KLAUS K U N K E L
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N 1954
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KLAUS K U N K E L
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N 1954
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr. 303 (305/109/54) Umschlagzeichnung: Pritz Ahlers, Prieros (Mark) Gestaltung und Typographie: Kollektiv Neues Leben Druck: Karl-Marx-Werk, Pößneck, V15/30
Es war ein Sonntagmorgen des Jahres 1984. Die Terrassen des Cafes „Barbarin" am westlichen Ufer der Havel, im Herzen Potsdams, waren dicht besetzt. Fröhliche Menschen saßen in bequemen Sesseln und genossen die sonntägliche Stimmung. Die flinken Kellnerinnen in ihrer schmucken Kleidung hatten alle Hände voll zu tun, um die Wünsche der Gäste schnell zu befriedigen. Torten und Gebäck, Eis mit Schlagsahne, belebende Getränke, aber auch herzhafte Speisen wanderten ohne Unterbrechung aus der Küche und von den Anrichten auf die einladend gedeckten Tische. Der große Appetit der Ausflügler war nicht verwunderlich, denn viele von ihnen hatten bereits den schönen Morgen zu einem weiten Spaziergang ausgenutzt. Ruhig flössen die blauen Wasser der Havel an den Terrassen vorüber. Sie teilten sich in der Mitte des Flusses, um rechts und links an der Freundschaftsinsel vorbeizukommen, die mit ihren bunten Blumenrabatten dem Auge willkommene Abwechslung bot. Die Sonne meinte es zu gut. Obwohl sie den höchsten Stand des Tages noch nicht erreicht hatte und das in der Nähe befindliche Wasser einige Kühle spendete, sandte sie bereits mit großer Kraft ihre Strahlen zur Erde. Nun ja - die Hundstage haben sich schon von jeher durch besondere Hitze ausgezeichnet. Der Geschäftsführer des Cafes ordnete an, daß die kleinen Sonnenschirme bei den Gartentischen aufgestellt würden. Aber noch bevor diese Anweisung ausgeführt wurde, geschah etwas, das alle Menschen der Umgebung in Aufregung versetzte. Nur wenige Leute hatten beobachtet, daß sich um die Sonnenscheibe allmählich eine Anzahl kleiner runder Schatten von pechschwarzem Ausseher gruppierte. Plötzlich jedoch zogen diese Schatten vor das leuchtende Gestirn am Himmel. Die Sonne schien mit diesem Schleier in eins zu verschmelzen und nahm eine andere Farbe an: sie wurde violett, verfärbte sich immer mehr und strahlte plötzlich - grün! o
Die Gäste des Cafes sprangen erstaunt auf. Da sich die Strahlen des veränderten Himmelskörpers im Wasser der Havel widerspiegelten, liefen viele der Aufgesprungenen an die Brüstung der Terrasse und starrten erschrocken auf das,Naturschauspiel, das sich ihnen dort bot. Niemand wollte zunächst seinen Augen trauen. Gespenstisch hatte sich die Umgebung verändert. Unheimlich wurden alle Konturen grün angestrahlt. Es schien auch mit einem Male kühler zu sein. Erregt gestikulierend sprachen die Menschen aufeinander ein. Vermutungen wurden laut. Aber für die Verwandlung der Sonne fand man keine Erklärung. Da veränderte sich das Bild erneut. Aus dem grünen Sonnenball Schossen Strahlen gleich feurigen Blitzen. Die Zuschauenden hielten den Atem an. Lautlos zerriß der grüne Vorhang vor der Sonne, die Blitze wurden gelblich. Es war, als wische eine Hand den grünen Schleier hinweg - und die Sonne schien wieder golden und warm wie zuvor. Der Vorgang hatte nur etwa drei Minuten gedauert. Gebannt blinzelten die Menschen noch immer in die Sonne. Doch kein Anzeichen deutete darauf hin, daß soeben etwas Außergewöhnliches geschehen war Schnell hatten sich einige Gäste gefaßt und eilten zu den Telephonen, um bei den Observatorien und den Redaktionen der Zeitungen und des Fernsehfunks Auskunft zu holen. Zwar hatten alle diese Stellen zahlreiche Parallelanschlüsse, doch aus den Telephonmuscheln ertönte ununterbrochen das Besetztzeichen, sicher nahmen viele Auskunftheischende die Drähte in Anspruch. Durch das blaue Wasser in der Mitte des Schwielowsees glitt ein leichtes Kanu. Es trug den Namen „Laubfrosch", Das Boot wurde von einem Jungen vorwärtsgetrieben, der mit ruhigen, kräftigen Bewegungen das kurzstielige Ruderblatt an der Außenwand des Kanus entlangzog Im Bug des „Laubfrosches" rekelte sich träge und anscheinend mit sich und der Welt zufrieden, ein junges Mädchen. Es trug einen bunten Luftanzug und ließ sich von der warmen Morgensonne bescheinen. „Das Wetter ist wirklich herrlich", sagte das Mädchen und rückte sich bequem zurecht. ,Es war doch ein guter Einfall von dir, daß du mir vorgeschlagen hast, auf das Motorboot zu verzichten. Man kommt zwar mit den Dingern viel schneller voran, und die Motoren lärmen auch nicht zu sehr, aber die Technik hätte mir in dieser Gegend die Sonntagsstimmung zerstört." „Vor allem wären wir gar nicht in das Gebiet des Kunersdorfer Staatsforstes hineingekommen", antwortete der Junge. „Die Durchfahrt ist für Motorboote verboten. Kein Lärm soll die Ruhe und Abgeschlossenheit des Naturschutzgebietes stören." 4
Monika nickte und schwieg wieder. Peter steuerte langsam dem Ufer zu, um einen Lagerplatz zu suchen. Doch eine geeignete Stelle zu finden, war gar nicht so einfach. Geradezu schaukelten einige weiße Bojen auf dem Wasser, die darauf hinwiesen, daß an diesem Ort eine Landung nicht gestattet war. Die verankerten Hinweise trugen neben der Verbotsbeschriftung die Unterschrift:- „Institut für Sonnenforschung der AW" An anderen Stellen zeigte sich das Ufer dicht mit Bäumen und Sträuchern bewachsen, deren Zweige bis in das Wasser ragten, oder verwehrten stachlige Wände aus Dornengestrüpp jeden Zutritt; dazwischen hatten sich sumpfige Wiesen gebildet. Aber wunderbar sah die ungebändigte Flora aus, und die Luft war rein und klar. „Wie schön es hier ist, Peter!" sagte Monika. Er stimmte ihr aus vollem Herzen zu. „Du hast recht, Monika, es ist schön hier; es ist überhaupt schön auf der Welt." Monika schlug die Augen auf. „Schön? Ja, aber auch sehr langweilig", entgegnete sie trocken. „Was?" Erstaunt zog Peter das Ruder aus dem Wasser. „Was sagst du da? Langweilig?" Peter war sehr überrascht und wußte im ersten Augenblick nicht, was er erwidern sollte. Was hatte seine Freundin für Gründe, die Welt langweilig zu finden? War sie nicht zufrieden? Peter und Monika kannten sich noch nicht lange. Im Winter hatten sie sich bei einem Besuch in der Berliner Staatsoper, Unter den Linden, kennengelernt. Da sie einander sympathisch waren und gemeinsame Interessen besaßen, unternahmen sie später viele Ausflüge gemeinsam, und es entstand mit der Zeit zwischen ihnen eine vertraute Bindung. Peter versuchte, nachdem er die durch die heftige Art seiner Freundin hervorgerufene Verwirrung überwunden hatte, der Begleiterin den vermeintlichen Kummer auszureden: „Ich weiß wirklich nicht, was du willst, Monika! Mir ist es noch nie langweilig gewesen; wir können lernen, was uns Spaß macht, jeder unterstützt uns, und wir sind..." „ Ja, ja", unterbrach ihn Monika, „ich weiß Bescheid. Du brauchst nicht weiter aufzuzählen, daß es unsere Eltern nicht so leicht hatten und wir dafür dankbar sein müssen, daß wir den Sozialismus erreicht haben, daß wir unseren Teil zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen müssen und unsere Aufgaben zu erfüllen haben. Ich weiß Bescheid und stimme ja auch völlig zu. Ich tue es gern, doch man braucht es mir nicht immer wieder vorzukauen." Sie war ärgerlich, weil Peter sie zum Widerspruch reizte. Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte ihre dumme Bemerkung nicht beachtet. Aber nun wollte sie ihm beweisen, daß sie recht hatte und redete sich in Eifer. 5
„Langweilig ist es trotzdem. Was gibt es denn schon Neues, Aufregendes auf unserer Erde? Nichts! Wir lernen immer nur das, was andere schon lange vor uns entdeckt und bewiesen haben. Es gibt eben keine Abenteuer mehr, oder hast du schon einmal eins erlebt? Na, da bist du ruhig. Es ist doch so: Wenn du glaubst, einmal etwas Neues gefunden zu haben, dann weisen unsere Professoren dich auf irgendein dickes Buch hinein dem du alles viel besser nachlesen kannst. Ich finde es schrecklich langweilig, immer nur das verdauen zu müssen, was andere uns bereits vorgekaut haben." Peter schmunzelte. Er bemerkte, daß Monika in ihrer Erregung wahllos Gründe suchte, um ihn zu überzeugen, nur weil sie nicht zugeben wollte, daß sie etwas Unüberlegtes gesagt hatte. Dennoch tat er, als ob er ernsthaft auf ihre Erwiderungen eingehen wollte. „Architekt könntest du nie werden, Monika, denn du willst ein Haus vom Dach aus zu bauen beginnen. Erst müssen wir doch einmal lernen zu verstehen und zu begreifen, was andere schon vor uns erforscht haben. Auf ihren Entdeckungen bauen wir dann auf. Wir sind auch mal mit den Abenteuern an der Reihe. Alles entwickelt und verändert sich, oder ist es nicht ein großes Erlebnis, einen neuen Bazillus zu entdecken oder bei dir in der Botanik..." Leider fiel ihm kein passender Vergleich für dieses ihm fremde Gebiet ein. Monika verschränkte die Arme um ihre angezogenen Beine und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Peter rückte an sie heran, legte seinen Arm um ihre Schulter und wollte sie küssen. „Sei doch lieb", bat er. Doch Monika trotzte. Sie wandte den Kopf zur Seite, so daß er mit seinen Lippen nur ihr Ohrläppchen streifte. „Du bist auch langweilig", sagte sie. „Immer wenn du mich nicht anders überzeugen kannst, willst du mir einfach einen Kuß geben. Ich will aber nicht, hörst du?" Dabei schlug sie zornig mit der Hand auf das Wasser, daß die Tropfen zur Seite spritzten. „Au!" rief sie erschrocken. „Was ist das?" Monika pustete auf ihre Hand. Kleine Bläschen, wie von einer schweren Verbrühung, bildeten sich auf der Haut, die mit dem Wasser in Berührung gekommen war. Peter wurde aufmerksam. Er beobachtete die Oberfläche des Sees schärfer und bemerkte, daß von einigen Stellen leichter Dampf aufstieg. Vorsichtig steckte er nun einen Finger in das Wasser, zog ihn aber schnell wieder zurück. Kein Zweifel - im See floß heißes Wasser. Das Boot war nur noch wenige Meter vom Ufer entfernt. Peter griff wieder zum Paddel, um das Kanu noch näher an das Land heranzubringen. Ein, zwei Ruderschläge - und noch ehe Monika ihre Vermutung über das heiße Wasser im Schwielowsee äußern konnte, geschah etwas, was sich schneller abspielte, als man es schildern kann: Die am Himmel strahlende Sonne verdunkelte sich plötzlich. Sie nahm eine grüne Farbe an. Gleichzeitig kam ein großer Sturm 6
auf. Der Wind heulte und pfiff in den Eäumen. Er bog Tannen und Laubbäume, brach armstarke Äste und schleuderte sie umher. Erschrocken klammerten sich die Insassen des Kanus an die Bordwand. Doch auch hier fanden sie keinen Halt, denn große Wellen rollten von der Mitte des Sees heran und schaukelten das leichte Boot. „Wir müssen an Land!" schrie Peter. Er strengte vergeblich seine Stimme an, um sich durch das Toben verständlich zu machen. Plötzlich schlug das Kanu um. Monika und Peter versuchten zu schwimmen. Sie hörten ein dumpfes Grollen, als stürze ganz in der Nähe ein starker Wasserfall von schroffen Felsen. Lauter und lauter wurde das Dröhnen. Über allem aber schrillte ein hoher, singender Ton. Noch immer war die Sonne verdunkelt. Peter spürte Grund unter seinen Füßen. Er bekam eine lange Baumwurzel zu packen und zog sich mühsam daran hinauf. Dann wollte er sich nach der Freundin umsehen, doch ein Schlag von einem harten Gegenstand traf ihn auf den Kopf, so daß er sofort die Besinnung verlor. Seine umklammernden Hände lösten sich von der glitschigen Wurzel, und der Körper fiel stolpernd vorwärts. Verständlicherweise hatte Monika vor dem heißen Wasser große Angst. Die Verbrühung an der Hand schmerzte noch immer. Doch als das Boot kenterte, umspülten normal temperierte Fluten das Mädchen. Es bekam aber keinen Grund unter die Füße und machte vergebliche Anstrengungen, sich schwimmend über Wasser zu halten. Willenlos wurde das Mädchen abgetrieben. Ein starker Sog packte Monika mit unheimlicher Kraft und riß sie mit. Nach wenigen Minuten war das Toben vorüber. Die Sonne schien so klar und heiß wie zuvor. Nur am Rande des Sees kräuselten sich noch ein paar kleine Wellen. Von dem Kanu war weit und breit nichts mehr zu sehen. Das Gelände des Instituts für Sonnenforschung der Deutschen Akademie der Wissenschaften lag südlich des Naturschutzgebietes „Kunersdorfer Staatsforst" und des Schwielowsees. Die Anlagen waren allseitig von undurchdringlichem Wald umgeben, und nicht eine einzige Straße führte zum Institut. Nur von der Luft aus konnte das Gelände erreicht werden - Hubschrauber übernahmen die Verbindung zu den nahe gelegenen Städten Potsdam und Berlin. Bei der Wahl der Errichtung des Instituts auf diesem Gebiet waren mehrere Gründe ausschlaggebend gewesen: Die Forscher liebten Ruhe; sie wollten möglichst wenig von Neugierigen gestört werden. Außerdem gebot es die Sicherheit, in einer möglichst unbewohnten Gegend zu experimentieren, denn niemals konnte vorausgesehen werden, ob stets alle Experimente ungefährlich ausgingen. Hinzu kam noch, daß man ein unwegsames Gelände besser vor Unbefugten schützen konnte. Die imperialistischen Staaten der 7
Welt waren sehr daran interessiert, rechtzeitig von neuen Entdeckungen zu erfahren. Doch die Luftüberwachung, vom Potsdamer Luftschiffhafen aus gesteuert, bewährte sich vorzüglich. Den heutigen Sonntag hatte die Institutsleitung für ein bedeutsames Abschlußexperiment ausersehen. Abschlußexperiment deshalb, weil der letzte Versuch die Richtigkeit der theoretischen Vorarbeiten der vergangenen Jahre beweisen sollte, und nun war anscheinend alles mißlungen. Im Beratungssaal saßen der zweiundsiebzigj ährige Leiter des Instituts, Professor Philipp Rühlenkamp, und seine engsten Mitarbeiter. Soeben trat der Assistent des Professors, Doktor Günther Bender, ein und wollte den gewohnten Platz an dem breiten Mahagonitisch einnehmen, als ihn Professor Rühlenkamp zu sich heranwinkte. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Doktor Bender, wenn Sie es übernehmen würden, die Geräte sofort wieder einsatzbereit zu machen. Bitte überwachen Sie doch die Aufstellung persönlich. Es wird Ihnen bestimmt gelingen, in etwa drei Stunden mit der Arbeit fertig zu sein." Doktor Bender - er mochte ungefähr sechsundzwanzig Jahre alt sein - sah seinen alten Lehrer erstaunt an. „Ich soll die jetzigen Schlußeinstellungen verändern und die Grundeinstellung wiederherstellen? Das würde bedeuten, daß wir dann Schwierigkeiten bei der Errechnung der Fehlerquellen haben." Professor Rühlenkamp spürte die Verwunderung seines Assistenten. Die Anordnung war auch außergewöhnlich, denn ebenso wie bei einem Verbrechen der Tatort nicht eher verändert werden darf, ehe die Polizei nicht die Spuren gesichert hat, war es üblich, nach Abschluß des Experiments Untersuchungen zu führen, um ebenfalls Spuren zu sichern, das heißt, jede Episode des Versuchs noch einmal zu rekonstruieren. In wenigen Sätzen erläuterte der Leiter des Instituts die Anweisung in seiner behenden, etwas väterlichen Art: „Sehen Sie, Doktor Bender, ich glaube nicht, daß unsere mechanischen Geräte schuld an dem Versagen haben. Deshalb denke ich, daß es wichtig ist, den Versuch heute noch einmal zu wiederholen, zumal die Meteorologen bis in die Nacht hinein einen wolkenlosen Himmel prophezeien. Das wollen wir ausnutzen. Außerdem erhalten wir noch Hilfe." Doktor Bender verstand, daß es im Augenblick keinen Zweck hatte, auf eine lange Erläuterung zu bestehen und verließ den Raum. Er vertraute dem Professor, der sich nun wieder den Mitgliedern des Leitungskollektivs zuwandte, die ebenfalls erstaunt von den Anweisungen des Institutsleiters Kenntnis genommen hatten. Der Chef des Versuchslabors stellte die Frage, die alle bewegte: „Was haben Sie denn vor, Kollege Rühlenkamp? Es war bisher bei 8
alffen mißlungenen Versuchen üblich, nichts an den Geräten zu verändern, weil man dann am ehesten die Ursachen der Fehler entdecken kann. Und nun lassen Sie alle Schäden ausbessern, wir wollen sogar heute noch einen zweiten Versuch durchführen!" Rühlenkamp nickte. „Ich kann verstehen, liebe Kollegen, daß Ihnen mein Verhalten im Augenblick etwas sonderbar erscheinen muß", sagte er. „Ich will es Ihnen sofort erklären, und Sie werden mich bestimmt verstehen. Sehen Sie, wir wissen alle, daß unser Experiment nicht den gewünschten Erfolg hatte, ehrlich gesagt, daß es mißglückt ist. Zwar hat es Veränderungen in der Atmosphäre gegeben, jedoch leider nur solche, auf die wir nicht gefaßt waren. Aber das wissen im Augenblick nicht nur wir, sondern bereits viele Menschen, die ebenfalls die Veränderungen der Sonne beobachten konnten." Die Wissenschaftler sahen sich überrascht an. Sie waren der Meinung, die Auswirkungen des Versuches hätten nur die Umgebung des Institutsgeländes betroffen. Und nun sollte der Wirkungsradius größer gewesen sein? Professor Rühlenkamp bestätigte diese Tatsache. „Auf unserem Gelände sind uns nicht alle Auswirkungen des Experiments bekannt geworden. Wir erlebten zwar Sturm, Orkan, Schattierungen des Lichtes bis zur Dunkelheit, aber viele Menschen in anderen Teilen der Republik, besonders hier in der Nähe, sahen die Sonne plötzlich grün strahlen. Was meinen Sie, wie zur Zeit die Nachrichtenwege beansprucht werden, um von uns Auskünfte zu bekommen, die wir vorläufig noch nicht geben können!" Professor Ottmann, der Strahlenforscher des Instituts, sprang erregt auf. „Zweifellos war das der grüne Strahl", rief er aus. „Mein Lebenswerk! Berichten Sie ausführlicher, Rühlenkamp. Alles muß ich wissen. Wärmte er? Welche Stärke? W i e . . . " „Später", beschwichtigte ihn der Institutsleiter. „Zunächst bitte etwas anderes: Wir wissen also, daß viele Menschen von diesem außergewöhnlichen Ereignis, heraufbeschworen durch unsere Arbeit, unterrichtet sind. Wir müssen deshalb alles in unseren Kräften stehende unternehmen, um das Experiment heute noch einmal durchzuführen, damit wir dann hoffentlich von einem gelungenen Versuch berichten können. Das sind wir uns als Wissenschaftler, das sind wir unserem Staat schuldig, der uns die Voraussetzungen für unsere umfangreiche Forschungsarbeit gibt. Wir wissen doch, daß die Feinde unserer Ordnung jedes Mittel benutzen, um die Wahrheit zu verdrehen und uns zu verleumden. Dabei sind wir für viele unterdrückte Völker Beispiel dafür, was eine freie Nation alles erreichen kann. Daran müssen wir denken, wenn es gilt, Mißerfolge recht schnell wieder gutzumachen." 9
Die Anwesenden erklärten sich einverstanden. Rühlenkamp Berichtete weiter: „Hinzu kommt noch, daß heute, unseren Berechnungen zufolge, der Tag ist, der den atmosphärischen Bedingungen nach besonders günstige Voraussetzungen für das Gelingen unseres Experimentes bietet. Und zum Schluß das Wichtigste: Bekanntlich ist Professor Wichtessikow von uns über alle Phasen des Experiments unterrichtet worden. Er empfahl mir ebenfalls, die Geräte neu instand setzen zu lassen, und er selbst ist bereits auf dem Wege hierher. Ich glaube, er wird uns helfen, unseren Fehler zu entdecken, ohne daß wir dazu erst die mechanischen Einrichtungen überprüfen müssen." Eine Bewegung ging durch die Versammelten. Der Besuch des sowjetischen Kollegen hatte eine außerordentliche Bedeutung: Er war der Leiter des Sonnenforschungsinstituts von Nur-i-Descht und der bedeutendste Wissenschaftler der Sowjetunion auf dem Gebiet der Sonnenforschung. Die deutschen Gelehrten standen seit langem in regem Erfahrungsaustausch mit ihm. „Aber wollen wir bis zum Eintreffen Wichtessikows untätig warten?" fragte Professor Ottmann. „Wir könnten doch inzwischen die grünen Strahlen analysieren. Ich muß viel mehr darüber erfahren." Professor Piühlenkamp lächelte. „Wir müssen uns sogar mit den grünen Strahlen beschäftigen, wenn wir die Ursachen und die Auswirkungen des mißglückten Experiments genau kennenlernen wollen. Frühestens in einer halben Stunde wird unser Gast aus der Sowjetunion hier sein. Wenn Sie also schon immer beginnen wollen, Kollege Ottmann." „Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen", meinte der Angesprochene temperamentvoll. Wenn Professor, Ottmann sich über den grünen Strahl unterhielt, geriet er stets in Aufregung. „Es gibt einige Wissenschaftler, die, weil sie nie Gelegenheit hatten, den grünen Strahl zu erblicken, an ihn nicht glauben. Schön, dabei halten sie aber eine blaue Sonne durchaus für möglich. Bekannt ist jedoch, daß, während die Sonne unter den Horizont hinabtaucht, sie dem Auge meist von roter oder gelber Farbe erscheint. Ihre oberste Kuppe sieht nur in den letzten Sekunden ihrer Sichtbarkeit zuweilen grün aus. Sie hat dann die Farbe des Smaragds, die ungefähr der Wellenlänge von 630/iooooi» Millimetern entspricht. Erstmalig wurde diese Erscheinung im Jahre 1912 im Indischen Ozean gesichtet. Sie tritt leider nur bei ganz klarem, wolkenlosem und dunstfreiem Horizont auf. Die Luft muß durchsichtig sein, damit die Sonne ihren vollen Glanz bis zum Horizont behält. Auch hier kann man bei Sonnenuntergang den grünen Strahl gelegentlich sehen; vorausgesetzt, daß das Auge durch den Sonnenglanz noch nicht ermüdet ist." Professor Ottmann spielte mit seinem Bleistift und klopfte mit ihm den Takt zu seinen Erläuterungen auf die Tischplatte. „Die 10
Erklärung für diese Erscheinung ist in der Strahlenbrechung durch die Lufthülle unserer Erde zu suchen, deren Dichte nach oben hin abnimmt, sowie in der Abdeckung der Sonnenscheibe durch den Horizont oder durch Bergkuppen und in der Wirkung des Wasserdampfes, der hauptsächlich rotgelbe Strahlen nicht hindurchläßt." „Ihre Erläuterung, lieber Kollege Ottmann, gibt uns gleichzeitig einen wichtigen Hinweis, weshalb einzelne Strecken unserer Erde durch das grüne Licht verdunkelt wurden", sagte Professor Rühlenkamp. „Ich schlage Ihnen deshalb vor, daß wir jetzt an Hand der einzelnen Berechnungen mit einer systematischen Prüfung beginnen." Unter der Leitung Doktor Benders wurden die großen Geräte des Instituts wieder einsatzbereit gemacht. Langsam schwenkten die Monteure die riesigen Parabolspiegel, die auf hohen Stahlkonstruktionen ruhten, erneut der Sonne zu. Automatisch folgten diese Instrumente dem Lauf der Sonne, so daß die Strahlen aus dem Weltall stets senkrecht auf einen Punkt konzentriert werden konnten. Dieser Punkt war ein Kessel, in dem die Heizflächen so geordnet waren, daß die einfallende Wärmeenergie keinen Rückweg mehr finden konnte. Der Lichtstrahl fiel durch eine kleine Öffnung auf eine innere Wölbung und wurde teilweise von ihr aufgenommen, teilweise aber auch zurück auf eine andere Fläche geworfen, die ebenfalls gewölbt war. Das Spiel wiederholte sich so lange, bis alle Wärme für die Verdampfung des Wassers verbraucht war, das durch den Kessel geleitet wurde. Auch die Antennenspiegel aus Drahtnetzen mußten von den Radio-Helioskopen neu abgestimmt werden, um die V/eilen aus den Bereichen von drei bis zehn Metern gut empfangen zu können. Der Beobachtungsstand der Wissenschaftler, der Einsteinturm, konnte schnell wieder einsatzbereit gemacht werden. Seine wesentlichen Teile bestanden aus einem mit Mauerwerk umkleideten, zwanzig Meter hohen Stahlgerüst, einem Kipp- und einem Fangspiegel, die die von der Sonne ankommenden Strahlen, unabhängig vom jeweiligen Sonnenstand, senkrecht nach unten ablenkten und in ein Spiegelteleskop warfen, dessen Brennweite gleich der Höhe des Turmes war. Auf einem Bildschirm entstand dann eine etwa zwanzig Zentimeter große Abbildung der Sonnenscheibe, die man unmittelbar beobachten, photographieren und mit einem Spektralgerät von einem großen Auflösungsvermögen untersuchen konnte. Der Vorteil des Spiegelteleskops bestand darin, daß es keine Farbfehler wie die sonst zur Beobachtung verwandten Linsenfernrohre aufwies. Der Einsteinturm konnte also nur den Verlauf des Experiments genau registrieren, ohne daß er selbst aktiv eingriff. Die meiste Arbeit aber erforderten die zwölf Richtstrahler, die mit der aus der Sonne gewonnenen Energie gespeist wurden, von 11
der sie unersättlich erstaunliche Mengen schluckten und dann ihrerseits Atomenergie in bestimmten Abgrenzungen freimachten und emporschössen. Diese neukonstruierten Geräte waren der Stolz des Instituts. Ihnen fiel die Hauptarbeit bei dem Versuch zu: Sie sollten die Atmosphäre so durchlässig machen, daß einige Sonnenstrahlen auf die Erde gelangen konnten, ohne daß sie von den Luftschichten beeinflußt wurden. Gleichzeitig ließ man Ballonregistriergeräte zu einer Höhe von 40 000 Metern aufsteigen. Beim Durchstoßen der Ozonschicht in 30 000 Meter Höhe meldeten' sie die Stärke der ultravioletten Ausstrahlung und die Temperatur. Doktor Bender stand vor einem Wasserreservoir, in das erneut Wasser aus dem Schwielowsee hineingepumpt wurde. Er wandte sich an den neben ihm stehenden älteren Mann, der behaglich ein kurzstieliges Pfeifchen schmauchte. „Na, Kollege Waldke, Ihre Wachschicht ist doch schon längst vorbei. Noch keine Lust, Feierabend zu machen?" Richard Waldke, der als Pförtner einer der bekanntesten Mitarbeiter des Sonnenforschungsinstituts war - mußten doch alle Kollegen täglich an ihm vorbei -, nahm seinen Tabakbrenner aus dem Mund. Bevor er die ersten Silben gesprochen hatte, wußte der Assistent, daß die ersten Worte des alten Pförtners sein Lieblingsausdruck „Durchaus nicht" sein würden. Und richtig: „Durchaus nicht", erwiderte Richard Waldke, „ich muß doch wissen, was nun geschieht. Zu Hause hätte ich keine ruhige Minute. Wissen Sie, Doktor, als auf einmal die ganzen Sachen hier zu glühen und zu kochen begannen, bekam ich es beinah mit der Angst zu tun." „Auch uns war recht ungemütlich zumute, Kollege Waldke, aber von Angst kann doch wohl keine Rede sein." Der Assistent wußte, daß der alte Pförtner als ehemaliger Rettungsschwimmer öfter mutig sein Leben eingesetzt hatte. Auch jetzt versah er seine Tätigkeit gewissenhaft und war stets bereit, sich an außerhalb seines Aufgabengebietes liegenden Arbeiten zu beteiligen. Waldke bemerkte, daß er sich nicht richtig ausgedrückt hatte. „Wissen Sie, Doktor, ich meine durchaus nicht Angst um mich. Aber ich fürchtete für die Instrumente, für das Experiment, das wir solange vorbereitet hatten." „Diese Sorge hatten wir alle", erwiderte Doktor Bender verständnisvoll. „Es war eine schreckliche Überraschung, als auf einmal die Geräte heiß wurden, zu glühen begannen, das Wasser in den Behältern dampfte und wir es vor Hitze nicht aushalten konnten. Wir mußten die Katastrophenschleusen öffnen und mit großem Druck neues Wasser aus dem Schwielowsee heranpumpen und zur Kühlung benutzen, während das heiße Wasser wieder zurückgeleitet wurde. Aber alles ging noch gut ab." 12
„Es scheint so, als will die Sonne es durchaus nicht zulassen, daß wir ihr weitere Geheimnisse entreißen", meinte Waldke. „Sie wehrt sich mit allen Mitteln. Und diese sind nun mal in erster Linie heiße Strahlen." „Doch es wird ihr nichts nützen", lachte Doktor Bender. „Wir Menschen werden immer mehr die Natur erkennen und sie zu beherrschen wissen." Der alte Pförtner räusperte sich, sog an seiner Pfeife, stieß einige Rauchwolken aus und räusperte sich wieder. Sein Gebaren ließ darauf schließen, daß er etwas auf dem Herzen hatte. „Sagen Sie, Doktor", fragte er endlich, „was geschieht eigentlich mit der Sonne? Ich meine, natürlich nur, wenn Sie Zeit haben, würde ich ganz gerne mehr darüber wissen. Wo ich doch hier arbeite..." Es war nichts Außergewöhnliches, daß die Mitarbeiter des Instituts, die nicht direkt an den Forschungsarbeiten beteiligt waren, Interesse für die wissenschaftlichen Arbeiten bekundeten. Auf Anregung der Akademie wurden deshalb regelmäßig populärwissenschaftliche Vorträge veranstaltet, an denen all diese unentbehrlichen Helfer der Wissenschaftler teilnehmen konnten. Es blieb natürlich nicht aus, daß der eine oder der andere trotz der allgemeinverständlichen Darstellung des Vortragenden nicht jede wissenschaftliche Einzelheit verstand, aber die Zuhörer erfaßte doch ehrliche Achtung vor dem großen Werk, und sie waren stolz darauf, ihr Teil mit dazu beitragen zu können. Auf diese Vorträge wies Doktor Bender den Pförtner hin. „Als über das Experiment gesprochen wurde, war ich nicht dabei", antwortete der Pförtner und setzte besorgt hinzu: „Doch wenn es Ihnen durchaus nicht paßt, d a n n . . . " Der Assistent erinnerte sich an Professor Rühlenkamp, der stets geduldig alle Fragen beantwortete, und er unterbrach den Sprechenden. „Bis die Behälter gefüllt sind, muß ich sowieso hierbleiben, Kollege Waldke. Warum sollen wir uns da nicht über die Sonne unterhalten. Wie Sie wissen, ist sie eine Kugel mit einem Durchmesser von 1 400 000 Kilometern. Das ist das Hundertfache des Erddurchmessers und mehr als dreimal soviel wie der Abstand E r d e Mond, so daß die Erde mit der Mondbahn bequem in der Sonne Platz fände. Wie die Erde dreht sie sich von West nach Ost. Man erkennt dies an den Sonnenflecken, die am Westrand erscheinen, etwa zwei Wochen zum Ostrand wandern und nach weiteren zwei Wochen wieder am Westrand auftauchen. Im Innern ist die Sonne 20 Millionen Grad heiß. Sie strahlt aber nur verhältnismäßig geringe Wärme aus, denn die Strahlung kommt nicht aus dem Inneren der großen Kugel. Die Strahlen, die uns erwärmen, entstammen hauptsächlich einer Schicht der Sonnenoberfläche, die 200 Kilometer tief ist. Man nennt sie die Licht- oder Photosphäre. Weiter hat man 13
festgestellt, daß sich hoch über der Sonne eine Schicht befindet, die zwar dünn, aber weit über eine Million Grad heiß ist, obwohl die Oberfläche der Sonne doch nur eine Temperatur von 6000 Grad aufzuweisen hat." Verlegen stopfte sich der Pförtner die Pfeife, obwohl der Tabak der letzten Füllung noch nicht ausgeglüht war. Er wollte eigentlich dem Assistenten sagen, er möge sich die einfachen Erläuterungen über die Sonne ersparen. Soviel war ihm bereits geläufig, als altem Angehörigen des Instituts. Doch er wollte nicht unhöflich sein und versuchte, den Wissenschaftler durch eine Überleitung zur Fortsetzung seines Vortrages zu bewegen. „Dort oben bilden sich doch auch die Sonnenflecke und die Protuberanzen, nicht wahr?" fragte er. Doktor Bender griff den Faden auf. „Sonnenflecke sind wirbelartige Ausbrüche tieferer Schichten in der Sonne, die, von der Erde her gesehen, als Flecke erscheinen. Sie können sich denken, daß Ausbrüche, die man aus 150 Millionen Kilometer Entfernung gelegentlich schon mit bloßem Auge erkennt, nicht kleinen Ausmaßes sind. Zuweilen treten sie so zahlreich auf, daß sie zusammen ein Zwanzigstel der Sonnenscheibe einnehmen. Über den Flecken entstehen starke magnetische Felder. Auf unserer Erde zittern dann die Magnetnadeln, Radioempfang und Telephonie werden gestört, Zugvögel und Brieftauben, die von magnetischen Störungen irregeleitet werden, verfehlen ihr Ziel. Aus den Schlünden der Sonnenkrater aber schießen Kanonaden von Elektronen heraus und überhageln, wenn die Erde ihr Schußfeld passiert, unseren Globus. Da sie den magnetischen Kraftlinien folgen, eilen sie den magnetischen Polen zu. Dort entreißen sie den Atomen in den höheren Schichten der Atmosphäre einzelne Elektronen, ionisieren sie also; und nun leuchten diese Luftschichten als Nordlichter auf." Richard Waldke hatte vergessen, daß er Doktor Bender ins Wort fallen wollte, wenn dieser seiner Meinung nach von zu einfachen Dingen sprach. „Aber die Nordlichter sind doch nicht die Protuberanzen", wandte er ein. „Natürlich nicht", bestätigte der Assistent Professor Rühlenkamps. „Das Leben an der Oberfläche der Sonne ist stürmisch und reich an Rätsein. Als an einem Februartag dieses Jahres Ballon-Registriergeräte in 30 000 Meter Höhe nur eine Temperatur von minus 13 Grad im Vergleich zu gewöhnlich minus 40 bis 50 Grad anzeigten, standen wir alle zunächst vor einem Rätsel. Aber unsere Wissenschaftler stellten dann fest, daß sich zur gleichen Zeit auf der Sonne Explosionen ungeheuren Umfangs abspielten: Riesige Gasausbrüche, auch Eruptionen oder Protuberanzen genannt. Dabei schössen helleuchtende Gasmassen eine Million Kilometer weit über den Rand der Sonne hinaus. Die Ultraviolettstrahlung wuchs auf das Zehnfache 14
an, was in der Ozonschicht der Erde, also in 30 000 Meter Höhe eine Erwärmung zur Folge hatte, die alle Wettervorhersagen über den Haufen warf. - Jetzt im Sommer fand wieder so ein Ausbruch statt, der sogar noch stärker als der vorherige war. Das ist nun der für unsere Versuche äußerßt günstige Augenblick. Die Strahlen der Sonne dringen stärker denn je zu unserer Erde, Doch die Ozonschicht ist widerstandsfähig. Sie erwärmt sich zwar, doch noch immer werden die Lichtstrahlen, die uns interessieren, von ihr zurückgehalten." „Man muß eben diesen Strahlen schnellstens einen Weg zur Erde bahnen", meinte Richard Waldke bedächtig. Doktor Bender lachte. „Genau dasselbe wollen wir tun. Unsere Strahler sollen die Wegbereiter der Lichtteilchen, der Korpuskeln sein. Leider ist irgend etwas schief gegangen. Sie haben es erlebt. Aber wir werden es heute noch einmal versuchen, und dann wird es bestimmt klappen." Der Pförtner überlegte. „Die Wissenschaft wird also wichtige neue Erkenntnisse gewinnen. Kann man aber auch die neuen Strahlen irgendwie praktisch verwerten, ich meine, irgend etwas Nutzbringendes mit ihnen anfangen?" „Eine Frage, die die Wissenschaftler immer wieder beantworten müssen", entgegnete der Assistent lächelnd. „Als wenn das Gewinnen neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnisse noch nicht genug wäre. Doch ich kann Ihnen heute schon verraten, Kollege Waldke, daß wir mit den Strahlen der Sonne Heilkuren durchführen wollen. Die Heilkraft richtig angewandter Sonnenstrahlen ist ja bekannt. Sie könnte um ein Vielfaches gesteigert werden, wenn wir die Strahlen rein, also ohne Verminderung durch die Ozonschicht, verwenden könnten. Die Mediziner hoffen, endlich in den echten Sonnenstrahlen, die durch keine Störung beeinflußt werden, ein wirksames Mittel gegen den Krebs zu finden. Verschiedene Messungen und Beobachtungen, die über der Ionosphäre gemacht wurden, deuten darauf hin. - Aber was haben Sie denn?" Während der kurzen Unterhaltung hatten die beiden Männer nicht auf das Wasser geachtet. Das gleichmäßige Rauschen war ihnen Beweis genug, daß alles in Ordnung ging. Doch plötzlich öffnete der Pförtner vor Überraschung den Mund, daß die Pfeife herunterfiel, und deutete mit ausgestrecktem Arm in den Wasserbehälter. In dem Becken schwamm ein Mädchen, das offensichtlich durch den Kanal mitgeschwemmt worden war. Das Becken besaß einen Durchmesser von sechs Metern und befand sich doppelt so tief in der Erde. Es bestand aus Beton und hatte viele Abflüsse, die jetzt durch Schotten versperrt waren. An den glatten Wänden konnte die Schwimmerin keinen Halt finden. Da der Wasserspiegel noch ungefähr einen Meter unterhalb des Randes stand, holte Richard Waldke schnell eine Leiter, die er in 15
das Wasser hinabließ. Von Doktor Bender hilfreich unterstützt, kletterte Monika heraus. Ihr Kopf tat ihr weh, und sie versuchte, sich zu erinnern, wie alles gekommen war. Nachdem das Kanu in der Nähe des Ufers gekentert war, hatte sie ein starker Sog mitgerissen. An Gegenwehr konnte Monika nicht denken. Sie mußte ihr ganzes Bestreben darauf richten, möglichst wenig Wasser zu schlucken. Allmählich wurde dann der Strom, in dem sie schwamm, ruhiger, und es fiel ihr leichter, an der Oberfläche zu bleiben. Sie mußte sehr aufpassen, daß sie sich nicht Knie und Ellenbogen in dem engen, ihr endlos erscheinenden Kanal aufstieß. Schließlich war sie. mit einem unfreiwilligen Kopfsprung im Wasserreservoir des Instituts gelandet. Das alles berichtete das erschöpfte Mädchen; und auch von ihrer Paddelfahrt mit Peter erzählte sie. Schnell wurde sie in warme Decken gehüllt. Doktor Bender ordnete an, daß man Monika Gelegenheit zum Ausruhen geben solle. Er selbst wollte sofort dem Institutsleiter Bericht erstatten, doch da hörte er, wie das Mädchen, das inzwischen von vielen Mitarbeitern mit Fragen bestürmt wurde, es ablehnte, sich längere Zeit auszuruhen. „Meine Kleider sind schon so gut wie trocken", sagte Monika und warf die Decken ab, denn es war ihr peinlich, so unschön eingepummelt dazustehen. „Müde bin ich auch nicht im geringsten. Wir müssen sofort Peter suchen. Wer weiß, was ihm alles zugestoßen ist." Doktor Bender gab Monika recht. Er befahl, daß sofort zwei Hubschrauber den See absuchen sollten. In einem wollte er mit Monika fliegen, die darauf bestand, unbedingt mitgenommen zu werden. Richard Waldke konnte inzwischen die Benachrichtigung der Institutsleitung übernehmen. Langsam kam Peter zu sich. Er bemühte sich, seine Gedanken zu sammeln. Der Schädel dröhnte ihm, und vorsichtig betastete er die große Beule am Hinterkopf, die ihm ein brechender Ast geschlagen hatte. Der Schwielowsee lag glatt und ruhig, als ob er nie Wellen aufgeworfen hätte. Die Sonne schien warm und freundlich, wie es sich für einen Sommersonntag gehörte. Trotzdem fröstelte Peter. Er zog schaudernd die nackten Schultern zusammen und rieb sich die Arme. Es war die Stille, die ihn bedrückte und furchtsam machte. „Mo-ni-ka!" Peter glaubte mit voller Lautstärke zu rufen. Doch seine Stimme klang heiser und leise. Er räusperte sich und versuchte es noch einmal: „Mo-ni-ka!" Diesmal ging es schon besser. Doch der Schall wurde vom buschigen, jetzt sehr verwüsteten Ufer und dem dahinterliegenden Wald verschluckt. Peter beschloß, am Wasser entlangzugehen, um seine Freundin zu suchen. Vorsichtig kletterte er über gestürzte Bäume, mied tiefe 16
Wurzellöcher und sprang über sumpfige Stellen. Aber doch war er nicht achtsam genug. Er schaute mehr suchend in die Gegend, als auf den Weg, den er zu gehen hatte. Plötzlich rutschte sein linker Fuß ab, der ganze Körper sackte nach. Hilfesuchend griffen die Arme in die Luft, ein erstickter Schrei - Peter spürte erneut einen Schmerz am Hinterkopf, mit dem er gegen einen Baumstamm geprallt war. Dann verlor er zum zweitenmal das Bewußtsein, während er immer tiefer in den morastigen Boden einsank. Mit langsam mahlenden Propellern flogen zwei Hubschrauber nur wenige Meter über den höchsten Baumwipfeln dem See zu. Sie folgten dem kilometerlangen Kanal, durch den Monika mitgerissen worden war und der sich schnurgerade vom Institutsgelände bis zum Schwielowsee hinzog. Die eine Maschine steuerte ein Pilot des Instituts, in der anderen saßen Doktor Bender und Monika. Das Mädchen konnte jetzt von oben sehen, daß mehrere Kanäle wie schmale Bänder sternförmig vom Institut aus durch den Wald gegraben waren. Der Assistent erklärte: „Für uns als Sonnenforschungsinstitut ist es selbstverständlich, daß wir unsere ganze Energie von der Sonne beziehen, leider noch immer in sehr altertümlicher Weise. Wir konzentrieren die Strahlen auf sogenannte Sonnenkessel, in denen Wasser verdampft. Wir wollen nämlich die alten Anlagen noch ausnutzen, denn wir können einen erheblichen Teil Strom an die umliegenden Dörfer, ja, sogar bis nach Potsdam abgeben. Die modernen Anlagen beziehen die Elektrizität auf direktem Umwandlungswege von der Sonne." „Aber für die Sonnenkessel allein brauchen Sie doch nicht so viel Wasser?" fragte Monika. „Nein", entgegnete Doktor Bender, „aber bei großen ausgebreiteten Bränden hat sich Wasser, sofern es reichlich zur Verfügung steht, noch immer am besten bewährt. Jedoch bei uns kommt noch etwas anderes hinzu: Wir Sonnenforscher beobachten nicht nur, messen, registrieren und stellen theoretische Formeln auf, sondern wir experimentieren und greifen aktiv in die Naturvorgänge ein. So manches unserer riesigen Instrumente läuft dabei heiß, und wir brauchen Tausende Hektoliter, um es durch Wasserkühlung einsatzbereit zu halten, so wie heute vormittag zum Beispiel. Die erhitzten Wassermassen pressen wir dann durch unsere Kanäle in den See zurück." Die Hubschrauber kreisten inzwischen über dem Wasser. Sechs Augen starrten angestrengt nach unten. Langsam gingen die Maschinen tiefer und folgten dem Lauf des Ufers. Man sah umgestürzte Bäume, zerrissene Sandbänke, zerzauste Sträucher, aber von Peter oder dem Boot „Laubfrosch" war keine Spur zu entdecken. Die Sonne strahlte große Hitze aus. Der See lag ohne Wellenschlag vollkommen ruhig da. Monika und Peter schienen die einzigen 17
Sonntagsausflügler im Naturschutzgebiet gewesen zu sein, denn kein Boot zeigte sich auf dem Wasser. Die Suche am Ufer blieb erfolglos. Deshalb begannen die Hubschrauber von der Stelle des Kanals aus, von der Monika der Sog mitgerissen hatte, landeinwärts zu fliegen. Da aber das Blätterdach des Waldes zu dicht war und die suchenden Blicke nicht hin durchließ, blieb nur die Hoffnung, daß Peter die Hubschrauber hörte und sich irgendwie bemerkbar machen konnte. Es war eine schwache Hoffnung. Zwei Stunden vergingen. Noch immer war der Gesuchte nicht gefunden worden. Da hieltDoktorBenderseineMaschinean. Der Hubschrauber blieb in der Luft stehen. Der Pilot klemmte die Steuerung fest und bediente den Kurzwellensender. Zunächst benachrichtigte er den Luftschiffhafen in Potsdam und bat, sofort einen ständigen Patrouillendienst über dem See und dem Waldgebiet einzusetzen. Dann ordnete er an, daß Suchtrupps vom Institut aus den Wald durchstreifen sollten. „Außerdem müssen Motorboote eingesetzt werden, die man mit Schleppnetzen ausrüsten soll", befahl er abschließend. Monika hielt sich tapfer. Sehr mußte sie sich zusammennehmen, um nicht ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Sie dachte an das letzte Gespräch mit Peter. Vieles hatten sie sich noch zu sagen. Stumm nickte sie, als Doktor Bender vorschlug, den Heimflug anzutreten. Der sowjetische Gast war inzwischen eingetroffen. Professor Rühlenkamp nahm ihn sofort nach dem herzlichen Empfang durch die Mitarbeiter des Instituts in Beschlag. Die Höflichkeit erforderte, daß dem Gast ein Frühstück angeboten wurde. Wichtessikow lehnte ab. „Ein voller Bauch studiert nicht gern", sagte er, „deshalb erst die Arbeit. Das Essen kann warten." Er wandte sich sofort an seinen Kollegen Rühlenkamp, nachdem er in dessen Arbeitszimmer Berechnungen und Tabellen ausgebreitet hatte. „Ich habe im Flugzeug Ihre restlichen Angaben per Funk empfangen und überrechnet. Es ist also nicht gelungen, die Lichtstrahlen der Sonne, die bisher noch immer von der Ozonschicht zurückgehalten werden und die wir erstmals genauer kennenlernen wollen, auf die Erde herabzuholen. Statt dessen haben Sie den grünen Strahl vervielfacht. Eine einmalige Tat in der bisherigen Arbeit der Wissenschaft." „Aber leider ist unser Ziel nicht erreicht worden", entgegnete Rühlenkamp. „Die Strahlen der Sonne dringen nicht vollständig zu uns herab. Wir müssen aber diese Strahlen in ihrer ganzen Zusammensetzung untersuchen, um endlich Klarheit darüber zu bekommen, ob die Sonne ebenfalls die Elemente Chlor, Brom und Jod besitzt. 18
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Die Untersuchung des Sonnenspektrums, speziell der Frauenhoferschen Linien, hat bisher ergeben, daß Wasserstoff und Helium die bei weitem vorherrschenden Elemente sind. Die übrigen Elemente sind in viel geringeren Mengen vertreten. Ihre Verteilung entspricht etwa der unserer Erde. Die Untersuchungen des Spektrums konnten wir bisher bis zu den Wellenlängen von 3000 Angström ausdehnen, wobei ein Angström einem zehnmillionstel Millimeter entspricht. Doch das Sonnenspektrum ist noch viel größer. Leider hält die Ozonschicht über der Erde die Strahlen in diesen Wellenbereichen zurück. Durch unsere Einwirkungen machen wir die Atmosphäre erstmalig für die kompakten Sonnenstrahlen durchlässig, wie sie bis zur Ozonschicht stoßen, um hinter eines der wichtigsten Geheimnisse der Sonne zu kommen: Endgültige Klarheit über die Zusammensetzung ihrer Elemente. Dann werden wir mit der noch umfangreicheren Ausnutzung der Sonnenenergie beginnen können. Besonders die medizinische Wissenschaft verspricht sich große Vorteile von der Anwendung der bisher noch unausgewerteten Strahlen. Hoffentlich ist uns Erfolg beschieden." „Jedes Ding hat zwei Seiten", tröstete der sowjetische Professor seinen deutschen Kollegen, „und die Wissenschaft hat bereits durch Ihr erstes Experiment viele neue Erkenntnisse erhalten. Auch das eigentliche Ziel der Versuchsreihe werden sie erreichen. Die Ärzte sollen nicht vergebens auf den Erfolg unserer Arbeit warten. Mit den chemisch am meisten wirksamen Strahlen, mit den ultravioletten, die auf bestimmte Gewebearten, auf unprägniertes Holz und auf ungeschützte Chemikalien eine verderbliche Wirkung ausüben, haben sie schon gute Erfolge erzielt. Ebenso wie das Schlangengift in abgemessenen Dosen heilsam und nicht schädlich wirkt, helfen uns bereits die Sonnenstrahlen, die ohne unsere Einwirkungen seit Jahrtausenden auf die Erde hinabdringen, und die besonders in dünner und staubfreier Atmosphäre ultraviolette Strahlen auf die Menschen herabschießen. Gesunde Menschen reagieren darauf mit ihrem natürlichen Schutz, indem sich auf der untersten Schicht ihrer Haut ein dunkler Farbstoff bildet, der als sogenannte Bräune durch die Oberhaut dringt. Doch dieser Schutz ist zeitlich begrenzt, bei längerer Bestrahlung gibt es den Sonnen- oder Gletscherbrand, wenn man sich nicht durch andere Mittel schützt." „Bleiben wir zunächst bei der Heilwirkung der Strahlen", entgegnete Professor Rühlenkamp. „Neben dem Aufschluß über die Elemente in der Sonne, werden uns die erstmals durch die Ozonschicht dringenden Lichtstrahlen neue Eigenschaften der Sonnenstrahlen bescheren, von denen sich die Ärzte großen Einfluß auf die Gesunderhaltung der Menschen versprechen. - Doch nun wollen wir endlich die Berechnungen aufstellen und nicht länger das Fell des Bären verteilen." 19
Der sowjetische Professor lächelte. Er, der selbst gerne Sprichwörter anwendete, hatte auch die Bedeutung dieses Sprichwortes verstanden. Er reichte seinem Kollegen einige Bogen, die dicht mit Berechnungen bedeckt waren. „Bevor wir das Kollektiv mit zur Beratung hinzuziehen, bitte ich Sie, sich einmal mit meinen Gedanken vertraut zu machen. Wir müssen noch wichtige Verbindungsbrücken schaffen, und es wird zweckmäßig sein, die Arbeit genau einzuteilen." Für die Gelehrten versank die Umwelt in Zahlen und Formeln, die für den Laien unverständlich waren, den Wissenschaftlern jedoch feste Vorstellungen von ihrer schwierigen Aufgabe vermittelten. Monika war der Obhut des alten Pförtners anvertraut worden, der seine Aufgabe sehr ernst nahm. Mit verweintem Gesicht saß ihm das Mädchen gegenüber und fragte immer wieder, ob auch alles getan werde, um Peter aufzufinden. „Aber Fräulein Monika", sagte Richard Waldke, „Sie brauchen durchaus keine Angst um Ihren Peter zu haben. Ich kenne den Schwielowsee aus dem Effeff. Da war ich mal eine Zeit als Rettungsschwimmer eingesetzt. Kopf hoch, das Wasser ist nicht tief und es gibt gar keine Anzeichen dafür, daß er überhaupt im See geblieben ist." Monika antwortete nicht. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte sich an der Suchaktion beteiligt. Der Pförtner hatte Mühe, sie zurückzuhalten. Er machte ihr klar, daß ihre Beteiligung an der Suche keinen Erfolg haben würde, da ihr das Gelände ja völlig unbekannt sei. „Außerdem", sagte er, „ist es für uns eine Kleinigkeit, den jungen Mann zu finden, wo wir doch noch ganz andere Dinge fertig bringen. Wir holen jetzt sogar die Sonne auf die Erde herunter.". Das Mädchen horchte auf. „Was tun Sie?" fragte es erstaunt. „Sie holen die Sonne auf die Erde herab? Wie machen Sie denn das?" „Ganz einfach, Mädchen", entgegnete Riehard Waldke; er gab sich bewußt burschikos, denn er war froh, daß er Monika auf andere Gedanken bringen konnte, „wir bohren ein Loch in die Luft und schon fallen kleine Stückchen der Sonne hindurch." Das war eine im Prinzip richtige, wenn auch sehr unwissenschaftliche Erklärung. Aber das Mädchen gab sich damit zufrieden und bekundete kein weiteres Interesse. Der Pförtner war enttäuscht. Er war gerne bereit, von seinem erworbenen Wissen abzugeben, um Monika damit abzulenken. „Möchten Sie denn durchaus nicht wissen, wie unser Institut an diesem Experiment arbeitet?" fragte er. „Das ist ein spannendes Abenteuer, sage ich Ihnen." 20
Monika hielt sich die Ohren zu. „Ich will von keinem Abenteuer hören", sagte sie erregt, „ich will nur wissen, was mit Peter geschehen ist. Diese Untätigkeit halte ich nicht mehr aus. Ich bange um meinen Freund, und Sie erzählen mir ständig von der Sonne, die da oben weiterscheint, als ob nichts geschehen sei." „Na, na", murmelte der alte Pförtner verdutzt, von dem Temperamentsausbruch des Mädchens überrascht. Er wußte nicht recht, was er erwidern sollte. Monika bereute ihre Heftigkeit. „Entschuldigen Sie bitte", bat sie „ich ich war nicht sehr höflich, glaub' ich, aber " Sie brach in Weinen aus. „Schon gut, schon gut", meinte Richard Waldke begütigend, „ist Ja alles halb so schlimm, und wird schon wieder werden." Dabei sog er heftig an seiner Pfeife, denn er wußte beim besten Willen nicht, wie er das weinende Mädchen trösten sollte. In diesem Augenblick ging die Tür auf und Professor Ottmann, der Strahlenforscher, kam, herein. Es entging ihm völlig, daß hier eine überaus niedergedrückte Stimmung herrschte. Er übersah die Tränen Monikas und wandte sich aufgeregt an den Pförtner. „Haben Sie den Institutsleiter gesehen?" fragte er. „Der Herr Professor und der sowjetische Gast sind zu den Richtstrahlern gegangen", antwortete Richard Waldke. „Die Einstellungen dürfen auf keinen Fall geändert werden", rief der Wissenschaftler. „Der grüne Strahl ist so wertvoll, daß wir das Experiment mit dem alten Verlauf noch einmal wiederholen müssen." Seine Berechnungen in der Hand schwenkend, lief er hinaus. „Na, das wird der Professor aber nicht zulassen", meinte der Pförtner. Dann reichte er Monika sein Taschentuch, damit sie ihre Tränen trocknen konnte. Wo war nun Peter? Der Gedanke an den Vermißten und an das, was ihm alles zugestoßen sein könnte, bewegte die Teilnehmer der planmäßigen Suchaktion, die jetzt eingesetzt hatte. Triebflügler und Hubschrauber patrouillierten in der Luft. Ihre Besatzungen spähten angestrengt zur Erde, um ein Lebenszeichen des Jungen zu entdecken. Aber sie sahen nur die Suchtrupps, die sich mühsam ihren Weg durch das Dickicht des Naturschutzgebietes bahnten. Auf den Kanälen, die sich durch den Wald zogen, fuhren schmale Kajaks. Es konnte möglich sein, daß Peter den Weg zu einem dieser Gewässer gefunden hatte und sich nun an dem betonierten Ufer vorwärtsarbeitete. Aber auch die letzte Möglichkeit wurde nicht vergessen: Mit Hilfe von Schleppnetzen suchte man den Schwielowsee ab. Wenn der Junge ertrunken war, mußte man seine Leiche finden. 21
Und wo war Peter wirklich? Er saß in einem Gefängnis, aus dem er sich nicht allein befreien konnte. Und das war so gekommen: Als der Junge aus der Betäubung erwachte, spürte er sumpfige Kälte um sich. Er fühlte, daß er irgendwo hineingefallen war und sich kaum bewegen konnte. Dunkelheit herrschte in seinem Verlies. Nur durch zwei schmale Ritzen drang etwas Licht von oben herein, so daß sich Peter, nachdem er richtig zur Besinnung gekommen war, endlich umsehen und orientieren konnte. Er hockte in einem tiefen Wurzelloch in der Nähe des Ufers. Ein riesiger Baum war durch den Sturm aus dem Sumpfboden, in dem er stand, vollends herausgerissen worden. In die Öffnung des Bodens war Peter hineingerutscht. Gleich darauf hatte sich der mächtige Stamm quer darübergelegt und war erst dann zur Ruhe gekommen. Vorsichtig versuchte Peter sich aufzurichten. Durch den starken Druck des Stammes von oben wurde sein Gefängnis immer schmaler. Nicht viel, aber immerhin verringerte sich dadurch die Tiefe des Wurzelloches. Als der Junge nun gegen den Stamm von unten her drückte, rückte dieser nicht um einen Millimeter fort, Im Gegenteil, die Last schien sich noch mehr zu senken. Der sumpfige Boden gab nach, da der Stamm schief lag und der Schwerpunkt der Last sich immer mehr nach unten verlagerte. Besorgt hielt Peter in seinen Bemühungen inne. Jede Bewegung würde seine Lage verschlechtern. Das brackige Wasser stand ihm bis zu den Knien. Von den Wänden platschte der nasse Schlamm. Peter hatte nur die Badehose an und versuchte fröstelnd, die Arme gegeneinander zu schlagen. Er war hilflos. Es gab für ihn keine Möglichkeit, sich selbst zu befreien. Mit erschreckender Klarheit konnte der Verunglückte die Geräusche der Außenwelt wahrnehmen. Er hörte die ersten beiden Hubschrauber und ahnte nicht, daß es Monika war, die die Suche veranlaßt hatte. Er bangte um sie, denn auch ihr konnte ähnliches geschehen sein. Doch zuerst mußte er sich selbst helfen. Peter wollte rufen. Er schrie. Vergeblich; das dumpfe Wurzelloch schluckte alle Laute. Noch einmal stemmte sich Peter mit dem Rücken gegen den Stamm. Seine Füße bohrten sich tiefer in den morastigen Boden. Doch die Anstrengungen waren vergeblich. Unaufhaltsam senkte sich die Last weiter und weiter und der Zeitpunkt war vorauszusehen, da sie den Jungen erdrücken würde. Die wissenschaftliehe Überprüfung des Experimentes war nach zwei Stunden angestrengter Arbeit beendet. Der grüne Strahl der Sonne war, den neuen Berechnungen zufolge, durch eine gegenwinklige Stellung der Parabolspiegel und der Strahler aufgetaucht, wodurch die gelben und roten Sonnenstrahlen überdeckt wurden. 22
An diesem Umstand hatte das Experiment scheitern müssen. Es fehlten bisher auf diesem Gebiet jegliche Erfahrungen. Die Wissenschaftler stellten eine komplizierte Berechnung auf. Die genauen Abmessungen der Strahler, ihre Leistung, ihr Standort und so weiter, mußten an Hand einer neuen Formel übertragen werden, um eine genaue Einstellung zu gewährleisten. Zur Lösung dieser Rechenaufgabe hätte ein Mensch mehrere Jahrhunderte benötigt. Aber schon trug der Funker die Aufgabe hinaus, um sie nach Moskau durchzugeben. Dort stand in der Lomonossow-Universität das größte Elektronengehirn der Welt, eine vierstöckige Rechenmaschine, ein von Menschengeist und Menschenhand geschaffenes Meisterwerk. Sie bewältigte in Minuten die schwierigsten Aufgaben. Aus allen Teilen der Welt wurden der sowjetischen Universität Rechenaufgaben zugesandt. Allen Antragstellern wurde bereitwillig geholfen. Wichtessikow bat um Vorrang bei der Behandlung der deutschen Aufgabe, und von Moskau wurde versprochen, in einer halben Stunde das Ergebnis durchzugeben. Professor Rühlenkamp wandte sich an seinen Assistenten: „Konnten Sie inzwischen den jungen Mann finden?" Doktor Bender verneinte und berichtete von den getroffenen Maßnahmen. „Wir werden trotzdem die Vorbereitungen zu dem Experiment fortsetzen und beenden", sagte der Institutsleiter nach kurzer Überlegung. „Nehmen Sie bitte alle verfügbaren Kräfte für die Suchaktion. Das Experiment werden wir nicht durchführen, ehe wir nicht Gewißheit über das Schicksal des Vermißten haben." Der Assistent verstand. „Das würde bedeuten, daß wir sogar den günstigen Zeitpunkt für das Gelingen unserer Arbeit verstreichen lassen müßten?" „Sehr richtig. Erst müssen wir alles getan haben, um einen Menschen zu retten. Wenn beim Experiment trotz aller genauen Vorsichtsmaßnahmen doch wieder Komplikationen auftreten, kann der junge Mann" - Rühlenkamp zögerte etwas -, „sofern er noch am Leben ist", fügte er dann langsam hinzu, „schweren Schaden erleiden. Es ist jetzt dreizehn Uhr vierzig. Bis sechzehn Uhr behält die Sonne die Leuchtkraft, die für unseren Versuch ausreichend ist. Wir wollen uns beeilen." Bei den Wissenschaftlern erhob sich kein Widerspruch. Sie dachten jetzt nicht mehr in erster Linie an ihre experimentelle Arbeit, sondern begaben sich ebenfalls auf die Suche nach Peter. Rühlenkamp lud seinen sowjetischen Kollegen zu einem Gang durch das Gelände ein. Langsam gingen sie an den zwölf Richtstrahlern vorbei, die wie altertümliche Kanonen aussahen. Aus einem 150 Zentimeter hohen Turmbau, dessen Vorbild wohl ein Atommeiler, wie sie zum Antreiben von Ozeanschiffen benutzt wurden, sein mochte, ragte ein dreißig 23
Meter langes Rohr, das an seinem äußersten Ende eine Schutzhaube trug. Die Anlage war so gebaut, daß das Rohr horizontal und der ganze Turmbau vertikal bewegt werden konnte. Zwölf dieser „Geschütze", die gewaltige Energien in das All hinauszuschleudern vermochten, standen auf der Linie eines Kreises im Durchmesser von vier Kilometern. Sie ließen sich zentral sowie einzeln steuern. Ungefähr in der Mitte des großen Kreises befand sich ein gewaltiger Betonklotz, auf den die Gelehrten zugingen. Der quadratische Klotz war aus einem Gemisch von Beton, Titanstahl und anderen widerstandsfähigen Materialien hergestellt. Grau und unheimlich stand er da. Man konnte nicht sehen, was er in seinem Inneren barg. Eine der an den Seiten befestigten Eisenleitern kletterte Professor Rühlenkamp hinauf. Wichtessikow folgte ihm. Auf der obersten Sprosse der Leiter angekommen, setzte sich Rühlenkamp eine Brille mit dunkelgefärbten Gläsern auf. Eine ähnliche Brille reichte er seinem sowjetischen Kollegen. Dann betraten sie die Oberfläche des Blocks, in deren Mitte es gleißte und funkelte, so daß die Männer trotz des Augenschutzes im ersten Augenblick die Lider schließen mußten. Es war der Auffangspiegel, der die Strahlen sammeln und weiterleiten sollte. „Wenn es uns gelingt, nur einige Sekunden lang in diesem Spiegel die vollständigen Sonnenstrahlen einzuf angen, hat sich unsere ganze Arbeit gelohnt", sagte der Leiter des Instituts. „Es hat viele Anstrengungen gekostet, bis wir soweit waren. Aber ich muß gestehen, daß jetzt alle Zweifel von mir abgefallen sind. Wir werden die schwere, aber auch schöne Aufgabe erfolgreich zu Ende führen." Professor Wichtessikow nickte. „Wenn ich vor solchen Wunderwerken stehe, bin ich immer wieder beglückt. Ich verneige mich tief vor der Kraft des menschlichen Geistes und bin sehr froh, in einer Zeit leben zu können, in der wir friedlich unser Leben aufbauen. Es tut mir sehr weh, daß es noch immer Länder gibt, die dieses Glück nicht kennen." Beide Männer schwiegen. Sie verstanden einander, ohne viel sprechen zu müssen. - Nach einer Pause begann Professor Rühlenkamp seinem Kollegen die Funktion des Auffangspiegels zu erklären. „Auf diesen Spiegel werden zum ersten Mal die Strahlen fallen, die aus allen Teilen des Sonnenlichts zusammengesetzt sind. Die Ozonschicht wird kein Hindernis mehr sein. Endlich können wir mit reinen Sonnenstrahlen experimentieren. Die Wissenschaftler der vorangegangenen Generationen hätten viel darum gegeben, diese Strahlen so nahe zu haben." „Die Natur gibt uns die Nüsse, aber sie knackt sie nicht auf, und keinen Apfelbaum kann man vor der Reife schütteln", entgegnete der sowjetische Professor. „Es ist unmöglich, auch nur eine Entwicklungsstufe zu überspringen." 24
Der Leiter des Instituts nickte und setzte seine Erläuterungen fort: „Von diesem Spiegel wird eine akustische und eine optische wir haben der Sicherheit wegen zwei Systeme eingebaut, für den Fall, daß eines versagen sollte - Meldung weitergegeben, wenn die Zusammensetzung der Sonnenstrahlen gemäß unserer Berechnung eine andere wird, als sie bisher auf unserer Erde nachweisbar war. Danach werden vom Steuerraum aus die Strahlen sofort gleichzeitig zu drei Registrierstellen weitergesandt, die nach ähnlichen Prinzipien wie der Einsteinturm arbeiten. Keine Einzelheit dieses für uns neuen Strahles wird uns so entgehen können. Wie Sie wissen, wollte ich eigentlich zur selben Zeit noch eine Bestrahlung von Tieren vornehmen lassen..." „Das wäre beim ersten Versuch eine Verzettelung", unterbrach ihn der sowjetische Professor, „deshalb riet ich Ihnen ab. Nach der Durchführung des Anfangsexperiments sind Sie mit dem Ablauf des Versuches vertraut und können ihn beliebig wiederholen, natürlich mit großen Verstärkungen, da nicht immer Protuberanzen zu Hilfe kommen werden." „Sie haben recht. Die Kleinarbeit beginnt erst nach diesem Experiment. Die Ärzte haben bereits mehrere Versuchsreihen ausgearbeitet. Mit der Bestrahlung von krebskranken Tieren soll begonnen werden, um die Reaktion auf die reinen Sonnenstrahlen beobachten zu können. Vielleicht müssen wir später sogar ein Sanatorium bauen, wenn die Behandlung von kranken Menschen beginnt. Die Ärzte werden das Wort haben, und es wird sich empfehlen, eine ganz neue Station für die Behandlung mit reinen, durch die Ozonschicht nicht beeinflußten Sonnenstrahlen einzurichten. Es wird noch sehr viel Arbeit geben." Wichtessikow stimmte ihm zu. „Unsere Forschungen werden nie beendet sein. Hat nicht auch schon Professor Ottmann neue Pläne?" Rühlenkamp lachte. „Am liebsten hätte er gesehen, daß wir unsere ursprünglichen Versuche einstellen und uns nur noch mit dem grünen Strahl beschäftigen. Und ich muß gestehen, daß mich diese neue Aufgabe auch reizt. Doch eins nach dem anderen. Morgen wird Kollege Ottmann mit den Einstellungen des heutigen Vormittags noch einmal der Sonne den grünen Strahl ablocken, um Unterlagen für die neue Versuchsreihe zu gewinnen, die er der Akademie vorschlagen will." „Ich denke auch, daß uns die grüne Sonne viele neue Erkenntnisse vermitteln wird", sagte Professor Wichtessikow und trat mit seinem Kollegen an den Rand des Blockes. Noch brannte die Sonne heiß vom Himmel. Professor Rühlenkamp sah auf die Uhr. Es ist vierzehn Uhr vierzig", sagte er bedeutungsvoll, „spätestens in einer Stunde müßten wir beginnen." 25
Wie auf Verabredung hatten die beiden Gelehrten es vermieden, von der Suchaktion zu sprechen. Konnte man das Institut für den Unglücksfall verantwortlich machen? Man konnte es nicht! Um eine sichere Absperrung durchführen zu können, würde ein Gelände von der Größe der ehemaligen Wüste Gobi benötigt. „Wenn wir in sechzig Minuten keine Nachricht haben, müssen wir einen neuen Termin festsetzen", entgegnete Wichtessikow. Rühlenkamp antwortete nicht und begann zögernd die Eisenleiter hinabzusteigen. Doktor Bender beteiligte sich mit einer Gruppe an der Suchaktion nach Peter. Beharrlich suchte er die Umgebung der Kanalmündung in den See ab. Die Männer mußten sich über umgestürzte Bäume und durch sumpfige Stellen arbeiten. Aber ihre Suche war vergeblich. Nach und nach sammelten sich auch die anderen Gruppen an verschiedenen Stellen des Ufers und beobachteten die Arbeit der Boote. Niemand wandte dem dicken, umgebrochenen Stamm, dessen Wurzelwerk sich wieder tief in das weiche Erdreich hineingebohrt hatte, besondere Aufmerksamkeit zu. Gerade wollte sich ein Teilnehmer der Gruppe Doktor Benders auf diesen Stamm setzen, .als er aus einem schmalen Spalt zwischen dem Stamm und dem Erdboden ein Stück Stoff hervorlugen sah. Er zog daran und holte es heraus. Er hielt eine Badehose in den Händen! „He! Doktor Bender!" rief der Mann verdutzt. Der Assistent kam heran. „Das muß die Hose des Jungen sein. Wo hat sie gelegen?" Der Finder deutete auf den umgestürzten Baum. Doktor Bender warf sich rasch auf die Erde und brachte seinen Mund ganz nahe' an den Spalt: „Hallo, Peter, hallo!" Undeutliche Geräusche waren die Antwort. Einige Kollegen reichten dem auf der Erde liegenden eine Taschenlampe. Bei ihrem Schein, der nur zu einem Teil die unter dem Stamme befindliche Höhle beleuchtete, erkannte Doktor Bender sofort die Gefährlichkeit der Situation. Tief in den Schlamm gepreßt lag der Junge, über ihm der schwere Baum, der langsam tiefer rutschte. Wahrscheinlich hatte Peter die Hose ausziehen und mit Hilfe eines Stockes als einziges Lebenszeichen nach oben schieben können. „Fort vom Stamm, alle Mann, schnell!" schrie Doktor Bender, denn er sah, daß bei jeder Bewegung, jedem noch so geringen Druck der Stamm tiefer sank. Dann richtete er sich vorsichtig auf und gab ein verabredetes Zeichen. Einer der Männer schoß zwei Leuchtkugeln in die Luft, was bedeutete, daß die Suchaktion eingestellt werden sollte. 26
Blitzschnell überlegte Doktor Bender. Es seinen Begleitern den Stamm zu heben. Sie Beinen in die feuchte Erde einbohren und den erdrücken. Außerdem konnte ihnen die Last schen und Peter erschlagen. Ketten mußten schrauber!
war unmöglich, mit würden sich mit den Jungen von der Seite aus den Händen ruther - und ein Hub-
Richard Waldke war mit Monika in den Funkraum gegangen. Hier liefen die Meldungen aller Suchtrupps zusammen, und hier konnten sie vielleicht am schnellsten Nachricht von Peter erhalten. Die Zeit verging. Nervös und unruhig verließ Monika das Zimmer. Der Pförtner wollte ihr folgen, als am Funktisch eine Lampe aufflammte. Richard Waldke zögerte. Aus dem Empfänger meldete sich die Stimme Doktor Benders: „Hier Standort Kanal A eins. Wir brauchen dringend starke Ketten. Zwei Stück, ungefähr zwanzig Meter lang. Ein Hubschrauber landet beim Refraktor römisch zwo. Bitte das Magazin verständigen, schnell!" Der Pförtner wartete nicht, bis der Funker die Meldung weitergegeben hatte. Eilig lief er zum Magazin, um den Verwalter zu benachrichtigen. Mit einem kleinen Karren wurden die Ketten zu dem inzwischen gelandeten Hubschrauber gefahren. Mit rauschenden Propellerflügeln hob sich die Maschine, nachdem in aller Eile die Fracht verstaut worden war. Inzwischen war es fünfzehn Uhr geworden. Es, ist nicht möglich, die Gefühle Peters während der letzten zehn Minuten zu schildern, die er in dem Wurzelloch verbrachte. Gewiß, die Hilfe war nahe. Aber würde sie noch rechtzeitig kommen? Denn schon spürte der Junge das Holz auf seinem Rücken. Er konnte sich nicht noch tiefer in den Boden eingraben. Langsam näherte sich der Hubschrauber. Noch im Fluge hatte der zweite Pilot die Ketten fest verankert. Sie pendelten nun in der Luft. Doch die Maschine mußte noch einige Meter weiter hinunter. „Peter, aushalten!" rief Doktor Bender dem Jungen zu. „Gleich ist es soweit." Vier Männer, die ihre Schuhe ausgezogen hatten, faßten die Ketten und zogen sie vorsichtig um den Stamm. Leider ließen sich bei dieser Tätigkeit einige Erschütterungen nicht vermeiden. Peter biß die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Endlich konnten die Ketten festgehakt werden. Ein Wink - der Hubschrauber zog an. Würde es gelingen? Der Baum mußte sich glatt abheben, wenn der Junge ohne Schaden davonkommen sollte. Das Holz knirschte und die gespannten Ketten knackten bedrohlich. Es war nicht einfach, den Hubschrauber nur zentimeterweise aufsteigen zu lassen und die schwere Last richtig zu dirigieren. 27
Aber dann - ein Aufatmen ging durch die Zuschauer - hob sich der Stamm gleichmäßig. Laut schmatzend ließ der sumpfige Boden sein Opfer frei. Der Baum schwebte... Peter fühlte sich von einem ungeheuren Druck befreit. Doch er vermochte nicht aus der tiefen Grube zu steigen. Still lag er da. Mit heulenden Sirenen jagte eine Staffel Hubschrauber über das Naturschutzgebiet. Es war das Signal für noch verstreute Suchmannschaften, denen das Zeichen der Leuchtkugeln entgangen war. Das gesamte Gebiet mußte schnell geräumt werden, damit das Experiment durchgeführt werden konnte. Die Uhr zeigte fünfzehn Uhr und zehn Minuten an. Die Wissenschaftler begaben sich an ihre Plätze. Von den Richtstrahlern wurden die Schutzkappen abgenommen. Zu wiederholten Malen ließ man die Energieanlagen überprüfen. Nach und nach wurden die einzelnen Maschinen einsatzbereit gemacht. Das Zeichen zum Beginn konnte gegeben werden. Peter lag auf einer luftgefüllten Matratze in der Sanitätsanstalt. Nach einem reinigenden Bad, das ihn wieder munter machte, fühlte er sich bedeutend wohler und schlürfte mit Behagen wohlschmekkende Fleischbrühe. Seine erste Frage noch während des Transportes mit einem Hubschrauber zum Gelände des Instituts war die besorgte Erkundigung nach Monika gewesen. Erfreut hatte er erfahren, daß sie hier auf ihn wartete. Man hatte ihm versprochen, sie sofort zu ihm zu führen, und gleich mußte die Tür aufgehen und Monika vor ihm stehen. Peter wußte allerdings nicht, daß inzwischen eine fieberhafte Suche nach dem Mädchen im Gange war. Professor Rühlenkamp hatte noch immer nicht das Zeichen zum Beginn des Experiments geben können, weil Richard Waldke ihm das Verschwinden Monikas gemeldet hatte. Er habe sie aus den Augen verloren und vermute, daß sie eigenmächtig auf die Suche nach Peter gegangen sei. „Lieber eine Kiste Honig vor anfliegenden Bienen schützen, als noch einmal auf ein junges Mädchen aufpassen, das um ihren Freund in Sorge ist", schimpfte der Pförtner und ging davon, um sich nach Monika umzusehen. In Wirklichkeit gab sich Waldke trotzdem die Hauptschuld, weil er sich nicht aufmerksam um das Mädchen gekümmert hatte. „Das ist wirklich der Gipfel der Unvernunft", sagte Doktor Bender und sah ungeduldig auf die Uhr. Jetzt haben wir den einen, da läuft der andere fort. Es i s t . . . " „Aber Kollege Bender", beschwichtigte Professor Rühlenkamp seinen Assistenten, „wer will es einem Menschen verdenken, wenn er sich um einen Freund sorgt, viel weniger noch einem Mädchen, wenn es um einen Geliebten bangt?" 23
„Sie haben recht, ich bin zu heftig gewesen", gab Doktor Bender zu. „Vielleicht sollten sie einmal die Wasserbehälter überprüfen lassen", sagte der Institutsleiter. „Die Behälter? Glauben Sie, das Mädchen ist vor Kummer ins Wasser gegangen?" fragte Doktor Bender erstaunt. Er ging zum Sprechapparat und gab seine Anweisungen. Wenige Minuten später kam die Meldung, daß irgend jemand den größten Behälter geöffnet habe, das Wasser ströme mit großem Druck zum See zurück. Der Strom sei sofort gestoppt worden. „Es ist eine Vermutung von mir", meinte Rühlenkamp. „Vielleicht will das Mädchen an die Stelle zurück, an der es in den Kanal geraten ist. Was liegt näher, als daß sie denselben Weg wählt? Da wir ihr das Prinzip der Kanäle erklärt haben und sie weiß, daß wir das Wasser der Behälter wieder zurück in den See drücken können, hat sie sich wahrscheinlich dieses Mittels bedient. - So nehme ich jedenfalls an." „Wenn es nur nicht wahr wäre", rief Doktor Bender, „das Mädel hat nämlich jetzt einen ganz anderen Weg gewählt. Dieser Behälter, über den wir die Meldung erhalten haben, wird durch unterirdische Röhren gefüllt. Das Mädchen kann ersticken oder ertrinken" Sofort beorderte er einige Mitarbeiter zur Kanalüberprüfung. Die Uhr zeigte inzwischen fünfzehn Uhr fünfundzwanzig. Peter wurde unruhig. Er ersah aus den Vertröstungen, mit denen man seine Fragen nach Monika beantwortete, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Er fühlte sich kräftig genug, stand auf und ging zu Doktor Bender. Er fand ihn mit Richard Waldke in der Auffangstation, wo die empfindlichen Meßapparate standen, die jede Reaktion des großen grauen Blocks auf dem Feld anzeigten. Wenn die ersten Korpuskeln in der Linse gesammelt wurden, konnte man hier den Vorgang bis in alle Einzelheiten messen. Diese Messungen sollten dann sofort ausgewertet und zum Einsteinturm übertragen werden. „Ich will wissen, was mit Monika geschehen ist", sagte Peter energisch. Er war wütend darüber, daß Doktor Bender damit beschäftigt war, die Apparate zu überprüfen, als wenn es im Augenblick nicht wichtiger gewesen wäre, seine Freundin zu suchen. „Es ist kein Grund zur Aufregung vorhanden", entgegnete Doktor Bender. Er berichtete dem Jungen jetzt von dem Verschwinden Monikas. Die Annahme Professor Rühlenkamps hatte sich bestätigt. Monika war durch den starken Wasserstrom so, wie sie es wünschte, dem See zu mitgerissen worden. Doch nach vierhundert Metern mündete der offene Kanal in eine Rohrleitung, die sich unter der Erde hinzog. Der Sog war so kräftig, daß das Mädchen nicht fortkonnte, sondern auf das Rohr zugetrieben wurde. Es kämpfte verzweifelt, um nicht untergespült zu werden, und bemühte sich, vor dem Rohr 29
zu bleiben. Dies gelang ihm mit Anspannung aller Kräfte, bis man vom Institut aus die Wasserzufuhr abschnitt und es dadurch aus seiner mißlichen Lage befreite. „Und sobald die Gruppe das Gelände erreicht hat, beginnen wir mit dem Experiment", schloß Doktor Bender seine Unterredung mit Peter, „denn wir haben nur noch zehn Minuten Zeit." „Sie kommen", rief Richard Waldke, der sich am Bildsucher zu schaffen machte, „bitte sehen Sie!" Aber Peter war erst endgültig beruhigt, als er Monika mit nassen Haaren und wieder einmal in eine Decke gehüllt wirklich auf das Gebäude zukommen sah. Professor Rühlenkamp wurde im Kommandostand des Einsteinturmes verständigt. „Dann können wir ja beginnen", sagte er zu seinen Mitarbeitern. „So viele Verzögerungen habe ich in meiner bisherigen Arbeit noch nie erlebt. Wir wollen versuchen, die uns verbliebene Zeit zu nutzen." Der Leiter des Instituts für Sonnenforschung ging zu einer großen Schalttafel und schloß einige Kontakte. Eine zwei Quadratmeter große Fläche der Wand wurde hell. Darauf projizierten die Bildsucher das Geschehen der Außenwelt. Die Bilder zeigten sich erst etwas unklar, dann aber wurden sie ganz deutlich. Rühlenkamp betätigte den Schaltknopf. Jeder der zahlreichen Antennentürme des Institutsgeländes fing nacheinander seinen optischen Eindruck ein. Auf der Projektionswand wurden noch einmal die großen Refraktoren, Sonnenkraftmaschinen und Parabolspiegel sichtbar. Überall warteten die Menschen voll Spannung auf das Einsatzzeichen und beobachteten die ihnen anvertrauten Geräte und Maschinen. Es war wie eine große, eine gewaltige Heerschau. Und dann das Schlußbild: die riesigen Richtstrahler, in deren Mitte der graue Klotz stand, der das Kernstück des heutigen Versuches bildete. Rühlenkamp trat von der Schalttafel zurück. Er ging an seinen Stand. Hier waren hinter einer Barriere zwei Regiepulte angebracht, die mit langen Hebeln und vielerlei Schaltern versehen waren. Auf ein Zeichen drückte einer der Mitarbeiter auf einen Knopf. Die gellenden Sirenen auf allen Gebäuden des Instituts für Sonnenforschung verkündeten den Beginn des Experiments. Professor Rühlenkamp atmete tief und sah seinen sowjetischen Kollegen an. Dieser nickte ihm zu, und der Professor legte zwei Hebel um. Deutlich vernahm jeder der Anwesenden ein Vibrieren, das durch das ganze Gelände ging. Ein Brummen wurde laut. Aber das Unheimlichste war, daß man keinen Funken, keinen Feuerstrahl oder auch sonst nur irgend etwas aus den großen Mündern der Richtstrahler sprühen sah. Unsichtbar wurden die Energien hinaus30
— geschossen und begannen erst viele Kilometer über der Atmosphäre zu wirken. Tack, tack, tack, tack, tack - wieder griff Professor Rühlenkamp zu einem Hebel und veränderte die Einstellung. Auf dem Bild konnte man jetzt sehen, daß alle zwölf Richtstrahler auf einmal, wie von einer langen Schnur gezogen, einem einzigen Willen gehorchend, ihre Lage veränderten. Gleichzeitig schwenkten die Turmbauten einige Meter nach der linken Seite. Automatisch klinkten die Rohre in ihre neue Lage. Die Winkelstellung war erreicht, die auf Grund der neuen Formel ausgerechnet worden war, und jetzt, jetzt wurden die Energien verdoppelt. Rasche Handgriffe lösten einander ab. Unaufhörlich gaben die Hände Professor Rühlenkamps neue Anweisungen und Befehle. Noch nie waren die Energiemaschinen solchen Belastungen ausgesetzt gewesen. Aber die Menschen versagten nicht, und ihnen gehorchten die Instrumente und Maschinen. Der Institutsleiter hatte keine Zeit, auf das Bild an der Wand zu sehen. Seine Augen hingen an den Meßinstrumenten, und er regulierte die gleichmäßige Energiestrahlung. Jetzt - jetzt war es soweit, es mußte irgend etwas geschehen, es mußte das geschehen, worauf alle warteten. Im Auffangraum, einige hundert Meter vom Kommandostand entfernt, stand Doktor Bender vor seinen Meßgeräten. Ihm war die Aufgabe zuteilgeworden, als erster den Erfolg den Wissenschaftlern mitzuteilen. Nur den Erfolg! Es kam ihm im Augenblick gar nicht in den Sinn, daß es noch etwas anderes geben könne. Die reinen Sonnenstrahlen würden sich optisch und auch akustisch bemerkbar machen. Ihre Strahlungen mußten bestimmte Relaisschaltungen beeinflussen, wodurch Schwankungen der Anzeigegeräte hochempfindlicher Meßapparate hervorgerufen würden. Außerdem waren akustische Meldesignale zu erwarten. Und - klang es da nicht plötzlich, als fiele eine Silberkugel in eine Schale von feinstem Porzellan? Und da - da war es wieder! Jetzt aber blieb der helle silbrige Ton, und die Zeiger der Instrumente schlugen weit aus. Da war es wieder - das Neue, das Unbekannte aus dem All. Zum ersten Mal auf der Erde eingefangen. Doktor Bender begann mit seinen Apparaten zu arbeiten. Er mußte die Ergebnisse auswerten und sofort an den Kommandostand weiterleiten, damit man von dort der veränderten Lage Rechnung trug. Lange konnten die Apparate auf der Erde, die ihre Energien der Sonne entgegensandten, der großen Belastung nicht mehr standhalten. Richard Waldke, der danebenstand und vor Freude ganz außer sich war, brauchte jemanden, dem er sich mitteilen konnte. Es war sein Verdienst, genauso wie das Verdienst jedes anderen Mitarbeiters des Instituts, daß der Versuch gelungen war. Er erinnerte sich, daß 31
Monika und Peter ebenfalls in der Auffangstation waren. Er ging in den Senderaum und öffnete leise die Tür. Da sah er, daß die beiden jungen Menschen an alles andere dachten, nur nicht an wissenschaftliche Experimente. Es war, als sähen sie sich nach jahrelanger Trennung zum ersten Mal wieder, und sie küßten sich. Behutsam zog sich der Pförtner zurück. Da Doktor Bender die Verbindung zu dem Kommandostand hergestellt hatte und die Übermittlung reibungslos klappte, konnte Waldke nicht unterlassen, dem Assistenten seine Beobachtung mitzuteilen: „Wissen Sie, Doktor, da sind die beiden nun Zeugen von einem wissenschaftlichen Ereignis ersten Ranges und dann - dann haben sie für ganz andere Dinge Interesse." Doktor Bender lächelte. „Aber Kollege Waldke", sagte er schmunzelnd, „haben die beiden nicht bereits genügend Abenteuer mit der grünen Sonne erlebt? Glauben Sie mir, auch sie werden den Wert unserer Arbeit voll zu schätzen wissen." Womit sich dann der alte Pförtner, nachdem er noch einiges vor sich hin gebrummelt hatte, auch zufrieden gab.
Und plötzlich war mir, als stürzten riesige Steinblöcke auf mich herab. Ein Block, der zweite, dritte . . . Mein Herz ging schwer. Das war das Fieber! . . . Wieder schlug ich eine andere Richtung ein, laufend und stolpernd. Außer Atem erreichte ich eine Lichtung. Doch es war nicht die richtige. Sie war klein und länglich, und an ihrem gegenüberliegenden Ende erhob sich etwas, das wie eine Hütte aussah. Auf diese Hütte stürzte ich zu, aber meine Beine gehorchten mir nicht mehr. Nach einigen Schritten fiel ich ins Gras. — Nein! Nein! Nicht hier! hämmerte es in meinem fieberheißen Kopf. So wirst du hier sterben, und niemand wird erfahren, daß du gestorben bist . . . !
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Liebe
Abenteuerfreunde!
Wir freuen uns, daß ihr so rege unsere neue Serie „Wer weiß es" verfolgt; doch möchten wir euch bitten, uns nicht die Lösungen zuzuschicken. Wir geben euch die richtigen Antworten jeweils in der folgenden Nummer bekannt und es wäre doch schade, wenn ihr sie nicht mehr zum Vergleichen vorliegen hättet. Unsere Rätselecke ist kein Preisausschreiben. Sie soll nur - wie man so schön sagt ab und zu einmal euer „Köpfchen rauchen lassen". Darum weiterhin viel Vergnügen!