KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
O T T O ZIERER
DAS FEST DER FESTE...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
O T T O ZIERER
DAS FEST DER FESTE IN ALT-GRIECHENLAND
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG MURNAU
SEBASTIAN
-MÜNCHEN
LUX
- I N N S B R U C K . ÖLTEN
Botschaft aus Olympia
O
lympia ist in altgriechischer Zeit keine Stadt, nicht einmal ein Dorf gewesen — nur ein heiliger Bezirk nahe der unbedeutenden Kleinstadt Elis im Nordwesten der Halbinsel des Peloponnes. Hier soll in grauer Vorzeit der Götterliebling Pelops im Kampf um eine Königsbraut im Wagenrennen gesiegt und zum Gedächtnis jene Spiele gestiftet haben, die seitdem nach Olympia benannt werden. Ihm schreibt die Legende auch die Regeln und die Anordnung der vierjährigen Wiederholung zu. Dann sei Herakles gekommen, der Halbgott, jener Turm des Mutes und der Kraft, in dem sich die Hellenen selber verkörpert sahen. Von ihm erzählt die Sage, daß er den Sporträumen Olympias mit Riesenschritten ihre Maße gegeben habe. Herakles, so heißt es, habe auch die Mauern um den Weihebezirk errichtet, die alles Unheilige fernhalten sollten. Denn hier im Schatten der heiligen Ölbäume werde ein glückliches und kraftvolles Volk den Unsterblichen sein Dankopfer darbringen und kämpfen für das überschäumende, sich ewig erneuernde Leben, für Kraft und Gewandtheit der Glieder, für den strahlenden, jungen Geist, für die Glut des durchsonnten Tages und die grünende Üppigkeit seiner Fluren. Der weise Lykurg, König und Gesetzgeber von Sparta, der im 9. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben soll, schloß dann jenen Vertrug, in dem die Weihestätte für ewige Zeiten in den Schutz der Götter gestellt wurde: „Olympia ist ein heiliger Ort. Wer es wagt, diese Stätte mit bewaffneter Macht zu betreten, wird als Gottesfrevler gebrandmarkt. Ebenso gottlos ist auch jeder, der — wenn es in seiner Macht steht — solche Untat nicht rächt." Seit dem Jahre 776 v. Chr. rechnet die Griechenwelt nach Olympiaden. In den ersten 13 Olympiaden gab es nur den Wettlauf über ein Stadion (192 m), seit der 14. Olympiade trat der Doppellauf hinzu, der über zwei Stadien führte, in der 15. Olympiade begann der Dauerlauf über Entfernungen von 2 bis 24 Stadien. Dann wurde allmählich das Programm auf alle in Alt-Griechenland geübten Arten körperlicher Übung erweitert: um 70S v. Chr. wurde der Fünfkampf eingeführt, der aus Lauf, Weitsprung, Diskuswurf, Speerwurf und Ringkampf bestand, 688 der Faustkampf, 680 das
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Wagenrennen und. 648 das Pferderennen und der Allkampf — ein Freistilkampf. Die 65. Olympiade hatte ah letzte Wettkampfart den IVaffenlauf gebracht. Es waren national-griechische Spiele, zu denen nur freigeborene, unbescholtene Jünglinge und Männer rein hellenischer Abstammung zugelassen waren. So sehr war Olympia zu einer allgemeinen, beinahe religiösen Angelegenheit der Griechen geworden, daß sie selbst angesichts kriegerischer BedroMünze mit dem Kopi der hungen ihre Gedanken und Blicke nach Zeusstatue im Tempel von Elis richteten. Auch in solchen Zeiten Olympia hörte Hellas die Botschaft aus Olympia. Jünglinge mit Ölzweigen liefen von Stadt zu Stadt und verkündeten den alten Spruch: „Das Fest des Zeus ist wiederum gekommen. Aller Streit soll ruhen. Jeder Waffenlärm schweige! Frei mögen auf allen Land- und Wasserstraßen die Pilger herbeiziehen zur gastlichen Schwelle des Zeus!" Die sonst so streitsüchtigen Griechen vernahmen die Kunde, sie begruben den Haß der Städte, die Eifersucht der Stämme und die altverwurzelte Zwietracht. Frei waren die Wege, die nach Olympia führten. Gottesfriede herrschte um der Spiele willen.
Zum heiligen Bezirk
W
ie ein Schild aus glühendem Gold liegt der Augusthimmel über dem Pholoergebirge. So heiß ist es, daß die Bauern ihre Sklaven nicht in die Mühlen schicken und das Vieh nicht auf die Weiden. Es ist der Monat Metageitnion, der dem August des späteren Kalenders entspricht. In den ersten Tagen dieses Hochsommermonats ist der Festzug von der Küste zur „Altis", dem heiligen Bezirk Olympias, aufgebrochen. Die baumbestandenen Berge sind wie weiter, grüner Wellenschlag, da und dort blitzt weißlichgrauer Fels gleich Wogenkämmen aus dem GeWucher der Platanen-, Ahorn- und Eichenwälder. Die schwarzen Speere der Zypressen und die Pinien stehen regungslos vor dem flimmernden Himmelsbogen. In kleinen Reisegesellschaften bewegen sich die Pilgerscharen auf dem steinigen und 3
vielfach gewundenen Gebirgspfad, der den althergebrachten Namen „Heiliger W e g " trägt. Hellenische Jünglinge, Epheben, mit .Wanderstöcken und Palmzweigen gehen vor reichgeschmückten Rennwagen; feurige Rosse aus der Zucht berühmter Gestüte schnauben in erzbeschlagenen Deichseln. Die Fahrer tragen goldgesäumte und bestickte Mäntel. Kränze aus duftenden Lupinen und bunten Glockenblumen schmükken die wehenden Locken der Mädchen. Geschäftig eilen die Aufseher hin und her, ordnen den Marschzug und ermuntern die im Staube dahinwandernden Pilger. Zu Elis haben sich indessen die Gesandtschaften der griechischen Städte aus Übersee gesammelt. Unteritalien, das man Westgriechenland nennt, die Kolonialstädte Kleinasiens, das ferne und kriegsbedrohte Makedonien und Epirus, die afrikanische Landschaft Cyrene, das ägyptische Naukratis und viele hundert entlegene Inseln, Bergstädte und Hafenplätze haben ihre prunkvollen Abordnungen geschickt. Da es verboten ist, im heiligen Bezirk Waffen zu tragen, sucht man sich gegenseitig durch mitgeführte Schätze und Geschmeide, durch Reichtum der Kleidung und Pracht der Gespanne zu übertreffen. Die Gruppe der Bürger von Kroton — einer reichen süditalischen Kolonie — hat die Ehre, von einem purpurgewandeten .Kampfrichter angeführt zu werden. Diese „Hellanodiken" sind zu Elis gewählte, rechtschaffene Männer, deren Vollmacht während der Spiele fast unbegrenzt ist. Hirten treiben hundert makellose, weiße Rinder daher, die bestimmt sind, dem Zeus von Olympia geopfert zu werden. Dann hallt der Jubelruf von vielen Hunderten, die sich auf Felsen und Wiesenhügeln des Paßweges gelagert haben. Auf vergoldetem Viergespann zieht inmitten des Festzuges in weißem Gewand Astylos aus Kroton vorüber, der herrliche Athlet, der schon bei den beiden letzten Olympiaden den Stadion- und Doppellauf gewonnen hat. Gleich nach den Krotonaten folgen die Kämpfer aus Lokri, geführt von dem riesigen Faustkämpfer Euthymos, gleichfalls einem Olympiasieger. ( Wehe dem, der gegen diesen Koloß mit den verschrumpelten Ohren und der plattgeschlagenen Nase anzutreten hat! Aber furchtbarer in all seiner herkulischen Kraft anzusehen ist Dromeus aus der südgriechischen Stadt Mantinea, ein Allkämpfer, „Pankratist", von unüberwindlicher Stärke. Kaum weniger kraftvoll, aber .harmonischer im Bau, strahlen-
der im Aussehen und schlanker ist Hieronymos von Andros, ein Fünfkämpfer, in dem viele den Favoriten der Spiele sehen. Während die Kampfgruppen und die Pferdegespanne, die Opferticre, Kampfrichter, Zuschauer und Gesandtschaften sich talwärts
Faustkämpfer wenden, haben sich Theagenes aus Thasos und seine Begleiter zu kurzer Rast unter einen Ölbaum gelagert. Stachlige Kakteen klettern über die steinigen Hänge, die Hitze ist beinahe unerträglich. Auch Theagenes ist Faust- und Allkämpfer, seine Siegesliste weist über tausend Triumphe auf, er hat in vielen örtlichen Spielen im 5
Ringkampf
Faustkampf und Pankration, ja in Thessalien sogar im Dauerlauf gesiegt. Man erzählt von ihm, daß er schon als neunjähriger Knabe ein mächtiges erzenes Standbild mühelos vom Marktplatz nach Hause getragen habe. Die Tat, die seine gewaltige Kraft verriet, machte schon den Knaben in ganz Hellas berühmt. Seine Heimatstadt Thasos, auf der gleichnamigen Insel im Norden des Ägäischen Meeres gelegen, hat ihn nach Olympia entsandt, damit er sich den Ölzweig hole. Wie alle hier vorüberziehenden Wettkämpfer hat Theagenes harte Trainingszeiten hinter sich. Die von den Städten besoldeten Sportlehrer pflegen das Letzte von ihren Schützlingen seelisch und körperlich zu fordern. Ein Schwerathlet wie Theagenes m u ß Eisenstangen biegen können, ausbrechende Stiere zum Halten bringen oder ein Gespann ziehen im Wettlauf mit wilden Ochsen. Theagenes ist ein vortrefflicher Schwimmer im Kampf mit der Brandung der thasischen Steilküste. Seine Kost besteht aus ungesäuertem Gerstenbrot und halbrohem Fleisch. Gleich dem berühmten Olympiasieger und Ringkämpfer Milon, der vor rund 40 Jahren mehrmals den Siegeslorbeer gewonnen hat, verzehrt auch er, so erzählt man sich, die Tagesration von 20 Minen (8,68 kg) Stierfleisch und ebensoviel Brot. Den Trainingsbestimmungen entsprechend schläft er auf einer Schütte Gras, zugedeckt mit einem Mantel. Prüfend hat Theagenes seine künftigen Konkurrenten betrachtet: den starken Euthymos, mit dem er sich gern im Faustkampf messen wird und den er — von früheren Begegnungen her — haßt. Mit unsicherem Gefühl hat er den gewaltigen Dromeus aus Mantinea vorüberziehen sehen, dem er vielleicht im Pankration gegenüberstehen soll. 6
Der Klang von erzenen Becken und ferne Weihegesänge dringen aus dem Tal. Dort hat der Festzug die Quelle Piera an der Grenze der Landschaft F,lis und Pisa erreicht. Die Wettkämpfer opfern nach altem Brauch ein Schwein und reinigen sich vor dem Betreten der Festspiellandschaft mit heiligem Wasser. Am folgenden Tage wird der Ort Letrinoi — 180 Stadien (34,6 km) vor Elis — erreicht. Dann steigt die Prozession hinab ins Tal des Alphaios. Der heilige Bezirk — die Altis — wird sichtbar. Tausendstimmiger Jubel schwillt empor.
Vor dem blitzeschleuderaden Zeus
I
m Norden und Nordwesten, wo die Pilgerscharen herabsteigen, ziehen sich die Eichenwälder und silbergrauen Olivenhaine hin. Ober duftende Ginster- und Lupinenhänge fliegt der Blick in ein zauberhaft schönes Tal. Wie eine grüne Kuppel steht mitten im Talgrund der Kronoshügel mit dem Zeusaltar. Zwischen den lokkeren Baumgruppen schimmern schneeweiße Marmorbauten: Tempel, Schatzhäuser und Säulengänge; Goldziegel funkeln, und aus mächtigen Blätterdächern, die von den schwarzen Lanzen der Zypressen durchstoßen werden, gleißt der helle Sand des Stadions und des Hippodroms. In weitem Bogen windet sich der blaue Alphaiosfluß den Hügelrand entlang. Den Westen begrenzt der reißende Kladeosbach. Sehnsüchtig sehen die Augen der Wettkämpfer zur schneeweißen Marmorgestalt der Siegesgöttin, die mit gebreiteten Flügeln vom goldglänzenden Dach des Zeustempels grüßt. Wem wird die siegbringende Göttin den Kranz geben? Tausende säumen die gepflasterte Feststraße, die sich zum Leonidaion-Tor windet. Unterm Lärmen der Drometen und Kesselpauken rollen die Vierergespanne in Olympia ein, fester wird der Marschtritt der Jünglinge, die sich an den Jugendwettkämpfen beteiligen wollen, kühner recken die erprobten Athleten die Glieder. Da stehen die Bildsäulen der Sieger — Statuen und Male vergangener und doch Mame m i t d „ Z e u s s t a t u e unsterblicher Triumphe. Der Blick des im Tempel von Olympia
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Theagenes haftet gebannt an der Figur des großen Milon aus Kroton, der schon als Knabe die ersten olympischen Siege heimgebracht hat. Lauter Zuruf der Wettkämpfer begrüßt dieses Standbild. „Schön ragt Milons schöne Gestalt, der einstens zu Pisa Siebenmal siegte im Kampf, ohne zu sinken ins Knie . . ." Wird diesmal wieder ein Mann aus Kroton den Kranz heimtragen? Man sagt, daß Astylos alle Aussichten habe, seine Gegner zu schlagen. Noch am Abend dieses lärmenden Tages versammeln sich die Wettkämpfer mit ihren Trainern, Angehörigen und Freunden im Innern des Zeustempels. Während dies im Tempel geschieht, legen Abordnungen aus Griechenland, von den Inseln und fernen Kolonien kostbare Geschenke in den Schatzhäusern am Hügelrand nieder. Nach dem Opfer führt der Aufmarsch die Athleten zum Rathaus, wo das Bildnis des Zeus Horkios — des Eidschützers — thront. Das ist nicht der gütige, allweise Vater auf hohem Himmelsthrone, sondern der blitzeschleudernde Hüter von Recht und Glauben. Das oberste Kampfgericht, das die geweihten Männer aus Elis stellen — umgibt das Bildnis des Zürners Zeus. Diese Kampfrichter tragen purpurrote Gewänder. Aufseher mit weißgeschälten Stäben umgeben sie schützend — aber nirgends in ganz Olympia gibt es ein Schwert, nirgends eine Lanze, die anders als im Wettkampf getragen werden dürfte. Der Leiter des Festes spricht zu den Athleten: „Wenn Ihr Euch der Mühen unterzogen habt, ganz so, wie es sich für die ziemt, die Olympia betreten wollen, wenn Ihr nichts Leichtfertiges und Unedles getan habt, so kommt, mutig vertrauend. Wer sich aber nicht in rechtem Maße vorbereitet hat, der gehe, wohin er will." Dann erst werden sie alle, Kämpfer, Ringlehrer und Kampfrichter, zum olympischen Eid aufgerufen. Sie treten vor, tauchen die Hände ins Blut der Opfertiere und schwören. Im Stadion finden bereits die letzten Ausscheidungskämpfe der Jugendlichen statt. Die erwachsenen Wettkämpfer aber unterwerfen sich zuerst der Auslosung. Denn es soll die Gruppierung der einzelnen Paare zu Ringkampf, Faustkampf und Allkampf ganz nach dem Willen der Gottheit erfolgen. Nach einem Gebet zu Zeus bringt einer der Aufseher eine geweihte, silberne Urne, in der sich bohnengroße, mit Buchstaben versehene Lossteinchen befinden. Einer nach dem anderen tritt vor, holt sich sein Los und erhebt 8
die geschlossene Faust. Niemand soll vorerst erkennen, welcher Buchstabe gezogen ist. Erst nachdem der letzte seine Loskugel in Händen hält, werden die Zeichen gelesen. Wer ein Alpha gezogen hat, gesellt sich zum zweiten Alpha; das Beta zum Beta, das Gamma zum Gamma. Ist die Zahl ungerade, so bleibt einer übrig, der. keinen Partner gefunden hat. Ihn nennt man Ephedros — er kann ohne Vorkampf gleich gegen die Sieger eingesetzt werden. Theagenes von Thasos zieht seinen alten Feind Euthymos von Lokris als Gegner im Faustkampf. Das freut ihn sehr — doch fällt ein tiefer Schatten auf sein vernarbtes Gesicht, als das Los ihm den herkulischen Dromeus als Widersacher im Allkampf bestimmt. Das Programm Der 1. Tag am 2. Tag am 3. Tag
der Spiele steht fest: ist ausgefüllt mit den Kämpfen der Knaben, finden die Pferderennen statt, der Fünfkampf mit Lauf, Sprung, Diskuswurf, Speerwurf und Ringen, am 4. Tag ist das große Opfer und der Festumzug vorgesehen, am 5. Tag wird man zu den Läufen antreten und am 6. Tag zum Ringen, Faustkampf und Allkampf.
Der Kampf der Besten das Ufergebüsch des Alphaios schweben Nebel. Unzählige Über Moskitos hängen über den Zeltlagern. Der Mond, der sich bald
vollendet, sinkt bleich hinter die dunklen Bergschatten, und im Osten kündet ein graues Silberband den Heraufstieg der Sonne. Langsam röten sich die Wipfel der Platanen auf dem Kronoshügel. Schon tauchen die ersten Gestalten vor den großen Gasthäusern draußen vor der Altis auf. In den Zeltgassen, wo die minder vornehmen Besucher hausen, regt sich das Leben; die Morgendämmerung füllt sich mit Menschen, die zum Stadion drängen. Seit dem Beginn der Spiele ist den Frauen das Betreten des Heiligen Bezirkes und der Kampfplätze untersagt. Ausgenommen sind n u r die Stunden, in denen zu Ehren der Göttin Hera ein Wettlauf der Mädchen stattfindet. Einmal nur geschah es, daß eine Mutter — Angehörige eines Geschlechtes von Olympiasiegern — in der Verkleidung eines Kampf9
Olympischer Laul lehrers ihren Sohn Peisidoros nach Olympia zur Altis brachte. Der Knabe siegte. Im Überschwang ihrer Freude sprang die überglückliche in die Kampfbahn und umarmte den Sohn. Der Frevel wurde erkannt. Die Kampfrichter sahen von einer Bestrafung ab; doch gilt seitdem das Gesetz, daß auch die Trainer und Gymnastiklehrer unbekleidet im Stadion zu erscheinen haben. Das Stadion — östlich der Altis — ist eine rechteckige Kampfbahn, die einige Meter tiefer als der Festplatz liegt. Die Hänge an den Langseiten sind terrassenförmig ausgetreten. Schon mit dem ersten Licht treffen Zuschauer ein. Nach kurzer Zeit füllen Dreißigtausend die Stufenplätze. Es macht ihnen nichts aus, Stunden um Stunden warten zu müssen. Freilich — man wird viel unter der Sonne zu leiden haben, manch einen hat schon in Olympia der Hitzschlag getroffen. Auch von dem großen Philosophen Thaies aus Milet erzählt man, er habe hier als Zuschauer sein Leben geendet. Aber je mehr Menschen aus ihren Zeltbehausungen und aus den Tempeln herüberströmen, um so mehr alte Freunde und Bekannte aus benachbarten Gauen treffen sich. Ein erwartungsvolles Gelärme geht durch die Massen: Am dunklen Tor des gewölbten Ganges, der zum Stadion führt, erscheinen, begleitet von ihren Trainern, die ersten der jugendlichen Wettkämpfer. Nach der Vorschrift sind sie unbekleidet: die bronzefarbenen Körper sind mit einer glänzenden ölschicht bedeckt. Begrüßungsworte flattern über die Sandbahn. Mehr und mehr Kämpfer sammeln sich im Portalgewölbe. Unruhe entsteht, eine 10
Gasse öffnet sich, und unter feierlichem Vorantritt der Aufseher erscheinen die Hellanodiken — die Kampfrichter. „Evoe! Evoe!" braust es über das Feld. Die Kampfrichter sind wichtige Persönlichkeiten. Schon bei der Anmeldung der Teilnehmer zu Elis haben ihre Funktionen begonnen. Nicht nur die Oberprüfung von Abstammung, Lebenswandel und Würdigkeit der Teilnehmer ist ihre Aufgabe. Sie haben auch die dreißigtägige Probezeit in Elis beaufsichtigt, der sich jeder Teilnehmer zu unterwerfen hat und die mancher mehr scheut als die Anstrengungen und Gefahren der Spiele. Denn einen Monat lang müssen die Wettkämpfer in strenger, gleichmäßiger Diät leben, auf daß kein Reicher einen Vorteil vor dem Mittellosen habe. Jetzt ziehen sie durch die ganze Länge des Stadions zu den erhöhten Sitzen nahe der Zielsäule, während sich die Kämpfer an der steinernen Ablaufleiste aufstellen. Trainer, Väter und Lehrer geben den Knaben letzte Anweisungen. Hellauf strahlt der erzene Ruf der Trompete. Es wird still im Stadion, ein Herold tritt vor. Laut verkündet er Namen, Heimat, Kampfesart der Teilnehmer und eröffnet die Spiele mit altgeheiligter Formel: „Es beginnt der Wettkampf, der Bringer der schönen Preise, der 'Augenblick naht, nicht länger zu zaudern! Ihr aber, die Ihr meinen Heroldsj-uf vernommen habt — auf! Stellt Euch zum Wettkampf! Den Sieg wird Zeus verleihen!" Zuerst der Lauf über ein Stadion — das sind rund 192 Meter, das ist zugleich die Länge der Kampfbahn, die daher ihren Namen trägt. Welche Läufer hat Griechenland! Von Ladas, dem Wunderläufer aus Sparta, sagt die Inschrift auf einer Bildsäule: „Ladas, ob er die Bahn durchrannt hat oder durchflogen, Immer ist er ein Dämon und unvergleichlich geschwind." Man spricht auch von Ageos aus Argos, der einst den Sieg im Langlauf gewann. Lief er nicht, um den Landsleuten seinen Triumph noch am selben Tage mitzuteilen, nach errungenem Siege sogleich in seine hundert Kilometer entfernte Heimat zurück! Das Startzeichen fällt, und wie von der Sehne geschnellt stoßen sich die Knaben von den Vertiefungen der steinernen Schwelle ab. Das Stadion gleicht einem kochenden Kessel. Die Landsmannschaften feuern ihre Favoriten an. Da schiebt sich Polymnestor aus Milet, der in seiner Heimat Ziegenhüter gewesen, rasch aus dem Felde nach vorne. Begeisterte Milesier erzählen heißatmig ihren Nachbarn, diesen Polymnestor habe man erst zu den Spielen gell
schickt, als man ihn dabei antraf, wie er Hasen im Laufe einholte und fing„Polymnestor! Polymnestor!" donnert der Ruf seiner Freunde. „Krates! Krates!" toben die Spartaner dagegen. Doch Polymnestor, der Hasenfänger, geht um Brustbreite vor dem Spartiaten an der Zielsäule vorbei. Dreißigtausend Menschen erheben sich, weiße Gewänder und bunte Tücher wehen ihm zu, und Heilrufe grüßen brausend den Sieger. Bescheiden tritt der Knabe vor die Sitze der Hellanodiken und empfängt aus ihrer Hand als vorläufige Ehrung den Palmzweig. Dann folgt der „Diaulos", der Doppellauf. Startstelle ist die Zielsäule, zweimal wird das Stadion durchmessen. Beim anschließenden Waffenlauf tragen die Jünglinge in der Linken den langrunden Schild und auf den wehenden Locken den Weitsprung geschweiften Helm. (nach griechischer Art mit Hanteln) Gegen Mittag folgen die Kämpfe im Weitsprung. Jeder Bewerber macht drei Sprünge und wirft die mit steinernen oder eisernen Hanteln beschwerten Fäuste kräftig nach vorn. Sieger wird, wer mit drei Sprüngen das beste Gesamtergebnis erzielt. Als die glühende Scheibe der Sonne im Zenit steht, fliegen die Speere der Knaben ins weite Sandfeld. Der Wettkämpfer muß seinen Wurf innerhalb einer abgesteckten Bahn plazieren. Der Schaft muß stecken, die größte Weite entscheidet. Bei den Männern berichtet man sich von Würfen über 46 m, die vor Zeiten getan wurden. Beim Diskuswurf stehen die Knaben innerhalb eines abgegrenzten Feldes, aufgeregt drängen sich die braunen Körper um die Abwurfplätze. Die Jugend wirft mit dem leichteren Diskus von etwa 1,5 kg Gewicht, während die Männer Wurfscheiben von 4,5 kg und mehr benützen. Aus tiefer Hocke heraus drehen die schlanken Jünglingsgestalten die Metallscheibe im ausgestreckten rechten Arm, ziehen sie hoch, straffen die Leiber im gewaltigen Schwung des Abwurfs und entlassen das kreisende Geschoß weit und hoch hinaus. 12
Freilich erreichen die Knaben nicht die gefeierte Weite von 28 17 m, die der bekannte Fünfkämpfer Phayllos einst erzielt hat. Aber auch sie geben ihr Bestes und legen in die Würfe ihre ganze Kraft. Als sich die Sonne schon den Waldhöhen des Westens zuneigt, füllen sich die Sandplätze der Ringkämpfer. Die Knaben sind dick eingeölt, damit die Griffe der Gegner abgleiten. Noch vor dem Ringen bewerfen sie sich gegenseitig mit dem aufgelockerten Sand, um später besser zufassen zu können. Ärgerlich holen die Angehörigen oder Lehrer der Teilnehmenden die sandbedeckten Wettkämpfer noch einmal vom Platz zurück; sie haben kleine aus Bein oder Metall angefertigte Schaber bereit und ziehen die ölgetränkte Sandschicht von den golden glänzenden Gliedern ihrer Schützlinge. Dann tragen sie von neuem dickflüssiges Olivenöl auf. N a c h dem
Ergebnis der Aus-
Speerwerter (Bronzeschale)
losung treten die Knaben paarweise an, fassen sich mit wohlgeübten Griffen, gleiten ab, stoßen neuerdings vor, würgen sich, biegen Arme zurück und keuchen vor Anstrengung. Wieder tobt die Masse auf den Terrassen. Als besiegt gilt, wer dreimal mit irgendeinem Körperteil außer mit den Füßen die Erde berührt hat.
Die großen Wettbewerbe
I
m Südosten des Stadions liegt, einem riesigen, in die Erde gegrabenen Schiffsrumpfe vergleichbar, das Hippodrom — die Wagen- und Pferderennbahn. Dieser Kampfplatz mißt in der Länge etwa 770, in der Breite etwa 192 Meter. Die terrassenförmig ansteigenden Treppen, die um die Arena ziehen, sind an drei Seiten von einem brausenden Meer erregter Zuschauer gefüllt; die vierte — schmale — Seite wird durch die Säulenhalle des Agnaptos abgeschlossen. Vor dieser als Grundlinie bilden zwei Reihen hölzerner Ablaufstände ein Dreieck, an dessen Spitze auf marmornem Sockel ein erzerner Delphin errichtet ist. In der Mitte dieses Dreiecks 13
Wagen- und Pferderennbahn, Hippodrom, in Olympia
sieht ein Altar aus übertünchten Backsteinen, der einen erzenen Adler trägt. Von der Halle her fahren langsam, von Knechten geführt, die Viergespanne ihren ausgelosten Startplätzen in den Ständen zu. Links drüben, an der Langseite, nehmen die rotgekleideten Schiedsrichter Platz. Gleich wird das Zeichen zum Beginn gegeben werden. Zwischen einem hohen Marmordenkmal der Hippodameia und der großen Kurve am Ende der Bahn läuft durch die Mitte des Hippodroms eine Scheidewand, die von den Gespannen zwölfmal umkreist werden muß. Beim Auftritt jedes neuen Gespannes geht es wie Sturmesbrausen durch die Rennbahn. Da scharren vier makellose Schimmel mit rotem Lederzeug und klingenden Silberglöckchen staubend den Sand; ein reicher Inselfürst von Zakynthos läßt das Gespann laufen. Aber gleich dahinter tänzeln, kaum von den Zügeln zu bändigen, die feurigen Rappen des Tyrannen von Syrakus, des mächtigen Hieron. Umgeben von seinen Höflingen, Gelehrten und Dichtern, Athleten und Freunden thront Hieron neben der Kampfrichterloge, ein buntgestreiftes Sonnensegel ist zu seiner Bequemlichkeit ausgespannt. Er erhebt sich erregt, winkt seinem Wagenlenker zu. Pfeifen und Zischen antwortet ihm aus dem Stadion. Die Griechen nehmen ihm seine matte Neutralität in dem eben tobenden Perserkrieg übel. Aber gleich gibt es neue Aufregungen. Wilde Hengste schlagen beißend um sich, Rosse bäumen sich, die langen Peitschen der Fahrer sausen auf gegnerische Gespanne, die Festordner haben zu tun. Vergessen sind auf den Zuschauer-Terrassen, wo sich Vierzigtausend drängen, die Last des Gewühls, die sengende Hitze, die unruhig und unter Wolken von Mücken verbrachte Nacht, die 14
Wagenrennen
Unbequemlichkeit des Morgenbades im kalten Alphaios. Eingekeilt, gepreßt, von Geschrei umgeben, haben die Tausende nur Blick und Ohr für die Vorgänge an der Startbahn. Dort haben jetzt die Vierergespanne Aufstellung hinter den gespannten Startschnüren genommen. Der Festleiter gibt ein Zeichen mit wehendem Tuche, unterm Schmettern der Hörner setzt sich der Mechanismus auf den beiden Altären in Bewegung: langsam senkt sich der erzene Delphin, der Bronzeadler steigt flügelschlagend empor. Die Schnüre fallen, und stiebend jagen die Wagen in der Arena. Aufrecht stehen die Wagenlenker hinter den vergoldeten Schilden der zweirädrigen Renner, lange Peitschen knallen, Zügel flattern, Pferdemähnen wehen und Sandwolken fliegen auf. Ein einziges Tosen liegt über dem Hippodrom! Schon jagen die ersten vier Wagen tollkühn um die Kurve am unteren Ende der Rennbahn. Ihre Fahrer haben es verstanden, im Gedränge des Starts die Enge zwischen dem Delphin und dem Denkmal der Hippodameia vor den anderen zu nehmen. Donnernd, gefolgt vom Toben der Menge, braust das Feld hinterdrein. Krachend rammen sie die erzenen Naben der Räder, Pferde geraten in Verwirrung, Gespanne stürzen, Aufseher schleppen einen bewußtlosen Lenker die lärmenden Terrassen entlang zur Trauerpforte. So jagen die Rosselenker Griechenlands durch das Hippodrom, den Kranz aus Ölzweigen zu erringen.
* Zehn Jahre vor dieser 75. Olympiade haben die Perser zum ersten Male versucht, mit einem großen Heere in Mittelgriechenland zu landen. Miltiades, der Feldherr Athens, war mit den Schwerbewaffneten quer durch die Halbinsel zum Landungsplatz bei Mara-
Pferderennen
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thon geeilt, hatte die weit überlegne Armee der Perser beim Ausladen angetroffen, sogleich angegriffen und ins Meer geworfen. Miltiades vermochte diesen Sieg zu erringen, weil seine Gepanzerten durch den Sport daran gewöhnt waren, in voller Bewaffnung zu laufen und trotzdem ausdauernd zu kämpfen. Aber die geschlagenen Perser setzten Segel, umrundeten das Vorgebirge von Sunion und nahmen Kurs auf das von Truppen entblößte Athen. Die attischen Krieger waren nach der Schlacht erschöpft. Dennoch fand sich ein Jüngling, der es unternahm, noch in der sinkenden Nacht die rund 40 km weite Strecke von Marathon zur Heimatstadt Athen zu laufen, um die Bürger zu warnen. Er erreichte das erste Haus von Athen, meldete Sieg und Gefahr und brach tot zusammen. Auch ihm gebührt der Kranz von Olympia. Ein Langstreckenlauf von solcher Weite aber wird bei den Spielen von Olympia nicht unter den Wettbewerben aufgeführt. Das sollten erst spätere Geschlechter tun.
* Der Nachmittag des dritten Tages bringt den Fünfkampf der Männer, der wieder im Stadion stattfindet. Der Zeitpunkt der Spiele ist so gelegt, daß die nun folgende Nacht Vollmond hat. Steigt die rotgoldene Scheibe des Mondes über die schwarzen Zypressen und Pinien des Kronoshügels empor, so flammen rings im Tal des Alphaios Tausende von Fackeln auf. Ein Meer von roten Feuern beginnt dem heiligen Haine zuzuwandern, in dem der Grabhügel des Pelops liegt. Zuckend huschen die Lichter über die buntbemalten Giebelfelder, die schneeweiß gleißenden Säulengänge und erzenen Standbilder. Das Zirpen der Hirtenflöten, das Gequäk der Schalmeien und das Schmettern der Trompeten füllt die Haine. Die Festteilnehmer formieren sich zur Prozession, auserlesene Rinder, die mit bunten Bändern und Blumengewinden geschmückt sind, ziehen vor den Priestern her. Die fremden Gesandtschaften schreiten in Festgewändern, gefolgt von Sklaven, die herrliche Kleinodien tragen. Dann klingen Hymnen auf. Im Sprechgesang rezitieren die Tausende den Sang des Ringkampfsiegers: „ W e r einen frischen Sieg erlöst, schwingt sich übermütig empor aus der Fülle des Hoffens, im Stolz seiner Größe. 16
Höheres noch als Schätze errang er . .: Ihm naht ein heller gottgesegneter Glanz, und es leuchtet strahlend ein Licht den Menschen, und leicht wird das Leben." Am Grabe der toten Heros werden Rinder geopfert — eine späte Erinnerung an Kindheitstage des Volkes, als es seinen Gefallenen als Sühneopfer Kampfspiele und frisches Blut dargebracht hat. So ist den Schatten der Helden Patroklos, Hektar und Achill vor Troja gehuldigt worden . . . Der Lichterzug bewegt sich den Kronoshügel hinan, wo der Altar des Zeus, in roten Opferrauch gehüllt, unter dem strahlenden Vollmond liegt. Die Gesandten bringen in den am Fuße des Hügels liegenden Schatzhäusern ihre Gaben dar; Rinder verbluten unterm Messer der Priester, und die Ebene füllt sich mit flackernden Feuern, um die sich Athleten, Trainer, Freunde und Zuschauer zu frohem Festschmaus lagern. Jetzt ist die Stunde des Geistes. Denn der Grieche, so schönheitstrunken er ist, liebt nur den schönen Körper, der von einem edlen und großartigen Geiste erfüllt ist.
*
An den flammenden Holzstößen stehen die Sänger und Philosophen, tragen ihre Verse und Ideen in tönender Sprache vor, erhalten rauschenden Beifall, ernten ergriffenes Schweigen und entfachen heiße Debatten. Man sagt, daß Thaies, der Weise aus Milct, Pythagoras, der Seher von Sizilien, und später auch der Geschichtsschreiber Herodot ihre Werke bei den Spielen von Olympia in solch nächtlicher Stunde vorgetragen hätten.
Waffenlaut (Vasenbild)
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Wo der sieghafte Athlet gefeiert wird, dort bekränzt man auch das Haupt der Denker und Dichter mit dem Kranze aus Ölzweigen.
* Am vierten Tage strömen die Massen ins Stadion, die weitberühmten Wettläufe zu sehen. Höchste Krone Olympias ist der Sieg im Wettlauf. Nach dem Namen der Wettlaufsieger wird das Spiel des Jahres benannt, in die Listen eingetragen und in die Tafeln gemeißelt. Kurz ist das Dasein des Menschen und nur ein Schatten, der vorüberhuscht. Unsterblicher Ruhm aber winkt dem Manne, der siegend vom Sande Olympias geht. Da war Lades, der berühmte Schnell-Läufer der Spartaner, ein Mann, von dem man sagt, er sei so leichtfüßig gewesen, daß sein Fuß keine Eindrücke im Sande hinterließ. Sein Standbild schmückt das Stadion. Nachdem er schon in drei olympischen Jahren gesiegt hatte, habe er alles darangesetzt, ein letztes Mal im Langstreckenlauf zu siegen. Und tatsächlich: er schlug all seine Gegner, brach erschöpft am Ziel zusammen und starb inmitten der Tausende. Für die 75. Olympiade ist Astylos aus Kroton der Favorit. Er hat bereits in der 73. und 74. Olympiade gesiegt, und zwar das erstemal nur im Stadionlauf, das nächstemal im Stadionlauf und Doppellauf. Als er auch diesmal wieder das Rennen über ein Stadion und gleich darauf den Doppellauf gewinnt, gerät die Zuschauermenge in fieberhafte Erregung. Wird sich auch der dritte Sieg an seine Fersen heften? Das erste und einzige Mal, daß es ein und demselben Läufer gelungen ist, einen dreifachen Sieg zu erringen, ist vor 32 Jahren gewesen, auf der 67. Olympiade, als Phanas von Pellcne alle drei Läufe auf seinen Namen vereinigt hat. So tritt Astylos zum Waffenlauf mit Helm und Beinschienen, Schild und Speer an. Seine Konkurrenten üben mit aufgeregten Probeschritten auf der Bahn, dann sammeln sie sich an den Abiaufschienen und erwarten, keuchend vor Ungeduld, das Zeichen zum Start. Ein Trompetenstoß! Klirrend und stampfend brausen die Läufer in die Sandspur. Laute Zurufe feuern die Wettkämpfer an. Ein griechisches Sprichwort sagt: „Gesund wie ein Krotoniate . . ." Astylos ist aus Kroton, er hat zwei Siege geerntet — alles setzt auf den dritten. Im Sturm des anfeuernden Beifalls läuft er das Rennen seines Lebens, und er gewinnt den Waffenlauf. Der Zielrichter an der Säule umarmt ihn, die Kampfrichter nennen ihn „Triastes", das heißt „Dreifachsieger". 18
Der Tag der Schwergewichte
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m 6. Tage treten die Ringer, Faustkämpfer und „Pankratisten* an. Heiß tobt die Schlacht der Schwergewichte. Ganz zu Unrecht haben spätere Zeiten den Stil der Ringer als „römisch-griechisch" bezeichnet. In der wütenden Umschlingung der Männer ist fast jeder Trick erlaubt. Sie fassen sich an den Kehlen, drücken die Daumen in Augenhöhlen, stoßen die Hälse nach rückwärts und würgen sich. Schlimmer noch als beim Ringen ist der furchtbare „Pankration", der Freistilkampf mit allen Mitteln. Theagenes von Thasos, der als aussichtsreicher Bewerber im Faustkampf und Pankration gilt, sitzt während der Kampfpause unter den Zuschauern und sieht den gewaltigen Dromeus von Mantinea seinen Gegner mit dumpfen Sehlägen werfen, sieht die stählernen Klammern seiner Titanenarme und hört das ersterbende Ächzen des Unterliegenden, bis dieser endlich zum Zeichen der Ergebung die Hand erhebt. Dem Theagenes geht die Geschichte des Olympiasiegers Arrhachion durch den Sinn, der vor hundert Jahren seinem letzten Konkurrenten im Pankration zu unterliegen drohte. Der Gegner hatte den Erschöpften in die Beinschere genommen und würgte ihm die Luft ab. Matter und matter wurden die Bewegungen des tapferen Arrhachion. Da rief sein Trainer ihm zu: „Welch ein schöner Totenschmuck, wenn man sich in Olympia nicht ergibt und lieber stirbt!", Da faßte Arrhachion mit letzter Kraft die Zehe seines Gegners, drehte sie aus und zwang mit diesem Griff den Konkurrenten zur Aufgabe. Kaum aber hatte der Unterlegene die Hand zur Ergebung gehoben, als Arrhachion tot zu Boden sank.
• Die Kampfrichter rufen den Faustkampf des Theagenes mit seinem alten Feind Euthymos aus Lokri auf. Der Trainer des Theagenes legt ihm die Lederbinden mit den aufgenähten Metallknöpfen an. Als die beiden riesigen Männer den Sand der Arena betreten, drängen die Zuschauer näher zum Kampfplatz. Die Kampfrichter winken; tastend und ausweichend umkreisen sich die Riesen. Dann klatschen und krachen die ersten Treffer, Blut fließt aus aufgerissenen Lippen, Schweiß strömt über die geölten Leiber. Laut dringt das Stöhnen und Keuchen der Kämpfer in die gespannte Stille des Stadions. Länger als eine Stunde dauert das donnernde Wüten der Kolosse, 19
Mit Bleikugeln besetzte Lederrieraen der olympischen Faustkämpfer
beide sind zu Tode erschöpft — aber Euthymos ist gezeichnet, nur noch taumelnd hält er sich aufrecht. ! Dann endlich stürzt er, von furchtbarem Hieb unters Kinn getroffen, wie ein gefällter Baum. Theagenes wird als Sieger ausgerufen. Die Spartaner verbieten ihren Landsleuten die Teilnahme am Faustkampf oder Pankration, weil das Aufgeben eines Kampfes — wie es bei diesen Kampfarten möglich ist — Schimpf bedeutet. Ein Läufer kann schneller als der andere sein; im Willen zum Sieg sich brechen zu lassen, bedeutet für Sparta nicht nur Niederlage, sondern auch nationale Schande. Blutig geschlagen, schwer atmend und arg von seinem Siege mitgenommen, sitzt Theagenes auf einer Bank am Rande des Stadions. Landsleute und Freunde umgeben ihn, überhäufen ihn mit Glückwünschen und Ratschlägen, er aber ist beinahe teilnahmslos. Seine Erschöpfung ist nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Der Anblick des riesenhaften, schwarzbehaarten Dromeus, der noch am gleichen Abend sein Gegner im Pankration — jenem Freistilkampf, bei dem alles erlaubt ist — sein soll, hat ihn erschüttert. Eben schreitet Dromeus, mit mächtiger Brust aufbrüllend wie ein Stier, das Stadion aus, um zu beweisen, daß zwischen seiner Schrittlänge und jener des Helden Herakles kein Unterschied sei. Tosendes Rufen folgt seinem Unternehmen. Da erklärt Theagenes, dem das Schicksal des Arrhachion vor Augen schwebt, er verzichte auf ein Antreten im Pankration. 20
Dromeus von Mantinea wird vom Kampfgericht zum Sieger ohne Gegner ausgerufen. Theagenes wird vom erzürnten Kampfgericht zu einer Buße von 1 Talent (rund 50 Pfund Silber) verurteilt, außerdem muß er ein weiteres Talent an seinen Gegner Euthymos bezahlen, weil es nun offenbar scheint, daß er wider diesen nur aus H a ß und Neid gekämpft habe. Olympia aber fordert reine Gesinnung.
Der Zweig vom Ölbaum
G
oldene Netze webt die Sonne übsr das Tal am Alphaios. Aus den Zeltlagern wälzt sich die Menge zur Altis. Mit dem ersten Frühlicht hat ein Knabe, dessen beide Eltern noch leben, im heiligen Haine des Zeus von dem uralten Ölbaum, den der Sage nach Herakles selber gepflanzt hat, mit goldener Sichel Zweige geschnitten und sie zum Altar des Zeustempels gebracht. Jetzt liegen die geflochtenen Kränze auf elfenbeineingelegten Tischen. Wogend füllt die Masse den weiten Platz des heiligen Bezirkes; drinnen im götternahen Dämmerlicht des Tempels werden den Siegern die Kränze aufs Haupt gesetzt. Vom Kronoshügel herab strahlen erzen die Töne der Trompeten. Mit weithinschallender Stimme verkündet der Herold Name, Heimat und Alter der Olympiasieger. Jede Nennung wird vom brausenden Aufschrei der Menge begleitet. Es ist die große Stunde ihres Lebens, wenn die jungen Sieger im Schmuck des silbergrünen Kranzes unter die bemalten Säulen des Tempels treten. Bildhauer werden ihre Gestalten verewigen, Dichter schreiben schon die Verse nieder zu ihrem Preise, die Landsleute des Geehrten erfüllt es mit Stolz, daß ein Sieger den Namen ihrer Stadt vor ganz Hellas berühmt gemacht hat. Lärmend formiert sich die Prozession, die Olympioniken schreiten in weißen Gewändern, von den Kampfrichtern geleitet, voran. Hinter ihnen versinken die Tempel, die Priester- und Schatzhäuser, der heilige Bezirk, die Zeltstadt vor den Mauern und das wieder still gewordene Stadion. Wenn der Abend naht — der Abend vor dem Tage der Heimfahrt —, raussht der wilde Kladeosfluß in dsr Ferne, Flöten singen durch die Nacht, und junge Stimmen heben das Siegeslied des Dichters an: „Höchster Schleuderer des Blitzes mit unermüdlichem Fittich, Z e u s ! . . : 21
Möge die Gottheit erfüllen, was noch an Wünschen blieb! Ich preis ihn, bereit, Gespanne zum Siege zu nähren. An gästereicher Tafel mög' er sich laben, und sich reinen Herzens an Bürgereintracht erfreuen!" Die Heimkehr der Olympiasieger wird zum Volksfest. Es wird berichtet, daß Exainetos aus der sizilischen Kolonie Akragas von 300 Schimmelgespannen eingeholt worden sei, ihm zu Ehren habe die Bürgerschaft einen Teil der Stadtmauer niedergelegt. Viele andere Städte gewähren ihren Siegern lebenslänglichen Ehrensold, stellen sie als Gymnastiklehrer in den öffentlichen Gymnasien an oder ehren sie durch Standbilder.
Als Hellas dahinging . . .
E
in Jahrhundert nach der Beendigung der tödlichen Bedrohung durch die Großmacht der Perser blüht das Fest von Olympia noch. Immer mehr kommt mit der triumphalen Ausbreitung des Griechentums der Gedanke der alle Hellenen erfassenden Spiele zum Ausdruck. Fürsten ferner, machtvoller Griechenstädte, wie der Fürst von Syrakus oder der berühmte Olympionike und Neffe des Perikles, Alkibiades, nehmen mit prunkvollem Gefolge teil. Doch der zerstörende Krieg, die Entmachtung des hellenischen Mutterlandes durch Bürgerstreitigkeiten und Neid wirken sich nach dem Jahre 400 v. Chr. auch auf den Charakter Olympias aus. Mehr und mehr treten Kolonien und halbhellenische Staaten, wie Makedonien, in den Vordergrund. Als Philipp und Alexander von Makedonien die griechische Freiheit begraben, verweht auch das hellenische Gepräge der Spiele. Bestechungen schänden die olympische Idee, Siegeskränze werden nach politischen Gründen vergeben, Berufsathleten und rohe Kraftmenschen beherrschen die olympischen Tage. Später sinkt Griechenland unter die Gewalt der römischen Adler. Das bedeutet auch für Olympia Vergröberung und Verflachung; denn Rom — das von den Etruskern frühzeitig grausame Tierhetzen, Gladiatoren- und Massenschaukämpfe übernommen hat — verachtet die Gymnasten und verbindet mit den Leibesübungen entweder rein militärische Zwecke oder sucht in ihnen die Sensation 22
für die Masse. Auch als Rom Kaiserreich geworden ist, erwacht der Gedanke der Wettkämpfe nicht wieder zur einstigen Schönheit. Als Kaiser Nero in Olympia auftritt, um zu seinen zahlreichen erschlichenen Siegeskränzen auch den von Olympia zu fügen, geschieht es, daß er beim Rennen vom Wagen fällt. Ängstlich Tialten die griechischen Konkurrenten die Rosse zurück, bis er sich wieder erhoben hat; denn man weiß zu Olympia, daß Nero bei den Isthmischen Spielen Kampfgericht und Wettkämpfer hat hinrichten lassen, weil sie ihm den zweiten Preis zuerteilt hatten. Längst sind die Teilnahmebedingungen gelockert, die Spiele stehen allen freien Bürgern des Weltreiches offen. Die Zeiten wandeln sich, neue Ideale steigen herauf. Jupiter Capitolinus, das römische Abbild des Göttervaters Zeus, verliert seine Herrschaft über den Erdkreis, und strahlend in magischem Scheine leuchten nun christliche Kreuze auf den Standarten der Legionen. Dem neuen Zeitgeist müssen die Götter von Olympia weichen. Ruhmesgier und Gewinnstreben von Berufskämpfern und entartete Schauspiele sind unvereinbar mit den Forderungen des jungen, asketischen Christentums. So kann und muß es geschehen, daß Kaiser Theodosius im zweiten Jahre der 293. Olympiade — also im Jahre 394 nach Christus — ein Verbot erläßt, das die längst verlotterten Spiele beendet. Ober die Donau brechen die Goten, Träger eines fremden Volkstums, Awaren und Slawen folgen. Der heilige Boden Griechenlands wird zum Tummelplatz der hereinbrechenden Völker. Es ist, als sei der alte Bund zwischen olympischen Göttern und den Bewohnern dieser Erde zerrissen. Erdbeben und Sturmkatastrophen vollenden, was die Völker des Nordens nicht zerstört haben. Wie eine schützende Schicht legt der Alphaios durch Stauung und Überschwemmung seinen Sand über die Trümmer der Altis, über das Stadioii und die Ruinen der Schatzhäuser von Olympia. Noch schwebt es wie Kampfruf und Weihegesang unter den Ölbäumen und Zypressen des Kronoshügels. Doch es sind keine Menschen mehr da, die Olympia noch verständen. Die Weltgeschichte bewahrt die heilige Stätte für spätere Tage. „Abenddämmerung flüstert vom Ruhm entschwundener Zeiten, alles, was Herrliches war, schlummert im Laube des Hains. Unter den heiligen Bäumen befällt mich im Herzen die Wehmut: Soll denn verblassen der Glanz, soll denn vergehen der Ruhm?" (Franz Mezö) 23
Wiedergeburt durch den Spaten
E
ineinhalb Jahrtausende sind vergangen. Es ist der 5. März 1878, ein Vorfrühlingstag von strahlender Schönheit; wie Spinngewebe haben sich die elenden Hütten einer späteren Bevölkerung über den Schutt von Olympia gesponnen. Neben dem kleinen Griechendorf, das in die grünen Hänge zwischen Gruppen von Zypressen und uralten Ölbäumen eingebettet ist, stehen die Zelte und Baracken einer Arbeiterkolonie. Zu Füßen des dichtbewaldeten Kronoshügels liegen Säulenstümpfe und freigelegte Grundmauern früherer Bauten; eine Ecke des Zeustempels ist von Sand und Schutt befreit. Im Schatten breitausladender Bäume schimmern wie die auferstandenen Götter einer versunkenen Welt weiße Marmorfiguren aus zertrümmerten Giebelfeldern des ehrwürdigsten Tempels. ; Mit gebrochenem Flügelpaar schwebt die Siegesgöttin des Bildhauers Paionios auf einem Sockel aufgetürmter Blöcke, Frühlingsblumen neigen sich über geborstene Inschrifttafeln. Im Bezirk der Altis klirren die Spaten und Spitzhacken, griechische Arbeiter — braungebrannte, schwarzbärtige Männer — schaufeln Sand und Steine in Karren und bringen sie zum ausgetrockneten Bach des Alphaios. Ernst Curtius, der deutsche Gelehrte und Ausgräber, reckt sich in der Morgenfrühe vor seinem Zelt, als ihn der Ruf seines Freundes und Mitarbeiters, des Baurates Adler aus Berlin, trifft. Rasch eilt er durch das flimmernde Dämmerlicht des ölhaines, steigt über die aus dem Grase hervorstrebenden Mauern der ehemaligen Echohalle und erreicht jenes Sandfeld, das vielleicht einmal das Stadion gewesen ist. Baurat Adler steht bis zu den Schultern in einer Grube, vorsichtig entfernt er die letzte Erdschicht von einem Marmorbild, das dort unten länger als ein Jahrtausend geruht hat. Glockenblumen stehen am Rand des Schachtes, langsam wird die wundervolle Marmorfigur eines Athleten sichtbar. Es ist die wnchtige Gestalt eines Faustkämpfers, der den Kranz vom Ölbaume trägt — ein Olympionike, ein Olympiasieger, also. Die eingekerbte Inschrift wird lesbar. Nun ist auch Ernst Curtius in die Grube gestiegen, gemeinsam mit Adler entziffert er die Worte des Sockels: „Euthymos, des Astykles' Sohn, aus Lokri hat dreimal zu Olympia gesiegt. Sein Standbild hat er deswegen errichten lassen, damit es die Menschen bewundern sollen. . ." 24
„Euthymos .. .", denkt Ernst Curtius, „ein Sieger im Faustk a m p f . . . Wann mag dieser Athlet wohl gelebt haben? Wer war er? Wie siegte e r ? " Doch schon steigen vor dem geistigen Auge des hochgebildeten deutschen Altertumsforschers Erinnerungen auf. Hat er nicht in den überlieferten Schriften des Reiseschriftstellers l'ausanias — eines gelehrten Mannes aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert —, den Namen des Euthymos gelesen? Ja — das ist er: der Gegner des großen Theagenes von Thasos, der Mann, der auf der 75. Olympiade unterlag und später dreimal Sieger wurde. Und hier steigt sein Standbild aus den Schächten der Vergangenheit empor, ausgegraben von den Nachkommen jener Nordvölker, die einst Olympia zerstört und die antike Welt gestürzt hatten. Sagt nicht der alte Philosoph: „Alles f l i e ß t . . . alles geht dahin und alles kehrt wieder. . . " ?
* Es ist ein langer Weg, der zu den Ausgrabungen am Alphaios geführt hat. Als die alte Welt einer neuen gewichen war, als sich Christentum und Germanentum anschickten, auf der Schutthalde versunkener Griechen- und Römerherrlichkeit eine junge Epoche der Geschichte heraufzuführen, blieb die Erinnerung an einstige Größe und Schönheit der Antike — ein Nebelstreif oder ein Gefühl nur, das in den Herzen der Nachkommen weiterlebte, das über den Stätten der Klassik schwebte. Am Ende der gotischen Zeit erwachte das Bewußtsein vergangenen Seins zuerst auf dem klassischen Boden Italiens. Petrarca, Boccaccio und andere riefen das Abendland zu den erneuerten Idealen der Antike. Aus Humanismus und dem erwachenden Volksgefühl Italiens wuchs die Renaissance; griechisches Kunstideal, hellenischer Geist erlebten ihre Wiedergeburt. Wie eine Sehnsucht und Liebe blieb die Erinnerung an alte, große Tage von nun an im Lebensgefühl des Abendlandes. Die französische und deutsche Klassik blühten, Die besten Geister brachen auf, „das Land der Griechen mit der Seele s u c h e n d . . . " Der deutsche Altertumsforscher Winekelmann begann seine ersten Ausgrabungen, Goethe fuhr nach Italien, Franzosen und Engländer setzten die Spaten an alte, ehrwürdige Stätten. Die Kunde von den ersten erfolgreichen Ausgrabungen des Franzosen Abel Blouet in Olympia traf den Jüngling Ernst Curtius wie ein Anruf. Von nun an lebte er der olympischen Idee. 1814 zu Lübeck geboren, begann er schon früh mit dem Studium 25
der klassischen Sprachen und der antiken Literatur. Redegewaltig wies er als Professor zu Göttingeai nach einer 1852 durchgeführten Peloponncs-Reise auf Olympia, die heilige Stätte am Alphaios, hin, in der er eine der Quellen griechischer Kraft erkannte. Unter den Zuhörern des Professors befand sich Prinz Friedrich von Preußen — der im Jahre 1888 unter dem Namen Friedrich 111. deutscher Kaiser wurde. Unvergessen sind aus dem damaligen Vortrag die von Curtius formulierten Sätze: „Wenn auch andere Gottesboten in die Welt gezogen sind und einen höheren Frieden verkündet haben als die olympische Waffenruhe, so bleibt doch auch für uns Olympia ein heiliger Boden, und wir sollen in unsere von reinerem Lichte erleuchtete Welt herübernehmen den Schwung der Begeisterung, die aufopfernde Vaterlandsliebe, die Weihe der Kunst und die Kraft der alle Mühsale des Lebens überdauernden Freude." 1870 hatte der berühmte Schliemann begonnen, die Ruinen von Troja auszugraben, fünf Jahre später schlössen die deutsche und die griechische Regierung jenen Vertrag, der die Ausgrabungen zu Olympia .in Gang setzte. Die Unterstützung des Kaisers sicherte Curtius einen glänzenden Stab von Mitarbeitern, unter denen vor allem die Namen von Dörpfeld, Adler, Treu, Furtwängler und Hirschfeld glänzten. Die Erde Olympias war dankbar; sie gab heraus, was sie mehr als ein Jahrtausend verborgen und damit bewahrt hatte. Strahlend t r a t nicht nur Figur um Figur hervor; es erwachte im klassisch gebildeten Europa, ja in der Welt auch jener hohe Gedanke des friedlichen Wettstreites wieder, der einst an den Namen Olympias geknüpft gewesen war. Die Jugend der Welt begeisterte sich an dem Traum der erneuerten Spiele, die alle Menschen vereinen sollten.
Baron de Coubertin
A
ls Ernst Curtius den Spaten in Olympia ansetzt, ist Pierre de Coubertin dreizehn Jahre alt (geb. 1862). Der Tradition seiner Familie entsprechend, soll er Soldat werden, aber eine starke Neigung zum Pädagogischen und eine tiefverwurzelte Liebe zur klassischen Bildung führen ihn auf andere Bahnen. In den Jahren, in denen der Baron nahe bei Paris heranwächst, reißen gewaltige Gegensätze im Leben Europas auf. Der Deutsch26
Pierre de Coubertin, der Erneuerer der Olympischen Spiele
Französische Krieg von 1870/71 und seine Folgen schaffen eine Atmosphäre fortschwelenden Hasses zwischen den beiden Nachbarvölkern — die Welt ist erfüllt von Kampf, Neid, Eroberung, Unterdrückung und Unruhe. Aber es gibt auch Ideen, die die Menschen verschiedener Rasse, Sprache und Nationalität einander näherbringen. Die klassischen Ideale der Menschenbrüderschaft glühen 27
in vielen Herzen. Seit Jahren haben Leibesübungen, Sport und Spiele einen immer bedeutenderen Platz im Leben der Völker erobert, sie führen die Jugend vieler Nationen zu friedlichem Wettkampf zusammen. Begeistert nimmt der junge Baron die Lehre der Griechen auf, daß Leib und Seele, Körper und Geist eine unlösbare Einheit darstellen, daß die Bildung des Körpers mit derjenigen der Seele Hand in Hand gehen muß. Er tritt für Gymnastik, Sport und Turnen ein, die sich der geistigen Bildung verbinden sollen. Die in allen Zeitungen veröffentlichten Berichte von den Ausgrabungen in Olympia, die Vorträge von Ernst Cwtius und der da und dort auftauchende Gedanke einer Erneuerung der Olympischen Spiele ergreifen Coubertin mit Macht. Die Aufgabe seines Lebens wird ihm durch das wiedererstehende Olympia gestellt. Da er über einen alten Namen, große Geldmittel und ausgezeichnete Verbindungen in aller Welt verfügt, kann er daran denken, an die Verwirklichung seiner Idee zu gehen. Zunächst tritt er mit England — dem Mutterland des modernen Sports — in Verbindung. In Rugby lebt als Leiter eines Colleges Thomas Arnold, der im Sport ein „ausgezeichnetes Mittel zur Erziehung der Jugend, zu ihrer körperlichen und moralischen Entwicklung^ sieht. Das ist der rechte Mann für Baron de Coubertin. Die Fäden werden weiter gezogen. Reisen führen ihn nach Nordamerika und in fast alle europäischen Staaten, überall knüpft er Beziehungen an, um Sportverbände, Regierungen und Zeitungen für seine Absicht zu interessieren, bis der Boden soweit bereitet ist, daß eine Einladung zu einem Kongreß in Paris mit einiger Aussicht auf Erfolg hinausgehen kann. Am 16. Juni 1894 treten die Delegierten aus Belgien, Spanien, England, Schweden, Amerika, Griechenland und Rußland in der Sorbonne, dem Universitätsgebäude von Paris, zusammen. Ein Freund Coubertins, Baron de Courcel, leitet die Verhandlungen, die bis zum 23. Juni dauern. Baron de Coubertin spricht von der großen Idee, er stellt das Kommende unter den Schutz des klassischen Altertums, auf daß „der Athletismus nicht zum zweiten Male entarten und untergehen wird". „Messieurs!" ruft Pierre de Coubertin, „das Leben ist einfach, weil der Kampf einfach ist. Der gute Kämpfer weicht zurück, aber er gibt sich nicht auf; er beugt sich, leistet aber keinen Verzicht. Erhebt sich das Unmögliche vor ihm, so wendet er sich ab und 28
geht weiter. Geht ihm der Atem aus, so ruht er und wartet. Wird er kampfunfähig, so ermutigt er seine Brüder durch sein Wort und seine Gegenwart. Und selbst wenn alles um ihn zusammenbricht, verzweifelt er nicht. Das Leben ist Sache der Gemeinschaft, weil der Kampf Sache der Gemeinschaft ist. . . Das Leben ist schön, weil der Kampf schön ist; nicht der blutige Kampf der Tyrannei und schlimmer Leidenschaften, den Dummheit und Trägheit heraufbeschwören, sondern der heilige Kampf der Seelen, die nach Wahrheit, Licht und Gerechtigkeit streben . . . " Als de Coubertin unter dem Beifall der Abordnungen gesprochen hat, ergreift Baron de Courcel das Wort und schlägt folgenden Beschluß der Versammlung zur Annahme vor: ,,Im Interesse der Hebung und Pflege der Leibesübungen, vor allem wegen des völkerverbindenden Einflusses derartiger Veranstaltungen, sollen alle vier Jahre, entsprechend den hellenischen Olympiaden, große Spiele abgehalten werden, zu denen alle Kulturvölker eingeladen werden." Die Versammlung kommt einstimmig zur Verkündung einer Resolution: 1. Die Olympischen Spiele sollen in moderner Gestalt wieder ins Leben gerufen werden. 2. Die gymnastischen Vereine aller Staaten sollen zur Beteiligung an den Spielen aufgefordert werden. Ausscheidungskämpfe sollen in den einzelnen Ländern dafür sorgen, daß nur die Besten antreten. 3. Von den verschiedenen Sportarten sollen aufgenommen werden: a) die eigentlichen athletischen Sportarten (Lauf, Sprung, Speerwitrf, Diskus, Gewichtheben usw.), b) die nautischen Sportarten (Schwimmen, Segeln, Rudern usw.), c) Schlittschuhlaufen, Fechten, Ring- und Faustkampf, Pferdesport, Schießen, Turnen, Radfahren und Rasenspiele. 4. Außer im Fechten dürfen an den Olympischen Spielen nur Amateure, nicht aber berufsmäßige Athleten teilnehmen. Zu diesem letzten Punkte gibt die Verfassung des Olympisch n Komitees eine genaue Erklärung: „Auszuschließen sind diejenigen, die aus einem Sport ein Gewerbe machen, das heißt, ihre Fertigkeit zum Geldverdienen ausnutzen oder früher ausgenutzt haben. Dementsprechend sollen bei 29
den Olympischen Spielen keine Geld-, sondern nur Ehrenpreise verteilt werden." Der Kongreß gründet zugleich das ,,IOK" — das „Internationale Olympische Komitee" —, zu dessen ersten Vorsitzenden der Grieche Bikelas, zu dessen Generalsekretär Baron de Coubertin gewählt wird. Bewußt an die Überlieferung anknüpfend, sollen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit auf klassischem Boden — in Athen 1896 — ausgetragen werden. Coubertin schließt den erfolgreichen Kongreß mit einem Wort, das Mahnung für die Zukunft bleibt: „Möge die olympische Flamme leuchten durch alle Geschlechter, zum Wohle einer immer höher strebenden, mutigeren und reineren Menschheit!"
Olympische Spiele und Winterspiele der Neuzeit I. Olympische Spiele
1896
Athen
II. Olympische Spiele
1900
Paris
III. Olympische Spiele Zwischenolympia IV. Olympische Spiele Winterspiele
1904
St. Louis
1906
Athen, Jubiläumsspiele (nicht gewertet)
1908
London
1908
London
V. Olympische Spiele
1912
Stockholm
VI. Olympische Spiele
1916
Berlin
VII. Olympische Spiele
1920
Antwerpen (ohne Deutschland)
1920
Antwerpen
1924
Paris (ohne Deutschland)
Winterspiele VIII. Olympische Spiele Winterspiele IX. Olympische Spiele Winterspiele
(ausgefallen)
1924
Chamonix
1928
Amsterdam
1928
St.
30
Moritz
X. Olympische Spiele Wintersfiele XI. Olympische Spiele Winterspiele XII. Olympische Spiele
1932
Los-Angeles
1932
Lace Placid
1936
Berlin
1936
Garmisch-Partenkirchen
1940
Tokio (ausgefallen)
XIII. Olympische Spiele
1944
London (ausgefallen)
XIV. Olympische Spiele
1948
London (ohne Deutschland und Japan), UdSSR nicht erschienen
1948
St.
Wintersfiele XV. Olympische Spiele Winterspiele XVI. Olympische Spiele Winterspiele Reiterwettkämpfe
Moritz
1952
Helsinki
1952
Oslo
1956
Melbourne
1956
Cortina
1956
Oslo
d'Ampezzo
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky. Bild auf Umschlagseite 2: Teilansicht des Heiligen Bezirks von Olympia mit dem Zeus-Tempel Hinweis: Durch ein Versehen ist in dem Lesebogen 211 („Die kleinen Vier") der Verfassername nicht genannt worden; den Leaebogen schrieb Dipl.-Ing. Götz Weihmann
L u x - L e s e b o g e n 218
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