GÜNTER PRODÖHL
Perlen, Haie, Kraken
1956
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr. 303 (305/70/...
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GÜNTER PRODÖHL
Perlen, Haie, Kraken
1956
VERLAG NEUES LEBEN BERLIN
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr. 303 (305/70/56) Umschlagzeichnung: Fritz Ahlers, Prieros (Mark) Gestaltung und Typographie: Kollektiv Neues Leben Druck: Karl-Marx-Werk, Pößneck, V15/30
Der Bungalow stand auf einem gerodeten Dschungelstreifen, der an den Strand grenzte, und bot einen ungehinderten Ausblick auf die Küste. Das Thermometer an der Wand zeigte annähernd hundert Grad Fahrenheit*(• entspricht einer Temperatur von etwa 37 Grad Celsius). Die Tropensonne brannte auf das Palmblätterdach und erhitzte das Innere derart, daß selbst die Fliegen träge umhertaumelten. Der einzige Raum war gerade groß genug, dem klobigen Bambustisch, einigen Hockern, einem altmodischen Schreibtisch, einem kleinen Schrank, dem mit einem Moskitonetz verhangenen eisernen Bettgestell und einem Waschständer Platz zu bieten. Vom Bett her drang lautes Schnarchen, das gelegentlich von einem tiefen Grunzen unterbrochen wurde. Unruhig wälzte sich der Schlafende hin und her, schlug schließlich die Augen auf und schaute sich blinzelnd um, als müsse er sich erst besinnen, wo er sich befand. Dann schob er den Gazeschleier auseinander, erhob sich und sah gähnend auf seine Armbanduhr. „Zehn Uhr. Verdammt, wieder verschlafen“, murmelte Geoffry D. Cummings, Inspektor der Okinawa Pearl and Diamond Company, und strich seine klatschnassen Haare glatt. Er war von großer, massiger Gestalt, hatte ein auffallend rosiges Gesicht und einen kugelrunden Kopf, der unmittelbar am Körper anzusetzen schien. Seine unruhigen Augen blickten miß- trauisch über die zu dick geratene Nase. Sein breiter, dünner Mund war ausdruckslos und kaum mehr als die obere Begrenzung der schweren Kinnpartie. Als er sich im Zimmer umsah, fiel sein Blick auf eine große Landkarte, die hinter dem Schreibtisch hing. Rechts oben zeigte sie die Südwestspitze Japans, links unten die Nordküste Taiwans. Dazwischen zogen sich in sichelförmigem Bogen unzählige dunkle Flecken hin. „Riukiu-Inseln“ stand quer darüber gedruckt. Cummings trat dicht an die Karte heran und suchte geraume Zeit mit dem Finger, bis er einen stecknadelkopfgroßen entdeckte, der rot angekreuzt und mit dem handschriftlichen Vermerk „Yashima“ versehen war. „Elendes Drecknest“, knurrte er mißmutig. „Nicht mal auf der
Karte verzeichnet. Hier soll nun ein anständiger Amerikaner leben – unter zweihundert eingeborenen Weibern, die nichts weiter können, als nach Perlen zu tauchen.“ Cummings liebte es, sich in Selbstgesprächen den Ärger von der Seele zu reden. Außerdem war es zur Zeit die einzige Möglichkeit für ihn, englisch zu sprechen. Vor drei Tagen war er mit dem Postund Verpflegungsdampfer der Okinawa Chosen Kaisha Reederei hier angekommen, um auf der Insel die Perlenfischerei für die Company in die Hand zu nehmen; seitdem mußte er sich wohl oder übel der Landessprache, dieses komplizierten Gemischs aus Japanisch, Malaiisch und Portugiesisch bedienen, wollte er sich wenigstens einigermaßen mit den Vorarbeitern und mit den Amas, wie die Perlentaucherinnen genannt wurden, verständigen. Und das fiel ihm schwer genug. Verärgert wandte er sich von der Karte ab und zog die mittlere Schublade des Schreibtisches auf, in der sich ein Feldstecher und eine flache Tonschüssel mit matt glänzenden silberweißen Perlen befanden. Als Cummings die Perlen erblickte, hellte sich seine Miene sogleich wieder auf. Beinahe zärtlich strich er mit der fleischigen Hand über sie hin, ließ sie genießerisch durch die Finger gleiten und betrachtete sie eine Zeitlang versunken. Dann nahm er den Feldstecher heraus und verschloß sorgsam die Schublade. Mit schnellen Schritten verließ er den Bungalow und stapfte durch den weißen Sand zur Küste. Die Bucht von Yashima lag platt und straff wie ein Billardtuch zu seinen Füßen. Keine Wolke stand am Himmel, kein Windhauch krauste den Pazifik. Die Luft flimmerte und knisterte vor Hitze, als sei sie elektrisch geladen. Weit auseinandergezogen schwammen zwölf prahmartige Kähne am Horizont. Cummings nahm den Feldstecher hoch und beobachtete, wie fein- gliedrige, dunkelhäutige Frauen, unförmige Helme auf dem Kopf, Taucherbrillen vor den Augen, Körbe und schwere Bleikeulen in der Hand, unablässig von den Booten ins Wasser glitten, für Minuten verschwanden und mit den Körben voller Muscheln wieder auftauchten. Ohne jede Unterbrechung, mit der Regelmäßig-
keit eines Baggers ging das vor sich. Plötzlich wurde der eintönige Arbeitsrhythmus durch aufgeregtes Gestikulieren der Amas gestört. Sie liefen in den Booten hin und her und wiesen mit ängstlichen Gebärden auf die See. Die Frauen, die noch im Wasser waren, stellten das Tauchen ein; wie gehetzt kletterten sie an Bord. Cummings suchte mit seinem Glas die weite Fläche ab und entdeckte schließlich eine Anzahl wild um sich schlagender blauschwarzer Dreiecke, die das Wasser auseinanderpeitschten. Es dauerte noch einige Zeit, bis er begriff, was sich dort draußen bei den Booten abspielte. Ein Rudel riesiger Hammerhaie war in die Bucht eingedrungen. Die ruhige See und die völlige Windstille hatten sie die tauchenden Amas wittern lassen und sie in die Nähe der Insel gelockt. Obgleich sich jetzt alle Frauen in den Booten befanden, waren sie vor den wütenden Angriffen der Raubfische nicht sicher. Ein Schlag der meterlangen Schwanzflosse konnte selbst diese schwerfälligen Kähne zum Kentern bringen. Immer enger wurde der Kreis, den sie um die Boote zogen. Jetzt erkannte auch Cummings das ganze Ausmaß der Gefahr. Gebannt verfolgte er die Angriffe der beutehungrigen Tiere, und der Atem stockte ihm, als sich der wohl vier Meter lange Leib eines Haies unter das vorderste der Boote schob und es hochhob, daß es sekundenlang in der Luft schwebte und dann krachend, als würde es im nächsten Moment auseinanderbersten, auf das aufgewühlte Wasser zurückfiel. Der Lärm und die Angstschreie der Amas schienen selbst den Hai erschreckt zu haben; er tauchte blitzschnell und schwamm davon. Bei dem Aufprall hatte eine der Frauen das Gleichgewicht verloren und war über Bord gefallen. Sie hatte sich noch an die Bootswand klammern können, war aber nicht imstande, sich hochzuziehen, da die Angst sie lähmte. Als sich ihr die ersten hilfreichen Hände entgegenstreckten, tauchte zwanzig Meter entfernt abermals die Rückenfinne eines Haies auf und kam mit rasender Geschwindigkeit näher. Schon hob sich der flache, breite, wie ein Hammer
aussehende Kopf des Ungetüms aus dem Wasser, da konnte ihm sein Opfer in letzter Minute entrissen werden. Vergeblich warf der Hai noch den unbeschreiblich häßlichen Kopf herum; seine gewaltigen Zähne faßten ins Leere. – Minuten danach hatten sich die Raubfische wie ein böser Spuk davongemacht. Der Pazifik sah wieder aus wie das harmloseste Gewässer der Welt. Erregt noch, aber auch mit enttäuschter Miene ließ Cummings den Feldstecher sinken. Das nervenkitzelnde Schauspiel war ihm zu schnell vorübergegangen. Sein Blick glitt hinüber zum Dschungel, der den weißen Strand wie ein undurchdringlicher grüner Vorhang abschloß. Über den Baumwipfeln erhob sich in der Ferne eine kahle Hügelkette, die wie der Rücken eines Pferdes aussah. Im dichtesten Teil des Dschungels, der sich über die ganze Weite der etwa zwanzig Meilen langen und sechs Meilen breiten Insel erstreckte, brauchte ein Mann eine Stunde, um hundert Fuß voranzukommen. Bäume von fast fünfzig Yards (ein Yard = 91,4 cm) Höhe wuchsen im Herzen der Wälder; unter ihnen standen wieder andere, deren Blattwerk von den Riesen verborgen wurde, und dazwischen füllte ein unübersehbares Gewirr von Ranken und Farnkraut, von Blumen und Unterholz auch die kleinste Lücke. Alles bedrängte einander und reckte auf der Suche nach Luft die Blätter dem durchsickernden Licht entgegen, gleich Schlangen auf dem Grund eines Erdloches. Ewige Dämmerung herrschte hier, und kein Lüftchen regte sich. Überall war es feucht und heiß und üppig. Kein Mensch konnte auf die Dauer in dieser Hitze, in dieser Feuchtigkeit existieren, und so spielte sich das ganze menschliche Leben der Insel in der Nähe des Strandes, auf dem halbwegs urbar gemachten Küstenstreifen des Dschungels ab. Die Amas wohnten in primitiven, weitverstreuten Bambushütten, hinter denen sie sich kleine, mit süßen Kartoffeln, Bohnen und Zuckerrohr bestellte Äcker angelegt hatten. Das Hauptnahrungsmittel war Shoyu, eine Bohnensuppe mit süßen Kartoffeln und mit Speckbrocken, die von dem dort häufig gehaltenen Japanischen Schwein stammten, für das der hohle Rücken und der Hängebauch charakteristisch sind. Die Haus- und Feldarbeiten verrichteten ei-
nige alte Frauen, die zum Tauchen nicht mehr zu gebrauchen waren. Sie versorgten auch die wenigen Kinder der Amas. Männer gab es auf Yashima, seit die Amerikaner die Riukius besetzt und zu einem riesigen Flotten- und Flugzeugstützpunkt ausgebaut hatten, kaum noch. Bis auf die zwölf Vorarbeiter waren sie nach den benachbarten Inseln geholt worden, um dort auf den Militärstationen Hilfsdienste zu leisten. Cummings machte einen Rundgang durch das Dorf. Die Armut und die Trostlosigkeit, die er überall vorfand, langweilten ihn jedoch. Auch einen Versuch, tiefer in den Dschungel einzudringen, gab er bald auf und schlenderte, müde und zerschlagen von der lastenden Hitze, zu seinem Bungalow zurück. Draußen auf dem Meer war die Taucherei längst wieder in vollem Gange. Als hätte es hier nie einen Hai gegeben, schwammen die Amas zu den Korallenbänken hinunter und suchten nach Perlmuscheln. Einziger Mann an Bord der Kähne war der Vorarbeiter am Hebebaum, einem Holzgerüst, das am Bug aufstrebte und wie ein Galgen aussah. Den ganzen Tag lang kreischte an diesem Gerüst eine Eisenrolle, über die ein dickes Bastseil lief. Bevor die Ama ins Wasser glitt, band sie sich das Ende des Seils um den Leib. Die Anstrengung des Tauchens in zwanzig bis dreißig Meter Tiefe, das Gewicht des vollen Muschelkorbes und der Bleikeule ließen ihr keine Kraft mehr, nach oben zu schwimmen, und der Vorarbeiter mußte sie am Seil hochziehen. Außerdem diente das Seil als Notsignal. Unten, im eiskalten Dunkel, konnte hinter jedem Korallenfelsen tödliche Gefahr lauern: Haie und Riesenkraken! Zur Abwehr hatten die Amas zwar dolchartige Messer am Hüftgürtel hängen, doch wäre ein längerer Kampf gegen einen Menschenhai oder gegen die tödliche Umschlingung der meterlangen Krakenarme aussichtslos gewesen. Rettung bringen konnte dann nur der Vorarbeiter am Hebebaum. In seinen Händen lag ständig das Leben der Ama: Zog er sie zu schnell hoch, konnte ihr die Lunge platzen; zog er zu langsam, konnte sie ersticken. Sechzigmal am Tage tauchte jede der Amas
nach den glitschigen, unansehnlichen Perlmuscheln hinab, sechzigmal am Tage setzte sie ihr Leben aufs Spiel. Der Inspektor hatte es sich inzwischen an seinem Schreibtisch bequem gemacht und rechnete an einer langen Zahlenaufstellung, die ihn der Lösung eines Problems näherbringen sollte, das ihn unausgesetzt beschäftigte: Wie ließ sich aus der Perlenfischerei mehr herauswirtschaften? Er hatte noch die eindringlichen Worte des Direktors der Company im Ohr, der ihm bei seiner Abreise von Okinawa gesagt hatte: „Cummings, Sie sind der sechste, den wir in diesem Jahr nach Yashima schicken. Alle vor Ihnen haben versagt, wurden mit den Amas nicht fertig, waren nicht imstande, auch nur eine einzige Perle mehr zu liefern. Wenn Sie es endlich schaffen, die Weiber in Trab zu bringen und der Lotterwirtschaft dort unten ein Ende zu machen, dann sind Sie unser Mann. Wir werden Sie in jeder Weise unterstützen, und sollten Sie Schwierigkeiten haben, wenden Sie sich vertrauensvoll an die nächste Militärstation.“ Cummings lächelte selbstzufrieden. Mit den Amas wollte er schon fertig werden. Und um baldmöglichst zu greifbaren Resultaten zu kommen, beschloß er, die tägliche Arbeitsleistung heraufzusetzen. Bisher tauchten sie rund sechzigmal am Tage. Legte man zugrunde, daß sie im Durchschnitt zwei Minuten unter Wasser blieben, berücksichtigte man ferner, daß sie noch weitere zwei Minuten für das An- und Abseilen und das Leeren der Körbe benötigten, ergab das eine reine Arbeitszeit von kaum vier Stunden am Tag. Cummings war zwar geneigt, zuzugestehen, daß sich die körperlichen Anstrengungen des Tauchens nicht nach Minuten messen ließen, er bedachte auch, daß eine ständige Überforderung die Leistungen schmälern statt erhöhen könnte, dennoch hielt er, von dem Gedanken an seinen Plan beherrscht, an dem einmal gefaßten Entschluß fest: Ab Morgen mußten sie fünfundachtzigmal tauchen, oder der Lohn würde ihnen gekürzt. Schafften sie es bisher sechzigmal, dann würden ihnen die zusätzlichen fünfundzwanzigmal auch nichts ausmachen. Er nahm sich vor, den Männern noch am Abend die entsprechenden Anweisungen zu erteilen, denn darüber war er sich im klaren:
Ohne die Unterstützung der Vorarbeiter konnte er die Amas nicht zu höheren. Leistungen zwingen. Sollte er vielleicht jeden Tag mit aufs Meer hinausfahren und jede Ama eigenhändig fünfundachtzigmal ins Wasser jagen? Unmöglich. Also mußte er die Vorarbeiter für sich gewinnen. Nur so würde er eine Leistungssteigerung erreichen, nur so würde er auch die Möglichkeit haben, jeweils einige der kleinen runden Perlen, für die in New York und Paris so hohe Preise gezahlt wurden, in die eigene Tasche verschwinden zu lassen. Und diese Aussicht, nun schon in greifbare Nähe gerückt, ließ ihm den Aufenthalt auf, dieser gottverlassenen Insel weitaus erträglicher erscheinen. Abends, als die Boote wieder auf dem Strand lagen, die Muscheln gewaschen, sortiert und die Perlen aus ihnen entfernt waren, bestellte Cummings die Vorarbeiter in seinen Bungalow. Es waren alles kleine, aber kräftige Gestalten von gelblichbrauner Hautfarbe, mit schwarzen, wie Lack glänzenden Haaren, die sich da scheu und unbeholfen an seinen Tisch setzten. Der Inspektor ließ kannenweise den auf den Riukius sehr beliebten Awomari-Schnaps auf den Tisch stellen, dazu Zigaretten und geräuchertes Schweinefleisch und schließlich noch einige Flaschen aus seinem sorgsam gehüteten Whiskybestand. Als die Männer sich satt gegessen hatten und der Alkohol sie zutraulicher machte, hielt Cummings den Augenblick für gekommen, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Leicht schwankend erhob er sich und begann in einem ohrenbeleidigenden Kauderwelsch von Englisch, Japanisch und Malaiisch zu ihnen zu reden: „Hört mal, Boys. Ihr kennt mich ja erst ein paar Tage, aber wie ihr seht, ist mit mir auszukommen. So gemütlich wie heute abend kann es jeden Tag sein. Alles könnt ihr von mir haben. Schnaps, Zigaretten, Dollars. Was ihr wollt. Aber ihr müßt mich unterstützen. Die Schlamperei mit den Amas muß aufhören. Was ich da bis jetzt gesehen habe, war nichts als Faulenzerei. Dafür zahlt die Company ihr Geld nicht. Dabei macht sie Pleite. Und deshalb müßt ihr dafür sorgen, daß ab morgen öfter getaucht wird. Keine Ama kommt mehr vom Kahn, ehe sie nicht fünfundachtzigmal
unten war – so wahr ich Cummings heiße!“ Die Gesichter der zwölf Vorarbeiter hatten sich während der Worte des Inspektors mehr und mehr verfinstert. Die Amas waren ihre Frauen, ihre Schwestern, ihre Mütter, und die Männer wußten, was es bedeutete, am Tage sechzigmal zwanzig bis dreißig Meter tief zu tauchen; von den Frauen noch mehr zu verlangen wäre Wahnsinn. Cummings, dessen Gesicht vom Schnaps dunkelrot war, sah die Vorarbeiter mit zusammengekniffenen Augen erwartungsvoll an. Er ahnte, daß er auf ihre Unterstützung nicht zu hoffen brauchte. Noch einmal versuchte er ihnen die Notwendigkeit klarzumachen, redete verzweifelt auf sie ein. Verstanden sie ihn denn nicht? Begriffen sie sein Kauderwelsch nicht? Unvermittelt sprang er auf, stürzte zum Schreibtisch, riß die Schale mit den Perlen heraus. Gierig griff er in sie hinein und warf eine Handvoll auf den Tisch, daß sie zwischen den Schnapsgläsern umherkullerten. „Da, Perlen. Mehr Perlen, schönere Perlen brauche ich! Versteht ihr?“ Er faßte den ihm am nächsten Sitzenden bei den Haaren und stülpte ihn mit der Nase in die Schale. Sieh sie dir an. Mehr brauche ich davon. Die Amas müssen mehr tauchen!“ Um seine Worte zu verdeutlichen, machte er mit dem Oberkörper eine Bewegung unter den Tisch. Doch der reichlich genossene Alkohol ließ ihn das Gleichgewicht verlieren. Er fiel lang hin. Die Männer lachten. Einer von ihnen sagte in gebrochenem Englisch: „Du, Inspektor, besoffen. Besser, du schlafen. Amas nicht mehr tauchen können. Du besoffen!“ Dann standen sie auf, stiegen über ihn hinweg und verließen den Bungalow. Cummings knirschte vor Wut, fluchte hinter ihnen her: „Ihr Hundesöhne, euch werd ich’s schon noch zeigen.“ Als sein Blick auf die ausgestreuten Perlen fiel, die auf die Erde gerollt waren, griff er hastig nach ihnen, kroch auf den Knien herum und sammelte sie Stück für Stück ein, bis ihm der Kopf schwer wurde und er unter dem Tisch einschlief.
Am nächsten Morgen erschien Cummings unerwartet früh am Strand. Noch bevor die Kähne zum Tauchen ausfahren konnten, rief er zwei der Vorarbeiter zu sich und ließ aus der Gerätebaracke einen halbverrosteten Außenbordmotor holen, der ehemals einem der kleinen amerikanischen Invasionsboote gedient haben mochte. Er wurde nur selten in Betrieb genommen, und es dauerte bald eine Stunde, bis ihn Cummings anmontiert und nach vielen vergeblichen Versuchen schließlich doch in Gang gebracht hatte. Mit den beiden Vorarbeitern fuhr er dann nach Ishashura, dem nächsten, zwanzig Seemeilen entfernten Militärstützpunkt, hinüber. Die Zurückgebliebenen ahnten nichts Gutes; voller Unruhe verbrachten sie den Tag. Gegen Abend bestätigte sich ihre Befürchtung, Cummings kam mit einer Militärbarkasse zurück. Im Schlepptau hatte sie zwar das Boot, mit dem er hinübergefahren war, doch die beiden Vorarbeiter fehlten. In der Barkasse befanden sich außer vier mit Maschinenpistolen bewaffneten Soldaten zwölf dunkelhäutige Männer, die wohl auch von den Inseln, aber nicht von Yashima stammten. Sie trugen khakifarbene Hosen und verwaschene Militärhemden. Einer der amerikanischen Soldaten irn Corporalsrang wandte sich an die versammelten Inselbewohner, zog ein Stück Papier aus der Tasche und übersetzte: „Befehl des Militärkommandanten: Sämtliche männlichen Bewohner der Insel sind zur Arbeit auf der Funkstation abkommandiert und haben Yashima unverzüglich zu verlassen!“ Während die Amas noch aufgeregt durcheinanderredeten, ließ der Inspektor die Vorarbeiter schon von den Soldaten zusammentreiben, schickte sie unter Bewachung in die Hütten, ihre wenigen Habseligkeiten zu holen, und ehe noch die Sonne hinter den Zykaspalmen verschwand, fuhr die Barkasse mit ihnen ab. Cummings grinste breit, winkte dann den zwölf Männern in den khakifarbenen Hosen und stapfte mit ihnen durch den knöcheltiefen Sand seinem Bungalow zu.
Es war Mitternacht. Aus dem Bungalow des Inspektors tönte das Grölen betrunkener Männer und das Krächzen eines Grammophons, das unablässig dudelte. Den Männern, die von Ishashura gekommen waren, gefiel ihr neuer Chef. Immer wieder stießen sie auf ihn an und ließen ihn hochleben. Drüben auf der Militärstation hatten sie jeden Tropfen Whisky teuer bezahlen müssen, hier aber wurde er ihnen freigebig eingeschenkt. „Prost, Boß! Wir werden den Amas schon Beine machen, darauf können Sie sich verlassen!“ Hokaido, der größte und kräftigste der zwölf Männer und offensichtlich ihr Wortführer, schrie es überlaut in den Raum und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch, daß der Schnaps aus den Gläsern schwappte. Er hatte einige Jahre auf der Funkstation gearbeitet und sprach ein fast fehlerfreies Englisch. Cummings zwinkerte ihm aufmunternd zu und ließ eine neue Flasche entkorken. Der ist brauchbar, auf den wirst du dich verlassen können, dachte er und hielt ihm die Zigarettenschachtel hin. Hokaido war es dann auch, der plötzlich den Grammophondeckel zuklappte und lauernd rief: „He, Boß, gibt’s denn keine Weiber auf dieser Insel? Wo stecken denn unsere Nixen?“ Der Inspektor, der mit glasigen Augen auf seinem Bett lag und schon nahe daran war, einzuschlafen, sprang auf, so behende es sein Rausch noch zuließ. „Weiber? Das ist ‘ne Idee! Los, holt die Amas aus den Hütten. Ihr habt ja jeder zwanzig. Sollen herkommen und mitsaufen.“ Hokaido stürzte als erster zur Tür; zwei, drei von den neuen Vorarbeitern, die dem Awomari und dem Whisky am meisten zugesprochen hatten, torkelten hinterher. Die anderen aber zögerten, sahen verlegen zur Erde und blieben. „He, ihr Hosenmätze“, fuhr Cummings sie an. „Habt wohl Angst vor Weibern? Los, holt euch auch welche! Sind ja genug da.“ Er versuchte die zurückgebliebenen Männer mit Gewalt aus dem Bungalow zu drängen. Von dem plumpen Gebaren des betrunkenen Amerikaners angewidert, wichen sie aber nur zur Seite.
Ehe der Inspektor abermals auf sie einreden konnte, erschien Hokaido mit den anderen in der Tür; vor sich her schubsten sie vier Amas. Unter ihnen befand sich auch die alte Matua, deren rechter Arm nur noch ein Stumpf war. Den Unterarm hatte ihr vor Jahren ein Hai abgerissen. Die anderen waren junge, hübsche Mädchen mit seltsam verträumten Augen und knabenhaft schlanken Gliedern. Zitternd und im Ungewissen darüber, was mit ihnen geschehen sollte, standen sie im trüben Lieht der blakenden Petroleumlampen. Da polterte Cummings auch schon los: „Was steht ihr da herum wie die gußeisernen Jungfrauen? Los, trinkt, seid vergnügt, tanzt.“ Hokaido hatte inzwischen das Grammophon wieder in Betrieb gesetzt und bemühte sich nun erfolglos, den Frauen Schnaps einzuflößen. Trotz der quarrenden Musik, die den Raum füllte, schien sich lastende Stille auszubreiten. Bis auf Hokaido standen die Vorarbeiter untätig herum, wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Die angsterfüllten Blicke der Amas, das ganze erniedrigende Schauspiel, das der Inspektor ihnen hier vorführte, ernüchterten sie, weckten ihr Mitleid mit den Mädchen und Frauen. Cummings indessen starrte unablässig eines der Mädchen an. Es war die sechzehnjährige Mitsou, die beste Taucherin und die schönste der Amas. Ihr glänzendes schwarzes Haar war nach alter Sitte auf dem Kopf zu einem Knoten zusammengebunden. Das schmale Gesicht mit den ebenmäßigen Zügen und der kleinen Stupsnase wirkte kindlich und wurde von großen dunklen Augen beherrscht, denen lange seidige Wimpern einen sinnenden Ausdruck verliehen. Ihre Hautfarbe war dunkler als die der übrigen Amas. Sie trug einen einfachen Leinensarong, der bis zum Hals geschlossen war und ihren schlanken Wuchs unterstrich. Wortlos erhob sich Cummings jetzt, stolperte auf sie zu, legte seinen wulstigen Arm um ihre Hüfte und wollte mit ihr tanzen. Dabei trat er ihr mit seinem schweren Stiefel auf den nackten Fuß, so daß sie vor Schmerz aufschrie. Das war ihm peinlich, und er steckte seine Tanzversuche auf, ergriff das völlig eingeschüchterte Mädchen am Arm und zog es mit sich auf die Pritsche. Mitsou war
vor Angst wie versteinert; doch als Cummings sie zu küssen versuchte, schlug sie ihm mit ihrer kleinen Hand so kräftig ins Gesicht, daß das Klatschen wie ein Peitschenknall den Lärm des Grammophons übertönte. Irgendeiner der Vorarbeiter nahm die Membrane von der Platte; nun war nur noch das heftige Atmen Cummings zu hören. Das Mädchen hatte sich aus seiner Umklammerung befreit, war aufgesprungen und stand bebend vor Erregung in der Mitte des Raumes. „Du, du, du wagst es…“ Der Inspektor fand nicht die richtigen Worte, trudelte ein paarmal auf der Pritsche herum, rappelte sich mühsam auf, ballte die Hände und machte Anstalten, sich auf die zwei Köpfe kleinere Mitsou zu stürzen. Da vertrat ihm jemand den Weg. Kimura, der jüngste der zwölf Vorarbeiter, hatte sich schützend vor das Mädchen gestellt. Er war ein kleiner, sehniger Riukiuaner mit sauber gewelltem Haar und scharfen, energischen Gesichtszügen. Seine Bewegungen hatten die Geschmeidigkeit eines Panthers. Er sprach mit klarer, aber leiser, zögernder Stimme, als übersetze er seine Worte erst ins Englische: „Lassen Sie die Hände von dem Mädchen.“ Cummings schnappte hörbar nach Luft, machte mit dem rechten Arm eine Bewegung, als wolle er ihn wie eine lästige Fliege wegwischen. Doch Kimura blieb vor Mitsou stehen. „Weg“, knurrte der Inspektor wie ein gereiztes Raubtier und versuchte ein zweites Mal, ihn beiseite zu schieben. Aber auch jetzt hielt Kimura seinem wütenden Blick stand und sagte: „Sie gehen entschieden zu weit. Lassen Sie die Amas in Ruhe, sonst…“ „Sonst?“ fuhr ihm Cummings dazwischen. „Was sonst? Willst du Knäblein mir Vorschriften machen?“ Kimura wollte sich auf keinen Streit mit dem Amerikaner einlassen. Den Zweck seines Eingreifens hatte er erreicht; Cummings war von dem Mädchen abgelenkt worden. „Nicht doch, Boß“, entgegnete er deshalb in gedämpftem Ton, „ich will ihnen ja keine Vorschriften machen, aber ihr Verhalten
war unklug. Hier vor den Vorarbeitern… das hätte ihnen nur Ärger gemacht.“ Cummings hatte sich wieder beruhigt und war zum Grammophon gegangen. Während er nach einer neuen Platte suchte, verschwanden die Amas schnell aus dem Bungalow. Kimura hatte das Zeichen dazu gegeben, als er Mitsou bei der Hand nahm und nach draußen führte. Sie zitterte noch immer und begann schließlich zu weinen. Kimura wußte nicht, was er ihr sagen sollte; er fühlte, daß sie ihm mißtrauen mußte. Er war ja ein Eindringling, einer von Cummings Sorte, hatte mitgeholfen, die Väter, die Brüder, die Männer der Amas zu vertreiben, von denen der Inspektor beim Kommandanten auf Ishashura behauptet hatte, daß sie meuterten, mit den Frauen unter einer Decke steckten und die Interessen der amerikanischen Gesellschaft sabotierten. Konnte er da Zutrauen von ihr erwarten, nur weil er sie vor dem betrunkenen Cummings geschützt hatte? Warum hatte er das überhaupt getan? Vielleicht nur, weil sie ihm selbst gefiel? „Du bist ja so still“, sagte das Mädchen neben ihm plötzlich. Sie hatte aufgehört zu weinen und blickte ihn fragend an. „Wirst du nun meinetwegen mit Cummings Ärger haben?“ Er schüttelte den Kopf. „Mit dem nicht. Der tut mir nichts. Er braucht uns ja. Nur um euch habe ich Angst. Das war heute erst der Anfang.“ Sie hatten inzwischen den Strand erreicht. Die Wellen glucksten leise und leckten den Sand. Dann krochen sie murmelnd wieder davon und ließen einen schaumigen weißen Schleier zurück. Weit draußen lag das Meer, platt und schwarz. Nur der gerade aufgegangene Mond zeichnete einen dicken gelben Strich in das unendliche Dunkel. Sie hatten sich in den Sand gesetzt und träumten nun beide den hellen Strich entlang. Kimura nahm Mitsous Hand, und sie ließ sie ihm. Der Mond war jetzt ganz aus dem Wasser gestiegen und leuchtete wie eine ferne goldene Insel. Nach einer Weile kam es ihnen so vor, als erblickten sie dort ein Märchenland. Es war die Vision all
des Schönen, nach dem sie sich sehnten. Für Minuten war die Wirklichkeit in Nichts versunken. Wäre jeder von ihnen allein gewesen. hätten sie vielleicht die Arme ausgestreckt. Aber der Traum war nicht von Dauer. Unmerklich erst, aber unabwendbar begann die Märcheninsel zu verblassen. Langsam stieg der Mond höher und wurde immer kleiner. Nur das grauschwarze Meer, der düstere Himmel und eine fahle Mondscheibe waren übriggeblieben. Schweigend stand Kimura auf, strich Mitsou über das schwarze Haar, das nach Salz und Tang duftete, und ging – ohne sich umzusehen – in den Dschungel hinein. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als Cummings mit den zwölf neuen Vorarbeitern am Strand erschien, um sie auf die einzelnen Boote zu verteilen. Er tat, als hätte er den Zwischenfall der vergangenen Nacht schon vergessen, und sagte auch nichts, als Kimura sich das Boot aussuchte, auf dem Mitsou zum Tauchen hinausfuhr. Das Mädchen warf Kimura einen dankbaren Blick zu und setzte sich neben ihn an den Hebebaum. Kimura hatte den Amas gesagt, daß sie von jetzt an öfter tauchen müßten als bisher, wenn sie den bisherigen Lohn erhalten wollten. Dennoch brachte er es nicht fertig, sie anzutreiben. Die ungewohnte Arbeit am Hebebaum begriff er schnell: Ruckte das Seil auf der Rolle, zog er die getauchte Ama mit gleichmäßigen kräftigen Armbewegungen nach oben, so wie es ihm Mitsou gezeigt hatte. Nur wenn sie selbst im Wasser war, stockte ihm jedesmal der Atem. Es schien ihm stets wie eine Ewigkeit, bis sich das Seil straffte und sie endlich am Bootsrand auftauchte. Erst wenn die Bleikeule in den Kahn polterte und er sie lächeln sah, löste sich die Spannung in ihm. Noch nie zuvor hatte er dergleichen für ein Mädchen empfunden. Gewiß, in den Kantinen der Flugplätze, auf denen er während der letzten Jahre gearbeitet hatte, waren ihm auch Mädchen begegnet; leichtlebige Dinger, die nett zu ihm waren, wenn er ein paar Dollars besaß, und ihn stehenließen, wenn er die Löhnung mit ihnen
vertrunken hatte. Mitsou aber, die jetzt mit glücklichen Augen neben ihm lehnte, war ganz anders. Der Tag ging zu Ende. Die Amas saßen am Strand und öffneten mit ihrem dolchartigen Messer die Perlmuscheln. Cummings lief unruhig zwischen ihnen umher und wachte mißtrauischen Blickes über die gefundenen Perlen. Jede Muschel, die keine Perle enthielt, löste eine Lawine von Flüchen aus, unter der die Frauen ängstlich zusammenzuckten. Er war wie besessen von seiner Gier nach Perlen. Als sich dann zuletzt herausstellte, daß die Ausbeute noch unter dem Ergebnis früherer Arbeitstage lag, verlor er vollends die Beherrschung, schrie die Vorarbeiter an und bestellte sie zu sich in den Bungalow. Ohne lange Umschweife eröffnete er ihnen, daß ab sofort für sie wie für die Amas der Lohn um ein Drittel gekürzt werde, solange die Erträge nicht gesteigert würden. Unwillig murrten die Männer. Sie warteten diesmal vergeblich darauf, daß der Inspektor ihnen die Schnapsflasche auf den Tisch stellte. Hokaido trat schließlich an ihn heran und sagte: „Sie müssen Geduld haben, Boß. Heut sind die Amas viel später an die Arbeit gekommen als sonst. Und das war nicht ihre Schuld. Man kann die Anforderungen auch nicht gleich so hochschrauben. Lassen Sie uns ein paar Tage Zeit. Wir werden sie schon in Trab bringen. An ihrer Stelle würde ich mir überhaupt überlegen, ob man nicht den ganzen Tauchbetrieb umstellen sollte. Nirgendwo auf den Inseln, wo nach Perlmuscheln getaucht wird, geht man noch so primitiv vor wie hier. Nirgends gibt man sich noch mit Frauen ab. Männer machen das mit modernen Tauchgeräten und Schürfnetzen, mit denen sie den Meeresboden auskehren wie die Boys auf Okinawa die Baracken der Offiziere. Oft genug hab’ ich das in den letzten Jahren gesehen.“ „Idiot!“ fuhr ihn Cummings an. „Glaubst du, ich bin vom Mond gefallen? Ich weiß sehr wohl, wie man das woanders macht. Aber was erreichen sie damit? In zwei oder drei Jahren holen sie ein paar Tonnen Perlmutt herauf, haben einige tausend Perlen dabei, und dann ist es aus. Dann gibt es in den nächsten Jahren keine Mu-
scheln und erst recht keine Perlen mehr. Glaubst du, die Dinger wachsen nach wie das Unkraut auf deinem Bohnenacker? Jahre dauert das, bis sich solch eine Perle bildet, die einmal tausend und mehr Dollar einbringen soll. Natürlich, man züchtet die Dinger auch schon künstlich, aber was zahlt man für sie? Für zwei Dollar kannst du eine ganze Kette bei Woolworth kaufen.“ Er holte tief Luft und fuhr fort: „Behalte deine Weisheit nur für dich, mein Sohn, und laß uns mit den Amas weitermachen. Seit wer weiß wie lange werden hier schon die schönsten Perlen gefunden, die Frauen haben es im Blut, welche Muscheln sie raufholen müssen. Das kann man keinem Mann beibringen. Oder hast du Lust, da jeden Tag achtzigmal runterzuschwimmen? Du würdest wahrscheinlich ersaufen, ehe du eine Perlmuschel fändest. Ins Schnapsglas kannst du tauchen, das glaube ich dir. Aber sonst sind mir die Weiber schon lieber. Sie sind billig, anspruchslos, und wenn ihr ihnen endlich Beine macht, dann ist mit ihnen auch noch was zu verdienen. So, und nun Schluß mit dem Geschwätz. Davon versteht ihr doch nichts!“ Damit war die Unterredung beendet, und die Männer konnten gehen. In den nächsten Tagen besserte sich Cummings Laune. Die meisten Vorarbeiter gönnten den Amas keine Pause, und der Ertrag wurde von Tag zu Tag höher. Zufrieden sah der Inspektor, wie seine Perlen- und Perlmuttbestände immer größer wurden, und jetzt konnte er auch darangehen, die ersten besonders schönen Exemplare in dem ledernen Tabaksbeutel verschwinden zu lassen, den er von nun an ständig auf seiner Brust trug. Bei all seiner guten Laune entging ihm jedoch nicht, daß Kimuras Boot auf der Liste mit den täglichen Tauchergebnissen stets an letzter Stelle stand. Von Hokaido hatte er auch erfahren, daß sich Kimura, wenn die anderen Vorarbeiter des Nachts noch zum Awomari bei ihm versammelt waren, heimlich mit Mitsou irgendwo im Dschungel traf. Als Kimura an einem der nächsten Abende wieder vor den ande-
ren aufstand, schlich er ihm nach, sah ihn den Strand entlanggehen und dann hinter der letzten Hütte unter den Zykaspalmen verschwinden. Cummings folgte ihm lautlos im Schatten der großen Bäume, doch als Kimura den Dschungel betrat, verlor er ihn aus den Augen. Planlos stolperte er hinter ihm her durch das Gewirr von Ranken und Farnkraut, wilden Bananenstauden, verkümmerten Palmen und Unterholz. Aufgescheuchte Vögel krächzten, Schlangen raschelten und zischten. Das Mondlicht, das den Strand silberhell erleuchtet hatte, sickerte hier nur spärlich durch das dichte Geflecht aus Blättern, Zweigen, Ranken und Ästen. Es wurde fast gänzlich vom Dschungel aufgesogen, war nur noch ein blasser, gespenstischer Schimmer. Cummings konnte kaum den nächsten Baum erkennen, geschweige denn Kimura und das Mädel irgendwo entdecken. Zudem lockten ihn die ununterbrochenen Geräusche des nächtlichen Dschungels immer wieder in die Irre. Glaubte er, irgendwo Stimmen gehört zu haben, und eilte dorthin, war es nur das Keifen eines Rhesusäffchens, das sich schimpfend davonmachte. Schon nach kurzer Zeit gab er sein Suchen auf; die unheimliche Umgebung flößte ihm Furcht ein. Wenn es auch keine wilden Tiere auf Yashima gab, so war doch die gefürchtete Habu, eine große, äußerst giftige und angriffslustige Schlange, überall auf den Inseln zu Hause. Der Gedanke an sie ließ ihn unwillkürlich die Füße höher heben, als könnte er so ihrem tödlichen Biß entgehen. Schon hatte er wieder den Dschungelrand erreicht, da stand plötzlich – wie aus der Erde gewachsen – Kimura vor ihm. Cummings erschrak, faßte sich aber sogleich und schnauzte: „Hab’ ich dich endlich erwischt?! Raus mit der Sprache, was treibst du hier?“ „Nichts“, antwortete Kimura ruhig. „Ist es verboten, den Dschungel zu betreten? Bin ich Ihnen Rechenschaft darüber schuldig, was ich nach der Arbeit mache?“ „Halt’s Maul“, fuhr ihn der Inspektor an. „Tu nicht so harmlos. Ich weiß ganz genau, daß du dich hier mit deinem Liebchen ge-
troffen hast. Wenn ich euch erwische, schlage ich euch die Knochen einzeln im Leibe kaputt. Kümmere dich um deine Arbeit und laß die Hände von den Amas. Ich dulde hier keine Liebschaften.“ Er sah sich noch einmal um, ob er Mitsou irgendwo entdecken konnte, ließ Kimura dann stehen und ging zum Strand. Die nächsten Tage und Wochen verliefen ohne besondere Zwischenfälle. Es kümmerte Cummings wenig, daß die Frauen sichtlich herunterkamen, einige von ihnen sogar schon mehrmals Lungenbluten gehabt hatten und danach kaum noch imstande waren, zur Arbeit zu kommen. Erbarmungslos ließ er sie von den Vorarbeitern aus den Hütten holen und auf die Boote treiben. Ende des Monats traf das Schiff der Okinawa Pearl and Diamond Company ein, um Perlen und Perlmutt an Bord zu nehmen. Cummings war gerade dabei, mit dem Vertreter der Company abzurechnen, als am Strand ein ungewohnter Lärm ausbrach. Er konnte sich nicht vorstellen, was geschehen sein sollte. Die Kähne mit den Amas waren doch draußen und auf der Insel nur ein paar alte Weiber und die Kinder zurückgeblieben. Als er sich erhob, um nach der Ursache des Lärms zu forschen, trat Hokaido ein. Er war erregt, und seine Worte überstürzten sich: „Boß, kommen Sie schnell. Ein Unfall. Okamura, die Tochter der alten Matua, ist beim Tauchen ohnmächtig geworden.“ Cummings und der Vertreter der Company gingen eilig zum Strand hinunter. Von weitem schon war das Schreien der alten Matua zu hören. Sie hatte sich über ihre in den Sand gebettete Tochter geworfen, schluchzte und klagte, daß es bis zum Bungalow schallte. Die mit dem Boot zurückgekehrten Amas standen schweigend um sie herum. Der Inspektor schob sie zur Seite, riß die Alte hoch und beugte sich dann über den leblosen Körper. Das Gesicht des kaum vierzehnjährigen schmächtigen Mädchens war bläulich verfärbt. Aus dem Mund rann ein feiner Faden hellroten Bluts und versickerte im Sand. Die nassen schwarzen Haare klebten an Stirn und Schläfen.
Soviel sah Cummings auf den ersten Blick: Hier kam jede Hilfe zu spät. Mechanisch faßte er nach Okamuras Handgelenk, fühlte nach dem Pulsschlag, ließ den Arm wieder in den Sand fallen. „Tot“, murmelte er. „Da ist nichts mehr zu machen!“ Er richtete sich auf, zuckte mit den Schultern und wandte sich an den Mann von der Company: „Ein Unfall, wie er sich nun mal nicht vermeiden läßt. Schade, wäre mal ‘ne gute Taucherin geworden, die Kleine.“ Darauf kehrte er der Gruppe den Rücken, nahm den Mann von der Company beim Arm und winkte Hokaido zu sich heran. Gemeinsam gingen sie zum Bungalow zurück. Hier holte Cummings die Whiskyflasche hervor, goß drei Gläser randvoll und sagte zu Hokaido: „Wie konnte das passieren?“ Dem war die Frage unangenehm. Er sah zu Boden und scharrte mit den Füßen im Kreise herum. „Wie’s passiert ist, weiß ich auch nicht. Ehe sie das letzte Mal ins Wasser ging, klagte sie über Stiche in der Lunge, wollte durchaus nicht mehr runter. Hält’ ich sie aussetzen lassen, wären die anderen auch gekommen. Sie haben doch jetzt dauernd was. Deshalb konnte ich keine Ausnahme machen.“ Hokaido schwieg abwartend. Stumpfsinnig stierte er den Inspektor an. „Als ich sie dann wieder hochzog, war’s passiert. Sie hing ganz schlaff am Seil und blutete aus dem Mund. Vielleicht ist ihr die Lunge geplatzt. Ich kann das nicht beurteilen.“ Cummings wollte sich mit dieser Erklärung zufriedengeben. Doch da mischte sich der Mann von der Company ein. „Ich will Ihnen keine Vorschriften machen, Cummings, aber gehen Sie nicht ein bißchen zu weit? Sie haben in dem Monat, in dem Sie hier sind, wesentlich mehr Ware geliefert als ihre Vorgänger. Die Company weiß das zu schätzen. Wir freuen uns, daß Sie unsere Aufträge so prompt erfüllt haben, nur… solche Unfälle müssen vermieden werden. Sie wissen doch ganz genau, wie wichtig jedes von den Mädchen für uns ist; Yashima-Perlen sind auf dem Weltmarkt noch immer Sonderklasse. Ohne die Amas könn-
ten wir einpacken. Und denken Sie auch daran: Noch mehr solcher ungeschickten Zwischenfälle, und die Frauen werden womöglich rebellisch!“ Cummings lächelte verkrampft. Ganz wohl war ihm bei dem Gedanken nicht. Doch dann machte er eine lässige Bewegung mit der Hand. „Keine Angst, Spencer, mit dem Weibervolk werde ich schon noch fertig. Man kann sie nun mal nicht mit Glacehandschuhen anfassen. Sonst tanzen sie einem auf der Nase herum. Ich weiß schon, wie ich sie zu behandeln habe. Lassen Sie mich nur machen.“ Damit war der Vorfall für ihn erledigt. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich an Hokaido: „Geh gleich zum Strand runter und laß die Leiche wegschaffen. Sie muß verschwinden, ehe die anderen Boote zurückkommen. Und morgen fährst du zur Funkstation rüber, meldest dem Kommandanten die Sache, damit alles seine Ordnung hat.“ Die zwölf Vorarbeiter, die sich Cummings von Ishashura geholt hatte, waren notdürftig in einer Wellblechbaracke untergebracht. Außer den Schlafpritschen, einigen Hockern, einem roh zusammengezimmerten Tisch und zwei Petroleumlampen enthielt sie keine nennenswerten Gegenstände. Die beiden Fenster waren mit alten Säcken zugehängt, um den stechlustigen Moskitos das Eindringen zu verwehren. Dadurch herrschte auch des Nachts eine unerträgliche Hitze in dem niedrigen Raum. Hokaido konnte nicht einschlafen. Immer wieder sah er die tote Okamura, die verbissenen, haßerfüllten Gesichter der Amas vor sich. Eine seltsame Unruhe hatte ihn befallen, Furcht vor etwas Unbestimmtem, das ihn zu bedrohen schien. Ruhelos wälzte er sich auf seiner Pritsche hin und her. Plötzlich war es ihm, als wären von draußen Geräusche zu hören; er glaubte behutsame Schritte zu vernehmen, die sich eilig entfernten. Um sich Gewißheit zu verschaffen, stand er leise auf und verließ die Baracke. Als er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, erblickte er in einiger Entfernung
einen Lichtschein, der aus einer der Hütten fiel. Was mochte zu so später Stunde dort noch vor sich gehen? Voller Mißtrauen schlich er sich näher. Durch das vor der Fensteröffnung hängende Moskitonetz drang jedes Wort zu ihm, das drinnen gesprochen wurde, und bald konnte er auch erkennen, daß mindestens ein Dutzend Amas in dem kleinen Raum versammelt waren. In ihrer Mitte stand Mitsou und redete beschwörend auf die anderen ein: „Wollt ihr auch eines Tages wie Okamura enden? Keine von uns hält es noch lange aus, fünfundachtzigmal am Tage zu tauchen. Es gibt nur diese eine Möglichkeit für uns: Wir müssen so schnell wie möglich nach Ishashura zum Kommandanten rudern. Er muß uns anhören. Wir werden nicht eher zurückkehren, bis Cummings abgelöst ist…“ Ein Rascheln im Dickicht ließ Hokaido zusammenfahren. Er konnte nicht ausmachen, ob es nur eines der üblichen Geräusche des nächtlichen Dschungels war oder ob noch weitere Amas kamen. Um aber nicht entdeckt zu werden, gab er seinen Lauscherposten auf und lief eilig zum Bungalow des Inspektors. Cummings, ärgerlich über die Störung bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Perlensortieren, hörte Hokaido zunächst nur unwillig an; als er jedoch merkte, daß der Vorarbeiter nicht betrunken war, ließ er ihn eintreten. „Was erzählst du da? Zum Kommandanten wollen die Arnas, nach Ishashura?“ Hokaido nickte lebhaft. „Ja, Boß, ich habe selbst mit angehört, wie Mitsou die anderen dazu aufgestachelt hat. Und sie wollen nicht eher wiederkommen, bis ein neuer Inspektor eingesetzt ist.“ Nachdenklich strich sich Cummings über das Kinn, sah, wie Hokaido zu der Whiskyflasche hinüberschielte, und schob sie ihm hin. „Wie sie das machen wollen und wann, haben sie das nicht gesagt?“ Der Vorarbeiter nahm erst einen tiefen Schluck aus der Flasche. „Nein, Boß, ich konnte nicht weiter lauschen. Es kam jemand.“ Cummings überlegte angestrengt. Er glaubte nicht daran, daß der
Plan allein von Mitsou stammte. Dieser Kimura steckt dahinter! fuhr es ihm durch den Sinn. Noch fehlten ihm aber die Beweise, um gegen ihn vorgehen zu können. Würde er ihn jetzt zur Rede stellen, könnte er alles abstreiten und wäre obendrein noch gewarnt. Deshalb mußte er anders verfahren. Er sah Hokaido durchdringend an und sagte: „Wenn sie mit den Booten weg wollen, müssen sie euch überwältigen, nicht wahr, Hokaido?“ Der verschluckte sich beim Trinken, doch Cummings sprach schon weiter: „Sie werden euch mit der Bleikeule niederschlagen und dann den Haien vorwerfen. Das wird ihr Plan sein.“ Hokaido sah den Inspektor mit flackernden Augen an. Er hatte eigentlich angenommen, die Amas würden versuchen, in der Nacht mit den Booten zu fliehen. Aber wenn der Boß die Sache so sah… Cummings unterbrach seine Gedanken: „Hol sofort die anderen!“ Ausführlich mußte Hokaido dann noch einmal berichten, was er erlauscht hatte, und der Inspektor ergänzte, daß die Amas den Plan gefaßt hätten, die Vorarbeiter zu töten und ins Meer zu werfen. Hokaido, nun selbst davon überzeugt, bestätigte es wortreich. Unvermittelt begann Cummings jetzt dröhnend zu lachen. „Haha-ha… Diese Dreckvögel wollen euch mit den Bleikeulen töten. Daß ich nicht lache. Ich hoffe, ihr wißt jetzt, wie ihr sie zu behandeln habt, damit ihnen die Lust zu solchen Spaßen vergeht.“ Er schien sich vor Lachen ausschütten zu wollen, doch seine Heiterkeit klang hohl, steckte die Vorarbeiter nicht an. So vergnügt er auch nach außen hin tat, er erkannte wohl die Gefahr, die ihm hier erwuchs: Verschwanden die Frauen von der Insel, konnte auch er seine Koffer packen. Einen Inspektor, dem die Arbeitskräfte wegliefen, würde die Company keinen Tag länger auf seinem Posten belassen. Dann wäre es mit dem schönen Perlengeschäft schnell vorbei. Besorgt strich er über den Lederbeutel auf der Brust. Sein Gelächter verstummte so plötzlich, wie es ausgebrochen war. Die Vorarbeiter sahen betroffen zu Boden. Gewiß, sie hatten in den letzten Tagen selbst bemerkt, daß zunehmende Unzufrie-
denheit unter den Frauen herrschte. Aber was der Inspektor ihnen da ausgemalt hatte, daß man sie erschlagen und den Haien vorwerfen wollte, konnten sie nicht recht begreifen. Doch Cummings ließ ihnen keine Zeit zum Nachdenken. Er war schnell an den Schrank getreten, in dem er jetzt die Perlen aufbewahrte, hatte einen kleinen Koffer hervorgeholt und diesem einen Revolver und mehrere Schuß Munition entnommen. Umständlich prüfte er den Mechanismus, lud dann die Pistole und reichte sie dem erstaunten Hokaido. „So, damit werden die Biester am schnellsten zur Räson zu bringen sein. Und du weißt wohl am besten von allen, wie man mit solch einem Ding umgeht.“ Starren Blickes hatte Kimura den Vorgang verfolgt. Cummings beobachtete ihn scharf. „Na“, sagte er, „du guckst ja so entsetzt. Brauchst keine Angst zu haben, du kriegst keine. Deine Mitsou wird dir wohl kaum an den Hals gehen.“ Kimura merkte, wie ihm das Blut in den Kopf stieg. Aber er schwieg und wandte sich ab. Der Inspektor stellte das Köfferchen, in dem sich noch weitere Pistolen befanden, in den Schrank zurück und verschloß ihn sorgfältig. Als er sich wieder umdrehte, wollten die Vorarbeiter gerade aufbrechen. Er rief sie zurück. „Nicht so eilig, Boys. Ich bin noch nicht fertig. Was ich noch sagen wollte: Ab morgen könnt ihr mal die Boote wechseln. Hokaido übernimmt den Kahn, auf dem Mitsou ist; Kimura scheint nicht so richtig mit ihr fertig zu werden. Da ist es besser, wenn ein Mann an Bord ist, der ihr ein bißchen auf die Finger sieht.“ Kimura biß sich auf die Lippen, sagte jedoch nichts. Es wäre sinnlos gewesen, jetzt gegen Cummings Anordnung zu protestieren. Er merkte, daß ihm der Inspektor mißtraute, und beschloß, in Zukunft vorsichtiger zu sein. Während sich die Vorarbeiter aus der Tür drängten, ging Cummings wieder an seinen Schreibtisch, um das Sortieren der Perlen zu beenden. Kimura verließ als letzter den Raum, blieb aber nach einigen Schritten stehen und ging wieder zurück, um noch einmal
in Ruhe mit dem Inspektor zu sprechen. Da er barfuß war, hörte ihn Cummings nicht kommen, war wohl auch zu sehr mit seinen Perlen beschäftigt; so merkte er nicht, daß hinter ihm jemand im Türrahmen stand, als er seinen Brustbeutel abband um eine ungewöhnlich schöne Perle hineinzutun. Kimura wußte, daß die Perlen für die Company in einer Kassette aufbewahrt wurden. Um so mehr fiel ihm auf, daß der Inspektor seinen Brustbeutel auf dem Tisch entleerte und mit gieriger Freude eine Handvoll Perlen in den Händen wog. Soviel konnte Kimura auch aus der Entfernung erkennen: Es waren die größten und reinsten Perlen, die in den letzten Wochen gefunden worden waren. Als Cummings die Perlen wieder in den Beutel zurücktat und sich diesen um den Hals hängte, begriff Kimura, was hier vor sich ging: Der Chef betrog die Company. War ihm im Augenblick auch noch nicht klar, was er mit seinem Wissen anfangen sollte, so ahnte er doch, daß es ihm vielleicht einmal nützlich sein könnte. Um sich nicht zu verraten, verließ er lautlos den Bungalow und ging zur Hütte Mitsous. Als er dort eintrat und sich leise zu ihr auf die Pritsche setzte, fragte sie besorgt: „Du kommst noch so spät? Ist etwas geschehen?“ „Ich habe Angst um dich, Mitsou“, flüsterte Kimura erregt. „Hokaido hat euch vorhin belauscht. Cummings weiß, was ihr vorhabt, und hat angeordnet, daß die Vorarbeiter morgen die Boote wechseln. Hokaido wird jetzt bei euch am Hebebaum stehen. Das hat nichts Gutes zu bedeuten. Es ist sinnlos, den Plan auszuführen. Alle Vorarbeiter sind gewarnt, und Hokaido hat vom Inspektor eine Pistole erhalten.“ Mitsou richtete sich hoch. „Wir fahren nach Ishashura“, sagte sie trotzig. „Alle Amas machen mit. Die Vorarbeiter werden uns daran nicht hindern können. Auch Hokaido nicht. Wir haben keine Angst. So kann es doch nicht weitergehen. Heute war es Okamura. Morgen ist es eine andere. Und übermorgen bin ich es vielleicht. Willst du mit ansehen, wie sie mich tot aus dem Meer ziehen? Alle
gehen zugrunde, wenn Cummings noch länger hierbleibt.“ Kimura strich ihr beruhigend über das Haar. „Ja, ich weiß es. Aber was ihr vorhabt, ist zwecklos. Was wollt ihr denn gegen Cummings vorbringen? Beweise habt ihr doch nicht. Cummings wird sagen, daß ihr faul seid und meutert und er euch deshalb strenger behandeln muß. Er wird recht bekommen, durch die Soldaten Unterstützung erhalten, und dann wird alles noch viel schlimmer. Dann kann er erst recht mit euch machen, was er will.“ Das Mädchen schüttelte bei Kimuras Worten traurig den Kopf. „Und ich hatte geglaubt, du würdest uns helfen, schon um meinetwillen.“ „Gerade weil ich euch helfen will, weil ich Angst um dich habe, müßt ihr von dem Plan ablassen. Wartet auf eine bessere Gelegenheit. Ich habe Cummings heute abend heimlich beobachtet und gesehen, daß er Perlen für sich behält. Er betrügt die Company. Wenn sie das erfahren, werden sie ihn wegholen. So sehr die Amerikaner auch zusammenhalten, in diesem Punkt hört ihre Liebe untereinander auf. Wenn das nächste Schiff der Company kommt, um Perlen zu holen, werde ich alles erzählen. Bis dahin müßt ihr warten. Sag das den Amas.“ Mitsou hatte sich an Kimuras Schulter gelehnt und hörte ihm aufmerksam zu. Er redete weiter auf sie ein. „Bis dahin müßt ihr vorsichtiger sein, damit keine Unfälle mehr geschehen. Sag den Amas, sie sollen nicht mehr so tief und so lange tauchen. Führt die Vorarbeiter an der Nase herum. Sie können ja nicht kontrollieren, was ihr unter Wasser macht. Wenn die Körbe nur noch halb gefüllt sind, werden sie fluchen. Doch was tut das. Sie können euch wohl ins Meer treiben, aber sie können euch nicht zwingen, Muscheln zu finden. Und Cummings? Soll er doch toben. Euer Arbeitspensum habt ihr erfüllt. Wenn keine Muscheln da sind, ist das schließlich nicht eure Schuld. Um das Gegenteil zu beweisen, müßte er schon selber tauchen; und das würde schön aussehen – der dicke Cummings mit dem Seil um den Bauch.“ Mitsou lachte. Ihr Kummer war verflogen. „Du bist ja so klug,
großer Bruder“, sagte sie, „wir werden tun, wozu du uns rätst.“ Der Mond hatte sich schon hinter dem Dschungel verkrochen, als Mitsou von Hütte zu Hütte schlich, den Amas Bescheid zu geben. Die kurze Nacht hatte die Hitze, die nun schon Tag für Tag über der Insel lag, nur wenig gemindert. Ein leichter Wind, der von der See her wehte und wenigstens für Stunden Abkühlung gebracht hatte, erstarb, als die aufgehende Sonne ihre ersten Strahlen über die Kimm schob. Wie träge Nilpferde schwammen die Boote wieder auf dem Meer. Das eintönige Singen und Schwatzen der Amas und die wieder aufgekommene feuchte Schwüle gingen den Vorarbeitern auf die Nerven. Mißtrauisch beobachteten sie die Frauen, wenn sie zu ihrer Bleikeule griffen, ehe sie ins Wasser glitten. Ein einziger Schlag mit der schweren Keule hätte genügt, einen Menschen zu töten. Doch die Furcht war unnötig. Nichts geschah. Der Tag verging wie jeder andere. Als die Boote am späten Nachmittag zur Insel zurückkehrten, spazierte Cummings gereizt am Strand entlang. Diese völlige Ruhe machte ihn unsicher. Er ahnte, daß sich hinter seinem Rücken etwas vorbereitete. Die Ungewißheit ballte sich wie ein Tropengewitter in ihm zusammen und entlud sich mit Donnergetöse über den Köpfen der Vorarbeiter, als er sah, daß mehr Schlick und Tang als Muscheln in den Booten lagen. Verständnislos schüttelten die Männer die Köpfe und versicherten, daß die Amas noch nie so oft getaucht seien wie heute. Unerklärlich also, daß der Ertrag so gering war. Die nächsten Tage verliefen nicht anders. Es ereigneten sich keinerlei Zwischenfälle, die Amas tauchten fleißig wie immer, doch wenn der Inspektor die Perlen zählte und die Muscheln wog, mußte er feststellen, daß die Erträge jedesmal geringer wurden. Cummings war nicht so dumm, an Zufälle zu glauben oder etwa anzunehmen, die Muscheln wären über Nacht ausgestorben. Ihm war bald klar, daß es sich bei alledem um ein sorgfältig ausgeklügeltes Komplott handelte.
Die Vorarbeiter waren inzwischen dahintergekommen, daß die Amas ihre Körbe beim Tauchen nur noch zur Hälfte füllten; einige hatten sogar beobachtet, daß sie oftmals gar nicht tauchten, sondern sich unter dem Boot verbargen. Immer häufiger gaben die Frauen auch Notsignale und erklärten, Haifische wären in der Nähe gewesen und hätten das Einsammeln der Muscheln verhindert. Hokaido brachte dann schließlich heraus, daß hinter all den Aktionen wiederum Mitsou steckte. Nachts hatte er sich abermals zu ihrer Hütte geschlichen, beobachtet, wie die Amas zu ihr kamen, und ihre Gespräche belauscht. Cummings schäumte vor ohnmächtiger Wut. „Diese Kanaille“, fluchte er. „Das hab ich mir gleich gedacht, daß sie und ihr Liebster wieder ihre Hände im Spiel haben. Von sich aus kommen doch die Weiber nicht auf solche Ideen. Es mußte ja jemand dasein, der sie aufhetzt.“ Er hatte mehr zu sich selbst als zu Hokaido gesprochen. Nun überlegte er eine Weile, schien einen Entschluß gefaßt zu haben und sagte: „Komm heute abend allein zu mir. Ich muß mit dir sprechen.“ Kimura fiel es sofort auf, daß Cummings etwas im Schilde führte. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, lang und breit über die Faulheit der Amas zu lamentieren und den Vorarbeitern entsprechende Predigten zu halten, war der Inspektor äußerst einsilbig und entließ sie schon nach wenigen Minuten. Kimura sah auch, daß Hokaido bei Cummings zurückblieb, doch sein Versuch, die Unterhaltung der beiden unter dem Fenster des Bungalows zu belauschen, war erfolglos. Sie sprachen so leise, daß er nur unzusammenhängende Wortfetzen vernahm. Beunruhigt und mit dem Gefühl, daß dort drinnen irgendeine neue Gemeinheit ausgeheckt wurde, ging er zu Mitsou. Cummings hatte die Whiskyflasche auf den Tisch gestellt, ein Päckchen amerikanischer Zigaretten dazugelegt und sich ganz nah zu Hokaido gesetzt. Während er die Gläser füllte, überprüfte er noch einmal seinen Plan. Es wäre unvorsichtig, einfach zu sagen:
Mach das, was ich will, und du bekommst dafür hundert Dollar von mir und so viel Whisky, wie du trinken magst. Hokaido war wohl der zugänglichste unter den Vorarbeitern und gewiß nicht zimperlich. Aber die Sache konnte schiefgehen. Und ob der Bursche dann den Mund hielt…? Schließlich war er auch solch ein schlitzäugiger Eingeborener, der die Amerikaner doch im Grunde seines Herzens hassen mußte, selbst wenn er nach außen hin zu ihnen hielt, um nicht vor die Hunde zu gehen. Nein, er durfte sich ihm nicht in die Finger spielen, mußte ihn dazu bringen, von selbst auf die Idee zu kommen… „Hör mir mal gut zu, Hokaido“, begann er. „Du weißt, daß ich dein Freund bin. Ich meine es gut mit dir und mit euch allen.“ Er unterbrach sich und goß dem Vorarbeiter erneut das Glas voll, „Ihr sollt doch endlich besser leben, so wie die Weißen. Na, nun trink schon. So, hier hast du noch einen.“ Hokaido nickte zustimmend. Der Boß spendierte ihm ja einen Whisky nach dem anderen, da mußte er es wirklich gut mit ihnen meinen. „Siehst du, wenn wir das erreichen wollen, dann muß ich auch von euch verlangen können, daß ihr mich unterstützt und nicht betrügt wie die Amas. Du hast es doch selbst erlebt, wie sie mich hintergehen und sich über mich lustig machen. Die Folgen habt ihr Vorarbeiter doch zu tragen. Wenn ich keine Perlen mehr bekomme, kann ich euch nicht bezahlen und euch auch keinen Schnaps mehr geben.“ Das leuchtete Hokaido ein. „Stimmt, Boß“, pflichtete er dem Inspektor bei. Doch dann besann er sich und sagte: „Na ja, alle sind sie aber nicht so. An sich ist es doch bloß die Mitsou, die sie immer wieder aufhetzt. Wenn die nicht wäre, kämen wir mit den anderen schon zurecht.“ Cummings war mit der Entwicklung des Gesprächs zufrieden. „Richtig, Hokaido. Gegen die anderen Amas will ich auch nichts sagen; sie sind wahrhaftig nur von dieser Mitsou aufgehetzt. Wenn sie nicht wäre, herrschte hier das beste Einvernehmen und ihr könntet so viel Geld verdienen, wie ihr wolltet. In ihr steckt der
Teufel drin, sie muß von einem Dämon besessen sein!“ Der Amerikaner wußte, wie verbreitet unter den Bewohnern der Inseln noch immer die primitiv-religiösen Vorstellungen von Göttern und Dämonen waren, die ihren Ursprung in dem jahrtausendealten taoistischen Aberglauben haben, der damals wie heute von unzähligen Sekten gepredigt wird. Deshalb machte er jetzt eine Pause und ließ Hokaido Zeit, sich auszumalen, daß ein böser Dämon die kleine Perlentaucherin in seiner Gewalt hatte. Mit Befriedigung sah er, wie Hokaido erblaßte und ihn angsterfüllt anstarrte. Das Weiße in den Augen des Vorarbeiters weitete sich, die Pupillen zogen sich zu kleinen irrlichternden Punkten zusammen; Schweiß perlte ihm auf der Stirn, und seine Lippen zitterten, als er schließlich keuchte: „Ja, sie muß von einem Dämon besessen sein. Sie wird uns noch alle ins Unglück stürzen.“ Über Cummings rosiges Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. Irgendwo hatte er einmal gehört, daß es einige Sekten gab, die ihren Göttern Opfer brachten, um deren Zorn zu besänftigen. Darauf wollte er jetzt hinaus. Er beugte sich ganz nah zu Hokaido. „Die Götter sind euch nicht gut gesonnen, sie zürnen. Du mußt sie versöhnen.’’ Hokaido sank in sich zusammen, der Kopf fiel ihm auf die Brust, und die Hände griffen bebend zum Whiskyglas. Er trank es mit einem Zug aus, richtete sich wie gestärkt auf und stammelte: „Ich werde den Göttern ihr Opfer bringen.“ Nach einem Moment des Schweigens fragte er hastig: „Aber wie? Wie soll ich…“ Cummings fiel ihm ins Wort: „Denk an den Unfall Okamuras!“ Der Vorarbeiter saß mit starrem, ausdruckslosem Gesicht da, nickte nur und griff abermals zum Schnapsglas. Der Inspektor goß schnell nach. „Jeden Abend kannst du bei mir Schnaps haben, Hokaido. Ich bin dein Freund. Ich meine es gut mit dir. Und hundert Dollar bekommst du extra, wenn es Löhnung gibt.“ „Hundert Dollar?“ murmelte Hokaido und sah mit verlangenden Augen zu der Whiskyflasche hinüber. Er rechnete sich aus, wie
viele Flaschen er für diese Summe bekommen würde, und war bereit, sie sich zu verdienen! Kimura hatte Mitsou seine Befürchtungen nicht verheimlicht. Sie aber lachte nur. „Du siehst Gespenster. Was soll Cummings schon im Schilde führen? Mehr als bisher kann er uns nicht schikanieren. Daran sind wir gewöhnt, und die paar Wochen, bis das Boot der Company kommt, werden wir noch durchhalten.“ Er gab sich damit jedoch nicht zufrieden. „Du nimmst die Sache zu leicht, Mitsou. Ich traue Cummings nicht. Er läßt sich nicht tatenlos von euch auf der Nase herumtanzen. Nicht umsonst sitzt Hokaido die halben Nächte bei ihm. Ich werde schon noch dahinterkommen, was die beiden ausgeheckt haben. Bis dahin aber lasse ich dich nicht mehr aus den Augen. Ich werde jetzt mit meinem Boot immer in deiner Nähe bleiben.“ – In den nächsten Tagen war Cummings seltsam verwandelt und im Umgang mit den Amas von nie erlebter Sanftheit. Er beschimpfte sie nicht mehr und regte sich kaum noch darüber auf, daß die Erträge so niedrig waren, ja, er hielt die Vorarbeiter sogar dazu an, die Frauen rücksichtsvoller zu behandeln. Es war eine Stille wie vor einem Taifun. Am vierten Tage geschah es dann. Kimura befand sich mit seinem Boot etwa fünfzehn Meter von Hokaido entfernt, hatte gerade beobachtet, wie Mitsou ins Wasser geglitten war, und wartete nun darauf, daß sie wieder auftauchte. Eine seltsame Unruhe befiel ihn. Die Sekunden erschienen ihm wie eine Ewigkeit. Zwei, höchstens zweieinhalb Minuten blieb Mitsou gewöhnlich unten. Diese Zeit mußte längst verstrichen sein.
Er blickte zu Hokaido hinüber. Der lehnte am Hebebaum und tat, als ginge ihn alles nichts an. Neben ihm aber quietschte die Rolle, über die das Seil lief. Kimura sah deutlich, wie sie sich drehte, wie das Seil sich mehrmals kurz hintereinander straffte und dann erst langsam, schließlich immer schneller ins Wasser abrollte. Und Hokaido stand daneben, griff nicht nach dem Seil, sondern starrte mit unheimlichem Gesichtsausdruck in die Ferne. Jetzt wußte Kimura: Mitsou war in Gefahr! Aber weshalb tauchte sie nicht von selbst auf? Warum ließ sie die Keule und den Muschelkorb nicht fallen? Er wußte keine Erklärung dafür, sah nur, daß das Seil unaufhörlich in die Tiefe rollte. Er rief Hokaido an, schrie, so laut er konnte. Hokaido stand wie aus Stein gehauen und rührte sich nicht. Da ergriff Kimura eine der im Boot liegenden Bleikeulen, sog tief Luft ein und sprang. Die schwere Keule zog ihn schnell hinunter. Erst meinte er, in undurchdringliche Finsternis zu fallen, dann sah er wie durch eine Milchglasscheibe. Die Augen brannten ihm. In den Schläfen begann es zu hämmern. Immer kälter wurde es und immer dunkler. Den Brustkorb drückte eine Zentnerlast zusammen. Fische glitten lautlos vorbei. Schwer wie Blei wurden ihm die Beine. Die eisige Kälte lähmte die Glieder. Der Kopf schien bersten zu wollen, und Kimura war es, als schwimme er schon Stunden in dem Halbdunkel umher. Luft brauchte er. Atmen wollte er und preßte doch die Zähne zusammen, um nicht den Mund zu öffnen. Dann stand auf einmal das Seil vor ihm. Er merkte, daß es jetzt gestrafft war und tastete sich daran hinab, tiefer und tiefer, bis er auf den Helm stieß, die helle Bluse erkannte. Er hatte Mitsou gefunden! Sie war wohl schon ohnmächtig; ihre Hand hielt das Seil umkrampft. Warum zog man sie denn nicht nach oben? Zieht doch, wollte er schreien und wußte doch, daß es sinnlos war. Im gleichen Augenblick faßte es ihn von unten um die Beine, kam den Körper hochgekrochen, schnitt ins Fleisch und schien ihm das Blut aus den Adern zu saugen. Ein unförmige quabbelige Masse mit Glotzaugen und meterlan-
gen Armen, die sich um Mitsou und nun auch um ihn geschlungen hatten, tauchte aus dem Dunkel auf, verschwand wieder und kam erneut zum Vorschein. Ein Riesenkraken hatte sie beide in seiner tödlichen Gewalt, zog sie mit seinen acht bärenstarken Saugarmen unrettbar in die Tiefe. In letzter Verzweiflung nahm Kimura die Bleikeule und rammte sie in den widerlich schleimigen Körper des Kraken hinein; fünf-, sechs-oder auch achtmal. Er wußte nicht, wie oft. Jeder Schlag kostete ihn übermenschliche Anstrengung. Das Blut jagte durch seine Adern und preßte die Schläfen auseinander. Plötzlich wurde es ganz still in ihm. Der Druck wich von der Brust, die Arme und Beine wurden ihm leicht, und das Dröhnen im Kopf ließ nach, war nur noch ein fernes einschläferndes Singen. Kimura hatte die Besinnung verloren. Er merkte nicht mehr, daß ihm Mitsous Körper aus den Händen glitt und am Seil nach oben gezogen wurde. – Sekunden später packten ihn die Arme zweier Amas, und gleich darauf wurde er ins Boot gehoben. Es war ein kurzer Kampf gewesen, in dem Hokaido von den Amas überwältigt worden war; Kimuras Rufe und sein Sprung ins Meer hatten sie alarmiert. Ohne zu zögern, stürzten sie sich auf den Vorarbeiter, versuchten verzweifelt, ihn vom Hebebaum wegzuziehen, um das Seil in Besitz zu bekommen. Doch Hokaido wehrte sich verbissen, schüttelte sie immer wieder ab. Dann hatte er unvermutet den Revolver in der Hand. Ein Schuß peitschte durch die Luft, traf aber niemand. Ehe Hokaido zum zweitenmal abdrücken konnte, traf ihn der Schlag mit der Bleikeule. Er fiel vornüber, kippte über die niedrige Bordkante und versank im Meer. Das Schicksal, das er Mitsou hatte bereiten wollen, war nun sein eigenes geworden. Inzwischen war der Vorfall auch auf den anderen, weiter entfernten Booten bemerkt worden. Die Vorarbeiter brachen die Taucharbeit ab und kamen herangerudert. Sie erblickten die leblosen Körper von Mitsou und Kimura, die ins Boot geschafft wurden, und erkannten, daß es nur eine Rettung gab: so schnell wie möglich
nach Ishashura zu rudern, dem einzigen erreichbaren Ort, wo es einen Arzt und eine Hospitalbaracke gab. Keiner von ihnen dachte daran, die Amas zur Arbeit anzutreiben, um den Zwischenfall zu vertuschen. Die Angst vor Cummings war von ihnen abgefallen, und gemeinsam mit den Frauen brachten sie die Kranken zur Militärstation. Kimura und Mitsou rangen mit dem Tode. Fieberanfälle und Blutungen der von dem Wasserdruck verletzten inneren Organe verzehrten ihre Kräfte. Der Militärarzt hegte kaum noch Hoffnung. Eine schnelle Bluttransfusion war die einzige Möglichkeit, ihnen das Leben zu erhalten. Doch er wußte um die Schwierigkeiten, die im Wege standen; er kannte den Rassendünkel seiner Landsleute. Die Soldaten der Militärstation waren aber die einzigen, die rasch helfen konnten. In ihren Papieren waren die Blutgruppen vermerkt, und es hätte nur Minuten gedauert, die benötigten Spender herauszufinden. Sie unter den Eingeborenen zu ermitteln, würde viele Stunden erfordern, und dann war es womöglich zu spät. Zögernd wandte sich der Arzt deshalb an Captain Wyner, den Kommandanten der Funkstation. „Captain, Sie sind der einzige, der hier helfen kann. Geben Sie ihren Soldaten die Genehmigung, Blut zu spenden. Dann sind die beiden vielleicht noch zu retten.“ Der Kommandant schüttelte den Kopf. „Doktor, Sie wissen so gut wie ich, daß das unmöglich ist. Ich kann und darf keinen meiner Leute veranlassen, einem Farbigen Blut zu spenden. Im übrigen verbieten die Bestimmungen ausdrücklich, Eingeborene zu behandeln. Sie müssen ins Eingeborenenhospital nach Okinawa geschafft werden. Dort wird für sie in jeder Weise gesorgt. Mehr kann ich nicht tun.“ Der Arzt sah den Kommandanten verständnislos an. „Aber Captain, das ist unmöglich. Die beiden sind nicht transportfähig.“ „Bedaure, dann kann ich auch nicht helfen. Vertrauen wir darauf, daß Gott ihnen beistehen wird“, beendete der Captain die Unterredung und bemühte sich, ein teilnahmsvolles Gesicht zu machen. Um nicht untätig mit ansehen zu müssen, wie die Kranken ohne
jeden Rettungsversuch dahinstarben, ging der Militärarzt daran, den Amas und den Vorarbeitern, die nach Ishashura gekommen waren, Blutproben abzunehmen. Es war eine mühselige Arbeit. Die Amas bekamen Angst, als er ihnen die silberne Kanüle in den Arm stach und dann die rote Flüssigkeit in den Glaszylinder saugte. Hätte er ihnen nicht immer wieder zugeredet, ihnen nicht stets von neuem erklärt, daß sie all das über sich ergehen lassen müßten, wenn Kimura und Mitsou jemals wieder gesund werden sollten, wären sie wohl davongelaufen, so unheimlich war ihnen die noch nie erlebte Prozedur. Endlich hatte er dann die benötigten Blutspender gefunden und konnte die erste Transfusion vornehmen. Es war, als würde mit dem Blut der Amas neuer Lebenswille in die Körper der Kranken übertragen. Ihr Zustand besserte sich zusehends, sie kamen wieder zu Kräften, und ihre jugendliche Natur schaffte, was der Arzt kaum noch für möglich gehalten hatte. Captain Wyner bereitete die Anwesenheit der Amas, die sich beharrlich weigerten, die Militärstation zu verlassen, und immer wieder die Abberufung Cummings forderten, von Stunde zu Stunde neuen Ärger. Am liebsten hätte er sie von seinen Soldaten zusammentreiben und abtransportieren lassen. Er wußte selbst nicht, was ihn hinderte, diesen Befehl zu erteilen. Möglich, daß es nur seine Abneigung gegen Cummings war, dem er die Folgen der ganzen Angelegenheit gönnte. Als alter Berufssoldat haßte er Zivilisten, die in den Hoheitsgebieten der US-Streitkräfte dunkle und recht einträgliche Geschäfte betrieben. Vielleicht fürchtete er auch, daß es abermals zu Komplikationen käme, wenn er mit Gewalt gegen die Frauen vorgehen würde. So zögerte er noch einige Zeit und entschloß sich schließlich, erst einmal den Inspektor mit einer Barkasse holen zu lassen. Des weiteren telegraphierte er an die Okinawa Pearl and Diamond Company und forderte die Überprüfung der Vorkommnisse durch einen verantwortlichen Vertreter. Cummings, der bald darauf von Yashima kam, wies alle Beschul-
digungen voller Entrüstung zurück. Er behauptete, die Amas wären nur aufgehetzt, und verlangte Einleitung eines Untersuchungsverfahrens wegen Mordes an seinem Vorarbeiter Hokaido. Zwei Tage später traf dann endlich der Vertreter der Company ein. Als erstes äußerte er sein Entsetzen darüber, daß die Perlentaucherei nun schon tagelang still lag, und bot seine ganze Beredsamkeit auf, die Amas zu bewegen, nach Yashima zurückzukehren und schnellstens die Arbeit wiederaufzunehmen. Da die Frauen aber hartnäckig verlangten, er solle zunächst Kimura anhören, um Cummings Handlungsweise beurteilen zu können, mußte er sich wohl oder übel dazu bequemen. Was ihn an dieser Unterredung so sehr in Harnisch brachte, war keineswegs die Behauptung, Cummings habe Mitsou beseitigen wollen, sondern ausschließlich die Mitteilung, daß sein Inspektor die schönsten Perlen in die eigene Tasche verschwinden ließ. Zorngerötet stürzte er auf Captain Wyner zu. „Wo ist dieser Cummings, dieser Betrüger? Sofort müssen Sie ihn festnehmen!“ Der Kommandant hatte Mühe, den Mann zu beruhigen und sich Klarheit über die eigentliche Ursache des Wutausbruchs zu verschaffen. Bedenklich schüttelte er dann den Kopf. „Das sind zunächst nur Behauptungen eines Eingeborenen, die erst bewiesen werden müssen. Dazu muß man Cummings selbst hören. Der ist aber nicht hier. Mit meiner einzigen schnellen Motorbarkasse ist er nach Yashima gefahren, um drüben nach dem Rechten zu sehen.“ Wyner machte eine Pause, überlegte und fuhr dann fort: „Wenn er das wirklich getan hat und vorher Lunte riecht, verschwindet er womöglich mit all Ihren Perlen und meinem schönen Motorboot auf eine der tausend Inselchen, die hier verstreut liegen. Und dort sollen wir ihn mit den drei Klapperkästen, die ich noch hier habe, erst mal aufstöbern. Eine kleine Funkstation ist nun mal kein Flottenstützpunkt. Oder haben Sie Hoffnung, daß die Ostasienflotte ausläuft, um Ihren durchgebrannten Inspektor zu fangen? Warten wir also ab, bis er wiederkommt, dann können wir feststellen, ob er sein perlengefülltes Brustbeutelchen um hat…“ Der Mann von der Company mußte sich noch einige Zeit gedul-
den, bis Cummings mit der Motorbarkasse zurückkam. Allen Warnungen zum Trotz lief er dann aber doch, kaum daß der Inspektor an Land gegangen war, auf ihn zu, versuchte nach dem Brustbeutel zu greifen und brüllte: „Sie Gauner, geben Sie sofort die Perlen heraus, die Sie unterschlagen haben.“ Wyner stand interessiert daneben und wartete gespannt, wie sich Cummings verhalten würde. Der erfaßte blitzschnell die Situation. In seinem Kopf arbeitete es: Unten am Steg liegt noch die Barkasse. Die kostbarsten Perlen habe ich bei mir; unter Brüdern ihre zwanzig- bis dreißigtausend Dollar wert. Wenn ich jetzt hier wegkomme, ohne daß die Posten aufmerksam werden, habe ich’s geschafft. Die anderen Boote, die sie hier noch haben, sind viel zu langsam, mich einzuholen. Ehe der Captain und der Mann von der Company ahnten, was Cummings plante, hatte er schon seine Pistole gezogen und rief: „Hands up und keine Bewegung, sonst knallt’s.“ Der Vertreter der Okinawa Pearl and Diamond Company war völlig überrascht und hob automatisch die Hände. Captain Wyner zögerte. Am Gürtel hatte er seine Pistole stecken. Doch bevor er an sie herankam… Schließlich hatte er den ganzen Ostasienfeldzug mit heilen Gliedern überlebt und wenig Lust, jetzt noch eine Kugel zwischen die Rippen zu bekommen. Und daß dieser Bursche in der gegebenen Situation nicht lange fackeln würde, war ihm klar. So hob er dann auch die Hände und vertraute darauf, daß einer der Posten noch rechtzeitig aufmerksam werden würde. Doch die Lage war äußerst günstig für den Inspektor. Alles spielte sich in Deckung einer langgestreckten, leerstehenden Baracke ab, die den Posten diesen Vorgang verbarg. Auch von den dienstfreien Leuten war zufällig keiner in der Nähe. Den schußbereiten Revolver in der Hand, ging Cummings Schritt für Schritt zurück, bis er den Bootssteg erreicht hatte. Hier mußte er sich umdrehen, um über den schmalen Steg in die Barkasse zu gelangen. Diesen Augenblick benutzte Wyner, seine Pistole zu ziehen. Ehe er aber schießen konnte, wandte sich der Inspektor wieder um und feuerte mehrere Schüsse ab. Der Captain mußte in
Deckung gehen, Cummings sprang in die Barkasse, und Sekunden später heulte der Motor auf. Der Lärm hatte jedoch den nächsten Maschinengewehrposten alarmiert. Cummings war noch keine fünfzig Meter vom Ufer entfernt, da bellte die erste Garbe hinter ihm her. Er wollte sich niederwerfen und im Liegen steuern. Ein paar Sekunden nur brauchte er bei der Geschwindigkeit des Bootes, um aus dem Feuerbereich des Maschinengewehrs herauszukommen. Zu spät. Schon brannte es ihm in der linken Schulter, dann im Rücken. Er sackte zusammen, fiel nach der linken Seite und riß dabei das Steuer mit. Seine Hand hatte nicht mehr die Kraft, den Gashebel zu drücken. Die Barkasse fuhr einige Male im Kreise herum, dann erstarb das Motorengeräusch. Als man Cummings Leiche später aus dem Boot zog, umkrampfte seine rechte Hand den Lederbeutel auf der Brust. Kaum hatte die Sonne am nächsten Morgen ihre ersten rotgoldenen Strahlen über das Meer gebreitet, wurden die schweren Taucherkähne zu einem Geleitzug zusammengestellt und zu dritt an die Motorboote der Funkstation gebunden. Der Mann von der Company hatte Captain Wyner nach langem Zureden dazu bewegen können, die Barkassen für den Transport zur Verfügung zu stellen. Auf keinen Fall durfte noch ein weiterer Arbeitstag verlorengehen. Telegraphisch hatte er bei der Direktion auf Okinawa auch schon einen neuen Inspektor angefordert. Bis zu dessen Eintreffen mußte er nun selbst die Geschäfte der Perleninsel übernehmen. Die Forderungen der Amas waren stillschweigend von ihm erfüllt worden, um sie endlich zur Arbeitsaufnahme zu bewegen. Die alten Vorarbeiter, die Cummings hatte wegschaffen lassen, durften wieder zurückkehren und mit ihnen auch Kimura, der auf Yashima bleiben wollte. Der Vertreter der Company zuckte die Schultern. Was wollte er machen? Die Okinawa Pearl and Diamond Company brauchte die Amas, um in den Besitz der begehrten YashimaPerlen zu gelangen. Nun begannen die Motoren zu laufen. Langsam erst und dann
immer schneller wurden die Kähne aufs Meer hinausgezogen. Wie Nilpferde schnauften sie durch das Wasser, und die aufschäumenden Wogen schlugen mit lautem Geräusch gegen den Bug. Vorn am Horizont lag Yashima wie ein dunkler Fleck im blaßgoldenen Dunst des Morgens. Mitsou hatte ihren Kopf an Kimuras Schulter gelehnt. Mit weitgeöffneten Augen blickte sie zuversichtlich in den beginnenden Tag.
ARKADI FIEDLER
Illustriert von Kurt Zimmermann l:lii(i 384 Seiten Halbleinen Stirn S,t)O DM
Am Leben des „Kleinen Bison", eines Schwarzfuß-Indianers, wird die ganze Dramatik des Indianerproblems gezeigt. Schon als Kind muß er erfahren, daß der Indianer überall betrogen wird und daß es für ihn keine Gerechtigkeit gibt. Auch der Stamm der Schwarzfuß-Indianer wird in eine Reservation gezwungen und verliert seine weiten Jagdgründe. Der „Kleine Bison'* wird in die Schule aufgenommen, besucht später die Militärakademie und kehrt als Hauptmann aus dem ersten Weltkrieg zurück. Nun setzt er seine ganze Kraft für die Verbesserung des Loses der Indianer ein, scheitert aber an den kanadischen Behörden.