Parker schockt Graf Dracula Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker verzicht...
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Parker schockt Graf Dracula Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker verzichtete höflich darauf, sich in irgendeiner Form helfend einzuschalten. Er blieb in der geöffneten Zimmertür stehen und beobachtete die Szene, die an Schrecken und Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Graf Dracula stand neben dem breiten, victorianischen Bett und zeigte bereits seine ausgeprägten Eckzähne. Sein kalkweißes Gesicht hatte sich verzerrt, die riesigen Ohren bebten leicht. Dracula trug über seinem schwarzen Anzug einen weiten Mantel in gleicher Farbe, einen Umhang, den er nun mit der linken Hand wie einen Vorhang ausbreitete. Der Graf beugte sich tiefer über das Bett und visierte die blonde Schönheit an, die noch keine Ahnung hatte, daß sie diesem Vampir als nächtliches Mahl dienen sollte. Dann fauchte der Vampir in Menschengestalt. Er schaute für einen Moment zur Tür hinüber, schien den Butler aber nicht zu sehen. Er wandte sich wieder der blonden Schönheit zu und beugte sich noch tiefer. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis er seine Fangzähne in den Hals seines Opfers schlug. Butler Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, mit dem ausdruckslosen Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers, rührte sich selbst jetzt nicht. Er stand steif und korrekt auf der Türschwelle und
verfolgte jede Einzelheit des Vorgangs am Bett. Graf Dracula fauchte inzwischen ein wenig lauter und entblößte sein Gebiß vollends. Die beiden spitzen Eckzähne waren jetzt in ganzer Länge zu erkennen. Die Augen des Vampirs glitzerten, seine klauenartigen Hände schoben sich langsam vor und näherten sich dem Oberkörper der Schönen, die nach wie vor fest schlief. Sie war ungemein attraktiv und von vollendeter Gestalt. Sie trug ein dünnes Gespinst aus Seide, das' ihr als Nachthemd diente. Darunter waren ihre üppigen Formen deutlich zu erkennen. Es war nur zu verständlich, daß der Graf sich für diese Frau entschlossen hatte. »Ganz schön beeindruckend, Mr. Parker, wie?« fragte Anwalt Mike Rander, der seitlich hinter dem Butler stand. Rander, an die vierzig Jahre alt, durchaus jünger aussehend, war schlank, etwas über mittelgroß und trug zu grauen Flanellhosen einen dunkelblauen Blazer. Er erinnerte in seiner Sportlichkeit fast an einen Dressman. »Graf Dracula dort kann es meiner bescheidenen Ansicht nach durchaus mit entsprechenden Filmvampiren aufnehmen«, gab Josuah Parker in seiner unnachahmlich barocken Ausdrucksweise zurück.
Genau in diesem Augenblick aber zeigte der Vampir gewissen Konditionsschwächen. Die Blondine war aufgewacht und richtete sich ein wenig zu hastig auf. Ihr Kopf krachte lautstark gegen den Unterkiefer des Vampirs, der nun seinerseits die Selbstkontrolle verlor. Er fuhr mit eckigen Bewegungen zurück, richtete sich steil auf, knickte dann wieder in der Hüfte ein, beugte sich tief zu seinem Opfer hinunter, ruderte mit seinen überlangen Armen in der Luft herum und lief dann wie auf Schienen zurück zum gotisch geformten Fenster mit den Butzenscheiben. Dort angekommen, drehte er sich einige Male um seine Längsachse, sah wieder zu der Schönen hinüber, die inzwischen entspannt und langgestreckt auf dem Bett lag und offensichtlich wieder eingeschlafen war. Dies irritierte Graf Dracula. Er glitt fast schwebend zurück ans Bett, beugte sich über seine Zwischenmahlzeit, entblößte seine Fangzähne, ruderte aber sinnlos mit den spindeldürren Armen durch die Luft, öffnete und schloß die spinnenartigen Finger und schwebte eilig zurück zum Fenster. »Er scheint sich nicht entscheiden zu können«, stellte Anwalt Mike Rander fest. »Ein wenig neurotisch, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf, Sir«, antwortete Parker. Dracula vollführte inzwischen eine Pirouette vor dem Bett, beugte sich über sein Opfer, empfing einen weiteren Kopfstoß von der blonden Schönen, fauchte, keuchte, glitt zum Fenster zurück, schwebte zurück, verbeugte sich und setzte seine
Pantomime fort. Inzwischen war die Blondine erneut übergangslos eingeschlafen und schien den blutgierigen Vampir längst vergessen zu haben. Graf Dracula hatte inzwischen die letzte Kontrolle über sich verloren. Er jagte zwischen Bett und Fenster hin und her, verbeugte sich, fauchte, drehte eine Pirouette nach der anderen und fiel dann endlich total erschöpft über die Blonde. Sein Landepunkt war allerdings nicht der sich anbietende, nackte Hals, sondern das linke Bein des Opfers. Seine Fangzähne schlugen tief in den dicken Zeh der Blondine, die erstaunlicherweise nicht reagierte, sondern nach wie vor fest schlief. »Graf Dracula scheint seine Taktik geändert zu haben«, meinte Anwalt Mike Rander und lächelte amüsiert. »Jetzt qualmt er sogar noch aus allen Nähten. Mr. Parker, ich denke, wir schenken uns den Rest. Das hier wird nichts mehr!« * Mike Rander sollte sich nachhaltig getäuscht haben. Hinter ihnen erschien in weißem Kittel ein rundlicher und glatzköpfiger Mann, auf dessen Nasenspitze eine altmodische Brille saß. Dieser Mann, der einen aufgeregten Eindruck machte, hielt einen Feuerlöscher in Händen und zwängte sich an Parker und Mike Rander vorbei ins Schlafgemach mit den gotischen Fenstern. Der Butler und sein früherer Herr traten diskret zur Seite und schauten interessiert zu, wie der etwa Fünfzigjährige sich mit- dem aus allen Nähten qualmenden Grafen Dracula
befaßte. Er ging recht rigoros mit dem Vampir um, der nach wie vor damit beschäftigt war, den dicken Zeh der Blondine zu beknabbern. Was ihr überraschenderweise auch jetzt noch nichts ausmachte. Sie lag gelassen und ruhig auf dem breiten Bett, zeigte ihre ausgeprägten Formen und schlief. Der Rundliche hatte den Feuerlöscher in Tätigkeit gesetzt und besprühte den Vampir mit weißem Löschschaum. Graf Dracula reagierte anfangs überhaupt nicht darauf, doch dann zuckte er hoch, starrte den Weißbekittelten mit fletschenden Zähnen an und jagte dann gestikulierend zum Fenster zurück. Dort angekommen, schien er sich wieder für den Löschschaum zu interessieren, kehrte zum Bett zurück, verlor das Gleichgewicht und schwebte dann in einem Freiflug ein gutes Stück durch die Luft, bis er gegen die Wand krachte. Dann blieb er liegen, fletschte ein wenig, produzierte keuchende Töne und zeigte noch mal seine bemerkenswerten Eckzähne. Dann endlich rührte er sich nicht mehr. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte der Weißbekittelte und drehte sich zu Parker und Anwalt Rander um. »Mit der Elektronik scheint da noch einiges nicht zu stimmen. Ich fürchte, Graf Dracula ist einem Kurzschluß zum Opfer gefallen.« »Die Tücke der Technik«, meinte Mike Rander lächelnd. »Aber sonst? Was halten Sie von diesem Schaueffekt, Mr. Rander? Ist es nicht unheimlich beeindruckend?« »Vor allen Dingen dann, wenn er aus allen Nähten qualmt«, erklärte der
Anwalt. »Ein rauchender und qualmender Vampir, nun, das war neu für mich.« »Ich habe Dracula nach dem Vorbild Murnaus nachempfunden«, erklärte der Weißbekittelte. »Sie kennen sicher seinen Film >Nosferatu<, nicht wahr?« »Ein bemerkenswerter Streifen«, ließ Josuah Parker sich höflich vernehmen. »Vampire sind wieder in Mode gekommen. Endlich!« Der Mann im weißen Kittel rückte die Brille auf der Nase zurecht. »Jahrelang hat man sich über sie mokiert, aber nun beginnt die Renaissance. Die Menschen unseres technischen Zeitalters besinnen sich wieder darauf, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die man mit wissenschaftlichen Methoden allein nicht erklären kann.« »Sie glauben an Vampire, Sir Hiram?« fragte Mike Rander höflich. »Sie sind mitten unter uns, lieber Freund«, erwiderte Sir Hiram Chestbury ernst. »Sie haben sich unserer Welt natürlich angepaßt, aber sie leben nach wie vor und brauchen frisches Menschenblut, um weiter existieren zu können.« »Scheußliche Diät«, kommentierte Mike Rander ein wenig blasiert. »Sie sind Kreaturen der Nacht«, redete Sir Hiram weiter und drückte dann sicherheitshalber noch mal auf das Sprayventil des Feuerlöschers, da Graf Dracula erneut leicht qualmte. »Sie sind verdammt, bis an das Ende der Welt zu leben, falls sie nicht von der reinen Liebe einer Jungfrau erlöst werden.« »Böse Voraussetzungen.« Rander zündete sich eine Zigarette an. »Reine Jungfrauen sollen in letzter Zeit ziemlich rar geworden sein.«
»Schafft es solch eine Jungfrau, sie bis Tagesanbruch in ihren Bann zu ziehen, dann werden sie der Gnade teilhaftig, endlich sterben zu dürfen.« »Darf ich mir erlauben, auf eine weitere Möglichkeit aufmerksam zu machen, Sir?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Nach meinen Informationen sind Vampire auch dann dem Tod geweiht, falls es gelingt, ihnen einen geweihten Holzpflock ins Herz zu schlagen. Solch ein Holzpflock kann selbstverständlich auch mit dem Saft der Allium sativum präpariert werden.« »Vollkommen richtig, Mr. Parker.« Sir Hiram sah den Butler erfreut an und nickte. »Schon der Schriftsteller Bram Stoker, der die Geschichte des Grafen Dracula niederschrieb, verweist immer wieder darauf.« »Allium sativum?« Mike Rander sah Parker abwartend an. »Ich bin sicher, daß Sie mir das näher erklären werden, Mr. Parker.« »Es handelt sich um den Knoblauch, Sir«, sagte Parker. »Hübsches Würzmittel, für Vampire viel zu schade.« Mike Rander warf noch einen letzten Blick auf Graf Dracula, der endlich Ruhe gegeben hatte. Dann wandte er sich ab und ging zurück in das düstere Treppenhaus, gefolgt von Parker und Hiram Chestbury. »Möchten Sie den Werwolf sehen, Mr. Rander?« erkundigte Sir Hiram sich. »Oder noch besser, vielleicht den Satan während einer schwarzen Messe? Sehr eindrucksvoll!« »Ich schätze, ich kann mir inzwischen ein Urteil bilden, Sir Hiram«, antwortete Mike Rander. Er ging vorsichtig die Stufen hinunter, da sie auf eine rechte penetrante Art und
Weise eingebaut waren. Sie standen grundsätzlich schief zueinander zwischen Treppenwange und Wand und machten es unmöglich, auf normale Art und Weise zu gehen. Das Treppenhaus war ein Alptraum für sich! Rechte Winkel schien der Architekt dieses Hauses nie gekannt zu haben. Die Wände standen schief zueinander, bildeten eine Unzahl Nischen und Winkel, die sich grund- und sinnlos verengten und irgendwo im Dämmerlicht verloren. Das Licht dieses Nachmittags fiel durch halbblinde, rot gefärbte Scheiben, die unheimlich glühten und schimmerten. Menschliche und tierische Skelette waren reichhaltig vertreten. Hin und wieder schössen Fledermäuse flatternd durch das Treppenhaus und gaben unheimliche, hohe und grelle Zirptöne von sich. Josuah Parker genoß diesen Alptraum, das plötzliche Ächzen und Quietschen von schweren Türen und das Rasseln von Ketten. Er zuckte mit keiner Wimper, als unten in der großen Halle ein fahlweißes Gespenst sich auf den Weg machte, aus einer Standuhr hinüber zu einer Kellertreppe zu marschieren. »Ist das nicht perfekt? Ist das nicht wunderbar?« freute Sir Hiram sich wie ein Kind. »Sie ahnen ja nicht, was ich mir sonst noch habe einfallen lassen!« »Sie haben sicher weder Kosten noch Mühen gescheut«, sagte Anwalt Rander. Er war froh, daß er diese halsbrecherische Treppe endlich hinter sich gebracht hatte. Bis zur Tür des Hauses war es nicht mehr weit. Er brauchte jetzt nur noch den schiefen
Boden der Halle hinter sich zu bringen. Die Steinplatten lagen nicht eben auf dem Boden, sondern erinnerten in ihrer Lage an kleine Eisschollen, die sich gegeneinander verschoben und leicht aufgetürmt hatten. Die drei Männer hatten die Mitte der Halle gerade erreicht, als plötzlich ein spitzer, gellender Schrei zu hören war, der im wahrsten Sinn des Wortes durch Mark und Bein ging. »Ist das ein zusätzlicher Gag?« erkundigte sich Mike Rander. »Nein, nein, Mr. Rander, ich weiß nicht...« »Es dürfte sich um Mylady gehandelt haben«, schaltete Butler Parker sich höflich ein. »Diesem Aufschrei nach zu urteilen, muß Mylady sich im Zustand einer akuten Erregung befinden, wenn ich es so ausdrücken darf!« * Lady Agatha Simpson war eine stattlich aussehende Dame, die um die sechzig Jahre alt sein mußte. Über ihr genaues Alter ließ sie sich grundsätzlich nicht aus. Sie erinnerte in ihrer junonischen Fülle an die Walküre einer Wagner-Oper und war eine recht kriegerische, ältere Dame, die sportlich noch durchaus auf der Höhe war. Sie spielte Golf, schoß mit dem Sportbogen und wußte darüber hinaus auch mit anderen Waffen gut umzugehen. Lady Agatha, seit vielen Jahren Witwe, war immer vermögend. Sie konnte sich so gut wie jede Exaltiertheit leisten, verzichtete aber darauf, das zu zeigen. Sie kleidete sich mit Vorliebe
mit zu weiten und stets ausgebeulten Tweed-Kostümen. Als Hut bevorzugte sie ein Gebilde, das eine Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen darstellte. Dieses phantasievolle Gebilde wurde mit einigen langen Hutnadeln im weißen Haar festgehalten, mit Hutnadeln übrigens, die es in jeder Beziehung in sich hatten. Die Lady war mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert. Sie sagte grundsätzlich das, was sie dachte und verzichtete auf alle Finessen einer sogenannten gepflegten Unterhaltung. Auf Parties war sie ein gefürchteter Gast, denn sie genierte sich nie, auch unbequeme Wahrheiten zu sagen. Sie sagte sie übrigens mit sichtlichem Genuß und einer Stimme, die zumindest an einen Baß-Bariton erinnerte. Vor einer Sekunde hatte sie tatsächlich einen spitzen Schrei ausgestoßen und war vor einer riesigen Spinne zurückgewichen, die sich an einem erstaunlich dicken Faden von der Decke des Raumes herabgelassen hatte. Der Angriff dieses Insekts, das etwa so groß war wie ein Fußball, war schreckerregend, zumal die Facettenäugen der Riesenspinne äußerst vergnüglich glühten. Sie schien sich darauf zu freuen, die ältere Dame anzufallen. Sie freute sich nicht lange... Agatha Simpson war eine Frau, die sich nie ins Bockshorn jagen ließ. Sie reagierte bereits und brachte ihren perlenbestickten Pompadour in Schwung. Es handelte sich um einen Handbeutel, wie es die Damen der Gesellschaft um die Jahrhundertwende zu tragen pflegten. In diesem Pompadour befand sich,
oberflächlich eingeschlagen in dünnen Schaumstoff, ein echtes Pferdehufeisen. Myladys »Glücksbringer«, wie dieser Pompadour genannt wurde, schwang zurück und dann wieder nach vorn. Die Spinne, die sich auf das Gesicht der Lady konzentriert hatte, achtete nicht weiter auf diesen Handbeutel und wurde voll getroffen. Die Riesenspinne deformierte sich und leuchtete nicht mehr. In ihrem Innern war ein Knacken und Knirschen zu vernehmen. Dann löste das Insekt sich von seinem Spinnfaden und segelte quer durch den Raum und zurück zur Decke. Es knackte und knirschte erneut, dann segelte die Riesenspinne, die zu einem Fladen geworden war, zu Boden und landete vor den derben Schuhen der resoluten Dame. Die langen Beine vibrierten und zuckten noch ein wenig, dann war alles überstanden. »Ich werde diesem Sir Hiram gleich gründlich den Marsch blasen«, sagte Lady Simpson verärgert. »Er hätte mich ja schließlich vorwarnen können, Kindchen, oder?« Während Agatha Simpson noch redete, hatte sie sich zu ihrer Begleiterin umgedreht. Sie hieß Kathy Porter und war Myladys Sekretärin und Gesellschafterin. Kathy Porter, kastanienbraunes Haar mit einem leichten Rotstich, fünfundzwanzig Jahre alt, schlank, geschmeidig wie eine Pantherkatze, wirkte auf den ersten Blick wie ein scheues Reh, wozu ihre ausdrucksvollen, ein Wenig exotisch geschnittenen Augen noch beitrugen. In Wirklichkeit aber war sie eine erfahrene Einzelkämpferin, die
sich in allen Künsten der fernöstlichen Selbstverteidigung bestens auskannte. »Wahrscheinlich ist noch mit weiteren Überraschungen zu rechnen, Mylady«, meinte sie und deutete in die Dunkelheit des langen, scheinbar windschiefen Raumes. »Sir Hiram hat viel Phantasie entwickelt.« »Mein Bedarf ist gedeckt. Womöglich klappert gleich noch eine Riesenschlange auf mich zu, Kindchen.« Die beiden so unterschiedlich aussehenden Frauen befanden sich in einer Art mittelalterlicher Studierstube. Auch hier gab es Bogenfenster, die selbstverständlich blind vor Staub waren. In Regalen, die bis hoch zur ebenfalls schiefen Decke reichten, standen alte, völlig verstaubte Folianten. Vor einem offenen Kamin war ein langer Eichentisch aufgestellt worden mit altertümlich aussehenden Destillationsapparaturen. Dieser Raum schien die Hexenküche eines Alchimisten zu sein. Nein, eine Schlange erschien zwar nicht, dafür jedoch eine Art Flaschengeist. Neben dem Kamin quoll Nebel aus einer Mauernische. Er weitete sich aus, nahm Formen an und entpuppte sich in kürzester Zeit als ein waberndes Geistgebilde mit glühenden Augen. Es schwankte hin und her und lieferte dazu ächzende Keuchtöne. »Sehr albern«, entschied Lady Agatha. »Sir Hiram scheint tatsächlich zu viele Bücher über Hexenkünste und Magie gelesen zu haben.« »Technisch ist das alles aber gut gemacht, Mylady«, antwortete Kathy Porter.
»Hoffentlich hat er für sein Haus der schwarzen Magie auch eine Rettungsstation eingeplant.« Agatha Simpson näherte sich dem Geist, der aber zu ahnen schien, daß es ihm an den Kragen gehen sollte. Er schrumpfte schleunigst wieder ein und zog sich im Eiltempo zurück. In diesem Augenblick erschienen Josuah Parker, Mike Rander und Sir Hiram in der Hexenküche. »Mylady haben gerufen?« erkundigte sich Parker höflich. »Unsinn«, schwindelte sie, »ich habe gelacht. Sehen Sie sich mal dieses verrückte Ding da auf dem Boden an, Mr. Parker.« »Augenscheinlich im Urzustand die Nachbildung einer Riesenspinne, Mylady«, konstatierte Parker nach kurzem Blick. Sir Hiram hatte das deformierte Etwas ebenfalls inspiziert und erlitt fast einen Schock. »Meine Spinne«, stöhnte er. »Mylady, was haben Sie mit ihr gemacht?« »Das sehen Sie doch, Hiram! Ich habe sie zur Ordnung gerufen. Das Ding erschien zu plötzlich vor meinem Gesicht.« »Sie ... Sie war sehr teuer, Mylady.« »Mr. Parker wird Ihnen den Schaden ersetzen«, versprach sie beiläufig.« So, und nun möchte ich zurück nach draußen. Ich habe genug gesehen.« »Und zu welchem Urteil sind Sie gekommen, Mylady?« fragte Sir Hiram in gespannter Erwartung. »Ein Urteil muß ich mir erst noch bilden.« Die resolute Dame sah ihn abschätzend an. »Grauen, Horror und Thrill scheinen sehr gefragt zu sein, Hiram. Möglich, daß ich mich beteiligen werde.«
»Eine solidere Geldanlage gibt es nicht, Mylady«, antwortete Sir Hiram eindringlich. »Mein Haus der schwarzen Magie wird eine Goldgrube werden, ich weiß es. Die Gäste werden Schlange stehen.« Als sie zurück in die Halle gingen, kreuzten noch einige fette Ratten und ganze Heerscharen von Mäusen ihren Weg, doch Mylady reagierte darauf überhaupt nicht. Sie zeigte erst echtes Interesse, als sie auf der Türschwelle nach draußen eine regungslose Gestalt bemerkte. Sie trug völlig normale Kleidung, hielt einen Revolver in der rechten Hand und zeigte einen frischen Blutfleck auf der rechten Brustseite. »Ist das auch einer Ihrer Gags?« fragte sie bei Sir Hiram an, der wie angewurzelt stehen geblieben war. »Ich möchte Mylady nicht vorgreifen«, schaltete der Butler Parker sich ein und deutete eine knappe, entschuldigende Verbeugung an. »Falls meine bescheidenen Sinne mich nicht trügen, dürfte es sich hier um eine echte Leiche handeln!« * Chief-Superintendent McWarden machte einen leicht gereizten Eindruck. Er war von der örtlichen Polizeibehörde um Hilfe gebeten worden und etwa anderthalb Stunden nach dem Auffinden der Leiche in Chichester eingetroffen. McWarden leitete in Scotland Yard ein Sonderdezernat und war dem Innenministerium direkt unterstellt. Der etwa fünfzigjährige Mann, mittelgroß, rundlich, mit leichten Basedowaugen, war ein cholerischer Typ, der zu Lady
Simpson ein1 besonderes Verhältnis unterhielt. Er haßte es aus tiefster Seele, daß die ältere Dame sich mit Parker und Kathy Porter kriminalistisch betätigte. Und seitdem Anwalt Mike Rander aus den Staaten zurückgekehrt war und das bisherige Trio zu einem Quartett vervollständigt hatte, war sein Mißtrauen noch stärker geworden. Er wußte, daß Josuah Parker vor Jahren für diesen Mike Rander tätig gewesen war. McWarden war weiter bekannt, daß der Butler und Mike Rander damals ein fast unschlagbares Team gewesen waren. Sie hatten Kriminalfälle am laufenden Band gelöst und den zuständigen Polizeibehörden mehr als nur einmal die Show gestohlen. Mit Mike Rander wußte der ChiefSuperintendent noch nichts anzufangen. Der jugendlich aussehende Anwalt wirkte auf McWarden versnobt und ein wenig zu lässig. Wenn er ihm gegenüberstand, fühlte er sich automatisch in die Verteidigung gedrängt. Chief-Superintendent McWarden saß an diesem Abend mit dem »Quartett«, wie er seine vier Gegenspieler insgeheim nannte, in der Halle eines kleinen, aber exklusiven Hotels und ließ sich über Sir Hiram Chestbury berichten. Butler Parker hatte das übernommen. »Sir Hiram, Sir, betrachtete sich als Wissenschaftler«, sagte Parker in seiner würdevollen Art. »Darüber hinaus sollte man allerdings nicht unterschlagen, daß Sir Hiram auch durchaus unternehmerisch denkt, um es mal so zu umschreiben.« »Er hat diesen schrecklichen Gespensterschuppen bauen lassen«,
schaltete die ältere Dame sich amüsiert ein. »Das Spukhaus ist vollgestopft mit Horror und billigen Überraschungen. Alles elektronisch gesteuert, aber recht primitiv gemacht, wenn Sie mich fragen.« »Sie wurden von Sir Hiram zu einer Besichtigung eingeladen, Mylady?« erkundigte McWarden sich. »Es geht um einen Kredit für sein Haus der schwarzen Magie, wie er diesen Alptraum in Stein und Holz nennt. Er hat sich finanziell übernommen, und das auch offen eingestanden. Wenn ihm nicht bald mit einer Geldspritze geholfen wird, wird er das Spukhaus aufgeben müssen.« »Er fühlt sich als Wissenschaftler, Mr. Parker?« McWarden nahm den Hinweis auf, den Parker ihm eben geliefert hatte. »Wie soll ich das verstehen?« »Sir Hiram scheint an die Existenz von Vampiren, Hexen und Geister zu glauben. Er beschäftigt sich mit sogenannten > Schwarzen Messen < und Satanserscheinungen. Ich darf darauf verweisen, daß Sir Hiram über diese Themen Vorträge hält und einige broschürenartige Traktate verfaßt hat.« »Den Mann muß ich mir unbedingt mal ansehen«, meinte McWarden. »Nun, das ergibt sich ja wohl nachher, denke ich. Er will den Toten auf der Türschwelle seines Spukhauses nicht kennen!?« »Dies, Sir, wiederholte Sir Hiram betont und mehrfach.« »Sie kennen den Toten zufällig nicht, Mr. Parker?« McWarden warf dem Butler den üblich mißtrauischen Blick zu.
»Verzeihung, Sir, handelt es sich um einen Mann, den man kennen müßte?« fragte Josuah Parker gemessen zurück. »Keine Ahnung, er ist bisher noch nicht identifiziert worden.« Der ChiefSuperintendent log eindeutig, wie Parker sofort bemerkte. »Wir wissen nur, daß er von zwei Geschossen getroffen wurde.« »Weiß Sir Hiram etwas mit diesem Mann anzufangen?« schaltete Mike Rander sich in das Gespräch ein. Er fragte in einem Ton, als sei er an diesem Mord überhaupt nicht interessiert. »Er will diesen Mann nie gesehen haben.« McWarden wechselte sofort auf ein anderes Thema über und blickte Agatha Simpson an. »Sie sind in jüngster Zeit nicht irgendwie bedroht worden, Mylady?« »Wir kommen gerade aus den Staaten«, erwiderte sie. »Und bedroht wird eine Dame wie ich ununterbrochen, McWarden, das sollten Sie inzwischen wissen! Ich bin eben zu erfolgreich und der Unterwelt ein Dorn im Auge.« »Sie arbeiten zur Zeit auch nicht an irgendeinem Fall, Mylady?« »Reden Sie endlich im Klartext, junger Mann«, grollte die Detektivin. Sie sagte wieder mal >junger Mann< und genoß seinen Ärger darüber. »Sie kennen diese tote Person also doch! Ich ahnte es!« »Aber nein, Mylady, wie kommen Sie darauf?« »Weil Sie nach einem Fall fragen, an dem ich arbeite, McWarden! Sie können sich also vorstellen, daß der Mann, der jetzt tot ist, auf mich angesetzt wurde, oder?«
»My ... Mylady, es würde meine Befugnisse weit überschreiten, wenn ich...« »Papperlapapp, McWarden!« Sie schnitt ihm das Wort ab und sah ihn eisig an. »Wenn Sie aber in Zukunft ohne meine Mithilfe arbeiten wollen, bitte, dann müssen Sie das nur klar und deutlich sagen. Ich brauche Sie bestimmt nicht.« McWarden rutschte in seinen Sessel und nagte intensiv an seiner Unterlippe. Ihm war nur zu bekannt, wie wichtig die Mitarbeit dieses ehemaligen Trios und jetzigen Quartetts für seine Arbeit war. Wo ihm laut Dienstvorschrift die Hände gebunden waren, konnte Mylady sehr ungeniert vorgehen und noch unorthodoxer arbeiten. In der Vergangenheit hatte er das bisher immer sehr geschätzt. »Also gut«, meinte er schließlich. »Wir kennen den Toten.« »Weiter, McWarden«, forderte Agatha Simpson ihn grimmig auf. »Lassen Sie sich gefälligst nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!« »Der Tote heißt Jack Ludlow und war fast so etwas wie ein Killer.« »Fast, McWarden? Drücken Sie sich präziser aus!« »Ludlow hat sich und seine Waffe mit Sicherheit verkauft, aber wir konnten ihm bisher nie etwas nachweisen. Er war der typische Einzelgänger. Offen gesagt, ich wundere mich, daß dieser gerissene Fuchs sich hat erwischen lassen.« »Mr. Parker, notieren Sie die Adresse dieses Ludlow«, meinte die ältere Dame und sah ihren Butler freundlich an. »Ich möchte sagen, daß sich hier ein Fall ankündigt, den ich lösen werde. Vielleicht wird das
endlich die Vorlage für den Kriminalroman, den ich unbedingt schreiben muß.« »Mich entschuldigen Sie jetzt, bitte«, sagte McWarden und stand auf. »Ich hoffe, daß ich Sir Hiram erreichen werde. Finden Sie es nicht erstaunlich, daß er sich bisher noch immer nicht gemeldet hat? Hoffentlich ist ihm nichts passiert!« * Es war Nacht geworden. Parker saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr in die Downs, jene liebliche Hügellandschaft oberhalb der Kanalküste zwischen Portsmouth und Brighton. Sein Ziel war das Haus der schwarzen Magie östlich der kleinen Stadt Midhurst. Im Fond des Wagens saß Agatha Simpson, die das Hexenhaus noch mal in aller Ruhe betrachten wollte. Darüber hinaus hoffte sie, Sir Hiram zu finden, der bisher noch immer nicht gefunden worden war. Das hochbeinige Monstrum, Parkers Privatwagen, war ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen eigenwilligen Wünschen technisch umgestaltet worden war. Am Äußeren des Taxi hatte sich zwar nichts verändert, doch im Grund handelte es sich inzwischen um eine Trickkiste auf Rädern, ausgestattet mit einem Motor, der in einen Rennsportwagen gehört hätte. »Sie geben sich wieder mal sehr schweigsam, Mr. Parker«, raunzte die ältere Dame Parker an. Sie konnte ungehindert sprechen, da der Butler die
Trennscheibe aus Panzerglas zwischen Fond und Fahrersitz gesenkt hatte. »Mylady dürfen versichert sein, daß meine Wenigkeit sich mit jenem Mr. Ludlow beschäftigt, der laut Mr. McWarden ein käuflicher Killer sein soll.« »Wen wollte dieses Individuum nun umbringen? Mich oder Sir Hiram?« »Die entscheidende Frage, Mylady, wenn ich das so schlicht sagen darf.« »Natürlich wollte es mich umbringen!« »Darf ich mir erlauben darauf zu verweisen, Mylady, daß Mylady im Augenblick keinen Fall bearbeiten?« erinnerte der Butler. »Zudem sind Mylady erst vor wenigen Tagen aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt.« »Aus unserer ehemaligen Kolonie, um genau zu sein, Mr. Parker«, korrigierte sie. .»Sie sollten etwas mehr Geschichtsbewußtsein entwickeln, aber lassen wir das! Wem habe ich vor dem Flug in die Staaten auf die Füße getreten, Mr. Parker?« »Mylady lösten eine Art Familientragödie, gepaart mit Mord.« »Richtig, das war dieser Fall des schwarzen Ritters, Mr. Parker. Nein, nein, ich denke an einen richtigen Fall mit Gaunern, Gangstern und Ganoven.« »Das war in Fort Lauderdale der Fall, Mylady. Dort geriet die Mafia mit Mylady in Konflikt.« »Na, bitte!« Sie lehnte sich satt und zufrieden zurück. »Diese Mafialümmel wollen sich an mir rächen und haben den Killer engagiert. Du lieber Himmel, einfacher kann ein Fall gar nicht sein!«
Butler Parker hatte an solch eine Möglichkeit längst auch schon gedacht, sich jedoch gehütet, seine Gedanken offen auszusprechen. Der Mafia in Florida war ein schwerer Schlag zugefügt worden. Die Mafia vergaß nie, dies kam hinzu. Sie konnte durchaus einen heimischen Killer damit beauftragt haben, Lady Simpson zu erschießen... War dies aber der Fall, dann war mit weiteren Anschlägen zu rechnen, dann würde die Mafia weitere Killer schicken und sie auch zusätzlich noch auf Anwalt Rander, Kathy Porter und ihn ansetzen. »Von wem könnte dieser Ludlow wohl erschossen worden sein?« sinnierte Agatha Simpson inzwischen weiter. »Der Mann muß sich sehr sicher gefühlt haben, sonst hätte es ihn bestimmt nicht erwischt.« »Ein Hinweis, Mylady, den man nur zusätzlich noch unterstreichen sollte.« »Natürlich«, sagte sie. »Im Gegensatz zu anderen Menschen habe ich eben Phantasie und Intuition, Mr. Parker! Ich werde Ihnen sagen, wie es zu diesem Mord gekommen ist.« »Mylady dürfen meine gespannte Aufmerksamkeit voraussetzten.« Parkers Stimme klang neutral. Er wußte, daß seine Herrin nun wieder eine Theorie entwickelte, die es in sich hatte. Er minderte ein wenig die Geschwindigkeit seines hochbeinigen Monstrums und wartete auf die Abzweigung, die hinüber ins Seitental führte, in dem das Haus der schwarzen Magie lag. »Ludlow war nicht allein«, sagte Agatha Simpson inzwischen. »Er hat natürlich einen Komplicen gehabt.«
»Eine Möglichkeit, Mylady, die nicht auszuschließen ist.« »Und dieser Komplice hat Ludlow erledigt, um die gesamte Summe allein kassieren zu können. Den Mord an Ludlow wird er der Mafia so darstellen, als sei er von mir erwischt worden.« »Eine bestechende Logik, Mylady.« »Wem sagen Sie das, Mr. Parker?« Sie lehnte sich noch tiefer in ihrem Sitz zurück. »Ich werde Ihnen noch etwas prophezeien.« »Mylady müßten meine bescheidene Spannung förmlich spüren.« »Sir Hiram lebt nicht mehr«, verkündete sie wie eine Hellseherin. »Er ist von Ludlows Komplicen längst umgebracht worden und liegt irgendwo in seinem total verrückten Haus!« * »Gütiger Himmel, Mr. Parker, können Sie nicht etwas leiser sein?« fragte Lady Simpson ziemlich laut. Sie pirschte sich zusammen mit dem Butler auf das Haus der schwarzen Magie zu. Sie hatten den Wagen weit vor dem Haus in einem Seitenweg zurückgelassen und legten den Rest zu Fuß zurück. Sie mußten durch ein Wäldchen, dessen Unterholz dicht und dornig war. Lady Agatha schob wieder mal alle Schuld auf ihren Begleiter. Während von Parker nun wirklich nichts zu hören war, trampelte sie wie ein Büffel durch das sperrige Gelände. Parker verzichtete auf eine Antwort. Er hatte nun das andere Ende des Wäldchens erreicht und deutete mit der Spitze seines Universal-
Regenschirms auf das Haus der schwarzen Magie. Nebel umwallten es, die Spitzen der Bäume überragten das Haus und schufen einen zusätzlich unheimlichen Rahmen. Licht war in diesem eigenartigen Haus nicht zu sehen. Sir Hirams Architekt hatte sich wohl genau an die Vorstellungen seines Bauherrn Chestbury gehalten. Graf Draculas Schloß, wie es in einschlägigen Filmen zu bewundern ist, hätte nicht wirkungsvoller aussehen können. Dieses Haus strahlte eine Kälte aus, die man fast körperlich spürte. »Worauf warten Sie noch?« fragte Lady Simpson und wollte weitergehen. »Darf ich mir höflichst erlauben, Mylady, auf Graf Dracula hinzuweisen?« antwortete Josuah Parker. Er änderte die Richtung seines Universal-Regenschirms und deutete auf eine Buschgruppe vor dem Spukhaus. Wacholderbüsche bewegten sich leicht im Nachtwind und verwandelten das Strauchwerk in seltsame Erscheinungen. »Graf Dracula?« Agatha Simpsons Stimme machte keineswegs einen ängstlichen Eindruck. Sie vibrierte vor Unternehmungslust. »Links der Wacholdersträuche, Mylady«, lieferte Parker eine zusätzliche Zielansprache. »Tatsächlich!« Nun sah sie auch die Gestalt, deren Umrisse kaum zu erkennen waren. Sekunden später änderte sich das erfreulicherweise. Nun war der Vampir in Menschengestalt erheblich besser zu erkennen. Gegen den ein wenig
helleren Nachthimmel hob das Sagenwesen sich gut ab. Graf Dracula trug den obligaten, weiten Umhang, der im Wind flatterte. Das kalkweiße Gesicht schien ohne Verbindung mit dem eigentlichen Körper in der Dunkelheit sein Eigenleben zu führen und schwamm einen halben Meter voraus, fand dann seinen Endpunkt und bewegte sich zurück zum Rumpf. Graf Dracula fühlte sich unbeobachtet. Er ging mit seltsam steifen, eckigen Schritten weiter auf das Haus der schwarzen Magie zu und ahnte nicht, daß zwei energische Vampirjäger in gefährlicher Nähe waren. »Tun Sie doch endlich etwas!« Lady Agatha bemühte sich, ihre Stimme zu dämpfen, doch es gelang ihr nur unvollkommen. Parker hatte längst seine zusammenlegbare Gabelschleuder, auch Zwille genannt, aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers geholt und die beiden Gabelhälften arretiert. Er legte ein Spezialgeschoß in die Lederschlaufe und strammte beide Gummistränge. Diese Gabelschleuder hatte es in sich, was ihre Schußkraft anbetraf. In der Hand des Butlers war sie eine ungemein wirkungsvolle Waffe, zumal der Butler über verschiedene Sorten von Munition verfügte. In diesem Fall hatte er sich für eine oberflächlich gebrannte Tonmurmel entschieden, die keine körperlichen Schäden hervorrief. Graf Dracula mußte Lady Simpsons Stimme gehört haben. Der zweibeinige Vampir war stehen geblieben und wandte sich in Richtung der älteren Dame und ihres Butlers um. Parker ließ in diesem Moment die
Lederschlaufe los, worauf die beiden starken Gummistränge das Tongeschoß nach vorn katapultierten. Graf Dracula hatte sich erneut hastig umgedreht und wollte zurück zu den schützenden Wacholdersträuchern. Es blieb jedoch bei dieser Absicht, denn die Tonmurmel hatte bereits ihr Ziel erreicht. Sie landete hinter dem rechten Ohr des Vampirs und platzte dort programmgemäß auseinander. Dracula blieb wie angewurzelt stehen, verbeugte sich anschließend und fiel wie ein gefällter Baum auf den Rasen. »Nun ja, nicht ganz unbegabt«, sagte Lady Simpson zu diesem Meisterschuß und marschierte auf den Vampir los, der regungslos im Gras lag. Ein Lob wäre nie über ihre Lippen gekommen, obwohl sie wieder mal insgeheim die Treffsicherheit ihres Butlers bewunderte. Übrigens konnten weder Parker noch Lady Agatha sehen, daß Graf Dracula bereits intensiv nach ihnen schielte und einige bluttriefende Pläne gegen die beiden nächtlichen Ruhestörer ausbrütete. * »Wo würde ein Killer wie Ludlow absteigen, Kathy?« fragte Mike Rander. Er saß am Steuer eines Mietwagens, den er sich in Chichester besorgt hatte. »Auf keinen Fall in einem Hotel oder in einer Pension«, antwortete sie. »Eben.« Rander nickte. »Also ein Privatzimmer nach der Art »Bed and Breakfast, private Übernachtung mit Frühstück.« .
»Und er wird sich solch ein Zimmer gesucht haben, dessen Vermieter nicht neugierig ist, Mike.« Seit ihrem Ausflug in die Staaten, genauer gesagt, in Fort Lauderdale, Florida, benutzten sie ihre Vornamen. Kathy hatte sich recht gern dieser amerikanischen Sitte angepaßt, die Anwalt Rander während seines Aufenthalts in den USA wie selbstverständlich übernommen hatte. Sie mochten sich, um es vorsichtig auszudrücken. Mike Rander schätzte ihren schnellen und wachen Verstand, ihre Zurückhaltung und ihren Sportsgeist. Kathy Porter hingegen genoß seine Spottlust und Selbstironie, von seinen Qualitäten als Anwalt mal ganz abgesehen. Mike Randers Phlegma war nur äußerlich. Wenn es sein mußte, konnte er sich zielbewußt und energisch durchsetzen. Er war absolut nicht versnobt, auch wenn es sonst so wirkte. »Wir suchen also einen Vermieter, der nicht neugierig ist«, sagte Mike Rander spöttisch. »Warum haben wir uns nicht was Leichteres ausgewählt?« »Ludlow wollte mit Sicherheit nicht wiedererkannt werden, Mike«, schickte sie voraus. »Er wird also eine Straße gewählt haben, in der solche Übernachtungen in Privathäusern massenweise angeboten werden.« »In Ordnung, Miß Holmes!« Er nickte und wußte, was sie meinte. Er steuerte den Wagen durch die Hauptstraße in Richtung Norden. »Einverstanden, daß er sich möglichst nahe in Richtung Midhurst untergebracht haben könnte?«
»Sehr wohl, Dr. Watson«, meinte sie lächelnd. »Eigentlich haben wir das gesuchte Zimmer bereits gefunden.« »Falls er nicht in einem Rutsch von London gekommen ist.« »Er wird das Spukhaus beobachtet haben, Mike. Killer studieren erst mal die nähere Umgebung ihrer Opfer und ihre Gewohnheiten.« »Man merkt, daß Sie durch Butler Parkers Schule gegangen sind, Kathy.« Er ist bemerkenswert.« Sie nickte ernst. »War er schon so, als er damals noch für Sie arbeitete?« »Er hat sich überhaupt nicht verändert, Kathy. Die Zeit ist an ihm spurlos vorübergegangen, sie scheint ihn übersehen zu haben. Offen gesagt, er hat mich damals manchmal fast bis an den Rand der Verzweiflung gebracht. Seine Ruhe ist unerschütterlich.« »Ich habe mich immer wieder gefragt, warum er als Butler arbeitet, Mike.« »Kathy, als ich noch in England war, habe ich ihm so eine Art Teilhaberschaft angeboten. Sie ahnen wohl, wie seine Antwort ausfiel.« »Die Etikette und meine Auffassung von Konvention verbieten es meiner bescheidenen Wenigkeit, mir eine Rolle anmaßen zu wollen, die mir nicht zusteht.« Sie imitierte gekonnt den Tonfall des Butlers. »Wortwörtlich fast!« Er lächelte. »Sie dürfen mir glauben, Kathy, ich habe Parker während meiner Jahre drüben in den Staaten sehr vermißt...« »Ich glaube, wir sollten jetzt die Schilder in den Fenstern beobachten«, sagte sie, notgedrungen das Thema wechselnd. Sie hatten fast den äußeren
Rand der Stadt erreicht und fuhren noch langsamer. Es gab hier die üblichen Reihenhäuser, und fast in jedem Erdgeschoßfenster hingen die bewußten Schilder, die auf ein Bett und auf ein Frühstück hinwiesen. Mit der Vermietung solcher Zimmer besserten Familien ihre Einkünfte auf. »Was halten Sie von diesem Londoner Wagen dort?« Kathy deutete auf einen unansehnlich aussehenden Ford am Straßenrand, der ein Londoner Kennzeichen trug. »Im Fenster hängt kein Hinweisschild«, fügte Mike Rander hinzu. »Wir sollten es mal versuchen.« Er hielt hinter dem Ford an, stieg aus und ging auf das Reihenhaus zu. Er läutete und sah sich wenig später einer untersetzten, rundlichen Frau gegenüber, die ihn freundlich anlächelte. »Hoffentlich habe ich Glück, Madam«, schickte Mike Rander voraus.« Meine Frau und ich suchen ein hübsches Zimmer.« »Wie schade aber auch!« Die Vermieterin hob bedauernd die Schultern. »Ich habe mein Zimmer bereits an einen Gentleman aus London vermietet.« »Etwa Jack Ludlow?« »Ja, aber woher wissen Sie ...?« »Wir sind miteinander befreundet und hier verabredet, Madam. Wo, sagen Sie, hat sein Freund ein Zimmer bekommen?« »Gleich nebenan, Sir. Sie suchen also ein Zimmer, ich glaube, ich kann Ihnen helfen. Hier, gleich nebenan bei Mrs. Herman, da ist noch ein Doppelzimmer frei.« »Ausgezeichnet.« Rander nickte und verstrahlte seinen Jugendcharme. »Hat Mr. Ludlow ein Päckchen für mich
hinterlassen? Es müßte in seinem Zimmer stehen. Ich heiße übrigens Regent, John Regent. Würden Sie vielleicht mal nachschauen?« Sie war und blieb arglos. Das sympathische Lächeln Randers überzeugte sie von seiner Seriosität. Sie ging ins Haus zurück, während Rander wie selbstverständlich folgte und über das Wetter redete. Er ließ ihr gar keine Zeit, etwa mißtrauisch zu werden. Sie öffnete das Gästezimmer, das sich auf der Rückseite des Reihenhauses befand und schaute sich nach dem Päckchen um. Rander blieb höflich an der Tür stehen und sah mit einem Blick, daß Ludlow nur eine abgewetzte Reisetasche mitgebracht hatte, die mit Sicherheit kein belastendes Material enthielt. »Tut mir leid, Sir.« Die Vermieterin kam zurück. »Kein Päckchen.« »Vielleicht ist es drüben bei unserem gemeinsamen Freund. Vielen Dank für Ihre Mühe, Madam! Schade, daß wir nicht bei Ihnen wohnen können. Ich glaube, meine Frau und ich hätten uns bei Ihnen sehr wohlgefühlt.« Er ging zurück zum Wagen und fuhr erst mal ein Stück die Straße hinunter, um dann in eine Seitenstraße abzubiegen. Er hielt an, wendete den Wagen und stoppte. »Ludlow ist nicht allein gewesen«, sagte er nachdenklich. »Im Nebenhaus wohnt sein Begleiter. Und dieser Bursche muß ja irgendwann mal erscheinen.« »Ob er bereits von der Ermordung Ludlows weiß, Mike?« »Ganz sicher, Kathy. Vielleicht ist er sogar der Mörder des Killers. Wetten, daß wir nicht lange warten müssen?«
»Sie glauben, daß er uns beobachtet hat?« »Selbstverständlich, Kathy. Warten Sie, ich werde den Wagen noch etwas vorziehen und ... Moment mal, da ist ja bereits der Ford! Das ging ja schneller als ich dachte. Ich schätze, wir haben noch eine abwechslungsreiche Nacht vor uns. Lady Simpson wird sich schwarz ärgern, daß sie unbedingt noch einmal zurück zum Spukhaus wollte. Dort wird sich mit Sicherheit aber auch gar nichts tun!« * Graf Dracula hatte sich von der Tonmurmel längst wieder erholt, er rührte sich jedoch nicht. Er schielte verstohlen nach dem seltsamen Paar, das jetzt in Umrissen bereits zu erkennen war. Es handelte sich um eine große, stattlich und majestätisch aussehende Dame mit einem offensichtlich verrückten Hut auf dem Kopf, sowie um einen männlichen Begleiter, der einen Bowler auf dem Kopf trug, der im Volksmund gemeinhin Melone genannt wird. Graf Dracula lag recht günstig auf dem Rasen. Seine Unke Hand wurde vom weiten, schwarzen Umhang verdeckt. Er konnte sich also vorsichtig weiter an seine Waffe herantasten, die, völlig unvampirgemäß, in einer Schulterhalfter modernster Konstruktion ruhte. Bei dieser Waffe handelte es sich um einen kurzläufigen und großkalibrigen Achtunddreißiger. Als das Paar nur noch etwa zehn Meter vom Vampir entfernt war, setzte Graf Dracula auf seine bisherige Ge-
schicklichkeit und Schnelligkeit. Er rollte sich blitzschnell herum und langte gleichzeitig nach seiner Schußwaffe. Nun, er hätte es wohl auch mit traum-wandlerischer Sicherheit geschafft, wenn das nicht ein unsichtbares Pferd gewesen wäre, dessen Huf ihn traf. Graf Draculas Schulter wurde von diesem Tritt voll getroffen. Der Vampir stieß einen brüllenden. Laut des Schmerzes aus und zeigte keine Neigung mehr, die Waffe zu ziehen. Er spürte nur den Schmerz in der Schulter und erwartete, daß das Pferd weiter über ihn hinwegtrampelte. »Was sagen Sie zu solch einem Flegel, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha und wandte sich an ihren Butler. »Darf ich mir zuerst mal erlauben, Mylady zu diesem Meisterwurf zu gratulieren?« schickte Parker voraus und hob mit der Spitze seines Universal-Regenschirms den perlenbestickten Pompadour auf, der hinter Graf Dracula im Rasen lag. Er holte aus einer seiner vielen Taschen eine kleine Bürste hervor und entfernte auch den letzten Halm vom Pompadour. Dann reichte er der älteren Dame den Handbeutel, in dem sich der »Glücksbringer« in Form eines echten Pferdehufeisens befand. »Stehen Sie auf, Sie Lümmel!« Agatha Simpson stand neben dem Vampir, der unwillkürlich den Kopf einzog. Lady Agathas Stimme klang sehr dunkel und drohend. »Es empfiehlt sich, Myladys Aufforderung schnellstens nachzukommen«, fügte Parker hinzu. Er blieb seitlich neben Graf Dracula stehen, der sich
jetzt hochkniete und es erneut noch mal versuchen wollte. Der anfänglich stechende Schmerz hatte sich ein wenig gelegt, und der Vampir wollte nun seine rechte Hand einsetzen. Er tat es nicht. Josuah Parker hatte diese Bewegung natürlich mitbekommen und klopfte mit dem Bambusgriff seines Regenschirms gegen den rechten Oberarm Graf Draculas. Da dieser Bambusgriff mit Blei ausgegossen war, fiel dieses Klopfen recht nachdrücklich aus. Der Vampir jaulte jetzt und blieb dann wie ein begossener Pudel stehen. »Man soll die Dinge nie auf die so oft zitierte Spitze treiben«, schlug Josuah Parker vor. Dann langte er nach der Waffe und nahm sie an sich. Der Vampir bekam das gar nicht mit, er schluckte und begriff einfach nicht, wieso er gegen dieses seltsame Duo nicht angekommen war. »Ein Achtunddreißiger, Mylady«, meldete der Butler, bevor er die Waffe in der Tasche seines schwarzen Zweireihers verschwinden ließ. »So erbärmlich sieht also ein Vampir aus?« Mylady schüttelte den Kopf und betrachtete das weiß geschminkte Gesicht des Mannes, dessen Eckzähne jetzt deutlich über die Unterlippe rutschten. Nachdem Lady Agatha dem Vampir eine derbe Ohrfeige versetzt hatte, rutschten die überlangen Reißzähne vollends aus dem Mund Graf Draculas. Ein Vorsatzgebiß hüpfte durch die Luft und landete im Gras. »Mylady werden Sie jetzt fragen, wen zu besuchen Ihre Absicht war«, sagte Parker zu Graf Dracula. »Es ist empfehlenswert, wahrheitsgemäß zu antworten.« »Zum Teufel mit euch!« fluchte der
Vampir. Er hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als er sich eine zweite Ohrfeige einhandelte, die ebenfalls nicht von schlechten Eltern war. Er verlor das Gleichgewicht und legte sich seitlich über. »Darf ich daran erinnern, Sie gewarnt zu haben?« erkundigte der Butler sich. »Ich ... Ich wollte zu diesem Chestbury«, sagte Graf Dracula jetzt mühsam und faßte nach seinem leicht verrutschten Unterkiefer. »Ist das etwa verboten?« »Und wo befindet Sir Hiram sich zur Zeit?« stellte die ältere Dame ihre nächste Frage. »Da drüben im Bau, denke ich doch.« »Dann führen Sie mich zu ihm, Sie Lümmel!« Lady Simpsons Pompadour befand sich noch immer in Bewegung, und Graf Dracula bekam das mit. Er riskierte keinen Widerspruch, sondern setzte sich in Bewegung. Er hielt auf das seltsame und unheimliche Haus zu, in dem nach wie vor kein Lichtschimmer zu erkennen war. »Wie ist Ihr Name?« erkundigte sich Parker. »Mylady hassen Unehrlichkeit.« »Barry... Barry Shipton«, kam prompt die Antwort. »Sie sprechen einen typisch Londoner Dialekt, Mr. Shipton«, stellte Josuah Parker fest. »Ich ... Ich wohne ja auch da«, sagte Graf Dracula, der nichts mehr Unheimliches an sich hatte. »Und was wollen Sie von Sir Hiram Chestbury, Mr. Shipton?« »Drucksen Sie gefälligst nicht so herum«, raunzte Lady Simpson den Mann an und klatschte ihm
vergleichsweise sanft ihren Pompadour ins Kreuz. Dennoch tat der Mann einen Sprung nach vorn und kam ein wenig aus der Senkrechten. »Ich ... Ich will ehrlich sein.« Der Mann, blieb stehen und verlieh seiner Stimme einen treuherzigen, aber zugleich auch völlig falschen Ton. Ich... Ich bin hinter dem Silber her, das dort im Haus sein soll.« »Was Sie nicht sagen, junger Mann!« Lady Agatha legte ihre rechte Hand auf die Schulter des angeblichen Einbrechers. »Sie wollen also ein ganz normaler Einbrecher sein?« »Nein, nein, nicht schlagen! Keine Ohrfeige mehr .. .« Shipton fürchtete um seinen Unterkiefer und dessen anatomisch richtige Lage. »Offen gesagt, ich will herausfinden, was Chestbury da in seinem Haus treibt.« »Für wen, Mr. Shipton?« Parker begnügte sich mit dieser knappen Frage, um die Aufmerksamkeit dieses Vampirs nicht von Lady Agatha abzulenken. »Für ... Für Vernon Lynn.« »Der wo wohnt?« »In Brighton, das ist die heilige Wahrheit.« »Welchem Beruf geht besagter Mr. Lynn nach?« Wenn es sein mußte, konnte Parker sich durchaus knapp fassen. Hier nutzte er die totale Verwirrung des Mannes, den komplizierte Sätze nur unnötig abgelenkt hätten. »Lynn hat da in Brighton ein paar Kleingolfplätze«, erwiderte Barry Shipton prompt weiter. »Gnade Ihnen Gott, junger Mann, falls Sie nicht die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt haben«, schaltete Agatha Simpson sich ein.
»Und jetzt will ich wissen, warum Sie diesen Mann erschossen haben, den ich auf der Schwelle des Hauses dort gefunden habe!« »Ich ... Ich soll einen Menschen erschossen haben!?« Barry Shipton tat fast beleidigt. »Lady, sowas is' nich' mein Bier, Ehrenwort! Könnt' ich überhaupt nicht. Die Kanone von eben hat mir Lynn aufgedrängt, wirklich. Ich selbst hab' so was gar nicht.« Sie hatten das Haus inzwischen fast erreicht. Und plötzlich entdeckte Josuah Parker hinter einem der Fenster im Obergeschoß den Lichtschein einer Taschenlampe. Wenig später war dann noch zusätzlich ein Schuß zu hören. »Sehr hübsch«, sagte Lady Simpson zufrieden. »Endlich tut sich etwas, Mr. Parker.« »Dies ist auch meine bescheidene Befürchtung, Mylady«, erwiderte Josuah Parker und traf dann gewisse Anstalten, den jetzt unbequemen Begleiter für einige Zeit auszuschalten. * »Ist das nun eine Flucht, Mike, oder will er uns nur eine Falle stellen?« fragte Kathy Porter, während der Anwalt den Leihwagen vorschießen ließ, um die Verfolgung des Ford aufzunehmen. »Ludlow ist laut McWarden so eine Art Killer«, meinte der Anwalt.« Also wird sein Partner und Begleiter dort aus ähnlichem Holz geschnitzt sein.« »Also eine Falle.« »Er will uns erst mal weglocken, Kathy. Warum sollen wir ihm nicht den Gefallen tun und mitspielen?«
Er hatte bereits die Straße erreicht, auf der der Ford sich befand. Dieser Wagen hatte sein Tempo inzwischen gedrosselt. Der Fahrer schien Wert darauf zu legen, daß auch er gesehen wurde und seinen etwaigen Verfolgern nicht davonfuhr. »Bitte, Kathy.« Rander lächelte. »Deutlicher könnte er seine Absicht nicht zeigen.« Der Ford fuhr weiter in Richtung Midhurst, bog dann aber später scheinbar hastig und schnell in eine schmale Seitenstraße, die hinauf in die South Downs führte. »Wir werden erst mal etwas verblüfft sein.« Rander fuhr an der Einbiegung vorüber, wendete später und suchte gespielt langsam nach einer Abzweigung. Als er sie dann endlich entdeckt hatte, bog auch er in die schmale Seitenstraße ein, deren Ränder zu beiden Seiten mit halbhohen Steinwällen eingegrenzt waren. Die Straße schlängelte sich hangaufwärts und bot einem Schützen viele Möglichkeiten, aus dem Hinterhalt tätig zu werden. Auch Kathy Porter wußte das, doch sie zeigte keine Angst. Sie ließ sich nur ein wenig tiefer in den Sitz rutschen, um kein genaues Ziel zu bieten. Die Frage war, ob der Partner des erschossenen Ludlow sofort schießen würde oder nicht. »Falls ja, dann aber nur, um uns zu stoppen«, vermutete der Anwalt.« Er wird wissen wollen, wer wir sind und für wen wir arbeiten. Das entspricht den Denkstrukturen solcher Leute.« Er hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als plötzlich die Windschutzscheibe milchig-trüb wurde. Von einem Einschußloch aus
zogen sich feine Risse nach allen Seiten hin und nahmen die Sicht. Mike Rander trat sofort auf die Bremse und brachte den Wagen zum Stehen. Dann schaltete er, wie es wohl jeder normale Fahrer getan hätte, mit einiger Verzögerung den Rückwärtsgang ein und stieß den Wagen panikartig zurück. »Moment mal!« Die Fahrertür wurde aufgerissen, eine Gestalt war zu erkennen. Sie hielt einen Revolver mit aufgeschraubtem Schalldämpfer in der Hand und hatte sich eine karierte Mütze ins Gesicht gezogen. »Heraus aus dem Schlitten, Leute, aber ein bißchen dalli!« »Hören Sie, ich weiß nicht...« Rander spielte dem Schützen eine gekonnte Mischung aus schwachem Protest und Angst vor, stieg aber bereits aus und nahm automatisch die Hände hoch. »Und jetzt die Kleine da!« Der Schütze richtete die Mündung des Schalldämpfers auf Kathy Porter, die es ohne weiteres schaffte, Panik zu zeigen. »Wir gehen jetzt rüber hinter den Wall«, redete der Schütze weiter und fühlte sich vollkommen sicher und überlegen. »Und dann werde ich ein paar Fragen stellen, klar?« »Selbstverständlich, Sir«, erwiderte Mike Rander und benutzte seine linke Schuhspitze, um den Schützen blitzschnell außer Gefecht zu setzen. Die Waffe wirbelte durch die Luft und verschwand in hohem Bogen hinter dem Steinwall. Als der Mann sich auf den Anwalt stürzte, um es ihm doch noch zu zeigen, landete sein Hals vor der Handkante Mike Randers. Daraufhin spielte der Schütze nicht
weiter mit. Er legte sich müde und abgespannt gegen die Steinmauer und schloß die Augen. Anschließend nahm er am Fuß des Walls Platz und starrte aus weit geöffneten Augen ins Leere. * Barry Shipton, der Mann, der als Graf Dracula durch die Dunkelheit gegeistert war, umarmte innig einen soliden Baumstamm und bekam nicht mit, daß Josuah Parker die Gelenke mit einer Handschelle zusammenfügte. Barry Shipton schlief und zeigte ein entspanntes Lächeln. Dieses Lächeln hing mit dem Spray zusammen, das der Butler ihm verabreicht hatte. Dieser Spray stammte aus einer Art Parfümzerstäuber in Kleinstformat. Laut Aufschrift auf dieser Spraydose versprühte ein Treibgas eine Nitroverbindung, die bei einem etwaigen Anfall von Angina pectoris hilfreich sein sollte. Tatsächlich aber enthielt die Spraydose ein an sich völlig harmloses Betäubungsgas auf der Basis des Districkstoffmonoxyds, volkstümlich Lachgas genannt. Barry Shipton würde mit Sicherheit für rund zwanzig Minuten angenehme Träume haben und bestimmt nicht stören. Parker richtete sich auf und verbeugte sich in Richtung Lady Agatha, die bereits einen recht ungeduldigen Eindruck machte. »Ein kurzer Schlag mit dem Regenschirmgriff hätte voll genügt«, sagte sie und dachte an die Bleifüllung im Bambusgriff. »Vampire müssen so etwas vertragen können.« »Da es sich nicht um eine gesicherte Erkenntnis handelt, Mylady, entschied ich mich für eine kleine chemische Be-
täubung«, entschuldigte sich Parker. »Darf ich übrigens darauf verweisen, daß die Taschenlampe im Obergeschoß des Hauses längst wieder ausgeschaltet wurde?« »Das ärgert mich ja«, grollte sie. »Wir kommen mit Sicherheit wieder zu spät.« Sie kümmerte sich nicht weiter um Parker, sondern marschierte grimmig zur Tür des Hauses, fest entschlossen, alles auf ihre imaginären Hörner zu nehmen, was sich ihr in den Weg stellen sollte. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk, pendelte verdächtig hin und her. Er schien seinerseits ungeduldig darauf zu warten, endlich wieder mal eingesetzt zu werden. Josuah Parker beeilte sich selbstverständlich, zu Mylady aufzuschließen. Er kannte ihre Energie, aber auch ihren Leichtsinn. Als sie bereits das Innere des Hauses der schwarzen Magie betrat, stand er gerade auf der Türschwelle. »Bleiben Sie stehen, Sie Lümmel!« donnerte die Lady gerade in diesem Moment. Wo sie sich befand, vermochte Parker leider nicht genau festzustellen, denn im Haus herrschte fast so etwas wie sprichwörtliche ägyptische Finsternis. Kurz darauf hörte er mehr, nämlich das Keuchen einiger Menschen, leichte Aufschreie, dann einen dumpfen Fall. »Mylady?« erkundigte sich Parker in die Dunkelheit hinein. »Na, endlich«, kam ihre prompte Antwort. »Ich muß wieder mal alles allein tun!« Parker hatte bereits seine Miniaturtaschenlampe eingeschaltet, die rein äu-
ßerlich an einen normalen Kugelschreiber erinnerte. Der scharf gebündelte Lichtstrahl schnitt durch die Dunkelheit und erfaßte Lady Simpson, deren Hutschöpfung ein, wenig schief auf ihren Locken saß. Sie stand vor zwei am Boden liegenden Gestalten und machte einen zufriedenen Eindruck. »Wenn Mylady gestatten, möchte ich für etwas mehr Licht sorgen«, rief der Butler seiner Herrin zu. »Sinnlos, das habe ich bereits versucht.« Dennoch, bevor Parker den Lichtschalter gleich rechts von der Tür entdeckt hatte, flammte plötzlich die Deckenbeleuchtung auf. Die Lampe war ein Alptraum an Geschmacklosigkeit und bestand aus Totenschädeln, die allerdings aus Plastik waren. »Sehen Sie sich diese Galgenvögel an, Mr. Parket.« Agatha Simpson deutete auf den Boden, und Parker nahm Myladys beide Opfer näher in Augenschein. Es waren zwei Männer, mittelgroß, von normaler Größe, die einen durchaus sportlichen Eindruck gemacht haben mochten, bevor sie an Lady Agatha geraten waren. »Typische Verbrechergesichter«, erklärte die Detektivin. »Man könnte sich ja geradezu fürchten.« Parker beugte sich zu den beiden Galgenvögeln hinunter und durchsuchte ihre Taschen. Er hatte ein recht zwiespältiges Gefühl, als er pro Person eine Brieftasche mit sämtlichen Papieren fand. »Nun, mit wem habe ich es zu tun? Wer hat es gewagt, eine hilflose Frau anzugreifen?« Agatha Simpson sah ihren Butler erwartungsvoll an.
»Detektiv-Sergeant Campden und Detektiv-Inspektor Lane«, antwortete Josuah Parker lakonisch. »Immerhin.« Lady Simpson war nicht aus der Fassung zu bringen. »Diese beiden Burschen hätten ja etwas sagen können, finden Sie nicht auch!?« * »Natürlich keine Papiere«, Mike Rander richtete sich auf. Er hatte den Mann am Fuß des Steinwalls durchsucht und nicht den geringsten Hinweis auf dessen Identität finden können. »Aber das hier bringt uns vielleicht weiter.« Er reichte Kathy Porter eine Quittung, die er um ein Haar in der Ziertuchtasche des Jacketts übersehen hätte. Er faltete die Quittung auseinander und glättete sie. Dann ging er damit hinüber zu den Scheinwerfern des Leihwagens und sah sie sich genauer an. »Stammt aus Brighton«, sagte er. »Sie ist vorgestern ausgestellt worden. Moment mal, wie heißt das? Ah, ja, Metropole-Club. « »Eine ziemlich hohe Rechnung, Mike.« Kathy Porter stand neben dem Anwalt. »Ob er das alles allein getrunken hat?« Der Endbetrag war tatsächlich erstaunlich hoch. »Vielleicht hat er zusammen mit Ludlow getrunken«, meinte Anwalt Rander. »Ich glaube, damit läßt sich was anfangen, Kathy. Was macht der Mann?« Der Schütze rührt sich ein wenig, war aber noch nicht in der Lage, sich
zu erheben oder gar aggressiv zu werden. Mike Rander ging zu ihm hinüber und wartete geduldig, bis der Mann die Augen aufschlug und sich verwirrt umschaute. Als ihm aufging, was passiert war, wollte er aufspringen, doch nur der Geist war willig, das Fleisch hingegen äußerst schwach. »Pech für Sie«, sagte Rander fast nebenbei. »Ihr Auftraggeber wird ziemlich sauer auf Sie sein.« »Wovon reden Sie eigentlich?« Sprechen konnte der Schütze bereits, wenn auch mit einigen Schwierigkeiten. »Ludlow ist immerhin erschossen worden«, meinte der Anwalt. »Und Sie sitzen ganz schön in der Tinte.« »Wer ist Ludlow?« Der Schütze war inzwischen voll da und hellwach. »Schön, lassen wir das.« Rander zündete sich eine Zigarette an. »Wie hätten Sie es denn gern? Polizei? Oder regeln wir das privat unter uns?« »Was soll hier geregelt werden?« »Sie haben immerhin auf uns geschossen.« »Wie wollen Sie das beweisen? Wer hat geschossen? Sie wollen mir wohl was in die Schuhe schieben, wie?« »Richtig, das waren ja nicht Sie.« Mike Rander lächelte beiläufig, als ginge ihm das im Grund überhaupt nichts an. »Ein Unbekannter hat geschossen, und ich habe Ihnen die Waffe anschließend in die Hand gedrückt, damit Ihre Fingerabdrücke darauf erscheinen.« »Man kennt doch die Tricks.« Der Schütze nickte. »Demnach sind Sie der Polizei also noch unbekannt. Im Gegensatz zu Ihrem Partner Ludlow.«
»Ludlow, Ludlow? Was soll das? Ich kenne den Mann nicht. Und wieso bin ich bei der Polizei nicht bekannt?« »Weil Sie sich echte Chancen ausrechnen, mit Ihrem Märchen durchzukommen. Sie müssen demnach noch nicht registriert sein.« Der Schütze war inzwischen aufgestanden. Man sah es ihm an, daß er bereits prüfte, ob seine Nerven und Muskeln wieder mitspielten. Nein, dieser Mann wollte noch nicht aufstecken. Er war aus einem harten Holz geschnitzt und zeigte es sofort. Er ließ sein linkes Bein vorschnellen und wollte einen Tritt anbringen, doch Mike Rander, der entspannt und lässig vor ihm stand, hatte mit solch einem Ausfall gerechnet. Mit der Geschmeidigkeit eines Tänzers sprang er seitlich weg und legte sich fast waagerecht in die Luft. Dann ließ er sein angewinkeltes Bein vorschnellen und erwischte den Schützen auf der Brust. Der Mann nahm daraufhin innigen Kontakt mit dem Steinwall auf und sackte anschließend an ihm hinunter. Danach blieb er wie betäubt liegen. Mike Rander hatte sich geschickt abgefangen und rollte sich auf dem Boden ab. Blitzschnell war er wieder auf den Beinen und sah aus, als habe er sich überhaupt nicht angestrengt oder gar bewegt. »Sie werden bei der Polizei landen«, sagte Rander und lächelte ein wenig arrogant. »Unsere Behörden haben etwas gegen Männer, die junge Frauen anfallen und zudringlich werden. Kathy, spielen Sie mit?«
»Natürlich«, erwiderte sie und schlenderte auf den Schützen zu. »War er schon sehr weit mit mir gekommen, Mike? Ich richte mich da ganz nach Ihren Vorstellungen.« »Nach dem Strafmaß«, meinte Anwalt Rander. »Die zerrissene Bluse allein wird es nicht tun, fürchte ich. Da müssen Sie schon mehr aufweisen, Kathy. Sagen wir, acht bis zehn Monate Zuchthaus. Damit ist er für immer aus dem Geschäft.« Der Schütze riß weit die Augen auf, als Kathy Porter begann, ihre Kleidung aufzureißen. Zuerst begriff er nicht, was geplant war, als ihm dann aber ein Licht aufging, streckte er abwehrend die Arme aus. »Nein, nein, nicht«, sagte er hastig. »Okay, ich stecke auf. Lassen Sie den Unsinn, Miß, ich rede ja schon!« * Chief-Superintendent McWarden machte einen grimmigen Eindruck. Er hatte in der Halle des Hotels gewartet, in dem das »Quartett« abgestiegen war, wie er Lady Agatha, Butler Parker, Mike Rander und Kathy Porter bereits insgeheim nannte. Er hatte sich vor wenigen Minuten angemeldet und erfahren, daß die ältere Dame sich bereits zur Ruhe begeben hatte. Man hatte ihm mitgeteilt, Butler Parker und Mike Rander würden jedoch herunterkommen. »Hallo, Chief-Superintendent«, grüßte Mike Rander als er die Lobby betrat. »Ich erlaube mir, einen recht schönen Abend zu wünschen«, sagte Josuah Parker und lüftete in Richtung McWarden seine schwarze Melone.
»Schöner Abend?« McWarden knurrte wie ein gereizter Hund. »Ich habe zwei Detektive zu beklagen, die sich krank gemeldet haben. Lady Simpson muß ja wieder mal fürchterlich gewütet haben.« »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sir, auf ein Mißverständnis hinzuweisen?« erwiderte Josuah Parker gemessen. »Mylady wurde angegriffen und wehrte sich, so gut es eben ging.« »Natürlich, die beiden Beamten haben Mylady angegriffen, genau diese Erklärung habe ich erwartet.« McWarden schnaufte. »In der Tat, Sir!« Parker deutete ein Nicken an. »Mylady befindet sich seit diesem Angriff in einem Zustand, den man nur als Nervenkrise bezeichnen kann.« McWarden verschluckte sich fast und hustete dann ausgiebig. »Wie war das? Nervenkrise? Mylady und eine Nervenkrise? Mr. Parker, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« »Dies, Sir, würde ich mir nie erlauben.« »Was wollten Sie und Lady Simpson eigentlich in Sir Hirams Spukhaus?« »Mylady hatte die Absicht, die Atmosphäre dieses seltsamen Hauses in sich aufzunehmen, als ein Lichtschein hinter den Fenstern wahrzunehmen war.« »Wonach suchten eigentlich Ihre beiden Leute, Chief-Superintendent?« schaltete Mike Rander sich ein. »Ist Sir Hiram etwa noch immer nicht aufgetaucht?« »Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Die beiden Polizeidetektive wollten noch mal das Haus genau durchsuchen. Übrigens, sie behaupten,
Lady Simpson und Sie, Mr. Parker, hätten eine Gestalt durch den Garten verfolgt.« »Dabei dürfte es sich um das handeln, was die Medizin eine Halluzination nennt, Sir.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich kann Ihnen nicht das Gegenteil beweisen«, seufzte McWarden auf.« Aber ich sage frank und frei heraus, daß ich Ihnen das nicht abnehme. Meine beiden Leute behaupten, die Gestalt habe sie an diesen Grafen Dracula erinnert.« »Wie gut, daß die beiden Detektive sich krank gemeldet haben«, warf Mike Rander lächelnd ein. »Sie sollen sich mal gründlich auskurieren. Sie sahen immerhin bereits Gespenster, müssen total überlastet sein, diese beiden Beamten.« »Ich werde nach Strich und Faden belogen.« McWarden setzte sich wütend zurück in seinen Sessel und wartete, bis der Anwalt Drinks bestellt hatte. Dann schob er sich. wieder zur Kante vor. »Darf man fragen, Mr. Rander, wo Sie und Miß Porter während dieser ganzen Zeit gewesen sind?« »Wir wollten uns ein wenig in den Downs umsehen«, antwortete Mike Rander. »Sie wissen schon, da gibt es einen Mond, dann diese herrliche Landschaft, wie in Silber getaucht und ...« »Geschenkt, geschenkt«, wehrte McWarden ab. »Sie hatten Pech mit Ihrem Leihwagen, nicht wahr?« »Sie arbeiten schnell und gründlich.« »Die Windschutzscheibe war zertrümmert, nicht wahr? Das sagte uns der Vermieter des Fahrzeuges.
»Der Mann sagte die Wahrheit«, bestätigte Mike Rander. »Wahrscheinlich irgendeine Spannung im Glas, vermute ich.« »Oder vielleicht ein Geschoß?« »Wie kommen Sie auf ein Geschoß, Chief-Superintendent?« Mike Rander machte einen ehrlich irritierten Eindruck. »Im Wagenblech des Fonds fanden meine Leute ein Geschoß.« »Dann habe ich mich also doch nicht getäuscht.« Rander sah den Butler an. »Habe ich nicht gesagt, daß ich den Eindruck hätte, als habe man auf uns geschossen?« »Dieser Vermutung verliehen Sie Ausdruck, Sir.« »Aber wer sollte auf Miß Porter und mich geschossen haben?« Der Anwalt schüttelte verständnislos den Kopf. »Das begreife ich einfach nicht.« »Eines Tages endet auch meine Geduld mal«, schickte McWarden voraus und erhob sich. »Eines Tages werde ich nicht mehr beide Augen zudrücken und gewisse Dinge übersehen.« »Sie machen einen verärgerten Eindruck auf meine bescheidene Wenigkeit«, stellte Josuah Parker höflich fest. »Gibt es eine Möglichkeit, diesen seelischen Zustand zu korrigieren?« »Wo steckt der Mann, der mit Ludlow zusammengearbeitet hat?« McWarden wußte mehr, als er bisher gesagt hatte. Er sah jetzt ausschließlich den Anwalt an. »Moment, Mr. Rander, bevor Sie antworten, will ich Ihnen sagen, daß wir das Zimmer gefunden haben, in dem Ludlow sich eingemietet hatte. Und wir wissen auch, wo sein Begleiter wohnte, aber der ist Hals über Kopf verschwunden.«
»Kein Wunder, nachdem sein Partner erschossen wurde«, erwiderte der Anwalt. »Also gut, ChiefSuperintendent, der Wahrheit die Ehre: Miß Porter und ich haben diesen Mann ebenfalls aufgespürt und verfolgt. Dabei hat er auf uns geschossen. Nachdem die Windschutzscheibe aber hin war, mußten wir abdrehen.« »Das klingt schon besser.« McWarden regte sich ein wenig ab. »Brachte die Durchsuchung der beiden Zimmer greifbare Ergebnisse, Sir?« fragte Butler Parker höflich. »Nichts, aber auch rein gar nichts.« McWarden schien die Wahrheit zu sagen, denn der Ärger war ihm deutlich anzusehen. »Die beiden Killer müssen ohne jedes Gepäck von London aus angereist sein, wie das bei diesen Typen so üblich ist.« »Demnach steht die Partie immer noch völlig offen?« fragte Mike Rander. »Wir haben nur einen Toten, der als Killer gearbeitet hat und einen Sir Hiram, den der Satan geholt zu haben scheint. Wären Sie mir nicht in die Quere gekommen und hätten Ludlows Partner aufgescheucht, wer weiß, wie weit wir inzwischen bereits wären. So fehlt uns jedes Motiv. Ich frage mich, wo man den Hebel ansetzen soll!« »Das werden auch wir uns fragen, Chief-Superintendent«, versprach der Anwalt. »Sie dürfen versichert sein, Sir, daß Mylady weitere Theorien entwickeln wird, sobald Mylady sich wieder etwas wohler fühlt«, schloß Josuah Parker. »Myladys Kooperationsbereitschaft ist ja weithin bekannt, wie ich hinzufügen möchte!«
* »Er traut uns selbstverständlich nicht über den Weg, Parker«, meinte Anwalt Rander, als der ChiefSuperintendent sich verabschiedet hatte. Er benutzte die vertrauliche Form der Anrede und verzichtete auf das >Mr.< vor dem Namen des Butlers. »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich in der allgemeinen Beurteilung der Lage noch einen Schritt weitergehen«, antwortete Josuah Parker. »Meiner bescheidenen Ansicht nach wird Mr. McWarden das Hotel selbstredend von seinen Mitarbeitern überwachen lassen.« »Dann werden wir diese Leute hereinlegen müssen.« »Eine erfreuliche Vorstellung, Sir. Man sollte Mylady wohl nicht zu lange allein lassen.« Butler Parker dachte an die etwas ungewöhnlichen Verhörmethoden der Detektivin, die um diese Zeit sich mit Barry Shipton und jenem Mann befaßte, den Mike Rander und Kathy Porter von ihrem nächtlichen Ausflug mitgebracht hatten. Sie befanden sich selbstverständlich nicht im Hotel, Butler Parker hatte in bewährter Schnelligkeit und mit oft gezeigter Improvisation für eine passende Unterkunft gesorgt. Während Rander und Parker miteinander sprachen, waren sie zum Lift gegangen und schauten sich hier noch mal unauffällig um. In der Hotelhalle tauchte gerade ein Mann auf, der nur ein Polizeidetektiv sein konnte. Er benahm sich derart unauffällig, daß er schon wieder auffiel. Er nahm in einem Sessel der Lobby Platz und
beschäftigte sich dann ausgiebig mit einer Zeitung. »Natürlich wird McWarden auch die Rückseite des Hotels bewachen lassen«, vermutete Mike Rander. »Wie kommen wir raus aus diesem Bau, Parker?« »Vermittels einer kleinen List, Sir, wenn ich diese anregen darf.« »Eine Maske würde der Beamte in der Lobby oder vor der Rückfront des Hauses sofort durchschauen, Sir.« »Akzeptiert - und wo ist die Lösung?« »Polizeibeamte pflegen sich per Kleinfunksprechgerät untereinander zu verständigen.« »Richtig - und woher nehmen wir solch ein Ding?« »In meinem Handgepäck, Sir, befindet sich solch ein durchaus praktisch zu nennendes Gerät.« »Und was ist mit der Frequenz?« »Sie dürfte genormt sein, Sir.« Sie waren mit dem Lift in jenem Stockwerk angekommen, in dem ihre Zimmer waren, die Butler Parker längst gemietet hatte. Sie betraten Parkers Zimmer, der seinen schwarzen Handkoffer öffnete, nachdem er den raffinierten Verschluß geöffnet hatte. Butler Parker nahm das Funksprechgerät in die Hand und zog die etwa zwanzig Zentimeter lange Antenne heraus, die etwa so dick war wie ein Filzschreiber. Nachdem er das Gerät eingeschaltet hatte und auf Empfang gegangen war, hörte er prompt eine etwas rauhe Stimme, die gerade mitteilte, es sei alles in Ordnung und weit und breit nichts zu sehen. Nach einem leichten Rauschen und Knacken teilte eine zweite Stimme
mit, in der Lobby sei ebenfalls alles in bester Ordnung. Mike Rander und Butler Parker verließen das Zimmer und fuhren mit dem Lift nach unten. Parker trug inzwischen seine schwarze Melone und hatte auch seinen UniversalRegenschirm nicht vergessen. Im ersten Stock angelangt, verließen sie den Lift, und Butler Parker imitierte verblüffend gekonnt die rauhe Stimme des ersten Beamten. Plötzlich schien dieser Mann doch etwas entdeckt zu haben. Er teilte seinem Kollegen in der Lobby mit, Parker und der Anwalt hätten gerade den Eingang für Lieferanten verlassen und bewegten sich in Richtung Nebenstraße. Parker und Rander legten den Weg hinunter in die Lobby per Treppe zurück. Sie bekamen mit, wie der Beamte gerade das Hotel verließ und dabei große Eile an den Tag legte. Parker und Mike Rander warteten einen Moment, durchquerten dann die Halle, verließen ebenfalls das Hotel und gingen hinüber zum Parkplatz, wo ein Wagen mit leicht überhöhter Geschwindigkeit zur Straße preschte. Am Steuer saß mit Sicherheit der Beamte aus der Lobby, der sich auf den Weg gemacht hatte, seinen Kollegen auf der Rückseite des Hotels aufzupicken. »Bahn frei, Parker«, meinte Rander und lächelte verschmitzt wie ein Schuljunge. »Eine gewisse Skepsis, Sir, bleibt angebracht«, warnte Josuah Parker. »McWarden hat im Lauf der Zeit dazugelernt und könnte unter Umständen mit einem
Täuschungsmanöver gerechnet haben.« »Sie vermuten, daß sich hier draußen noch ein Detektiv herumtreibt?« »Eine Möglichkeit, Sir, die man in Betracht ziehen sollte«, antwortete Josuah Parker. »Vielleicht haben aber auch gewisse Herrschaften inzwischen Position bezogen.« »Die wird man doch wohl abschütteln können, oder?« »Sie werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zufrieden sein, Sir!« Parker steuerte auf den Ersatzwagen zu, den er natürlich ebenfalls beschafft hatte. Er war eben der geborene Organisator. * »Sie sind nicht verfolgt worden?« Agatha Simpsons Stimme drückte Enttäuschung und Ärger aus. »Man kann sich aber auf nichts mehr verlassen!« »Wir haben McWarden überschätzt«, antwortete Anwalt Rander lächelnd.« Während der ganzen Fahrt war kein Auto hinter uns, Lady Simpson, tut mir ehrlich leid.« »McWarden funktioniert nur in seiner Stadt, hier draußen auf dem platten Land ist er völlig hilflos«, kommentierte die ältere Dame abfällig.« Vielleicht liegt es auch daran, daß er alt wird.« Josuah Parker und Mike Rander hatten das einfache Steinhaus in den Downs erreicht. Es lag in der Nähe von Singleton, auf halber Strecke zwischen Midhurst und Chichester, natürlich abseits der Hauptstraße. Das Steinhaus war bis auf wenige, roh zusammengezimmerte Möbel leer. Es diente offensichtlich als Unterkunft
für einen Schäfer, der mit seiner Herde unterwegs war. Hinter dem Steinhaus lagen einige Pferche, deren Boden von den Schafen völlig in Morast verwandelt war. Das kleine Anwesen war umgeben von Bäumen und Sträuchern und von der Hauptstraße auf keinen Fall zu sehen. »Wie geht es den beiden Patienten, Mylady?« erkundigte Mike Rander sich beiläufig. »Sie sind ein wenig erschöpft, Mike«, gab Lady Agatha zurück. »Miß Porter kümmert sich gerade etwas um sie.« »Sie haben das Verhör bereits beendet?« Rander schaute sich neugierig um. »Wir haben eine kleine Verschnaufpause eingelegt«, korrigierte die Detektivin. »Ich möchte mir nicht nachsagen lassen, ich sei unmenschlich gewesen.« »Mylady kamen bereits zu gewissen Teilgeständnissen?« schaltete der Butler sich ein. »Kommen wir zuerst zu diesem demolierten Grafen Dracula«, antwortete Lady Agatha. »Er bleibt dabei, Barry Shipton zu heißen und für einen gewissen Vernon Lynn in Brighton zu arbeiten. Ich bin geneigt, ihm das jetzt zu glauben.« »Wieso erst jetzt?« fragte Rander. »Nun, ich habe ihn einige Male durch die Pferche gejagt«, sagte Agatha Simpson. »Er war danach leicht erschöpft.« »Er sollte tatsächlich nur nach Sir Hiram suchen und feststellen, was sich in diesem Hexenhaus abspielt?« Mike Rander lächelte. »Sir Hiram und dieser Lynn aus Brighton stehen laut Barry Shipton in
geschäftlichem Kontakt«, berichtete Lady Simpson. »Welcher Art dieser Kontakt ist, weiß dieser Graf Dracula angeblich nicht, noch nicht!« »Und der Bursche, der auf Miß Porter und mich geschossen hat, Mylady?« »Bleibt auch dabei, Billy Allington zu heißen.« Lady Agatha nickte nachdrücklich. »Er hat auch zugegeben, daß der erschossene Ludlow sein Partner gewesen ist.« »Konnte er sich dazu bequemen, den Namen seines Auftraggebers zu nennen, Mylady?« fragte Parker. »Bisher noch nicht.« Lady Agatha lächelte versonnen. »Aber es wird ihm noch einfallen. Ich werde ihn nachher noch ein wenig durch die Pferche scheuchen. Ein sehr probates Mittel!« »Wo steckt eigentlich Miß Porter?« wollte Mike Rander wissen. »Sie kümmert sich um diese beiden Subjekte«, gab die ältere Dame zurück.« Sie meint, die brauchen eine kleine Erfrischung, ich glaube es nicht.« Josuah Parker hatte das sichere Gefühl, die beiden Männer in Augenschein nehmen zu müssen. Ihm war nur zu bekannt, welch harte Gangart Mylady ihren Gegnern gegenüber einschlagen konnte. * Barry Shipton, der Mann, der sich vor dem Haus der Magie als Graf Dracula betätigt hatte, machte einen abgespannten Eindruck und sah ein wenig lädiert aus. Er saß in einer Ecke des kleinen Nebenraums, der eigentlich mehr ein Verschlag war. Der Mann war über und
über mit Schlamm und Dreck bedeckt. Mylady schien ihn mehrfach durch die Pferche gehetzt zu haben. Er war übrigens an Händen und Füßen gefesselt. »Wie ich hörte, haben Sie sich sportlich betätigt«, schickte Parker voraus. »Diese Frau ist der Satan persönlich«, beschwerte Barry Shipton sich. Seine Stimme klang müde. »Wissen Sie, was sie mit mir gemacht hat?« »Ihrem äußeren Zustand nach zu urteilen, müssen Sie sich über eine gewisse Zeitspanne hinweg kriechend bewegt haben.« »Sie hätte mich fast umgebracht.« Barry Shipton lehnte sich zurück und schloß für einen Moment die Augen. »Sie hat mich gezwungen, durch die Schafspferche zu kriechen.« »Ein wenig Sport soll nach Ansicht führender Mediziner nicht sonderlich schaden, Mr. Shipton. Sie arbeiten also tatsächlich für jenen Mr. Vernon Lynn in Brighton, der Kleingolfanlagen unterhält?« »Was ist schon dabei? Das ist doch kein Verbrechen!« »Was suchten Sie im Haus Sir Hirams? Warum diese an sich etwas alberne Verkleidung als Graf Dracula?« »Das war eine Idee von Lynn! Ich sollte so weniger auffallen, falls man mich entdeckte. Sie wissen, das ganze verrückte Haus ist doch mit diesem Quatsch vollgestopft.« »Zwischen Sir Hiram und Ihrem Mr. Lynn gibt es geschäftliche Querverbindungen?« »Ja, aber ich kenne sie nicht. Mann, ich bin nur ein kleines Rädchen. Lynn würde mich doch niemals in seine Privatgeschäfte einweihen. Sie kennen Lynn nicht.«
»Noch nicht, dies entspricht durchaus den Tatsachen. Bleiben wir bei Mr. Lynn. Einige nähere Auskünfte entheben Sie möglicherweise der Pflicht, sich noch mal dem Sport hingeben zu müssen.« »Was Lynn sonst noch so treibt, weiß ich wirklich nicht.« »Warum sorgt Mr. Lynn sich wegen Sir Hiram? Dafür muß es doch einen aktuellen Anlaß gegeben haben? Mit anderen Worten, wann erfuhren Sie von der Ermordung jenes Mannes, den man auf der Türschwelle des Spukhauses fand? Oder haben Sie diesen Vorgang etwa aus nächster Nähe beobachtet oder ihn gar in Szene gesetzt?« »Sie ... Sie wollen mir einen Mord anhängen?« Barry Shipton richtete sich steil auf. »Liegt dieser Verdacht nicht recht nahe, Mr. Shipton?« »Mit Mord habe ich noch nie was zu tun gehabt. So was liegt mir nicht. Aber...« »Klammern wir dieses Thema mal aus«, schlug Butler Parker in seiner unterkühlt-sachlichen Art vor. »Sie wollten sich ins Haus stehlen und ganz sicher nicht nur nach Sir Hiram sehen. Sie hatten den Auftrag, irgend etwas aus diesem Haus zu holen.« »Unsinn, äh, ich meine, niemals! Was sollte ich wohl aus dem verrückten Bau rausholen wollen?« »Dinge von Wert, um Ihnen mit einer Andeutung zu dienen, Mr. Shipton. Dinge, die einen recht immensen Wert darstellen, um noch präziser zu sein.« »Wie... Wie kommen Sie denn ausgerechnet darauf?« Barry Shipton schüttelte energisch den Kopf. Für den
Butler war das ein sicheres Zeichen dafür, daß er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. »Nun, denken wir gemeinsam erst mal an Drogen und Rauschgift«, schlug Parker vor. »Dann käme da eine Beute in Betracht, die vielleicht in Form von Bargeld oder Sachwerten im Haus versteckt wird. Es muß sich in jedem Fall um Dinge handeln, die für Mr. Vernon Lynn von größtem materiellen Interesse sind. »Nee, ich weiß davon nichts«, kam hastig die Antwort. »Der Tote auf der Türschwelle des magischen Hauses arbeitete eindeutig nicht für Mr. Lynn«, fuhr der Butler weiter fort. »Sein Partner ebenfalls nicht, wie logischerweise abzuleiten ist. Sie gehörten, beziehungsweise gehören einer Gruppe an, die wahrscheinlich gegen Lynn arbeitet. Sie wissen, daß der überlebende, nämlich Mr. Billy Allington, wie er sich nennt, das ist, was man gemeinhin einen käuflichen Killer nennt. Falls nicht, sollten Sie das jetzt zur Kenntnis nehmen. Ich werde Ihnen gern noch eine kurze Denkpause einräumen, Mr. Shipton. Ich halte Sie für einen relativ intelligenten Menschen, der durchaus einzuschätzen versteht, wo seine persönlichen Vorteile liegen. Nutzen Sie Ihr Denkvermögen, es könnte sich lebensverlängernd auswirken.« »Aber ... Aber wenn ich doch nichts weiß!?« »Wäre es Ihnen angenehm, wenn Mylady sich entschlösse, Sie und Mr. Allington gemeinsam auf den sogenannten freien Fuß zu setzen? Stellen Sie sich mal vor, Mr. Allington würde Sie einladen, gemeinsam mit
ihm wegzufahren? Sind das Aussichten, die Ihnen angenehm sein könnten?« * Mike Rander stand vor dem niedrigen Steinhaus und wußte seit einigen Minuten, daß er nicht nur belauert, sondern zusätzlich noch angegriffen werden sollte. Er rauchte eine Zigarette, benahm sich sorglos und gähnte laut und ungeniert. Er hatte längst mitbekommen, daß weit hinten auf dem Feldweg ein Wagen angehalten worden war. Da hörte, er die feinen Geräusche einer Person, die sich vorsichtig immer näher an ihn heranarbeitete. Butler Parker und er waren also doch verfolgt worden! Zugegeben, der oder die Verfolger hatten das recht geschickt getan und ihre Opfer nachhaltig getäuscht. Um wie viele Personen es sich hinter seinem Rücken handelte, wußte Anwalt Rander natürlich nicht, aber das machte ihm eigentlich nichts aus. Er sah zwar ein wenig versnobt und ahnungslos aus, aber drüben in den Staaten hatte er zu dem, was Butler Parker ihm früher mal beigebracht hatte, noch eine Menge dazugelernt. Dieses Wissen sagte ihm plötzlich, daß er nicht mehr das Ziel der unbekannten Person war. Die Geräusche entfernten und bewegten sich zum Steinhaus hinüber. Wollte man Lady Simpson oder Butler Parker ausschalten? Drohte Kathy Porter eine Gefahr? Mike Rander warf seine Zigarette scheinbar achtlos weg und griff im Zurücknehmen seiner Hand nach einem Steinbrocken, der oben auf einer
Mauer lag. Dann drehte er sich blitzschnell um und schleuderte dieses Wurfgeschoß mit voller Wucht in jene Richtung, aus der die feinen Geräusche gekommen waren. Natürlich hatte es sein Ziel nicht sehen können, doch die Reaktion auf seinen Wurf war dennoch beachtlich. Der Stein krachte gegen die Wand des Hauses und sorgte darin prompt für Wachsamkeit. Gleichzeitig ratterte eine Maschinenpistole los, deren Geschosse ein wenig ungezielt durch die Gegend jagten. Da Mike Rander sich sicherheitshalber geduckt hatte, erreichten sie ihn nicht. Und dann entdeckte er eine Gestalt, die sich überhastig vom Steinhaus fortbewegte. Der Schütze wußte natürlich inzwischen, daß seine Chancen vertan waren, sich heimlich an das Haus oder an Mike Rander heranzuschleichen. Er hatte nur noch das eine Ziel, so schnell wie möglich zurück zu seinem Wagen zu kommen. Er hatte seine Rechnung ohne den Anwalt gemacht... Mike Rander schnitt dem Flüchtenden geschickt den Weg ab, ohne die Deckung der Steinmauer zu verlassen. Dann griff er nach einem zweiten Stein und beförderte auch ihn durch die Luft. Der Aufschlag war bemerkenswert. Zwischen den Schulterblättern getroffen, absolvierte der Mann samt seiner Maschinenpistole einen Hechtsprung in die Luft, vollführte eine halbe Schraube, die allerdings ein wenig mißglückte, und krachte in das Gestänge eines der Schafpferche. Dann bohrte er sich, allerdings ohne viel Nachdruck, in den Schlamm des Geheges und blieb regungslos liegen.
Mike Rander wartete aus Gründen der Vernunft noch einen Moment. Es konnte ja durchaus sein, daß der Schütze noch einen Begleiter hatte. Als sich jedoch nichts rührte, begab sich Mike Rander zum Pferch hinüber und kümmerte sich um den Schützen. Es wurde höchste Zeit, daß er geborgen wurde. Sein Gesicht hatte sich tief in den Schlamm gebohrt und hinderte den Mann an einer korrekten Atmung. Mike Rander zerrte seine Jagdbeute auf den Rasen und hörte seinen Namen. Butler Parker erkundigte sich mit wohlgesetzten Worten nach dem hoffentlich werten Befinden des Anwalts. »Alles in Ordnung, Parker«, rief Mike Rander zurück. »So langsam läppert sich was zusammen. Gegen Ihre Hilfe hätte ich kaum was einzuwenden.« Der Besitzer der Maschinenpistole war inzwischen wieder zu sich gekommen und richtete sich auf. Er tastete nach seiner Schußwaffe und wischte sich mit der freien linken Hand den zähen Dreck aus dem Gesicht. Dabei stöhnte er angewidert, denn die Verdauungsprodukte bestimmter Lieferanten waren mit dem Schlamm eine innige Mischung eingegangen, was nicht sonderlich gut duftete. »Ich weiß, das Leben kann ganz schön hart sein«, meinte Anwalt Mike Rander lächelnd. »Beschweren Sie sich bei Lynn! Der Mann hätte Ihnen sagen müssen, was Sie hier erwartet.« * »Wie erklären Sie sich, daß man uns aufgespürt hat, Mr. Parker?« verlangte Agatha Simpson etwa eine halbe Stun-
de später zu wissen. Sie saß zusammen mit Parker, Rander und Kathy Porter in dem Wagen, den sie benutzt hatte. »Meiner bescheidenen Ansicht nach, Mylady, bediente man sich eines kleinen Peilsenders«, antwortete der Butler. »Wenn Mylady erlauben, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt eine entsprechende Untersuchung vornehmen.« »Diese Gangster gehen mit der Zeit, es ist doch nicht zu glauben!« Die Detektivin schüttelte fast vorwurfsvoll den Kopf. Was für eine Welt!?« »Lynn scheint mit allen Wassern gewaschen zu sein«, Mylady, schaltete Mike Rander sich ein, der neben Parker vorn auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. »Aber mal abgesehen davon: Was nehmen wir uns jetzt zuerst vor? Das Haus dieses Sir Hiram - oder befassen wir uns mit Lynn?« »Darf ich mich erkühnen, Sir, einen Vorschlag zu unterbreiten?« bat Josuah Parker. »Ich hoffe, sie haben den Vorschlag zu machen, an den ich bereits die ganze Zeit über denke, Mr. Parker«, warf die resolute Dame ein. »Ich weiß nämlich, was jetzt zu tun ist.« »Dann möchte ich in Myladys Sinn vorschlagen, sich dem Haus der schwarzen Magie zu widmen«, erwiderte Parker. »Eben.« Agatha Simpson hatte zwar an Lynn gedacht, sich jedoch blitzschnell umgestellt. Erfahrungsgemäß hatte ihr Butler stets die richtigen Vorschläge unterbreitet. »Dieses Haus birgt ein Geheimnis, das ist mir schon die ganze Zeit über völlig klar.«
Das »Quartett« hatte die drei eingefangenen Gangster in der Nähe des niedrigen Steinhauses zurückgelassen, um sich völlig frei bewegen zu können. Josuah Parker hatte hinter dem Haus ein fast trockenes Wasserreservoir entdeckt, das etwa drei Meter tief war und die Größe eines durchschnittlichen Zimmers besaß. Die Wände waren zementiert und entsprechend glatt. Der Zugang bestand aus einer Art Gullyschacht, durch den man die Wassereimer hinunterlassen konnte. Besser hätte er die drei Männer gar nicht verwahren können. Er brauchte auch nicht zu befürchten, daß die Gangster eine Art Pyramide bauten, sich gegenseitig auf die Schultern stiegen und den gußeisernen Deckel einfach hochdrückten. Um diesen Deckel zu sichern und zu fixieren, hatte Parker einen seiner Patentkugelschreiber geopfert und die darin befindliche Thermitfüllung zum Setzen einiger Schweißpunkte verwendet. Diese raffinierte Mischung aus Aluminiumpulver und einem Metalloxyd entwickelte nach der Zündung Temperaturen von über 2000 Grad Celsius und lieferte Schweißpunkte, die mit normalen Mitteln nicht zu berechnen waren. Nein, wirkungsvoller hätten die drei Gangster nicht festgesetzt werden können. Es zahlte sich wieder mal aus, daß der Butler in seinem Privatlabor gern und erfolgreich bastelte. »Halt!« Lady Simpson war plötzlich wieder mal eine Idee gekommen. Parker verringerte die Geschwindigkeit des Wagens und hielt weisungsgemäß.
»Wir machen einen Fehler«, stellte Lady Agatha fest. »Das heißt, Sie, Mr. Parker, begehen ihn wieder mal.« »Wie Mylady meinen«, antwortete Parker höflich. »Falls es diesen Sender gibt, von dem Sie eben gesprochen haben, Mr. Parker, dann wird man ihn doch anpeilen. Und der Wagen steht haargenau neben dem Steinhaus. Die drei Flegel in der Wassergrube wird man also entdecken.« »Mit einiger Sicherheit, Mylady.« Parker deutete ein Nicken an. »Und man wird sie befreien. Haben Sie daran schon mal gedacht?« »Das Entfernen der Schweißpunkte, Mylady, dürfte sich als recht schwierig und langwierig erweisen.« »Die Gangster kommen nicht heraus, Mylady, aber man wird auch nicht an sie herankommen«, warf Mike. Rander lächelnd ein. »Sie sind auch vor ihren eigenen Leuten geschützt.« »Diese doppelte Sicherung schwebte mir in der Tat vor, Mylady«, sagte Josuah Parker. »Die Auftraggeber der Gangster sind nicht in der Lage, unbequeme Mitwisser aus dem Weg zu räumen, wie es oft der Fall ist.« »Was ich ja die ganze Zeit über sagen wollte!« Agatha Simpson zuckte mit keiner Wimper, als sie diese Behauptung aufstellte. »Zudem ist beabsichtigt, Mylady, Chief-Superintendent McWarden zu informieren«, redete Parker weiter. »Er könnte das Wasserreservoir noch zusätzlich mit seinen Leuten abschirmen und sichern. Dadurch wird auch er ein wenig beschäftigt und fühlt sich nicht völlig ausgeschlossen,
was psychologisch von Nachteil sein könnte.« »Manchmal greifen Sie meine Anregungen erstaunlich schnell auf«, lobte die Lady ihn unverfroren. »Sie lernen es noch, Mr. Parker, Sie lernen es noch!« * »Eine echte Überraschung«, sagte Mike Rander verblüfft, als das Haus der schwarzen Magie in Sicht kam. »Da ist was passiert«, behauptete Agatha Simpson sofort. »Das ist nicht normal.« Butler Parker sagte überhaupt nichts. Er steuerte den Wagen auf das strahlend hell erleuchtete Haus zu, das nun überhaupt nichts Unheimliches mehr an sich hatte. Gut, die Außenlinien waren immer noch schief und ineinander verschachtelt, aber Bösartigkeit vermittelte dieser Bau nicht mehr. »Warum sagen Sie nichts, Mr. Parker?« drängte Agatha Simpson ihren Butler. »Es hat Ihnen also wieder mal die Sprache verschlagen, nicht wahr?« »Da Polizeiwagen vor dem Haus fehlen, Mylady, dürfte Sir Hiram das geben, was man vielleicht eine Art Nachmitternachtsparty nennt«, antwortete der Butler würdevoll. »Klangstrukturen, die Mylady vielleicht inzwischen ebenfalls hören, vertiefen diesen Eindruck nur noch.« »Irgendwie reizen Sie mich manchmal bis aufs Blut«, raunzte die ältere Dame. Auch sie hatte inzwischen tatsächlich die Klangstrukturen registriert. Sie wartete ungeduldig, bis Parker den Wagen gestoppt hatte. Dann stieg sie energisch aus und marschierte
zum Eingang, ohne sich weiter um ihre Begleiter zu kümmern. Die Klangstrukturen, auf die Butler Parker hingewiesen hatte, entpuppten sich als geisterhafte Musik, die mit Sicherheit synthetisch erzeugt wurden. Die Haustür war weit geöffnet, und die Musik schien jetzt sogar noch lauter zu werden. »Sehr albern«, sagte Lady Simpson, als ein Skelett auf sie zuschwebte und dabei wimmernde Töne von sich gab. Es hing an dünnen Klaviersaiten, die man kaum erkennen konnte. Dann erschien ein Geist, der an einen halb gefüllten Kartoffelsack erinnerte. Er war in ein schneeweißes Gewand gehüllt und kicherte wie ein Teenager. »Seltsame Party, Parker, finden Sie nicht auch?« fragte Mike Rander, der zusammen mit Kathy Porter hinter dem Butler erschien. »Soll das etwa schreckerregend sein?« Mylady schlug mit dem Pompadour nach einer adlergroßen Fledermaus, die von der Galerie nach unten stieß und es darauf angelegt zu haben schien, den Hut der älteren Dame zu attackieren. Die Fledermaus quiekte, kam aus dem Kurs und vollführte nach ihrer innigen Berührung mit dem Pompadour einige Loopings, bevor sie abstürzte und mit dumpfem Laut auf dem Steinfußboden aufschlug. »Hier scheint die gesamte Elektronik verrückt zu spielen«, meinte Anwalt Mike Rander. »Eine Tatsache, die in meiner bescheidenen Person einige Unruhe auslöst, Sir, wie ich bekennen möchte.« »Sehen wir mal gründlich nach.« Mike Rander prüfte den Sitz seiner Krawatte, nickte Kathy Porter zu und
ging zur ersten Tür. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als sie sich wie von Zauberhand öffnete, schloß, wieder öffnete und erneut schloß. Mike Rander schien einen versteckten Kontakt unter den Steinfliesen ausgelöst zu haben. »Sir Hiram!?« Mylady war knapp hinter der Tür stehen geblieben und rief in das Haus hinein. Das heißt, sie schien sich auf einer Riesenopernbühne zu befinden und den Ehrgeiz zu haben, auch den letzten Winkel solch eines Hauses mit ihrer Stimme zu füllen. Von der Geistermusik war plötzlich nichts mehr zu hören. Myladys Stimme beherrschte die Szenerie. Eine Antwort erfolgte leider nicht. »Ich werde nach oben gehen«, sagte Agatha Simpson und ging auf die seltsame Treppe mit den verrückt angebrachten Stufen zu. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk pendelte unternehmungslustig. Mylady spürte inzwischen, daß neue Überraschungen auf sie warteten. Mike Rander trennte sich von Parker und schloß sich der älteren Dame an, um sie vor spontanen Handlungen zu bewahren. Josuah Parker hatte die sich öffnende und wieder schließende Tür ein wenig aus dem Konzept gebracht, indem er mit der Spitze seines Universal-Regenschirms die untere Türangel verdreht hatte. Der Mechanismus funktionierte jetzt nicht mehr, auch wenn man immer noch das Summen und Scharren eines kleinen Elektromotors hörte. Parker betrat den Raum, der in helles Licht getaucht war. Er stand in einer Bibliothek, in der seltsame Dinge passierten. Die vollge-
packten Bücherregale kippten nach vorn und drohten umzustürzen, wurden aber stets im letzten Moment wieder wie von unsichtbaren Händen festgehalten und zurück in ihre Normallage gedrückt. Die beiden Steh- und Lesepulte drehten sich um ihre eigenen Achsen und hatten sich in kleine, rotierende Kreisel verwandelt. Der Globus in seinem schweren Standgestell schwebte plötzlich zur Decke empor und rotierte dort wie eine Raumkapsel, um dann wieder zurück zur Startrampe zu segeln. Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Er hatte zwar schon viel Skurriles in seinem Leben gesehen, doch Sir Hiram bot Einmaliges. Seine Phantasie war schon nicht mehr schöpferisch, sondern vielleicht krank zu nennen. Und dann entdeckte er plötzlich Sir Hiram... Der Hausherr pendelte in dem großen Leuchter, dessen Ausschläge immer weiter und größer wurden. Sir Hiram sah zur Decke hoch und schien dieses Schaukeln intensiv zu genießen, falls er noch lebte! * »Gütiger Himmel«, sagte Agatha Simpson. Sie hatte die Tür zu einem der Zimmer im Obergeschoß aufgestoßen und sah Sir Hiram. Ein Strick verband seinen ungemein langen Hals mit einem Haken, der in der Decke zu sehen war. Sir Hirams Hals war so lang wie der eines Reihers und erstaunlich dünn. Sir Hiram
schaukelte in einem kaum zu spürenden Luftzug hin und her. Sein Baldachinbett bewegte sich wie ein kleines Schiff bei Windstärke zehn. Es vollführte wahre Bocksprünge und jagte plötzlich auf unsichtbaren Schienen quer durch das Zimmer zur gegenüberliegenden Wand. Dort angekommen, klappte ein Teil der Wand hoch, worauf das Baldachinbett erst mal verschwand. Inzwischen wurde Sir Hirams Hals noch länger. Mylady trat unwillkürlich einen Schritt zurück und schluckte vor Aufregung. So etwas hatte sie bisher noch nie gesehen. »Tun Sie endlich was, Mike«, sagte sie schließlich heiser, doch der Anwalt kam noch nicht dazu. Die Wand klappte wieder hoch, das Baldachinbett erschien wieder auf der Bildfläche, fegte quer durch den Raum zurück zur alten Stelle und gab sich wieder der Windstärke zehn hin. »Sir Hiram dort ist nur eine Puppe, Mylady«, sagte der Anwalt. »Natürlich, was sonst!?« Sie sah ihn fast empört an. »Haben Sie auch nur eine Sekunde geglaubt, ich hätte dieses Monstrum für echt gehalten?« »So etwas käme mir nie in den Sinn«, meinte Anwalt Rander und lächelte. Er ging vorsichtig auf Sir Hiram zu, dessen Füße inzwischen fast den Fußboden erreicht hatten. Er griff nach der Imitation des Hausherrn und war überrascht, wie lebensecht das Gesicht nachgebildet war. Weichplastik zeichnete ein Gesicht, wie es echter nicht hätte aussehen können. »Sehen wir uns das nächste Zimmer an«, verlangte die ältere Dame, die an diesem Sir Hiram nicht mehr interes-
siert war. Sie drehte sich um, ging zurück auf die Galerie und stieß einen Schrei der Überraschung aus. Sie sah sich einem Werwolf gegenüber, der die Zähne fletschte und sie heiser anknurrte. Er knurrte nicht lange ... Lady Agatha knallte dem Werwolf ihren Pompadour auf den mächtigen Schädel. Daraufhin schnarrte es in dem Untier, dann rasselte so etwas wie ein Wecker, anschließend kniff der Werwolf den Schwanz ein, fegte mit einem Mittel von schätzungsweise zwanzig Stundenkilometern über die Galerie und knallte gegen die Wand. Hier zerlegte er sich in seine Einzelbestandteile, die aus Rädchen und Stangen bestanden. »Dieser Hiram hat einfach zu viele Horrorromane gelesen«, grollte die ältere Dame. »Das ist ja bereits mehr als albern.« »Wahrscheinlich aber nur dank der Beleuchtung im Moment«, schränkte Mike Rander ein. »Bei Zwielicht muß das alles recht eindrucksvoll sein.« »Schnickschnack, Mike.« Lady Agatha stieß die nächste Tür auf, das heißt, sie öffnete sie schwungvoll, um Bruchteile von Sekunden darauf eine neue Überraschung zu erleben. Die Türklinke wurde ihr förmlich aus der Hand gerissen. Dann legte das Türblatt sich waagerecht in die Luft und segelte mit der Geschwindigkeit eines fallenden Baumblattes quer durch das auch hier festlich hell erleuchtete Zimmer hinauf zur Decke, um sich dort in eine Art Warteposition zu begeben. »Ein Gästezimmer«, meinte Rander. »Vorsicht, Mylady, Ratten!«
Sie kamen gleich scharenweise unter einem mächtigen, uralt wirkenden Kleiderschrank hervor, wimmelten durcheinander und quietschten dazu sehr unmelodisch. Dann versammelten sie sich vor dem Gästebett, visierten die beiden Besucher auf der Türschwelle an und konzentrierten sich auf den Angriff. Mike Rander wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück, als das schwarze Gewimmel auf ihn zuschoß. Er wußte natürlich, daß es sich keineswegs um echte Ratten handelte, sondern um elektronisch gesteuerte Nachbildungen, aber der aufsteigende Ekel erfaßte ihn. »Albernes Spielzeug«, mokierte Lady Agatha sich und wich keinen Zentimeter zurück. Das alberne Spielzeug hatte sie inzwischen fast erreicht, doch jetzt stieß Agatha Simpson wider Erwarten einen äußerst spitzen Schrei aus. Ihr war aufgegangen, daß diese Nachbildungen keineswegs Nachbildungen waren: Die Ratten waren echt, wenigstens ein Teil von ihnen! Und diese echten Ratten schickten sich an, Lady Simpsons stämmigen Beine in näheren Augenschein zu nehmen. Vielleicht waren sie zudem auch noch zusätzlich an den Waden der älteren Dame interessiert. * »Wer soll hier geschrien haben, Mr. Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson ärgerlich. »Dann muß meine bescheidene Wenigkeit das Opfer einer akustischen Täuschung geworden sein«, entschul-
digte Josuah Parker sich höflich. Er war nach dem spitzen Schrei seiner Herrin selbstverständlich sofort ins Obergeschoß gegangen, um dort seine Hilfe anzubieten. »Widerlich!« Mike Rander deutete auf einige echte, aber inzwischen tote Ratten. Die Nachbildungen waren wieder unter dem mächtigen Kleiderschrank verschwunden, doch man hörte sie noch rascheln und pfeifen. Möglicherweise formierten sie sich zu neuem Angriff. »Die Spaße dieses Hiram werden langsam lästig«, stellte die ältere Dame grollend fest. »Es wird höchste Zeit, sich mal gründlich mit ihm zu unterhalten.« »Darf man fragen, Mylady, wo Mr. Rander sich befindet?« »Drüben, im nächsten Zimmer.« Sie warf noch mal einen bitterbösen Blick auf die echten, toten Ratten und beeilte sich dann, ihrem Butler zu folgen. »Sagen Sie, Mr. Parker, wo ist Miß Porter?« »Miß Porter blieb unten in der Bibliothek zurück, Mylady.« »Dann werde ich zu ihr gehen, Mr. Parker. Sie können sich zusammen mit Mr. Rander hier oben weiter umschauen.« Es war klar zu merken, daß die Detektivin nicht die geringste Lust verspürte, von den Ratten noch mal attackiert zu werden. Sie beeilte sich, über die verrückte Treppe hinunter ins Erdgeschoß zu kommen. Butler Parker wartete oben an der Brüstung der Galerie, bis Lady Simpson unten in der Bibliothek verschwunden war. Dann erkundigte er sich mit nur leicht angehobener Stimme nach Mike Rander.
Die Antwort blieb leider aus. Parker ging auf die nur halb geöffnete Tür zu, auf die Lady Simpson gezeigt hatte und hinter der Mike Rander sich aufhalten sollte. Er stieß sie mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf und blickte in jenen Raum, in dem er Graf Dracula zum ersten Mal neben dem Bett der blonden Schönheit gesehen hatte. Die Schönheit war noch vorhanden, doch die Reste des Grafen Dracula waren inzwischen weggeräumt worden. »Sir? Mr. Rander?« Parker hob seine Stimme ein wenig an und blickte in den ebenfalls strahlend hell beleuchteten Raum. Von dem Anwalt war leider nichts zu sehen, doch eine Tapetentür links vom Bett war weit geöffnet. Dahinter war nichts als Dunkelheit. »Sir, ich möchte mir erlauben, mein Kommen anzukündigen«, sagte Josuah Parker und schritt gemessen auf diese Tapetentür zu. Er spürte plötzlich, daß seine innere Alarmanlage anschlug. Seine Nerven gerieten in eine gewisse Vibration, ein sicheres Zeichen dafür, daß akute Gefahr in der Luft lag. In der Tür blieb er stehen und versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Das Licht des Zimmers drang höchstens einen Meter in den schmalen, hinter der Tür befindlichen Gang ein, dann aber machte dieser schmale Gang einen Knick und wurde zu einem lauernden Geheimnis, wie Josuah Parker es empfand. Er zog seinen Spezialkugelschreiber aus einer seiner Westentaschen, schaltete das scharf gebündelte Licht ein und sah, daß kurz vor dem Knick
offensichtlich eine Treppe begann, die nach unten führte. Butler Parker nahm sich Zeit wie immer. Er neigte nicht zur Hast. Seine Gemessenheit hatte ihn in der Vergangenheit schon oft davor bewahrt, in eine tödliche Falle zu gehen. Er leuchtete den Boden ab und entdeckte Schleifspuren im feinen Staubbelag, die erstaunlicherweise aber schon einen halben Meter vor dem Knick endeten. Butler Parker wußte viel über Geheimgänge, Tricks, Fallen und sonstige Überraschungen, die ein Menschenhirn sich ausdenken konnte. Er ging zurück ins Zimmer und entschied sich für einen schweren Sessel, den er mit spielerischer Leichtigkeit anhob, zur Tapetentür trug und ihn dann kraftvoll in den schmalen Gang warf. Das Resultat war erstaunlich. Der belastete Boden gab unter dem Druck und dem Gewicht des Sessels sofort nach und klappte nach unten weg. Innerhalb einer Sekunde war der Sessel verschwunden, während der Boden sich wieder anhob und fast nahtlos ins Parkett einfügte! Parker konnte sich gut vorstellen, daß Mike Rander den Weg genommen hatte, den der Sessel gerade gegangen war. Diese Vorstellung benagte ihm keineswegs, zumal genau in diesem Augenblick erneut ein spitzer Schrei zu vernehmen war, der eindeutig wieder von Lady Simpson stammen mußte. Der Butler hatte das sichere Gefühl, wieder mal dringend gebraucht zu werden! *
Josuah Parker saß am Steuer des Wagens und fuhr davon, als säße ihm der Teufel im Nacken. Er ließ die Räder durchtouren, den Motor aufheulen und verzichtete darauf, den Kiesweg zu benutzen. Er jagte mit dem Leihwagen über einige Rasenflächen und Blumenbeete, um möglichst schnell die Straße zu erreichen. Seine Absetzbewegung war beeindruckend und überraschend zugleich. Dort im Wagen saß ein Mann, der vom Grauen geschüttelt wurde und nur daran dachte, seine eigene Haut zu retten. Was auch nicht weiter verwunderlich war, denn Josuah Parker hatte gerade noch mitbekommen, wie Lady Simpson von zwei Vampiren davongezerrt worden war. Daraufhin hatte er das ergriffen, was der Volksmund das »Hasenpanier« nennt, sich in den Wagen geworfen und war losgerast. Er hatte inzwischen die Straße erreicht, schaltete hoch, ließ den Motor erneut aufheulen und verschwand dann in Richtung Chichester. Während der Fahrt schaute er immer wieder in den Rückspiegel des Wagens, bis er das Licht eines Motorradfahrers ausmachte, der ihm inzwischen folgte. Man hatte sich also an seine Fersen geheftet und überwachte seine Flucht. Nun, es mußte so kommen, wie es ankam... Parker, der wohl zu schnell fuhr, verlor hinter einem leichten Straßenknick die Kontrolle über den Wagen, bremste kurz ab, dann noch ein wenig nachdrücklicher und stieg aus. Er hatte den Wagen geschickt vor einem dicken Baumstamm abgestellt, bemühte einen seiner
Patentkugelschreiber, entsicherte ihn und drückte dann auf den Auslöser, der als Halteclip getarnt war. Er warf diesen Kugelschreiber unter den Motor und wandte sich schnell ab, denn er wußte schließlich nur zu gut, was jetzt passierte. Bruchteile von Sekunden später glühte ein intensiver Feuerschein auf, der die Illusion schuf, als sei der Wagen in Brand geraten. Parker verschwand hinter einem zweiten Baumstamm und wartete. Es dauerte knapp fünfzehn Sekunden, bis der Motorradfahrer zu sehen war. Er preschte um den Knick, sah den Feuerschein, den Wagen vor dem Baumstamm und nahm an, Parker sei samt Wagen aus der Kurve getragen worden. Der Fahrer, in Leder gekleidet, fuhr an den Wagen heran, stieg ab und eilte auf das Auto zu. Wahrscheinlich wollte er nach Parker sehen, den er eben noch verfolgt hatte. Er ging allerdings langsam um den Wagen herum und schien ein wenig irritiert zu sein, da er keinen Brandgeruch feststellen konnte. Bevor er sich dieses Fehlens voll bewußt wurde, begrüßte der Butler seinen Verfolger mit dem bleigefütterten Griff seines UniversalRegenschirms. Der Motorradfahrer machte daraufhin eine tiefe Verbeugung, fiel auf die Knie und schaltete innerlich ab. Butler Parker schleifte den Verfolger ins Dunkel des Unterholzes und leuchtete das Gesicht des Mannes ab. Er hatte es bisher noch nie gesehen. Es war ein schmaler, fast dreieckiges Gesicht mit einem ungemein spitzen Kinn. Die Nase war sehr betont, die Wangen hohl und tief eingefallen.
Parker durchsuchte seinen Verfolger und entdeckte zuerst mal eine schwere Automatik unter der Lederjacke, die hüftlang war. Unter dem Lederzeug trug der Mann einen schmutzigen Overall, der intensiv nach öl und Schmierfett roch. Auf der linken Seite, über der Herzgegend, befand sich ein aufgenähtes Oval mit einer Firmenaufschrift. Sie lautete auf den Namen Jefferson und brachte den Butler im Augenblick nicht sonderlich weiter. Dieser Name war bisher noch in keinem Zusammenhang aufgetaucht. Parker wußte längst, was zu tun war. Er brauchte nur wenige Minuten, bis er sich die Lederjacke übergezogen hatte. Auf die Lederhosen verzichtete er, denn er wollte sich später so schnell wie möglich wieder in einen Butler rückverwandeln. Dann richtete er die abgestellte Maschine auf, brachte sie in die entgegengesetzte Richtung, schwang sich in den Sattel und betätigte den elektrischen Anlasser. Er fuhr zurück zum Haus der schwarzen Magie, um dort seine Ermittlungen fortzusetzen. An eine wirkliche Flucht hatte er selbstverständlich nie gedacht, sondern nur eine Kriegslist angewendet. Er wollte endlich in Erfahrung bringen, mit wem man es zu tun hatte und wo Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander sich befanden. * Das Licht im Haus der schwarzen Magie war inzwischen wieder abgeschaltet worden. Nur über dem Eingang brannte eine kleine Lampe, die ein magischviolettes Licht verbreitete. Im Schein dieser Lampe standen zwei stämmige
Männer in Alltagskleidung und machten einen grimmigen Eindruck. Sie sahen übrigens sehr irdisch aus. Natürlich schöpften sie keinen Verdacht, als der Motorradfahrer heranpreschte. Sie konnten wirklich nicht ahnen, daß der Fahrer auf dem Sattel sich ausgetauscht hatte, nämlich mit dem ursprünglichen Fahrer des Zweirads. Parker hielt das Motorrad so an, daß das violette Licht ihn kaum erfaßte. Er hantierte an dem Fahrzeug ein wenig herum und wartete, bis einer der Männer sich von der Tür löste und ungeduldig auf ihn zukam. »Was ist los, hast du ihn erwischt?« fragte der Mann. »Volltreffer«, sagte Butler Parker und winkte scheinbar überlegen ab. Er richtete sich auf und verabreichte dem Mann, der ihn inzwischen erreicht hatte, eine kleine Spraydosis. Der Mann wollte wahrscheinlich noch einen Warnschrei ausstoßen, vielleicht hatte er auch die Absicht, nach seiner Waffe zu greifen, doch dazu reichte es einfach nicht mehr. Er öffnete den Mund, schielte den Butler verständnislos an und fiel dann gegen ihn. Er war nicht mehr in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. »Was ist denn?« fragte Parker laut und überrascht. »Mann, bist du besoffen!?« Wenn es erforderlich war, konnte Parker mit Leichtigkeit in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen und auch dessen Sprache imitieren. Er winkte mit der linken Hand den zweiten Mann von der Tür zu sich heran. Und der Mann reagierte augenblicklich!
Er lief auf Parker zu, ohne den geringsten Verdacht zu schöpfen. Als er ihn dann schöpfte, war es für ihn bereits zu spät. Josuah Parker hatte keine Schwierigkeit, auch diesem Mann eine Dosis Spray zu verabreichen. Nachdem Josuah Parker die beiden Türsteher gegen die Hauswand gesetzt hatte, benutzte er eine seiner privaten Handschellen. Damit verband er den linken Fuß des ersten Mannes mit der rechten Hand des zweiten. So machte er es den beiden Männern unmöglich, aktiv zu werden. Selbst zwei austrainierte Akrobaten hätten jetzt echte Schwierigkeiten gehabt, sich gemeinsam fortzubewegen. Butler Parker griff nach Melone und Regenschirm, die er auf dem Zweirad verstaut hatte, behielt die Lederjacke jedoch noch an und ging auf das dunkle Haus zu. Er ahnte, daß sich im Innern dieses Hauses der schwarzen Magie noch weitere Gegner befanden. Er hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als er schnelle Schritte im Haus hörte, die sich näherten. Dann fluchte ein Mann hemmungslos. »Diese verdammte Alte macht mich noch wahnsinnig«, sagte eine Männerstimme dann. »Der Drachen hat doch glatt gegen mein Schienbein getreten.« »Dann haben Sie das Recht, von Glück zu sprechen«, antwortete Josuah Parker, als der Mann aus der Haustür kam. Gleichzeitig langte der Butler mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms zu. Der Mann, der Mylady einen Drachen genannt hatte, blieb wie eine Salzsäule stehen, allerdings nur für eine Sekunde. Dann ging er mit korkenzieherähnlichen Bewegungen
zu Boden und schien sich für das Schuhwerk des Butlers zu interessieren. Josuah Parker entwaffnete auch diesen Mann und barg dessen schwere Automatik. Er kümmerte sich nicht weiter um ihn, betrat das Haus und konnte sich dank der hier eingeschalteten Sparbeleuchtung gut orientieren. Gleich rechts hinter der Tür hatte sich der Steinfliesenboden geöffnet. Eine Treppe, wenn auch recht schmal, führte nach unten ins Kellergeschoß. Parker zögerte keinen Moment, diesen Weg zu gehen. Seiner Schätzung nach wurden Mylady, Kathy Porter und Mike Rander tief unten im Haus festgehalten. Was sich als richtig erwies! Parker erreichte einen gut ausgebauten und klimatisierten Keller. Er gelangte in eine Art Schaltzentrale, von wo aus wohl die Vampire, Geister, Skelette, Fledermäuse und Draculas gesteuert wurden. Diese Schaltzentrale sollte wohl zerstört werden. Parker registrierte einige Benzinkanister vor den Schaltpulten, die dort unmöglich rein zufällig abgestellt worden waren. Parker betrat einen Kellergang und hörte Stimmen, dann einen wütenden Fluch. »Wagen Sie es nicht, Sie Subjekt!« grollte die ältere Dame durch den Kellergang. »Sie haben es mit einer hilflosen Frau zu tun, sehen Sie das nicht?« Parker erreichte den Keller, in dem diese angeblich so hilflose Frau sich befand. Es handelte sich selbstverständlich um Agatha Simpson, die einem Mann wohl gerade einen derben Fußtritt verabreicht hatte, denn er rieb sich das
Knie und fluchte inzwischen noch intensiver. In einem gut ausgebauten Kellerraum befanden sich Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander. Sie saßen auf einer Bank. Vor ihnen tänzelte ein junger Mann auf einem Bein, ein Mann, der eine schwere Automatik in der rechten Hand hielt. »Dafür verpasse ich dir eine«, drohte der Mann und senkte die Waffe auf Lady Simpson. »Wie wäre es denn mit einem kleinen Streifschuß!?« »Ein völlig unnötiger Akt der Brutalität«, antwortete Josuah Parker würdevoll und ließ den bleigefütterten Bambusgriff seines Schirms auf den Hinterkopf des Mannes fallen. »Sie haben sich wieder mal sehr viel Zeit gelassen«, reagierte Lady Agatha spitz in Richtung Parker. »Ich möchte nur wissen, was Sie eigentlich getrieben haben.« »Falls Mylady es wünschen, werde ich einen detaillierten Bericht erstatten«* antwortete der Butler würdevoll. »Es gab da einige Dinge, die geregelt werden mußten. Darf ich mich nach' dem werten Befinden erkundigen, Mylady?« »Mein Kreislauf«, sagte sie. Parker wußte, was in solchen Momenten zu tun war. Er knöpfte die Lederjacke auf und holte die flache Taschenflasche aus seinem schwarzen Zweireiher. Er schraubte den ovalen Verschluß ab und benutzte ihn als Trinkgefäß. Er servierte darin einen erstklassigen alten Kognak, den Agatha Simpson gekonnt zu sich nahm. »Sehr schön«, sagte sie und griff nach der Taschenflasche, »kümmern Sie sich um Miß Porter und Mr.
Rander, ich komme schon allein zurecht.« Butler Parker durchschnitt die Stricke, die Hände und Füße Kathy Porters mit denen des Anwalts zusammenschnürten. Lady Agatha bekämpfte inzwischen gezielt ihre Kreislaufschwäche. »Darf ich fragen, Sir, ob Sie mit mehr als vier Männern zu tun hatten?« fragte Parker, als er sich aufrichtete. »Vier Männer«, bestätigte Mike Rander. »Haben Sie sie inzwischen alle eingesammelt?« »Ich war so frei, Sir. Man sollte jetzt vielleicht eruieren, wer sie sind und in wessen Auftrag sie das Haus der schwarzen Magie zerstören sollten.« »Zerstören?« Mike Rander sah den Butler erstaunt an. »Vorn in der Schaltzentrale, Sir, stehen einige Benzinkanister«, erklärte Josuah Parker. »Ohne übertreiben zu wollen, möchte ich behaupten, daß man für den Fall einer Brandlegung kaum auf die Insassen dieses Raumes hier Rücksicht genommen hätte.« * Butler Parker hatte die vier Männer eingesammelt, wozu natürlich auch jener Mann gehörte, der ihm auf einem Motorrad gefolgt war. Anwalt Mike Rander hatte diesen Mann herbeigeschafft, was nur knappe fünfzehn Minuten gedauert hatte. Mike Rander hatte dazu das Motorrad benutzt und war mit Parkers Wagen wieder zurückgekehrt. Selbst das Zweirad hatte er sicherheitshalber im Kofferraum des Wagens mitgenommen, um an der Hauptstraße
keine unnötigen Spuren zu hinterlassen. Die vier Männer befanden sich im Kastenaufbau eines VW-Bus, mit dem sie zum Haus der schwarzen Magie gekommen waren. Sie hatten sich als ungemein wortkarg erwiesen und keine Angaben zu ihrer Person oder zu ihrem Auftraggeber gemacht. »Sie arbeiten aber alle für eine Firma Jefferson«, sagte Lady Simpson, die einen zufriedenen Eindruck machte. »Und das Kennzeichen des VW-Bus deutet daraufhin, daß die Firma in London steht. Oder wollen Sie das etwa abstreiten, Mr. Parker?« »Myladys Schlußfolgerung möchte ich auf keinen Fall etwas hinzufügen«, antwortete Josuah Parker. Auch er hatte selbstverständlich die Firmenschildchen auf den Overalls der vier Personen zur Kenntnis genommen. »Man muß eben logisch schlußfolgern können.« Lady Agatha nickte nachdrücklich. »Stellen Sie fest, Mr. Parker, um welche Firma es sich handelt. Sie wissen, mit solchen unwichtigen Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich die erforderlichen Ermittlungen umgehend betreiben werde«, erwiderte der Butler. »Darf ich in diesem Zusammenhang mit allem gebotenen Respekt fragen, ob die vier Männer ungewollt Hinweise lieferten, die sich auf ihre An-, Wesenheit hier im Haus bezogen?« »Haben Sie etwas gehört, Mike?« fragte Lady Simpson und sah Mike Rander an. »Nichts.« Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Aber das zählt nicht. Nach meinem Einbruch oben hinter der
Tapetentür war ich ziemlich benommen.« »Und Sie, Kindchen?« Lady Agatha sah Kathy Porter wohlwollend wie immer an. »Ich habe leider auch nichts gehört, Mylady«, entgegnete Kathy Porter. »Darf man erfragen, Miß Porter, auf welche Art und Weise Sie in die Gewalt dieser Jefferson-Leute gekommen sind?« erkundigte Butler Parker sich. »Ich bin einfach überrumpelt worden.« Sie lächelte und hob bedauernd die Schultern. »Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Hinter einem der Bücherregale kam plötzlich ein Vampir hervor, den ich für eine Attrappe hielt. Dieser Graf Dracula geisterte auf mich zu und entpuppte sich dann als verflixt schlagkräftig.« Sie massierte sich den Hals, als sie den Bericht beendet hatte. »Mylady wurden, wie ich zu meinem Entsetzen feststellen mußte, sogar von zwei Vampiren entführt.« Parker sah seine Herrin erwartungsvoll an. »Ich habe mich natürlich freiwillig wegschleppen lassen«, behauptete sie leichthin. »Ich wollte ja endlich wissen, mit wem wir es zu tun haben. Sie, Mr. Parker, haben darauf ja bisher keine Antworten anbieten können, also mußte ich selbst wieder mal die Dinge in die Hand nehmen.« »Myladys Aufschrei waren demnach ebenfalls gespielt?« »Was dachten denn Sie, Mr. Parker!?« Sie sah ihn empört an. »Ich hoffe, dieser Aufschrei klang echt.« »Ungemein, Mylady, beeindruckend und überzeugend! Ich möchte gestehen, daß das Blut in meinen diversen
Adern deutlich Neigung zeigte, ein wenig zu stocken.« »Lassen wir das!« Agatha Simpson war an diesem Thema nicht weiter interessiert, zumal ihr Schrei durchaus echt gewesen war. Sie wollte nicht mehr an die beiden Draculas erinnert werden, die sich so plötzlich mit ihr befaßt hatten. Und nachträglich ärgerte sie sich darüber, daß sie einfach nicht die Kraft gefunden hatte, ihren Pompadour einzusetzen. »Jefferson contra Lynn«, faßte Anwalt Rander zusammen. »Ich glaube, von dieser Hypothese sollte man ausgehen. Kaum anzunehmen, daß diese beiden Gruppen an einem Strang ziehen.« »Keineswegs und mitnichten, Sir«, pflichtete Josuah Parker dem Anwalt bei. »Und welche Rolle spielt Sir Hiram?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Arbeitet er für eine dieser beiden Gruppen, oder ist er aus irgendwelchen Gründen in die Schußlinie dieser Leute geraten?« »Eine kluge Frage, Kindchen, die mir längst auf der Zunge lag«, ließ Lady Simpson sich vernehmen. »Das ist nämlich die Frage aller Fragen, um das mal ganz deutlich zu sagen. Und noch etwas: Wo steckt Sir Hiram? Lebt er noch? Hat man ihn bereits umgebracht? Mr. Parker, ich hoffe, daß Sie, mir darauf bald antworten werden.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mir die größte Mühe geben und den größten Eifer an den Tag legen werde«, antwortete Josuah Parker und lüftete dazu seine schwarze Melone. »Darf ich in diesem Zusammenhang
anregen, das Haus jetzt mal gründlich zu durchsuchen?« * Parker hatte das Spukhaus verlassen und sich ins Gelände begeben. Im Haus suchten Agatha Simpson, Kathy Porter und Mike Rander nach Spuren, die auf Sir Hiram hinwiesen, er aber beteiligte sich nicht an dieser Suche. Er hatte vorgeschützt, draußen wachen zu wollen, in Wirklichkeit aber verfolgte der Butler ein anderes Ziel. Er versuchte, sich in die Gedankenwelt eines Sir Hiram zu versetzen, was natürlich nicht leicht war. Er kannte den skurrilen Mann zu wenig, er wußte so gut wie gar nichts über dessen Lebensgewohnheiten und seine Denkweise. Eines hingegen schien sicher zu sein: Dieses seltsame Haus schien so etwas wie die Lebensaufgabe Sir Hirams zu sein. Daraus folgerte, daß er mit größter Wahrscheinlichkeit in der Nähe des Gebäudes blieb, falls er gezwungen wurde, sich vor Gegnern zu verstecken. Bot das kleine Waldstück, in dem das Haus der schwarzen Magie lag, irgendein raffiniertes Versteck, das selbst von ausgebufften Gangstern nicht aufgespürt werden konnte? War das gesamte Grundstück nicht Teil dieses verrückten Hauses? Hatte Sir Hiram es unterlassen, die nähere Umgebung des Hauses in seine monströsen Spielereien miteinzubeziehen? Nein, das konnte Josuah Parker sich einfach nicht vorstellen. Mit
Sicherheit boten auch die Anlagen in Hausnähe irgendwelche freundlichen Überraschungen. Sie mußten halt nur aufgespürt werden. Aber dazu fehlte es leider an Licht. Noch herrschte Dunkelheit, obwohl es inzwischen auf den Morgen zuging. Josuah Parker setzte wieder mal seine Geduld ein. Er stand an einem Baumstamm hinter dem Gebäude und konnte von hier aus die Rückseite des Spukhauses und auch die Gartenanlage überblicken. Zu dieser Anlage gehörten ein kleiner Teich, der von Schilf fast überwuchert wurde, dann ein kleiner Tempel, der auf einer künstlichen Anhöhe stand, und schließlich ein Pavillon am anderen Ufer des kleinen Sees. Im Haus polterte Lady Simpson, wie deutlich zu hören war. Immer wieder rief sie nach Sir Hiram und setzte dabei volle Lautstärke ein, die man als beträchtlich einstufen mußte. Bei jedem Ruf klirrten diskret die Fensterscheiben. Zudem klopfte die Energische mit ihrem Pompadour die Innenwände des Hauses nach Geheimgängen und versteckten Räumen ab. Abbrucharbeiter schienen dies allerdings gründlich zu besorgen, so nachdrücklich hämmerte die ältere Dame mit ihrem perlenbestickten Handbeutel. Wenn Mylady etwas tat, tat sie es stets mehr als gründlich. Butler Parker gestattete sich in Anbetracht seines Alleinseins und der. noch herrschenden Dunkelheit die Andeutung eines Lächelns. Er schätzte die Zusammenarbeit mit Mylady, in der niemals Langeweile aufkam. Ihre ungebrochene Energie forderte ihn immer wieder heraus, sich etwas
einfallen zu lassen. Ihre Unberechenbarkeit sorgte dafür, daß er geistig frisch blieb, von seiner körperlichen Kondition mal ganz zu schweigen. Sie hatte eine mitreißende Art, ihre nähere und weitere Umgebung in Unruhe oder sogar Panik zu versetzen. Wie gesagt, Langeweile konnte in Myladys Nähe nie aufkommen. Parkers Gedanken beschäftigten sich mit dem, was Kathy Porter ausgesprochen hatte: Welche Rolle spielte Sir Hiram in diesem Fall? War er nur das Opfer, das zwischen zwei Fronten geraten war? War er mehr als nur ein skurriler Mann, der sich mit technischen Spielereien abgab? Warum gaben sich in seinem Spukhaus Gangster ein Stelldichein, die mit schweren Faustfeuerwaffen herumliefen? Was suchten sie hier in diesem Haus? Gab es eine versteckte Beute, die man Sir Hiram abjagen wollte? War dieses Haus der Umschlagplatz für irgendwelche wertvolle Ware? Parkers Geduld zahlte sich schon nach einer halben Stunde aus. Er entdeckte im Schilf eine ungewöhnliche Bewegung und sah dann einen Grafen Dracula, der das Schilf teilte und an Land schritt. Sir Hiram oder nicht, das war hier die Frage! * Graf Dracula blieb am Ufer stehen, er war noch halb im Schilf. Er schaute zum Haus hinüber und rührte sich nicht. Er war nur in Umrissen zu erkennen, aber die reichten bereits voll
aus, die Gestalt als zweibeinigen Vampir zu identifizieren. Jeder andere Beobachter hätte sich jetzt an diesen Grafen Dracula herangepirscht und versucht, ihn zu stellen. Butler Parker dachte jedoch nicht im Traum daran, die Deckung zu verlassen. Er wollte weiter abwarten und die Reaktion dieses reißzahnbewehrten Vampirs studieren. Seine Geduld zahlte sich erneut aus. Graf Dracula bewegte sich fast schwebend weiter aus dem Schilf hervor und präsentierte sich noch auffälliger. Er schien förmlich darauf zu warten, daß man ihn endlich zur Kenntnis nahm. Er wollte offensichtlich den Lockvogel spielen und Reaktionen heimlicher Beobachter auslösen. Parker rührte sich nicht. Gewiß, er hatte inzwischen seinen Universal-Regenschirm entsichert, und schußbereit gemacht. Der Schirmstock war nichts anderes als eine Art Gewehrlauf oder Blasrohr. Durch diesen Lauf konnte er sowohl stricknadellange Pfeile verschießen oder im Steigerungsfall sogar kleinkalibrige Geschosse. Der Butler hatte sich für das Versenden von Pfeilen entschieden. Sie waren fast völlig lautlos zu verschießen und lösten dank ihrer präparierten Spitzen bei den getroffenen Personen in fast allen Fällen einen tiefen Schock aus. In der hochtechnisierten Welt, in der man lebte war solch ein Blasrohrpfeil ein Anachronismus, der Panik auslöste, weil man sofort an Pfeilgift dachte. Zum anderen waren die Pfeilspitzen tatsächlich vergiftet, das heißt, das chemische Präparat löste eine oberflächliche und leichte Lähmung
des Zentralnervensystems aus, ohne Dauerschäden zu verursachen. Graf Dracula schien seine Inspektion beendet zu haben. Er drehte sich ruckartig herum und schwebte zurück ins Schilf, um kurz danach wieder völlig zu verschwinden. Selbst jetzt blieb Parker in Deckung. Er hatte genug gesehen. Es war seiner Ansicht nach sinnlos, den kleinen See und das Schilf inspizieren zu wollen. Er ahnte, daß dieser Schilfsaum seine bösen Überraschungen bereit hielt, um Neugierige nachdrücklich daran zu hindern, noch neugieriger zu werden. Butler Parker schob sich tiefer in das Wäldchen zurück, machte einen weiten Umweg und betrat das Spukhaus durch die Haustür. Hier stieß er auf Lady Simpson, die ein wenig derangiert aussah. Die silbrigen Locken hingen ihr in die Stirn, die Hutschöpfung saß schief auf ihrem Kopf. »Wir werden gehen«, sagte sie verärgert. »Ich habe das Haus auf den Kopf gestellt, Mr. Parker. Nichts zu finden! Ich weiß aber jetzt, daß dieser Sir Hiram verrückt sein muß. Wie kann man nur so etwas bauen!? Dieser Bursche braucht dringend einen Psychiater, falls er noch lebt.« »Haben Mylady besondere Vorstellungen oder Wünsche, was die Unterbringung der vier Jefferson-Leute anbetrifft?« »Was meinen Sie, Mike?« Sie wandte sich dem Anwalt zu, der mit Kathy Porter in der Halle erschien. »Reichen wir die vier Flegel an McWarden weiter?« »Ich würde dazu raten, Mylady«, antwortete Rander. »Diese vier
Männer werden auf keinen Fall reden.« »Soll McWarden sich doch mit diesen Subjekten herumärgern«, entschied Agatha Simpson. »Ich werde übrigens Anzeige erstatten, denn ich fühle mich von diesen Individuen noch immer sittlich belästigt. Wird das reichen, Mike, sie für ein paar Tage hinter Schloß und Riegel zu bringen?« »Mit Sicherheit, Mylady!« Mike Rander lächelte. Er stellte sich gerade vor, wie die vier Gangster versucht hatten, sich der Lady unsittlich zu nähern. Hätten sie es tatsächlich versucht, würde sie wahrscheinlich längst vom Notarzt in einem Krankenhaus behandelt. »Und Sie, Mr. Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler mißtrauisch an. »Warum sagen Sie nichts?« »Falls es meiner Wenigkeit überhaupt zusteht, Mylady, möchte ich mich Myladys Vorschlag voll und ganz anschließen«, erwiderte der Butler gemessen. Er unterschlug seine Beobachtungen am Seeufer, um später allein gezielte Untersuchungen vornehmen zu können. »Mr. McWarden wird Myladys Zusammenarbeit sehr begrüßen, wenn ich dies noch hinzufügen darf.« »Warum soll ich ihm nicht auch mal eine kleine Freude machen?« Die ältere Dame gähnte unverhohlen. »So, und jetzt zurück nach Chichester. Dieser verrückte Bau existiert ab sofort nicht mehr für mich.« Parker hatte nichts dagegen, daß Mylady so dachte. *
»Sie können ja direkt rücksichtsvoll sein, lieber McWarden«, flötete Lady Simpson mit erstaunlich sanfter Stimme und 'nickte dem Chief-Superintendent freundlich zu. »So etwas habe ich Ihnen eigentlich nicht zugetraut. Darf ich Ihnen etwas bringen lassen?« Sie hatte McWarden in ihrem Hotelzimmer empfangen und gerade eine kleine Erfrischung genommen, die aus Speck und Eiern, Hammelkoteletten, gebratenen Würstchen, kaltem Huhn und verschiedenen Käsesorten bestanden hatte. Lady Simpson hielt auf ihre Linie und war gegen jede Unmäßigkeit. Sie labte sich gerade an einem pechschwarzen und dreifachen Mokka. McWarden, der sichtlich unter Hochdruck stand, wußte im ersten Moment nicht so recht, wie er reagieren sollte. Er hatte bis jetzt, also bis gegen frühen Nachmittag, darauf warten müssen, von der Lady empfangen zu werden. Dementsprechend war seine Laune. »Mr. Parker, was halten Sie von einem Sherry oder von einem Port für meinen liebenswerten Gast?« Die Detektivin wandte sich zu Parker um, der ihr gerade den Mokka serviert hatte. »Also ich ... Äh... Sherry!« McWarden schluckte mit Mühe einen Teil seiner schlechten Laune hinunter. »Mylady, ich bin allerdings nicht gekommen, Konversation zu machen. Ich habe da einige Fragen, die ich ...« »Dafür ist Mr. Parker zuständig«, erwiderte Agatha Simpson. »Sie wissen doch, lieber McWarden, daß ich mich mit Details grundsätzlich nicht beschäftige. Ich bin mehr für die große Linie zuständig.«
»Meine bescheidene Wenigkeit steht zu ihren Diensten, Sir«, sagte Parker, der inzwischen den Sherry servierte. »Es sind einige rätselhafte Dinge geschehen«, schickte der Chief-Superintendent voraus und wurde schon wieder grimmig. »Ich habe das Gefühl, Mylady, daß Sie einiges darüber wissen.« »Wie nett von Ihnen, McWarden, mich so hoch einzuschätzen«, antwortete Agatha Simpson in einer so freundlichen und versöhnlichen Art und Weise, daß McWarden noch irritierter wurde. »Sie waren während der vergangenen Nacht unterwegs?« stellte der Chief-Superintendent seine erste gezielte Frage, nachdem er sich ausgiebig geräuspert hatte. Er sah Parker betont an. »In der Tat, Sir«, entgegnete Parker. »Mr. Rander hatte das Bedürfnis, ein wenig frische Luft zu atmen.« »Und Sie waren wo?« »Sir, ich möchte nicht unbescheiden erscheinen, aber eine genaue Aufstellung vermag ich Ihnen nicht zu geben.« »Wo ist Mr. Rander jetzt?« »Zusammen mit Miß Porter in Brighton«, warf die ältere Dame ein. »Das gute Kind möchte sich ein paar hübsche Dinge kaufen. Die Jugend, Sie verstehen, McWarden!« »Sie sind nicht zufällig auf einer verlassenen Schaffarm gewesen? Und Sie haben auch nicht zufällig drei Männer in ein Wasserreservoir gesteckt? Und Sie haben auch nicht zufällig die Polizei anonym davon verständigt?« »Gütiger Himmel. McWarden, was für eine Aufzählung!?« Agatha Simpson sah McWarden gespielt
erstaunt an. »Drei Männer in einem Wasserreservoir? »Darf ich höflichst fragen, Sir, ob diese drei Männer meine bescheidene Wenigkeit belastet haben?« fragte Parker würdevoll. »Nein, sie schweigen sich aus.« »Aber Sie, lieber McWarden, haben die drei Männer selbstverständlich inzwischen identifizieren können, oder?« »Einer der drei Burschen heißt Billy Allington, Mylady. Er ist der Partner dieses Ludlow, der vor dem Haus Sir Hirams erschossen aufgefunden wurde.« »Und die beiden anderen Männer, bester Freund?« »Weigern sich, ihre Namen zu nennen!« McWarden ahnte, daß Mylady und Parker längst mehr wußten, konnte es ihnen allerdings nicht beweisen. Sein Ingrimm war dementsprechend groß. »Warum sind diese drei Männer denn nicht aus dem Reservoir geklettert?« fragte die ältere Dame und schüttelte verständnislos den Kopf. »Der Gußdeckel war zugeschweißt worden! Als wir ankamen, verscheuchten wir leider einige Gestalten, die sich an diesem Deckel wohl schon die Zähne ausgebissen haben müssen. Sie verschwanden derart schnell, daß wir sie leider nicht verfolgen konnten.« »Der Deckel war zugeschweißt worden?« Agatha Simpson tat erstaunt. »Mr. Parker, was sagen Sie dazu?« »Die drei Herren sollten wohl bis zum Eintreffen der Polizei sicher untergebracht bleiben, Mylady«,
vermutete der Butler und sah dabei McWarden an. »Das ist natürlich möglich.« Lady Agatha nickte. »Nett von Ihnen, McWarden, uns darüber zu informieren, wenngleich Sie ja aus diesen drei Burschen kaum etwas herausgebracht haben.« »Das ist noch nicht alles, Mylady.« »Sie können mit zusätzlichen Überraschungen aufwarten, lieber Freund?« Lady Simpson strahlte den Chief-Superintenden an. »Heute verwöhnen Sie mich aber wirklich.« »Die hiesige Polizei fand einen VWBus, Mylady. In diesem Wagen ...« »Ein VW-Bus ist gefunden worden?« Mylady richtete sich auf. »Nein, das müssen Sie unbedingt noch mal wiederholen, McWarden, das ist ja geradezu sensationell.« »Sie ... Sie kennen diesen VW-Bus?« »Ob es dieser bewußte ist, weiß ich nicht, aber er wird es sein, wenn in dem Wagen vier Männer gewesen sind.« »Vier Männer«, bestätigte McWarden. »Sie hatten Kontakt mit Ihnen?« »Sie meinen das hoffentlich nicht zweideutig, lieber Freund«, sagte Lady Agatha lächelnd. »Nein, nein, ich weiß, daß Sie mir nichts unterstellen würden. Aber von vier recht aufdringlichen Burschen bin ich tatsächlich erheblich belästigt worden.« »Sie ... Sie würden sie wiedererkennen, Mylady?« »Ich würde Sie allein mit meiner Nase identifizieren können, McWarden, denn diese vier Subjekte waren total betrunken.« »Dann sind sie es, Mylady!«
»Sie haben diese vier Flegel erwischt? Gratulation, McWarden! Das nenne ich einen Erfolg. Wissen Sie, ich wollte diesen Zwischenfall eigentlich unterschlagen. Wie hätte ich ihn beweisen sollen, nicht wahr? Aber jetzt, nachdem Sie diese Strolche stellen konnten, werde ich natürlich Anzeige erstatten.« »Sie stanken vor Alkohol, Mylady, aber erstaunlicherweise waren die Alkoholwerte im Blut aller vier Männer relativ niedrig.« »Ein Fall für den Spezialwissenschaftler, lieber McWarden. Nein, ich kann es immer noch nicht glauben! Wie schön, daß man solche Lümmel hinter Schloß und Riegel bringen kann. Haben sie bereits ihre Geständnisse abgelegt?« »Sie schweigen sich eisern aus.« »Das wird sich mit der Zeit ändern, glauben Sie mir, mein Freund. Auch der verstockteste Sünder wird eines Tages weich werden und freudig reden und bekennen.« McWarden hatte natürlich längst eingesehen, daß er gegen eine Stahlwand anrannte und nichts erfahren würde. »Sie können die Anzeige ja bei Gelegenheit noch mal schriftlich erstatten«, sagte er abschließend zu Agatha Simpson. »Und Sir Hiram ist Ihnen nicht zufällig über den Weg gelaufen?« »Er scheint das Opfer seiner verrückten Geisterbeschwörungen geworden zu sein«, meinte Lady Simpson. »Sie sollten vielleicht mal sein Haus vom Dach bis zum Keller durchsuchen.« »Meine Mitarbeiter sind gerade dabei«, gab McWarden zurück. »Aber
vor ihnen müssen das schon andere Personen getan haben.« »Wie soll ich das verstehen, mein Lieber?« Agatha Simpson flötete nach wie vor fast wie eine etwas zu üppige Nachtigall. »Das Innere des Hauses scheint mit einem Vorschlaghammer abgeklopft worden zu sein.« * Der Anwalt befand sich zusammen mit Myladys Sekretärin bereits in London, um hier nach der Firma Jefferson zu fahnden, die vier ihrer Mitarbeiter in das Haus Sir Hirams geschickt hatte. Es bestand eine echte Chance, den Inhaber dieser Firma zu überraschen. Das »Quartett« ging von der Annahme aus, daß die vier Männer der Polizei gegenüber schweigen würden. Auf der anderen Seite hatten sie auch keine Möglichkeit, sich mit ihrem sogenannten Firmenchef in Verbindung zu setzen. Es kam jetzt alles darauf an, diese eine und bestimmte Firma herauszupicken. »Mr. Parker hat hier in London ein paar gute V-Männer«, erinnerte Kathy Porter. »Ob wir einen von ihnen aufsuchen sollten?« »Kann man sich auf diese Leute fest verlassen, Kathy?« »Nun ja, meine Hand würde ich nicht unbedingt für diese Leute ins Feuer legen« erwiderte Kathy Porter. »Es hängt schließlich davon ab, welche Rolle dieser Jefferson in der Unterwelt spielt. Ist er gefährlich, dann wird man ihm wahrscheinlich einen Tip geben, daß wir nach ihm suchen.« »Zu gefährlich.« Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Handelt es sich
tatsächlich um einen dicken Boß, dann schickt er uns womöglich weitere Killer auf den Hals. Wie viele Jeffersons haben wir, Kathy, Jeffersons, die eine Firma betreiben?« Sie beugten sich beide über das dicke Telefonbuch und kamen zu einem recht niederschmetternden Ergebnis. Um diese Firmen alle anzurufen, hätte man Stunden benötigt. Selbstverständlich hatten Mike Rander und Kathy Porter sich zuerst mal mit dem Kennzeichen des VW-Bus beschäftigt, aber schnell herausgefunden, daß es gefälscht worden war. »Die Männer trugen ölverschmierte Overalls, Mike«, erinnerte Kathy Porter jetzt. »Vielleicht ist das ihre reguläre Arbeitskleidung. Das würde den Kreis der möglichen Firmen doch erheblich einschränken.« »Gute Idee, hätte eigentlich von mir kommen müssen«, erwiderte Mike Rander und lachte leise auf. »Kümmern wir uns also um Jeffersons, die mit Mechanik zu tun haben.« »Mit Autos und Motorrädern, Mike. Wie ist es, sollen wir auch nach dem Kennzeichen des Motorrads fragen?« »Auch dieses Kennzeichen wird gefälscht sein, Kathy. Bleiben wir bei den Jeffersons, die mit Autos und Motorrädern zu tun haben. Moment, Kathy, da kommt mir plötzlich eine schreckliche Idee.« »Ich denke schon die ganze Zeit daran«, räumte sie ein. »Sie fürchten, daß nur der VW-Bus und das Motorrad aus London stammen, oder vielleicht sogar nur die Kennzeichen, nicht wahr?«
»Und die Jefferson-Firma hat ihren Sitz irgendwo zwischen Portsmouth und Brighton.« Mike Rander nickte. »Verdammt, Kathy, mir kommt ein noch schrecklicherer Gedanke.« »Mir jetzt auch, Mike.« Sie lachte und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Mr. Parker hat uns ganz bewußt nicht davon abgehalten, hierher nach London zu fahren.« »Das traue ich ihm zu. Und er knöpft sich inzwischen bereits genau den Jefferson vor, den wir hier suchen sollen.« »Um uns aus der Gefahrenzone herauszuhalten.« Sie nickte. »Das würde Mr. Parker sehr ähnlich sehen, Mike.« »Und ich Trottel falle auf solch einen Trick herein.« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Ich hätte es besser wissen müssen. Was machen wir jetzt aus dieser Situation, Kathy? Ich würde es ihm gern heimzahlen!« »Wenn dieser Jefferson eine dicke Nummer in einem Unterweltgeschäft ist, Mike, dann muß er in London natürlich bekannt sein«, sagte sie eifrig. »Also, fragen wir doch einen der V-Männer! Vielleicht bekommen wir eine Information, die selbst Mr. Parker verblüfft.« »Es wäre zu schön, ihn mal restlos verblüfft zu sehen«, gestand Mike Rander. »Drücken wir uns die Daumen, Kathy. Und dann auf zu einem Ihrer V-Leute! Jetzt werden wir sehr schnell sein müssen!« * »Wollen Sie mich nicht endlich bitten, etwas zu unternehmen, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson leicht ge-
reizt. »Sie wissen, es liegt mir nicht, die Hände in den Schoß zu legen.« »Mylady hegen spezielle Wünsche oder haben besondere Vorstellungen?« »Muß ich Sie an diesen Lynn erinnern, Mr. Parker?« gab sie zurück. »Er hat zumindest diesen Barry Shipton zu Sir Hiram geschickt. Und möglicherweise auch diesen Burschen mit der Maschinenpistole.« »Falls Mylady es wünschen, könnte man selbstverständlich sofort nach Brighton fahren, Mylady.« »Und was ist mit diesen JeffersonBurschen?« Sie geriet in Rage. »Vier Männer in Ölverdreckten Overalls, die den Firmennamen Jefferson zeigen. Dieser Jefferson dürfte sehr wichtig sein. Ja, ich halte ihn sogar für eine Schlüsselfigur.« »Wenn Mylady gestatten, möchte ich mir erlauben, Myladys Ansicht vollinhaltlich zu teilen.« »Es geht doch hier um Lynn und Jefferson, oder wollen Sie das etwa auch abstreiten?« Butler Parker hatte zwar gar nichts abgestritten, doch er kannte ja die Art der älteren Dame. Sie war von Natur aus stets ein wenig aggressiv. »Mylady sehen die Konstellation des Falls vollkommen klar, deutlich und richtig«, antwortete er. »Ein Urteil steht meiner bescheidenen Wenigkeit zwar nicht zu, doch ich kann nicht umhin, Myladys Ansicht erneut zu unterstreichen.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte.« Sie nickte grimmig. »So, und jetzt möchte ich wissen, was ich tun werde.« »Mylady gehen von der Hypothese aus, daß der sogenannte Dreh- und Angelpunkt dieses Falles das Haus der
schwarzen Magie des Sir Hiram ist«, schickte Josuah Parker gemessen voraus. »Mylady wissen ferner, daß sowohl ein noch unbekannter Mr. Jefferson und ein ebenfalls kaum bekannter Mr. Lynn ihre Mitarbeiter in dieses Haus geschickt hatten. Mylady unterstellen schließlich, daß sich dort im Haus Dinge befinden müssen, deren Wert man als nicht unbeträchtlich bezeichnen dürfte.« »Sie sagen wieder mal genau das, was ich meine.« Die Detektivin nickte zufrieden. »Fahren Sie fort, Mr. Parker! Langsam lernen Sie es, wie man folgerichtig und logisch ableitet.« »Mylady beschämen meine bescheidene Wenigkeit.« »Schämen Sie sich nicht, reden Sie endlich weiter!« Sie traf Anstalten sich für einen Ausflug vorzubereiten. »Wir werden diesem Jefferson und Mr. Lynn also nacheinander einen Besuch abstatten.« »Gewiß, Mylady.« Parker deutete ein feines Nicken an. »Es ist wirklich damit zu rechnen, daß die beiden Schlüsselfiguren erneut versuchen werden, im Haus der schwarzen Magie nach dem betreffenden Wertobjekt zu fahnden. Um genauer zu sein, Mylady, man braucht nur in der Nähe des Hauses Sir Hirams auf das Erscheinen der gerade erwähnten Herren zu warten.« »Anders habe ich es natürlich auch nicht gemeint.« Sie war eine Meisterin, sich blitzschnell anzupassen. »Für die Fahrt hinaus zum bewußten Haus, Mylady, sollte man sich gründlich Zeit lassen. Chief-Superintendent McWarden wird das Hotel mit Sicherheit sehr aufmerksam überwachen las-
sen, um über jeden Schritt Myladys orientiert zu sein. Größte Verblüffung dürfte auslösen, wenn Mylady vorerst im Hotel bleiben würde oder vielleicht nur einen Ausflug entlang der Küste unternähme.« »Eine kleine Ausfahrt kann nicht schaden«, meinte sie. »Aber Sie, Mr. Parker, werden mich dabei begleiten. Ich traue Ihnen nicht über den Weg, ich lasse mich nicht ausbooten.« »Dies, Mylady, würde ich mir niemals erlauben«, schwindelte Josuah Parker. »Loyalität ist und bleibt die Basis meiner Zusammenarbeit mit Mylady, wie ich erneut versichern möchte.« Sie sah ihn daraufhin mit einem Blick an, der deutlich aussagte, daß sie ihm kein einziges Wort glaubte! * »Ich kenne einen Jefferson«, sagte der kleine, schmale Mann mit den nervösen Augen. Er hieß Lefty Dare und lebte davon, Informationen zu verkaufen. Er belieferte sowohl die Polizei als auch die Unterwelt mit dem, was er so aufschnappte. »Mr. Parker möchte mehr über diesen Jefferson erfahren«, sagte Kathy Porter, die Lefty Dare kannte und ihn in dessen Secondhand-Shop aufgesucht hatte. »Und ich möchte auch was erfahren«, erwiderte Dare listig und deutete auf Mike Rander. »Wer ist zum Beispiel das da?« »Mike Rander«, stellte der Anwalt sich vor. »Ich bin, sagen wir es so, der Vermögensverwalter von Lady Simpson und Anwalt dazu.«
»Wer ist Jefferson?« erinnerte Kathy Porter. »Ein abgetakelter Bursche, der hier mal eine Rolle gespielt hat«, sagte Lefty Dare und dämpfte unwillkürlich seine Stimme. »Er heißt Marty Jefferson und hat mal für Lew Graters gearbeitet.« »In welcher Branche macht dieser Graters seine Geschäfte?« schaltete Mike Rander sich ein. »Lew Graters macht auf Import«, erwiderte der V-Mann und grinste abfällig. »Ich weiß, Sir, das ist ein weiter Begriff. Er macht offiziell in Gemüse, aber das ist nur seine Masche. In Wirklichkeit soll er, ich betone, soll er früher mal Hasch und Schnee rauf auf die Insel geschafft haben. Inzwischen ist er aber lupenrein. Sagt man wenigstens. Ich meine, was Drogen anbetrifft. Lew Graters befaßt sich höchstens noch mit seinem Schutzverein.« »Also Erpressung!« Mike Rander wußte nur zu gut, was er sich darunter vorzustehen hatte. »Erpressung ist ein hartes Wort, Sir«, meinte Lefty Dare. »Er sorgt dafür, daß seine Kunden nur erstklassiges Obst und Gemüse bekommen und darum nur bei ihm kaufen.« »Haben Jefferson und Graters sich seinerzeit im Streit getrennt?« wollte Kathy Porter wissen. »Sagt man, Miß, sagt man!« Der VMann nickte. »Marty Jefferson hat jetzt eine Werkstatt unten an der Küste, ich glaube, in der Nähe von Chichester, aber die genaue Adresse kenne ich nicht. Sagen Sie, unter uns, Miß, hat Jefferson was aufgezogen? Ich meine, so ein paar nette, kleine
Informationen können ja nicht schaden.« »Hätte Marty Jefferson das Zeug dazu, irgendein neues Geschäft aufzuziehen?« fragte sie lächelnd zurück. »Das Zeug dazu hätte er.« Lefty Dare nickte. »Marty Jefferson ist eine ehrgeizige Type, doch, das ist er.« »Dann sollten Sie Lew Graters anrufen und ihm einen Tip geben«, schlug Mike Rander lächelnd vor und zog eine Banknote aus der Ziertuchtasche seines Blazers. »Sagen Sie ihm, daß Miß Porter und ich uns für Jefferson interessieren.« »Moment mal, ich soll Sie verpfeifen?« Lefty Dare, der es wohl ohnehin getan hätte, sah den Anwalt ehrlich entrüstet an. »Ich soll Sie in die Pfanne hauen? Sie wissen wohl nicht, wie allergisch Graters ist? Der geht doch glatt auf die Palme.« »Er wird sich Ihnen gegenüber dankbar erweisen, Dare«, meinte Mike Rander amüsiert. »Vielleicht wartet er nur darauf, Jeffersons eins auswischen zu können.« »Da wäre schon was dran. Aber noch mal, ich soll Sie verpfeifen? Rechnen Sie damit, daß Graters Ihnen da ein paar harte Jungens ins Haus schickt!« »Das hier ist meine Adresse.« Rander reichte dem V-Mann seine Visitenkarte. »Miß Porter und ich werden erst gegen Abend wieder zurück nach Chichester fahren.« »Mann, Sie spielen aber ganz schön mit dem Feuer, Sir«, sagte Lefty Dare fast hochachtungsvoll. »Aber schön, wenn Sie wollen, ich werde Graters also einen Tip geben. Gern mache ich das aber bestimmt nicht.«
Er konnte es kaum erwarten, bis Kathy Porter und Mike Rander seinen kleinen, schmuddeligen Laden verlassen hatten. Als sie in den Wagen stiegen, griff er hastig nach dem Telefon, um seinen Tip gewinnbringend an den Mann zu bringen. »Sie wollten testen, ob Graters und Jefferson noch immer zusammenarbeiten, nicht wahr?« fragte Kathy Porter, als sie hinüber zum Hyde Park fuhren. »Die beste Nagelprobe«, erwiderte der Anwalt. »Falls ja, wird Graters diese erwähnten harten Jungens zu mir schicken. Ein Mann wie dieser Spitzel Dare ist bestens geeignet, solche Reaktionen auszulösen.« »Sie rechnen damit, daß Graters und Jefferson noch immer Kontakt miteinander haben?« »Ich glaube sogar, daß die Trennung damals nur inszeniert worden ist, um die Polizei abzulenken«, erklärte Mike Rander. »Wie eng dieser Kontakt wirklich ist, werden wir bald erfahren. Wenn wir uns etwas Zeit lassen, wird man uns wahrscheinlich bereits vor dem Haus erwarten.« * »Prompte Bedienung«, sagte Mike Rander, als Kathy Porter und er nach einer guten halben Stunde vor dem' Haus des Anwalts in der Curzon Street hielten. Die beiden Männer in der Nähe des Hauses sahen für einen Nichteingeweihten wirklich harmlos und durchschnittlich aus, nicht aber für den Kenner. Diese beiden schlanken Männer mit den glatten Gesichtern waren mit Sicherheit erfahrene Ganoven, die auf Kathy Porter und
Mike Rander zugingen, ohne sich jedoch für sie zu interessieren. »Irgendwer will euch sprechen«, sagte der Mann, der vor Mike Rander stehen blieb. Er ließ seine linke Hand in der Tasche des leichten Mantels. »Ich würde ohne weiteres mitkommen, wenn hier nicht Blut fließen soll.« »Was ... Was soll das heißen?« fragte Mike Rander unsicher. Gerade jetzt sah er wie ein sehr gut erzogener Mann aus, der mit solch einer Realität noch nie etwas zu tun hatte. »Los, zurück in den Wagen und ans Steuer«, sagte der Mann und beulte die Manteltasche aus. »In meiner Hand liegt eine Kanone, und die Mündung ist genau auf deinen Bauch gerichtet!« Kathy Porter hatte sich von diesem Ausflug bereits überzeugen lassen und ging mit ihrem Begleiter zu dem Wagen. Sie nahm mit ihm hinten im Fond Platz. »Ach, jetzt verstehe ich!« Mike Rander lächelte verlegen. »Das ist wegen dieses Dare, nicht wahr?« »Möglich«, sagte der Ganove. »Nun machen Sie schon endlich, Playboy, sonst trete ich auf die Zehen!« Mike Rander zog ein leicht angewidertes Gesicht, als schätze er diese Tonart überhaupt nicht, doch gleichzeitig sorgte er auch dafür, daß von seinem Gesicht eine gewisse Angst abzulesen war. Gehorsam ging er zum Wagen zurück, setzte sich ans Steuer und wartete, bis der Mann neben ihm Platz genommen hatte »Wir fahren rüber nach Paddington«, sagte der Mann neben ihm. »Ich sage dir rechtzeitig
Bescheid, Playboy, wo es genau langgeht.« Mike Rander war mit der Entwicklung der Dinge insgeheim mehr als zufrieden. Der V-Mann Lefty Dare hatte umgehend reagiert und Lew Graters verständigt. Dieser Gangsterboß hatte ebenfalls blitzschnell reagiert und seine Leute in Bewegung gesetzt. Zwischen Lew Graters und diesem Marty Jefferson mußte demnach noch eine enge Verbindung bestehen. Mike Rander bat um die Erlaubnis, sich eine Zigarette anzünden zu dürfen. Der Mann neben ihm war einverstanden, warnte ihn aber, Dummheiten zu begehen. Rander rauchte sichtlich nervös, paffte geradezu und ließ sich von dem Mann auf dem Beifahrersitz dirigieren. Nach einer halben Stunde hatten sie Paddington Station passiert und näherten sich dem Paddington General Hospital. In der Nähe des Hospitals fuhren sie dann durch einen Torbogen auf den Innenhof eines großen Hauses, in dem die Geschäftsräume der Firma Lew Graters untergebracht waren. »Da drüben rein in den Schuppen«, kommandierte der Mann neben dem Anwalt. »Du machst dich, Junge, aus dir kann vielleicht noch was werden, falls du dazu Zeit hast.« Mike Rander fuhr in eine ehemalige Fabrikhalle, in der jetzt Obst- und Gemüsekisten in allen Größen gelagert waren. Er mußte vor einer Eisentreppe halten, die hinauf zu einer Galerie führte, von der einige Glasboxen abzweigten, die wohl als Büros dienten. Der Mann oben an der Treppe konnte nur Lew Graters sein. Er war gerade noch mittelgroß zu nennen, fett,
und hatte ein schwammiges Gesicht. Er trug einen teuren Anzug und rauchte eine nicht weniger billige Importe. »Schön, Sie zu sehen«, begrüßte er Kathy Porter und Mike Rander. Er gab sich freundlich. »Ich wußte, daß Sie kommen würden. Ich brenne darauf, etwas von meinem Freund Jefferson zu hören. Kommen Sie, leisten wir uns einen Drink!« »Wer äh, wer sind Sie?« fragte Rander gespielt irritiert. »Lew Graters«, erwiderte der Fette. »Ich denke, wir werden uns glänzend verstehen.« Er drehte sich um und ging in die große Box, deren Scheiben aus Milchglas bestanden. Kathy Porter und Mike Rander folgten. Die beiden Ganoven schlossen sich an. Sie kamen allerdings nicht weit. Mike Rander hatte keine Lust, weiter von ihnen unter Kontrolle gehalten zu werden. Bevor die beiden Ganoven überhaupt wußten, was da eigentlich mit ihnen geschah, traten sie bereits zwei Flugreisen mit verschiedenen Zielorten an. Der erste Ganove, getroffen von einem Hieb mit Randers Unterarm, kippte über das Eisengeländer, breitete beide Arme aus und rauschte nach unten in Richtung Obstkisten. Er landete in einer Partie Tomaten, die auseinanderspritzten. Die leichten Kisten krachten und begruben den unfreiwilligen Ikarus unter ihren Trümmern. Der zweite Ganove war von einem Fußtritt des Anwalts ausgehebelt worden. Er entschied sich für eine längere Flugbahn, überschlug sich in der Luft und übersegelte den Mann unter den
zertrümmerten Kisten und zerplatzten Tomaten. Er flog in eine Partie Aprikosen, die ein wenig überreif waren. Sein Gesäß - in diesem sich blitzschnell bildenden Kompott rührte sich vorerst nicht weiter. Lew Graters reagierte mit erstaunlicher Spätzündung. Als er dann mitbekam, was sich hinter ihm abgespielt hatte, wollte er sich mit Kathy Porter befassen. Er hätte es besser nicht versucht. Sie sorgte dafür, daß er sich sein rechtes Handgelenk ausgiebig verstauchte. Dann massierte sie seinen Nacken mit ihrer Handkante und stellte ihm dazu noch ein Bein. Der Gangsterboß keuchte, torkelte zurück, prallte gegen seinen Schreibtisch und setzte sich dann wenig stilvoll in den erfreulicherweise recht großen Papierkorb. Wie ein Held sah er darin gerade nicht aus. Er stierte Kathy Porter an, schluckte und konzentrierte sich dann auf Mike Rander, der eine völlig reguläre Kneifzange in seiner rechten Hand hielt. Er hatte sie draußen auf der Galerie auf einer Kiste gefunden. »Sie wollten Miß Porter und mir Drinks spendieren«, erinnerte Mike Rander, und sein Ton klang beiläufigblasiert. »Machen Sie sich wegen Ihrer beiden Angestellten keine Sorge, sie sind gut runtergekommen!« »Mann, ich ... Das wird ... Dafür bekommen Sie...« »Nur nicht aufregen, Graters«, schlug Mike Rander vor und sah sich die Kneifzange sehr interessiert an. »Trinken wir einen Schluck und unterhalten wir uns über Marty Jefferson, einverstanden? Ach richtig,
Ihre Leute werden doch hoffentlich nicht versuchen, das Büro hier zu stürmen, wie? Sie, Graters, müßten sich sonst Sorgen wegen Ihrer Gesundheit machen. Mit solch einer Kneifzange läßt sich bei einiger Phantasie eine Menge anfangen, aber das brauche ich Ihnen ja wohl nicht erst genauer zu erklären, oder?« Nein, er brauchte es nicht! * Für die kleine Ausfahrt hatte Josuah Parker einen anderen Leihwagen gemietet. Auf Myladys Wunsch hin hatte er einen Landrover eingetauscht, der trotz einiger Beulen und Roststellen einen soliden Eindruck machte. »Wann werden wir diese Gimpel abschütteln?« fragte Agatha Simpson bereits nach einer Viertelstunde. Sie hatte sich mehrfach sehr ungeniert umgedreht und den Zivilwagen in Augenschein genommen, der ihnen beharrlich , folgte. In diesem dunklen Jaguar saßen zwei Männer, die eindeutig Mitglieder der Polizeibehörde waren. Für so etwas hatte die Detektivin einen ausgeprägten Blick. »Die verfolgenden Herren werden in jedem Fall schneller sein, Mylady«, erwiderte Parker. »Auch im Gelände?« fragte sie grimmig. »Im sogenannten Gelände werden die Vorteile eindeutig auf Seiten Myladys liegen«, sagte Parker, »aber darf ich vorschlagen, noch ein wenig weiter in Richtung Brighton zu fahren? Mr. McWarden wird dann wohl glauben, daß Mylady dort fahnden und ermitteln.«
»Schrecklich, dieser McWarden.« Sie schüttelte den Kopf. »Ein sehr unselbständiger Mensch, finden Sie nicht auch?« »Wenn es gestattet ist, Mylady, möchte ich annehmen, daß er sich bereits mit Mr. Lynn beschäftigt.« »Wie soll er an diesen Namen gekommen sein?« »Mr. McWarden weiß Verhöre zu führen, Mylady. Barry Shipton dürfte seine wenigen Karten bereits auf den Tisch gelegt haben. Auch Billy Allington hat meiner bescheidenen Ansicht nach bereits gewisse Aussagen gemacht. Ihm wird es darauf ankommen, Mr. McWarden deutlich zu machen, daß er seinen Partner Jack Ludlow auf keinen Fall umgebracht hat.« »Sie meinen diesen Burschen, den wir erschossen auf der Türschwelle des Spukhauses gefunden haben?« »Eben diesen, Mylady. Der ChiefSuperintendent wird diesen Mord als Hebel für seine diversen Verhöre verwenden und entsprechende Aussagen bekommen.« »Ob er inzwischen auch nach diesem Jefferson sucht?« »Mit letzter Sicherheit, Mylady! Mr. McWarden wird jetzt sehr viel zu tun haben.« »Und dann schließlich Lunte riechen und zum Haus Sir Hirams kommen, Mr. Parker. Hoffentlich war es richtig, McWarden all diese Subjekte freiwillig auszuliefern.« »Mylady haben meiner bescheidenen Ansicht durchaus richtig gehandelt und entschieden«, beruhigte der Butler seine Herrin. »Die Menge der von Mylady festgesetzten Bandenmitglieder hätte sich störend
auf Myladys Aktivitäten ausgewirkt. Weder Mr. Lynn noch Mr. Jefferson werden Mr. McWarden gegenüber letztendlich Farbe bekennen. Sie werden sich beharrlich darüber ausschweigen, was ihre Leute in Sir Hirams Haus suchten und noch zu suchen gedenken.« »Eben.« Sie tat so, als seien es ihre Gedanken, die Parker da ausgesprochen hatte. »Wenn man nur wüßte, wonach diese beiden Subjekte suchen, Mr. Parker. Habe ich in dieser Richtung schon meine Theorie gebildet?« »Durchaus, Mylady«, erklärte Parker und verzog selbstverständlich wieder mal keine Miene. »Mylady gehen davon aus, daß es sich um Gegenstände von höchstem Wert handeln muß, um Waren, um mal ganz allgemein zu sprechen, die wenig Raum in Anspruch nehmen.« »Und die in Sir Hirams verrücktem Bau versteckt wurden!« »Sehr wohl, Mylady. Man könnte an Drogen denken, an hochwertigen Schmuck, an Bargeld oder an Beweisstücken, die entweder Mr. Lynn oder Mr. Jefferson im Sinn eines gerichtlichen Verfahrens sehr peinlich sein könnten.« »Natürlich, Mr. Parker, was denn sonst?« Sie hüstelte. »So, und jetzt möchte ich, daß Sie McWardens Leute endlich abhängen. Ich bin es satt, weiterhin beobachtet zu werden.« Butler Parker war inzwischen einverstanden. Sie hatten sich Worthing genähert, und von hier aus boten sich einige hübsche Möglichkeiten an, hinauf in die Downs zu fahren. Er bog in eine
Straße ab, die nach Norden in Richtung Findon und Horsham führte. Der dunkle Jaguar folgte unmittelbar und prompt. Die beiden Insassen bemühten sich noch nicht mal darum, möglichst unentdeckt zu bleiben. Sie hatten von Chief-Superintendent McWarden wohl die Order erhalten, sogar auf sich aufmerksam zu machen. Damit wollte McWarden wahrscheinlich erreichen, daß Lady Agatha und ihr Butler auf jede Aktivität verzichteten, was die Aufklärung des Falles anbetraf. Schon bald gerieten die beiden Verfolger in gewisse Schwierigkeiten. Butler Parker hatte den geländegängigen Landrover auf einen schmalen Feldweg gesteuert, der sich durch erstaunlich tiefe Schlaglöcher und bösartige Spurrinnen auszeichnete. Der Jaguar, dessen Bodenfreiheit mehr als beschränkt war, fiel von Minute zu Minute immer weiter zurück. Er mußte vorsichtig durch diese natürlichen Hindernisse rollen oder sie sogar umständlich umfahren. »Sehr nett«, freute Lady Simpson sich. »Aber hoffentlich haben Sie daran gedacht, daß der Jaguar über Funk verfügt. Die beiden Burschen werden McWarden natürlich längst verständigt haben.« »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady«, antwortete Josuah Parker, »darum möchte ich vorschlagen, später diesen Wagen zu verlassen.« »Wollen Sie mir etwa einen unnötigen Fußmarsch zumuten?« fragte sie grollend. »Man könnte den Rover eintauschen, Mylady.« »Und wo, wenn ich fragen darf?« Hohn lag in ihrer Stimme. »Hier im
Gelände warten nur einige Autofahrer darauf, daß wir in ihre Wagen umsteigen, wie?« »Mylady haben mit Sicherheit bereits die Hinweisschilder auf ein Camp gesehen.« »Selbstverständlich.« Sie hatte überhaupt nichts gesehen, aber das hätte sie nie zugegeben. »Dort hinter der Hügelkette, Mylady, müßte sich ein Campingplatz befinden.« »Dann etwas schneller, Mr. Parker. Hängen Sie diese Bluthunde endgültig ab.« Parker gab Vollgas. Es zeigte sich wieder mal, daß er ein exzellenter Fahrer war, der in jedem Moto-Cross-Lauf echte Siegeschancen hatte. Agatha Simpson stemmte sich mit ihren Füßen gegen das Bodenbrett und klammerte sich mit ihren Händen an den diversen Haltegriffen fest. Der Rover jagte durch den Feldweg, hüpfte wie eine Heuschrecke über Bodenerhebungen und ließ den Jaguar rettungslos weit hinter sich. Als Parker die Hügelkette erreicht hatte und hier kurz anhielt, saß der Hut auf Myladys Kopf mehr als schief. Sie war ein wenig bleich geworden, hatte die Lippen fest aufeinander gepreßt und hatte echte Mühe, ihre Hände von den Haltegriffen zu lösen. »Darf ich höflichst fragen, ob Mylady zufrieden war?« erkundigte Parker sich würdevoll. »Aus Gründen der Sicherheit habe ich möglicherweise nicht alles aus dem Wagen herausgeholt, was normalerweise in ihm steckt.« »Ich weiß, daß Sie mich umbringen wollten«, sagte sie nach einer Weile und bemühte sich um Ironie. »Wenn
Sie noch etwas üben, werden Sie eines Tages vielleicht mal ein recht guter Geländefahrer werden, Mr. Parker!« * Mylady hielt sich tapfer. Sie saß auf einem Fahrrad und strampelte sich ab. Sie folgte Parker, der ebenfalls auf solch einem Zweirad saß und die Richtung angab. Man hatte den Rover auf dem Campingplatz zurückgelassen und sich die beiden Fahrräder völlig regulär beim Platzverwalter ausgeliehen. Das skurrile Zweigespann benutzte jetzt nur noch Wanderwege und schmale Spuren. Parker, der steif und würdevoll auf dem Sattel saß, fuhr zurück zur Küste und tat damit wahrscheinlich genau das, womit ein gewisser Chief-Superintendent McWarden gewiß nicht rechnete. Mit einem Aufspüren war hier nicht mehr zu rechnen. Es gab immer wieder kleine Waldstücke und Wege, die von hohen Sträuchern und Büschen gesäumt wurden. Für einen Wagen war es völlig ausgeschlossen, hier nach den beiden Amateurdetektiven zu suchen. »Gütiger Himmel, mein Kreislauf«, grollte die ältere Dame, als man wieder ein kleines Waldstück erreicht hatte. »Ich weiß jetzt sicher, Mr. Parker, daß Sie mich umbringen wollen.« »Darf ich Mylady, eine kleine Erfrischung anbieten?« Parker hielt und stieg vom Fahrrad. Er griff in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und holte die altbewährte Taschenflasche hervor. Nach dem ersten Kognak wirkte die ältere Dame bereits wesentlich frischer.
»Damit wir uns nicht mißverstehen, Mr. Parker«, schickte sie voraus, »ich habe nicht die Absicht, für die Tour de France zu trainieren. Wie weit ist es noch?« »Nur noch etwa zwei Kilometer bis Arundel, Mylady«, antwortete der Butler. »Danach ist es dann nicht mehr weit bis zum Haus des Sir Hiram.« »Dort werden McWardens Leute bereits auf uns warten. Ich will Ihnen mal etwas sagen, Mr. Parker: Ihr sogenannter genialer Plan ist eine Seifenblase.« »Nur dann, Mylady, falls man sich noch mal mit dem Haus der schwarzen Magie befassen würde.« »Ich werde mich nicht mit diesem verrückten Bau befassen?« Sie war verständlicherweise überrascht. »Nur sehr indirekt, Mylady«, redete Parker weiter. »Meiner bescheidenen Schätzung nach dürfte Sir Hiram längst nicht mehr in seinem Haus sein.« »Aha, und woher wollen wir das wissen?« »Bestimmte Beobachtungen zwingen zu dem Schluß, daß Sir Hiram wahrscheinlich ein Versteck in der Nähe des kleinen Sees bezogen hat. Dieses Versteck gilt es zu finden.« »Und das erfahre ich erst jetzt?« Sie sah ihn gereizt an. »Geben Sie doch endlich zu, daß Sie mich absichtlich durch dieses Gelände zerren! Aber ich sage Ihnen gleich, in meinem Testament ist kein noch so kleines Legat für Sie ausgesetzt worden. Es lohnt sich für Sie also nicht, mich umzubringen!« »Darf ich mir erlauben, Mylady noch eine weitere Erfrischung zu
reichen?« Parker ging auf das Legat nicht ein. »Natürlich dürfen Sie!« Sie sah das Fahrrad fast haßerfüllt an. »In Arundel könnte man einen Bus bis nach Midhurst nehmen. Zudem führt der Weg jetzt nur noch bergab, Mylady werden sich also nicht weiter zu strapazieren brauchen.« Sie nahm noch einen dritten Kreislaufbeschleuniger zu sich, setzte sich dann wieder auf das verhaßte Fahrrad und visierte die abfallende Wegstrecke an. Dann strampelte sie nicht weiter, sondern überließ alles ihrer Körperfülle, die das Rad in einen außerordentlichen Schwung versetzte. Sie überholte den Butler, der höflich, aber warnend rief, hin und wieder nicht auf die Bremse zu verzichten. Sie verzichtete darauf. Einmal in Schwung gekommen, genoß die ältere Dame diese inzwischen rasante Abfahrt und verwandelte sich in einen Leistungssportler. Sie fegte um zwei Kehren, entging nur mit knapper Mühe und Not einem Baum und dann einem Steinwall, wurde noch schneller und entschwand Parkers besorgten Blicken. Als Parker wieder freie Sicht hatte, war von Lady Simpson weit und breit nichts zu sehen. Sie schien sich bereits hinter den langgestreckten Hühnerställen zu befinden, die zu einer Eierfarm gehörten. Dann aber wurde Parkers Aufmerksamkeit geweckt. Er hörte das panikartige Gackern von Hühnern, sah das Hochstieben von Federn und entdeckte Lady Simpson anschließend in einem Zaun aus Maschendraht. Sie war ein wenig aus dem Kurs gekommen und in diesem Zaun gelandet. Sie hatte einige Pfosten
umgerissen und sich im Maschendraht verwickelt. Sie war gerade dabei, sich mit wütenden Armbewegungen aus dieser Umschlingung zu befreien. »Ist es erlaubt, sich nach Myladys wertem Befinden zu erkundigen?« fragte Parker, nachdem er abgestiegen war und sich seiner Herrin genähert hatte. »Darf ich darüber hinaus Mylady meine bescheidene Hilfe anbieten?« »Ich werde Sie wegen Mordversuch verklagen«, grollte sie wütend. »Aber sorgen Sie erst mal dafür, daß dieses dumme Huhn aus meinem Nacken verschwindet!« Erst jetzt entdeckte Josuah Parker das erwähnte Huhn. Es hatte sich im Kragen von Myladys Tweedjacke verfangen, gackerte und pickte im Haar der älteren Dame. Was sie als störend empfand! * Lew Graters, der Obst- und Gemüsehändler, schwitzte. Er saß in einem der Besuchersessel seines Büros und kam sich hilflos vor. Mit dieser Umkehrung der Situation hatte er wirklich nicht gerechnet. Da befand er sich auf seinem ureigensten Terrain, war umgeben von seinen besten Mitarbeitern, aber er hatte keine Möglichkeit, sie einzusetzen. Er starrte auf die Kneifzange in Mike Randers Hand, die der Anwalt sehr betont auf- und zuklappte. »Sie kommen hier nicht ungeschoren wieder raus«, sagte Lew Graters und versuchte energisch zu wirken. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie können abziehen, und
ich werde dafür sorgen, daß man Sie in Ruhe läßt.« »Machen Sie einen besseren Vorschlag«, sagte Mike Rander und lächelte ironisch. »Ihnen fällt bestimmt noch was ein!« »Was halten Sie davon, uns nach Brighton zu begleiten?« schaltete Kathy Porter sich ein. »Es kann natürlich auch Chichester sein. Vielleicht möchten Sie Ihren früheren Mitarbeiter Jefferson mal wiedersehen.« »Jefferson? Marty Jefferson?« Lew Graters zuckte die Achseln. »Mit dem habe ich nichts mehr zu tun.« »Wir sind da anderer Meinung.« Mike Rander stand an der spaltbreit geöffneten Tür und konnte von hier aus die Galerie und die Eisentreppe unter Sichtkontrolle halten. »Natürlich arbeiten Sie noch zusammen. Und es geht da um ganz hübsche Beträge.« »Jefferson und ich haben uns ein für allemal getrennt.« »Natürlich, für die Behörden. Tarnung ist alles.« Rander wandte sich um und lächelte Graters zu. »Warum haben Sie denn diese beiden Killer Jack Ludlow und Billy Allington nach Chichester geschickt?« »Wen soll ich geschickt haben?« »Ludlow und Allington.« Mike Rander gähnte gelangweilt. »Spielen Sie uns doch kein Theater vor, Graters! Ludlow ist zwar erschossen worden, aber Allington war sehr mitteilsam.« »Die habe ich niemals engagiert.« Lew Graters schwitzte weiter. »Natürlich nicht direkt, sondern wahrscheinlich über einen Mittelsmann«, entgegnete Mike Rander. »Aber die beiden Killer wußten sehr wohl, wer sie in Wirklichkeit bezahlte.
Wonach sollten sie eigentlich in Sir Hirams Spukhaus suchen? Nach Rauschgift? Nach Bargeld? Oder geht es hier um eine fette Beute, auf die auch Lynn scharf ist?« »Wer ist Lynn?« Graters tat ahnungslos. »Natürlich, den kennen Sie ja auch nicht.« Mike Rander ließ die Kneifzange klappern. »Auch er ist hinter Sir Hiram her, wie Ihr Jefferson. Um Kleinigkeiten kann es sich also nicht handeln.« »Ich kenne nur Jefferson, die anderen aber nicht«, behauptete Lew Graters. »Und ich werde Sie wegen Nötigung und Erpressung anzeigen, darauf können Sie Gift nehmen.« »Dann aber auch wegen Körperverletzung«, schlug Mike Rander vor. »Graters, ich fürchte, ich werde mit der Zange mal zubeißen müssen. Nein, nein, natürlich nicht hier. Wir werden jetzt gemeinsam runter zum Wagen gehen und eine kleine Spazierfahrt machen. Erst waren Miß Porter und ich dran, jetzt sind Sie an der Reihe.« »Sie ... Sie kommen hier nie raus!« »Wetten daß, Graters?« Mike Rander nickte Kathy Porter zu, die aus der Schreibtischlade des Obst- und Gemüsehändlers eine schwere Automatik hervorgeholt hatte. »Wem wird man wohl glauben, Graters, wenn hier geschossen wird? Ihnen oder Miß Porter und mir? Mann, kalkulieren Sie das doch mal durch! Mit Ihrem Ruf und mit Ihrem Vorstrafenregister werden Sie immer der Verehrer sein!« »Sie ... Sie wollen mich entführen?« »Wir werden nach Chichester zu diesem Marty Jefferson fahren«, antwortete Mike Rander. Und dann statten wir auch noch diesem Lynn
einen Höflichkeitsbesuch ab. Das erledigen wir alles ganz diskret. Und dann werden wir gemeinsam nach dem suchen, was sich in Sir Hirams verrücktem Bau befindet. Sie sehen, so kompliziert ist das alles gar nicht. Und während der Fahrt erzählen Sie uns etwas über die Ware, die Sie und Lynn vermissen, klar?« »Sie kommen hier nicht raus«, wiederholte Graters noch mal. »Meine Leute werden Sie nie durchlassen.« »Zusammen mit Ihnen schon, Graters«, versicherte Mike Rander dem Gangsterboß. »Ich weiß, daß Sie für Ihre Leute ein paar passende Worte finden werden. Mann, Sie wollen doch nicht zufällig von einem Ihrer Mitarbeiter angeschossen werden, wie? Sie sind nicht der Typ, der Schmerzen erträgt!« * Es war dunkel geworden. Agatha Simpson hatte ihre Fülle in einen leichten, zusammenklappbaren Campingsessel gezwängt und knabberte an einem kalten Hähnchen. Dazu trank sie einen leichten Rotwein, den Parker ebenfalls besorgt hatte. Nach dem Zwischenfall an der Eierfarm hatte man den Linienbus in Richtung Midhurst benutzt, Parker war jedoch vorher noch ein wenig aktiv gewesen und hatte für einige Mundvorräte und Bequemlichkeiten gesorgt. Er wollte seine Herrin nicht restlos verstimmen. Im Augenblick fühlte Lady Agatha sich recht zufrieden. Sie rechnete mit erfreulichen Zwischenfähen, zumal Parker ihr von seiner Beobachtung hinsichtlich eines weiteren Grafen
Dracula berichtet hatte. Von ihrem Platz aus konnte die Detektivin den Schilfsaum, den kleinen Tempel und den Pavillon am anderen Teichufer gut überblicken. Die Lichtverhältnisse hätten nicht besser sein können. Der Mond lieferte soviel Helligkeit, daß man selbst Einzelheiten im Schuf und drüben am Pavillon erkennen konnte. Wolken am Himmel waren vorerst nicht auszumachen. Parker kehrte zurück zu Lady Simpson, die natürlich zusammenzuckte, als der Butler so gut wie geräuschlos neben ihr erschien. »Können Sie sich nicht wenigstens leise räuspern?« grollte sie verhalten. »Weiß der Himmel, wie viele Graf Draculas hier noch in der Gegend herumschleichen. Ich möchte nicht angezapft werden.« »Das Spukhaus wird tatsächlich observiert, Mylady«, berichtete der Butler leise. »McWarden scheint zwei Gruppen dafür abgestellt zu haben. Zwei Männer sitzen in einem Streifenwagen, der vor dem Haus hinter einem Gebüsch abgestellt ist, zwei weitere Männer befinden sich draußen im Gelände und dürften Rundgänge um das Haus vornehmen.« »Mir macht es überhaupt nichts aus, Mr. Parker, wenn wir die vier Männer ablenken«, umschrieb die ältere Dame vornehm. Sie meinte in Wirklichkeit etwas anderes, nämlich das Ausschalten der vier Beamten. Nicht umsonst griff sie automatisch nach ihrem perlenbestickten Pompadour. »Vielleicht könnte man dies zu einem späteren Zeitpunkt in Angriff nehmen«, entgegnete Parker leise. »Im Augenblick dürften die vier Behördenvertreter einen recht
nützlichen Effekt darstellen: Sie werden etwa auftauchende Gangster zur Vorsicht zwingen oder gar abschrecken.« »Genau das, was ich sagen wollte.« Die Detektivin nickte hoheitsvoll.« Und wann geschieht hier endlich etwas, Mr. Rander? Ich hoffe, Sie haben da drüben am Teich ... Moment mal, da hat sich doch etwas gerührt!« »Das Schilf, Mylady.« Parker war ebenfalls aufmerksam geworden. »Gütiger Gott!« Lady Simpson stand unwillkürlich auf, um besser sehen zu können. Leider löste sich dabei der Klappsessel nicht von ihrer rückwärtigen Körperfülle. Parker zerrte ihn diskret von den Hüften der Lady, die das jedoch nicht mitbekam, sondern sich auf Graf Dracula konzentrierte, der aus dem Schilf schwebte. Im Mondlicht war das kalkweiße Gesicht mit den langen und spitzen Reißzähnen ungewöhnlich gut zu sehen. Graf Dracula trug einen weiten, schwarzen Umhang, sein Schädel war fast kahl. »Ist das etwa Sir Hiram?« wisperte die ältere Dame. »Nicht unbedingt, Mylady«, erwiderte Parker, »es scheint sich um einen elektronisch gesteuerten Vampir zu handeln. Er wird wohl gleich wieder im Schilf verschwinden.« »Wozu dieses Theater?« Der Pompadour an ihrem Handgelenk pendelte ausgiebig und intensiv. »Es dürfte sich um eine Art Horchposten Sir Hirams handeln«, antwortete Butler Parker. »Wie Mylady bereits andeuteten, dürfte Sir Hiram sich in einem Versteck befinden, das entweder unter dem
kleinen Tempel oder dem Pavillon angelegt worden ist.« »Wie bitte, habe ich das gesa... Äh, ja, natürlich! Wo sonst!?« Sie nickte hastig. »Sehen Sie doch, dieser Dracula entschwebt wieder. Ich möchte ihm am liebsten meinen >Glücksbringer< an den Kopf werfen!« Graf Dracula verschwand bereits wieder im hohen Schilfsaum des Teiches und wurde somit unerreichbar für Agatha Simpson. Josuah Parker beobachtete den Pavillon jenseits des kleinen Waldteiches und konzentrierte sich dann auf den Tempel auf der Anhöhe, die sich hart am Schilfsaum befand. Dann wurde er allerdings abgelenkt. Schüsse waren zu hören, Schreie, dann scharfe Kommandos. Lichter flammten vor dem Spukhaus auf, dann wieder Schüsse und das Aufheulen einiger Automotoren ... »Endlich tut sich was«, stellte die ältere Dame messerscharf fest. »Das kann noch eine recht hübsche Nacht werden.« * Es war sehr ruhig geworden. Agatha Simpson hatte wieder in dem Klappsessel Platz genommen und schaute Parker an, der nun unter kurzem Räuspern ins Versteck zurückkehrte. »Hoffentlich bringen Sie gute Nachrichten?« »Die Vertreter der Polizei haben das Haus quasi entblößt«, sagte der Butler. »Sie verfolgen im Moment die Ruhestörer, die meiner bescheidenen
Ansicht nach nicht ohne Grund auf der Bildfläche erschienen sein können.« »Ein Ablenkungsmanöver?« »Dies sollte man allerdings nicht ausschließen, Mylady.« »Und was gedenke ich jetzt zu tun, Mr. Parker?« »Mylady werden jetzt wohl den kleinen Tempel dort auf der Anhöhe untersuchen wollen.« »Genau das habe ich vor. Ich werde langsam ungeduldig.« Sie erhob sich wieder, und Josuah Parker zerrte erneut diskret das Sitzmöbel von ihren Hüften. Sie vergewisserte sich vom richtigen Sitz des Pompadour" und marschierte dann durch das dichte Unterholz. Dabei verursachte sie einen erstaunlich hohen Geräuschpegel. Einige Dickhäuter aus der Familie der Nashörner oder Elefanten schienen sich durch die dichten Sträucher ihre Bahn zu brechen. Parker folgte und war wachsam. Natürlich war die Schießerei, die sie eben gehört hatten, nur als eine Art Ablenkungsmanöver gewesen. Entweder Lynn oder Jefferson hatten einige ihrer Leute losgeschickt, um die Polizei zu beschäftigen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis im Haus der schwarzen Magie erneut Lichtschein aufflammen würde. Lady Simpson hatte inzwischen den kleinen Tempel erreicht. Es handelte sich um den Nachbau jener kleinen griechischen Tempel, wie man sie in den Gartenanlagenhochherrschaftlicher Häuser noch immer antreffen kann. Schlanke Säulen trugen ein schwach gekuppeltes Dach. Unter diesem Dach gab es einige Sitzbänke aus Marmor und einen runden Tisch.
Genau für diesen Tisch interessierte sich Parker. Er stand solide auf dem Steinboden und mußte tonnenschwer sein. Agatha Simpson klopfte derweil mit ihrem Pompadour die einzelnen Säulen ab. Sie ging davon aus, daß eine Säule hohl war und den Zugang zum Versteck Sir Hirams kaschierte. »Darf ich mich erkühnen, Mylady auf diesen Riß im Gestein hinzuweisen?« fragte Parker schließlich erstaunlich laut und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf den breiten Fuß des Steintisches. »Sie haben den Zugang entdeckt?« fragte sie nicht weniger laut zurück. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Parker beugte sich noch weiter vor, wobei die Spitze seines Regenschirms nach hinten wies. Er drückte auf den versteckt angebrachten Auslöseknopf und schickte einen seiner bunt gefiederten Blasrohrpfeile auf die Reise. Ein Aufschrei! »Was war das?« fragte Lady Simpson und richtete sich steil auf. »Ein Schrei, Mylady«, antwortete Parker und wandte sich um. Er sah eine Gestalt in der Nähe des Schilfsaums, die ein wenig tanzte und sich ziemlich unkoordiniert bewegte. »Was soll denn das!?« Lady Simpsons Stimme klang gereizt, als Parker die ältere Dame geschickt dazu brachte, hinter dem schweren Steintisch in Deckung zu gehen. Er hatte ihr einfach ein Bein gestellt, was an sich nicht gerade als vornehm zu bezeichnen war. Bevor Parker dazu eine Erklärung abgeben konnte, ratterte eine leicht schallgedämpfte Maschinenpistole los, deren
Geschosse die Säulen des Tempels annagten und als Abpraller von dem schweren Steintisch in die Nacht sirrten. Parker hatte den Schützen bereits ausgemacht und wechselte die Munition. Er richtete die Spitze seines Regenschirms auf eine zweite Gestalt, die sich vom Spukhaus her näherte. Der Butler löste den zweiten Schuß und hörte einen erstickten Aufschrei. Damit wußte er, daß die Miniaturschrotladung voll getroffen hatte. Dies zeigte sich auch daran, daß aus der Maschinenpistole nicht mehr gefeuert wurde. * »Nun stellen Sie sich gefälligst nicht so an«, herrschte die ältere Dame den vollschlanken Fünfziger an, der immer wieder auf seine Hände starrte, die eben noch eine Maschinenpistole umfaßt hatten. In diesen Händen und Unterarmen befanden sich jetzt die winzig kleinen Schrotkügelchen. »Ich ... Ich brauche einen Notarzt«, jammerte der Getroffene. »Sie sind Jefferson oder Lynn?« wollte die Detektivin wissen. »Lynn«, stöhnte er, »ich verblute.« »Später vielleicht, aber nicht jetzt«, entschied Lady Agatha grollend. »Sie suchen nach Sir Hiram, nicht wahr?« »Ich ... Ich sage überhaupt nichts.« »Dann werde ich Sie Ihrem Schicksal überlassen«, entschied Lady Simpson, um mit ihrem Pompadour dann leicht zuzulangen. Lynn hatte nämlich gerade versucht, wegzulaufen. Er fiel gegen eine Säule und rutschte an ihr hinunter auf den Steinboden. Er
stöhnte leicht, seufzte und wurde besinnungslos. »Darf ich Mylady Mr. Jefferson überreichen?« Parker erschien im kleinen Tempel und legte einen zweiten Mann ab, in dessen linkem Oberarm ein Blas-rohrpfeil steckte. Der Mann war bereits bewußtlos. »Ein sehr unsympathisch aussehendes Subjekt«, urteilte die ältere Dame und warf einen Blick auf den Mann, der etwa vierzig Jahre alt und schlank war. Er trug über seinem normalen Anzug einen Regenmantel. »Wenn Mylady gestatten, möchte ich die Herren erst mal ein wenig sichern.« Parker holte eine seiner privaten Handschellen hervor und verband damit, Lynn und Jefferson. Die beiden Konkurrenten waren nun untrennbar miteinander verschweißt. »Bleibt noch Sir Hiram«, sagte die ältere Dame. »Aber sagen Sie, Mr. Parker, Sie haben geahnt, daß man mich angreifen würde?« »Darum erlaubte ich mir zusätzlich noch, von der Aufspürung des Verstecks zu sprechen.« Parker nickte. »Damit wollte ich für Mylady die beiden Männer aus ihren Verstecken locken.« »Nun ja, immerhin!« Agatha Simpson nickte. »Und jetzt? Ich will diesen Sir Hiram sehen. Ich will endlich wissen, um was es hier geht, Nun, ich werde Jefferson und Lynn gleich eingehend verhören.« »Man sollte vielleicht das sprichwörtliche Feld räumen, Mylady, bevor die Polizei wieder zurückkehrt.« »Natürlich, was sonst!?« Sie deutete auf das nahe Gestrüpp. »Warten Sie, ich werde diesen Lynn gleich wieder zu sich bringen.«
Nach zwei Ohrfeigen kam Lynn wieder zu sich. Er stierte die ältere Dame an und stöhnte. Parker zog Jefferson auf die Beine und stützte den Mann. Dann bugsierte er die beiden Gangsterbosse ins dichte Gesträuch. »Nun zur Sache«, sagte sie zu Lynn, der weiter stöhnte. »Wonach suchen Sie? Rauschgift? Bargeld? Irgendeine Beute von Belang? Reden Sie, guter Mann, sonst werde ich sehr ärgerlich!« »Und wenn Sie mich umbringen, ich weiß von nichts.« Lynn senkte den Kopf. »Wissen Sie, was eine Hutnadel ist, junger Mann?« Sie zog sich eine der überlangen Hutnadeln aus dem Gebilde auf ihrem Kopf und präsentierte Lynn diesen Kleinstspeer. Er schaute sich die Waffe an und schluckte. »Sie werden gleich reden«, versprach Agatha Simpson. »Ich werde wahrscheinlich wieder mal in einen Blutrausch verfallen.« »Nein, Mylady, bitte nicht!« stöhnte Josuah Parker gekonnt und schier verzweifelt auf. »Lassen Sie mich, sonst vergesse ich mich!« Sie näherte sich Lynn und richtete die Spitze der langen Nadel auf das Gesicht des Gangsterbosses, der sich lieber umbringen lassen wollte als zu reden. Mit dieser scheußlichen Hutnadel wollte er allerdings auch nichts zu tun haben. »Nicht, nein nicht«, wimmerte er und schob sich zurück. »Mylady, bitte, ich rede ja schon!« »Schnell«, flüsterte Parker ihm ins Ohr. »Vielleicht sind Mylady gerade noch zu bremsen, um es mal so vulgär zu umschreiben.«
Da genierte Lynn sich nicht länger und redete ... Er redete hastig und ausführlich! * »Ich wußte es doch!« Chief-Superintendent McWarden lächelte sichtlich zufrieden und zeigte sogar ein Lächeln. Er stieg aus dem Streifenwagen und kam auf Lady Simpson und Butler Parker zu. »Die Herren Lynn und Jefferson«, sagte Butler Parker und deutete auf die beiden Männer, die inzwischen beide wieder einigermaßen klar zu reagieren vermochten. »Ich werde Ihnen das Rätsel lösen«, meinte die ältere Dame und deutete auf Lynn. »Dieses Subjekt hat eben ein Geständnis abgelegt.« »Das ich hiermit widerrufe«, rief Lynn dazwischen. »Halten Sie Ihren Mund, Sie Lümmel«, herrschte Lady Agatha den Mann an und wandte sich wieder McWarden zu. »Also, die Sache ist genau so, wie ich sie von Anfang an gesehen habe: Es handelt sich um eine Sendung Rauschgift, die hier an der Küste gelandet wurde und für London bestimmt war. Jefferson ist der Transporter und sollte die Ware wie üblich befördern, doch Lynn schaltete sich ein und jagte Jeffersons Kurier die Beute ab.« »Kein Wort davon ist wahr«, schrie Lynn dazwischen. »Wir reden später noch mal miteinander«, versprach Lady Agatha und langte andeutungsweise nach einer ihrer Hutnadeln auf dem Kopf. Dann widmete sie sich wieder McWarden. »Lynns Kreatur, nämlich
Barry Shipton, erwischte den Kurier hier in der Nähe des Hauses. Warum, das erzähle ich Ihnen später, McWarden. Er versteckte die Ware hier im Haus, denn ein verrückteres Versteck kann man sich ja wohl kaum vorstehen.« »Warum gerade dieses Haus?« wollte der Chief-Superintendent wissen. »Es war der Umschlagplatz für die jeweiligen Sendungen«, schaltete die ältere Dame diese Auskunft dazwischen. »Ob Sir Hiram davon wußte, möchte ich bezweifeln. Aber zurück zu Lynn. Als er die Ware bergen wollte war sie verschwunden. Inzwischen erschienen auch Jeffersons Leute auf der Bildfläche, und zwar in der Gestalt von zwei Londoner Killern. Shipton erschoß einen von ihnen, wie Sie schnell herausfinden werden, McWarden, aber vielleicht ist es auch Lynn selbst gewesen, da möchte ich mich nicht festlegen, nicht wahr, Mr. Parker?« »Myladys Hinweis auf Mr. Lynn als Mordschützen sollte man nicht überhören«, warf der Butler gemessen ein. »Er und seine Mitarbeiter suchten also nach der kurzfristig versteckten Ware, aber auch die Männer um Jefferson blieben nicht untätig, um die Drogen wieder in ihren Besitz zu bringen. Nur aus diesem Grund herrschte hier im Haus zeitweilig ein beachtlicher Personenverkehr.« »Ich weiß überhaupt nichts von Drogen«, protestierte Jefferson. »Damit habe ich nichts zu tun. Das alles muß ja wohl erst mal bewiesen werden. Und überhaupt, wo ist denn die angeblich versteckte Ware? Wo sind
die Drogen? Das alles sind doch nichts als wilde Behauptungen.« »Oder auch nicht!« Mike Rander und Kathy Porter betraten die Halle des Spukhauses, in der dieses Gespräch stattfand. »Hallo, Kindchen«, grüßte Lady Simpson. »Hatten Sie eine schöne Zeit in London?« »Wir haben Ihnen einen Herrn mitgebracht«, sagte Kathy und lächelte den Chief-Superintendent an. »Er heißt Lew Graters und dürfte Ihnen nicht unbekannt sein. Er ist der Empfänger jener Ware, die Jefferson hier übernahm und dann verlor. Ich glaube, er ist ziemlich aussagefreudig.« »Lew Graters?« McWarden schnalzte mit der Zunge und wußte natürlich sofort Bescheid. »Die Katze läßt das Mausen nicht. Er hat also nach wie vor mit Jefferson zusammengearbeitet und sich nur zum Schein von ihm getrennt.« »Das trifft es haargenau«, pflichtete Mike Rander dem Chief-Superintendent bei. »Er sitzt übrigens im Wagen und scheint an einem leichten Schock zu leiden.« »An einem Schock!?« McWarden machte große Augen. »Er meint, ich hätte was gegen ihn und wollte ihn mit einer Kneifzange zwicken. Was gewisse Leute sich so alles einbilden? Es ist nicht zu glauben.« Jefferson ließ den Kopf hängen, Lynn nagte an seiner Unterlippe. Die beiden Gangsterbosse wußten inzwischen, daß ihnen sämtliche Felle davongeschwommen waren. »Bleibt also noch Sir Hiram«, sagte McWarden jetzt. »Wahrscheinlich hat
er die Ware an sich gebracht und irgendwie aus dem Verkehr gezogen. Wenn man nur wüßte, wo er sich befindet?« »Man müßte vielleicht einen Köder auslegen, Sir«, schaltete Parker sich ein. »Sir Hirams Vorliebe für magische und unheimliche Dinge mußte ausgenützt werden. Wenn Sie erlauben, werde ich die Falle samt Köder vorbereiten. Nur so könnte man auch an die verschwundene Ware gelangen.« »Gut, dann zaubern Sie mal wieder«, seufzte McWarden auf. »Mit Logik ist hier doch nichts zu machen, fürchte ich.« »Sie sagen es, Sir!« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. * Kathy Porter hatte sich in eine Blondine verwandelt und lustwandelte wie eine Mondsüchtige über den Rasen. Sie trug ein leichtes Nachtgewand und sah darin sehr anziehend und einladend aus. Sie brauchte nicht lange zu lustwandeln. Als sie zum dritten Mal um das große Blumenbeet herumschritt, näherte sich vom nahen Tempel her Graf Dracula. Diesmal blieb er nicht im Schilf, sondern betrat das Ufer, dann den Rasen und näherte sich seinem blonden Opfer. Graf Dracula wurde von der blonden, jungen Frau magisch angezogen. Sein Appetit schien von Sekunde zu Sekunde zu steigen. Seine spitzen Reißzähne waren im Mondlicht deutlich zu erkennen. Der schwarze Umhang wehte,
denn Graf Dracula hatte es eilig, Blut zu naschen. Er pirschte sich an sein ahnungsloses Opfer heran und fiel es von hinten an. Kathy Porter reagierte kaum darauf, sie ließ sich von Graf Dracula in die Arme nehmen und hielt auch dann noch halb die Augen geschlossen, als die beiden Reißzähne sich ihrem Hals näherten. Butler Parker wollte kein Risiko eingehen. Aus dem Handgelenk heraus schleuderte er seine schwarze Melone in Richtung Vampir. Die Kopfbedeckung kreiselte wie ein Diskus auf Graf Dracula zu und traf ihn seitlich an der Brust, worauf der Vampir zuerst sein Opfer losließ und dann zu schimpfen begann. Mike Rander, der neben dem Butler stand, hielt es noch nicht mal für notwendig, seinen Revolver anzuheben. Die Lage war eigentlich schon geklärt. »Was soll denn das?« fragte Graf Dracula endlich und kam auf Josuah Parker zu, ohne sich weiter um sein Opfer zu kümmern. »Wer hat Ihnen erlaubt, sich hier störend einzuschalten?« »Sie werden sofort die Möglichkeit haben, Sir Hiram, sich wieder als Graf Dracula zu betätigen«, versprach Butler Parker höflich. »Mr. Rander möchte nur wissen, wo die Warensendung sich befindet, die Sie freundlicherweise vor einigen Störenfrieden in Sicherheit brachten.« »Drüben, unter dem Pavillon«, sagte Graf Dracula. »Einige Pakete, die ich in meinem Haus fand. In meinem Haus!« »Sie haben beobachtet, wer diese Pakete dort abstellte, Sir Hiram?«
»Irgendein Mensch.« Graf Dracula zuckte die Achseln. »Ich habe diese Päckchen an mich genommen, ich liebe es nicht, wenn man mein Haus ohne meine Erlaubnis betritt.« »Sie besitzen unter dem Pavillon ein Versteck?« »Versteck? Unsinn! Dort baue ich meine Anlage für Seejungfrauen und Wassergeister aus. Vielleicht werde ich auch noch ein kleines Ungeheuer dazugeben. Was halten Sie davon?« »Denken Sie an eine Riesenkröte, Sir Hiram? So etwas macht sich stets sehr gut.« »Riesenkröte? Nicht schlecht. Ich werde darüber nachdenken. Aber nun lassen Sie mich zurück zu meinem Opfer. Ich möchte nicht länger gestört werden.« Graf Dracula hüpfte hungrig zurück auf den Rasen und suchte nach der blonden Jungfrau, die sich aber inzwischen abgesetzt hatte. Graf Dracula stieß klagende Suchlaute aus und verschwand in der Dunkelheit. »Total meschugge«, sagte Agatha Simpson, die neben Butler Parker und Mike Rander auftauchte. Sie wandte sich an McWarden. »Nicht, daß er eines Tages tatsächlich ein Opfer anfällt.« »Die Nagelprobe«, warf Parker ein und deutete auf die Blondine, die den Weg Graf Draculas kreuzte. Sie hatte sich hinter einem Strauch verborgen gehalten. Graf Dracula stutzte und schwebte dann auf sein Opfer zu. Kathy Porter besaß erstklassige Nerven. Sie ließ sich haschen und einfangen, in die Arme schließen und von den beiden Eckzähnen bedrohen, die wieder gefährlich nahe kamen.
»Warum schreien Sie nicht?« fragte Dracula enttäuscht und ließ sein Opfer auf den Rasen gleiten. »Das alles noch mal, Miß! Vergessen Sie nicht, daß Graf Dracula ihr Blut haben will!« »Wie Sie wünschen, Sir Hiram.« Kathy Porter stand auf. »Zum Teufel, wer sind Sie eigentlich?« fragte Graf Dracula und schien aus einem Traum zu erwachen. »Nein, . nein, so wird das nichts. Ich glaube zudem, daß ich heute nicht in der richtigen Stimmung bin. Ich werde Ihnen Ihr Honorar überweisen.« Graf Dracula nickte ihr zu, warf sich den schwarzen Umhang schwungvoll um die Schultern und ging auf die Haustür zu. »Verrückt«, sagte Lady Simpson. »Er gehört mit Sicherheit unter Aufsicht gestellt.« Graf Dracula hatte ihre Worte gehört, denn Mylady hatte nicht gerade leise gesprochen. Graf Dracula wandte sich um, fixierte die ältere Dame und verwandelte sich zurück in einen Vampir, der es jetzt auf die füllige Lady abgesehen hatte. »Bleiben Sie mir vom Leib, Sir Hiram«, sagte Agatha Simpson drohend. »Ich bin kein geeignetes Opfer für Sie! Bleiben Sie sofort stehen!« »Graf Dracula fletschte die Zähne. Die beiden Reißzähne blinkten im fahlen Mondlicht. Die krallenartigen Hände streckten sich nach ihr aus.
»Wir müssen noch über den Kredit sprechen, Lady Agatha«, sagte Graf Dracula dann sehr nüchtern und lächelte plötzlich. »Das war doch schließlich der Grund für Ihr Kommen, oder? Besser als hier können Sie Ihr Geld nicht anlegen. Das Haus der schwarzen Magie wird eine Sehenswürdigkeit für die ganze Küste werden.« »Nein, Sie sind nicht verrückt«, entschuldigte sich Lady Agatha jetzt und wandte sich ihrem Butler z. »Was meine ich, Mr. Parker? Werde ich einen kleinen Kredit für Sir Hiram abzweigen können?« »In Anbetracht der Situation, Mylady und im Blick auf die Renaissance der Draculas und Vampire wäre das Geld in der Tat gut angelegt.« »Kommen Sie, meine Liebe«, sagte Graf Dracula und deutete auf das skurrile Haus, »wir wollen uns über die Bedingungen wie Tilgung und Zinssatz unterhalten.« »Das ... Das regelt Mr. Parker«, sagte sie hastig. »Wie Mylady meinen.« Parker nickte Graf Dracula zu und ging mit ihm auf das verrückte Haus zu. Er wußte, was ihn dort erwartete: Keine Geister, Vampire und Gespenster, sondern eine harte finanztechnische Verhandlung, in der Graf Dracula mit Sicherheit seine Zähne zeigen würde!
ENDE scan: crazy2001 @ 10/2011 corrected: santos22
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen
Nr. 192
PARKER narrt die »Außerirdischen« Sie hätten aus dem Weltraum stammen können, diese übergroßen Roboter mit den übermenschlichen Kräften. Sie nahmen fast jedes Hindernis und liefen schließlich Amok, als sie in die Hände ausgebuffter Gangster gerieten, die blitzschnell geschaltet hatten. Diese Roboter wurden auf Butler Parker und seine drei »Schützlinge« angesetzt und auf Mord programmiert. Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander gerieten in die Schußlinie dieser Maschinenmenschen, bis Josuah Parker sie mit ausgesuchten Tricks endlich narren und ausschalten konnte. Wie der Butler das schaffte, müssen Sie lesen, wenn Sie i Spannung und Witz mögen. Günter Dönges legt einen neuen Parker-Krimi vor, der die Freunde des skurrilen und einmaligen Butlers sicher begeistern wird. Lassen Sie sich überraschen und fragen Sie sich zusammen mit Lady Agatha, woher diese Roboter wohl stammen könnten!