir gewesen, sie ein fach als Götzen zu bezeichnen? Wie hatte ich das einfach so abtun können, was die Blauen als Wunder bezeichneten? Ich dachte an Fartuloon, und ich wußte, daß er mein Verhalten verurteilt hätte. Schrika gab mir einen Stoß in den Rücken. »Träume nicht, Kleiner«, sagte sie. Ich ging vor ihr und Quit her durch den Gang. Die Phalanen wichen vor uns zurück, ohne uns anzugreifen. Sie waren tatsächlich völlig demorali siert und nicht mehr in der Lage, irgend etwas gegen uns zu unternehmen. Ihr Amoklauf war nur von kurzer Dauer gewesen. Er war vorbei, als sie erkannt hatten, daß sie absolut nichts mehr für das Phalaym tun konnten. Diese Haltung war es, die mich beschämte. Mochte man zu ihrem Ver halten als Weltraumpiraten am Rande der Sogmanton-Barriere stehen, wie man wollte, zumindest diese Phalanen hatten menschliche Qualitäten durch den Verzicht auf Rache bewiesen. Das ließ sie mir in einem ganz anderen Licht erscheinen. Ich erinnerte mich daran, daß sie Hanwigurt Sheeron freiwillig als Leib wache gedient hatten, ohne dafür einen größeren Beuteanteil zu verlangen. Es wurde Zeit, daß ich meine Pläne überdachte. Vielleicht war dieser Hanwigurt Sheeron ein ganz anderer Mann, als ich bisher angenommen hatte. Wir erreichten das Ende des Ganges. Ein Phalane öffnete uns das blau eingefärbte Schott und ließ uns widerstandslos durch. Trockman Quit drehte sich zu mir um und nickte mir zu. Er sah jetzt wieder so harmlos aus wie fast immer. Gerade das machte mich aufmerk sam, denn ich wußte, daß sich sein wahres Ich hinter dieser Maske ver
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barg. »Ich muß dich loben, Kleiner«, sagte er zu mir. »Natürlich wärest du ohne meine Hilfe erledigt gewesen, aber du hast dich recht gut gehalten. Du sollst dafür belohnt werden.« »Ja«, entgegnete ich. »Das hast du schon einige Male gesagt. Inzwi schen hast du mir aber gezeigt, daß du nicht so ohne weiteres bereit bist, mir auch tatsächlich zu helfen.« »Was willst du damit sagen?« »Ich möchte zumindest wissen, ob du überhaupt darüber informiert bist, wo die Staubeier untergebracht sind.« Er lächelte herablassend. »Natürlich bin ich das. Komm, ich zeig's dir.« »Ich verschwinde inzwischen. Meine Mädchen brauchen mich.« Quit nickte Schrika zu und ließ sie ziehen. Mich führte er zu einem An tigravschacht und sank darin einige Stockwerke nach unten. An einigen Stellen konnte ich sehen, wo dieses Wrackteil mit dem Maahk-Schiff ver schweißt worden war. Daran erkannte ich, daß wir an der Außenhaut die ses großen Raumers herabschwebten. So war es auch nicht schwer für mich zu erraten, wohin Quit mich weiterhin führte, als wir den Schacht verließen. Wir kehrten in das Maahk-Schiff zurück und kamen unmittelbar darauf in einen Hangar, in dem drei Staubeier standen. »Nur, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst«, sagte der Pirat und drückte mir den Paralysator in die Hüfte. Ich stellte mich überrascht. »Das verstehe ich nicht«, entgegnete ich. »Was meinst du? Du weißt doch genau, daß ich so ein Ding gar nicht fliegen könnte. Und wie sollte ich allein die FARNATHIA finden?« Er grinste und ließ die Waffe sinken. »Du hast natürlich recht.« Mein ganzer Zorn entlud sich in dem Schlag, den ich ihm versetzte. Ich traf ihn an der Kinnspitze und betäubte ihn auf der Stelle. Mit wenigen Griffen entlud ich den Paralysator und warf die Energiepatrone weg. Dann legte ich mir Quit über die Schulter und trug ihn in die Schleuse eines Staubeis. Hier. begannen die Schwierigkeiten. Ich versuchte, das Außenschott zu schließen und das Innenschott zu öff nen. Es gelang mir weder das eine noch das andere. Vergeblich bemühte ich mich, mir in Erinnerung zu rufen, wie Jepson Tropp die Schotte be wegt hatte. Hastig strich ich mit den Händen über die Außenkanten, ohne daß etwas geschah. Trockman Quit kam bereits wieder zu sich. Ich wollte jedoch nicht warten, bis er so klar war, daß er mir wirklich helfen konnte. Ich
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zwang mich zur Ruhe, und endlich hatte ich Erfolg. Rücksichtslos schleifte ich den Piraten in die Staubeikanzel und setzte ihn auf den Pilotensessel. Er stöhnte. Der Kopf fiel ihm immer wieder auf die Brust. Er hatte sichtlich Mühe, die erneute Bewußtlosigkeit zu über winden. Ich fürchtete bereits, daß er eine Gehirnerschütterung davongetra gen hatte. Aus einem Automaten zapfte ich mir etwas zu trinken ab, bediente mich erst selbst und träufelte Quit danach etwas über die Lippen. Jetzt erholte er sich schneller. Ich wartete ab und betrachtete die Instrumente. Einige Geräte konnte ich leicht identifizieren. Mit ihnen wußte ich auch etwas anzufangen, doch die meisten Einrichtungen blieben mir rätselhaft. Ich benötigte jemanden, der das Ei fliegen und mich beraten konnte. Offensichtlich waren besondere astronautische Kenntnisse notwendig, um in der Sogmanton-Barriere flie gen zu können. Ich hatte Trockman Quit die Wahrheit gesagt. Allein konnte ich dieses Ding wirklich nicht fliegen. Ich war auf seine Hilfe angewiesen. Resignierend lehnte ich mich in meinem Sessel zurück und wartete, bis der Pirat wieder voll bei Sinnen war. Dabei überlegte ich mir, wie ich ihn zwingen konnte, das zu tun, was ich wollte. Mir fiel nichts ein. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Es wäre sinnlos gewesen, Gewalt anzuwenden. Der Zwerg schien meine Gedanken lesen zu können. Als seine Augen wieder klar waren, drehte er sich zu mir um. Er rieb sich das angeschwol lene Kinn. »Heute habe ich reichlich Prügel bezogen, Kleiner«, sagte er. »Was meinst du? Wie fühle ich mich?« »Ich nehme an, du hast Sehnsucht nach weiteren Kinnhaken«, erwiderte ich. »Oder sollte ich mich irren?« »Stell dir vor. Du irrst dich.« »Tatsächlich!« rief ich. »Und ich dachte, du seist hart im Nehmen. Wie man sich doch täuschen kann.« Er blickte mich erneut an und versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Dafür hatte seine untere Gesichtspartie zu stark gelitten. »Verdammt«, sagte er stöhnend und tastete die Schwellungen ab. »Das wirst du mir bezahlen.« »Darüber reden wir später, Trockman Quit. Jetzt wirst du erst einmal zur Kasse gebeten. Wir starten und bergen meine Freunde in der FARNA THIA.« »Gern, Atlan.« Er erhob sich. »Ich sehe natürlich ein, daß du Sehnsucht nach ihnen hast. Hier – fliege das Ding. Ich kann es nicht.« Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und drückte ihn wieder in den
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Sessel. Seine Selbstsicherheit verlor sich augenblicklich. In seinen Augen stand nackte Angst. »Du kannst mich erwürgen«, sagte er heiser. »Du kannst tun mit mir, was du willst, aber du kannst mich nicht zwingen, das Staubei zu starten. Es gibt nur eine kleine Gruppe von Spezialisten unter uns, die damit um gehen können. Du hast dir den falschen Mann geschnappt. Es wäre besser gewesen, Jepson Tropp hierher zu bringen. Schrika hättest du auch wählen können, aber nicht mich. Ich habe andere Aufgaben innerhalb unserer Or ganisation. Es tut mir leid.« Mein Logiksektor bestätigte mich in der Annahme, daß er die Wahrheit sagte. Trockman Quit war wirklich der falsche Mann. Als er merkte, daß ich ihm glaubte, lebte er wieder auf. »Du kannst mir vertrauen, Atlan. Ich werde Wort halten. Sobald Shee ron entmachtet ist, beschaffe ich dir einige Piloten. Sie werden mit mehre ren Staubeiern in die Barriere hinausfliegen und deine Freunde herausho len. Bitte, glaube mir.« Ich wollte noch immer nicht aufgeben. Wieder konzentrierte ich mich auf die Instrumente. »Du verlierst nur Zeit«, signalisierte mein Logiksektor.
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8.
Schrika war nicht überrascht, als wir in ihrem Nest erschienen. Sie nickte mir wieder zu, als sei es selbstverständlich, daß wir zurückgekommen wa ren. »So«, sagte sie. »Und jetzt geht es Sheeron an den Kragen.« Sie blickte mich forschend an. »Wie fühlst du dich?« Ich war müde und abgespannt. Die Enttäuschung so nah vor dem Ziel hatte mir viel von meinem Schwung genommen. »Er ist frisch, als wäre er gerade eben erst aus der Schwitzkabine ge sprungen«, antwortete Trockman Quit für mich. »Oder?« Er sah mir an. wie es um mich stand. »Du willst doch jetzt wohl nicht aufgeben?« fragte er. »Du weißt genau, daß deine Farnathia dir keine Zeit läßt, dich aufs Ohr zu legen. Außerdem stehen unsere Chancen jetzt gut. Sheeron ist seine Leibgarde los. Wenn wir jetzt zuschlagen, gewinnen wir. Warten wir zu lange, erholt er sich wieder.« »Gib mir irgend etwas zu trinken, was mich munter macht«, bat ich Schrika. Sie steckte die Finger in den Mund und pfiff zweimal schrill. Die Mäd chen kamen so schnell, als hätten sie schon vorher gewußt, was ich haben wollte. Sie reichten mir ein dunkelbraunes Gebräu, das süßlich roch. Mir drehte sich der Magen um, als ich den ersten Schluck genommen hatte. »Es hilft wirklich«, beteuerte die fette Piratin. »Es gibt dir neuen Schwung. Herunter damit!« Ich folgte der Empfehlung und wartete ab. Die Wirkung trat schon bald ein. Die Müdigkeit verflog, und ich konnte mich wieder auf das konzen trieren, was Schrika und Quit miteinander zu besprechen hatten. »Der Zwerg wird dich zu Hanwigurt Sheeron bringen«, erklärte Schri ka. »Einige meiner Mädchen und ich werden dich begleiten. Wir werden ihm sagen, daß wir dich in einem Versteck erwischt haben und es als unse re Pflicht ansehen, dich auszuliefern.« »Er wird zu Tränen gerührt sein«, spottete ich. »Glaubt ihr denn wirk lich, daß er von den Vorfällen bei den Phalanen noch nichts erfahren hat?« »Er wird nicht heulen«, versprach Trockman Quit. »Er weiß zwar, was geschehen ist, aber er hat keine Ahnung, wer für die Vorfälle verantwort lich ist.« »Schrika und die Mädchen waren dabei«, sagte ich. »Sicher, aber es gibt noch zwei weitere Nester auf Richmonds Schloß, in dem ausschließlich Weiber – äh – Damen leben«, erläuterte Quit.
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»Eines wird von einer Schönheit geleitet, die. unserer Schrika zum Ver wechseln ähnlich ist. Es ist ihre Schwester. Und dieses Mädchen hat in letzter Zeit häufig mit den Phalanen im Streit gelegen. Der Verdacht wird sofort auf sie fallen.« »Gut«, stimmte ich zu. »Was soll ich tun?« »Genau das, was wir dir gesagt haben. Hanwigurt Sheeron ist ein fetter und häßlicher Mann. Er ist ziemlich unbeweglich und verläßt sich ganz auf seine besondere Begabung der Telepathie. Er wird versuchen, deine Gedanken zu erfassen und alles aus dir herauszuholen, was er nur erfassen kann. Da bei dir ohnehin nicht viel da ist, wird er enttäuscht werden, aber das spielt für unsere Pläne keine Rolle.« Er blinzelte mir boshaft zu, weil er meinte, sich nunmehr bei mir revan chiert zu haben. Als ich nicht reagierte, war er mit sich und mir unzufrie den. »Das nächstemal, wenn du dich bemühst, mich zu beleidigen, werde ich so tun, als hättest du mich tief getroffen«, spottete ich. Das erregte ihn noch mehr. Bevor er jedoch darauf Pingehen konnte, stieß ihm Schrika den Fuß gegen das Bein und erinnerte ihn damit daran, daß es jetzt wichti gere Dinge gab. »Sheeron ist fast nie bewaffnet«, fuhr er zögernd fort. »Er verläßt sich meistens auf seine Roboter. Du wirst deshalb möglichst nahe an ihn heran gehen, ihn dann angreifen und die Schaltungen am Gürtel vornehmen, welche die Kampfautomaten stillegen.« Wieder pfiff Schrika. Der Ton fiel ein wenig anders aus. Die Mädchen verstanden sie genau. Sie brachten eine Tafel, die mit mehreren Zeichnun gen versehen war. »Dies ist der Gürtel«, sagte Schrika. »Ich will dir jetzt zeigen, was du tun mußt.« Ich hörte angestrengt zu. »Vorsicht!« Mein mit der ARK SUMMIA aktiviertes Extrahirn be schränkte sich auf diese knappe Warnung. Irgend etwas stimmte nicht. Wenn es wirklich nur darauf ankam, den Gürtel zu betätigen, dann brauchten sie mich nicht. Das hätten sie unter Umständen auch allein schaffen können, es sei denn, daß die damit verbundene Gefahr zu hoch für sie war. Es mußte einen Unsicherheitsfaktor geben, den sie mir nicht nennen wollten. Umgab sich Sheeron mit einer Art Energieschirm, an dem ich verbren nen konnte, wenn ich ihm zu nahe kam? Verfügte er über Sicherheitsein richtungen, die praktisch nur zu überwinden waren, wenn der Angreifer dabei sein Leben opferte? Wollten sie mich gegen Sheeron einsetzen, weil sie genau wußten, daß
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ich dabei sterben würde? Bestand vielleicht nur diese eine Chance, Shee ron zu entmachten? Vorläufig sollten sie noch nichts von meinen Bedenken merken. Ich mußte auf ihre Pläne eingehen, ob ich wollte oder nicht, denn nur in ihrer Begleitung konnte ich mit heiler Haut zu Sheeron vordringen. In Rich monds Schloß herrschte nach wie vor das Chaos. Zehntausend Männer und Frauen durchsuchten den Asteroiden und die daran befestigten Raum schiffe bis in den letzten Winkel hinein. Sie suchten mich. Ließ ich mich sehen, oder warfen mich Schrika und Quit hinaus, weil sie mit mir nichts mehr anfangen konnten, dann mußte ich damit rechnen, von der Menge umgebracht zu werden. Das Getränk, das sie mir verabreicht hatten, wirkte. Die Müdigkeit ver flog. Ich fühlte mich wieder leichter und beweglicher, so als hätte ich lan ge und tief geschlafen. Zugleich wurde ich ungeduldig. Ich wollte, daß Quit mich endlich zu Sheeron führte. Das sagte ich den beiden auch. »In Ordnung«, rief Trockman Quit mit abgrundtiefer Baßstimme. Er schlug mir mit der Hand kräftig auf die Schulter. Blitzschnell stieß ich ihn zurück. Mir war die Berührung unangenehm. Er flog von seinem Sitz, überschlug sich und landete zwischen den Kissen. Betroffen blickte ich erst auf meine Hand und dann zu ihm hinüber. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Wie hatte ich nur so heftig reagieren kön nen? Er hatte mir doch nicht mehr als einen freundschaftlichen Klaps ge geben. Der Pirat richtete sich auf und rieb sich die Schulter. In seinem verquol lenen Gesicht war von Gefühlsregungen nicht viel zu erkennen. Dennoch meinte ich, so etwas wie Zufriedenheit bei ihm feststellen zu können. »Komm jetzt«, befahl er barsch. »Los, steh auf. Wir gehen.« Ich erhob mich, obwohl es mir nicht ganz gefiel, daß unsere Unterre dung so endete. Irgend etwas in mir zwang mich, ihm zu gehorchen. »Du warst zu durstig«, meldete mein Logiksektor. Ich ging hinter Trockman Quit her. Schrika folgte mir auf den Füßen. Ich hörte, wie sie schnaufend atmete. Sie hatte Mühe, so schnell voranzu kommen wie wir. Dennoch protestierte sie nicht gegen die Schrittart, son dern rief alle Augenblicke: »Bummel nicht so, Atlan!« Unter anderen Umständen hätte ich entsprechend reagiert. Jetzt fühlte ich mich ohnmächtig gegen sie. Dabei wurde mir klar, daß ich unter dem Einfluß einer Droge stand. Ich war nicht mehr ich selbst. Ich verhielt mich wie ein vorprogrammierter Roboter, der über keinen eigenen Willen verfügte. Warum hatten Quit und Schrika mich so beeinflußt? Ich versuchte, mich auf diese Frage zu konzentrieren, aber es gelang mir
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nicht. Meine Gedanken liefen immer wieder in alle Richtungen davon. Mal dachte ich an Farnathia, ohne lange bei ihr verweilen zu können, mal an Fartuloon, den Bauchaufschneider, dem ich alles verdankte. Wie würde er sich in meiner Situation verhalten? Ich fand keine Antwort darauf. Schrika und Trockman Quit führten mich aus dem Nest der Piratinnen heraus zu einem Antigravschacht. Darin sanken wir nach unten und durch querten anschließend mehrere Bereiche, die von abenteuerlich gekleideten Männern bewacht wurden. Ohne Schwierigkeiten passierten wir. Quit wies eine orangefarbene Karte vor .und sagte: »Wir gehen zu Sheeron. Es eilt.« Daraufhin machte man uns widerstandslos Platz. Auf weit geschwungenen Gängen, die quer durch mehrere Raumschiffe hindurchführten, umgingen wir die Nester verschiedener Piratensippen. Schrika gab hin und wieder knappe Erklärungen darüber ab. Ich hörte nicht darauf, denn ich kämpfte gegen die Droge. Ich glich ei nem Betrunkenen, der sich krampfhaft bemüht, seine Umgebung nicht merken zu lassen, daß er die Kontrolle über seinen Körper verloren hat, und gerade durch seine unsicheren Bewegungen auffällt. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto geringer wurde mein Wider stand gegen das unheilvolle Pharmakon in meinem Blut! Zugleich fühlte ich mich immer kräftiger, und meine Aggressivität nahm zu. »Du läufst direkt ins Messer«, stellte mein Logiksektor fest, der unab hängig von der Droge funktionierte, aber keinen entscheidenden Einfluß auf meine Willenskraft hatte. Mir war, als ob ein Fremder zu mir spreche, jemand, der mich nicht wirklich etwas anging. »Hanwigurt Sheeron ist im Nest der Schlangen!« Die Meldung schien von sehr weit herzukommen. Ich vernahm sie kaum. Erst als Trockman Quit meinen Arm ergriff und mich aufhielt, be griff ich, daß diese Worte von ihm stammten. Ich rieb mir die Augen und atmete tief durch. Allmählich klärte sich der Kopf. »Was sagtest du?« fragte ich. Er wiederholte: »Sheeron ist bei den Schlangen. Wir haben es nicht mehr weit,« »Schlangen?« »Das sind Verrückte, die sich fast ausschließlich in Schlangenhäute kleiden und sich einbilden, eine Elitetruppe zu sein. Ich vermute, daß Sheeron sich eine neue Leibgarde besorgen will, nachdem die Phalanen ausgefallen sind.« »Meinetwegen«, erwiderte ich. Mir war alles egal. Ich wollte nur end lich zu Hanwigurt Sheeron. Er sollte zu spüren bekommen, daß ich mich nicht länger an der Nase herumführen ließ. Notfalls würde ich ihn mit Ge
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walt dazu bringen, das zu tun, was wir ihm befahlen. »Gib mir einen Schluck Wasser«, bat ich Quit. Wir blieben stehen. Er entfernte sich einige Schritte und kehrte mit ei nem Becher voll Wasser zurück. Ich trank ihn hastig aus. Danach fühlte ich mich ein wenig besser. Ich nickte. »Sind wir bald da?« »Wir sind da, Atlan. Wir brauchen nur noch durch das Schott da zu ge hen.« Er deutete auf einen Eingang, der mit Schlangenhäuten beklebt war. Davor stand ein Arkonide, der eine Kombination aus blauer Schlangen haut trug. »Du wirst es schon schaffen«, sagte Schrika aufmunternd. »Du weißt, was du zu tun hast?« »Natürlich«, erwiderte ich. Sie führten mich auf das Schott zu. Es glitt auf, und wir kamen in eine Vorhalle. Etwa zwanzig Roboter bildeten einen Halbkreis um einen klei nen und sehr korpulenten Mann. Er war kahlköpfig. Ständig fuhr er sich mit einem Tuch über den Schädel, um sich den Schweiß abzuwischen. »Das ist Hanwigurt Sheeron«, erklärte Trockman Quit. Er hob die Arme, als ein Arkonide zu ihm kam und ihn nach Waffen ab tastete. Der Mann wollte auch Schrika untersuchen, doch sie fauchte ihn an: »Wenn du mich anfaßt, bringe ich dich um!« Er zog sich zurück. »Schon gut«, sagte er. Ich fühlte mich immer besser. Endlich war ich am Ziel. Alle Benom menheit war verflogen – und dennoch war ich nicht ich selbst. Hanwigurt Sheeron drehte sich um und verließ die Vorhalle durch eine Seitentür. Die Roboter folgten ihm. Trockman Quit gab mir einen Stoß in den Rücken und befahl:. »Los, du sollst hinterhergehen.« Mir gefiel die Art nicht, wie er mich herumstieß, aber ich hatte nicht die Kraft, mich gegen ihn aufzulehnen. Hanwigurt Sheeron hatte auf einer Art Diwan Platz genommen. Er hockte mit untergeschlagenen Beinen zwischen einigen Kissen. Die klei nen, fleischigen Hände hatte er vor dem Bauch gefaltet. Ich sah, daß ihm der Schweiß über die feisten Wangen herablief und daß sein Kragen feucht war. Seine Kleidung wirkte ansonsten sehr gepflegt und übertrieben ele gant. Dieser Mann schien mir eitel zu sein, obwohl er auf seine Figur nicht sonderlich achtete. Hochmütig starrte er mich an. Ich wußte, daß er in diesen Augenblicken versuchte, meine Gedanken zu sondieren, und ich sah ihm an, daß ihm das nicht gelang. Eine leichte Unsicherheit zeigte sich in seinem Gesicht. Er transpirierte stärker. Stöh
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nend griff er nach seinem Tuch und fuhr sich damit über den Schädel. Zumindest in einer Hinsicht hatte Trockman Quit sich getäuscht. Nicht alle Roboter blieben bei Hanwigurt Sheeron. Die meisten verließen den Raum durch eine andere Tür. Bei dem Oberpiraten blieben nur zwei Kampfroboter, die darüber hinaus ihre Waffenarme nach unten hängen lie ßen und keineswegs den Eindruck machten, als wollten sie im nächsten Moment über mich herfallen. »Wer bist du?« fragte Sheeron. Er war so fett, daß er Atembeschwerden hatte. »Man nennt mich Atlan«, antwortete ich. Nicht nur Trockman Quit und Schrika hörten mir zu, sondern auch eini ge in Schlangenhäute gekleidete Piraten. Die Situation war ganz anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Meine Blicke richteten sich auf den Bauch des Oberpiraten. Ich konnte den Gürtel sehen, den Quit mir bezeichnet hatte. Langsam ging ich auf ihn zu, bis mich nur noch etwa zwei Körper längen von ihm trennten. Er hob die Hand und bedeutete mir stehenzublei ben. »Ich gehörte zu der Besatzung der FARNATHIA, die in der Barriere ge strandet ist«, fuhr ich fort. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich, daß Jepson Tropp in den Raum kam. Er ging an Quit und Schrika vorbei, ohne sie zu beachten, und lehnte sich unweit von Sheeron an die Wand. »Ich habe das Schiff verlassen, weil ich glaubte, ihm und der Besatzung auf diese Weise helfen zu können. Einer Ihrer Männer hat mich gerettet, aber er weigerte sich, auch die Besatzung der FARNATHIA zu bergen. Ich möchte Sie sie jetzt dringend bitten, das nachzuholen.« Er starrte mich durchdringend an und schwieg. Ich glaubte, ihm ansehen zu können, daß er seine telepathischen Kräfte einsetzte, um in meine Ge dankenwelt eindringen zu können. Deutlich zeichnete sich die Verwirrung in seinem Gesicht ab. Zugleich glaubte ich, so etwas wie Neugierde in sei nen Augen erkennen zu können. Ich wollte meine Bitte wiederholen. Er mußte etwas für Farnathia tun. Er durfte das Mädchen, das ich liebte, nicht in der Barriere umkommen lassen. Er konnte ihr helfen, wenn er nur wollte. Er konnte einem Mann wie Jepson Tropp den Befehl geben, loszufliegen und Farnathia zu holen. Ich ging auf ihn zu und streckte meine Arme aus. Bevor ich etwas sagen konnte, griff er eilig hinter sich, brachte einen schweren Energiestrahler hervor und richtete ihn auf mich. Ich sah das flammende Abstrahlfeld und die schwitzende Hand – und verlor die Kontrolle über mich. Ich fühlte mich bedroht und glaubte mich betrogen. Die Droge schwemmte alle Hemmungen fort, und die ganze Angriffs lust brach durch.
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»Atlan!« schrie Trockman Quit mit sich überschlagender Stimme. »Er will dich töten!« Ich fuhr herum und sah, daß der Pirat einen Energiestrahler auf mich zu schleuderte. Instinktiv hob ich den Arm. Meine Hand öffnete sich, um die Waffe aufzufangen, als ich blitzschnell den ganzen heimtückischen Plan Trock man Quits begriff. Ich ließ mich fallen. Der Blaster wirbelte an mir vorbei und polterte Hanwigurt Sheeron vor die Füße. Dieser aber hatte gar nicht so schnell erfassen können, daß ich mich weigerte, den Strahler aufzufangen und gegen ihn anzuwenden. Er sah sich bedroht – und schoß. Der Energiestrahl fauchte über mich hinweg und fuhr Quit mitten in die Brust. Ich sah, daß er die Augen weit aufriß und mich anstarrte. Er konnte es nicht fassen, daß sein so sorgfältig ausgeklügelter Plan nicht aufgegan gen war. Hätte ich so gehandelt, wie er es gewollt hatte, dann hätte ich die Waffe aufgefangen, mich umgedreht und Sheeron erschossen, um selbst dabei den Tod zu finden. Damit hätte er die Macht über Richmonds Schloß übernehmen können, ohne als Mörder Hanwigurt Sheerons zu gelten. Ich drehte mich herum und blickte in das flammende Abstrahlfeld des Blasters in Sheerons Hand. Geradezu betroffen blickte Sheeron auf die Waffe. Er nahm seinen Fin ger vom Auslöser. Das Projektionsfeld erlosch. Er legte den Blaster zur Seite. »Was wird hier gespielt?« fragte er scharf. Ich suchte vergeblich nach Worten. Langsam richtete ich mich auf. Jetzt ließ die Wirkung der Droge schnell nach. Die Erschöpfung machte sich wieder bemerkbar. »Nehmt euch Schrika vor!« befahl Sheeron. »Sie wird euch erklären, was Trockman Quit und sie mit diesem jungen Mann vorgehabt haben.« Die Piratin wurde von mehreren Schlangenmännern hinausgeführt. Die Roboter schlossen sich ihnen an. Ich blieb allein mit Jepson Tropp und Hanwigurt Sheeron. Schweigend musterte er mich. Ich sah ihm an, daß er nicht wußte, was er von mir halten sollte. Er überlegte angestrengt, wie er das Rätsel lösen sollte, das ich für ihn dar stellte, und ich fürchtete, daß er mich psychischem Terror aussetzen wür de. Mit einer solchen Folter würde er alles aus mir herausholen können. Ich hatte jetzt nicht mehr die Kraft, mich zu widersetzen. »Ich hatte Sie gewarnt, Sheeron«, warf Jepson Tropp ein. »Ihre Ge
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wohnheit, beim Verhör von Gefangenen hin und wieder zur Waffe zu grei fen, ohne sie wirklich einsetzen zu wollen, macht nur wenig Eindruck. Sie ist aber gefährlich, weil sie solche Narren wie Trockman Quit herausfor dern muß.« Natürlich! Das war es gewesen. Trockman Quit hatte genau gewußt, daß Sheeron im Lauf des Verhörs irgendwann zur Waffe greifen und da mit spielen würde. Auf diesen Augenblick hatte er sich und mich vorberei tet. Er hatte vorausberechnet, daß ich angesichts der auf mich gerichteten Energiestrahlwaffe durchdrehen und schießen würde. Von Anfang an war es ihm gar nicht um den Gürtel gegangen, von dem aus die Robotgarde an geblich zu steuern war. Das war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Vielleicht spielten die Roboter nicht einmal annähernd die Rolle, die sie nach den Worten Quits einnahmen. Nur ich als Gefangener hatte zum Instrument Quits werden können, denn nur bei mir konnte er damit rechnen, daß Sheeron die Waffe zog. Ich mußte zugeben, daß der Kleine den Plan raffiniert eingefädelt hatte. Bei jedem anderen wäre er wahrscheinlich aufgegangen, aber seitdem ich die ARK SUMMIA erlangt hatte, konnte ich nun einmal nicht mehr wie jeder andere in ein Planspiel einbezogen werden. »Die FARNATHIA wartet«, sagte ich erneut. »Sheeron, wollen Sie nicht endlich etwas für das Schiff tun?« »Lassen Sie uns endlich mit Ihrer FARNATHIA in Ruhe«, brüllte Jep son Tropp wütend. »Wir haben andere Sorgen. Begreifen Sie das nicht?« Ganz hatte sich die Wirkung der Droge noch nicht verloren. »Ich werde nicht eher Ruhe geben, bis Sie das Schiff geborgen haben«, schrie ich zurück. Ich fühlte, daß mich der Zorn übermannen wollte. Tropp kam auf mich zu. Er war groß und muskulös, und er wirkte aus geruht. Seine geballten Fäuste sagten mir, wie er seinen Willen durchset zen wollte. Ich warf mich zur Seite. Noch immer lag der Energiestrahler vor dem Diwan auf dem Fußboden. Ich ergriff ihn, bevor Sheeron oder Tropp han deln konnten. Der Assistent des Piratenführers erkannte die Gefahr. Er sprang langausgestreckt auf mich zu, aber ich wälzte mich rasch zur Seite, so daß er auf den Boden stürzte, ohne mich berühren zu können. Mit der Waffe in der Hand richtete ich mich auf. »Sie wollten es nicht anders«, sagte ich. Hanwigurt Sheeron, der seinen Blaster bereits halb erhoben hatte, ließ ihn wieder fallen. Jepson Tropp stand auf, wobei er die Arme leicht nach den Seiten ausstreckte. »Tropp und ich werden jetzt zu einem Staubei gehen und in die Sog manton-Barriere hinausfliegen«, erklärte ich. »Wir werden die Besatzung der FARNATHIA bergen und dann hierher zurückkommen. Etwas anderes
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bleibt uns wohl nicht übrig.« »Vollkommen richtig«, erwiderte Sheeron. »Und dann?« »Ich habe gehört, daß in gewissen Zeitabständen ein großes Raumschiff mit den gestohlenen Gütern aus den Wracks vollgepackt wird und zu ei nem arkonidischen Handelsplaneten fliegt«, sagte ich. »Wir werden war ten, bis dieses Schiff startbereit ist und dann mit ihm zu diesem Planeten reisen.« »Aber nur, wenn wir damit einverstanden sind«, entgegnete Hanwigurt Sheeron spöttisch. Meine Waffe schien ihn plötzlich nicht mehr sonderlich zu beeindrucken. »Ich verstehe einfach nicht, weshalb Sie sich weigern, die Besatzung der FARNATHIA zu retten«, sagte ich. »Weshalb machen Sie mir soviel Schwierigkeiten?« »Sie scheinen ziemlich ahnungslos zu sein«, antwortete Sheeron gering schätzig. »In der Barriere stranden so viele Schiffe, daß wir sie kaum alle ausbeuten können. An manche von ihnen kommen wir trotz unserer Spezi alraumschiffe nicht heran, soviel Mühe wir uns auch geben. Glauben Sie, daß es unter diesen Umständen interessant für uns sein könnte, ein kleines und wertloses Raumschiff anzusteuern? Meine Männer sind pausenlos im Einsatz, um echte Schätze aus der Barriere herauszuholen, aber doch nicht, um sich um ihre FARNATHIA zu kümmern. Sie interessiert uns nicht. Al so, geben Sie endlich Ruhe.« Ich ging um Jepson Tropp herum und zog ihm den Strahler aus dem Gürtel. Ich steckte ihn ein und überlegte kurz, wen von den beiden Män nern ich als Geisel wählen sollte. Zweifellos wäre Hanwigurt Sheeron wirksamer gewesen, aber von ihm wußte ich nicht, ob er ein Staubei flie gen konnte. Ich mußte mich für Jepson Tropp entscheiden. »Wir gehen jetzt zu einem Staubei. Tropp und ich werden hinausfliegen und die Besatzung der FARNATHIA herausholen«, erklärte ich. »Sie kommen, nicht bis zum nächsten Staubei«, erwiderte Sheeron und wischte sich mit dem Tuch über den Kopf. »Wir haben Sie vorher schon erledigt.« »Warten wir's doch ab«, sagte ich. »Wenn Sie versuchen, mich aufzu halten, dann werde ich Tropp töten. Lassen Sie mich gewähren, wird er unverletzt zurückkommen.« Ich gab Tropp ein Zeichen. Er nickte und ging mit erhobenen Armen auf ein Schott zu. Dort angekommen, blieb er stehen und drehte sich vor sichtig um. »Ich werde mich beeilen. Wir werden bald zurück sein. Die FARNA THIA ist nicht weit.« »Ich warte«, entgegnete Sheeron. »Machen Sie's gut, Tropp.« Hatten sie sich wirklich damit abgefunden, daß es nach meinem Willen
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weiterging? Ich konnte nicht anders. Ich mußte die Augen für einen ganz kurzen Moment schließen, weil sie mir wie Feuer brannten und die Lider so schwer waren, daß ich sie nicht mehr halten konnte. Jepson Tropp bemerk te es nicht. »Beeilen Sie sich«, drängte ich. Jepson Tropp öffnete das Schott. Draußen standen einige Kampfroboter und mehrere in Schlangenhäute gekleidete Männer. »Laßt uns vorbei«, befahl Tropp. »Es ist alles in Ordnung.« »Das sieht aber gar nicht so aus«, rief einer der Schlangenmänner. »Mag sein, Blowk, aber Sheeron will nicht, daß es einen Zwischenfall gibt. Er ist mit dieser Regelung einverstanden.« Ich drückte Tropp den Strahler in den Rücken und ging hinter ihm her. Die Männer machten uns Platz. Wir erreichten einen Antigravschacht. Jepson Tropp stieg hinein und drehte sich mir zu. Damit war ich nicht einverstanden. Mit einem Griff drückte ich ihn wie der herum, so daß ich ihm die Waffe in den Rücken richten konnte. So sah er auch nicht, daß ich abermals die Augen schloß. Ich hatte das Gefühl, in weiche, warme Kissen zu sinken. Für kurze Zeit verlor ich den . Kontakt zur Wirklichkeit. Ich schlief. »Wieviel Personen sind in dem Schiff?« fragte Tropp. Mit diesen Wor ten schreckte er mich auf. »Vier Männer und ein Mädchen«, antwortete ich. Er schwieg. Mit einer Geste gab er mir zu verstehen, daß wir aussteigen mußten. Vor uns lag ein breiter Gang, auf dem mehrere Piraten herumstan den und miteinander redeten. Sie blickten uns neugierig entgegen. »Geht zur Seite, Leute, oder er bringt mich um«, rief Tropp. Ich fühlte mich unbehaglich. Mir war, als könnte ich die Männer grin sen sehen. Vielleicht täuschte ich mich. Ich konnte es nicht feststellen. Gerade das steigerte meine Unruhe. Ein doppelt gepanzertes Schott glitt vor uns auf. »Wir sind gleich da«, kündigte Tropp an. »Hinter dem nächsten Schott befindet sich der Hangar mit den Staubeiern.« Wir betraten einen kleinen Raum, der wie eine Schleuse gestaltet war. Jepson Tropp legte die Hand auf die Kontaktplatte des Schotts. Ein Alarmsignal schlug in mir an. »Das ist eine Falle!« stellte mein Logiksektor fest. Das Schott schloß sich. Ich hörte es zischen. Gleichzeitig wurden mir die Lider schwer. Ich konnte die Augen kaum noch aufhalten und sah Tropp wie durch farbige Schleier hindurch. Die
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Beine gaben unter mir nach. Ich sank rücklings gegen die Wand. Vergeb lich versuchte ich, die Waffe hochzuhalten. »Geben Sie auf, Atlan«, riet Tropp mir. Ich sah ihn durch die Schleier hindurch lächeln. »Sie wollen mich ja gar nicht töten. Sie wissen genau, daß Sie sich das nicht leisten können. Wenn Sie mich ermorden, kennt auch Sheeron keine Gnade mehr, so umgänglich er sonst auch sein mag.« Der Strahler fiel polternd zu Boden. Ich rutschte an der Wand herunter. Aus halb geschlossenen Augen beobachtete ich, daß auch Tropp sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Auch bei ihm machte sich die Wir kung des Betäubungsgases bemerkbar, das seine Freunde in die Schleuse einströmen ließen. Ich hatte verloren. Im Grunde hatte ich es schon gewußt, als ich Sheeron zusammen mit Tropp verließ. Meine Mühen waren umsonst gewesen. Dennoch – es mußte doch eine Möglichkeit geben, die FARNATHIA zu retten. Ich durfte das Mädchen, das ich liebte, nicht aufgeben. Mir wurde schwarz vor Augen. Während ich das Gefühl hatte, in bodenlose Tiefen zu stürzen, hörte ich Jepson Tropp leise lachen. ENDE
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