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Medizinische Mikrobiologie: Infektiologie Cedric Mims BSc MD FRCPath Emeritus Professor, Department of Microbiology Guy’s Hospital Medical School, London, UK Hazel M. Dockrell BA PhD Professor of Immunology, Department of Infectious and Tropical Diseases London School of Hygiene & Tropical Medicine, London, UK Richard V. Goering BA MS PhD Professor and Associate Chair, Department of Medical Microbiology and Immunology Creighton University, School of Medicine, Omaha, Nebraska, USA Ivan Roitt DSc HonFRCP FRCPath FRS Emeritus Professor of Immunology, Windeyer Institute of Medical Sciences University College London, London, UK Derek Wakelin BSc PhD DSc FRCPath Emeritus Professor, School of Life and Environmental Sciences University of Nottingham, Nottingham, UK Mark Zuckerman BSc (Hons) MB BS MRCP MSc FRCPath Consultant Virologist and Honorary Senior Lecturer; Health Protection Agency, London; Department of Infectious Diseases London South Specialist Virology Centre Guy’s King’s and St Thomas' School of Medicine King’s College Hospital NHS Trust, London, UK Deutsche Bearbeitung von PD Dr. med. Grit Ackermann, Universitätsklinikum Leipzig Übersetzt von Walburga Rempe-Baldin, München, und Ulrike Trostmann, Hemsbach 1. deutsche Auflage (entspricht der 3. englischen Auflage)
978-3-437-41272-1 Zuschriften und Kritik an: Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Lektorat Medizinstudium, Karlstraße 45, 80333 München
[email protected] Titel der Originalausgabe: Medical Microbiology. Third Edition by Mims/Dockrell/Goering/Roitt/Wakelin/Zuckerman. ISBN 0-7234-3259-7 MOSBY An imprint of Elsevier Limited. © 2004, Elsevier Science Limited. All rights reserved. The right of C. Mims, H. Dockrell, R. Goering, I. Roitt, D. Wakelin and M. Zuckerman to be identified as authors of this work has been asserted by them in accordance with the Copyright, Designs and Patents Act 1988. Diese Ausgabe wird mit Lizenz von Elsevier Science Limited herausgegeben und wurde im Auftrag der Elsevier GmbH, München, übersetzt. Für die korrekte Übersetzung ist allein die Elsevier GmbH, München, verantwortlich und nicht Elsevier Science Limited. Wichtiger Hinweis für den Benutzer
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Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Herausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschter, Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpflichtung, anhand der Beipackzettel zu verschreibender Präparate zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Buch abweichen, und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen. Wie allgemein üblich wurden Warenzeichen bzw. Namen (z.B. bei Pharmapräparaten) nicht besonders gekennzeichnet. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.deabrufbar. Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2006 © Elsevier GmbH, München Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH. 07 08 09 10 5 4 3 2 1 Copyright in Bezug auf das verwendete Bildmaterial: Elsevier Science Limited, falls nicht anders angegeben. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint. Planung und Lektorat: Dipl.-Biol. Susanne Szczepanek, Inga Dopatka Redaktion: Dr. Eva-Maria Jacob, Silke Chavez Herstellung: Peter Sutterlitte Satz: Kösel, Krugzell Druck und Bindung: Neografia a.s., Bratislava, Slovakia Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelfotografie: © picture-alliance/dpa/Hans-Ulrich Osterwalder Gedruckt auf Nopacoat Edition 90 g, 1,1faches Volumen ISBN 3-437-41272-8 ISBN 978-3-437-41272-1 Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de und www.elsevier.com
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Vorspann Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie Teil 1 Mikroorganismen – die Vielfalt 1 Mikroorganismen als Parasiten 2 Bakterien 3 Viren 4 Pilze 5 Protozoen 6 Helminthen und Arthropoden 7 Prionen 8 Parasiten-Wirt-Beziehung Teil 2 Das Immunsystem 9 Das angeborene Immunsystem 10 Erworbene Immunreaktionen 11 Zelluläre Grundlagen erworbener Immunreaktionen Teil 3 Infektionen und Infektionsabwehr 12 Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt 13 Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege 14 Aktivierung der Immunabwehr 15 Ausbreitung und Replikation 16 Überlebensstrategien von Parasiten und persistierende Infektionen 17 Pathologische Folgen von Infektionen Teil 4 Infektionen der einzelnen Organsysteme Klinik (Krankheitsbilder) Da mindestens 150 verschiedene infektiöse Erkrankungen zu beschreiben sind, ist eine systematische Einteilung unverzichtbar. In Kapitel 18–26 werden Infektionen nach den Körper-/Organsystemen klassifiziert, die klinisch als Erste betroffen sind. So lösen Rhinoviren z.B. vor allem Infektionen der oberen Atemwege (Schnupfen) aus. Bei einer bakteriellen Dysenterie oder Amöbenruhr handelt sich um eine gastrointestinale Infektion. Für andere Infektionen ist typisch, dass sie bevorzugt bestimmte Körperbereiche schädigen, obwohl sie sich auch auf andere ausweiten können. Entsprechend dem primären Ort der Infektion wird daher die Tuberkulose in Kap. 19 (Infektionen der unteren Atemwege) und Typhus in Kap. 22 (gastrointestinale Infektionen) berücksichtigt. Wenn Erreger in derselben Weise (d.h. unter bestimmten Umständen oder bei besonderen Aktivitäten) übertragen werden, können sie auch unter dem Aspekt zusammengefasst werden, selbst wenn mehrere Organsysteme betroffen sein sollten. Syphilis und AIDS werden daher in Kap. 21 (sexuell übertragbare Krankheiten) und Röteln in Kap. 23 (präund perinatale Infektionen) behandelt.
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Der Organsystem-bezogene Ansatz ist insofern sinnvoll, als er Infektionen durch unterschiedliche Erreger aufgrund der klinischen Syndrome, die sie hervorrufen, mit einschließt. Doch wie bei jedem Klassifikationssystem gibt es auch hier Grauzonen und Überschneidungen. Zur Klärung von mehrdeutigen Fällen dürfte die Übersicht über die wichtigsten Infektionserreger im Anhang beitragen. In Kapitel 27 und 28 geht es um Infektionen, die sich nicht ohne weiteres zuordnen lassen. Dazu gehören Multisysteminfektionen (die ganz offensichtlich nicht in einzelne Bereiche einzuordnen sind); sie können oft auch auf mehr als einen Wirt übertragen werden, z.B.: ■ durch Vektoren (meist Arthropoden) von Mensch zu Mensch; ihre Verbreitung hängt von günstigen klimatischen und ökologischen Bedingungen und ausreichend vorhandenen Vektoren ab (s. Kap. 27); ■ direkt von Wirbeltieren auf Menschen; in dem Fall spricht man von Zoonosen (s. Kap. 28). Ihr Vorkommen kann stark beschränkt (Rocky Mountain Spotted Fever) oder weit verbreitet sein (Q-Fieber, Leptospirose). Schließlich ergeben sich aufgrund der Klinik noch zwei weitere Eingruppierungen: Infektionen, die ■ mit Fieber unbekannter Ursache (s. Kap. 29) und ■ Immunschwäche (s. Kap. 30) einhergehen. Letztere Kategorie wird zunehmend wichtiger, weil bei zahlreichen Patienten die Abwehrkräfte durch Krankheit (zystische Fibrose, Diabetes mellitus), Infektion (AIDS), immunsuppressive Therapie (nach Transplantationen) oder wegen anderer Ursachen (z.B. Verbrennung, Katheterisierung) geschwächt sind.
18 19 20 21 22 23 24
Infektionen der oberen Atemwege Untere Atemwegsinfektionen Harnwegsinfektionen Sexuell übertragbare Krankheiten Gastrointestinale Infektionen Intrauterine und perinatale Infektionen ZNS-Infektionen 5
25 Augeninfektionen 26 Infektionen von Weichteilen und Knochen 27 Von Vektoren übertragene Infektionen 28 Multisystemische Zoonosen 29 Fieber unbekannter Ursache (FUO) 30 Infektionen bei Immunschwäche Teil 5 Diagnostik, Prävention, Hygiene 31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine Einführung 32 Diagnose von Infektionen und Beurteilungder Abwehrlage 33 Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie 34 Impfungen 35 Passive und unspezifische Immuntherapie 36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und Desinfektion Anhang Pathogene im Überblick Antworten Register
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Vorspann Mit Beiträgen von Roy M. Anderson FRS, Linacre Professor and Head of Department Director of Wellcome Trust Centre for Epidemiology of Infectious Disease Department of Zoology ,University of Oxford Oxford, UK Gillian Urwin MSc MB BS MRCPath Consultant Microbiologist, Department of Microbiology Essex Rivers Healthcare NHS Trust Colchester, UK John Playfair MB BChir PhD DSc Emeritus Professor Department of Immunology University College and Middlesex School of Medicine London, UK, Rosamund Williams PhD FRCPath Division of Emerging and other Communicable Diseases, Surveillance and Control World Health Organization Geneva, Switzerland
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Das Lehrbuch Medizinische Mikrobiologie • Infektiologie von Cedric Mims et al. erarbeitet die komplexen Inhalte des Fachgebietes mit einer vollkommen anderen Herangehensweise als die klassischen Lehrbücher der medizinischen Mikrobiologie: Im Vordergrund dieses Buches steht der Konflikt zwischen Wirt und Parasit. Die verschiedenartigen Prozesse im Verlauf einer Infektion werden auf immunologischer und mikrobiologischer Ebene anschaulich dargestellt und diskutiert. Das Verständnis von Pathogenese und Ätiologie von Infektionskrankheiten ist den Autoren hierbei besonders wichtig. Die einzelnen Kapitel sind deshalb nicht – wie in den meisten deutschen Lehrbüchern – erregerbezogen aufgebaut, sondern nach Organsystemen und spezifischen Krankheitssymptomen gruppiert. Am Ende jedes Kapitels finden sich fallbezogene Fragen zum Kapitel, und der Kasten „Zusammenfassung“ bietet eine Zusammenfassung der wichtigsten Informationen. Eingestreut in die Kapitel sind die Kästen „Geschichte der Mikrobiologie“. Diese betrachten zum Beispiel historische oder epidemiologische Aspekte des behandelten Themas. In Anhang des Buches sind die Antworten auf die Fragen zu finden sowie ein Übersicht über alle Pathogene. Die deutsche Ausgabe wurde durch einige länderspezifische Angaben modifiziert, beispielsweise wurden die Impfempfehlungen der STIKO am RKI aufgenommen. Ebenso finden die derzeit in Deutschland gültigen Empfehlungen zur antimikrobiellen Therapie Berücksichtigung. Allein mithilfe antimikrobieller Chemotherapeutika können Infektionskrankheiten weltweit nicht eradiziert werden. Gründe dafür sind unter anderem zunehmende Resistenzentwicklung und auch ressourcenbedingter Mangel an Medikamenten, zum Beispiel in den Entwicklungsländern. Das Wissen um klinisch-infektiologische Zusammenhänge ist ein wichtiger Pfeiler in jeder medizinischen Disziplin und gewährleistet sinnvolle diagnostische und therapeutische Maßnahmen. Das vorliegende Buch soll sowohl für Studenten der klinischen Semester als auch für infektiologisch interessierte Ärzte Unterstützung im Verständnis infektiologischer Krankheitsbilder bieten. Leipzig 2006 Grit Ackermann
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Vorwort der englischen Ausgabe The third edition of Medical Microbiology keeps to the pattern of earlier editions, focusing on the conflict between host and parasite. It has been extensively updated, with improved layout and illustrations, but the basic principles and the central role of immunology have not changed. It continues to be clinically oriented. This time we are privileged to have Richard Goering as a major author, and as a result the book is now more closely adapted to the curriculum and needs of American students. We also welcome Hazel Dockrell (immunology) and Mark Zuckerman (virology) as principal authors. Rosamund Williams and John Playfair, who played such a major part in earlier editions, have relinquished their roles as main authors, and we gratefully acknowledge their contributions. Medical school curricula are changing, and often microbiology is no longer taught as a separate discipline but is integrated with pathology, immunology and clinical studies. Organ-based infectious disease themes are becoming popular. There is nevertheless a need for a foundation text such as this one. The system-based treatment is retained and for ready reference details about each microbe are included in a ‘Pathogen Parade’ at the end of the book. The number of fully sequenced microbes increases inexorably, and we are beginning to understand how a given gene product contributes to disease and pathogenicity. Wherever possible we have referred to the molecular basis for microbial pathogenicity and disease. Each chapter ends with Key Facts and Questions (mostly case-based, in USMLE format), and chapters now have a ‘Lessons in Microbiology’ drawer to flesh out the subject with historical, epidemiological, or other aspects of the subject. We believe Medical Microbiology continues to give students a readable, exciting and informative insight into the causation, diagnosis, prevention and treatment of infectious diseases. Cedric Mims, Hazel M. Dockrell, Richard V. Goering, Ivan Roitt, Derek Wakelin, Mark Zuckerman 2004
Danksagungen We wish to express our appreciation of the generosity of many colleagues throughout the world who supplied illustrative material, particularly W. Edmund Farrar, Martin J. Wood, John A. Innes, Hugh Tubbs, James S. Bingham, Ralph Muller, John R. Baker, John Oxford and Dilip K. Banerjee. We would also like to thank the library of The Wellcome Institute for the History of Medicine for providing portrait photographs for the historical profiles.
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Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie 0.1 Mikroorganismen und Parasiten 1 0.2 Kontext der medizinischen Mikrobiologie 1 0.3 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Mikrobiologie 2 0.4 Herangehensweise des Buches 4
0.1
Mikroorganismen und Parasiten
Die Unterscheidung zwischen Mikroorganismen und Parasiten ist üblich, aber im Grunde willkürlich Mikrobiologie wird auch als Biologie mikroskopisch kleiner Organismen („Mikroorganismen“) definiert. Die klinische Mikrobiologie befasst sich traditionell mit den wichtigsten Infektionerregern des Menschen, die wegen ihrer geringen Größe für das bloße Auge nicht sichtbar sind. Das untersuchte Erregerspektrum spiegelt wider, welche Erkrankungen in den USA und Europa (also Ländern, in denen sich die Mikrobiologie als wissenschaftliches und klinisches Fach entwickelte) eine wichtige Rolle gespielt haben bzw. weiterhin spielen. Der Begriff „Mikroorganismen“ bleibt meist Viren und Bakterien vorbehalten, wird also restriktiv verwendet. Auch wenn gelegentlich Pilze und Protozoen („Parasiten“) eingeschlossen werden, sind sie im Allgemeinen Gegenstand anderer Disziplinen (Mykologie und Parasitologie). Unbestritten gehören Viren und Bakterien zu der zahlenmäßig größten und wichtigsten Gruppe von Pathogenen. Dass man sie als „Mikroorganismen“ von anderen Erregern (Pilzen, Protozoen, Helminthen und Arthropoden als „Parasiten“) abgrenzt, ist im Grunde eine willkürliche Festlegung, nicht zuletzt, weil sich das Kriterium der mikroskopischen Sichtbarkeit nicht streng anwenden lässt (Abb. 0.1). Immerhin war Trichinella spiralis, die erste „Mikrobe“, die mit einem spezifischen Krankheitsbild in Verbindung gebracht wurde, ein Parasit. Die Larvenstadien dieses Nematoden sind mit bloßem Auge gerade noch erkennbar (zur sicheren Identifizierung ist ein Mikroskop erforderlich). T. spiralis wurde 1835 entdeckt und um 1860 erstmals als Ursache der Trichinose (Trichinellosis) benannt.
0.2
Kontext der medizinischen Mikrobiologie
Die mikrobiologische Literatur behandelt Infektionserreger oft isoliert – isoliert sowohl von anderen Krankheitserregern als auch vom biologischen Umfeld, in dem Mikroorganismen leben und Krankheiten verursachen. Sicher hat es Vorteile, einzelne Erreger gruppenweise aufzulisten, eine Zusammenfassung von Krankheiten, die sie hervorrufen können, zu geben und die vorhandenen Methoden der Infektionskontrolle darzustellen. Doch dieser Ansatz vermittelt ein eher statisches Bild der dynamischen Beziehung zwischen dem Mikroorganismus und seinem Wirt.
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Abb. 0.1 Relative Größe von Erregern, die in diesem Buch besprochen werden.
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Reaktionen des Wirts kommen durch ein komplexes Zusammenspiel von Wirt und Parasit zustande Wirtsreaktionen lassen sich als Krankheitszeichen, Symptome oder Mechanismen der Immunabwehr begreifen, sind aber besser als Folge eines komplexen Zusammenspiels zweier Organismen – Wirt und Parasit – zu behandeln. Diese Sichtweise ist notwendig für das Verständnis der Pathogenese von Infektionen. Die Gleichung „Mikrobe + Wirt = Krankheit“ beschreibt die Ätiologie von Infektionskrankheiten nicht korrekt: Die meisten Kontakte von Mikroorganismen mit Wirtsorganismen resultieren nicht in Krankheiten. Was Voraussetzung für die Entstehung einer Erkrankung ist, ist genauso wichtig für das Verständnis von Infektionen wie die Identifizierung von Erregern oder die Kenntnis wirksamer Kontrollmöglichkeiten. Unser Ansatz (Auswahl und Darstellung der Erreger im Kontext von Erkrankungen, die sie verursachen) liefert ein aufschlussreiches und interessantes Bild von den dynamischen Beziehungen in der Mikrobiologie. Für dieses Vorgehen gibt es mehrere Gründe: ■ Es existiert ein umfassendes molekularbiologisches Grundlagenwissen über Infektionen, Krankheiten und Wirt-Pathogen-Interaktionen. Dieses hilft Studenten, die Verbindung zwischen Infektion und Krankheit auf individueller und sozialer Ebene besser zu begreifen und neue oder sich verändernde klinische Situationen besser zu verstehen. ■ Die Reaktion des Wirtsorganismus auf eine Infektion wird jetzt stärker als koordiniertes, fein abgestimmtes Zusammenspiel unter Mitwirkung angeborener und erworbener Abwehrmechanismen gesehen. Diese Abwehr erfolgt unabhängig von der Art und den spezifischen Eigenschaften des beteiligten Pathogens. Die aktuellen Vorstellungen zu den Mechanismen und Abläufen der Stimulation solcher Prozesse sind weit entwickelt. Eine Infektion ist ein Konflikt zweier Organismen, dessen Ausgang (Resistenz oder Ausbruch der Krankheit) von der Interaktion auf molekularer Ebene abhängt. Das Zusammenspiel zwischen Wirt und Pathogen auch auf dieser Grundlage zu verstehen ist wiederum wichtig, um Prozesse wie Krankheit bzw. Kontrolle (Infektionsbekämpfung) richtig zu interpretieren.
Neue oder erneut auftretende Erkrankungen bereiten der Mikrobiologie noch immer Probleme Eine umfassendere Betrachtung der Mikrobiologie ist nötig für eine fundierte klinische und wissenschaftliche Anwendung: ■ Steigende Prävalenz opportunistischer Infektionen bei hospitalisierten oder immunsupprimierten Patienten. Viel häufiger als früher wird mit Immunsuppressiva behandelt, und genauso haben Krankheiten, die das Immunsystem schwächen, zugenommen (z.B. AIDS). ■ Entdeckung neuer Krankheitserreger und das besorgniserregende erneute Auftreten von Krankheiten, die man längst unter Kontrolle glaubte. 11
■ Zunehmende Bedeutung tropischer Infektionen in der Klinik. Viele Touristen kommen in tropischen Ländern mit einem ganz anderen Erregerspektrum in Kontakt (pro Woche reisen über eine Million Menschen zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern). Um Erreger zu identifizieren bzw. Kliniker zu beraten, sind Mikrobiologen gefragt. Gesundheitliche Probleme in den unterentwickelten Ländern rücken allmählich stärker ins Bewusstsein. Daher erscheint uns eine Ausweitung der Mikrobiologie notwendig; aufbauend auf ihren früheren Konzepten sollte sie sich jetzt den Problemen der Gegenwart und Zukunft stellen.
0.3 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Mikrobiologie Mit dem Nachweis infektiöser Keime als Krankheitsursache entstand im 19. Jahrhundert das Fach Mikrobiologie. Frühe Entdeckungen schlossen Infektionen durch tropische Parasiten ebenso ein wie in Europa und den USA häufigere Infektionen durch Bakterien. Das Interesse von Mikrobiologen konzentrierte sich vor allem auf letztere, bevor es sich später auf die neu entdeckten Virusinfektionen ausweitete. Die Entwicklung antimikrobieller Wirk- und Impfstoffe bedeutete eine Revolution für die Behandlung dieser Krankheiten. Daraus erwuchs auch die Hoffnung, dass viele Erkrankungen, mit denen sich die Menschheit über Jahrhunderte geplagt hatte, ausgerottet werden könnten. In den hochentwickelten Ländern verlernten die Menschen, sich vor Infektionen zu fürchten, und glaubten, sie würden noch zu ihren Lebzeiten völlig verschwinden. Bis zu einem gewissen Ausmaß ließ sich diese Erwartung umsetzen; die meisten Kinderkrankheiten wurden durch Impfungen seltener und bakterielle Infektionen waren durch Antibiotika einfach in den Griff zu bekommen. Ermutigt durch die Ausrottung der Pocken in den 70er Jahren und den Erfolg der Polioschluckimpfung, kündigten die Vereinten Nationen 1978 an, bis zum Jahr 2000 „Gesundheit für alle“ mit ihren Programmen erreichen zu wollen. Diese optimistische Sicht muss jedoch revidiert werden.
Infektionskrankheiten verlaufen auch in den Industrieländern noch immer tödlich Weltweit verursachen Infektionskrankheiten mehr als 25% der Todesfälle, und sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern sterben zunehmend mehr Menschen daran. In den USA (das Bild in Europa dürfte ähnlich aussehen): ■ erhöhte sich die Zahl der Todesfälle durch Infektionen von 36/100000 im Jahre 1980 auf 59/100000 im Jahre 1996; ■
erreichte die Zahl der AIDS-Toten 1995 ihren Gipfel mit 50000;
■ sterben jährlich 30000 Menschen an Grippe und infizieren sich mehrere Millionen mit Influenzaviren;
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■ tragen 4 Millionen Menschen das Hepatitis-C-Virus (HCV) in sich; 15% erkranken an einer lebensbedrohlichen Leberzirrhose; ■ ist die Arzneimittelresistenz bei Tuberkulose (Tbc) ebenso besorgniserregend wie Lebensmittel- oder nosokomiale Infektionen. In Deutschland veröffentlichte das Robert-Koch-Institut im Infektionsepidemiologischen Jahrbuch 2003 folgende Zahlen: ■
1808 neu diagnostizierte HIV-Erstinfektionen
■
7236 gemeldete Tuberkuloseerkrankungen
■
8472 Influenzaerkrankungen (zum Vergleich: 2574 in 2002)
■
6961 an Hepatitis C erkrankte Personen
Infektionskrankheiten gehören zu den Hauptproblemen in Entwicklungsländern In den Entwicklungsländern, besonders in Afrika (südlich der Sahara) und Asien, nehmen Infektionskrankheiten in alarmierendem Maße zu. Obwohl südlich der Sahara nur 10% der Weltbevölkerung leben, entfallen auf diese afrikanischen Staaten 80% der AIDS-Todesfälle, 70% der HIV-Neuerkrankungen, die höchsten Raten gleichzeitiger HIV- und Tbc-Infektion sowie 90% aller Malariafälle weltweit. 1998 starben in Asien und im pazifischen Raum eine Million Menschen an Tbc, und die Zahl der Neuerkrankungen entspricht einem Anteil von 40% im Weltmaßstab. HIVInfektion bzw. AIDS nehmen rapide zu. Für eine verbreitete Arzneimittelresistenz bei Malaria sprechen die 19,5 Millionen Infizierten im Jahre 1998. Am stärksten gefährdet sind Kinder unter fünf Jahren. Während es 1999 in den Industrieländern 475000 Todesfälle in dieser Altersgruppe gab, starben in den Entwicklungsländern zwölf Millionen Kinder, 60% an einer Infektion. Die weltweit wichtigsten Infektionskrankheiten zeigt Abb. 0.2.
Abb. 0.2 Tödliche Infektionen – die weltweit führenden Todesursachen (Angaben von 1997).
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Neu auftretende oder wiederkehrende Infektionen In den vergangenen 30 Jahren traten einige bekannte Erkrankungen wie Tbc, Malaria, Hepatitis, Cholera oder Dengue-Fieber als bedeutende Infektionen wieder auf. Im gleichen Zeitraum wurden auch mehr als dreißig neue Infektionserreger identifiziert (Tab. 0.1), von denen das HI-Virus der wichtigste ist. Für viele neue Erkrankungen gibt es noch keine wirksame Therapie.
Tab. 0.1 Seit 1970 neu aufgetretene Infektionen bzw. neu identifizierte Erreger
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(Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag).
HIV = human immunodeficiency virus, nvCJD = neue Variante der Creutzfeldt- Jakob-Krankheit Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. So beliefen sich die kumulativen Kosten für die AIDS-Epidemie bis zum Jahr 2000 auf schätzungsweise 550 Milliarden Dollar. Zur Eindämmung der Cholera in Lateinamerika wurden bis 1994 ca. 200 Milliarden Dollar aufgewendet, für die Bekämpfung der Malaria in Afrika bis 1997 ca. 2,2 Milliarden Dollar. Durch eine erfolgreiche Ausrottung (Eradikation) von Infektionskrankheiten lassen sich hohe Kosten einsparen (bei Pocken auf 20 Milliarden Dollar geschätzt).
Moderne Lebensweise und technischer Fortschritt begünstigen Übertragung Für das erneute Auftauchen von Infektionen gibt es vielfältige Gründe. Dazu zählen neue Reisemuster und Handelsbeziehungen (besonders das erweiterte Nahrungsangebot), neue Agrartechniken, verändertes Sexualverhalten, medizinische Eingriffe und übermäßiger Gebrauch von Antibiotika. Durch ökonomische, soziale und politische Umwälzungen in den Entwicklungsländern und den früheren Staaten der Sowjetunion hat sich die medizinische Versorgung verschlechtert mit der Folge, dass Armut und Unterernährung zugenommen haben.
Was bringt die Zukunft? Ausgehend von Daten der Vereinten Nationen (UN) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), lassen sich optimistische, stabile oder pessimistische Szenarios für die Zukunft entwerfen. Im günstigsten Fall sollten sich infolge sozioökonomischer und medizinischer Fortschritte in der insgesamt älter werdenden Bevölkerung zunehmend weniger Probleme durch Infektionskrankheiten ergeben. Bei den Todesursachen könnte sich ihr Anteil bis 2020 weltweit von 34% (im Jahre 1999) auf 15% verringern; auch wenn HIV und Tbc weiterhin führende Todesursachen sein werden. Pessimistischer betrachtet wird sich durch das Bevölkerungswachstum in den Entwicklungsländern, vor allem in urbanen Ballungsräumen, die Kluft zwischen armen und reichen Ländern vergrößern. Aufgrund sich fortlaufend wandelnder Lebensweisen wird es zu neuen Infektionswellen kommen. Selbst in den Industrieländern lassen sich Infektionen zunehmend schwieriger kontrollieren, weil die Erreger resistent werden und die Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe langsamer vorangeht. Hinzu kommen zwei weitere Risikofaktoren: (1) Drohender Bioterrorismus und die mögliche Ausbreitung seltener Infektionen (z.B. Anthrax) oder das Wiederauftreten bereits eradizierter Krankheiten (z.B. Pocken). (2) Klimaveränderungen (höhere Temperaturen, veränderte Niederschläge) tragen dazu bei, dass durch die Vermehrung der Überträger (Vektoren) von Infektionserregern die Inzidenz von Infektionen zunimmt. Für beide Szenarios gilt: Auch in absehbarer Zukunft bleibt die Mikrobiologie ein außerordentlich wichtiges medizinisches Fach. 15
0.4
Herangehensweise des Buches
Aus den oben genannten Gründen soll dieses Buch zwei Funktionen erfüllen: ■ Die für Infektionen verantwortlichen Keime sind umfassend in die Besprechung der Infektionskrankheiten eingeschlossen. ■ Ein rein klinisch-labordiagnostischer Ansatz der Mikrobiologie wird durch eine andere Herangehensweise ersetzt, bei der stärker der biologische Kontext für klinische bzw. Laboruntersuchungen berücksichtigt wird. Die Mikrobiologie soll aus dem Blickwinkel der inneren Auseinandersetzung, wie sie in allen Beziehungen zwischen Wirtsorganismen und Pathogenen stattfindet, betrachtet werden. Zunächst werden die Infektionserreger und die angeborenen bzw. erworbenen Abwehrmechanismen des Wirtsorganismus beschrieben. Die Folgen des Konflikts werden dann im Einzelnen für jedes Körpersystem genauer dargestellt. Keime oder Symptome werden nicht in einer starren Reihenfolge beschrieben, sondern in der Umgebung, wo Infektionserreger im menschlichen Körper Krankheiten verursachen, z.B. Atem-, Darm- und Urogenitaltrakt, Blut- und Nervensystem. Die Mikroorganismen, die in diese Organsysteme gelangen und Infektionen etablieren, werden hinsichtlich der jeweiligen Wirtsantwort untersucht. Schließlich wird sowohl auf Ebene der einzelnen Patienten als auch bezogen auf Gruppen betrachtet, wie sich solche Prozesse begrenzen (kontrollieren) oder verhindern lassen. Auf diese Weise wird dem Leser eine dynamische Sicht der Wirtsorganismus-PathogenInteraktionen vermittelt, aus der sich ein kreativeres Verständnis von Infektion und Krankheit entwickeln kann.
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Zusammenfassung ■ Eine umfassende Darstellung der Infektionserreger des Menschen (Viren bis Helminthen) sollte auch die biologischen Grundlagen von Infektion, Krankheit, WirtPathogen-Interaktionen, Krankheitsbekämpfung und Epidemiologie beinhalten. ■ Im Hintergrund der von Mikroorganismen hervorgerufenen Erkrankungen steht ein Konflikt zwischen Erregern und angeborener bzw. erworbener Abwehr des Wirtsorganismus. ■ Das Umgebungsmilieu kann das Eindringen und Wachstum von Mikroorganismen sowie pathologische Veränderungen in unterschiedlichen Körpersystemen begünstigen; daher werden Infektionen auch unter diesem Aspekt beschrieben und näher erläutert.
FRAGEN 1 Welche Pathogen-Gruppen sind die Hauptursachen für Infektionen des Menschen? 2 Welche Infektionen fordern jährlich mehr als eine Million Tote? 3 Nennen Sie vier in den 90er Jahren identifizierte Erreger von Infektionskrankheiten. 4 Wodurch wird die Prävalenz von Infektionen im 21. Jahrhundert vermutlich beeinflusst?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Pathogenesis of Infectious Disease. 5th ed. Academic Press, London 2001.
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Mikroorganismen als Parasiten 1.1 Vielfalt der Ereger 9 1.1.1
Prokaryonten und Eukaryonten 9
1.1.2
Mikro- und Makroparasiten 10
1.2 Intra- und extrazelluläre Lebensform 10 1.3 Klassifikationssysteme (Systematik) 11
1.1
Vielfalt der Erreger
1.1.1 Prokaryonten und Eukaryonten Um die Beziehung zwischen Erregern und Infektionskrankheiten zu untersuchen, gilt es einige wichtige biologische Merkmale zu berücksichtigen, durch die sich die einzelnen Erreger unterscheiden. Eines davon ist ihr Aufbau, besonders die Anordnung des genetischen Materials und der Zellbestandteile.
Alle Mikroorganismen (außer Viren und Prionen) sind aus Zellen aufgebaut Viren sind keine Zellen, sie besitzen weder eine Zellmembran noch Zytoplasma und sind für die Synthese von Makromolekülen auf Wirtszellen angewiesen. Ihr genetisches Material (DNA oder RNA) ist üblicherweise in Kapseln verpackt. Prionen – den Auslösern der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sowie von Kuru, Scrapie und BSE (bovine spongiforme Enzephalopathie) – fehlen Nukleinsäuren; offenbar bestehen sie nur aus proteinartigen infektiösen Partikeln. Alle anderen Mikroorganismen verfügen über einen zellulären Aufbau. Sie sind einzellig (die Mehrheit der Mikroorganismen) oder mehrzellig aufgebaut, und jede Zelle wird außen von einer Zellmembran begrenzt. Im Zellinnern befindet sich das genetische Material (DNA), im Zytoplasma ein Syntheseapparat.
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Bakterien sind Prokaryonten, die anderen Organismen Eukaryonten Zwischen Prokaryonten und Eukaryonten – den beiden Hauptgruppen zellulärer Organismen – bestehen beträchtliche Unterschiede (Abb. 1.1). Bei Prokaryonten ■
fehlt ein ausgeprägter Zellkern (Nukleus);
■ ist die DNA auf einem einzelnen Ringchromosom angeordnet, zusätzlich befindet sich evtl. extrachromosomale DNA auf Plasmiden; ■
können Transkription und Translation zeitgleich stattfinden.
Bei Eukaryonten ■
ist die DNA auf mehrere Chromosomen in einem Zellkern verteilt;
■
umgibt eine Kernmembran den Zellkern (Nukleus);
■ muss für die Transkription zuerst Messenger-RNA (mRNA) gebildet und diese anschließend aus dem Kern ins Zytoplasma transportiert werden; ■
findet die Translation an Ribosomen statt;
■ enthält das Zytoplasma zahlreiche membrangebundene Zellorganellen (Mitochondrien, endoplasmatisches Retikulum, Golgi-Apparat, Lysosomen) – welche bei Prokaryonten nicht vorhanden sind.
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Abb. 1.1 Prokaryonten und Eukaryonten: schematische Darstellung der wichtigsten Zellstrukturen.
Die Außenschicht Gram-negativer Bakterien ist reich an Lipopolysacchariden Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Prokaryonten und den meisten Eukaryonten stellt die dicke schützende Zellwand der Prokaryonten dar, die sich außen an die Zell- bzw. Plasmamembran anlagert. Bei Gram-positiven Bakterien besteht diese aus Peptidoglykanen und bildet die Außenwand der Zelle, während bei Gram-negativen Bakterien eine Lipopolysaccharid-reiche Schicht hinzukommt.
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Diese Zellschichten spielen eine wichtige Rolle, denn zum einen schützen sie Bakterien vor Immunabwehrmechanismen und vor Chemotherapeutika, zum anderen können durch sie bestimmte pathologische Reaktionen stimuliert werden. Ihnen verdanken Bakterien auch immunogene Eigenschaften (Antigenität).
1.1.2 Mikro- und Makroparasiten Die Vermehrung von Mikroparasiten erfolgt in Wirtszellen Wichtiger als ihr Größenunterschied ist noch eine weitergehende Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroparasiten. Da sich Mikroparasiten (Viren, Bakterien, Protozoen und Pilze) in Wirtszellen replizieren, sind sie theoretisch imstande, sich unbegrenzt zu vermehren, so dass der Wirtsorganismus von Unmengen neu erzeugter Erreger regelrecht überschwemmt wird. Das können Makroparasiten (Würmer, Arthropoden), selbst wenn sie nur mikroskopisch klein sind, nicht. Sie reifen vom Ansteckungs- zum reproduktiven Stadium heran und ihre Larven (Tochtergenerationen) verlassen dann den Wirt, um den Zyklus weiter fortzusetzen. Daher bestimmt die Zahl der eingedrungenen Organismen das Ausmaß der Infektion. Dieser Unterschied zwischen mikro- und makroparasitären Infektionen wirkt sich auch klinisch und epidemiologisch aus. Mikro- und Makroparasiten lassen sich nicht immer klar abgrenzen. Manchmal bleibt auch die Tochtergeneration von Makroparasiten im Wirtsorganismus zurück, und gerade bei immunsupprimierten Patienten kann die Infektion zahlenmäßig überhand nehmen. Beispiele sind die Rundwürmer (Trichinella), einige Fadenwürmer (Strongyloides stercoralis) und Krätzemilben (Sarcoptes scabiei).
Wenn Organismen klein genug sind, können sie intrazellulär leben Die Einteilung in Mikro- und Makroparasiten deckt sich nicht völlig mit den biologischen Auswirkungen, die sie aufgrund ihrer absoluten Größe auf die WirtPathogen-Beziehung haben können. Das Größenverhältnis zwischen Erreger und Wirtszelle ist von besonderer Wichtigkeit. Wenn Organismen klein genug sind, um intrazellulär zu leben, unterhalten sie eine ganz andere biologische Beziehung zu ihrem Wirt als extrazelluläre Organismen. Das wirkt sich sowohl auf die Infektion als auch auf ihre Eindämmung aus.
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1.2
Intra- und extrazelluläre Lebensform
Zugrunde liegt allen Wirt-Pathogen-Beziehungen, dass der eine Organismus (das Pathogen) von den günstigen Umgebungsbedingungen profitiert, die der andere (der Wirt) ihm bietet. Auch wenn Art und Grad dieser „Ausbeutung“ variieren können, bleibt das Pathogen primär auf die Versorgung durch seinen Wirt angewiesen. Dabei kann es sich um die Bereitstellung von Stoffwechselprodukten (Nährstoffe) oder – wie im Fall der Viren – des Syntheseapparats der Wirtszellen handeln. Viren müssen zwangsläufig in Wirtszellen leben (intrazelluläre Lebensform), da sie auf deren Syntheseapparat angewiesen sind. Auch einige andere Erregergruppen (Chlamydien, Rickettsien) halten sich ausschließlich intrazellulär auf. Bei den übrigen Pathogenen haben sich einzelne Spezies an eine intra- oder extrazelluläre Lebensform, in sehr seltenen Fällen auch an beides angepasst. Intrazelluläre Mikroparasiten (keine Viren) decken ihren metabolischen Bedarf direkt aus dem Nährstoffangebot der Wirtszellen, extrazelluläre Organismen beziehen ihre Nährstoffe aus der Gewebeflüssigkeit oder gelegentlich auch direkt von Wirtszellen (z.B. Entamoeba histolytica, der Erreger der Amöbenruhr). Makroparasiten halten sich fast ausnahmslos extrazellulär auf (Trichinella spiralis lebt intrazellulär). Viele ernähren sich von Wirtszellen, nehmen diese auf und verdauen sie; andere nehmen Nährstoffe aus der Gewebeflüssigkeit oder dem Darminhalt auf.
Intrazellulär sind Pathogene vor vielen Abwehrmechanismen des Wirts geschützt Intrazelluläre Pathogene bereiten dem Wirt ganz andere Schwierigkeiten als extrazelluläre Organismen (s. Kap. 13). Solange sie in den Zellen bleiben, sind sie weitgehend vor Abwehrmechanismen, besonders vor spezifischen Antikörpern des Wirts, geschützt. Bei solchen Erregern hängt die erfolgreiche Bekämpfung davon ab, ob sie intrazellulär durch (Immun-)Mediatoren der näheren Umgebung oder durch zytotoxische Wirkstoffe abgetötet werden können. Da letztere oft nicht nur Erreger, sondern auch die Wirtszellen zerstören, droht durch sie eine Gewebeschädigung. Das Problem, gezielt auf intrazelluläre Erreger einzuwirken und nicht die empfindlichen Zellen zu treffen, stellt sich auch beim Einsatz von Medikamenten. Eine selektive Wirkung mit Antibiotika zu erreichen und die Wirtszelle intakt zu lassen hat sich als schwieriges Unterfangen herausgestellt. Noch problematischer ist, dass gerade die für Immun- und Entzündungsreaktionen zuständigen Zellen oft durch intrazelluläre Erreger befallen sind, so dass die Wirtsabwehr empfindlich geschwächt wird. Eine Vielzahl von Viren, Bakterien oder Protozoen siedelt sich z.B. in Makrophagen an, während sich andere Viren (einschließlich HIV) eher auf Lymphozyten spezialisiert haben. Die intrazelluläre Lebensform bietet Pathogenen viele Vorteile: Sie gewährt ihnen Zugang zur Nährstoffversorgung und der genetischen Ausstattung ihres Wirts und ermöglicht ihnen andererseits, sich der Immunüberwachung (Surveillance) und antimikrobiellen Abwehrmechanismen zu entziehen. Allerdings kann sich kein einziger Organismus immer nur intrazellulär aufhalten. Um sich erfolgreich vermehren zu können, muss eine Übertragung (Transmission) der Erreger zwischen den Wirtszellen 22
stattfinden – und das bedeutet unvermeidlich, dass sie für gewisse Zeit einer extrazellulären Umgebung ausgesetzt sind. Was den Wirt betrifft, so bietet sich ihm die Möglichkeit, in der extrazellulären Phase in die Entwicklung einzugreifen und die Infektion durch Abwehrmechanismen wie Phagozytose, Antikörper und Komplementfaktoren unter Kontrolle zu bringen. Transmission kann aber auch den Untergang der ursprünglich infizierten Zelle bedeuten und so zur Gewebeschädigung oder generalisierten Erkrankung des Wirts beitragen.
Die extrazelluläre Lebensform bietet günstige Bedingungen für Wachstum, Reproduktion und Streuung Extrazelluläre Erreger können ungehindert wachsen und sich vermehren und sich weiträumig in den Geweben des Körpers bewegen. Doch auch ihr Überleben und ihre Entwicklung sind gewissen Einschränkungen unterworfen. Am wichtigsten ist wohl ihr ständiges Ausgesetztsein gegenüber Abwehrmechanismen des Wirts (Antikörper, Komplement- und phagozytäres System). Aufgrund ihrer unterschiedlichen Merkmale wirken sich extrazelluläre Erreger pathologisch ganz anders aus als intrazelluläre Erreger. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das an ausgedehnten Zerstörungen im Wirtsgewebe, die Makroparasiten allein schon durch ihre Größe, Reproduktion und Beweglichkeit hervorrufen können. Viele extrazelluläre Pathogene können sich so rasch in der Extrazellularflüssigkeit oder auf Oberflächen ausbreiten, dass es innerhalb kürzester Zeit zu ausgedehnten Infektionen kommt. Ein gutes Beispiel ist die Schnelligkeit, mit der Vibrio cholerae die gesamte Dünndarmschleimhaut besiedelt. Zur erfolgreichen Bekämpfung extrazellulärer Parasiten sind andere Abwehrmechanismen des Wirts als gegen intrazelluläre Erreger nötig. Die möglichen unterschiedlichen Lokalisationen des Befalls mit extrazellulären Mikroorganismen macht eine wirkungsvolle Abwehr zusätzlich schwieriger. So müssen z.B. Darmparasiten durch andere Komponenten des angeborenen und erworbenen Immunsystems abgewehrt werden als Parasiten an anderen Stellen. Parasiten, die im Darmlumen vegetieren, können Immunreaktionen, ausgehend von der Darmmukosa, völlig unbeschadet überstehen. Zu akuten Problemen mit einer effektiven Abwehr kann es besonders bei Makroparasiten kommen, die sich wegen ihrer Größe oft als unempfänglich für die bei kleineren Parasiten wirksamen Abwehrmechanismen erweisen. So können z.B. Würmer nicht phagozytiert werden, denn oft haben sie äußere Schutzschichten oder bewegen sich aktiv fort aus Bereichen, in denen die Wirtsabwehr aktiv ist.
1.3 Klassifikationssysteme (Systematik) Die Erreger von Infektionskrankheiten gehören einem breiten Spektrum unterschiedlicher Gruppen – Prionen, Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen, Helminthen und Arthropoden – an. Für jede Gruppe gibt es ein eigenes Klassifikationssystem, um Erreger richtig identifizieren und einer Kategorie zuordnen zu können. Die korrekte Identifizierung stellt eine wesentliche Voraussetzung für eine akkurate Diagnose und die wirksame Behandlung von Infektionen dar. 23
Protozoen, Pilzen, Helminthen und Arthropoden werden nach dem binomischen System eingeteilt Erreger lassen sich mit verschiedenen Methoden identifizieren, durch einfache Betrachtung bis hin zur molekularen Untersuchung. Bei der Unterteilung der Hauptgruppen wurde unterschiedlich vorgegangen: In der Klassifikation von Protozoen, Pilzen, Helminthen und Arthropoden bildet „Spezies“ die taxonomische Grundeinheit – definitionsgemäß als Gruppe von Organismen zu verstehen, die einander in ihren morphologischen, physiologischen, biochemischen, serologischen und anderen Eigenschaften in hohem Maße ähnlich sind. Auf „Spezies“ bezieht sich auch die binomische Klassifikation (Systematik), die für Eukaryonten und bestimmte Prokaryonten herangezogen wird. Spezies gruppieren sich zu Gattungen (Genus), wenn sie in wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. Zur genauen Identifikation wird daher jeder Organismus mit „Gattung“ und „Spezies“ bezeichnet (z.B. Homo sapiens oder Escherichia coli). Verwandte Gattungen werden wiederum zu größeren Kategorien zusammengefasst.
24
Abb. 1.2 Strukturelle und biologische Eigenschaften, die zur Klassifikation von Bakterien herangezogen werden; hier am Beispiel der Gram-positiven Bakterien.
Die Klassifikation von Bakterien und Viren erfolgt über strukturelle und biologische Eigenschaften Bei der Klassifikation von Prokaryonten und Viren ergeben sich ein paar grundsätzliche Schwierigkeiten für das „Spezies“-Konzept. Die Einteilung von Bakterien stützt sich auf leicht bestimmbare, praktisch erprobte Merkmale wie Größe, Form, Farbe, Anfärbbarkeit, Atmung (aerob, anaerob) und Reproduktion. Hinzu kommen immunologische, biochemische und molekulare Kriterien, die sich nur durch verfeinerte Untersuchungsmethoden feststellen lassen. Anhand der zuerst genannten Eigenschaften können Bakterien taxonomischen Gruppen zugeordnet werden, wie es Abb. 1.2 exemplarisch für Gram-positive Bakterien zeigt (s. auch Kap. 2).
Entscheidend für die Differenzierung pathogener und nicht pathogener Formen ist oft die richtige Subspezies-Zuordnung bei Bakterien Eine erfolgreiche Behandlung setzt die richtige Erregeridentifizierung voraus. Einige wichtige Bakterien-Subspezies sind an immunologischen Eigenschaften erkennbar. In spezifischen Tests mit Antiseren können Zellwand-, Geißel- und Kapselantigene dazu benutzt werden, Serogruppen und Serotypen von Bakterien zu definieren (z.B. bei Salmonellen, Streptokokken, Shigellen, E.coli). Andere Subspezies (Biotyp, Stämme, Gruppen) lassen sich anhand biochemischer Merkmale definieren. So setzen z.B. einige Staphylococcus aureus-Stämme βHämolysin frei (bewirkt die Lyse roter Blutkörperchen). Die Produktion anderer Toxine ist für die Unterscheidung einzelner Gruppen wichtig (z.B. bei E.coli). Bakterien können auch durch ihre Empfänglichkeit für bestimmte Bakteriophagen in Subspezies eingeordnet werden. Diese Phagentypisierung kann z.B. herangezogen werden, um zwischen Isolaten von Staphylococcus aureus, Vibrio cholerae und Salmonella typhi zu unterscheiden. 25
Identifizierung und Klassifizierung können auch durch genetische Untersuchungen erfolgen. Angewandt werden z.B.: ■
Größenbestimmung des Genoms (Molekulargewicht der vorhandenen DNA);
■
Berechnung des Basenanteils von Guanin und Cytosin an der DNA;
■
Gensonden, um bestimmte DNA-Sequenzen im Genom zu identifizieren.
Die Virusklassifikation entfernt sich noch weiter vom binomischen System Auf Viren werden zwar Begriffe wie „Familie“ oder manchmal auch „Gattung“ (Genus) angewandt, aber nicht „Spezies“. Ihre Unterteilung richtet sich nach Merkmalen wie ihrer Nukleinsäure (DNA oder RNA), ihrer Replikationsart, der Symmetrie des Viruspartikels (kubisch, helikal oder komplex) sowie dem Vorhandensein oder Fehlen einer Virushülle (Envelope). Abb. 1.3 zeigt dies am Beispiel der DNA-Viren (s. auch Kap. 3). Es werden auch Kategorien verwendet, die in etwa denen der Subspezies entsprechen und Serotypen, Stämme, Varianten und Isolate umfassen. Tatsächlich lassen diese sich wegen der besonderen biologischen Merkmale von Viren leichter bestimmen als etwaige Spezies. Für die Einteilung wird primär die serologische Reaktivität des Virusmaterials berücksichtigt. Das Influenzavirus mit seinen drei Typen (A, B, C) könnte man z.B. einer Gattung gleichsetzen. Bei der Identifizierung hilft ein stabiles, bei allen drei Typen jeweils unterschiedliches Nukleoprotein-Antigen. Neuraminidase- und HämagglutininAntigene sind instabil und bei allen drei Typen verschieden. Durch Charakterisierung dieser Antigene gelingt es in Isolaten, eine bestimmte Variante zu identifizieren (s. Kap. 19). Ein weiteres Beispiel findet sich bei Adenoviren, deren Antigene mit einem Kapsidbestandteil assoziiert sind und eine Zuordnung zu Gruppen, Typen und noch feinere Unterteilungen ermöglichen.
Die Klassifikation hilft bei der Diagnose und fördert das Verständnis der Pathogenese Erreger umgehend zu identifizieren ist klinisch unbedingt notwendig, um die Diagnose zu stellen und eine angemessene Behandlung empfehlen bzw. einleiten zu können. Doch für ein besseres Verständnis der Interaktionen, die zwischen Wirt und Parasit ablaufen, reicht die Erregeridentifizierung allein nicht aus.
Abb. 1.3 Zur Virusklassifikation herangezogene Merkmale am Beispiel der DNA-Viren.
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Man sollte möglichst viel über das (allgemein) biologische Verhalten von Erregern wissen, um sinnvolle/nützliche Aussagen zu den Auswirkungen von Infektionen machen zu können. Aus dem Grund finden sich in den nachfolgenden Kapiteln neben einer Übersicht über die Klassifikation der wichtigsten Erreger auch kurze Angaben zu ihrer Struktur (makro- und mikroskopisch), Lebensform, Molekularbiologie, Biochemie, Replikation und Reproduktion.
27
Zusammenfassung ■ Infektionserreger lassen sich sieben Kategorien zuordnen: Prionen, Viren, Bakterien, Pilzen, Protozoen, Helminthen und Arthropoden. ■ Die Identifikation und Klassifikation dieser Organismen sind wichtiger Bestandteil der Mikrobiologie und wesentliche Voraussetzung für die Diagnose, Therapie und Bekämpfung von Infektionen. ■ Jede Gruppe hat typische Merkmale (Struktur und molekularer Aufbau, Biochemie und Metabolismus, Reproduktion), durch die das Zusammenspiel zwischen Erregern und Wirtsorganismen bestimmt wird und die darüber entscheiden, ob/wie sie Krankheiten verursachen. ■ Zahlreiche Erreger sind durch ihre intrazelluläre Lebensform vor vielen Abwehrmechanismen des Wirts geschützt.
FRAGEN 1 Nennen Sie die Hauptunterschiede zwischen Prokaryonten und Eukaryonten. 2 Welche wichtigen Unterschiede bestehen zwischen Mikro- und Makroparasiten? 3 Zählen Sie drei Vorteile auf, die eine intrazelluläre Lebensform Erregern bietet. 4 Mit welchen Methoden lassen sich Bakterien identifizieren und klassifizieren?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998.
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2
Bakterien 2.1 Struktur 15 2.2 Ernährung 17 2.3 Wachstum und Teilung 18 2.4 Genexpression 19 2.4.1
Transkription 19
2.4.2
Translation 20
2.4.3
Regulation der Genexpression 20
2.5 Extrachromosomale Elemente 23 2.6 Mutation und Gentransfer 25 2.6.1
Mutation 25
2.6.2
Gentransfer und Rekombination 26
2.7 Überleben unter widrigen Umständen 30 2.8 Das Genom medizinisch wichtiger Bakterien 30 2.9 Hauptgruppen 33
Zur Orientierung Obwohl es eine riesige Anzahl frei lebender Bakterien gibt, verursachen vergleichsweise wenige Spezies Infektionen. Die meisten dieser Mikroorganismen sind mittlerweile gut bekannt und erforscht. Trotzdem werden fortlaufend neue Erreger entdeckt, oder es stellt sich heraus, dass bisher für unbedeutend gehaltene Infektionen doch bedeutsamer sind, als man annahm. Ein gutes Beispiel sind Infektionen durch Legionellen, den Erregern der Legionärskrankheit. Bakterien sind einzellige Prokaryonten, deren DNA sich auf einem langen ringförmigen Molekül in einem nicht abgegrenzten Kernäquivalent befindet. Viele Bakterien haben Geißeln und zeigen dadurch ein typisches Bewegungsmuster. Bakterien sind von einer komplex gebauten Zellwand (Hülle) und oft auch von einer dicken Kapsel umgeben. Sie vermehren sich meist in recht hohen Teilungsraten und verfügen über ein breites metabolisches Spektrum (sowohl aerober als auch anaerober Stoffwechsel). Zur Klassifikation (Systematik) von Bakterien werden phäno- und genotypische Merkmale herangezogen, wobei den Angaben zum Phänotyp aus klinischer Sicht meist ein größerer praktischer Wert zukommt. Die Phänotypisierung von Bakterien beruht auf der Kenntnis ihrer Struktur und Biologie (Abb. 32.17). Einen detailliertes Verzeichnis der wichtigsten Bakteriengruppen gibt „Pathogene im Überblick“ im Anhang.
2.1
Struktur 29
Bakterien sind Prokaryonten mit typischer Zellstruktur Bei Bakterien trägt ein längliches, zweisträngiges (ds, double-stranded), ringförmiges DNA-Molekül die genetische Information (Abb. 2.1). Wie bei Eukaryonten (s. Kap. 1) könnte es als „Chromosom“ bezeichnet werden, doch es fehlen Introns. Stattdessen besteht die DNA aus einer kontinuierlichen Kodierungsgensequenz. Da sich das Chromosom weder in einem erkennbaren Kern befindet noch eine Kernmembran vorhanden ist, wird die Region mit stärkerer DNA-Wicklung (coiling) als Nukleoid bezeichnet. Genetische Information (DNA) kann in Bakterienzellen auch auf sog. Plasmiden vorkommen, kleinen ringförmigen extrachromosomalen Molekülen. Außer Ribosomen (erforderlich zur Proteinsynthese) sind im Zytoplasma keine weiteren Organellen enthalten. Obwohl sie dieselbe Funktion ausüben, unterscheiden sich die Ribosomen eu- und prokaryonter Zellen durch ihre Struktur. In Prokaryonten werden sie als 70S-, in Eukaryonten als 80S-Ribosomen bezeichnet (die Einheit S bezieht sich auf das Teilchen-/Partikelverhalten in einer Ultrazentrifuge, d.h. unter starker Fliehkrafteinwirkung beim Schleudern). Spezifisch auf diese 70S-Ribosomen von Bakterien zielt der Angriff antimikrobieller Mittel wie der AminoglykosidAntibiotika (s. Kap. 33). Viele der metabolischen Funktionen, die in eukaryonten Zellen von membranständigen Organellen wie den Mitochondrien ausgeübt werden, übernimmt in Prokaryonten die Zellmembran. Bis auf Mykoplasmen sind alle Bakterien von einer komplex aufgebauten Zellwand (Hülle) umgeben; außerhalb dieser Zellwand können noch Kapsel, Geißeln oder Pili (Fimbrien) vorhanden sein. Ausschlaggebend für die richtige Diagnose sowie das Verständnis der Pathogenität und Biologie von Bakterien sind gute Kenntnisse ihrer Zellwand und möglicher Außenstrukturen.
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Abb. 2.1 Schematische Darstellung eines Bakteriums.
Anhand ihrer Zellwand werden Bakterien als Grampositiv oder Gram-negativ eingestuft Eine wichtige Grundlage für den mikrobiologischen Nachweis und die Identifizierung von Bakterien ist die Gram-Färbung (s. Kap. 32). Hauptbestandteil der Bakterienzellwand ist Peptidoglykan (oder Murein), ein Polymer aus Hexosezuckern (N-Acetyl-Glucosamin und N-Acetyl-Muraminsäure) und Aminosäuren. ■ Bei Gram-positiven Bakterien liegt der Zellmembran außen eine 20–80 nm dicke Schicht aus Peptidoglykan an, die noch andere Makromoleküle enthalten kann. ■ Bei Gram-negativen Bakterien ist die Peptidoglykanschicht 5–10 nm dünn. Fest in ihren Lipoproteinmolekülen ist eine darüber befindliche äußere Hüllmembran verankert, die hauptsächlich aus Lipopolysacchariden und Lipoproteinen besteht (Abb. 2.2). Die durch Polysaccharide und (elektrisch) geladene Aminosäuren hoch polare Peptidoglykanschicht bildet einen dicken, hydrophilen Überzug. Dieser Eigenschaft verdanken z.B. Gram-positive Bakterien ihre Resistenz gegen die im Darm auf sie einwirkende Galle. Andererseits kommt aber in allen Körperflüssigkeiten das Enzym Lysozym vor, welches die Peptidoglykanschicht „verdauen“ und somit bakterizid wirken kann. Antibiotika wie Penicilline und Cephalosporine hemmen die Synthese von Peptidoglykan (s. Kap. 33). Auch Gram-negative Bakterien haben eine hydrophile Außenschicht, die aber wegen des Lipidanteils zugleich hydrophobe Eigenschaften besitzt. Damit trotzdem für die Ernährung wichtige hydrophile Zucker- und Aminosäuremoleküle ins Zellinnere gelangen, bilden bestimmte Proteine (sog. Porine) Kanäle bzw. Poren. Lipopolysaccharide (LPS) verleihen der Bakterienmembran sowohl antigene („OAntigene“ durch Kohlenstoffketten) als auch toxische Wirkeigenschaften („Endotoxin“ durch den Anteil an Lipid A; s. Kap. 17).
31
Bei Mykobakterien sind Peptidoglykan- und Lipoproteinschicht chemisch anders miteinander verbunden. Ihre Außenhülle wirkt durch eine Vielzahl komplexer Lipide (Mycolsäure) wachsartig. Das verändert zum einen ihre Anfärbbarkeit (sog. säurefeste Bakterien) und macht sie zum anderen resistent gegen Austrocknung und andere Umgebungseinflüsse. Darüber hinaus entfalten Bestandteile der MykobakterienZellwand eine ausgeprägte Adjuvanswirkung (d.h., sie steigern die Immunogenität bzw. Reaktivität).
Abb. 2.2 Wandaufbau bzw. Hüllstrukturen Grampositiver und Gram-negativer Bakterien
Zusätzlich zur Zellwand kann eine Kapsel aus hochmolekularen Polysacchariden (bzw. Aminosäuren beim Gasbranderreger Bacillus anthracis) vorhanden sein. Ihre durch die Kapsel schleimige Oberfläche schützt Bakterien vor der Phagozytose durch Wirtszellen und ist ein entscheidender Virulenzfaktor. So können nur wenige bekapselte Streptococcus pneumoniae-Bakterien eine tödlich verlaufende Infektion verursachen, während kapsellose Mutanten dieser Spezies nicht pathogen wirken. Zur definitiven Bakterienform, einem entscheidenden Kriterium bei der Identifizierung, trägt die Zellwand in erheblichem Maße bei. Im Allgemeinen werden Kugel- (Kokken), Stäbchen- (Bazillen) oder schraubenförmige Bakterien (Spirillen) unterschieden, auch wenn diese Grundformen variieren können.
Viele Bakterien haben Geißeln Geißeln bzw. Flagellen sind lange, fadenförmige, gewundene Zellfortsätze, mit denen sich Bakterien in ihrer Umgebung fortbewegen können. Sie beschränken sich entweder
32
auf einen Pol der Zelle (polar), stehen in Büscheln (lophotrich) oder sind über die gesamte Oberfläche verteilt (peritrich). Bakterien haben nicht nur andere Geißeln als Eukaryonten, sondern beziehen ihre Bewegungsenergie auch aus anderen Quellen (ATP[Adenosintriphosphat]-unabhängig). Diese Beweglichkeit befähigt sie zur Chemotaxis (positive und negative Reaktionen auf chemische Reize). Bestimmte Proteinbausteine (Flagelline), die als Geißelantigen (sog. H-Antigen) wirken, sind für Schutzmaßnahmen des Wirtes wie Antikörperreaktionen ein wichtiges Angriffsziel.
Andere Zellfortsätze von Bakterien sind Pili Die haarartigen Pili bzw. Fimbrien sind unbeweglicher als Geißeln; sie dienen zur Anheftung an andere Bakterien („Sexpili“) oder an Wirtszellen. Die Adhärenz an Wirtszellen kommt über spezifische Interaktionen zwischen Molekülen (Adhäsine) der Pili und der Wirtszellmembran zustande. Escherichia coli-Adhäsine gehen z.B. an der Oberfläche des Darmepithels eine Interaktion mit Fukose-/Mannose-Molekülen ein (s. Kap. 22). Eine möglichst große Anzahl von Pili kann dazu beitragen, dass Bakterien leichter der Phagozytose entgehen, schwächen also die Widerstandskraft des Wirts gegen bakterielle Infektionen. Trotz ihrer Immunogenität können sich Pili-Antigene so verändern, dass das Immunsystem sie nicht erkennt. Wie man bei Gonokokken herausfand, vollzieht sich die „Antigenvariation“ offenbar durch eine Rekombination von Genen, die für konstante und variable Regionen der Pili-Moleküle kodieren.
2.2
Ernährung
Pathogene Bakterien sind heterotroph Alle Bakterien beziehen ihre Energie aus der Oxidation vorgefertigter organischer Moleküle (Kohlenhydrate, Lipide und Proteine), die sie in ihrer Umgebung vorfinden. Bei der Metabolisierung dieser Moleküle entsteht ATP als Energiequelle. Wenn der endgültige Elektronenakzeptor Sauerstoff ist, spricht man von einem aeroben Stoffwechsel, wenn es ein anderes organisches oder anorganisches Molekül ist, vom anaeroben Stoffwechsel. ■ Im aeroben Stoffwechsel (d.h. bei Sauerstoffatmung) werden unter vollständigem Energieverbrauch aus einer Quelle wie z.B. Glukose 38 Moleküle ATP erzeugt. ■ Ein anaerober Stoffwechsel (bzw. anaerobe Atmung) mit einem anorganischen Molekül als endgültigem Akzeptor der H+-Ionen (statt Sauerstoff) ist unvollständig; daher werden weniger ATP-Moleküle als im aeroben Stoffwechsel erzeugt. ■ Ein anaerober Stoffwechsel mit einem organischen Molekül als endgültigem Akzeptor der H+-Ionen (Gärung bzw. Fermentierung) ist kaum noch effizient; produziert werden gerade einmal 2 ATP-Moleküle.
33
Obwohl er weniger effizient ist, kann ein anaerober Stoffwechsel nützlich sein, wenn Sauerstoff fehlt und geeignete Substrate zur Verfügung stehen – wie meistens im Wirtsorganismus. Für die Zellatmung kann ein obligater oder fakultativer Sauerstoffbedarf bestehen. Manche Organismen können ihren Stoffwechsel sogar bei Bedarf von aerob auf anaerob umstellen. Bakterien, die auf Gärungsprozesse angewiesen sind, dient oft Pyruvat als wichtiges Zwischenprodukt, aus dem sie durch nachfolgende Fermentierung zusätzliche Energie gewinnen.
Bakterien nehmen Nährstoffe hauptsächlich als kleine Moleküle durch die Zellwand auf Kleinere Moleküle wie Aminosäuren, Oligosaccharide und Peptide werden von Bakterien durch die Zellwand hindurch aufgenommen. Gram-negative Bakterien können auch größere Moleküle, die in der Nähe der Plasmamembran „vorverdaut“ werden, aufnehmen und verwerten. Nährstoffe gelangen über unterschiedliche Transportmechanismen ins Zytoplasma. Dazu gehört neben der durch Carrier erleichterten Diffusion (Ausgleich zwischen intraund extrazellulärem Konzentrationsgefälle) auch der aktive Transport durch die Zellmembran, bei dem unter Energieverbrauch die intrazelluläre Konzentration eines Substrats erhöht wird. Ein oxidativer Stoffwechsel kann auch entlang der Grenze zwischen Zellmembran und Zytoplasma stattfinden. Während manche Spezies durch ihre enorme Synthesekapazität nur einen minimalen Bedarf an Nährstoffen aus der Umgebung haben, sind andere auf ein größeres Nährstoffangebot angewiesen. E.coli wächst z.B. selbst in Medien, die nicht viel mehr als Glukose und anorganische Salze enthalten. Streptokokken dagegen benötigen sehr reichhaltige Nährlösungen mit vielfältigen organischen Bestandteilen.
34
2.3
Wachstum und Teilung
Wachstums- und Teilungsrate hängen bei Bakterien weitgehend vom Nährstoffangebot der Umgebung ab. In nährstoffreichen Kulturmedien im Labor teilt sich eine einzelne, ausgewachsene E.-coli-Zelle schon nach 20–30 Minuten in identische „Tochterzellen“, während es in nährstoffarmen Milieus sehr viel langsamer vor sich geht (1–2 Stunden). Manche Bakterien (z.B. Mycobacterium tuberculosis) wachsen dagegen selbst unter besten Bedingungen viel langsamer heran und teilen sich erst nach 24 Stunden. In einer neuen Umgebung vermehren sich Bakterien nach einem bestimmten Muster (Abb. 2.3). Nach der anfänglichen Anpassungs- (Latenz- oder lag-) Phase verdoppelt sich die Population rasch durch Zellteilung in konstanten Raten (Generationszeit). Diese Phase wird als logarithmische (log-) oder Exponentialphase bezeichnet. Sobald das Nährstoffangebot knapper wird und sich toxische Produkte anhäufen, verlangsamt sich das Zellwachstum (stationäre Phase) und kommt zum Stillstand, möglicherweise gefolgt von einer Phase des Zelluntergangs bzw. Absterbens.
Bakterien müssen ihre genomische DNA vor der Teilung verdoppeln Das ringförmige Genom von Bakterien fängt an einer bestimmten, als OriC (Ursprung der Replikation) bezeichneten Stelle an sich zu verdoppeln. Sobald sich ein Multienzymkomplex an OriC bindet, bewirken Helikasen und Topoisomerasen (DNAGyrase) eine Glättung (Unwinding) und Aufteilung (Separation) der beiden DNAStränge. Das setzt die Replikation in Gang. Dabei dienen die aufgeteilten DNA-Stränge als Matrize für DNA-Polymerasen. Bei der Polymerisation kommt es zur Inkorporation von Desoxyribonukleotiden, die genau zu Basen der Matrizen-DNA passen und sich mit ihnen zu Basenpaaren ergänzen. Im weiteren Verlauf bilden sich zwei typische „Replikationsgabeln“, die sich in gegenläufiger Richtung um das Chromosom herum fortsetzen. So entstehen zwei Kopien der gesamten genetischen Information (des Genoms), die je einen „Eltern“- und einen neu synthetisierten DNA-Strang enthalten.
35
Abb. 2.3 Wachstumskurve von Bakterien (KbE, Kolonie-bildende Einheiten).
Bei E. coli dauert die Replikation des Genoms etwa 40 Minuten. Das heißt, dass diese Bakterien, wenn sie sich innerhalb von 20–30 Minuten vermehren und teilen, bereits eine neue „Replikationsrunde“ starten müssen, ehe die vorhergehende abgeschlossen ist. Unter diesen Umständen hat die auf die Tochterzellen vererbte DNA schon mit ihrer eigenen Replikation begonnen.
Eine genaue Replikation ist nötig Als Träger wichtiger Informationen über die Eigenschaften und Abläufe in einer Zelle muss die DNA unbedingt genau repliziert werden. Das gelingt mithilfe der DNAPolymerase; sie kann die neuen Desoxyribonukleotide auf Fehler überprüfen („Korrektur lesen“) und falsch eingefügte herausschneiden. Dadurch verringert sich die Fehlerhäufigkeit auf ca. ein falsches Basenpaar pro 1010 kopierten Nukleotiden.
36
Auftrennung des Genoms (Segregation) und Septumbildung vor der Zellteilung Die Teilung (oder Septierung) einer Zelle vollzieht sich in folgenden Schritten: ■
Segregation: Auftrennung des replizierten Genoms
■
Septierung: Bildung einer Scheidewand in der Zellmitte
■
Separation: aus der Mutterzelle gehen eigenständige Tochterzellen hervor.
Das Zellseptum entsteht dadurch, dass die Peptidoglykanschicht (sowie die Außenhülle bei Gram-negativen Bakterien) in eine Einstülpung der Zytoplasmamembran hineinwächst. Zwischen Septierung, DNA-Replikation und (Genom-)Segregation besteht zwar keine feste Verbindung, aber sie sind doch so gut aufeinander abgestimmt, dass nur verschwindend wenige Tochterzellen keine richtige Entsprechung der genomischen DNA haben. Unter dem Mikroskop betrachtet führt die Zellteilung zu einer reproduzierbaren Anordnung der Zellen (Arrangement). Wenn sich kugelförmige Bakterien (Kokken) nur in einer Ebene teilen, können sie wie Ketten (Streptokokken) oder Paare (Diplokokken) aussehen, während sich durch eine mehrdimensionale Teilung Zellhaufen (Cluster, z.B. bei Staphylokokken) ergeben. Wie die Form dient also auch die Zellanordnung als wichtiges Merkmal bei der Erregeridentifizierung.
Wachstums- und Teilungsphase der Bakterien sind wichtige Angriffsziele antimikrobieller Mittel In die Abläufe bei der Vermehrung und Teilung von Bakterien greifen folgende Mittel (nähere Einzelheiten zu den Wirkstoffen s. Kap. 33) ein: ■ Chinolone (Nalidixinsäure und Norfloxacin) verhindern das „Unwinding“ der DNA durch die DNA-Gyrase während der DNA-Replikation. ■ Die Peptidoglykansynthese wird gehemmt z.B. durch Betalaktam-Antibiotika (wie Penicilline, Cephalosporine und Carbapeneme) sowie durch Glykopeptide (wie Vancomycin).
37
2.4
Genexpression
Genexpression beschreibt die Prozesse, die zur Bildung funktionsfähiger Protein- oder RNA-Moleküle notwendig sind und somit die in Genen enthaltenen Informationen entschlüsseln (dekodieren).
Die meisten Gene werden in mRNA umgeschrieben (Transkription) Die überwiegende Mehrheit der Gene (bei E. coli z.B. bis zu 98%) wird erst in mRNA (Messenger-/Boten-RNA) umgeschrieben und dann in Proteine „übersetzt“ (Translation). Bei bestimmten Genen erfolgt eine Transkription in rRNA (ribosomale RNA: 5S, 16S, 23S), die dann als Gerüst für die Anlagerung ribosomaler Untereinheiten dient. Wieder andere Gene werden in tRNA (Transfer-RNA) transkribiert, deren Moleküle zusammen mit Ribosomen an der Umsetzung von mRNA zu funktionellen Proteinen beteiligt sind.
2.4.1 Transkription Für ein RNA-Transkript wird die DNA durch eine DNA-abhängige Polymerase kopiert. Bei dieser Polymerisierungsreaktion kommt es zur Inkorporation von Ribonukleotiden, die sich dann mit passenden Basen der DNA-Matrize zu Paaren ergänzen.
Initiierung der Transkription durch Promotoren Als Promotoren wirken Nukleotidsequenzen der DNA, die RNA-Polymerase binden können. Wie häufig eine Transkription initiiert wird, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, wie z.B. ■
der genauen Sequenz der Promotorregion der DNA,
■
der Gesamtanordnung der DNA (Spiralisierungsgrad),
■ dem Umstand, ob Regulatorproteine in der Nähe oder in Überlappung mit der Promotorregion binden. Folglich initiieren verschiedene Promotoren mit ganz unterschiedlicher Frequenz eine Transkription (bis zu 3000fach). Ihre Aktivität unterliegt außerdem dem Einfluss von Regulatorproteinen. Bei der Erkennung von Promotoren spielt der Sigmafaktor (ein Bestandteil der RNA-Polymerase) eine wichtige Rolle. In Bakterien können ganze Sets von Genen einfach dadurch an- oder abgeschaltet werden, indem sich die Expression eines bestimmten Sigmafaktors (von mehreren unterschiedlichen vorhandenen) ändert. Das ist ein besonders wichtiger Kontrollmechanismus für die Expression von Genen, die an der Sporenbildung Grampositiver Bakterien beteiligt sind.
Die Transktiption endet normalerweise an bestimmten End-(Terminations-)Abschnitten 38
Solche Terminationsabschnitte sind dadurch gekennzeichnet, dass sich an eine spiegelbildliche mRNA-Sequenz eine Abfolge von Uracil-Resten anschließt. Diese können infolge der Ribonukleotid-Basenpaarung eine Haarnadelstruktur ausbilden und die RNA-Polymerase-Aktivität beeinträchtigen. Außerdem wird die Transkription in bestimmten Fällen auch durch eine Wechselwirkung zwischen RNA-Polymerase und dem Transkriptions-Terminations-Protein (Rho-Protein) beendet.
mRNA-Transkripte verschlüsseln oft mehr als ein Protein in Bakterien Das Arrangement einzelner Gene in Bakterien (Promotor-/Strukturgen/Terminatorregion) wird als monocistronisch bezeichnet. Wenn aber mehrere Strukturgene von einer einzelnen Promotor- und Terminatorregion flankiert werden, handelt es sich um eine polycistronische Anordnung, ein Operon. Die Transkription von Operonen führt also zu einer polycistronischen mRNA, die mehr als ein Protein kodiert (Abb. 2.4). Operone stellen sicher, dass alle Proteine (Untereinheiten eines bestimmten Enzymkomplexes oder für bestimmte biologische Abläufe erforderlich) gleichzeitig und im richtigen Mengenverhältnis synthetisiert werden. So werden z.B. die für die Aufnahme und Verstoffwechslung von Laktose nötigen Proteine vom lac-Operon enkodiert. Operone verschlüsseln in ähnlicher Weise auch viele der Proteine, die für die Pathogenität medizinisch wichtiger Keime verantwortlich sind, z.B.:
39
Abb. 2.4
Einzelgene und Operone.
In der DNA von Bakterien sind Gene als getrennte Einheiten (Einzelgene) oder als Operone (Multigene) vorhanden. Von Promotoren aus in mono- bzw. polycistronische mRNA-Moleküle umgeschrieben (Transkription), wird die mRNA schließlich in Protein übersetzt (Translation). ■
das Choleratoxin von Vibrio cholerae
■ die Fimbrien-Proteine uropathogener E. coli, die die Besiedlung des Harntrakts vermitteln.
2.4.2 Translation Durch die Nukleotidsequenz auf den mRNA-Transkripten wird genau festgelegt, welche Aminosäurensequenz ein bestimmtes Protein (Polypeptid) hat. Um ein Protein produzieren zu können, müssen Ribosomen und tRNA-Moleküle diese Information entschlüsseln; dieser Prozess wird als Translation („Übersetzung“) bezeichnet. Jedes Basentriplett (Satz von drei Basen) einer mRNA-Sequenz entspricht dem Codon einer spezifischen Aminosäure.
Die Translation beginnt mit einem Startkomplex und endet an einem Stopcodon
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Den Startkomplex bilden mRNA, Ribosomen und ein tRNA-Start-Molekül, welches die Aminosäure Methionin enthält. Ribosomen binden an spezifische mRNASequenzen (Shine-Dalgarmo-Sequenzen) und beginnen am Startercodon (AUG) mit der Translation. Am Startcodon findet eine Hybridisierung mit einer spezifischen komplementären Sequenz (dem Anticodon) des tRNA-Start-Moleküls statt. Die Polypeptidkette verlängert sich durch die Bewegung des Ribosoms entlang dem mRNA-Molekül und die Rekrutierierung immer neuer tRNA-Moleküle (beladen mit unterschiedlichen Aminosäuren), die nachfolgende Tripletts erkennen können. Durch eine Kondensierungsreaktion der Ribosomen werden neu hinzukommende Aminosäuren (auf der tRNA) der wachsenden Polypetidkette angefügt. Erst wenn das Ribosom auf eines von drei möglichen Stoppcodons (UGA, UAA oder UAG) trifft, endet die Translation.
Transkription und Translation sind wichtige Angriffsziele für antimikrobielle Substanzen Zu den antimikrobiellen Mitteln, die hier angreifen, gehören: ■
Inhibitoren der RNA-Polymerase wie Rifampicin
■ mehrere Inhibitoren der bakteriellen Proteinsynthese wie Makrolide (z.B. Erythromycin), Aminoglykoside, Tetrazykline, Streptomycin und Chloramphenicol (s. Kap. 33).
2.4.3 Regulation der Genexpression Bakterien passen sich durch kontrollierte Genexpression an die Umgebung an Mit bemerkenswerter Adaptationsfähigkeit können sich Bakterien an Veränderungen ihrer Umgebung anpassen. In erster Linie stellen sie durch kontrollierte Genexpression sicher, dass bestimmte Proteine nur bei Bedarf gebildet werden. Beispiele sind: ■ Bakterien müssen ihren Stoffwechsel umstellen, um sich eine neue Kohlenstoff- oder Stickstoff-Quelle zu erschließen, und schalten dafür neue Mechanismen an, die ihnen ermöglichen, diese Komponenten zu transportieren und zu nutzen, ■ Falls bestimmte Substanzen wie Aminosäuren in der Bakterienumgebung fehlen, sind Bakterien in der Lage, ihre Enzymproduktion umzustellen und die erforderlichen Moleküle de novo zu synthetisieren.
Bei pathogenen Bakterien ist die Expression vieler Virulenzfaktoren streng geregelt Das erscheint sinnvoll, weil es (Stoffwechsel-)Energie spart und gewährleistet, dass bestimmte Virulenzfaktoren nur bei Bedarf produziert werden. Enterobakterien werden z.B. oft durch Wasserleitungen übertragen. Das kontaminierte Wasser ist 41
vermutlich kälter als 25°C und arm an Nährstoffen. Doch die Umgebungsbedingungen verändern sich schlagartig, sobald die Enterobakterien in den menschlichen Darm gelangen: Bei einer Temperatur um 37°C und reichlicher Versorgung mit Kohlenstoff und Stickstoff stehen ihnen dort nur wenig Sauerstoff und freies Eisen (essentieller Nährstoff) zur Verfügung. An solche Veränderungen können sich Bakterien jedoch ohne weiteres anpassen, indem sie einige der für Stoffwechsel oder Virulenz zuständigen Gene einfach an- bzw. abschalten. Studien zur Pathogenese von Mikroorganismen verzeichnen derzeit auf dem Gebiet der Virulenzgenexpression die raschesten Fortschritte. Diese Analysen bieten wichtige Einblicke in die Vorgänge, wie sich Bakterien an wechselnde Bedingungen anpassen, wenn sie eine Infektion initiiert haben, und sich in unterschiedlichen Geweben des Wirts ausbreiten.
Eine Modifikation der Genexpression resultiert meist aus einer quantitativen Änderung der mRNATranskription In welchem Umfang eine Transkription zu mRNA erfolgt, wird von der Effizienz der Bindung der RNA-Polymerase an Promotorregionen beeinflusst. Da sich veränderte Umgebungsbedingungen wie ein Temperaturanstieg (von 25 auf 37°C) oder Sauerstoff-Verfügbarkeit auf die Spiralwindungen der DNA auswirken, können sie indirekt auch die Anordnung der Promotorregion verändern und den Beginn der Transkription erschweren. Den größten Einfluss auf die Bindung der RNA-Polymerase und die Transkription haben Regulatorproteine. Diese beeinflussen die Transkription, indem sie sich spezifisch an die DNA binden, die an die Promotorregion angrenzt, oder sich mit der Promotorregion überlappen. Dadurch werden die Bindung der RNA-Polymerase sowie die Transkription beeinflusst. Diese DNA-Bindungsstellen der Regulatorproteine werden als Operator bzw. Operatorregionen bezeichnet. Unterschieden werden zwei Klassen von Regulatorproteinen (Abb. 2.5): ■
Aktivatoren – erhöhen die Rate des Transkriptionsbeginns
■
Repressoren – hemmen die Transkription.
Einer negativen Regulation unterliegende Gene binden Repressorproteine. Wenn sie einer positiven Regulation unterliegen, müssen Gene aktivierte Regulatorproteine binden, um den Transkriptionsbeginn voranzutreiben.
Prinzip der Genregulation in Bakterien – am Beispiel der am Zuckerstoffwechsel beteiligten Gene Für ihr Wachstum gewinnen Bakterien Kohlenstoff aus Zucker. Dabei bevorzugen sie Glukose statt weniger gut verwertbaren Zuckers. In einer Umgebung, die sowohl Glukose als auch Laktose bereithält, verwenden Bakterien wie E. coli vorzugsweise Glukose. Gleichzeitig wird die Expression des lac- Operons, dessen Produkte den Transport und die Metabolisierung von Laktose ermöglichen, verhindert (Abb. 2.6).
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Dies bezeichnet man als katabole Repression, denn die Transkription des lacOperons ist abhängig von einer positiven Regulation (Steuerung) durch das cAMPabhängige katabole Aktivatorprotein (CAP). CAP wird erst durch gebundenes cAMP aktiviert. Wenn Bakterien mit Glukose wachsen, ist der cAMP-Spiegel im Zytoplasma sehr niedrig. Daher wird CAP auch nicht aktiviert, kann folglich weder an seine DNABindungsstelle nahe der lac- Promotorregion binden noch den Beginn der Transkription durch RNA-Polymerase unterstützen. Bei Glukosemangel erhöht sich dagegen die cAMP-Konzentration, so dass aktivierte cAMP-CAP-Komplexe gebildet werden. Durch ihre Bindung an entsprechende DNA-Stellen verstärken sie die Bindung der RNA-Polymerase und fördern die Transkription. CAP ist ein Beispiel für ein allgemeines Regulatorprotein, das bei vielen Genen (bei über 100 bei E. coli) die Expression kontrollieren kann. Mehrere Gene, die von demselben Regulator kontrolliert werden, stellen zusammen ein Regulon dar (Abb. 2.5). Neben dem Einfluss von CAP unterliegt das lac- Operon auch einer negativen Regulation durch das Laktose-Repressorprotein Lac I (Abb. 2.6). Das Lac-I-Gen, welches Lac I verschlüsselt, befindet sich unmittelbar strangaufwärts des LaktoseOperons und wird von einem anderen Promotor transkribiert. Beim Fehlen von Laktose bindet sich Lac I spezifisch an die Operatorregion des lac-Promotors und blockiert so die Transkription. Allolaktose (bzw. ihr nicht metabolisierbares Homolog Isopropylthiogalaktosid, IPTG) ist als Induktionsmolekül imstande, sich an Lac I zu binden und eine allosterische Strukturveränderung herbeizuführen. Dadurch wird es aus der DNA herausgelöst, die Repression also aufgehoben. Das lac- Operon verdeutlicht, wie fein die Genregulation in Bakterien eingestellt ist – angeschaltet wird das Operon nur, wenn Laktose als Kohlenstoffquelle für das Bakterienwachstum verfügbar ist. Solange Glukose, das bevorzugte Nährsubstrat der Bakterien, verfügbar ist, bleibt es dagegen ausgeschaltet.
Abb. 2.5
Aktivierung, Repression, Regulone.
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Ihre strikt geregelte Genexpression ermöglicht Bakterien, sich durch das Anund Abschalten von Genen besser an ein verändertes Nahrungsangebot oder wechselnde Umgebungsbedingungen anzupassen. Die von ein und demselben Regulatorprotein kontrollierten Gene und Operone bilden zusammen ein Regulon.
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Abb. 2.6
Kontrolle des lac-Operons. Das Laktose-Repressorprotein (Lac I, negative Regulation) und das katabole Aktivatorprotein (CAP, positive Regulation) kontrollieren die Transkription. Wenn nur Laktose als Kohlenstoffquelle für das Bakterienwachstum bereit steht, wird das lac- Operon angeschaltet. Da Bakterien aber vorzugsweise Glukose verwenden, wird bei vorhandener Glukose das lacOperon so lange ausgeschaltet, bis die Glukose verbraucht ist.
Die Expression von Virulenzgenen wird oft von Regulatorproteinen kontrolliert Ein Beispiel ist das von Corynebacterium diphtheriae produzierte Diphtherietoxin (s. Kap. 18). Sobald in der Umgebung der Bakterien freies Eisen vorhanden ist, findet eine negative Regulation statt. Wenn das Repressorprotein DtxR Eisen bindet, ändert sich seine Struktur (Konformation). Diese Strukturänderung ermöglicht ihm, mit hoher Affinität an die Operatorregion des Toxingens zu binden und seine Transkription zu hemmen. Wächst C. diphtheriae dagegen in einem Milieu mit sehr niedriger Konzentration von freiem Eisen (wie z.B. in menschlichen Sekreten), ist DtxR nicht imstande, Eisen zu binden, was letztendlich zur Toxinbildung führt.
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Viele Virulenzgene unterliegen einer positiven Regulation durch Zwei-Komponenten-Regulatoren Zwei-Komponenten-Regulatoren setzen sich meist aus zwei Proteinen zusammen: ■ eines fungiert als Sensor für veränderte Umgebungsbedingungen (z.B. Temperatur) ■ das andere kann als DNA-bindendes Protein die Transkription aktivieren (in manchen Fällen auch unterdrücken). Bei Bordetella pertussis (Keuchhustenerreger; s. Kap. 19) kontrolliert ein (vom bvgLokus enkodierter) Zwei-Komponenten-Regulator die Expression einer Vielzahl von Virulenzgenen. BvgS, eine Histidinkinase in der Zytoplasmamembran, spürt als „Sensor-Protein“ Reize aus der Umgebung auf (Temperatur, Mg-Ionen, Nikotinsäure) und passt die Autophosphorylase-Aktivität daran an. Auf positiv regulierende Signale, wie einen Temperaturanstieg, reagiert BvgS mit Autophosphorylation und phosphoryliert (d.h. aktiviert) dann das DNA-bindende Protein BvgA. Dieses Protein (BvgA) bindet an die Operatorregionen des Pertussistoxin-Operons und anderer Virulenz-assoziierter Gene und veranlasst deren Transkription. Von dem umfassenden Regulationssystem, das eine Vielzahl der Virulenzgene von Staphylococcus aureus beeinflusst, ist der Zwei-Komponenten-Regulator agr (accessory gene regulator) am besten untersucht. Agr übt insofern eine komplexe Kontrolle aus, als die erst später im bakteriellen Lebenszyklus (postexponentielle Phase) sezernierten Exotoxine positiv, Virulenzfaktoren an der Zelloberfläche aber negativ von ihm reguliert werden.
Die Regulation von Virulenzgenen geschieht durch eine Kaskade von Aktivatoren Zum Beispiel: ■ Bei B. pertussis aktiviert BvgA anscheinend die Expression eines anderen Regulatorproteins, das seinerseits die Expression von F-Hämagglutinin, dem wichtigsten Adhärenzfaktor von B. pertussis, aktiviert. ■ Die Expression von Virulenzgenen unterliegt bei V. cholerae der Kontrolle durch ToxR, ein Sensor-Protein der Zytoplasmamembran, das veränderte Umgebungsbedingungen registriert. ToxR aktiviert sowohl die Transkription des Choleratoxin-Operons als auch die eines anderen Regulatorproteins (ToxT). ToxT wiederum aktiviert die Transkription weiterer Virulenzgene, wie die von Toxin(mit)gesteuerten Pili, die einen wesentlichen Virulenzfaktor für die Besiedlung des menschlichen Dünndarms darstellen.
2.5
Extrachromosomale Elemente
Außer ihrem Chromosom besitzen viele Bakterien sog. Plasmide und Bakteriophagen, kleinere, sich 46
(extrachromosomal) unabhängig replizierende Nukleinsäuremoleküle Plasmide sind ringförmige dsDNA-Einheiten, die sich unabhängig selbst replizieren. Sie können ziemlich groß (60–120 kb) bis winzig klein sein (1,5–15 kb). Plasmide replizieren sich ähnlich wie genomische DNA, mit einigen Unterschieden: Nicht alle Plasmide replizieren sich in beiden Richtungen – einige gabeln sich nur einmal auf, andere replizieren sich als sog. „rolling circle“. Je nach Bakterienzelle schwankt die Anzahl der Plasmide (Kopienzahl) zwischen 1 und 1000 pro Zelle. Die Anzahl der Kopien hängt von der Replikationsrate der Plasmide ab. Im Allgemeinen scheint es von größeren Plasmiden eher weniger Kopien als von kleineren zu geben. Manche Plasmide haben ein breites Wirtsspektrum und können sich in mehreren Bakterienspezies replizieren, während für andere das Wirtsspektrum sehr beschränkt sein kann. Plasmide enthalten neben Replikationsgenen in einigen Fällen auch Gene, die ihren eigenen Transfer zwischen Bakterien vermitteln (tra-Gene). Zusätzlich tragen Plasmide oft eine Reihe von Genen (bis zu 100 bei großen Plasmiden), die ihre bakterielle Wirtszelle mit phänotypischen Vorteilen ausstatten.
Der verbreitete Einsatz antimikrobieller Mittel hat einen starken Selektionsdruck zugunsten resistenter Bakterien erzeugt In der Mehrzahl der Fälle lässt sich die Resistenz gegenüber antimikrobiellen Mitteln auf Resistenzgene auf konjugativen Plasmiden zurückführen (R-Plasmide; s. Kap. 33). Obwohl es Resistenzplasmide bekanntermaßen schon vor der Ära massiver Antibiotikabehandlungen gab, ist die starke Verbreitung bei vielen Spezies Ergebnis einer Auslese. R-Plasmide können Resistenzgene gegen unterschiedliche antimikrobielle Mittel tragen. Das gewöhnliche R-Plasmid R1 vermittelt Resistenz gegen Ampicillin, Chloramphenicol, Fusidinsäure, Kanamycin, Streptomycin und Sulfonamide. Es gibt noch viele weitere; entsprechend breit ist das Resistenzspektrum. Zwischen RPlasmiden finden Rekombinationen statt, so dass einzelne Plasmide oft auch für neue Mehrfachresistenzen (multi-drug resistance) verantwortlich sein können.
Abb. 2.7 Plasmide als Vektoren – ein Grundschritt der Genklonierung, um z.B. Fremd-DNA in Escherichia coli einzubringen.
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Plasmide können Virulenzgene tragen Auf Plasmiden können Toxine und andere die Virulenz steigernde Proteine enkodiert sein: ■ Virulente enterotoxinogene Stämme von E.coli rufen Diarrhöen hervor. Durch das von diesen Stämmen gebildete Enterotoxin (eines von zwei auf Plasmiden enkodierten Enterotoxinen) verändert sich die Wasser- und Elektrolytsekretion des Darmepithels (s. Kap. 22). ■ Bei S. aureus sind in Plasmidgenen sowohl ein Enterotoxin als auch mehrere andere für die Virulenz des Erregers verantwortliche Enzyme (Hämolysin, Fibrinolysin) enkodiert. (Näheres zur Produktion und Pathologie von Bakterientoxinen s. Kap. 17).
Plasmide sind wertvolle Hilfsmittel zur Klonierung und Manipulation von Genen Molekularbiologen haben sich mittlerweile einen reichen Bestand rekombinanter Plasmide angelegt, die sich als gentechnische Vektoren eignen (Abb. 2.7). Mit Hilfe von Plasmiden lassen sich Gene über Speziesgrenzen hinweg übertragen, so dass bestimmte Genprodukte in ganz unterschiedlichen Empfängern untersucht und in großen Mengen synthetisiert werden können.
Bakteriophagen sind Viren, die Bakterien als Wirtszellen verwenden; sie sind in und außerhalb von Bakterienzellen lebensfähig Bakteriophagen unterscheiden sich von Plasmiden insofern, als sie Bakterienzellen durch ihre Reproduktion gewöhnlich zerstören. Bakteriophagen bestehen aus einer Nukleinsäure (DNA oder RNA, nicht beide!) in einer Proteinhülle (Kapsid). Manche Bakteriophagen besitzen eine schwanzartige Struktur, mit der sie sich besser an ihre Wirtszellen anheften und sie infizieren können. Wie in Abb. 2.8 für DNA-Phagen gezeigt, injiziert das Virus, nachdem es sich an ein Bakterium geheftet und sich seiner schützenden Proteinhülle entledigt hat, seine DNA in die Bakterienzelle. Virulente Bakteriophagen stacheln sozusagen eine molekulare „Meuterei“ an, um das „Kommando“ über die Nukleinsäure und Proteine der Bakterienzelle zu übernehmen und neue Virus-DNA und -Proteine produzieren zu können. Wenn die Bakterienzelle schließlich wegen der vielen neu angesammelten Viruspartikel platzt (Bakteriolyse), werden diese Virionen in die Umgebung freigesetzt – und der Zyklus beginnt wieder von vorn. Während eine Infektion durch virulente Bakterienphagen immer unmittelbar zur Destruktion der Wirtszelle führt, integrieren temperente Bakteriophagen oder Prophagen ihre DNA in das Bakterienchromosom. Bei diesem als Lysogenie bezeichneten Prozess wird die Bakterienzelle nicht abgetötet, sondern behält die virale
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DNA (nun als Prophage bezeichnet) ruhend in ihr Chromosom integriert, wo sie sich repliziert.
Abb. 2.8 Lebenszyklus von Bakteriophagen.
Infolge der Etablierung der Prophagen können sich jedoch neue Zellmerkmale ausprägen (sog. Phagokonversion), so dass unter bestimmten Umständen die bakterielle Virulenz zunimmt (das Diphtherietoxin-Gen befindet sich z.B. auf einem Prophagen). Die Latenzphase endet, sobald z.B. durch einen Umgebungsreiz der Bakteriophagen-Repressor inaktiviert wird, der normalerweise den lysogenen Zustand aufrechterhält. Während dieses Induktionsprozesses wird die virale DNA aus dem Chromosom herausgelöst und beginnt aktiv zu replizieren. Durch die entstehenden Virionen kommt es zur Zelllyse und Freisetzung von Viruspartikeln. Somit führt jede Infektion mit Bakteriophagen – egal, ob mit virulenten oder temperenten Phagen – letztlich doch zum Tod der Wirtszelle. Angesichts der zunehmenden Mehrfachresistenz von Mikroorganismen ist erneut das Interesse am Einsatz von Bakteriophagen als „natürlichen“ antimikrobiellen Mitteln entfacht worden. Dass sich die „Bakteriophagen-Therapie“ trotzdem bisher nicht in der klinischen Praxis 50
als Routinemaßnahme durchgesetzt hat, hängt mit diversen Schwierigkeiten zusammen wie unklarer Dosierung, Form der Applikation, Qualitätskontrolle etc.
2.6
Mutation und Gentransfer
Als Organismen mit haploidem Chromosom besitzen Bakterien von jedem Gen jeweils nur eine Kopie. Im Verlauf der DNA-Replikation erhält jede Tochterzelle eine exakte Kopie des parentalen Genoms. Dieser Vorgang verläuft sehr akkurat; genomische Änderungen ergeben sich nur aufgrund einer ■ Mutation oder ■ Rekombination. In diesen Fällen Fall können bei Tochterzellen phänotypische Abweichungen von den Elternzellen auftreten. Das ist für die Virulenz und Arzneimittelresistenz von erheblicher Bedeutung.
2.6.1 Mutation Änderungen der DNA-Nukleotidsequenz können sich spontan oder durch Einwirkung von außen ergeben Während Spontanmutationen meist auf einer fehlerhaften DNA-Replikation beruhen, können chemische Stoffe (Mutagene) die DNA-Moleküle direkt verändern. Ein klassisches Beispiel sind sog. Nukleotid-Basenanaloga. Sie imitieren bei der DNASynthese normale Nukleotide und können sich mehrfach mit entsprechenden Basen des Gegenstrangs paaren. So kann sich z.B. 5-Bromouracil, das eigentlich als Thyminanalogon gilt, auch wie ein Cytosinanalogon verhalten; daher könnte es bei der DNA-Replikation zu einem Austausch von T-A gegen G-C kommen. Andere Mittel bewirken Veränderungen, indem sie ihre Moleküle in die DNA-Helix einlagern (Interkalation) und eine Verdrehung (Distorsion) herbeiführen oder die Nukleotidbasen direkt auf chemischem Wege beeinflussen. Unabhängig von der Ursache lassen sich DNA-Veränderungen im Allgemeinen wie folgt charakterisieren: ■ Punktmutationen – Änderungen einzelner Nukleotide, durch die sich der Triplett-Code verändert – was verschiedene Folgen haben kann: – stumme Mutation, bei der sich die Aminosäuresequenz eines Proteins nicht ändert, weil verschiedene Codons dieselbe Aminosäure spezifizieren. – Missense-Mutation, mit Substitution einer Aminosäure im translatierten Protein, die Stabilität oder funktionelle Eigenschaften des Proteins verändern kann. – Nonsense-Mutation, wenn die Translation durch Bildung eines Stopcodons vorzeitig beendet wird bzw. zum Abbruch der Proteinbiosynthese führt. ■ Umfassende DNA-Veränderungen können in einer Deletion, Substitution, Insertion oder Inversion mehrerer (oder sogar vieler) Basen bestehen. Obwohl das 51
meistens schädlich für den Organismus ist, können einige Mutationen durch die Produktion unterschiedlicher Proteine einen selektiven Vorteil verschaffen.
Bakterienzellen sind Schäden am Genom nicht schutzlos ausgeliefert Für die Identität ist das Bakteriengenom ein elementares intrazelluläres Molekül. Als solchem steht ihm ein Enzymapparat zur Verfügung, um sich vor spontanen und induzierten Mutationen zu schützen. Abb. 2.9 zeigt, wie die DNA-Reparatur vor sich geht. ■ Bei direkter Reparatur wird eine Schädigung rückgängig gemacht oder einfach beseitigt. Sie bildet quasi die „erste Abwehrlinie“. So können z.B. durch ultraviolette (UV-)Strahlung entstandene abnorme Pyrimidinbasen-Verbindungen (Pyrimidindimere) in der DNA gleich von einem lichtabhängigen Enzym wieder aufgehoben werden (Photoreaktivierung). ■ Bei der Exzisionsreparatur wird enzymatisch „aufgeräumt“: Sobald auf einem DNA-Strang eine beschädigte Stelle entdeckt wird, wird sie herausgeschnitten. Um die Lücke wieder aufzufüllen, erfolgt anschließend eine Polymerisierung. Als Matrize dient der intakte zweite DNA-Strang. Auch bei dieser Art Reparatur handelt es sich um eine „erste Abwehrlinie“; sie hilft Schäden auszumerzen, bevor sie sich auf die Replikation (fortschreitende Aufgabelung der DNA) auswirken – und sie evtl. behindern. Einige dieser „Aufräum-Gene“ gehören zu einem induzierbaren „SOS-System“, das aktiviert wird, wenn rasch auf DNASchäden reagiert und eine Reparatur veranlasst werden muss. ■ Reparatur in „zweiter Linie“ kommt zum Tragen, wenn eine DNASchädigung bereits einen Punkt erreicht hat, an dem sie sich nicht mehr so einfach korrigieren lässt. Sind die normalen DNA-Replikationsprozesse blockiert, kann es sein, dass permissive Systeme eine unvollständige Behebung des Schadens zulassen, um der Zelle unter Inkaufnahme von Fehlern größere Überlebenschancen zu sichern. Falls eine Schädigung schon über die Aufgabelung der DNA hinausgegangen ist, kommen Postreplikations- oder rekombinante Reparaturprozesse zum Zuge; dabei wird aus mehreren Kopien der parentalen und Tochterstrang-Sequenz durch „Ausschneiden und Einfügen“ eine fehlerfreie DNA konstruiert.
Abb. 2.9
DNA-Reparaturmechanismen.
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Am Modell der bakteriellen DNA-Reparatur werden ähnliche, komplexere Vorgänge im Menschen besser verständlich DNA-Reparaturmechanismen scheinen als Schutz vor Umweltschäden zu dienen und allen lebenden Organismen eigen zu sein. Ihre Untersuchung in bakteriologischen Studien hat zu einem besseren Verständnis der auch für höhere Lebewesen zutreffenden allgemeinen Grundlagen geführt, die sich auch auf Fragen der Krebsentwicklung und Altersprozesse anwenden lassen. Inzwischen kann als gesichert gelten, dass mehrere Erkrankungen des Menschen mit DNA-Reparaturvorgängen in Verbindung stehen, darunter z.B.:
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■ Xeroderma pigmentosum (extreme Überempfindlichkeit gegen Sonnenlicht) mit erhöhtem Risiko für Hauttumoren wie Basalzellkarzinom, Plattenepithelkarzinom oder Melanom; ■ Cockayne-Syndrom (progressive neurologische Degeneration, Wachstumsretardierung und nicht-tumorassoziierte Überempfindlichkeit gegen Sonnenlicht); ■ Trichothiodystrophie (geistige und Wachstumsretardierung, brüchige Haare aufgrund von Schwefelmangel, nicht-tumorassoziierte Überempfindlichkeit gegen Sonnenlicht).
2.6.2 Gentransfer und Rekombination Neue Genotypen entstehen bei der Übertragung von genetischem Material auf ein anderes Bakterium. Unter diesen Umständen wird sich die DNA des „SpenderBakteriums“ ■
in das Genom des Empfängers einfügen (rekombinieren)
■ oder, sofern auf einem Plasmid befindlich, sich ohne Rekombination im Empfänger replizieren. Rekombinationen können größere Veränderungen im Genmaterial mit sich bringen, und da meist Funktionsgene betroffen sind, macht sich das phänotypisch bemerkbar. Die Übertragung zwischen „Spender“ und „Empfänger“ erfolgt als: ■
Transformation
■
Transduktion
■
Konjugation
■
Transposition (Abb. 2.10)
Transformation Einige Bakterien können durch DNA aus ihrer Umgebung transformiert werden Bakterien wie S. pneumoniae, Bacillus subtilis, Haemophilus influenzae und Neisseria gonorrhoeae verfügen über eine natürliche Fähigkeit oder Kompetenz, DNA-Fragmente verwandter Spezies durch ihre Zellwand hindurch aufnehmen zu können. Solche DNA-Bruchstücke befinden sich z.B. in ihrer Umgebung, weil bei der Lyse anderer Organismen deren DNA freigesetzt oder kleinere Fragmente abgespalten wurden. In der kompetenten Zelle angelangt, muss diese chromosomale DNA erst mit einem homologen Segment des Empfänger-Chromosoms rekombiniert werden, um erhalten zu bleiben und vererbt werden zu können. Bei einer völlig fremden DNA würde die Rekombination wegen fehlender Homologie verhindert und die DNA 54
abgebaut werden. Plasmid-DNA kann allerdings nach der Transformation auch ohne vorherige Rekombination exprimiert werden. In molekulargenetischen Analysen von Bakterien erwies sich Transformation als sehr nützliches Werkzeug (Abb. 2.7). Den meisten Bakterien fehlt die natürliche Kompetenz, durch DNA transformiert zu werden. Diese Kompetenz kann künstlich induziert werden, indem Bakterienzellen z.B. mit zweiwertigen Kationen vorbehandelt und dann einem Hitze- (42 °C) oder Elektroschock (sog. Elektroporation) ausgesetzt werden.
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Abb. 2.10 Verschiedene Möglichkeiten von Genübertragung zwischen Bakterien. Außer beim Plasmid-Transfer wird die Spender-DNA in einem homologen (an Orten gleicher oder ähnlicher DNA-Sequenzen) oder Ziel-definierten (wie im Fall von Transposons) Rekombinationsvorgang in das Empfänger-Genom integriert. Vor ihrer Aufnahme in kompetente Zellen ist die extrazelluläre DNA ungeschützt und sehr empfänglich für zerstörerische Umgebungsfaktoren (z.B. DNasen, DNAabbauende Enzyme). Hinsichtlich der klinischen Relevanz (Übertragung auf Patienten) ist diese Art des Gentransfers daher von untergeordneter Bedeutung.
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Transduktion Bei der Transduktion wird genetisches Material durch Bakteriophagen-Infektion übertragen Im Verlauf der Replikation virulenter Bakteriophagen (oder temperenter Phagen, falls sie eine Lyse induzieren) passiert es manchmal, dass genomische bzw. PlasmidDNA der Bakterienzelle irrtümlich in den Viruskopf gepackt wird. So entsteht ein „Transducer-Partikel“, das sich an eine Empfängerzelle heften und dieser die DNA übertragen kann. Chromosomale DNA muss dem Empfängergenom über eine homologe Rekombination eingefügt werden, um stabil vererbt zur Expression zu kommen. Plasmid-DNA kann, wie bei der Transformation, auch bei der Transduktion ohne vorherige Rekombination in der Empfängerzelle exprimiert werden. In beiden Fällen gilt der Gentransfer als generalisierte Transduktion (Abb. 2.10). Die Transduktion durch temperente Bakteriophagen findet in anderer Form statt. Das hängt damit zusammen, dass sie sich an besonderen Adhäsionsstellen in das Bakteriengenom integrieren. Vor ihrem Eintritt in den lytischen Zyklus schneiden sich diese Prophagen gelegentlich falsch von der Adhäsionsstelle aus. Dabei entstehen Phagen, die ein DNA-Stück des Bakteriumgenoms aus der Nähe der Adhäsionsstelle enthalten. Infizieren sie Empfängerzellen, werden mit hoher Frequenz Rekombinanten gebildet, bei denen sich die Spender-DNA in Nähe der Adhäsionsstelle mit dem Empfänger-Genom verbindet. Da diese „spezialisierte Transduktion“ auf einer spezifischen Chromosom-Prophagen-Interaktion beruht, kann nur genomische, aber keine Plasmid-DNA dabei übertragen werden. Im Unterschied zur Transformation verläuft die Transduktion von DNA stets geschützt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Transfers, der klinisch relevant werden könnte. Allerdings sind Bakteriophagen ausgesprochen wirtsbezogene „Parasiten“ und daher nicht imstande, DNA zwischen verschiedenen Bakterienspezies zu übertragen.
Konjugation Konjugation ist eine Art bakterielle „Paarung“, um DNA zu übertragen Die Konjugation hängt von tra-Genen in paarungsbereiten (konjugativen) Plasmiden ab. Sie enthalten unter anderem die Informationen für Bakterienzellen, Sexpili zu bilden. Ein Sexpilus ist ein fadenförmiges Proteinröhrchen, das Zell-Zell-Kontakte ermöglicht und eine geschützte Übertragung der Plasmid-DNA-Kopie von der Spender- zur Empfängerzelle sicherstellt (Abb. 2.10). Da tra-Gene einigen Platz beanspruchen, sind konjugative Plasmide im Allgemeinen größer als andere.
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Gelegentlich werden konjugative Plasmide wie das Fertilitätsplasmid (F-Plasmid oder F-Faktor) von E. coli in das Bakteriengenom integriert und werden dann als Episomen bezeichnet. Beim konjugativen Transfer eines integrierten F-Episom können manchmal Abschnitte der angrenzenden genomischen DNA mit in den Duplikations-Transfer-Prozess einbezogen sein und ebenfalls vom Spender zum Empfänger übertragen werden. Solche Bakterienstämme vermitteln – im Unterschied zu denen mit nicht integriertem F-Plasmid – eine hochfrequente Übertragung und Rekombination genomischer DNA (daher als Hfr-Stämme bezeichnet). Allerdings wird das integrierte Plasmid von Spendern bei der Hfr-Konjugation nicht vollständig übertragen. Deshalb können die Empfänger nicht hochfrequent werden und auch nicht als Spender bei weiteren Konjugationen dienen. Durch gezielte Unterbrechung der Paarung von Hfr-Bakterienstämmen fand man heraus, dass das bakterielle Genom ringförmig ist, und konnte unterschiedliche Genpositionen/-loci kartieren. Wenn in Bakterien neben einem konjugativen auch ein nicht-konjugatives Plasmid vorhanden ist, werden manchmal beide zusammen auf Empfängerzellen übertragen (sog. Mobilisierung). Der konjugative Transfer von Resistenzgenen auf Plasmiden ist einer der Hauptgründe für die Ausbreitung der Antibiotikaresistenz innerhalb einer bzw. bei verschiedenen Bakterienspezies, weil für die Expression im Empfänger keine Rekombination erforderlich ist. Klinisch dürfte diese Art der raschen und sehr effizienten Weitergabe genetischer Informationen in Bakterienpopulationen die größte Relevanz von allen Übertragungsmechanismen haben.
Transposition Transponierbare Elemente (Transposons) sind DNASequenzen, die von ihrem Platz in einem DNAMolekül zu einem anderen in einer Bakterienzelle „hinüberspringen“ können Während genetische Information beim Plasmid-Transfer zwischen Bakterien weitergegeben wird, geschieht dies bei einer Transposition zwischen DNAMolekülen. Am besten untersucht sind Transposons von E.coli und anderen Gramnegativen Bakterien, doch auch bei Gram-positiven Bakterien, Hefen, Pflanzen und anderen Organismen finden sich Beispiele.
Insertionssequenzen sind die kleinsten und einfachsten „springenden“ Gene Insertionssequenzen (IS) sind weniger als 2 kb lang und enkodieren lediglich Enzymfunktionen, z.B. von Transposase (für die Transposition von einer DNAStelle zur anderen erforderlich). Wichtig für die Lokalisation bzw. Insertion in die Ziel-DNA sind kurze Wiederholungen (Repeats) der Sequenz in umgekehrter Reihenfolge (bei IS1 z.B. 23 Nukleotide lang), die sich oft an den Enden der IS befinden (Abb. 2.10). Daran schließt sich zu beiden Seiten der neu eingefügten IS
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noch eine kurze, direkte Sequenzwiederholung (d.h. in derselben Reihenfolge und Richtung) an, da während der Transposition auch ein Teilabschnitt der Zielsequenz dupliziert wird. Noch weitgehend ungeklärt ist die Auswahl des Ziels. Anscheinend werden bevorzugt A-T-reiche DNA-Regionen angesteuert. Manche IS sind hochselektiv, andere erscheinen eher wahllos. Da Transpositionen nicht auf den für eine homologe Rekombination (zwischen eng verwandten DNA-Molekülen) typischen enzymatischen Prozessen beruhen, spricht man von Ziel-gerichteter Rekombination. Typischerweise führt das nur zu einer kleinen Anzahl von IS in Bakteriengenomen (bei E. coli z.B. 6–10 Kopien von IS1 sowie je 5 Kopien von IS2 und IS3). Viele ISKopien üben eine wichtige Funktion aus, indem sie sich als „mobile HomologieRegionen“ überall dort im Genom anbieten, wo es zur homologen Rekombination zwischen DNA-Regionen oder -Molekülen (d.h. Chromosom und Plasmid) mit derselben IS kommen kann. Deshalb können nach Integration des F-Plasmids in das Chromosom z.B. Hfr-Bakterienstämme entstehen. Wenn sich zwei IS dicht nebeneinander eingefügt haben, kann die ganze Region transponierbar werden. Damit verbessern sich die Aussichten für einen Austausch von Genmaterial in Bakterienpopulationen.
Transposons sind größere und komplexere Elemente, die verschiedene Gene enkodieren Transposons sind größer als 2 kb und enthalten neben den Genen, die zur Transposition benötigt werden, oft noch andere, wie z.B. Antibiotikaresistenzgene (Abb. 2.10). Aber auch Virulenzgene (in denen z.B. das hitzestabile Enterotoxin von E. coli verschlüsselt ist) wurden auf Transposons gefunden. Transposons lassen sich in zwei Klassen unterteilen: ■ zusammengesetzte Transposons mit zwei Kopien derselben Insertionssequenz, die ein Resistenzgen flankieren (z.B. Kanamycin-Resistenz in Tn5) ■ einfache Transposons wie Tn3 (kodiert Betalaktam-Resistenz). Insertionssequenzen an den Enden zusammengesetzter Transposons können die gleiche oder gegenläufige Orientierung (sog. direkte oder indirekte Repeats) haben. Obwohl sie struktureller Bestandteil zusammengesetzter Transposons sind, bleiben die terminalen IS bei der Übertragung völlig intakt und eigenständig übertragbar. Einfache Transposons enthalten nur Gene, die für die Transposition und andere Funktionen (z.B. Antibiotikaresistenz) wichtig sind. Mit kurzen, gegenläufigen Sequenzwiederholungen (indirekte Repeats) an beiden Enden sind sie nur als Einheit beweglich bzw. übertragbar.
Mobile genetische Elemente begünstigen eine Reihe von DNA-Rearrangements mit klinisch wichtigen Auswirkungen
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Die Leichtigkeit, mit der sich Transposons in DNA-Sequenzen hinein- oder herausbewegen, lässt folgende Übertragungsmöglichkeiten zu: ■ aus der genomischen DNA des Wirts auf ein Plasmid ■ von Plasmid zu Plasmid ■ von einem Plasmid zur genomischen DNA Nach der Transposition auf ein konjugatives Plasmid mit breitem Wirtsspektrum kann sich sehr rasch Resistenz unter Bakterien ausbreiten. Jede Transposition wirkt sich schädlich aus, wenn sie dazu führt, dass sich IS oder Transposons in ein Funktionsgen inserieren und es dadurch ausschalten. Mit dieser „transpositionellen Mutagenese“ ließen sich – ohne die schädlichen Nebenwirkungen der allgemeiner angreifenden chemischen Mutagene – in molekularbiologischen Laborversuchen gezielt bestimmte Mutationen erzeugen. Eine besondere Gruppe der mobilen genetischen Elemente bilden sog. Pathogenitätsinseln mit koordiniert kontrollierten Virulenzgenen. Sie enthalten oft auch IS mit direkter Sequenzwiederholung an beiden Enden. Erstmals bei uropathogenen E. coli entdeckt (wo sie Hämolysine und Pili kodieren), hat sich herausgestellt, dass Pathogenitätsinseln auch bei anderen (allerdings nicht bei apathogenen) Bakterienspezies vorkommen, z.B. bei Helicobacter pylori, Vibrio cholerae, Salmonellen, S. aureus und Yersinien. Diese Regionen können ziemlich groß sein (bis zu 100 Kilobasen, kb), neigen aber zu Instabilität (spontaner Verlust möglich). Aus den DNA-Sequenz-Unterschieden (G- und C-Anteil) zwischen solchen mobilen Elementen und ihren Wirtsgenomen werden Schlüsse gezogen bezüglich Herkunft und Transfer von nichtverwandten Bakterienspezies.
2.7
Überleben unter widrigen Umständen
Einige Bakterien bilden Endosporen aus Bei bestimmten Bakterien können sich im Zellinneren hoch resistente Sporen (Endosporen) bilden, dank deren sie auch unter ungünstigen Verhältnissen überleben. Endosporen entwickeln sich ausschließlich in Phasen, in denen sich die Bakterien nicht vermehren (z.B. unter veränderten Umgebungsbedingungen oder erschöpftem Nährstoffangebot), aber nie bei aktivem Wachstum. In der Spore befindet sich eine neue Bakterienzelle, umgeben von einer komplexen Hülle mit mehreren Schichten. Endosporen und normale Bakterienzellen unterscheiden sich in der Zusammensetzung, und man nimmt an, dass Endosporen vor allem aufgrund ihrer Dipicolinsäure und ihres hohen Kalziumgehalts äußerst resistent gegen Hitze und Chemikalien sind. Ihre Widerstandsfähigkeit lässt Sporen Jahre überleben und sie können sich rasch erholen, sobald sich die Lebensbedingungen verbessert haben. Wenn das passiert, entwickelt sich aus der Spore eine neue Bakterie mit vegetativer Lebensform. Besonders in Böden gibt es reichlich Endosporen; und Gefahr geht dort vor allem von Clostridium-
60
und Bacillus-Sporen aus (Abb. 2.11). Werden Wunden infiziert, entstehen aus den Sporen wegen der günstigen Bedingungen Bakterien, durch die es zu Tetanus und Gasbrand kommen kann.
Abb. 2.11 Clostridium tetani mit endständigen (terminalen) Sporen.
61
2.8
Das Genom medizinisch wichtiger Bakterien
Mit den Fortschritten der Gentechnologie (DNA-Sequenzierung) lässt sich bei immer mehr pathogenen Bakterien das Genom vollständig entschlüsseln (s. Kasten). Die ständig wachsende Datenbank stellt eine wertvolle Ressource und ein enormes Potenzial für das Verständnis und die Behandlung von Infektionskrankheiten dar. Obwohl die praktische Nutzung genomischer Informationen noch in den Kinderschuhen steckt, hat sich schon mehrfach gezeigt, wie hilfreich es ist, die DNA-Sequenz klinisch wichtiger Mikroorganismen zu kennen.
Zur weiteren Information Repräsentative Auswahl pathogener Bakterien, deren Genom vollständig oder weitgehend entschlüsselt ist Acinetobacter baumannii, Bacillus anthracis, Bacteroides fragilis, Bordetella bronchiseptica, B. parapertussis, B. pertussis, Borrelia burgdorferi, Brucella abortus, Burkholderia cepacia, B. mallei, B. pseudomallei, Campylobacter jejuni, Chlamydophila pneumoniae, C. psittaci, Chlamydia trachomatis, Clostridium botulinum, C. difficile, Corynebacterium diphtheriae, Coxiella burnetii, Enterobacter cloacae, Enterococcus faecalis, E. faecium, Escherichia coli, Francisella tularensis, Haemophilus influenzae, Helicobacter pylori, Klebsiella pneumoniae, Legionella pneumophila, Listeria monocytogenes, Moraxella catarrhalis, Mycobacterium avium, M. bovis, M. leprae, M. tuberculosis, M. genitalium, M. pneumoniae, Neisseria gonorrhoeae, N. meningitidis, Pasteurella multocida, Proteus mirabilis, Pseudomonas aeruginosa, Rickettsia prowazekii, Salmonella dublin, S. enteritidis, S. paratyphi, S. typhi, S. typhimurium, Staphylococcus aureus, S. epidermidis, Streptococcus agalactiae, S. pneumoniae, S. pyogenes, Treponema pallidum, Ureaplasma urealyticum, Vibrio cholerae, Yersinia enterocolitica, Y. pestis
Die Anwendung von Kenntnissen zum Genom erleichtert die Identifizierung ■ Identifizierung und Klassifizierung. Typisch für die ribosomale RNA (rRNA) ist ihre Verschlüsselung in Genen (16S, 23S und 5S) auf einem gemeinsamen Operon, so dass ihre Transkription koordiniert abläuft (Abb. 2.12). Dieses rDNAOperon ist mindestens einmal vorhanden, oft aber – speziesabhängig – auch in mehreren Kopien rund um das Chromosom verteilt (Borrelia burgdorferi z.B. 1 Kopie, Staphylococcus aureus 5–6 Kopien). Während sich auf dem rDNA-Operon viele konservierte (bei unterschiedlichen Bakterienspezies identische) Sequenzen befinden, hat sich herausgestellt, dass die 16S- und 23S-enkodierenden Regionen zum Teil speziesspezifisch ist. Dass die dazwischenliegende ITS- („internally transcribed spacer“)-Region eine gewisse Variabilität aufweist, könnte für die Differenzierung eng verwandter Bakterienisolate nützlich sein. Hierin steckt eindeutig Potenzial für zukünftige Anwendungen zur rascheren Identifizierung, Klassifizierung und Epidemiologie klinisch wichtiger Mikroorganismen (s. Kap. 31 und 36). ■ Resistenz gegen antimikrobielle Mittel. Verschiedene Gene, die Resistenz gegen antimikrobielle Mittel vermitteln, sind bekannt (s. Kap. 33). Durch 62
Sequenzierung des gesamten Genoms ergeben sich genauere Informationen; man könnte diese Gene gezielt identifizieren und sich einen Überblick verschaffen, ob die Resistenz durch die Interaktion mehrerer beteiligter Genloci zustande kommt. Die Methicillin-Resistenz von S. aureus wird z.B. durch eine ganze Reihe von Genen (mecA, femA, femB, murE usw.) an unterschiedlichen Stellen des Chromosoms beeinflusst. ■ Molekulare Epidemiologie. Während ein breites Spektrum unterschiedlicher Phäno- und Genotypisierungsmethoden angewandt wurde, um klinische Isolate zueinander in Beziehung zu setzen (s. Kap. 36), bewegt sich die epidemiologische Analyse gegenwärtig eher in Richtung eines Sequenzvergleichs (sequenzbasierter Ansatz). Anders als frühere Untersuchungsergebnisse sind die Ergebnisse der Sequenzanalyse in hohem Maße übertrag- und damit vergleichbar (z.B. per Internet), eindeutig mit nur 4 Buchstaben komplett zu beschreiben (A für Adenin, T für Thymin, G für Guanin und C für Cytosin) und einfach in Datenbanken zu speichern. In einem bestimmten Verfahren, dem multi-locus sequence typing, MLST, werden Sequenzen der internen Regionen von sechs oder sieben essenziellen (housekeeping) Genen verglichen, um zu klären, ob die Isolate epidemiologisch verwandt sind. Die Frage, welche chromosomale Region letztlich die epidemiologisch wichtigste Information über pathogene Bakterien liefert, dürfte sich eindeutiger beantworten lassen, wenn weitere Genome entschlüsselt wurden.
Abb. 2.12 Ribosomale RNA (rRNA) enkodierendes Operon – für Bakterien typische Anordnung.
Größe der 16S-, 23S- und 5S-rRNA-Gene sowie der ITS-Region (internally transcribed spacer) in Nukleotid-Basenpaaren (bp) angegeben. Gezeigt werden die Regionen (Sequenzabschnitte), die für die Identifizierung oder Epidemiologie einer Bakterienspezies von Nutzen sein könnten.
Methoden zur Entdeckung bzw. Nutzung genomischer Informationen Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR, polymerase chain reaction) und Nukleinsäure(DNA-)Sonden haben sicher eine Tür zur Beantwortung von Fragen der klinischen Mikrobiologie mithilfe von Sequenzanalysen geöffnet (s. Kap. 36). Mit der riesigen Anzahl neu entschlüsselter Genomsequenzen ist aber auch das Interesse an innovativen Techniken gestiegen, um die größtmögliche Menge an Informationen aus den größer werdenden Datenbanken zu ziehen.
63
DNA-Mikroarrays ermöglichen eine „Parallelverarbeitung“ von Genominformationen Traditionell erforschten Molekularbiologen jeweils nur ein Gen pro Versuch. Obwohl dies wertvolle Informationen erbringt, ist es eine sehr zeitaufwändige Form der Untersuchung. Sie lässt auch keinen schnellen Zugriff auf Ergebnisse der (Genom)Sequenzanalysen und darin enthaltene Informationen (zu Chromosomenstruktur oder Zusammenspiel mehrerer Gene) zu. Mikroarrays stellen einen neuen Lösungsansatz dar, um gleichzeitig mehrere Informationen aus einem sequenzbasierten Genom-Datenbestand abzufragen (Parallelverarbeitung). DNA-Mikroarrays beruhen auf dem Prinzip der Hybridisierung von Nukleinsäurebasen (A paart sich mit T, G mit C). Auch wenn es verschiedene Ausführungen gibt, ist die Grundform bei allen Verfahren das Muster, in dem Stichproben (z.B. Gensequenzen) einer bekannten Substanz (Matrix) auf einem festen Untergrund (Nylon, Glas o.Ä.) angeordnet werden. Automatisierte Spezialgeräte erzeugen kleinste DNA-Markierungen (Spots) von weniger als 200 μm im Durchmesser, so dass auf einem Array (oder DNA-Chip, wie man ihn auch bezeichnet) über tausend Spots Platz haben. Hybridisiert man simultan verschiedene fluoreszenzmarkierte Sonden mit bekannter Sequenz damit, lässt sich in einer anschließenden Messung feststellen, ob sich komplementäre Bindungen ergeben haben.
DNA-Mikroarrays finden derzeit auf zwei Gebieten Anwendung: zur Erkennung von Mutationen und zur Untersuchung der Genexpression In mehrfacher Hinsicht sind bestimmte Punktmutationen pathogener Bakterien klinisch von Bedeutung. Da meist nur eine Nukleotidbase betroffen ist, spricht man bei derartigen Veränderungen von Single-Nukleotid-Polymorphismen (SNP). Die Resistenz gegen Chinolon-Antibiotika beruht z.B. auf dem Austausch einer einzelnen Base im bakteriellen gyrA-Gen (s. Kap. 33). In der Vergangenheit konnten solche Mutationen durch PCR-Amplifikation der gewünschten gyrA-Region mit anschließender DNA-Sequenzierung und -Analyse entdeckt werden. Wie Abb. 2.13a verdeutlicht, lassen sich bei der DNA-Mikroarray-Methode gyrAAmplicons verschiedener Bakterienisolate auf ein und demselben Chip unterbringen. Dann werden zwei fluoreszenzmarkierte gyrA-Sonden (rot für den Wildtyp, grün für die Mutante) unter so stringenten Bedingungen auf den DNA-Chip angewandt, dass es nur bei 100%iger Homologie zur Hybridisierung kommt. So lässt sich schnell und zuverlässig an einer größeren Anzahl von Isolaten gleichzeitig herausfinden, ob eine Mutation vorliegt.
Abb. 2.13
DNA-Mikroarrays.
64
(a) Entdeckung von Mutationen und (b) Analyse der Genexpression. Für das Verständnis zahlreicher bakterieller Eigenschaften und Prozesse und v.a. der Virulenz sind Studien zur Genexpression extrem wichtig. Dazu wird z.B. die Genexpression (Transkription) unter verschiedenen Umgebungsbedingungen verglichen (Abb. 2.13b). Für solche Experimente können aufgrund von Ergebnissen der Genomforschung die Sequenzen aller bereits bekannten chromosomalen Gene des betreffenden Mikroorganismus auf einer bestimmten Stelle des Chips untergebracht werden. Resultat der Genexpression ist die Messenger-RNA (mRNA), die von einem Bakterium isoliert wird, das unter verschiedenen Bedingungen (in Umgebung A oder B) gewachsen ist. Unter Benutzung von reverser Transkriptase wird die mRNA dann in einem enzymatischen Prozess ähnlich dem, wie ihn Retroviren natürlicherweise ausführen (s. Kap. 3), in eine komplementäre DNA (cDNA) kopiert. Nach der Markierung mit fluoreszierenden Farbstoffen (Rot oder Grün) lässt man die cDNA von Typ A und B mit komplementären Sequenzen auf dem Chip hybridisieren. Rot fluoreszierende Flecken weisen auf Gene mit Expression in Umgebung A hin, grün fluoreszierende entsprechen in Umgebung B aktiven Genen, und gelbe (Mischung aus Rot und Grün) Flecken bedeuten, dass die Genexpression unter beiden Umgebungsbedingungen stattfindet. Durch innovative Technologien wie DNA-Mikroarrays und zukünftig entwickelte Verfahren wird die Genomforschung in den kommenden Jahren zweifellos eine wichtige Rolle für unser Verständnis der Infektiologie und die Behandlung von Infektionskrankheiten spielen.
2.9
Hauptgruppen
Eine ausführliche Darstellung der wichtigsten Bakteriengruppen findet sich im Anhang (Pathogene im Überblick).
Zusammenfassung
65
■ Bakterien sind Prokaryonten. Ihre DNA befindet sich nicht in einem Kern und ihr Zytoplasma ist relativ arm an Organellen. ■ Die Zellwand spielt eine Schlüsselrolle für den Stoffwechsel, die Virulenz und Immunogenität von Bakterien. Anhand ihrer unterschiedlichen Anfärbbarkeit werden Bakterien in eine Gram-positive und Gram-negative Hauptgruppe unterteilt. Mit Geißeln ausgestattete Bakterien sind beweglich. ■ Bakterien sind Aerobier oder Anaerobier und nutzen eine Vielzahl von Substraten für ihren Stoffwechsel. ■ Die Bakterien-Zellwand und die Reproduktion der Bakterien sind Angriffsziele antimikrobieller Mittel. ■ An der Transkription der Bakterien-DNA können einzelne oder mehrere Gene beteiligt sein. Die Gene zusammen mit denen sie flankierenden Promotor- und Terminalsequenzen bilden ein Operon. ■ Durch regulierte Genexpression können Bakterien ihre Umgebung besser ausnutzen. ■ Plasmide und Bakteriophagen sind als extrachromosomale Strukturen imstande, sich unabhängig zu replizieren. Plasmid-Gene können die Resistenz (gegen antimikrobielle Mittel bzw. Antibiotika) oder die Virulenz von Bakterien beeinflussen. ■ Zwischen Bakterien kann auf unterschiedlichen Wegen Genmaterial übertragen werden; das kann zur raschen Ausbreitung einer Resistenz gegen antimikrobielle Substanzen führen. ■ Erforschung und Behandlung/Prävention bakterieller Infektionen haben sich mit den Fortschritten der Entschlüsselung bakterieller Genome von Grund auf verändert.
FRAGEN 1 Typisch für die Zellwand Gram-negativer Bakterien ist a) Kapsel b) Lipopolysaccharid c) Peptidoglykan d) Plasmamembran e) Murein? 2 Zu den Gram-positiven Bakterien zählen a) Salmonellen b) Campylobacter c) Staphylokokken d) Neisseria e) Shigellen? 3 Wie schnell kann sich Escherichia coli teilen? a) 24-stündlich b) 12-stündlich c) 6-stündlich
66
d) stündlich e) halbstündlich 4 Antimikrobielle Mittel töten Bakterien ab, indem sie a) die DNA-Glättung (Unwinding) vor der Teilung hemmen b) die RNA-Polymerase hemmen c) die Zellwandsynthese hemmen d) die Proteinsynthese hemmen e) alle vier? 5 Am Transfer genetischer Informationen zwischen Bakterien nicht beteiligt ist a) Transduktion b) Transformation c) Konjugation d) Mutation e) Transposition? 6 Gelegentlich auch als „springende Gene“ bezeichnet werden a) Plasmide b) Transposons c) Bakteriophagen d) Operons e) Zweikomponenten-Regulatoren?
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Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Collier, L., Balows, A., Sussman, M. (eds.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998. Lewin, B.: Genes, VII. Oxford University Press, Oxford 2000.
68
3
Viren 3.1 Struktur 35 3.2 Infektion der Wirtszellen 36 3.3 Virusreplikation 37 3.4 Auswirkungen einer Virusinfektion 40 3.5 Hauptgruppen der Viren 42
Zur Orientierung Strukturell und biologisch, aber insbesondere durch ihre Reproduktion unterscheiden sich Viren von allen anderen Infektionserregern. Trotz der üblichen genetischen Information in Form von DNA oder RNA fehlt Viren der notwendige Syntheseapparat, um diese Information zu neuem Virusmaterial verarbeiten zu können. Ein Virus allein ist metabolisch inaktiv – und kann sich nur replizieren, wenn es eine Wirtszelle infiziert und deren Fähigkeit zur Transkription und/oder Translation von genetischem Material in parasitärer Weise für sich nutzt. Viren können jede lebende Zelle (Lebensform) infizieren. Bei Menschen verursachen sie einige der häufigsten und schwersten Erkrankungen. Manche Viren können Krebs auslösen, indem sie ihr genetisches Material in das menschliche Genom einfügen. Als generell schwierige Angriffsziele für Chemotherapeutika lassen sich viele Viren jedoch durch Impfungen wirksam kontrollieren.
69
3.1
Struktur
Viren besitzen einige gemeinsame Strukturmerkmale Viren können winzig klein (30 nm wie das Poliovirus) oder ziemlich groß sein (mit 400 nm ist das Vacciniavirus etwa so groß wie ein kleines Bakterium). Doch bei allen strukturellen Unterschieden der Virusgruppen gibt es auch einige Gemeinsamkeiten.
Abb. 3.1 Virales Nukleokapsid: Symmetrie und Aufbau.
Abb. 3.2 Struktur eines Virus mit Hülle (Envelope).
■ Ihr genetisches Material in Form einer einzel- (ss) oder doppelsträngigen (ds), linearen oder ringförmigen RNA oder DNA befindet sich in einer Kapsel 70
(Viruskapsid), die sich aus unterschiedlich vielen Proteinmolekülen (Kapsomere) zusammensetzt. ■ Nukleinsäure und Kapsid bilden zusammen das Nukleokapsid, dessen Form/Symmetrie auf der Anordnung der Kapsomere beruht und sehr unterschiedlich sein kann (Abb. 3.1). Nukleokapsid-Grundformen sind kubisch (Ikosaeder), helikal oder komplex. ■ In vielen Fällen besteht ein Viruspartikel oder Virion lediglich aus einem Nukleokapsid. In anderen Fällen ist es noch von einer Außenhülle („Envelope“) umgeben (Abb. 3.2). Dabei handelt es sich im Allgemeinen um eine von der Wirtszelle stammende Doppelschicht aus Lipiden, in die Virusproteine und Glykoproteine eingelagert sind.
Erste Kontaktfläche zwischen Viruspartikel und Wirtszelle ist die äußere Oberfläche Struktur und Eigenschaften der äußeren Virusschicht sind entscheidend für das Verständnis, was bei Infektionen geschieht. „Nackte“ (hüllenlose) Viren sind im Allgemeinen resistent und können recht gut in der Außenwelt überleben. Da Viren auch resistent gegen Galle sein können, etablieren sich manche Infektionen ausgehend vom Verdauungstrakt. Behüllte Viren sind empfindlicher gegenüber Einwirkungen von außen (z.B. Trockenheit, Magensäure, Galle). Diese unterschiedliche Anfälligkeit beeinflusst auch die verschiedenen Übertragungswege von Viren.
3.2
Infektion der Wirtszellen
Die einzelnen Stadien im Verlauf der Infektion von Wirtszellen sind in Abb. 3.3 dargestellt (s. auch Abb. 2.3).
Viruspartikel gelangen auf unterschiedlichen Wegen in den Körper ihres Wirts Übliche Formen der Virusübertragung (Abb. 3.4; s. Kap. 13): ■
„Tröpfcheninfektion“ (über eingeatmetete Tröpfchen; z.B. Rhinoviren)
■
über Nahrung oder Wasser (z.B. Hepatitis A-Virus)
■
Kontakt mit infizierten serösen Flüssigkeiten (z.B. HIV)
■
über Vektoren (Bisse von Überträgern wie Arthropoden; z.B. Gelbfieber)
Viren sind wirtsspezifisch, die initiale Anheftung an die Wirtszelle stellt die Grundlage dafür dar Wie alle Erreger infizieren Viren meist nur einen Wirt oder ein kleines Spektrum von Spezies. Ausgangspunkt dieser Spezifität ist die Fähigkeit von Viruspartikeln, sich an Wirtszellen anzuheften. 71
Für die Adhärenz bzw. Adsorption an eine Wirtszelle sorgen zunächst einmal allgemeine intermolekulare Kräfte. Hinzu kommen wechselseitige Beziehungen zwischen Nukleokapsid (bei hüllenlosen Viren) oder Virushülle (bei Viren mit Envelope) und Membranmolekülen der Wirtszelle. In vielen Fällen wirkt ein bestimmtes Molekül der Wirtszelle als Rezeptor, mit dem eine spezifische Interaktion stattfindet. So verbindet sich z.B. das Hämagglutinin des Influenzavirus mit einem Glykoprotein (Sialinsäure) auf Schleimhautzellen und roten Blutkörperchen (weitere Beispiele Tab. 3.1). Nachdem es den Rezeptor besetzt hat, dringt das Virus in die Wirtszelle ein.
Abb. 3.3 Infektion der Wirtszelle und Virusreplikation, Verlaufsstadien.
Aus jeder Zelle können mehrere tausend Viruspartikel hervorgehen.
72
Abb. 3.4 Eintrittspforten für Viren in den Körper.
Im Zytoplasma des Wirts sind Viren nicht länger infektiös Nach dem Verschmelzen (Fusion) von Virus- und Wirtszellmembran bzw. nach Aufnahme in ein Phagosom gelangt das Viruspartikel über die Plasmamembran ins Zytoplasma. In diesem Stadium werden Hülle (Envelope) und/oder Kapsid abgestoßen und die viralen Nukleinsäuren freigesetzt – damit ist das Virus nicht länger infektiös. Diese sog. ekliptische Phase hält an, bis sich nach der Replikation komplett neue Viruspartikel gebildet haben. In welcher Weise die Replikation erfolgt, hängt von der jeweiligen Nukleinsäure ab.
Tab. 3.1 Anheftung von Viren an Wirtszellen über Membranrezeptormoleküle 73
3.3
Virusreplikation
Viren müssen zunächst Messenger-RNA (mRNA) synthetisieren Viren enthalten entweder DNA oder RNA, nie beide. Ihre Nukleinsäuren können als Einzel- oder Doppelstrang in linearer (DNA oder RNA) oder Ringform (nur DNA) vorliegen. Das Genom von Viren kann sich auf einem einzigen Nukleinsäuremolekül befinden oder auf mehrere verteilt sein. Bei so vielen Unterschieden ist nicht weiter verwunderlich, dass auch die Replikation innerhalb der Wirtszellen ganz unterschiedlich abläuft. DNA-Viren können ihre DNA direkt mithilfe der RNA-Polymerase des Wirts in mRNA umschreiben. Bei RNA-Viren funktioniert diese Art der Transkription nicht, weil die Wirtspolymerasen nicht mit RNA arbeiten. RNA-Viren müssen daher selbst Polymerasen bilden, wenn sie eine Transkription benötigen. Ihre Polymerase kann im Nukleokapsid enthalten sein oder nach der Infektion synthetisiert werden.
RNA-Viren produzieren ihre mRNA auf unterschiedliche Weise Bei doppelsträngigen (ds) RNA-Viren wird als Erstes mit der viralen Polymerase ein Strang in mRNA umgeschrieben (Abb. 3.5). Einzelsträngige (ss) RNA-Viren haben drei Möglichkeiten, mRNA zu bilden: ■ Ein Einzelstrang mit derselben Basensequenz wie für die Translation erforderlich („Plusstrang“) lässt sich direkt als mRNA verwenden. ■ Ein „Minusstrang“ muss mit der viralen Polymerase erst zum Plusstrang umgeschrieben werden, damit er dann als mRNA fungieren kann. ■ Ganz anders sieht der Weg aus, den Retroviren einschlagen: Ihr ssRNAPlusstrang wird mit einem Nukleokapsid-Enzym (reverse Transkriptase) in einen ssDNA-Minusstrang umgewandelt, um dsDNA zu bilden; nachdem sie in den Zellkern eingedrungen ist, fügt sie sich in das Genom des Wirts ein. Diese integrierte virale DNA wird dann von einer Wirtspolymerase in mRNA umgeschrieben.
Translation der Virus-mRNA im Zytoplasma der Wirtszelle zur Produktion von Virusproteinen Die neu gebildete virale mRNA wird danach unter Verwendung von Ribosomen der Wirtszelle translatiert und es werden Virusproteine synthetisiert (Abb. 3.6). Die – meist monocistronische (d.h. nur eine Kodierungsregion besitzende) – virale mRNA kann die Wirts-mRNA aus Ribosomen verdrängen, damit bevorzugt virale Produkte synthetisiert werden. In der Frühphase werden zur Replikation der viralen Nukleinsäuren benötigte Proteine (Enzyme, Regulatormoleküle) gebildet, später vor allem für das Kapsid erforderliche Proteine.
75
Wenn das Virusgenom aus einem einzigen Nukleinsäuremolekül besteht, entsteht bei der Translation ein großes, multifunktionales Protein (Polyprotein), das enzymatisch weiter in eine Reihe unterschiedlicher Proteine aufgespalten wird. Verteilt sich das Virusgenom auf eine größere Zahl von Molekülen, werden mehrere mRNAs produziert und jede in ein eigenständiges Protein übertragen. Anschließend können diese Proteine – ebenfalls mit Wirtsenzymen – noch glykosyliert werden.
Abb. 3.5 Transkription genomischer Virus-RNA in mRNA vor ihrer Translation in Proteine.
ds = doppelsträngig (double stranded), ss = einzelsträngig (single stranded)
Abb. 3.6 Translation und Abspaltung der Virusproteine von der mRNA.
76
Viren müssen auch ihre Nukleinsäure replizieren Außer den Molekülen für neu gebildete Kapside müssen Viren ihr genetisches Material (Nukleinsäure) replizieren, das in den Kapsiden verpackt wird. In RNA-Viren mit einzelnem Plusstrang, z.B. Polioviren, wird aus der viralen mRNA eine Polymerase translatiert, die Minusstrang-RNA erzeugt. Dieser Minusstrang wird wiederholt in Plusstränge „umgeschrieben“. Mit jedem weiteren Transkriptionszyklus entstehen große Mengen weiterer Plusstränge, die unter Verwendung von (früher von der mRNA translatierten) Strukturproteinen in die neuen Viruspartikel verpackt werden (Abb. 3.7). In RNA-Viren mit einzelnem Minusstrang (z.B. Rabies-/Tollwutvirus) erfolgt durch virale Polymerase eine Transkription zu Plussträngen, die neue Minusstrang-RNA produzieren (Abb. 3.7). Beim Rabiesvirus findet diese Replikation z.B. im Zytoplasma, beim Masern- und Influenzavirus dagegen im Kern der Wirtszelle statt. Für neue Viruspartikel werden dort in großen Mengen Minusstrang-RNA-Moleküle transkribiert.
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Nach einem ähnlichen Muster erfolgt die Nukleinsäurereplikation doppelsträngiger RNA-Viren (z.B. Rotaviren). Sie bilden ebenfalls RNA-Plusstränge, die in Untereinheiten der Viruspartikel als Matrize dienen, um durch Synthese neuer Minusstränge wieder die Doppelsträngigkeit herzustellen.
Abb. 3.7 Replikation der genomischen RNA von RNAViren auf verschiedenen Wegen.
mRNA = Messenger-RNA
Virale DNA wird im Kern, nur bei Pockenviren (Poxviridae) im Zytoplasma der Wirtszelle repliziert Virale DNA kann mit Histonen der Wirtszelle stabile Komplexe bilden. Bei Herpesviren wird die zur Synthese neuer Virus-DNA benötigte DNA-Polymerase nach Translation der mRNA im Zytoplasma gebildet. Adenoviren benutzen zum selben Zweck sowohl Wirts- als auch virale Enzyme. Nachdem die DNA von Retroviren durch eine (Wirts)RNA-Polymerase transkribiert und in sein Genom eingefügt wurde, wird im Kern der Wirtszelle virale RNA neu synthetisiert (Abb. 3.5). Als einziges DNA-Virus benutzt das teilweise doppelsträngige Hepatitis-B-Virus (HBV) ein einzelsträngiges RNAZwischenprodukt (aus DNA transkribiert), um neue DNA zu produzieren. Retroviren und HBV sind die einzigen humanpathogenen Viren mit Reverse-TranskriptaseAktivität.
In der Schlussphase der Replikation setzen sich neue Viruspartikel zusammen und werden freigesetzt Zusammensetzen der Viruspartikel bedeutet, dass sich replizierte Nukleinsäure und neu synthetisierte Kapsomere zusammentun, um ein neues Nukleokapsid zu bilden. Das 78
kann im Zytoplasma oder im Nukleus der Wirtszelle stattfinden. Viren mit Hülle durchlaufen noch ein weiteres Stadium, bevor sie freigesetzt werden. An bestimmten Stellen der Wirtszelle werden Hüll- und Glykoproteine (entstanden nach Translation aus viraler mRNA) eingelagert, meist in die Plasmamembran der Wirtszelle. Dort gehen die neuen Nukleokapside eine besondere Bindung mit der Membran ein (via Glykoproteine) und stoßen durch die Membran hindurch („Budding“; Abb. 3.8). Das neue Virus bekommt so eine äußere Hülle aus der Wirtszellmembran mit allen viralen Molekülen. Dabei können auch noch Enzyme wie die Neuraminidase des Influenzavirus mithelfen (Einzelheiten zum Influenzavirus s. Kap. 19). Damit das neue Virus voll infektiös werden kann, müssen Enzyme (z.B. Zellproteasen) des Wirts die anfangs sehr großen Hüllproteine aufspalten. Bei Herpesviren gelingt die Akquisition der Membran durch die Entstehung der Nukleokapside von der inneren Kernmembran aus und damit den Erwerb einer Hülle. Da umhüllte Viren auch freigesetzt werden, ohne zum Zelltod zu führen, können infizierte Zellen lange Zeit Viruspartikel streuen. Durch die Insertion von Virusmolekülen in die Zellmembran verändert sich die Antigenität der Wirtszelle. Insofern ist die Expression von Virusantigenen ein Hauptfaktor für die Entwicklung einer Immunreaktion.
79
Abb. 3.8 Freisetzung des Influenzavirus durch die Wirtszellmembran als Beispiel für das Ausknospen (Budding) eines RNA-Virus mit Hülle (Envelope).
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3.4
Auswirkungen einer Virusinfektion
Virusinfektionen können Zelllyse verursachen, persistierend oder latent verlaufen Bei einer lytischen Infektion durchläuft das Virus einen Replikationszyklus, in dem viele neue Viruspartikel entstehen und durch Lyse (Auflösung) der Zelle freigesetzt werden. Die Zerstörung von Zellen ist z.B. typische Folge einer Polio- oder Influenzavirusinfektion. Eine Infektion mit anderen Viren, z.B. Hepatitis-B-Viren, können Zellen jedoch überleben; dann werden in niedriger Frequenz kontinuierlich Viruspartikel freigesetzt. Diese persistierenden Infektionen sind epidemiologisch von Bedeutung, weil die Infizierten bzw. symptomlosen Träger eine ständige Infektionsquelle darstellen (s. Kap. 16). Sowohl bei lytischen wie persistierenden Infektionen findet eine Virusreplikation statt. Bei latenten Infektionen jedoch verharrt das Virus in einer Ruhephase. Sein genetisches Material bleibt währenddessen ■
im Zytoplasma der Wirtszelle (z.B. Herpesviren) oder
■
im Genom der Wirtszelle (z.B. Retroviren).
Die Replikation erfolgt erst, wenn die Latenz durch einen Triggerreiz beendet wird. Welche Reize das im Einzelnen sind, ist noch nicht völlig geklärt. Bei Herpes-simplexViren kann Stress zur Aktivierung der Infektion führen (erkennbar an den typischen Bläschen). Bei HIV-Infektion könnte eine antigene Stimulation infizierter Zellen der Auslöser für eine Aktivierung sein.
Manche Viren transformieren ihre Wirtszellen in Tumor/Krebszellen Lytische, persistierende oder latente Infektionen betreffen im Wesentlichen normale Zellen, auch wenn sie Stoffwechsel- und Steuerungsprozesse des Wirts erheblich stören können. Manche Viren transformieren jedoch ihre Wirtszellen. Unter maligner Transformation versteht man die Umwandlung einer differenzierten Zelle in eine Tumor- bzw. Krebszelle (s. Kap. 17). Transformierte Zellen sind morphologisch, funktionell und biochemisch verändert. Sie wachsen unkontrolliert und ungehindert, es kommt ununterbrochen zur Zellteilung und wahllosen Anhäufung. Schließlich werden sie invasiv, und wenn man sie Tieren injiziert, bilden sich Tumoren. In vivo führen nicht alle transformierten Zellen zu schädlichen Tumoren. Von Papovaviren werden z.B. Warzen (gutartige Wucherungen) verursacht. Maligne Tumoren können durch DNA- und RNA-Viren induziert werden. Zu dieser Gruppe gehören z.B. humanes T-Zell-Leukämievirus Typ 1 und 2 (HTLV-1 und -2; s. unten), Epstein-Barr-Virus (EBV), verschiedene Papillomaviren (z.B. HPV 16 und 18) sowie das Hepatitis-B-Virus (HBV; s. Kap. 17). Obwohl sie am Ende dasselbe bewirken, variieren die transformierenden Mechanismen der beteiligten Viren. In jedem Fall ist die normale Zellteilung außer Kontrolle geraten und die Reaktion auf äußere 81
(fördernde/hemmende) Einflüsse auf das Wachstum gestört. Diese Veränderungen bringt die Inkorporation der viralen Nukleinsäure ins Genom der Wirtszelle mit sich. Bei Hühnern verursacht z.B. das Rous-Sarcoma-Virus maligne Tumoren. Zustande kommt die Transformation durch die Inkorporation eines viralen „Onkogens“ (src-Gen) ins Wirtsgenom. Es kodiert tyrosinspezifische Proteinkinase-Enzyme, die an der Phosphorylierung von Tyrosinresten in den Zielproteinen beteiligt sind. Über bestimmte Membranrezeptoren mit tyrosinspezifischer Proteinkinase-Aktivität entfalten mehrere wachstumsregulierende Faktoren ihre Wirkung. Ein Ergebnis dieser Aktivitätssteigerung (up-regulation) ist unter anderem, dass die Steuerung des normalen Zellwachstums verloren geht. Mehr als 20 retrovirale Onkogene sind inzwischen bekannt (Tab. 3.2). Als krebserzeugende humanpathogene Viren haben aus der Gruppe der Retroviren nur HTLV-1 und -2 größere Bedeutung. Paradoxerweise besitzen sie weder ein virales Onkogen noch aktivieren sie unmittelbar ein zelluläres Onkogen (s. unten). Allerdings sind mehrere Retroviren bekannt dafür, dass sie Tumoren bei Tieren verursachen.
Virale Onkogene könnten während der Virusreplikation durch Inkorporation von Wirtsonkogenen in das Virusgenom entstehen Onkogene werden mit kurzen Akronymen und dem Präfix v (für viral, z.B. v-myc) oder c (für zelluläre, d.h. Wirtsonkogene, z.B. c-myc) bezeichnet. Mit DNA-Sonden aus Kopien des Rous-Sarcoma-Virus-Onkogens src fand man sowohl in infizierten wie in normalen Hühnerzellen komplementäre DNA, aber auch in kanzerösen (entarteten) und normalen menschlichen Zellen. Dieser auffällige Befund ließ sich wiederholt auch mit anderen Sequenzen retroviraler Onkogene erheben.
82
Tab. 3.2 Beispiele für retrovirale Onkogene: Genprodukte, als Träger der Onkogene bekannte Viren und assoziierte Tierkrankheiten. Myeloblastenleukämie Karzinom Osteosarkom ALV/FeLV/MuLV = Geflügel- (avian), Katzen- (feline) und Mäuse- (murine) Leukämievirus; GTP = Guanosintriphosphat Inzwischen ist bekannt, dass Onkogensequenzen im Genom von Säugetieren 0,03–0,3% ausmachen können. Dass sie bei vielen Spezies, vom Menschen bis zur Fruchtfliege, entdeckt wurden, könnte bedeuten, dass sie erhalten blieben, weil sie eine nützliche Funktion erfüllen. Doch waren zelluläre oder virale Onkogene zuerst da? Da zelluläre Onkogene Introns haben, virale Onkogene dagegen nicht und ihre chromosomale Position festgelegt ist, sind sie wahrscheinlich das ursprüngliche Gen – und nicht die viralen Onkogene. Aus dem, was wir bisher über die Genprodukte viraler Onkogene wissen, lässt sich ableiten, dass zelluläre Onkogene (Protoonkogene) vermutlich eine wichtige Rolle für die Steuerung des Wachstums der Wirtszellen spielen. Vielleicht kodieren sie für Wachstumsfaktoren, Rezeptormoleküle an der Zelloberfläche, an die sich spezifische Wachstumsfaktoren binden, für Komponenten des intrazellulären Signalsystems oder für DNA-bindende Proteine, die als Transkriptionsfaktoren dienen. Das Rous-Sarcoma-Virus-Onkogen src fügt sich direkt neben dem Gen, das die viralen Hüllproteine kodiert, in das Virusgenom ein (Abb. 3.9). Im Unterschied zu anderen stark transformierenden Viren besitzt das Rous-Sarcoma-Virus alle drei für die Replikation 83
erforderlichen Gene (gag, pol und env). Bei den anderen als „defekt“ transformierend bezeichneten Viren führt die Inkorporation eines Onkogens zur Deletion von genetischem Material in Regionen, die für die Gene pol und/oder env kodieren. Das verhindert die Replikation und gelingt nur mithilfe genetisch kompletter Helferviren. Onkogene können von Zelle zu Zelle in einem Wirt oder auch auf einen anderen Organismus übertragen werden. Das geschieht bei der vertikalen Transmission (z.B. Mutter zu Kind) in Form einer Viruspassage durch Gameten, über die Plazenta oder über die Muttermilch. Die Übertragung kann aber auch als horizontale Transmission ablaufen, z.B. durch Speichel oder Urin (s. Kap. 13). Eine Zelle wird transformiert, wenn
Abb. 3.9 Das Rous-Sarcoma-Virus kann die Wirtszelle transformieren und sich replizieren, weil es zu dem Onkogen src auch ein komplettes Genom besitzt.
Andere transformierende Viren sind defekt – sie haben zwar das Onkogen, aber nicht alle Gene zur vollständigen Replikation. Die fehlenden Gene können ihnen Helferviren bereitstellen. ■
sich virale Onkogene in das Wirtsgenom einfügen (Rous-Sarcoma-Virus) oder
84
■
virale DNA in der Nähe eines zellulären Onkogens inseriert wird.
Ersteres kann auf einer Mutation der Onkogensequenz innerhalb des viralen Genoms beruhen. Bekanntlich sind zelluläre Onkogene nach einem einzelnen Basenaustausch imstande, normale Zellen zu transformieren. Letzteres könnte eine veränderte Expression des zellulären Onkogens infolge einer Störung der normalen Steuerungseinflüsse widerspiegeln. Die Expression kann sich unabhängig davon, ob ein virales Onkogen oder nichtonkogene virale DNA eingefügt wurde, verändern. Sie kann sich auch nach Kontakt mit unterschiedlichen Kanzerogenen einstellen. Produkte (Proteine) zellulärer Onkogene werden normalerweise in Versuchsreihen dazu verwendet, die Zellproliferation detailliert zu kontrollieren. Virale Onkogenprodukte oder eine Überexpression zellulärer Onkogenprodukte führen dagegen zu Kurzschlüssen und überlasten das komplexe Kontrollsystem. Die Folge ist eine unkontrollierte/nicht steuerbare Zellteilung.
3.5
Hauptgruppen der Viren
Die Klassifikation von Viren in Hauptgruppen (Familien) beruht auf ein paar einfachen Kriterien (Tab. 3.3, s. auch Pathogene im Überblick im Anhang). Dazu zählen: ■ die Art der Nukleinsäure (RNA oder DNA) im Genom ■ Anzahl (ss, ds) der Stränge und Polarität (Plus- oder Minusstrang) der Nukleinsäure ■ Replikationsart ■ Größe, Struktur und Symmetrie der Viruspartikel.
85
Tab. 3.3 Übersicht über die Hauptgruppen der Viren (Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag). MW = Molekulargewicht, HSV = Herpessimplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus, CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HHV = humane Herpesviren (Typ 6, 7 bzw. 8), SARS = schweres akutes respiratorisches Syndrom, SRSV = schmale, runde, strukturierte Viren * ss = einzelsträngig, ds = doppelsträngig ** Das Nukleokapsid von Herpesviren ist 100 nm groß, doch die Größe der Hülle (Envelope) schwankt, daher kann das gesamte Virus einen Durchmesser bis zu 200 nm haben *** Die RNA von Retroviren enthält 2 identische Moleküle mit einem Molekulargewicht von 3,5 × 10−6.
86
Zusammenfassung ■ Viren besitzen zwar RNA oder DNA, sind aber absolut auf Wirtszellen angewiesen, um ihre genetische Information zu neuen Viruspartikel zu verarbeiten. ■ Entscheidend für den Kontakt und das Eindringen in die Wirtszelle ist die Außenfläche des Virus (Kapsid oder Hülle/Envelope); sie bestimmt auch die Überlebensfähigkeit von Viren unter Außenbedingungen. ■ Am häufigsten werden Viren durch Tröpfcheninfektion und durch Nahrung oder Wasser übertragen. ■ An der komplizierten Replikation viraler RNA oder DNA sind Wirts- und/oder virale Enzyme beteiligt. ■
Bei Retroviren wird die RNA in das Wirtsgenom eingefügt (integriert).
■ Durch Zelllyse oder Knospung (Budding) aus der Zellmembran des Wirts werden neue Viruspartikel freigesetzt. ■ Manche Viren (z.B. Retroviren, Herpesviren) haben Latenzphasen und benötigen Trigger zur Replikation. Andere vermehren sich langsam und persistieren als Infektionsquelle in symptomlosen Trägern (Carrier). ■ Einige Viren führen zur Transformation (Entartung) der Wirtszelle, indem sie in die normale Zellsteuerung eingreifen. So entstehen Krebszellen. Auslöser kann die Aktivität viraler oder zellulärer Onkogene sein.
FRAGEN 1 Welches der genannten Viren ist ein RNA-Virus: a) Papillomavirus, b) Influenzavirus, c) Hepatitis-B-Virus, d) Epstein-Barr-Virus, e) Herpes-simplex-Virus? 2 Welches der genannten Viren ist ein DNA-Virus: a) Poliovirus, b) Rötelnvirus, c) Vacciniavirus, d) Masernvirus, e) HIV Typ 1? 3 Welchen Zellrezeptor benutzt das Influenzavirus: a) Sialinsäure, b) Acetylcholin, c) CD4, d) Glykophorin A, e) C3d-Rezeptor? 4 Welche der genannten Viren können maligne Tumoren verursachen: a) HIV, b) Herpes-simplex-Virus, 87
c) d) e)
Hepatitis-A-Virus, HTLV (human T cell lymphotropic virus), Rotaviren?
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Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Cann, A.J.: Principles of Molecular Virology. 2nd ed. Academic Press, London 1997. Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998. Doerr, H.W., Gerlich, W.H (Hrsg.). Medizinische Virologie: Grundlagen, Diagnostik und Therapie virologischer Krankheitsbilder. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York, 2002
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4
Pilze Zur Orientierung Pilze sind Eukaryonten, unterscheiden sich aber deutlich von Pflanzen und Tieren. Typisches Merkmal dieser multinukleären Organismen oder Mehrzeller ist ihre dicke, chitinhaltige Zellwand. Pilze können filamentäre (Hyphen), aber auch viele andere Wachstumsformen aufweisen. Bekannteste Exemplare sind die einzelligen Hefepilze und Speisepilze. Als frei lebende Organismen kommen Pilze ubiquitär vor. Kommerziell haben sie für die Erzeugung von Backwaren, Bier oder Pharmazeutika enorme Bedeutung. Obwohl Pilze zur Normalflora des Körpers gehören, sind manche auch Auslöser häufiger Lokalinfektionen der Haut und Haare. Einige Pilze können schwere Erkrankungen verursachen und werden meist aus der äußeren Umgebung aufgenommen. Dringen pathogene Pilze in den Körper ein, können sie Enzyme freisetzen, um das Gewebe von außen zu „verdauen“ oder ihm direkt Nährstoffe zu entziehen. Die Wissenschaft des Studiums der Pilze ist die Mykologie.
4.1
Hauptgruppen pathogener Pilze
Pathogene Pilze lassen sich anhand ihrer Wachstumsform oder der Infektionen, die sie verursachen, klassifizieren Pathogene Pilze können in verzweigter Fadenform oder als Hefen (Sprosspilze) vorkommen (Abb. 4.1). Manche zeigen beide Wachstumsformen in ihrem Lebenszyklus – sie nennt man „dimorphe“ Pilze. Mit der Masse ihrer Hyphen bilden Fadenpilze (z.B. Trichophyton) ein Geflecht, das Myzel. Bei der asexuellen Fortpflanzung entwickeln sich Sporangien und über daraus freigesetzte Pilzsporen findet die Weiterverbreitung statt. Inhalierte Pilzsporen sind ein häufiger Auslöser von Infektionen. Typisch für die einzelligen hefeartigen Sprosspilze (z.B. Cryptococcus) ist ihre Vermehrung durch Zellteilung. Es können sich auch „Knospen“ bilden, die mit der „Mutterzelle“ verbunden bleiben und sich nicht ablösen (Pseudohyphen). Dimorphe Pilze (z.B. Histoplasma) verändern bei einem Temperaturwechsel ihre Form: aus den Hyphen bei Außen-/Umgebungstemperatur werden im Körper Hefezellen. Mit einer wichtigen Ausnahme: bei Candida verhält es sich umgekehrt, denn hier bilden sich Pilzfäden erst im Körper.
90
Man unterscheidet drei Arten von Pilzinfektionen (Mykosen): ■
oberflächliche Mykosen (Pilzwachstum auf Haut oder Haaren)
■ kutane oder subkutane Mykosen (Nägel und tiefere Hautschichten mit einbezogen) ■ systemische oder tiefe Mykosen (Befall innerer Organe); dazu zählen auch die opportunistischen Pilzinfektionen immungeschwächter Patienten. Anders als bei den gewöhnlich mild verlaufenden ersten beiden Formen kann bei einer systemischen Mykose Lebensgefahr bestehen. Während sich oberflächliche Mykosen durch direkten Hautkontakt verbreiten, entwickeln sich systemische Mykosen oft infolge einer opportunistischen Pilzinfektion bei Patienten mit Immunschwäche (s. Kap. 30). Durch Pilzgifte in Nahrungsmitteln (z.B. Aflatoxine von Aspergillus flavus) oder Immunreaktionen auf inhalierte Sporen (Hypersensitivitätspneumonie) können aber auch frei lebende Pilze indirekt Krankheiten auslösen. Viele Pilze aus der Umgebung werden pathogen, weil sie (z.B. nach Inhalation der Sporen oder über offene Wunden als Eintrittspforte) auch im Körpermilieu überleben können. Andere (z.B. Candida) bleiben als Bestandteil der Normalflora so lange unschädlich, wie die Abwehrkräfte nicht geschwächt sind. Fadenpilze wachsen extrazellulär. Hefe-/Sprosspilze können jedoch in Makrophagen oder Neutrophilen überleben und sich vermehren. Neutrophile üben eine wichtige Kontrollfunktion gegenüber eingedrungenen Pilzen aus, indem sie deren Etablierung verhindern. Pilze, die für eine Elimination durch Phagozytose zu groß sind, können durch extrazelluläre Faktoren, die Phagozyten und andere Komponenten des Immunsystems freisetzen, vernichtet werden. Manche Spezies (namentlich Cryptococcus neoformans) schützen sich mit einer Polysaccharidkapsel vor der Phagozytose (s. Kap. 24). Noch bis vor kurzem wurde Pneumocystis jiroveci (früher P. carinii), ein Haupterreger opportunistischer Infektionen bei AIDS-Patienten, als Protozoon eingestuft. Mittlerweile gilt er als atypischer Pilz, der sich an Lungenzellen (Pneumozyten) heftet und eine tödliche, pneumonieartige Krankheit verursachen kann. Die wichtigsten Gruppen humanpathogener Pilze sind in Tab. 4.1 aufgelistet.
91
Abb. 4.1 Einteilung pathogener Pilze anhand ihres Wachstums und der Infektionen, die sie hervorrufen
a) Pilzfäden (Hyphen) im Dermabrasionsmaterial bei Tinea [mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee] b) kugelige Hefe-/Sprosspilzzellen (Histoplasmen) [mit freundlicher Genehmigung von Y. Clayton und G. Midgley]
92
Tab. 4.1 Übersicht über humanpathogene Pilze und wichtige Mykosen (Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag). H = Hefe-/Sprosspilz, F = Fadenpilz, N/A = Unterteilung in Hefe-/Spross- und Fadenpilze nicht anwendbar * Wachstum im Körper ** Coccidioides haben eine ungewöhnliche Wachstumsform mit sprosspilzartigen Endosporen in einer Sphärula (Kugel), *** bildet auch Pseudohyphen aus
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Zusammenfassung ■ Pilze unterscheiden sich von Pflanzen und Tieren, haben eine dicke Zellwand aus Chitin und wachsen als Faden- (Hyphen) oder einzellige Hefe-/Sprosspilze. ■ Pilze, die Krankheiten auslösen, können aus der Umgebung stammen oder zur Normalflora gehören. ■ Mykosen können oberflächlich (kutan und subkutan) oder systemisch (tief im Gewebe) lokalisiert sein. ■ Bei immungeschwächten Patienten verlaufen Pilzinfektionen besonders schwer.
FRAGEN 1 Welcher Pilz ist Bestandteil der Normalflora, kann aber auch zum Krankheitserreger werden a) Histoplasma b) Blastomyces c) Candida d) Aspergillus e) Cryptococcus? 2 Oberflächliche Mykosen betreffen a) Epidermis b) Nägel c) Vagina d) abgestorbene Haut e) Dermis?
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Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Hay, R.J.: Medical Mycology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998. Hof, H.: Mykologie für Mediziner: Grundlagen – Pathogenese – Diagnostik – Manifestation – Therapie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York 2003. Kwon-Chung, K.J., Bennett, J.E.: Medical Mycology. Lea & Febiger, Philadelphia 1992. Sternberg, S.: The emerging fungal threat. Science 266 (1995) 1632.
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5
Protozoen Zur Orientierung Protozoen sind Einzeller mit einer Größe von 2–100 μm. Viele kommen frei lebend vor, und einige Vertreter sind wichtige Parasiten des Menschen. Verschiedene frei lebende Spezies verursachen opportunistische Infektionen, andere führen nur bei Patienten mit Immunschwäche zu schweren Erkrankungen. Obwohl Protozoen besonders in den Tropen und Subtropen verbreitet sind, können Infektionen auch in gemäßigten Breiten auftreten. Wie bei Malaria können Protozoen zwar selbst die Krankheitsursache (Zerstörung der roten Blutkörperchen) sein, doch häufiger sind Immunreaktionen des Wirts der eigentliche Pathomechanismus. In den meisten Fällen besteht keine unmittelbare Lebensgefahr (außer für immungeschwächte Patienten). An Malaria versterben jedoch jährlich 1,5 Millionen Menschen, vor allem kleine Kinder.
5.1
Protozoeninfektionen (Protozoonosen)
Protozoen können alle wichtigen Körpergewebe und Organe befallen Protozoen infizieren: ■ als intrazelluläre Parasiten ein breites Spektrum von Zellen (rote Blutkörperchen, Makrophagen, Epithelzellen, Hirn- und Muskelzellen) ■
als extrazelluläre Parasiten das Blutsystem, den Darmoder Urogenitaltrakt
Bevorzugte Lokalisationen der wichtigsten humanpathogenen Spezies zeigt Abb. 5.1. Intrazelluläre Parasiten nehmen Nährstoffe direkt von ihren Wirtszellen oder aus dem Zytoplasma auf. Extrazelluläre Parasiten ernähren sich entweder direkt oder fressen Wirtszellen, um sich so Nährstoffe einzuverleiben. Im menschlichen Körper reproduzieren sich Protozoen gewöhnlich asexuell, durch einfache Zellteilung oder wiederholte Teilungen in Wachstumsstadien (Trophozoiten). Eine sexuelle Reproduktion erfolgt nicht – bzw. nur im Stadium der Insekten- oder Vektorphase. Kryptosporidien bilden insofern eine Ausnahme, als sie sich im Menschen sowohl sexuell als auch asexuell vermehren. Durch asexuelle Reproduktion kann sich die Anzahl der Erreger rasch vermehren, erst recht bei geschwächter Abwehr des Wirts. Aus dem Grund ist ein Protozoenbefall besonders für Kleinkinder in hohem Maße pathogen (z.B. Toxoplasmen bei Neugeborenen). Seit dem epidemischen Auftreten von AIDS sind verstärkt Protozoen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, die früher nicht als humanpathogen bekannt waren, aber bei Immunschwäche opportunistische Infektionen auslösen. Dazu zählen Cryptosporidium, Isospora, Blastocystis und einige Mikrosporidien. Auch neue Parasiten werden immer wieder entdeckt, so z.B. 1994 Cyclospora cayetanensis (wird durch Nahrungsmittel übertragen und verursacht Diarrhöen).
Mit ausgeklügelten Strategien unterlaufen Protozoen die Abwehr des Wirts 96
Extrazelluläre Spezies verhindern die immunologische Erkennung ihrer Plasmamembran. Für extrazelluläre Protozoen bildet die Plasmamembran die Kontakt/Grenzfläche zum Wirt. Deshalb haben sie verschiedene Strategien entwickelt, um sich der Immunüberwachung zu entziehen:
Abb. 5.1 Auftreten von Protozoen im Körper.
*Befall auch an anderen Stellen möglich, ZNS = zentrales Nervensystem ■ Bei Trypanosomen findet z.B. wiederholt eine Veränderung der Oberflächenantigene statt. ■ auf.
Dominante Oberflächenantigene von Malariaerregern weisen Polymorphismen
■
Amöben können an der Zelloberfläche Komplement verbrauchen.
Intrazelluläre Spezies entziehen sich der Wirtsabwehr. Obwohl sie in intrazellulären Stadien nicht direkt Antikörpern, Komplementsystem und Phagozyten ausgesetzt sind, könnten sie durch Antigenexpression an der Oberfläche der Wirtszelle zum Angriffsziel zytotoxischer Effektorzellen werden. Parasiten (Leishmanien, Toxoplasmen), die sich in Zellen, besonders Makrophagen, einnisten, verfügen daher über Mittel, die schädigende Wirkung intrazellulärer Enzyme oder von Sauerstoff- und Stickstoff-Metaboliten auszuschalten.
Menschen werden über unterschiedliche Eintrittspforten mit Protozoen infiziert Extrazelluläre Protozoen werden vor allem durch Nahrungsmittel und Wasser übertragen, das mit Zystenformen kontaminiert ist. Trichomonas vaginalis allerdings 97
wird auf sexuellem Wege übertragen und Trypanosomen durch Insekten (Vektoren). Bei den intrazellulären Spezies sind die von Insekten übertragenen Plasmodien und Leishmanien am wichtigsten. Andere (Toxoplasmen) können verschluckt oder intrauterin von der Mutter auf das Kind übertragen werden (Tab. 5.1)
Tab. 5.1 Parasitäre Protozoen Übersicht über bevorzugte Lokalisation, Übertragungsweg und Erkrankungen
98
Zusammenfassung ■ Protozoen sind einzellige Organismen, die frei lebend und als Parasiten vorkommen. Beide Formen können für Menschen pathogen sein. ■ An Malaria, der wichtigsten Infektion durch Protozoen, sterben jährlich 1,5 Millionen Menschen. ■ Inner- und außerhalb von Zellen können sich Protozoen in vielfältiger Weise der Wirtsabwehr entziehen. ■ Die meisten Infektionen werden durch die Aufnahme von kontaminiertem Wasser oder Nahrung bzw. über Insekten als Vektoren erworben. Möglich ist auch eine Übertragung von der Mutter auf den Fetus.
99
FRAGEN 1 Die wichtigste parasitäre Infektion ist a) Leishmaniasis b) Malaria c) Kryptosporidiose d) Amöbiasis e) Trypanosomiasis? 2 Welche Parasiten befallen nicht den Darmtrakt des Menschen? a) Giardia b) Entamoeba c) Cyclospora d) Toxoplasma e) Cryptosporidium 3 Ein extrazellulärer Parasit ist a) Cryptosporidium b) Leishmania c) Toxoplasma d) Giardia e) Plasmodium?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Cox, F.E.G., Wakelin, D.: Parasitology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998. Despommier, D.D. et al.: Parasitic Diseases. 4th ed. Apple Trees Production, New York 2000. Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New York 1995.
100
6
Helminthen und Arthropoden 6.1 Helminthen 53 6.1.1
Lebenszyklen 54
6.1.2
Würmer und Krankheiten (Helminthosen) 54
6.2 Gliederfüßer (Arthropoden) 56
Zur Orientierung Als Helminthen werden alle parasitierenden Würmer bezeichnet. Sie gehören zwei großen Tierstämmen (Phyla) an, dem der Faden- oder Rundwürmer (Phylum Nematoda) und dem der Plattwürmer (Phylum Plathelminthes). Zu den Plathelminthen zählen die Saugwürmer (Trematoda) und die Bandwürmer (Cestoda). Bei Plattwürmern ist der abgeflachte Körper mit muskulären Saugnäpfen und/oder Haken ausgestattet, mit denen sie sich am Wirt festhalten können. Nematoden mit ihrem langen zylindrischen Körper besitzen meist kein spezielles Anheftungsorgan. Helminthen sind im Allgemeinen große Organismen mit komplexer Struktur. Obwohl Larven manchmal nur 100–200 μm messen, wenn sie in den Körper eindringen, können ausgewachsene (adulte) Würmer mehrere Zentimeter oder sogar Meter lang werden. Infektionen kommen verbreitet in wärmeren Ländern vor, aber Eingeweidewürmer gibt es auch in gemäßigten Breiten. Arthropoden (Gliederfüßer) sind nicht nur die zahlenmäßig größte, sondern vermutlich auch erfolgreichste Einzelgruppe von Tieren. Bei Menschen spielen Insekten, Zecken und Milben die größte Rolle als Krankheitserreger. Sie sind gut an das Leben mit Menschen angepasst und ernähren sich von Blut oder Gewebeflüssigkeit. Mit den Ernährungsgewohnheiten hängt auch zusammen, dass Arthropoden ein breites Spektrum mikrobieller Infektionserreger übertragen können. Andere dienen als Zwischenwirt und – sobald sie verzehrt werden – als Überträger von Helminthen. Wieder andere stellen durch ihre gefährlichen Bisse oder Stiche selbst eine Bedrohung dar.
6.1
Helminthen
Es gibt vier Übertragungswege Eine Übertragung der Infektion ist auf folgenden Wegen möglich (Abb. 6.1): ■
fäkal-oral: durch Verschlucken von Wurmeiern oder Larven
■
oral: durch Aufnahme von Larven im Gewebe eines Zwischenwirts
■
Hautpenetration: sich aktiv durch die Haut bohrende Larven
■
Injektion: durch den Biss/Stich blutsaugender Insekten (Vektoren)
101
Dass Infestationen mit Helminthen in tropischen und subtropischen Regionen häufiger vorkommen, unterstreicht den Einfluss der klimatischen Bedingungen auf das Überleben infektiöser Entwicklungsstadien; es zeigt aber auch, dass bestimmte sozioökonomische Verhältnisse fäkal-orale Kontakte begünstigen, wie sich Zubereitung der Nahrung und Essgewohnheiten auswirken und dass geeignete Vektoren verfügbar sein müssen. Überall sind am häufigsten Kinder betroffen sowie Menschen, die eng mit Haustieren zusammenleben oder besondere Vorlieben beim Essen haben.
Abb. 6.1 Wie Helminthen in den Körper gelangen.
Viele Helminthen leben im Darmtrakt, andere in tieferen Gewebeschichten. In (fast) sämtlichen Körperorganen können Würmer parasitieren. Während sich Trematoden und Nematoden aktiv vom Gewebe oder Darminhalt ihres Wirts ernähren, saugen Bandwürmer (vor)verdaute Nährstoffe auf, weil sie keinen eigenen Verdauungsapparat besitzen. Die meisten Helminthen vermehren sich nicht im Wirt. In einfachster Form (wie bei vielen Darmwürmern) führt ihre sexuelle Fortpflanzung zur Produktion von Wurmeiern, die im Kot des Wirts ausgeschieden werden. Andere reifen trotz einer Anhäufung reproduktiver Stadien nicht voll in einem Wirt heran. Manche Bandwurmlarven können sich asexuell in Menschen vermehren. Bei den Nematoden bildet Strongyloides insofern eine Ausnahme, als im Darm nicht nur die Eier abgelegt werden, sondern auch infektiöse Larven schlüpfen und erneut in den Körper eindringen – man spricht in dem 102
Fall von einer „Autoinfektion“. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich beim Schweinebandwurm (Taenia solium).
Primär findet der Austausch zwischen Wirt und Parasit an der Außenfläche des Wurms statt Bandwürmer und Saugwürmer sind außen von einer komplex aufgebauten Plasmamembran umgeben, deren Schutzmechanismen verhindern, dass sie durch den Wirt geschädigt wird. Bei Nematoden besteht die Außenhaut aus festem Kollagen; das verleiht ihnen eine antigene Wirkung, macht sie aber auch weitgehend resistent gegen Immunangriffe. Kleinere Larvenstadien können jedoch von Granulozyten und Makrophagen des Wirts geschädigt werden. Mit ihren Ausscheidungen (Exkreten und Sekreten) setzen Würmer in relativ großen Mengen lösliche antigene Substanzen frei, die für ihre Immunogenität und Pathogenität eine wichtige Rolle spielen.
6.1.1 Lebenszyklen Viele Helminthen haben komplexe Lebenszyklen Im direkten Lebenszyklus erzeugen sexuell reife adulte Würmer reproduktionsfähige Stadien in einem Wirt. Diese werden aus dem Körper freigesetzt, damit sie sich in einem anderen Wirt zu adulten Würmern weiterentwickeln können (z.B. durch fäkalorale Übertragung oder Penetration). Im indirekten Lebenszyklus müssen die reproduktionsfähigen Stadien erst noch eine Entwicklungsstufe in einem Zwischenwirt oder Vektor durchlaufen, bevor sie sexuell reif sind.
Larven der Saug- und Bandwürmer brauchen mindestens einen Zwischenwirt, Larven der Rundwürmer (Nematoden) können in einem Wirt heranreifen Bis auf die Schistosomen mit ihren getrennten Geschlechtern sind die meisten Saugwürmer Zwitter (Hermaphroditen). Die Fortpflanzungsorgane der Bandwürmer wiederholen sich in einer Reihe identischer Segmente (Proglottiden) am ganzen Körper (Strobila) entlang. Wenn das „schwangere“ Endsegment mit reifen Eiern gefüllt ist, löst es sich ab und wird mit dem Stuhl ausgeschieden. Bevor Parasiten wie die Saug- und Bandwürmer erneut Menschen infizieren können, müssen ihre aus den Eiern geschlüpften Larven erst einen oder mehrere Zwischenwirte durchlaufen und sich zu anderen Larvenstadien weiterentwickeln. Einzige Ausnahme ist der Zwergbandwurm Hymenolepis nana, der seine komplette Entwicklung (vom Ei bis zum adulten Wurm) in einem Wirt vollenden kann. Bei den Nematoden sind beide Geschlechter getrennt. Die meisten Spezies setzen nur befruchtete Eier frei, einige geben jedoch frühe Larvenstadien im Körper des Wirtes ab. Ei bzw. Larve können sich entweder direkt (in einem Wirt) oder indirekt (mit Stadien in einem Zwischenwirt) zum adulten Wurm entwickeln. Aus praktischen Erwägungen beschränken wir uns angesichts der weit verzweigten Klassifikation der
103
Nematoden hier auf zwei Gruppen, die spezifisch den Menschen als Wirt benötigen. Sie reifen entweder ■ im Gastrointestinaltrakt, wobei einige während der Entwicklung durch den Körper wandern können (z.B. Ascaris, Hakenwürmer, Trichinella, Strongyloides, Trichuris), oder ■
in tieferen Gewebeschichten (z.B. Filarien) heran.
Menschen können sich auch mit Larven infizieren, die in anderen Wirten herangereift sind (z.B. der Hundebandwurm Toxocara canis und Ancylostoma spp.).
6.1.2 Würmer und Krankheiten (Helminthosen) Bandwürmer werden durch Larven in rohem oder nicht richtig garem Fleisch akquiriert Obwohl Bandwürmer eine beachtliche Größe erreichen können und relativ häufig Menschen befallen, sind die meisten eher harmlos. Manchmal dienen Menschen auch nur als Zwischenwirte. Bei diesen Spezies können jedoch Larven, die sich im Körper entwickeln, zu schweren Krankheitsbildern führen (Tab. 6.1).
Von den Saugwürmern sind die Erreger der Schistosomiasis am wichtigsten Verschiedene Arten von Saugwürmern können in Darm, Lunge, Leber und Blutgefäßen des Menschen heranreifen. Unter pathologischen Gesichtspunkten und hinsichtlich ihrer Prävalenz sind die Schistosomen als Auslöser der Schistosomiasis bzw. Bilharziose besonders wichtig. Von Millionen Menschen, die mit Schistosoma haematobium, Schistosoma japonicum und Schistosoma mansoni – den drei Hauptgruppen – infiziert sind, erkranken viele zum Teil sehr schwer (Tab. 6.2). Schistosomen haben wie alle Saugwürmer einen indirekten Lebenszyklus. Ihre Larven entwickeln sich in Wasserschnecken und werden ins Wasser ausgeschieden. Kommen Menschen mit dem kontaminierten Wasser in Berührung, können sie sich mit Larven, die durch die Haut in den Körper eindringen, infizieren. Wichtige Spezies sind außerdem Clonorchis sinensis (Leberegel) und Paragonimus westermanni (Lungenegel), die beim Verzehr von Fisch bzw. Krabben übertragen werden können.
Bestimmte Nematoden, die Menschen infizieren, sind sehr wirtsspezifisch, andere verursachen Zoonosen Von den zahlreichen humanpathogenen Nematodenspezies verhalten sich einige sehr spezifisch, können also in einem anderen Wirt heranreifen. Bei anderen ist die Wirtsspezifität viel schwächer ausgeprägt, so dass sie eher zufällig als Zoonosen erworben werden. Hier fungiert der Mensch als Zwischen- oder Endwirt, der sich die Infektion bei Haustieren oder über Nahrungsmittel akquiriert (Tab. 6.3).
104
Tab. 6.1 Übersicht über die wichtigsten Cestoden * seltene Infektionen
Tab. 6.2 Trematoden des Menschen
105
6.2
Gliederfüßer (Arthropoden)
Arthropoden können entweder direkt (durch ihr Ernährungsmuster) oder indirekt (als Überträger von Infektionen) Krankheiten hervorrufen.
Tab. 6.3 Nematoden des Menschen *
in dieser Gruppe die häufigste Spezies
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Arthropoden ernähren sich von Blut und Gewebeflüssigkeit des Menschen Moskitos, Mücken, Bremsen, Wanzen, Flöhe und Zecken sind blutsaugende Insekten. Auch Milben ernähren sich so – bekanntestes Beispiel sind vermutlich die Erreger der Erntekrätze (Larven der Erntemilbe, Trombicula autumnalis). Der Kontakt zwischen Menschen und Arthropoden kann vorübergehend oder aber dauerhaft bestehen. Temporäre Ektoparasiten wie die Moskitos saugen nur minutenlang Blut, Zecken dagegen viel länger. Mit Kopf und Körper versehene Läuse wie Pediculus humanus (Kleiderlaus) und Phthirus pubis (Filzlaus) halten sich fast ihr ganzes Leben auf Menschen auf (stationäre Ektoparasiten), saugen Blut und vermehren sich auf der Haut oder in der Kleidung. Auch Sarcoptes scabiei (Krätzemilbe) lebt ständig auf Menschen, frisst sich durch die oberen Hautschichten und legt in den Gängen, die sie dabei gräbt, ihre Eier ab. Das kann es zu einer schweren Infektion führen, die besonders bei Menschen mit eingeschränkter Immunlage starke Entzündungsreaktionen hervorruft (s. Kap. 26).
Bei Infestation droht zusätzlich die Gefahr einer Krankheitsübertragung Arthropoden können Krankheitserreger aller wichtigen Gruppen, von Viren bis zu Würmern, übertragen, manche (z.B. Moskitos und Zecken) sogar ein ganzes Spektrum von Keimen (Tab. 6.4). Durch die Übertragung von Infektionen erkrankter Tiere auf Menschen besteht zudem ständig die Gefahr, an einer Zoonose zu erkranken. Einige der von Vektoren übertragenen Erkrankungen (wie das Gelbfieber) sind bereits seit hundert Jahren bekannt, andere (Virusenzephalitiden und Lyme-Krankheit) wurden erst in jüngerer Zeit entdeckt (1920 bzw. 1975).
107
Tab. 6.4 Übersicht über von Arthropoden übertragene Infektionen des Menschen
108
Zusammenfassung ■ Helminthen sind mehrzellige Würmer, die in vielen Körperorganen vorkommen können, aber am häufigsten den Gastrointestinaltrakt befallen. ■ Sie werden entweder auf direktem Weg (durch Verschlucken infektiöser Stadien oder in die Haut eindringende Larven) oder indirekt (über Zwischenwirte oder Insekten als Vektoren) übertragen. ■ Schwerste Form einer Wurmerkrankung (Helminthose) ist die Schistosomiasis. Ausschlaggebend für das Krankheitsbild sind Überempfindlichkeitsreaktionen gegen Wurmeier, die verschiedene Organe und Gewebe des Körpers passieren. ■ Für Menschen sind Arthropoden insofern von Bedeutung, als sie Blut saugen oder sich von Körpergeweben ernähren (Insekten, Zecken, Milben). Dabei können sie andere Infektionserreger (vor allem Bakterien und Protozoen) übertragen.
FRAGEN 1 Welcher Bandwurm wird beim Verzehr von infiziertem Schweinefleisch erworben? a) Taenia saginata b) Hymenolepis nana c) Echinococcus granulosus d) Taenia solium e) Diphyllobothrium latum 2 Welcher Rundwurm kommt nicht im Darmtrakt vor? a) Enterobius vermicularis b) Ascaris lumbricoides c) Wuchereria bancrofti d) Trichuris trichiura e) Strongyloides stercoralis 3 Im Lebenszyklus von Schistosomen a) findet eine direkte Übertragung statt b) sind Wasserschnecken an der Übertragung beteiligt c) dienen Insekten als Vektoren d) leben adulte Würmer im Darm e) infizieren sich Menschen durch Verschlucken der Eier? 4 Von Arthropoden auf Menschen übertragen werden a) Bakterien b) Viren c) Helminthen d) Protozoen e) alle?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur
109
Cox, F.E.G., Wakelin, D.: Parasitology. In: Collier, L.H. et al. (eds.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections. 9th ed. Edward Arnold, London 1998. Despommier, D.D. et al.: Parasitic Diseases. 4th ed. Apple Trees Productions, New York 2000. Eldridge, B.F., Edman, J.D.: Medical Entomology. Kluwer Academic Publishers, Berlin 2000. Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New York 1995.
110
7
Prionen 7.1 „Prion-Protein“ – Pathogenese 59 7.2 Übertragung von Prionen und Krankheitsentwicklung 60 7.3 Medizinische Schwierigkeiten bei Prionen-Erkrankungen 61
Zur Orientierung Prionen sind infektiöse Partikel, die mit degenerativen Hirnveränderungen verbunden sind – den spongiformen Enzephalopathien. Ein Genom (Nukleinsäure) fehlt ihnen und gegenüber allen herkömmlichen Desinfektionsarten erweisen sich Prionen als höchst resistent. Man nimmt an, dass es sich um Modifikationen eines normalen Zellproteins handelt und dass diese kleinen Proteinpartikel zu Erkrankungen führen, indem sie ständig weiter normales in abnormes Protein umwandeln. Menschen nehmen Prionen meist beim Verzehr kontaminierten Materials auf, können sich aber auch bei medizinischen Maßnahmen anstecken. Prionen entstehen möglicherweise auch durch Mutation. Als erste Prionen-Erkrankung des Menschen wurde Kuru bei einigen Stämmen in Neuguinea identifiziert, die aus rituellen Gründen menschliches Gewebe verzehrten. Neueren Datums ist die Entdeckung, dass die neue Variante der Creutzfeldt-JakobKrankheit (nvCJD) offenbar mit dem Konsum von BSE(bovine spongioforme Enzepaholpathie)-infiziertem Rindfleisch zusammenhängt.
7.1
„Prion-Protein“ – Pathogenese
Prionen sind ganz besondere Infektionserreger Kennzeichnend für eine Reihe menschlicher und tierischer ZNS-Erkrankungen (spongiforme Enzephalopathien) sind die großen Vakuolen, die sich im Hirngewebe entwickeln. Bei Menschen gehören Kuru und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, bei Kühen BSE und bei Schafen Scrapie dazu. Lange Zeit hielt man sog. unkonventionelle SlowViren für die Ursache, doch inzwischen weiß man, dass Prionen (proteinaceous infectious particles) der Auslöser sind. Die kleinen infektiösen Partikel weisen folgende Merkmale auf: ■ Größe ≤ 100 nm (damit filtrierbar) ■ besitzen kein Nukleinsäure-Genom ■ äußerst resistent gegen Hitze, Desinfektionsmittel und Bestrahlung (aber anfällig für hoch konzentriertes Phenol, Perjodat, Natriumhydroxid und Natriumhypochlorit) ■ langsame Replikation; Ausbruch der Krankheit meist erst im höheren Lebensalter; lange Inkubationszeit (bis zu 35 Jahre bei Menschen) ■ im Labor nicht anzüchtbar ■ rufen keine Immun- oder Entzündungsreaktion hervor.
Prionen leiten sich von Wirtsmolekülen her Untersuchungen zu Scrapie vermittelten Einblicke in das Wesen von Prionen und ihre Rolle bei Erkrankungen. Obwohl die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist, hält man ein 30- bis 35-kD-Glykoprotein, das sich vom Wirt herleitet, für das infektiöse Agens. Es wird als PrPSc (Prion-Protein Scrapie) bezeichnet und ist assoziiert mit den 111
typischen intrazellulären Fibrillen des erkrankten Gewebes. PrPSc stammt von einem zellulären Prion-Protein (PrPc) ab, das natürlich vorkommt und vor allem auf Nervenzellen exprimiert wird; kodiert wird es von einer einzelnen Genkopie mit unbekannter Funktion. Mäuse, deren PrPc-Gen gespalten wurde, erkrankten nicht an Scrapie, zeigten aber keine groben Auffälligkeiten. Trotz ähnlicher Sequenz unterscheiden sich Struktur und Protease-Resistenz der beiden Proteine: PrPSc ist kugelförmig (globulär) und resistent gegenüber Proteasen, PrPc linear und empfänglich für Enzyme. Auch wenn noch nicht alle Einzelheiten bekannt sind, scheint die Verbindung zwischen PrPSc und PrPc darin zu bestehen, dass letzteres – hauptsächlich über eine Konformationsänderung der α-Helices zu β-Faltblättern – in die abnormale Form überführt wird. Befallene Zellen beginnen daraufhin, mehr PrPc zu bilden und wiederholt umzuwandeln, bis sich das angehäufte PrPSc zu Amyloidfibrillen und Plaques zusammenlagert (Abb. 7.1). Durch Replikation kann es zu einem starken Titeranstieg kommen – pro Gramm Hirngewebe wurden bis zu 108–109 infektiöse Partikel gefunden. Dass das Zusammenwirken von PrPSc mit PrPc entscheidend für den Ablauf ist, ließ sich mit ausgedehnten Experimenten an Schafen und Mäusen belegen. Aus diesen Versuchen ergaben sich wichtige Schlussfolgerungen: ■
Mit dem PrPSc-Gehalt steigert sich die Infektiosität von Scrapie-Material.
■
Gereinigtes PrPSc sorgt für eine verstärkte Scrapie-Aktivität.
■
Mäuse ohne das PrPc-Gen erkranken bei Injektion von Prionen nicht.
■ Ein PrP-Transgen, das von einem Prion-Spender (z.B. Hamster) in einen Empfänger (z.B. Maus) eingebracht wurde, erleichterte die Übertragung zwischen den Spezies (cross-species transmission). Somit steht zu vermuten, dass Homologie der PrP-Gene von Spender und Empfänger die wichtigste molekulare Determinante bei der Übertragung ist. ■ PrPSc kann in vitro PrPc in PrPSc umwandeln, dabei werden biochemische Eigenschaften transferiert.
Abb. 7.1 Zellschädigung durch Prionen.
112
(1) Von normalen Zellen wird PrPc als lineares Zellmembranprotein exprimiert. (2) Ist globuläres PrPSc als freies Glykoprotein vorhanden, kann es mit PrPc interagieren. (3) PrPc löst sich von der Zellmembran und wird in PrPSc umgewandelt. (4) Weil die Zellen vermehrt PrPc produzieren, beginnt der Zyklus ständig von neuem. (5) In Plaques angehäuftes PrPSc wird in die Zellen aufgenommen. In der Entwicklung von Scrapie bei Schafen zeigen sich starke genetische Einflüsse; manche Zuchtrassen erweisen sich als erheblich widerstandsfähiger als andere. Ähnliches ließ sich auch bei Mäusen beobachten. Bei Menschen ist Homozygotie (Valin oder Methionin) am Codon 129 des Prion-Protein-Gens ausschlaggebend für ihre Anfälligkeit gegenüber der sporadischen, iatrogenen oder neuen Variante der CJD. Dass auch Prionen Veränderungen unterliegen, zeigt die Beschreibung unterschiedlicher „Stämme“. Durch die Kombination – Variationen bei Wirt und Prionen – sind Auftreten und Schwere der Erkrankung breit gefächert.
7.2 Übertragung von Prionen und Krankheitsentwicklung 113
Da PrPSc von Molekülen abstammt, die von normalen Zellen exprimiert werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Prionen auch infolge von PrPc-Spontanmutationen im Körper auftauchen. Tatsächlich könnten die sporadische Form der CJD und zwei weitere Prionen-Erkrankungen des Menschen (Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die letale familiäre Insomnie) auf diese Weise entstanden sein. Außer Fällen, in denen sich Prionen durch Mutation entwickelt haben, setzen Übertragung und Ausbreitung der Erkrankung aber einen Kontakt mit infektiösem Material voraus. Dabei kann es sich sowohl um kontaminierte Nahrung, Medizinprodukte (Blut, Hormonextrakte, Transplantate) und Instrumente (Ansteckung bei chirurgischen Eingriffen) als auch um eine Mutter-Kind-Übertragung in der Schwangerschaft handeln (obwohl die Krankheit bei keinem von hunderten Neugeborenen Kuru-kranker Mütter ausbrach). An Kuru (s. Kap. 24) erkrankten Menschen, die im Rahmen von Begräbnisritualen das Hirngewebe Verstorbener aßen. Die neue Variante der CJD wird vermutlich durch kontaminiertes Rindfleisch übertragen. In beiden Fällen überstehen die Prionen unbeschadet die Verdauung und gelangen dann über die Darmschleimhaut in Zellen des Lymphsystems. Von dort können sie in Nervengewebe gelangen und ins ZNS eindringen.
Prionen können sich über Spezies-Schranken hinwegsetzen Obwohl sich Prionen-Erkrankungen vor allem innerhalb einer Spezies verbreiten, können sie auch Spezies-übergreifend wirken (Abb. 7.2). Welche gravierenden Folgen das hat, zeigt die Übertragung von Prionen BSE-kranker Rinder auf Menschen, die mit der neuen Variante der CJD in Verbindung gebracht wird. BSE selbst war auf eine Prion-Übertragung von Schafen (mit Scrapie) auf Rinder zurückzuführen. Anders als die eigentliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit betrifft die neue Variante der CJD erheblich jüngere Menschen (ab 14 Jahren), hat also eine viel kürzere Inkubationszeit.
114
Abb. 7.2 Ausbreitung des Scrapie-Erregers zwischen verschiedenen Spezies.
Fast alle waren auf Labortiere (Nagetiere und Primaten) übertragbar. (* Hier wurde die Infektion auf Scrapie-verseuchtes Material von Schafen im Futtermittel zurückgeführt. Die meisten Erreger wiesen Mutationen am Codon 129 (Aminosäurerest) des Prion-Proteins auf; darin sieht man die Ursache für die Überführung des normalen Proteins in die pathogene Form.)
7.3 Medizinische Schwierigkeiten bei PrionenErkrankungen Prionen-Erkrankungen sind schwer zu diagnostizieren Da sich Prionen weder anzüchten lassen noch Immunreaktionen auslösen, gelingt es mit herkömmlichen Mitteln nicht, die Erkrankung in frühen Stadien zu diagnostizieren. Meist liefert nur das klinische Erscheinungsbild Hinweise auf die Erkrankung, und histologisch kann die Diagnose erst post mortem bestätigt werden. Derzeit werden Labortests zum Nachweis von Prionen in erkranktem Gewebe entwickelt.
Prionen-Erkrankungen sind unheilbar Bislang gibt es weder eine Behandlung noch Impfstoffe. Es bleibt zu hoffen, dass sich aus dem derzeitigen Wissen um das Zusammenspiel zwischen PrPSc und PrPc Möglichkeiten ergeben, in den Krankheitsverlauf einzugreifen (z.B. die PrPSc-Bildung einzuschränken oder zu destabilisieren).
Zusammenfassung ■ Als ungewöhnliche Infektionserreger verursachen Prionen Erkrankungen, die durch Hirnveränderungen (spongiforme Enzephalopathie) und motorische Störungen gekennzeichnet sind. ■ Prionen stammen von Wirts-Glykoproteinen ab und haben kein Genom aus Nukleinsäure. Gegenüber Desinfektionsverfahren erweisen sie sich als äußerst resistent. ■ Prionen werden üblicherweise mit infiziertem Gewebe (Aufnahme mit der Nahrung) übertragen, gelegentlich aber auch durch medizinische Maßnahmen.
115
■ Von Prionen verursacht werden Erkrankungen wie Kuru, Creutzfeldt-JakobKrankheit (CJD), die neue Variante der CJD und BSE (bovine spongiforme Enzephalitis).
FRAGEN 1 Die Übertragung von Prionen erfolgt nicht durch a) kontaminierte chirurgische Instrumente b) kontaminierte Blutprodukte c) infizierte Nahrung d) Insektenstich/-biss (Vektor) e) vertikale Transmission (Mutter-Fetus)? 2 Bei einer Infektion mit Prionen kommt es zu a) IgM-Antikörper-Reaktionen b) IgG-Antikörper-Reaktionen c) Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ d) fokaler (herdförmiger) Entzündung e) keiner der genannten Reaktionen? 3 Prionen lassen sich zerstören durch a) Bedampfen mit Formaldehyd b) Natriumhydroxid und Natriumhypochlorit c) Detergenzien d) Bestrahlung e) Erhitzen (Kochen)?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Collinge, J., Palmer, M.S. et al.: Prion Diseases. Oxford University Press, Oxford 1997. Hörnlimann, B., Riesner, D., Kretzschmar, H. (ed.). Prionen und Prionkrankheiten. de Gryuter 2001. Prusiner, S. (ed.): Prion Biology and Diseases. Cold Spring Harbor Laboratory Press 1999.
116
8
Parasiten-Wirt-Beziehung 8.1 Normalflora 63 8.1.1
Vor- und Nachteile der Normalflora 65
8.2 Symbiotische Verbindungen 66 8.2.1
Kommensalismus 67
8.2.2
Mutualismus (wechselseitige Abhängigkeit) 67
8.2.3
Parasitismus 67
8.3 Merkmale des Parasitismus 68 8.3.1
Vorteile 68
8.3.2
Nachteile 69
8.4 Evolution des Parasitismus 69 8.4.1
Anpassung an Entzündungs- und Immunreaktionen des Wirtes 71
8.4.2
Anpassung des Wirts an Veränderungen der Parasiten 72
Zur Orientierung In den vorhergehenden Kapiteln lag der Schwerpunkt auf eindeutig als Krankheitserreger identifizierten Mikroorganismen. Vereinzelt finden sich solche Organismen auch bei Gesunden, doch wenn sich ihre Zahl vermehrt, kommt es in der Regel zu pathologischen Veränderungen. Im ersten Teil dieses Kapitels werden Keime behandelt, die nur unter bestimmten Umständen (z.B. bei Neugeborenen oder bei starker Belastung, Traumatisierung bzw. geschwächter Immunlage) zu Erkrankungen führen, gewöhnlich aber friedlich mit ihrem Wirt zusammenleben. Viele von ihnen bilden das, was als körpereigene Standort- oder Normalflora bezeichnet wird, kommen also regelmäßig bei Gesunden vor. Diese Beziehung zum Wirt steht im Gegensatz zu der von Organismen, die als echte Parasiten oder Pathogene anzusehen sind und im zweiten Teil des Kapitels (im größeren Kontext symbiotischer Beziehungen und der Entwicklung von Wirt-ParasitenBeziehungen) erörtert werden.
8.1
Normalflora
Was versteht man unter Normalflora? Weil überwiegend Bakterien vertreten sind, wird der Begriff „Flora“ verwendet. Der menschliche Körper verfügt schätzungsweise über 1013 Zellen, und ca. 1014 Bakterien sind mit diesen assoziiert; der Großteil davon besiedelt den Dickdarm. Auch wenn sich bei Gesunden außerdem regelmäßig einzelne Viren, Pilze und Protozoen finden, ist deren Anteil an der Gesamtpopulation der residenten Organismen (Standortflora) nur verschwindend klein.
117
Keime kommen überall dort vor, wo Körperteile nach außen exponiert sind oder mit der Umgebung kommunizieren, d.h. auf der Haut, in Mund und Nase, Darm- und Urogenitaltrakt. Innere Organe und Gewebe im Körperinneren sind normalerweise keimfrei (steril). Wie sich die wichtigsten Keime auf einzelne Körperbereiche verteilen, zeigt Abb. 8.1.
Die während und nach der Geburt rasch erworbene Normalflora verändert sich ständig im Laufe des Lebens In den Keimen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt im Körper vorhanden sind, spiegeln sich Alter, Ernährung und Umwelt des Einzelnen wider. Da sie zum großen Teil von äußeren Umgebungsfaktoren bestimmt wird, lässt sich kaum näher definieren, was genau unter Normalflora zu verstehen ist. Das veranschaulichen Befunde bei NASAAstronauten recht gut: Nach einer Antibiotikatherapie waren sie relativ keimarm zu ihrem Raumflug gestartet. Doch ihre Flora brauchte nach der Landung nur sechs Wochen, um sich wieder zu erholen, und die beteiligten Spezies waren genau dieselben wie die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Kinder in Entwicklungsländern haben eine völlig andere Darmflora als Kinder in industrialisierten Ländern. Auch weisen Kinder, die gestillt werden, Milchsäureproduzierende Streptokokken und Laktobakterien im Darmtrakt auf, Flaschenkinder dagegen besitzen ein viel größeres Keimspektrum.
Unterschiedliche Flora an unterschiedlichen Hautbereichen An exponierten trockenen Hautstellen finden sich nur wenige ortsständige (residente) Keime. Dichter besiedelt sind dagegen feuchte Bereiche (z.B. Achseln, Perineum, Zwischenräume der Zehen, behaarte Kopfhaut). Zu den häufigsten Spezies (bis zu 90% der Aerobier) gehört Staphylococcus epidermidis mit einer Dichte von 103–104/cm2; an feuchteren Stellen kann auch Staphylococcus aureus vorkommen. In Haarfollikeln, Schweiß- und Talgdrüsen unter der Hautoberfläche treten anaerobe Gram-positive Stäbchen auf; bekannt ist z.B. Propionibacterium acnes. Der mit Akne assoziierte Keim kommt bei Hautveränderungen in der Pubertät oft in erhöhter Zahl vor.
118
Abb. 8.1 Keime der Normalflora und ihre Verteilung auf einzelne Körperbereiche.
(*Darmkeime: Abb. 8.2) Behaarte Kopfhaut und Nagelränder können von einer Reihe Pilzen, darunter z.B. Candida, befallen sein. Pilzinfektionen betreffen viel seltener trockene Hautstellen als feuchte Falten (Intertrigo).
119
Nase und Mund können dicht mit Bakterien besiedelt sein Bakterien auf der Schleimhaut von Mund und Nase sind meist Anaerobier. Hier haben sich am häufigsten Streptokokken, Staphylokokken, coryneforme Bakterien und Gramnegative Kokken angesiedelt. Einige der bei Gesunden vertretenen Aerobier sind potentiell pathogen (z.B. S. aureus, Streptococcus pneumoniae, Streptococcus pyogenes, Neisseria meningitidis), genauso wie Candida spp. Die Mundschleimhaut kann eine ähnlich hohe Keimdichte wie der Dickdarm aufweisen (bis zu 1011 pro Gramm Feuchtgewicht).
In den Industrieländern ist Zahnkaries eine der häufigsten Infektionen Die in großer Zahl auf Zahnoberflächen und in Zahnfleischtaschen versammelten anaeroben Bakterien scheiden eine Polysaccharid-Grundsubstanz aus. Sie überzieht die Zähne als Plaquefilm, in dem sich die Bakterien verankern. Werden die Zähne nicht regelmäßig geputzt, häuft sich sehr schnell mehr Plaque an. Unter der Einwirkung bestimmter fermentierender Bakterien (vor allem Streptococcus mutans) entsteht aus den Kohlenhydraten eine Säure, die den Zahnschmelz angreifen und damit Karies auslösen kann. Die Prävalenz der Karies steht mit der Ernährung in Verbindung.
Normalflora des Pharynx und der Trachea In Pharynx und Trachea umfasst die Flora neben α- und β-hämolysierenden Streptokokken eine Anzahl von Anaerobiern, Staphylokokken (inkl. S. aureus), Neisserien und coryneformen Bakterien. Obwohl regelmäßig Keime mit der Atemluft aufgenommen werden, sind die tieferen Atemwege normalerweise steril. Allerdings kann ein nicht unbedeutender Teil der Bevölkerung asymptomatischer Träger von Pneumocystis jiroveci (früher Pneumocystis carinii) in der Lunge sein.
Im Verdauungstrakt erhöht sich die Keimdichte von oben nach unten Da der saure pH-Wert im Magen einen wirksamen Schutz vor der Besiedlung mit Bakterien (Barrierefunktion) gewährt, finden sich im Mageninhalt nur zeitweilig Keime. Die Magenschleimhaut kann jedoch mit säuretoleranten Laktobakterien und Streptokokken besiedelt sein. Auch der Dünndarm ist im oberen Abschnitt mit 104 Keimen/g Gewebe recht dünn besiedelt. Im Ileum steigt die Bakterienpopulation deutlich an, und neben Streptokokken und Laktobakterien können auch Enterobacteriaceae und Bacteroides-Spezies vorhanden sein. Mit schätzungsweise 1011/g ist die Bakteriendichte im Dickdarm sehr hoch, die Flora ist außerdem sehr vielfältig (Abb. 8.2). Zu 95–99% handelt es sich um Anaerobier, im Stuhl vor allem um Bacteroides-Spezies. Einige harmlose Protozoen (z.B. Entamoeba coli), die es im Darm gibt, rechnet man ebenfalls zur normalen Darmflora.
120
Abb. 8.2 Die Normalflora im Verdauungstrakt des Menschen.
Verteilung (von oben nach unten), Häufigkeit und Bakteriendichte 121
Im Vergleich zur schwach besiedelten Urethra (bei Männern und Frauen) bieten sich in der Vagina gute Wachstumsbedingungen für Bakterien und Pilze Die Urethra ist eher dünn besiedelt, auch wenn bei beiden Geschlechtern S. epidermidis, Enterococcus faecalis und coryneforme Bakterien vorkommen können. In der vaginalen Flora treten altersabhängige Veränderungen der Zusammensetzung auf: ■ Vor der Pubertät überwiegen Streptokokken, coryneforme Bakterien und Escherichia coli. ■ Nach der Pubertät steht Lactobacillus acidophilus im Vordergrund, der durch Glykogen-Fermentierung den pH-Wert im sauren Bereich hält und so ein Überwuchern anderer Keime verhindert. Bei einem Anstieg des vaginalen pH-Werts kann es zu einer Überwucherung mit verschiedenen Pilzarten (darunter auch Candida) kommen, die nicht mehr richtig von Bakterien in Schach gehalten werden können. Das Protozoon Trichomonas vaginalis kann auch bei gesunden Frauen vereinzelt vorhanden sein.
8.1.1 Vor- und Nachteile der Normalflora Manche Spezies der Normalflora sind ausgesprochen nützlich Ihr hoher Stellenwert für die Gesundheit des Wirts zeigt sich oft sehr eindrucksvoll, wenn ihre Zahl unter einer strengen Antibiotikatherapie dramatisch abgenommen hat. In dem Fall kann die Wirtsabwehr leicht von eindringenden Krankheitserregern überrannt werden oder Keime, die sonst nur in geringer Zahl vorkommen, nehmen überhand. Nach einer Behandlung mit Clindamycin kann es z.B. zur Überwucherung mit Clostridium difficile kommen, da der Erreger die Antibiotikatherapie überleben kann. Folge können eine Antibiotika-assoziierte Diarrhoe oder in schweren Fällen eine pseudomembranöse Kolitis sein. Die Normalflora verhindert auf unterschiedliche Weise eine Besiedlung des Körpers mit potenziellen Krankheitserregern: ■ Von Hautbakterien produzierte Fettsäuren verhindern das Eindringen anderer Keime. ■ Darmbakterien halten durch die Produktion antibakterieller Wirkstoffe (Bakteriocin, Colicin) oder Stoffwechsel(end)produkte andere Spezies davon ab, sich zu etablieren. ■ In der Vagina unterdrücken Laktobazillen das Wachstum anderer Mikroorganismen, indem sie ein saures Milieu aufrechterhalten. ■ Allein schon wegen ihrer zahlenmäßigen Übermacht können Bakterien der Normalflora alle verfügbaren ökologischen Nischen im menschlichen Darmtrakt besetzen und andere Spezies verdrängen. 122
Mit organischen Säuren, die sie freisetzen, unterstützen Darmbakterien den Stoffwechsel ihres Wirts. Darüber hinaus produzieren sie in so ausreichender Menge Vitamin B und K, so dass eventuelle Ernährungsmängel ausgeglichen werden können. Zudem trägt die antigene Stimulation durch die Darmflora mit dazu bei, dass sich das Immunsystem normal entwickelt.
Wenn die Normalflora fehlt Keimfrei gezüchtete Tiere leben tendenziell länger und ohne Karies, weil entsprechende Krankheitserreger ganz fehlen (s. Kap. 18). Dass aber ihr Immunsystem weniger gut entwickelt ist, erhöht ihre Anfälligkeit für Pathogene, die von außen eindringen. Menschen werden keimfrei geboren, erwerben jedoch während und gleich nach der Geburt eine Normalflora, gleichzeitig setzt eine intensive immunologische Aktivität ein.
Von Nachteil ist, dass Keime der Normalflora in normalerweise sterile Körperbereiche gelangen können Das geschieht z.B. bei: ■
Darmperforation oder Haut(ein)rissen
■
Zahnextraktion (wenn vergrünende Streptokokken ins Blut gelangen)
■ aszendierender Harnwegsinfektion (wenn Hautkeime aus dem Perianalbereich in der Urethra aufsteigen). Keime der Normalflora gehören zu den wichtigsten Auslösern einer nosokomialen (im Krankenhaus erworbenen) Infektion bei Patienten, die sich einem invasiven Eingriff unterziehen müssen. Gefährdet sind auch Brandverletzte. Zu einer Überwucherung potenzieller Krankheitskeime kann es nicht nur kommen, wenn sich (z. B. aufgrund einer Antibiotikatherapie) die Zusammensetzung der Normalflora verändert, sondern auch bei ■
lokalen Milieuveränderungen (z.B. pH-Wert-Erhöhung in Magen oder Vagina)
■
Immunschwäche (z.B. AIDS, klinisch induzierte Immunsuppression).
Das bietet potenziell pathogenen Keimen eine günstige Gelegenheit, sich zu vermehren oder ins Gewebe einzudringen und sich damit schädlich für den Wirt auszuwirken. Eine Zusammenstellung von Krankheiten, die mit solchen opportunistischen Infektionen einhergehen, findet sich in Kap. 30.
8.2
Symbiotische Verbindungen
Alle tierischen Lebewesen dienen anderen Eindringlingen als Lebensraum – und zwar ausnahmslos. Selbst Protozoen besitzen noch eine eigene Fauna und Flora. Zahl und Vielfalt der besiedelbaren Lebensräume verbesserten sich, als die Körper im Zuge der 123
Evolution immer größer, komplexer und besser gesteuert wurden. Mit ihrer komplexen Bauweise bieten Vögel und Säugetiere (einschließlich des Menschen) eine so abwechslungsreiche Umgebung, dass sie am stärksten besiedelt sind. Wie das Beispiel der Normalflora zeigt, müssen Beziehungen zwischen Wirt und Mikroorganismus nicht zwangsläufig zur Erkrankung führen. Vielmehr hängt es von mehreren Einflussfaktoren ab, ob sich Keime in einer solchen Verbindung und der gegebenen Situation als harmlos oder pathogen erweisen. Um die mikrobiologischen Grundlagen von Infektionskrankheiten besser zu verstehen, sollten potenziell pathogene Keime auch im Zusammenhang mit symbiotischen Verbindungen (wie Kommensalismus oder Mutualismus) zwischen Spezies gesehen werden, die sich normalerweise weder schädlich noch nachteilig auswirken.
Kommensalismus, Mutualismus und Parasitismus als verschiedene Kategorien von Symbiose „Symbiose“ (wörtlich: zusammenleben) ist der Oberbegriff für sämtliche Verbindungen, bei denen eine Spezies in oder auf dem Körper einer anderen lebt. Symbiose bezieht sich auf ganz verschiedenartige Verbindungen, ohne sie als schädlich oder nützlich zu bewerten. Jeder Versuch, solche Verbindungen genauer zu kategorisieren, scheitert daran, dass alle wiederum Teile anderer Assoziationen darstellen (Abb. 8.3).
124
Abb. 8.3 Formen symbiotischer Verbindungen.
Die meisten Spezies sind eigenständig oder nur vorübergehend auf andere angewiesen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken (z.B. Raubtiere und Beutetiere). Bei engeren Verbindungen, sog. Symbiosen, lassen sich drei Hauptkategorien (Kommensalismus, Parasitismus und Mutualismus) unterscheiden, die sich teilweise überschneiden und nicht strikt voneinander abzugrenzen sind. Aufgrund des jeweiligen Vorteils, den einer oder beide Partner aus ihrer Symbiose ziehen, lassen sich grob drei Hauptkategorien definieren – Kommensalismus, Mutualismus und Parasitismus. Keine beschränkt sich auf eine einzelne taxonomische Gruppe. Je nach ihren Lebensbedingungen könnten manche Organismen sogar allen drei Kategorien zugeordnet werden (Abb. 8.4).
8.2.1 Kommensalismus Definition: eine Spezies nutzt den Körper einer größeren Spezies Im einfachsten Fall besteht eine kommensalen Verbindung darin, dass eine Spezies im Körper einer größeren Spezies ihre physikalische Umgebung und Nährstoffe findet.
125
Wie bei allen Tieren sind Haut, Mundbereich und Verdauungstrakt des Menschen
reichlich mit einer kommensalen Flora besiedelt. In der Mehrzahl sind es Bakterien mit einer zum Teil sehr spezifischen Wirtsbeziehung (durch besondere Adhärenzfaktoren und Milieuanforderungen). Wenn sich die Umgebungsbedingungen ändern, können auch solche normalerweise harmlosen Mikroorganismen schädlich für den Wirt werden (z.B. Bacteroides spp., E. coli, S. aureus). Umgekehrt helfen Kommensalen ihrem Wirt, weil sie:
Abb. 8.4 Beispiele für Kommensalismus, Parasitismus und Mutualismus. Die ersten beiden Beispiele zeigen, wie schwer sich Organismen als absolut harmlos, schädlich oder nützlich einstufen lassen.
126
■ eine Besiedlung mit pathogenen Bakterienspezies verhindern – Kolonisationsresistenz (z.B. die Darmflora) bzw. ■ nützliche Metaboliten produzieren (z.B. Bakterien und Protozoen im Wiederkäuermagen). Vereinbarungsgemäß wird eine „normale“ symbiotische Beziehung als Kommensalismus definiert, kann aber in Mutualismus oder Parasitismus abgleiten.
8.2.2 Mutualismus (wechselseitige Abhängigkeit) Definition: für beide beteiligten Organismen nützliche Verbindung Häufig ist die Beziehung wenigstens für einen, wenn nicht für beide Beteiligte eine obligate symbiotische Verbindung. Ein gutes Beispiel sind Bakterien und Protozoen im Magen von Wiederkäuern. Im Gegenzug für die wichtige Rolle, die sie bei der Zelluloseverdauung/-verwertung spielen, erhalten sie von den Haustieren die für ihr Überleben notwendige Umgebung und Nährstoffe. Eine klare Grenzlinie zwischen Kommensalismus und Mutualismus lässt sich schwer ziehen. Auch bei Menschen können Gesundheit und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheitskeime von einer intakten Darmflora abhängen. Viele dieser kommensalen Darmbakterien können sich spezifisch auf ein Leben im menschlichen Darm eingestellt haben, doch streng genommen besteht hier keine unbedingte wechselseitige Abhängigkeit.
8.2.3 Parasitismus Definition: von dieser einseitigen Symbiose profitiert nur der Parasit Obwohl man meinen könnte, als Parasiten würden nur Protozoen und Würmer bezeichnet, verhalten sich alle pathogenen Keime wie Parasiten. Parasitismus steht für eine einseitige Beziehung, aus der nur Parasiten ihren Vorteil ziehen. Der Wirt bietet ihnen eine chemisch-physikalisch geeignete Umgebung, deckt ihren Bedarf an Ernährung, Atmung und Stoffwechsel und liefert sogar noch die Steuersignale für ihre weitere Entwicklung. Parasiten zwangsläufig für schädlich zu halten ist eine Sichtweise, die stark von der Klinik in der Human- bzw. Veterinärmedizin und den Ergebnissen von Laborversuchen gefärbt ist. In Wirklichkeit unterhalten Parasiten oft völlig unschädliche Beziehungen zu ihren natürlichen Wirten und entwickeln sich unter normalen Umständen (d.h. bei guter Gesundheit des Wirts) nicht zu Pathogenen. Zum Beispiel koexistiert das Tollwutvirus friedlich mit wilden Säugetieren und wird erst in Menschen zum tödlichen Krankheitserreger. Diesen Zustand einer ausbalancierten Pathogenität erklärt man sich als Folge eines länger einwirkenden Selektionsdrucks. Darin könnte sich z.B. widerspiegeln, dass in der Wirtspopulation eine Selektion hinsichtlich einer genetisch determinierten erhöhten Resistenz und bei den Parasiten hinsichtlich einer verringerten Pathogenität stattgefunden hat (wie es z.B. bei der Kaninchen-Myxomatose der Fall war). Alternativ könnte es sich um eine evolutionäre 127
Regel handeln, nach der eine unausgeglichene (unbalancierte) Pathogenität lediglich bei Etablierung eines Mikroorganismus in einem unnatürlichen (bzw. fremden) Wirtsorganismus auftritt. Parasitismus lässt sich also auch nicht klarer als die beiden anderen SymbioseKategorien definieren, es sei denn in Verbindung mit eindeutigen oder hochpathogenen Erregern. Unter einem breiteren Blickwinkel ist die Auffassung, Parasiten seien notwendigerweise schädlich, nicht beizubehalten. Die Gründe werden unten genauer erläutert.
8.3
Merkmale des Parasitismus
Viele verschiedenen Gruppen von Organismen können Parasiten sein und alle Tiere sind von Parasiten besiedelt Eine parasitäre Lebensform haben sich verschiedene Gruppen von Organismen angeeignet. Manche Gruppen, wie die Viren, leben ausschließlich als Parasiten (s. unten), doch bei den meisten Gruppen gibt es neben parasitären auch frei lebende Vertreter. Parasiten kommen bei allen Tieren, den einfachsten wie den höher entwickelten, vor. Bei organisierten Tierverbänden sind sie sogar unvermeidliche Begleiterscheinung. Parasiten waren offensichtlich eine evolutionärer Erfolg; demnach muss diese Lebensform beachtliche Vorteile mit sich bringen.
8.3.1 Vorteile Für Stoffwechsel, Ernährung und Reproduktion der Parasiten erweist sich die Beziehung als Vorteil Der offensichtlichste Vorzug des Parasitismus ist metabolischer Art. Da Parasiten ihre unterschiedlichen Stoffwechselanforderungen vom Wirt erfüllt bekommen, ohne eigene Energie aufzuwenden, können sie den größten Teil ihrer eigenen Ressourcen der Vermehrung (Replikation oder Reproduktion) widmen. Trotz aller Einseitigkeit ist die Abhängigkeit in und zwischen einzelnen Gruppen jedoch verschieden stark ausgeprägt: Während manche Parasiten metabolisch völlig auf ihren Wirt angewiesen sind, sind es andere nur teilweise.
Viren sind für all ihre metabolischen Bedürfnisse vollkommen abhängig vom Wirt Viren stellen als obligate Parasiten ein Extrem der Parasitenabhängigkeit dar. Denn sie besitzen zwar die genetische Information zur Produktion neuer Viren, nicht aber den Zellapparat, der zur Transkription bzw. Translation dieser Information, für das Zusammensetzen neuer Viruspartikel oder zur Erzeugung von Energie für diese Prozesse nötig wäre. Vom Wirt bekommen Viren nicht nur die Grundbausteine für neue Viren, sondern auch dessen Syntheseapparat und die erforderliche Energie zur Verfügung gestellt (Abb. 8.5). 128
Bei Retroviren geht die Abhängigkeit noch einen Schritt weiter, indem sie ihre eigene genetische Information in die Wirts-DNA einfügen, um selbst noch den Transkriptionsprozess vom Wirt zu nutzen. Viren verkörpern somit die ultimative parasitäre Form, und das unterscheidet ihre Wirtsbeziehung qualitativ von der aller anderen Parasiten. Den fundamentalen Unterschied zwischen Viren und anderen Parasiten erklärt ihre vom zellulären Aufbau der Pro- und Eukaryonten abweichende Struktur. Nicht-virale Parasiten haben neben einem eigenen Gen- und Zellapparat noch Multienzymsysteme, die ihren Stoffwechsel unabhängig machen und sie zur Synthese von Makromolekülen befähigen. Inwieweit sie zur Deckung ihres Nährstoffbedarfs auf den Wirt angewiesen sind, schwankt für einzelne Gruppen beträchtlich, ohne ein erkennbares festes Muster. Es lässt sich auch nicht folgern, dass kleinere Parasiten stärker abhängig wären als größere; immerhin müssen Bandwürmer, die zu den größten Parasiten zählen, ihren Nahrungsbedarf komplett über Verdauungsvorgänge ihres Wirts decken. Natürlich zehren alle Parasiten von ihrem Wirt, doch während sich einige nur Makromoleküle vom Wirt (Proteine, Polysaccharide) holen, die sie mit eigenen Enzymsystemen verdauen, sind andere Parasiten auch auf die Verdauung ihres Wirts angewiesen, weil sie nur niedermolekulare Stoffe (Aminosäuren, Monosaccharide) aufnehmen können. Die Abhängigkeit vom Wirt kann so weit gehen, dass manchen Parasiten Wachstumsfaktoren bereitgestellt werden, die sie nicht selbst synthetisieren können. Um sich mit Sauerstoff zu versorgen, verlassen sich Endoparasiten auf das Atmungs- und Transportsystem des Wirts, obwohl sie zum Teil fakultativ oder obligat anaerob sind.
129
Die Parasitenentwicklung kann vom Wirt kontrolliert werden Um den Vorzug der parasitären Lebensform auch reproduktiv auszunutzen, ist es wichtig für Parasiten, ihre Entwicklung auf die Verfügbarkeit eines geeigneten Wirts abzustimmen. Tatsächlich haben sie typischerweise die Fähigkeit verloren, ihre eigene Entwicklung in Gang zu bringen oder zu steuern, und müssen sich deshalb teilweise oder ganz vom Wirt kontrolliert entwickeln. In einfachster Form beschränkt sich die Kontrolle des Wirts darauf, die zur Bindung bzw. Aufnahme von Parasiten in Zellen erforderlichen Oberflächenmoleküle bereitzustellen. Viele Parasiten (Viren bis Protozoen) dringen erst, nachdem sie die Moleküle erkannt haben, in Wirtszellen ein und nehmen diese Signale als Trigger auf, um mit ihrem Replikations- oder Reproduktionszyklus zu beginnen. Andere Parasiten, in erster Linie Eukaryonten, brauchen noch stärkere und verfeinerte Signale, oft auch Signalkomplexe, zur Initiierung und Steuerung ihres Entwicklungszyklus. Ein determinierender Faktor für spezifische Wirt-ParasitBeziehungen ist die Komplexität der Signale. Kann ein bestimmtes Signal für die Parasitenentwicklung nur von einer Wirtsspezies gegeben werden, ist die Wirtsspezifität besonders hoch. Wenn das erforderliche Signal von mehreren Spezies ausgehen kann, ist die Wirtsspezifität dagegen niedriger.
Abb. 8.5 Wie DNA- und RNA-Viren in Zellen eindringen und diese infizieren.
a) DNA-Viren (z.B. Herpesviren) besitzen ihre eigene DNA, benutzen den Zellapparat des Wirts nur, um noch mehr DNA, Virus- und Glykoproteine zu bilden, die dann – zu neuen Viruspartikeln zusammengefügt – aus der Zelle freigesetzt werden. b) RNA-Retroviren (z.B. HIV) müssen zunächst mit reverser Transkriptase VirusDNA herstellen und ins genetische Material des Wirts inserieren, damit virale RNA transkribiert werden kann. Ein Teil der RNA wird in Virusprotein übersetzt.
130
Virusprotein und Virus-RNA werden dann zu neuen Partikeln zusammengefügt und freigesetzt.
8.3.2 Nachteile Der offensichtlichste Nachteil für Parasiten ergibt sich aus der Tatsache, dass der Wirt ihre Entwicklung kontrolliert. Keine Entwicklung ohne geeigneten Wirt heißt auch, dass viele Parasiten absterben, wenn sie den passenden Wirt nicht finden. Damit sie draußen länger überleben können und die Chancen für erfolgreiche Wirtskontakte steigen, haben Parasiten ein paar Anpassungen vorgenommen: Formen wie Viruspartikel, Endosporen (Bakterien), Zysten (Protozoen) und Wurmeier. Demselben Zweck dient die Produktion zahlreicher Nachkommen. Letztlich erschöpfen sich die Überlebenskräfte der Parasiten aber doch, falls ihre Suche nach einem Wirt fortwährend scheitert. Die Anpassung an Wirtssignale erfolgt daher zu Lasten der Reproduktion (d.h. Verlust vieler potenzieller Parasiten).
8.4
Evolution des Parasitismus
Da so viele Organismen parasitär leben und jede Tiergruppe befallen sein kann, müssen sich Parasiten schon in einer sehr frühen Phase der Evolution und in relativ kurzen Abständen als Lebensform herausgebildet haben. Wie es dazu kam, ist noch nicht ganz geklärt, und die Entwicklung könnte auch in den einzelnen Gruppen ganz unterschiedlich verlaufen sein. In den meisten Fällen dürfte der Parasitismus aus zufälligen Kontakten zwischen Organismen und Wirten entstanden sein. Vielleicht haben einige durch solche Kontakte länger überlebt und sich aufgrund der günstigen Nahrungsbedingungen stärker vermehrt (repliziert), was für den betreffenden Organismus einen selektiven Umgebungsvorteil mit sich brachte.
Bakterien entwickelten sich durch zufällige Wirtskontakte zu Parasiten Im Fall parasitärer Bakterien lässt sich leicht nachvollziehen, wie es in einer bakterienreichen Umgebung durch zufällige Kontakte mit frei lebenden Exemplaren (Wildtypen) zur erfolgreichen Besiedlung des Gastrointestinaltrakts und der äußeren Körperöffnungen gekommen sein könnte. Zunächst konnten Parasiten fakultativ innerwie außerhalb des Wirtsorganismus überleben (eine Fähigkeit, die vielen pathogenen Bakterien, z.B. Legionellen oder Vibrio, erhalten blieb), während ein stärkerer Selektionsdruck andere Keime gleich gezwungen haben könnte, obligate Parasiten zu werden. Solche Vorgänge sind natürlich rein spekulativ, doch gestützt wird die These durch die enge Beziehung, die Darmbakterien wie E. coli zu frei lebenden, zur Photosynthese befähigten Purpurbakterien unterhalten. Viele Bakterien und ähnliche Parasiten von Menschen und Säugetieren sind ursprünglich durch zufällige Kontakte entstanden. Andere, die zuvor andere Spezies besiedelten, mussten sich umstellen und sich an andere Wirte anpassen. Ein gutes Beispiel ist die Übertragung von Parasiten durch blutsaugende Arthropoden, deren Parasiten auf diese Weise leicht Zugang zum Gewebe anderer Tiere bekommen.
131
Viele Bakterien entwickelten sich zu Parasiten, die in Wirtszellen leben Bevor sie durch zufällige Kontakte zu Parasiten wurden, mussten Bakterien außerhalb der Wirtszellen auf die Vorzüge verzichten, die sich im Zellinneren boten. Die Entwicklung zur intrazellulären Form könnte einfach mit der passiven Aufnahme durch Phagozyten begonnen haben. Das setzte zwar weitere Modifikationen voraus, doch ihr Überleben in Wirtszellen hing davon ab, dass die Bakterien mithilfe bestimmter Oberflächenmerkmale oder Stoffwechseleigenschaften eine Verdauung bzw. Zerstörung durch die Wirtszellen verhindern konnten. Wie erfolgreich die intrazelluläre Lebensform gewesen sein muss, lässt sich nicht nur an der großen Zahl der Bakterien, die sie übernahmen, sondern auch an der weit reichenden biologischen Anpassung mancher Bakterien an ihre Wirtszellen bemessen. Am Ende entstanden vielleicht auch die Mitochondrien der Eukaryonten durch eine derartige Integration; viele sehen darin ein Produkt heterotropher, symbiotischer Purpurbakterien (Abb. 8.6).
Abb. 8.6 Entwicklung von Mitochondrien.
Es spricht einiges dafür, dass die Mitochondrien entwicklungsgeschichtlich junger eukaryonter Zellen von Bakterien abstammen, die symbiotische Beziehungen (Mutualismus) zu älteren Vorläuferzellen unterhielten.
Die Evolution der Viren ist unklar Bei evolutionsgeschichtlich zweifellos sehr alten Organismen wie den Bakterien, deren Spuren sich anhand von Fossilien drei bis fünf Milliarden Jahre zurückverfolgen lassen, 132
besteht eindeutig eine Verbindung zwischen parasitären Formen und der Entwicklung höherer Lebewesen (als potenziellen Wirten). Ob das auch für die Viren zutrifft, ist fraglich; es kommt darauf ab, ob man Viren als primär oder sekundär einfache Strukturen ansieht. Haben sich Viren aus zellulären Vorstufen entwickelt (also erst nachträglich/sekundär vereinfacht), sind sie erst lange nach den Pro- und Eukaryonten zu Parasiten geworden. Möglicherweise sind Viren als primitive, nichtzelluläre Strukturen aber bereits sehr früh mit der Entwicklung zellulären Lebens parasitär geworden – etwa weil veränderte Umweltbedingungen ab einem bestimmten Zeitpunkt keine unabhängige Existenz mehr zuließen. Als Drittes könnten Viren nie etwas anderes als nukleäre Fragmente (Bruchstücke vom Zellkern anderer Organismen) – und demnach immer rein parasitär – gewesen sein. Für neuere Viren scheinen in der Tat alle drei Entstehungswege in Betracht zu kommen.
Eukaryonte Parasiten entwickelten sich über zufällige Kontakte Bei eukaryonten Parasiten verlief die Entwicklung wahrscheinlich sehr ähnlich wie bei Prokaryonten (d.h. über zufällige Kontakte und blutsaugende Arthropoden als Vektoren). Sowohl bei Protozoen- wie bei Wurmparasiten finden sich Beispiele, die diese Annahme stützen: ■ Protozoen wie die frei lebenden Amöben Naegleria sp. können eine schwere, manchmal tödliche verlaufende opportunistische Infektion auslösen, wenn sie in den Körper eines Menschen eindringen. ■ Nematoden (Rundwürmer) können parasitierend, aber auch frei lebend vorkommen. Bei Menschen ist Strongyloides stercoralis der wichtigste Vertreter. ■ Trypanosomen (Protozoen, die die Schlafkrankheit verursachen) passten sich wahrscheinlich erst an blutsaugende Insekten (Fliegen) an, bevor sie Parasiten von Säugetieren wurden.
133
8.4.1 Anpassung an Entzündungs- und Immunreaktionen des Wirtes Parasiten müssen sich an das Leben in anderen Tieren anpassen; es sind ähnliche Mechanismen wie für die Anpassung an bestimmte Umgebungsbedingungen erforderlich. Die Umgebung von Parasiten ist nur eine von vielen, an die sich Organismen im Laufe der Evolution anpassen mussten (vergleichbar dem Leben im Erdreich, in Süß-oder Salzwasser, in verrottendem Material usw.). Man sollte sich allerdings immer den Hauptunterschied zwischen parasitären und anderen Lebensformen klar machen. Die Umgebung, in der Parasiten leben, wie der Körper des Wirts, verhält sich nicht passiv, sondern kann im Gegenteil sogar sehr aktiv auf vorhandene Parasiten reagieren. Dass ihr Körper eine hohe Anziehungskraft als Umgebung für Parasiten ausübt, setzt Wirtstiere ständig unter Druck (Infektionsgefahr). Dieser Druck verstärkt sich noch, ■
wenn sie eng zusammenleben,
■
in schlechten hygienischen (ungesunden) Verhältnissen,
■ wenn Parasiten unter klimatisch günstigen Bedingungen auch außerhalb überleben.
Die Infektionsgefahr hatte einen starken evolutionären Einfluss Von der Infektionsgefahr ging in der Evolution ein starker Selektionsdruck aus. Zweifellos war diese Einwirkung zum großen Teil mitverantwortlich für die ausgeklügelten Entzündungs- und Immunreaktionen, die sich bei Mensch und Säugetieren entwickelten. Jede Infektion kommt den Wirt teuer zu stehen, denn aus evolutionärer Sicht zieht sie wertvolle Energiereserven ab, die er zum Überleben und zu seiner Reproduktion bräuchte. Das erzeugt den Druck, Infektionen mit allen Mitteln zu überstehen, ob sie Erkrankungen hervorrufen oder nicht. Diese Vorgänge stellen jedoch nicht die Schwerpunkte der klinischen Mikrobiologie dar, die sich mit den Auswirkungen von Infektionen im Sinne der Erkrankung beschäftigt. Diese Erkenntnisse sind jedoch wichtig für das Verständis mikrobiologisch-infektiologischer Zusammenhänge, weil sie Erklärungen für die Auseinandersetzung liefern, die sich ständig zwischen Wirt und Parasit abspielt – der eine möchte die Infektion eindämmen oder Keime zerstören, der andere sich dem entziehen oder die Wirtsabwehr unterdrücken. Verständlich wird so auch, weshalb ständig neue Infektionskrankheiten auftauchen oder alte zurückkehren können. Parasiten sehen sich nicht nur damit konfrontiert, in einer anfänglich neuen Umgebung zu überleben, sondern auch dann zu überleben, wenn sich die bekannte Umgebung in einer Weise verändert, die schädlich für sie werden könnte. Entzündungs- und Immunreaktionen sind für den Wirt die wichtigsten Mittel, um Infektionen bzw. Erreger in Schach zu halten, die seine natürlichen Schranken überwunden haben und im Körper überleben können. Diese hervorragenden Abwehrmechanismen hindern Parasiten, ungestört zu überleben und zwingen sie, eigene Strategien zu entwickeln,
134
um schädliche Umgebungseinflüsse zu parieren. Erfolgreiche Parasiten schaffen es, in der einen oder anderen Weise mit Wirtsreaktionen fertig zu werden oder ihnen zu entgehen (Tab. 8.1).
Tab. 8.1 Strategien der Parasiten gegen die Wirtsabwehr >Anpassungsmechanismen sind in allen Parasitengruppen bekannt und für einige wichtige humanpathogene Keime auch gut dokumentiert. Tatsächlich sind sie der eigentliche Grund, weshalb sie so pathogen sind. Trotzdem hängen Übertragung und Überleben vieler Parasiten davon ab, dass es unter ihren Wirten besonders infektionsanfällige Individuen (z.B. Kinder) gibt, so dass ständig ein Reservoir infektiöser Stadien bereitsteht.
135
Veränderungen der Parasiten stellen ihre Wirte vor neue Probleme Aus dem oben Gesagten geht hervor, dass es keine statische Beziehung zwischen Wirt und Parasit geben kann und es daher nicht gerechtfertigt ist, von unveränderlich pathogenen oder harmlosen Parasiten auszugehen. Eher findet ein Wettbewerb zwischen den Beteiligten statt, jeder versucht, bei Veränderungen des Kontrahenten mit eigenen Modifikationen gleichzuziehen. Schon die kleinste Veränderung kann das Gleichgewicht in der Beziehung komplett verschieben (z.B. in Richtung einer stärkeren oder schwächeren Pathogenität). Am besten lässt sich die Situation anhand der dramatischen, explosionsartigen Zunahme von HIV-Infektionen veranschaulichen. Ursprünglich beschränkte sich die Virusgruppe auf Primaten, doch nach viralen Veränderungen konnte die HIVInfektion auch auf Menschen übergreifen. Bei der Arzneimittelresistenz von Bakterien und Protozoen (Abb. 8.7) beeinflussen die zugrunde liegenden genetischen und metabolischen Veränderungen zwar nicht die Pathogenität an sich, fallen jedoch z.B. bei einer intensiven, hochselektiven Chemotherapie ins Gewicht.
Abb. 8.7
Antibiotikaresistenz von Bakterien.
Einige bakterielle Enzyme, die von Genen auf Plasmiden (zytoplasmatische DNA) kodiert werden, können die Antibiotikawirkung hemmen oder abschwächen. Da Plasmide zwischen Bakterienspezies übertragen werden können, erwerben auch Spezies oder Stämme, die zuvor noch auf ein bestimmtes Antibiotikum ansprachen, die Fähigkeit, diese Enzyme zu produzieren. Somit geht ihre Resistenz direkt von resistenten Bakterien auf sie über. Unter einer Antibiotikatherapie findet eine gezielte Auslese neu resistenter Formen statt, da ausschließlich empfindliche Keime abgetötet werden.
8.4.2 Anpassung des Wirts an Veränderungen der Parasiten Auch durch Veränderungen beim Wirt kann sich das Gleichgewicht in einer WirtParasit-Beziehung verschieben. Eindrucksvoll ist die starke Auslese resistenter Genotypen in Kaninchenpopulationen, die dem Myxomatose-Virus ausgesetzt waren; 136
gleichzeitig fand beim Virus selbst eine Selektion nach abnehmender Pathogenität statt (s. Kap. 12). Bei Menschen gibt es keine Beispiele, die dem genau entsprechen. Doch im Laufe der Evolution müssen sich Populationen angesichts lebensbedrohlicher Infektionen unverzüglich verändert haben, um überleben zu können. Ein gutes Beispiel ist der Selektionsdruck durch den Erreger der Malaria tropica (Plasmodium falciparum), welcher für die Persistenz zahlreicher Hämoglobinopathie-Allele (z.B. Sichelzellhämoglobin, HbSC) verantwortlich ist. Obwohl solche Anomalien in gewissem Maße schädlich sind, überdaueren sie, weil sie mit einer Resistenz gegen Malaria verbunden sind. In Gebieten mit besonders schweren Malaria-Infektionen hat sich die Häufigkeit in Richtung bestimmter HLA-Antigene verschoben.
Soziale und Verhaltensänderungen sowie genetische Veränderungen sind wichtig für die Beeinflussung von Wirt-Parasiten-Beziehungen Durch soziale und Verhaltensänderungen kann sich eine Wirt-Parasit-Beziehung im positiven wie im negativen Sinne verändern (Tab. 8.2). Nachdem viele bakterielle Darminfektionen mit der veränderten Lebensweise an Bedeutung verloren, gibt es in den entwickelten Ländern aktuell andere mikrobiologische Probleme, deren Auftreten direkt auf soziologische, Umwelt- (ökologische) oder auch medizinische Veränderungen zurückzuführen ist. Ein besonders gutes Beispiel sind durch Haustiere ausgelöste Erkrankungen (wie Toxoplasmose), weil sie zeigen, dass manche Infektionen bei Menschen nur deshalb seltener geworden sind, weil sie keinen Erregerkontakt mehr hatten, und nicht etwa, weil angeborene Resistenz eine Infektion verhindert hätte. Kontakte zu infizierten Tieren oder tierischen Produkten (Zoonosen) stellen eine ständige Bedrohung dar, und manche Infektionen können sich zu einer echten Gefahr ausweiten, wenn sich das bisherige Muster des Mensch-TierKontakts verhaltens- oder umweltbedingt verändert.
137
Tab. 8.2 Infektionskrankheiten im sich wandelnden menschlichen Umfeld
138
Zusammenfassung ■ Außen (Haut) und innen ist der menschliche Körper von zahlreichen nützlichen Keimen besiedelt (sog. Normalflora). Sie verursachen keine Krankheit und schützen ihn vor pathogenen Keimen. ■ Die vorwiegend aus Bakterien bestehende Normalflora umfasst auch einzelne Pilze und Protozoen. ■ In zuvor sterilen (keimfreien) Körperbereichen können auch Keime der Normalflora Schaden anrichten. Sie können Hauptursache nosokomialer (im Krankenhaus erworbener) Infektionen sein. ■ Zur Normalflora unterhält der Körper in der Regel eine nützliche symbiotische Beziehung, während parasitäre Symbiosen schädlich für ihn sind. Im weitesten Sinne sind alle pathogenen (Mikro-)Organismen parasitär. ■ Grundlegend für das Verständnis und die Bekämpfung von Infektionskrankheiten sind der biologische Kontext und die Dynamik des Konflikts zwischen den beteiligten Spezies in Wirt-Parasiten-Beziehungen. ■ Veränderungen in der medizinischen Praxis, im menschlichen Verhalten und nicht zuletzt bei den Erregern haben zu einem breiteren Keim/Krankheitsspektrum geführt.
139
FRAGEN 1
In der Normalflora vertreten sind Candida Streptokokken Staphylokokken Bacteroides alle diese Keime? 2 Bakterien der Normalflora finden sich in besonders großer Zahl a) im Mund b) auf der Haut c) im Dickdarm d) in der Vagina e) in der Nase? Auf Parasiten trifft nicht zu, dass 3 a) der Wirt ihnen ihre Umgebung bietet b) der Wirt ihren metabolischen Bedarf deckt c) der Wirt ihre Entwicklung kontrolliert d) sie immer Krankheiten auslösen e) sie sich durch Anpassung der Immunabwehr des Wirts entziehen können? 4 Für das veränderte Infektionsmuster in der modernen Gesellschaft relevant sind a) häufiges Reisen b) vermehrte Haustierhaltung c) Einsatz von Antibiotika d) Klimaanlagen e) alle genannten Gründe? a) b) c) d) e)
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G. (Hrsg.) Medizinische Mikrobiologie, 8. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München Jena 2001. Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Pathogenesis of Infectious Disease. 5th ed. Academic Press, New York 2001
140
9
Das angeborene Immunsystem 9.1 Angeborene und erworbene Immunität 77 9.2 Abwehr gegen eindringende Erreger 78 9.3 Abwehr gegen eingedrungene Erreger 78 9.3.1
Phagozyten 78
9.3.2
Phagozytose und Keimabtötung 81
9.3.3
Komplementaktivierung 84
9.3.4
Akute-Phase-Proteine 89
9.3.5
Andere extrazelluläre Faktoren gegen Mikroorganismen 89
9.3.6
Extrazelluläre Abtötung 90
Zur Orientierung In den vorhergehenden Kapiteln haben wir in Grundzügen einige Eigenschaften der zahllosen Mikro- und Makroparasiten, die den Körper infizieren können, geschildert. Hier wechseln wir die Perspektive, um zu sehen, mit welchen Mitteln sich der Körper gegen Infektionserreger zu wehren versucht.
9.1
Angeborene und erworbene Immunität
Unter Umständen genügt die vorhandene Abwehr, um nach einer Infektion die Vermehrung und Ausbreitung der Erreger – d.h. eine Erkrankung – zu verhindern. Auf diese etablierten Abwehrmechanismen bezieht sich der Begriff „angeborenes“ Immunsystem. Falls es nicht gelingt, eingedrungene Keime mit den angeborenen unspezifischen Immunmechanismen zu parieren, tritt das sog. erworbene Immunsystem auf den Plan, nur braucht es etwas Zeit, seine volle Wirkung zu entfalten (Abb. 9.1). Wenn es Wirkung zeigt, kann im Allgemeinen nach Beseitigung des Erregers die Regeneration einsetzen. Der Hauptunterschied zum angeborenen Immunsystem ergibt sich durch ein spezifisches Gedächtnis; d.h., die Erinnerung an eine Infektion prägt sich dem erworbenen Immunsystem ein, so dass es bei einer erneuten Infektion mit demselben Erreger sehr viel schneller und effizienter agieren kann. Allerdings bleibt anzumerken, dass beide Immunsysteme eng (synergistisch) zusammenarbeiten und dass sich durch ständige Anpassung der erworbenen auch die Wirksamkeit der angeborenen Immunreaktionen verbessert. Unterschiede zwischen beiden Immunsystemen zeigt Tab. 9.1. Zum angeborenen Immunsystem gehören neben löslichen Faktoren wie Lysozym und Komplement auch „Fresszellen“, während die Antikörperproduktion (von Lymphozyten) und T-Zellen die wichtigsten Elemente des erworbenen Immunsystems darstellen. Diese Lymphozyten bewirken nicht nur eine verbesserte Resistenz bei wiederholtem Erregerkontakt, sondern werden auch mit einem genau für diese Infektion spezifischen
141
Gedächtnis ausgestattet. Nach durchgemachter Maserninfektion bezieht sich also das Gedächtnis ausschließlich auf das Masernvirus, nicht aber z.B. auf das Rötelnvirus.
Abb. 9.1 Angeborene und erworbene Immunität.
Zunächst treffen Keime auf Elemente des angeborenen Immunsystems. Reicht deren Abwehr aus, wird eine Erkrankung verhindert (1), falls nicht, kann die Krankheit ausbrechen (2). Dann wird das erworbene Immunsystem aktiv (3), leitet die Genesung (4) ein und baut ein spezifisches immunologisches Gedächtnis (5) auf. Weil der Betreffende immun geworden ist, führt eine Reinfektion mit demselben Erreger danach in der Regel nicht mehr zur Erkrankung (6).
142
Tab. 9.1 Angeborenes (unspezifisches) und erworbenes (spezifisches) Immunsystem im Vergleich.
9.2
Abwehr gegen eindringende Erreger
Biochemische und physikalische Barrieren an der Körperoberfläche Um in den Körper einzudringen, müssen Erreger erst die biochemischen und physikalischen Barrieren an der Körperoberfläche überwinden. Eine der wichtigsten Schutzvorrichtungen ist die Haut, die infektiöse Keime normalerweise nicht durchlässt. Bei vielen Bakterien wirkt sich der niedrige pH-Wert der Haut (Milch- und Fettsäuren im Schweiß und Talgdrüsensekret) direkt hemmend aus, so dass sie nicht lange überleben (Abb. 9.2). An offenen Stellen der Haut, z.B. nach Verbrennung, können Hautinfektionen jedoch zum Problem werden. Auch der von inneren Schleimhautflächen abgesonderte Mukus (Schleim) bildet eine schützende Barriere, weil er die Adhärenz von Bakterien an Epithelzellen und damit ihr Eindringen in den Körper verhindert. Bakterien und andere Partikel, die sich in dem klebrigen Schleim fangen, können dann auf mechanischem Wege (Zilienbewegung, Husten, Niesen) entfernt werden. Einen mechanischen Schutz für oberflächliche Epithelschichten bieten auch Tränen, Speichel und Urin mit ihrer Spülwirkung. Zudem enthalten viele Körperflüssigkeiten keimtötende (mikrobizide) Wirkstoffe, z.B. der
143
Magensaft Salzsäure, die Samenflüssigkeit Spermin und Zink, die Brustmilch Laktoperoxidase und Tränen, Nasensekret oder Speichel Lysozym.
Abb. 9.2 Äußere Abwehr.
Die meisten infektiösen Erreger werden durch biochemische und physikalische Barrieren daran gehindert, in den Körper einzudringen. Hinzu kommt, dass vom Körper tolerierte Kommensalen pathogene Keime verdrängen können. Das Phänomen des mikrobiellen Antagonismus hängt mit der Normalflora des Körpers zusammen. Das Wachstum pathogener Bakterien und Pilze wird an vielen Stellen der Körperoberfläche durch kommensale Keime unterdrückt. Dafür gibt es mehrere Gründe: Da kommensale Keime zuerst da waren und bevorzugt Epithelschichten besetzt haben, sind sie 1) physisch im Vorteil; 2) konkurrieren sie um essenzielle Nährstoffe und 3) produzieren sie Hemmstoffe wie Säuren oder Colicine. Letztere sind eine Klasse von Bakteriocinen, die Bakterien abtöten, indem sie an deren negativ geladene Oberflächenrezeptoren binden und spannungsabhängige Membrankanäle bilden, die das Spannungspotenzial der Zellen zerstören.
144
9.3
Abwehr gegen eingedrungene Erreger
Trotz dieser wirksamen Barrieren gelingt es Mikroorganismen, in den Körper einzudringen. In diesem Fall kommen zwei wichtige Abwehrstrategien ins Spiel: ■ Phagozytose, d.h., spezialisierte Fresszellen („professionelle Phagozyten“) nehmen eingedrungene Keime auf und töten sie ab. ■ Auflösung/Zerstörung durch chemische Faktoren wie z.B. bakterizide Enzyme.
9.3.1 Phagozyten Phagozyten bestehen hauptsächlich aus zwei Zellfamilien, die ursprünglich von dem russischen Zoologen Elie Metchnikoff (s. Kasten) beschrieben wurden, nämlich ■
größere Makrophagen und
■ kleinere polymorphkernige Granulozyten (sie werden auch als Neutrophile bezeichnet, da sich ihre Granula im Zytoplasma nicht mit Hämatoxylin-Eosin anfärben lassen) Vereinfacht lässt sich sagen, dass Polymorphkernige vor allem pyogene (Eiter bildende) Bakterien abwehren, die Stärke der Makrophagen dagegen in der Bekämpfung von Erregern innerhalb der Wirtszellen liegt.
Makrophagen sind in allen Geweben verbreitet Makrophagen stammen von Promonozyten im Knochenmark ab, die sich zu frei im Blut zirkulierenden Monozyten weiterentwickeln (Abb. 9.3). Zu Makrophagen herangereift, kommen sie in allen Geweben vor und werden zum mononukleären Phagozytensystem zusammengefasst (Abb. 9.4). Makrophagen sind besonders im Bindegewebe und an der Basalmembran kleiner Blutgefäße verbreitet. Höhere Konzentrationen weisen Lunge (Alveolarmakrophagen), Leber (Kupffer-Zellen) sowie die Auskleidung der Marksinus von Lymphknoten und Milz auf (Abb. 9.5). An diesen Stellen sind sie gut platziert, um Fremdstoffe herauszufiltern (Abb. 9.6). Weitere Beispiele sind Makrophagen in der Mikroglia des ZNS, in Mesangiumzellen der Nieren, A-Zellen der Synovia und Osteoklasten in Knochen.
145
Abb. 9.3
Phagozyten.
a) Blutmonozyt, b) polymorphkerniger Neutrophiler, die beide von Vorläuferzellen im Knochenmark abstammen (mit freundlicher Genehmigung von P.M. Lydyard)
Geschichte der Mikrobiologie Elie Metchnikoff (1845–1916) Der scharfsichtige russische Zoologe gilt zu Recht als geistiger Vater des Konzepts der zellvermittelten Immunität (Abwehr mikrobieller Infektionen durch spezialisierte Zellen). Fasziniert von beweglichen Zellen in den durchsichtigen Seestern-Larven, machte Metchnikoff eine entscheidende Beobachtung: Ein Rosendorn, der in die Larven gestochen wurde, war wenige Stunden später von diesen beweglichen Zellen umringt. Auf Säugetiere ausdehnt ergaben seine Untersuchungen, dass Leukozyten Mikroorganismen aufnehmen können. Diesen Vorgang bezeichnete er als Phagozytose (wörtlich: von Zellen gefressen). Als sich herausstellte, dass der Vorgang noch effektiver war, wenn sich Tiere gerade von einer Infektion erholten, folgerte er, Phagozytose sei bei Infektionen das wichtigste Prinzip der Abwehr. Für Metchnikoff gab es zwei Arten zirkulierender Phagozyten: Mikrophagen, wie er die polymorphkernigen Leukozyten nannte, und die größeren Makrophagen. Die von Metchnikoff vertretene Ansicht, zelluläre Immunität beruhe auf Phagozytose als der wichtigsten, wenn nicht sogar einzigen Form der Erregerabwehr, war sicher zu einseitig. Heute wissen wir, dass das phagozytäre System in seiner Wirkung durch humorale Faktoren (vor allem Antikörper und Komplement) enorm verstärkt wird.
146
Elie Metchnikoff (1845–1916), Abdruck mit Genehmigung der Wellcome Institute Library, London
Abb. 9.4
Mononukleäres Phagozytensystem.
Gewebsmakrophagen entwickeln sich aus Blutmonozyten, die im Knochenmark gebildet werden (gleiche Nummerierung wie in Abb. 9.5)
147
Abb. 9.5 Zelluläre Verteilung mononukleärer Phagozyten.
Abb. 9.6 Ablagerung intravenös injizierter Partikel im mononukleären Phagozytensystem.
Rechts eine Maus, die fünf Minuten nach der Injektion feiner Kohlenstaubpartikel getötet wurde. Der Kohlenstaub hat sich in Organen angereichert, die besonders viele mononukleäre Phagozyten aufweisen: Lunge (L), Leber (V), Milz (S) und Bezirke der Darmwand (G). Links eine Maus mit normalen Organfarben (mit freundlicher Genehmigung von P.M. Lydyard).
148
Im Allgemeinen handelt es sich um langlebige Zellen, die ihre (Stoffwechsel-)Energie aus Mitochondrien beziehen. Neben Bestandteilen des rauen endoplasmatischen Retikulums (Abb. 9.7) weisen sie ein ganzes Arsenal sekretorischer Proteine auf, die von den jeweiligen Zellen gebildet werden.
Polymorphkernige weisen unterschiedliche enzymhaltige Granula auf Auch die Polymorphkernigen teilen sich – als dominierende weiße Blutzellen – wie die Makrophagen eine gemeinsame hämatopoetische Vorläuferzelle mit anderen festen Blutbestandteilen. Da sie keine Mitochondrien besitzen, decken sie ihren Energiebedarf aus den reichhaltigen Glykogenspeichern im Zytoplasma. Dank Glykolyse können sie ihre Funktion auch unter anaeroben Bedingungen (wie sie in Entzündungsherden vorherrschen) aufrechterhalten. Polymorphkernige sind kurzlebige Zellen mit segmentiertem Kern, die sich nicht teilen (Abb. 9.8); typisch für sie ist die üppige Granulaausstattung des Zytoplasmas, z.B. (in absteigender Reihenfolge) mit: ■ azurophilen Granula (enthalten Myeloperoxidase, bestimmte Lysozyme und kationische Proteine), ■
spezifischen Granula (mit Laktoferrin und Lysozym),
■
konventionellen Granula (mit sauren Hydrolasen wie für Lysosomen typisch).
9.3.2 Phagozytose und Keimabtötung Phagozyten erkennen pathogen-assoziierte molekulare Muster Um Mikroorganismen aufnehmen und verdauen zu können, müssen sie zunächst an Oberflächenrezeptoren der professionellen Phagozyten andocken. Das setzt voraus, dass ein bestimmtes, sich wiederholendes molekulares Muster der Keime (pathogenassociated molecular pattern, PAMP) von den Rezeptoren erkannt wird (Abb. 9.9). Mit anderen Worten: Phagozyten-Rezeptoren binden sich an wiederkehrende Kohlenhydratmotive in PAMP, z.B. an die Lipopolysaccharide Gram-negativer Bakterien, Mannane in der Zellwand von Hefepilzen oder an Glykolipide der Mykobakterien. Beispiele intrazellulärer PAMPs sind die nichtmethylierten GuanosinCytosin(CpG)-Sequenzen in der Bakterien-DNA und die doppelsträngige RNA von RNA-Viren.
149
Abb. 9.7 vergr.
Monozyt mit „Hufeisenkern“ (N), 8000 x
Erkennbar sind Phagozytose- bzw. Pinozytose-Vesikel (P), lysosomale Granula (L), Mitochondrien (M) und vereinzelt Spuren von rauem endoplasmatischem Retikulum (E). (Abdruck mit Genehmigung von B. Nichols, Copyright Rockefeller University Press)
Abb. 9.8
Neutrophiler Granulozyt.
Gut erkennbar sind Segmentierung (Lappen) des Kerns und Granula im Zytoplasma (mit freundlicher Genehmigung von D. McLaren).
Abb. 9.9
Phagozytose. 150
a) Wenn sie pathogenassoziierte molekulare Muster (PAMP) wie z.B. Lipopolysaccharide erkannt haben, docken Phagozyten mit ihren Oberflächenrezeptoren an Mikroorganismen an (blau im Bild). b) Mit Aktivierung der Zellmembran bilden sich Pseudopodien, die sich um den Keim legen und ihn in ein Phagosom einschließen. c) Im Innern dieser Vakuole verschmelzen die diversen Granula mit dem Phagosom zum Phagolysosom. d) Durch eine ganze Batterie mikrobizider Abbaumechanismen wird der Keim schließlich abgetötet und werden seine Produkte ausgeschieden.
151
PAMP-Erkennung bewirkt die Aktivierung von Phagozyten Sobald sie über ihre Rezeptoren das Signal erhalten, dass sich Mikroorganismen angeheftet haben, können Phagozyten mit der Aufnahme beginnen. In dieser (Ingestions-) Phase wird ein kontraktiles Aktin-Myosin-System aktiv; es streckt Zytoplasma-„Arme“ um das Partikel herum aus, bis es komplett in einer Vakuole (Phagosom) eingeschlossen ist (Abb. 9.9 und 9.10). Kurz danach entleeren die zytoplasmatischen Granula – nach Verschmelzung mit dem Phagosom – ihren Inhalt rund um den eingeschlossenen Keim.
Nach der Einverleibung werden Mikroorganismen zum Ziel tödlicher Abwehrmechanismen Mit beginnender Phagozytose senden Mikroorganismen auch über eine Familie von Toll-like-Rezeptoren Signale aus. Diese Rezeptoren – deren Gene als äquivalent zu Toll- Genen bei der Fruchtfliege Drosophila entdeckt wurden und bei dieser eine entscheidende Rolle sowohl in der Entwicklung als auch in der Abwehr von Pilzinfektionen spielen – organisieren jeweils die Abwehr gegen verschiedene Arten von Infektionen.
Abb. 9.10 Elektronenmikroskopische Untersuchung der Phagozytose.
Beide Aufnahmen zeigen humane Phagozyten, die Latexpartikel (Lt) aufnehmen. a) 3000 ×, b) 4500 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von C.H.W. Horne) Mittels NFκB wird eine NADPH(reduziertes Nikotinamid-Adenin-DinukleotidPhosphat)-Oxidase, die nur in der Plasmamembran vorkommt, aktiviert. Sie kann Sauerstoff zu einer Reihe gut wirksamer mikrobizider Substanzen (Superoxidanionen, Wasserstoffperoxid, Sauerstoffradikale und Hydroxylradikale) reduzieren (Abb. 9.11, s. Kap. 14). Das im Anschluss durch Peroxid mit
152
Myeloperoxidase aus Halogenid-Ionen erzeugte Halogenierungssystem kann Bakterien und Viren äußerst wirksam abtöten. Das Enzym Superoxiddismutase setzt am Superoxidanion an, um es in molekularen Sauerstoff und Wasserstoffperoxid zu überführen. Dabei werden Wasserstoffionen verbraucht. Das erklärt den anfänglichen leichten pH-Anstieg, durch den die antibakterielle Wirkung einer Familie kationischer Proteine aus den Phagozytengranula gesteigert wird. Diese Proteine verursachen durch die proteolytische Wirkung von Kathepsin G und direkte Adhärenz an der Oberfläche eine Membranschädigung der Mikroorganismen. Defensine verdanken es ihrer amphipathischen Struktur, dass sie sich in die Zellmembran von Mikroorganismen einfügen können, um sie durch spannungsabhängige Ionenkanäle zu destabilisieren. Diese antibiotisch wirksamen Peptide erreichen ungewöhnlich hohe Konzentrationen in Phagosomen und eignen sich für ein breites Keimspektrum (Bakterien, Pilze und Hüllviren). Wichtige Substanzen sind außerdem: ■ Laktoferrin – bindet Eisen und entzieht Bakterien damit den wesentlichen Wachstumsfaktor ■
Lysozym – spaltet die Proteoglykanschicht der Bakterienwand
■ Stickoxid – verdrängt nicht nur Eisen, sondern wirkt zusammen mit seinem Derivat Peroxynitrit-Radikal auch direkt mikrobizid.
153
Abb. 9.11 Antimikrobielle Mechanismen in phagozytären Vakuolen (Phagolysosomen). Mikrobizide Stoffe halbfett gedruckt. Fe/RSH = Eisenkomplex mit Sulfhydrylmolekül, Fe(RS)2 = oxidiertes Fe/RSH, O2− = Superoxidanion, 1O2 = aktivierter Sauerstoff, ·OH = freies Hydroxylradikal, NADPH = reduzierte Form von Nikotinamid-Adenin-Dinukleotid-Phosphat, NADP+ = oxidiertes NADPH, H2O2 = Wasserstoffperoxid, OCl− = Hypochloritanion, NO· = Stickoxid, ·ONOO− = Peroxynitrit-Radikal.
154
Ein weiterer Abfall des pH-Werts sorgt dafür, dass abgetötete oder absterbende Mikroorganismen von sauren hydrolytischen Enzymen weitgehend zersetzt und die Abbauprodukte nach außen freigesetzt werden.
Phagozyten werden durch Chemotaxis mobilisiert und zu Mikroorganismen gelockt Erst wenn sich Bakterien an die Oberflächenrezeptoren von Phagozyten angedockt haben, kann die Phagozytose einsetzen. Das setzt natürlich voraus, dass sich beide nahe genug gekommen sind. Daher müssen Phagozyten von weither auf irgendeine Weise zu den Bakterien hingelenkt werden. Viele Bakterien produzieren chemische Substanzen wie Formylmethionin-Peptide, mit denen sie Leukozyten anlocken; das bezeichnet man als Chemotaxis. Allerdings ist dieses Signal relativ schwach. Doch der Körper wurde im Laufe der Evolution mit einem viel stärkeren „Magneten“ ausgestattet, einer komplexen Reihe von Proteinen, die als Komplementsystem‚ zusammengefasst werden.
9.3.3 Komplementaktivierung Wie Blutgerinnung, Fibrinolyse und Kininbildung stellt auch das Komplementsystem ein wichtiges kaskadenartiges Enzymsystem dar. Kennzeichnend für solche Systeme ist ihre schnelle und sich rasch ausbreitende Antwort auf einen Triggerreiz. Bei dieser Kaskade katalysiert jedes Reaktionsprodukt schon das nächste Enzym. Besonders reichlich ist C3 vertreten (alle Komplementfaktoren werden mit C bezeichnet und fortlaufend nummeriert); es steht im Mittelpunkt des Komplementsystems und seine Aufspaltung bildet das „Herzstück“ aller komplementvermittelten Phänomene. Im normalen Plasma kommt es hin und wieder zu einer spontanen C3-Aktivierung. Dabei entsteht als Spaltprodukt C3b, das mit dem löslichen Komplementprotein Faktor B einen Komplex bilden kann. Unter Einwirkung eines normalen Plasmaenzyms (Faktor D) wird daraus das C3-spaltende Enzym . Diese C3-Konvertase kann weitere C3-Moleküle jeweils in ein kleines C3a-Fragment und C3b aufspalten. Es handelt sich um einen positiven (Feedback-)Regelkreis, der sich ständig erweitern könnte, würde nicht der gesamte Prozess durch stark steuernde Mechanismen in den „Leerlauf“ geschaltet, indem die instabile Flüssigphase-C3-Konvertase in inaktive Spaltprodukte zerfällt (Abb. 9.12). Kann sich die C3-Konvertase an bestimmte Oberflächenmoleküle (wie die Kohlenhydrate bei vielen Bakterien) heften und stabilisieren, ist sie vor dem Zerfall geschützt. Unter diesen Umständen bilden sich aktiv neue C3-Konvertase-Moleküle – und das, was als „alternativer Weg“ der Komplementaktivierung bezeichnet wird, kann sich in voller Geschwindigkeit entwickeln (s. Kap. 10).
Zusammen mit Phagozyten bewirkt Komplement eine akute Entzündungsreaktion Dass bei der alternativen Komplementaktivierung viele C3-Moleküle gespalten werden, hat weit reichende Auswirkungen für die konzertierte Aktion antimikrobieller Abwehrstrategien (Abb. 9.13). Die in großer Zahl in unmittelbarer Nähe der
155
Mikroorganismen gebildeten C3b-Moleküle binden sich kovalent an deren Oberfläche und wirken dort als Opsonine (machen entsprechend überzogene Partikel anfälliger für die Aufnahme durch Phagozyten; s. unten).
Abb. 9.12 Komplementaktivierung durch Mikroorganismen.
Das beim spontanen Zerfall von C3 entstehende C3b bildet mit Faktor B einen Komplex (C3bB), der durch Faktor D gespalten die C3-Konvertase ergibt. Sie kann C3 weiter aufspalten. Die stark von Faktor H und I beeinflusste C3-Konvertase kann sich an der Oberfläche von Mikroorganismen in Anwesenheit von Properdin stabilisieren. Auf einen enzymatisch aktiven Komplex weist der Querstrich hin; iC3b = inaktives C3b.
156
Als nächster Komplementfaktor wird C5 von C3b – und C3-Konvertase – beeinflusst, mit der Folge, dass sich ein kleines C5a-Fragment abspaltet, das zusammen mit C3a eine Degranulation der Mastzellen bewirkt. Dabei werden Mediatoren, die die Gefäßpermeabilität steigern, und chemotaktische Faktoren für Polymorphkernige freigesetzt. Wie dieser Degranulationsprozess abläuft und welche Produkte dabei entstehen, ist in Abb. 9.14 und Tab. 9.2 dargestellt. Basophile sind im Blut zirkulierende Äquivalente zu Gewebemastzellen (Abb. 9.15 bis 9.17). Indem sie interzelluläre Kräfte zwischen den Gefäßendothelzellen beeinflussen und die Kapillarwände durchlässiger machen, steigern Mediatoren die Gefäßpermeabilität. So können Flüssigkeit und Plasmabestandteile (einschließlich Komplementfaktoren) zu einer infizierten Stelle gelangen. Mediatoren der Gefäßpermeabilität (Tab. 9.2) bewirken auch eine erhöhte Aktivität von Adhäsionsmolekülen wie ICAM-1 (intercellular adhesion molecule) und ELAM-1 (endothelial cell leukocyte adhesion molecule). An komplementäre Moleküle auf Polymorphkernigen gebunden, begünstigen sie deren Festhaften an Kapillarwänden, ein Vorgang, den man Margination nennt.
157
Abb. 9.13 Die akute Entzündungsreaktion ist eine defensive Abwehrstrategie, ausgelöst duch bakterielle Aktivierung der alternativen Komplementkaskade.
Wird durch ein Bakterium (1) die C3-Konvertase ( ) aktiviert, entstehen C3b (2), das sich an das Bakterium bindet (3), sowie C3a und C5a (4), die Mastzell(MC)-Mediatoren rekrutieren. Durch sie weiten sich die Kapillargefäße (5), so dass Plasmaproteine austreten können (6), und es kommt chemotaktisch zur Anlockung (7) von Polymorphkernigen, die sich an das mit C3b überzogene Bakterium heften (8) und es dann schließlich abtöten.
158
Abb. 9.14 Nach der Stimulierung (Triggerung) von Mastzellen kommt es auf zwei Wegen zur Mediatorfreisetzung.
1) durch Degranulation (Freisetzung vorgeformter Mediatoren aus den Granula) oder 2) durch Aktivierung von Phospholipase A2 (mit Bildung von Arachidonsäure, die den Lipoxygenase- und Cyclooxygenaseweg in Gang setzt). Bei diesen Vorgängen scheinen intrazelluläres Kalzium (Ca2+) und zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP) eine zentrale Rolle zu spielen, obwohl noch nicht alle Einzelheiten bekannt sind.
159
Tab. 9.2 Mediatorsubstanzen, die nach der Triggerung von Mastzellen freigesetzt werden (Mastzellmediatoren). Chemotaxis bezieht sich auf die gezielte Wanderung der Granulozyten gegen einen (Mediator-)Konzentrationsgradienten, Chemokinesis bezeichnet dagegen eine ungerichtete Motilitätssteigerung dieser Zellen. ECF/NCF = Eosinophilen- bzw. Neutrophilen-chemotaktischer Faktor
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Abb. 9.15 Histologisches Bild einer Mastzelle aus menschlichem (Darm-)Bindegewebe.
Im dunkelblauen Zytoplasma sind bräunliche Granula erkennbar. AlzianblauSafranin-Färbung, 600 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von T.S.C. Orr) Durch chemotaktische Faktoren wird andererseits ein chemischer Gradient erzeugt, der marginierte Polymorphkernige durch die Gefäßwand hindurch zu der Stelle lockt, an der sich als Auslöser des ganzen Prozesses vermutlich ein C3b-überzogenes Bakterium befindet. Wegen des definierten C3b-Oberflächenrezeptors bleiben opsonisierte Bakterien ziemlich fest an diesen neu ankommenden Polymorphkernigen haften. Die Anhäufung von Neutrophilen wird zusammen mit der durch hydrostatische und osmotische Druckveränderungen bedingten Erythem- (Dilatation der Kapillargefäße) und Ödembildung (Exsudation von Plasmaproteinen und Flüssigkeit) unter dem Begriff akute Entzündungsreaktion zusammengefasst. Auf diese Weise werden Phagozyten höchst effizient zu ihren (komplementüberzogenen) Zielen gelenkt. Dass auch Makrophagen, wenn sie durch Bakterientoxine wie Lipopolysaccharide (LPS), durch die Wirkung von C5a oder die Phagozytose C3b-überzogener Bakterien stimuliert werden, akute Entzündungsmediatoren sezernieren können, die den Weg zu den Mastzellen verstärken, dürfte einleuchtend sein (Abb. 9.18).
161
Abb. 9.16 Elektronenmikroskopische Aufnahmen peritonealer Mastzellen (Ratte).
a)
nicht degranulierte Zelle mit elektronendichten Granula (6000 × vergr.)
b) Granula im Moment der Exozytose (30000 × vergr.) (mit freundlicher Genehmigung von T.S.C. Orr)
Der von C9-Molekülen gebildete „Membranangriffskomplex“ ist an der Lyse beteiligt 162
Es wurde bereits erwähnt, dass als nächster Komplementfaktor nach der C3Aktivierung C5 gespalten wird. Das größere C5b-Fragment bleibt mit der Membran verbunden und danach lagern sich C6, C7 und C8 daran an. An diesem Komplex kann C9 als terminaler Komplementfaktor eine entscheidende Konformationsänderung herbeiführen. Hat sich das C9-Molekül entfaltet, wird es in die Lipiddoppelschicht eingefügt und polymerisiert, so dass ein ringförmiger Membranangriffskomplex (MAC) entsteht (Abb. 9.19 und 9.20).
Abb. 9.17
Basophilen-Morphologie. a) Im Blutausstrich typischer Basophiler mit tiefblau-violetten Granula (Wright-Färbung, 1500 × vergr.) b) Ultrastruktur eines Basophilen (aus der Haut eines Meerschweinchens) in einer elektronenmikroskopischen Aufnahme. N = Zellkern, G = typisch ungeordnete Granulaverteilung). 6000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. McLaren) Wie ein Kanal durchquert er die Membran und ist für Wasser und Elektrolyte voll durchlässig. Bedingt durch den hohen kolloidosmotischen Druck im Zellinnern strömt mehr Natrium (Na+) ein, was häufig zur Lyse führt.
163
Abb. 9.18 Rolle der Makrophagen (Mp) bei einer akuten Entzündung.
Auf entsprechende Reize beginnen Makrophagen, Mediatoren zu sezernieren. Blut-Neutrophile heften sich an Adhäsionsmoleküle von Endothelzellen, um sich mit deren Zugkraft einen Weg zwischen Zellen der Basalmembran (mithilfe der sezernierten Elastase) hindurch und gegen den chemotaktischen Gradienten zu bahnen. Während dieses Vorgangs werden sie immer stärker durch NAP-2 (neutrophil activating peptide 2) aktiviert. PGE2 = Prostaglandin E2, LTB4 = Leukotrien B4, IL-1 = Interleukin 1, PMN = polymorphkernige Neutrophile, TNFα = Tumornekrosefaktor α, ELAM-1 = endothelial cell leukocyte adhesion molecule 1, ICAM-1 = intercellular adhesion molecule 1)
Abb. 9.19 C5b–9.
Der Membranangriffskomplex (MAC)
164
(1) Durch Rekrutierung eines weiteren C3b-Moleküls entsteht aus dem aktiven Enzymkomplex eine C5-Konvertase, die C5a von C5 abspaltet; der C5b-Rest bleibt an der Membran. (2) Sobald sich C5b fest an die Membran gebunden hat, bildet sich durch Anlagerung von C6 und C7 ein stabiler Komplex (C5b67), aus dem nach Interaktion mit C8 schließlich C5b678 entsteht. (3) Diese Einheit ist zwar in gewisser Weise membranschädigend, bewirkt aber in erster Linie, dass C9 röhrenförmig quer durch die Membran polymerisiert. Die Gesamtstruktur dieser Röhren (Membrankanal) wird als MAC bezeichnet. (4) Da das Gebilde die Membran durchbricht, kann ein freier Austausch gelöster Stoffe stattfinden, was zur Zelllyse führt.
165
Abb. 9.20 Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Membranangriffskomplexes (MAC).
Die trichterartige Läsion (Pfeil) beruht auf einem humanen C5b–9-Komplex, welcher eine Pore bildet, die die Doppelmembran durchspannt. 234000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von J. Tranum-Jensen und S. Bhakdi)
9.3.4 Akute-Phase-Proteine Unter dem Begriff Akute-Phase-Proteine werden bestimmte Proteine zusammengefasst, deren Plasmakonzentration sich erhöht, sobald bei einer Infektion oder Gewebeschädigung frühe „Alarmstoffe“ freigesetzt werden, z.B. Zytokine wie Interleukin 1 und 6 (IL-1, IL-6) oder Tumornekrosefaktor (TNF). Bei vielen AkutePhase-Proteinen wie dem Mannose-bindenden und dem C-reaktiven Protein (CRP) kommt es entzündlich bedingt zu einem deutlichen Anstieg (Abb. 9.21). Wie die professionellen Phagozyten benutzen auch diese beiden Proteine molekulare Muster erkennende (PAMP-)Rezeptoren, um sich an entsprechende Pathogene zu binden und eine effektive Abwehr sicherzustellen (Abb. 9.22). Bei anderen Akute-Phase-Proteinen zeigt sich hingegen nur ein mäßiger, in der Regel nicht mehr als fünffacher Konzentrationsanstieg (Tab. 9.3). Vermutlich üben sie eine Abwehrfunktion aus.
166
9.3.5 Andere extrazelluläre Faktoren gegen Mikroorganismen Viele der mikrobiziden Stoffe, die innerhalb von Phagolysosomen wirksam werden, kommen auch in anderen Körperflüssigkeiten in Konzentrationen vor, durch die Infektionskeime direkt gehemmt werden können. So kann z.B. in Tränen oder im Speichel genügend Lysozym vorhanden sein, um die Proteoglykanschicht empfindlicher Bakterien zu schädigen. In ähnlicher Weise kann Bakterien durch Eisenkomplexbildung, wenn die Laktoferrin-Konzentration im Blut ausreicht, ein wichtiger Wachstumsfaktor entzogen werden.
Abb. 9.21
Akute-Phase-Proteine
sind Serumproteine, deren Konzentration bei einer Infektion schlagartig (siehe Kurve) – manchmal bis zum 100fachen – ansteigen kann, wie hier exemplarisch für das C-reaktive Protein (CRP) dargestellt. Sie erfüllen eine wichtige Funktion bei der angeborenen Immunität. CRP bindet kalziumabhängig (Ca2+) an verschiedene Molekülgruppen auf Bakterien und Pilzen. Seine Mustererkennung dient aber besonders dazu, sich an den Phosphocholinanteil von Pneumokokken zu binden. Somit wirkt CRP als Opsonin, das Komplement aktiviert – mit allen Folgen. Das Mannose-bindende Protein reagiert nicht nur mit Mannose, sondern auch mit anderen Zuckern; daher kann es sich an eine Vielzahl Gram-negativer und Grampositiver Bakterien, Hefepilze, Viren und Parasiten binden, um das Komplementsystem und Phagozyten zu aktivieren. 167
Abb. 9.22
PRRs und PAMPs.
Eine Hauptabwehrstrategie gegen Pathogene besteht darin, dass humorale Faktoren (CRP oder Mannose-bindendes Protein) ebenso wie professionelle Phagozyten, wenn sie PAMPs (pathogen-associated molecular patterns) erkennen, sich mit ihren Muster erkennenden Rezeptoren (pattern recognition receptors, PRRs) an die Oberfläche dieser Mikroorganismen heften und über Transducer-(Wandler)Strukturen das Signal für den Einsatz geeigneter Effektorfunktionen geben. Ob auch Substanzen wie reaktive Sauerstoffmetaboliten oder TNF (ein zytotoxisches Produkt von Makrophagen und anderen Zellen), die normalerweise nur auf kurze Distanz wirken, eine ausreichend hohe Konzentration in Körperflüssigkeiten haben können, um selbst in einiger Entfernung zur produzierenden Zelle noch wirksam zu sein, wird in Kap. 14 besprochen; dort werden besonders die Mechanismen berücksichtigt, mit denen Blutparasiten (Malaria) attackiert werden.
168
Tab. 9.3 Produktion von Akute-Phase-Proteinen als Reaktion auf eine Infektion modif. nach Stadnyk, A.W. & Gauldie, J.: The acute phase protein response during parasitic infection. Immunology Today, 1991, 7: A7–A12
Interferone – ein breites Spektrum antiviraler Moleküle Interferone (IFN) sind im Tierreich weit verbreitet (s. Kap. 14). Bekannt wurden sie durch das Phänomen der Virusinterferenz, d.h., dass sich eine Zelle, die mit einem Virus infiziert ist, gegenüber einem zweiten, nicht verwandten Virus (Superinfektion) als resistent erweist. Während viele verschiedene α-Interferone (IFNα) von Leukozyten produziert werden, wird IFNβ von Fibroblasten und möglicherweise von anderen Zelltypen synthetisiert. Da IFNγ nicht zu den Komponenten des angeborenen Immunsystems gehört, wird es später als wichtiges Mitglied der Zytokinfamilie besprochen (s. Kap. 10).Virusinfizierte Zellen synthetisieren und sezernieren Interferone, die sich über spezifische Rezeptoren an benachbarte, nicht infizierte Zellen binden. Das gebundene Interferon bewirkt, dass zwei neue Enzyme synthetisiert werden, die den Apparat stören, den das Virus zu seiner Replikation benutzt (Näheres zum Wirkmechanismus von IFN s. Kap. 14). Das Endergebnis sind erregerresistente Zellen, die sich strangförmig um den Infektionsherd herumlegen und seine Ausbreitung verhindern (Abb. 9.23).
Abb. 9.23
Wirkung von Interferon (IFN).
169
Virusinfizierte Zellen induzieren die Produktion von IFN, das freigesetzt und an IFN-Rezeptoren anderer Zellen gebunden wird. Dort bewirkt es die Produktion antiviraler Proteine, die aktiv eine Virusinfektion anderer Zellen verhindern. NK = natürliche Killerzellen, MHC = major histocompatibility complex, Haupthistokompatibilitätskomplex In Experimenten zeigte sich, dass IFN in vivo hoch wirksam ist. Wurde Mäusen ein Antiserum gegen murines IFN injiziert, starben sie schon durch eine 100fach geringere Viruslast als Mäuse der Kontrollgruppe. Anzumerken bleibt, dass IFN aber ganz offensichtlich wichtiger für die Erholung als für die Prävention von Infektionen ist.
170
9.3.6 Extrazelluläre Abtötung Natürliche Killerzellen lagern sich an virusinfizierte Zellen an, was diese von normalen Zellen abgrenzt Viren könnten nach einer weit verbreiteten Ansicht Fragmente aus dem Genom vielzelliger Organismen sein, die extrazellulär überlebt haben. Das Virusgenom enthält jedoch nur eine kleine Zahl von Genen, zu denen keine für die Replikation erforderlichen Gene zählen. Dementsprechend müssen Viren, um sich nach der Infektion zu replizieren, in Wirtszellen eindringen und auf deren Zellapparat zurückgreifen. Natürlich liegt es im Interesse des Wirts, infizierte Zellen möglichst rasch abzutöten, bevor das Virus die Chance erhält, sich zu vermehren. Genau diese Aufgabe übernehmen die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen). Bei diesen zytotoxischen Zellen handelt es sich um große granuläre Lymphozyten (LGL, large granular lymphocytes), die sich mit ihren lektinartigen Rezeptoren an bestimmte Oberflächenstrukturen (wahrscheinlich Glykoproteine) virusinfizierter Zellen binden und sie markieren, damit sie sich von normalen Zellen abgrenzen (Abb. 9.24). Die Aktivierung der NK-Zellen führt zur Entleerung des Granulainhalts in den extrazellulären Raum zwischen Ziel- und Effektorzelle. In den Granula sind unter anderem Perforinmoleküle enthalten, die in vielerlei Hinsicht C9 ähneln. Das gilt besonders hinsichtlich ihrer Fähigkeit, sich in Zellmembranen zu inserieren und durch Polymerisierung ringförmige transmembranäre Poren (vergleichbar dem Membranangriffskomplex) zu bilden. Das erlaubt den Zustrom von Granzym B, einem Granularprotein, das zum programmierten Tod (Apoptosis) der Zielzelle führt. Vermittelt wird der Prozess durch eine Kaskade proteolytischer Enzyme (sog. Caspasen), an deren Ende die endgültige Zerstörung der DNA durch eine kalziumabhängige Endonuklease steht (Abb. 9.25). Ersatzweise können auch andere Mechanismen den Caspaseweg starten: z.B. indem sich der Fas-Ligand der NK an Fas der Zielzelle bindet oder der Tumornekrosefaktor (TNF) aus den Granula der NK Oberflächenrezeptoren der Zielzelle besetzt. TNF sah man zunächst als Produkt aktivierter Makrophagen an, von denen bekannt war, dass sie andere Zellen, besonders Tumorzellen, abtöten können. Aktivierte Makrophagen können sich aber noch auf andere Art zytotoxisch auswirken, nämlich die Zelloberfläche direkt schädigen, und zwar durch einen Strom reaktiver Sauerstoff-Zwischenprodukte, die durch den oben beschriebenen Sauerstoffüberschuss (oxygen burst) an der Zellmembran von Makrophagen entstehen (Abb. 9.11).
Gegen größere Parasiten kommen Eosinophile zum Einsatz Man kann sich leicht vorstellen, dass professionelle Phagozyten viel zu klein sind, um z.B. große Wurmparasiten aufzunehmen. Besser ist eine alternative Strategie nach Art der extrazellulären Abwehr, wie sie oben beschrieben wird. Eosinophile haben sich offensichtlich dahingehend entwickelt, diese Funktion zu übernehmen. 171
Abb. 9.24 Elektronenmikroskopische Aufnahme einer NK-Zelle, die gerade eine Tumorzelle (TC) abtötet.
NK binden und zerstören IgG-markierte und auch nicht-markierte Tumorzellen (Abb. 10.13). Um ihre Wirkung vermitteln zu können, müssen NK- und Tumorzelle dicht beieinander liegen. 4500 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von P. Lydyard). Dabei handelt es sich um polymorphkernige Verwandte der Neutrophilen, deren Zytoplasma-Granula sich mit sauren Farbstoffen kräftig anfärben (Abb. 9.26) und ultrastrukturell ein typisches Bild ergeben. Diese Granula weisen im Kern ein basisches Protein (major basic protein, MBP) auf, während die Grundsubstanz ein kationisches Protein (eosinophil cationic protein, ECP), Peroxidase und perforinähnliche Moleküle enthält. Eosinophile haben Oberflächenrezeptoren für C3b und bilden, wenn sie aktiviert werden, Massen aktiver Sauerstoffmetaboliten. Viele Helminthen können das Komplementsystem auf dem alternativen Weg aktivieren. Auch wenn sie gegen einen C9-Angriff resistent sind, enthält ihre Außenhülle doch C3b-Moleküle. An sie können sich Eosinophile über C3bRezeptoren binden. Sind Eosinophile erst einmal aktiviert, bringen sie ihre ganzen extrazellulären Wirkstoffe in Aktion (Freisetzung von MBP und ECP), um die Parasitenhülle zu beschädigen. Zusätzlich können sie auf chemische Schädigung (durch Sauerstoffmetaboliten) und Durchlöcherung der Zellmembran („leckende“ Poren durch Perforin) zurückgreifen.
Abb. 9.25 Lyse einer virusinfizierten Zielzelle durch eine NK-Zelle (schematisch).
172
Nach Rezeptorbindung der NK an die infizierte Zelle kommt es zur Exozytose ihrer Granula. Dabei werden zytolytische Mediatorsubstanzen in den interzellulären Spalt freigesetzt. Nach einer kalziumabhängigen Konformationsänderung können sich Perforine in die Zellmembran inserieren und durch Polymerisation transmembranäre Poren bilden. Durch sie hindurch kann Granzym B in die Zielzelle gelangen und ihren programmierten Zelltod (Apoptose) induzieren. Zur Unterstützung steht ein zytolytisches System bereit, das über die Bindung des Fas-Rezeptors an seinen Liganden (FasL) ebenfalls die Apoptose bewirken kann. Auch der Tumornekrosefaktor TNFα kann zum Zelltod führen.
Abb. 9.26 Extrazelluläre Abtötung von (Wurm)Parasiten durch eosinophile Granulozyten, die dazu den Inhalt ihrer Granula freisetzen.
173
a) Morphologisches Bild: Im angereicherten Blutausstrich sind der segmentierte (gelappte) Kern und die kräftig gefärbten Zytoplasma-Granula eines Eosinophilen erkennbar. Leishman-Färbung, 1800 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von P. Lydyard). b) Elektronenmikropische Aufnahme: Ultrastruktur eines Meerschweinchen-Eosinophilen. Dass es sich um einen reifen Eosinophilen handelt, zeigen die zentralen Kristalloide in den Granula (G). 8000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. McLaren).
Abb. 9.27 Mobilisierung der angeborenen Immunabwehr.
Mikroorganismen bewirken – über Komplementaktivierung oder durch direkten Einfluss auf Makrophagen – eine Freisetzung von Mediatorsubstanzen. Dadurch erhöht sich die Kapillarpermeabilität, so dass bakterizide Plasmamoleküle austreten können (Transsudation). Polymorphkernige Neutrophile (PMN) werden chemotaktisch aus dem Blutstrom zur Infektionsstelle gelockt (Mp = Makrophage).
Zusammenfassung ■ Das angeborene Immunsystem verhindert durch starke Barrieren das Eindringen von Erregern. Hinzu kommt eine zweite Abwehrlinie durch 174
Phagozyten und zirkulierende lösliche Faktoren. Falls eine dieser Funktionen geschwächt ist (erblich oder erworben), kann der Körper von normalerweise nicht pathogenen Erregern besiedelt werden („opportunistische Infektion“). ■ Die wichtigsten Fresszellen (Phagozyten) sind polymorphkernige Neutrophile und Makrophagen. Mit Rezeptoren, die pathogen-assoziierte molekulare Muster (PAMP) erkennen, heften sie sich an die Oberfläche von Bakterien/Mikroorganismen und beginnen sie aufzunehmen. Das heißt, der Keim wird in eine Vakuole der Phagozyten aufgenommen, die mit Granula aus dem Zytoplasma verschmilzt. Das bringt mehrere sauerstoffabhängige bzw. unabhängige mikrobizide Mechanismen ins Spiel. ■ Das Komplementsystem, eine getriggerte Enzymkaskade aus mehreren Faktoren, dient zum Anlocken von Phagozyten, damit sie die Mikroorganismen aufnehmen. ■ Besonders reichlich ist Komplementfaktor C3 vertreten. Er wird durch das Enzym C3-Konvertase (aus seinem Spaltprodukt C3b und Faktor B) gespalten und kann sich an der Bakterienoberfläche gegen einen Abbau durch Faktor H und I stabilisieren. C3b bindet sich sofort, nachdem es gebildet wurde, kovalent an Mikroorganismen. ■ Bei Aktivierung von C5 (zweithäufigster Komplementfaktor) wird ein kleines Peptid (C5a) abgespalten. Der Rest (C5b) bindet sich an die Oberfläche von Mikroorganismen und bildet zusammen mit den Faktoren C6–C9, die sich an ihn anlagern, einen sog. Membranangriffskomplex (MAC). Frei durchlässig für gelöste Stoffe, kann er zu einer osmotischen Lyse führen. Darüber hinaus kann C5a chemotaktisch auf Polymorphkernige einwirken und die Permeabilität der Kapillargefäße deutlich steigern. ■ Durch ihre Wirkung auf Mastzellen veranlassen C3a und C5a eine Freisetzung weiterer Mediatorsubstanzen wie Histamin, LTB4 und TNFα (mit Einfluss auf Kapillarpermeabilität, Adhäsion und Chemotaxis). Die von ihnen aktivierten Neutrophilen können sich mit ihren C3b-Rezeptoren an C3b auf der Oberfläche von Mikroorganismen binden und sie dann aufnehmen. ■ Die stark antimikrobiell wirksame akute Entzündungsreaktion besteht im Zustrom von Neutrophilen und der gesteigerten Gefäßdurchlässigkeit. ■ Auch Gewebsmakrophagen können eine Entzündung auslösen. Sie erfüllen eine ähnliche Funktion wie Mastzellen, da sie eine Freisetzung von TNFα, LTB4, PGE2, NCF und eines Neutrophilen-aktivierenden Peptids bewirken, sobald sie durch Bakterientoxine, C5a oder C3b-überzogene Bakterien, an die sich Komplementrezeptoren geheftet haben, das Signal dazu erhalten. ■ Zu den humoralen Abwehrmechanismen gehören auch Akute-Phase-Proteine wie CRP und Interferone (IFN), die die Virusreplikation unterdrücken können. ■ Virusinfizierte Zellen können von natürlichen Killerzellen vernichtet werden. ■ Dass vor allem große Parasiten vielfach scheitern, in potenziellen Wirten Fuß zu fassen, könnte auch an der extrazellulären „Killerfunktion“ C3b-gebundener Eosinophiler liegen. 175
■ Vermutlich trifft die Aussage zu, dass die meisten Mikroorganismen durch Phagozytose beseitigt werden und dass die „Fresszellen“, die sie aufnehmen und abtöten, durch aufeinander abgestimmte Reaktionen des angeborenen Immunsystems mobilisiert und aktiviert werden. Ein Schlüsselelement ist die akute Entzündungsreaktion (Abb. 9.27). Doch nicht alle Erreger sind anfällig für eine Phagozytose oder ihre Zerstörung durch Komplement oder Lysozym. Das leitet uns zur erworbenen Immunität über, die im nächsten Kapitel (s. Kap. 10) genauer untersucht wird.
FRAGEN 1 a) b) c) d) e) 2* a) b) c) d) e)
Nicht nach außen geschützt werden Körperoberflächen durch Haut Schleim Magensäure Speichelamylase Darmflora? Das mononukleäre Phagozytensystem umfasst Monozyten Kupffer-Zellen Hautkeratinozyten Makrophagen im Mark von Lymphknoten Endothelzellen?
176
3* Polymorphkernige Neutrophile (PMN) a) erzeugen reaktive Sauerstoffzwischenprodukte b) ähneln sehr stark Mastzellen c) enthalten im Zytoplasma mikrobizide Granula d) sind professionelle Phagozyten e) haben Granula, die sich mit Eosin anfärben? 4 C3b a) ist ein chemotaktischer Faktor b) ist ein Anaphylatoxin c) opsonisiert Bakterien d) kann Bakterien unmittelbar schädigen e) ist Vorläufer von C3? Natürliche Killerzellen (NK-Zellen) 5* a) sprechen auf Interferon an b) enthalten Perforine c) enthalten Granzyme d) töten Zielzellen nur durch Beschädigung der äußeren Zellmembran ab e) sind vergleichbar mit kleinen Lymphozyten? 6* Antibakterielle Wirkung entfalten a) C-reaktives Protein b) Mannose-bindendes Protein c) Lysozym d) Interferone e) Komplementfaktoren? Bei den mit * gekennzeichneten Fragen ist mehr als eine Antwort richtig.
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Aderem, A., Underhill, D.M.: Mechanisms of phagocytosis in macrophages. Ann Rev Immunol 17 (1999) 593–623. Alt, F., Marrack, P. et al. (eds.): Curr Opin Immunol (zweimonatlich erscheinende Zeitschrift; befasst sich in Ausgabe 1 jedes Bandes mit dem Thema „Angeborene Immunität“). Neth, O., Jack, D.I., Dodds, A.W. et al.: Mannose-binding lectin binds to a range of clinically relevant microorganisms and promotes complement deposition. Infect Immun 68 (2000) 688–693. Roitt, I.M., Brostoff, J., Male, D.: Immunology. 6th ed. Elsevier Science, London 2002. Ryan, J.C., Naper, C., Hayashi, S., Daws, M.R.: Physiologic functions of activating natural killer (NK) complex-encoded receptors on NK cells. Immunol Rev 181 (2001) 126–137.
177
10 Erworbene Immunreaktionen 10.1
Rolle der Antikörper 95
10.1.1
Akute Entzündungsreaktion 95
10.1.2
Phagozytenaktivierung 97
10.1.3
Hemmung mikrobieller Reaktionen 99
10.2
Rolle der T-Lymphozyten – Abwehr intrazellulärer Erreger 99
10.3
Extrazellulärer Angriff auf größere Erreger 102
10.4
Lokale Abwehr an Schleimhäuten 103
Zur Orientierung Infektionserreger schaffen es häufig, sich der angeborenen Abwehr zu entziehen Das vorangehende Kapitel behandelte die vielfältigen Möglichkeiten des angeborenen Immunsystems (bzw. der primären Immunabwehr), auf mikrobielle Infektionen zu reagieren. Doch Infektionserreger finden häufig Mittel und Wege, sich dieser Abwehr zu entziehen. Das liegt unter anderem an der Vielzahl von verschiedenen Keimen in der natürlichen Umgebung und ihrer Mutationsfähigkeit. Ein paar Beispiele: ■ Die Oberflächenbeschaffenheit einiger Mikroorganismen führt nicht zur Aktivierung des alternativen Weges des Komplementsystems. ■ Andere Bakterien aktivieren zwar Komplement auf dem alternativen Weg, aber das geschieht im Bereich ihrer Geißel(n), so dass der Membranangriffskomplex weit entfernt vom Körper des Bakteriums entsteht und ihnen somit keinen Schaden zufügt. ■ Mikroorganismen in Makrophagen sorgen mit allen Tricks dafür, dass sich deren normalerweise vorhandenen mikrobiziden Mechanismen nicht entfalten (s. Kap. 16). ■ Manche virusinfizierte Zellen erweisen sich als resistent gegen die zytotoxischen natürlichen Killerzellen; andere Viren können sich ungestört von Zelle zu Zelle verbreiten, weil sie die Interferonproduktion nur schwach stimulieren. ■ Von Bakterien produzierte Toxine können für Phagozyten tödlich sein, falls es nicht gelingt, sie zu neutralisieren.
178
Erworbene Immunreaktionen bekämpfen Erreger, die das angeborene Immunsystem überwunden haben Um auf sämtliche Erreger individuell reagieren zu können, bräuchte der Körper eine Art maßgeschneiderte Immunabwehr. Im Idealfall sollten sich diese spezifische Abwehr und die keimabtötenden Mechanismen des angeborenen Immunsystems unmittelbar ergänzen. Wir werden in diesem Kapitel sehen, wie dieses Ziel im Laufe der Evolution durch Einfügen spezifischer (Antigen-) Erkennungs- bzw. Bindungsstellen auf Antikörpermolekülen und bestimmten Lymphozyten erreicht wurde. In den Körper eingedrungene Keime bewirken eine erregerspezifische Immunreaktion der Lymphozyten. Hinzu kommt, dass diese Reaktion mit der Zeit – oft in erheblichem Umfang – stärker wird. Daher spricht man von einer „erworbenen“ oder „adaptiven“ Immunantwort. Wie wir wissen, produziert der Körper Millionen unterschiedlicher Antikörper; ihre Vielfalt müsste theoretisch ausreichen, jedes bereits vorhandene oder neu auftauchende Pathogen zu erkennen.
10.1
Rolle der Antikörper
10.1.1
Akute Entzündungsreaktion
Antikörper wirken als Adaptoren, um akute Entzündungsreaktionen zu fokussieren Antikörper sind Immunglobulinmoleküle (Abb. 10.1 und Tab. 10.1), die von BLymphozyten des Wirts (B steht für „Bursa“, einem speziellen Organ bei Vögeln, wo B-Lymphozyten entstehen) gebildet werden. Voraus geht der Kontakt mit einem Infektionserreger, der als Fremdantigen wirkt (Abb. 11.2). Jeder Antikörper hat zwei identische Erkennungs-/Bindungsstellen, die sich mit ihrem Gegenstück auf dem Fremdantigen perfekt ergänzen. Das ermöglicht eine Antigenbindung variabler Stärke (Affinität). Bindungsstellen sind insofern hypervariabel, als Antikörper mit unterschiedlicher Antigenspezifität hier alle dieselbe Aminosäuresequenz aufweisen. Die hypervariablen Regionen beschränken sich auf drei Schleifen der schweren (H-) und drei Schleifen der leichten (L-)Peptidketten, aus denen ein Antikörpermolekül besteht (Abb. 10.1). Sie nehmen mit dem Antigen in der Bindungstasche Kontakt auf und man nennt sie auch „complementarity determining regions“ (CDR). Welches Antigen ein gegebener Antikörper erkennt, hängt also von der Aminosäuresequenz der CDR ab. An anderen Stellen des Antikörpermoleküls werden bestimmte Funktionen festgelegt, z.B. Aktivierung des Komplementsystems oder Einleitung der Phagozytose durch Makrophagen und Polymorphkernige (Abb. 10.2). Ist ein Antigen mit mehreren dieser Adapter-Antikörpermoleküle beschichtet, werden Komplementfixierung und Phagozytose des Erregers induziert, auch wenn er möglicherweise versucht hat, sich diesen Prozessen zu entziehen. Auf diese Weise werden Mikroorganismen doch noch in die akute Entzündungsreaktion (einen Abwehrmechanismus des angeborenen Immunsystems) einbezogen. Wir wollen nun untersuchen, wie Antikörper solche Phänomene vermitteln.
Abb. 10.1
Immunglobuline.
179
Ihre einheitliche Grundstruktur bilden je zwei identische leichte (L-) und schwere (H-) Polypeptidketten, die über Disulfidbrücken verbunden sind (schwarze Balken). Jede Kette setzt sich aus einzelnen ringförmigen Domänen zusammen. Antikörper haben unterschiedliche VL- und VH-Domänen (d.h. hypervariable Regionen der L- und H-Ketten). Die Hypervariabilität beschränkt sich auf jeweils drei Schlingen der VL- und VH-Domänen und zeichnet die Antigenbindungsstellen (rot markiert) aus. Die übrigen Domänen (CL, CH1 usw.) sind relativ konstant in der Aminosäurenstruktur. Bei Pepsinspaltung des humanen IgG entstehen F(ab’)2, ein zweiwertiges (divalentes) antigenbindendes Fragment, und pFc’, ein Fragment aus zwei terminalen CH3-Domänen. Papainspaltung führt zu zwei einwertigen (univalenten) antigenbindenden Fragmenten: Fab und ein Fc-Anteil mit den Schwerkettendomänen CH2 und CH3. Die J-Kette (von joining = verbindend) katalysiert die Polymerisation der Immunglobulin-Grundeinheit zu IgM und IgA. Als sekretorische Komponente (secretory piece) wird der Abschnitt des Transportmoleküls (das IgA aus Mukosazellen ins Lumen verfrachtet) bezeichnet, der mit dem IgA verbunden bleibt.
180
Abb. 10.2
Antikörper-Adaptermolekül.
Antikörper (sinngemäß: gegen Fremdkörper gerichtet) werden beim Kontakt mit eingedrungenen Erregern, die als Antigene wirken (d.h. zur Antikörperproduktion führen), von Lymphozyten des Wirts gebildet. Jeder Antikörper (Abb. 10.1) verfügt über eine Antigenbindungsstelle (Fab) und eine konstante „Rückgrat“Struktur (Fc), von der biologische Wirkungen wie Komplementaktivierung und Phagozytose ausgehen können. Im vorliegenden Fall ist dargestellt, wie durch Antikörperbindung eines mikrobiellen Antigens Komplement aktiviert und eine akute Entzündungsreaktion ausgelöst wird (vgl. Abb. 9.13). Dabei entsteht C3b. Mit den Antikörpermolekülen zusammen fördert die C3b-Fixierung die Adhärenz von Bakterien an Fc- und C3bRezeptoren der Phagozyten, bevor sie dann aufgenommen werden.
181
Tab. 10.1 Biologische Eigenschaften der wichtigsten Immunglobuline (Ig-Klassen) des Menschen * Dimer, trägt bei Sekretion nach außen die sekretorische Komponente; IgADimer und IgM haben J-Ketten
Antigen-Antikörper-Komplexe aktvieren Komplement auf dem „klassischen“ Weg Nach Bindung von Antikörpermolekülen an ein Antigen aktiviert der entstandene Antigen-Antikörper-Komplex den ersten Komplementfaktor C1 und überführt ihn in eine Esterase . Damit beginnt ein zweiter Weg der Komplementaktivierung (Abb. 10.3), der vor allem deshalb als „klassischer“ Weg bezeichnet wird, weil Wissenschaftler ihn vor dem alternativen Weg (s. Kap. 9) entdeckten, obwohl einiges dafür spricht, dass der alternative Weg entwicklungsgeschichtlich viel älter sein dürfte. Nachdem der aktivierte erste Komplementfaktor jeweils ein kleines Peptid von den nächsten Faktoren (C4 und C2) abgespalten hat, bilden die restlichen Fragmente den Komplex . Er verhält sich enzymatisch wie eine C3-Konvertase und übt eine ähnliche Funktion wie (die C3-Konvertase bei alternativer Komplementaktivierung) aus. Auch die Abfolge der Reaktionsschritte im Anschluss an die C3-Spaltung lässt sich nicht von der des alternativen Wegs unterscheiden. Anaphylatoxine wie C3a und C5a entstehen, und C3b bindet sich an die Oberfläche des Antigen-Antikörper-Komplexes (Abb. 10.4, Abb. 9.13). Nacheinander arrangieren sich die später gebildeten Komplementfaktoren zu einem Membranangriffskomplex (MAC, Abb. 9.19), der, wenn er gezielt auf ihre verletzliche Stelle trifft, mithelfen kann, Mikroorganismen abzutöten. Der klassische Weg kann auch aktiviert werden, wenn sich Akute-Phase-Proteine (wie C-reaktives Protein und Mannose-bindendes Protein, s. unten) an Kohlenhydrate der Bakterienoberfläche binden.
182
Akute Entzündungsreaktion durch Antikörperbindung an Mastzellen Immunglobulin E (IgE) ist ein spezialisierter Antikörper mit hoher Affinität seiner konstanten Region für Oberflächenrezeptoren auf Mastzellen. Sobald sich ein (mikrobielles) Antigen an diese zellgebundenen Antikörper heftet, wird eine Querverbindung zwischen den Oberflächenrezeptoren hergestellt und das Signal ins Zellinnere weitergeleitet. Auf das Signal hin setzen die Mastzellen dann Mediatorsubstanzen frei, mit denen die Gefäßpermeabilität gesteigert und chemotaktisch Polymorphkernige angelockt werden können (Abb. 10.5).
10.1.2
Phagozytenaktivierung
Antigen-Antikörper-Komplexe aktivieren Phagozyten Bestimmte Antikörpermoleküle binden sich über ihre konstante Fc-Region an spezialisierte Fc-Rezeptoren auf der Oberfläche von Phagozyten. Wenn mehr als ein Antikörper an einem Antigen-Antikörper-Komplex beteiligt ist, kommt es zu einer Querverbindung (Cross-linking) zwischen den Rezeptoren, die dazu führt, dass der Phagozyt den Antigen-Antikörper-Komplex mit ausgestreckten Zytoplasma-Armen in eine Vakuole einschließt (Abb. 10.6). Anzumerken ist der „Bonuseffekt“ einer multivalenten Bindung in reversiblen Rezeptor-Liganden-Verbindungen; so entspricht z.B. die Assoziationskonstante bei komplexer Bindung (über zwei Antikörpermoleküle) an Phagozyten eher dem Produkt als der Summe der Einzelkonstanten.
183
Abb. 10.3 Klassischer Weg der Komplementaktivierung
Antigen-Antikörper-Komplexe aktivieren den ersten Komplementfaktor (C1) auf klassischem Weg (1). Das führt zur Spaltung von C3 durch die C3-Konvertase (5). Dagegen hängt die Komplementaktivierung auf alternativem Weg davon ab, dass sich die C3-Konvertase ( ) in einem Feedback/Rückkopplungskreis auf der Oberfläche von Mikroorganismen/Bakterien stabilisiert (Abb. 9.12). Im Unterschied dazu ist die Komplementaktivierung auf klassischem Weg im Allgemeinen von Antikörpern abhängig. Ein Querstrich –––– markiert aktivierte Komplexe.
Abb. 10.4
Antigen-Antikörper-Komplex
184
Elektronenmikroskopische Aufnahme C3-beschichteter Salmonellengeißeln nach Inkubation mit Antiflagellen-Antikörper und Komplement. Das elektronendichte Material an den Seiten der Geißeln (etwa 30 nm dick) dürfte C3b sein. Interpretiert wird es als Komplementbindung/-fixierung durch Antikörper: Biologische Membranen, an denen sich Komplement „fixiert“ hat, sind mit einer dicken Schicht von C3b-Makromolekülen überzogen. 700000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von A. Feinstein und E. Munn)
Abb. 10.5
Mastzelldegranulation.
Durch die Interaktion zwischen mikrobiellem Antigen und IgE-Antikörpern, die spezifisch an Oberflächenrezeptoren der Mastzellen binden, kommt eine Querverbindung zwischen diesen Rezeptoren zustande. Das führt zur Freisetzung von Mediatoren, die eine Zunahme der Gefäßpermeabilität bewirken und Polymorphkernige anlocken – d.h. eine lokale akute Entzündungsreaktion (genau an der Stelle, wo sich das mikrobielle Antigen befindet).
185
Abb. 10.6 Binden sich Antigene über mehr als einen Antikörper an Phagozyten, entstehen Querverbindungen zwischen den Oberflächenrezeptoren.
Durch sie wird die Phagozytose von Mikroorganismen (Umschlingen mit Zytoplasmaausläufer) getriggert.
10.1.3
Hemmung mikrobieller Reaktionen
Antikörper gegen bestimmte Moleküle blockieren die Wirkung von Mikroorganismen Drei Beispiele: 1) Antikörper gegen das Hämagglutinin von Influenzaviren verhindern die Bindung der Viren an spezifische Zellrezeptoren; die Zellen können daher nicht infiziert werden (Abb. 10.7). 2) Ebenso können Antikörper, die gegen ein Transportmolekül auf der Bakterienoberfläche gerichtet sind, die Aufnahme eines wichtigen Nährstoffes verhindern, d.h. eine metabolische Blockade verursachen. 3) Schließlich können Antikörper gegen Bakterientoxin verhindern, dass es auf die Zellen einwirkt bzw. sie schädigen kann.
186
Abb. 10.7 Aufgrund ihrer Größe können Antikörper Interaktionen zwischen (a) Virus und Zelle, (b) Nährstoff und Bakterium oder (c) Toxin und Zellrezeptor unterbinden.
10.2 Rolle der T-Lymphozyten – Abwehr intrazellulärer Erreger Viren und viele andere Mikroorganismen leben, geschützt vor Antikörperangriffen, innerhalb von Zellen. Das Abwehrsystem, das der Körper gegen sie entwickelt hat, beruht im Wesentlichen auf T-Lymphozyten (mit T bezeichnet, weil sie im Thymus heranreifen).
T-Lymphozyten binden sich an Komplexe aus einem MHC-Molekül und einem Peptid intrazellulärer Erreger Mikroorganismen durchlaufen verschiedene Lebenszyklen; manchmal sterben sie auch in Zellen, die sie infiziert haben. Proteine, die von toten Organismen stammen, werden durch intrazelluläre Enzyme zertrümmert (verarbeitet bzw. „prozessiert“) und als Peptide in phagozytäre Vakuolen einverleibt. Dort verbinden sie sich mit Haupthistokompatibilitätskomplex (major histocompatibility complex, MHC)Molekülen (Abb. 10.8). MHC-Moleküle wurden ursprünglich entdeckt, weil sie heftige Abstoßungsreaktionen gegen Transplantate derselben Spezies hervorriefen. Wir wissen jetzt, dass sie vorrangig als Oberflächenmarker dienen. Da MHC-Klasse-I-Moleküle praktisch auf jeder Körperzelle vorhanden sind, können sie als Marker der Kategorie „Zelle“ verstanden werden. MHC-Klasse-II-Moleküle erscheinen hauptsächlich auf Makrophagen und BZellen. Wie Antikörpermoleküle kann auch ein spezialisierter Rezeptor auf T-Lymphozyten (TCR) Fremdantigen binden (Abb. 10.9). Strukturell ähnelt er dem Fab-Fragment der Immunglobuline, besitzt aber anstelle der Schwer- und Leichtketten α- und β-Ketten mit ebenso hypervariablen Schleifen für den Antigenkontakt. Doch im Unterschied zur direkten Interaktion mit Fremdantigen, wie sie an der Bindungsstelle auf Antikörpern 187
abläuft, ist der Oberflächenrezeptor von T-Zellen darauf spezialisiert, einen MHCPeptid-Komplex zu binden. Dieses Peptid stammt von einem intrazellulären Erreger und signalisiert somit über das „Zelle“-Signal des MHC-Moleküls hinaus, dass die Zelle einen Erreger in sich trägt. Wenn er über seinen TCR beide Hälften eines MHC-PeptidKomplexes erkennt, muss sich ein T-Lymphozyt an eine infizierte Zelle des Typs binden, den die MHC-Klasse vorschreibt (Tab. 10.2). Die Aktivierung von TLymphozyten entsprechend ihren jeweiligen Besonderheiten löst dann bestimmte Effektormechanismen aus, um mit intrazellulären Mikroorganismen umzugehen (s. unten).
Abb. 10.8 Moleküle.
MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-
(a) Schema der Domänen und transmembranären Segmente; α-Helices und βFaltblattstrukturen in der Ansicht von hinten. (b) humanes MHC-Klasse-I-Molekül (HLA-A2); in der Seitenansicht (abgeleitet aus der röntgenkristallographischen Struktur) sind der Spalt und die für Immunglobuline typische Faltung der α3- und β2-Mikroglobulin(β2m)-Domänen erkennbar (vier gegenläufig parallele β-Stränge auf der einen und drei auf der anderen Seite). Die Stränge des β-Faltblatts sind als dicke graue Pfeile (vom 188
Amino- zum Carboxyl-Ende gerichtet) dargestellt, die αHelices als spiralförmige Bänder. Zwischen den nach innen gewandten Flächen der beiden α-Helices und der Oberseite des β-Faltblatts öffnet sich ein Spalt, in den das Peptid eingebunden werden kann (aus: Bjorkman et al., Nature 1987; 329:512). (c) Aufsicht auf ein fest in den Spalt eines MHCKlasse-I-Moleküls eingebundenes Peptid; hier das von HIV-1-reverser Transkriptase an HLA-A2 gebundene Peptid 309-317. Blick von der Bindungsstelle des unten beschriebenen TZell-Rezeptors aus (nach: Vignali/Strominger, Immunologist 1994; 2:112).
Abb. 10.9 T-Zell-Rezeptor ähnelt strukturell dem (antigenbindenden) Fab-Fragment von Immunglobulinen.
Der
Kommen die hochvariablen (complementarity determining regions, CDR) Regionen mit dem MHC-Peptid-Komplex eines Fremdantigens in Kontakt, löst das ein Signal aus, das vom unveränderlichen CD3-Komplex (besteht aus γ-, δ-,ε-, ζ-, η-Ketten) weitergeleitet wird, und zwar über zytoplasmatische ITAM (immune receptor tyrosine-based activation motifs), die mit Protein-Tyrosinkinasen in Berührung kommen.
T-Lymphozyten helfen Makrophagen, intrazelluläre Parasiten abzutöten Makrophagen, die zum Beispiel von Listerien oder Tuberkelbakterien befallen sind, werden von TH1-Helferzellen, einer Untergruppe der T-Lymphozyten, erkannt (Tab. 10.2). Wenn sich eine TH1-Zelle an den MHC-Klasse-II-Peptid-Komplex auf einem infizierten Makrophagen bindet, wird darüber die Freisetzung Makrophagenaktivierender Faktoren, vor allem von Gamma-Interferon (IFNγ, s. Kap. 9), veranlasst. Dadurch werden zuvor noch unterdrückte mikrobizide Mechanismen in Makrophagen initiiert, die den Tod intrazellulärer Parasiten herbeiführen (Abb. 10.10). Im Allgemeinen rufen TH1-Zellen eine chronische Entzündungsreaktion hervor, die von Makrophagen dominiert wird.
189
T-Lymphozyten hemmen die intrazelluläre Replikation von Viren Virusinfizierte Zellen exprimieren auf ihrer Oberfläche Komplexe, die aus einem MHC-Klasse-I-Molekül und einem Viruspeptid bestehen. Über spezifische Rezeptoren auf zytotoxischen T-Zellen (Tc) werden solche Komplexe erkannt und möglichst nahe an virusinfizierte Ziele herangeführt (Abb. 10.11). Die Abtötung der Zielzellen erfolgt dann über ähnliche extrazelluläre Mechanismen, wie in Kapitel 9 beschrieben. Da Viruspeptide bereits in einem sehr frühen Infektionsstadium auf der Zelloberfläche auftauchen, können infizierte Zellen durch Tc-Zellen bereits abgetötet werden, bevor sich die Gelegenheit zu einer stärkeren Virusreplikation ergibt: So können die Wirtszellen eine wichtige Schlacht gewinnen.
Tab. 10.2 Spezialisierte Untereinheiten (Subpopulationen) der TZellen * s. Tab. 11.1 Eine ähnliche Funktion wie die zytotoxischen T-Zellen üben auch natürliche Killerzellen (NK-Zellen) aus. Doch ihre Chancen, sich fest an infizierte Zellen zu heften, stehen sehr viel schlechter als bei den Tc-Zellen, weil ihnen spezifische Rezeptoren fehlen, mit denen sie sich an bestimmte Viruspeptid-MHC-Klasse-IKomplexe binden könnten. Interessant ist jedoch, dass sowohl Tc- als auch NK-Zellen Interferone (vor allem IFNγ) freisetzen und sich NK-Zellen dadurch deutlich besser behaupten können. Somit stellen Interferone ein nützliches integratives System dar. Hinzu kommt, dass sie auch Nachbarzellen resistent gegen die Replikation von Viruspartikeln machen für den Fall, dass über interzelluläre Transportmechanismen Viren hineingelangen würden (Abb. 10.12).
Abb. 10.10 T-Helferzellen (TH1) triggern die Zerstörung (Abtötung) intrazellulärer Parasiten.
190
Sobald sich TH1-Zellen über den TCR an infizierte Makrophagen (Mp) binden, werden T-Lymphozyten zur Freisetzung von IFNγ aktiviert. Das bringt wiederum Makrophagen dazu, ihre mikrobiziden Mechanismen einzuschalten, um intrazelluläre Parasiten abzutöten.
10.3
Extrazellulärer Angriff auf größere Erreger
191
Mit Antikörpern beschichtete Parasiten werden von Abwehrzellen attackiert Bei Parasiten, die deutlich größer als Phagozyten sind, ist eine Phagozytose schon rein physikalisch ausgeschlossen. Dennoch können Abwehrzellen solche Parasiten von extrazellulär angreifen, z.B. mithilfe der Antikörper-abhängigen zellulären Zytotoxizität (antibody-dependent cellular cytotoxicity, ADCC). Dabei binden sich Effektorzellen über Oberflächenrezeptoren an Zielzellen, die mit Antikörpermolekülen beschichtet sind (Abb. 10.13). Durch Aktivierung der Effektorzellen werden für Parasiten schädliche Substanzen freigesetzt. Beteiligt sind daran hauptsächlich folgende Zellen: ■
Makrophagen
■
Eosinophile
■
NK-Zellen
Abb. 10.11 Zytotoxische T-Lymphozyten werden aktiviert, sobald spezifische Rezeptoren auf ihrer Oberfläche infizierte Zellen erkennen und sich an MHC-Klasse-I-Moleküle, welche assoziiert zu Peptidfragmenten aus dem Abbau eines intrazellulären Virusproteins sind, binden.
192
Abb. 10.12 Zytotoxische T-Zellen (Tc) erkennen infizierte Zellen an spezifischen MHC-Klasse-I-PeptidKomplexen (aus abgebautem Virusprotein) auf der Oberfläche und töten sie ab, bevor sich das Virus vermehrt.
Dasselbe können – wenn auch mit weit geringerer Effizienz – NK-Zellen bewirken. Unter dem Einfluss von Interferonen (die Tc- und TH1-Zellen produzieren) kann sich die NK-Aktivität jedoch verstärken. Die lokale Interferonproduktion verhindert auch, dass sich benachbarte Zellen (über interzelluläre Transportmechanismen) mit Viren infizieren.
193
Abb. 10.13 Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität (ADCC).
Um Parasiten zu schädigen, binden sich verschiedene Arten von Effektorzellen mit Oberflächenrezeptoren (für Antikörper) an entsprechende Ziele: Makrophagen bewirken über reaktive Zwischenprodukte (aus der O2-Atmung) eine chemische Schädigung der Parasitenoberfläche, NK-Zellen induzieren über Perforin/Granzym, TNF und Fas/FasL (zu den Mechanismen s. Kap. 9.3.6) den programmierten Zelltod (Apoptose) von Parasiten, Eosinophile setzen ein basisches Protein (MBP), ein perforinartiges Molekül und eine Menge reaktiver Sauerstoffmetaboliten frei und schädigen so die Zellmembranen von Parasiten. Die Antikörper gehören überwiegend der Klasse IgG an (Abb. 10.1 und Tab. 10.1).
10.4
Lokale Abwehr an Schleimhäuten
Die Immunmechanismen im Körperinnern (unter Beteiligung akuter Entzündungs- und TZell-vermittelter Reaktionen) funktionieren recht gut. Es lohnt sich aber auch zu untersuchen, wie sich der Körper speziell an Flächen schützt, die wie Lunge oder Gastrointestinaltrakt mit Schleimhaut bedeckt sind und über die er sich mit der Außenwelt austauscht (Abb. 10.14). Die erste Linie der Abwehr soll verhindern, dass sich Mikroorganismen an die Schleimhaut heften; denn Adhärenz ist eine Grundvoraussetzung für das Eindringen in den Körper. Das wird zum einen durch die Schleimbildung, eine angeborene Funktion, verhindert. Zusätzlich wird in Lymphfollikeln, die mehr (wie in Adenoiden, Tonsillen und Peyer-Plaques) oder weniger stark (wie in Lamina propria, Lunge, Urogenitaltrakt) organisiert sein können, ein spezielles Immunglobulin, IgA, synthetisiert. Diese Zellansammlungen bilden zusammen das mukosaassoziierte Lymphgewebe (MALT). IgA wird von einem Carrier-Molekül aktiv ins Lumen transportiert. Auf Schleimhautoberflächen findet es sich in hoher Konzentration, wo es einen CarrierAbschnitt, die sog. sekretorische Komponente, trägt (Abb. 10.1). Mit solchen IgAMolekülen beschichtet, können sich Erreger nur schlecht auf Schleimhäuten halten, aber noch immer von ortsständigen Makrophagen eingefangen werden, die Oberflächenrezeptoren für IgA haben.
194
Abb. 10.14 Körpereigene Abwehr an Schleimhäuten.
Sekretorisches Immunglobulin A (IgA) ist ein spezialisierter, mukosaassoziierter Antikörper, der die Adhärenz von Erregern auf Schleimhäuten (und damit ihr Eindringen in den Körper) verhindert. Wenn Erreger trotzdem in den Körper gelangen, werden IgE-empfindliche Mastzellen aktiv, die in Haufen dicht unter der Oberfläche liegen. Als Schutzreaktion lösen sie eine akute lokale Entzündung aus, indem sie komplementbindende Antikörper, Komplement und Polymorphkernige aus dem Blut anlocken. Da sich in der Submukosa bevorzugt Mastzellen anhäufen, treffen Mikroorganismen, nachdem sie die Schleimhautschranke durchbrochen haben, möglicherweise auf Mastzellen mit spezialisierten IgE-Antikörpern an der Oberfläche. Als Reaktion auf den Kontakt mit diesem Antikörper werden Mastzellen dazu getriggert, akute Entzündungsmediatoren freizusetzen. Diese Mediatoren steigern die Gefäßpermeabilität, so dass die Stelle von Plasmaproteinen (darunter auch andere Klassen von Antikörpern und Komplementfaktoren) überflutet wird, während chemotaktische Stoffe polymorphkernige Leukozyten anlocken.
Größere Parasiten (z.B. Nematoden) bereiten im Darmlumen besondere Probleme 195
Man vermutet, dass Wurmantigene, die in submukosale Schichten eindringen, T- und BZellen aktivieren und eine Degranulation sensibilisierter Mastzellen bewirken. Letzteres führt zu einer akuten Schleimhautentzündung, durch die es mit ziemlicher Sicherheit zum Übertritt von Antikörpern, Komplement und vielleicht auch von Effektoren der ADCC ins Darmlumen kommt. Im Darmlumen könnten Antikörper, Komplement und ADCC-Effektoren dann eine metabolische Schädigung der Parasiten verursachen. In der Zwischenzeit bewirken entsprechend sensibilisierte T-Helferzellen eine Freisetzung löslicher Faktoren (Zytokine), zu denen auch ein Mediator gehört, der Zellen im Bürstensaum der Darmzotten (Mikrovilli) stimulieren kann. Muzine aus diesen Schleimzellen legen sich um bereits vorgeschädigte Parasiten im Lumen, damit sie leichter aus dem Körper ausgestoßen werden (Abb. 10.15).
Im Schleimhautepithel dominieren T-Zellenmit γδRezeptoren Bei Menschen überwiegen zwar im Blut T-Lymphozyten mit αβ-Rezeptoren, aber im Darmepithel und in der Haut dominieren T-Zellen mit γδ-Ketten. Anders als αβ-TZellen kann die γδ-Untereinheit Antigen gleich erkennen, ohne dass es vorher verarbeitet (prozessiert) sein muss. Die von überlasteten oder geschädigten Zellen freigesetzten Hitzeschockproteine stimulieren γδ-T-Zellen genauso wirksam wie niedermolekulare Antigene, die statt Proteinen Phosphate (z.B. Isopentenylpyrophosphat, Alkylamine) enthalten und bei einem breiten PathogenSpektrum vorkommen. γδ-T-Zellen könnten auch mit Schleimhautepithelzellen zusammenarbeiten, die auf ihrer Oberfläche CD1-Moleküle exprimieren (enthalten β2Mikroglobulin, aber nicht die klassischen MHC-artigen Ketten). In ihrem hydrophoben Spalt können sie bakterielle Lipid- und Glykolipidantigene (wie Lipoarabinomannan als Bestandteil der Zellwand von Mykobakterien) binden.
196
Abb. 10.15 Austreibung von Rundwürmern (Nematoden) aus dem Darm.
Vermutlich wird durch Wurmantigen (1) eine akute Entzündungsreaktion in der Submukosa ausgelöst (2). Dadurch werden Komplementfaktoren und möglicherweise auch Effektoren der antikörper-abhängigen zellulären Zytotoxizität mobilisiert (ADCC) (3), die Parasiten schädigen (4). Durch die antigenspezifische Triggerung von T-Helferzellen (5) freigesetzte lösliche Faktoren (Zytokine) stimulieren Schleimzellen der Darmzotten (6) zur Sekretion von Muzinen, die den Wurm umhüllen (7) und mithelfen, ihn aus dem Körper auszustoßen (8).
197
Zusammenfassung ■ Mit den erworbenen Immunreaktionen verfügt der Körper über eine Reihe wirksamer Abwehrmechanismen, die weit über die angeborene Immunabwehr hinausreichen. Die durch Lymphozyten vermittelte erworbene Immunität macht auch die unspezifische Abwehr gegen einzelne Erreger viel effizienter. ■ In den meisten Fällen sind Phagozytose, Komplementaktivierung und Makrophagen (d.h. angeborene Abwehrmechanismen) in die Abtötung intrazellulärer Erreger einbezogen. ■ Eine Übersicht über die erworbene Immunabwehr zeigt, dass die humorale Immunreaktion durch Antikörper der B-Zellen vermittelt wird; sie neutralisieren Bakterientoxine und lösen zusammen mit Komplement, Mastzellen und polymorphkernigen Leukozyten eine akute Entzündung aus (Abb. 10.16). Dieser Typ von Immunreaktion ist besonders wirksam gegen extrazelluläre Erreger, und welchen „Quantensprung“ die Antikörperproduktion bedeutet, verdeutlicht Abb. 10.17 anhand der Entfernung von Bakterien aus dem Blut. Schleimhäute werden durch IgE-vermittelte akute Entzündungsreaktion und sekretorisches IgA vor einer Infektion mit extrazellulären Erregern geschützt. ■ Die T-Zell-vermittelte Immunantwort ist im Gegensatz dazu gegen intrazelluläre Erreger gerichtet. T-Zellen erkennen mit ihrem Rezeptor (TCR) infizierte Zellen an einem Oberflächenmarker; es ist ein Komplex aus einem MHCMolekül – einem Zellmarker und einem Peptid (Abbauprodukt eines Proteins intrazellulärer Mikroorganismen). ■ T-Zellen werden in T-Helfer- (TH1, TH2) und zytotoxische (Tc-)Zellen unterteilt. CD4-positive TH1-Helferzellen erkennen MHC-Klasse-II-Moleküle auf Makrophagen. Die von ihnen produzierten Zytokine, in erster Linie chemotaktisch wirkende Faktoren, in zweiter Linie IFNγ, aktivieren Phagozyten dazu, ihre antimikrobiellen Mechanismen einzuschalten. CD4-positive TH2-Zellen erkennen MHC-Klasse-II-Moleküle auf B-Zellen und unterstützen die Antikörperproduktion. CD8-positive Tc-Zellen erkennen auf den meisten Zellen MHC-Klasse-I-Moleküle und sind gegen Viren wirksam; sie töten virusinfizierte Zellen ab und verhindern durch lokale Interferonproduktion die Verbreitung der Viren. Tc-Zellen lassen sich außerdem anhand ihres TH1- bzw. TH2-Zytokinmusters unterteilen. ■ Durch enge Wechselwirkungen zwischen angeborenem und erworbenem Immunsystem können nicht nur extrazelluläre, sondern auch intrazelluläre Infektionen bzw. Erreger abgewehrt werden (Abb. 10.18). Damit ist auch vereinbar, dass Menschen eher für eine Infektion mit extrazellulären Erregern prädisponiert sind, wenn ihre humorale Immunität (egal, wodurch) geschwächt ist, während eine defiziente T-Zell-vermittelte Immunität in erster Linie mit intrazellulären Infektionen einhergeht. ■ Die Immunreaktion, die der Erstkontakt mit einem Antigen auslöst, hinterlässt Spuren im immunologischen Gedächtnis. Bei erneutem Kontakt mit demselben Antigen fällt die Immunantwort daher viel stärker aus und entwickelt sich auch viel schneller als beim ersten Mal (zelluläre Grundlagen s. Kap. 11). Das Gedächtnis bzw. die Erinnerung nach Erstkontakt mit einem Antigen bildet auch die Grundlage
198
von Impfungen, bei denen der Erstkontakt mit einer nicht-virulenten Form des Erregers oder mit antigenen Komponenten stattfindet. ■ Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Spezifität des Gedächtnisses. Eine überstandene Maserninfektion macht z.B. nur gegen das Masernvirus immun, verleiht aber keinen Schutz vor anderen Viren (etwa dem Mumpsvirus).
Abb. 10.16 Ergänzend zu angeborenen Immunmechanismen schützen Antikörper, indem sie zu einer akuten Entzündung führen.
Aktivierte Endothelzellen lassen eine Exsudation löslicher Proteine aus dem Blut zu. Zusätzlich helfen von ihnen exprimierte Moleküle, polymorphkernige Leukozyten stärker an die Wand der Kapillargefäße zu binden und anschließend zur infizierten Stelle hindurchzutreten. Mp = Makrophage.
199
Abb. 10.17 Die Phagozytose von unmarkierten Bakterien (angeborene Immunität) verläuft ziemlich langsam, wird aber um ein Vielfaches beschleunigt, sobald sie (aufgrund der erworbenen Immunität) opsonisiert, d.h. mit Antikörpern und C3b beschichtet werden.
Es kann auch zur Abtötung durch die C5–9-terminalen Komplementfaktoren kommen. Dargestellt ist eine rein hypothetische, aber realistische Situation; dabei wurde die natürliche Proliferation von Bakterien außer Acht gelassen.
200
Abb. 10.18 Angeborene und erworbene Immunmechanismen stellen die gemeinsame Grundlage der humoralen und zellvermittelten Immunität dar.
Während eine geschwächte humorale Immunität zu Infektionen mit extrazellulären Erregern prädisponiert, sind unzureichende T-Zell-vermittelte Immunantworten in erster Linie mit intrazellulären Infektionen assoziiert.
201
FRAGEN
*
1* Komplementfaktor C3 wird gespalten durch a) C3b b) C3bBb c) Faktor B d) C1 e) C42? 2 Bei welchem Komplementfaktor treffen sich der klassische und alternative Weg der Komplementaktivierung? a) C4 b) C4b c) Faktor D d) C5 e) C3 Plasmazellen 3* a) synthetisieren und sezernieren Antikörper b) stammen von T-Zellen ab c) stammen von B-Zellen ab d) sezernieren große Mengen γ-Interferon e) haben einen hohen RNA-Gehalt? 4 Sezerniert eine Plasmazelle a) Antikörper mit ähnlicher Spezifität wie die auf der Oberfläche parentaler B-Zellen b) Antikörper mit zwei Antigenspezifitäten c) das Antigen, das sie bindet d) viele verschiedene Antikörper e) Lysozym? Oberflächenrezeptoren der T-Zellen binden Antigene und teilweise 5* auch a) Zytokine b) MHC c) ADCC d) Antikörper e) Peptide (von intrazellulär verarbeiteten Proteinen)? 6 Zellen mit einem MHC-Klasse-I-Peptid-Komplex werden zum Ziel von a) B-Zellen b) zytotoxischen T-Zellen (Tc) c) TH1-Zellen d) TH2-Zellen e) interdigitierenden dendritischen Zellen? Bei diesen Fragen ist mehr als eine Antwort richtig.
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr Opin Immunol [erscheint 2-monatlich, jede 4. Auflage eines Bandes befasst sich mit „Immunität gegen Infektionen“]. Delves, P.J., Roitt, I.M. (eds.): Encyclopedia of Immunology. 2th ed. Academic Press, London 1998 [mit Beiträgen zu IgG, IgA, IgM, IgD, IgE; Ig-Funktion und Domänen].
202
Griffiths, G.M.: The cell biology of CTL killing. Curr Opin Immunol 7 (1995) 343– 348. Roitt, I.M., Delves, P.J.: Roitt’s Essential Immunology. 10th ed. Blackwell Science, Oxford 2001.
203
11 Zelluläre Grundlagen erworbener Immunreaktionen 11.1
B- und T-Zell-Rezeptoren 111
11.2
Klonale Ausbreitung von Lymphozyten 111
11.3
Rolle der Gedächtniszellen 113
11.4
Stimulation von Lymphozyten 114
11.5
Zytokine 116
11.6
Steuerung/Regulationsmechanismen 118
11.7
Toleranzmechanismen 119
Zur Orientierung Wie wir im vorhergehenden Kapitel gesehen haben, beruht die erworbene Immunität auf Lymphozyten (Abb. 11.1), die sich in primären lymphatischen Organen (Knochenmark und Thymus) aus Stammzellen differenzieren. Von dort aus siedeln sie sich in sekundären lymphatischen Geweben an, wo sie Immunreaktionen auf Antigene vermitteln (Abb. 11.2). Während Gewebsantigene zu den Lymphknoten transportiert werden, hat die Milz es hauptsächlich mit Antigenen, die sie auf dem Blutweg erreichen, zu tun (Abb. 11.3). Für den Austausch zwischen Lymph- und restlichem Körpergewebe sorgt ein Pool zirkulierender Lymphozyten im Blut; sie wandern über die Lymphknoten zur Milz und zu anderen Geweben, bevor sie über große Lymphbahnen wie den Ductus thoracicus ins Blut zurückkehren (Abb. 11.4). Durch den regen Lymphozyten-Verkehr zwischen Gewebe, Blut und Lymphknoten können entsprechend sensibilisierte Zellen Antigene aufsuchen bzw. sich zu Stellen hinbewegen, an denen Immunreaktionen ablaufen. Zudem finden sich in Schleimhäuten nicht abgekapselte Ansammlungen von lymphatischem Gewebe (MALT, mucosa-associated lymphoid tissue), in denen IgAAntikörper für die Schleimsekrete gebildet werden. IgA-Antikörper sind gegen Antigene in der Umgebung (besonders im stark mit Bakterien belasteten Darm) gerichtet. Dank spezialisierter „Homing“-Rezeptoren können Lymphozyten des MALT-Systems zwischen diesen lymphatischen Geweben hin und her zirkulieren (Abb. 11.5).
204
Abb. 11.1 Lymphozyten und Plasmazellen.
(1) Kleine B- und T-Lymphozyten haben einen runden Zellkern, der im Verhältnis zum Zytoplasma sehr groß ist. (2) Bei den großen granulären Lymphozyten ist der eingebuchtete Zellkern in Relation zum Zytoplasma (mit azurophilen Granula) kleiner. Morphologisch sehen weniger als 5% der T-Helfer- und 30–50% der zytotoxischen TZellen (Tc), γδ-T-Zellen und NK-Zellen so aus. (3) Antikörper von B-Zellen – nach ihrer Differenzierung zu Plasmazellen – zeigen eine kräftige intrazytoplasmatische Färbung (hier grün-fluoreszierend ein Antikörper gegen humanes IgM und rhodamin-rot ein Antikörper gegen humanes IgG). Bemerkenswert ist, dass Plasmazellen jeweils nur eine Klasse von Antikörpern bilden, wie der Farbunterschied zeigt. (1) und (2) Giemsa-Färbung (mit Genehmigung von A. Stevens und J. Lowe); (3) aus A. Zucker-Franklin et al., Atlas of Blood Cells: Function and Pathology, 2nd ed. Lea & Febinger, Philadelphia 1988.
Abb. 11.2 Lymphat isches Gewebe. Stammzellen (S) aus dem Knochenmark differenzieren sich in primären lymphatischen Organen zu immunkompetenten B- und T-Zellen aus. Diese Zellen siedeln sich danach in sekundären lymphatischen Geweben an, wo sich auch die Immunreaktionen abspielen. MALT = mucosa-associated lymphoid tissue 205
Abb. 11.3 Anatomie von Lymphknoten und Milz.
(a) Schnitt durch ganzen Lymphknoten (schematisch). Die Rinde ist im Wesentlichen eine Region der B-Zellen; in den Keimzentren von Sekundärfollikeln findet die weitere Differenzierung zu Plasmazellen (bilden Antikörper) und Gedächtniszellen statt. (b) Milzschema mit B- und T-Zell-Bereichen [Roitt/Delves 2001].
Abb. 11.4 Mit dem Blutkreislauf bewegen sich Lymphozyten zu den Lymphknoten hin.
206
Sie gelangen über spezialisierte Endothelzellen postkapillärer Venolen (HEV) in und über efferente Lymphgefäße aus dem Lymphknoten hinaus. Nach der Passage weiterer Lymphknoten gelangen sie schließlich zum Ductus thoracicus, der beim Menschen in die linke Vena subclavia mündet. Lymphozyten durchqueren die Milz von den Randzonen (weiße Milzpulpa) aus; über die Sinusoide (rote Milzpulpa) wandern sie weiter und verlassen die Milz dann wieder über die Milzvene [Roitt/Brostoff/Male 2002].
207
Abb. 11.5 Zirkulation von Lymphozyten zwischen lymphatischen Geweben.
Nach Antigenstimulation („Priming“) wandern Zellen aus dem lymphatischen Gewebe (z.B. Peyer-Plaques, Bronchial-oder sonstige Schleimhaut) über regionale Lymphknoten und den Ductus thoracicus auf dem Blutweg zur Lamina propria (LP) des Darms oder zu einer anderen Schleimhaut, die sich in unmittelbarer Nähe oder auch entfernt von der „Priming“-Stelle befinden kann. So breiten sich Lymphozyten von der Schleimhaut, in der sie ursprünglich stimuliert wurden, selektiv über das MALT-System aus. Ermöglicht wird das über spezifische Adhäsionsmoleküle auf Lymphozyten und das dicke Mukosaendothel postkapillärer Venolen [Roitt/Brostoff/Male 2002].
208
11.1
B- und T-Zell-Rezeptoren
B- und T-Zellen lassen sich anhand ihrer Oberflächenmarker unterscheiden Nach ihrer Differenzierung tragen B- und T-Zellen als Zellpopulationen mit unterschiedlichen Funktionen Oberflächenmoleküle, in denen ihre Spezialisierung zum Ausdruck kommt. Solche Oberflächenmarker lassen sich mithilfe homogener Antikörper einer einzigen Antigenspezifität (sog. monoklonale Antikörper) erkennen. In einem Vergleich solcher Antikörper aus Laboratorien der ganzen Welt fand man heraus, dass bestimmte Gruppen oder Cluster monoklonaler Antikörper jeweils ein gemeinsames Oberflächenmolekül von Lymphozyten erkennen. Diese Oberflächenbestandteile wurden als „CD“-Molekül definiert; CD steht für „cluster determinant“ bzw. „cluster of differentiation“ (Tab. 11.1).
Lymphozyten tragen nur Rezeptoren mit einer einzigen Antigenspezifität Unter den oben genannten Oberflächenmarkern der B- und T-Zellen befinden sich auch Plasmamembranrezeptoren, mit deren Hilfe sie Fremdantigene identifizieren. Während bei T-Zellen der T-Zell-Rezeptor (TCR) als Antigenerkennungseinheit dient, ist es bei B-Zellen ein Immunglobulin auf der Oberfläche (Abb. 10.9). Es ist bekannt, dass es trotz zahlreicher Oberflächenbestandteile und der mannigfaltigen Kombinationsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben könnten, keine Verschiedenheit der Oberflächenrezeptoren gibt. B-Lymphozyten können ihre rezeptorkodierenden Keimbahngene so umordnen (Rearrangement), dass von den Spezifitäten für jede Rezeptor-Polypeptidkette nur eine einzige ausgewählt wird. Sobald dieses Rezeptormolekül an der Oberfläche exprimiert wird (Abb. 11.6), werden die anderen (Antigenrezeptor-) kodierenden Gene nicht länger gebraucht. Mit anderen Worten: nach einem genetischen Rearrangement widmen sich BLymphozyten ausschließlich der Synthese und Expression eines einzigen Rezeptortyps. Einen analogen Vorgang stellt das Rearrangement der αβ- und γδ-Gene, die für den TCR kodieren, dar. Genauso wie B-Zellen spezialisieren sich auch T-Zellen, indem sie nur eine einzige spezifische Kombination von Rezeptorpeptiden exprimieren. Diese Antigenspezifität behalten sie für ihre ganze Lebensdauer.
11.2
Klonale Ausbreitung von Lymphozyten
Durch Antigene kommt es zur Selektion und klonalen Verbreitung von Lymphozyten, die komplementäre Rezeptoren tragen. Da Lymphozyten theoretisch enorm viele (vermutlich in einer Größenordnung von mehreren Millionen) Antigenspezifitäten auf ihrer Oberfläche exprimieren können, müssen sich ihre Antigenspezifitäten gezwungenermaßen auf eine kleine Auswahl beschränken. Wenn Mikroorganismen in den Körper eindringen, widmen sich zunächst nur wenige Lymphozyten der Antigenerkennung; um einen ausreichenden Schutz des Wirts zu gewährleisten, muss ihre Zahl jedoch größer werden.
209
Tab. 11.1 Oberflächenmarker auf B- und T-Zellen. IL = Interleukin, MHC = major histocompatibility complex, TCR = T-ZellRezeptor, Fc = Dimer der Immunglobulin-Schwerketten, außer VH- und CH1Domänen des Fab-Fragments; Abb. 10.1) Dieses Problem wurde durch die Evolution vorbildlich gelöst. Auf Eindringlinge reagieren nämlich nur B-Lymphozyten, deren Oberflächenrezeptoren eine perfekte Ergänzung (Komplementarität) zur Form der Antigene bilden. Sobald B-Zellen durch die Antigenbindung aktiviert werden, beginnen sie unter dem Einfluss löslicher Wachstumsfaktoren (Zytokine, s. unten) zu proliferieren. So entsteht aus einer Zelle durch Klonierung eine große Zellpopulation (Abb. 11.7). Dieser Vorgang spielt sich überwiegend in einer Struktur lymphatischer Gewebe ab, die als Keimzentrum bekannt ist (Abb. 11.3). Im Fall der B-Zellen entwickeln sich klonale Lymphozyten zum großen Teil zu Plasmazellen weiter, die Antikörper synthetisieren und sezernieren (Abb. 11.1). Da sie von einer parentalen Zelle abstammen, die sich bereits auf die Produktion eines einzigen 210
spezifischen Antikörpers konzentriert hatte, ist ihr Endprodukt identisch mit dem Molekül auf der Oberfläche der ursprünglichen Antigen-erkennenden Zelle. Oder zumindest annähernd identisch, denn nach einer somatischen Mutation in den Keimzentren (wo die Antikörper synthetisiert werden) könnten sich feine Abstufungen der Bindungsfähigkeit ergeben. Im Endergebnis führt die Lymphozyten-Klonierung zu großen Mengen von Antikörpern, die genauso wie das Oberflächenmolekül der parentalen Zelle mit dem eingedrungenen Antigen Komplexe bilden (Abb. 11.7). Ein ähnlicher Selektions- und Klonierungsprozess läuft auch bei den T-Zellen ab. Hierbei werden in großer Zahl Effektorzellen mit derselben Antigenspezifität wie bei der parentalen Zelle produziert. Manche Effektorzellen setzen Zytokine frei, andere wirken zytotoxisch und stehen daher im Dienste der zellvermittelten Immunität. Ein Unterschied zwischen T- und B-Zellen besteht darin, dass Rezeptoren der T-Zellen keiner weiteren Selektion (infolge einer somatischen Mutation) unterliegen. Von entscheidender Bedeutung ist, dass sich sowohl bei B- wie bei T-Zellen eine Fraktion der klonal verbreiteten Zellpopulation zu ruhenden Gedächtniszellen weiterentwickelt (Abb. 11.7). Dadurch können mikrobielle Antigene bei Zweitinfektionen von mehr Zellen erkannt werden als in der „jungfräulichen“ Population vor der Erstinfektion.
211
Abb. 11.6 Im Laufe der Differenzierung immunkompetenter B-Lymphozyten kommt es zur Expression eines einzigen IgM-Monomers auf der Oberfläche (sIgMm).
Die variable Region wird zum größten Teil von etwa 50 VH-Keimbahngenen kodiert, mit ca. 25 Minigenen für das D-Segment und 6 für die J-Region. Während der Zelldifferenzierung können die VH-, D- und J-Segmente auf einem Chromosom zufällig fusionieren; dabei entstehen Lymphozyten mit einem breiten Spektrum individuell variabler Schwerketten-Domänen. Variable Leichtketten-Domänen entstehen über eine zufällige Rekombination von VL und J. Schließlich kodieren die Gene der variablen und konstanten Region nach ihrer Rekombination ein einziges (Antikörper-)Molekül, das auf reifen B-Zellen als sIgM-Antigen-Rezeptor (s =
212
surface) exprimiert wird. Bei seiner Aktivierung beginnt die Antikörperproduktion: Wenn sich das transmembranäre Segment, von dem das IgM-Molekül normalerweise an der Oberfläche gehalten wird, in der RNA-Phase aufspleißt, wird IgM in löslicher Form sezerniert. Durch eine Genumschaltung in der konstanten Schwerketten-Region können anschließend noch andere Immunglobulinklassen (IgG, IgA usw.) gebildet werden. Vereinfachte Darstellung.
Abb. 11.7 Nach Erstkontakt mit einem Antigen bilden sich bei B- und T-Zellen große Populationen von Effektor- und Gedächtniszellen.
Aus der Nachfolgegeneration der ursprünglich auf das Antigen ansprechenden Lymphozyten geht eine Fraktion nicht teilungsfähiger Gedächtniszellen hervor, während andere als Effektorzellen der humoralen oder zellvermittelten Immunität fungieren. Da Gedächtniszellen nur wenige Zyklen benötigen, um ihre Wirkung zu entfalten, verkürzt sich die Reaktionszeit beim Zweitkontakt mit einem Antigen.
213
11.3
Rolle der Gedächtniszellen
Sekundäre Immunantworten sind stärker und treten rascher ein als primäre Reaktionen Verglichen mit naiven Zellen, lassen sich Gedächtniszellen ab einer bestimmten Antigendosis im Allgemeinen leichter stimulieren. Das hängt mit ihrer größeren Antigenbindungsfähigkeit zusammen. Bei Memory-B-Zellen beruht dies auf der Mutation und Selektion während der Primärreaktion. Bei Memory-T-Zellen muss die Affinität nicht erst reifen, sondern sie können sich wegen der vermehrten Expression zusätzlicher Adhäsionsmoleküle wie CD2, LFA-1, LFA-3 oder ICAM-1 (intercellular adhesion molecule 1) stärker an antigenpräsentierende Zellen binden. In Verbindung mit der größeren Anzahl antigenspezifischer Gedächtniszellen, die beim Erstkontakt produziert wurden, führt dies zu einer sehr viel stärkeren Antikörper- oder T-ZellReaktion beim Zweitkontakt mit dem betreffenden Antigen. Auf diesem Prinzip beruht auch der Erfolg von Impfungen (Abb. 11.8). Für Impfstoffe werden Erreger bzw. Antigene modifiziert, bis sie nicht länger krank machen oder schädlich sind, aber trotzdem weitgehend ihre antigenen Eigenschaften beibehalten. Als Primärreaktion auf die Impfung entsteht ein Pool von Gedächtniszellen, die dazu beitragen, dass der Zweitkontakt mit dem Antigen (z.B. bei einer natürlichen bzw. spontanen Infektion) eine völlig ausreichende Sekundärreaktion auslöst. Das Immungedächtnis der Zellen ist meist langlebig und erstreckt sich über viele Jahre. Dafür kann es verschiedene Gründe geben. Das langlebige Gedächtnis von Zellen könnte angeboren sein oder infolge einer milden Proliferation (bei späteren Kontakten mit einem Antigenreservoir im Körper oder subklinischer Infektion) aufrechterhalten werden. Daneben besteht auch die Möglichkeit, dass T-Zellen durch das Zytokin IL-15 oder B-Zellen durch antiidiotypische Antikörper (Anti-Antikörper, die als Reaktion auf die Bindung eines ersten Antikörpers gebildet werden und Memory-B-Zellen stimulieren könnten, indem sie ihre Oberflächenrezeptoren „reizen“) stimuliert werden.
11.4
Stimulation von Lymphozyten
T-Lymphozyten werden durch spezialisierte antigenpräsentierende Zellen stimuliert Naive T-Zellen lassen sich stark von interdigitierenden dendritischen Zellen (IDC) stimulieren, bei denen es sich um spezialisierte antigenpräsentierende Zellen (APC) handelt. Von unreifen IDC werden Antigene im Gewebe aufgenommen, prozessiert (verarbeitet) und in Form eines Peptid-MHC-Klasse-II-Komplexes auf der Zelloberfläche präsentiert. Wandert die IDC zur T-Zell-Region eines ableitenden Lymphknotens, kann sie dort mehrere T-Lymphozyten stimulieren. Der Kontakt zwischen ihnen wird über den spezifischen T-Zell-Rezeptor, der den MHC-PeptidKomplex erkennt, und zusätzlich zwischen dem B7-Costimulator und dem CD28Molekül auf der Oberfläche hergestellt (Abb. 11.9).
214
Abb. 11.8
Primäre und sekundäre Immunantwort.
Nach Zweitkontakt mit einem Antigen erfolgt die Antikörperreaktion schneller und intensiver. Deshalb bewirkt eine Impfung – als Erstkontakt mit einem Antigen in abgeschwächter Form (hier am Beispiel des chemisch modifizierten Tetanustoxins dargestellt) – eine sehr viel effizientere Sekundärreaktion bei erneutem Antigenkontakt, etwa im Rahmen einer natürlichen (spontanen) Infektion. Wie bereits erwähnt, sprechen T-Zellen nach dem Priming viel rascher auf Antigene an als naive Zellen, wobei Makrophagen als antigenpräsentierende Zellen dienen können.
Manche Antigene stimulieren B-Zellen auch ohne Zwischenschaltung von T-Zellen Bei diesen sog. T-unabhängigen Antigenen lassen sich zwei Arten unterscheiden: ■ Typ-1-Antigene sind aufgrund ihrer molekularen Merkmale imstande, verschiedene B-Zellen unabhängig von deren spezifischem Antigenrezeptor zu stimulieren; man bezeichnet sie deshalb als polyklonale Aktivatoren. Im Vergleich zur übrigen B-Zell-Population werden bevorzugt B-Zellen stimuliert, die mit ihren Oberflächenrezeptoren Epitope eines polyklonalen Aktivators erkennen und das Antigenmolekül anlocken (Abb. 11.10). ■ Beim zweiten Typ der T-unabhängigen Antigene handelt es sich um Determinanten, die sich auf der Oberfläche spezialisierter Makrophagen wiederholen. Sie befinden sich in der Randzone sekundärer Milzfollikel mit Keimzentren oder in subkapsulären Sinus von Lymphknoten (Abb. 11.3). B-Zellen können sie offenbar direkt stimulieren, weil sie Querverbindungen zwischen den Immunglobulinrezeptoren herstellen (Abb. 11.10). T-unabhängige Antigene (beide Typen) teilen ein gemeinsames Merkmal: Sie rufen eher eine Reaktion mit IgM-Antikörpern niedriger Affinität als mit IgG-Antikörpern hervor und induzieren nur selten die Bildung von Gedächtniszellen.
215
Für die Antikörperproduktion wird häufig die Hilfe von T-Zellen benötigt Die meisten Antigene können B-Zellen nur stimulieren, wenn sie dabei Unterstützung von T-Helferzellen (TH-Zellen) bekommen. Das läuft dann folgendermaßen ab: ■ In Phase 1 wird das ursprüngliche Antigen von einer antigenpräsentierenden Zelle verarbeitet und kann dann eine TH-Zelle mit komplementärem Oberflächenrezeptor primen. ■ In Phase 2 wird das Antigen von einer B-Zelle (mit komplementärem Oberflächenrezeptor zu einem Epitop des ursprünglichen Antigens) eingefangen und über den Rezeptor aufgenommen. Auch die B-Zelle präsentiert nach der Prozessierung des Antigens ein Peptid auf ihrer Oberfläche – zusammen mit endogenen MHCKlasse-II-Molekülen. Gegen diesen Komplex richtete sich ursprünglich das Priming der TH-Zelle, und ihr Wiedererkennen des prozessierten Antigens führt zur Stimulierung der B-Zelle mit anschließender Aktivierung, Proliferation und Reifung (Abb. 11.11). Anmerkung: Obwohl T-Helferzellen prozessierte Antigendeterminanten erkennen, sind B-Zellen so programmiert, dass sie nur Antikörper derselben Spezifität wie die ihres Oberflächenrezeptors bilden. Letztlich kommen dabei also Antikörper heraus, die gegen das von Oberflächenrezeptoren der B-Zellen erkannte Epitop von Antigenen gerichtet sind.
216
Abb. 11.9 Migration und Reifung interdigitierender dendritischer Zellen (IDC).
Ihre Vorläufer aus Knochenmarkstammzellen gelangen auf dem Blutweg in nichtlymphatisches Gewebe. Unreife IDC (z.B. Langerhans-Zellen in der Haut) haben sich auf die Aufnahme von Antigen spezialisiert. Anschließend wandern sie über afferente Lymphgefäße weiter zu sekundären lymphatischen Geweben, wo sie sich niederlassen und große Mengen von MHC-Klasse-II- und Costimulator-Molekülen (wie B7) exprimieren. Von den hoch spezialisierten reifen IDC werden naive TZellen aktiviert [Roitt/Delves 2001].
217
Abb. 11.10 Aktivierung von B-Zellen durch Tunabhängige Antigene.
Unklar ist noch immer, welche Voraussetzungen antigenpräsentierende Zellen (APC) für Typ-2-Antigene erfüllen müssen. Ig = Immunglobulin
Abb. 11.11 T-Helferzellen (TH) stimulieren B-Zellen zur Synthese von Antikörpern gegen T-abhängige Antigene.
Abfolge der Schritte im Text näher beschrieben. Ag = Antigen, APC = antigenpräsentierende Zelle, MHC = major histocompatibility complex
218
11.5
Zytokine Bei der Immunantwort fördern Zytokine als lösliche Faktoren die Kommunikation zwischen den Zellen Sobald der TCR prozessiertes Antigen in Verbindung mit MHCKlasse-II-Molekülen erkannt hat, arbeiten APC, T-Helferund B-Zellen eng zusammen (Abb. 11.11). Um sich gegenseitig beeinflussen zu können, setzen sie lösliche Faktoren, sog. Zytokine, frei (Tab. 11.2). Zytokine reagieren auf komplementäre Oberflächenrezeptoren der Zielzellen. Bei aktivierten TZellen führt z.B. die Derepression (Aufhebung der Hemmung) des Gens, das den IL-2-Rezeptor (IL2R) kodiert, dazu, dass auf der Lymphozytenoberfläche das IL-2R-Molekül exprimiert wird. Zudem beginnt eine Subpopulation der Th-Zellen, IL-2 zu synthetisieren. Auf T-Zellen wirkt IL-2 wie ein Wachstumsfaktor, denn es verbindet sich mit IL-2R und fördert so ihre Proliferation (Abb. 11.7).
Tab. 11.2 Zytokine – die Hormone des Immunsystems. 219
Bekannte Zytokine und ihre Wirkungen. KM = Knochenmark; G-CSF = Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor; GM-CSF = Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor; M-CSF = Makrophagen- Kolonie-stimulierender Faktor; IFN = Interferon, IL = Interleukin, NK = natürliche Killerzellen, PMN = polymorphkernige Lymphozyten, TGF = transforming growth factor, TNFα= Tumornekrosefaktor α
220
Anhand der Zytokinproduktion lassen sich THelferzellen in Gruppen einteilen T-Helferzell-Klone lassen sich phänotypisch nach ihrem Zytokinsekretionsmuster zwei verschiedenen Gruppen zuordnen (Tab. 11.3). Das ist biologisch insofern sinnvoll, als von Th1-Zellen produzierte Zytokine wie IFNγ vermutlich speziell gegen intrazelluläre Infektionen (mit Viren oder Mikroorganismen, die in Makrophagen wachsen) wirksam sind, während sich Zytokine der Th2-Zellen – als gute Hilfe für BZellen – offenbar besonders zur Abwehr von Parasiten eignen, die anfällig für IL-4 (Ausschaltung von IgE), IL-5 (Eosinophilie) und eine IL-3/4-stimulierte Proliferation von Mastzellen sind. Erst bei der Immunreaktion und zum Teil geprägt von der Art des Antigens/Stimulus entscheidet sich, zu welchem Pol des Th1-/Th2-Zytokinmusters sich ein Phänotyp hin entwickelt. Beide Untergruppen können sich wechselseitig antagonistisch beeinflussen, da IL-4 die Aktivität der Th1-Zellen herunterreguliert und IFNγ die Aktivität der Th2-Zellen unterdrückt. Aufmerksamkeit wurde auch einer dritten Untergruppe (Th3) gewidmet. Denn diese auch als Tr1 (T-regulatory-1) bezeichneten Zellen produzieren einen Wachstumsfaktor (TGFβ) und IL-10, die immunsuppressiv wirken und für den Erhalt der Selbsttoleranz eine Rolle spielen könnten (Abb. 11.14, weiter unten).
Tab. 11.3 Zytokinmuster der T-Zellen (Klone).
221
Abb. 11.12 zeigt, wie weit das Zytokin-Netz reicht und wie viele unterschiedliche Zellen es mit einbezieht. Dass an einer Immunreaktion beteiligte Zellen an der anatomisch günstigsten Stelle zusammengezogen werden, liegt an der großen Zahl von Zytokinen mit relativ niedrigem Molekulargewicht, die wegen ihrer chemischen Anziehungskraft auch als Chemokine bezeichnet werden. Ihre Wirkung entfaltet sich über Oberflächenrezeptoren der Zielzellen. Dazu gehören z.B. IL-8 (wirkt besonders anziehend auf Neutrophile), MCF-1 (Makrophagen-chemotaktischer Faktor) und RANTES (lockt T-, NK- und dendritische Zellen, Monozyten, Eosinophile und Basophile zum Ort der Entzündung hin).
Abb. 11.12 Zytokinvermittelte zelluläre Interaktionen.
T-Helfer(TH)-Zellen lassen sich zwei Gruppen zuordnen: Th1-Zellen produzieren Interleukin 2 (IL-2) und γ-Interferon (IFNγ), die über Makrophagen eine chronische Entzündungsreaktion aktivieren. Th2-Zellen produzieren IL-4, IL-5 und IL-6, die BZellen bei der Antikörperproduktion unterstützen (aus Playfair 2001). G-CSF/GM-CSF/M-CSF = Granulozyten-/Granulozyten-Makrophagen/Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor, H2O2 = Wasserstoffperoxid, LS = lymphoide Stammzelle, MS = myeloide Stammzelle, NK = natürliche Killerzellen, NO = Stickoxid, PC = Plasmazelle, PMN = polymorphkerniger Lymphozyt, SC = Stammzelle, Tc = zytotoxische T-Zelle, TGFβ = transforming growth factor beta, TNF = Tumornekrosefaktor
222
11.6
Steuerung/Regulationsmechanismen
Kontrolle der unbegrenzten klonalen Vermehrung Auch wenn Lymphozyten durch ein Antigen zur Klonierung aktiviert werden, dürfen sie sich nicht endlos weiter teilen, weil sie sonst den ganzen Wirtsorganismus ausfüllen würden. Deshalb gibt es verschiedene Kontrollmechanismen für die Vermehrung dieser Lymphozyten. Eine sehr wichtige Rolle spielt bei Immunreaktionen die Antigenkonzentration (Titer). Natürlich bedeutet es einen entscheidenden evolutionären Vorteil, wenn in einem (Körper-)System die Immunabwehr ein- und ausgeschaltet werden kann, sobald ein Antigen auftaucht bzw. wieder verschwindet. Insofern dürfte es nicht weiter überraschen, dass sich über Selektionsprozesse ein antigengesteuertes Abwehrsystem entwickelt hat, bei dem Immunantworten direkt von der Antigenwirkung auf Lymphozytenrezeptoren beeinflusst werden. Nach Katabolisierung (Abbau durch Stoffwechsel) und Beseitigung des Antigens (Klärung durch Immunreaktion) verschwindet auch die Stimulation des Immunsystems.
Antikörper haben einen Rückkopplungseffekt Als frühe Immunreaktion wird IgM produziert. Es sorgt für eine positive Rückkopplung (Feedback) und unterstützt die Immunabwehr beim Reifeprozess. Dagegen kann IgG in ausreichender Konzentration ein negatives Feedback bewirken und die Immunreaktion herunterfahren (Downregulation). Die Th3- bzw. Tr1-Zellen wurden bereits erwähnt, die die Aktivität sowohl der T-Helfer- als auch der B-Zellen bremsen, und zwar durch antigen- oder idiotypspezifische Mechanismen. Im letzteren Fall könnte es sein, dass Epitope auf einem Lymphozytenrezeptor (Idiotyp), die von einem anderen Lymphozytenrezeptor (Antiidiotyp) erkannt werden, über ein dichtes Netz gegenseitiger Beeinflussung die Immunantwort unterdrücken (Abb. 11.13).
223
Abb. 11.13
Steuerung der Immunantwort.
Auf ähnliche Weise wird auch die Hilfe der T-Zellen bei zellvermittelten Immunreaktionen reguliert. Zur besseren Verständlichkeit wurde hier weggelassen, dass antiidiotypische T-Helferzellen (Th) auch B-Zellen rekrutieren und idiotypische T-Helferzellen antiidiotypische T-Suppressorzellen (Ts) direkt aktivieren können. APC = antigenpräsentierende Zelle
11.7
Toleranzmechanismen
Mechanismen der Selbst-Toleranz verhindern Autoreaktivität Um Reaktionen gegen körpereigene Bestandteile zu vermeiden, muss das Immunsystem unbedingt lernen, nicht gegen körpereigene Moleküle anzukämpfen bzw. muss SelbstToleranz entwickeln. Im Wesentlichen werden autoreaktive Zellen vermutlich ■
durch eine Art klonaler Deletion beseitigt
■
schon in einem frühen Stadium ihres Zelllebens anerg
■ manchmal (später im Leben) durch regulatorische T-Zellen ruhig gestellt (Abb. 11.14).
Ab einer bestimmten Antigenkonzentration werden TZellen leichter toleriert als B-Zellen Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass Autoantigene im Thymus zur Deletion oder Anergie spezifischer T-Zell-Klone führen; dennoch überleben autoreaktive T-Zellen, wenn die MHC-/Eigen-Peptid-Konzentration einer entsprechenden antigenpräsentierenden Zelle zu niedrig ist. Bei einer relativ hohen Konzentration an Selbstproteinen wird es auch zur klonalen Deletion oder Anergie von B-Zellen kommen. Allerdings besteht weniger die Notwendigkeit, andere B-Zellen zu tolerieren, weil 224
autoreaktive B-Zellen unfähig (hilflos) wären, auf Thymus-abhängige Antigene zu reagieren, wenn die entsprechenden T-Helferzellen die Moleküle tolerieren würden, sei es aufgrund klonaler Deletion oder Suppression durch Tr1-Zellen (Abb. 11.14). Das Immunsystem spricht auch nicht auf körpereigene Anteile an, wenn es sie nicht bemerkt oder erkennen kann. Das geschieht z.B., wenn sich die Genausstattung über einen langen Zeitraum verändert hat und die Gene für autoreaktive Rezeptoren verloren gegangen sind. Doch selbst wenn autoreaktive T-Zellen vorhanden sein sollten, werden sie nicht aktiviert, solange Autoantigene (sAg) anatomisch isoliert oder nicht in ausreichender Konzentration (prozessiert und als Komplex mit MHC-Klasse-IIMolekülen) vorliegen bzw. keine MHC-Klasse-II-Moleküle auf der Zelloberfläche exprimiert werden. Da die meisten Zellen MHC-Klasse-I-Moleküle exprimieren, erscheint es logisch, dass zytotoxische T-Zellen (Tc), die auf Zellen mit prozessierten intrazellulären Komponenten reagieren könnten, entweder beseitigt, hilflos oder unterdrückt wurden.
Abb. 11.14
Mechanismen der Selbst-Toleranz.
Autoreaktive T-Helferzellen (Th) werden nicht durch Autoantigene (SelbstAntigene, sAg) stimuliert, wenn sie anatomisch isoliert liegen bzw. wenn die sAgKonzentration der Peptid-MHC-Klasse-II-Moleküle zu niedrig ist oder keine MHCKlasse-II-Moleküle vorhanden sind. Sowohl B- als auch T-Zellen können durch klonale Deletion ausgeschaltet oder durch Kontakt mit einem Autoantigen ruhig gestellt (anerg, d.h. lebend, aber nicht mehr reagierend) werden. Ist die sAgKonzentration zu niedrig, wird die Differenzierung unreifer Lymphozyten, die den entsprechenden Rezeptor tragen, jedoch nicht stillgelegt, so dass eine Gruppe autoreaktiver T- und B-Zellen überlebt. Am leichtesten werden T-Helferzellen toleriert, und ohne ihre Hilfe können die überlebenden autoreaktiven B- und zytotoxischen T-Zellen (Tc) nicht funktionieren. Hinzu kommt, dass TSuppressorzellen (Ts) eine versehentliche Stimulation überlebender autoreaktiver Zellen verhindern; bei dieser Untereinheit handelt es sich wahrscheinlich um 225
Th3/Tr1-Zellen. Tote, nicht mehr reagierende oder unterdrückte Zellen sind hier grau dargestellt [modif. nach Roitt/Delves 2001]. APC = antigenpräsentierende Zellen
Zusammenfassung ■ Lymphozyten exprimieren entweder Antikörper oder einen T-Zell-Rezeptor (TCR) mit einer einzigen Antigenspezifität. ■ Durch Antigenbindung an den komplementären Antikörper oder TCR werden Lymphozyten dazu aktiviert, sich mittels Zellklonierung zu vermehren (proliferieren). Sie differenzieren sich dann zu Zellen, die Antikörper bilden, oder zu Effektorzellen der zellvermittelten Immunität; daneben entsteht ein großer Pool von Gedächtniszellen. ■ Werden aus diesem Pool beim Zweitkontakt mit einem Antigen Gedächtniszellen stimuliert, kann das Immunsystem umfassender und schneller als beim Erstkontakt reagieren. Deshalb dienen Impfungen mit Antigen in abgeschwächter Form als Vorbereitung auf erneuten Antigenkontakt (z.B. bei einer natürlichen/spontanen Infektion), damit die Immunreaktion der Geimpften sofort effektiv ausfällt. ■ Viele Antigene benötigen Hilfe von T-Zellen, um B-Zellen aktivieren zu können. Die Interaktionen zwischen den Zellen vermittelt eine Vielzahl löslicher Faktoren (Zytokine). ■ Antigenkonzentration, Antikörper-Feedback, T-Zell-Suppression und Apoptose schränken eine ungebremste klonale Vermehrung der Lymphozyten ein. ■ Verschiedene Toleranzmechanismen verhindern eine Autoreaktivität (Immunabwehr gegen körpereigene Bestandteile).
FRAGEN 1 Heiβt das immunologische Nichtansprechen auf Autoantigene: a) Toleranz b) Tolerogen c) Gedächtnis d) erworbene Immunität e) ADCC?
226
2 Zytokine wirken immer: a) durch spezifische Rezeptorbindung b) über weite Strecken c) antagonistisch mit anderen Zytokinen d) synergistisch mit anderen Zytokinen? 3 Mit welchem typischen Produkt unterstutzen CD4-positive Th2-Zellen, nicht aber Th1-Zellen die Antikorperproduktion: a) IFNγ b) Lymphotoxin (TNFβ) c) GM-CSF d) IL-4 e) IL-1? 4 *Negatives Feedback auf adaptive Immunreaktionen der B-Zellen wird vermittelt durch: a) antigenspezifisches IgM b) antigenspezifisches IgG c) Antigenneutralisation d) Fcγ-Rezeptoren der Makrophagen e) F(ab‘)2 anti-μ? 5 Vor intrazellulären Erregern schützen a) T-Zellen b) Antikörper c) C3B d) C1 e) der Membranangriffskomplex? * mehr als eine richtige Antwort
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr Opin Immunol [erscheint 2-monatlich, jede 1., 2. und 3. Auflage eines Bandes mit kritischem Review]. Janeway, Travers, Walport, Shlomchik. Immunologie. 5. Aufl. Spektrum Akademischer Verlag GmbH 2002. Playfair, J.H.L.: Immunology at a Glance. 7th ed. Blackwell Science, Oxford 2001. Roitt, I.M., Delves, P.J.: Roitt’s Essential Immunology. 10th ed. Blackwell Science, Oxford 2001. Roitt, I.M., Brostzoff, J., Male, D.K. (eds.): Immunology. 6th ed. Elsevier Science, London 2002.
227
12 Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt 12.1
Wirt-Parasit-Beziehungen 125
12.2
Ursachen infektiöser Erkrankungen 129
12.3
Unterschiedliches biologisches Ansprechen131
Zur Orientierung Wirbeltiere waren in den Hunderten Millionen Jahren ihrer Evolution einer ständigen Infektionsgefahr ausgesetzt; unzureichende Abwehrmechanismen gegen Mikroorganismen führten zu Krankheit oder Tod. Daher entwickelten sie ■ hoch effiziente Erkennungsmethoden für fremde Eindringlinge, ■ Entzündungs- und Immunreaktionen, um Wachstum und Ausbreitung der Invasoren im Körper wirksam einzuschränken und sie zu vernichten. Wesentliche Grundlagen der körpereigenen Abwehr sind in Kapitel 9 und 10 beschrieben. Wären diese Abwehrmechanismen vollkommen wirksam, könnten Erreger nicht lange im Körper persistieren; sporadische mikrobielle Infektionen würden somit rasch beendet sein.
Mikroorganismen entwickelten rasch die Fähigkeit, die Wirtsabwehr zu überwinden Auf Abwehrmechanismen ihrer Wirtsspezies reagierten Mikroorganismen sehr schnell: Sie entfalteten unterschiedliche Eigenschaften, um die Abwehr zu umgehen oder zu überwinden und obligatorische Entwicklungsschritte zu vollziehen (Tab. 12.1). Mikroorganismen entwickeln sich im Vergleich zu ihrem Wirt mit rasanter Geschwindigkeit. Das liegt zum Teil an der schnelleren Vermehrung. Die durchschnittliche Generationszeit von Bakterien beträgt eine Stunde oder weniger, beim Menschen etwa 20 Jahre. Schnelle evolutionäre Veränderungen werden auch durch direkte Weitergabe der Gene (auf Plasmiden) von Bakterien auf andere, auch auf nichtverwandte, Bakterien begünstigt. So können z.B. Antibiotikaresistenzgene schnell zwischen Bakterienspezies übertragen werden. Diese raschen evolutionären Veränderungen stellen sicher, dass Mikroorganismen den Abwehrmechanismen ihres Wirts immer mehrere Schritte voraus sind. Wenn es die Möglichkeit gibt, die Abwehr zu umgehen, haben Mikroorganismen sie höchstwahrscheinlich bereits herausgefunden und daraus ihren Vorteil gezogen. Ihrer Fähigkeit zur Anpassung und Weiterentwicklung, indem sie jede Schwachstelle der Wirtsabwehr für sich nutzen, verdanken Infektionserreger zum großen Teil ihr erfolgreiches Durchsetzungsvermögen (Tab. 12.2, Abb. 12.1 und 12.2). Umgekehrt musste der Wirt als Reaktion darauf seine Abwehr langsam verbessern und weiter ausbauen. Daher sind seine Abwehrmechanismen so breit gefächert angelegt, dass sie sich zum Teil überlappen und in der Wirkung verdoppeln.
12.1
Wirt-Parasit-Beziehungen
228
Entscheidend ist, wie schnell die (spezifischen) Abwehrkräfte mobilisiert werden Jede Infektion ist ein Wettlauf (Abb. 12.1) zwischen Erreger (d.h. der Fähigkeit, sich zu vermehren, zu verbreiten und krank zu machen) und Wirt (der Fähigkeit, die Infektion zu bekämpfen und zu beenden). Für schnell wachsende Mikroorganismen kann es einen entscheidenden Vorteil bedeuten, wenn die Wirtsantwort erst mit 24-stündiger Verzögerung in Gang kommt. Vom Wirt aus betrachtet kann der Schaden dann bereits so groß sein, dass er krank wird. Vom Standpunkt des Erregers aus ist der Zeitgewinn wertvoll, weil er sich so in größerer Menge weiterverbreiten kann oder ein bis zwei Tage mehr Zeit im Körper des Wirts hat. Solche Mikroorganismen setzen sich durch und werden im Laufe der Evolution schnell selektiert.
Durch Anpassung von Wirt und Parasit wird die Beziehung stabiler und ausgeglichener Während der Auseinandersetzung versuchen beide Seiten, sich aufeinander einzustellen (s. Kasten Myxomatose), um den Schaden und die Todesfälle (Letalität in der Wirtspopulation) möglichst gering zu halten. Diese Anpassung führt zu einer stabileren, ausgeglicheneren Beziehung. Ein erfolgreicher Parasit holt sich ohne größere Schädigung alles von seinem Wirt, was er benötigt, und je länger die Beziehung hält, desto unschädlicher ist sie im Allgemeinen. Viele parasitäre Mikroorganismen, nicht nur der Normalflora (s. Kap. 8), sondern auch Polioviren, Meningokokken und Pneumokokken, leben zum größten Teil friedlich mit ihrem (Menschen-)Wirt zusammen. Manche Mikroorganismen beschränken sich auf die Körperoberfläche und breiten sich höchstens lokal aus, ohne in tiefere Schichten einzudringen. Dazu gehören z.B. Grippeund Warzenviren, Mykoplasmen und Hautpilze. Oft verlaufen solche Infektionen in milder Form. Wenn jedoch starke Toxine gebildet werden, die ihre Wirkung lokal (Cholera) oder an entfernteren Stellen (Diphtherie) entfalten, kann es zu einer schweren Erkrankung kommen.
229
Tab. 12.1 Infektionserreger müssen bestimmte obligatorische Schritte vollziehen, um sich erfolgreich durchzusetzen. *
Der letzte Schritt, Schädigung des Wirts, ist nicht unbedingt nötig; doch ein gewisser Schädigungsgrad kann für die Weiterverbreitung förderlich sein. Voraussetzung für die Übertragung auf neue Wirte ist z. B. die Absonderung infektiöser Sekrete bei Erkältung oder Durchfall bzw. ein juckender Bläschen- oder Pustelausschlag.
230
Tab. 12.2
231
Wirtsabwehr und Ausweichstrategien der Erreger: mechanische und andere Schutzbarrieren.
Abb. 12.1 Jede Infektion ist ein Wettlauf. Wird die spezifische (erworbene) Immunabwehr zu spät mobilisiert, drohen Erkrankung oder Tod des Wirts.
232
Vier Infektionsarten lassen sich unterscheiden Es gibt vier Arten von Infektionen durch Mikroorganismen (Abb. 12.3). Die Erreger können ■ sich dank spezifischer Mechanismen an die Oberfläche normalerweise gesunder Wirte heften oder in den Körper eindringen (z.B. die meisten Viren, bestimmte Bakterien); ■ durch Insektenbisse/-stiche in normalerweise gesunde Wirte eingebracht werden (z.B. Malaria, Pest, Typhus, Gelbfieber); ■ über Hautwunden oder Tierbisse in den Körper ansonsten gesunder Wirte gelangen (Clostridien, Tollwutvirus, Pasteurella multocida); ■ normalerweise gesunde Wirte nur infizieren, wenn deren oberflächliche oder systemische Abwehr geschwächt ist (s. Kap. 30), z.B. bei Verbrennungen, bakterieller Pneumonie nach viraler Vorerkrankung (postgrippal) oder bei Immunschwäche (Immunsuppression durch Medikamente oder Krankheiten wie AIDS), beim Einführen von Fremdkörpern bzw. Instrumenten (Kanülen, Katheter) oder wenn sich die anatomischen Gegebenheiten geändert haben (z.B. Harnwegsinfektion des Mannes (Harnsteine, Prostatahyperplasie, s. Kap. 20).
Geschichte der Mikrobiologie Myxomatose Ein gut untersuchtes, klassisches Beispiel für die Entwicklung einer Erkrankung in einer sehr infektionsanfälligen Population ist die Myxomatose. Das Myxomvirus wird mechanisch über Moskitostiche verbreitet. Normalerweise infizieren sich südamerikanische Kaninchen (Sylvilagus brasiliensis) in der Form, dass sich zwar an der Einstichstelle eine virushaltige Hautbeule entwickelt, die Tiere aber ansonsten asymptomatisch bleiben. Bei europäischen Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) verursacht dasselbe Virus jedoch eine Erkrankung, die rasch tödlich ausgeht. Um die schnell anwachsende Kaninchenpopulation in Australien zu dezimieren, wurde das Myxomvirus 1950 – mit Erfolg – dort eingeführt. Anfangs starben mehr als 99% der infizierten Tiere (Abb. 12.2), doch dann traten zwei grundlegende Veränderungen ein: ■ Neue, weniger tödliche Stämme ersetzten das ursprüngliche Virus: Weil diese Kaninchen länger lebten, konnte ihr Virus mit größerer Wahrscheinlichkeit übertragen werden. ■ Durch Ausrottung der genetisch (infektions)anfälligeren Tiere veränderte sich die Kaninchenpopulation. Mit anderen Worten: Virusbedingt kam es zur Selektion resistenter Wirte, und dabei erwiesen sich die weniger tödlichen Stämme als erfolgreichere Parasiten. Mit Auslöschung der Kaninchenpopulation wäre auch das Virus ausgestorben. Doch in dem Fall wurde die Wirt-Parasit-Beziehung ziemlich schnell beständiger, bis ein Zustand ausbalancierter Pathogenität erreicht war.
233
Australischen Kaninchen droht nun neue Gefahr durch ein Calicivirus aus Europa, dass sich durch Kontaktinfektion ausbreitet und eine tödliche hämorrhagische Krankheit hervorruft.
Abb. 12.2
Myxomatose.
Sie ist das bestuntersuchte Beispiel für die Infektion mit einem Erreger, dessen anfangs hohe Letalität in der Wirtspopulation sich allmählich abschwächt, bis sich der Zustand einer ausbalancierten Pathogenität einstellt. Nachdem sich Vibrio cholerae in dieser Richtung entwickelt, wird vielleicht auch HIV den Weg einschlagen.
234
Abb. 12.3 Vier Arten einer Infektion durch Mikroorganismen
(Körperflächen des Wirts nach demselben Schema wie in Abb. 13.1 wiedergegeben). Äußere (oberflächliche) und innere (systemische) Abwehr des Wirts können aus verschiedenen Gründen geschwächt sein.
12.2
Ursachen infektiöser Erkrankungen
Über hundert Mikroorganismen verursachen die häufigsten Infektionen Menschen dienen vielen Mikroorganismen als Wirt. Neben Vertretern der Normalflora kommen über hundert Mikroorganismen als Auslöser gängiger Infektionen in Frage (einige halten sich noch Jahre danach im Körper), und mehrere hundert andere sind für seltenere Infektionen verantwortlich. Wie lässt sich vor dem Hintergrund so vielfältiger parasitärer Einwirkungen ein bestimmter Erreger als Krankheitsursache nachweisen? In einigen Fällen (Anthrax, Cholera, Tetanus) kennt man den Auslöser und kann ihn schon in einem frühen Stadium diagnostizieren, doch bei Drüsenfieber und Virushepatitis ist dies schwierig.
235
Kochs Postulate zur Identifizierung von Mikroorganismen als Verursacher spezifischer Erkrankungen 1890 postulierte Robert Koch (s. Kasten) Kriterien, in denen er notwendige Voraussetzungen für den Nachweis der eindeutigen Krankheitsursache sah. Der betreffende Erreger muss ■
in jedem Erkrankungsfall vorhanden sein,
■
bei Erkrankten isoliert und in Reinkultur gezüchtet werden können,
■ die Erkrankung wiederholt (reproduzierbar) hervorrufen (wenn Kultur in anfällige, zuvor nicht erkrankte Wirte eingebracht wurde), ■
auch von experimentell infizierten Wirten gewonnen werden können.
Um weitere bakterielle und auch virale Infektionskrankheiten einzuschließen, waren jedoch Modifikationen von Kochs Kriterien nötig. Mikroorganismen (wie Treponema pallidum und das Warzenvirus) ließen sich nicht im Labor züchten, und für bestimmte Erreger – Hepatitis-B-Virus (HBV) und Epstein-Barr-Virus (EBV) – fand sich zumindest anfangs noch keine empfängliche Tierspezies. Zur Lösung dieser Probleme wurden die Regeln mehrmals angepasst und schließlich 1976 von A.S. Evans neu formuliert und aktualisiert. In den frühen Tagen der Mikrobiologie sorgten Kochs Postulate für willkommene Klarheit. Erst kurz nach Kochs klassischen Studien zu Anthrax (1876) und Tuberkulose (1882) ging man daran, Krankheitsursachen im Sinne der Keimtheorie zu erforschen, und Methoden zur Isolierung, Kultivierung und Identifizierung von Mikroorganismen wurden gerade erst entwickelt.
Heutzutage werden Rückschlüsse auf die Erkrankungsursache mit aufgeklärtem Sachverstand gezogen Geschichte der Mikrobiologie Robert Koch (1843–1910) Als es Robert Koch 1876 in Berlin gelang, den Milzbranderreger (Bacillus anthracis) zu isolieren, war er der Erste, der eine spezifische Krankheitsursache aufzeigen konnte. 1882 entdeckte er den Tuberkulose-Erreger (Mycobacterium tuberculosis). Auf einer Expedition nach Ägypten und Indien unter seiner Leitung erforschte er 1883 auch den Erreger der Cholera (Vibrio cholerae). Koch gilt als Begründer der Keimtheorie, der zufolge einzelne MikroorganismenSpezies bestimmte Krankheiten hervorrufen. Als Grundregeln formulierte er 1890 seine Postulate (s. Text). Um den strengen Anforderungen dieser Postulate zu genügen, waren neue Kulturtechniken erforderlich. Daher war Koch der Erste, der
236
Bakterien-Kolonien – auf Kartoffelscheiben und später, mit seinem Schüler Petri zusammen, auf festen Gelatine-Nährböden – züchtete. Koch selbst konnte Cholera bei Tieren jedoch nicht reproduzieren. Außerdem ließen sich nicht alle Mikroorganismen kultivieren, so dass seine Grundregeln entsprechend modifiziert werden mussten. Trotzdem brachte Kochs Theorie Ordnung und Klarheit in die Medizin, denn zu seiner Zeit galten Krankheiten noch als Strafe Gottes oder des Teufels und wurden auf Miasmen, Nebel oder ungünstige Konstellationen der Sterne und Planeten zurückgeführt. Es regte sich jedoch auch Widerstand gegen Kochs Ideen. Der bekannte Münchner Arzt Max von Pettenkofer hielt die neue Theorie für widerlegt, als er eine Kulturlösung mit V. cholerae trank und nur eine leichte Diarrhoe bekam.
Robert Koch (1843–1910) Der enorme technologische Fortschritt und unser besseres Verständnis von Infektionen mögen den Versuch, lange Listen mit strengen Kriterien aufzustellen, überholt erscheinen lassen. Heute können wir aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen, um die Ursachen von Krankheiten zu erkennen. Wir wissen, dass manche Krankheiten erst Jahre nach der Infektion ausbrechen (subakut-sklerosierende Panenzephalitis, Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung; s. Kap. 24). Dank molekulargenetischer Technik können zuvor nicht kultivierbare Erreger identifiziert werden. Die Polymerasekettenreaktion 237
half bei Patienten mit Whipple-Krankheit (einer seltenen, multisystemischen Erkrankung), kleine mRNA-Mengen aus dem Darm zu amplifizieren und zu sequenzieren. Entdeckt wurde dabeidie 16S-mRNA eines vorher unbekannten und nicht anzüchtbaren Bakteriums (Tropheryma whippelii). Trotzdem bleiben im Hinblick auf Krankheiten mit möglicher oder wahrscheinlicher mikrobieller Ätiologie Grauzonen, besonders wenn mehr als ein Mikroorganismus beteiligt ist. Kofaktoren oder genetische und immunologische Eigenheiten des Wirts könnten eine wichtige Rolle spielen. Beispiele sind: ■
durch Viren (HBV, EBV, HPV) bedingte Tumorerkrankungen;
■ mikrobielle Erkrankungen, an denen möglicherweise mehrere Mikroorganismen beteiligt sind, können das postvirale Fatigue-Syndrom oder einen Multiple-Sklerose-Schub auslösen; ■ infektiöse Erkrankungen, die nur bei einer kleinen Gruppe genetisch vorbelasteter Patienten auftreten (rheumatoide Arthritis, juveniler Diabetes mellitus).
Mögliche Schwierigkeiten der ätiologischen Zuordnung von Krankheiten Theoretisch von Interesse sind Fälle, in denen die ätiologische Zuordnung einer Krankheit Schwierigkeiten bereiten könnte, obwohl bisher keine dieser Möglichkeiten auf menschliche Erkrankungen zutraf: ■ Bei manchen Infektionen verhält sich die ins Wirtsgenom integrierte VirusDNA wie genetisches Merkmal und wird vertikal übertragen (z.B. Mammatumorviren bei Mäusen). ■ Wenn ein Mikroorganismus nur den Krankheitsprozess anstößt und danach komplett aus dem Körper verschwindet, lässt er sich nicht länger nachweisen. Dies ist bei zerebellarer Hypoplasie von Hamstern und Katzen nach intrauteriner Parvovirusinfektion der Fall. Bei Menschen gibt es keine entsprechenden Beispiele.
238
12.3
Unterschiedliches biologisches Ansprechen
Üblicherweise rufen Erreger nicht bei allen Infizierten dasselbe Krankheitsbild hervor Selbst wenn nur einige der krankheitsdefinierenden Symptome vorliegen, muss der Arzt die Diagnose stellen können. Wie das klinische Bild einer Krankheit genau aussieht, hängt von mehreren Variablen ab, z.B. Infektionsdosis und -weg, Alter, Geschlecht, Beteiligung weiterer Erreger, Ernährungszustand und genetische Veranlagung. Während Infektionen wie Masern oder Cholera ein ziemlich einheitliches Krankheitsbild bieten, haben andere (wie Syphilis) vielgestaltige pathologische Auswirkungen. Sir William Osler (1849–1919) bemerkte treffend: „Syphilis kennen heißt sich mit Medizin auszukennen.“.Nicht nur im Wesen, sondern auch in der Schwere einer klinisch manifesten Erkrankung zeigt sich eine große Variationsbreite. Manche Infektionen verlaufen in über 90% asymptomatisch, erst in einer bestimmten Konstellation kommt es zur klinisch manifesten Erkrankung (Tab. 12.3). Der Verlauf kann mild oder schwer sein. Asymptomatische Träger sind insofern wichtig, als sie selbst immun und resistent gegen eine Reinfektion geworden sind, aber andere infizieren können (da sie unentdeckt bleiben und sich normal in ihrem sozialen Umfeld bewegen). Daher bringt es wenig, klinisch infizierte Patienten zu isolieren, solange es in einer Gruppe viele asymptomatisch Infizierte gibt. Dieses Phänomen lässt sich als Eisberg darstellen (Abb. 12.4).
Tab. 12.3 Ob sich eine klinisch manifeste Krankheit entwickelt, hängt oft von Alter und Geschlecht ab.
Abb. 12.4 Das „Eisberg-Konzept“ infektiöser Erkrankungen
239
Zusammenfassung ■ Mit der Abwehr des Wirts (s. Kap. 9 und 10) konfrontiert, haben Erreger (s. Kap. 1–7) Mechanismen entwickelt, um sie zu umgehen. Umgekehrt haben Wirte daraufhin, wenn auch langsam, ihre Abwehr ebenfalls angepasst. ■ Zwischen Mikroorganismen und Wirten besteht ein uralter Konflikt, und jede Infektion ist Folge dieses Konflikts (nähere Einzelheiten s. Kap. 9–17, Diagnosemethoden s. Kap. 32, Infektionskrankheiten geordnet nach Organsystemen s. Kap. 18–30). ■ Schnelligkeit zahlt sich aus. Jede Infektion ist ein Wettlauf zwischen Vermehrung und Ausbreitung der Erreger und Mobilisierung der Wirtsabwehr. ■ Es gibt vier Arten von Infektionen, je nachdem, ob die Wirtsabwehr intakt oder geschwächt ist. ■ Manchmal bereitet es Schwierigkeiten, einen spezifischen Erreger als Infektionsursache auszumachen. ■ Erreger müssen nicht notwendigerweise bei jedem Infizierten dasselbe Krankheitsbild hervorrufen. Durch abgestuftes biologisches Ansprechen kommt es zu einem breiten Spektrum asymptomatischer bis tödlicher Infektionen.
FRAGEN 1 Wie lieβe sich nachweisen, dass Diabetes mellitus durch ein Virus verursacht wird?
240
2 Fast jeder Infizierte stirbt an Rabies/Tollwut, wie überdauert diese Infektion dann in freier Natur? 3 Nennen Sie die Entwicklungsschritte, die ein erfolgreicher Erreger in einem Wirt durchläuft. Welche sind am wichtigsten? 4 Wie könnte man zeigen, dass für die Infektion eines Wirts die Hemmung seiner Immunreaktionen oder der Zytokinwirkung durch Genprodukte eines Virus (z.B. des Myxomatosevirus) entscheidend war? 5 Wenn jede Infektion ein Wettrennen ist, was verhindert dann bei allen Mikroorganismen eine vollständige Infektion innerhalb weniger Tage? 6 Trotz der beeindruckenden antimikrobiellen Wirkung von Phagozyten scheinen sich viele Erreger in ihnen zu vermehren. Warum?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Burnet, F.M., White, D.O.: The Natural History of Infectious Disease, 4th ed. Cambridge University Press, Cambridge 1972. Falkow, W.: Koch’s postulates applied to microbial pathogenicity. Rev Infect Dis 10 (1988) S274. Köhler et al.,: Medizinische Mikrobiologie – Kap. 1 Allgemeine Infektionslehre. Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed. Academic Press, London 2001. Smith, G.A.: Virus strategies for evasion of the host response to infection. Trends Microbiol 2 (1994) 81–88.
241
13 Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege 13.1
Eintrittspforten 134
13.1.1
Haut 134
13.1.2
Respirationstrakt 135
13.1.3
Gastrointestinaltrakt 136
13.1.4
Urogenitaltrakt 139
13.1.5
Mund-Rachen-Raum (Oropharynx) 140
13.2 13.2.1 13.3
Austrittspforten und Übertragung 141 Übertragung 141 Übertragung von Mensch zu Mensch 142
13.3.1
Aerogene Übertragung 143
13.3.2
Gastrointestinale Übertragung 143
13.3.3
Urogenitale Übertragung 145
13.3.4
Oropharyngeale Übertragung 146
13.3.5
Übertragung über die Haut 146
13.3.6
Übertragung durch Milch 147
13.3.7
Übertragung durch Blut 147
13.3.8
Vertikale und horizontale Übertragung 148
13.4
Übertragung von Tieren auf Menschen 149
13.4.1
Vektoren 149
13.4.2
Übertragung durch Wirbeltiere 150
242
Zur Orientierung Mikroorganismen müssen sich auf der Oberfläche des Wirtes anheften oder in ihn eindringen können Säugetiere haben als Wirte ihre Körperfläche anzubieten (Abb. 13.1). An diesen Flächen müssen Mikroorganismen Halt finden bzw. eindringen können, um sich auf oder in ihrem Wirt festzusetzen. Die mit Haut oder Fell bedeckte Außenfläche des Körpers dient zum Schutz und zur (Wärme-)Isolation; es ist eine trockene, nahezu undurchlässige Hornschicht. An anderen Stellen findet jedoch ein engerer Austausch mit der Umwelt statt: bei der Nahrungsaufnahme, dem Gasaustausch oder der Ausscheidung von Urin und Sexualprodukten. Deshalb sind Verdauungs-, Respirations- und Urogenitaltrakt innen mit ein- oder mehrschichtigen Lagen lebender Zellen ausgekleidet. Im Auge ersetzt eine durchsichtige Schicht (Augenbindehaut, Konjunktiva) aus lebenden Zellen die Haut. Überall sorgen gut entwickelte natürliche Reinigungs- und Spülmechanismen dafür, dass Mikroorganismen das Eindringen in den Körper erschwert wird. Erfolgreich behaupten können sich daher nur Mikroorganismen, die über wirksame Mittel zur Adhäsion oder zum Durchdringung dieser Flächen verfügen.
Rezeptormoleküle Mikroorganismen können sich oft mit spezifischen Molekülen an Rezeptoren in Haut(Viren, Bakterien) oder Gewebezellen (Viren) ihres Wirts binden. Diese (manchmal auch unterschiedlichen) Rezeptormoleküle sind natürlich nicht zum Nutzen eines Virus oder sonstigen Erregers gedacht, sondern erfüllen spezifische Funktionen im Leben der Zellen. Ist das Rezeptormolekül nur auf bestimmten Zellen vorhanden (was ganz selten vorkommt), sind allein sie anfällig für Infektionen – z.B. das CD4-Molekül für HIV oder der C3d-Rezeptor (CR2) für das Epstein-Barr-Virus. In dem Fall werden Tropismus des Virus und das charakteristische Infektionsmuster vom Rezeptormolekül vorgegeben. Rezeptoren sind daher entscheidend für die Infektionsanfälligkeit von Zellen, an der Oberfläche wie auch im Körperinneren. Nach der Rezeptorbindung an empfindliche Zellen beginnen Mikroorganismen, sich oberflächlich zu vermehren (Mykoplasmen, Bordetella pertussis) oder in die Zellen einzudringen und sie zu infizieren (Viren, Chlamydien; s. Kap. 15).
Austritt aus dem Körper Um sich auf weiteren Wirten auszubreiten zu können, müssen Mikroorganismen den Wirtskörper wieder verlassen können. Dies kann durch das Ausscheiden von Körpersekreten geschehen bzw. über kontaminiertes Blut, das blutsaugende Arthropoden aufnehmen oder mit dem z.B. Injektionskanülen kontaminiert sind.
13.1
Eintrittspforten
13.1.1
Haut
243
Über die Haut eindringende Erreger können sowohl Haut- als auch andere Infektionen hervorrufen Welche Mikroorganismen über die Haut in den Körper gelangen oder Infektionen auslösen, zeigt Tab. 13.1 Keime, die nicht zur normalen Hautflora (s. Kap. 8) gehören, werden von Fettsäuren (Haut-pH um 5,5) und vermutlich auch von Talg- und sonstigen Drüsensekreten schnell unschädlich gemacht. Von Keratinozyten gebildete Peptide z.B. hindern A-Streptokokken am Eindringen. Auch Substanzen, die von der normalen Hautflora produziert werden, schützen vor Infektionen. Gelangen Hautbakterien in Haarfollikel oder Talgdrüsen, können sie Gerstenkörner und Furunkel verursachen. Staphylokokken in den Milchgängen sind mögliche Ursache einer Mastitis.
Abb. 13.1 Für Infektion und Verbreitung der Erreger wichtige Körperflächen.
244
Tab. 13.1 Infektionen, die von der Haut ausgehen. Die abgestorbenen Keratinstrukturen der Haut (Hornhaut bzw. Stratum corneum, Haare, Nägel) werden von Pilzen (Dermatophyten) infiziert. Solange die Parasiten schneller in die Tiefe wachsen, als sich die Keratinschicht abstößt (schuppt), bleibt die Infektion bestehen. Besonders bei den langsam nachwachsenden Nägeln verläuft eine Mykose oft chronisch. Übliche Eintrittspforten für Erreger sind Hautwunden, Abschürfungen oder Verbrennungen. Virulenten Streptokokken, Leptospiren oder dem Hepatitis-B-Virus (HBV) genügt schon ein winziger Hautriss zum Eintritt. Leptospiren oder die Larven von Ancylostoma und Schistosomen zählen zu den wenigen Mikroorganismen, die sich aus eigener Kraft auch durch unverletzte Haut bohren. 245
Stiche oder Bisse von Arthropoden Beißende oder stechende Arthropoden wie Moskitos, Zecken, Flöhe und Sandfliegen (s. Kap. 27) penetrieren die Haut bei einer Blutmahlzeit, hierbei bringen sie den Erreger oder Parasiten in den Körper. Als Überträger spielen Arthropoden eine wichtige Rolle im Lebenszyklus vieler Mikroorganismen. Rein mechanisch werden Erreger aus dem Mundbereich der Arthropoden übertragen. In den meisten Fällen vermehren sich die Erreger jedoch in ihren Zwischenwirten, ohne ihnen größeren Schaden zuzufügen; dieses friedliche Zusammenleben von Arthropoden und Mikroorganismen ist das Ergebnis einer seit Millionen Jahren stattfindenden Anpassung. Nach einer gewissen Inkubationszeit erscheinen die Erreger im Speichel oder Kot der Arthropoden und werden beim Blutsaugen übertragen. Stechmücken z.B. injizieren ihren Speichel (wirkt als Antikoagulans) ins Wirtsgewebe, während Kleiderläuse Kot mit Rickettsia rickettsii ausscheiden, der durch Kratzen an der befallenen Stelle in die Bisswunde gelangt.
Augenbindehaut Als spezialisierten Hautbereich könnte man die Augenbindehaut (Konjunktiva) ansehen. Sie wird durch ständiges Spülen mit Tränenflüssigkeit und den Scheibenwischer-Effekt des alle paar Sekunden erfolgenden Lidschlusses rein gehalten. Daher müssen Mikroorganismen wie Chlamydien oder Gonokokken schon über besonders gute Haftmechanismen verfügen, um normale Konjunktiven infizieren zu können (s. Kap. 25). Bei Störungen der lokalen Abwehr (verringerte Tränenproduktion, Bindehaut- oder Lidschädigung) können sich aber auch weniger spezialisierte Mikroorganismen etablieren. Infektiöses Material wird oft mit verunreinigten Fingern in die Augen gerieben (z.B. Trachom).
13.1.2
Respirationstrakt
Manche Mikroorganismen schaffen es, die Reinigungsmechanismen der Atemwege zu überwinden Mit den Schwebeteilchen – Rauchpartikel, Staub und Keime – in der normalen Atemluft, die ständig inhaliert werden, können die Reinigungsmechanismen (s. Kap. 18 und 19) sehr gut klarkommen. Bei einer Keimdichte von rund 500–1000/m3 in geschlossenen Räumen und einer Lungenventilation von 6 l/min in Ruhe gelangen täglich etwa 10000 Mikroorganismen in die Atemwege. Genauso wie die anderen Partikel werden sie im oberen oder unteren Respirationstrakt von Schleim umhüllt, durch die Flimmerbewegung der Kinozilien zum hinteren Rachen befördert und verschluckt. Um diesem Schicksal zu entgehen, haben Mikroorganismen besondere Eigenschaften entwickelt.
Reinigungsmechanismen Die ideale Strategie besteht darin, sich fest an die (Zell-) Oberfläche der mukoziliaren Schutzschicht zu heften. Mit spezifischen Molekülen (oft als Adhäsine bezeichnet) 246
können sich Mikroorganismen an Rezeptoren empfindlicher Zellen binden (Abb. 13.2). Beispiele für solche Infektionen sind in Tab. 13.2 angeführt. Die Zilien-/Flimmerbewegung zu hemmen ist eine andere Möglichkeit für Mikroorganismen, um die Reinigungsmechanismen zu behindern und sich im Respirationstrakt festzusetzen. Bordetella pertussis z.B. heftet sich nicht nur an Epithelzellen der Atemwege, sondern stört auch die Zilienbewegung. Andere Bakterien (Tab. 13.3) produzieren ziliostatische Stoffe, meist unbekannter chemischer Zusammensetzung.
Zerstörung durch Alveolarmakrophagen In den Alveolen treffen inhalierte Mikroorganismen auf Makrophagen, deren Funktion es ist, Fremdpartikel zu entfernen und die Luftwege rein zu halten. Die meisten Erreger werden von ihnen zerstört, doch ein paar haben inzwischen gelernt, der Phagozytose zu entgehen oder sie unbeschadet zu überstehen. Da Tuberkelbakterien in Makrophagen überleben, kann auf diese Weise Tuberkulose entstehen. Dazu reichen schon 5–10 eingeatmete Bakterien aus (Näheres zur wichtigen Rolle der Makrophagen im körpereigenen Abwehrsystem s. Kap. 14). Eine erhöhte Tuberkulose-Anfälligkeit kann sich auch durch das Einatmen giftiger Asbest- oder Staubpartikel ergeben (bewirkt Zerstörung der Alveolarmakrophagen).
247
Abb. 13.2
Flimmerepithel mit Influenzaviren.
An Härchen (Kinozilien, C) und Mikrovilli (M) kleben Viruspartikel (V). Elektronenmikroskopische Aufnahme, Dünnschnitt; Organpräparat (Meerschweinchen-Trachea) 1 Stunde nach Einbringen des Virus (mit freundlicher Genehmigung von R.E. Dourmashkin).
Tab. 13.2 Mikroorganismen im Respirationstrakt. ICAM-1 = interzelluläres Adhäsionsmolekül, CD46 = Membranprotein (Kofaktor der Komplementaktivierung), Integrine = auf vielen Zelltypen vorhandene Familie von Adhäsionsrezeptoren (z. B. Lamininrezeptor)
248
Tab. 13.3 Atemwegsinfektionen mit gestörter Zilienfunktion.
13.1.3
Gastrointestinaltrakt
Manche Mikroorganismen widerstehen der Abwehr des Verdauungstraktes (Säuren, Schleim und Enzyme) Im Darm gibt es – außer der fließenden, gerichteten Bewegung (Peristaltik) des Darminhalts – keine speziellen Reinigungsmechanismen, wenn man nicht Durchfall und Erbrechen als solche auffassen möchte. Unter normalen Umständen gleicht die kontinuierliche Ausscheidung von Bakterien bei der Darmentleerung die Vermehrung residenter Keime in der Darmflora wieder aus. Auch wenn sich einige verschluckte, apathogene Keime im Darmlumen vermehren, kommt es während der 12- bis 18stündigen Darmpassage nur zu einer geringfügigen Erhöhung ihrer Zahl. Um sich im Verdauungstrakt durchzusetzen und stärker vermehren zu können, müssen sich pathogene Bakterien fest ans Epithel heften (Tab. 13.4) bzw. verhindern, dass sie auf direktem Weg nach unten befördert und mit dem Stuhl ausgeschieden werden. Wie hoch die Konzentration im Stuhl ist, bestimmt das Verhältnis zwischen Neubildung und Ausscheidung der Bakterien. Vibrio cholerae (Abb. 13.3 und 13.4) und Rotaviren binden sich spezifisch an Oberflächenrezeptoren des Dünndarmepithels. V. cholerae wirkt schon bei Verankerung in der oberflächlichen Schleimschicht infektiös bzw. pathogen. Dass bestimmte Erreger bevorzugt den Dickdarm (Shigellen) oder den Dünndarm (die meisten Salmonellen, Rotaviren) befallen, könnte ein Hinweis auf spezifische Rezeptormoleküle der Mukosazellen in diesen Darmabschnitten sein.
Abb. 13.3 Vibrio choleraeheftet sich an Mikrovilli des Bürstensaums (Kaninchen);
249
elektronenmikroskopische Aufnahme, Dünnschnitt, 10000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von E.T. Nelson). Manchmal geht es bei Infektionen aber nicht nur um die lumenseitige Adhäsion an Zellen des Darmepithels. Shigella flexneri kann z.B. nur über die Basalmembran in Zellen gelangen. Am Anfang steht ihre Aufnahme durch M-Zellen, danach dringen die Bakterien in örtliche Makrophagen ein und rufen eine lokale Entzündungsreaktion hervor. Durch herbeiströmende Polymorphkernige wird die Epithelschranke stellenweise durchbrochen. Jetzt können auch Bakterien aus dem Darmlumen in großem Maßstab von basal in die Darmepithelzellen eindringen. Diese Bakterien nutzen also die Entzündungsreaktion ihres Wirts dazu aus, sich Zugang zu den Zellen zu verschaffen.
250
Tab. 13.4 Mikrobielle Adhäsionsmechanismen im Darmtrakt *
ICAM = interzelluläres Adhäsionsmolekül; wichtig für Entzündung und „soziales“ Leben der Zellen; wirkt auf Zellen in vitro als Rezeptormolekül für das Poliovirus ** oft an Pili oder Fimbrien (E. coli besitzt z. B. bis zu 200 Pili mit Adhäsinen) *** Shigellen und andere pathogene Bakterien heften sich an Epithelzellen und lassen sich von ihnen aufnehmen
Abb. 13.4 Vibrio choleraean M-Zellen der Ileumschleimhaut (Mensch)
251
Haftwerkzeuge Manchmal benutzen parasitäre Protozoen und Würmer auch grobmechanische Mittel, um sich festzuhalten oder einzudringen. Giardia lamblia kann sich z.B. nicht nur mit spezifischen Adhäsionsmolekülen an die Mikrovilli von Epithelzellen heften, dies funktioniert auch über eine Saugscheibe. Hakenwürmer haben eine große Mundkapsel mit hakenförmigen Zähnen oder Schneideplatten, um sich an der Dünndarmmukosa festzuhalten. Andere Würmer (z.B. Ascaris) versteifen sich gegen die Peristaltik, während Bandwürmer fest am Schleimbelag der Darmwand haften. Vordere Haken und Saugorgane spielen dagegen bei diesem größten Wurm nur eine untergeordnete Rolle. Einige Würmer bohren sich im adulten Stadium (Trichinella, Trichuris) aktiv in die Schleimhaut oder durch die Darmwand, um in tiefere Gewebe einzudringen (z.B. Trichinella-Embryos (setzen weibliche Würmer frei), oder aus verschluckten Wurmeiern geschlüpfte Echinococcus-Larven).
Gegenmaßnahmen gegen Schleim, Säuren, Enzyme und Galle Mikroorganismen im Darm müssen Schleim, Säuren, Enzyme und Galle abwehren oder resistent sein Darmepithelzellen sind von Schleim überzogen, der sie durch seine mechanische Schrankenfunktion vor Infektionen schützt. Bestimmte Moleküle im Schleim können, indem sie Adhäsine binden, verhindern, dass sich Erreger an die Wirtszellen heften. Vor Infektionen schützen den immunen Menschen auch die im Schleim enthaltenen sekretorischen IgA-Moleküle. V. cholerae, Salmonellen und bestimmte Stämme von E. coli sind beweglich und können sich aus eigenem Antrieb durch die Schleimschicht bewegen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie Epithelzellen erreichen und sich spezifisch anheften können. Nützlich für das Durchqueren des Schleims kann auch eine von V. cholerae produzierte Muzinase sein. Unbewegliche Mikroorganismen sind dagegen darauf angewiesen, dass sie passiv durch die Schleimschicht transportiert werden. Wie nicht anders zu erwarten, überstehen Mikroorganismen, deren Infektionsweg über den Gastrointestinaltrakt verläuft, oft unbeschadet einwirkende Säuren, proteolytische Enzyme und Galle. Das trifft ebenso für Erreger zu, die den Körper auf diesem Weg wieder verlassen (Tab. 13.5). Alle Mikroorganismen mit enteralem Infektionsweg müssen sich zunächst gegen die Magensäure behaupten. Eine Sonderform der Abwehr hat Helicobacter pylori entwickelt (s. Kasten). Dass sich Tuberkelbakterien gegen Säure resistent erweisen, begünstigt die Entstehung einer Darmtuberkulose. Doch die meisten Bakterien reagieren empfindlich auf Säure und ziehen ein leicht alkalisches Milieu vor. So zeigte sich z.B. in einem Versuch mit freiwilligen Probanden (die Probanden tranken unterschiedliche Konzentrationen von V. cholerae in 60 ml Kochsalzlösung), dass die Cholera-Anfälligkeit um das 10000fache anstieg, wenn ihnen zusätzlich 2 g Natriumbikarbonat verabreicht wurden. Die Probanden erkrankten, sobald sie eine Mindestdosis von 108 Bakterien ohne bzw. 104 Bakterien
252
mit Natriumbikarbonat einnahmen. Ähnliche Versuche wurden mit Salmonella typhi durchgeführt; auch hier verringerte sich die minimale infektiöse Dosis von 1000– 10000 Bakterien wieder signifikant bei Zugabe von Natriumbikarbonat. Wenn Erreger wie Shigellen, S. typhi, Hepatitis-A- (HAV) und andere Enteroviren in das (Dünn-)Darmepithel eingedrungen sind, hängt ihre Pathogenität letztlich davon ab, ob sie
Tab. 13.5 Eigenschaften von Mikroorganismen, die sich erfolgreich im (Magen-)Darm-Trakt behaupten HAV = Hepatitis-A-Virus
253
Geschichte der Mikrobiologie Magensäure neutralisieren – die Überlebensstrategie vonHelicobacter pylori Helicobacter pylori wurde vor ca. 20 Jahren entdeckt. Den Nachweis, dass es sich um einen humanpathogenen Keim handelt, erbrachten zwei mutige australische Ärzte aus Perth in einem Selbstversuch: durch einen bakterienhaltigen Trunk bekamen sie eine Gastritis. Die Infektion breitet sich oral oder fäkal-oral aus. Noch vor 150 Jahren war fast jedes Kind infiziert. Als sich die hygienischen Verhältnisse besserten, verschob sich in vielen Ländern der Krankheitsbeginn nach hinten, so dass heute mehr als die Hälfte der über 50-Jährigen infiziert sind. H. pylori heftet sich nach oraler Aufnahme über spezielle Adhäsine an die Magenwand an. Für die meisten Mikroorganismen (z.B. Vibrio cholerae) ist der niedrige pH-Wert im Magen rasch tödlich – nicht so für H. pylori. Um sich zu schützen, setzt er große Mengen Urease frei; sie bewirkt, dass sich winzige Ammoniakwölkchen aus Harnstoff bilden, die sich in der unmittelbaren Umgebung von H. pylori befinden. Sobald sie sich festgesetzt haben, rufen die Bakterien eine Entzündung mit Dyspepsie hervor, gelegentlich auch ein Duodenaloder Magenulkus. Solche Geschwüre sollten antibiotisch und nicht nur mit Antazida behandelt werden. 90% der Duodenalulzera sind durch H. pylori, der Rest durch NSAID oder Acetylsalicylsäure bedingt. Ohne tiefer ins Gewebe einzudringen, halten sich die Bakterien jahrelang im Magen auf und verursachen eine asymptomatische chronische Gastritis. Aus noch unbekannten Gründen entwickelt sich bei einigen Patienten ein Magenkarzinom. H. pylori war das dritte Bakterium, dessen Genom komplett entschlüsselt werden konnte. Noch nicht geklärt ist die Rolle der Helicobacter-Toxine, von denen mehrere beschrieben sind. ■ sich vermehren und ausbreiten, ■ Toxin produzieren, ■ Zellen schädigen, ■ Entzündungs- und Immunreaktionen hervorrufen.
254
Resorption mikrobieller Exotoxine, Endotoxine und Proteine Mikrobielle Exo- und Endotoxine sowie Proteine können in geringerem Umfang vom Darm resorbiert werden. Beschleunigt erfolgt die Proteinaufnahme im Allgemeinen bei Durchfall, aber auch bei Säuglingen, die Antikörper aus der Milch beziehen müssen. Neben Makromolekülen können auch kleinere Partikel (von der Größe eines Virus) aus dem Darmlumen aufgenommen werden. Das geschieht bevorzugt an Stellen, wo sich Peyer-Plaques, isolierte Ansammlungen von Lymphgewebe, befinden. Sie liegen direkt unter dem Darmepithel, das in diesem Bereich hoch spezialisiert ist und aus sog. M-Zellen besteht (Abb. 13.4). M-Zellen sind über zytoplasmatische Ausläufer eng mit Immunzellen verbunden, denen sie aufgenommene Partikel und Fremdproteine zuführen.
13.1.4
Urogenitaltrakt
Im Urogenitaltrakt breiten sich Erreger schnell im gesamten Organsystem aus Da der Urogenitaltrakt ein Kontinuum darstellt, können sich Erreger schnell von einem Teil zum nächsten ausbreiten. Aus diesem Grund fällt es nicht immer leicht, Vaginitis und Urethritis oder Urethritis und Zystitis voneinander abzugrenzen, sofern das überhaupt nötig ist (s. Kap. 20 und 21).
Vagina Das Fehlen spezieller Reinigungsmechanismen macht die Vagina besonders anfällig für Infektionen, wenn wiederholt ein (manchmal pathogen) kontaminierter Fremdkörper wie der Penis in sie eingeführt wird. Auf dieser Grundlage entstehen z.B. sexuell übertragene Krankheiten (s. Kap. 21). Deshalb ist sie von Natur aus mit zusätzlichen Abwehrmechanismen ausgestattet. Während der reproduktiven Lebensphase wird Glykogen unter dem Einfluss zirkulierender Östrogene in das Vaginalepithel eingelagert und von Laktobacillen in der Vaginalflora zu Milchsäure abgebaut. Aufgrund dessen liegt der pH-Wert in der Scheide bei 5,0. Normalerweise verhindert dies eine Besiedlung mit anderen Keimen als Laktobacillen, bestimmten Stäbchen und Corynebakterien. Im Vaginalsekret können pro ml bis zu 108 dieser kommensalen Bakterien enthalten sein. Andere Mikroorganismen können die Vagina nur besiedeln oder tiefer ins Gewebe eindringen, wenn sie über besondere Mittel verfügen, um sich an der Vaginal- oder Zervixschleimhaut halten bzw. beim Koitus aus winzigen Läsionen (Genitalwarzen, Syphilis) oder einer Abwehrschwäche (Tampon, Östrogenungleichgewicht) ihren Vorteil ziehen zu können.
Urethra und Harnblase Infektionen der Harnröhre werden hauptsächlich durch regelmäßige Spülung bei der Harnentleerung abgewehrt; Blasenurin ist normalerweise steril.
255
Die Harnblase ist mehr als ein passiver Auffangbehälter und verfügt in ihrer Wand über Abwehrmechanismen, die bisher noch kaum verstanden sind. Neben der Schutzschicht aus Schleimhaut kann sie Entzündungsreaktionen sowie sekretorische Antikörper und Immunzellen produzieren.
Invasionsmechanismen Der Harntrakt wird fast immer von außen, über die Harnröhre aufsteigend, infiziert. Deshalb lautet das erste und oberste Gebot für eindringende Keime, sich nicht mit dem Urin wieder ausschwemmen zu lassen. Daher entwickelten Bakterien wie z.B. Gonokokken (Abb. 13.5) besondere Haftmechanismen. Über ein bestimmtes bakterielles (Pilus-)Peptid – das an ein Kohlenhydratpolymer bindet – werden Urethralzellen dazu gebracht, das Bakterium aufzunehmen (Phagozytose bzw. auf Parasiten gerichtete Endozytose). Dasselbe geschieht auch mit Chlamydien. Hinsichtlich urogenitaler Infektionen erweist sich die Vorhaut als Handicap. Nach Abschwellen des Penis bleiben oft im feuchten Bereich unter der Vorhaut sexuell übertragbare Pathogene zurück. Bei unbeschnittenen Männern kommen sexuell übertragene Erkrankungen häufiger vor als nach Zirkumzision. Schwierigkeiten bereitet die Vorhaut auch, weil sie Harnwegsinfektionen durch Fäkalkeime begünstigt. Wenn Neugeborene nicht beschnitten werden, erkranken sie häufiger, da sich Fäkalkeime auf der Innenseite des Präputiums ansammeln können. Darmbakterien, vor allem E. coli, gelangen häufiger in den Harntrakt und verursachen eine Zystitis. Eine wichtige Rolle spielt dabei die geschlechtsspezifische Anatomie (Abb. 13.6). Mit einer Urethralänge von 20 cm (bei erschlafftem Penis) steigen Infektionen beim Mann nicht so leicht zur Harnblase auf. Harnwegsinfektionen des Mannes kommen entsprechend nur selten vor, z.B. aufgrund einer Katheterisierung oder eingeschränkter Spülwirkung des Urins (s. Kap. 20). Anders bei Frauen: ihre Urethra ist nicht nur kürzer (5 cm), sondern auch viel näher am After (Abb. 13.6), einem ständigen Bakterienreservoir, lokalisiert. Von einer Harnwegsinfektion sind Frauen 14-mal häufiger betroffen als Männer, und mindestens 20% der Frauen leiden zu irgendeinem Zeitpunkt im Leben an Symptomen einer Harnwegsinfektion. Oft besiedeln die Bakterien zunächst den Schleimhautbereich rund um die Harnröhre, vielleicht weil sie sich speziell an diese Zellen heften können. Begünstigt wird die Invasion durch die mechanische Verformung, der die Urethra und ihre Umgebung beim Koitus unterliegen; dadurch kann es zur Urethritis und Zystitis kommen. Eine Bakteriurie ist bei sexuell aktiven Frauen 10-mal häufiger als bei Nonnen.
13.1.5
Mund-Rachen-Raum (Oropharynx)
Bei herabgesetzter Abwehrkraft können Erreger ins Gewebe des Oropharynx eindringen Kommensale Mikroorganismen des Mund-Rachen-Raums sind in Kapitel 18 beschrieben.
256
Abwehrmechanismen Für eine natürliche Reinigung sorgt die spülende Wirkung des Speichels (von dem etwa 1 l/Tag produziert wird, das entspricht 400-mal schlucken), unterstützt von Kauund anderen Bewegungen der Zunge, Wangen und Lippen. Andererseits wird Sekret/Material aus dem Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx) beim Schlucken mit dem Zungenrücken fest gegen die Pharynxwand gedrückt, so dass Mikroorganismen an dieser Stelle möglicherweise eine Eintrittspforte finden. Zusätzliche Abwehrmechanismen sind sekretorische IgA-Antikörper, antimikrobielle Stoffe wie Lysozym, die normale Mund-/Rachenflora und die Aktivität der Leukozyten in Schleimhaut und Speichel.
Abb. 13.5 Gonokokken-Adhärenz an humanem Harnröhrenepithel
(mit freundlicher Genehmigung von P.J. Watts).
Abb. 13.6 Frauen sind anfälliger für eine urogenitale Infektion mit Fäkalkeimen, weil ihre Harnröhre kürzer ist und sich näher am After befindet.
257
Invasionsmechanismen Sich an Schleimhäuten oder Zahnflächen halten zu können ist sowohl für eindringende wie für residente Keime (der Normalflora) obligatorisch. Verschiedene Streptokokkenarten in der Mundhöhle heften sich z.B. über Lipoteichonsäuremoleküle ihrer Pili an das Wangen- und Zungenepithel (resident: Streptococcus salivarius), Zähne (resident: Streptococcus mutans) oder Pharynxepithel (nicht resident: Streptococcus pyogenes). Wenn die Widerstandskraft der Schleimhaut herabgesetzt ist, können kommensale und andere Bakterien leichter eindringen. Das ist z.B. bei Zahnfleischentzündung (begünstigt durch Vitamin-C-Mangel) oder Candida-Infektion bzw. Mundsoor (begünstigt durch Breitspektrum-Antibiotikatherapie, weil sie das Gleichgewicht in der Normalflora verändert) der Fall. Sobald 3–4 Stunden lang weniger Speichel fließt (z.B. zwischen den Mahlzeiten), vervierfacht sich die Zahl der Bakterien im Speichel (s. Kap. 18). Bei dehydrierten Patienten ist der Speichelfluss stark vermindert, so dass ihr Mund schnell von Bakterien überwuchert wird. Wie an allen anderen Körperflächen führen Veränderungen in der Wirtsabwehr schnell dazu, dass sich die Grenze zwischen harmloser Normalflora und beginnender Gewebeinvasion verschiebt. 258
13.2
Austrittspforten und Übertragung
Mikroorganismen verlassen den Wirt auf unterschiedliche Weise und stellen ihre Übertragung sicher Um sich erfolgreich durchzusetzen, müssen Mikroorganismen den Körper ihres Wirts wieder verlassen und sich weiterverbreiten. Hochpathogene Erreger (wie das Ebolavirus oder Legionella pneumophila) wären kein größeres Problem für Wirtspopulationen, würden sie nur selten oder nur begrenzt auf andere Menschen übertragen werden. Zum Austritt aus dem Körper nutzen fast alle Mikroorganismen Körperoberflächen. Einige Ausnahmen werden aus dem Wirt, z.B. von blutsaugenden Arthropoden (Vektoren, die Gelbfieber, Malaria und Filarien übertragen), aktiv gewonnen. Tab. 13.6 zeigt unterschiedliche Infektionsarten und ihre Rolle bei der Übertragung in einer Übersicht und stellt Abwehrmechanismen des Wirts sowie Gegenstrategien der Erreger einander gegenüber. Auf der Übertragung von einem Wirt zum anderen beruht die Epidemiologie infektiöser Erkrankungen (s. Kap. 31). Die Übertragung hängt von folgenden drei Faktoren ab: ■
der ausgeschiedenen Erregerzahl (Menge)
■
der Stabilität der Erreger in der Umwelt
■ der notwendigen Infektionsdosis (zur Infektion eines neuen Wirts erforderliche Keimzahl)
259
13.2.1
Übertragung
Ausgeschiedene Erregerzahl (Menge) Es liegt auf der Hand, dass Viruspartikel, Bakterien, Protozoen oder Wurmeier umso eher auf neue Wirte treffen, je mehr von ihnen verbreitet werden. Allerdings besteht auch das Risiko, dass viele der ausgeschiedenen Mikroorganismen absterben und nur wenige den Fortbestand der Spezies sichern.
Umgebungsstabilität Mikroorganismen verbreiten sich schneller in der Umgebung, wenn sie unempfindlich auf Trockenheit reagieren (Tab. 13.7). Sind sie gegen thermische Inaktivierung resistent, bleiben sie in der Außenumgebung auch längere Zeit infektiös. Dank spezieller Entwicklungsformen (Clostridien-Sporen, Amöben-Zysten) können sich manche Mikroorganismen Hitze, Trockenheit und chemischer Schädigung besser widersetzen. Das zeigt, wie wichtig Umweltresistenz für sie ist. Lebende Mikroorganismen sind thermostabiler, wenn sie getrocknet sind. Gefriertrocknen macht sie sehr unempfindlich für Umgebungstemperaturen. Dass Sporen und Zysten dehydriert sind, trägt viel zu ihrer Umweltresistenz bei. Empfindliche Mikroorganismen sind dagegen zur Verbreitung auf engen Kontakt, Vektoren oder kontaminierte Nahrung und Wasser angewiesen.
Für eine Neuinfektion erforderliche Erregerzahl (Infektiosität) Dass Mikroorganismen mit unterschiedlicher Effizienz Infektionen hervorrufen, erklärt auch viele Aspekte der Übertragung. Während freiwillige Probanden z.B. bereits nach Aufnahme von 10 Shigella dysenteriae-Bakterien (von anderen Menschen) erkrankten, können für eine Lebensmittelvergiftung bis zu 106 Salmonellenspezies (von Tieren) erforderlich sein. Auch der Infektionsweg spielt eine Rolle. Werden menschliche Rhinoviren in die Nasenhöhle eingebracht, reicht für eine Erkältung (Schnupfen) eine einfache Dosis (single tissue culture infectious dose), dagegen sind trotz der vielen Viruspartikel bei Applikation im Pharynx rund 200 solcher Dosen erforderlich. Eine Infektion im Bereich der Harnröhre können bereits zehn Gonokokken verursachen, für eine Infektion der Mundhöhlen- oder Rektumschleimhaut muss ihre Anzahl mehrere tausendfach größer sein.
Andere Einflüsse bei der Übertragung Genetische Faktoren der Mikroorganismen spielen bei der Übertragung ebenfalls eine Rolle. So kommt es, dass manche Stämme leichter übertragen werden als andere, wobei der genaue Mechanismus oft noch unklar ist. Schwankungen in der Übertragbarkeit sind unabhängig von Pathogenität und Virulenz der Erreger (d.h. davon, wie schädlich und infektiös sie sind). Bestimmte Aktivitäten des infizierten Wirts steigern die Effizienz der Übertragung bzw. Weiterverbreitung. Husten- und Niesreflex nutzen nicht nur dem Wirt (weil sie Fremdstoffe aus den Atemwegen befördern), sondern auch Mikroorganismen. Daher 260
findet eine Selektion von Stämmen statt, die eine vermehrte Sekretion bewirken bzw. das respiratorische Epithel reizen (d.h. verstärkt Husten und Niesen provozieren) und sich deshalb entsprechend besser verbreiten. Ähnliches gilt für die gesteigerte Darmaktivität: Diarrhoe. Auch wenn sie schneller aus dem Körper geleitet werden (durch Mittel gegen Durchfall dauert eine Darminfektion oft länger), ist Diarrhoe aus Sicht der Keime eine höchst wirkungsvolle Methode, die Umgebung zu kontaminieren und sich bzw. die Infektion auf neue Wirte auszubreiten.
Tab. 13.6 Infektionsarten. 261
262
13.3
Übertragung von Mensch zu Mensch
Mikroorganismen können von Menschen, Wirbeltieren und stechenden/beißenden Arthropoden übertragen werden. Am effektivsten erfolgt sie durch direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch. Die weltweit häufigsten Infektionen breiten sich inhalativ (aerogen), fäkal-oral oder venerisch (durch Geschlechtsverkehr) aus. Eine eigene Untereinheit bilden direkt durch Wirbeltiere (Zoonosen) oder über Vektoren (beißende und stechende Arthropoden) übertragene Infektionen. Infektionen, die von einer anderen Spezies erworben wurden, breiten sich nicht oder nur schlecht zwischen Menschen aus. In Abb. 13.7 sind die unterschiedlichen Übertragungswege bzw. -arten dargestellt.
Tab. 13.7 Trockenresistenz von Pathogenen als Einflussfaktor bei der Übertragung.
13.3.1
Aerogene Übertragung
Infektionen der oberen Atemwege breiten sich in überfüllten Räumen sehr rasch aus Niesen und Husten sorgen in Verbindung mit vermehrt gebildetem Nasensekret für eine sehr effektive Verbreitung von Keimen aus der Nasenhöhle. Beim Niesen werden bis zu 20000 Tröpfchen pro Stoß aus der Nase freigesetzt (Abb. 13.8), und im Fall einer Erkältung sind darin viele Viruspartikel enthalten. Beim Husten (Keuchhusten, Tuberkulose) wird eine geringere Zahl von Mikroorganismen – vielleicht ein paar hundert – aus Mund, Rachen, Larynx und 263
Lunge ausgestoßen. Auch beim Sprechen gelangen Partikel aus dem Mund (nicht sehr viele, aber immerhin sind vor allem Konsonanten wie f, p, t und s als Quelle zu berücksichtigen). Sicher ist es kein Zufall, dass viele Flüche im Englischen mit diesen Buchstaben anfangen; der Beschimpfte wird also womöglich noch mit (infektiösem) Speichel kontaminiert. Der Bereich, in dem sich inhalierte Tröpfchen niederschlagen, hängt von ihrer Größe ab. Große Tropfen fallen schon nach 4 m Flugstrecke wieder zu Boden, andere lagern sich z.B. auf der Nasenschleimhaut (Durchmesser von 10 mm) ab. Die kleinsten Tröpfchen (Durchmesser von 1–4 mm) können für unbestimmte Zeit in der Luft hängen bleiben und gelangen mit dem normalen Luftstrom über die Nase in die unteren Luftwege. In überfüllten Räumen breiten sich Infektionen rasch aus, z.B. Erkältung/Grippe in Schulen und Büros oder eine Meningokokkeninfektion unter den Rekruten in einer militärischen Einrichtung. Das erklärt vielleicht die Häufung von Atemwegsinfekten im Winter. In schlecht belüfteten Räumen ist die Luft feuchter; das kommt Streptokokken und Hüllviren, die darin schweben, zugute und lässt sie länger überleben. Ein weiterer Faktor sind Klimaanlagen, denn durch trockene Luft wird die mukoziliare Clearance beeinträchtigt. In einer Hinsicht ist die aerogene Ausbreitung einmalig: In auffälligem Kontrast zur Ausscheidung über den Verdauungstrakt kann Material aus dem Respirationstrakt quasi sofort auf andere Menschen übergehen. Das erklärt, weshalb sich Atemwegsinfektionen so rasch in geschlossenen Räumen ausbreiten. Auch durch Taschentücher, Hände und andere Objekte können Krankheitserreger (z.B. Schnupfenviren) zwischen Menschen übertragen werden, wobei Husten und Niesen wichtigere Infektionsquellen darstellen. Auf Bindehautinfektionen wird in Kap. 25 näher eingegangen. Welcher Teil des Respirationstrakts betroffen ist, hängt von der anfänglichen Lokalisation, aber auch von den jeweiligen Rezeptoren (Tab. 13.2) und der lokalen Temperatur ab. Rhinoviren können zwar in großer Zahl in den unteren Respirationstrakt vordringen, aber sich nicht so gut vermehren wie in der Nasenschleimhaut, weil sie – ebenso wie z.B. der Lepraerreger – kühlere Temperaturen bevorzugen.
13.3.2
Gastrointestinale Übertragung
Unter schlechten gesundheitlichen bzw. hygienischen Verhältnissen können sich Magen-Darm-Infektionen rasch ausbreiten Unter schlechten gesundheitlichen bzw. hygienischen Verhältnissen breiten sich Magen-Darm-Infektionen mit ziemlicher Sicherheit aus, wenn ausreichende Erregermengen im Stuhl und empfängliche Wirtspersonen zusammentreffen. Auf die Schlüsselrolle der Diarrhoe bei der Übertragung wurde bereits oben hingewiesen. In der Geschichte der Menschheit fand über lange Zeit in großem Maße eine Wiederverwertung von fäkalem Material statt, und dieser fäkal-orale Kreislauf setzt sich in den Entwicklungsländern noch heute fort. In der großen Vielfalt der 264
Mikroorganismen und Parasiten, die auf diesem Weg übertragen werden, spiegelt sich auch seine Anziehungskraft für die Erreger wider.
Abb. 13.7 Übertragungswege/-arten und Möglichkeiten zur Kontrolle.
Durch Arthropoden übertragene Infektionen oder auch Zoonosen lassen sich eindämmen, indem man Vektoren oder tierische Infektionen bekämpft; sie sind praktisch nicht von Mensch zu Mensch übertragbar.
265
Abb. 13.8 Nach einem heftigen Niesen verteilen sich Tröpfchen im Raum. Die meisten der rund 20000 Partikel fliegen aus dem Mund
[Nachdruck aus F.R. Moulton, Aerobiology 1942]. In den entwickelten Ländern konnten Darminfektionen einigermaßen eingedämmt werden. Aus den großen Reformen des öffentlichen Gesundheitswesens im 19. Jahrhundert ging eine angemessene Abwasserentsorgung und Wasseraufbereitung (Kanalisation, Kläranlagen) hervor. Noch vor 200 Jahren gab es z.B. weder Toilettenspülung noch Abwasserkanäle in England und das Trinkwasser war größtenteils verunreinigt. Typhus und Cholera konnten sich leicht ausbreiten. Die Themse in London glich einer offenen Kloake. Heutzutage verfügt London genau wie andere Städte über ein komplexes, unterirdisches, getrenntes Kanalsystem für Abwässer und Trinkwasser. Darminfektionen in entwickelten Ländern werden jetzt eher durch Nahrung oder über die Hände als durch Wasser und Fliegen übertragen. Obwohl in Großbritannien nach Reisen in Entwicklungsländer jährlich Dutzende Fälle von Typhus auftreten, ist die Infektion nicht auf andere übertragbar. Gewöhnlich haben sich Fäkalkeime im Darmlumen oder in der Darmwand vermehrt; vereinzelt gelangen sie aber auch in die Galle. So geht z.B. das Hepatitis-A-Virus (Enterovirus 72) nach Replikation in Leberzellen in die Galle über.
13.3.3
Urogenitale Übertragung 266
Urogenitale Infektionen werden oft auf sexuellem Weg übertragen Auch wenn Harnwegsinfekte häufiger vorkommen, breiten sie sich meist nicht über Urin aus. Lebensmittel, Trinkwasser und Lebensraum können mit Urin kontaminiert sein. Infektionen, die durch Urin übertragen werden, sind in Tab. 13.8 aufgelistet.
Sexuell übertragene Krankheiten (STD) Anfällige Menschen infizieren sich oft durch Schleimhautkontakt, d.h. vor allem bei sexuellen Aktivitäten, mit Mikroorganismen aus dem Urogenitaltrakt. Eine Ansteckung wird noch wahrscheinlicher, wenn sich Keime durch Ausfluss auf der Epitheloberfläche verteilen. Daher verursachen besonders durchsetzungsfähige sexuell übertragbare Mikroorganismen (wie Gonokokken oder Chlamydien) meist Ausfluss. Bei anderen erfolgt die Übertragung über Schleimhautulzerationen (z.B. Treponema pallidum, Herpes-simplex-Virus). Eine Infektion mit humanen Papillomaviren (HPV) geht oft von genitalen Warzen oder Dysplasieherden im – trotz infizierter Zellen normal aussehenden – Zervixepithel aus (s. Kap. 21). Für die Ansteckung an STD sind soziale und sexuelle Aktivitäten bestimmend. Dramatisch haben sich der Anstieg der Weltbevölkerung und eine veränderte Lebensweise auf die Epidemiologie der STD ausgewirkt. Mit wachsender Bevölkerungsdichte und zunehmender Mobilität vergrößert sich die Zahl der Sexualpartner; die Menschen sehen Sexualität nicht mehr als „Sünde“ und wissen, dass sich Geschlechtskrankheiten behandeln und Schwangerschaften verhüten lassen. Auch die Pille hat zur Verbreitung von STD beigetragen, weil seltener mechanische Verhütungsmittel verwendet wurden. Dabei können Kondome verlässlich vor Infektionen mit HSV, HIV, Chlamydien und Gonokokken schützen (s. Kap. 21).
267
Tab. 13.8 Infektionen durch Urin STD breiten sich viel langsamer und weniger effektiv als respiratorische oder enterale Infektionen aus. Während das Influenzavirus in überfüllten Räumen innerhalb einer Stunde zahlreiche Menschen oder das Rotavirus an einem Vormittag ganze Gruppen im Kindergarten anstecken kann, werden STD nur beim sexuellen Kontakt, d.h. individuell, übertragen. Daher ist für die Ausbreitung Promiskuität entscheidend, denn in einer stabilen Partnerschaft infizieren sich selbst bei häufigem Sex nur die Partner gegenseitig. Erst die zunehmende Promiskuität in der Gesellschaft und eine Vielzahl von Sexualpartnern bei Einzelpersonen (z.B. Prostituierte) führen zum dramatischen Anstieg der STD-Inzidenz. Sexuelle Aktivitäten können so gut wie alle Schleimhäute einbeziehen. Dadurch bietet sich Mikroorganismen die Gelegenheit, neue Körperstellen zu infizieren. So lassen sich in Abstrichen von Zervix, männlicher Harnröhre oder aus dem Analkanal manchmal Meningokokken gewinnen, die eigentlich zur Normalflora des NasenRachen-Raums gehören, während Rachen und Analkanal gelegentlich mit Gonokokken und Chlamydien infiziert sind. Abb. 13.9 zeigt die vielfältigen, anscheinend nur durch die anatomischen Gegebenheiten eingeschränkten Möglichkeiten. Dass sich aufgrund genito-oral-analer Kontakte auch Darminfektionen (mit Salmonellen, Giardia lamblia, Hepatitis-A-Virus, Shigellen und pathogenen Amöben) – trotz guter Hygiene und Abwasserentsorgung – zwischen Individuen ausbreiten können, dürfte daher nicht weiter überraschen.
268
Abb. 13.9
Sexuelle Übertragung von Infektionen
[aus: R.R. Wilcox, The rectum as viewed by the venereologist. Br J Ven Dis 57 (1981) 1–6].
Sperma als Infektionsquelle Wie nicht anders zu erwarten, ist auch Sperma an der Übertragung von Infektionen beteiligt, z.B. bei Virusinfektionen von Tieren (Maul- und Klauenseuche). Im menschlichen Sperma sind oft große Mengen des Zytomegalievirus (CMV) nachzuweisen, und da es sich auch von der Zervix gewinnen lässt, liegt die Vermutung seiner sexuellen Übertragbarkeit nahe. Im Samen können sich auch das Hepatitis-BVirus und HIV befinden; selbst wenn es nur geringe Mengen sind, spielen sie bei der Übertragung eine wichtige Rolle (Homo- und Heterosexuelle).
Perinatale Ansteckung Für Neugeborene kann auch der weibliche Genitalbereich zur Infektionsquelle werden (s. Kap. 23). Wenn während der Passage durch den Geburtskanal Mikroorganismen auf die Augenbindehaut des Kindes gelangen (Schmierinfektion) oder inhaliert werden, können sie zu Konjunktivitis, Pneumonie oder bakterieller Meningitis führen.
13.3.4
Oropharyngeale Übertragung
269
Oropharyngeale Infektionen verbreiten sich oft durch Speichel Häufig dient Speichel als Vehikel zur Übertragung von Infektionen. Im Speichel können Streptokokken und Tuberkelbakterien (bei oberen und unteren Atemwegsinfektionen) oder Viren, die Speicheldrüsen infizieren, vorkommen und übertragen werden. Über Speichel verbreiten sich Paramyxoviren, HSV, CMV und HHV-6 (humanes Herpesvirus Typ 6). Auf diesem Weg stecken sich meist kleine Kinder an, die ihre Finger in den Mund stecken und alles, was sie anfassen, regelmäßig mit Speichel kontaminieren. Auch das Epstein-Barr-Virus (EBV) wird durch Speichel übertragen; allerdings weniger effektiv, weil es nur in einzelnen Zellen oder in kleinerer Menge vorhanden ist. In den entwickelten Ländern machen viele Menschen keine Kinderkrankheiten mehr durch, sondern infizieren sich erst als Jugendliche oder Erwachsene – beim ausgedehnten Speichelaustausch (im Mittel 4,2 ml/h) verbunden mit Zungenküssen (s. Kap. 18). Auch Tierspeichel kann eine Infektionsquelle sein (Tab. 13.9).
13.3.5
Übertragung über die Haut
Hautinfektionen können sich über Schuppen oder direkten Kontakt verbreiten Dermatophyten (Pilze, die z.B. Tinea verursachen) können sich sowohl von der Haut als auch von Nägeln und Haaren weiter verbreiten, je nachdem, um welche Art Mykose es sich handelt (s. Kap. 26). Aber auch virale und bakterielle Infektionen gehen von der Haut aus (Tab. 13.10).
Schuppung (Streuung in die Umgebung) Im Normalfall verliert jeder Mensch täglich rund 5 × 108 Hautschuppen, die sich je nach körperlicher Betätigung (z.B. beim An- oder Ausziehen) mehr oder weniger stark in der Umgebung verbreiten. Die feinen weißen Staubablagerungen in Innenräumen (besonders in Krankenstationen) bestehen zum größten Teil aus Hautschuppen. Darin enthalten sind auch Staphylokokken, deren Anteil jedoch – aus unbekannten Gründen – bei einzelnen Menschen stark schwankt. Sehr viel häufiger als durch Streuung in die Umgebung werden Mikroorganismen wie fakultativ pathogene Staphylokokken und humane Papillomaviren (HPV) aber durch Kontaktinfektion oder über kontaminierte Finger übertragen.
270
Tab. 13.9 Durch Speichel übertragene Infektionen des Menschen
Tab. 13.10 Infektionen, die von der Haut ausgehen. *
außer bei Zoster mit lokalisiertem Ausschlag ohne Beteiligung des Atemtrakts; im Allgemeinen Kontaktinfektion, Warzen an der Fußsohle verbreiten sich über kontaminierte Bodenbeläge
**
271
13.3.6
Übertragung durch Milch
Milch wird in Hautdrüsen gebildet. Während in Frauenmilch nur selten Erreger (HIV, CMV und HTLV-1) vorkommen, kann die Milch von Kühen, Ziegen oder Schafen eine wichtige Infektionsquelle darstellen (Tab. 13.11). Bakterien gelangen manchmal erst nach dem Melken in die Milch.
13.3.7
Übertragung durch Blut
Infektionen können sich durch Arthropoden-oder Nadelstiche verbreiten Häufig ist Blut das Medium für Infektionserreger wie Mikroorganismen und Parasiten. Sehr erfolgreich ist ihre Übertragung durch blutsaugende Arthropoden. Hepatitisviren und HIV können aber auch durch Injektionen übertragen werden, z.B. bei Bluttransfusionen oder über kontaminierte Spritzenbestecke. Bekanntlich hat intravenöser Drogenkonsum sehr zur Verbreitung dieser Infektionen beigetragen.Hinzu kommen jährlich mindestens 12 Milliarden Injektionen weltweit, jede zehnte davon zu Impfzwecken. Leider werden Einmalspritzen in Entwicklungsländern teilweise mehrmals und ohne ausreichende Sterilisation benutzt (nach dem Motto: „Nichts wegwerfen, was noch funktioniert“). Um das auszuschließen, propagiert die WHO einen neuen Spritzentyp, dessen Kolben sich nach dem Abdrücken nicht mehr zurückziehen lässt.
Tab. 13.11 (Human-)Infektionen durch Milch. Blut ist auch bei diaplazentarer Übertragung (meist nach Infektion der Plazenta) die Infektionsquelle (s. Kap. 23).
13.3.8
Vertikale und horizontale Übertragung 272
Von den Eltern findet eine vertikale Übertragung auf den Nachwuchs statt Wenn eine Infektion über Sperma, Eizelle, Plazenta (Tab. 13.12), Milch oder Blut direkt von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wird, spricht man von vertikaler Übertragung – wie ein Familienstammbaum gleicht sie einem Flussdiagramm von oben nach unten (Abb. 13.10). Horizontal können sich auch nichtverwandte Individuen bei einem Infizierten anstecken. Die Übertragungswege (Kontakt, aerogen oder fäkal-oral) bei horizontalen Infektionen zeigt Tab. 13.13. Streng genommen handelt es sich um Infektionen, die sich auch ohne horizontale Übertragung in einer Spezies selbst unterhalten, solange sie die Lebensfähigkeit des Wirtes nicht beeinträchtigen. Von Retroviren weiß man, dass sie sich vertikal selbst erhalten können (z.B. das Mammatumorvirus in Milch, Sperma und Eizellen von Mäusen). Abgesehen von HTLV-1, bei dem die Übertragung durch Milch offenbar eine größere Rolle spielt, scheint das bei Menschen weniger bedeutsam zu sein. Allerdings finden sich im menschlichen Genom normalerweise zahlreiche retrovirale DNA-Sequenzen. Auch wenn sie für die Bildung infektiöser Viruspartikel zu unvollständig sind, müssen sie als erstaunlich durchsetzungsfähige Parasiten des Menschen betrachtet werden. Sie verhalten sich wahrscheinlich unschädlich und überleben deshalb, kontrolliert, konserviert und repliziert als Teil unserer genetischen Ausstattung.
Abb. 13.10 Vertikale und horizontale Übertragung von Infektionen. Wie zu erwarten, breiten sich Infektionen in großen
Menschenansammlungen meist horizontal aus. Für kleine isolierte Gruppen ist die vertikale Übertragung bedeutsamer (s. Kap. 17).CMV = Zytomegalievirus, HTLV = human T cell lymphotropic virus (humanes T-Zell-Leukämievirus).
273
Tab. 13.12 Diaplazentare Übertragung von Infektionen
Tab. 13.13 Vertikale Übertragung. HTLV = human T cell lymphotropic virus
13.4
Übertragung von Tieren auf Menschen
Für bestimmte Pathogene sind sowohl Menschen als auch Tiere anfällig Menschen stehen täglich in direktem oder indirektem Kontakt zu Tieren unterschiedlicher Spezies (Wirbeltieren und anderen). Sie teilen aber nicht nur dieselbe Umgebung mit ihnen, sondern auch die Anfälligkeit für bestimmte Pathogene. Von den äußeren Bedingungen (urbane/ländliche Umgebung, tropische/gemäßigte Klimazone, hygienische/unhygienische Wohnverhältnisse) und der Art des Tierkontakts hängt es ab, in welchem Maße Infektionen übertragen werden. Engerer Kontakt besteht zu Wirbeltieren, die als Nahrungslieferanten dienen oder als Haustiere gehalten werden, und zu wirbellosen Parasiten, die sich an den menschlichen Körper angepasst haben. Doch auch ohne engeren Kontakt können Tiere Erreger auf Menschen übertragen. Es bietet sich daher eine Unterteilung in Infektionen an, die: ■
durch Arthropoden und andere wirbellose Vektoren oder
■ direkt von Wirbeltieren (Zoonosen) übertragen werden. (Nähere Einzelheiten s. Kap. 27 und 28) 274
13.4.1
Vektoren
Für die Ausbreitung von Infektionen sind blutsaugende Arthropoden am wichtigsten – Insekten, Zecken und Milben Abb. 13.11 Von Arthropoden übertragene Krankheitserreger.
Wichtigste Infektionsquelle sind Mücken (Moskitos). Mit Ausnahme der Lungenpest findet aber keine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch statt. Zu diesen drei Gruppen gehören die mit Abstand wichtigsten Krankheitsvektoren. Als Überträger kommen viele Spezies in Frage und das Erregerspektrum, das sie übertragen, ist entsprechend breit (Abb. 13.11). In der Vergangenheit waren Insekten wie Flöhe (Pest) und Läuse (Typhus) für einige der schlimmsten Epidemien verantwortlich. Eine der weltweit wichtigsten Infektionskrankheiten, die Malaria, wird von der Anophelesmücke übertragen. Entscheidend für die Verteilung und Epidemiologie von Infektionen ist, dass Vektoren klimatisch günstige Bedingungen zum Brüten vorfinden und Mikroorganismen in ihrem Körper die volle Entwicklung durchlaufen lassen. Einige Infektionskrankheiten (z.B. Malaria, Schlafkrankheit, Gelbfieber) bleiben daher auf tropische oder subtropische Regionen beschränkt, während andere (wie Pest oder Typhus) weiter verbreitet vorkommen.
275
Passive Träger (Carrier) Insekten können Pathogene, die sich einfach nur passiv an ihren Mundwerkzeugen, am Körper oder im Darmschlauch befinden, auf Nahrungsmittel oder einen menschlichen Wirt übertragen, sobald sie Nahrung aufnehmen bzw. Speichel oder Kot ausscheiden. Auf diese Weise können von der gemeinen Stubenfliege oder Küchenschaben Krankheiten übertragen werden. Die Mundwerkzeuge blutsaugender Spezies sind so beschaffen, dass sie an Gefäße in der Haut herankommen oder kleine Blutlachen bilden können (Abb. 13.12). Das verschafft Erregern, die sich an den Mundwerkzeugen befinden, Zugang zur Haut oder zum Blut des Wirts und bewirkt – ähnlich wie eine subkutane Injektion mit kontaminierter Nadel – eine Übertragung der Infektion von einem Menschen zu einem anderen.
Biologische Übertragung Sehr viel häufiger dienen blutsaugende Arthropoden jedoch als obligater Zwischenwirt, in dem sich die Pathogene vermehren und entwickeln. Fast alle wichtigen Infektionen (Abb. 13.11) werden auf diesem Weg übertragen. Nach einiger Zeit werden die Krankheitserreger dann – ebenfalls beim Blutsaugen – wieder in den menschlichen Körper eingebracht: durch direkte Injektion von Speichel (Malaria, Gelbfieber) oder durch Kontamination mit Kot bzw. regurgitiertem Blut des Vektors (Typhus, Pest).
Andere Vektoren verbreiten Infektionen passiv weiter oder dienen als Zwischenwirt Pathogene werden auch durch wirbellose Nahrungslieferanten des Menschen übertragen (Abb. 13.13). Am bekanntesten sind wohl die Fälle von Lebensmittelvergiftung oder akuter Gastroenteritis nach dem Verzehr von Schalentieren (Muscheln, Krebse). Diese Meerestiere können Viren und Bakterien, die sie aus verseuchten Abfällen aufnehmen, in ihrem Körper anhäufen und passiv weitergeben.
276
Abb. 13.12 Weibliche Anophelesmücke beim Blutsaugen
(mit freundlicher Genehmigung von C.J. Webb).
Abb. 13.13 Mikroorganismen können auch durch wirbellose Nahrungslieferanten übertragen werden.
Häufig sind Infektionen durch Meerestiere bedingt, die Nährstoffe aus dem Wasser filtern und aus der Nähe von Abwassereinleitungen stammen. Sonst unterhalten Pathogene und wirbellose Tiere aber oft eine engere Beziehung. Denn viele Parasiten (besonders Würmer) müssen erst eine (Teil-)Entwicklung in wirbellosen Zwischenwirten durchlaufen, ehe sie Menschen infizieren können (z.B. 277
nach Verzehr des Zwischenwirts). Für solche Infektionen spielen daher die Essgewohnheiten eine wichtige Rolle. Obligate Zwischenwirte für Schistosomen sind Wasserschnecken. In ihnen nisten sich Larven ein, nachdem sie in (verunreinigtem) Wasser aus Eiern im Urin oder Stuhl infizierter Menschen geschlüpft sind. Sobald sie sich in Wasserschnecken entwickelt und vermehrt haben, verlassen sie ihre Zwischenwirte in größerer Zahl – als Zerkarien. Diese infektiösen Stadien können sich schnell und aktiv durch die menschliche Haut bohren, und infolge der Infektion setzen sich am Ende adulte Würmer in viszeralen Blutgefäßen fest (s. Kap. 30).
13.4.2
Übertragung durch Wirbeltiere
Pathogene werden vielfach direkt von Wirbeltieren auf Menschen übertragen Streng genommen wäre jede Infektion als Zoonose zu bezeichnen, die von infizierten Tieren auf Menschen übertragen wird – ob direkt (durch Kontakt oder Verzehr) oder indirekt (über Vektoren). Wenn wir hier von Zoonosen sprechen, meinen wir jedoch nur direkt von Wirbeltieren ausgehende Infektionen. Viele Pathogene werden auf ganz unterschiedlichem Wege (Kontakt, Inhalation, Bisse, Kratzwunden, kontaminiertes Wasser bzw. Essen, durch Fleischverzehr) übertragen (Tab. 13.14). Epidemiologisch besteht bei Zoonosen ein Zusammenhang mit Häufigkeit und Art des Kontakts zwischen Tieren und Menschen. Einige hängen von lokalen Essgewohnheiten ab und beschränken sich daher geografisch auf bestimmte Regionen. Bei bevorzugt rohem Verzehr von Fisch (oder Amphibien) können z.B. Parasiten (vor allem Bandwürmer und Nematoden) mit aufgenommen werden. Andere Zoonosen treten berufsbedingt auf, z.B. Toxoplasmose oder Q-Fieber bei Metzgern (durch rohe Fleisch-/Tierprodukte) oder Brucellose und Dermatomykose bei Landwirten (durch ständigen Kontakt zu Nutzvieh). Menschen in urbanen Gebieten infizieren sich dagegen eher durch den Verzehr tierischer Nahrungsmittel oder im Kontakt mit Hunden, Katzen und anderen Haustieren.
Haustiere – Gefährten oder Gefährdung für Menschen? Hunde und Katzen sind nicht nur die beliebtesten Haustiere, sondern auch ein ständiges Infektionsreservoir für ihre Besitzer (Abb. 13.14). Durch Kontaktinfektion, Biss- und Kratzwunden, über Vektoren und kontaminierten Kot können sich die Krankheitserreger ausbreiten. Auf diesem Weg übertragen werden Beide Infektionen sind bedeutsam und nahezu ubiquitär verbreitet. ■
Toxokariasis durch Hunde
■
Toxoplasmose durch Katzen
Dort, wo Hunde zum Schafehüten eingesetzt werden und von infizierten Kadavern fressen, können sich Menschen durch Bandwurmeier im Hundekot eine
278
Echinokokkose zuziehen. Diese Infektion war – und ist es zum Teil noch immer – besonders in Ländern mit überwiegend ländlicher Struktur wichtig. Schwere Infektionen können auch von bestimmten Vogelarten ausgehen. Menschen, die sie als Haustiere halten, stecken sich meist durch Inhalation infizierter Partikel an. Wichtig ist vermutlich vor allem die durch Chlamydophila (früher: Chlamydia) psittaci verursachte Psittakose. Trotz der umgangssprachlichen Bezeichnung „Papageienkrankheit“ können daran auch Halter anderer Vogelarten erkranken. Der Trend zu ungewöhnlichen Haustieren (Reptilien, exotische Vögel und Säugetiere) in den entwickelten Ländern birgt die Gefahr, dass sich neue Zoonosen entwickeln. Mit den Ausscheidungen vieler Reptilien verbreiten sich humanpathogene Salmonellen. Exotische Vögel und Säugetiere tragen ein breites Spektrum von Viren in sich, die unter geeigneten Bedingungen auf Menschen übergehen können. Unter diesen Umständen kann die Diagnose von Infektionen schwierig sein, wenn der Arzt nichts von den „Haustieren“ weiß.
279
Tab. 13.14 Direkt von Wirbeltieren (Vögel und Säugetiere) auf Menschen übertragbare Infektionen
280
Abb. 13.14 Bester Freund des Menschen? Zoonosen durch Hunde und Katzen.
(* gutartige Infektion mit Hautläsionen und Lymphadenopathie durch das kürzlich entdeckte Bakterium Afipia catei).
Zusammenfassung ■ Mikroorganismen müssen sich an die Oberfläche heften oder in den Körper ihres Wirts eindringen, um ihn infizieren zu können. ■ Viele Mikroorganismen haben biochemische oder mechanische Hilfsmittel ausgebildet, um sich im Respirations-, Urogenital- oder Verdauungstrakt festsetzen zu können. Für den Zugang über die Haut sind Erreger meist auf kleine Wunden oder Stiche/Bisse von Arthropoden angewiesen. ■ Zur Weiterverbreitung auf neue Wirte müssen Mikroorganismen ihren bisherigen Wirt verlassen, nachdem sie sich vermehrt (repliziert) haben. Auch das geschieht über die Körperoberflächen. ■ Ausscheidung aus dem Körper (Atemwege, Urogenital-, Verdauungstrakt, Hautoberfläche) oder Aufnahme (aus Blut oder Hautgewebe) durch Arthropoden sind (über)lebenswichtige Stationen im Zyklus von Mikroorganismen. ■ Infektionen des Menschen gehen oft von Tieren aus und werden direkt (Zoonosen) oder indirekt (über blutsaugende Arthropoden) übertragen. Dabei richtet sich die Inzidenz nach den Kontaktmöglichkeiten zu infizierten Tieren oder Arthropoden.
FRAGEN
281
1 Geben Sie in der richtigen Reihenfolge an, auf welchem Weg sich Infektionen am schnellsten innerhalb von Menschengruppen ausbreiten – sexuell, fäkal-oral, aerogen/inhalativ, als Zoonose? 2 Warum findet bei Infektionen durch Arthropodenvektoren oder Zoonosen keine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch statt? 3 Halten Sie Urin für ein geeignetes Mittel zur Übertragung von Infektionen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort. 4 Ist eine Atemwegsinfektion ohne Niesen oder Husten ansteckend für andere? 5 Auf welchen Wegen können Infektionen vertikal übertragen werden? Nennen Sie Gewebe oder Zellen, die daran beteiligt sind. Was könnte verhindern, dass ein sexuell übertragbarer Erreger sich 6 nicht nur an Epithelzellen der Urethra heftet und sie infiziert, sondern auch noch Epithelzellen im Respirationstrakt
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Cohen, M.S., Sparling, P.F.: Mucosal infection with Neisseria gonorrhoeae. J. Clin Investig 89 (1992) 1699–1705. Falkow, S.: Bacterial entry into eukaryotic cells. Cell 65 (1991) 1099–1102. Haywood, A.M.: Virus receptors: binding, adhesion, strengthening and changes in viral structure. Virology 68 (1994) 1–5. Mims, C.A.: The transmission of infection. Rev Med Microbiol 6 (1995) 217–227. Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed. Academic Press, London 2001. Simonsen, I., Kane, A., Lloyd, J. et al.: Unsafe injections in the developing world and transmission of blood-borne pathogens: a review. Bull WHO 77 (1999) 789– 800. Warren, K.S.: The control of helminths; non-replicating infectious agents of man. Am Rev Publ Health 2 (1981) 101–116.
282
14 Aktivierung der Immunabwehr 14.1
Komplementsystem 155
14.2
Akute-Phase-Proteine und Muster- erkennende Rezeptoren 156
14.2.1
Kollektine 156
14.3
Fieber 156
14.4
Natürliche Killerzellen 157
14.5
Phagozytose 157
14.5.1
Oxidative Zerstörung intrazellulärer Erreger 158
14.5.2
Nichtoxidative Abtötung von Erregern 159
14.5.3
Stickstoffmonoxid (NO) 159
14.6
Zytokine 160
14.6.1
Interferone 160
14.6.2
Weitere Zytokine 160
14.7
Antikörpervermittelte Immunität 162
14.7.1
Geschwindigkeit, Ausmaß, Dauer 162
14.7.2
Affinität 163
14.7.3
Antikörperklassen und -subklassen (Isotypen) 163
14.7.4
Hemmende und neutralisierende Antikörperwirkung 163
14.7.5
Immobilisierung und Agglutination 163
14.7.6
Lyse 164
14.7.7
Opsonisierung 164
14.7.8
Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität (ADCC) 164
14.8
Zellvermittelte Immunität 164
14.9
Erholung von einer Infektion 168
283
Zur Orientierung Auf die Barrierefunktion von Haut, Schleimhäuten und Hautanhangsgebilden (Zilien, Flimmerepithel) wurde bereits hingewiesen (s. Kap. 9). Wenden wir uns nun den dahinter stehenden Abwehrmechanismen zu – Komplementsystem, Phagozyten und zytotoxischen Zellen sowie verschiedenen zelltoxischen Molekülen –, die ins Spiel kommen, sobald Mikroorganismen diese Schranken durchbrochen haben. Auch wenn sie nicht über die beeindruckende Spezifität und Gedächtnisfunktion der auf Lymphozyten basierenden erworbenen Immunmechanismen verfügen, sind diese natürlichen Abwehrkräfte lebenswichtig, besonders wenn sie – wie für wirbellose Tiere – den einzigen Schutz vor Infektionen darstellen (adaptive Immunreaktionen entwickelten sich erst bei den Vertebraten). Zur unspezifischen Immunabwehr kommt noch die spezifische Antigenerkennung durch T- und B-Zellen (Teil der erworbenen Immunität) hinzu. Verallgemeinert könnte man sagen, dass Antikörperreaktionen besonders zur Bekämpfung extrazellulärer Infektionserreger (vor allem pyogene Bakterien) wichtig sind, während die T-Zellvermittelte Immunität zur Kontrolle intrazellulärer Infektionserreger (Bakterien, Viren, Pilze oder Protozoen) erforderlich ist. Wie hoch ihr Stellenwert ist, verdeutlichen die fatalen Folgen, die Defekte der T- oder B-Zellen bzw. ihrer Produkte gewöhnlich haben (Einzelheiten s. Kap. 30). In diesem Kapitel wird anhand von Beispielen aufgezeigt, wie die unterschiedlichen Arten der Immunabwehr mithelfen, den Körper vor Infektionen zu schützen.
Antimikrobieller Schutz der Haut durch Peptide Zu den Proteinen, die auf Epitheloberflächen oder von polymorphkernigen Leukozyten (PMN) exprimiert werden und unmittelbar antibakteriell wirken, gehören β-Defensine, Dermizidin und Kathelizidin. Dermizidin, das in Schweißdrüsen gebildet und mit dem Schweiß ausgeschieden wird, ist gegen Escherichia coli, Staphylococcus aureus und Candida albicans wirksam. Mäuse, deren PMNs und Keratinozyten kein Kathelizidin produzierten, wurden in Experimenten anfällig für Infektionen mit Gruppe-AStreptokokken. In der Lunge findet sich besonders reichlich das antimikrobielle Protein Lysozym. Die Bronchiallavage gentechnisch erzeugter Mäuse enthielt zwei- bis viermal mehr Lysozym als bei Kontrollmäusen. Diese transgenen Mäuse konnten nachweislich besser mit Infektionen durch Streptokokken der Gruppe B fertig werden und waren auch gegen Pseudomonas aeruginosa resistenter (Abb. 14.1).
284
14.1
Komplementsystem
Alternative Komplementaktivierung als Bestandteil der frühen Abwehr Die biochemischen Grundlagen und Funktionen (Induktion einer Entzündungsreaktion, Chemotaxis, Phagozytose und Gefäßpermeabilität) des Komplementsystems sind in Kap. 9 beschrieben. Hier interessiert uns seine unmittelbar schädigende Wirkung für Mikroorganismen in der Frühphase von Immunreaktionen. Wider Erwarten (nach Experimenten, die effektive Bakteriolyse im Teströhrchen zeigten) beschränkt sich die Wirkung des Komplementsystems in vivo aber ausschließlich auf Neisserien. Da Patienten mit Komplementfaktormangel (C5, C6, C7, C8 oder C9) weder Gonokokken noch Meningokokken eliminieren können, haben sie ein höheres Septikämie- oder Trägerstatusrisiko.
Abb. 14.1 Transgene Mäuse sind aufgrund größerer Lysozymmengen resistenter gegen einePseudomonas-aeruginosa-Infektion.
(a) Verglichen mit Kontrollmäusen des Wildtyps bilden transgene Mäuse 18fach mehr Lysozym. (b) Nach intratrachealer Inokulation mit Pseudomonas aeruginosa wurde die Lunge transgener Mäuse deutlich schneller von den Erregern befreit als die von Mäusen des Wildtyps [Akinbi et al., J Immunol 165 (2000) 5760]. Allerdings sei betont, dass nur der alternative Weg der Komplementaktivierung bzw. der Weg über Mannan-bindende Lektine zu diesem natürlichen Frühabwehrsystem gehören. Erst nach Antikörperreaktionen kommt es auch zur Komplementaktivierung auf klassischem Weg. Dass der alternative Weg entwicklungsgeschichtlich älter ist, dürfte insofern kaum überraschen.
14.2 Akute-Phase-Proteine und Muster-erkennende Rezeptoren 285
Als Reaktion auf Zytokine bilden Leberzellen das antibakterielle C-reaktive Protein Von den Akute-Phase-Proteinen, die bei den meisten Entzündungsreaktionen gebildet werden, ist das C-reaktive Protein (CRP) wegen seiner – wenn auch nur begrenzten – antibakteriellen Wirkung besonders interessant. Als pentameres β-Globulin ähnelt CRP (Molekulargewicht von 130000) einer Miniaturausgabe des IgM (MG von 900000). Durch chemische Reaktion mit dem Zellwand-Phosphorylcholin mancher Streptokokken kann es Komplement aktivieren und die Phagozytose induzieren. CRP wird von Leberzellen als Reaktion auf Zytokine – besonders Interleukin 6 (IL-6, s. Kap. 11) – gebildet. Da seine Konzentration innerhalb von 24 Stunden auf das 1000fache ansteigen kann, ist die Reaktionszeit viel kürzer als bei Antikörperreaktionen (s. Kap. 9). Aus dem Grund zieht man zur Verlaufskontrolle entzündlicher (z.B. rheumatischer) Erkrankungen oft die CRP-Werte heran. In der Frühphase von Infektionen werden meist noch andere Akute-Phase-Proteine vermehrt gebildet. Auch wenn sie nicht direkt antimikrobiell wirken, können sie als Opsonine oder Antiproteasen bei der Immunmodulation eine Rolle spielen oder an Abläufen wie Fibrinolyse bzw. Gerinnungshemmung beteiligt sein (viele Komplementfaktoren sind z.B. Akute-Phase-Proteine). Schützen Akute-Phase-Proteine (wie Mannose-bindendes Lektin) vor Infektionen, werden sie auch als „Muster erkennende Rezeptoren“ (pattern recognition receptors) bezeichnet. Manche (z.B. Lipopolysaccharid-bindendes Protein) binden toxische Bakterienprodukte (Lipopolysaccharide) und können so die pathologischen Folgen mildern.
Makrophagen können mit Toll-like-Rezeptoren Bakterien als fremd erkennen Eine Familie von Oberflächenrezeptoren der Makrophagen und anderer Zellen sind sog. Toll-like-Rezeptoren. Sie binden erhalten gebliebene Bakterienmoleküle wie Endotoxin (Lipopolysaccharid, LPS), DNA, doppelsträngige RNA oder Flagellin. Wenn Toll-like-Rezeptoren wiederholte Sequenzmuster (Pathogen-assoziierte Molekularmuster, PAMP, s. Kap. 9) erkannt haben, werden proinflammatorische Zytokine (z.B. Tumornekrosefaktor α [TNFα], IL-1 und IL-6) freigesetzt. Von Toll-likeRezeptoren ausgehende Signale führen auch zur vermehrten Expression von MHC- und kostimulatorischen Molekülen – also zur verstärkten Antigenpräsentation – und somit zur Aktivierung von T-Helferzellen (TH1).
286
14.2.1
Kollektine
Kollektine sind Proteine, die sich an Oberflächenmoleküle (Kohlenhydrate) von Bakterien und Viren binden. Das lockt verstärkt Zellen an und bewirkt die alternative Komplement- sowie Makrophagenaktivierung. Das Kollektin Surfactant-Protein A spielt eine wichtige Rolle in der angeborenen Abwehr der Lunge, z.B. in der Abwehr von Infektionen durch Streptokokken der Gruppe B. Mäuse, denen dieses Kollektin fehlte, waren viel anfälliger für Infektionen, und verglichen mit Kontrollmäusen ohne Surfactant-Protein-A-Mangel kam es zu einer stärkeren pulmonalen Infiltration und Aussaat in die Milz. Mannan-bindendes Lektin (MBL) ist ein Serumkollektin und führt zur Komplementaktivierung, wenn es von Mannose-haltigen Kohlenhydraten (auf der Oberfläche von Mikroorganismen) gebunden wird. Niedrige MBLSerumkonzentrationen beruhen häufig auf Mutation des MBL-Gens oder seiner Promoterregion. Kürzlich konnte eine Studie aufzeigen, dass Infektionen bei Kindern mit malignen Erkrankungen infolge eines MBL-Mangels länger anhielten.
14.3
Fieber
Bei Infektionen kommt es – in aller Regel – zu einem Anstieg der Körpertemperatur (s. Kap. 29). Als mögliche Ursache entdeckt man in vielen Fällen freigesetzte Zytokine (IL-1 oder IL-6), die für Immunität wie für Krankheit eine wichtige Rolle spielen (s. Kap. 11). Das lässt aber unbeantwortet, ob die Temperaturerhöhung selbst schon von Vorteil sein könnte.
Pauschal kann nicht von „nützlichem“ Fieber gesprochen werden Manche Mikroorganismen haben sich als hitzeempfindlich erwiesen. Darauf gründete sich die Fiebertherapie der Syphilis: Man führte absichtlich eine Infektion mit MalariaBlutstadien herbei. Selbst wenn hohe Temperaturen für Malariaparasiten schädlich sind, werden sie aber keinesfalls vollständig beseitigt. Im Allgemeinen würde man Parasiten für erfolgreich halten, die Fieberepisoden unbeschadet überstehen. Tatsächlich sieht man es als Schutzstrategie an, dass Säugetiere und Mikroorganismen auf unterschiedliche Belastungen (einschließlich Hitze) mit der Bildung von Stress- oder Hitzeschock-Proteinen reagieren. Andererseits ist zu erwarten, dass auch bestimmte Immunmechanismen des Wirts bei erhöhter Temperatur noch wirksamer werden; Beispiele sind Komplementaktivierung, Lymphozytenproliferation und Proteinsynthese (Antikörper und Zytokine).
287
14.4
Natürliche Killerzellen
Natürliche Killerzellen ermöglichen eine rasche, aber unspezifische Kontrolle viraler bzw. intrazellulärer Infektionen Natürliche Killer(NK)-Zellen stellen früh Zytokine und Chemokine bereit und helfen so, die Zeit bis zur Aktivierung und Expansion antigenspezifischer T-Zellen zu überbrücken. In den ersten paar Tagen einer Infektion können NK-Zellen als wichtige Gamma-Interferon(IFNγ)-Quelle dienen (Abb. 14.2). Zur Zytokinproduktion veranlasst werden sie durch Monokine (IL-12 oder IL-18), die als Reaktion auf LPS oder andere mikrobielle Produkte von Makrophagen induziert werden. NK-Zellen können aber auch zytotoxische Granula und Perforine bilden, d.h. als zytotoxische Effektorzellen die Lyse (mit Viren und bestimmten Bakterien) infizierter Wirtszellen bewirken. Ziele erkennen sie dank einer Reihe nicht-antigenspezifischer Rezeptoren, die aktivierend oder hemmend sein können. Inhibitorische Rezeptoren erkennen sowohl MHC-Klasse-I-Moleküle als auch Eigen-Peptide. Wenn sowohl der inhibitorische als auch ein aktivierender Rezeptor besetzt sind, findet keine Aktivierung der NK-Zelle statt. Reicht die MHC-Klasse-I-Menge auf der Zelloberfläche aber nicht aus, den inhibitorischen Rezeptor zu besetzen, kommt es zur Aktivierung der NK-Zelle, die sich auf die Zerstörung der Zielzelle richtet. Da manche Viren die MHC-Klasse-I-Expression auf Zellen, die sie infiziert haben, hemmen, ist diese Strategie sehr wirkungsvoll. NKZellen sind somit ein rasch verfügbares, aber kaum spezifisches Kontrollmittel viraler und anderer intrazellulärer Infektionen. Dass Mäuse mit schwerem kombiniertem Immundefekt (SCID) trotz fehlender B- und Zellen bestimmte Virusinfektionen in Schach halten können, unterstreicht erst recht die Bedeutung der NK-Zellen.
288
Abb. 14.2 Um die Bakterien abzutöten, müssen bei vielen intrazellulären Infektionen (z.B. mit Listerien) Makrophagen aktiviert werden; dazu ist IFNγ nötig.
Doch bis zur Aktivierung und Proliferation antigenspezifischer T-Zellen vergehen einige Tage. So lange kann IFNγ von NK-Zellen bereitgestellt werden. Bis T-Zellen die IFNγ-Produktion von den NK-Zellen übernehmen, wird es zum geringeren Teil auch von anderen Untereinheiten (γδ-T-Zellen und NK-T-Zellen) gebildet.
14.5
Phagozytose
Potenziell schädliche Parasiten werden von Phagozyten aufgenommen, abgetötet und abgebaut Die größte Bedrohung für potenziell schädliche Parasiten dürften Phagozyten sein, durch die sie erkannt, aufgenommen, abgetötet und abgebaut werden (Abb. 14.3). Die einzelnen Schritte bei der Phagozytose sind in Kap. 9 beschrieben. Normalerweise befinden sich Phagozyten (in erster Linie Makrophagen) in Geweben, wo mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eingedrungene Mikroorganismen anzutreffen sind. Bei Bedarf können aber jederzeit auch Phagozyten aus dem Blut (hauptsächlich PMN) rasch und gezielt dorthin mobilisiert werden, wo sie gebraucht werden. Bei einer Umsatzrate von ca. 1011 PMN pro Tag ist zu einem gegebenen Zeitpunkt nur etwa 1% der normalen Knochenmarkreserve von Erwachsenen (3 × 1012 PMN) im Blut vorhanden. Die meisten Makrophagen bleiben im Gewebe, nur knapp 1% ist im Blut präsent (als Monozyten). PMN sind kurzlebig, während die Lebensdauer von Makrophagen mehrere Jahre betragen kann (s. unten).
Phagozyten können Mikroorganismen auf oxidativem oder nichtoxidativem Weg abtöten/zerstören
289
Je nachdem, ob Zellen bei der Phagozytose Sauerstoff verbrauchen oder nicht, wird traditionell zwischen oxidativer und nicht-oxidativer Form unterschieden. Da PMN keine Mitochondrien haben und anaerob atmen, kommt es während der Phagozytose unter Bildung bakterizider O2-Zwischenprodukte (reactive oxygen intermediates, ROI) zu einem explosionsartigen Anstieg des Sauerstoffverbrauchs (sog. respiratory burst, Abb. 14.4).
Abb. 14.3 Elektronenmikroskopische Aufnahme und schematische Darstellung eines Neutrophilen nach Phagozytose vonCandida albicans. 7000× vergr.
(mit freundlicher Genehmigung von H. Valdimarsson).
14.5.1
Oxidative Zerstörung intrazellulärer Erreger
Wie wichtig reaktive O2-Zwischenprodukte (ROI) für die Abtötung von Bakterien sind, wurde bei Patienten mit chronischer Granulomatose (CGD) entdeckt, deren PMN keinen Sauerstoff zur Phagozytose von Staphylokokken verbrauchten. Patienten
290
mit CGD können drei verschiedene Gendefekte eines Enzymsystems in der PMNMembran haben, an dem NADPH-Oxidase (Nikotinamid-Adenin-DinukleotidPhosphat-Oxidase) beteiligt ist. Normalerweise sorgt das Enzymsystem für eine progressive Reduktion von Sauerstoff aus der Luft zu Wasser. Bei dieser Reaktion werden Intermediärprodukte (ROI) wie Superoxid, Wasserstoffperoxid und freie Hydroxylradikale gebildet, die für Mikroorganismen hoch toxisch sein können (Tab. 14.1). Da Staphylokokken und bestimmte andere Bakterien und Pilze bei einer CGD nicht abgetötet werden, können sie chronisch tiefe Abszesse verursachen. Mit Katalasenegativen Bakterien (z.B. Pneumokokken) werden diese Patienten dagegen besser fertig, denn aus dem in ausreichender Menge gebildeten (und nicht abgebauten) Wasserstoffperoxid entsteht in Verbindung mit der Zell-Myeloperoxidase hochgiftige Hypochlorsäure. PMN-Defekte bei CGD-Patienten lassen sich in vitro leicht daran erkennen, dass sie den gelben Farbstoff Nitroblautetrazolium nicht zu dem blauen Bestandteil reduzieren können (NBT-Test, s. Kap. 32).
Abb. 14.4 Die wichtigsten am Respiratory Burst beteiligten Moleküle. Durch Hinzufügung von Elektronen (e−) wird Sauerstoff schrittweise reduziert. NADPH = Nikotinamid-AdeninDinukleotid-Phosphat
291
Tab. 14.1 Mikroorganismen, die durch Sauerstoff- (und Stickstoff)Reaktionsprodukte abgetötet werden können.
Umstritten ist, wie die Zerstörung der Mikroorganismen durch ROI vor sich geht ROI können Zellmembranen (Lipidperoxidation), DNA und Proteine (einschließlich lebenswichtiger Enzyme) schädigen, doch manchmal könnte sich allein schon die pHWert-Veränderung (die diese Reaktion begleitet) negativ auswirken. Bestimmte Bakterien und Pilze (z.B. Escherichia coli, Candida) werden nur in einem sauren Milieu, andere (z.B. Staphylokokken) dagegen nur bei basischem pH abgetötet. Möglicherweise ist auch eine gewisse Proteaseaktivität (Kathepsine, Elastase) nötig, um Enzyme aufzulösen (infolge des H+- und K+-Ionen-Einstroms in Phagozytosevesikel).
Zytotoxische Lipide verlängern die Wirksamkeit von ROI Wie bereits erwähnt, sind Lipide in Zellmembranen ein Angriffsziel toxischer ROI. Wenn sie sich mit Serumlipoproteinen verbunden haben (Lipidperoxidation), hält die toxische Wirkung der normalerweise sehr kurzlebigen (Bruchteile von Sekunden) ROI jedoch viel länger an. Lipidperoxide bleiben über Stunden stabil und können die oxidative Membranschädigung der Parasiten- (z.B. mit Malaria infizierter roter Blutkörperchen) und der Wirtszellen (z.B. Gefäßendothel) vorantreiben. Dass Normalserum für bestimmte Trypanosomen im Blut zytotoxisch sein kann, wird auf HDL (high density lipoprotein) und auf ein Makroglobulin zurückgeführt.
14.5.2
Nichtoxidative Abtötung von Erregern
An der nichtoxidativen Abtötung von Erregern sind zytotoxische (Phagozyten-)Granula beteiligt Nicht immer steht Sauerstoff für die Zerstörung von Mikroorganismen zur Verfügung. Manche Bakterienspezies (z.B. Clostridien, die Gasgangrän verursachen) wachsen unter anaeroben Bedingungen sogar besser, und in tiefen Gewebeabszessen ist das Sauerstoffangebot ohnehin knapp. Deshalb enthalten phagozytierende Zellen eine Reihe anderer zytotoxischer Moleküle. Am besten untersucht sind die Proteine verschiedener PMN-Granula (Tab. 14.2), die (nach der Fusion) den Inhalt von Phagosomen beeinflussen. Die mikrobizide Wirkung kationischer Proteine und Defensine wird durch den vorübergehenden Abfall des pH-Werts, der mit dem Respiratory Burst einhergeht, noch verstärkt. Besonders reichlich mit zytotoxischen Granula ausgestattet sind Eosinophile, die auch als Phagozyten fungieren (Tab. 14.2). Wegen ihres stark kationischen (d.h. basischen) Inhalts zeigen diese Granula ein charakteristisches azidophiles Färbemuster. Bisher sind fünf Eosinophilen-kationische Proteine bekannt, die – zumindest in vitro – 292
besonders für parasitäre Würmer toxisch zu sein scheinen. Aufgrund des enormen Größenunterschieds zwischen Würmern und Eosinophilen beschränkt sich die Schädigung aber auf die Außenfläche der Parasiten. Die für Wurminfektionen typische Eosinophilie spiegelt vermutlich den Versuch wider, so große und nahezu unzerstörbare Parasiten zu überwältigen. Produktion und Aktivierung der Eosinophilen werden von T-Zellen und Makrophagen gesteuert, dabei dienen Zytokine wie Interleukin 5 (IL-5) und Tumornekrosefaktor (TNF) als Mediatoren.
Tab. 14.2 Granulainhalt polymorphkerniger Leukozyten (PMN) und Eosinophiler BPI = bactericidal permeability increasing protein, ECP = eosinophil cationic protein, MBP = major basic protein, NADPH = Nikotinamid-Adenin-DinukleotidPhosphat Auch Monozyten und Makrophagen besitzen zytotoxische Granula. Im Gegensatz zu PMN enthalten Makrophagen nur wenig bis gar keine Myeloperoxidase, sezernieren aber große Mengen Lysozym (Tab. 14.3). Lysozym ist antibakteriell, seine mittlere Serumkonzentration beträgt etwa 30 mg/ml. In seltenen Fällen einer monozytären Leukämie kann es aber zu einem Konzentrationsanstieg auf 800 mg/ml kommen. Makrophagen lassen sich leicht durch bakterielle (LPS) und T-Zell-Produkte (IFNγ) aktivieren und sind dann sehr viel besser imstande, intra- und extrazelluläre Erreger abzutöten.
14.5.3
Stickstoffmonoxid (NO)
Ein wichtiges Sekretionsprodukt aktivierter Makrophagen ist Stickstoffmonoxid (NO), ein Reaktions-/Intermediärprodukt des Stickstoffs (reactive nitrogen intermediate, RNI), das bei der chemischen Umwandlung von Arginin in Citrullin durch Arginase entsteht. NO wirkt auf verschiedene Zellarten in hohem Maße zytotoxisch, und bei Infektionen wie Leishmaniasis oder Malaria werden große Mengen RNI gebildet. Arginase kann für Viren (HSV) und Parasiten (Schistosomen) auch schädlich sein, weil sie ihnen Arginin – und damit eine essenzielle Aminosäure – entzieht.
293
Tab. 14.3 Polymorphkernige Leukozyten (PMN) und Makrophagen im Vergleich. CGD = chronische Granulomatose, GM-CSF = Granulozyten-MakrophagenKolonie- stimulierender Faktor, IFN = Interferon, IL = Interleukin, LPS = Lipopolysaccharide, NO = Stickstoffmonoxid, TNFα= Tumornekrosefaktor α
294
14.6
Zytokine
Zytokine können Infektionen verstärken, aber auch kontrollieren helfen Wie frühe Untersuchungen der Überstände von Lymphozyten- und Makrophagenkulturen ergaben, ist eine darin enthaltene Familie nichtantigenspezifischer Moleküle (mit unterschiedlichen Wirkungen) an der Kommunikation zwischen Zellen beteiligt. Heute kennt man die Gruppe unter der Bezeichnung Zytokine. Wie diese Moleküle, die eine wichtige Rolle beim Schutz vor Infektionen spielen, ihren manchmal irreführenden Namen erhielten und wie sich ihre Funktionen trotz Strukturunterschieden verblüffend gleichen, ist in Kap. 11 ausführlicher beschrieben. Zytokine sind bei Infektionen aus zwei völlig gegensätzlichen Gründen wichtig. Für ihre schädliche Wirkung liefert der septische Schock durch TNF ein gutes Beispiel (s. Kap. 12). Ihr unmittelbarer oder häufiger indirekter Nutzen besteht darin, dass sie andere antimikrobielle Prozesse in Gang setzen. ■
Sie können helfen, sie zu bekämpfen,
■
aber auch zur Verstärkung beitragen.
14.6.1
Interferone
Die bekanntesten Zytokine mit antimikrobieller Wirkung sind wohl die Interferone (IFN; Tab. 14.4). Ihr Name leitet sich von dem 1957 geführten Nachweis her, dass virusinfizierte Zellen ein Molekül ausscheiden, das die Virusreplikation in unbeteiligten Zellen stört bzw. mit ihr „interferiert“. Alle drei Interferonarten – IFNα, IFNβ, IFNγ – binden an spezifische Zellrezeptoren (einer für IFNα und IFNβ, ein zweiter für IFNγ) und können bei den meisten Zellen einen antiviralen Zustand herbeiführen, indem sie mindestens zwei Enzyme produzieren: eine Proteinkinase und eine 2′,5′Oligoadenylatsynthetase. Beide Enzyme verursachen eine Hemmung der (Virus)RNA-Translation, d.h. der Proteinsynthese (Abb. 14.5).
Zur Frühreaktion auf Viren tragen hauptsächlich IFNα und IFNβ bei Da IFNα und IFNβ ziemlich schnell (innerhalb von 24 Stunden) bei Infektionen gebildet werden, stützt sich die Frühreaktion bei Virusinfektionen größtenteils auf sie. Als Produkt der T-Zellen wird IFNγ erst später gebildet, doch wie oben bereits angesprochen, können NK-Zellen früher mit einer IFNγ-Produktion reagieren. In einem späteren Stadium können Interferone die Zusammensetzung (assembly) der Viruspartikel (z.B. von Retroviren) hemmen, während viele andere IFN-Wirkungen (z.B. verstärkte MHC-Expression, Aktivierung von NK-Zellen und Makrophagen) zum antiviralen Status beitragen (Abb. 14.6). Im Unterschied zu zytotoxischen TZellen werden durch Interferone normalerweise nur Viren gehemmt, aber nicht die Wirtszellen geschädigt. 295
Obwohl sie eher für ihre antivirale Aktivität bekannt sind, konnte kürzlich gezeigt werden, dass Interferone von einem breiteren Erregerspektrum induziert werden bzw. daran wirksam sind (Rickettsien, Mykobakterien und mehrere Protozoenarten). Die Rolle von IFNγ wird weiter unten im Zusammenhang mit den T-Zellen besprochen. Einige intrazelluläre Erreger (wie Leishmanien) verbessern ihre Überlebenschancen, indem sie den IFNγ-Einfluss auf die MHC-Expression abwehren. In Tierversuchen nahm die Anfälligkeit für Virusinfektionen durch Behandlung mit IFNα-Antikörpern deutlich zu. Bei Virusinfektionen des Menschen (speziell bei chronischer Hepatitis B) hat sich eine Behandlung mit IFNα als sinnvoll erwiesen (s. Kap. 22).
14.6.2
Weitere Zytokine
TNFα-Produktion kann nützlich oder von Nachteil sein Einen schlagenden Beweis für den möglichen therapeutischen Nutzen von TNF liefert die Hemmung der B-Lymphozyten-Proliferation bei Infektionen mit dem EpsteinBarr-Virus (EBV). Bei an Malaria Erkrankten kann sich infolge einer EBV-Infektion ein Burkitt-Lymphom – ein monoklonaler B-Zell-Tumor – entwickeln. TNF-Werte sind bei Malaria nachweislich erhöht. Man vermutet allerdings auch, dass TNF die Symptome der Malaria ebenso wie die bakterieller Endotoxine verstärken kann (s. Kap. 12). Das verdeutlicht beispielhaft, wie undurchsichtig die Rolle der Zytokine bei allen möglichen Infektionen oft sein kann.
Tab. 14.4 Interferone (IFN) des Menschen *
jeweils von einem anderen Gen kodiert dsRNA = doppelsträngige Ribonukleinsäure, MHC = major histocompatibility complex
Abb. 14.5 Molekulare Grundlagen der Interferon(IFN)-Wirkung. 296
eIF-2 = eukaryotischer Initiationsfaktor 2
297
Abb. 14.6 Unterschiedliche Interferon-(IFN)Wirkungen und Immunität gegen Viren.
MHC = major histocompatibility complex, NK = natürliche Killerzellen Für die stark wirksamen Moleküle scheinen Regeln wie „genug ist genug“ und „zu viel ist gefährlich“ zu gelten. Paradox ist das positive Feedback mit negativen Folgen bei HIV-Infizierten, d.h., der Anstieg der TNF-Konzentration begünstigt die HIVReplikation in T-Zellen. Auf Zytokine der T-Zellen (wie IFNγ) und ihre Rolle für die Immunität wird unten eingegangen.
14.7
Antikörpervermittelte Immunität
Kennzeichnend für Antikörpermoleküle ist ihre Fähigkeit, sich spezifisch an Antigene fremder Mikroorganismen zu binden. In vielen Fällen kommt es danach noch zur Bindung an andere Zellen bzw. Moleküle des Immunsystems (Phagozyten, Komplementfaktoren). Darauf wird unten näher eingegangen. Zunächst seien einige allgemeine Einflüsse auf die Durchsetzungsstärke von Antikörperreaktionen erwähnt.
298
14.7.1
Geschwindigkeit, Ausmaß, Dauer
Bis eine primäre Antikörperreaktion in ausreichendem Umfang ausgeprägt wird, kann es gefährlich lange dauern. Das liegt an den Interaktionen der beteiligten Zellen und der notwendigen Proliferation einer kleinen Anzahl spezifischer Vorläuferzellen (Lymphozyten). Als es noch kein Penicillin gab, war die Lobärpneumonie ein klassisches Beispiel für das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Bakterienvermehrung und Antikörperproduktion, das eine Seite (nach ca. 1 Woche) in sehr dramatischer Weise für sich entschied. Heutzutage stehen die Chancen für die Patienten dank Impfungen und Antibiotika viel besser. Tierversuche mit speziell gezüchteten Mäusen lassen vermuten, dass eine größere Anzahl von Genen kontrolliert, wie rasch und stark Antikörperreaktionen auftreten, und das gilt zweifellos auch für Menschen. Zu berücksichtigen sind außerdem Rate und Geschwindigkeit, mit der sich Mikroorganismen vermehren. Die Replikationsraten, gemessen als Verdopplungszeit (s. Kap. 15), zeigen eine Schwankungsbreite von weniger als einer Stunde (die meisten Viren, viele Bakterien) bis hin zu Tagen oder sogar Wochen (Mykobakterien, T. pallidum). Dass Mikroorganismen in vivo langsamer wachsen als in vitro, zeigt, wie ungeeignet oder feindlich die Umgebung im jeweiligen Wirt im Allgemeinen ist. Bei einer Inkubationszeit von wenigen Tagen (Rhinoviren, Rotaviren, Cholera) entwickelt sich die Antikörperreaktion zu langsam, um das Ergebnis von Anfang an zu beeinflussen. Daher sind in dieser Phase rascher produzierte Zytokine wie die Interferone wichtiger. Allgemein ausgedrückt hält eine Antikörperreaktion so lange an, wie noch Antigen vorhanden ist, auch wenn sich nach längerer Dauer eine gewisse Abschwächung bemerkbar machen kann. Vermutlich stellt dies einen Versuch dar, die immunpathologischen Auswirkungen zu begrenzen (s. Kap. 17). Lebenslange Immunität nach Virusinfektionen kann auf regelmäßig wiederkehrendem Antigenkontakt beruhen (z.B. mit dem Masern- oder Mumpsvirus, das noch immer in der Bevölkerung umgeht), aber manchmal persistieren Antikörper (z.B. bei Gelbfieber) jahrzehntelang, ohne dass eine Auffrischung stattgefunden hätte. Diese Persistenz des immunologischen Gedächtnisses könnte mit der unspezifischen Stimulation der Gedächtnis-B- und T-Zellen zusammenhängen, wenn Zytokine auf andere Antigene ansprechen. Dieser Vorgang wird als Aktivierung von „Bystander“-Zellen bezeichnet.
14.7.2
Affinität
Dass Antikörper nützlicher sind, wenn sie Antigene mit höherer Affinität binden, erscheint einleuchtend und wurde auch experimentell (passive Immunität/Schutzwirkung) bestätigt. Die Bindungsaffinität wird sowohl vom ursprünglichen Antikörper-Genpool als auch durch somatische Mutationen einzelner B-Lymphozyten festgelegt. Genetisch wird sie offenbar unabhängig von der AntikörperGesamtmenge kontrolliert. Bei einigen Menschen fand man eine relativ niedrige Antikörperaffinität für den Tetanustoxoidimpfstoff, besonders wenn IgG4-Reaktionen überwogen, und aus Versuchen mit Mäusen ergaben sich eindeutige Hinweise, dass eine mangelnde Affinität der Antikörperreaktionen zu Immunkomplexkrankheiten prädisponierte.
299
14.7.3 Antikörperklassen und -subklassen (Isotypen) Für die meisten funktionellen Unterschiede von Antikörpern sind ihre Fc-Abschnitte verantwortlich (s. Kap. 10). Indem es von einem Fc-Abschnitt zum anderen umschaltet (während die Fab-Region konstant bleibt), kann das Immunsystem ausprobieren, wie effektiv verschiedene Mechanismen gegen eingedrungene Mikroorganismen sind. Diese Flexibilität ist aber nicht unbegrenzt möglich. Von T-Zellen unabhängige Antigene (bestimmte Polysaccharide) induzieren z.B. nur IgM-Antikörper. Für das Umschalten auf IgG, IgA oder IgE sind jedoch T-Zellen erforderlich. IgG-Reaktionen gegen Polysaccharide gehen hauptsächlich von IgG2 aus und IgGReaktionen gegen Proteine hauptsächlich von IgG1. Die mangelhafte Bildung von IgG2 bei Kindern unter zwei Jahren erklärt die ausbleibende Antikörperreaktion auf Bakterien mit Polysaccharidkapsel (z.B. Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae). Um Impfstoffe, die andere IgG-Subklassen induzieren, herzustellen, werden beträchtliche Anstrengungen unternommen. Bei den Antikörpern gegen Viren überwiegen IgG1 und IgG3, bei den Antikörpern gegen Helminthen IgG4 und IgE. Der einzige Antikörpertyp, der im proteasereichen Milieu des Darms funktionieren kann, ist IgA, das entsprechend hauptsächlich von Antigenen, die den Verdauungstrakt erreichen, induziert wird. Bei dieser Isotypen-Präferenz spielen auch T-Zellen und Zytokine eine wichtige Rolle.
14.7.4 Hemmende und neutralisierende Antikörperwirkung Zum Schutz des Wirtes vor Mikroorganismen reicht es oft schon aus, dass sich Antikörper an die Oberfläche des Erregers heften. Dadurch können sie z.B. die für das Eindringen in Wirtszellen erforderliche Rezeptorbindung von Viren oder Bakterientoxinen behindern. Auf dieser Grundlage wurden viele lebensrettende Impfstoffe gegen Viren oder Bakterientoxine entwickelt. Die wichtige Frage, ob eine rasche Sekundärreaktion zum Schutz ausreicht oder ob bereits vor der Infektion Antikörper im Serum vorhanden sein müssen, wird in Kap. 34 diskutiert. Bei Mikroorganismen mit spezifischen Adhäsionsstellen (Viren, Bakterien oder Protozoen) kann es eine wirksame Gegenmaßnahme darstellen, ihre Anheftung bzw. ihr Eindringen in die Wirtszellen zu verhindern (s. Kap. 16). Eine wichtige Ausnahme bilden Erreger wie das Denguefiebervirus, die in Makrophagen parasitieren. In dem Fall kann die Infektion durch eine niedrige IgG-Antikörper-Konzentration sogar verstärkt werden, weil sich die Erreger noch leichter an Fc-Rezeptoren binden (s. unten). Etwas schwächer ist die Wirkung von Antikörpern, die essenzielle Oberflächenbestandteile (vor allem Enzyme oder Transportmoleküle) der Mikroorganismen hemmen. Selbstredend unternehmen die Erreger die nötigen Schritte, um sich erfolgreich zur Wehr zu setzen, um diese Bestandteile möglichst zu schützen (s. Kap. 16).
14.7.5
Immobilisierung und Agglutination
Immunglobulin(Ig)-Antikörper sind etwa so groß wie kleinere Viren und haben einen größeren Durchmesser als Bakteriengeißeln, vor allem die großen pentameren IgM300
Moleküle (Abb. 14.7). Daher werden bewegliche Mikroorganismen schon rein physikalisch eingeschränkt, sobald sich ein Antikörper an sie heftet. Hinzu kommt, dass Antikörper aufgrund ihrer Molekülstruktur (Multivalenzen) zwei oder mehrere Mikroorganismen zusammen binden können, wie sich durch Bakterienagglutinationstests leicht zeigen lässt (Abb. 14.8). Ob Bakterienagglutination zum Schutz dient, ist in vivo schwer zu beurteilen; möglicherweise werden zusammenklebende Bakterien schneller phagozytiert. Im Blut infizierter Tiere fand man aber z.B. trotz ausreichender Serumantikörper noch immer motile Trypanosomen in solchen zusammengelagerten Klumpen. In-vitro-Agglutinationsreaktionen sind diagnostisch sehr hilfreich (s. Kap. 32).
Abb. 14.7 Elektronenmikroskopische Aufnahme eines IgM-Moleküls.
„Krabben“-artige Struktur durch (Quer-)Verbindung mit einzelner Bakteriengeißel (mit freundlicher Genehmigung von A. Feinstein).
301
Abb. 14.8
Bakterienagglutination.
Gruppe-A-Streptococcus und Latexpartikel, die mit Anti-Gruppe-A-Antikörpern beschichtet sind (mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee).
14.7.6
Lyse
Ein anderes bequemes Antikörper-Nachweisverfahren ist die Lyse von Bakterien bei Zugabe von Komplement. Lyse schützt aber wahrscheinlich nur vor einem schmalen Erregerspektrum (Neisserien- und einigen Virusinfektionen; s. Kap. 17).
14.7.7
Opsonisierung
Direkte (Bindung der CH2- und CH3-Regionen von Immunglobulinen an FcRezeptoren) oder indirekte Opsonisierung (durch C3b-Rezeptor-Bindung nach Komplementaktivierung) ist überhaupt die wichtigste Antikörperfunktion. Den schlagenden Beweis liefert die große Ähnlichkeit der Symptome bei Patienten mit Antikörper-oder Komplementdefekten (bis zu und einschließlich Faktor C3) bzw. Phagozytendefekten (s. Kap. 30). Die Phagozytoserate kann sich schätzungsweise auf das 1000fache steigern, wenn sich Antikörper und Komplement in ihrer Wirkung ergänzen (Abb. 14.9). Ein gutes Beispiel ist erneut die Lobärpneumonie: Gegen die Bakterienkapsel (Streptococcus pneumoniae) gerichtete IgG-Antikörper ermöglichen Neutrophilen die Phagozytose, so dass sich die durch Flüssigkeit, Fibrin und Fresszellen angeschoppte Lunge quasi über Nacht wieder zum normalen Atemapparat zurückbilden kann. Anmerkung: Da die später entstehenden Komplementfaktoren C5–9 nicht erforderlich sind, prädisponieren entsprechende Mängel im Allgemeinen nicht zu Bakterieninfektionen (s. Kap. 30). Wie erfolgreich die Opsonisierung ist, hängt davon ab, ob aufgenommene Erreger von den Phagozyten endgültig ausgeschaltet werden können. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn Mikroorganismen die normale intrazellulären Vorgänge, die zu ihrer Zerstörung führen würden, hemmen oder umgehen können (typisches Beispiel: Mykobakterien; s. Kap. 16). 302
Abb. 14.9
Phagozytose.
Durch Antikörper und Komplement werden Pneumokokken bei Mäusen schneller aus dem Blut entfernt.
14.7.8 (ADCC)
Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität
Die Phagozytose größerer Organismen (z.B. Würmer) ist nicht möglich. Es gibt aber eine Reihe von Zellen, die Parasiten von außen (extrazellulär) schädigen können, indem sie – ähnlich wie Phagozyten – über Antikörper und Fc-Rezeptoren an sie andocken. Dazu gehören außer den üblichen Phagozyten noch Eosinophile und Thrombozyten. Man muss allerdings einschränkend hinzufügen, dass sich Hinweise auf solche Wirkmechanismen nur in vitro ergaben und sich ihre Rolle in vivo nur schwer einschätzen lässt. Tatsächlich weiß man in den meisten Fällen nicht genau, wie Antikörper vor Infektionen schützen. Dass z.B. enorm viel IgA (fast die Hälfte der Antikörperproduktion im gesamten Körper) enteral gebildet wird, spricht für eine vitale Schutzfunktion der Darmschleimhaut; trotzdem kommt ein IgA-Mangel relativ häufig vor, ohne ernste Folgen zu haben. Tab. 14.5 zeigt einige gängige Beispiele für Infektionen, die normalerweise von Antikörpern kontrolliert werden. Es sei erneut betont, dass das bloße Vorhandensein von Antikörpern keinesfalls schon Schutz bedeutet. Zum einen können Antikörper gegen pathogenetisch unbedeutende bzw. nicht krank machende Antigene gerichtet sein und zum anderen entwickeln sich viele Infektionen (vor allem intrazelluläre wie Tuberkulose, Typhus, Herpes) unabhängig von Antikörpern. Die Bedeutung von Antikörpern lässt sich am besten aus Antikörpermangelsyndromen herleiten (s. Kap. 30).
14.8
Zellvermittelte Immunität 303
T-Zellen bilden die zweite Hauptkomponente bei erworbenen Immunreaktionen (s. Kap. 10 und 11). Einige produzieren Zytokine, die Makrophagen aktivieren oder bei der Antikörperproduktion mithelfen (Tab. 14.6), andere wirken direkt zytotoxisch auf infizierte Zielzellen. In beiden Fällen müssen die T-Zellen bestimmte Peptid-MHCMolekül-Kombination wahrnehmen und sie mit ihrem T-Zell-Rezeptor erkennen. Einige Beispiele zur Bedeutung der antikörper- und zellvermittelten Immunität bei systemischen Infektionen sind in Tab. 14.5 angegeben.
Tab. 14.5 Bedeutung der antikörper- (ADCC) und zellvermittelten Immunität (CMI) für die Resistenz gegen systemische Infektionen. *
früher: P. carinii CMV = Zytomegalievirus, HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = VaricellaZoster-Virus
304
Tab. 14.6 Therapeutischer Einsatz von Zytokinen bei Infektionen des Menschen. GM-CSF/M-CSF = Granulozyten-Makrophagen- bzw. Makrophagen-Koloniestimulierender Faktor, HBV/HCV = Hepatitis-B-/-C-Virus, IFN = Interferon, IL = Interleukin
Bei Lepra korrelieren T-Zell-vermittelte Immunität und Kontrolle des Bakterienwachstums Das Krankheitsspektrum bei Lepra reicht von tuberkuloiden Formen (niedrige Bakterienzahl) bis zur Lepra lepromatosa (hohe Bakterienzahl). Während Patienten mit Lepra tuberculoides noch messbar – durch Lymphozytenproliferation, TH1-ZytokinSekretion (wie IFNγ) oder Überempfindlichkeitsreaktion vom verzögerten Typ (DTH, delayed-type hypersensitivity) in Hauttests – auf die Lepra-Antigene reagieren, haben Patienten mit Lepra lepromatosa die T-Zell-vermittelte Immunität gegen M. leprae verloren. In Experimenten (direkte Injektion von IFNγ in Hautläsionen) mit Lepra-lepromatosaPatienten erwies sich eindeutig, wie wichtig die Stimulation von T-Zellen für die Makrophagenaktivierung und Bakterienabtötung ist. IFNγ bewirkte einen Zustrom von T-Zellen und Makrophagen zu den Hautläsionen und eine Abnahme der Bakterienzahl. Ein anderes gutes Beispiel für die schützende Wirkung von IFNγ und die TH1Immunität sind Tiermodelle der Leishmaniose: Einige Mäuse-Stämme (C57BL/6Mäuse) sind resistent gegen Leishmaniasis und können die Infektion gut – durch eine 305
TH1-Zytokin-Reaktion – kontrollieren. BALB/c-Mäuse konnten dagegen kein IFNγ bilden und das Parasitenwachstum nicht kontrollieren (Tab. 14.7). Sehr anschaulich wird die Schutzwirkung von IFNγ (aktiviert über spezifische Rezeptorbindung Makrophagen und die Bildung antibakterieller Moleküle), wenn man die Folgen bedenkt, die eine ausbleibende IFNγ-Synthese oder -Rezeptor-Bindung haben kann. Mäuse, deren IFNγ-Gen ausgeschaltet („knocked-out“) wurde, sind stark anfällig für intrazelluläre Infektionserreger. Kürzlich gelang es, Genmutationen des IFNγ-Rezeptors bei Menschen zu identifizieren, die dadurch besonders anfällig für Mykobakterien- oder disseminierte Infektionen nach BCG-Impfung werden (Abb. 14.10).
Tab. 14.7 Schutzwirkung von IFNγbei Leishmanien-infektion.
Abb. 14.10 Erhöhte Anfälligkeit für Mykobakterieninfektionen durch Genmutationen des IFNγ-Rezeptors am Beispiel von drei maltesischen Familien.
Von den anfälligen Kindern (voll grüne Symbole) starben zwei an einer atypischen Mykobakterieninfektion (durchgestrichene Symbole). Die halben grünen Symbole geben den Trägerstatus der übrigen Familienmitglieder wieder. Sämtliche erkrankten Kinder waren homozygot für eine Punktmutation des IFNγ-Rezeptor-Gens (Genlokus a auf Chromosom 6q22–q23). Infolge des eingefügten Stoppkodons wurde ein nichtfunktionelles, defektes Protein gebildet [Newport et al., N Engl J Med 335 (1996) 1941–1949). Manche Bakterien entziehen sich der TH1-Schutzreaktion, indem sie antigenspezifische regulatorische T-Zellen induzieren. Bei Keuchhusten gebildete regulatorische T-Zellen sind z.B. auf das filamentöse Hämagglutinin und Pertactin von Bordetella pertussis spezialisiert und unterdrücken durch ihre IL-10-Produktion die TH1-vermittelte Immunität. 306
Weist ein positiver Hauttest (Überempfindlichkeit des verzögerten Typs, DTH) auf Immunität hin? Bei Menschen wird meist ein Hauttest (auf Überempfindlichkeit vom verzögerten Typ bzw. delayed-type hypersensitivity, DTH) durchgeführt, um ihre T-Zell-Immunität zu ermitteln; 2–3 Tage nach intradermaler Antigeninjektion kann eine Schwellung (Induration) an der Einstichstelle gemessen werden. Solche Tests dienen als Screening-Untersuchung auf eine Anergie der T-Zellen (z.B. mit Candidin, da die meisten Menschen schon mit Candida in Kontakt gekommen sind). Am verbreitetsten ist wohl der Mendel-Mantoux-Hauttest unter Verwendung von Tuberculin (M.-tuberculosis-Antigen). Doch selbst wenn die IFNγ-Produktion mit der Hautreaktion korreliert (Abb. 14.11), ist dieser Test weder diagnostisch wertvoll noch Ausdruck der Immunität. Leider führt das Testantigen – gereinigtes Proteinderivat von M. tuberculosis – teilweise zu Kreuzreaktionen mit anderen (Mykobakterien)Antigenen, einschließlich BCG und Mykobakterien aus der Umgebung, die keine Tuberkulose auslösen. Das heißt, der Hauttest kann z.B. auch nach BCG-Impfung positiv ausfallen, ohne dass eine Exposition mit M. tuberculosis vorangegangen sein muss. Hinzu kommt, dass bei manchen Menschen mit erhöhtem Tuberkuloserisiko die Haut besonders stark reagiert; d.h., T-Zell-Reaktionen können sich bei fortschreitender Krankheit noch verstärken.
307
Abb. 14.11 Beziehung zwischen IFNγ-Produktion und Überempfindlichkeitsreaktion vom verzögerten Typ.
In-vitro-Untersuchung der IFNγ-Reaktion gesunder junger Erwachsener auf gereinigte Proteinderivate von M. tuberculosis. Die Hautreaktion auf das Antigen wurde anhand der Mendel-Mantoux-Probe (Messung der Induration) beurteilt [Black et al., Int J Tuberc Lung Dis 5 (2001) 664–672].
Zytotoxische T-Lymphozyten töten Zielzellen über die Induktion von „Lecks“ (Leakage) ab Zytotoxische T-Lymphozyten (CTL) zeichnet aus, dass sie erregerspezifische Antigene sowohl erkennen als auch zerstören können. Der erste Schritt, die Erkennung von Zielzellen anhand eines Antigenfragments, das sich mit einem MHCKlasse-I-Molekül verbindet, ist in Kap. 10 beschrieben und verdeutlicht, wie hochspezifisch das erworbene Immunsystem reagiert. Die Abtötung der Erreger erfolgt aber relativ unspezifisch. Anscheinend sind daran „Lecks“ in Zielzellen beteiligt, die beim Einfügen von Perforin entstehen. Perforin ist ein 66-kD-Molekül, das eine strukturelle und funktionelle Ähnlichkeit mit dem terminalen Komplementfaktor C9 aufweist, einem 80-kD-Protein (Abb. 14.12). Andere Stoffe, darunter Granzyme und Zytokine wie TNFα, könnten sich ebenfalls direkt oder indirekt auswirken. Der Tod von Zielzellen könnte durch Induktion einer ■
Leakage (Lecks) oder
■ Apoptose bedingt sein; das in alle Zellen eingebaute „Selbstmord-Programm“ wird von Fas-FasL-Interaktionen, Granzymen und TNFα ausgelöst. Diese Mechanismen scheinen vor allem gegen virusinfizierte Zellen zu greifen, doch in einigen Fällen könnten auch mit intrazellulären Parasiten wie Mykobakterien (z.B. 308
M. leprae in Schwann-Zellen) oder sogar Protozoen (z.B. Theileria parva in Lymphozyten) infizierte Zellen anfällig sein. Zytotoxische T-Zellen sind meist CD8positiv und erkennen MHC-Klasse-I-Restriktionspeptid-Epitope, doch es gibt auch zytotoxische CD4-positive und γδ-T-Zellen. Überraschend war kürzlich die Entdeckung, dass CD8-positive T-Zellen auch gegen bakterielle Erreger aktiviert werden, wenn sie bei Infektionen wie der Tuberkulose in Phagosomen zurückbleiben, statt ins Zytoplasma überzugehen. Das könnte durch einen als „cross-priming“ bezeichneten Vorgang zustande kommen, bei dem dendritische Zellen das aufgenommene bakterielle Antigen nicht nur zu MHC-KlasseII-, sondern auch zu MHC-Klasse-I-Molekülen verarbeiten und präsentieren. Intrazelluläre Erreger müssen bei der Lyse infizierter Zellen nicht unbedingt abgetötet werden, doch sobald sie ihr Versteck verlassen, droht ihnen Phagozytose mit anschließender Zerstörung durch noch stärker aktivierte Makrophagen (Abb. 14.13).
Abb. 14.12 Lyse durch zytotoxische Zellen und Komplement im Vergleich.
Ca2+ = Kalziumionen, MAC = Membranangriffskomplex, MHC = Haupthistokompatibilitätskomplex, Zn2+ = Zinkionen
309
Abb. 14.13 Bei der Immunität gegen intrazelluläre Erreger spielen T-Zellen verschiedene Rollen:
(a) Durch ihre Zytokinsekretion (IFNγ) aktivieren T-Zellen intrazelluläre Tötungsmechanismen, z.B. in Makrophagen. (b) T-Zellen bewirken die direkte Zerstörung infizierter Zellen und Parasiten. (c) T-Zellen töten Parasiten ab, schädigen dabei aber auch vitales Gewebe. (d) T-Zellen ermöglichen durch die Zelllyse überlebenden Parasiten die weitere Streuung (Dissemination). (e) Wenn Parasiten auf diese Weise freigesetzt werden, könnten noch stärker aktivierte Wirtszellen sie phagozytieren [Kaufman, S.H., Rev Infect Dis 11 (Suppl. 2) (1989) S448–454]. Dass nicht alle CD8-positiven T-Zellen zytotoxisch wirken können, ist eine weitere interessante Entdeckung neueren Datums. Beim Menschen exprimieren mehr CD8positive T-Zellen die Protease Granzym A (in Granula) als das präformierte Effektormolekül Perforin. Bei einer HIV-Infektion bilden zwei Drittel der CD8positiven T-Zellen Granzyme und nur ein Drittel Perforin. Das könnte erklären, weshalb HIV-infizierte Zellen einer Zerstörung durch antigenspezifische CD8-positive T-Zellen entgehen. Eine Übersicht über zytotoxische Moleküle von Zellen des angeborenen und erworbenen Immunsystems zeigt Tab. 14.8.
310
14.9
Erholung von einer Infektion
Nach gängiger Vorstellung sind Patienten mit einer Infektion für eine befristete Dauer von Tagen bis Monaten krank und erholen sich dann wieder. Manchmal sind sie danach immun gegen diese Erkrankung. Unter diesen Umständen waren mit ziemlicher Sicherheit adaptive Immunmechanismen (Lymphozyten) am Werk, denn: 1 Das Auftreten von Symptomen impliziert, dass die Parasiten von rasch wirksamen natürlichen Abwehrmechanismen nicht beseitigt werden konnten. 2 Eine Dauer von Tagen bis Wochen benötigen die adaptiven Immunmechanismen bis zur Entwicklung ihrer vollen Wirkstärke. 3 Die anschließende Immunität ist Ausdruck des immunologischen Gedächtnisses, über das ausschließlich Lymphozyten verfügen. Ihre Fähigkeit, spezifische Antigene zu erkennen, klonal zu proliferieren und als Gedächtnis-(Memory-)Zellen weiterzuleben, ermöglicht eine zunehmend bessere Anpassung an infektiöse Keime in der Umgebung. Je älter, desto besser sind Individuen an die Umgebung adaptiert, bis das fortgeschrittene Alter selbst das Immunsystem zu schwächen beginnt. In Frühstadien einer Infektion kann sich die erworbene Immunität jedoch noch etwas holprig und ineffektiv ausnehmen. Lymphozyten sind darauf programmiert, Antigenepitope an der Form zu erkennen; daher können sie weder zwischen virulenten und harmlosen Parasiten unterscheiden noch „wissen“, welche Immunantwort am effektivsten sein wird. Für die Genesung von einer individuellen Infektion dürften die meisten Reaktionen unerheblich sein, und der Nachweis von Antikörpern, Zytokinen oder zytotoxischen Zellen beweist noch nicht den Nutzen. Oft führt ein Mechanismus zur Erholung (bei Masern z.B. zytotoxische Zellen und Interferon), während ein anderer gegen eine Reinfektion resistent macht (bei Masern schützen Antikörper vor dem erneuten Ausbruch). Welche der zahlreichen beobachtbaren Reaktionen auf eine Infektion (namentlich mit Protozoen oder Würmern) als nützlich, schädlich oder neutral anzusehen ist, ist noch umstritten. Die Unterscheidung lässt sich wohl erst nach wiederholten Untersuchungen anhand von Patientenbeobachtungen und Korrelationen treffen. Weiterhelfen könnten auch Studien zu aufgetretenen Mangelsyndromen und Tierexperimente, sofern gute Modelle verfügbar sind. Gründe für eine ausbleibende Erholung von einer Infektion zu benennen kann schwierig sein. Wenn es sich um eine Infektion handelt, von der sich die meisten Menschen erholen (z.B. Masern) oder an der sie gar nicht erkranken (z.B. Pneumocystis), sollte eine Immunschwäche (Immundefizienz) in Betracht gezogen werden (s. Kap. 30). Schnell tödlich gehen für normale Menschen oft Infektionen aus, denen ihr Immunsystem vorher noch nicht ausgesetzt war (wie das Lassafieber), da sie normalerweise nur bei Tieren überdauern und sich nur zufällig auf Menschen übertragen (s. Zoonosen, Kap. 28). Wenn eine Infektion normal verläuft und erst verzögert abklingt, ohne dass die Erreger beseitigt oder ihren Wirt töten würden, sind sie als erfolgreich anzusehen. Dieser Erfolg beruht auf einer ihrer Überlebensstrategien, die in Kap. 16 thematisiert werden.
311
Tab. 14.8 Wichtige zytotoxische Moleküle gegen Infektionserreger.
312
Zusammenfassung ■ Vor Infektionserregern, die äußere Barrieren wie Haut oder Schleimhäute überwinden können, schützt eine Reihe von Abwehrmechanismen (angeborene Immunität). ■ Diese Abwehr tritt früher und schneller auf den Plan, ist aber auch unspezifischer als die erworbene Immunität, deren Abwehr sich auf Lymphozyten stützt. ■ Wichtige frühe Abwehrmechanismen sind Akute-Phase-Reaktionen, Komplementsystem, Interferone, Phagozyten und natürliche Killerzellen. Zusammen bilden sie die erste Linie der Abwehr, die in den ersten Stunden oder Tagen der Infektion wirksam wird. ■ Für die Erholung von einer Infektion ist in vielen Fällen die durch Antikörper und T-Zellen vermittelte erworbene Immunität verantwortlich. Allerdings dauert es Tage bis Wochen, bis sich die Wirkung voll entfaltet. ■ Bei geläufigen Virusinfektionen kommt es manchmal durch die zellvermittelte Immunität zur Genesung, während Antikörper Schutz vor einer erneuten Erkrankung verleihen. ■ Die ausbleibende Erholung kann durch eine geschwächte Immunlage des Wirts oder eine erfolgreiche Vermeidungsstrategie des Erregers bedingt sein.
313
FRAGEN 1 *Makrophagen können Parasiten zerstören durch a) reaktive Sauerstoff-Intermediärprodukte b) major basic protein c) zytotoxische Lipidperoxide d) Antikörper e) Stickoxid? 2 *Interferone sind gegen Viren wirksam durch a) Schädigung der Wirtszelle b) Hemmung der Entstehung neuer Viruspartikel (assembly) c) Hemmung der viralen RNA-Translation d) Verhütung der Virusinvasion? 3 *Antikörper können den Schutz vor Infektionen (Immunität) verstärken durch a) Opsonisierung (als Vorbereitung auf die Phagozytoseder Parasiten) b) direkte Lyse von Parasiten c) direkte Induktion der Phagozytenaktivierung d) Hemmung der Invasion in Wirtszellen e) Induktion der antikörperabhängigen Zytotoxizität? 4 *Voraussetzung für die Immunitat gegen intrazellulare Erreger wie M. tuberculosis sind a) antigenspezifische T-Zellen b) Zytokinproduktion (IFNγ) c) Mediatorsubstanzen der Eosinophilen d) IgE-Antikörper? * Fragen mit mehr als einer richtigen Antwort.
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Alt, F., Marrack, P. (eds.): Curr. Opin. Immunol. [erscheint zweimonatlich, Ausgabe 4 jedes Bandes befasst sich mit „Immunität gegen Infektionen“]. Roitt, I.M., Brostoff, J., Male, D.: Immunology, 6th ed. Elsevier Science, London 2002.
314
15 Ausbreitung und Replikation 15.1
Kennzeichen oberflächlicher und systemischer Infektionen 171
15.2
Ausbreitung im Körper (systemische Aussaat/Streuung) 172
15.2.1
Übertritt in Lymphe oder Blut 172
15.2.2
Verbreitung auf dem Blutweg (hämatogen) 174
15.2.3
Ausbreitung über periphere Nerven 175
15.2.4
Ausbreitung im Liquor cerebrospinalis 176
15.2.5
Andere Ausbreitungswege 176
15.3
Genetische Einflüsse 176
15.3.1
Genetische Faktoren des Wirts 176
15.3.2
Genetische Faktoren der Erreger 178
15.4
Sonstige Einflüsse 179
Zur Orientierung Infektionen breiten sich oberflächlich oder systemisch aus Viele Mikroorganismen vermehren sich erfolgreich in Zellen des Oberflächenepithels, sind jedoch nicht in der Lage, in tiefer liegende Strukturen einzudringen oder sich im ganzen Körper auszubreiten. Besonders leicht können sie sich im Flüssigkeitsfilm lokaler Schleimhäute verbreiten, unterstützt vom Flimmerepithel. Bei Fließbewegungen im größeren Maßstab weiten sich oberflächliche Infektionen auch auf entferntere Gebiete aus; besonders augenfällig wird das im Gastrointestinaltrakt. Erreger aus den Atemwegen können entweder in heftigen Sprühstößen (beim Husten oder Niesen) in einen Nebenhöhleneingang bzw. ins Mittelohr gelangen oder aber mit dem Schleim (z.B. im Schlaf) in den unteren Respirationstrakt rinnen. Auf diese Weise können Erreger innerhalb weniger Tage größere Körperflächen infizieren und sich nach außen weiterverbreiten – für eine primäre Immunreaktion bleibt nicht genug Zeit. Deshalb sind unspezifische (nichtadaptive) Mittel wie Interferone und natürliche Killerzellen wichtig für die Infektionskontrolle. Andere Mikroorganismen breiten sich dagegen über die Lymphe oder das Blut systemisch, d.h. im ganzen Körper, aus. Oft kommt es zu einer komplexen oder schrittweisen Invasion unterschiedlicher Gewebe, ehe sie ihr eigentliches Ziel erreichen, sich vermehren und nach außen weiterverbreiten (z.B. Masern oder Typhus). Abb. 15.1 zeigt die Ausbreitung bei oberflächlicher und systemischer Infektion im Vergleich.
15.1 Kennzeichen oberflächlicher und systemischer Infektionen
315
Ob Infektionen oberflächlich oder systemisch verlaufen, hängt von mehreren Faktoren ab Was verhindert ein tieferes Eindringen oberflächlicher Infektionen? Warum setzen sich die Erreger systemischer Infektionen in voller Breitseite den Abwehrkräften im Körperinneren aus und verlassen den relativ sicheren „Hafen“ der Körperoberfläche? Wichtige Fragen. Was bringt z.B. Meningokokken dazu, statt harmlos weiter die Nasenschleimhaut zu besiedeln, in tiefere Gewebe und ins Blut einzudringen, um die Hirnhäute zu erreichen und eine Meningitis zu verursachen (s. Kap. 24)? Ein Faktor, der Mikroorganismen an der Körperoberfläche zurückhält, ist die Temperatur. Dass Infektionen durch Rhinoviren auf die oberen Atemwege beschränkt bleiben, liegt an deren Wärmeempfindlichkeit; bei 33 °C vermehren sich Rhinoviren, nicht aber bei der Temperatur (37 °C), die in den unteren Atemwegen herrscht. Auch Mycobacterium leprae ist wärmeempfindlich; das würde erklären, weshalb sich seine Replikation mehr oder weniger auf Nasenschleimhaut, Haut und oberflächliche Nerven beschränkt. Dass Viren an einer Körperoberfläche bleiben, könnte mit ihrer Ausknospung (Budding) zusammenhängen. Influenza- und Parainfluenzaviren dringen zwar in das Oberflächenepithel der Lunge ein, doch da sie zur freien (äußeren) Seite der Epithelzellen statt nach basal ausknospen, können sie sich nicht in tiefere Gewebeschichten fortpflanzen (Abb. 15.2). Viele Mikroorganismen, die sich an der primär infizierten Stelle (Körperoberfläche) weder ausbreiten noch vermehren können, verursachen zwangsläufig eine systemische Infektion. Aus unklaren Gründen kommt es im Fall von Masern oder Typhus zu (fast) keiner Replikation am Ort der anfänglichen (respiratorischen bzw. enteralen) Infektion. Erst wenn die Erreger nach der systemischen Infektion in größerer Zahl zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren und sich vervielfältigt haben, streuen sie in die Umgebung. Andere Mikroorganismen sind auf einen bestimmten Infektionsweg festgelegt, müssen sich aber systemisch ausbreiten, um ihre Replikationsstelle zu erreichen. Es ist daher keine ausgedehntere Replikation an der primär infizierten Stelle erforderlich. Obwohl ihr Infektionsweg über den Atem- bzw. Verdauungstrakt verläuft, müssen sich Mumpsoder Hepatitis-A-Viren (HAV) im Körper ausbreiten, um sich nach der Invasion in Speicheldrüsen (Mumpsvirus) bzw. Leber (HAV) zu vermehren.
316
Abb. 15.1 Oberflächliche und systemische Infektionen.
IFN = Interferon, NK = natürliche Killerzellen
317
Bei systemischer Infektion kommt es stufenweise zur Invasion unterschiedlicher Körpergewebe In Abb. 15.3 sind die Stufen dieser Invasion für Infektionen wie Masern (Abb. 15.4) oder Typhus (Abb. 15.5) dargestellt. Auch wenn es für die Ausbreitung und Übertragung einer Infektion (Masern) wichtig sein kann, wo sich die Erreger schließlich vervielfältigen, ist dieser Aspekt völlig nebensächlich, wenn nach der Vermehrung in Hirnhäuten oder Rückenmark keine Aussaat der Erreger nach außen erfolgt (z.B. bei Meningokokkenmeningitis oder paralytischer Poliomyelitis). Für Mikroorganismen bedeutet die systemische Ausbreitung einen Weg voller Hindernisse, auf dem sich eine Auseinandersetzung mit Immun- und anderen Abwehrmechanismen kaum vermeiden lässt. Deshalb mussten sie Strategien entwickeln, um die Abwehr des Wirts zu unterlaufen oder zu umgehen (s. Kap. 16).
Abb. 15.2 Bestimmend für das Infektionsmuster kann auch die Lokalisation sein, wo Viren aus Epithelzellen freigesetzt werden.
318
Wesentlich für oberflächliche Infektionen ist eine schnelle Replikation der Erreger Von zentraler Bedeutung für Infektionen ist die Replikationsrate der Erreger, bei einer Verdopplungszeit, die zwischen 20 Minuten und mehreren Tagen variieren kann (Tab. 15.1). Wegen des flüchtigen Charakters oberflächlicher Infektionen müssen sich diese Erreger rasch vermehren, während andere, die sich nur alle paar Tage teilen (z.B. Mycobacterium tuberculosis), höchstwahrscheinlich zu Krankheiten mit längerer Inkubationszeit und lang-samerem Verlauf führen. In vitro vermehren sich Mikroorganismen fast immer schneller als in vivo – wie bei intakter Wirtsabwehr zu erwarten. Wenn die Abwehr des Wirts richtig funktioniert, werden Mikroorganismen von Phagozyten aufgenommen und zerstört oder sie finden nur ein sehr begrenztes Nährstoffangebot vor. Deshalb steigt ihre Zahl (netto) viel langsamer als in Kulturen im Labor, wo sie sich nicht nur unbehelligt von Abwehrattacken entwickeln können, sondern wo auch alle Anstrengungen unternommen werden, sie optimal mit Nährstoffen, empfänglichen Zellen usw. zu versorgen.
15.2 Ausbreitung im Körper (systemische Aussaat/Streuung) 15.2.1
Übertritt in Lymphe oder Blut
In den Körper eingedrungene Mikroorganismen treffen auf vielfältige Abwehrkräfte Nach Durchqueren des Oberflächenepithels und der Basalmembranen sehen sich Mikroorganismen folgenden Abwehrmechanismen gegenüber:
319
Abb. 15.3
Ausbreitung einer Infektion im Körper.
Neben Blutgefäßen, Leber und Milz kommen als mögliche Quellen einer sekundären Parasitämie auch Knochenmark und Muskeln in Frage.
320
1
Die Erreger von Denguefieber, Malaria und Typhus vermehren sich in Blutzellen oder im Gefäßendothel. 2
Das Poliovirus geht aus dem Blut ins Gehirn über (ohne sich von dort weiterzuverbreiten), während das Tollwutvirus nach Invasion des Gehirns entlang von peripheren Nerven weiterwandert.
■ Körperflüssigkeiten mit antimikrobiellen Wirkstoffen (Antikörper, Komplement), ■ ortsständigen Makrophagen (Histiozyten) in Subkutis und Submukosa, die ihr Überleben bedrohen, ■ (physikalischen) Schranken durch lokale Gewebe, die aus unterschiedlichen Zellen in einer gelartigen Grundsubstanz bestehen. Viren können zwar stufenweise in Zellen eindringen, doch für Bakterien wird es schwierig, wenn sie keine speziellen Ausbreitungs-(Spreading-) Faktoren besitzen (z.B. Hyaluronidase der Streptokokken). ■ Lymphsystem. In den stark vernetzten Lymphbahnen werden Mikroorganismen ziemlich bald zu regionalen Lymphknoten befördert, wo sie eine phagozytäre und immunologische Abwehrlinie erwartet (Abb. 15.6). Strategisch günstig in Marginal- und anderen Lymphsinus platzierte Makrophagen stellen ein effektives Filtersystem dar.
321
Abb. 15.4
Pathogenese der Masern.
Über Blutgefäße dringt das Masernvirus zunächst ins Oberflächenepithel des Respirationstrakts (besteht nur aus ein bis zwei Zellreihen) ein, dann in Schleimhaut- (Koplik-Flecken) und schließlich in Hautzellen (Ausschlag).
322
Abb. 15.5
Pathogenese der Typhusinfektion.
Tab. 15.1 Replikationsraten verschiedener Mikroorganismen *
Replikation und Ausbreitung (von Zelle zu Zelle) bei einigen Viren jedoch stark verzögert ** in vitro nicht kultivierbar In jeder Phase kann die Entwicklung einer Infektion angehalten werden. Doch sobald sich Erreger lokal oder in Lymphknoten vervielfältigt haben und der Phagozytose
323
entgangen sind, erreichen sie schließlich den Blutstrom. Ein roter Streifen (entzündetes Lymphgefäß) und druckempfindliche, geschwollene lokale Lymphknoten sind z.B. nach kleinen Hautverletzungen die klassischen Zeichen einer StreptokokkenInvasion. Die meisten Bakterien verursachen solche Entzündungen, wenn sie auf diesem Weg in den Körper eindringen. In Frühstadien führt das zu einem verstärkten Lymphfluss, doch wenn sich die Entzündung ausbreitet und das Lymphknotengewebe selbst geschädigt ist, kann der Lymphfluss schwächer werden bzw. versiegen.
Abb. 15.6 Invasion und Verbreitung auf dem Lymph- und Blutweg.
Auf der Unterseite des Oberflächenepithels haben Mikroorganismen (oder andere Fremdpartikel) leichten Zugang zu lokalen Lymphgefäßen. Viren oder andere intrazelluläre Organismen dringen dagegen oft unbemerkt (stumm) in Blut und Lymphe ein und verursachen einen asymptomatischen Verlauf in der Inkubationszeit; das wird noch begünstigt, wenn sie Monozyten und Lymphozyten ohne vorhergehende Schädigung infizieren.
15.2.2
Verbreitung auf dem Blutweg (hämatogen)
Das Schicksal von Mikroorganismen im Blut hängt davon ab, ob sie frei oder im Verbund mit anderen Zellen zirkulieren Viren oder geringe Bakterienmengen im Blut müssen keine Allgemeinstörung hervorrufen. Eine zeitweilige Bakteriämie ist bei Gesunden gar nicht so selten, etwa nach Stuhlgang oder Zahnpflege. Doch gewöhnlich werden Bakterien in den Leberund Milzsinus von Makrophagen herausgefiltert und zerstört. Unter bestimmten Voraussetzungen eröffnet sich jedoch für dieselben Bakterien eine Möglichkeit, weniger geschützte Stellen zu besiedeln. Das ist z.B. bei einer infektiösen (Viridans)Streptokokken-Endokarditis auf dem Boden eines angeborenen Herzklappenfehlers oder bei einer Staphylococcus aureus-Osteomyelitis der Knochenenden (Wachstumsfugen) der Fall. Frei im Blut bewegliche Mikroorganismen sind den Abwehrkräften (Antikörper, Phagozyten) ausgesetzt. Wenn sie sich aber mit zirkulierenden Zellen verbinden, 324
finden sie nicht nur Schutz vor der Wirtsabwehr, sondern werden auch im ganzen Körper verbreitet. Viren wie das Epstein-Barr- (EBV) und das Rötelnvirus sowie intrazelluläre Bakterien (Listerien, Brucellen), die z.B. Lymphozyten oder Monozyten befallen, lassen sich, wenn sie nicht beschädigt oder zerstört werden, von ihren Trägerzellen schützen und transportieren. Bei Malaria sind Erythrozyten betroffen, und manche Viren können Thrombozyten infizieren. Mit ihrem Eintritt ins Blut sind Mikroorganismen den Makrophagen des retikuloendothelialen Systems ausgesetzt (s. Kap. 9). Oft werden sie in den Sinus phagozytiert und zerstört, weil das Blut dort langsamer fließt. Doch bestimmte Erreger (wie Salmonella typhi, Leishmania donovani, Gelbfiebervirus) überleben und vermehren sich in diesen Zellen. Danach können sie ■ auf benachbarte Zellen in Leber (Hepatozyten, z.B. Hepatitisviren) oder Milz (Lymphgewebe, z.B. Masernvirus) übergreifen oder ■
ins Blut zurückzukehren (S. typhi, Hepatitisviren).
Im Blut zirkulierende Mikroorganismen befallen typische Zielorgane/-gewebe Falls die Phagozytose der Erreger durch retikuloendotheliale Makrophagen nicht innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen ist oder eine größere Erregermenge im Blut kreist, können auch andere Stellen im Gefäßsystem besiedelt werden. Weshalb Mikroorganismen aus dem Blut in bestimmte Zielorgane/-gewebe eindringen (Tab. 15.2), ist noch nicht ganz geklärt, könnte aber zusammenhängen mit
325
Tab. 15.2 Im Blut zirkulierende Mikroorganismen, die über kleine Blutgefäße in bestimmte Organe eindringen. *
■
in der Leber Sinusoide, sonst Kapillargefäße bzw. Venulen spezifischen Rezeptoren im Gefäßendothel der Zielorgane,
■ einer Zufallsverteilung der Erreger auf Organe überall im Körper, die sich aber nicht alle zur Besiedlung und Replikation eignen, ■ einer Anhäufung zirkulierender Mikroorganismen im Bereich lokaler Entzündungen, weil das Blut dort langsamer fließt und entzündetes Gefäßendothel zur leichteren Anheftung geeignet ist. Nachdem sie sich niedergelassen haben und in ein Organ eingedrungen sind, vermehren sich die Erreger und breiten sich von der Außenfläche, sofern das jeweilige Organ eine besitzt, weiter in die Umgebung aus (Abb. 15.3). Manche Erreger kehren aber auch direkt oder über die Lymphe ins Blut zurück.
326
15.2.3
Ausbreitung über periphere Nerven
Bestimmte Viren breiten sich über periphere Nerven aus (von der Körperperipherie zum ZNS und umgekehrt) Tetanustoxin gelangt z.B. auf diesem Weg zum ZNS. Das Tollwut-, Herpes-simplex(HSV) und Varicella-Zoster-Virus (VZV) bewegen sich in Axonen voran (s. Kap. 13 und 24). Selbst wenn sie nur langsam vorankommen (bei einer axonalen Flussrate von 10 mm/h), spielt es doch für die Pathogenese dieser Infektionen eine wichtige Rolle. Den Weg über periphere Nerven nimmt das Tollwutvirus nicht nur, um das ZNS zu erreichen, sondern auch, um von dort aus in Speicheldrüsen einzudringen. Bei einem Virenbefall von Nerven stehen dem Körper – falls überhaupt – nur noch wenige Mittel zur Kontrolle der weiteren Aussaat zur Verfügung. Abb. 15.7 veranschaulicht die Zugangswege von Mikroorganismen zum ZNS. Das Übergreifen einer Infektion auf das ZNS ist auch über den Riechnerv (N. olfactorius), dessen Axone in der Riechschleimhaut enden, möglich. Diesen eher ungewöhnlichen Weg wählen z.B. bestimmte frei lebende Amöben (Naegleria spp. im Bodenschlamm von Frischwasserbecken), die eine Meningitis bei Schwimmern hervorrufen können (s. Kap. 24). Viren und Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum (Meningokokken, Polioviren) breiten sich im Allgemeinen auf dem Blutweg ins ZNS aus.
15.2.4
Ausbreitung im Liquor cerebrospinalis
Haben Erreger die Blut-Liquor-Schranke durchbrochen, breiten sie sich schnell in den Liquorräumen aus Anschließend können sie in Nervengewebe eindringen (Echoviren, Mumpsvirus) oder sich lokal vermehren (Neisseria meningitidis, Haemophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae) und eventuell ependymale und meningeale Zellen infizieren.
15.2.5
Andere Ausbreitungswege
Im Pleura- oder Peritonealraum kann eine Infektion rasch auf verschiedene Viszeralorgane übergreifen In der Schleimhaut der Pleura- wie der Peritonealhöhle sind Makrophagen vorhanden, als würden sie auf eine Invasion lauern. Mit dem Omentum und vielen Lymphozyten, Makrophagen sowie Mastzellen verfügt die Peritonealhöhle über ein starkes antimikrobielles Abwehrsystem. Eine Infektion kann von jedem verletzten oder erkrankten Abdominalorgan (Peritonitis) bzw. von Thoraxwunden oder Lungeninfektionen (Pleuritis) ausgehen.
327
Abb. 15.7 des ZNS.
Zugangswege zur mikrobiellen Invasion
CSF = Liquor cerebrospinalis
15.3
Genetische Einflüsse
Bei der Pathogenität von Mikroorganismen spielen unterschiedliche Faktoren zusammen Darauf wird in Kap. 12 und 16 näher eingegangen. Pathogenität und Virulenz werden manchmal insofern unterschieden, als Virulenz eine quantitative (Mengen-)Angabe der Pathogenität darstellt. So lässt sich z.B. angeben, bei welcher Erregermenge 50% der betroffenen Individuen sterben würden (sog. Dosis letalis 50, LD 50). Die Pathogenitätsfaktoren werden (fast) alle genetisch kontrolliert (seitens des Wirts oder Erregers). Schon seit langem war bekannt, dass die Infektionsanfälligkeit eines Wirts oder die Pathogenität von Mikroorganismen genetischen Einflüssen (durch Mutationen) unterliegen. In den vergangenen 15 Jahren konnten mit molekulargenetischen Methoden mehrere genetische Einflussfaktoren aufgedeckt werden, und seitdem gelingt es zunehmend häufiger, daran beteiligte spezifische Genprodukte zu identifizieren. Verbessert hat sich auch das Verständnis für die Wirkungsweise der Genprodukte, obwohl es schwieriger war, hier Fortschritte zu erzielen.
15.3.1
Genetische Faktoren des Wirts
328
Ob Mikroorganismen eine Infektion oder Erkrankung verursachen können, hängt auch von der genetischen Ausstattung des Wirts ab Humanpathogene lassen sich relativ grob danach unterscheiden, ob sie ausschließlich Menschen bzw. nahe verwandte Primaten infizieren (z.B. Masern, Trachom, Typhus, Hepatitis B, HPV) oder ein breites Wirtsspektrum haben (Tollwut, Milzbrand). Auch die Infektionsanfälligkeit innerhalb einer Wirtsspezies wird genetisch beeinflusst. Die besten Beispiele findet man bei Tieren, doch es gibt auch ein paar Erkrankungen beim Menschen (s. unten). Auf molekulargenetischer Ebene besteht z.B. ein Zusammenhang der genetischen Disposition für Sichelzellen und Malaria. Als Parasiten in roten Blutkörperchen metabolisieren Malaria-Merozoiten (s. Kap. 27) Hämoglobin, indem sie Häm freisetzen und aus dem Globin Aminosäuren bilden. Unter Einfluss des Sichelzellgens kommt es an einer Stelle der β-Polypeptid-Kette des Hämoglobinmoleküls zu einem Austausch der Aminosäure Valin gegen Glutaminsäure. Das neue Hämoglobinmolekül (HbS) wird bei Reduktion unlöslich und in der Erythrozytenhülle ausgefällt; deshalb verformt sich die Zelle sichelartig. Da Homozygote zwei dieser Gene besitzen und ihre fragilen roten Blutzellen schon unter normalen Bedingungen sichelförmig werden, tritt bei ihnen eine Sichelzellanämie in Erscheinung. Nur ein Sichelzellgen ist weniger schädlich und macht Heterozygote resistent gegen schwere Malariaformen (durch Plasmodium falciparum). Das führt zu einer Selektion in Malaria-Endemiegebieten. Wenn das Gen nicht einen gewissen Vorteil bieten würde, wäre es nach 10–20 Generationen aus den Bevölkerungen verschwunden. In indischen und westafrikanischen Malariagebieten haben (Endonuklease)Restriktionsenzym-Analysen ergeben, dass das Gen in diesen Populationen völlig unabhängig aufgetreten war. Nach wiederholten Milzinfarkten werden Homozygote allerdings durch den Funktionsausfall der Milz zunehmend anfälliger für andere Infektionen, besonders mit Streptococcus pneumoniae.
329
Infektionsanfälligkeit macht sich oft auf Ebene der Immunreaktionen bemerkbar Bei zu schwachen Immunreaktionen auf bestimmte Infektionen erhöht sich die Anfälligkeit für diese Krankheiten, während überschießende Immunreaktionen zu Immunkrankheiten führen können (s. Kap. 17). Von besonderer Bedeutung sind Gene auf dem Chromosom 6, die MHC-Klasse-II-Antigene (HLA-DP, -DQ, -DR) kodieren und spezifische Immunantworten kontrollieren (s. Kap. 10 und 11). Stark von MHCKlasse-II-Antigenen beeinflusst ist z.B. die Anfälligkeit für Lepra (s. Kap. 26): Das HLA-DR3-Antigen macht Menschen stärker anfällig für die Form der Lepra tuberculoides, das HLA-DQ1-Antigen für Lepra lepromatosa. Dass die Anfälligkeit für Tuberkulose genetisch bestimmt ist, belegten Studien an eineiigen Zwillingen (s. Kasten). Die heutige europäische Bevölkerung ist ziemlich resistent, nachdem große Lungentuberkulose-Epidemien im 17., 18. und 19. Jahrhundert zur Verringerung genetisch empfindlicherer Individuen führten. 1850 betrug die Mortalität in Boston, New York, London, Paris und Berlin noch über 500/100000 Einwohner, doch mit Verbesserung der Lebensbedingungen fielen die Raten auf 180/100000 im Jahre 1900 und sind seither noch weiter zurückgegangen.
Geschichte der Mikrobiologie Infektionsanfälligkeit – eine genetische Veranlagung Dass die Anfälligkeit für Infektionen von unbekannten, aber vermutlich (human)genetischen Faktoren des Wirts determiniert sein könnte, zeigt sich an mehreren klassischen Beispielen. Lübecker Katastrophe: Impfung mit virulenten Tuberkelbakterien 1926 wurde 249 Säuglingen in Lübeck versehentlich eine Impfung mit Lebend(virulenten Tuberkelbakterien) statt abgeschwächtem (attenuiertem) Impfstoff verabreicht. 76 von ihnen starben. Die Überlebenden hatten jedoch nur kleinere Läsionen entwickelt und waren 12 Jahre später gesund und munter. Da allen Säuglingen dieselbe Dosis injiziert worden war, scheinen die unterschiedlichen Impfergebnisse überwiegend genetisch bedingt zu sein. Zwischenfall beim Militär durch HBV-verseuchten Gelbfieberimpfstoff Bei einer Impfung gegen Gelbfieber im Jahr 1942 wurden über 45000 Angehörigen der US-Streitkräfte versehentlich mit HBV (Hepatitis-B-Virus) infiziert, weil das Humanserum durch den Stabilisator kontaminiert war. In 914 Fällen entwickelten sich klinische Zeichen einer Hepatitis: 580 zeigten eine milde Verlaufsform, 301 eine mäßig stark ausgeprägte und 33 eine schwere Form der Erkrankung. Trotz gleicher Impfstoffchargen schwankte die Inkubationszeit zwischen 10 und 20 Wochen. Da serologische Tests damals nicht verfügbar waren, blieb die Zahl subklinischer Infektionen unbekannt. In diesem Fall dürften physiologische und genetische Einflüsse bei der Anfälligkeit mitgespielt haben. Ähnliches Erkrankungsmuster eineiiger Zwillinge bei Lungentuberkulose
330
In einer Studie zeigte sich, dass eineiige Zwillinge in 87% der Fälle beide an Tuberkulose erkrankten, zweieiige Zwillinge jedoch nur in 26%. Darüber hinaus stimmte bei eineiigen Zwillingen auch das (klinische) Krankheitsbild überein. Stattdessen zeichnet sich vor allem in Afrika und auf den Pazifikinseln ein starker Anstieg der Tuberkuloseanfälligkeit in zuvor nicht exponierten Bevölkerungsgruppen ab. 1886 starben 9000/100000 Indianer im Qu-Appelle-Valley-Reservat in der kanadischen Provinz Saskatchewanan einer systemischen Tuberkulose, die sich im ganzen Körper ausbreitete und Drüsen, Knochen, Gelenke und Hirnhäute infizierte.
15.3.2
Genetische Faktoren der Erreger
Wahrscheinlich kodieren mehrere Gene die Virulenz von Mikroorganismen Die Virulenz eines Erregers hängt von zahlreichen Faktoren ab (Adhärenz, Zellpenetration, antiphagozytäre Aktivität, Toxinbildung, Interaktion mit dem Immunsystem). Demnach sind vermutlich auch mehrere Gene und Genprodukte an unterschiedlichen Pathogenese-Stadien beteiligt. Unter natürlichen Bedingungen machen Mikroorganismen (z.B. durch Mutationen) einen ständigen genetischen Wandel durch. Besonders hohe Mutationsraten zeigen Einzelstrang-(ss-)RNA-Viren. Mutationen der Oberflächenantigene unterliegen der raschen Selektion unter dem immunologischen Druck (Antikörper- oder zellvermittelte Immunität) in einem Wirt, wie im Fall der sich schnell entwickelnden M-Proteine von Streptokokken oder der Kapsidproteine von Picornaviren. Genetische Veränderungen bei Bakterien sind oft auf hinzugekommene oder verloren gegangene Elemente wie Introns, Pathogenitätsinseln, Transposons und Plasmide zurückzuführen (s. Kap. 2 und 33). Auch die Anzüchtung (Kultivierung) von Mikroorganismen im Labor verändert ihre Virulenz. Beim klassischen Verfahren zur Gewinnung von Lebendimpfstoff (s. Kap. 34) werden Erreger z.B. in wiederholten Durchgängen (Passagen) in vitro gezüchtet, was normalerweise reduzierte Pathogenität im Wirt zur Folge hat. Diesen neu gezüchteten Stamm bezeichnet man dann als abgeschwächt oder attenuiert (Tab. 15.3).
Tab. 15.3 Beispiele für die Abschwächung (Attenuierung) der Pathogenität durch wiederholte Erreger-Passagen in vitro
331
Tab. 15.4 Molekulare Grundlagen der Erregerpathogenität (Beispiele) *
Shigellen gelangen über M-Zellen der Peyer-Plaques in die Darmwand und dringen von basolateral in Kolonepithelzellen ein. Wie bei anderen bakteriellen Infektionen hängt es von der koordinierten Expression mehrerer Gene ab, wie invasiv sie sind.
In den letzten Jahren haben sich durch DNA-Klonierungs- und Genmanipulationstechniken unsere Kenntnisse über die genetischen Grundlagen der Erregerpathogenität rasch erweitert. So konnten z.B. durch Einfügen oder Ausschalten (Deletion) einzelner Abschnitte die Virulenzgene im Erbgut identifiziert werden (s. Beispiele in Tab. 15.4). Rasche Fortschritte in der Gentechnik haben auch wesentlich zum besseren Verständnis der Virulenzgene bzw. der Bedingungen, die ihre Expression beeinflussen, beigetragen. Nach Sequenzierung des kompletten Genoms vieler Viren lassen sich bestimmte Funktionen spezifischen Genorten zuordnen.
332
15.4
Sonstige Einflüsse
Einfluss auf die Infektionsanfälligkeit haben aber noch andere Faktoren (Tab. 15.5). In den meisten Fällen weiß man allerdings nicht, ob unterschiedliches Ausbreitungs- und Replikationsverhalten der Mikroorganismen oder unterschiedliche Immun- und Entzündungsreaktionen des Wirts mit hineinspielen (Immunschwäche und andere Mangelsyndrome s. Kap. 33).
Einfluss des Gehirns auf Immunreaktionen Wenn Stress mit Fehlernährung oder Hektik verbunden ist, lässt sich meist nur schwer abgrenzen, welchen Einfluss die einzelnen Faktoren auf die Infektionsanfälligkeit (z.B. im Fall von Tuberkulose) haben. Immunreaktionen können jedoch über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren(rinden)-Achse vom Gehirn beeinflusst werden. Schon seit langem ist bekannt, dass Glukokortikoide eine starke Wirkung auf Immunzellen haben und die Widerstandskraft gegen Infektionen oder Traumen steigern. Sowohl ein Mangel (Addison-Krankheit) als auch Überdosierung/Überschuss an Glukokortikoiden (Steroidtherapie) macht anfälliger für Infektionen (Tab. 15.5). Hinzu kommt, dass Gehirn (bzw. ZNS), endokrines und Immunsystem oft dieselben Botenstoffe benutzen (second messenger wie Zytokine, Peptidhormone, Neurotransmitter): Nervenzellen besitzen z.B. Interferon- und Interleukin-Rezeptoren (für IL-1, IL-2, IL-3, IL-6), T-Lymphozyten können Prolaktin und Wachstumshormone bilden. Nachdem sich diese immun-neuroendokrinen Nebenerscheinungen inzwischen auf molekularer Ebene bestätigt haben, bieten sie eine anerkannte Grundlage für den Einfluss des Gehirns auf Immunität und Infektionen.
333
Tab. 15.5 Einflussfaktoren auf die Infektionsanfälligkeit. CMI = zellvermittelte Immunität, EBV = Epstein-Barr-Virus, RSV = respiratory syncytial virus
Zusammenfassung ■ Oberflächlich verlaufende Infektionen (wie Erkältung, Shigellendysenterie) haben eine kürzere Inkubationszeit als systemische Infektionen (z.B. Masern, Typhus) und die (erworbenen) Immun-/Abwehrreaktionen des Wirts fallen weniger deutlich aus. ■ Erreger mit langsamer Wachstumsrate (z.B. M. tuberculosis) rufen meist auch langsam fortschreitende Krankheiten hervor. ■ Erreger breiten sich hauptsächlich auf dem Lymph- und Blutweg im Körper aus. Ihr Schicksal hängt davon ab, ob sie frei oder in Blutzellen im Blut zirkulieren. ■ Die Infektion konzentriert sich auf Leber und Milz, wenn retikuloendotheliale Zellen in diesen Organen die Erreger in sich aufnehmen. Spezifische Lokalisationen im Gefäßbett anderer Organe (z.B. Mumpsvirus in Speicheldrüsen, Meningokokken in den Hirnhäuten) werden dagegen noch nicht verstanden. ■ Dass sich Viren entlang von Nerven/Axonen in beiden Richtungen ausbreiten können, ist für die Pathogenese wiederkehrender Virusinfektionen (Herpes simplex, Zoster) und z.B. Tollwut wichtig. ■ Pathogenität und Virulenz sind stark von genetischen Faktoren des Wirts (z.B. Tuberkulose eineiiger Zwillinge) sowie wie des Erregers (z.B. Sichelzellmerkmal bei Malaria) beeinflusst. 334
FRAGEN 1 Auf welchen Wegen gelangen Mikroorganismen (a) in die Speicheldrüsen, (b) in die Leber? 2 Lohnt sich aus Sicht der Erreger eine ZNS-Invasion in jedem Fall? 3 Nennen Sie Beispiele für Mikroorganismen, die sich (a) frei im Plasma bewegen und (b) mit Blutzellen zirkulieren. Welche Auswirkungen hat das für sie? 4 Warum können Tuberkulose- und Leprabazillen kein flüchtiges Infektionsmuster hervorrufen? 5 Nennen Sie ein Beispiel für eine einzelne menschliche Genvariante, durch die sich die Infektionsanfälligkeit entscheidend verändert.
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Alonzo de Velasco, E., Verheul, A.F., Verhoef, J., Snippe, H.: Streptococcus pneumoniae: virulence factors, pathogenesis and vaccines. Microbiol Rev 59 (1995) 591–603. Griffin, J.W., Watson, D.F.: Axonal transport in neurologic disease. Ann Neurol 23 (1988) 3–13. Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed. Academic Press, London 2001. Savino, W., Dardenne, M.: Immune-neuroendocrine interactions. Immunol Today 16 (1995) 318–322. Townsend, G.C., Scheld, W.M.: In vitro models of the blood-brain barrier to study meningitis. Trends Microbiol 3 (1995) 441–445.
335
16 Überlebensstrategien von Parasiten und persistierende Infektionen 16.1
Vermeidungsstrategien 181
16.1.1 Gegen Phagozyten und natürliche (angeborene, nicht-adaptive) Abwehr gerichtet 181 16.1.2 16.2
Gegen die erworbene (adaptive) Abwehr gerichtet 182 Überlebensstrategien von Parasiten 182
16.2.1
Rasch flüchtiges Infektionsmuster als Vermeidungsstrategie 183
16.2.2
Toleranzentwicklung 186
16.3
Antigenvariation 187
16.4
Immunsuppression 188
16.5
Persistierende Infektionen 191
16.5.1
Reaktivierung 191
Zur Orientierung Die meisten Infektionserreger haben Reaktionen auf die Wirtsabwehr entwickelt Bisher haben wir uns auf die – angeborenen und erworbenen – Abwehrmöglichkeiten des Wirts konzentriert, mit denen er Parasiten fern halten oder sie vernichten kann. Doch so stark die Abwehr auch sein mag, ist sie offenbar nicht hundertprozentig wirksam, da sich Infektionen immer wieder klinisch manifestieren. Tatsächlich haben die hier beschriebenen Erreger verbreiteter Infektionen meist eine passende Reaktion auf die Wirtsabwehr gefunden, weil ihr Überleben als Parasiten des Menschen davon abhing. Gerade weil sie Strategien entwickelt haben, um der Wirtsabwehr zu entgehen oder sie aktiv zu behindern, gelingt es ihnen, Menschen zu infizieren und medizinische Probleme zu verursachen.
336
16.1
Vermeidungsstrategien
16.1.1 Gegen Phagozyten und natürliche (angeborene, nicht-adaptive) Abwehr gerichtet ■ Zerstörung von Phagozyten/eigene Zerstörung durch Phagozyten verhindern. Um sich erfolgreich zu behaupten, setzen Parasiten raffinierte antiphagozytäre Mittel ein (Abb. 16.1). Das Spektrum reicht von der Zerstörung oder Hemmung der Phagozytenfunktion über subtilere Ausweichmanöver wie Kontaktvermeidung bis hin zum Schutz intrazellulärer Erreger vor der Abtötung; sie überleben in Phagozyten und stellen den Wirt vor ernste Probleme. ■
Behinderung der Zilienaktivität (Flimmerbewegung; Tab. 13.3)
■ Verhinderung der alternativen Komplementaktivierung. Bestimmte Salmonellen-(smooth-)Stämme können z.B. durch lange Polysaccharid-Seitenketten die Insertion des Komplementfaktorkomplexes C567 in ihre Zellwand verhindern, während bei Staphylokokken die Kapsel im Unterschied zur Zellwand keine Komplementaktivierung bewirkt (Beispiele in Abb. 16.2). Eine andere Möglichkeit, die Komplementaktivierung zu stören und ihrer Lyse zu entgehen, haben Streptokokken und Campylobacter durch ihre Beschichtung mit nicht-komplementfixierenden Antikörpern (z.B. IgA). Auch für mehrere Protozoenund Helmintheninfektionen (z.B. Leishmanien oder Echinococcus granulosus) ist eine gegen Komplement gerichtete Aktivität kennzeichnend. ■ Eisenbindung. Fast alle Bakterien benötigen Eisen, doch eisenbindende Proteine des Wirts (wie Transferrin) schränken seine chemische Verfügbarkeit ein. Um sich gegen Eisenknappheit zu wappnen, bilden manche Bakterien (z.B. Neisserien) eigene Proteine mit starker Eisenbindungskapazität. ■ Blockade von Interferonen. Auf Erreger mit doppelsträngiger (ds-)RNA – einschließlich aller Viren – reagieren Wirtszellen mit der Bildung von α- und βInterferon. Das geschieht rasch (innerhalb von 24 Stunden nach der Infektion) und ist Bestandteil der angeborenen Immunität. Bestimmte Viren induzieren aber nur eine geringe Interferonmenge (Hepatitis-B-Virus [HBV]) oder produzieren Hemmstoffe, um die Interferonwirkung abzuschwächen (HBV, HIV, Adenoviren, Epstein-Barr- [EBV], Vaccinia-Virus). Mit γ-Interferon ist davon auch ein wichtiger Teil der erworbenen Immunabwehr betroffen.
337
Abb. 16.1 Um ihrer Phagozytose zu entgehen, greifen Erreger auf unterschiedliche Mittel zurück.
16.1.2 Gegen die erworbene (adaptive) Abwehr gerichtet Erworbenen Abwehrmechanismen auszuweichen erfordert komplexere Strategien In diesem Kapitel geht es darum, wie erfolgreich sich Mikroorganismen der erworbenen (adaptiven) Immunabwehr entziehen oder sie behindern können. Sie müssen schon komplexere Strategien aufbieten als gegen angeborene Abwehrkräfte, weil Lymphozyten so programmiert sind, dass ihre Rezeptoren jede Zelle als fremd erkennen, deren Form (B-Zellen) oder Aminosäuresequenz (T-Zellen) nicht mit der eigenen übereinstimmt; z.B.: ■ Kapselpolysaccharide verhindern zwar den (nichtimmunen) Kontakt zwischen Bakterienwand und Phagozyten, werden aber von Oberflächenrezeptoren der B-Zellen (Immunglobuline) schnell als fremd erkannt; nach Bildung entsprechender Antikörper kommt es zur Opsonisierung und Phagozytose der Bakterien. ■ Bakterien und Pilze können die intrazelluläre Zerstörung durch Makrophagen überstehen, aber nicht verhindern, dass sich ihre Peptide in Verbindung mit MHCMolekülen auf der Makrophagenoberfläche zeigen und von T-Zellen entdeckt
338
werden. Das ruft ein weiteres Bündel zytotoxischer und sonstiger Immunmechanismen auf den Plan. In beiden Fällen verhalten sich die Lymphozyten wie hoch spezialisierte, sehr wachsame Zellen des Immunsystems – im Unterschied zu den Makrophagen mit eher alltäglichen Aktivitäten (Routinearbeiten).
16.2
Überlebensstrategien von Parasiten
Vermutlich gibt es ähnlich viele Überlebensstrategien wie Parasiten. Trotzdem scheint es sinnvoll zu sein, sie nach der Art, wie sie bestimmte Immunkomponenten umgehen, einzuteilen (s. Kap. 12). Mit solchen Strategien verschaffen sich Mikroorganismen oft die Möglichkeit zur Vermehrung und Ausbreitung im Körper während einer ziemlich langen Inkubationszeit, bevor sie ausgeschieden und auf neue Wirte übertragen werden (z.B. Hepatitis B oder Tuberkulose). Wenn die Erregerausscheidung nach Abklingen der Symptome auch nur ein paar Tage weitergeht, breitet sich eine Infektion viel nachhaltiger in Gruppen aus.
339
Abb. 16.2 Eine Komplementschädigung von Erregern lässt sich auf drei Arten verhindern:
a) Scheitern der Komplementaktivierung, b) Schutz der Zellmembran vor Angriffen, c) Abwehr (Ausstoßung) des Membranangriffskomplexes C5–9.
Mikroorganismen können in ihrem Wirt persistieren Manche Mikroorganismen können sich jahre-, oft sogar lebenslang in ihrem Wirt aufhalten (= persistieren). Das lohnt sich für sie aber nur, wenn sie währenddessen auch ausgeschieden werden. Persistierende Erreger lassen sich entsprechend zwei Kategorien zuordnen: ■ Mehr oder weniger ständig ausgeschieden werden z.B. das Epstein-BarrVirus (EBV) im Speichel, das Hepatitis-B-Virus (HBV) im Blut, Wurmeier im Stuhl. 340
■ Nur zeitweilig (intermittierend) ausgeschieden werden Herpes-simplex-Virus (HSV), Polyomaviren, Typhus- und Tuberkelbakterien oder Malariaparasiten.
Viren können die Immunabwehr besonders gut parieren Das hat mehrere Gründe: ■ Viren dringen oft unbemerkt in Gewebe oder Zellen ein. Im Unterschied zu den meisten Bakterien bilden sie keine Toxine, und solange sie keine größere Zerstörung anrichten, treten auch keine Symptome auf; manchmal vergehen Wochen, bis Immun- und Entzündungsreaktionen einsetzen (z.B. bei HBV- oder EBVInfektionen). ■ Viren wie Röteln-, humanes Papillomavirus, HBV oder EBV können Zellen über längere Zeit infizieren, ohne sich nachteilig auf deren Lebensfähigkeit auszuwirken. Auch Viruslatenz ist eine Art von Persistenz. Sie beruht auf der engen molekularen Beziehung zwischen Virus und infizierter Zelle. Ohne Antigen oder infektiöses Material zu produzieren, hält sich das Virusgenom fortwährend in der Wirtszelle auf; das ändert sich nur sehr selten bei Reaktivierung des Virus (mit Ausbruch/Manifestierung der vorher latenten Infektion).
16.2.1 Rasch flüchtiges Infektionsmuster als Vermeidungsstrategie Eine Vermeidungsstrategie von Erregern besteht in einem rasch flüchtigen Infektionsmuster. Innerhalb weniger Tage dringen sie in den Körper ein, vermehren sich und werden gleich wieder ausgeschieden, bevor die erworbenen (adaptiven) Immunabwehrkräfte Zeit finden, aktiv einzugreifen. Zu dieser Kategorie gehören Infektionen (durch Rhino- oder Rotaviren), die sich oberflächlich ausbreiten. Um Lymphozyten zu täuschen (s. unten), setzen Parasiten hauptsächlich auf folgende Strategien: ■
Antigentarnung
■
Antigenvariation
■
Immunsuppression
341
Antigentarnung Antigene können sich nur vor den Komponenten des Immunsystems verbergen, indem sie sich verstecken, sich nur in bestimmten Organen oder Körperkompartimenten aufhalten oder sich tarnen. Geeignete Verstecke finden sie z.B. in Wirtszellen (obwohl dort MHC-Moleküle als Informanten dienen und Erregerpeptide zur Zelloberfläche transportieren, damit sie erkannt werden) oder an besonderen Stellen, zu denen normalerweise keine Lymphozyten kommen.
Ohne Antigenpräsentation an der Oberfläche schützt der Aufenthalt in der Zelle vor Entdeckung Erreger, die sich in Zellen aufhalten, ohne ihre Antigene an der Oberfläche zu zeigen, bleiben unerkannt, sie werden von der Immunabwehr nicht identifiziert. Selbst wenn schon spezifische Antikörper- und T-Zell-vermittelte Reaktionen in Gang gesetzt wurden, bleiben Erreger in infizierten Zellen davon unberührt. So verhalten sich z.B. Herpesviren (HSV), wenn sie als latente Infektion in sensorischen Neuronen persistieren. Bei ihrer Reaktivierung ist natürlich ein erneuter Kontakt mit Verstärkung der Abwehrkräfte unvermeidlich. Möglich sind auch andere Strategien. Manche Viren (wie HIV in Makrophagen, Coronaviren) stellen ihre Proteine heimlich aus: nicht an der Zelloberfläche, sondern an den Wänden intrazellulärer Vakuolen, in die sie hineinknospen (budding). Adenoviren gehen aktiv gegen die Präsentation ihrer Antigene vor: E19, eines ihrer Proteine, verbindet sich mit MHC-Klasse-I-Molekülen, damit sie nicht an die Zelloberfläche gelangen, und verhindert so, dass infizierte Zellen von zytotoxischen T-Zellen erkannt werden können.
An bestimmten abgeschiedenen Stellen sind Erreger außer Reichweite zirkulierender Lymphozyten Die unzähligen Keime auf der Haut und im Darm befinden sich praktisch außer Reichweite zirkulierender Lymphozyten, genauso wie Erreger, die mit Körpersekreten gleich wieder ausgeschieden werden. Sekretorische Antikörper, mit denen sie dabei in Kontakt kommen, können sich zwar an sie binden (z.B. Influenzavirus) und ihre Infektiosität abschwächen, doch im Allgemeinen sind diese Antikörper weder imstande, Mikroorganismen abzutöten noch ihre Replikation in oder auf Epitheloberflächen einzuschränken (Abb. 16.3 und 16.4). Lokale Entzündungsreaktionen können die Abwehrkräfte jedoch verstärken. Im Körper ist es schwieriger, Lymphozyten und Antikörpern auszuweichen, doch auch da gibt es Orte, die sicherer sind als andere – das zentrale Nervensystem (ZNS), Gelenke, Hoden und Plazenta gehören dazu. Hier zirkulieren weniger Lymphozyten und auch der Zugang für Antikörper und Komplement ist eingeschränkt. Sobald aber eine entzündliche Reaktion ausgelöst wird, werden rasch Lymphozyten, Monozyten und Antikörper dorthin transportiert, so dass die Stelle nicht mehr abgeschieden ist. Erreger können sich auch selbst solche abgeschiedenen Plätze schaffen. Ein gutes Beispiel sind Hydatidenzysten, die sich um anwachsende Kolonien des 342
Hundebandwurms (Echinococcus granulosus) in Leber, Lunge oder Gehirn bilden können (Abb. 16.5). In ihnen überleben die Würmer selbst dann, wenn der Antikörpertiter im Blut ihres Wirts ausreichend ist.
Abb. 16.3 Virusinfektion nach außen gewandter Zelloberflächen.
Ist z.B. das Oberflächenepithel sekretorischer oder exkretorischer Drüsen infiziert, werden die Viren direkt ausgeschieden und entgehen so der Immunabwehr. Der exklusivste Platz überhaupt dürfte die Wirts-DNA sein – diesen besetzen Retroviren. Unverzichtbarer Bestandteil im Replikationszyklus von Retroviren ist die Transkription ihrer RNA in DNA (durch reverse Transkriptase), die dann in die DNA der Wirtszellen integriert wird (s. Kap. 21). Solange keine Zellschädigung eintritt und keine Expression von Virusprodukten an der Zelloberfläche stattfindet, wo sie von der Immunabwehr erkannt würden, genießen Retroviren den Schutz
343
völliger Anonymität. Deshalb ist die vollständige Heilung bzw. Virusvernichtung bei HIV-Patienten besonders schwierig. Noch geschützter etabliert sich eine Infektion in Eizellen oder Spermien. Auf diese Weise enthalten alle embryonalen Zellen das Virusgenom, und es überträgt sich von einer auf die nächste Generation, als wäre es das eigene Erbgut. Glücklicherweise geschieht das nicht mit HIV oder humanen T-Zell-Leukämieviren (HTLV-1 und -2). Allerdings fallen endogene Retroviren darunter, deren DNA-Sequenzen häufig im menschlichen Genom vorkommen, aber nicht als Antigene exprimiert werden. Sie sind Teil unseres Erbmaterials geworden. Sicher stellt das den äußersten, letztlich auch logischen Entwicklungsschritt des Parasitismus im Grenzbereich zwischen Infektion und Vererbung dar.
344
Abb. 16.4 Replikation des humanen Papillomavirus in der Epidermis – einer abgeschiedenen Stelle?
Da die Zelldifferenzierung (z.B. Keratinisierung) seine Replikation kontrolliert, reift das Virus erst in größerer (räumlicher) Entfernung von den Immunkräften heran.
345
Abb. 16.5 Hydatidenzysten.
Operationspräparat mit zahlreichen dünnwandigen und mit flüssigkeitsgefüllten Zysten; meist in der Lunge anzutreffen (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
Mimikry verhindert nicht die antimikrobiellen Reaktionen des Wirtes Wenn es Erregern irgendwie gelänge, eine Immunantwort zu vermeiden, könnte man es als geschickte Tarnung ihrer Antigene auffassen. Eine Methode ist das täuschend echte Nachahmen (Mimikry) wirtseigener Antigene, die so nicht als fremd erkannt werden (Abb. 16.6). Für diese Ähnlichkeit von Parasiten- mit Wirtsmolekülen gibt es viele bekannte Beispiele (Tab. 16.1). Im Fall viraler Proteine beruht das Mimikry auf homologen (etwa 8–10 aufeinander folgenden) Aminosäuresequenzen; die Gemeinsamkeit lässt sich durch einen Computervergleich zwischen Virus- und Wirtsproteinen feststellen. Das berühmteste Beispiel ist vermutlich die Kreuzreaktion zwischen βhämolysierenden Streptokokken der Gruppe A und menschlichem Herzmuskelgewebe (Myokard), hauptsächlich Meromyosin. Weil sich nach wiederholten Streptokokkeninfektionen Antikörper gegen Meromyosin bilden, entwickelt sich eine rheumatische Herzerkrankung (Abb. 16.6). Dass der Wirt solche Autoantikörper bildet, zeigt, dass die Bakterien in diesem Fall nicht durch Mimikry geschützt werden. Daraus lässt sich folgern, dass Mimikry vermutlich eher Zufall als eine gezielte Erregerstrategie ist. Jedenfalls verhindert es weder antimikrobielle noch Autoimmunreaktionen des Wirts.
Erreger können sich durch die Platzierung von Wirtsmolekülen auf ihrer Oberfläche verstecken
346
Beispiele sind in Tab. 16.1 aufgeführt. Ein besonders gutes Beispiel sind die komplett mit einer Außenschicht aus Blutgruppen-Glykolipiden (der Blutgruppe ihres Wirts), MHC-Antigenen und Immunglobulinen aus dem Plasma umhüllten Saugwürmer, die Schistosomen. Dieser Überzug macht sie quasi unsichtbar, auch für Lymphozyten. Aus unbekannten Gründen beschränkt sich diese Strategie aber im Wesentlichen auf Würmer.
Abb. 16.6 Molekulares Mimikry unterdrückt wahrscheinlich nicht die Immunantwort auf Erreger, sondern macht Wirtszellen und -gewebe anfällig für Immunschäden.
Antikörper gegen Meromyosin (kreuzreagierender Determinant bei Streptokokkeninfektion) verursachen z.B. die rheumatische Herzerkrankung.
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Tab. 16.1 Beispiele für Mimikry oder die Aufnahme von Wirtsantigenen durch Parasiten. *
bei manchen Spezies auch Kreuzreaktion mit Erythrozyten; Grundlage für den Nachweis heterophiler Antikörper (Paul-Bunnell-Reaktion) ** möglicherweise Grundlage der Spondylitis ankylosans *** Grundlage des Syphilis-Antikörpertests (Wassermann-Reaktion) **** Grundlage des Kälte(hämagglutinin)-Antikörpertests HLA = human leukocyte antigen, Ig = Immunglobulin Noch verbreiteter scheint die Aufnahme von Immunglobulinmolekülen durch Mikroorganismen zu sein. Eine Reihe von Viren und Bakterien bilden an der Oberfläche Fc-Rezeptoren aus, mit denen sie alle Immunglobulinarten an sich binden können, allerdings in umgekehrter Position und damit immunologisch wirkungslos (s. unten und Abb. 16.7). Das schützt Erreger bzw. infizierte Zellen vor dem Zugriff spezifischer Antikörper oder T-Zellen.
16.2.2
Toleranzentwicklung
Toleranzentwicklung verhindert die Induktion von Immunreaktionen des Wirts Als Alternative können Mikroorganismen versuchen, keine oder nur schwache Immunantworten hervorzurufen. Dazu bieten sich ihnen vier Möglichkeiten an: ■
Infektionen während der frühen Embryonalzeit
■
Bildung größerer Mengen von Antigenen oder Antigen-Antikörper-Komplexen
■
Aufspüren von „Lücken“ in der Immunausstattung des Wirts 348
■ Störung antikörper- und zellvermittelter (bzw. TH1- und TH2)Immunreaktionen
Frühembryonale Infektion Bis sich das Immunsystem entwickelt hat, werden alle vorhandenen Antigene als körpereigen betrachtet. Daher könnten Infektionen in dieser Zeit zur Immuntoleranz führen. Im Fall einer intrauterinen Infektion mit Zytomegalie (CMV), Röteln oder Syphilis lassen sich unter Umständen fetale IgM-Antikörper im Nabelschnurblut nachweisen. Doch die zellvermittelten Immunreaktionen sind stärker beeinträchtigt. Da sich bei Kindern mit kongenitaler CMV- oder Rötelninfektion keine lymphoproliferativen Reaktionen auf CMV- oder Rötelnvirus-Antigene entwickeln, dauert es Jahre, bis das Virus vollständig aus dem Körper entfernt ist (s. Kap. 23).
Abb. 16.7 Erreger wie Staphylokokken, Streptokokken,Herpes-simplex- (HSV), VaricellaZoster- (VZV)undZytomegalievirus (CMV)ziehen gewissen Nutzen aus Fc-Rezeptoren.
In einigen Fällen bewirken Infektionen im Neugeborenenalter wahrscheinlich eher Immuntoleranz als Infektionen zu einem späteren Zeitpunkt. Deshalb führen neonatale Hepatitis-B-Virusinfektionen oft zu einem dauerhaften HBV-Trägerstatus; allerdings ist der genaue Mechanismus noch unbekannt.
Produktion größerer Mengen (mikrobieller) Antigene bzw. Antigen-Antikörper-Komplexe 349
Wenn mikrobielle Antigene oder Antigen-Antikörper-Komplexe in größeren Mengen im Körper kreisen, erzeugt das möglicherweise Immuntoleranz gegen die betreffenden Antigene. Bei disseminierten Formen der Kokzidioidomykose und Kryptokokkose sowie bei viszeraler und diffuser Hautleishmaniose, die alle mit großen Antigenmengen im Blut einhergehen, kann es zur Anergie kommen, d.h. herabgesetzter Ansprechbarkeit der zellvermittelten Immunreaktion auf eingedrungene Erreger bei normaler Antikörperaktivität.
„Lücken“ in der Immunausstattung des Wirts Dass das Immunsystem des Wirts auf bestimmte Peptide nur schwach reagiert, hängt wahrscheinlich mit den MHC-Klasse-II-Molekülen zusammen. Sie stellen genetisch determinierte „Lücken“ im Immunsystem des Wirts dar, und daher kommt es nicht ganz unerwartet, wenn sich Mikroorganismen im Laufe ihrer Entwicklung perfekt mit diesen Peptiden ergänzen. Mit anderen Worten: Um seine Schwachstellen herauszufinden, wird das Immunsystem des Wirts ständig von Erregern getestet. Ob sich das so abspielt, lässt sich zwar nicht beweisen, doch es ist durchaus denkbar, dass z.B. die höhere Anfälligkeit der Afrikaner für Tuberkulose genetisch bedingt sein könnte: durch eine schwache zellvermittelte Immunreaktion auf Schlüsselantigene von M. tuberculosis. Europäer erweisen sich als resistenter, weil über hunderte von Jahren die genetisch anfälligen Individuen weniger wurden. Im 19. Jahrhundert starben schätzungsweise 30% der Erwachsenen in Europa an Tuberkulose.
Störung der Antikörper- und TH1-/TH2-Reaktionen Resistenz gegen Infektionen hängt oft von der Ausgewogenheit der Antikörper- und T-Helferzell-(TH1- und TH2-)Reaktionen ab (s. Kap. 10). Zur Abwehr von Tuberkulose und Herpesviren wird die zellvermittelte, zur Abwehr von Polioviren oder Streptococcus pneumoniae eine Antikörperreaktion benötigt. Bei aktiver Tuberkulose ist zu beobachten, dass T-Zellen IL-4 bilden, während die Produktion nützlicher TH1-Zytokine zurückgeht. Zum Vorteil ihres eigenen Überlebens setzen Erreger also unwirksame Abwehrreaktionen in Gang. Manche Bakterien induzieren antigenspezifische, regulatorische T-Zellen, um schützenden Reaktionen der TH1-Zellen zu entgehen. Die von Bordetella pertussis induzierten regulatorischen T-Zellen weisen z.B. eine Spezifität für filamentöses Hämagglutinin und Pertactin auf und produzieren IL-10. Dadurch wird die TH1-Immunität gegen zwei wichtige bakterielle Bestandteile unterdrückt und die Bakterien können sich besser an Wirtszellen festsetzen.
16.3
Antigenvariation
Mikrobielle Antigene können noch auf andere Weise Verwirrung stiften – durch wiederholte Veränderung ihrer äußeren Erscheinung. So verhält es sich z.B. mit afrikanischen Trypanosomenstämmen (Erreger der Schlafkrankheit), aber auch mit einem breiteren Spektrum von Viren, Bakterien und Protozoen. Im Verlauf einer Infektion kann eine Antigenvariation sowohl
350
■ bei ein und demselben Individuum als auch ■ bei der Ausbreitung in Gruppen auftreten (Abb. 16.8). Ob sich die Antigenvariation als Ausweichstrategie in Bezug auf die Immunabwehr des Wirts eignet, hängt davon ab, ob sie Antigene betrifft, deren Erkennung solche Schutzreaktionen auslöst. Häufig verändern sich Antigene bei der Ausbreitung von Erregern in Wirtsgruppen. Eine besonders wichtige Rolle spielt die Antigenvariation offenbar bei langlebigen Wirten wie dem Menschen, da sich wiederholte Reinfektionen in der Lebenszeit eines Menschen günstig auf das Überleben der Erreger auswirken. Häufiger ist Antigenvariation auch bei Infektionen der Atemwege oder des Darmepithels mit Inkubationszeiten von weniger als einer Woche anzutreffen; so bleibt den Erregern genügend Zeit zur Infektion, Vermehrung und Ausscheidung, bevor eine signifikante sekundäre Immunantwort zustande kommt. Wegen der längeren Inkubationszeit bei systemischen Infektionen (z.B. Masern, Mumps, Typhus) können sich sekundäre Immunreaktionen eher formieren und die Infektionen einer bestimmten Antigenvariante unter ihre Kontrolle bringen. Demzufolge ist Antigenvariation kein entscheidendes Kennzeichen systemischer Infektionen. Auf molekularer Ebene findet die Antigenvariation hauptsächlich auf drei Arten statt, durch: ■ Mutation ■ Rekombination ■ Genswitch (-umschaltung)
351
Bekannt für Mutationen: das Influenzavirus Abb. 16.8 Erregerstrategie der Antigenvariation.
Antigene können sich entweder bei dem ursprünglich Infizierten verändern – und damit erneutes Erregerwachstum ermöglichen (z.B. Trypanosomen) – oder während der Infektionsausbreitung in einer Wirtspopulation – und damit zur Reinfektion eines früher Infizierten führen (z.B. Influenzavirus). Während sich das Influenzavirus in Gruppen ausbreitet, kommt es wiederholt zu Mutationen der Gene, die für Hämagglutinin und Neuraminidase kodieren (s. Kap. 19). Schon sehr kleine Antigenveränderungen reichen aus, das bei früheren Infektionen erworbene immunologische Gedächtnis der B- und T-Memory-Zellen abzuschwächen. Man spricht von Antigendrift. Ein ähnlicher Antigendrift zeigt sich bei (humanen) Rhino- und Enteroviren, die sich rasch entwickeln. Mit Antigendrift lässt sich vermutlich auch die Fülle antigener Subtypen der Staphylo-, Strepto- und Pneumokokken erklären. Bei Polio-Epidemien traten Mutationen in Raten von durchschnittlich zwei Basensubstitutionen pro Woche auf, und einige bezogen sogar die Hauptantigenstellen des Virus mit ein. Einen Antigendrift macht auch HIV (s. Kap. 21) durch, nur betrifft das jeweils den Infizierten. Das könnte erklären, weshalb es für das Immunsystem so schwierig ist, diese Infektion unter Kontrolle zu bekommen. Wenn sich Mutationen auf Epitope auswirken, die von zytotoxischen T-Zellen (Tc) erkannt werden, entstehen Escape-Mutanten.
Klassisches Beispiel für Rekombination: das InfluenzaA-Virus Durch den Austausch von Genmaterial zwischen zwei verschiedenen Erregern kommt es zu einer größeren und abrupteren Antigenveränderung. Klassisches Beispiel für diesen Antigenshift durch Rekombination humaner und avianer (Vogel-)Virusstämme ist das Influenza-A-Virus (s. Kap. 19). Der plötzlich aufgetauchte, völlig neue Stamm des Influenza-A-Virus präsentierte sich bedrohlich mit Hämagglutinin bzw. Neuraminidase avianen Ursprungs. In der Bevölkerung, die zuvor noch nie in Kontakt mit dem Virus gekommen war, kann eine Grippepandemie ausbrechen.
352
Gen-Switch bei afrikanischen Trypanosomen Die dramatischste Form der Antigenvariation ist das zuerst für afrikanische Trypanosomen (Trypanosoma gambiense und T. rhodesiense, s. Kap. 27) nachgewiesene Umschalten (switching) zwischen Genen. Diese Mikroorganismen tragen Gene für etwa tausend unterschiedliche Oberflächenmoleküle (sog. variantenspezifische Glykoproteine), die fast ihre gesamte Oberfläche einnehmen und immundominant sind. Zwischen diesen Genen können Trypanosomen einfach umschalten, ähnlich wie B-Zellen zwischen konstanten Genen der Schwerketten von Immunglobulinen. Infolgedessen treten beim Wirt in annähernd einwöchigen Intervallen eigenständige (nicht zueinander in Beziehung stehende) Infektionen auf; die Trypanosomen können auf diese Weise persistieren, während das Immunsystem ihnen ständig hinterherjagt. Möglicherweise ist die Antikörperreaktion selbst der wichtigste Auslöser für das GenSwitching, doch der Wirkmechanismus ist noch nicht genau geklärt. Das Genom der Trypanosomen besteht zu rund 10% aus Genen von Oberflächenmolekülen.
Durch Gen-Switch lassen sich Rückfälle einer persistierenden Infektion erklären Wiederholte Rückfälle im Verlauf einer persistierenden Infektion (z.B. Rückfallfieber durch Borrelia recurrentis oder Brucellose) erklärt man sich durch Gen-Switching. Es kann auch bei Gonorrhoe wichtig sein, weniger wegen der Antigenvariation, sondern weil in unterschiedlichen Infektionsstadien andere Bakterieneigenschaften erforderlich sind. Im Frühstadium hat es z.B. Vorrang, dass sich Neisseria gonorrhoeae ans Harnröhrenepithel heften (und nicht unbedingt an Phagozyten). Daher erfolgt eine Umschaltung auf Gene, die für Pilin und Proteine der Außenmembran kodieren, um die Adhäsion zu verbessern. Während sich Gonokokken in einer Wirtspopulation ausbreiten, zeigt sich eine große Antigenvariation, die durch Rearrangements und Rekombinationen im Pilin-Genbestand zustande kommt.
16.4
Immunsuppression
Viele Virusinfektionen verursachen eine vorübergehende Immunsuppression Viele verschiedene Erreger sind in der Lage, bei Infizierten eine Immunsuppression zu verursachen. Das mag als subversive Strategie sinnvoll sein, doch inwieweit sie den Erregern nützt, ist oft fraglich. Es kann sich um eine antigenspezifische Immunsuppression oder – häufiger – um eine eingeschränkte Immunantwort auf Antigene des Infektionserregers wie auf andere Antigene handeln. Eine HIV-Infektion ist wohl eines der bekanntesten Beispiele hierfür, allerdings ist das HIV keinesfalls der einzige Erreger, der das Immunsystem in der Weise schwächt, dass es durch Zerstörung von CD4-T-Zellen zu einem fatalen Funktionsausfall der T-Zellen kommt (Tab. 16.2). Wie sich das abspielt, ist noch nicht vollständig geklärt, doch häufig scheint eine Invasion des Immunsystems im Sinne einer „Flucht nach vorn“ der Erreger beteiligt zu sein. 353
Natürlich wäre es besser für die Erreger, wenn nur die Immunreaktionen auf ihre eigenen statt auf alle möglichen anderen Antigene unterdrückt würden. Das geschieht aber nur selten. Trotzdem haben sie genügend Zeit, sich zu vermehren, im Körper auszubreiten und in die Umgebung ausgeschieden zu werden, solange eine generelle Immunsuppression nur vorübergehend währt. Das ist genau das, was sich bei vielen Virusinfektionen abspielt. Eine anhaltende allgemeine Immunschwäche wäre insofern abträglich für Erreger, als die erhöhte Anfälligkeit für andere Infektionen ihre Wirtsspezies unnötig schädigen würde.
Verschiedene Erreger wirken unterschiedlich immunsuppressiv An einer Immunsuppression sind außer den Erregern meist auch (infizierte) Immunzellen beteiligt: ■
T-Zellen (HIV, Masernvirus)
■
B-Zellen (EBV)
■
Makrophagen (HIV, Leishmanien)
■
dendritische Zellen (HIV).
Infolgedessen kann ein Funktionsverlust der Zellen (ausbleibende Zellteilung, Unterdrückung der Interleukin-2-Freisetzung und anderer Zytokine) oder der Zelltod eintreten. Darüber hinaus setzen die Erreger oft immunsuppressive Substanzen frei. Von HIV wird z.B. ein Polypeptid (gp41) gebildet, das wie ein „immunologisches Anästhetikum“ wirkt und die Funktion der T-Zellen vorübergehend ausschalten kann. Andere Erregersubstanzen (z.B. von Pocken-, Herpesviren, T. cruzi) behindern die Komplementaktivierung oder schränken die Wirkung immunologisch wichtiger Zytokine ein (wie IL-2, Interferone oder Tumornekrosefaktor [TNF]).
354
Tab. 16.2 Immundepression (eingeschränkte Immunreaktion auf Infektionen). *
Das virale BCRF1-Gen kodiert auch ein IL-10-ähnliches Molekül, das eher die Antikörper als die protektive zellvermittelte Immunreaktion verstärkt. ** Bei einer Maserninfektion kann der Tuberkulin-Hauttest vorübergehend negativ ausfallen. Masern hemmen auch die für die (protektive) TH-1Immunreaktion nötige IL-12-Produktion der Makrophagen. AK = Antikörper, CMI = zellvermittelte Immunität, APC = antigenpräsentierende Zellen
355
Bestimmte Bakterientoxine wirken immunmodulierend In besonders dramatischer Form können sich Immunstörungen durch Staphylokokken zeigen. Viele Staphylokokkenstämme setzen Exotoxine frei (Enterotoxin, Epidermolyse- und Toxic-Shock-Syndrom-Toxin), die krank machen. Auf den ersten Blick schienen diese Toxine den Staphylokokken keinen Vorteil zu bringen, doch inzwischen gelten sie als stark wirksame Immunmodulatoren. Als die stärksten der bisher bekannten T-Zell-Mitogene sind sie bereits in minimalen (pikomolaren) Konzentrationen wirksam. In ihrer Funktion als „Superantigene“ verbinden sie sich mit MHC-Klasse-II-Molekülen auf antigenpräsentierenden Zellen und bewirken eine polyklonale Aktivierung von T-Zellen (Abb. 16.9). Bei einem relativ großen Anteil (2–20%) der T-Zellen kommt es daraufhin zur Teilung und Freisetzung von Zytokinen. Auf ein reguläres Antigen würden dagegen nur 0,001–0,01% der TZellen reagieren. Die Toxine werden von Plasmiden kodiert. Es drängt sich förmlich der Verdacht auf, dass sich Parasiten die Fähigkeit zur Toxinproduktion angeeignet haben, um Immunreaktionen zu durchkreuzen, d.h. zur Unterstützung im Kampf gegen die Wirtsabwehr. Wie zur Bestätigung dieser Vermutung fand man heraus, dass Streptokokken und Mykoplasmen ähnliche Stoffe produzieren. Staphylokokkentoxine könnten die Immunabwehr in folgender Weise behindern: ■ Das empfindliche System der Immunregulation gerät durch lokal vermehrte Zytokinfreisetzung (aktivierter Zellen) aus dem Gleichgewicht. ■
Zerstörung von T- und anderen Immunzellen
■ Durch polyklonale Aktivierung werden sämtliche Aktivitäten der T-Zellen immunologisch unproduktiv (Abb. 16.9). Bei vielen anderen Infektionen verläuft die polyklonale Aktivierung nicht ganz so dramatisch. Neben der polyklonalen Aktivierung von T-Zellen gibt es auch die von BZellen (z.B. bei EBV- oder HIV-Infektion). Man könnte sie als Ablenkungsmanöver der Erreger begreifen oder – wie im Fall von EBV – als Versuch, sich einen Vorrat an BZellen zuzulegen, in denen das Virus wachsen kann. Eine Folge ist die Bildung einer Palette irrelevanter, manchmal auch autoimmuner Antikörper (z.B. heterophile Antikörper bei EBV-Infektion).
356
Abb. 16.9 Immunstörung durch T- oder B-ZellMitogene (von Erregern gebildete polyklonale Aktivatoren).
Den Austausch von Immunsignalen, ihre Erkennung durch zytotoxische T-Zellen oder eine Apoptosereaktion können Erreger erfolgreich verhindern Viele Erreger stören die Wirtsabwehr durch einen Angriff auf wichtige Bestandteile der Abwehr (Zytokine, Chemokine, MHC-Moleküle, Apoptose- und Komplementrezeptoren). DNA-Viren können die Abwehr unterbinden, indem sie gefälschte Wirtsmoleküle oder Zellrezeptoren kodieren. Ein Rezeptormolekül für C3b ist das vom Herpes-simplex-Virus (HSV) produzierte Glykoprotein C (gC). Ist es vorhanden, wird die Komplementaktivierung verhindert. Daher sind Virus und infizierte Zellen vor der Zerstörung durch Antikörper und Komplement geschützt. EBV produziert ein Äquivalent zu IL-10, welches eher eine humorale statt die stärker protektive zellvermittelte Immunantwort, wie sie IL-12 induzieren kann, begünstigt. Auch dass virulente Stämme von Mycobacterium tuberculosis infizierte Makrophagen zur Bildung von IL-10 veranlassen, wirkt sich günstig für sie aus. Hinzu kommt, dass M. tuberculosis genau wie andere intrazelluläre Erreger (Leishmania major, Histoplasma capsulatum) die IL-12-Produktion infizierter Makrophagen hemmt, so dass die T-Zellen nicht wie sonst durch IL-12 zur IFNγ-Produktion aktiviert werden. Auf diese Weise entfernt sich die Immunantwort immer weiter vom schützenden Muster der TH1Reaktion.
357
Wegen der verringerten Expression von MHC-Klasse-I-Molekülen auf Zellen, die mit Adeno- oder Herpesviren infiziert sind, können sie von zytotoxischen T-Zellen nicht erkannt werden. Andere Viren (Rota-, Adenoviren) sorgen für eine eingeschränkte Produktion bzw. Wirkung der Interferone. Nicht jede Strategie, die einem Erreger nützt, muss auch für alle anderen gut sein. Wenn z.B. eine virusinfizierte Zelle sich der Apoptose unterzieht, kann das eine nützliche Verteidigungsstrategie sein, solange die Virusreplikation noch nicht vollendet ist. Bestimmte Viren (HSV, EBV, HIV) kodieren daher Proteine, die eine Apoptose der Zellen verhindern und eine lang anhaltende Infektion ermöglichen. Andere Viren (Masernvirus) oder Bakterien (Shigella flexneri, Salmonellen) induzieren dagegen nach dem Zusammentreffen mit Makrophagen eine Apoptose, um ihrer Zerstörung zu entkommen. Eine Apoptose zu induzieren kann also in einer Zelle sinnvoll sein, in einer anderen aber nicht. Während HIV z.B. die Apoptose infizierter Immunzellen verhindert, induziert es sie in benachbarten, nicht befallenen Zellen.
Manche Erreger stören die lokale Expression der Immunantwort in Geweben Manche Erreger verhindern weniger die Ausbildung einer Immunantwort als ihre Ausprägung im Gewebe. N. gonorrhoeae, Streptococcus pneumoniae und Haemophilusinfluenzae- Stämme setzen z.B. eine Protease frei, die (humane) IgA-Antikörper aufspaltet. Da es sich um Bakterien der Normalflora bzw. Invasoren von Schleimhäuten handelt, indenen IgA-Antikörper vorkommen, dürfte ihre Fähigkeit zur Protease/Enzymproduktion kein reiner Zufall sein. Offenbar zahlen sich auch lokale Störungen durch Fc-Rezeptor-Moleküle aus; zumindest werden sie von so vielen unterschiedlichen Erregern produziert, dass es signifikant erscheint. Wohl das bekannteste Beispiel ist Protein A, ein Zellwandprotein virulenter Staphylokokken, das die Phagozytose antikörperbeschichteter Bakterien verhindert (Abb. 16.7). Bestimmte Herpesviren (HSV, VZV, CMV) kodieren FcRezeptor-Moleküle für IgG und Streptokokken produzieren einen Fc-Rezeptor für IgA. Ein weiteres Beispiel ist die von Pseudomonaden gebildete Elastase. Durch sie werden die Komplementfaktoren C3b und C5a inaktiviert und daher die Abwehrfunktionen des Komplementsystems (Opsonisierung und andere) gehemmt. Ob es sich bei den beschriebenen Phänomenen tatsächlich um Anpassungsvorgänge handelt, mit denen Erreger die Wirtsabwehr durchkreuzen wollen, lässt sich nur schwer nachweisen.
358
16.5
Persistierende Infektionen
Persistierende Infektionen stehen für ein Scheitern der Wirtsabwehr Persistierende Infektionen kann man als fehlgeschlagene Wirtsabwehr ansehen (Tab. 16.3), denn eigentlich sollten die Abwehrkräfte das Wachstum und die Ausbreitung der Erreger eindämmen und sie aus dem Körper entfernen können. Erreger/Infektionen persistieren entweder ■ in Form einer aktiven Infektion(Hepatitis-B-Virus im Blut, Schistosomen in Gefäßen des Verdauungstrakts oder der Harnblase), ■ in schwach oder nur teilweise infektiöser Form (Adenoviren in Tonsillen und Adenoiden) oder ■ in nicht ansteckender, oft nicht einmal antigenbildender Form (klassisches Beispiel: latente Virusinfektion). Im Fall von HSV hält sich die virale DNA jahrelang, vermutlich sogar lebenslang in sensorischen Neuronen der Dorsalwurzelganglien. Die molekularen Grundlagen der Viruspersistenz sind noch nicht geklärt. Beteiligt sind spezielle Schritte, mit denen sich Viren an das Latenzstadium anpassen – im Fall von HSV und VZV findet nur eine sehr begrenzte Transkription viraler RNA in infizierten Neuronen statt („Latenz-assoziierte Transkription“). Das Virusgenom wird nicht in die Wirts-DNA integriert, ist nicht linear, sondern kreisförmig (zirkulär) und liegt in freier episomaler Form vor.
Latente Infektionen können ausbrechen Infektionen werden als latent bezeichnet, weil sie jederzeit ausbrechen können. Dadurch kommt ihnen medizinisch enorme Bedeutung zu (zu latenten Herpesvirusinfektionen s. Kap. 26). Persistierende Infektionen (mit unterschiedlichen Verlaufsmustern in Abb. 16.10 dargestellt) sind aus vier Gründen wichtig: ■
Sie können reaktiviert werden.
■ Manchmal gehen sie mit chronischen Krankheiten einher, wie im Fall der chronischen Virushepatitis (HBV), der subakut-sklerosierenden Panenzephalitis (nach Masern) und bei AIDS. ■ Gelegentlich sind sie mit Malignomen assoziiert (HBV-Infektion mit hepatozellulärem Karzinom, EBV-Infektion mit Burkitt-Lymphom oder Nasopharynxkarzinom). ■ Aus Erregersicht ermöglichen sie die Persistenz in einer Wirtsgruppe (s. Kasten).
16.5.1
Reaktivierung
359
Klinisch ist eine Reaktivierung besonders bei Immunsupprimierten von Bedeutung Zur Reaktivierung einer Infektion kann es bei Patienten mit Immunschwäche kommen. Das ist klinisch besonders wichtig für Patienten, die infolge einer chronischen Krankheit oder Infektion (AIDS), aufgrund von Tumoren (Leukämie, Lymphome) oder nach Transplantation – also medizinisch induziert – immunsupprimiert sind (Tab. 16.4). Eine Reaktivierung kann aber auch in Lebensphasen wie Schwangerschaft oder im höheren Alter auftreten, wenn die Abwehrlage von Natur aus eingeschränkt ist. Aus Sicht der Erreger ermöglicht ihnen ein Anpassungsvorgang wie die Reaktivierung aus der Latenz in solchen natürlichen Lebensphasen ein erneutes Wachstum, Vermehrung und ihre Weiterverbreitung. Die Reaktivierung einer Herpesvirusinfektion ist in Kap. 21 und 26 beschrieben. Wir wissen noch sehr wenig über die Mechanismen auf molekularer Ebene, die zur Reaktivierung führen – was angesichts unserer mangelnden Kenntnis über das Latenzstadium nicht verwundert. Oft meint man, die Erreger würden im Latenzstadium tief schlummern. Doch die Ergebnisse neuerer Versuche lassen einen aktiveren Zustand vermuten. Um sich manifestieren zu können, muss M. tuberculosis z.B. bestimmte Proteine bilden. Zur Reaktivierung latenter Erreger könnten sog. resuscitation promoting factors (die Wiederbelebung fördernde Faktoren) nötig sein.
Es ist sinnvoll, zwei Reaktivierungsstadien zu unterscheiden Besonders rätselhaft ist das erste Ereignis (Stadium A der Reaktivierung), das dazu führt, dass Viren ihre Aktivität in latent infizierten Zellen wieder aufnehmen (Abb. 16.12). Im Fall von HSV könnten Sinnesreize (Sonnenstrahlen auf der Haut), die das Neuron erreichen, Fieber (als Begleiterscheinung einer anderen Infektion) oder hormonelle Einflüsse stimulierend wirken. Das zweite Ereignis (Stadium B) bezieht sich auf die Verbreitung und Replikation eines reaktivierten Virus. Das HSV muss am sensorischen Axon entlang zu einer Stelle der Haut oder Schleimhaut wandern, das Unterhautgewebe und das Epithel infizieren und sich ausbreiten. Schließlich bildet sich ein prall mit Viren gefülltes Bläschen (über 1 Million infektiöser Einheiten pro Milliliter Flüssigkeit). Das dauert mindestens 3–4 Tage. Stadium B ist weniger mysteriös als Stadium A und unterliegt der Kontrolle des Immunsystems. Deshalb können Herpesbläschen mit einer schwachen lymphozytären Reaktion auf HSV-Antigene oder Herpes zoster bei älteren Menschen mit einer schwächeren zellvermittelten Immunreaktion (speziell auf VZV-Antigene) verbunden sein. Möglicherweise kommt Stadium A häufiger vor als Stadium B, weil der Prozess im Stadium B von der Immunabwehr aufgehalten werden kann, ehe sich eine Läsion (Herpesbläschen) bildet. Vermutlich verlaufen 10–20% der Episoden einer Herpesreaktivierung ohne sichtbare Läsionen – mit einem Brennen, Kitzeln oder
360
Jucken der Stelle ohne sichtbare Herpesbläschen. Auch bei Herpes zoster können sich Virusreaktivierung und -replikation in den sensorischen Neuronen auf Prodromi beschränken, während die Abwehrkräfte ein Auftreten von Hautläsionen verhindern.
Tab. 16.3 Persistierende Infektionen, die sich direkt (über Hautläsionen, Speichel oder Urin) oder indirekt auf dem Blutweg (Hepatitis B, Malaria) ausbreiten. (Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag). CMV = Zytomegalievirus, EBV = EpsteinBarr-Virus, HBV = Hepatitis-B-Virus, HSV = Herpes-simplex-Virus, HTLV = humanes T-Zell-Leukämie-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus
361
Abb. 16.10 Verlaufsmuster akuter und persistierender Infektionen.
Manchmal (z.B. bei CMV, Tuberkulose) sind Persistenz der infektiösen Form und echte Latenz nicht deutlich zu unterscheiden.HTLV-1 = humanes T-ZellLeukämievirus 1, PML = progressive multifokale Leukenzephalopathie, SSPE = subakut sklerosierende Panenzephalitis
362
Geschichte der Mikrobiologie Erregerpersistenz als Überlebensstrategie Reine Persistenz – ohne Weiterverbreitung – der Erreger wie bei subakutsklerosierender Panenzephalitis oder progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (s. Kap. 24) ist für ihr Überleben unerheblich, doch wenn sie kontinuierlich oder intermittierend ausgeschieden werden, hat das offensichtlich Vorteile. Das gilt besonders, wenn die Wirtsspezies aus kleinen isolierten Gruppen von Individuen besteht (Abb. 16.11). Normalerweise sind Masern keine persistierende Infektion. Das Virus kann nicht lange außerhalb des Körpers überleben, es infiziert nur Menschen und hat keine Ausweichmöglichkeit (z.B. Tierreservoire, auf die es sich zurückziehen könnte). Gäbe es nicht ständig neu zu infizierende Menschen, wäre das Masernvirus bald ausgestorben. Daher müssen jeweils einige Menschen zu jeder Zeit infiziert sein. Untersuchungen an Inselbevölkerungen haben ergeben, dass mindestens 500000 Menschen notwendig sind, um die Masern zu erhalten (ohne Neuinfektion von außen). In der Steinzeit (Paläolithikum), als die Menschen noch in kleinen isolierten Gruppen lebten, kann es Masern in der heutigen Form nicht gegeben haben. Persistierende und latente Infektionen sind dagegen hervorragend für den Fortbestand unter diesen Umständen geeignet. Das Varicella-Zoster-Virus (VZV) kann sich selbst in kleinen Gruppen von weniger als tausend Menschen halten: Zuerst erkranken Kinder an Windpocken, dann persistiert das Virus in latenter Form in sensorischen Neuronen und verursacht bei seiner Reaktivierung im Erwachsenenalter einen Herpes zoster. Zu der Zeit ist bereits eine neue Generation noch nicht infizierter Individuen herangewachsen, für die der Bläschenausschlag des Zosters eine Infektionsquelle darstellt. Wie serologische Untersuchungen ergaben, treten in den kleinen, völlig abgeschieden lebenden Indiogruppen im Amazonasgebiet überwiegend persistierende oder latente (z.B. durch Adeno-, Polyoma-, Papilloma-, Herpesviren) statt akuter Virusinfektionen (durch Influenza-, Masern-, Poliovirus) auf.
363
Abb. 16.11 Persistenz als Überlebenstrategie von Infektionserregern.
Das trifft auch für nichtvirale Infektionen zu. In kleineren Bevölkerungsgruppen verlaufen sie persistierend bzw. latent (Typhus, Lungentuberkulose), oder es gibt ein Tierreservoir, in dem sich die Erreger halten können.
364
Tab. 16.4 Reaktivierung persistierender Infektionen. *
**
von dort aus findet keine Weiterverbreitung statt früher: P. carinii PML = progressive multifokale Leukenzephalopathie
365
Abb. 16.12 Die zwei Stadien der Reaktivierung einer latenten Virusinfektion.
CMV = Zytomegalievirus Mit Reaktivierung einer EBV- oder CMV-Infektion erscheint das Virus im Speichel (EBV) oder Blut (CMV), bleibt aber im Allgemeinen asymptomatisch. Nur bei immungeschwächten Menschen kann der Prozess bis zu einem klinischen Krankheitsbild fortschreiten: Hepatitis oder Pneumonie im Fall von CMV, seltener Haarzell-Leukoplakie durch EBV (s. Kap. 30).
Zusammenfassung ■ Erfolgreiche Parasiten haben sich Strategien zur Vermeidung von Immunreaktionen des Wirts angeeignet. So können sie lange genug im Körper bleiben, um eine Infektion zu etablieren. Einige halten sich zeitlich unbegrenzt im Körper auf. ■ Zu ihren Vermeidungsstrategien gehören: – Antigentarnung bzw. Verstecken vor dem Wirt (im Innern der Wirtszellen, Infektion privilegierter/abgeschiedener Stellen); – Antigenvariation (Änderung bei einzelnen Infizierten, z.B. Trypanosomen, oder während der Ausbreitung in einer Wirtspopulation, z.B. Grippe/Influenzavirus); – unmittelbare Einwirkung auf Immunzellen (HIV auf CD4+-T-Zellen) oder Immunsignale (z.B. Bildung gefälschter Zytokinmoleküle); – lokal begrenzte Störung der Immunabwehr (Bildung von IgA-Proteasen, FcRezeptoren). ■ Bei persistierender Infektion können sich Erreger ständig weiter vermehren und andere infizieren (HIV, Hepatitis B). ■ Alternativ können sie bei persistierender Infektion in ein Latenzstadium eintreten und sich erst bei späterer Reaktivierung erneut vermehren und andere infizieren (Herpesviren).
FRAGEN
366
1 Könnte molekulares Mimikry lediglich ein biologischer Zufall sein? Falls ja, wäre dies eher bei kurzen (4–5) oder langen (7–8) Aminosäuresequenzen zu erwarten? 2 Warum sollte eine Antigenvariation besonders die (Außen-) Oberflächenmoleküle eines Parasiten einbeziehen? 3
Verstehen Sie unter Latenz von Herpesviren, dass man a)
durch Kontakt mit Windpocken eine Gürtelrose oder
b) ein paar Wochen nach Kontakt mit einem Herpespatienten selbst Herpesbläschen bekommt? 4 Unter welchen Umständen könnten Warzenviren in der Epidermis der Immunabwehr ausgesetzt sein?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Alcami, A., Koszinowski, U.H.: Viral mechanisms of immune evasion. Trends Microbiol 8 (2000) 410–418. Fitzpatrick, D.R., Bielefeldt-Ohmann, H.: Mechanisms of herpesvirus immunoevasion. Microb Pathogen 10 (1991) 253–259. Garcia-Blanco, M.A., Cullen, B.R.: Molecular basis of latency in pathogenic human viruses. Science 254 (1991) 815–820. Lower, R., Lower, J., Kurth, R.: The viruses in all of us: characteristics and biological significance of human retrovirus sequences. Proc Natl Acad Sci USA 93 (1996) 5177–5184. Maizels, R.M., Bundy, D.A.P., Selkirk, M.E. et al.: Immunologic modulation and evasion by helminth parasites in human populations. Nature 365 (1993) 797–805. Mocarski, E.S.: Immunomodulation by cytomegaloviruses: manipulative strategies beyond evasion. Trends Microbiol 10 (2002) 332–339.
367
17 Pathologische Folgen von Infektionen 17.1
Direkt von Erregern verursachte Symptome 197
17.1.1
Wirkung und Wirkungsweise von Toxinen 200
17.1.2
Diarrhoe 200
17.2
Pathologische (Über-)Aktivierung der natürlichen Immunabwehr 202
17.3
Pathologische Folgen von Immunreaktionen 204
17.3.1
Typ-I-Hypersensitivitätsreaktionen 204
17.3.2
Typ-II-Hypersensitivitätsreaktionen 204
17.3.3
Typ-III-Hypersensitivitätsreaktionen 205
17.3.4
Typ-IV-Hypersensitivität 207
17.4
Hautausschlag 208
17.5
Viren und Malignome 208
17.6
Bakterien und Malignome 211
Zur Orientierung Symptome können durch Erreger selbst oder Immunreaktionen des Wirts bedingt sein Symptome, die bald nach einer Infektion auftreten, sind meist unmittelbar auf den Erreger oder seine Sekrete zurückzuführen. So kann ein intrazelluläres Virus den Stoffwechsel der Zelle beeinträchtigen oder sie durch Lyse zerstören. Akute Symptome einer bakteriellen Infektion werden dagegen meist durch freigesetzte Toxine oder pathophysiologische Abläufe bei einer Entzündung ausgelöst. Entzündliche (inflammatorische) Reaktionen sind ein wichtiger Schutzfaktor des Wirts, weil die erhöhte Gefäßdurchlässigkeit entscheidend zur raschen Mobilisierung von Neutrophilen und Serumbestandteilen (Komplement und Antikörper) beiträgt. An sich sind Entzündungen gesunde Abwehrreaktionen, und daher ist interessant, dass virulente Bakterien (z.B. Staphylokokken) sie in gewissem Umfang hemmen können. Oft führt aber die Aktivierung von gewöhnlich protektiven Immunmechanismen auch zu krankhaften Veränderungen. Daran beteiligt sind meist angeborenes und erworbenes Immunsystem, gelegentlich auch nur eins von beiden (Abb. 17.1). Eine Gewebeschädigung infolge adaptiver Immunreaktionen bezeichnet man als „immunpathologisch“. Immunpathologische Veränderungen kommen besonders häufig vor, wenn infektiöse Erkrankungen chronisch geworden sind (persistieren). Die immunologischen Grundlagen einer Gewebeschädigung sind in Kap. 11 beschrieben. Bestimmte Viren können Zellen auf Dauer maligne verändern. Beispiele sind unter anderem HTLV-1 und -2, (Lymphome, Leukämien), das Epstein-Barr-Virus (Nasopharynxkarzinom und Burkitt-Lymphom), humane Papillomaviren 368
(Zervixkarzinom) und das Hepatitis-B-Virus (hepatozelluläres Karzinom). Möglicherweise sind weitere Kofaktoren beteiligt.
17.1
Direkt von Erregern verursachte Symptome
Unmittelbare Auswirkungen hat eine Zellruptur (Zytolyse), eine Okklusion (Organverschluss) oder mechanischer Druck Erreger, die sich intrazellulär vermehren, müssen die Zellen gewöhnlich zerstören (Zytolyse), um sich anschließend verbreiten zu können. So verhalten sich z.B. viele Viren, einige intrazelluläre Bakterien und Protozoen (Tab. 17.1). Man weiß aber, dass es andere Mechanismen gibt, wie z.B. Viren und Bakterien, die latent bleiben (z.B. Herpes-simplex- und Varizella-zoster-Virus in Nervenganglien, Mycobacterium tuberculosis in Makrophagen), oder das Ausknospen (budding) vieler Viren aus Zellen, ohne sie dabei zu zerstören. Einfluss hat vermutlich auch die Art der infizierten Zellen (T-Zellen werden durch HIV lysiert, während es in Makrophagen persistiert). Andere direkte Effekte sind: ■
Verstopfung größerer Hohlorgane durch Würmer,
■ Verschluss von Lungenalveolen durch dichtes Wachstum, z.B. von Pneumocystis, ■
mechanischer Druck großer (Hydatiden-)Zysten.
Schwere Gewebeschäden sind meist durch Exotoxine verursacht (vor allem bei bakteriellen Infektionen) Parasiten können Exotoxine ausscheiden (Tab. 17.2). In einigen Fällen dient ihnen das eindeutig als Mittel, um in Wirtszellen einzudringen, sich im Körper auszubreiten oder vor der Abwehr zu schützen; manchmal scheint es den Erregern selbst aber kaum oder nur wenig zu nützen. Die meisten Exotoxine sind Proteine und werden oft nicht von der bakteriellen DNA, sondern von Genen auf Plasmiden (z.B. Escherichia coli) oder Bakteriophagen (z.B. Botulismus, Diphtherie, Scharlach) kodiert. Manchmal bestehen sie aus zwei oder mehr Untereinheiten, von denen eine für die Zellbindung und das Eindringen sorgt, während die andere bestimmte Zellfunktionen einschalten oder hemmen kann.
Abb. 17.1 Allgemeines Schema pathologischer Infektionsfolgen.
369
Infektiöse Parasiten können unmittelbarer Auslöser der Krankheit sein (oben) oder sie indirekt durch eine Überaktivierung diverser Immunreaktionen verursachen (in Bildmitte angeborene, unten erworbene Immunmechanismen). IFN = Interferon, IL = Interleukin, Ma = Makrophage, PMN = polymorphkerniger Leukozyt, TNF = Tumornekrosefaktor Stark wirksame Toxine werden im Allgemeinen von extrazellulären Erregern ausgeschieden. Intrazelluläre Erreger können es sich nicht leisten, Zellen, in denen sie sich vermehren, zu früh oder zu schwer zu schädigen. Daher stehen Toxine intrazellulärer Erreger (wie Mykobakterien, Chlamydien oder Mykoplasmen) weniger im Vordergrund der Symptomatik. Lepra-lepromatosa-Patienten müssen z.B. jahrelang trotz immenser Bakterienlast kein Anzeichen von Toxizität aufweisen. Auch wenn viele Toxine für die Wirtszellen tödlich sein können, sind sie in niedriger Konzentration wichtig, um Immunzellen oder Phagozyten funktionell einzuschränken. Streptolysin-Konzentrationen knapp unter dem für Zellen tödlichen Grenzwert hemmen z.B. die Leukozyten-Chemotaxis, und Entero- oder Epidermolyse-Toxine der Staphylokokken wirken selbst in niedrigsten Konzentrationen (Nano- bis Pikogrammbereich) noch immunmodulierend.
370
Tab. 17.1 Infizierte Gewebe können von Erregern direkt geschädigt oder zerstört werden; das trifft besonders häufig auf zytopathische Viren zu.
371
Tab. 17.2 Wichtige Exotoxine und Krankheit. *
bei Truthähnen und Schweinen durch Erdnüsse im Futter, die mit A. fumigatus kontaminiert waren; bei Menschen bisher noch nicht nachgewiesen SSS = Scalded Skin Syndrome (Syndrom der verbrühten Haut), TSS = Toxic Shock Syndrome, TSST-1 = Toxic-Shock-Syndrom-Toxin
Gewinnung von Impfstoffen durch Inaktivierung von Toxinen (bei unveränderter Antigenität) Toxine lassen sich oft (z.B. mit Formaldehyd) inaktivieren, ohne ihre Antigenwirkung zu verändern. Das Ergebnis sind Toxoidimpfstoffe wie die klassischen Impfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus, die zu den erfolgreichsten überhaupt gehören (s. Kap. 34). Im Allgemeinen ist die Struktur der Toxine stärker konserviert als die Oberflächenantigene der Mikroorganismen, die sie sezernieren. Das bewirkt eine stärkere Kreuzimmunität und erklärt auch, weshalb man z.B. nur einmal im Leben
372
Scharlach (durch Streptokokken-Erythrotoxin) bekommt, während Streptokokkeninfektionen unbegrenzt häufig wiederkehren können. Ein interessanter Nebenaspekt der Toxine mit zwei Untereinheiten besteht darin, dass sich ihre Spezifität für bestimmte Zellarten ändern kann, wenn sich die Spezifität des für die Adhäsion zuständigen Teils umwandelt. Ein Beispiel ist Ricin: Die Untereinheit A dieses pflanzlichen Toxins kann durch Bindung an einen monoklonalen Antikörper zu einem Zellgift für spezifische Tumorzellen werden.
17.1.1
Wirkung und Wirkungsweise von Toxinen
Diese Aspekte lassen sich unter fünf Überschriften zusammenfassen (Abb. 17.2).
Bakterien bilden Enzyme, um zu überleben oder ihre Verbreitung zu fördern Eine Reihe von Bakterien setzen Enzyme frei, die das Wirtsgewebe oder Interzellularsubstanz schädigen, so dass sich die Infektion ungehindert ausbreiten kann. Solche Enzyme sind z.B. Hyaluronidase, Kollagenase, DNase und Streptokinase. Eine von Staphylokokken freigesetzte Koagulase bewirkt, dass sich eine schützende Fibrinschicht auf und um Zellen legt und sie lokalisiert.
Toxine, die Zellen schädigen oder zerstören, sind als Hämolysine bekannt Zellmembranen können geschädigt werden entweder enzymatisch (durch Lecithinasen oder Phospholipasen) oder indem porenbildende Moleküle die intakte Zellwand durchlässig machen. Der Sammelbegriff für diese Toxine lautet „Hämolysine“, obwohl sie nicht nur rote Blutkörperchen angreifen. Porenbildende Toxine werden z.B. von Staphylo- und Streptokokken produziert, während Pseudomonaden enzymatische Hämolysine freisetzen.
Nach dem Eindringen in Zellen können Toxine in den Zellstoffwechsel eingreifen Kennzeichnend für diese Toxine sind ihre zwei Untereinheiten. Aktiver Bestandteil ist die Untereinheit A, für die Bindung an Zellrezeptoren ist die Untereinheit B nötig. Kommt eine Rezeptorbindung zustande, wird der gesamte Toxin-Rezeptor-Komplex oder nur Untereinheit A endozytotisch in die Zelle aufgenommen und aktiv. Zwei gut untersuchte Beispiele für diese Art von Toxinen sind das Diphtherie- (s. Kap. 18) und das Choleratoxin.
Diphtherietoxin hemmt die Proteinsynthese Das von n-Genen der Bakteriophagen als einzelnes Polypeptid gebildete Diphtherietoxin dockt mit seiner Untereinheit B an Zielzellen an (Abb. 17.2). Nach teilweiser Aufspaltung des Polypeptids wird der gesamte Toxin-Rezeptor-Komplex in die Zelle aufgenommen. Dort spaltet sich die Untereinheit A ab und geht ins Zytosol 373
über, wo sie während der Translation von mRNA durch die Ribosomen verhindert, dass von der Transfer-RNA Aminosäuren an die Polypeptidkette übertragen werden. Durch die von der Untereinheit A katalysierte Bindung von AdenosindiphosphatRibose an das Elongationsprotein (ADP-Ribosylierung) wird die Proteinsynthese nachhaltig blockiert.
Choleratoxin führt zum massiven Wasserverlust aus Darmepithelzellen Choleratoxin ist ein Komplex aus fünf B-Untereinheiten, die sich um eine AUntereinheit gruppieren. A ist in zwei Fragmente (A1 und A2) aufgespalten, die durch Disulfidbrücken zusammengehalten werden. Nach Bindung der B-Untereinheiten an Gangliosidrezeptoren der Darmepithelzellen wird die Untereinheit A internalisiert (in die Zellen aufgenommen) und die A-Fragmente lösen sich voneinander (Abb. 17.2). Weil A1 ein Regulatormolekül, das an der Steuerung der cAMP-Produktion (zyklisches Adenosinmonophosphat) beteiligt ist, ADP-ribosyliert, kann die Produktion nicht mehr abgeschaltet werden. Infolge der erhöhten cAMPKonzentration in den Zellen ändert sich der Natrium-/Chlorid-Zustrom über die Zellmembran, und es kommt zu einem massiven Wasser- und Elektrolytverlust der Zellen. Das ist die Erklärung für die profusen Durchfälle bei Cholera. Ähnlich wirken die Exotoxine von Escherichia coli und Salmonellen, aber auch das Pertussistoxin.
Tetanus- und Botulinustoxin wirken sich am stärksten auf Nerven/die Reizleitung aus Ein Gramm Botulinustoxin würde reichen, um 10 Millionen Menschen zu töten! Tetanus- und Botulinustoxin weisen die charakteristische Struktur aus A- und BUntereinheiten auf. Ihre Untereinheit B bindet an die Gangliosidrezeptoren von Nervenzellen. Die Untereinheit A des Tetanustoxins wird nach Internalisierung (Aufnahme in die Zelle) durch axonalen Transport zum ZNS befördert, wo sie die Neurotransmitter-Freisetzung hemmt und so die synaptische Übertragung in inhibitorischen Neuronen stört. Das führt zu einer ständigen Stimulation motorischer Neurone durch exzitatorische Neurotransmitter – mit der Folge einer spastischen Paralyse. Botulinustoxin gelangt aus dem Dünndarm in den Körper. Nachdem es der Ausscheidung entgangen ist und die Darmwand durchquert hat, befällt es die Enden peripherer Nerven im Bereich der neuromuskulären Übergänge. Da es die präsynaptische Freisetzung von Acetylcholin blockiert, werden Muskelkontraktionen verhindert – mit der Folge einer schlaffen Paralyse.
17.1.2
Diarrhoe
Diarrhoe ist fast immer Folge einer Darminfektion Weltweit gehören Diarrhoen zu den Haupttodesursachen bei Kindern (s. Kap. 22). Man kann Durchfall als Mittel sehen, ■
mit dem der Wirt möglichst rasch infektiöse Erreger loszuwerden versucht,
374
■
mit dem sich Erreger auf andere Wirte ausbreiten.
Abb. 17.2
Wirkungsweise einiger Exotoxine.
Bakterientoxine wirken ganz unterschiedlich. Oft bestehen die Toxinmoleküle aus zwei Ketten (eine ermöglicht das Eindringen in Zellen, die andere hemmt vitale Zellfunktionen). ACh = Acetylcholin, cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat, C. = Corynebacterium, Cl. = Clostridium, Staph. = Staphylococcus, V. = Vibrio Diarrhoen sind zwar kennzeichnend für ein breites Infektionsspektrum, doch in den wenigsten Fällen versteht man den genauen Zusammenhang. Während sie häufig durch Toxine (Cholera, Shigellen) ausgelöst werden, sind möglicherweise auch Erregerinvasion und Schäden der Epithelzellen ausschlaggebend. In einigen Fällen liefern Enterozytenverluste oder Veränderungen im Elektronentransport eine plausible pathophysiologische Erklärung.
375
Viele Keime, die eine Diarrhoe verursachen, nimmt man mit der Nahrung auf. Der Begriff Lebensmittelvergiftung sollte jedoch nur den Fällen vorbehalten bleiben, in denen von Anfang an Toxine in der Nahrung waren und nicht erst im Darm gebildet wurden. Wie nicht anders zu erwarten, treten die Symptome einer Lebensmittelvergiftung früh – d.h. innerhalb weniger Stunden nach Exposition – statt erst Tage danach auf (Tab. 17.3).
Tab. 17.3 Infektiöse Ursachen von Diarrhoen (weltweit Hauptursache der Säuglingssterblichkeit)
17.2 Pathologische (Über-)Aktivierung der natürlichen Immunabwehr Überaktivierung kann Wirtsgewebe schädigen Die in Kap. 14 beschriebenen natürlichen Immunmechanismen verfügen trotz ihrer starken Wirkung über eine eingebaute Sicherung in Form ihrer Spezifität. Da sie sich im ständigen Beisein von Wirtsantigenen entwickeln, reagieren sie auf Eigen-Antigene nicht mehr. Allerdings sind sie mengenmäßig nicht besonders gut kontrolliert und so
376
kommt es immer wieder vor, dass sie überaktiv nicht nur eingedrungene Parasiten, sondern auch harmloses Wirtsgewebe schädigen. Als Ausdruck der natürlichen Immunität ist eine Entzündung in gewissem Ausmaß normal, doch sie kann auch stärker ausfallen und das Gewebe schädigen. Dabei spielen Komplement, polymorphkernige Leukozyten (PMN) und Tumornekrosefaktor (TNF) eine wichtige Rolle. Mikrobielle Endotoxine, die das Immunsystem aktivieren und zur Zytokinbildung führen, haben unüberschaubar vielfältige biologische Wirkungen (Abb. 17.3). Klinisch können sie für einen septischen Schock verantwortlich sein.
Endotoxine sind typischerweise Lipopolysaccharide Die Funktion und Wirkungsweise der Endotoxine (von Bakterien und anderen Mikroorganismen) unterscheidet sich grundlegend von derjenigen der Exotoxine. Anders als Exotoxine sind die Endotoxine integraler Bestandteil der Bakterienzellwand und werden normalerweise nur freigesetzt, wenn Zellen absterben. Endotoxine sind vor allem kennzeichnend für Gram-negative Bakterien. Ein typisches Lipopolysaccharid-Endotoxin besteht aus: ■ einem Lipidanteil (Lipid A), der in die Zellwand eingebaut wird und größtenteils für die toxische Wirkung verantwortlich ist, ■
einem stabilen Kern-(Core-)Polysaccharid,
■ einem hoch variablen O-Polysaccharid, das unterschiedliche Serotypen (ein Merkmal von Salmonellen oder Shigellen) determiniert. Lipopolysaccharide (LPS) stimulieren eine außerordentliche Bandbreite von Wirtsreaktionen – bzw. hat sich als Reaktion auf LPS ein breites Spektrum an Wirtsreaktionen entwickelt. Um es mit Lewis Thomas zu sagen: „When we sense lipopolysaccharide, we are likely to turn on every defence at our disposal“ [Wenn wir LPS bemerken, schalten wir wahrscheinlich alle verfügbaren Abwehrmechanismen ein] (Abb. 17.3). Offensichtlich muss der Körper eingedrungene Gram-negative Bakterien im frühestmöglichen Stadium registrieren können. Klinisch wichtige Auswirkungen von LPS sind: ■
Fieber
■
Kreislaufkollaps oder Schock
Wie schon in Kap. 14 erwähnt, kann Fieber dem Wirt und/oder Parasiten nützen. Fieber wird derzeit hauptsächlich auf zwei Zytokine – Interleukin 1 (IL-1) und Tumornekrosefaktor (TNF) – mit Einfluss auf den Hypothalamus zurückgeführt. Beide werden von Makrophagen als Reaktion auf LPS (und entsprechende Substanzen anderer Erreger, s. unten) gebildet.
Ein Endotoxinschock hängt meist mit der systemischen Ausbreitung von Erregern zusammen 377
Das bekannteste Beispiel eines Endotoxin- (oder septischen) Schocks ist die Septikämie durch Gram-negative Bakterien wie E. coli oder Neisseria meningitidis. Allerdings setzen auch andere Mikroorganismen Stoffe frei, die wenigstens teilweise wie LPS wirken, indem sie die TNFα- und/oder IL-1-Produktion stimulieren (Tab. 17.4), obwohl sie strukturell nur entfernt verwandt sind. Verantwortlich für das „Toxic-Shock-Syndrom“ junger Frauen nach einer genitalen Staphylokokkeninfektion ist das Toxic-Shock-Syndrom-Toxin (TSST-1), ein Superantigen, das einen großen Prozentsatz (bis zu einem Fünftel)der T-Zellen aktivieren kann (s. Kap. 16). Möglicherweise reichen für die toxische Wirkung allein schon die Zytokine aus, die von dieser enormen Anzahl aktivierter T-Zellen gebildet werden.
Abb. 17.3 Vielfältige Wirkung bakterieller Endotoxine.
Da Lipopolysaccharide (LPS) so gut wie alle Immunmechanismen und die Gerinnungskaskade aktivieren, zählen sie zu den stärksten bekannten Immunstimuli. DIC = disseminierte intravasale Gerinnung, IFN = Interferon, IL = Interleukin, Ma = Makrophage, PMN = polymorphkerniger Leukozyt, TNF = Tumornekrosefaktor Ein septischer Schock ist ein komplexes Phänomen, an dem auch andere bakterielle Substanzen (z.B. Peptidoglykane) beteiligt sein könnten. Bei Streptokokken sind z.B. pyrogene (erythrogene) Exotoxine verantwortlich. Die Mitwirkung von Zytokinen an der Pathogenese des Schocks ist keineswegs nur rein akademisch, sondern auch für die Behandlung von Belang. So könnte man mit Antagonisten (z.B. monoklonalen Antikörpern oder Inhibitoren) einer kleineren Anzahl von Zytokinen behandeln statt mit Antikörpern gegen die Toxine selbst, die große antigene Unterschiede aufweisen (ausführlicher dazu s. Kap. 33).
378
Von den Zytokinen scheint derzeit TNF am engsten mit einer Erkrankung verbunden zu sein Bei Patienten mit Meningokokkensepsis oder mit Malaria (durch Plasmodium falciparum) sind erhöhte TNFα-Serumkonzentrationen nachweislich mit der Schwere der Erkrankung korreliert. Tierversuche deuten aber darauf hin, dass TNFα in dem Fall seine volle Wirkung nur durch synergistische Effekte mit anderen Zytokinen (IL-1 oder γ-Interferon/IFNγ) entfalten kann. Unabhängig voneinander können sich die TNFα-Spiegel im Blut und Liquor bei Meningokokkeninfektionen verändern (bei Septikämie Anstieg im Blut, bei Meningitis im Liquor). Daher kann die Bildung und/oder Wirkung von TNFα anscheinend auf ein bestimmtes Körperkompartiment beschränkt bleiben.
An gewebeschädigenden Reaktionen ist zum Teil auch Komplement beteiligt Die Komplementaktivierung ist (lebens)wichtig für die Abwehr von Bakterien, Viren und Protozoen (s. Kap. 14). Allerdings kann Komplement – gemeinsam mit Antikörpern und polymorphkernigen Leukozyten (PMN) – auch an Immunreaktionen beteiligt sein, die Gewebe schädigen (z.B. Immunkomplexkrankheit). Über die Generierung der chemotaktischen Komplementfaktoren C3a und C5a spielt es auch bei akut entzündlichen Reaktionen eine wichtige Rolle (s. Kap. 9). Eine direkte Komplementaktivierung durch LPS könnte insofern zum Endotoxinschock beitragen, als bei toxischen (LPS-)Mengen der Spiegel von Komplementfaktoren wie C3 deutlich sinkt. An dieser Reaktion scheinen sowohl der klassische wie der alternative Weg der Komplementaktivierung (durch den Lipid- bzw. Polysaccharid-Anteil der LPS) beteiligt zu sein. Während vermehrt C3a und C5a gebildet werden, nimmt die Leukozytenzahl häufig stark ab (bedingt durch Zellaggregation, Adhäsion an Gefäßwänden und Aktivierung zur oxidativen und nichtoxidativen Freisetzung toxischer Moleküle). Wenn davon pulmonale Kapillargefäße betroffen sind, kann ein schweres Lungenödem – das Atemnotsyndrom des Erwachsenen („adult respiratory distress syndrome“, ARDS) – die Folge sein.
379
Tab. 17.4 Wichtige Endotoxine und funktionell ähnliche Stoffe. IL = Interleukin, TNF = Tumornekrosefaktor, TSST-1 = Toxic-Shock-SyndromToxin
Gerinnungsstörungen (DIC) als Merkmal bakterieller Septikämien sind selten, aber ernst zu nehmen Die disseminierte intravasale Koagulation (DIC) kann sowohl Zeichen einer bakteriellen (z.B. Meningokokken-) Septikämie sein als auch Virusinfektionen wie das Ebola-Fieber begleiten (s. Kap. 28). Umstritten ist aber, in welchem Maße Immunkomplexe, Plättchen und die direkte Aktivierung der Gerinnungskaskade (unter dem Einfluss der LPS auf den Hageman-Faktor) dazu beitragen. Während die hämorrhagischen Symptome bei Gelbfieber vermutlich auf einer Gerinnungsstörung (Koagulopathie) infolge der ausgedehnten Leberschädigung beruhen, könnte ihnen beim (hämorrhagischen) Dengue-Fieber eine Immunkomplexablagerung in Blutgefäßen zugrunde liegen. Doch bei all diesen hämorrhagischen Syndromen sollte auch die Rolle der Zytokine (z.B. TNF) berücksichtigt werden.
Mastzelldegranulation (als Reaktion auf LPS) ist meist Folge der IgE-Antikörperbildung Werden Mastzellen direkt aktiviert, wie es z.B. einige Insektengifte können, spricht man dagegen von „anaphylaktoider“ Reaktion.
380
17.3
Pathologische Folgen von Immunreaktionen
Überschießende Reaktionen des Immunsystems werden als „Überempfindlichkeit“ (Hypersensitivität) bezeichnet Wie die erhöhte Infektanfälligkeit immungeschwächter Patienten zeigt (s. Kap. 30), sind adaptive Immunreaktionen ein wichtiger Schutz vor Infektionen. Lymphozyten/zellvermittelte Reaktionen wirken hauptsächlich über eine gezielte Beeinflussung oder Verstärkung unspezifischer Effektormechanismen antimikrobiell (s. Kap. 10). Das kann allerdings auch die oben geschilderten pathologischen Effekte verstärken. Wenn sich die Hypersensitivität gewebeschädigend auswirkt, spricht man von Immunpathologie. Nach der Klassifikation von Coombs und Gell aus dem Jahre 1958 werden, entsprechend dem Immunmechanismus, der einer Gewebeschädigung zugrunde liegt, vier Typen von Hypersensitivitätsreaktionen unterschieden.
Alle vier Typen von Überempfindlichkeitsreaktionen können sowohl mikrobiell verursacht sein als auch andere Ursachen haben Einige der schwersten Hypersensitivitätsreaktionen sind bakteriellen Ursprungs (Tab. 17.5). Auch wenn verschiedene Arten von Erregern beteiligt sein können, ist es ein gemeinsames Merkmal dieser lang anhaltenden Infektionen, dass es kontinuierlich oder wiederholt zur Antigenstimulation kommt.
17.3.1
Typ-I-Hypersensitivitätsreaktionen
Allergische Reaktionen sind ein Kennzeichen von Wurminfektionen Besonders dramatisch fällt die allergische (Typ-I-)Reaktion nach einer Hydatidenzysten-Ruptur aus. Langsam austretende Wurmantigene sorgen für eine Sensibilisierung der Mastzellen des Patienten mit spezifischem IgE, und wenn es dann bei der Ruptur zu einem massiven Anfluten der Antigene kommt, kann das zu einer akuten, tödlichen Anaphylaxie mit Kreislaufkollaps und Lungenödem führen. Selbst die geringen Antigenmengen, wie für diagnostische Hauttests verwendet werden, können das bewirken, wenn auch nur selten. Mit hohen IgE-Konzentrationen verbunden ist auch ein Wurmbefall mit Askariden. In diesem Fall kommt es hauptsächlich zu respiratorischen Symptomen mit Eosinophileninfiltraten und Asthmaanfällen (bei der Passage des Parasiten durch die Lunge). Kennzeichen von Helmintheninfektionen ist der juckende Ausschlag, wenn Würmer z.B. in der Haut absterben. Es könnte sich auch um eine Typ-I-Reaktion handeln, wie z.B. bei der „Schwimmerkrätze“ durch Kontaktinfektion mit Tier- oder Vogel-Schistosomen.
381
Weshalb allergische Reaktionen typisch für Wurminfektionen sind, ist nicht wirklich geklärt; es könnte aber mit bestimmten Antigenmerkmalen zusammenhängen. Zudem wird vermutet, dass IgE eine Rolle beim Schutz vor Würmern haben könnte. Das wäre zu wünschen, denn in jeder anderen Hinsicht scheint diese Antikörperklasse nur überflüssig zu sein.
17.3.2
Typ-II-Hypersensitivitätsreaktionen
Typ-II-Reaktionen sind durch Antikörper gegen Erreger oder durch Autoantikörper bedingt Streng genommen werden Typ-II-Reaktionen durch Antikörper (meist IgE) vermittelt, die intra- (nach Phagozytose) oder extrazellulär zytotoxisch wirken. Wenn sich Antikörper an Zellen gebunden haben und Komplement aktiviert wird, kommt es zur Lyse der Zellen. Zytotoxische T-Zellen werden unter Typ-IV-Reaktionen besprochen. Zwischen Antikörpern gegen Infektionserreger und Autoantikörpern besteht ein wichtiger Unterschied: Erstere töten Wirtszellen ab, weil sie Fremdantigene präsentieren, letztere binden sich an unveränderte Wirtsantigene. Bei einer Infektion kommen beide Reaktionen vor (Tab. 17.5). Im letzteren Fall stellt sich die Frage, warum bei einer Infektion Autoantikörper gebildet werden. Es wurden mehrere Erklärungen vorgeschlagen, doch über Autoimmunität wird insgesamt noch sehr kontrovers diskutiert.
382
Tab. 17.5 Durch Mikroorganismen bedingte Überempfindlichkeitsreaktionen. PMN = polymorphkernige Leukozyten
383
Bei Malaria im Blutstadium heften sich die Antigene an Wirtszellen Es konnte nachgewiesen werden, dass die hämolytische Anämie im Blutstadium der Malaria nicht – wie zunächst vermutet – durch Autoantikörper bedingt ist, sondern durch Antikörper gegen ein Parasitenantigen, das von roten Blutkörperchen aufgenommen wurde. In einigen Fällen könnte sich ein Antigen-Antikörper-Komplex an die Zellen binden. Eine ähnliche Reaktion („Schwarzwasserfieber“) kann nach einer Malariabehandlung mit Chinin auftreten.
Antimyokardiale Antikörper sind der klassische, durch Infektion (β -hämolysierende Streptokokken der Gruppe A) getriggerte Autoantikörper-Typ Diese Reaktion lässt sich auf ein kreuzreagierendes Kohlenhydrat-Antigen zurückführen, das sowohl auf dem Myokard wie auch auf Bakterien vorhanden ist. Seitdem mehr Proteinsequenzen verglichen werden können, treten allerdings zahlreiche ähnliche Beispiele zutage; vielleicht liegt sogar vielen Erkrankungen (bisher) unbekannter Ursache eine Kreuzreaktion zwischen mikrobiellen und Wirtsantigenen zugrunde. Ob sich das Mimikry von Wirtsantigenen für Mikroorganismen lohnt, wird in Kap. 16 diskutiert.
17.3.3
Typ-III-Hypersensitivitätsreaktionen
In Geweben oder Blutgefäßen abgelagerte Immunkomplexe verursachen Krankheiten Bilden sich Immunkomplexe, können sie zur Phagozytose und Antigenbeseitigung, aber auch zur Komplementaktivierung führen. Komplikationen treten auf, wenn sich Immunkomplexe, die den Phagozyten des retikuloendothelialen Systems entgangen sind, im Gewebe oder in Blutgefäßen ablagern und Komplement und Neutrophile anlocken. Durch Freisetzung lysosomaler Enzyme kommt es dann zu einer lokalen Schädigung; besonders schwer können davon kleine Gefäße, vor allem in den Nierenglomeruli, betroffen sein. Die Immunkomplexkrankheit ist Hauptursache der akuten und chronischen Glomerulonephritis – in den meisten Fällen vermutlich Folge einer Infektion. Es gibt auch eine wichtige Gruppe von Erkrankungen durch Autoantigen-AutoantikörperKomplexe (z.B. DNA-Anti-DNA bei systemischem Lupus erythematodes), doch selbst die könnten letztlich Folge einer viralen Infektion sein. Wie die meisten immunpathologischen Veränderungen ist die Immunkomplexablagerung im Allgemeinen Kennzeichen einer chronischen Infektion (z.B. Malaria). Dass ein anhaltender Antigenstimulus nicht die einzige Voraussetzung sein kann, zeigt sich schon daran, dass sich die schwerste Form der Nephropathie (bei Malaria quartana durch Plasmodium malariae) trotz erfolgreicher Behandlung der Infektion progredient weiterentwickelt, während sich die
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Nephropathie bei der malignen Malaria tropica (durch Plasmodium falciparum) nach ausgeheilter Infektion bessert. Als prädisponierende Faktoren kommen schwache (bezogen auf Menge oder Affinität) Antikörperreaktion, bevorzugte Antigenbindung ans Gefäßendothel oder Hemmung der normalen Phagozyten- oder Komplementfunktion (Beseitigung zirkulierender Immunkomplexe) in Frage. Eine akute Glomerulonephritis als schwere Komplikation einer Streptokokkeninfektion (s. Kap. 18) kann wenigstens zum Teil auf der Ablagerung von (Streptokokkenantigen enthaltenden) Immunkomplexen in den Glomeruli beruhen (Abb. 17.5). Infolge der Infiltration (Polymorphkernige) und Veränderungen der Basalmembran können Albumin oder sogar Erythrozyten in den Urin gelangen. Ein paar Wochen nach Beendigung der Infektion tritt dann die (akute) Glomerulonephritis auf. Bleiben Immunkomplexablagerungen längere Zeit bestehen (wie bei der MalariaNephropathie), führt das Einzwängen von Mesangiumzellen mit der Fusion von Fußfortsätzen (Podozyten) zu einem irreversiblen Funktionsverlust der Glomeruli (chronische Glomerulonephritis).
Klassisches Beispiel für Immunkomplexablagerungen im Gewebe sind Berufskrankheiten durch Pilz(sporen)inhalation Berühmt wurden Immunkomplexablagerungen im Gewebe durch die Arbeiten von Arthus: Durch Antigeninjektion in die Haut von Tieren mit vorhandenen Antikörpern (hauptsächlich IgG) kam es zur Thrombosierung kleiner Blutgefäße und zu Gewebsnekrosen infolge der Leukozytendegranulation (Abb. 17.4). Am besten untersucht sind vermutlich Krankheiten durch Pilz(sporen)inhalation im Rahmen bestimmter Tätigkeiten/Berufe (z.B. Farmerlunge, Taubenzüchter-, Ahornrindenschälerkrankheit), bei denen die chronische Entzündung zur Zerstörung und Fibrosierung des Lungengewebes führen kann. „Extrinsische allergische Alveolitis“ ist eine etwas unglücklich gewählte Bezeichnung für sie, da die klassische IgE-vermittelte Form der Allergie offenbar gar nicht beteiligt ist.
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Ein anderes bekanntes Beispiel ist die Serumkrankheit Wenn sich nach wiederholter Injektion von Fremdprotein frei zirkulierende Immunkomplexe in Nieren (Abb. 17.5), Haut oder Gelenken ablagern, kommt es zur Serumkrankheit. Das passierte häufiger, als es noch keine Antibiotika gab und infektiöse Erkrankungen noch passiv mit Serum behandelt wurden (s. Kap. 35). Die Serumkrankheit kann aber auch als Komplikation einer monoklonalen Antikörpertherapie (meist murine AK) auftreten. Dass dieser Behandlungsansatz bei vielen Störungen zunehmend attraktiver wird, ist einer der Gründe, weshalb vermehrt Anstrengungen unternommen werden, um weitgehend humane monoklonale Antikörpermoleküle zu produzieren.
Abb. 17.4
Arthus-Reaktion.
Ins Gewebe eingedrungene Antigene (z.B. Pilzpartikel in der Lunge) bilden mit Antikörpern, auf die sie dort treffen, Immunkomplexe. Diese bewirken eine Komplementaktivierung und Chemotaxis polymorphkerniger Leukozyten (PMN). Durch die entzündliche Reaktion infolge der Degranulation (Freisetzung des Granulainhalts aus Leukozyten und Gewebsmastzellen) wird die von lysosomalen Enzymen der PMN verursachte Schädigung noch weiter verstärkt.
386
Abb. 17.5 Glomerulonephritis aufgrund einer Gewebeschädigung durch Immunkomplexe.
Typ-III-Hypersensitivität bewirkt eine Immunkomplexablagerung in Gefäßwänden, besonders in Bereichen mit Hochdruck, Filterstationen oder Strömungsturbulenzen wie in der Niere. PMN = polymorphkernige Leukozyten
17.3.4
Typ-IV-Hypersensitivität
Zellvermittelte Immunreaktionen zerstören ausnahmslos Teile des Gewebes, häufig mit bleibenden Schäden Trotz der oben genannten Beispiele für Gewebeschäden durch Antikörperreaktionen erfüllen Antikörper im Allgemeinen ihren Zweck (Beseitigung eingedrungener Erreger), ohne dem Wirt im Geringsten zu schaden. Zellvermittelte (Typ-IV)Immunreaktionen sind nicht ganz so sicher, da die Aktivierung von T-Zellen und Makrophagen ausnahmslos eine gewisse Gewebezerstörung mit sich bringt. Diese ist reparabel, wenn sie nicht zu lange anhält, allerdings kann sie auch zu Fibrosierung oder gar Kalzifizierung mit schwerem, irreversiblem Gewebeuntergang führen. Für Verwirrung sorgt der unterschiedliche Gebrauch von Begriffen zur Beschreibung bzw. Unterteilung der Typ-IV-Reaktionen. Einige beziehen sich auf konkrete pathologische Veränderungen, andere auf Befunde diagnostischer Hauttests, aber keiner gibt genau den Ablauf wieder, wie zellvermittelte Immunität vor Infektionen schützen kann (Tab. 17.6).
Aus medizinischer Sicht ist Granulombildung die wichtigste Typ-IV-Reaktion 387
Zellvermittelte Immunreaktionen auf (Erreger-)Antigene sind für die Granulombildung verantwortlich, die bei Tuberkulose, tuberkulöser Lepra, Lymphogranuloma inguinale und Toxokariasis eine wichtige Rolle spielt. In gewisser Weise paradox wirkt sich die verzweigte Beteiligung der Zytokine an Typ-IVReaktionen aus. Dass manche Granulome zur Nekrose (z.B. Verkäsung bei Tuberkulose) neigen und andere nicht (z.B. bei Lepra, Sarkoidose), lässt sich durch die unterschiedlichen Muster der beteiligten Zytokine erklären. Besonders hoch ist die Gefahr einer Nekrose bei TNF (oft zusammen mit mikrobiellen Bestandteilen) – wegen seiner Wirkung auf das Gefäßendothel (die möglicherweise auch seine Antitumoraktivität erklärt).
Klinische Zeichen der Schistosomiasis beruhen auf der zellvermittelten Immunität Welcher Preis für den Schutz der zellvermittelten Immunität gezahlt werden muss, lässt sich anhand der Schistosomiasis (Helmintheninfektion) besonders gut klar machen. Die Eier von Schistosoma mansoni (Saugwürmer im Blutgefäßsystem) werden in Mesenterialvenen abgelegt, dabei gelangen einige auch in kleine Gefäße der Leberpforte. Von den Wurmeiern sezernierte Enzyme rufen eine starke zellvermittelte Reaktion hervor: Um jedes Ei bilden sich Granulome, die es zerstören, um so das Leberparenchym vor den toxischen Wirkungen dieser Enzyme zu schützen. Letztlich führen Einschmelzung und Verkalkung der Granulome jedoch zur Leberzirrhose mit Pfortaderhochdruck (portale Hypertonie), Ösophagusvarizen und Hämatemesis (s. Kap. 22).
Tab. 17.6 Zellvermittelte Immunität kann Schutz vor Infektionen oder Krankheit bedeuten. 388
Ein überraschender Effekt von Mangelernährung ist die rückläufige Inzidenz und Schwere bestimmter Erkrankungen (z.B. Typhus, Malaria). Das könnte mit einer verringerten Immunpathologie zusammenhängen, obwohl bei den meisten Erkrankungen (z.B. Masern, Meningokokkeninfektion, Tuberkulose) eher das Gegenteil zutrifft. Unterernährung scheint ein wichtiger prädisponierender Faktor für viele schwere verbreitete Infektionen in tropischen Ländern zu sein.
17.4
Hautausschlag
Verschiedene Hautausschläge haben immunologische Ursachen Wie sich Infektionen auf die Haut auswirken können, wird in Kap. 26 näher beschrieben. Doch dass bestimmte Ausschläge Immunreaktionen der Haut widerspiegeln, sei schon an dieser Stelle erwähnt. Wenn Kinder mit T-Zell-Mangel (z.B. Thymusaplasie oder DiGeorge-Syndrom) an Masern erkranken, entwickelt sich bei ihnen nicht das typische Masernexanthem, sondern eine tödliche systemische Infektion. Das weist darauf hin, dass die Hauterscheinungen Ausdruck einer schützenden T-Zellvermittelten Immunität sind. Werden Kinder mit T-Zell-Mangel mit VacciniaLebendimpfstoff geimpft, entwickeln sie dagegen einen sich unaufhaltsam weiter ausbreitenden Ausschlag, der eindeutig eine direkte (und keine immunpathologische) Folge der Impfung ist. In Tab. 17.7 sind häufigere Hauterkrankungen aufgeführt, an deren immunologischen Ursprung Infektionserreger beteiligt sein können (nähere Einzelheiten s. Kap. 26).
17.5
Viren und Malignome
Verschiedene RNA- und DNA-Viren können irreversible maligne Veränderungen von Zellen bewirken (Tab. 17.8). Die maligne Transformation durch solche „Tumorviren“ ist ausgiebig untersucht. In Kap. 3 sind unter anderem Proviren und Onkogene (Gene, die malignes Wachstum verursachen) aufgeführt. Allerdings ließ sich nur für eine kleine Anzahl humaner Krebserkrankungen eine Assoziation zu Tumorviren wirklich nachweisen (Tab. 17.9).
HTLV (humane T-Zell-Leukämieviren) sind mit bestimmten Lymphomen und Leukämien assoziiert HTLV-1 und -2 sind Retroviren ohne Onkogene (s. Kap. 3). In der DNA bestimmter maligner Lymphom- und Leukämiezellen ist provirale DNA dieser Viren nachweisbar. HTLV-1 ist als Auslöser der Erwachsenenform von T-Zell-Leukämie und Lymphomen (besonders in Südjapan, auf den Karibikinseln und in Westafrika) bekannt. Über die geografische Verbreitung von HTLV-2, das bei Haarzell-Leukämie isoliert werden kann, weiß man weniger. HTLV-1 wirkt nicht kanzerogen, indem es ein zelluläres Onkogen aktiviert, sondern weil sein tat-Gen-Produkt die Transkription von Wirtsgenen verstärkt, die für die Zellteilung wichtig sind. Detaillierter werden diese Infektionen in Kap. 26 beschrieben.
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EBV (Epstein-Barr-Virus) ist mit dem Nasopharynxkarzinom assoziiert EBV ist eng mit der Entwicklung eines Nasopharynxkarzinoms (NPC) verbunden (s. Kap. 18), das vor allem in Südchina und anderen Teilen Asiens sehr verbreitet (12–30 Fälle pro 100000 Einwohner pro Jahr) und in Teilen Nordafrikas etwas weniger häufig ist; in anderen Teilen der Erde kommt es nur selten vor. Die Gründe für die geografisch beschränkte Verteilung sind nicht bekannt. Es gibt keine überzeugenden Anhaltspunkte für spezifisch krebserregende EBVStämme, aber vielleicht beeinflussen lokale Kokarzinogene (z.B. Nitrosamine in gepökeltem Fisch) die Wirkung. In Krebszellen lässt sich zwar EBV-DNA nachweisen, doch wie die Kanzerogenese genau abläuft, ist nicht bekannt. Zelluläre Onkogene sind offenbar nicht beteiligt.
390
Tab. 17.7 Bei Ausschlägen handelt es sich vielfach um Immunreaktionen der Haut.
391
Tab. 17.8 Veränderungen an Zellen in Kultur aufgrund ihrer malignen Transformation durch Tumorviren. cAMP-Produktion cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat Bei Patienten mit hohem NPC-Risiko kommt es ein Jahr oder noch früher vor dem Auftreten erster klinischer Symptome zu einem IgA-Titer-Anstieg gegen EBV-KapsidAntigen.
EBV ist auch mit dem Burkitt-Lymphom assoziiert Das Burkitt-Lymphom, ein Tumor unreifer B-Zellen, kommt bei 6- bis 14-jährigen Kindern in Teilen Ostafrikas (z.B. Uganda) und in Papua-Neuguinea vor, bevorzugt bei Jungen. In den Tumorzellen ist EBV-DNA vorhanden, doch von den zahlreichen EBVGen-Kopien sind die meisten nicht in die Wirtszellen-DNA integriert. Vermutlich ist die Einwirkung von EBV auf B-Zellen der Auslöser für die Tumorentstehung; es veranlasst sie zur Proliferation und erhöht damit die Wahrscheinlichkeit, dass zelluläre Onkogene aktiviert werden. Das zelluläre c-mycOnkogen wird nach Translokation vom Chromosom 8 zum Chromosom 14 am Genlokus der Immunglobulin-Schwerkette exprimiert. Infolgedessen könnten B-Zellen am Eintritt ins Ruhestadium gehindert werden. Da auch die Steuerung der Adhäsionsund HLA (human leukocyte antigen)-Moleküle behindert wird (Downregulation), können sich die EBV-infizierten Zellen, die normalerweise der Immunkontrolle unterliegen, zu Tumorzellen entwickeln. Welche Rolle andere chromosomale Veränderungen in Burkitt-Lymphom-Zellen bei der Tumorentwicklung spielen, ist unklar. 392
Dass EBV-Infektionen weltweit verbreitet sind, während das Burkitt-Lymphom (wie das Nasopharynxkarzinom)nur geografisch eng begrenzt vorkommt, weist wieder auf die Beteiligung lokaler Kofaktoren, vielleicht chemischer oder infektiöser Kokarzinogene, hin.
Tab. 17.9 Viren und Malignome. EBV = Epstein-Barr-Virus, HBV/HCV = Hepatitis-B/C-Virus, HPV = humane Papillomaviren, HTLV = humanes T-Zell-Leukämievirus, HSV = Herpes-simplexVirus HIV scheint weder mit nicht-endemischen Burkitt-Lymphomen noch mit den Lymphomen immunsuppremierter Patienten (z.B. nach Nierentransplantation) vergesellschaftet zu sein. Anders verhält es sich mit HIV-assoziierten Lymphomen. Bei etwa 3% der AIDS-Patienten entwickeln sich Non-Hodgkin-Lymphome, die zu 20% im Gehirn lokalisiert sind. Allerdings fehlen stichhaltige Beweise, dass HodgkinLymphome durch EBV verursacht sein könnten.
393
Bestimmte HPV-Infektionen sind mit dem Zervixkarzinom assoziiert Zwischen Zervixkarzinomen und einer Infektion mit einigen der 77 Genotypen humaner Papillomaviren (HPV, s. Kap. 3, 21 und 26) besteht eindeutig ein Zusammenhang; das trifft für über 80% der Zervixkarzinome zu. Mit bestimmten HPV-Typen sind Penis-, Vulva- und Rektumkarzinome assoziiert. Besonders hoch ist das Risiko durch HPVTyp 16 und 18. HPV-Typ 6 und 11 verursachen zwar auch zervikale Läsionen, doch das Risiko einer malignen Progression ist in dem Fall niedriger. In den meisten primären oder metastasierten Krebszellen liegt das HPV-Genom in integrierter Form (d.h. im Wirtsgenom) vor und es kommt zur Transkription und Translation bestimmter Virusgene (E6, E7). Die Integration kann an unterschiedlichen chromosomalen Stellen erfolgen. Als offen lesbare Bezugsgrößen scheinen E6 und E7 an der Transformation und Aufrechterhaltung des transformierten Zustands von Epithelzellen beteiligt zu sein; möglicherweise binden sie sich an Zellproteine, die für die Steuerung des Zellzyklus zuständig sind und das Tumorwachstum unterdrücken (Tumorsuppression), und legen sie dadurch lahm. Das Zervixkarzinom ist keine häufige Folge einer HPV-Infektion, Kokarzinogene wie Zigarettenrauchen und Herpes (HSV) scheinen assoziiert mit der Krebsentstehung zu sein.
HPV-Infektionen sind mit Hautkrebs (Plattenepithelkarzinom) assoziiert Möglicherweise wirkt ultraviolettes (UV-)Licht als Kokarzinogen, wie es bekanntlich bei Schafen und Kühen mit Papillomavireninfektion und Hautkrebs der Fall ist. Die seltene, autosomal-rezessive Epidermodysplasia verruciformis des Menschen wird durch eine Infektion mit etwa 10–20 der weniger häufigen HPV-Typen ausgelöst, und bei einem Drittel (35%) dieser Patienten entwickeln sich multiple Plattenepithelkarzinome der Haut. In 90% ist die DNA von HPV-5 oder HPV-8 in den Tumorzellen enthalten. HPV könnten auch für die Genese von Hautkrebs bei immunsupprimierten Patienten (z.B. Nierentransplantierten) eine Rolle spielen, die recht häufig Hautwarzen bekommen. Allerdings gibt es keine Anhaltspunkte, dass der Hautkrebs von Gesunden mit einer HPV-Infektion verbunden ist.
HBV und HCV sind Hauptursachen des hepatozellulären Karzinoms Bei Patienten mit hepatozellulärem Karzinom (HCC) sind Sequenzen des Hepatitis-BVirus (HBV) in die Tumorzellen integriert. Der genaue Mechanismus ist unklar, doch es könnte sein, dass die integrierten HBV-Sequenzen zelluläre Onkogene (z.B. der mycFamilie) aktivieren oder per Transkription die Wachstumskontrolle der Zellen beeinflussen. Das verbreitetere Vorkommen des HCC in bestimmten Teilen der Welt (z.B. Westafrika) könnte mit Kokarzinogenen (z.B. Aflatoxinen) zusammenhängen. Allerdings verursacht das eng verwandte Hepadnavirus bei Waldmurmeltieren auch 394
ohne Kokarzinogene ein Leberzellkarzinom (s. Kasten). Möglicherweise ist das HBVassoziierte HCC des Menschen ein Folgezustand der kontinuierlichen Hepatozytenregeneration, wie sie bei chronischen HBV-Trägern auftritt. Das Hepatitis-C-Virus (HCV) scheint auf indirektem Weg ein hepatozelluläres Karzinom (HCC) zu verursachen, es sind keine HCV-Sequenzen in den Tumorzellen integriert. Man nimmt an, dass bei HCV-Trägern die anhaltende Entzündung und Schädigung der Leberzellen in ein HCC münden. Nachdem sich erst einmal eine Zirrhose ausgeprägt hat, besteht ein HCC-Risiko von 1–4%.
DNA-Viren transformieren Zellen, in denen sie sich nicht replizieren können Außerdem wird ihr Genom manchmal ins Genom der Wirtszellen integriert. Ausgiebige Studien legen jedoch den Schluss nahe, dass diese Viren trotz hoher Onkogenität in vitro und bei Labortieren für Krebserkrankungen des Menschen keine besondere Bedeutung haben. ■ Humane Adenoviren können Zellen in Kultur transformieren und bei Hamstern Sarkome auslösen. Ca. 10% des Adenovirus-Genoms werden integriert und das TAntigen wird exprimiert. Adenoviren sind jedoch nicht mit Krebserkrankungen des Menschen assoziiert. ■ Nach experimenteller Inokulation von Polyomavirus (poly- für viele, -oma für Tumor) – einem Mäuse-Papovavirus – und SV40 (simian vacuolating virus 40) – einem Affen-Papovavirus – entwickeln sich bei Hamstern Tumoren. Die Virus-DNA ist in die Tumorzellen integriert, und es werden T-Zell-Antigene exprimiert. Sind diese Viren bzw. ihre humanen Entsprechungen (BK- und JC-Virus) mit Krebserkrankungen des Menschen verbunden? Vor rund 30 Jahren ereignete sich ein Zwischenfall bei einer Polio-Impfung, als tausende Kinder unabsichtlich mit dem SV40-Virus inokuliert wurden, das einige Impfchargen enthielten. Es war offenbar nicht gelungen, durch das Inaktivierungsverfahren mit Formalin das in Affennierenzellen, in denen der PolioImpfstoff angezüchtet wurde, enthaltene SV40-Virus abzutöten. Trotzdem ließ sich bei den infizierten Kindern kein Anstieg der Tumorinzidenz beobachten. Nichtsdestoweniger mehren sich die Hinweise, dass Virusinfektionen (durch JC, BK und SV40) mit bestimmten Hirntumoren, Lymphomen und anderen Tumoren assoziiert sind.
Das Kaposi-Sarkom ist möglicherweise viral bedingt Bei AIDS-Patienten tritt 300-mal häufiger als in anderen Gruppen von Immunsupprimierten ein Kaposi-Sarkom auf. Fast immer sind Patienten betroffen, die sich beim Sexualkontakt mit HIV infiziert haben. In den Tumorzellen ist das auf sexuellem Weg übertragbare humane Herpesvirus Typ 8(HHV-8) nachzuweisen.
17.6
Bakterien und Malignome
395
Auf die Verbindung zwischen Helicobacter pylori und Malignome im Bereich des Magens und des Duodenums wird in Kap. 22 eingegangen. Wie es dazu kommt, ist bisher nicht geklärt.
Geschichte der Mikrobiologie Die vielen Gesichter der Hepatitis B Klassische epidemiologische Studien in Taiwan führten zu zwei Ergebnissen: Erstens: 90% der mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infizierten Säuglinge und 23% der im Alter von 1–3 Jahren infizierten Kinder wurden HBV-Träger; bei denen, die sich erst als junge Erwachsene (Studenten) infizierten, betrug der Anteil jedoch nur 3%. Zweitens: Von 3454 HbsAg-Trägern hatten 184 ein Leberzellkarzinom, unter den 19253 Nichtträgern waren dagegen nur 10 Fälle. Alle Arten von Malignomen der Leber sind zu 80% auf eine Hepatitis B zurückzuführen. Weltweit tragen etwa 350 Millionen Menschen das HBV in sich, und da bis zu 2 Millionen Menschen pro Jahr an einem Malignom der Leber sterben, ist HBV nach Tabak das zweitwichtigste Karzinogen des Menschen. Die Karzinogenese ist noch unklar. Bei fast allen Malignomformen (des Menschen) ist das Virus in Chromosomen integriert, nur zeigt sich bei den Integrationsstellen und der Anzahl der Kopien eine große Variationsbreite. Starke Ähnlichkeit weisen Viren auf, die Waldmurmeltiere, Eichhörnchen und Pekingenten infizieren. Im Nordwesten der USA sind 30% der Murmeltiere Virusträger, von denen die meisten später Leberkrebs bekommen. In dieser Spezies infiziert das Virus nicht nur die Leberzellen, sondern auch Lymphzellen in Milz, peripherem Blut und Thymus sowie Azinuszellen des Pankreas und das Gallengangepithel.
396
Zusammenfassung ■ Infektionserreger können auf unterschiedliche Weise Gewebeschäden oder Krankheiten verursachen. ■ Zellen können direkt durch Erreger (z.B. zytotoxische Viren) oder freigesetzte Toxine (z.B. Staphylokokken- oder Tetanustoxin) zerstört bzw. funktionell ausgeschaltet werden. Es kann aber auch zur Hyperaktivität der normalen Abwehrkräfte (z.B. auf LPS) oder zu überschießenden bzw. verlängerten Immunreaktionen kommen. ■ Wenn die Wirkungen der Erreger auf das Abwehrsystem durch Antikörper oder T-Zellen vermittelt sind, werden sie als Überempfindlichkeits/Hypersensitivitätsreaktionen bzw. „Immunpathologie“ bezeichnet. ■ Manche Viren sind nachweislich an der Tumorentstehung beteiligt, da ihr Genom in den Krebszellen gefunden wurde. Dass sich die Verteilung mancher dieser Tumoren auf bestimmte geografische Regionen beschränkt, kommt möglicherweise unter dem Einfluss lokaler Kokarzinogene zustande.
FRAGEN 1 2 3 4 5
Wie unterscheiden sich Exotoxine und Endotoxine? Was ist ein septischer Schock und wie lässt er sich verhindern? Was ist ein Immunkomplex und wie kann er Krankheiten verursachen? Welche Hautausschläge sind immunologisch bedingt? Welche Viren stehen im Verdacht, Malignome auszulösen?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Bosch, F.X., Manos, M.M., Munoz, N. et al.: Prevalence of human papillomavirus in cervical cancer; a worldwide perspective. J. Natl. Cancer Inst. 87 (1995) 796–802. Collier, L.H. (ed.): Topley and Wilson’s Microbiology and Microbial Infections, 9th ed. Vol. 1: Virology, Ch. 12: Oncogenicity, pp. 211–234. Edward Arnold, London 1998. Hacker, J., Blum-Oehler, G., Muhldorfer, I., Tschape, H.: Pathogenicity islands of virulent bacteria: structure, function, and impact on microbial evolution. Mol. Microbiol. 23 (1997) 1089–1097. Mims, C.A., Nash, A., Stephen, J.: Mims’ Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed. Academic Press, London 2001. Rees, A.J., Andres, G.A., Peters, D.K. (eds.): Symposium on pathogenetic mechanisms in nephritis. Kidney Int. 35 (1989) 921–1033. Sriskandan, S., Cohen, J.: The pathogenesis of septic shock. J. Infect. 30 (1995) 201– 206. Stephen, J.: Pathogenesis of infectious diarrhoea: a mini-review. Canadian J. Gastroenterol. 15 (2001) 669–683.
397
18 Infektionen der oberen Atemwege 18.1
Die gewöhnliche Erkältung (Katarrh) 216
18.2
Pharyngitis und Tonsillitis 216
18.2.1
Zytomegalievirus(CMV)-Infektion 217
18.2.2
Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion 222
18.2.3
Bakterielle Infektionen 224
18.2.4
Diagnose 225
18.3 18.3.1 18.4
Parotitis 225 Behandlung und Prävention 226 Otitis und Sinusitis 226
18.4.1
Akute Mittelohrentzündung (Otitis media) 227
18.4.2
Otitis externa 228
18.4.3
Akute Nebenhöhlenentzündung (Sinusitis) 228
18.5
Akute Epiglottitis 228
18.6
Mundhöhleninfektionen 228
18.6.1
Orale Candidiasis 228
18.6.2
Karies 229
18.6.3
Parodontalerkrankungen 229
18.7
Laryngitis und Tracheitis 229
18.8
Diphtherie 230
Zur Orientierung Mukoziliare Clearance und Spülwirkung des Speichels schützen vor (oberen) Atemwegsinfektionen In der Luft, die wir einatmen, schweben Millionen Teilchen, darunter auch Mikroorganismen. Die meisten von ihnen sind völlig harmlos, nur in der Nähe von Infizierten kann eine größere Erregermenge in der Atemluft enthalten sein. Daher sind wirksame Reinigungsfunktionen im oberen und unteren Respirationstrakt (s. Kap. 9 und 13) ein wichtiger Bestandteil der körpereigenen Abwehr und schützen vor Infektionen. Kommt es trotzdem zur Infektion, ist zu klären, warum die natürlichen Abwehrmechanismen versagt haben. In den oberen Atemwegen sind das mukoziliare System im Nasen-Rachen-Raum (Nasopharynx) und die Spülwirkung des Speichels im Mund-Rachen-Raum (Oropharynx) besonders wichtig. 398
Wie auf anderen Körperoberflächen (s. Kap. 8) leben auch in den oberen Atemwegen zahlreiche Mikroorganismen (Tab. 18.1), die Nase, Mund, Rachen und Zähne besiedeln, unschädlich sind und sich gut an die örtlichen Verhältnisse angepasst haben. Wie „wohlerzogene“ Gäste dringen sie normalerweise weder in tieferes Gewebe ein noch führen sie zur Erkrankung. Allerdings können ortsansässige (residente) Keime hier wie in anderen Körperbereichen problematisch werden, wenn die Immunlage des Wirts geschwächt ist.
Für Erreger bilden die Atemwege ein Kontinuum Obwohl zwischen oberen und unteren Atemwegsinfektionen unterschieden wird, bildet der Respirationstrakt für Erreger einfach ein Kontinuum, das sie ungehindert von der Nase bis zu den Alveolen gelangen lässt (Abb. 18.1). Es kann allerdings bevorzugte Stellen (Infektionsherde) geben, z.B. den Nasopharynx für Corona- und Rhinoviren. Parainfluenzaviren können dagegen nicht nur den Nasen-Rachen-Raum (Erkältung), sondern auch Kehlkopf und Luftröhre (Krupp, Larynotracheitis) oder gelegentlich sogar Bronchien und Bronchiolen (Bronchitis, Bronchiolitis oder Pneumonie) infizieren.
Auf (obere und untere) Atemwegsinfektionen treffen zwei Verallgemeinerungen zu: ■ Viele Erreger bleiben auf das Oberflächenepithel beschränkt, andere breiten sich erst weiter im Körper aus, ehe sie zu den oberen Luftwegen, Mund-Rachen-Raum oder Speicheldrüsen zurückkehren (Tab. 18.2). ■ Als zwei Erregergruppen lassen sich „professionelle“ und „sekundäre“ Eindringlinge unterscheiden. Dass „professionelle“ Invasoren selbst den normalerweise gesunden Respirationstrakt infizieren können (Tab. 18.3), liegt an ihren besonderen Fähigkeiten, der Wirtsabwehr zu entgehen (z.B. dank spezifischer Anheftungsmechanismen bei respiratorischen Viren, Tab. 18.4, oder anderer der in Tab. 18.3 genannten Mittel). „Sekundäre“ Invasoren führen nur bei bereits geschwächter Wirtsabwehr zur Erkrankung (Tab. 18.3).
399
Tab. 18.1 Normalflora des Respirationstrakts *
außer den Keimen im Gewebe sind alle anderen im Mund-Nasen-RachenRaum oder auf den Zähnen vertreten ** im Mund; dort können auch Entamoeba gingivalis, Trichomonas tenax, Mikrokokken und Actinomyces spp. vorhanden sein *** bei den meisten Menschen finden sich alle außer M. tuberculosis **** früher: P. carinii
400
18.1
Die gewöhnliche Erkältung (Katarrh)
Rhino- und Coronaviren verursachen zusammen über 50% der Erkältungen Am häufigsten dringen Viren in den Nasen-Rachen-Raum ein. Für eine Erkältung können ganz unterschiedliche Viren verantwortlich sein (Tab. 18.4). Wenn virushaltiges Sekret aus dem Nasopharynx fließt (Schnupfen) und Niesreiz auslöst, werden große Mengen von Viruspartikeln in die Umgebungsluft ausgestoßen. Die Ansteckung erfolgt daher meist durch Tröpfcheninfektion oder über kontaminierte Hände (s. Kap. 13). Die meisten dieser Viren können sich über bestimmte Oberflächenmoleküle fest an Wirtszellen – bzw. davon abstehende Zilien und Mikrovilli – heften. Infolgedessen werden sie nicht von Sekreten weggespült, sondern können zuvor noch gesunde Menschen infizieren. Nachfolgende Virusgenerationen breiten sich von den zuerst infizierten Zellen auf Nachbarzellen aus und gelangen mit den Sekreten immer wieder an neue Schleimhautstellen. Nach ein paar Tagen kommt es infolge der Schädigung von Epithelzellen und der Sekretabsonderung (mit darin enthaltenen Entzündungsmediatoren wie Bradykinin) zu den typischen Erkältungssymptomen (Abb. 18.2).
Erkältungen durch Viren lassen sich anhand des klinischen Bildes diagnostizieren Angesichts der zahlreichen möglichen Auslöser und des im Allgemeinen milden, selbstlimitierenden Verlaufs scheinen sich Labortests bei banalen Virusinfekten (ohne systemische Ausbreitung) nicht zu lohnen. Wichtig wird die Diagnose nur, wenn der untere Atemtrakt mit betroffen ist, z.B. bei einer Influenzavirus- oder RespiratorySyncytial-Virus(RSV)-Infektion im Kindesalter. In abgeschilferten Zellen (Aspirationsbiopsie von Nasen-Rachen-Sekret) lassen sich bei diesen Kindern Virusantigene (Abb. 19.4) nachweisen, meist wird die Diagnose dann nachträglich durch Anstieg des Antikörpertiters bestätigt. Die Isolierung der Viren ist oft mühsam und sehr schwierig. Sie wird im Interesse der öffentlichen Gesundheit – meist von Referenzlaboratorien – durchgeführt, wenn eine Pandemie durch einen neuen Influenzavirusstamm droht. Zur Typisierung von Influenzaviren wenden die Referenzlaboratorien inzwischen molekulare Nachweis- und Sequenzierungsmethoden an, um so auch überwachen zu können, ob die für Impfstoffe ausgewählten Stämme gut mit den im Umlauf befindlichen Stämmen übereinstimmen.
Erkältungen werden symptomatisch behandelt Für diese Viruserkrankungen stehen keine Impfstoffe zur Verfügung, ihre Behandlung erfolgt überwiegend symptomatisch mittels Antiphlogistika, Analgetika und Antibiotika bei bakterieller Superinfektion. Für eine echte Virusgrippe (Influenzavirusinfektion) stehen dagegen Impfstoffe zur Verfügung.
18.2
Pharyngitis und Tonsillitis
401
Akute Infektionen des Rachenraumes sindzu rund 70% viral bedingt Die Auslöser einer akuten Pharyngitis sind in Tab. 18.5 aufgeführt. Erkältungs- und andere respiratorische Viren treffen im Mund-Rachen-Raum zwangsläufig auf den Abwehrring aus submukosalem Lymphgewebe (Abb. 18.1). Bei einer Hals/Rachenentzündung (Pharyngitis) handelt es sich entweder um eine Infektion der darüber liegenden Mukosaschicht oder um eine entzündliche Immunreaktion des lymphatischen Gewebes. Häufig sind Adenoviren die Ursache; wenn sie außer dem Pharynx auch die Konjunktiven infizieren, entwickelt sich ein Pharyngokonjunktivalfieber. Während sich Epstein-Barr- (EBV) und Zytomegalieviren (CMV) direkt im Pharynx vermehren (Abb. 18.3), vermehren sich Herpes-simplex- (HSV) und bestimmte Coxsackie-A-Viren in der Mundschleimhaut und rufen schmerzhafte lokale Läsionen oder Ulzera hervor. Enteroviren können darüber hinaus Bläschen an Händen, Füßen und Mund verursachen (Hand-Fuß-Mund-Krankheit; Abb. 18.4).
Abb. 18.1 Kontinuum.
Der Respirationstrakt bildet ein
*besiedelt den Nasopharynx häufig asymptomatisch ** Abstand zwischen schwarzer Linie und blauer Kurve entspricht der Stärke der Symptome (Rhinitis, Laryngitis etc.)
402
Tab. 18.2 Zwei Arten von Atemwegsinfektionen. CMV = Zytomegalievirus; EBV = Epstein-Barr-Virus
403
18.2.1
Zytomegalievirus(CMV)-Infektion
CMV kann durch Speichel, Urin, Blut, Sperma und Zervikalsekret übertragen werden Von CMV, dem größten der humanen Herpesviren (Abb. 18.5), gibt es nur einen Serotyp. Wie bei den Zytomegalieviren der Tiere ist das humane CMV artspezifisch; für das humanpathogene CMV ist daher der Mensch der natürliche Wirt. Tierpathogene Zytomegalieviren sind nicht ansteckend für Menschen. Der Name bezieht sich auf die vielkernigen (Riesen-)Zellen mit intranukleären Einschlusskörpern, die eine typische Reaktion auf die CMV-Infektion darstellen. Ursprünglich bezeichnete man CMV als „Speicheldrüsenvirus“, weil es über den Speichel und andere Sekrete übertragen wird.
Tab. 18.3 Atemwegsinfektionen durch „professionelle“ und „sekundäre“ Invasoren
404
Tab. 18.4 Erkältungsviren und ihre Anheftungsmechanismen *
ein Typ ist, verglichen mit anderen, kaum oder gar nicht durch Antikörper neutralisierbar ** ICAM-1 (interzelluläres Adhäsionsmolekül) wird auch von vielen normalen Zellen exprimiert; gehört zur Superfamilie der Immunglobuline (auf Chromosom 19 kodiert) *** Coxsackie-Virus A9 bindet an Vitronektin, ein Integrin(protein); Typ 1 und 8 binden an das Very-late-activating-Antigen 2 (ein Integrin), Typ 6, 7, 12, 21 an den Decay-accelerating-Faktor (CD55) auf Zellen.
405
Abb. 18.2 Pathogenese der Erkältung (zur Vereinfachung nur einschichtiges Epithel dargestellt)
Für Kinder ist Urin eine zusätzliche Infektionsquelle, und bei infizierten Schwangeren kann sich das Virus auf dem Blutweg auf Plazenta und Fetus ausbreiten. CMV kann auch im Sperma und Zervikalsekret enthalten sein – und demnach durch Sexualkontakte übertragen werden. Ob die geringen CMV-Mengen, die oft in der Muttermilch vorhanden sind, für eine Ansteckung ausreichen würden, erscheint zumindest fraglich. CMV kann auch bei einer Bluttransfusion oder Organtransplantation übertragen werden.
Eine CMV-Infektion verläuft oft asymptomatisch, kann aber bei geschwächter (zellvermittelter) Immunabwehr reaktiviert und zur manifesten Erkrankung werden Nach klinisch stummer Infektion der oberen Atemwege kommt es zunächst zur lokalen und danach – mit zirkulierenden Lympho- und Monozyten – zur systemischen Ausbreitung von CMV ins Lymphgewebe (Befall von Lymphknoten und Milz). Dann verlagert sich die Infektion auf Epithelzellen der Speicheldrüsen und Nierentubuli, der Zervix bzw. der Hoden oder Nebenhoden und bleibt stationär, bis sich das Virus von dort nach außen weiter verbreitet (Tab. 18.6).
406
Infizierte Zellen können zwar vielkernig sein oder intranukleäre Einschlusskörper aufweisen, doch die Infektion verursacht nur geringe pathologische Veränderungen und verläuft im Allgemeinen asymptomatisch. Bei jungen Erwachsenen kann es zu einer Art Drüsenfieber kommen, allerdings ohne die bei den meisten EBV-Infizierten (außer Kindern unter 14 Jahren) vorhandenen heterophilen Antikörper, begleitet von Fieber und Mattigkeit sowie anormalen Lymphozyten und Mononukleose im Blutausstrich. Da CMV die T-Zell-Reaktionen hemmt, ist auch die Immunantwort auf andere Antigene vorübergehend eingeschränkt. Obwohl spezifische CMV-Antikörper gebildet werden und zellvermittelte Immunreaktionen auftreten, schaffen sie es nicht, das Virus aus dem Körper zu beseitigen (s. Kap. 16). Oft wird es noch monatelang im Speichel und Urin ausgeschieden. Selbst wenn die Infektion von der zellvermittelten Immunität (CMI) kontrolliert werden kann, bleiben lebenslang infizierte Zellen im Körper zurück, die bei eingeschränkter Immunlage jederzeit zur Reaktivierung der Infektion und zum Ausbruch der Erkrankung führen können.
Tab. 18.5 Auslöser einer akuten Pharyngitis. CMV = Zytomegalievirus
Abb. 18.3 Infektiöse Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber) durch Epstein-Barr-Virus (EBV). 407
Tonsillen und Uvula geschwollen und weiß belegt; Petechien am weichen Gaumen (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
Abb. 18.4 Gaumen- und Zungenulzera bei HandFuß-Mund-Krankheit durch das Coxsackie-A-Virus.
(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes)
Abb. 18.5 Elektronenmikroskopische Aufnahme von Zytomegalieviruspartikeln.
408
CMV ist mit einem Durchmesser von 150–200 nm das größte humane Herpesvirus und hat einen dichten zentralen DNA-Kern (mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee). Seinen Erfolg als Humanpathogen verdankt CMV seiner Fähigkeit, sich der Immunabwehr zu entziehen. Für zytotoxische T-Zellen stellt es z.B. ein ungeeignetes Ziel dar, weil es verhindert, dass MHC-Klasse-I-Moleküle zur Zelloberfläche transportiert werden (s. Kap. 10), und auf infizierten Zellen Fc-Rezeptoren induziert (s. Kap. 16).
Eine CMV-Infektion kann Ursache fetaler Fehlbildungen oder einer Pneumonie bei immungeschwächten Patienten sein Beim Menschen, dem natürlichen Wirt, führt eine CMV-Infektion nicht zur Erkrankung (bei Säuglingen und Kindern) oder höchstens zu milden Symptomen (bei Erwachsenen). Doch unter zwei Bedingungen kann das harmonische Wirt-ParasitVerhältnis gestört sein: ■ Bei einer Primärinfektion in der Schwangerschaft kann sich das Virus hämatogen auf Plazenta und Fetus ausbreiten und kongenitale Fehlbildungen bewirken (s. Kap. 23). Möglich ist auch eine Reaktivierung der Infektion in der Schwangerschaft; sie kann beim Fetus auch zur Infektion führen, selten jedoch zu angeborenen Fehlbildungen. CMV-Infektionen sind nach dem Down-Syndrom zweithäufigste Ursache einer geistigen Retardierung von Säuglingen. ■ Bei immungeschwächten Patienten (z.B. nach Knochenmark- oder Organtransplantation, in seltenen Fällen auch AIDS-Patienten, s. Kap. 30) kann eine interstitielle Pneumonie mit mononukleären Zellinfiltraten durch CMV ausgelöst werden. Auch das ZNS kann betroffen sein (mit fokalen „mikronodulären“ Hirnläsionen aus infizierten mononukleären Zellen und einer Reihe weiterer Komplikationen, z.B. Retinitis). Bei Beteiligung des Gastrointestinaltrakts können eine Kolitis und Hepatitis hinzukommen.
409
Die Primärinfektion verläuft gewöhnlich asymptomatisch und lässt sich daher klinisch kaum diagnostizieren. Falls doch Beschwerden bei immunkompetenten Patienten auftreten, wird der Nachweis von CMV-IgM zur Diagnose herangezogen. Um die Diagnose einer CMV-Pneumonie zu stellen, kann der Nachweis von CMVAntigen oder CMV-DNA anhand der bronchoalveolären Flüssigkeit geführt werden. Biopsiematerial aus der Lunge kann vielkernige Zellen oder Zellen mit deutlich sichtbaren intranukleäre Einschlusskörpern aufweisen. Obwohl serologische Untersuchungen (auf CMV-IgM bzw. CMV-IgG) auch für immunsupprimierte Patienten verfügbar sind, dürften sie diagnostisch kaum weiterhelfen. Zur Nachsorge bei Transplantatempfängern gehört auch die Überprüfung von Vollblut- oder Plasmaproben auf CMV-DNA bzw. eine adäquate Therapie bei nachgewiesener CMV-Virämie (s. Kap. 30).
Tab. 18.6 Zytomegalievirus(CMV)-Infektion.
410
Behandlung einer CMV-Retinitis und -Pneumonie Während sie mit Ganciclovir oder Foscarnet oft effektiv behandelt werden können, erweist sich Aciclovir als unwirksam. Da die CMV-Pneumonie als eine immunpathologische Erkrankung gilt, wird den Patienten zusätzlich zu antiviralen Mitteln noch CMV-spezifisches oder normales (humanes) Immunglobulin verabreicht, um so möglichst die gegen Pneumozyten, die das Antigen exprimieren, gerichtete Reaktion zu unterdrücken. Versuche mit inaktivierten und Lebendimpfstoffen wurden zwar durchgeführt, doch es gibt keine Impfung gegen CMV. Schwangere seronegative Frauen sollten daher den Kontakt zu infizierten Kindern meiden. Für Bluttransfusionen (bei Neugeborenen), Organ- und Knochenmarktransplantationen sind CMV-Antikörper-negative Spender vorzuziehen.
18.2.2
Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion
EBV wird mit Speichel übertragen Wie CMV ist auch EBVspeziesspezifisch. Strukturell und morphologisch stimmt EBV mit anderen Herpesviren überein, unterscheidet sich aber hinsichtlich der Antigenität (s. Kap. 3). Zu Diagnosezwecken wird hauptsächlich Viruskapsidantigen (VCA) verwendet. Diagnostisch hilfreich können auch „early antigens“ (EA), die vor der Virus-DNA-Synthese gebildeten Frühantigene, und EBV-assoziierte nukleäre Antigene (EBNA) im Kern infizierter Zellen sein. Natürlicher Wirt von EBV ist der Mensch. EBV-Infektionen kommen weit verbreitet (ubiquitär) vor und werden durch Speichel, z.B. beim Küssen, übertragen. In Entwicklungsländern verlaufen EBVInfektionen meist subklinisch; sie können durch enge frühkindliche Kontakte bedingt sein. In den entwickelten Ländern gibt es zwei Altersgipfel (1–6 und 14–20 Jahre); hier verläuft die Infektion meist klinisch manifest.
Die Symptome einer EBV-Infektion sind immunologisch vermittelt Wie sich eine EBV-Infektion klinisch und immunologisch entwickelt, zeigt Abb. 18.6. Nach spezifischer Bindung an den C3d-Rezeptor (CD21) von B-Lymphozyten repliziert sich EBV in ihnen, aber auch in bestimmten Epithelzellen. Auf dieser Grundlage werden Pathogenese und klinisches Krankheitsbild verständlich: Aus infizierten Epithelzellen und möglicherweise Lymphozyten in Speicheldrüsen und im Mund-Rachen-Bereich tritt das Virus in den Speichel über und breitet sich dann klinisch stumm auf B-Lymphozyten im Lymphgewebe lokal bzw. generalisiert aus.
Abb. 18.6 Klinische und immunologische Abläufe bei Epstein-Barr-Virus(EBV)-Infektion eines Jugendlichen oder Erwachsenen.
411
Bei Kindern verläuft die Infektion meist milder oder subklinisch. Infizierte B-Zellen lösen eine Immunantwort der T-Lymphozyten aus, die ihnen zahlenmäßig weit überlegen sind (etwa 50:1) und als atypische Lymphozyten im peripheren Blut erscheinen (Abb. 18.7). Viele Krankheitszeichen sind dieser Auseinandersetzung zwischen spezifisch aktivierten T-Zellen und infizierten B-Zellen zuzuschreiben. Da die Immunreaktion bei spontan infizierten Säuglingen und Kleinkindern noch schwach ausfällt, tritt die Erkrankung bei ihnen klinisch nicht in Erscheinung. Ältere Kinder fühlen sich jedoch unwohl und besonders bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen kommt es 4–7 Wochen nach der Erstinfektion zu einer infektiösen Mononukleose. Typische Zeichen sind Fieber, Halsentzündung (Abb. 18.3), Petechien am harten Gaumen, Lymphadenopathie und Splenomegalie mit Appetitmangel und Abgeschlagenheit. Bei Hepatitis sind in 90% der Fälle die Leberenzyme leicht erhöht, und in 9% geht sie mit einem Ikterus einher. Auch eine Milzruptur kann vorkommen. Neurologische Komplikationen (aseptische Meningitis und Enzephalitis), die sich in weniger als 1% der Fälle entwickeln können, heilen fast immer vollständig aus. Wahrscheinlich werden die Symptome durch Zytokine hervorgerufen. Unter dem Einfluss der bei starker immunologischer Aktivierung freigesetzten Zytokine werden infizierte B-Zellen zur Differenzierung und Antikörperproduktion stimuliert. Diese polyklonale Aktivierung von B-Zellen führt zur Bildung heterophiler Antikörper (die mit Schafs- oder Pferdeerythrozyten reagieren) und einer Reihe von Autoantikörpern. Meist kommt es nach 2–3 Wochen zur Spontanheilung, obwohl die Symptome noch ein paar Monate weiterbestehen können. Trotz antikörper- und zellvermittelter Immunreaktionen hält sich das Virus latent weiter im Körper, und selbst nach klinischer Besserung bleibt der Speichel oft monatelang infektiös. 412
Werden infolge einer EBV-Infektion Autoantikörper gebildet, handelt es sich meist um IgM-Antikörper gegen Erythrozyten (Kältehämagglutinine). In rund 1% der Fälle entwickelt sich eine autoimmunhämolytische Anämie, die erst im Laufe von ein, zwei Monaten nachlässt. Bei immungeschwächten Patienten kann es aufgrund der EBV-Replikation im Plattenepithel der Zunge zu einer „Haarzunge“ kommen.
Abb. 18.7 Atypischer Lymphozyt als Kennzeichen einer Epstein-Barr- Virus-Infektion.
In einem kleinen Anteil der B-Lymphozyten bleibt EBV latent erhalten Um sich der Immunabwehr entziehen zu können, ist das EBV gut gerüstet (s. Kap. 16). Es ist gegen Komplement und Interferon resistent und kann die Wirkung des wirtseigenen IL-10 (ein wichtiges immunregulatorisches Zytokin) durch ein gefälschtes, selbst produziertes IL-10 abschwächen. EBV verhindert auch die Apoptose (Zytolyse) infizierter Zellen. Mit einer klugen Strategie ist es dem Virus gelungen, sich auf Dauer im Immunsystem niederzulassen. In einem kleinen Prozentsatz der B-Lymphozyten liegt die EBV-DNA in episomaler Form vor und einzelne Kopien können ins Genom der Zellen integriert sein. Eine Immunschwäche im späteren Leben kann zur Reaktivierung der Infektion führen, so dass EBV wieder im Speichel auftaucht, ohne klinische Symptome zu verursachen; das betrifft z.B. über 50% der Patienten nach einer Nierentransplantation.
Die Labordiagnostik einer infektiösen Mononukleose sollte den Nachweis von Viruskapsidantigen-IgM beinhalten 413
Klinisch lässt sich die infektiöse Mononukleose anhand der typischen Symptome und des Rachenbefunds diagnostizieren. Zur Labordiagnostik gehören: ■ Blutausstrich zum Nachweis atypischer Lymphozyten (bis zu 30% der kernhaltigen Zellen); da mehrere Virusinfektionen mit atypischer Lymphozytose einhergehen, ist dies nicht EBV-spezifisch. ■ „Monospot“-Test zum Nachweis heterophiler Antikörper gegen Pferde- (oder Schafs-) Erythrozyten. Sie sind in 90% der Fälle vorhanden, selten bei Kindern. Während der Genesung sinken die Antikörpertiter; nach sechs Monaten sind sie verschwunden und die durchgemachte Infektion nicht mehr nachweisbar. ■ Nachweis EBV-spezifischer Antikörper: VCA-IgM als Indikator einer akuten Infektion, VCA-IgG und EBNA-IgG als Marker nach vorangegangener Exposition. ■ DNA-Hybridisierung oder Polymerasekettenreaktion zum Nachweis von EBV-DNA.
Eine Behandlung ist nur begrenzt möglich Obwohl sich Aciclovir in hohen Dosen in vitro als wirksam erwies, war bislang klinisch kein antivirales Mittel bei EBV-Infektion von Nutzen. Ein Impfstoff ist noch nicht zugelassen, doch Zubereitungen aus verschiedenen Glykoproteinen der Virushülle wurden an Tieren getestet.
414
Mit EBV assoziierte Tumoren EBV ist eng mit dem Burkitt-Lymphom bei afrikanischen Kindern assoziiert Da sich das Burkitt-Lymphom (Abb. 18.8) praktisch nur auf Gebiete in Afrika und Papua-Neuguinea beschränkt, kommt eine EBV-Infektion nicht als alleinige Ursache in Betracht. Das wahrscheinlichste Kokarzinogen dürfte Malaria sein, denn sie schränkt die Wirkung der T-Zellen (Kontrolle der EBV-Infektion) ein. Vielleicht führt Malaria auch zu einer polyklonalen Aktivierung von B-Zellen, deren erhöhte Umsatz-/Turnover-Rate sie anfälliger für eine neoplastische Transformation machen könnte.
Abb. 18.8 Afrikanisches Kind mit Burkitt-Lymphom. Betroffen sind Auge und Oberkiefer.
(mit freundlicher Genehmigung von D.H. Wright).
Bei Immundefekten ist EBV eng mit anderen B-ZellLymphomen assoziiert Wenn eine EBV-Infektion zum ersten Mal nach einer Organtransplantation auftritt, entwickeln sich bei 1–10% der Empfänger B-Zell-Lymphome (besonders bei Kindern). In den Tumorzellen sind EBV-DNA- und RNA-Transkripte vorhanden, oft liegt auch eine Translokation des c-myc-Onkogens von Chromosom 8 415
auf Chromosom 14 vor (Genlokus der Schwerketten von Immunglobulinen; s. Kap. 17).
EBV ist eng mit dem Nasopharynxkarzinom assoziiert In China und Südostasien ist das Nasopharynxkarzinom weit verbreitet. In den Tumorzellen lässt sich EBV-DNA nachweisen, und wahrscheinlich spielt auch hier ein Kokarzinogen (Nitrosamine aus konserviertem Fisch?) eine Rolle. Genetische Wirtsfaktoren (Kontrolle der humanen Leukozytenantigene, HLA) und Immunreaktionen könnten eine erhöhte Anfälligkeit für ein Nasopharynxkarzinom bewirken.
18.2.3
Bakterielle Infektionen
Eine Pharyngitis können u.a. folgende Bakterien hervorrufen: ■ Streptococcus pyogenes (β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A, Abb. 18.9) ist der häufigste und diagnostisch wichtigste Erreger, weil er zu Komplikationen (s. unten) führen kann, sich aber gut mit Penicillin behandeln lässt. ■
Corynebacterium diphtheriae
■ Haemophilus influenzae (Typ B) kann gelegentlich eine schwere Epiglottitis mit Atemwegsobstruktion verursachen, vor allem bei Kleinkindern. ■ Borrelia vincentii (meist zusammen mit bestimmten fusiformen Bakterien, die Rachen- oder Zahnfleischulzera hervorrufen) ■
Neisseria gonorrhoeae.
416
Abb. 18.9 : Tonsillitis durch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes).
Stark gerötete Mandeln mit weißlich gelbem Belag (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes). Alle genannten Bakterien halten sich gut auf Schleimhautoberflächen und dringen manchmal ins lokale Gewebe ein.
Komplikationen einer Streptococcus-pyogenesInfektion Tonsillitis, Scharlach, rheumatisches Fieber, rheumatische Herzerkrankung und Glomerulonephritis zählen zu den Komplikationen einer S.-pyogenes-Infektion Diese Komplikationen sind zwar dank der besseren medizinischen Versorgung (und vielleicht auch geringeren Kontaktmöglichkeiten zu Streptokokken) in höher entwickelten Ländern selten geworden, aber immer noch wichtig genug, um hier einzeln aufgeführt zu werden: ■ Peritonsillärer Abszess (eitrige Tonsillitis): kann in seltenen Fällen Komplikation einer unbehandelten (Streptokokken-)Rachenentzündung sein. ■ Otitis media, Sinusitis, Mastoiditis (s. unten): bei lokaler Ausbreitung von S. pyogenes ■ Scharlach. Bestimmte Stämme von S. pyogenes produzieren ein erythrogenes Toxin, das von lysogenen Phagen kodiert wird. Wenn es sich nach Ausbreitung im Körper in der Haut niederschlägt, tritt der punktförmige, erythematöse Scharlachausschlag auf (Abb. 18.10). Die Zunge ist anfangs belegt und wird 417
später ganz rot. Der Ausschlag beginnt als Rötung/Erythem im Gesicht und breitet sich über den ganzen Körper aus – ausgespart bleiben nur Handteller und Fußsohlen. Im geröteten Gesicht bildet sich zirkumoral ein blasses „Scharlachdreieck“. Innerhalb einer Woche blasst der Ausschlag ab, danach schält sich die Haut (starke Desquamation). Die Hautläsionen selbst sind nicht besonders schlimm, aber Ausdruck einer Infektion durch potenziell schädliche Streptokokken. Vor der Antibiotika-Ära kam es bei systemischer Ausbreitung der Erreger zu Zellulitis und Septikämie. ■ Rheumatisches Fieber – eine indirekte Komplikation. Antikörper gegen die Streptokokkenzellwand kreuzreagieren mit Proteinen des Herzmuskels und anderen Geweben. Im Herzen werden Granulome gebildet (Aschoff-Knoten) und ca. 2–4 Wochen nach den Halsbeschwerden entwickeln die Patienten (meistens Kinder) eine Myo- oder Perikarditis. Diese kann gemeinsam mit subkutanen Knötchen, Polyarthritis und selten einer Chorea auftreten. Chorea ist eine Erkrankung des ZNS, die durch die Reaktion von Anti-Streptokokken-Antikörpern mit Neuronen verursacht wird. ■ Rheumatische Herzerkrankung. Wiederholte Infektionen durch verschiedene M-Typen von S. pyogenes (s. Anhang) können die Herzklappen schädigen. Manche Kinder sind auch genetisch zu dieser Immunkrankheit veranlagt. Wenn der Anti-Streptolysin-O(ASO)-Antikörpertiter (s. Anhang) schon bei der ersten Attacke ansteigt oder erhöht ist, muss während der gesamten Kindheit eine Penicillin-Prophylaxe durchgeführt werden, um weitere Infektionen zu verhindern. In vielen Entwicklungsländern stellt die rheumatische Herzerkrankung die häufigste Form der Kardiomyopathie dar. ■ Akute Glomerulonephritis. Wenn sich Antikörper gegen bestimmte Streptokokkenbestandteile mit den Antigenen zu zirkulierenden Immunkomplexen verbunden haben und (evtl. zusammen mit Autoantikörpern gegen glomeruläre Bestandteile) in den Glomeruli ablagern, werden Komplementund Gerinnungssystem aktiviert und es kommt zu einer lokalen Entzündung. 1–2 Wochen nach der Halsentzündung sind im Urin Erythrozyten und Protein nachweisbar, als Zeichen eines akuten nephritischen Syndroms treten Ödeme und Hypertonie auf. Meist sind auch die ASO-Antikörpertiter erhöht. Da aber nur 4 oder 5 der insgesamt 65 M-Typen von Str. pyogenes die pathogenen Veränderungen bewirken und eine wiederholte Infektion mit diesen „nephritogenen“ Typen eher unwahrscheinlich ist, wird keine Penicillinprophylaxe angewandt. Im Unterschied zum rheumatischen Fieber kommen Zweitinfektionen nur selten vor.
418
Abb. 18.10 Scharlach.
a) 2–3 Wochen nach dem punktförmigen Hauterythem schält sich die Haut; b) die anfangs belegte Zunge wird zur „Erdbeer-“ oder „Himbeerzunge“ und wirkt mit den hervortretenden Papillen wie roh (mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar).
18.2.4
Diagnose
Zur Diagnose einer Pharyngitis oder Tonsillitis sind im Allgemeinen keine Laboruntersuchungen notwendig Da viele Viren als Auslöser einer Pharyngitis oder Tonsillitis in Frage kommen und das Krankheitsbild im Allgemeinen nicht sehr schwer ist, wird keine Laboruntersuchung zu Hilfe gezogen. EBV- und CMV-Infektionen lassen sich anhand der Lymphozytose und atypischer Lymphozyten diagnostizieren. Um beide Infektionen voneinander abzugrenzen, kann man mit dem Paul-Bunnell- oder „Monospot“-Test heterophile Antikörper und VCA-IgM nachweisen (bei EBVInfektion), während eine CMV-Infektion durch den Nachweis von CMV-IgM bestätigt wird. HSV ließe sich leicht im Labor isolieren, doch gewöhnlich ergibt sich bereits klinisch die richtige Diagnose. Zur Identifizierung von Bakterien wird eine Kultur der Rachenabstriche angelegt (s. Kap. 32). Besonders wichtig ist die Diagnose einer S.-pyogenes-Infektion, zum einen wegen der oben genannten Komplikationen, zum anderen aber auch, weil sie noch immer auf Penicillin anspricht (im Unterschied zu S. pneumoniae). Ein Latexantigentest würde zwar eine rasche Diagnose direkt aus dem Rachenabstrich 419
ermöglichen, ist aber noch nicht allgemein verbreitet; daher bleiben Bakterienkulturen weiterhin Standard. Streptokokken entwickeln zunehmend eine Resistenz gegen Erythromycin und Tetracyclin.
18.3
Parotitis
Das Mumpsvirus befällt Speicheldrüsen und breitet sich durch engen Kontakt aus Von diesem Einzelstrang-RNA-Paramyxovirus gibt es nur einen Serotyp. Es verbreitet sich durch Tröpfchen in der Luft, über Speichel und möglicherweise auch über Urin. Für die Ansteckung ist enger Kontakt erforderlich – wie in der Schule (Altersgipfel bei 5–14 Jahren) oder in größeren Menschenansammlungen (Gefängnisse, Kasernen, Schiffe). Nach der ersten Replikation im Epithel der oberen Atemwege oder des Auges breitet sich das Virus systemisch im Körper aus. Es durchläuft eine längere Wachstumsperiode in Zellen des Lymphgewebes (Lymphozyten und Monozyten) sowie retikuloendothelialen Zellen und kehrt nach etwa 7–10 Tagen zurück ins Blut. Es siedelt sich in Speichel- und anderen Drüsen an, kann aber auch ZNS, Hoden, Pankreas oder Ovar befallen (Abb. 18.11). Durch Degeneration infizierter Zellen in den Drüsenausführungsgängen entwickelt sich eine Entzündung (mit Lymphozyteninfiltraten, oft auch Ödembildung), die schließlich nach einer Inkubationszeit von 18–21 Tagen in das Mumps-Krankheitsbild übergeht.
420
Abb. 18.11
Mumps-Pathogenese.
Aus der Entwicklung der Infektion lassen sich Krankheitsbild, Ausbreitung und Komplikationen besser verstehen; über die Abläufe in der ersten Infektionswoche weiß man aber noch wenig. Nach einer Prodromalphase von 1–2 Tagen mit allgemeinem Krankheitsgefühl und Appetitverlust schwillt die Glandula parotis an und wird schmerz- und druckempfindlich. Manchmal ist auch die Glandula submandibularis beteiligt (Abb. 18.12). Diese klassischen Mumpssymptome sind allerdings nur in 30–40% der Fälle vorhanden. Da auch andere Körpergewebe betroffen sein können, führt z.B. die Entzündung von Hoden oder Pankreas zur Orchitis bzw. Pankreatitis (Tab. 18.7). Nachdem antikörperund zellvermittelte Immunreaktionen in Erscheinung getreten sind, erholen sich die meisten Patienten innerhalb einer Woche und sind danach ihr Leben lang immun gegen eine erneute Mumpsinfektion.
421
Mumps wird anhand der Parotitis diagnostiziert Die Labordiagnostik umfasst: ■ Virusisolierung aus Zellkulturen oder Nachweis der Virus-RNA in Speichel, Liquor cerebrospinalis oder Urin; ■
Nachweis mumpsspezifischer IgM-Antikörper.
18.3.1
Behandlung und Prävention
Es gibt zwar keine spezifische Behandlung für Mumps, doch ein abgeschwächter (attenuierter) Lebendimpfstoff ist ein sicheres und wirksames Mittel zur Prävention. Meist wird eine Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln durchgeführt (MMR-Impfstoff). Als in Großbritannien über Fälle von Autismus und Darmerkrankungen nach der Impfung berichtet wurde, wurde der Impfstoff kontrovers diskutiert. Doch in einer Reihe epidemiologischer Studien wurde der vermutete Zusammenhang nicht bestätigt.
18.4
Otitis und Sinusitis
Zahlreiche Virus- und einige bakterielle Sekundärinfektionen kommen als Ursache von Ohrenund Nebenhöhlenentzündungen in Frage In die luftgefüllten Räume des oberen Respirationstrakts (Nasennebenhöhlen, Mittelohr, Mastoid) können Viren eindringen. Das Mumps- oder Respiratory-Syncytial-Virus (RSV) kann z.B. zu einer Entzündung des N. vestibularis oder einer – im Allgemeinen vorübergehenden – Taubheit führen.
Abb. 18.12 Kind mit Mumps und vergrößerter Glandula submandibularis.
(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
422
Tab. 18.7 Mumps-Pathogenese: klinische Folgen der Gewebeinvasion durch das Virus Zum Spektrum der sekundären Invasoren zählen dieselben Bakterien wie bei oberen Atemwegsinfektionen (neben S. pneumoniae und H. influenzae gelegentlich Anaerobier wie Bacteroides fragilis). Wichtigste Komplikation ist ein Hirnabszess (s. Kap. 24). Kommt es aufgrund einer allergischen Schleimhautschwellung zur Verlegung der Ohrtrompete (Tuba auditoria [Eustachii]) oder der Nebenhöhlenöffnungen – und damit zur Störung der mukoziliaren Clearance –, trägt die lokale Anhäufung entzündlichbakterieller Produkte noch weiter zur Schwellung und Verlegung bei.
423
18.4.1
Akute Mittelohrentzündung (Otitis media)
Viren, Streptococcus pneumoniae und H. influenzae sind die häufigsten Auslöser Dass eine akute Otitis media besonders häufig bei Säuglingen und Kleinkindern vorkommt, liegt zum Teil daran, dass die Tuba auditoria (Eustachii) in dem Alter noch weit geöffnet ist. Eine Bostoner Studie zeigte, dass 83% der dreijährigen Kinder schon mindestens einmal eine akute Mittelohrentzündung und 46% bereits drei oder mehr Episoden seit der Geburt hatten. In mindestens 50% der Fälle sind Viren (vor allem RSV) die Ursache oder Bakterien aus dem Nasen-Rachen-Raum (am häufigsten S. pneumoniae oder H. influenzae, gelegentlich auch S. pyogenes oder Staphylococcus aureus). An eine akute Otitis media sollte bei Kindern auch gedacht werden, wenn unspezifische Allgemeinsymptome wie unerklärliches Fieber, Durchfall oder Erbrechen auftreten. Im Spätstadium ist bei der Ohrspiegelung eine Gefäßdilatation und Vorwölbung des Trommelfells zu sehen (Abb. 18.13). Trotz Therapie staut sich oft wochen- oder monatelang klebrige Flüssigkeit im Mittelohr, die bei Säuglingen und Kleinkindern zu Hörschäden und Lernschwierigkeiten beitragen kann. Wenn eine akute Entzündung nicht ausreichend behandelt wird, droht eine chronische Infektion, bei der sich über das perforierte Trommelfell chronisch Sekret/Eiter entleert und das Hörvermögen stark eingeschränkt ist (chronisch suppurative/purulente Otitis media).
Abb. 18.13 Vorgewölbtes Trommelfell bei akuter Mittelohrentzündung (Otitis media acuta).
18.4.2
Otitis externa
424
Staphylococcus aureus, Candida albicans und Gram-negative, opportunistische Bakterien sind die häufigsten Auslöser Auch Infektionen des äußeren Ohres können Reizungen und Schmerzen hervorrufen und müssen von einer Otitis media abgegrenzt werden. Im Unterschied zum Mittelohr hat der äußere Gehörgang eine ähnliche Flora wie die Haut (Staphylokokken, Corynebakterien und in geringerem Umfang Propionibakterien). Daher finden sich bei einer Otitis externa nur selten die typischen Erreger einer Otitis media. Die feuchtwarme Umgebung begünstigt das Wachstum von S. aureus, Candida albicans oder Gram-negativen opportunistischen Bakterien wie Proteus spp. und Pseudomonas aeruginosa. Polymyxin oder andere Antibiotika enthaltende Ohrentropfen eignen sich meist zur Behandlung.
18.4.3
Akute Nebenhöhlenentzündung (Sinusitis)
Ätiologie und Pathogenese der akuten Sinusitis sind ähnlich wie bei der Otitis media. Klinische Zeichen sind Fazialisschmerzen und lokale Druckempfindlichkeit. Man könnte die bakterielle Ursache zwar mikroskopisch aus der Kultur (durch Aspiration von Eiter aus der betroffenen Nebenhöhle) feststellen, doch eine Punktion wird nur selten durchgeführt. Hinzu kommt, dass die Patienten wie im Fall einer Otitis media auch empirisch (mit Ampicillin oder Amoxycillin) behandelt werden können bzw. mit einem der neueren oralen Cephalosporine (wie Cefixim), die gegen Betalaktamasebildende Erreger wirksam sind.
18.5
Akute Epiglottitis
Eine akute Epiglottitis ist im Allgemeinen durch Infektion mit H. influenzae (Kapseltyp B) bedingt Eine akute Epiglottitis tritt besonders häufig bei Kleinkindern auf. Aus unbekannten Gründen greift der Kapseltyp B von H. influenzae aus dem Nasopharynx auf die Epiglottis über und verursacht eine schwere Entzündung mit Ödembildung. Sie geht gewöhnlich mit einer Bakteriämie einher.
425
Die akute Epiglottitis ist ein Notfall und erfordert sofortige Intubation und Antibiotikatherapie! Kennzeichnend für eine akute Epiglottitis sind Atemschwierigkeiten infolge der Atemwegsobstruktion. Solange die Atemwege noch nicht (durch Intubation) stabilisiert wurden, darf die Untersuchung nur mit äußerster Vorsicht erfolgen, weil ein vollständiger Verschluss provoziert würde, wenn die geschwollene Epiglottis in die ödematöse Luftröhre gerät. Die Behandlung muss unverzüglich mit Antibiotika, die gegen H. influenzae wirksam sind (z.B. Cefotaxim), beginnen. Durch Erregerisolierung aus dem Blut und evtl. aus einem Abstrich der Epiglottis lässt sich die klinische Diagnose sichern. Seit der Einführung des H.-influenzae-Typ-B-Impfstoffs (Hib-Impfung) hat sich die Häufigkeit der akuten Epiglottitis und anderer H.-influenzae-Infektionen deutlich verringert. Bei einer Atemwegsobstruktion durch Diphtherie (s. unten) kann die Uvula beteiligt sein, wenn sich die typische Pseudomembranbildung und lokale Schwellung vom Pharynx bis dorthin erstreckt.
18.6
Mundhöhleninfektionen
Speichel wirkt durch verschiedene Substanzen antibakteriell und spült den Mund Obwohl die Mundhöhle direkt mit dem Pharynx verbunden ist, wird sie hier getrennt behandelt, weil sich durch die Zähne, die sich in ihr befinden, besondere mikrobiologische Problemstellungen ergeben können. Die normale Mundflora besteht aus kommensalen Keimen, die sich vereinzelt weitgehend auf den Mund beschränken (Tab. 18.1). Die meisten können sich dank spezifischer Haftmechanismen auf Zähnen und Schleimhaut halten und in den Speichel übertreten, sobald sie sich vermehren. Täglich sondern Speicheldrüsen etwa einen Liter Speichel ab, der den Mund (mechanisch) spült. Im Speichel sind aber auch sekretorische Antikörper, polymorphkernige Leukozyten, abgeschilferte Schleimhautzellen und antibakterielle Substanzen wie Lysozym und Laktoperoxidase enthalten. Wenn der Speichelfluss (z.B. zwischen den Mahlzeiten) nur für ein paar Stunden nachlässt, vervierfacht sich die Zahl der Bakterien im Speichel. Bei dehydrierten oder schwer kranken Patienten (Typhus, Pneumonie) kann die bakterielle Überwucherung zu Mundfäule führen.
426
18.6.1
Orale Candidiasis
Veränderungen in der Mundflora durch Breitspektrumantibiotika oder eine geschwächte Immunlage prädisponieren zu Mundsoor Die kommensalen Keime im Mund verhindern die Ausbreitung von eindringenden Erregern. Wenn sich die Mundflora verändert, kippt das Gleichgewicht. Nach längerer Einnahme von Breitspektrumantibiotika können normalerweise harmlose Sprosspilze wie Candida albicans überhand nehmen, mit Pseudomyzelien ins Epithel eindringen und Soor verursachen. Mundsoor (orale Candidiasis, Abb. 18.14) kann sich auch bei eingeschränkter Immunabwehr (z.B. durch HIV-Infektion, maligne Tumoren, gelegentlich bei Neugeborenen oder älteren Menschen) entwickeln. Manchmal dehnt sich eine orale Candidiasis bis zum Ösophagus aus. Gesichert wird die Diagnose durch Gram-Färbung und Kultivierung von Abstrich-/Probenmaterial (große, Gram-positive Sprosspilze). Unter Berücksichtigung prädisponierender Faktoren sind Antimykotika wie Nystatin oder Clotrimazol (zur topischen Anwendung) und Fluconazol (orale Gabe) wirksame Mittel zur Behandlung (s. Kap. 33). Ein anderes Beispiel für den fließenden Übergang zwischen harmloser Koexistenz residenter Keime und Gewebeinvasion zeigt sich bei Vitamin-C-Mangel: Er verringert die Resistenz der Schleimhaut und ermöglicht so eine Zahnfleischinfektion (Gingivitis) durch Keime der Normalflora.
Abb. 18.14 Orale Candidiasis.
(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
18.6.2
Karies
427
Bei 80–90% der Menschen in den USA und Westeuropa ist die Mundhöhle mit Streptococcus mutans, dem Auslöser der Zahnkaries, besiedelt Speziell an das Leben im Zahnbereich angepasste Mikroorganismen bilden einen Film auf der Zahnoberfläche (sog. Plaque). In dieser komplexen Masse sind 109 Bakterien pro Gramm in eine Polysaccharid-Grundsubstanz eingebettet (Abb. 18.15). Roter Farbstoff wie Erythrocin kann (im Mund gekaut) den Zahnfilm sichtbar machen. Auch wenn sich Plaque durch gründliches Zähneputzen weitgehend beseitigen lässt, bildet sie sich innerhalb weniger Stunden wieder neu. Zuerst werden die gereinigten Zähne von Glykoproteinen aus dem Speichel überzogen, an die sich dann Streptokokken (besonders S. mutans und S. sobrinus) heften und vermehren. In den USA und Westeuropa ist z.B. bei 80–90% der Menschen die Mundhöhle mit S. mutans besiedelt. Zwischen den Streptokokken bildet sich eine Grundsubstanz aus Glucanen (von S. mutans aus Zucker synthetisierte klebrige, hochmolekulare Polysaccharide). Auch andere Bakterien, darunter anaerobe filamentöse Fusobakterien und Aktinomyzeten, sind in der Plaque vorhanden. Werden die Zähne mehrere Tage lang nicht geputzt, verdickt sich die Plaque und dehnt sich immer weiter aus. Plaquebakterien wandeln Nahrungszucker in Milchsäure um, die eine lokale Entkalkung der Zähne bewirkt. Durch proteolytische Enzyme der Bakterien werden noch andere Bestandteile des Zahnschmelzes abgebaut, bis er am Ende ein schmerzhaftes Loch (Karies) aufweist. Die Infektion kann sich weiter auf die Zahnpulpa ausbreiten, einen Pulpa- oder Wurzelabszess hervorrufen und schließlich auf den Ober- oder Unterkieferknochen übergreifen.
Bei aktiver Karies kann der pH-Wert unter 4,0 sinken Wenn entsprechende Plaquebakterien (S. mutans) vorhanden sind und regelmäßig Zucker zugeführt wird, entwickelt sich Karies – bevorzugt in Zahnzwischenräumen. Völlig zu Recht ist Karies als Infektionskrankheit anzusehen – in den höher entwickelten Ländern zählt sie sogar zu den häufigsten Infektionskrankheiten überhaupt (begünstigt durch engen Zahnschluss, zuckerreiche Ernährung und häufige Fluorid-Unterversorgung).
428
Abb. 18.15 Zahn eines Kindes mit tief reichender Plaquebildung.
20000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von H.N. Newman)
18.6.3
Parodontalerkrankungen
An Parodontopathien sind meist Actinomyces viscosus, Actinobacillus- und Bacteroides-Spezies beteiligt Zwischen Zahnrand und Zahnfleisch bilden sich leicht Spalten, in denen sich Flüssigkeit sammelt, die sich wie eine stagnierende Masse im Mund auswirken kann. In ihr sind polymorphkernige Leukozyten, Komplement, IgG- und IgM-Antikörper enthalten und sie ist anfällig für Infektionen. Unter den durchschnittlich 2,7 ×1011 Keimen/g in Zahnfleischspalten befinden sich normalerweise 75% Anaerobier. Am häufigsten sind Actinomyces viscosus, Actinobacillus- und Bacteroides-Spezies vertreten. Wenn sich die Spalten bei Parodontalerkrankung vergrößern und entzünden, bilden sich Taschen (mit Zunahme der polymorphkernigen Leukozyten und serösem Exsudat). Das entzündete Zahnfleisch blutet leicht. Später weicht es zurück. Die Bakterienvermehrung führt zu Mundgeruch (Halitosis). Schließlich sind auch noch die Haltestrukturen betroffen, durch Resorption der Zahnbänder und Knochenschwund lockern sich die Zähne. Parodontopathien mit Gingivitis sind nahezu universell verbreitet, wenn auch von unterschiedlicher Schwere, und Hauptursache des Zahnausfalls bei Erwachsenen.
429
18.7
Laryngitis und Tracheitis
Parainfluenzaviren sind die häufigste Ursache einer Laryngitis Infektionen der oberen Atemwege können sich nach unten verlagern und Kehlkopf (Larynx) oder Luftröhre (Trachea) mit einbeziehen. Gewöhnlich sind Parainfluenzaviren die Ursache, gelegentlich auch RSV, Influenza- oder Adenoviren. Bei Diphtherie sind Larynx oder Trachea ebenfalls hin und wieder beteiligt. Bei Erwachsenen äußert sich eine Infektion von Larynx (Laryngitis) oder Trachea (Tracheitis) durch Heiserkeit und brennende Retrosternalschmerzen beim Ein- und Ausatmen. Wegen der starren Knorpelspangen in der Wand und der Enge von Larynx oder Trachea kann es bei Kindern leicht zur Obstruktion kommen. Ein Anschwellen der Schleimhaut kann zu Krupphusten führen, einem trockenen Husten mit inspiratorischem Stridor („Pfeifen“). Bei Atemschwierigkeiten kann eine stationäre Behandlung erforderlich sein. Streptokokken der Gruppe A, H. influenzae und S. aureus sind seltener Ursache einer Laryngitis und Tracheitis.
18.8
Diphtherie
Diphtherie entsteht durch toxinbildende Stämme von C. diphtheriae und kann zu einer lebensgefährlichen Atemwegsobstruktion führen Dank verbreiteter Verwendung von Toxoidimpfstoff zur Immunisierung (s. Kap. 34) ist die Diphtherie in den entwickelten Ländern selten geworden, aber in Entwicklungsländern noch immer recht häufig. Nicht-toxigene Stämme kommen zwar auch im Pharynx vor, doch zur Erkrankung führen nur Diphtheriebakterien, die ein extrazelluläres Toxin (Exotoxin; s. Kap. 2) produzieren. Sie können Rachen (besonders im Bereich der Tonsillen), Kehlkopf und Nase besiedeln, gelegentlich auch den Genitalbereich und die Haut (bei Menschen, die in tropischen Ländern oder ärmlichen Verhältnissen mit schlechter Hygiene leben). Die Adhäsionsmechanismen sind noch nicht geklärt, doch Diphtheriebakterien vermehren sich nur lokal, ohne in tiefere Gewebe einzudringen oder sich systemisch zu verbreiten. Ihr Toxin zerstört Epithelzellen und polymorphkernige Leukozyten. Es entsteht ein Ulkus, das von einem nekrotischen Exsudat überzogen ist. Diese Pseudomembran dunkelt bald nach, riecht ziemlich übel und blutet leicht, wenn man versucht, sie zu entfernen. Entzündung und Schwellung sind sehr ausgedehnt (Abb. 18.16). Manchmal vergrößern sich die Halslymphknoten so stark, dass sie an einen „Stiernacken“ erinnern. Die schwerste Form der Erkrankung ist eine nasopharyngeale Diphtherie. Wenn der Kehlkopf beteiligt ist, kann es zu einer lebensgefährlichen Atemwegsobstruktion kommen. Wenn sich die Infektion auf den vorderen Nasenbereich beschränkt, verläuft die Diphtherie milder, weil das Toxin an der Stelle schlechter resorbiert wird und eine 430
laufende Nase (Sekret) das stärkste Symptom sein kann. Doch diese Patienten sind hoch ansteckend.
Diphtherietoxin kann tödliches Herzversagen und Polyneuritis verursachen Diphtherietoxin (s. Kasten und Abb. 18.17) wird in Lymphe und Blut aufgenommen und kann unterschiedliche Auswirkungen haben: ■
geschwächter Allgemeinzustand: Fieber, Blässe, Erschöpfung
■ Myokarditis, meist innerhalb der ersten beiden Wochen: häufig EKGAbweichungen, evtl. Herzversagen; ohne tödlichen Ausgang vollständige Ausheilung. ■ Polyneuritis: nach Ausbruch der Erkrankung aufgrund der Demyelinisierung. Ist z.B. der 9. Hirnnerv betroffen, kommt es zur Gaumenlähmung (weicher Gaumen) und Regurgitation von Flüssigkeiten.
Abb. 18.16
Rachendiphtherie.
Typische „Pseudomembran“ und lokale Entzündung bei einem Kind mit Diphtherie (mit freundlicher Genehmigung von Norman Begg).
431
Abb. 18.17
Wirkmechanismen des Diphtherietoxins.
ADP = Adenosindiphosphat, EF-2 = Elongationsfaktor 2
Geschichte der Mikrobiologie Diphtherietoxin Die Produktion des Toxins ist auf Genen von temperenten Bakteriophagen verschlüsselt. Diese werden während der lysogenen Phase ins Bakterienchromosom integriert. Diphtherietoxin wird als einzelnes Polypeptid (Molekulargewicht von 62000 und 535 Aminosäuren) synthetisiert und besteht aus: ■ einem B(Bindungs)-Fragment am carboxy-terminalen Ende, mit dem sich das Toxin an Wirtszellen (oder beliebige eukaryote Zellen) heftet; ■ einem A-Fragment (aktive Komponente) am amino-terminalen Ende als eigentlich toxisch wirkendem Teil. Das A-Fragment entsteht nur, wenn das Toxin nach der Aufnahme in Zellen durch Proteasen gespalten und seine Disulfidbrücken reduziert wurden. Es kann den Elongationsfaktor 2 (EF-2) durch Adenosindiphosphat(ADP)-Ribosylierung inaktivieren, d.h. die Proteinsynthese hemmen (Abb. 18.17). Da an der prokaryotischen und mitochondrialen Proteinsynthese ein anderer EF beteiligt ist, sind sie nicht betroffen. Ein einzelnes Bakterium kann bis zu 5000 Toxinmoleküle pro Stunde produzieren. Das toxische A-Fragment ist so stabil, dass ein einzelnes Molekül
432
ausreicht, um die infizierte Zelle abzutöten. Aus unbekannten Gründen sind besonders Myokard- und periphere Nervenzellen empfindlich gegenüber Diphtherietoxin.
Diphtherie muss unverzüglich mit Antitoxin und Antibiotika behandelt werden Diphtherie ist eine lebensbedrohliche Erkrankung und die klinische Diagnose daher umgehend zu stellen. Bei Verdacht auf Diphtherie müssen die Patienten isoliert werden, um das Risiko einer Ausbreitung toxigener Erreger auf andere zu mindern. Danach wird sofort mit der Antitoxin-Behandlung begonnen. Da Diphtherie-Antitoxin aus Pferdeserum gewonnen wird, sollte ein Hypersensitivitätstest durchgeführt werden. Als ergänzende Therapie wird Erythromycin oder Penicillin verabreicht. Bei Kehlkopfdiphtherie kann eine Tracheotomie erforderlich sein. Die Diagnose lässt sich durch Laboruntersuchungen (Erregerisolierung und identifizierung, s. Anhang und Kap. 32) und den Nachweis der Toxinproduktion (GelDiffusions-Immun-Präzipitationsreaktion, Elek-Test) sichern.
Auch Kontaktpersonen müssen behandelt werden (Chemoprophylaxe oder Impfung) Kontaktpersonen von Diphtheriepatienten sollten getestet werden, ob sie Träger eines toxigenen C.-diphtheriae-Stammes sind; bei Bedarf muss eine Chemoprophylaxe oder Immunisierung (Impfung) durchgeführt werden. Auch asymptomatische Rekonvaleszenten oder scheinbar Gesunde können noch Träger bzw. Überträger toxigener Bakterien sein.
Diphtherie lässt sich durch Schutzimpfung verhindern Seitdem Kinder in den entwickelten Ländern gegen Diphtherie geimpft werden (mit einem sicheren und wirksamen Toxoidimpfstoff, s. Kap. 34), ist sie dort fast verschwunden. Allerdings tritt sie bei zu nachlässigem Impfverhalten schnell wieder auf. 1990 brach in der Russischen Föderation eine Epidemie aus und weitete sich bis 1994 auf alle 15 GUS-Mitgliedsstaaten aus. Weltweit zählt man noch immer 100000 Neuerkrankungen und bis zu 8000 Todesfälle pro Jahr.
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Zusammenfassung ■ Da der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen ein Kontinuum darstellt, können Erreger gleich in mehreren Abschnitten Krankheiten auslösen. ■ Einige Atemwegsinfektionen (Grippe/Influenza, Diphtherie, Keuchhusten/Pertussis) bleiben auf das Oberflächenepithel beschränkt, während sich andere (z.B. durch Masern-, Röteln-, Mumpsvirus, CMV, EBV) im ganzen Körper ausbreiten. ■ „Professionelle“ Erreger (wie Erkältungs-, Influenzaviren, Mumpsvirus, CMV, EBV, M. tuberculosis) können den gesunden Respirationstrakt infizieren, während eine Erkrankung durch „sekundäre“ Infektionsauslöser (z.B. Staphylococcus aureus, Pneumocystis jiroveci, Pseudomonaden) erst nach Schwächung der Wirtsabwehr möglich wird. ■ Erkrankungen der Zähne und benachbarter Strukturen (Karies, Parodontitis) sind häufig bakteriell bedingt. ■ Diphtherie ist eine lebensgefährliche Erkrankung durch ein biochemisch definiertes Bakterientoxin, lässt sich aber durch eine Schutzimpfung verhindern.
FRAGEN In der Ambulanz der Intensivstation wird ein 18 Monate altes Mädchen vorgestellt, das in den frühen Morgenstunden schreiend und mit Fieber aufgewacht war und sich von den Eltern nicht beruhigen lieβ. Seit drei Tagen hatte es eine Erkältung mit Schnupfen. Bei der Untersuchung des erhitzten, reizbaren Mädchens sind beide Trommelfelle hellrot und vorgewölbt. 1 Wie lautet die Diagnose? 2 Welche Erreger kommen am ehesten als Auslöser in Betracht? 3 Wie würden Sie das Kind behandeln? 4 Mit welchen Komplikationen ist zu rechnen?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Adam, D., Doerr, H.W., Link, H., Lode, H.: Die Infektiologie. Springer Verlag, 2004. Efstratiou, A., George, R.C.: Microbiology and epidemiology of diphtheria. Rev. Med. Microbiol. 7 (1996) 31–42. Fischetti, V.A.: Streptococcal M protein: molecular design and biological behavior. Clin. Microb. Rev. 2 (1989) 285–314. Henderson, F.W., Collier, A.M., Sanyal, M.A. et al.: A longitudinal study of respiratory viruses and bacteria in the etiology of acute otitis media with effusion. N. Engl. J. Med. 366 (1982) 1377–1383. McMillan, J.A., Sandstrom, C., Weiner, L.B. et al.: Viral and bacterial organisms associated with acute pharyngitis in a school-aged population. J. Paediatr. 109 (1986) 747–752. Shaw, J.H.: Causes and control of dental caries. N. Engl. J. Med. 317 (1987) 996.
434
19 Untere Atemwegsinfektionen 19.1
Akute Infektionen 233
19.1.1
Keuchhusten 233
19.1.2
Akute Bronchitis 234
19.1.3
Akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis 235
19.1.4
Bronchiolitis 235
19.1.5
Respiratory-Syncytial-Virus(RSV)-Infektionen 235
19.1.6
Pulmonalerkrankung durch Hantaviren 236
19.1.7
Pneumonie 237
19.2
Chronische Infektionen 249
19.2.1
Tuberkulose 249
19.2.2
Mykosen (Pilzinfektionen) 252
19.2.3
Zystische Fibrose (Mukoviszidose) 252
19.2.4
Lungenabszess 254
19.2.5
Pleuraerguss und Empyem 254
19.3
Parasitäre Infektionen 254
Zur Orientierung Obwohl der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen reicht und ein Kontinuum bildet, ist es sinnvoll, zwischen oberen und unteren Atemwegsinfektionen zu unterscheiden, selbst wenn einige Erreger an beiden ursächlich beteiligt sein können. Nach den oberen Atemwegsinfektionen (s. Kap. 18) folgen in diesem Kapitel Infektionen des unteren Respirationstrakts. Sie verlaufen oft schwerer, daher ist die Wahl der richtigen Therapie sehr wichtig und möglicherweise sogar lebensrettend.
435
Untere Atemwegsinfektionen lassen sich in akut und chronisch verlaufende unterteilen Zu den akuten Infektionen gehören vier wichtige Syndrome: ■ Akute Bronchitis ■ Akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis ■ Akute Bronchiolitis ■ Pneumonie Eine Sonderstellung nimmt die Grippe (Influenza) ein, die in schweren Fällen in eine Bronchitis oder Pneumonie übergehen kann. Als ernste und akute Infektion des unteren Respirationstrakts wird auch Keuchhusten in diesem Abschnitt behandelt. Im zweiten Teil des Kapitels geht es um chronische Infektionen: ■ Spezifische Krankheitsbilder wie Tuberkulose und Aspergillose ■ Lungenabszess und Empyem ■ Infektionen bei Patienten mit zystischer Fibrose (Mukoviszidose)
19.1
Akute Infektionen
19.1.1
Keuchhusten
Bordetella pertussis verursacht Keuchhusten Keuchhusten (Pertussis) ist eine schwere Kinderkrankheit. Der Erreger (Bordetella pertussis) ist ausschließlich human-pathogen und wird durch Tröpfcheninfektion übertragen. Auf dem Flimmerepithel der Atemwegsschleimhaut vermehren sich die Erreger zwar, dringen aber nicht in tiefere Strukturen ein. Wichtig für die spezifische Adhäsion am Atemwegsepithel sind bakterielle Oberflächenbestandteile wie filamentöses Hämagglutinin und Fimbrienagglutinogene.
436
Bei einer B.-pertussis-Infektion werden verschiedene Toxine gebildet Einige dieser Toxine rufen Entzündungen hervor, andere schädigen das Flimmerepithel. ■ Pertussistoxin besteht ähnlich wie Diphtherie- und andere Toxine (s. Kap. 17 und 18) aus zwei Untereinheiten. Aktiver Bestandteil (A-Einheit) ist eine Adenosindiphosphat(ADP)-Ribosyltransferase; sie katalysiert den Transfer von ADP-Ribose aus Nicotinamid-Adenin-Dinucleotiden (NAD) auf Zellproteine des Wirts. Das hat funktionelle Folgen, weil die Signalübertragung zu den befallenen Zellen unterbrochen wird. Das Toxin wirkt vermutlich zusätzlich direkt auf die Zelloberfläche. ■ Adenylatcyclase-Toxin ist ein Einzelpeptid, das in bestimmte Wirtszellen eindringen und einen unphysiologisch hohen Anstieg des zyklischen Adenosinmonophosphats (cAMP) auslösen kann. Dadurch werden z.B. wichtige Abwehrfunktionen von Neutrophilen gehemmt (Chemotaxis, Phagozytose, Abtötung von Bakterien). Adenylatcyclase-Toxin könnte auch für die hämolytischen Eigenschaften von B. pertussis verantwortlich sein. ■ Tracheales Zytotoxin wird aus dem Peptidoglykan der Zellwand von B. pertussis gebildet und zerstört gezielt Zellen des Trachealepithels (s. Kap. 2). ■ Pertussis-Endotoxin unterscheidet sich zwar von den klassischen Endotoxinen anderer Gram-negativer Bakterien, hat aber funktionelle Ähnlichkeit mit ihnen und könnte in der Pathogenese des Keuchhustens eine Rolle spielen. Kennzeichnend für eine B.-pertussis-Infektion sind Hustenanfälle (Paroxysmen), gefolgt von typischem Keuchen. Nach einer Inkubationszeit von 1–3 Wochen beginnt das katarrhalische Stadium der Erkrankung, das sich kaum von anderen (oberen) Atemwegsinfektionen unterscheidet. Etwa eine Woche später tritt trockener, unproduktiver Husten auf. Daraus entwickeln sich Hustenanfälle in Form einer Reihe kurzer Hustenstöße mit starker Schleimbildung. Auf ein typisches Keuchen folgt ein hörbares Einziehen der Luft beim Atmen. Ungeachtet der Schwere des Hustens bleiben die Symptome auf den Respirationstrakt beschränkt; es kann aber zu einem lobären oder segmentalen Lungenkollaps kommen (Abb. 19.1). Zu den Komplikationen gehören Anoxie (Unterversorgung des ZNS mit Sauerstoff), Erschöpfung und Sekundärpneumonie durch Invasion anderer Erreger in das vorgeschädigte Atemwegsepithel. Im Frühstadium von Keuchhusten ist das klinische Bild unspezifisch, so dass die richtige Diagnose oft erst aufgrund der Hustenattacken im Stadium convulsivum gestellt werden kann. Auf geeigneten Kulturmedien oder „Hustenplatten“ (s. Kap. 32 und Anhang) kann B. pertussis aus Rachenabstrichen isoliert werden. Es handelt sich jedoch um einen anspruchsvollen Erreger, der außerhalb der Wirtsumgebung nicht gut überleben kann.
437
Abb. 19.1 Bei Keuchhusten zeigt die ThoraxRöntgenaufnahme eine fleckige Verschattung der Lunge mit Kollaps des rechten Mittellappens.
(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes)
Keuchhusten wird supportiv und mit Erythromycin behandelt Die supportive Behandlung steht an erster Stelle. Gerade bei Säuglingen ist das Komplikationsrisiko sehr hoch, daher sollte man bei Kindern unter einem Jahr eine Krankenhauseinweisung in Erwägung ziehen. Wirksame antibakterielle Mittel müssen schleimhautgängig sein, damit sie den Infektionserreger hemmen oder zerstören zu können. Mittel der Wahl ist Erythromycin. Obwohl die Behandlung oft erst im konvulsiven Stadium begonnen wird (wenn sich anhand der Hustenanfälle die richtige Diagnose stellen lässt), scheint sie die Schwere und Krankheitsdauer günstig zu beeinflussen. Sowohl die Gefahr, dass die Infektion auf den Hals übergreift (und damit die Infektiosität der Patienten steigt), als auch das Risiko einer Sekundärinfektion werden durch die Behandlung verringert. Um die Ausbreitung der Infektion einzudämmen, empfiehlt sich für alle, die engen Kontakt zu akut Erkrankten hatten, eine Erythromycin-Prophylaxe.
Eine aktive Immunisierung (Schutzimpfung) kann Keuchhusten verhindern 438
Viele Jahre wurde eine Vollbakterienvakzine (Suspension abgetöteter B.-pertussisZellen) verwendet und meist als Kombinationsimpfung mit einer „Tripelvakzine“ (DPTImpfstoff, enthält auch noch gereinigte Diphtherie- und Tetanustoxoide) durchgeführt. Im Allgemeinen ist die Effektivität der Pertussisimpfung hoch, jedoch variabel. Außerdem machte man sich in den letzten Jahren vermehrt Sorgen um die Nebenwirkungen: ■ Bis zu 20% der Säuglinge können mit leichten Beschwerden wie Fieber, allgemeinem Krankheitsgefühl und Schmerzen an der Injektionsstelle reagieren. ■ Bei etwa 0,5% der Geimpften können Krämpfe mit der Verabreichung des Impfstoffes assoziiert sein. ■ Enzephalopathie und bleibende neurologische Schäden infolge der Impfung kommen in weniger als 0,001% (1/100000 Impfungen) vor. Als die Zahl der Impfungen aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen spürbar zurückging, stieg die Keuchhusten-Inzidenz in der Folgezeit merklich an (s. Kap. 31). Mittlerweile wird konzentriert an der Entwicklung von Komponentenimpfstoffen gearbeitet, die nur noch die protektiven Antigene enthalten. Schwierig war nur, diese Antigene zu identifizieren; Kombinationen aus inaktiviertem Pertussis-Toxin und filamentösem Hämagglutinin erscheinen vielversprechend und sind in Deutschland, Japan und einigen anderen Ländern bereits als Impfstoff im Einsatz.
19.1.2
Akute Bronchitis
Eine akute Entzündung des Bronchialbaums (Bronchitis) ist meist infektiös bedingt Auslöser können neben Rhino- und Coronaviren, die auch Infektionen der oberen Atemwege verursachen, typische Erreger unterer Atemwegsinfektionen sein (Influenza- und Adenoviren, Mycoplasma pneumoniae). Bakterielle Sekundärinfektionen durch Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae können ebenfalls eine Rolle in der Pathogenese spielen. Das Ausmaß der Epithelschädigung hängt von den Erregern ab: ■ Auf die ausgedehnte Schädigung bei Influenzavirusinfektion kann sich leicht eine bakterielle Sekundärinfektion aufpfropfen (Post-Influenza-Pneumonie, s. unten). ■ Die spezifische Rezeptorbindung von Mycoplasma pneumoniae an Epithelzellen der Bronchialschleimhaut (Abb. 19.2) mit Freisetzung toxischer Stoffe führt zur Exsudat- und Infiltratbildung. Husten ist das auffälligste Zeichen. Die Behandlung erfolgt weitgehend symptomatisch. Oft werden zwar Antibiotika empfohlen, doch ihr Nutzen ist fraglich.
19.1.3 Akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis 439
Infektion ist nur ein Faktor bei chronischer Bronchitis Als chronische Bronchitis wird ein Zustand mit Husten und starker Schleimsekretion im Bronchialbaum bezeichnet, der sich keiner spezifischen Krankheit (wie Bronchiektasie, Asthma oder Tuberkulose) zuschreiben lässt. Bei diesem Syndrom scheint eine Infektion nur ein Faktor von vielen zu sein (z.B. neben Rauchen und der Inhalation von Feinstaub oder Dämpfen am Arbeitsplatz). Obwohl bakterielle Infektionen nicht die unmittelbaren Auslöser sind, können sie erheblich zur Fortdauer der Erkrankung beitragen und die typischen akuten Exazerbationen bewirken. Aus dem Sputum werden am häufigsten S. pneumoniae und unbekapselte Stämme von H. influenzae isoliert, doch es ist schwierig, allein daraus ihre pathogene Bedeutung zu beurteilen. Da sie auch in der normalen Rachenflora vorkommen, könnte es sich um eine zufällige Kontamination des Auswurfs handeln. Staphylococcus aureus und Mycoplasma pneumoniae sind selten für Infektion und Exazerbation verantwortlich. Viren sind meist Ursache einer akuten Infektion. Im Fall von akuten Exazerbationen kann eine Antibiotikatherapie sinnvoll sein, auch wenn sich die Wirksamkeit schwer beurteilen lässt.
19.1.4
Bronchiolitis
Bronchiolitiden sind zu 75% durch RespiratorySyncytial-Viren (RSV) bedingt Bei der Bronchiolitis handelt es sich um eine reine Kinderkrankheit, am häufigsten erkranken Kinder unter zwei Jahren. Die dünnkalibrigen Bronchiolen von Kleinkindern können sich bei entzündlich geschwollener Schleimhaut leicht verengen, so dass der alveoläre Luftstrom stark eingeschränkt wird. Kommt es infolge der Infektion zur Nekrose von Epithelzellen der Bronchiolenwand, kann daraus eine peribronchiale Infiltration entstehen, die sich in Lungenfelder ausbreiten und zu einer interstitiellen Pneumonie führen kann (s. unten). In bis zu 75% ist das RespiratorySyncytial-Virus (RSV) die Infektionsursache, und auch in der Ätiologie der restlichen 25% spielen Viren (nur gelegentlich M. pneumoniae) eine Rolle.
19.1.5
Respiratory-Syncytial-Virus-(RSV)-Infektionen
RSV ist Hauptverursacher von Säuglingsbronchiolitis und -pneumonie RSV ist ein typisches Paramyxovirus, von dem zwei Stämme (Gruppe A und B) identifiziert wurden. Spikes auf der Oberfläche tragen statt Hämagglutinin oder Neuraminidase ein G- (Glykoprotein, zur Anheftung an Zellen) und ein F(Fusions)Protein. Das F-Protein bewirkt, dass Virushülle und Zellmembran verschmelzen, und eröffnet so den Zugang zur Zelle, darüber hinaus lässt es Wirtszellen zu Synzytien (Riesenzellen) fusionieren.
440
Die durch Tröpfchen und in gewissem Umfang auch über die Hände übertragbaren RSV-Infektionen brechen regelmäßig im Winter (Abb. 19.3) aus und können sich in Krankenhäusern und in der Bevölkerung rasch ausbreiten. Im zweiten Lebensjahr hat sich bereits fast jeder infiziert. Einer von 100 Säuglingen mit RSV-Bronchiolitis oder Pneumonie muss ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Besonders schwer erkranken meist junge Säuglinge an einer RSV-Infektion Durch Einatmen des Virus setzt sich die Infektion im Nasopharynx und unteren Atemtrakt fest. Nach einer Inkubationszeit von 4–5 Tagen treten die ersten Symptome auf. Besonders schwere Verläufe kommen bei sehr jungen Säuglingen vor (Letalität im Alter von drei Monaten am höchsten). Bei ihnen breitet sich das Virus direkt an der Oberfläche bis in die unteren Atemwege aus und kann eine Bronchiolitis oder Pneumonie mit Husten, beschleunigter Atemfrequenz und Zyanose verursachen. RSV-Infektionen älterer (Klein-) Kinder und Erwachsener bleiben auf die oberen Atemwege beschränkt und rufen nur schwächere Erkältungssymptome hervor. Relativ häufig entwickelt sich eine Otitis media. Bakterielle Sekundärinfektionen sind selten.
441
Abb. 19.2 Phagozytose opsonierter Mycoplasmapneumoniae-Zellen (Pfeile) durch einen Alveolarmakrophagen (Strichdicke 2 μm).
In der Ausschnittsvergrößerung ist erkennbar, wie M.-pneumoniae-Zellen mit ihren Spitzenorganellen (T = tip) an der Makrophagenoberfläche hängen [Jacobs 1991].
Abb. 19.3
Akute Bronchiolitis durch RSV.
442
In den Quartalsberichten aus England und Wales sind deutlich die saisonalen Schwankungen bei RSV-Infektionen erkennbar [nach einer Grafik des Communicable Disease Surveillance Centre].
Die Symptome einer RSV-Infektion scheinen immunpathologisch bedingt zu sein Vielleicht führt bei Säuglingen die Reaktion mütterlicher Antikörper auf Virusantigene zur Freisetzung von Histamin und anderen Mediatorsubstanzen aus den Zellen. Die These einer Immunpathogenese wird auch dadurch gestützt, dass Kinder in frühen klinischen Studien nach einer Impfung mit Totimpfstoff häufiger und schwerer an spontanen RSV-Infektionen der unteren Atemwege erkrankten als nicht geimpfte Kinder. Schon bei jungen Säuglingen werden geringe Mengen neutralisierender Antikörper gebildet, doch überwunden wird die Infektion nur mithilfe der zellvermittelten Immunität (CMI). Bei Kindern, deren CMI noch nicht entwickelt ist, kann das Virus monatelang aus der Lunge ausgeschieden werden. Manche Kinder können, selbst nachdem sie offensichtlich genesen sind, noch ein, zwei Jahre eine Lungenfunktionseinschränkung oder keuchende Atmung aufweisen. RSV-Infektionen können häufiger wiederkehren, aber dann in abgeschwächter Form. Die Gründe für rekurrierende Infektionen (auch ein Merkmal von Parainfluenzavirusinfektionen) sind nicht bekannt.
In Zellausstrichen (exfoliative Zytodiagnostik) sind RSV-spezifische Antigene nachweisbar; in schweren Fällen ist Ribavirin indiziert Durch eine Nasen-Rachen-Spülung (nasopharyngeale Lavage) lassen sich Zellen für Ausstrichpräparate gewinnen, in denen mit Immunfluoreszenzmethoden (Abb. 19.4) oder ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) RSV-spezifische Antigene nachgewiesen werden können (s. Kap. 32). Eine Virusisolierung ist nur selten von Nutzen; der Erfolg hängt davon ab, dass Zellkulturen möglichst rasch mit den Sekreten inokuliert werden. Hilfreich ist auch eine Polymerasekettenreaktion (PCR) zum Nachweis von Virus-RNA. Ribavirin ist ein antivirales Mittel, das gelegentlich erfolgreich in Aerosolform bei schweren Verlaufsformen eingesetzt wurde. Ein Impfstoff steht bislang noch nicht zur Verfügung.
443
19.1.6
Pulmonalerkrankung durch Hantaviren
Im Südwesten der USA traten 1993 mehrere Fälle einer schweren Pulmonalerkrankung auf, nachdem sich Menschen mit dem Sin-Nombre-Virus (einem Hantavirus wilder Nagetiere) infiziert hatten. Die Invasion des Kapillarendothels führte zum Übertritt von Flüssigkeit in die Lunge. Nach offiziellen Zahlen starben an dieser Virusinfektion mindestens 26 Menschen.
Abb. 19.4
Immunfluoreszenzmethode.
Präparat mit RSV-infizierten (grün leuchtenden) Zellen aus dem Nasopharynx (mit freundlicher Genehmigung von H. Stern).
19.1.7
Pneumonie
Die Pneumonie galt lange Zeit als „Freund des alten Mannes“. In Europa und den USA ist sie die häufigste Infektions-assoziierte Todesursache. Als Auslöser kommt ein breites Erregerspektrum in Frage, doch die Symptome sind kaum voneinander zu unterscheiden. Daher stellt weniger die klinische Diagnose der Pneumonie (außer vielleicht bei Kindern, hier ist es etwas schwieriger) als vielmehr die Erregeridentifizierung durch geeignete Labormethoden (s. Anhang) die eigentliche Herausforderung dar. Ohne Erregeridentifizierung wird aber möglicherweise nicht die optimale Therapie gewählt.
Durch Inhalation, Aspiration oder auf dem Blutweg gelangen Erreger in die Lunge In den unteren Respirationstrakt gelangen Mikroorganismen, wenn sie in Aerosolform inhaliert oder als Keime der Normalflora aus den oberen Atemwegen aspiriert werden. Wie weit nach unten sie vordringen, hängt von der Größe der eingeatmeten Partikel ab; nur winzige Teilchen mit einem Durchmesser unter 5 μm schaffen es bis in die Alveolen. Weniger häufig findet eine hämatogene Streuung von Keimen aus anderen Infektionsherden in die Lunge statt.
444
Gesunde sind nur anfällig für eine Infektion mit Pathogenen, die sich über bestimmte Adhäsine am Atemwegsepithel festheften können. Menschen mit eingeschränkter Immunlage (z.B. aufgrund einer Immunschwäche/-suppression, einer viralen Vorschädigung oder einer zystischen Fibrose) können sich jedoch auch mit opportunistischen Erregern infizieren, die normalerweise nicht krank machen (z.B. Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie von AIDS-Patienten).
Der Respirationstrakt kann nur begrenzt auf Infektionen reagieren Die Wirtsreaktionen lassen sich anhand pathologischer oder radiologischer Befunde erfassen, doch weil sie unterschiedlich benutzt werden, kann es zu einer Begriffsverwirrung kommen. Allgemein gebräuchlich sind vier beschreibende Begriffe (Abb. 19.5): ■ Lobärpneumonie: betroffen ist ein umschriebenes Lungengebiet (Lappen). Als entzündliche Reaktion polymorphkerniger Leukozyten bildet sich ein Exsudat, das die Alveolen von innen verklebt und verdichtet (Anschoppung). Die Infektion kann innerhalb der anatomischen Grenzen einzelner Lungensegmente auf benachbarte Alveolen übergreifen. Daher kann ein ganzer Lappen (Lobus) verdichtet sein. ■ Bronchopneumonie: bezeichnet eine diffusere fleckige Verdichtung (Anschoppung) des Lungengewebes; kann sich vom ursprünglichen Herd aus in den kleinen Luftwegen auf die ganze Lunge ausbreiten. ■ Interstitielle Pneumonie: besonders typisch für Virusinfektionen der Lunge mit Invasion der Erreger ins Interstitium. ■ Lungenabszess (manchmal auch als nekrotisierende Pneumonie bezeichnet): Zustand mit Kavernenbildung und Lungenparenchymzerstörung. Gemeinsam ist allen Störungen, dass es aufgrund des behinderten Gasaustauschs in der Lunge zu Atemnot (Dyspnoe) und infolge einer Infektion an anderen Stellen zu systemischen Auswirkungen kommen kann.
445
Ein breites Erregerspektrum kann Pneumonien auslösen Ein wichtiger Faktor ist das Alter (Tab. 19.1): ■ Pneumonien in der Kindheit können viral oder durch eine bakterielle Sekundärinfektion nach vorhergehender Virusinfektion (z.B. Masern) bedingt sein. Wenn sich Neugeborene von Müttern mit einer genitalen Chlamydia-trachomatisInfektion unter der Geburt infiziert haben, kann sich aus der (Chlamydien-) Besiedlung des Respirationstrakts eine interstitielle Pneumonie (s. Kap. 21) entwickeln. ■ Ohne eine zugrunde liegende Störung wie z.B. zystische Fibrose (Mukoviszidose) ist eine Pneumonie älterer Kinder eher selten. Mukoviszidosekranke Kinder und Jugendliche sind verstärkt anfällig für typische Erreger einer unteren Atemwegsinfektion (wie S. aureus, H. influenzae und Pseudomonas aeruginosa). ■ Risikofaktoren für eine Pneumonie im Erwachsenenalter sind Alter, Grunderkrankungen und Exposition (beruflich, auf Reisen oder durch Tierkontakt). Eine nosokomiale Pneumonie kann verschiedene Ursachen haben, aber die häufigsten Erreger sind Gram-negative Bakterien. In Abb. 19.6 sind die Auslöser einer Erwachsenen-Pneumonie zusammengestellt. Auch wenn sich klinische und epidemiologische Hinweise auf die wahrscheinliche Ursache ergeben, sind mikrobiologische Untersuchungen entscheidend zur Diagnosesicherung und Wahl einer optimalen Therapie.
Tab. 19.1
Altersbezogene Ursachen einer
Tab. 19.1 Altersbezogene Ursachen einer Pneumonie.
Klinisch sind virale und bakterielle Pneumonien oft kaum zu unterscheiden 446
Thoraxröntgenaufnahmen zeigen bei viralen Pneumonien häufiger eine charakteristische interstitielle Beteiligung (Abb. 19.5c) als bei bakteriellen Infektionen. Aus Gründen der größeren Klarheit werden hier beide getrennt beschrieben. RSV-Infektionen wurden bereits besprochen und die speziell bei immungeschwächten Patienten mit Pneumonie assoziierten opportunistischen Erreger wie P. jiroveci sind in Kap. 30 beschrieben.
Bakterielle Pneumonie Klassischer Erreger einer akuten (nichtnosokomialen) Pneumonie ist Streptococcus pneumoniae Früher wurden 50–90% der Pneumonien durch Pneumokokken (S. pneumoniae) ausgelöst, doch nachdem sie in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben, verursachen sie jetzt nur noch ca. 25–60% der Fälle (Tab. 19.2). Schätzungsweise 5–15% der Fälle lassen sich auf H. influenzae zurückführen, wobei die wirkliche Inzidenz schwer beurteilt werden kann, weil dieser Erreger häufig auch die oberen Atemwege von Bronchitispatienten besiedelt (s. oben).
Zahlreiche Bakterien können eine primär atypische Pneumonie verursachen Als Penicillin – ein wirksames Antibiotikum für Pneumokokkeninfektionen – breiter verfügbar wurde, sprach ein beträchtlicher Prozentsatz der Pneumoniefälle nicht mehr darauf an. Sie wurden daher als „primär atypische Pneumonie“ bezeichnet. „Primär“ bedeutet, dass es sich um eine neu aufgetretene Pneumonie handelt, im Unterschied zu einer sekundären (z.B. infolge einer Grippe). „Atypisch“ bezieht sich darauf, dass aus dem Sputum der Patienten keine Pneumokokken isoliert werden können, dass sowohl Allgemein- wie respiratorische Symptome auftreten und die Pneumonie nicht auf Penicillin oder Ampicillin anspricht.
447
Abb. 19.5 Vier Arten von Pneumonie.
a) Pneumokokken-Lobärpneumonie, verdichtete, mit Neutrophilen und Fibrin gefüllte Alveolen (Hämatoxylin-Eosin-Färbung); b) MykoplasmenBronchopneumonie mit fleckiger Verdichtung in mehreren Lungenarealen; c) interstitielle Pneumonie (nach Influenzavirusinfektion); d) Lungenabszess mit Abszesshöhle (Kaverne) im rechten unteren Lappen. Mit freundlicher Genehmigung von I.D. Starke und M.E. Hodson (a, c) bzw. J.A. Innes (b, d). Auslöser einer atypischen Pneumonie können M. pneumoniae, Chlamydophila (früher: Chlamydia) pneumoniae oder psittaci, Legionella pneumophila und Coxiella burnetii sein. Die relative Bedeutung dieser Pathogene unterscheidet sich in einzelnen Studien (Tab. 19.2). Besonders häufig kommt eine Infektion mit Chlamydophila pneumoniae vor. Etwa 50% der Erwachsenen haben Antikörper, und in den USA erkranken jährlich bis zu 300000 Erwachsene an einer ChlamydophilaPneumonie. Mycoplasma und Chlamydophila pneumoniae scheinen ausschließlich humanpathogen zu sein, während C. psittaci und Coxiella burnetii von infizierten Tieren übertragen werden. Legionella pneumophila wird aus verseuchten Quellen in der Umgebung erworben (Abb. 19.6). 448
Abb. 19.6 Potenziell können viele Erreger eine Pneumonie des Erwachsenen verursachen.
Beeinflusst wird die Ätiologie auch von Risikofaktoren wie Pathogen-Exposition im Beruf, auf Reisen oder durch Tierkontakte. Ältere Patienten erkranken öfter und meist auch schwerer an einer Pneumonie als jüngere. * Eher Reaktivierung einer endogenen statt einer im Umfeld oder im Krankenhaus erworbenen Infektion C. = Coxiella, CMV = Zytomegalievirus, H. = Haemophilus, K. = Klebsiella, L. = Legionella, M. = Mycobacterium, P. = Pseudomonas, Staph. = Staphylococcus, Str. = Streptococcus
449
Tab. 19.2 Häufigste Pneumonie-Ursachen in der (Normal-) Bevölkerung, Studienergebnisse aus drei Ländern. *
da bei einigen Patienten mehr als ein Erreger isoliert werden konnte, ergeben sich bei der Addition über 100%
Zunehmend häufiger wird Moraxella (früher: Branhamella) catarrhalis als Pneumonie-Ursache nachgewiesen, besonders bei Patienten mit Lungenkarzinom oder einer anderen pulmonalen Grundkrankheit. Ätiologisch sind bei Pneumonie auch andere Faktoren zu berücksichtigen (bestimmte Grunderkrankungen, Berufe, Tierkontakte, Reisen), die in Abb. 19.6 dargestellt und in anderen Kapiteln ausführlicher beschrieben werden. Wichtig ist anzumerken, dass sich in bis zu 35% der unteren Atemwegsinfektionen kein Erreger isolieren lässt.
Eine Pneumonie äußert sich meist durch Unwohlsein und Fieber Zu den Symptomen einer Lungenentzündung zählen unter anderem: ■ Brustschmerzen (können pleuritisch sein) ■ produktiver Husten (mit Sputum) ■ Kurzatmigkeit ■ erschwertes und schmerzhaftes Atmen Bei manchen Infektionen beschränken sich die Symptome im Wesentlichen auf den Brustbereich. Doch die von L. pneumophila verursachte Legionärskrankheit wirkt sich systemisch aus, so dass es zu geistiger Verwirrtheit (Desorientiertheit), Diarrhoe und Anzeichen einer Nierenoder Leberfunktionsstörung kommen kann. In der Regel
450
ist die Unterscheidung zwischen Lokal- und Allgemeinsymptomen aber nicht so zuverlässig, dass sie ausreichen würde, die richtige Diagnose zu stellen. Ehe sich Veränderungen im Röntgenbild zeigen, können bereits bei der körperlichen Untersuchung auffällige Rasseloder Knistergeräusche zu hören und Verdichtungszeichen erkennbar sein.
Bei Pneumonie-Patienten können ein oder mehr Lungenareale verschattet sein Thorax-Röntgenaufnahmen stellen eine wichtige Ergänzung zur klinischen Diagnose dar. Oft haben Pneumonie-Patienten Schatten auf der Lunge (wie oben für Lobär-, Broncho- und interstitielle Pneumonie beschrieben), die Ausdruck einer Gewebeverdichtung sein können. Allerdings ist sehr sorgfältig zwischen infektiösen und nichtinfektiösen Prozessen (z.B. Tumoren) zu unterscheiden.
Bei älteren Menschen ist die Pneumonie die häufigste Infektions-assoziierte Todesursache Pneumonie ist aber auch bei jungen und zuvor noch gesunden Menschen eine wichtige Todesursache. Zu den Komplikationen trägt mit bei, dass sich die Erreger ■ direkt in extrapulmonale Regionen wie den Pleuraraum (führt zum Empyem, s. unten) oder ■ indirekt auf dem Blutweg (hämatogen) in andere Körperbereiche ausbreiten können. Patienten mit Pneumokokkenpneumonie haben z.B. in der Mehrheit positive Blutkulturen. Ältere Menschen erkranken im Anschluss nicht selten an Pneumokokkenmeningitis.
Sputumproben werden am besten morgens vor dem Frühstück gesammelt Trotz aller Zweifel am Wert der mikroskopischen Sputumuntersuchung und Kultur des Auswurfs bleiben sie Stützpfeiler der respiratorischen Bakteriologie. Die Sputumgewinnung erfolgt nicht invasiv. Wahrscheinlich führen aber invasive Methoden wie transtracheale Aspiration, Bronchoskopie und Bronchiallavage bzw. offene Lungenbiopsie zu nützlicheren Ergebnissen. Sputumproben werden am besten morgens gewonnen. Wenn die Patienten im Bett liegen, sammelt sich vermehrt Sputum an, außerdem ist es vor dem Frühstück noch nicht mit Essensresten und Bakterien aus der Nahrung kontaminiert. Es ist wichtig, echte Sputum- und nicht etwa Speichelproben zur Untersuchung einzusenden. Patienten, die zu schwach sind, um ohne Hilfe abzuhusten, können physiotherapeutisch unterstützt werden.
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Gängige Labormethoden für Sputumproben von Pneumonie-Patienten sind Gram-Färbung und Kultur Nach Gram-Färbung (s. Kap. 32) des Sputums lässt sich innerhalb weniger Minuten eine (Verdachts-) Diagnose stellen, wenn in dem Film eine Leukozytenvermehrung (als Form der Wirtsreaktion) und der mutmaßliche Erreger erkennbar sind (typisch für S. pneumoniae z.B. Gram-positive Diplokokken; Abb. 19.7). Sind nur Keime, aber keine polymorphkernigen Leukozyten zu sehen, spricht das eher für eine Kontamination der Probe als für eine Infektion. Wichtig ist aber, daran zu denken, dass eine adäquate Leukozyten-Reaktion bei immungeschwächten Patienten nicht mehr möglich ist. Und nicht zu vergessen: mit Ausnahme von L. pneumophila sind atypische Pneumonie-Erreger in Gram-gefärbten Ausstrichen (Abb. 19.8) nicht erkennbar.
Abb. 19.7 Sputumausstrich.
Die Gram-Färbung ermöglicht eine rasche Diagnose, wenn wie hier zahlreiche, für Pneumokokkenpneumonie typische Gram-positive Diplokokken und polymorphkernige Leukozyten erkennbar sind. Doch viele wichtige PneumonieErreger werden durch die Gram-Färbung nicht angefärbt. Mit Standardkulturtechniken lassen sich S. pneumoniae, S. aureus, H. influenzae, Klebsiella pneumoniae und andere weniger anspruchsvolle Gram-negative Bakterien anzüchten. Spezielle Kulturmedien bzw. -methoden sind dagegen für die Erreger atypischer Pneumonien (einschließlich L. pneumophila) erforderlich (Abb. 19.8, s. Anhang). Mit Erfolg wurden auch Schnellverfahren (ohne Anzüchtung) zur Diagnose einer Pneumokokkenpneumonie erprobt. Durch Agglutination mit Antikörperbeschichteten Latexpartikeln (s. Kap. 32) kann Pneumokokkenantigen sowohl in Sputum- als auch in Urinproben nachgewiesen werden, da es auch im Urin ausgeschieden wird. Das Ergebnis liegt innerhalb einer Stunde nach der Probengewinnung vor. Doch die Antibiotika-Empfindlichkeit kann erst nach der Erregerisolierung getestet werden.
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Abb. 19.8 Legionella pneumophila.
a) Lungenbiopsieprobe eines Patienten mit fulminanter Legionärskrankheit (Gram-Färbung); b) Kulturplatte mit weißen Kolonien auf einem gepufferten Kohle-Hefeextrakt. Mit freundlicher Genehmigung von S. Fisher-Hoch (a) bzw. I. Farrell (b)
Die mikrobiologische Diagnose einer atypischen Pneumonie wird meist serologisch bestätigt Wie schon erwähnt, lassen sich wichtige Auslöser einer (atypischen) Pneumonie weder in Gram-gefärbten Sputumausstrichen nachweisen noch auf einfachen Standardkulturmedien anzüchten. Aus diesem Grund wird die Diagnose gewöhnlich serologisch statt durch Kultur gesichert. Einige Infektionen können schon im Frühstadium durch den Nachweis von IgM, bakteriellem Antigen oder Erregergenomabschnitten diagnostiziert werden. Ein stark erhöhter Einzeltiter bestimmter Antikörper oder vorzugsweise der Nachweis eines Titeranstiegs kann zwischen Akut- und Erholungsphase der Erkrankung unterscheiden. Die serologische Diagnose wird daher oft rückblickend (retrospektiv) gestellt. Wichtige serologische Untersuchungen sind in Tab. 19.3 zusammengefasst.
Eine Pneumonie wird gezielt antibiotisch behandelt Sobald die Ursache feststeht, fällt die Wahl einer geeigneten Antibiotikatherapie nicht mehr allzu schwer (Tab. 19.4), obwohl die Penicillin- und AmpicillinResistenz von Pneumokokken in einigen Ländern zunimmt. Schwieriger ist die Wahl der Therapie, wenn kein Sputum produziert oder kein Erreger darin festgestellt wird. Es ist daher wichtig, eine ausführliche Anamnese zu erheben und bei Bedarf auf invasive diagnostische Methoden zurückzugreifen, um die Ursache herauszufinden.
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Tab. 19.3 Serologische Diagnose einer atypischen Pneumonie. ELISA = enzyme-linked immunosorbent assay
Tab. 19.4 Antibakterielle Pneumoniebehandlung
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Verringerung der Expositionsgefahr oder eine Pneumokokken-Schutzimpfung nach Splenektomie und bei Sichelzellkrankheit dienen als Maßnahmen zur Prävention Respiratorische Infektionen werden normalerweise durch Tröpfchen in der Luft übertragen, so dass ihre Ausbreitung praktisch nicht verhindert werden kann. Etwas geringer ist die Infektionsgefahr, wenn größere Menschenansammlungen gemieden und Räume gut belüftet werden. Andere Infektionsquellen, z.B. Kontakt mit kranken Tieren (Q-Fieber) oder Vögeln (Psittakose), lassen sich oft besser umgehen. Nach ausgiebiger Untersuchung der Legionellen-Kontamination von Klimaanlagen und Warmwasserleitungen sind jetzt in vielen Ländern Vorschriften für die technischen Versorgungsunternehmen in Kraft. Gegen einige Erreger von Atemwegsinfektionen besteht die Möglichkeit einer Impfung. Besonders Patienten mit hohem Risiko ist ein Pneumokokken-Impfstoff zu empfehlen, der Polysaccharidkapselantigene der gängigsten Streptococcuspneumoniae-Typen enthält (z.B. wenn nach Splenektomie oder bei Sichelzellerkrankung bekapselte Keime nicht mehr wirksam bekämpft werden können). In Deutschland gehört die Pneumokokkenimpfung bei > 60-Jährigen zu den empfohlenen Impfungen laut Ständiger Impfkommission am Robert-KochInstitut (STIKO).
Viruspneumonie Viren können auf dem Blutweg oder aus den oberen Luftwegen in die Lunge gelangen Auch Viren können eine Pneumonie verursachen (Tab. 19.5) – und wie bei Infektionen der oberen Atemwege gelingt ihnen das trotz einer normal funktionierenden Abwehr. Anfällig sind auch völlig gesunde Menschen, denn die meisten Viren besitzen Oberflächenmoleküle, mit denen sie sich speziell am Atemwegsepithel halten können. Das oben beschriebene RSV kann z.B. zu einer Säuglingspneumonie führen.
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Tab. 19.5 Viruspneumonie Selbst wenn Viren dieser Gruppe nicht direkte Auslöser einer Pneumonie sind, können sie die Abwehrkräfte im Respirationstrakt so weit schädigen, dass eine
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bakterielle (Sekundär-) Pneumonie begünstigt wird. Manchmal breiten sich Viren nicht weiter in den Luftwegen aus, sondern bleiben im interstitiellen Gewebe und verursachen eine interstitielle Pneumonie. Ein Beispiel ist das Zytomegalievirus, das bei Patienten, die unter einer immunsuppressiven Therapie stehen (z.B. nach Knochenmarktransplantation), eine CMV-Pneumonie hervorruft.
Parainfluenzavirusinfektion Neben RSV sind Parainfluenzaviren die wahrscheinlichste Ursache von unteren Atemwegsinfektionen, Krupp und Pneumonie bei Kindern.
Unterschiedliche klinische Auswirkungen der vier Virustypen Die Oberflächen-Spikes von Parainfluenzaviren bestehen entweder aus Hämagglutinin und Neuraminidase oder aus F(Fusions)-Proteinen. Es gibt vier Virustypen mit unterschiedlichen Antigenen. Nach der Übertragung durch Tröpfcheninfektion breiten sich die Viren lokal auf dem Atemwegsepithel aus. Typ 1–3 des Parainfluenzavirus verursachen Pharyngitis, Krupp, Otitis media, Bronchiolitis und Pneumonie. Krupp tritt als akute Laryngotracheobronchitis bei Kindern unter fünf Jahren auf und äußert sich durch rauen Husten und Heiserkeit. Typ 4 kommt seltener vor und ruft im Allgemeinen eine Art Erkältungskrankheit hervor. In Zellen der Spülflüssigkeit können oft Antigene nachgewiesen bzw. Viruspartikel isoliert werden. Mit Ribavirin steht ein wirksames antivirales Mittel zur Verfügung, doch ein Impfstoff ist nicht verfügbar.
Adenovirusinfektion Bis zu 5% der akuten Atemwegsinfektionen sind durch Adenoviren verursacht Einige der 41 Antigentypen von Adenoviren verursachen Infektionen sowohl der oberen (Pharyngokonjunktivalfieber und Halsentzündung, s. Kap. 18) als auch der unteren Atemwege. Bei Kindern unter fünf Jahren treten im Allgemeinen nur unspezifische Symptome auf. Mit nachlassender Wirkung der mütterlichen Antikörper werden untere Atemwegsinfektionen häufiger, vor allem durch Typ 7 der Adenoviren. Typ 3, 4 und 7 rufen respiratorische Erkrankungen hervor, deren Bandbreite sich von einer Pharyngitis bis zuratypischen Pneumonie erstreckt. Dabei könnten dichte Menschenansammlung (etwa in Kasernen) und Stress als Kofaktoren eine Rolle spielen. Die Erholungsphase verläuft im Allgemeinen undramatisch. Adenoviren können offenbar im Körper persistieren, da sie in 50% der operativ entfernten Mandeln
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nachzuweisen waren. Bei Soldaten wurde eine Schluckimpfung (dünndarmlösliche Kapseln mit Typ 4 und 7) erprobt, diese konnte sich allerdings nicht etablieren.
Metapneumovirus(hMPV)-Infektion Das 2001 in Holland entdeckte „human metapneumovirus“ (hMPV) ist eng mit RSV verwandt und befällt die Atemwege. Infektionen scheinen vor allem in den Wintermonaten aufzutreten. Das Krankheitsspektrum reicht von leichten Beschwerden bis hin zu Bronchiolitis und Pneumonie mit Fieber, Schnupfen, Husten, Halsentzündung und Keuchatmung. Betroffen sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder, und einige Berichte lassen darauf schließen, dass die meisten Kinder unter fünf Jahren bereits eine hMPV-Infektion durchgemacht haben. Da hMPV aber auch bei älteren Kindern und Erwachsenen nachzuweisen ist, können offenbar auch Reinfektionen vorkommen.
Influenzavirusinfektion Influenzaviren gelten als klassische respiratorische Viren und können Grippeendemien, -epidemien und -pandemien hervorrufen In Abb. 19.9 ist die (Einzelstrang-RNA-)Struktur eines typischen Orthomyxovirus gezeigt und in Abb. 19.10 der Budding-Vorgang.
Es gibt drei Typen von Influenzaviren (A, B, C) Influenzaviren unterscheiden sich durch ein gruppenspezifisches Antigen: das im Innern befindliche Ribonukleoprotein (RNP). ■ Influenza-A-Viren verursachen Grippeepidemien, gelegentlich auch pandemien, und haben in Vögeln ein Tierreservoir. ■ Influenza-B-Viren verursachen nur Grippeepidemien und haben keine Tiere als Wirtsspezies. ■ Influenza-C-Viren verursachen nur schwächere Atemwegsinfektionen, aber keine Grippeepidemie.
Die Virushülle weist Hämagglutinin- und Neuraminidase-Spikes auf (Abb. 19.9) Als typspezifische Antigene der Influenza-A-Viren können Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N) auch dazu benutzt werden, verschiedene Stämme von InfluenzaA-Viren zu unterscheiden (Tab. 19.6). Im Umlauf sind z.B. Stämme wie H3N2, H1N1 und H1N2. Bei der vollen Bezeichnung werden nach der Virusgruppe noch Ort und Jahr der Virusisolierung angegeben (z.B. A/Philippinen/82/H3N2).
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Das einzelsträngige RNA-Genom ist in Segmente unterteilt, deren Umsortierung bei der Replikation zu Viren mit neuer H-N-Antigen-Kombination führen kann. Daher können Zellen von mehreren Virusstämmen gleichzeitig infiziert sein.
Abb. 19.9 a) Influenza-A-Viruspartikel; b) Detailvergrößerung der Oberflächen-Spikes aus Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N).
Ein Viruspartikel hat ca. 500 H-Spikes (für seine Bindung an Wirtszellen) und rund 100 N-Spikes (für die Ablösung von der Zelloberfläche). Mit der Fusion von Virushülle und Plasmamembran beginnt die Infektion der Zellen, danach löst sich das Virus von der Oberfläche. Eng mit bestimmten RNA-Abschnitten verbundene Nukleo- und Polymeraseproteine bilden Ribonukleoprotein (RNP). Vom Ende her betrachtet sieht das N-Tetramer wie ein Propeller aus. Die Detailansicht (b) zeigt je ein H-Trimer und N-Tetramer, deren dreidimensionale Struktur aus röntgenkristallographischen Untersuchungen bekannt ist. c) Elektronenmikroskopisches Schnittbild von Influenzaviruspartikeln; 300000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley)
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Bei ihrer Ausbreitung innerhalb einer Wirtsspezies verändern sich Influenzaviren genetisch Man unterscheidet zwei Arten genetischer Veränderungen: ■ Antigen-Drift. Wenn ständig stattfindende kleinere Mutationen der H- und NAntigene dazu führen, dass sich das Virus erheblich stärker in Individuen, die gegen bisherige Stämme immun waren, vermehren kann, kann es durch diesen neuen Subtyp zur Reinfektion der ganzen Gruppe kommen. Ein Antigen-Drift ist bei allen Influenzaviren möglich. ■ Antigen-Shift. Dass sich die Antigenität der H- oder N-Antigene plötzlich stärker verändert, ist selten und kommt nur bei Influenza-A-Viren vor. Der Grund ist eine Rekombination zwischen verschiedenen Virusstämmen, die ein und dieselbe Zelle infizieren. Die größere Veränderung von H oder N bedeutet, dass sich der neue Virusstamm in früher immunen Populationen ausbreiten und den Beginn einer neuen Pandemie markieren kann (Tab. 19.6). Gehen noch weitere genetische Veränderungen (zusätzlich zu der von N und H) damit einher, können sie die Pathogenität steigern oder die Ausbreitung beschleunigen.
Abb. 19.10 Aussprossen (budding) von Influenzaviren an der Oberfläche einer infizierten Zelle.
a) Ultraschall-Elektronenmikroskopie, 27000 × vergrößert; b) Längsschnitt, 350000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley)
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Tab. 19.6 Pandemische humane Influenzaviren *
Antigen-Shift bei Influenza-A-Viren an neuen N- und H-AntigenKombinationen erkennbar ** Aminosäuren- und Basensequenzanalyse lassen vermuten, dass es sich bei H3N2 um eine Rekombination von H3N8 (Enten) mit H2N2 handeln könnte Die meisten der bekannten 13 H- und 9 N-Typen kommen bei Vögeln vor. Von den 117 möglichen H-N-Kombinationen wurden 71 bei Vögeln gefunden, besonders bei Enten. Manchmal führen sie zu schweren Epidemien bei Hühnern und Truthähnen. Influenza-A-Viren können auch Schweine, Pferde, Robben und andere Säugetiere infizieren, was angesichts ihrer Fähigkeit zu N-H-Umstellungen die „MischgefäßHypothese“ erklären kann: Da in einigen Ländern z.B. Bauern und Schweine im selben Raum leben, besteht die Möglichkeit, dass sich Influenzaviren mischen und neue Stämme auftauchen. An der Spanischen Grippe starben 1918 weltweit über 20 Millionen Menschen. Nach dieser Pandemie folgten 1957 mit der Asiatischen und 1968 mit der Hongkong-Grippe zwei weniger schwere Pandemien. 1976 gab es Alarm wegen einer Schweinegrippe in Fort Dix (USA) und 1997 erkrankten 18 Menschen in Hongkong an dem Vogelgrippevirus A/H5N1. Sechs der Infizierten starben. Erst als die Gesundheitsbehörden das Schlachten sämtlicher Hühner in Hongkong anordneten, brach die Welle ab. Aus Hongkong und Südchina wurden 1999 fünf Infektionen von Menschen mit einem anderen Vogelgrippevirus (A/H9N2) gemeldet. Keiner dieser Stämme schien sich weiter zu verbreiten oder von Mensch zu Mensch übertragbar zu sein. Grippeepidemien und -pandemien entstehen, wenn sich Menschen mit dem Erscheinen neuer Virusstämme regelmäßig mit verschiedenen Virusstämmen reinfizieren. Das unterscheidet Influenza- von sog. monotypen Viren (z.B. Masernoder Mumpsvirus), deren Antigene sich nur minimal verändern. Eine Masern- oder Mumpsinfektion verleiht lebenslange Immunität. 462
Die Übertragung von Influenzaviren erfolgt durch Tröpfcheninfektion (Inhalation) Grippe tritt auf der ganzen Welt auf, aber fast ausnahmslos in den kälteren Monaten des Jahres (außer in den Tropen). Das liegt zum großen Teil daran, dass sich Menschen bei kaltem Wetter bevorzugt in geschlossenen Räumen aufhalten, wo die eingeschränkte Frischluftzufuhr die gegenseitige Ansteckung begünstigt, vielleicht aber auch an einer schwächeren Immunlage in kälteren Monaten. Wie aktiveine Grippevirusinfektion ist, lässt sich nicht nur an der steigenden Zahl von Patienten ablesen, die einen Arzt aufsuchen, sondern auch an der erhöhten Letalität akuter Atemwegserkrankungen (wie Pneumonien), gerade bei älteren Menschen (Abb. 19.11).
Abb. 19.11 Das Auftreten einer Grippewelle spiegelt sich in einem allgemeinen Anstieg der Todesfälle infolge akuter Atemwegserkrankungen wider.
Parallel zu den Meldungen über Neuerkrankungen an Grippe steigt die Zahl der Todesfälle, die sich auf Grippe, Pneumonie und Bronchitis zurückführen lassen. Hier wurden Angaben aus England und Wales für die Monate Oktober bis Mai (1971–1983) dargestellt. Spitzenwerte sind durch die Ausbreitung verschiedener Influenza-A- (H3N2 und H1N1) und Influenza-B-Virusstämme (durch Pfeile markiert) in der Bevölkerung zu erklären [nach Daten des Office of Population, Censuses and Surveys]. Die Anfangssymptome beruhen unmittelbar auf der viral bedingten Gewebeschädigung und der damit einhergehenden entzündlichen Reaktion. Durch Tröpfchen gelangt das Grippevirus in den Respirationstrakt. Dort bindet es sich mit dem H-Glykoprotein seiner Hülle an Sialsäurerezeptoren der Epithelzellen. Für eine untere Atemwegsinfektion reichen wesentlich weniger Viren als für eine Infektion der oberen Atemwege.
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Etwa 1–3 Tage nach der Infektion verursachen aus den geschädigten Zellen und infiltrierenden Leukozyten freigesetzte Zytokine dann Symptome wie Schüttelfrost, Krankheitsgefühl, Fieber und Muskelschmerzen. Hinzu kommen Lokalsymptome wie Schnupfen und Husten. Den meisten Erkrankten geht es innerhalb einer Woche wieder besser. Direkte Zellschädigung und damit verbundene entzündliche Reaktion können aber schwer genug sein, um eine Bronchitis oder eine interstitielle Pneumonie zu verursachen.
Eine Vorschädigung des Atemwegsepithels durch Influenzaviren prädisponiert zu bakteriellen Sekundärinfektionen Eine bakterielle Sekundärinfektion können Staphylokokken, Pneumokokken und H. influenzae verursachen. Auch nachdem Antikörper und zellvermittelte Immunreaktionen die Virusinfektion unter Kontrolle gebracht haben, kann eine Grippe bei einer bakteriellen Superinfektion (vor allem durch S. aureus) noch lebensgefährliche Ausmaße annehmen. In Frühstadien der Infektion spielt vermutlich Interferon eine Rolle. Obwohl sich antivirale Antikörper erst nach 1–2 Wochen im Serum nachweisen lassen, werden sie schon zu einem früheren Zeitpunkt gebildet, verbinden sich aber mit Virusantigenen im Respirationstrakt zu Antigen-Antikörper-Komplexen. Bei Menschen, die das 60. Lebensjahr überschritten haben, und Patienten mit geschwächten Abwehrkräften infolge einer chronischen Herz-Kreislauf- oder Nierenkrankheit ist die Letalität sekundär bakterieller Pneumonien erhöht. Auch Schwangere sind anfälliger.
Sehr selten führt eine Grippe zu ZNS-Komplikationen Enzephalomyelitis und Polyneuritis können ZNS-Komplikationen einer Grippe sein. Dabei scheint es sich eher um Folgen der Immunpathologie als um eine ZNSInvasion durch das Virus selbst zu handeln. In den USA trat 1976 infolge einer breiten Impfkampagne mit inaktiviertem H3N2-Influenzavirus als signifikante, wenn auch seltene (1/100000) Impfkomplikation ein Guillain-Barré-Syndrom (Polyneuropathie mit distaler, proximaler oder generalisierter Muskelschwäche) auf. Für später entwickelte Impfstoffe ließ sich kein derartiger Zusammenhang mehr nachweisen.
Bei Grippeepidemien lässt sich die Diagnose im Allgemeinen klinisch stellen Mithilfe von Fluoreszenz-markierten Antikörpern oder nach ImmunperoxidaseFärbung sind in Aspirationsbiopsien des Nasensekrets infizierte Zellen zu erkennen. Man kann auch mit einer Polymerase-Kettenreaktion (PCR) den Nachweis von Virus-RNA führen und anschließend mit einer Sequenzanalyse das verantwortliche Influenzavirus typisieren. Ein Titeranstieg spezifischer Antikörper lässt sich per Hämagglutinationshemmtest, KBR oder ELISA (s. Kap. 32) in gepaarten Serumproben nachweisen, die gleich zu Beginn der Erkrankung und 7–10 Tage später entnommen werden. 464
Am ersten oder zweiten Tag nach Ausbruch der Grippe kann eine Rachenspülung durchgeführt werden, um das Virus nach Inokulation in Eier oder bestimmte Zellkulturen zu isolieren. Das dauert jedoch einige Tage und ist eher für die Gesundheitsbehörden wichtig (bei Infektionen mit neuen Virusstämmen) als diagnostisch wegweisend bei einzelnen Patienten.
Zur Vorbeugung gibt es antivirale Mittel und Impfstoffe Impfungen können mithelfen, die Infektion zu verhindern. Deshalb sollten sich Menschen mit erhöhtem Risiko vor der Grippesaison impfen lassen, um Komplikationen zu vermeiden. Reguläre Influenzavirus-Impfstoffe enthalten entweder ■ in Ei angezüchtete Viren, die gereinigt, mit Formalin inaktiviert und mit Äther extrahiert, oder ■ gereinigte H- und N-Antigene, die weniger starke Reaktionen hervorrufen und aus aufgespaltenen Viren („Splitting“ durch Lipidlöser) zubereitet wurden. Grippeimpfstoff enthält Influenza-A- (H3N2 und H1N1) und Influenza-BVirusstämme. Durch Vergleiche mit dem Vorjahr wird jährlich neu ermittelt, welcher Virusstamm im Umlauf ist. Der Impfstoff wird als parenterale Injektion verabreicht und gewährt bis zu 70% der Geimpften wirksamen Schutz für ca. ein Jahr. Empfohlen wird die Impfung vor allem bei erhöhtem Risiko (über 65-Jährige und Herz-Kreislauf-Kranke). Eigentlich steht zu erwarten, dass sich eine Immunisierung besser direkt über die Atemwege erreichen ließe; daher wird derzeit in Versuchen attenuierte Lebendvakzine nasal verabreicht. Während Rimantadin und Amantadin die Replikation von Influenza-A-Viren hemmen, greifen Neuraminidase-Hemmer wie Zanamivir und Oseltamivir Influenza-A- und -B-Viren an. Antivirale Mittel (Virustatika) können die Infektion aber nur abschwächen, wenn sie in den ersten 1–2 Tagen nach Ausbruch der Grippe angewandt werden. Auch zur Prophylaxe sind sie geeignet.
SARS-assoziierte Coronavirusinfektion Im November 2002 meldete die Volksrepublik China aus der Provinz Guangdong Fälle einer akuten schweren Atemwegserkrankung ohne erkennbare Ursache. Der Erreger breitete sich vor allem in Teilen Süd- und Südostasiens aus, erreichte aber auch Kanada (Toronto) und vereinzelt noch 30 andere Länder. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte im März 2003 weltweit vor dem schweren akuten Atemwegssyndrom (SARS, severe acute respiratory syndrome). Leitsymptome waren hohes Fieber (> 38°C), Husten, Atemstörungen oder Atemnot und Anzeichen einer Pneumonie im Thoraxröntgen. Besonders hoch war die Ansteckungsgefahr bei engem Kontakt zu SARS-Patienten; daher breitete sich die Infektion hauptsächlich unter Familienmitgliedern und Pflegekräften im Krankenhaus aus. Die Inkubationszeit betrug im Durchschnitt 2–7 (maximal 10) Tage.
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Als neues Mitglied der Coronavirusfamilie konnte das SARS-assoziierte Coronavirus (SARS-CoV) aus Zellkulturen isoliert und elektronenmikroskopisch sowie mit molekularen Methoden identifiziert werden. Zu den Diagnoseverfahren gehören PCR und serologische Untersuchungen. Die rasche Identifizierung des SARS-assoziierten Coronavirus und die Infektionsbekämpfung in einem zuvor nie gekannten Ausmaß (Gesichtsmasken, systematische Fieberkontrollen in der Bevölkerung und an Flughäfen, unverzügliche Isolierung bei den ersten Krankheitszeichen) setzten in Verbindung mit internationalen wissenschaftlichen Netzwerken und der sofortigen Datenverfügbarkeit globale Maßstäbe für die Untersuchung neu auftretender Krankheiten. Bereits im Juli 2003, knapp vier Monate nachdem sich das Virus über den internationalen Luftverkehr auf andere Länder auszubreiten begann, konnte die WHO melden, dass alle bekannten Übertragungsketten (von Mensch zu Mensch) des SARSVirus abgerissen waren. Am stärksten betroffen waren das chinesische Festland (5327 Erkrankungsfälle und 348 Tote) und Hongkong (1755 Erkrankungsfälle und 298 Tote).
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Masernpneumonie In Entwicklungsländern sind sekundär bakterielle Pneumonien häufig eine Komplikation nach Infektion mit Masern Masern werden unter den multisystemischen Infektionen (s. Kap. 26) ausführlicher besprochen. Hier werden sie erwähnt, weil das Masernvirus ■ bei Abwehrschwäche zu einer „Riesenzell“-Pneumonie führen kann; ■ bei seiner Replikation im unteren Respirationstrakt unter bestimmten Umständen eine größere Vorschädigung verursachen kann, durch die eine sekundär bakterielle Pneumonie begünstigt wird. In den entwickelten Ländern ist eine sekundäre bakterielle Pneumonie heute eine Seltenheit. Doch bei Kindern in den Entwicklungsländern ist sie noch immer eine häufige Komplikation. Masern gehören weiterhin zu den Haupttodesursachen im Kindesalter. Schwäche der Immunabwehr, unzureichende Impfprogramme, Unterernährung (vor allem Vitamin-A-Mangel) und schlechte medizinische Versorgung bei Komplikationen tragen dazu bei, dass sich das Wirt-ParasitenGleichgewicht deutlich zugunsten des Virus verschiebt. Nach einer Inkubationszeit von 10–14 Tagen kommt es zu Fieber, Schnupfen, Konjunktivitis und Husten. Ein bis zwei Tage später erscheinen Koplik-Flecken und das typische Masernexanthem. Das Virus repliziert sich im Nasen-Rachen-, Mittelohr- und Lungenepithel und behindert die Abwehrkräfte. Das begünstigt eine bakterielle Superinfektion durch Pneumokokken, Staphylokokken oder Meningokokken. Zur stationären Aufnahme von Masernkranken führt fast immer eine Pneumonie, doch auch eine Otitis media entwickelt sich recht häufig. Bei Kindern mit schwer beeinträchtigter zellvermittelter Immunabwehr kann sich das Virus ungehemmt vermehren, bis als seltene, aber meist tödliche Komplikation eine Riesenzellpneumonie auftritt (Abb. 19.12). Auf weitere Komplikationen wird in Kap. 26, speziell auf neurologische Komplikationen in Kap. 24 eingegangen.
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Abb. 19.12 Masernpneumonie.
In der Lungenbiopsie sind entzündliche Zellinfiltrate, Alveolarzellproliferation und dunkel gefärbte (Hämatoxylin-Eosin-Färbung) große, mehrkernige Riesenzellen erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von I.D. Starke und M.E. Hodson). Die Diagnose lässt sich im Allgemeinen klinisch stellen. Doch wenn die MasernInzidenz sehr niedrig ist, können spezifische IgM-Reaktionen, Virusisolierung und Virus-RNA-Nachweis hilfreich sein.
Bakterielle Komplikationen müssen mit Antibiotika behandelt werden; doch Masern lassen sich durch Impfung verhindern Für schwere Fälle ist Ribavirin verfügbar, doch die bakteriellen Komplikationen müssen antibiotisch behandelt werden. Kinder mit einer schweren Infektion haben meist niedrige Serumretinolspiegel; hier kann eine Vitamin-A-Injektion (400000 IU) die Heilung beschleunigen und die Letalität senken. Der hochwirksame, attenuierte Lebendimpfstoff gegen Masern wird als MMRKombinationsimpfung (mit Mumps-und Rötelnimpfstoff, s. Kap. 34) verabreicht. Seitdem mit der Immunisierung begonnen wurde, ging die Zahl der Erkrankungen um 70% zurück. In den USA sank die Zahl nach einem Anstieg auf fast 30000 Fälle im Jahr 1990 auf 488 (davon 47 importierte) im Jahr 1996. Die WHO hofft, sie weltweit bis 2010 oder 2015 ausrotten zu können. Bevor in den sechziger Jahren der Impfstoff entwickelt wurde, erkrankten jährlich weltweit 135 Millionen Menschen an Masern und 7–8 Millionen starben daran. Eine Maserninfektion kann noch immer tödlich verlaufen, doch 1996 war die jährliche Zahl der Todesfälle zumindest auf eine Million gesunken.
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Abb. 19.13 Eulenaugenzelle (Einschlusskörperchen) als typisches Zeichen einer CMV(Zytomegalievirus)-Infektion.
Die im Kern der infizierten und vergrößerten Zelle angehäuften Viruspartikel haben sich zu einem Einschlusskörperchen verdichtet (Hämatoxylin-EosinFärbung) (mit freundlicher Genehmigung von I.D. Starke und M.E. Hodson)
CMV-Infektion CMV-Infektionen können bei immungeschwächten Patienten zu einer interstitiellen Pneumonie führen Normalerweise vermehrt sich CMV nicht im respiratorischen Epithel und ruft auch keine Atemwegserkrankung hervor (s. Kap. 18). Doch bei geschwächter Immunabwehr, besonders bei Knochenmarkempfängern unter immunsuppressiver Therapie, kann sich eine interstitielle Pneumonie entwickeln. In dem Fall ist es möglich, CMV-DN A (quantitativ) nachzuweisen, das Virus zu isolieren und die typischen Einschlusskörperchen im Lungengewebe zu erkennen (Abb. 19.13).
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19.2
Chronische Infektionen
19.2.1
Tuberkulose
In der Dritten Welt ist Tuberkulose eine der schwersten Infektionskrankheiten Jedes Jahr sterben ca. 3 Millionen Menschen an Tuberkulose und überall dort, wo Armut, Unterernährung und schlechte Wohnverhältnisse herrschen, infizieren sich jährlich fast 9 Millionen Menschen neu. An Tuberkulose erkranken Gesunde genauso wie Patienten mit Immunschwäche. Besonders deutlich zeigt sich das an den schweren Verlaufsformen der Tuberkulose bei AIDS-Patienten. Tuberkulose ist primär eine Lungenkrankheit, kann aber auch auf andere Körperstellen übergreifen oder sich – als „Miliartuberkulose“ – zu einer generalisierten Infektion ausweiten (s. auch Kap. 20, 24 und 26).
Mycobacterium tuberculosis ist Auslöser der Tuberkulose Lungeninfektionen können aber auch andere (sog. atypische) Mykobakterien hervorrufen, sog. MOTT (mycobacteria other than tuberculosis) oder NTM (nontuberculous mycobacteria) (Tab. 19.7). Ausgelöst wird die Infektion durch Inhalation von M. tuberculosis in Form von Aerosol oder Feinstaub. Die Übertragung auf dem Luftweg ist sehr wirkungsvoll, da Infizierte beim Husten enorm viele Mykobakterien in die Umgebung ausstoßen, wo sie sich dank ihrer wächsernen Außenschicht (s. Kap. 2) gut halten können. Geschützt vor Austrocknung können sie lange Zeit in Luft oder Hausstaub ausharren.
Die Pathogenese hängt von einer früheren Tuberkulose-Exposition ab Bei einer Primärinfektion (d.h. dem ersten Kontakt mit M. tuberculosis) werden die Erreger von Alveolarmakrophagen aufgenommen und können so überleben und sich vermehren. Auch angelockte nicht ortsständige Makrophagen nehmen die Mykobakterien auf und transportieren sie in den Lymphgefäßen zu den Hiluslymphknoten. In diesen lokalen Lymphknoten werden Immunreaktionen (hauptsächlich zellvermittelte, CMI) stimuliert. Vier bis sechs Wochen nach der Infektion kann man die CMI-Reaktion nachweisen, wenn ein gereinigtes Proteinderivat (purified protein derivative, PPD) von M. tuberculosis in die Haut eingebracht wird. Bei einem positiven Befund zeigen sich 48– 72 Stunden später eine lokale Verhärtung und Rötung der Stelle.
Durch die zellvermittelte Immunreaktion (CMI) wird die Ausbreitung von M. tuberculosis gebremst 470
Es kann aber sein, dass schon Erreger durchgeschlüpft waren und Infektionsherde an anderen Stellen gebildet haben. Von sensibilisierten T-Zellen freigesetzte Lymphokine können Makrophagen verstärkt zur Vernichtung von Mykobakterien aktivieren. Der Körper reagiert, indem er die Erreger in „Tuberkeln“ einkapselt, kleinen Granulomen, die aus Epitheloid- und Riesenzellen bestehen (Abb. 19.14). In Verbindung mit vergrößerten Lymphknoten wird diese Lungenläsion oft auch als Ghon- oder Primärkomplex bezeichnet. Nach einer gewissen Zeit wird das Material in den Granulomen nekrotisch, es wirkt nun wie Käse („käsig“).
Tab. 19.7 Humanpathogene Mykobakterien *
Langsam wachsende Organismen brauchen nach Beimpfen einer verdünnten Lösung mehr als 7 Tage, um sichtbar zu wachsen, schnell wachsende weniger als 7 Tage. ** M. avium-Komplex; nach neueren Studien handelt es sich um zwei unterschiedliche Spezies. Die Serotypen 1–6 und 8–11 des M.-avium-Komplexes werden M. avium, die Serotypen 7, 12–17, 19, 20 und 25 M. intracellulare zugewiesen. Tuberkel können spontan abheilen, fibrosieren oder verkalken und in dieser Form lebenslang persistieren, auch wenn die Menschen völlig gesund erscheinen. Im Thoraxröntgenbild sind röntgendichte Knötchen zu sehen (Abb. 19.15). Doch bei
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einem kleinen Prozentsatz der Patienten, vor allem immun geschwächten, führt die Primärinfektion nicht dazu, dass die Mykobakterien in Tuberkeln eingekapselt werden, sondern dass sie in die Blutbahnen eindringen und eine disseminierte Erkrankung verursachen (Miliartuberkulose, Abb. 19.16). Eine sekundäre Tuberkulose in Form der Reaktivierung „schlummernder“ Mykobakterien ist gewöhnlich Folge einer geschwächten Immunität aufgrund von Mangelernährung, Infektionen (z.B. AIDS), Chemotherapie maligner Tumoren oder Kortikosteroidtherapie entzündlicher Erkrankungen.
Abb. 19.14 Histopathologisches Bild bei Lungentuberkulose.
Erkennbar sind dichte entzündliche Infiltration, Granulombildung und käsige Nekrose (mit freundlicher Genehmigung von R. Bryan).
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Tuberkulose verdeutlicht die Doppelrolle der Immunreaktionen auf Infektionen Infektionen können einerseits durch zellvermittelte Immunreaktionen (CMI) kontrolliert werden bzw. disseminieren oder reaktiviert werden, wenn die Kontrolle nicht ausreicht. Andererseits sind Pathologie und Symptomatik fast ausnahmslos Folge der CMI, da M. tuberculosis selbst keine oder nur eine geringe Schädigung bewirkt (auch nicht indirekt über Toxine). Am häufigsten reaktiviert werden Herde in den Lungenspitzen. Da die Oxygenierung hier stärker ist als an anderen Stellen, können sich Mykobakterien schneller vermehren und käsig-nekrotische Läsionen hervorrufen. Sie streuen zuerst in andere Lungenbereiche und können sich von dort aus in entfernte Körperregionen ausbreiten.
Abb. 19.15 Thoraxröntgenaufnahmen.
a) primäre Tuberkulose mit einem Ghon-Herd im linken unteren Lungenlappen; b) postprimäre Tuberkulose, ein weiter fortgeschrittenes Krankheitsstadium(mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
Eine Primärtuberkulose verläuft oft asymptomatisch Im Unterschied zur Pneumonie, bei der es sich meist um eine akute Infektion handelt, entwickelt sich die Tuberkulose schleichend, so dass es einige Zeit dauern kann, bis die Patienten einen Arzt aufsuchen, weil sie sich krank fühlen. Eine Primärtuberkulose verursacht keine oder nur leichte Symptome und verläuft in 90% der Fälle auch nicht progredient. Das Vollbild der Krankheit entwickelt sich nur bei ca. 10% der Infizierten. Mykobakterien können sich fast überall im Körper ansiedeln und verursachen sehr variable klinischen Zeichen: z.B. Müdigkeit, Gewichtsverlust, Schwäche und Fieber 473
bei Tuberkulose. Die Lungeninfektion äußert sich durch einen typischen, chronisch produktiven Husten, und wegen der Gewebezerstörung kann das Sputum blutig gefärbt sein. Wenn die Nekrose in Blutgefäße einbricht und sie zerreißen, kann es zu einer Blutung (Hämorrhagie) mit tödlichem Ausgang kommen.
Komplikationen ergeben sich durch lokale Ausbreitung oder Dissemination einer M.-tuberculosisInfektion Auf dem Lymph- oder Blutweg können die Erreger in andere Körperbereiche streuen. Diese Dissemination ereignet sich meist schon bei der Primärinfektion und führt dazu, dass sich z.B. im Nierengewebe chronische Herde etablieren, nekrotisch werden und es zerstören. Die andere Möglichkeit ist eine Ausbreitung der Infektion auf angrenzende Gebiete, z.B. wenn ein Tuberkel in einen Bronchus oder in den Pleuraspalt einbricht und seinen Inhalt entleert (Entstehung eines Pleuraergusses). Obwohl die Zahl der Lungentuberkulosefälle in den höher entwickelten Ländern seit Beginn des 20.Jahrhunderts zurückging (erst recht, seitdem neue Chemotherapeutika diese Entwicklung beschleunigten), ist die Inzidenz der extrapulmonalen Tuberkulose über viele Jahre konstant geblieben; daher gibt es in diesen Ländern einen höheren Tuberkulose-Anteil als in Entwicklungsländern.
Die Diagnose lässt sich nach Ziehl-Neelsen-Färbung des Sputums innerhalb einer Stunde stellen, der kulturelle Nachweis dauert bis zu 6 Wochen Die oben genannten Symptome und typische Thoraxröntgen-Befunde (Abb. 19.15) legen den Verdacht auf Tuberkulose ebenso nahe wie eine positive Hautreaktion im Tuberkulin- bzw. Mendel-Mantoux-Test. Bestätigt werden die Testergebnisse mikroskopisch und durch die Anzüchtung von M. tuberculosis. Bei mikroskopischer Untersuchung einer Sputumprobe (Ausstrichpräparat, ZiehlNeelsen- oder Auramin-Färbung, s. Kap. 32 und Anhang) zeigen sich oft säurefeste Stäbchenbakterien (Abb. 19.17). Dieses rasche Ergebnis – innerhalb einer Stunde nach Einreichen der Probe vom Labor erhältlich – ist deshalb wichtig, weil die Anzüchtung von M. tuberculosis auf Kulturmedien bis zu 6 Wochen dauern kann (obwohl radiometrische Nachweismethoden die erforderliche Zeit verkürzen können, s. Anhang) und sich die Bestätigung der Diagnose sonst zwangsläufig verzögern würde. Schnelle, nicht auf kultureller Anzucht basierende Methoden – z.B. PolymeraseKettenreaktion (PCR, s. Kap. 32) – finden zunehmend breitere Anwendung. Zur Identifizierung der Spezies und zur Empfindlichkeitstestung (für die Wahl der Antituberkulotika) sind jedoch weitergehende Untersuchungen nötig.
Die Behandlung erfolgt als Langzeittherapie mit spezifischen Antituberkulotika
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Da Mykobakterien von Natur aus gegen die meisten Antibiotika resistent sind, müssen spezifische Substanzen eingesetzt werden (s. Kap. 33). Wesentlich für die Behandlung ist: ■ eine Kombinationstherapie (mindestens drei Medikamente, meist Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol), um Resistenzentwicklung zu verhindern, ■ eine Langzeittherapie (über mindestens sechs Wochen), um die langsam wachsenden intrazellulären Mikroorganismen alle zu vernichten. Die Zahl der Stämme, die inzwischen gegen die gebräuchlichsten (first-line) Antituberkulotika resistent geworden sind, nimmt zu. Das hat die Gesundheitsämter zu einer sorgfältigeren Überwachung der Behandlung (z.B. mit DOTS, directly observed treatment, short-course) veranlasst und die Forschung zur Suche nach neuen Wirkstoffen animiert.
Tuberkulose lässt sich durch Verbesserung der sozialen Verhältnisse, durch Impfung und Chemoprophylaxe verhindern Der stete Rückgang der Tuberkulose-Inzidenz seit Beginn des 20.Jahrhunderts, als noch keine spezifischen Präventionsmaßnahmen verfügbar waren, unterstreicht die Bedeutung, die eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse für die Verhütung von Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten hat. In den letzten Jahren ist jedoch ein Anstieg der Tuberkulosefälle bei AIDS-Patienten zu beobachten. In einigen (entwickelten) Ländern könnten HIV-Infektion und AIDS die TuberkuloseBekämpfungsprogramme gefährden. Man schätzt, dass 1995 etwa ein Drittel der AIDS-Todesfälle auf Tuberkulose zurückzuführen waren.
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Abb. 19.16 Miliartuberkulose.
Makroskopisch sind die Tuberkuloseherde als weiße Knötchen auf der Schnittfläche einer Lungengewebeprobe zu erkennen (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes). Bei hoher Tuberkuloseprävalenz hat sich die Impfung mit attenuiertem BCGLebendimpfstoff (Bacillus Calmette-Guérin) als sehr wirksam erwiesen. Nach der Immunisierung fallen Hauttests positiv aus. Die Impfung verhindert nicht die Infektion, sondern hilft dem Körper, schneller auf die Proliferation der Erreger zu reagieren und sie einzudämmen. In Gegenden mit niedriger Tuberkuloseprävalenz ist die Impfung weitgehend durch eine Chemoprophylaxe ersetzt worden. In Deutschland gehört die BCG-Impfung nicht mehr zu den durch die STIKO empfohlenen Impfungen. Für alle, die engeren Kontakt zu einem Tuberkulosekranken hatten, empfiehlt sich eine Prophylaxe mit Isoniazid über ein Jahr. Sie wird auch für Menschen befürwortet, deren Hauttest nach einer kürzlich aufgetretenen Konversion positiv ausfällt. In dem Fall handelt es sich eher um die frühe Behandlung einer subklinischen Infektion als um eine Prophylaxe.
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Abb. 19.17 Lungentuberkulose.
Sputumpräparat (Ziehl-Neelsen-Färbung) mit rosa gefärbten, säurefesten Tuberkelbakterien (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
19.2.2
Mykosen (Pilzinfektionen)
An einer Pilzinfektion erkranken vor allem Patienten mit Immunschwäche (infolge einer Immunsuppressivatherapie oder aufgrund einer Begleiterkrankung). Opportunistische Infektionen können von verschiedenen Spezies hervorgerufen werden, zwei Vertreter sind besonders wichtig: Aspergillus fumigatus und Pneumocystis jiroveci.
Aspergillus fumigatus A. fumigatus kann eine allergische bronchopulmonale Aspergillose, Aspergillome oder eine disseminierte Aspergillose verursachen Viele Spezies der Aspergillen-Familie kommen ubiquitär in der Umgebung vor, sind aber kein Bestandteil der Normalflora. In der Regel hat die Inhalation von Pilzsporen keine schädlichen Folgen, doch manche Arten, namentlich A. fumigatus, können ein ganzes Spektrum von Krankheiten verursachen, darunter ■ Allergische bronchopulmonale Aspergillose: wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine allergische Reaktion auf Aspergillus-Antigen in der Lunge bei Asthmapatienten. ■ Aspergillome: Betroffen sind Patienten mit Lungenkavernen oder chronischen pulmonalen Störungen. Ein Aspergillom ist ein „Pilzball“ aus Pilzfäden (Hyphen), der sich bei Besiedlung mit A. fumigatus in den Kavernen bildet (Abb. 19.18). Die
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Pilze dringen zwar nicht ins Lungengewebe ein, doch ein größeres Aspergillom kann zu Atemstörungen führen. ■ Eine disseminierte oder invasive Aspergillose kann sich bei immunsupprimierten Patienten entwickeln, wenn es zu einer Lungeninvasion durch den Pilz kommt. Die Behandlung einer invasiven Aspergillose gestaltet sich sehr schwierig, zum einen aufgrund der nur in beschränkter Zahl verfügbaren und hochtoxischen Antimykotika mit Aspergillus-Wirksamkeit (s. Kap. 33) und zum anderen wegen fehlender Immunabwehr.
Abb. 19.18 Aspergillus fumigatus.
a) Laktophenolblau gefärbtes Nativpräparat mit typischen Konidiophoren; b) Aspergillom – Schichtbild (Tomogramm) des „Pilzballs“ in einer Lungenkaverne, umgeben von Luft (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes); c) invasive Aspergillose – histologisches Schnittpräparat (GrocottFärbung) mit Pilzfäden, die ins Lungenparenchym und in die Blutgefäße eingedrungen sind (mit freundlicher Genehmigung von C. Kibbler).
Pneumocystis jiroveci (früher: P. carinii) Pneumocystis-Pneumonie ist eine wichtige opportunistische Infektion bei AIDS-Patienten P. jiroveci kommt als atypischer Pilz bei gesunden Menschen und bei Nagetieren vor. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion. Betroffen sind meist körperlich und immun-geschwächte Menschen. Bevor es die Möglichkeit einer hochwirksamen antiretroviralen Therapie (highly active antiretroviral therapy, HAART) gab, entwickelte sich bei einem hohen Anteil der AIDS-Patienten eine Pneumocystis-Pneumonie – oft mit tödlichem Ausgang. P. jiroveci kann in Form von Trophozoiten (Durchmesser bis zu 7 μm) vorkommen, oder aber auch als Zysten (5–8 μm), die in reifem Zustand bis zu 8 intrazystische Körperchen enthalten, aus denen nach Freisetzung wiederum Trophozoiten hervorgehen. Die Krankheit geht mit einer interstitiellen Pneumonie und Plasmazellinfiltration einher. Auch über Erkrankungsherde außerhalb der Lunge wurde vereinzelt berichtet.
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19.2.3
Zystische Fibrose (Mukoviszidose)
Mit einer Inzidenz von ca. 1/2500 Lebendgeburten ist die zystische Fibrose (Mukoviszidose) die häufigste angeborene (und tödlich verlaufende) Stoffwechselstörung in der weißen Bevölkerung. Kennzeichnend sind Pankreasinsuffizienz, abnorme Elektrolytkonzentrationen im Schweiß und hochvisköses Bronchialsekret. Letzteres staut sich in der Lunge und prädisponiert zu Infektionen.
Im Alter von 15–20 Jahren sind fast alle Mukoviszidose-Patienten mit P. aeruginosa in der Lunge besiedelt In den Atemwegsschleimhäuten von Mukoviszidose-Patienten finden potenzielle Pathogene ganz andere Bedingungen vor als bei Gesunden. Auch Erreger und Art der Infektion unterscheiden sich von den üblichen Lungenkrankheiten. Invasive Keime bei Mukoviszidose: ■ Staphylococcus aureus verursacht Lungenschäden und pulmonale Infektionen, lässt sich aber durch eine Antibiotikatherapie (mit spezifischer StaphylokokkenWirksamkeit) gut kontrollieren. ■
Pseudomonas aeruginosa ist pathogenetisch von herausragender Bedeutung ( unten).
■ In den letzten Jahren ist mit Burkholderia cepacia ein weiterer Gram-negativer Erreger mit besonderen Antibiotika-Resistenzen zum Problem geworden. ■ Gemeinsam mit S. aureus und P. aeruginosa kann H. influenzae (typischerweise unbekapselte Stämme) vorhanden sein, doch die pathogenetische Bedeutung ist unklar; H. influenzae trägt anscheinend zu Exazerbationen der respiratorischen Störungen bei. Bei Kindern unter fünf Jahren sind P.-aeruginosa-Infektionen selten, doch mit 15–20 Jahren ist die Lunge fast aller Mukoviszidose-Patienten mit dem Keim besiedelt, dessen intrinsische Resistenz gegen die meist verabreichten staphylokokkenwirksamen Mittel die Vermehrung offenbar noch begünstigt. In Frühstadien der Infektion zeigen die Erreger in Sputumkulturen ein normales (Kolonie-) Wachstum, doch mit fortschreitender Infektion wird daraus eine stark mukoide Form, die fast die Sekretionen des Patienten imitiert (Abb. 19.19). Obwohl die mukoiden Formen vermutlich in Mikrokolonien in der Lunge wachsen, dürften die Lungenschäden größtenteils durch Immunreaktionen bedingt sein – auf Erreger und Alginate im mukoiden Material (Abb. 19.20). Selbst bei einer schweren Infektion geht die Invasion von P. aeruginosa selten über die Lungengrenzen hinaus.
Abb. 19.19 Pseudomonas aeruginosa lässt sich bei Patienten mit zystischer Fibrose aus dem Sputum isolieren.
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Typisch sind stark mukoide Kolonien, wie hier links im Bild zu sehen (rechts zum Vergleich die normale Kolonieform).
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Abb. 19.20 Pseudomonas aeruginosa verursacht bei Patienten mit zystischer Fibrose eine chronische, aber nur selten die Grenzen der Bronchialschleimhaut überschreitende Infektion.
Man nimmt an, dass die Erreger in Mikrokolonien wachsen und in ein Kalzium(Ca2+)-abhängiges, mukoides Alginatgel eingebettet sind, das DNA und tracheobronchiales Muzin enthält. Das klebrige Gel haftet an der Bronchialschleimhaut und schützt die Erreger vor den Abwehrkräften des Wirts, zudem bildet es eine physikalisch-chemische (Elektrolyt-) Schranke für Antibiotika. Für die Gewebeschädigung dürften zum großen Teil bakterielle Proteasen (deren verzögerte Freisetzung zu Schleimhautläsionen und Hypersekretion von Muzin führt), immunpathologische Auswirkungen (verstärkt durch Größe, Antigenität und Persistenz der Alginatmatrix) und die indirekte Wirkung von Immunkomplexen mit Pseudomonas-aeruginosa- Antigenen (P) verantwortlich sein. Aber auch Phagozyten-Proteasen können das Gewebe schädigen. Zeitweilige Exazerbationen lassen sich damit erklären, dass diese Proteasen Fc aus Immunkomplexen abspalten und die weitere Phagozytenstimulierung hemmen [nach Govan & Glass 1990].
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Obwohl eine spezifische antibakterielle Chemotherapie die Infektionssymptome abmildern und die Lebensqualität verbessern kann, ist eine Eradikation von P. aeruginosa und B. cepacia fast unmöglich; diese Infektionen führen daher meist zum Tode. Für manche Patienten kann eine Herz-Lungen-Transplantation eine Erfolg versprechende Alternative sein.
19.2.4
Lungenabszess
In Lungenabszessen findet sich meist eine Vielzahl verschiedener Bakterien (einschließlich Anaerobiern) Bei einem Lungenabszess handelt es sich um eine eitrige Lungeninfektion, die oft auch als nekrotisierende Pneumonie bezeichnet wird. Dazu prädisponieren kann eine Sekretaspiration aus Atemwegen oder Magen, z.B. bei Bewusstseinsstörungen. Ursprünglich ist es also eine endogene Infektion, oft mit gemischten Bakterienkulturen, bei der Anaerobier wie Bacteroides und Fusobakterien eine wichtige Rolle spielen (Abb. 19.21). Bei einem Lungenabszess fühlen sich die Patienten schon mindestens zwei Wochen vor Auftreten der ersten Symptome krank. Das in großen Mengen produzierte Sputum kann faulig riechen. Dieser Geruch spricht für eine anaerobe Infektion und lässt oft schon die richtige Diagnose vermuten. Gesichert wird die Diagnose durch ThoraxRöntgenaufnahmen (Abb. 19.5d). Die Ursache abzuklären helfen mikrobiologische Untersuchungen.
Lungenabszesse sollten mindestens 2–4 Monate (mit einem Anaerobier-wirksamen Antibiotikum) behandelt werden Ein gegen Anaerobier wirksames Mittel wie Metronidazol sollte auf jeden Fall Teil des Therapieregimes sein, weil bei einem Lungenabszess höchstwahrscheinlich Anaerobier vorliegen. Um Rezidive zu vermeiden, muss die Behandlung über 2–4 Monate weitergeführt werden. Wenn sich Diagnosestellung und Therapiebeginn verzögern, kann die Infektion auf den Pleuraspalt übergreifen und ein Empyem verursachen (s. unten).
482
Abb. 19.21 Eiter aus einem Lungenabszess.
Durch Gram-Färbung werden Gram-positive Kokken und Gram-positive wie Gram-negative Stäbchenbakterien sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von J.R. Cantey).
19.2.5
Pleuraerguss und Empyem
Bis zu 50% der Pneumonie-Patienten haben einen Pleuraerguss Pleuraergüsse können unterschiedliche Ursachen haben. Manchmal breiten sich Erreger aus der Lunge in den Pleuraraum aus und verursachen eitriges Exsudat oder ein Empyem. Pleuraergüsse lassen sich auf Röntgenbildern nachweisen, doch ein Empyem kann – gerade bei Patienten mit ausgedehnter Pneumonie – schwierig abzugrenzen sein. Material zur mikrobiologischen Untersuchung wird durch Aspiration von Pleuraflüssigkeit gewonnen. Häufig sind Staphylococcus aureus, Gram-negative Stäbchenbakterien und Anaerobier an Pleuraergüssen und -empyemen beteiligt. Die Behandlung besteht in einer Pleuradrainage, Eradikation der Infektion und Lungenexpansion.
483
19.3
Parasitäre Infektionen
Parasiten können sich in der Lunge ansiedeln oder eine Entwicklungsphase durchlaufen ■ Nematoden wie Ascaris und Hakenwürmer (s. Kap. 6 und 22) wandern auf ihrem Weg zum Dünndarm durch die Lunge. Dabei brechen sie durch kleine Alveolokapillargefäße in die Bronchiolen ein. Die Gefäßschädigung kann zusammen mit einer Entzündungsreaktion eine vorübergehende Pneumonie bewirken. ■ Schistosomenlarven können leichte respiratorische Symptome hervorrufen, wenn sie durch die Lunge wandern (s. Kap. 6 und 22). ■ Mikrofilarien von Nematoden wie Wuchereria oder Brugia können in einem regelmäßigen 24-Stunden-Rhythmus im peripheren Kreislauf auftauchen. Sie erscheinen genau zu der Zeit (am Tag oder in der Nacht), in der höchstwahrscheinlich auch blutsaugende Insekten (= ihre Vektoren) stechen. Außerhalb dieser Perioden werden Larven in den Lungenkapillaren sequestriert. Unter bestimmten (noch nicht näher definierten) Umständen bzw. bei bestimmten Personen wird durch die Larven eine tropische pulmonale Eosinophilie (TPE) oder ein Weingarten-Syndrom ausgelöst (mit Husten, Atemnot und ausgeprägter Eosinophilie); Mikrofilarien sind bei diesem Zustand im Allgemeinen nicht im Blut nachzuweisen. ■ Eine pulmonale Eosinophilie kann auch durch Ascaris-und StrongyloidesInfektionen ausgelöst werden, unterscheidet sich aber von der TPE. ■ Hydatidenzysten von Echinococcus granulosus sind in 20–30% der Fälle in der Lunge lokalisiert, wenn sich dort Bandwurmlarven befinden (s. Kap. 6 und 22). Die Zysten können eine beträchtliche Größe erreichen und durch mechanischen Druck auf das Lungengewebe Atemnot verursachen. ■
Entamoeba histolytica kann in seltenen Fällen auch die Lunge befallen.
■ Paragonimus westermani, der sog. Orientalische Lungenegel, ist das wichtigste Beispiel für Parasiten, die im Erwachsenenstadium in der Lunge leben (insgesamt nur sehr wenige). Die Infektion erfolgt durch den Verzehr von Krustentieren, die infektiöse Stadien enthalten. Diese Metazerkarien wandern vom Darm aus durch die Bauchhöhle und dringen in die Lunge ein. Dort reifen sie in fibrösen Zysten zu erwachsenen Egeln heran. Die Zysten bleiben so mit den Bronchien in Verbindung, dass die Eier hinausgelangen können (Abb. 19.22). Die Infektion verursacht Brustschmerzen und Atemschwierigkeiten, bei einer größeren Zahl von Parasiten kann es auch zur Bronchopneumonie kommen. Praziquantel ist ein wirksames Antihelminthikum für diese Art von Infektion.
Abb. 19.22 Zwei adulte Paragonimus-Exemplare in einer fibrösen Lungenzyste
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(mit freundlicher Genehmigung von H. Zaiman)
Zusammenfassung ■ Obwohl der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen ein Kontinuum bildet, ist es besser, zwischen „oberen“ und „unteren“ Atemwegsinfektionen zu unterscheiden. ■ Untere Atemwegsinfektionen (mit Ausnahme eines Parasitenbefalls) verbreiten sich auf dem Luftweg, können akut oder chronisch sein, oft schwer verlaufen und auch tödlich enden, wenn sie nicht richtig behandelt werden. Als Auslöser kommt ein breites Erregerspektrum in Frage – meist Bakterien oder Viren, aber auch Pilze und Parasiten. ■ Eine Bronchitis verläuft meist als chronische Entzündung des Bronchialbaums mit akuten Exazerbationen und wird durch Viren oder Bakterien verursacht. Typisch für die Infektion sind Husten und starke Schleimproduktion, die Diagnose wird klinisch gestellt. Ob die häufig verabreichten Antibiotika wirksam sind, ist fraglich. ■ Die Bronchiolitis tritt als akute, schwere RSV-Infektion bei Kleinkindern auf. Die Erkrankung kann in der häuslichen Umgebung oder im Krankenhaus ausbrechen. Zugrunde liegt ihr eine Immunpathologie. Man sollte eine spezifische Therapie (Ribavirin) in Betracht ziehen. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung. ■ Eine Pneumonie kann durch eine Reihe von Pathogenen verursacht werden. Einen wichtigen Einfluss haben Alter, Vorerkrankungen oder andere Grundkrankheiten des Patienten, berufliche und geografische Faktoren. Für eine optimale Therapie ist die richtige mikrobiologische Diagnose entscheidend. Die Pneumonie ist noch immer mit einer signifikanten Sterblichkeit behaftet. ■ Bordetella pertussis kann das Flimmerepithel der Atemwege besiedeln und mit Keuchhusten eine spezifisch humanpathogene Infektion verursachen. Wichtig für seine Virulenz sind Pertussis- und andere Toxine. Keuchhusten wird klinisch 485
diagnostiziert, verdächtig sind die typischen Hustenattacken (Paroxysmen). An vorderster Stelle steht die supportive Behandlung, Antibiotika spielen nur eine untergeordnete Rolle. Keuchhusten lässt sich durch Impfung zuverlässig verhindern, und neue sichere Impfstoffe mit weniger Nebenwirkungen stehen bereits zur Verfügung. ■ Influenzaviren können endemische, epidemische und pandemische Grippeinfektionen verursachen, weil sie zu Antigen-Drift und Antigen-Shift imstande sind. Grippe beginnt akut und verläuft zum Teil mit schweren Krankheitssymptomen. Eine virale Vorschädigung der Atemwegsschleimhaut kann bakterielle Sekundärinfektionen begünstigen. Antivirale Mittel sind verfügbar, aber nur begrenzt wirksam. Wichtig ist daher die Impfung. Wegen häufiger Antigenänderung muss jedoch eine ständige Anpassung der Impfstoffe an die gerade im Umlauf befindlichen Viren erfolgen. ■ Die Tuberkulose ist eine der Haupttodesursachen und tritt immer häufiger in Verbindung mit AIDS auf. Die Infektion verläuft meist chronisch. Bei Primärinfektion mit Mycobacterium tuberculosis entwickelt sich eine lokal begrenzte pulmonale Läsion, die Reaktivierung der Infektion aufgrund eingeschränkter Immunfunktionen führt dann zur Sekundärerkrankung. Die klinische Diagnose wird durch den Nachweis säurefester Mykobakterien im Sputum gesichert. Wirksame Medikamente sind verfügbar, müssen aber ausreichend lange verabreicht werden (als Zyklen einer Kombinationstherapie). ■ Aspergillus fumigatus kann Lungenerkrankungen auslösen, deren Bandbreite von der invasiven Form bei Immunschwäche bis zur allergischen Reaktion bei ansonsten Gesunden reicht. Die Behandlung ist schwierig, weil nur eine begrenzte Zahl wirksamer Antimykotika verfügbar ist und die Abwehrkräfte des Wirts meist beeinträchtigt sind. ■ Die zystische Fibrose (Mukoviszidose) ist eine erbliche Krankheit, die zu einem besonderen Krankheitsmuster prädisponiert. Die Lungeninfektion durch P. aeruginosa lässt sich zwar in der Regel durch eine antibakterielle Therapie unter Kontrolle bringen, doch eine vollständige Beseitigung (Eradikation) des Erregers ist selten möglich. ■ Verschiedene Parasiten können im Laufe ihrer Entwicklung durch die Lunge wandern oder sich auf Dauer dort niederlassen. Der Schaden hält sich in Grenzen, solange die parasitäre Belastung nicht zu hoch ist, und ist meist immunpathologisch bedingt.
FRAGEN Ein 30-jähriger Mann gibt bei der Anamnese an, dass er seit 10 Tagen unter Müdigkeit, Kopfschmerzen, Fieber und trockenem Husten leidet. Er raucht etwa 20 Zigaretten am Tag. Die medizinische Anamnese ist unauffällig und auch bei der körperlichen Untersuchung sind keine Besonderheiten feststellbar. Die Untersuchungsbefunde sind: Fieber (38°C), Dyspnoe und Hautausschlag (Erythema multiforme). Die Auskultation der Lunge ist unauffällig bis auf vereinzelte Krepitationen. Laborwerte: Hämoglobin 10 g/dl, Leukozyten 6 × 109/l, BSG 486
(Blutsenkungsgeschwindigkeit) 45 mm/h; Harnstoff und Elektrolyte normal; Thoraxröntgen: fleckige Verschattung. 1 Wie lautet die Differenzialdiagnose? 2 Welche für die Differenzialdiagnose relevanten Fragen wurden nicht gestellt? 3 Welche weiterführenden Untersuchungen würden Sie veranlassen? 4 Einige Ergebnisse weiterführender Untersuchungen: MykoplasmenAgglutinationstest (Titer von 1024), Mykoplasmen-KBR (Akutserumtiter 160, Rekonvaleszenzserumtiter 2560), Kälteagglutinine (positiv). Wie lautetdaher die Diagnose? 5 Wie würden Sie diesen Patienten behandeln?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Alonzo de Velasco, E., Verheul, A.F., Verhoef, J., Snipple, H.: Streptococcus pneumoniae: virulence factors, pathogenesis and vaccines. Microbiol Rev 59 (1995) 591–603. Couch, R.B., Kasel, J.A., Glezen, W.P. et al.: Influenza: Its control in persons and populations. J Infect Dis 153 (1986) 431–447. Department of Health and Welsh Office: The control of legionellae in health care premises. HMSO, London 1988. Govan J.R.W., Glass, S.: The microbiology and therapy of cystic fibrosis lung infections. Rev Med Microbiol 1 (1990) 19–28. Höffken, G., Lorenz, J., Kern, W. et al.: Epidemiologie, Diagnostik, antimikrobielle Therapie und Management von erwachsenen Patienten mit ambulant erworbenen tiefen Atemwegsinfektionen sowie ambulant erworbener Pneumonie. S3-Leitlinie der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V., der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie und vom Kompetenznetzwerk CAPNET. Chemotherapie J 14 (2005) 97–155. Hutchinson, D.N.: Nosocomial legionellosis. Rev Med Microbiol 1 (1990) 108–115. Jacobs, E.: Mycoplasma pneumoniae virulence factors and the immune response. Rev Med Microbiol 2 (1991) 83–90. Kawaoka, Y., Webster, R.G.: Molecular mechanisms of acquisition of virulence in influenza virus in nature. Microb Pathogenesis 5 (1988) 311–318. La Via, W.V., Marks, M.I., Stutman, H.R.: Respiratory syncytial virus puzzles. Clinical features, pathophysiology, treatment and prevention. J Pediatr 121 (1992) 503–510. Marrie, T.J., Grayston, J.T., Wang, P., Kuo, C.-C.: Pneumonia associated with the TWAR strain of Chlamydia. Ann Intern Med 106 (1987) 507–511. 487
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488
20 Harnwegsinfektionen 20.1
Infektionsweg und Ätiologie 257
20.2
Pathogenese 258
20.3
Klinik und Komplikationen 260
20.3.1
Infektionen des unteren Harntraktes 260
20.3.2
Infektionen des oberen Harntraktes 261
20.4
Laboruntersuchung und Befunde 261
20.4.1
Laboruntersuchung 262
20.4.2
Mikroskopische Untersuchung 262
20.5
Behandlung 263
20.6
Prävention 264
Zur Orientierung Harnwegsinfektionen kommen häufig vor, besonders bei Frauen Der Harntrakt ist mit am häufigsten von bakteriellen Infektionen betroffen, vor allem bei Frauen. 20–30% der Frauen haben irgendwann in ihrem Leben eine rezidivierende Harnwegsinfektion. Männer erkranken seltener, meist erst ab dem 50.Lebensjahr. Obwohl die meisten Infektionen akut auftreten und rasch wieder abklingen, tragen sie in erheblichem Maße zur Morbidität der Bevölkerung bei. Schwere Infektionen führen zum Funktionsverlust der Nieren mit gravierenden Langzeitfolgen. Bei Frauen wird zwischen Zystitis, Urethritis und Vaginitis unterschieden, doch da der Urogenitaltrakt eine Einheit darstellt, überlappen sich die Symptome häufig.
20.1
Infektionsweg und Ätiologie
Bakterielle Infektionen steigen meist von der Urethra zur Harnblase auf Die Infektion kann anschließend auf die Nieren übergreifen. Wenn Erreger in die Blutbahn gelangen, kommt es zu einer Urosepsis. Seltener wird zuerst das Nierengewebe befallen und die Infektion breitet sich dann von den Nieren absteigend aus. Aus epidemiologischer Sicht können Harnwegsinfekte ambulant erworben werden oder nosokomial auftreten. Letztere treten oft nach Katheterisierung auf. Nosokomiale Harnwegsinfektionen kommen seltener vor als ambulant erworbene, machen jedoch den größten Anteil der gesamten nosokomialen Infektionen aus.
489
Der Gram-negative Erreger Escherichia coli ist der häufigste Erreger aufsteigender Harnwegsinfektionen Beteiligt sind aber auch andere Enterobacteriaceae (Abb. 20.1). Dass Harnsteine oft mit Proteus mirabilis einhergehen, könnte an der stark harnalkalisierenden Urease liegen, die der Keim produziert und die Harnstoff (Urea) in Ammoniak umwandelt. Bei nosokomialen Harnwegsinfekten sind gehäuft Klebsiella-, Enterobacter- und SerratiaSpezies oder Pseudomonas aeruginosa anzutreffen, deren Resistenz gegenüber bestimmten Antibiotika eine Selektion bei hospitalisierten Patienten begünstigt (s. Kap. 36). Unter den Gram-positiven Spezies verfügt besonders Staphylococcus saprophyticus über Eigenschaften, die vor allem bei sexuell aktiven jungen Frauen eine Harnwegsinfektion hervorrufen. Bei hospitalisierten (vor allem AIDS-) Patienten sind eher Staphylococcus epidermidis und Enterokokken ursächlich für einen Harnwegsinfekt; hier können Mehrfachresistenzen die Behandlung erschweren. Erst seit kurzem sieht man auch kapnophile (d.h. in CO2-angereicherter Luft besser wachsende) Spezies wie Corynebakterien und Laktobazillen als mögliche Auslöser eines Harnwegsinfektes. Obligate Anaerobier sind sehr selten beteiligt. Bei hämatogener Ausbreitung von den Nieren zu den Harnwegen finden sich unter anderem auch Salmonellen, Staphylococcus aureus oder Mycobacterium tuberculosis (Erreger der Nierentuberkulose).
Viren sind selten die Ursache von Harnwegsinfektionen; es gibt jedoch Assoziationen mit hämorrhagischer Zystitis und renalen Syndromen Bestimmte Viren können im Urin nachgewiesen werden, ohne dass ein Harnwegsinfekt besteht: ■ Wenn sich humanpathogene (JC- und BK-)Polyomaviren vom Respirationstrakt aus im Körper ausgebreitet und Nierentubuluszellen oder das Ureterepithel infiziert haben, persistiert das Virusgenom in einer Latenzphase. Etwa 35% der Nieren gesunder Individuen enthalten Polyomavirussequenzen. Während einer normalen Schwangerschaft kann das Virus asymptomatisch reaktiviert werden, es kommt zur massiven Ausscheidung von Viren im Urin. Eine Reaktivierung tritt außerdem bei immunsupprimierten Patienten auf (s. Kap. 30) und kann zu hämorrhagischer Zystitis führen. ■ Nach kongenitaler Infektion können hohe Zytomegalie-(CMV)- und Rötelnvirustiter im Urin das einzige Symptom der Kinder sein (s. Kap. 23). ■ Im Unterschied zur asymptomatischen Ausscheidung von Viren können bestimmte Serotypen der Adenoviren offenbar eine hämorrhagische Zystitis auslösen. ■ Das von Nagern übertragene Hantavirus (Auslöser des koreanischen hämorrhagischen Fiebers) infiziert Kapillargefäße der Nieren und kann ein renales Syndrom mit Proteinurie hervorrufen.
490
■ Auch andere Viren (darunter das Mumpsvirus und HIV) können die Nieren infizieren. Zum Virusnachweis werden Urinproben elektronenmikroskopisch bzw. anhand von Isolations- oder Genomnachweismethoden untersucht.
Abb. 20.1 Häufige Ursachen bakterieller Harnwegsinfektionen.
Prozentualer Anteil einzelner Spezies bei ambulanten und stationären Patienten. In beiden Patientengruppen wird mit Abstand am häufigsten Escherichia coli isoliert, doch bei anderen Gram-negativen Keimen zeigt sich eine auffallende Differenz. Erreger mit Mehrfachresistenz gegenüber Antibiotika lassen sich bevorzugt bei Krankenhauspatienten isolieren, die antibiotisch behandelt werden.
Nur sehr wenige Parasiten verursachen einen Harnwegsinfekt Andere Ursachen von Harnwegsinfektionen sind: ■
Pilze (Candida spp. und Histoplasma capsulatum).
491
■ Das Protozoon Trichomonas vaginalis kann bei Männern und Frauen eine Urethritis auslösen, verursacht aber viel häufiger vaginale Infektionen (s. Kap. 21). ■ Schistosoma haematobium (s. Kap. 27); führt zu Blasenentzündung bzw. häufiger zu Hämaturie. Die Wurmeier können in die Blasenwand eindringen, bei schweren Infektionen ausgedehnte granulomatöse Reaktionen hervorrufen und verkalken. Maligne Harnblasentumoren scheinen mit chronischen Infektionen zusammenzuhängen, obwohl der genaue Mechanismus nicht bekannt ist. Bei einer Ureterobstruktion aufgrund der entzündlichen Veränderungen (ausgelöst durch die Wurmeier) kann es auch zu Hydronephrose kommen.
20.2
Pathogenese
Verschiedene mechanische Faktoren prädisponieren für einen Harnwegsinfekt Prädisponierend für einen Harnwegsinfekt wirkt jede Behinderung des normalen Urinflusses oder der vollständigen Harnentleerung. Hierdurch wird den Erregern der Zugang zur Harnblase erleichtert (Abb. 20.2). Die kürzere weibliche Harnröhre ist anfälliger für Infektionen als die von Männern (s. Kap. 13). Unterstützt wird der Aufstieg der Keime in der Urethra auch durch Geschlechtsverkehr, besonders bei Frauen; dementsprechend weisen sexuell aktive Frauen eine höhere Inzidenz von Harnwegsinfekten auf als enthaltsame Frauen. Möglicherweise spielt die bakterielle Besiedlung des periurethralen Vaginalbereichs eine Rolle (s: unten). Männer, die nicht beschnitten sind, leiden häufiger an Harnwegsinfekten. Hier besteht eine Assoziation mit der Kolonisation mit fäkalen Mikroorganismen auf der Innenseite des Präputiums und in der Urethra.
492
Hauptursachen einer unvollständigen Blasenentleerung: Schwangerschaft, Prostatahyperplasie, Nierensteine, Tumoren und Strikturen Wenn mehr als 2–3 ml Restharn in der Harnblase zurückbleiben, steigt das Infektionsrisiko. Wird eine Obstruktion von einer Superinfektion überlagert, können Keime, die bis zur Niere aufsteigen, eine rasche Zerstörung von renalem Gewebe bewirken. Kommt es aufgrund neurologischer Erkrankungen (z.B. durch Verlust der Blasen/Sphinkterverschluss-Kontrolle bei Spina bifida, Paraplegie oder multipler Sklerose) zu einer funktionellen Harnabfluss-Störung mit großem Restharnvolumen, sind die Patienten besonders anfällig für rezidivierende Infektionen. Ein vesikoureteraler Reflux (Rückstau des Urins aus der Harnblase in die Ureteren, manchmal auch bis ins Pyelon oder Nierenparenchym) tritt häufiger bei Kindern mit Fehlbildungen der Harnwege auf; er prädisponiert zu aufsteigenden chronischen Infektionen und damit einhergehend zu Schädigungen des Nierenparenchyms. Bei Kindern kann es auch ohne anatomische Fehlbildungen zu einem Reflux im Rahmen einer Harnwegsinfektion kommen. Zwar unterscheidet sich die Prävalenz von Harnwegsinfekten bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern nicht signifikant, der Infekt nimmt aber bei Diabetikern häufiger einen schwereren Verlauf. Oft chronifizieren diese Infektionen, wenn eine neurogene Blasenstörung im Rahmen einer diabetischen Neuropathie vorliegt. Häufig kann bei Diabetikern postmortal eine Pyelonephritis nachgewiesen werden.
493
Abb. 20.2 Eigenschaften von Bakterien und Wirtsfaktoren, die eine Harnwegsinfektion begünstigen.
Anatomische Fehlbildungen prädisponieren offenbar zu einer Harnwegsinfektion. Zwar sind Bakterienadhäsine detaillierter untersucht, doch über andere bakterielle Virulenzfaktoren bei der Harnwegsinfektion weiß man noch wenig.
Katheterisierung ist ein wichtiger prädisponierender Faktor für Harnwegsinfektionen Beim Einführen des Katheters können Bakterien direkt in die Harnblase gelangen. Bei liegendem Katheter können die Bakterien entweder innen oder außen (zwischen Katheter und Harnröhrenwand) zur Harnblase aufsteigen (Abb. 20.3). Da der Katheter die normale Schutzbarriere der Harnblase durchbricht, können sich Bakterien leichter ansiedeln. Daher besteht zwischen Verweildauer des Katheters und Infektionsgefahr ein direkter Zusammenhang (d.h., mit jedem Tag der Katheterisierung erhöht sich das Risiko einer Harnwegsinfektion um 3–5%).
494
Abb. 20.3
Harnkatheter.
Eine Katheterisierung prädisponiert zu aufsteigenden Infektionen. Dabei können die Bakterien entweder während des Einführens mit vorgeschoben werden oder außen am liegenden Katheter zur Harnblase aufsteigen. Auch eine bakterielle Kontamination des Drainage-systems aus anderen Quellen kann zur Infektion führen. (Blasen-) Urinproben für Laboruntersuchungen bei katheterisierten Patienten wie gezeigt entnehmen. Über den zweiten Anschluss oben kann Flüssigkeit in die Harnblase instilliert werden. Urin aus dem Auffang-/Sammelbeutel eignet sich nicht zur Untersuchung, weil er mehrere Stunden im System gestanden haben könnte.
Erreger besitzen unterschiedliche Virulenz-Faktoren (Wirt-Parasiten-Beziehung im Harntrakt s. Kap. 13) Die meisten Pathogene im Harntrakt entstammen der Darmflora, doch nur aerobe und fakultativ anaerobe Spezies wie E. coli verfügen über die nötigen Voraussetzungen, um den Harntrakt zu besiedeln bzw. zu infizieren. Nur bestimmte Serotypen von E. coli, darunter somatische (O-) und Kapsel-(K-) Serotypen wie O1, O2, O4, O6, O7 und O75 bzw. K1, K2, K3, K5, K12 und K13, verursachen Harnwegsinfektionen. Da sich diese Serotypen von den Auslösern gastrointestinaler Infektionen (s. Kap. 22) unterscheiden, bezeichnet man sie auch als „uropathogene E. coli“ (UPEC). Der Erfolg dieser Bakterienstämme dürfte auf Genen in chromosomalen PathogenitätsInseln (s. Kap. 2) beruhen, die z.B. in fäkalen E. coli nicht vorkommen. UPEC enthalten z.B. Gene, die sie zur Besiedlung des Periurethralbereichs befähigen. So ermöglichen ihnen z.B. spezifische Fimbrien (Pili), sich an das Blasen- und Harnröhrenepithel anzuheften. Untersuchungen mit anderen Erregern im Harntrakt haben gezeigt, dass sie ähnliche Adhäsine für Urothelzellen besitzen (Abb. 20.4). Zur Besiedlung bzw. Schädigung der Niere durch E. coli scheinen noch weitere Merkmale beizutragen, z.B.: ■ Saure Polysaccharid-Kapsel (K)-Antigene sind mit einer Pyelonephritis assoziiert. Sie hemmen die Phagozytose, so dass sich E.-coli- Stämme der Abwehr des Wirtsorganismus widersetzen können. ■ Durch die Produktion von Hämolysinen kann E. coli die Nieren schädigen; viele Hämolysine wirken eher unspezifisch (als membranschädigende Toxine). 495
Die Urease-Produktion durch Proteus spp. begünstigt das Entstehen einer Pyelonephritis bzw. einer Urolithiasis.
Abb. 20.4 An einer Urothelzelle haftende Bakterien (Patient mit akuter Zystitis; Exfoliativzytologie).
(Elektronenmikroskopische Aufnahme mit freundlicher Genehmigung von T.S.J. Eliot und den Herausgebern des British Journal of Urology).
Ein gesunder Harntrakt ist resistent gegen bakterielle Besiedlung Außer von der urethralen Schleimhaut werden Mikroorganismen gewöhnlich rasch und vollständig aus dem Harntrakt entfernt (s. Kap. 13). Mit Hilfe von Urin-pH, chemischer Bestandteile und Spülmechanismen werden Keime aus der Harnröhre befördert. Obwohl Urin für die meisten Bakterien ein gutes Kulturmedium darstellt, kann er andere hemmen; daher vermehren sich Anaerobier und andere Spezies (nichthämolysierende Streptokokken, Corynebakterien und Staphylokokken), die den Hauptteil der normalen Harnröhrenflora ausmachen, nicht sehr gut. Welche Rolle die humorale Immunität des Wirtsorganismus bei der Abwehr von urogenitalen Infektionen spielt, ist bisher kaum verstanden. Nach Niereninfektionen lassen sich IgG- und sekretorische IgA-Antikörper im Urin nachweisen, doch ob diese Antikörper möglicherweise vor weiteren Infektionen schützen, ist unklar. Infektionen des unteren Harntrakts rufen meist nur eine geringe bzw. kaum nachweisbare Seroreaktion hervor, was zeigt, dass es sich um oberflächliche Infektionen handelt; Blasen- und Urethralschleimhaut sind bei Harnwegsinfekten selten verletzt.
496
20.3
Klinik und Komplikationen
20.3.1
Infektionen des unteren Harntraktes
Akute untere Harnwegsinfekte verursachen Dysurie, Harndrang und erhöhte Miktionsfrequenz. Akute Infektionen der unteren Harnwege sind durch folgende, plötzlich auftretende Beschwerden gekennzeichnet: ■
Dysurie (brennende Schmerzen beim Wasserlassen)
■
Harndrang (dringendes Bedürfnis, die Harnblase zu entleeren)
■
erhöhte Miktionsfrequenz.
Allerdings verlaufen die Infektionen bei älteren Menschen oder liegendem Katheter oft asymptomatisch. Bei einer Pyurie bzw. Bakteriurie erscheint der Urin makroskopisch trüb. Häufig findet sich begleitend eine Hämaturie (mikroskopisch oder makroskopisch). Zur Bestätigung der Diagnose müssen Urinproben im Labor untersucht werden. Patienten mit genitalen Infektionen wie Vaginalsoor oder Chlamydien-Urethritis können ähnliche Symptome aufweisen (s. Kap. 21). Eine Pyurie ohne positive Urinkultur kann durch Chlamydien oder Tuberkulose bedingt sein. Sie wird aber auch unter einer laufenden Antibiotikatherapie gesehen, denn die Bakterien sind evtl. bereits durch die Antibiotikatherapie gehemmt oder abgetötet, ehe die Entzündungsreaktion abklingt.
497
Oft kommt es zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen. Dabei handelt es sich entweder um ■
Rezidive (Infektionen durch denselben Bakterienstamm) oder
■
Infektionen durch andere Erreger.
Rezidivierende Infektionen können chronisch entzündliche Veränderungen der Harnblase, der Prostata und der Periurethraldrüsen verursachen.
Eine akute Prostatitis verursacht systemische (Fieber) und lokale Beschwerden (Damm- und Rückenschmerzen, Dysurie, erhöhte Miktionsfrequenz) Zu einer akuten bakteriellen Prostatitis kann es durch aufsteigende oder hämatogene Infektionen kommen. Anfällig sind vermutlich vor allem Männer, in deren Prostatasekret die normal vorhandenen antibakteriellen Substanzen fehlen. Eine chronische bakterielle Prostatitis wird meist durch E. coli verursacht, ist aber trotzdem schwer zu behandeln und wird oft zum Ausgangspunkt für wiederkehrende Infektionen der Harnwege.
20.3.2
Infektionen des oberen Harntraktes
Um sicher beurteilen zu können, ob sich eine Infektion auf die Harnblase beschränkt oder sich auf die Ureteren bzw. das Pyelon ausgedehnt hat, muss eine Urinprobe aus dem Ureter mittels Katheterisierung gewonnen werden.
Eine Pyelonephritis verursacht Fieber und Symptome einer unteren Harnwegsinfektion Patienten mit Pyelonephritis (Niereninfektion; Abb. 20.5) präsentieren sich mit Symptomen wie bei einer unteren Harnwegsinfektion und haben meist auch Fieber. Häufig sind Staphylokokken die Ursache, und in der Regel liegen auch Nierenabszesse vor. Wenn das Nierengewebe durch eine rezidivierende Pyelonephritis in seiner Funktion geschwächt wird, kann es zu Bluthochdruck (Hypertonie) kommen, der die Niere weiter schädigt. Infektionen, die mit Konkrementbildung einhergehen, können zu einer Nierenobstruktion mit nachfolgender Sepsis (Septikämie) führen. Hämaturie kann Symptom einer Endokarditis oder Immunkrankheit (Immunkomplexbildung), aber auch Folge einer Niereninfektion sein. Auf jeden Fall ist sie ein Warnzeichen, das sorgfältig abgeklärt werden muss. Bei Niereninfektionen durch Mycobacterium tuberculosis kann eine Pyurie auftreten. Sie kann als sterile Pyurie erscheinen, weil sich der Erreger nicht auf normalen Urinkulturmedien anzüchten lässt (s. Anhang).
Abb. 20.5
Akute Pyelonephritis.
498
Histologisch starke Entzündungsreaktion und Mikroabszesse (M) in der Niere (Hämatoxylin- und Eosin-Färbung; mit freundlicher Genehmigung von M.J. Woods). Asymptomatische Infektionen (d.h. beträchtliche Bakterienzahl im Urin ohne sonstige Symptome, s. unten) können nur bei einem Screening von Urinproben im Labor entdeckt werden. Das Screening sollte durchgeführt werden ■ bei Schwangeren und Kleinkindern, weil Therapieversagen zu chronischen Nierenschäden führen könnte; ■ wenn eine Instrumentierung des Harntrakts vorgesehen ist und die Bakteriurie in eine Bakteriämie übergehen könnte; ■ bei älteren Menschen und Diabetikern (Risikogruppen für asymptomatische Bakteriurie).
499
20.4
Laboruntersuchung und Befunde
Methoden für die Bearbeitung von Urinproben im Labor sind im Anhang zusammengefasst.
Mit Hilfe quantitativer Kulturmethoden lassen sich Infektionen und Kontaminationen voneinander abgrenzen Bei Gesunden ist der Harntrakt steril, auch wenn der distale Abschnitt der Urethra mit kommensalen Organismen besiedelt ist (einschließlich periurethraler und fäkaler Keime). Für Urinproben wird normalerweise der Urinstrahl in einem sterilen Behälter aufgefangen. Dabei kann die Probe durch periurethrale Keime kontaminiert werden. Mit quantitativen Kulturmethoden gelingt es, eine Kontamination von einer Infektion zu unterscheiden. Eine Bakteriurie gilt als signifikant, wenn eine richtig gewonnene Probe des Mittelstrahlurins (MSU) mehr als 105 Keime/ml enthält. Üblicherweise findet man bei Infektionen nur eine Bakterienspezies im Urin. Kontaminierter Urin enthält dagegen weniger als 104 Keime/ml und oft mehrere Bakterienspezies (Abb. 20.6). Bei Werten zwischen 104 und 105 Keimen/ml fällt die Unterscheidung zwischen Kontamination und Infektion zum Teil schwer. Entscheidend sind sorgfältige Gewinnung und schneller Transport der Urinproben zum Labor (s. unten und Kap. 32). Wichtig: Die Kriterien einer „signifikanten Bakteriurie“ treffen nicht für Urinproben zu, die aus einem (Nephrostomie-) Katheter oder durch suprapubische Blasenpunktion entnommen wurden. In solchen Proben gilt jede Keimzahl als signifikant, weil die Probe nicht durch periurethrale Keime kontaminiert ist.
Zur mikrobiologischen Untersuchung werden meist Mittelstrahlurinproben verwendet Mittelstrahlurin (MSU) wird in einem sterilen Behälter mit weiter Öffnung aufgefangen. Zuvor ist die Glans penis bzw. sind die Labien sorgfältig mit Wasser zu reinigen. Die erste Portion des Urinstrahls wird nicht verwendet, sondern normal entleert, um Keime aus der unteren Urethra auszuspülen. Bei richtiger Einweisung gelingt es den meisten erwachsenen Patienten, eine geeignete Urinprobe zu gewinnen. Schwieriger kann es für ältere oder bettlägerige Patienten sein, diese Probleme müssen auch bei der Befundauswertung berücksichtigt werden.
500
Abb. 20.6
Signifikante Bakteriurie.
Proben aus dem Urinstrahl sind selten steril, weil so gewonnener Urin durch periurethrale Keime kontaminiert sein kann. Selbst bei sorgfältiger Gewinnung können Urinproben von Gesunden bis zu 103 Keime/ml enthalten. Werte von 105/ml gelten als verlässlicher Indikator für eine Infektion. Aus unterschiedlichen Gründen können aber bereits auch niedrigere Werte signifikant sein (z.B. bei akuter Dysurie, Ureterobstruktion usw.). Es liegt auf der Hand, dass sich Mittelstrahlurinproben auch bei Säuglingen und Kleinkindern schwierig gewinnen lassen. Ersatzweise bietet sich „Beutelurin“ (bei Mädchen ist der Plastikbeutel am Damm, bei Jungen am Penis anzubringen) an, doch solche Proben sind oft stark mit Fäkalkeimen kontaminiert. Das Problem lässt sich durch eine suprapubische Blasenpunktion umgehen (Abb. 20.7). Urinproben sollten möglichst unverzüglich zum Labor transportiert werden. Urin ist ein gutes Medium für viele Mikroorganismen, in dem sie wachsen und sich vermehren. Wenn eine längere Zeitspanne zwischen Probengewinnung und Untersuchung vergeht, werden die Werte leicht verfälscht (s. Kap. 32).
501
Abb. 20.7 Suprapubische Blasenpunktion zur Aspiration von Urinproben direkt aus der Harnblase.
Diese Methode ist bei Kleinkindern nützlich, weil es zu schwierig wäre, unkontaminierten Mittelstrahlurin aufzufangen. Im Idealfall sollten Urinproben vor dem Beginn einer Antibiotikatherapie gesammelt werden. Wenn der Patient bereits Antibiotika erhält oder innerhalb der letzten 48 h erhalten hat, muss das ausdrücklich auf dem Begleitformular vermerkt werden.
Bei liegendem Harnkatheter wird eine Katheterurinprobe für die mikrobiologische Untersuchung verwendet Patienten sollten aber nicht katheterisiert werden, nur um eine Urinprobe zu gewinnen! Bei liegendem Katheter entnimmt man mit Kanüle und Nadel direkt Urin aus dem Katheterlumen (Abb. 20.3). Urin aus dem Auffangbeutel kann bereits seit Stunden stehen und eignet sich daher nicht zur Untersuchung; die Keime könnten sich vermehrt haben, so dass fälschlich höhere Werte bestimmt würden als eigentlich bei dem Patienten vorhanden.
Zum Nachweis von M. tuberculosis und Schistosoma haematobium sind besondere Urinproben erforderlich ■ Bei M. tuberculosis: Morgenurinproben von drei aufeinander folgenden Tagen; sie müssen nicht unter so strengen Kautelen wie Mittelstrahlurin gesammelt werden, weil bei dieser (Urinkultur-) Technik das Wachstum anderer Erreger als Mykobakterien gehemmt wird.
502
■ Bei S. haematobium: nur die letzten Milliliter einer Morgenurinprobe nach körperlicher Anstrengung sammeln.
20.4.1
Laboruntersuchung
Urinproben werden erst makroskopisch und mikroskopisch untersucht, danach wird eine Kultur angelegt (quantitative und semiquantitative Methoden s. Kap. 32).
20.4.2
Mikroskopische Untersuchung
Bakterien in größerer Zahl in einer Urinprobe werden unter dem Mikroskop sichtbar. Das weist aber nicht notwendigerweise auf eine Infektion hin, sondern kann auch bedeuten, dass die Probe nicht richtig gesammelt oder länger bei Raumtemperatur aufbewahrt wurde. Erythrozyten oder Leukozyten im Urin sprechen ebenfalls nicht unbedingt für eine Harnwegsinfektion. Eine Hämaturie kann auftreten bei ■
Harnwegs- und sonstigen Infektionen (z.B. bakterieller Endokarditis)
■
Nierenverletzung/-trauma
■
Konkrementen (Steinen)
■
malignen Tumoren des Urogenitaltraktes
■
Gerinnungsstörungen
■
Thrombozytopenie.
Bei Frauen können Erythrozyten in der Urinprobe während der Mensruation nachweisbar sein. Leukozyten sind bei Gesunden nur in geringer Zahl im Urin vorhanden (≤ 10/ml). Werte über 10/ml gelten als auffälliger Befund, müssen aber nicht gleichbedeutend mit Bakteriurie sein. Einen wichtigen Befund stellt eine sterile Pyurie dar als Zeichen einer ■
laufenden Antibiotikatherapie
■
anderen Erkrankung (Tumor, Harnsteine)
■ Infektion durch Keime, die ihrer Entdeckung durch Routine-Urinkulturmedien entgehen (s. Anhang).
503
Der Laborbefund einer signifikanten Bakteriurie muss quantifiziert werden (Kulturmedien und Anzüchtung der Keime s. Anhang) Mit konventionellen Methoden ist nach 18–24 Stunden mit einem Ergebnis zu rechnen, doch es gibt auch Schnelltests (aufgrund von Biolumineszenz, Turbidimetrie, LeukozytenEsterase/Nitrat-Reduktase etc.). Manche Labors testen gleich die Antibiotikaempfindlichkeit, sobald eine abnorme Zahl von Leukozyten oder Bakterien unter dem Mikroskop erkennbar ist. In diesem Fall können innerhalb von 24 Stunden die Ergebnisse beider Tests (Kultur und Antibiotikaresistenz) vorliegen.
Die richtige Interpretation der Testergebnisse hängt von einer Reihe Faktoren ab Dazu zählen: ■
Korrekt durchgeführte Probengewinnung.
■ Aufbewahrung: Urin darf maximal 18 Stunden bei 4°C aufbewahrt werden; Urinkultur besser innerhalb einer Stunde anlegen. ■ Antibiotikatherapie: Bei Patienten, die mit Antibiotika behandelt werden, kann schon eine kleinere Keimzahl signifikant sein (neu aufgetauchte Resistenz). Hemmstoffe des Bakterienwachstums lassen sich mit einfachen Labormethoden nachweisen. ■ Flüssigkeitszufuhr: Das quantitative Ergebnis wird natürlich davon beeinflusst, ob ein Patient zuvor viel oder wenig getrunken hat. ■ Art der Urinprobe: Quantitative Richtlinien gelten nur für Mittelstrahlurin-, nicht für (Nephrostomie-) Katheterbzw. Blasenurinproben (durch suprapubische Blasenpunktion).
20.5
Behandlung
Ein unkomplizierter Harnwegsinfekt wird mit oralen Antibiotika behandelt (Einmaldosis oder über 3 Tage) Ein unkomplizierter Harnwegsinfekt (Zystitis) heilt bei bis zu 40% der Patienten im Allgemeinen spontan innerhalb von vier Wochen aus. Allerdings verringern sich die Beschwerden und die Zahl der Bakterien schneller durch die Einnahme eines Antibiotikums. Ob eine antimikrobielle Chemotherapie als orale Einmalgabe oder an drei Tagen durchgeführt wird, hängt vom Medikament ab. Häufig verschriebene Mittel sind in Tabelle 20.1 zusammengestellt. Die Auswahl richtet sich nach der Erregerempfindlichkeit.
504
Tab. 20.1 Orale Antibiotika zur Behandlung von Harnwegsinfektionen Bei unkompliziertem, ambulant erworbenem Harnwegsinfekt kann „blind“ mit einer ungezielten Antibiotikatherapie begonnen werden, zumindest bis das Laborergebnis vorliegt. Das setzt voraus, dass man die in Frage kommenden Erreger und ihre Sensibilität gegenüber einzelnen Antibiotika kennt. Frühestens zwei Tage nach Abschluss der Therapie sollte durch erneute Kulturen überprüft werden, ob alle Keime erfasst wurden. Zusätzlich zur Antibiotikatherapie sollten Patienten viel trinken, um das Herausspülen der Keime zu unterstützen. Kinder und Schwangere mit asymptomatischer Bakteriurie sollten antibakteriell behandelt werden, mit anschließender Kontrolle, ob die Infektion beseitigt werden konnte. Instrumentelle urologische Eingriffe sollten bei Patienten mit signifikanter Bakteriurie nicht durchgeführt werden, so lange, bis der Urin nach der Behandlung wieder steril geworden ist.
505
Komplizierte Harnwegsinfektionen (Pyelonephritis) werden parenteral mit Antibiotika behandelt Bei bekannter Erregerempfindlichkeit muss eine systemische Behandlung mit antibakteriellen Medikamenten (Tab. 20.2) so lange fortgesetzt werden, bis alle Symptome abgeklungen sind. Danach kann auf eine orale Verabreichung umgestellt werden. Gewöhnlich wird die Therapie mindestens zehn Tage lang durchgeführt, doch es kann auch länger bis zur Beseitigung der Infektion dauern. Nosokomiale oder rezidivierende Infektionen können – besonders bei katheterisierten Patienten – durch antibiotikaresistente Keime ausgelöst werden. Hier richtet sich die Wahl des Mittels nach dem Muster der Erregerempfindlichkeit. Wenn möglich, sollte der Katheter entfernt werden, um die Infektionsquelle zu eliminieren. Manche Autoren befürworten eine Behandlung nur bei Patienten mit Symptomen bzw. vor instrumentellen Eingriffen. Richtlinien zur Katheterpflege und zur Prävention von Harnwegsinfekten zeigt Tab. 20.3. Eine spezifische Antibiotikatherapie ist erforderlich bei Infektionen, die sich hämatogen ausgebreitet haben (z.B. Tuberkulose s. Kap. 33, Salmonella typhi s. Kap. 22, Staphylococcus aureus s. Kap. 26, Schistosomiasis s. Kap. 27).
20.6
Prävention
Pathogenese der Harnwegsinfekte bzw. Prädisposition sind noch nicht ganz verstanden Rezidivierende Infektionen bei an sich gesunden Frauen lassen sich verhindern, wenn sie regelmäßig ihre Harnblase entleeren. Dadurch werden Keime ausgeschwemmt, was bei diesen Patientinnen besonders nach dem Geschlechtsverkehr wichtig ist. Eine Antibiotika-Prophylaxe kann zwar rezidivierende Harnwegsinfekte verhindern, doch wenn andere Störungen zugrunde liegen, kann es leicht zu einer Selektion resistenter Bakterienstämme kommen; die Behandlung nachfolgender Infektionen würde zunehmend erschwert. Infektionen sind bei katheterisierten Patienten relativ häufig, lassen sich aber durch sorgfältige Katheterpflege reduzieren (Tab. 20.2 und s. Kap. 36). Eine Katheterisierung sollte generell möglichst vermieden oder die Liegedauer auf ein Minimum reduziert werden.
506
Tab. 20.2 Therapie von Harnwegsinfektionen
507
Tab. 20.3 Richtlinien zur Katheterpflege
Zusammenfassung ■ Harnwegsinfekte gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen, besonders bei Frauen. ■ In den meisten Fällen handelt es sich um akute Episoden ohne Nachwirkungen. ■ Harnwegsinfektionen sind meist endogen, durch aufgestiegene Keime aus dem Periurethralbereich erworben. Vorherrschend ist E. coli. Als Auslöser kommen auch andere Gram-negative Keime in Frage, besonders bei hospitalisierten Patienten. Viren sind nur selten Ursache von Harnwegsinfekten. ■ Prädisponierend sind spezielle anatomische Gegebenheiten durch (strukturelle oder mechanische) Wirtsfaktoren oder eine Katheterisierung. ■ Eine wichtige Rolle bei Harnwegsinfektionen könnten Bakterienadhärenz und Kapsel-Polysaccharide spielen. Spezifische Toxine scheinen nicht beteiligt zu sein, vielleicht aber Hämolysine (Zytotoxine). ■ Untere Harnwegsinfekte verstärken meist akut die Miktionshäufigkeit und verursachen Dysurie. Bei Schwangeren und Kindern verläuft ein Harnwegsinfekt oft asymptomatisch. Bei einer größeren Zahl von Patienten kommt es zu Rezidiven. ■ Die Symptomatik einer Pyelonephritis bzw. oberen Harnwegsinfektion ist schwerer: Fieber und Lendenschmerzen; Rezidive können zu Nierenschäden führen. ■ Zur Bestätigung einer bakteriellen Diagnose sind quantitative Untersuchungsmethoden erforderlich. Pyurie weist auf eine Infektion hin. ■ Eine Kurzzeit-Therapie mit oralen Antibiotika hilft bei unterer Harnwegsinfektion; eine Pyelonephritis muss länger und oft parenteral behandelt werden.
508
■ Nosokomiale Harnwegsinfektionen werden häufig durch Gram-negative Keime mit Mehrfachresistenz hervorgerufen. Die Behandlung richtet sich nach der (getesteten) Erregerempfindlichkeit.
FRAGEN Eine 22-jährige, im 8. Monat schwangere Lehrerin leidet seit ca. 48 Stunden an Dysurie und unteren Abdominal-schmerzen. Es ist ihre erste Schwangerschaft, die bisher unauffällig verlief. Bei der Untersuchung durch die Ärztin ist sie fieberfrei und der Uterus normal groß (termingerecht). Leichte Druckempfindlichkeit des Unterbauchs, Nierenlager frei. Ein Urin-Streifentest weist Proteine, aber weder Glukose noch Blut nach. Die Urinprobe wird zum Labor gesandt. In der Urinkultur wachsen mehr als 105 koliforme Keime pro ml. 1 Was besagt die Bakterienzahl in der Urinprobe der Patientin? 2 Warum wird Urin in der Schwangerschaft routinemäßig auf Infektionszeichen untersucht? 3 Nennen Sie in absteigender Reihenfolge die drei wahrscheinlichsten Ursachen für die Infektion dieser Patientin. 4 Welche Antibiotika eignen sich zur Therapie der Schwangeren?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Am. J. Med. 2002; 113 (Suppl. 1): 1–84. Bergan, T. (ed.): Urinary Tract Infections. Karger, Basel 1997. Mobley, H., Warren, J. (eds.): Urinary Tract Infections: Molecular Pathogenesis and Clinical Management. Blackwell, Oxford 1996. Unyime, O.N., Weinman, E., Lamm, D.L.: Urology for Primary Care Physicians. Saunders, Philadelphia 1999. Vogel, F., Bodmann, K.-F.: Empfehlungen zur kalkulierten parenteralen Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen. Chemotherapie Journal 2004; 13(2):46–105, s. Internetseiten der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V. unter www.p-e-g.de.
509
21 Sexuell übertragbare Krankheiten 21.1
STD und Sexualverhalten 269
21.2
Syphilis 269
21.2.1
Labordiagnose 271
21.2.2
Behandlung 272
21.3
Gonorrhoe 272
21.4
Chlamydieninfektionen 275
21.5
Inguinale Lymphadenopathie anderer Ursache 277
21.5.1
Lymphogranuloma venereum (LGV) 278
21.5.2
Weicher Schanker (Chankroid, Ulcus molle) 278
21.5.3
Granuloma inguinale (Donovanosis) 279
21.6
Mykoplasmen- und Nicht-Gonokokken-Urethritis 279
21.7
Sonstige Ursachen von Vaginitis und Urethritis 279
21.7.1
Candida-Infektion 279
21.7.2
Trichomonadeninfektion 279
21.7.3
Bakterielle Vaginose 280
21.8
Genitaler Herpes 281
21.9
Human-Papillomavirus- (HPV)-Infektion 282
21.10
HIV-Infektion 282
21.10.1 Übertragungswege 286 21.10.2 Krankheitsverlauf 287 21.10.3 Behandlung 288 21.10.4 Labortests 290 21.10.5 Maßnahmen zur Infektionskontrolle 291 21.10.6 Impfung 291 21.11
Opportunistische Infektionen 292
21.12
Arthropodenbefall 292
Zur Orientierung 510
Sexuell übertragene Infektionen führen meist zu Krankheiten Unter bestimmten Umständen äußern sich sexuell übertragene Infektionen primär nicht durch offensichtliche Krankheitssymptome (z.B. Frühstadium der HIV-Infektion, symptomlose Gonorrhoe der Frau). Das ist besonders problematisch, weil sexuell übertragene Krankheiten (STD), wenn sie asymptomatisch verlaufen oder nicht angegeben werden, im Allgemeinen auch unbehandelt bleiben, so dass es weiterhin zu Ansteckung und zur Ausbreitung der Erkrankung kommt. STDs spielen auf der ganzen Welt medizinisch eine wichtige Rolle, dabei stellen HIVInfektion und AIDS die größte globale Bedrohung dar. Betroffen waren 2003 ca. 42 Millionen Erwachsene. Zusätzlich zur HIV-Infektion kommt es weltweit zu einer alarmierenden Häufung von Neuerkrankungen an weiteren STDs (hunderte Millionen pro Jahr).
Die Inzidenz der meisten STDs steigt Exemplarisch ist die Situation in England, Wales und Nordirland, wo sich die Zahl gemeldeter neuer STD-Fälle (Patienten in Fachkliniken) zwischen 1995 und 2000 mehr als verdreifacht hat. Ähnlich sieht es in anderen Ländern, inklusive den USA, aus. Gründe für die Zunahme sind: ■ steigende Bevölkerungsdichte und verstärkte Mobilität, ■ verändertes Sexualverhalten, ■ fehlende Impfstoffe gegen die meisten STDs. Die beiden letzten Faktoren dürften sich ändern lassen. Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass manche STDs unter männlichen Homosexuellen seltener übertragen werden, seitdem sich das Sexualverhalten dieser Gruppe geändert hat, und gegen bestimmte Infektionen (z.B. Herpes simplex, Gonorrhoe, HIV) könnten demnächst Impfstoffe zur Verfügung stehen. Das Aufkommen von HIV-Infektion bzw. AIDS stellt alle anderen STDs in den Schatten, da diese neue, mit hoher Letalität verbundene Infektionskrankheit eine enorme Belastung bedeutet. In den (ressourcen-)reichen Ländern wurden HIV-1-RNAPlasmawerte und die absoluten oder relativen CD4-Zahlen zum wichtigsten Mittel, um die Krankheitsprogression und das Ansprechen der antiretroviralen Therapie bei HIVInfizierten zu überwachen. In Tab. 21.1 sind die „Top Ten“ der STDs aufgelistet, in Tab. 21.2 die selteneren. Mit welchen Strategien sich Mikroorganismen den Abwehrkräften des Wirts widersetzen, zeigt Tab. 21.3.
511
Tab. 21.1 Die zehn wichtigsten sexuell übertragbaren Krankheiten („Top Ten“ der STDs).
Tab. 21.2 Andere sexuell übertragbare Krankheiten (Impfungen nicht verfügbar).
512
Tab. 21.3 Strategien sexuell übertragbarer Erreger gegen Abwehrkräfte des Wirts. NK = natürliche Killerzellen
513
21.1
STD und Sexualverhalten
Wie sexuell übertragbare Infektionserreger in den Körper gelangen, ausgeschieden und übertragen werden, ist in den Grundzügen in Kap. 13 beschrieben.
Die Ausbreitung von STD steht in direkter Beziehung zum Sexualverhalten Das bedeutet, dass sich ihre Übertragung viel leichter verhindern lässt als z.B. bei Atemwegsinfektionen. Infizierte asymptomatische Individuen spielen eine bedeutende Rolle. Weitere Faktoren sind Promiskuität sowie Sexualpraktiken unter Einbeziehung von verschiedenen Körperöffnungen und Schleimhautoberflächen (s. Kap. 13). ■ Oral- oder Analverkehr ermöglichen eine Übertragung zwischen Heterosexuellen oder männlichen Homosexuellen. Gonokokken können z.B. eine Pharyngitis und Proktitis verursachen, auch wenn sie ein- oder mehrschichtiges Plattenepithel nicht so leicht infizieren wie das Darmepithel. ■ Entscheidend ist der Gebrauch von Kondomen. Bei simulierten Koitaltests wurden Gonokokken, Herpes-simplex-Virus (HSV), HIV und Chlamydien in Kondomen zurückgehalten, selbst wenn das infizierte Agens extra lange (8 Stunden) vor Ort blieb. Ausführlicher wird auf die Kontrolle von STD in Kap. 31 eingegangen.
Verschiedene Wirtsfaktoren haben Einfluss auf das STDInfektionsrisiko Dass dabei die Art der sexuellen Aktivitäten eine Rolle spielt oder genitale Läsionen bzw. Ulzera das Ansteckungsrisiko (z.B. mit HIV) erhöhen können, überrascht nicht. Andere Faktoren, wie die häufige Beobachtung, dass z.B. nicht beschnittene Männer ein höheres Infektionsrisiko tragen, sind dagegen weniger gut erklärbar. Eine Geschlechtskrankheit tritt nicht notwendigerweise einzeln auf, sondern man sollte stets an die Möglichkeit einer Mehrfachinfektion denken. Syphilis kann z.B. mit Gonorrhoe einhergehen. Ein Genitalherpes wird anscheinend durch eine akute Gonorrhoe reaktiviert.
514
21.2
Syphilis
Syphilis (durch Treponema pallidum) kommt seltener vor als andere STD Treponema pallidum (s. Anhang) ist eng mit anderen Spirochäten bzw. Treponemen verwandt, die keine genitalen Erkrankungen (wie Pinta oder Frambösie, Tab. 21.4 und Abb. 21.1) verursachen. Syphilis ist weltweit verbreitet (in den USA dritthäufigste bakterielle Geschlechtskrankheit). Sie stellt besonders in den Entwicklungsländern ein Problem dar, weil schwere Folgeschäden auftreten können und die Gefahr einer kongenitalen Infektion besteht.
Tab. 21.4 Medizinisch wichtige Spirochäten („Schraubenbakterien“.) T. pallidum gelangt durch winzige Wunden der Haut oder Schleimhäute in den Körper. Die Übertragung setzt engen Körperkontakt voraus. T. pallidum kann sich außerhalb des Körpers nur schlecht halten, da es sehr anfällig für Austrocknung, Hitze und Desinfektionsmittel ist. Horizontal breitet es sich auf sexuellem Weg aus (s. Kap. 13) und vertikal durch diaplazentare Infektion des Fetus (s, Kap. 23). Die lokale Vermehrung mit Infiltration von Plasmazellen, (polymorphkernigen) Leukozyten und Makrophagen führt im späteren Stadium zu einer Endarteriitis. Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich drei Wochen und die Bakterien vermehren sich nur sehr langsam.
Nach der klassischen Einteilung gibt es drei Stadien Syphilis wird in drei Stadien eingeteilt (Primär-, Sekundär- und Tertiärstadium; Tab. 21.5). Nicht alle Patienten durchlaufen jedoch alle drei Stadien; ein nicht unerheblicher Teil bleibt nach dem Primär- oder Sekundärstadium dauerhaft frei von Symptomen (Primäraffekt bei Syphilis, Abb. 21.1). Auf das Sekundärstadium kann eine Latenzphase von 3–30 Jahren folgen, ehe das Tertiärstadium der Krankheit eintritt. Anders als viele andere pathogene Bakterien kann T. pallidum trotz starker Immunreaktionen jahrelang im Körper überdauern. Man nimmt an, dass sich unversehrte Treponemen mit einer lipidreichen Hülle vor der Erkennung und Eliminierung durch die Wirtsabwehr schützen, ohne dass diese Schicht antigen wirken 515
würde. Daher findet eine Antigen-(Antikörper-)Reaktion erst statt, wenn sie bei absterbenden oder abgetöteten Mikroorganismen bloß liegen. Die Schädigung des Gewebes beruht demnach weitgehend auf der Wirtsreaktion.
Abb. 21.1
Treponemen-Erkrankungen a) Typischer Schanker am Penis, der Primäraffekt bei Syphilis. Frambösie (b) und Pinta (c) sind in tropischen und subtropischen Ländern endemisch verbreitet und durch direkten Kontakt übertragbar. Mit freundlicher Genehmigung von R.D. Catterall (a) und P.J. Cooper und G. Griffin (b, c) Trotz langjähriger Bemühungen kann T. pallidum noch immer nicht auf künstlichen Kulturmedien im Labor angezüchtet werden. Daher lassen sich mögliche Virulenzfaktoren auf molekularer Ebene kaum untersuchen. Dennoch konnten bestimmte Gene in Escherichia coli geklont und wichtige Proteine charakterisiert werden.
Infizierte Schwangere können T. pallidum intrauterin auf ihr Kind übertragen Eine nach dem dritten Schwangerschaftsmonat erworbene, angeborene Syphilis kann sich manifestieren ■
als schwere Infektion (Fetopathie), die zum intrauterinen Fruchttod führt,
■
durch kongenitale Fehlbildungen bei der Geburt,
■ als klinisch stumme Infektion, die erst im Alter von zwei Jahren erkennbar wird (Gesichts- und Zahndeformierungen).
516
Tab. 21.5 Pathogenese der Syphilis (Lues). LK = Lymphknoten Schanker: aus der anfänglichen Papel wird ein schmerzloses Geschwür, das unbehandelt innerhalb von 2 Monaten abheilt ** bei Dunkelfeldmikroskopie lebende Treponemen in der (Läsions-)Flüssigkeit erkennbar; Patienten hochinfektiös *
517
21.2.1
Labordiagnose
Da sich T. pallidum in vitro nicht anzüchten lässt, steht und fällt die Labordiagnose mit mikroskopischen und serologischen Untersuchungen.
Mikroskopische Untersuchungen Exsudat aus dem Primäraffekt (Schanker, Ulcus molle) sollte entweder ■
direkt nach der Gewinnung unter einem Dunkelfeldmikroskop oder
■ nach Färbung mit fluoreszenzmarkierten (Anti-Treponemen-)Antikörpern unter einem UV-Lichtmikroskop untersucht werden. In ungefärbten Präparaten bewegen sich die Mikroorganismen mit ihren fest gewickelten, dünnen Windungen und spitz zulaufenden Enden langsam und träge. T. pallidum ist viel dünner als z.B. E. coli (0,2 μm statt 1 μm Durchmesser) und in Gramgefärbten Präparaten nicht erkennbar. Zum Erregernachweis in Biopsiematerial kann als Färbemethode eine Silberimprägnierung angewandt werden.
Serologische Untersuchungen Die Diagnose der Syphilis stützt sich vor allem auf serologische Tests. Unterschieden werden spezifische oder unspezifische Nachweismethoden für Antikörper im Patientenserum.
Unspezifische Syphilistests: VDRL- und RPR-Test Der Begriff „unspezifisch“ wird verwendet, weil die Antigene nicht von Treponemen, sondern aus normalen Gewebeextrakten von Säugetieren stammen. Kardiolipin (aus Rinderherz) ermöglicht den Nachweis der Anti-Lipid-Antikörper IgG und IgM bei Patienten. Diese Antikörper stellen eine Reaktion auf das von infizierten, geschädigten Zellen freigesetzte lipoide Material, aber auch auf Oberflächenlipide von T. pallidum dar. Gebräuchlich sind ■ VDRL(Venereal Disease Research Laboratory)-Test und ■ RPR(rapid plasma reagin)-Test, die beide als Testset (Kit) zur Verfügung stehen. Bei unspezifischen Tests kann sich 4–6 Wochen nach der Infektion (oder 1–2 Wochen nach Auftreten des Primäraffekts) ein positives Ergebnis zeigen. Da sie im Tertiärstadium oder nach erfolgreicher antibiotischer Behandlung einer Primär- oder Sekundärsyphilis nicht länger positiv ausfallen, eignen sie sich als Screening-Tests. Trotzdem sind sie unspezifisch, d.h. ein positives Ergebnis kann auch durch eine andere Erkrankung zustande kommen (biologisch falsch-positiv, Tab. 21.6). Alle positiven Testergebnisse müssen daher durch einen spezifischen Test bestätigt werden. Allerdings kann die Behandlung (vor allem im Primär- oder Sekundärstadium der Syphilis) zu einer „Seroreversion“ führen, so dass sich diese Tests zumindest als Indikator für die therapeutische Wirksamkeit eignen. 518
Tab. 21.6 Lues-/Syphilisserologie und mögliche andere Erkrankungen als Ursache falsch-positiver Ergebnisse in Syphilistests. FTA-Abs = Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-Absorptionstest, TPHA (T. pallidum Hämagglutinationsassay) PRP = rapid plasma reagin test, VDRL = Venereal-Disease-Research-Laboratory-Test
Häufig benutzte spezifische Tests: TreponemenAntikörper-Tests, FTA-Abs und MHA-TP Spezifische Syphilistests verwenden rekombinante Proteine oder Antigenextrakte von T. pallidum. Häufig angewandt werden: ■ ELISA (enzyme-linked immunosorbent assays) zum Nachweis von IgM und IgG ■ FTA-Abs (Fluoreszenz-Treponemen-Antikörper-Absorptionstest, Abb. 21.2), bei dem vor der Reaktion mit T.-pallidum-Antikörpern erst kreuzreagierende Antikörper aus dem Patientenserum entfernt werden (durch Absorption mit nichtpathogenen Treponemen). ■ TPHA (T. pallidum Hämagglutinationsassay). Mit spezifischen Tests lässt sich überprüfen, ob ein positives Ergebnis eines unspezifischen Tests wirklich auf Syphilis beruht. Da sie früh positiv ausfallen, können spezifische Tests auch zur Diagnosebestätigung herangezogen werden, wenn das klinische Bild stark für Syphilis spricht. Auch im weiteren Verlauf bleiben sie – oft jahrelang – positiv und können bei Patienten im Spät-(Tertiär-) Stadium als einziger Test positiv ausfallen. Weil sie trotz erfolgreicher Antibiotikatherapie weiterhin positiv bleiben, eignen sie sich jedoch nicht zur Beurteilung des Ansprechens der Therapie. Möglich sind auch falsch-positive Reaktionen (Tab. 21.6).
Abb. 21.2 Fluoreszenz-Treponemen-AntikörperAbsorption als Syphilistest.
519
Durch den fluoreszierenden Farbstoff wird die Antikörperbindung an Bakterien im Patientenserum erkennbar.
Zur Diagnosesicherung sind verschiedene serologische Tests notwendig Positive Testergebnisse können bei Neugeborenen infizierter Mütter Ausdruck einer passiven Immunität (durch Übertragung mütterlicher Antikörper) oder bereits einer eigenen Infektion sein. Um die beiden Möglichkeiten voneinander abzugrenzen, werden IgM-Antikörper bestimmt und der Antikörpertest sechs Monate später wiederholt, da zu der Zeit die mütterlichen Antikörper verschwunden sind. Bei kongenitaler (angeborener) Syphilis bleiben die Antikörpertiter des Kindes weiter erhöht. Derzeit sind zur Diagnosesicherung noch mehrere serologische Tests erforderlich. Doch mit keinem einzigen lässt sich Syphilis von einer nicht sexuell übertragenen (Trepanosomen-) Krankheit wie Pinta oder Frambösie abgrenzen. Der WesternblotAssays mit dem Vollantigen von T. pallidum scheint jedoch eine sehr gute Möglichkeit für einen spezifischen Bestätigungstest zu sein.
520
21.2.2
Behandlung
Penicillin ist das Mittel der Wahl für Syphilispatienten und Kontaktpersonen Penicillin ist sehr gut gegen T. pallidum wirksam (Tab. 21.1). Für Patienten mit Penicillinallergie bietet sich ersatzweise eine Behandlung mit Tetracyclin oder Doxycyclin an. Doch eine sichere Behandlung des Fetus ist nur durch eine Penicillintherapie der Mutter gewährleistet. Ob sich ein Sekundär- oder Tertiärstadium verhindern lässt, hängt von einer frühzeitigen Diagnose und richtigen Behandlung der Syphilis ab. Darüber hinaus müssen alle Kontaktpersonen mit behandelt werden. Da Patienten mehr als eine Geschlechtskrankheit haben können, sollten sie bei jeder anderen STD auch auf Syphilis untersucht werden. Eine angeborene Syphilis kann durch serologische Screening-Untersuchungen in der Frühschwangerschaft (bis zum 3. Monat) und eine Penicillinbehandlung infizierter Frauen verhindert werden.
21.3
Gonorrhoe
Die Ursache sind Gram-negative Kokken (Gonokokken oder Neisseria gonorrhoeae) N. gonorrhoeae ist ein humanpathogenes Bakterium und kann bei Tieren keine natürliche Infektion hervorrufen. Daher beschränkt sich sein Reservoir auf Menschen. Die Übertragung erfolgt von Mensch zu Mensch, meist durch Sexualkontakte. Gonokokken sind anfällig für Austrocknung und würden daher außerhalb ihres Wirts nicht gut überleben können. Man schätzt, dass sich bei einmaligem Intimkontakt zu einem infizierten Mann 50% der Frauen anstecken, aber Männer sich nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% bei einer infizierten Frau anstecken. Asymptomatisch Infizierte (fast stets Frauen, s. unten) bilden die wichtigste Infektionsquelle. Eine Gonorrhoe kann unter der Geburt auch vertikal (von der infizierten Mutter auf das Kind) übertragen werden und manifestiert sich bei Neugeborenen meist als Augeninfektion (Ophthalmia neonatorum, s. Kap. 23).
Gonokokken verfügen über spezielle Adhäsionsmechanismen für Schleimhautzellen Für Gonokokken sind Vaginal- und Penisschleimhaut die üblichen Eintrittspforten in den Körper, doch über bestimmte sexuelle Praktiken können sie auch in den Rachen oder After gelangen. Dass die Bakterien nicht einfach vom Urin oder Vaginalsekret weggespült werden, verhindern spezielle Adhäsionsmechanismen (Abb. 21.3). Nach ihrer Adhäsion beginnen sich Gonokokken rasch zu vermehren und aufzusteigen – bei Frauen durch die Zervix, bei Männern durch die Harnröhre. Obwohl sie nicht begeißelt und damit unbeweglich sind, wird ihre Ausbreitung von mehreren Virulenzfaktoren 521
begünstigt (Abb. 21.3). Durch eine IgA-Protease schützen sich die Erreger vor sekretorischen Antikörpern.
Schädigung des Wirtsgewebes durch entzündliche, von den Gonokokken induzierte Reaktionen Gonokokken dringen in Zellen des zilienfreien Epithels ein, damit sie sich – geschützt vor Phagozyten und Antikörpern – in intrazellulären Vakuolen vermehren können. Diese Vakuolen senken sich im Zellinneren nach unten und verschmelzen mit der Basalmembran, ehe sich ihr Inhalt ins subepitheliale Bindegewebe entleert. Neisseria gonorrhoeae bildet kein Exotoxin. Die Schädigung des Wirtsgewebes beruht allein auf Entzündungsreaktionen, die Gonokokken hervorrufen. Bei einer anhaltenden, unbehandelten Infektion kann es zu chronischer Entzündung und Fibrosierung kommen.
Abb. 21.3 Mehrere Virulenzfaktoren fördern die Ausbreitung einer Infektion mit Neisseria gonorrhoeae.
Durch strukturelle Veränderungen ihrer Oberfläche können Gonokokken avirulent werden. Normalerweise beschränkt sich die Infektion auf den Genitaltrakt, doch in einigen Fällen konnten Bakterien isoliert werden, die sich auf dem Blutweg in andere Körperregionen ausgebreitet hatten, weil sie offensichtlich resistent gegen die bakterizide Wirkung des Serums waren.
522
Bei Frauen verläuft die Gonorrhoe vielfach ohne Beschwerden, kann aber später zu Infertilität führen In den ersten 2–7 Tagen der Infektion können sich typische Symptome entwickeln: ■ beim Mann Ausfluss aus der Harnröhre (Abb. 21.4) und Schmerzen bei der Miktion (Dysurie), ■
bei der Frau Ausfluss aus der Vagina.
Mindestens 50% der infizierten Frauen haben leichte bis gar keine Beschwerden. Deshalb suchen sie keinen Arzt auf, bleiben unbehandelt und können für andere weiter ansteckend sein. Bei Männern ist aber eher ein symptomatischer Verlauf die Regel. Unter Umständen bemerken Frauen erst Komplikationen wie ■
aufsteigende Beckenentzündung (pelvic inflammatory disease, PID)
■
chronische Unterleibsschmerzen
■
Unfruchtbarkeit durch Tubenverschluss.
Die Ophthalmia neonatorum äußert sich durch klebrige Augenabsonderung (Abb. 23.5). Im Rachen können Gonokokken zu einer Halsentzündung führen (s. Kap. 18), bei Infektion der Rektalschleimhaut kann es zu purulentem Ausfluss kommen.
523
Abb. 21.4
Gonokokkenurethritis.
Entzündete Glans penis mit typisch purulentem Ausfluss aus der Harnröhrenöffnung (mit freundlicher Genehmigung von J. Clay). Lokale Komplikationen treten bei Männern nur selten auf (Abb. 21.5). Invasive Formen einer Gonokokkeninfektion betreffen viel häufiger Frauen als Männer. Hier würde eine sofortige Behandlung helfen, die Infektion einzudämmen. Dass die Infektion bei Frauen üblicherweise asymptomatisch verläuft (d.h. nicht erkannt und nicht behandelt wird), ist ein wichtiger Faktor für Komplikationen. In 10–20% der Fälle steigt die Infektion bei (unbehandelten) Frauen auf und verursacht eine Beckenentzündung (pelvic inflammatory disease, PID) und/oder eine Schädigung der Tuben. Eine disseminierte Infektion kommt bei 1–3% der Frauen vor, bei Männern sehr viel seltener (s. oben und Abb. 21.6). Das hängt nicht nur vom Gonokokkenstamm (s. oben), sondern auch von Wirtsfaktoren ab; 5% der Patienten mit disseminierter Infektion hatten z.B. einen Komplementfaktor-Mangel (C5–C8).
Abb. 21.5 Lokale und systemische Komplikationen einer Gonokokkeninfektion.
a) Als gerötete Papeln beginnende Hautläsionen gehen oft in blutige Bläschen (Pusteln) mit nekrotischem Zentrum über. b) Septische Arthritis mit ausgeprägtem
524
Erythem und Schwellung am Knöchel und Unterschenkel. Mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham (a) und T.F. Sellers jr. (b).
Diagnostiziert wird die Gonorrhoe mikroskopisch und durch Kultivierung geeigneter Materialien Bei entsprechender Indikation werden vaginale oder urethrale Ausfluss- und andere Proben mikroskopisch untersucht und Kulturen angelegt. Obwohl purulenter Ausfluss typisch für eine lokale Gonokokkeninfektion ist, lässt sich allein aufgrund der klinischen Untersuchung eine Infektion durch andere Erreger (z.B. Chlamydia trachomatis) nicht sicher ausschließen. Für erfahrene Diagnostiker kann der Nachweis von Gram-negativen intrazellulären Diplokokken im urethralen Ausstrichpräparat – bei entsprechender Symptomatik des Patienten – ein hoch empfindlicher und spezifischer Gonorrhoe-Test sein. Bei Frauen und asymptomatischen Männern ist zur Abklärung eine Anzüchtung von Probenmaterial wichtig; Proben sollten auch von anderen Stellen als der Harnröhre entnommen werden. Auch Proben von symptomatischen männlichen Patienten sollten kultiviert werden: ■
zur Erregeridentifizierung,
■
zur Empfindlichkeitstestung von Antibiotika (s. Kap. 32),
■
zur Unterscheidung zwischen Therapieversagen und Reinfektion.
Die empfindlich auf Trockenheit reagierenden Gonokokken sollten auf angewärmten selektiven (z.B. modifizierter Thayer-Martin-Agar) und nichtselektiven (SchokoladeBlut-Agar) Kulturmedien gezüchtet werden. Wenn sich die Übergabe ans Labor hinauszögert (nicht länger als 48 Stunden!), muss ein geeignetes Transportmedium verwendet werden. Bei Verdacht auf eine disseminierte Infektion sollten Blutproben entnommen werden; auch Aspirate aus Gelenken können positive Kulturergebnisse ergeben. Serologische Untersuchungen führen meist zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Seit kurzem sind spezifische DNA-Sonden für N. gonorrhoeae und Chlamydien im Handel erhältlich; solche Kits liefern innerhalb von 2–4 Stunden zuverlässige Ergebnisse.
525
Abb. 21.6 Lokale und systemische Ausbreitung der Gonokokkeninfektion und Komplikationen.
Antibiotikatherapie für die Therapie der Gonorrhoe sind Ceftriaxon und Fluorchinolone (z.B. Ciprofloxacin) – doch die Resistenz nimmt zu 526
(Antibiotika der Wahl s. Tab. 21.1) Seitdem 1976 zum ersten Mal Penicillinase-bildende N. gonorrhoeae beobachtet wurden, hat zunehmende Resistenz die wirksame Behandlung der Gonorrhoe in einigen Teilen der Welt (vor allem in Südostasien) stark eingeschränkt. Auch die Resistenz gegen Fluorchinolone nimmt zu. Da Gonorrhoe-Patienten auch mit Chlamydien infiziert sein können (s. unten), wird oft eine kombinierte Behandlung mit Mitteln wie Ceftriaxon und Doxycyclin durchgeführt, die gegen beide Erregerarten wirksam sind. Durch frühzeitige Behandlung kann die Dauer der Infektiosität verkürzt und können die Ansteckungsraten bei sexuell aktiven, promiskuitiven Patienten zu einem erheblichen Teil verringert werden. Während sich sexuell erworbene Infektionen durch Antibiotika-Prophylaxe nicht verhindern lassen, stellen antibakterielle Augentropfen für die Neugeborenen von Müttern mit Gonorrhoe oder Verdacht auf eine Gonokokkeninfektion einen wirksamen Schutz dar. Vor der sexuell übertragbaren Infektion schützen Kondome. Um die weitere Ausbreitung zu unterbinden, ist die Nachsorge für Gonorrhoe-Patienten und ihre Kontaktpersonen wichtig. Derzeit gibt es noch keine wirksamen Impfstoffe, doch es wird untersucht, inwieweit sich Pilus- (Fimbrien-)Proteine oder andere Bestandteile der Gonokokkenhülle als Antigene eignen würden. Es könnte jedoch sein, dass sich durch die Impfung nur die Krankheitssymptome verhindern lassen, nicht aber die Infektion selbst. Auf die Gefahren einer asymptomatischen Infektion wurde oben bereits hingewiesen. Wiederholte Infektionen können durch Bakterienstämme mit unterschiedlichen Fimbrien(F-)Proteinen auftreten.
21.4
Chlamydieninfektionen
Die Serotypen D–K von Chlamydia trachomatis verursachen sexuell übertragbare Genitalinfektionen Chlamydien sind sehr kleine und obligat intrazelluläre Bakterien. Ihr Lebenszyklus ist komplizierter als bei frei lebenden Bakterien, da sie in unterschiedlicher Form existieren: ■ als Elementarkörperchen (elementary body, EB), die auch außerhalb von Zellen überleben können. Sie stellen die infektiöse Form dar; ■ als Initialkörperchen (reticulate body, RB), die sich intrazellulär vermehren (Abb. 21.7). Traditionell wurden drei Chlamydienspezies (C. trachomatis, C. psittaci und C. pneumoniae) unterschieden, doch die beiden Letzteren ordnet man jetzt der Gattung Chlamydophila zu (Tab. 21.7). C. psittaci und C. pneumoniae verursachen Atemwegsinfektionen und sind daher in Kap. 19 besprochen. C. trachomatis kann in verschiedene Serotypen (auch als Serovare bezeichnet) unterteilt werden, die unterschiedliche Infektionen hervorrufen: ■
die Serotypen A–C eine schwere Augeninfektion, das Trachom (s. Kap. 25),
527
■ die Serotypen D–K eine genitale Infektion in Verbindung mit Augen- und Atemwegsinfektionen (Tab. 21.8), ■ die Serotypen L1, L2 und L3 eine systemische Erkrankung (Lymphogranuloma venereum, LGV, s. unten). Die Serotypen D–K von C. trachomatis sind weltweit, die LGV-Serotypen nur eingeschränkt verbreitet. Meist handelt es sich um genitale, beim Geschlechtsverkehr erworbene Infektionen, die oft ohne irgendwelche Symptome verlaufen, vor allem bei Frauen. Erwachsene können sich die Augen durch Autoinokulation über die Genitalien oder okulär-genitale Kontakte infizieren. Neugeborene können sich bei der Passage durch den infizierten Geburtskanal eine Augeninfektion zuziehen und haben auch ein erhöhtes Risiko für eine C.-trachomatis-Pneumonie (s. Kap. 19).
Chlamydien gelangen über winzige Schleimhautrisse in den Körper Nach Bindung an spezifische Rezeptoren der Wirtszelle induzieren Chlamydien ihre Aufnahme ins Zellinnere durch Endozytose (s. Kap. 13). Doch die Fusion des chlamydienhaltigen Vesikels mit Lysosomen wird verhindert (Mechanismus unbekannt), es beginnt der Entwicklungszyklus des Elementarkörperchens (Abb. 21.7). Innerhalb von 9–10 Stunden nach der Zellinvasion differenzieren sich Elementarkörperchen zu metabolisch aktiven Initialkörperchen (reticulate body), die sich durch Zellteilung vermehren. Die neu dabei entstehenden Elementarkörperchen werden innerhalb von 20 Stunden nach extrazellulär freigesetzt.
528
Abb. 21.7
Lebenszyklus von Chlamydien
EB = Elementarkörperchen, RB = Initialkörperchen, engl. reticulate body
Das klinische Bild ist Folge der Zellzerstörung und entzündlicher Wirtsreaktionen Die freigelassenen Elementarkörperchen können von Lymphe oder Blut zu nahe oder auch entfernter vom Infektionsort gelegene Zellen transportiert werden und in sie eindringen.
Tab. 21.7 Medizinisch wichtige Chlamydiaceae. Während sich die Serotypen D–K von C. trachomatis auf das Säulen- und Übergangsepithel beschränken, können die Serotypen L1–L3 eine systemische Erkrankung (LGV) hervorrufen. Das klinische Bild hängt vom Infektionsort ab (Tab. 21.8). Eine genitale Infektion (durch die Serotypen D–K) verläuft bei Frauen oft ohne Lokalsymptome, bei Männern dagegen fast immer symptomatisch.
Bei Chlamydien-Urethritis oder -Zervizitis sind Labortests diagnostisch wegweisend
529
Allein aufgrund des klinischen Bildes lassen sich Chlamydien nicht eindeutig als Ursache einer Urethritis oder Zervizitis feststellen oder andere Erreger ausschließen. Als traditionelle Labormethoden bieten sich Zellkultur und direkter Antigennachweis an.
Tab. 21.8 Klinische Syndrome und Komplikationen durch C. trachomatis (Serotypen D – K). *
Urethritis, Konjunktivitis, Polyarthritis, mukokutane Läsionen
Bei den meisten Patienten bilden sich zwar Antikörper nach der Infektion, doch für die Diagnose sind serologische Untersuchungen nicht zuverlässig genug. Als obligat intrazelluläre Parasiten müssen Chlamydien aus Zellkulturen isoliert werden. In Flüssigkeit gelöste Proben werden nach Zentrifugation auf eine einschichtige Zellkultur aufgebracht, die mit Cyclohexidin vorbehandelt wird, um die Aufnahme der Chlamydien zu verbessern. Nach 48–72 Stunden bilden sich die typischen Einschlusskörperchen, die Glykogen enthalten und sich deshalb mit Jod färben lassen (Abb. 21.8) oder durch Immunfluoreszenz sichtbar werden.
Mikroskopischer Nachweis von C. trachomatis durch direkten Immunfluoreszenz-Antikörpertest In Ausstrichpräparaten von klinischen Proben kann C. trachomatis auch direkt entdeckt werden, wenn der Objektträger mit Fluorescein-konjugierten monoklonalen Antikörpern beschichtet und unter dem UV-Lichtmikroskop betrachtet wird, d.h., wenn ein direkter Immunfluoreszenz-Antikörpertest durchgeführt wird. Elementarkörperchen der Chlamydien färben sich als hellgelb-grüne Pünktchen an (Abb. 21.9). Das Ergebnis liegt innerhalb weniger Stunden vor. Verglichen mit Zellkulturen ist die Methode hochspezifisch, aber für eine asymptomatische Infektion oft nicht sensitiv genug. Chlamydienantigene in Proben können auch mit ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) entdeckt werden; auch dieser Test ist bei asymptomatischen Patienten leider nur eingeschränkt empfindlich (sensitiv).
Inzwischen sind Nukleinsäuretests zum Chlamydiennachweis erhältlich 530
Mit den verschiedenen verfügbaren DNA-Sonden und Amplifikationstests lässt sich C. trachomatis direkt in Proben (von Zervix, Urethra, Urin etc.) eines Infizierten nachweisen. Wie bereits erwähnt, ermöglichen kommerziell erhältliche Kits einen raschen (innerhalb von 2–4 Std.) und spezifischen DNA-Nachweis für N. gonorrhoe und Chlamydien. Das kann wichtig sein, weil Patienten oft mit beiden Erregern infiziert sind. Als Erregernachweis kommen zunehmend häufiger die schnellen und spezifischen molekularen Testmethoden zum Einsatz.
Abb. 21.8 Chlamydien-Einschlusskörperchen färben sich mit Jod dunkelbraun an.
531
Abb. 21.9 Direkter ImmunfluoreszenzAntikörpertest zum Nachweis von C. trachomatis.
Unter dem UV-Lichtmikroskop sind die Elementarkörperchen als hellgelb-grüne Pünktchen erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von J.D. Treharne).
Behandlung/Prävention von Chlamydieninfektionen mit Doxycyclin oder Tetracyclin Chlamydien sprechen nicht auf Betalaktam-Antibiotika an. Das kann bei Gonorrhoe und Syphilis entscheidend für die Wahl der Therapie sein kann. Es empfiehlt sich, Patienten, die schon wegen einer Gonorrhoe in Behandlung sind, ebenfalls mit Doxycyclin zu behandeln, um eine begleitende Chlamydieninfektion mit zu erfassen (Tab. 21.1). Bei einer klinisch diagnostizierten genitalen Chlamydieninfektion sollten zusätzlich die Sexualpartner der Patienten bzw. die Neugeborenen infizierter Mütter behandelt werden. Für Kinder sind Makrolidantibiotika geeignet. Die Prävention hängt wesentlich davon ab, ob asymptomatische Infektionen erkannt werden. Um Komplikationen zu vermeiden und die Ansteckungsmöglichkeiten einzuschränken, sind frühzeitige Diagnose und Behandlung der Patienten und ihrer Sexualpartner wichtig. Man sollte auch daran denken, dass sich Geschlechtskrankheiten nicht ausschließen, sondern gleichzeitig oft mehrere Infektionen durch unterschiedliche Erreger bestehen.
21.5
Inguinale Lymphadenopathie anderer Ursache
Bei sexuell aktiven Menschen sind häufig genitale Infektionen die Ursache einer inguinalen Lymphadenopathie. Syphilis und Gonorrhoe wurden oben bereits angesprochen. Lymphogranuloma venereum (LGV), weicher Schanker und Granuloma inguinale kommen zwar in tropischen und subtropischen Ländern häufiger vor als in Europa und den USA, sind aber insofern wichtig, als sich Reisende über Sexualkontakte in diesen Ländern infizieren können.
532
21.5.1
Lymphogranuloma venereum (LGV)
Erreger des LGV sind die Serotypen L1–L3 von C. trachomatis Das Lymphogranuloma venereum ist eine schwere Erkrankung und besonders in Afrika, Asien und Südamerika verbreitet. In Europa, Australien und Nordamerika tritt die Infektion nur sporadisch und bevorzugt bei homosexuellen Männern in Erscheinung. Die Prävalenz scheint bei Männern höher als bei Frauen zu sein, vielleicht zeigen sich bei Männern auch nur häufiger Symptome.
LGV, eine systemische Infektion des Lymphgewebes, wird mit Tetracyclin oder Doxycyclin behandelt Das klinische Bild kann sich deutlich von der oben beschriebenen lokal begrenzten Infektion durch C. trachomatis (Serotypen D–K) unterscheiden. Primärläsion ist ein ulzerierendes Knötchen (Papel) an der Inokulationsstelle, das 1–4 Wochen nach der Infektion auftreten und mit Fieber, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen (Myalgie) einhergehen kann. Die Läsion heilt relativ schnell ab, doch die Chlamydieninfektion der ableitenden Lymphknoten setzt sich fort, bis die typischen Bubonen in der Leiste zu sehen sind, die sich allmählich vergrößern (Abb. 21.10). Chlamydien können über die Lymphgefäße von infizierten Lymphknoten aus ins Darmgewebe streuen und eine Proktitis hervorrufen. Als weitere systemische Komplikationen können Fieber, Hepatitis, Pneumonie und Meningoenzephalitis auftreten. Auch wenn die Infektion unbehandelt abheilt, können ■
sich eitrige Lymphknotenabszesse bilden und über die Haut entleeren,
■ chronische granulomatöse Reaktionen in den Lymphgefäßen und angrenzenden Geweben zu Analfisteln oder einer genitalen Elephantiasis führen. Kulturmethoden für Chlamydien sind zwar verfügbar (s. oben), doch für die Erregerisolierung werden nur niedrige Erfolgsraten (24–30%) angegeben. Die Diagnose wurde anhand des klassischen Frei-Antigen-Tests gestellt, bei dem LGVAntigen in die Haut injiziert wird. In frühen Krankheitsstadien ist es allerdings ein unzuverlässiger Test, der weder ausreichend sensitiv noch spezifisch ist (weil FreiAntigen nur art-, aber nicht typspezifisch ist). Wie oben erwähnt, sind auch Nukleinsäure-(DNA-)Tests verfügbar. Empfohlen wird die Behandlung mit Tetracyclin und Doxycyclin (Tab. 21.1). Schwangere und Kinder unter 9 Jahren sollten mit einem Makrolid, z.B. Erythromycin, behandelt werden.
Abb. 21.10 Lymphogranuloma venereum.
533
Beidseitige Vergrößerung der Leistenlymphknoten (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham).
21.5.2
Weicher Schanker (Chankroid, Ulcus molle)
Ursache ist Haemophilus ducreyi, klinisches Kennzeichen sind schmerzhafte Genitalulzera Eine Infektion mit dem Gram-negativen Bakterium Haemophilus ducreyi äußert sich durch schmerzhafte, nicht verhärtete Genitalulzera und eine lokale Lymphadenitis (Abb. 21.11). Durch die schmerzenden Läsionen unterscheidet sich dieser weiche Schanker vom schmerzlosen Primäraffekt bei Syphilis. Die Ulzera könnten mit genitalem Herpes verwechselt werden, sehen aber im Allgemeinen größer und unregelmäßiger begrenzt aus. Trotz endemischen Vorkommens in bestimmten Gebieten der USA treten die meisten Fälle unabhängig voneinander auf. In Afrika und Asien ist weicher Schanker die häufigste Ursache genitaler Geschwüre. Epidemiologische Angaben sind wichtig, weil die Diagnose gewöhnlich klinisch gestellt wird; der Erreger lässt sich nämlich sehr schlecht im Labor anzüchten. Ein Ulcus molle kann mit Granuloma inguinale verwechselt werden (s. unten).
Weicher Schanker wird mikroskopisch und durch Kultur diagnostiziert und mit Erythromycin, Ceftriaxon oder Co-trimoxazol behandelt Gram-gefärbte Ausstriche (nach Aspiration vom Ulkusrand oder aus einem vergrößerten Lymphknoten) zeigen zahlreiche kurze Gram-negative Stäbchen und Ketten, die oft in einem typischen „Fischzugmuster“ innen- oder außerhalb von polymorphkernigen Leukozyten angeordnet sind.
Abb. 21.11
Weicher Schanker. 534
Mehrere unregelmäßige Ulzera auf der Vorhaut (mit freundlicher Genehmigung von L. Parish). Die Aspirate sollten bei 33°C in 5–10% Kohlendioxid auf einem angereicherten Spezialkulturmedium (GC-Agar mit 1–2% Hämoglobin, 5% fetalem Rinderserum, IsoVitale X und Vancomycin [3 μg/ml] zur Unterdrückung der Gram-positiven Begleitflora) angezüchtet werden. H. ducreyi verträgt keine Hitze und wächst nur langsam. Daher kann es 2–9 Tage dauern, bis sich Kolonien bilden. Zur Behandlung wird im Allgemeinen ein Makrolidantibiotikum (z.B. Erythromycin oder Azithromycin) oder Ceftriaxon empfohlen (Tab. 21.1).
535
21.5.3
Granuloma inguinale (Donovanosis)
Ursache ist Calymmatobacterium granulomatis, klinische Kennzeichen sind genitale Knötchen und Ulzera In gemäßigten Klimazonen ist das Granuloma inguinale (oder Granuloma venereum) selten, kommt aber in tropischen und subtropischen Regionen (Karibik, Neuguinea, Indien und Zentralaustralien) häufiger vor. Gekennzeichnet ist es durch Knötchen, die fast immer an den Genitalien sitzen, erosiv wachsen und ulzeröse Granulome bilden können; bei Berührung bluten sie leicht. Die Ulzera können sich flächenmäßig ausdehnen oder sekundär infizieren. Erreger des Granuloma inguinale ist ein Gram-negatives Stäbchen, das traditionell als Calymmatobacterium granulomatis bezeichnet wurde (Tab. 21.2). Seit neuestem wird es aufgrund seiner Genomanalyse den Klebsiellen zugeordnet, doch in der Literatur ist weiterhin die Bezeichnung C. granulomatis gebräuchlich. Die Vermehrung der Bakterien findet in mononukleären Zellen statt, aus denen sie durch Zytolyse freigesetzt werden.
Die Diagnose wird mikroskopisch gestellt; die Behandlung erfolgt mit Tetracyclin Diagnostiziert wird das Granuloma inguinale anhand eines mit Wright- oder GiemsaFärbung behandelten Ausstrichpräparats. Die „Donovan-Körperchen“ bilden blau oder schwarz gefärbte Haufen (Cluster) im Zytoplasma mononukleärer Zellen. Zur Behandlung werden Tetracycline oder Co-trimoxazol empfohlen (Tab. 21.2).
21.6
Mykoplasmen- und Nicht-Gonokokken-Urethritis
Ursache einer Genitalinfektion können auch Mycoplasma hominis, M. genitalium oder Ureaplasma urealyticum sein Während Mycoplasma pneumoniae nachweislich eine Rolle als Pneumonieursache spielt (s. Kap. 19), ist die Rolle der sog. „T-Stämme“ – Mycoplasma hominis, M. genitalium und Ureaplasma urealyticum (verstoffwechselt Harnstoff, Urea) – bei Geschlechtskrankheiten (STD) weniger klar. Da sie häufig auch den Genitaltrakt gesunder, sexuell aktiver Männer und Frauen besiedeln, bei sexuell abstinent lebenden aber seltener vorkommen, geht man von ihrer sexuellen Übertragbarkeit aus. Doch es lässt sich schwer nachweisen, ob sie auch Auslöser genitaler Infektionen sind. M. genitalium könnte eine (Nicht-Gonokokken-)Urethritis, M. hominis eine aufsteigende Beckenentzündung (pelvic inflammatory disease, PID), febrile Zustände nach Abort oder Geburt und eine Pyelonephritis verursachen. Auch U. urealyticum ist mit Urethritis und Prostatitis in Verbindung gebracht worden.
536
Infektionen mit M. genitalium und U. urealyticum werden genauso wie Chlamydieninfektionen mit Tetracyclin oder Erythromycin behandelt. Ureaplasmen sind teilweise Tetracyclin-resistent, M. hominis ist fast immer Erythromycin-resistent.
21.7
Sonstige Ursachen von Vaginitis und Urethritis
21.7.1
Candida-Infektion
Candida albicans verursacht ein breites Spektrum genitaler Erkrankungen, die mit oral oder topisch angewandten Antimykotika behandelt werden Die Bandbreite reicht von einer leichten, oberflächlichen, lokalen Infektion bei ansonsten Gesunden bis hin zu disseminierten, oft tödlichen Infektionen bei Immungeschwächten. Der Hefepilz Candida albicans gehört zur normalen Vaginalflora, doch bei manchen Frauen kann es unter noch nicht geklärten Umständen infolge eines vermehrten Candida-Befalls zu einer stark juckenden Vaginitis mit käsigem Ausfluss kommen. Mögliche Begleiterscheinungen wie Urethritis und Dysurie lassen oft primär an eine Harnwegsinfektion denken (s. Kap. 20). Die Diagnose kann durch mikroskopische Untersuchung des Ausflusses und aus der Kultur gestellt werden (Abb. 21.12). Empfohlen wird die Behandlung mit einem Antimykotikum (oral mit Fluconazol oder topisch mit einer Nystatin-Mischung), trotzdem kommt es bei einer kleineren Gruppe von Frauen häufig zu Rezidiven. Rund 10% der Partner von Frauen mit vulvovaginaler Candida-Infektion können an einer Balanitis leiden, während eine Urethritis bei Männern selten und auch nur vereinzelt mit Symptomen verbunden ist.
21.7.2
Trichomonadeninfektion
Trichomonas vaginalis (ein Protozoon) verursacht Vaginitis mit starkem Ausfluss Trichomonas vaginalis parasitiert ■
bei Frauen in der Vagina,
■
bei Männern in der Urethra (und manchmal auch in der Prostata).
Trichomonaden werden beim Geschlechtsverkehr übertragen. Schwere Infektionen führen bei Frauen zur Vaginitis mit reichlich übel riechendem Ausfluss. Damit einher geht ein Anstieg des vaginalen pH-Werts. Trichomonadeninfektionen sollten durch mikroskopische Untersuchung von einer bakteriellen Vaginose (s. unten) abgegrenzt werden. Dabei sind im Ausfluss aktiv bewegliche Trophozoiten zu erkennen (Abb. 21.13).
Abb. 21.12 Candida albicans im (vaginalen) Ausfluss. 537
a) lichtmikroskopisches Bild, b) Kultur.
Für symptomatische Infektionen wird Metronidazol empfohlen Bei Männern äußert sich eine Trichomonas-vaginalis-Infektion nur selten mit Symptomen, z.B. einer leichten Urethritis. Trotzdem sollten die Sexualpartner infizierter Frauen prophylaktisch behandelt werden, um eine Reinfektion zu verhindern.
21.7.3
Bakterielle Vaginose
Bei bakterieller Vaginose durch Gardnerella vaginalis und Anaerobier hat der vaginale Ausfluss einen fischigen Geruch Diese unspezifische Vaginitis ist zumindest durch drei der folgenden klinischen Zeichen und Symptome gekennzeichnet: ■
starker, übel riechender vaginaler Ausfluss
■
vaginaler pH-Wert über 4,5
■ clue cells („Schlüssel-“zellen: von Bakterien bedeckte vaginale Epithelzellen; Abb. 21.14) ■
fischiger Amingeruch
Begleitend zu der erheblichen Zunahme von G. vaginalis in der Vaginalflora ist ein Anstieg obligat anaerober Bakterien wie Bacteroides zu beobachten (Tab. 21.2). G. vaginalis ist nicht nur im Rahmen einer Vaginose regelmäßig anzutreffen, sondern auch bei 20–40% der gesunden Frauen. Dass G. vaginalis bei den männlichen Partnern von Patientinnen mit Vaginose in der Urethra vorkommt, spricht für eine sexuelle Übertragung. Bei postpartalem Fieber ließ sich G. vaginalis aus Blutkulturen der Patientinnen isolieren.
538
Abb. 21.13 Bewegliche Trophozoiten im (vaginalen) Ausfluss bei Trichomonadeninfektion (T. vaginalis).
Giemsa-Färbung (mit freundlicher Genehmigung von R. Muller). Taxonomisch wurde G. vaginalis zunächst als Haemophilus und danach als Corynebacterium klassifiziert. Darin spiegelt sich sein Gram-variables (sowohl Gram-negatives, als auch Gram-positives) Verhalten wider. Im Labor lässt sich G. vaginalis auf Human-Blutagar in feuchter, mit Kohlendioxid angereicherter Atmosphäre anzüchten. Die Infektion wird durch orale Gabe von Metronidazol behandelt. Mit G. vaginalis verwandt sind anscheinend auch die Mobiluncus-Spezies, die ebenfalls an einer Vaginose beteiligt sein können. Die Pathogenese der bakteriellen Vaginose ist noch immer unklar. Begünstigt wird sie aber offenbar durch Veränderungen des normalen sauren pH-Werts in der Scheide oder wenn das Gleichgewicht der Vaginalflora gestört ist. Ob diese oder noch unbekannte Faktoren sexuell übertragbar sind, ist nicht geklärt.
539
Abb. 21.14 Clue cells bei bakterieller Vaginose.
21.8
Genitaler Herpes
Häufigste Ursache ist Typ 2 des Herpes-simplex-Virus (HSV-2), doch auch HSV-1 wird häufiger entdeckt HSV ist ubiquitär und verursacht weltweit Infektionen beim Menschen. Gewöhnlich wird HSV-1 mit dem Speichel übertragen und verursacht eine oropharyngeale Primärinfektion im Kindesalter. Bei späterer Reaktivierung treten dann die typischen Herpesbläschen auf. Mit HSV-2 ist jedoch ein zweiter Stamm aufgetaucht, der unabhängig auf genitalem Weg übertragen wird. Trotz seiner biologischen und antigenen Unterschiede zum ursprünglichen HSV-1 sind spezielle Labortechniken erforderlich, um die beiden Stämme zu unterscheiden. Es besteht nur eine geringe Kreuzimmunität zwischen HSV-1 und -2. Mittlerweile sind oral-genitale Sexualpraktiken so verbreitet, dass sich die topografischen Unterschiede zwischen beiden Stämmen (ursprünglich traten sie an unterschiedlichen Stellen auf) verwischt haben. Jetzt können HSV-1 und HSV-2 sowohl aus dem Oral- als auch aus dem Genitalbereich gewonnen werden.
Das Abheilen der typischen ulzerierenden Bläschen bei genitalem Herpes kann bis zu 2 Wochen dauern An Penis oder Vulva ist 3–7 Tage nach der genitalen Infektion die Primärläsion zu erkennen: Bläschen, die ziemlich bald in schmerzhafte, flache Ulzera übergehen (Abb. 21.15). Neben einer Schwellung der lokalen Lymphknoten können Allgemeinsymptome wie Fieber, Kopfschmerzen und Krankheitsgefühl hinzukommen. Gelegentlich verursachen Läsionen im Bereich der Urethra Beschwerden wie eine Dysurie oder Miktionsschmerzen.
540
Bis zur Heilung der Läsionen kann es zwei Wochen dauern. Danach besteht die Infektion jedoch in latenter Form weiter, weil das Virus an sensorischen Nerven entlang zu Ganglioneuronen der Hinterwurzel aufsteigt (s. Kap. 24). Von dort aus kann die Infektion jederzeit reaktiviert werden: Das HSV wandert an den Nerven entlang wieder zur selben Stelle und verursacht wiederkehrende Läsionen („Herpesbläschen“). Bei Erwachsenen kann als seltene Komplikation eine aseptische Meningitis oder Enzephalitis auftreten. Wird HSV unter der Geburt von der Mutter auf das Kind übertragen, kann eine disseminierte Herpesinfektion oder eine NeugeborenenEnzephalitis die Folge sein.
Genitaler Herpes wird im Allgemeinen anhand des klinischen Bildes diagnostiziert und mit Aciclovir behandelt HSV lässt sich aus der Bläschenflüssigkeit oder Abstrichen von den Ulzera isolieren. Die Typisierung erfolgt durch Immunfluoreszenz mit typspezifischen monoklonalen Antikörpern. Da Genitalinfektionen durch HSV-2 häufiger rekurrieren, kann die Typisierung prognostisch hilfreich sein. Charakteristisch ist der zytopathische Effekt, der sich meist 1–2 Tage nach der Inokulation in Form aufgeblähter degenerierter Zellen und mehrkerniger Riesenzellen zeigt. Zur Typisierung können auch DNANachweismethoden herangezogen werden, die viel empfindlicher (sensitiver) als die Virusisolierung sind.
541
Abb. 21.15
Genitaler Herpes.
Bläschen am Penis (a) bzw. in der Perianal- und Vulvaregion (b). Am Frenulum und den kleinen Schamlippen sind die typischen Erosionen aufgeplatzter Herpesbläschen sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham). Für eine Behandlung von frühen oder schweren Läsionen sind eine Reihe antiviraler Mittel (Aciclovir, Valaciclovir und Famciclovir) zur oralen Therapie verfügbar. Nur bei 542
systemischen Komplikationen muss Aciclovir intravenös verabreicht werden. Als Behandlungsoption für die wiederkehrenden lästigen Schübe bieten sich zwei Alternativen an: entweder sofortige Gabe eines antiviralen Mittels bei den ersten Prodromi oder eine niedrig dosierte Therapie mit Aciclovir (Valaciclovir bzw. Famciclovir) über 6–12 Monate.
21.9
Human-Papillomavirus-(HPV)-Infektion
Es werden über 70 verschiedene Human-Papillomaviren(HPV) unterschieden, die Haut oder Schleimhäute infizieren können. Die DNA jedes HPV-Typs lässt sich mit weniger als 50% der anderen Typen hybridisieren. Bei den HPV-Typen handelt es sich offensichtlich um sehr alte virale „Begleiter“ des Menschen, die schon eine lange Entwicklung hinter sich gebracht und sich an bestimmte Körperregionen angepasst haben.
Viele HPV-Typen sind sexuell übertragbar und verursachen genitale Warzen Nach einer Inkubationszeit von 1–6 Monaten (s. Kap. 26) können an Penis, Vulva oder perianal Feigwarzen (Condylomata acuminata) auftreten (Abb. 21.16), die monatelang bestehen bleiben, ohne sich zurückzubilden. Behandelt werden sie mit Podophyllin. Bei der Kolposkopie können zervikale Läsionen als flaches DysplasieGebiet zu erkennen sein, auf dem sich nach lokaler Applikation von 5% Essigsäure ein weißlicher Belag bildet (Abb. 21.17). Wegen der Assoziation zu Zervixkarzinomen sollten zervikale Dysplasien (besonders Läsionen durch HPV-Typ 16 und 18) per Laser oder Schlingenextraktion entfernt werden.
21.10 HIV-Infektion Das HIV (human immunodeficiency virus) ist ein Retrovirus (Tab. 21.9). Retroviren (lat. retro = rückwärts) werden so bezeichnet, weil das pol- Gen ihrer Einzelstrang-RNA für eine reverse Transkriptase kodiert.
AIDS wurde 1981 zum ersten Mal in den USA festgestellt 1981 dokumentierte das Communicable Disease Center in Atlanta, USA, eine steigende Nachfrage nach Pentamidin, das zur Behandlung einer Pneumocystis-carinii-Infektion (heute: P.-jiroveci-Infektion) benötigt wurde. Die früher gesunden Patienten waren plötzlich erkrankt und machten noch andere schwere Infektionen durch normalerweise harmlose Erreger durch. Dazu gehörten die Soor-Oesophagitis, mukokutane Herpesinfektionen, Toxoplasmose-Infektionen des ZNS und der Lunge und die Enteritis durch Kryptosporidien. Kaposi-Sarkome wurden ebenfalls oft gefunden.
Abb. 21.16
Genitale Feigwarzen.
543
a) Am Penis meist multiple Warzen, die am Schaft flach und keratinisiert sein können. b) Warzen im Perianalbereich reichen oft in den Analkanal hinein. c) Im Vulva-Perinealbereich können sich die Warzen drastisch vergrößern und in die Vagina wuchern (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham). Die Patienten wiesen eine eingeschränkte Immunabwehr auf, die durch Haut-AnergieTests und Verminderung der T-Helferzellen festgestellt wurde. Dieses ImmundefizienzSyndrom, das in Patienten ohne erkennbare Ursache auftrat, wurde als erworbenes Immunschwäche-Syndrom (acquired immune deficiency syndrome, AIDS) bezeichnet. Eine international anerkannte Definition wurde kurz darauf verabschiedet. Nachfolgend kam es zu Epidemien in San Francisco, New York und anderen Städten in den USA. Epidemien in Großbritannien und Europa folgten einige Jahre später.
HIV – das „AIDS-Virus“ – wurde 1983 aus BlutLymphozyten isoliert Identifiziert wurde es als Vertreter der Lenti- bzw. Slow-Virusgruppe der Retroviren und schien mit ähnlichen Erregern bei Affen und dem Visnavirus von Schafen und Ziegen in Verbindung zu stehen. Struktur und Genom des HI-Virus-Partikels sind in Abb. 21.18 dargestellt, die Replikation in Abb. 21.19 und 21.20. Mindestens sechs Gene sind an der Steuerung der HIV-Replikation beteiligt. Nach Integration des Provirus wird der Replikationszyklus oft angehalten, so dass es zu einer latenten Infektion der Zellen kommt. Transaktivierende Faktoren wie die tat- und revGene können jedoch die Produktion von Virus-RNA und Virusproteinen steigern, wenn latent infizierte Zellen ■ oder
durch Antigene zur Differenzierung stimuliert werden (z.B. T-Helferzellen)
■ schon durch vorhergehende Virusinfektionen (HSV oder CMV) stimuliert wurden.
Abb. 21.17 Eine Zervixdysplasie durch HPV sollte mit dem Laser entfernt warden
544
(mit freundlicher Genehmigung von A. Goodman).
Tab. 21.9 Retroviren des Menschen.
Die HIV-Infektion könnte in den 50er Jahren von Afrika ausgegangen sein; Ende 2002 waren weltweit 42 Millionen Menschen infiziert 545
Molekularbiologisch (hinsichtlich der Aminosäuresequenzen) ist HIV-1 ganz offensichtlich eng mit dem in Westafrika aufgetretenen HIV-2 verwandt; möglicherweise stammen beide von nahe verwandten Primatenviren ab. HIV-1 wird in drei Gruppen unterteilt: M (main), N (new) und O (outlier). Die Hauptgruppe (M) umfasst zehn Subtypen (A–J), die N- und O-Gruppe konzentrieren sich auf das westliche Zentralafrika. Die geografische Prävalenz einzelner Subtypen ist unterschiedlich; während in Nordamerika und Europa Subtyp B am häufigsten vorkommt, sind es in Afrika Subtypen wie A oder C, aber nicht B. Doch mit zunehmendem Reiseverkehr beginnt sich die Verteilung der Subtypen zu verändern; zudem besteht ein höheres Risiko, dass es zu Misch- oder Superinfektionen kommt. Wenn sich ein HIV-Infizierter mit einem anderen Virusstamm infiziert, können durch Rekombination neue Subtypen auftreten, wie die zirkulierenden rekombinanten Formen (CRF] zeigen. Das ist insofern wichtig, als die Krankheit dadurch in unterschiedlicher Geschwindigkeit fortschreiten könnte. HIV-1 war möglicherweise schon seit vielen Jahren bei Menschen in Zentralafrika vorhanden, begann sich aber erst Ende der 70er Jahre rasch auszubreiten (Abb. 21.21). Vielleicht hatten sich seine biologischen Eigenschaften verändert, weil es häufiger übertragen wurde (infolge großer sozioökonomischer Umwälzungen oder aufgrund der Migration von Menschen aus Zentral- nach Ostafrika). Dabei spielten weibliche Prostituierte und männliche Söldner oder Arbeitsuchende, die von einem Land ins andere reisten, eine wichtige Rolle. Schon bald tauchte die Krankheit in Haiti und den USA auf, danach folgten Europa, Australien und Asien. In den späten 80er Jahren tauchte HIV auch in asiatischen Ländern auf, zuerst in Thailand. Dass sich die Infektion bis 1995 explosionsartig ausbreitete, lag an der heterosexuellen Übertragung von HIV in Asien. Hohe Infektionsraten wiesen vor allem Prostituierte und i.v. Drogenabhängige auf. Weltweit waren Ende 2002 mehr als 42 Millionen Menschen (Erwachsene und Kinder) mit HIVinfiziert: ■ 29,4 Millionen in Afrika südlich der Sahara ■ 7,2 Millionen in Asien und im Pazifikraum ■ 1,2 Millionen in Osteuropa und Zentralasien ■ 1 Million in Nordamerika ■ 650000 in Westeuropa Fünf Millionen neu Infizierte kamen allein 2002 hinzu, und an den Infektionsfolgen starben im selben Jahr 3,1 Millionen Menschen. Während dieser Zeit wuchs sich die Infektion zu einer Epidemie aus, und mit schätzungsweise 1 bzw. 4 Millionen Infizierten in China und Indien erwartete man dort besonders hohe Durchseuchungsraten. Nach einigen Hochrechnungen werden sich zwischen 2002 und 2010 zusätzlich 45 Millionen Menschen in 126 Ländern infiziert haben, hauptsächlich in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Pro-Kopf-Einkommen, von denen sich mehr als 40% in Asien und der Pazifikregion befinden.
Abb. 21.18
Struktur und Genkartierung des HIV.
546
Im RNA-Transkript werden die nicht zusammenhängenden Segmente der rev- und tat-Gene zusammengefügt. Gelegentlich können in der Virushülle Wirtsproteine wie MHC-Moleküle vorhanden sein (MHC = major histocompatibility complex, p = Protein, gp = Glykoprotein). Auf dem Höhepunkt der Infektion werden täglich etwa 109 HIV-1-Partikel produziert. Das bedeutet in Verbindung mit der ungenauen Wiedergabe der reversen Transkriptase, dass ständig neue Virusvarianten entstehen. Von Mutationen sind vor allem die env- und nef- Gene betroffen. Bei jedem Patienten finden sich mehrere Virusvarianten und darunter zunehmend häufiger Mutanten, die arzneimittel- und immunresistent sind. Auf das Fortschreiten der Erkrankung wirkt sich auch aus, dass es Virusgruppen mit Tropismus für Makrophagen und T-Zellen gibt und solche, die ein Synzytium induzieren oder nicht. Durch Genanalysen wurden die HIV-1-Stämme in drei Gruppen unterteilt – M ist eine Gruppe mit mindestens 10 Subtypen (A–J) in unterschiedlicher geografischer Verbreitung, zu der die meisten HIV-1-Isolate gehören, sowie N und O (Afrikaner). Nicht klar ist, wie stark die Kreuzimmunität zwischen diesen Stämmen ausgeprägt ist.
547
HIV infiziert vor allem Zellen mit CD4-Rezeptoren an der Oberfläche, benötigt aber zusätzlich ChemokinKorezeptoren Zu den Zellen mit CD4-Rezeptoren gehören T-Helferzellen, Monozyten, dendritische und Mikrogliazellen (Abb. 21.22 und 21.23). Das CD4-Molekül wirkt als hochaffine Bindungsstelle für das Glykoprotein gp120 der Virushülle. Doch zu einer produktiven Replikation mit Zerstörung der Zelle kommt es erst, wenn die T-Helferzelle aktiviert ist. Die Aktivierung von T-Helferzellen wird nicht nur verstärkt, wenn sie versuchen, auf HIV-Antigene zu reagieren, sondern auch bei bakteriellen Sekundärinfektionen von HIV-Patienten. Auch Monozyten und Makrophagen, Langerhans- und follikulär-dendritische Zellen bewirken eine Expression des CD4-Moleküls und können durch HIV infiziert werden. Da sie im Allgemeinen aber nicht zerstört werden, dienen sie vermutlich eher als Reservoir. Zuerst infizieren sich Langerhans-Zellen, z.B. dendritische Haut- und Mukosazellen im Genitalbereich. Im späteren Verlauf zeigt sich im histologischen Muster der Lymphfollikel eine auffällige Zerstörung durch den Untergang follikulärdendritischer Zellen. Um in die Zellen zu gelangen, bindet sich HIV-1 mit seinem Glykoprotein gp120 an den CD4- und zusätzlich an einen Chemokinrezeptor der Zelloberfläche. Wichtig für die Infektion ist besonders der CCR5-β-Chemokinrezeptor; Menschen mit Deletionen des CCR5-Gens sind resistent gegenüber der Infektion mit HIV. Eine fortschreitende Erkrankung scheint mit HIV-Varianten assoziiert zu sein, die den CXCR4-αChemokinrezeptor benutzen. Also beeinflussen Chemokin(ko)rezeptoren die Anfälligkeit für eine HIV-Infektion und durch opportunistische Infektionen kommen sie offenbar vermehrt zur Expression.
Nachdem es die HIV-Infektion zuerst noch bekämpft hat, beginnt das Immunsystem zu versagen In den ersten Monaten kommt es zu einem Rückgang der HIV-bedingten Virämie (HIV-Virus-Last), weil virusspezifische CD8-positive Zellen gebildet werden und danach neutralisierende Antikörper. Doch selbst dann werden täglich noch bis zu 1010 infektiöse Viruspartikel produziert und bis zu 109 Lymphozyten infiziert. So wird das Immunsystem zunehmend geschwächt, die Zahl der zirkulierenden CD4-positiven TZellen fällt stetig weiter ab und die Viruslast steigt. Die infizierten CD4-positiven TZellen befinden sich fast alle in Lymphknoten.
548
Abb. 21.19
Replikationszyklus des HIV.
In Zellen gelangt es entweder durch Fusion mit der Zellmembran an der Zelloberfläche oder durch Freisetzung aus einer Vakuole im Zellinneren.
549
Anhand der Lymphozytenproliferation ist die zellvermittelte Immunreaktion auf HIVAntigene messbar – auch sie wird immer schwächer, während die Immunreaktionen auf andere Antigene normal ausfallen. Vielleicht erzeugt das Virus anfangs eine spezifische Immunsuppression zu seinem eigenen Schutz. Schließlich scheitert der Patient auch bei der Neubildung von T-Zellen als Ersatz für die Verluste, so dass deren Zahl noch rascher sinkt. In Hauttests ist keine Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ (DTH) mehr erkennbar, und neben der reduzierten Aktivität von natürlichen Killer- (NK-) und zytotoxischen T(Tc)-Zellen zeigen sich verschiedene andere immunologische Anomalien, einschließlich polyklonaler Aktivierung von B-Zellen. Auch funktionell verändern sich die T-Lymphozyten – sie reagieren nur noch eingeschränkt auf Mitogene und bilden weniger Interleukin 2 (IL-2) und Gamma-Interferon (IFN-γ).
Abb. 21.20 Elektronenmikroskopisches Bild vom Aussprossen (budding) des HIV an der Zelloberfläche kurz vor der Freisetzung
(mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley) Sobald sich das Vollbild von AIDS entwickelt, fallen die Immunreaktionen auf HIVund andere Antigene noch schwächer aus: Das Immunsystem hat die Kontrolle verloren. Da Messungen der HIV-1-RNA-Last im Plasma einen Voraussagewert bezüglich der klinischen Folgen haben, werden sie herangezogen, um das klinische Krankheitsstadium zu bestimmen und die Krankheitsprogression sowie das Ansprechen der antiretroviralen Therapie zu beurteilen.
Wie es bei HIV-Infektion zur Immunsuppression kommt, ist noch nicht genau geklärt Zu berücksichtigen sind unter anderem folgende Faktoren: 550
■ direkte Zerstörung von T-Helferzellen oder Induktion des programmierten Zelltods (Apoptose) durch das HIV; ■ erhöhte Verletzlichkeit von T-Helferzellen für Immunattacken zytotoxischer TZellen; ■ durch Thymus- und Lymphknotenschädigung sowie Infektion der Stammzellen nur unzureichende (Wieder-) Auffüllung des T-Zellen-Bestands; ■
fehlerhafte Antigenpräsentation aufgrund der Infektion dendritischer Zellen;
■
immunsuppressive Virusmoleküle (gp120, gp41).
Die Immunreaktionen des Wirts werden außerdem durch die hohe Rate, mit der sich neue Viruspartikel entwickeln, und die fehlende Korrekturfunktion der reversen Transkriptase behindert. HIV existiert als Quasispezies, d.h. mit anderen Worten, die Infektion beruht auf mehreren heterogenen Stämmen. Manche HIV-Varianten sind Immune-escape-Varianten, also resistent gegen zirkulierende Tc-Zellen, andere sind hoch pathogen.
Abb. 21.21 Anfängliche Ausbreitung der (inzwischen weltweit verbreiteten) HIV-Infektion.
HIV-1 könnte bereits seit vielen Jahren in Zentralafrika vorhanden gewesen sein, ehe es sich in den späten 70er Jahren mit der zunehmenden Migration und aufgrund sozioökonomischer Umwälzungen auszubreiten begann. Außerhalb von Afrika sind vor allem Männer infiziert. Vor dem Aufkommen der hochwirksamen antiretroviralen Therapie (HAART) war die Immunsuppression von HIV-Infizierten anhaltend und irreversibel. Das Virus persistierte im Körper, die Patienten blieben infektiös und starben schließlich an opportunistischen Infektionen und Tumoren.
551
HIV-2 scheint nicht so leicht übertragbar zu sein wie HIV-1, vielleicht weil die Viruslast geringer ist und die Progression zu AIDS langsamer vorangeht. In Westafrika tritt die HIV-2-Infektion endemisch auf, hat sich aber auch schon auf Portugal und Indien (Teilgebiete) ausgebreitet.
21.10.1
Übertragungswege
Bisher waren in höher entwickelten Ländern vor allem homosexuelle Männer von einer HIV-Infektion und AIDS bedroht, besonders der passive Partner beim Analverkehr. Obwohl die Infektion primär von Mann zu Mann und vom Mann auf die Frau übertragen wird (Abb. 21.24), lässt sie sich nicht gut mit anderen Geschlechtskrankheiten (STD) vergleichen. In Afrika und Asien wird die HIVInfektion dagegen nachweislich häufiger von Frauen auf Männer übertragen. In zufällig ausgewählten Stichproben waren bis zu 40% der Bevölkerung in zentral- und ostafrikanischen Dörfern mit HIV infiziert, meist Jugendliche bzw. junge Erwachsene.
Abb. 21.22 Elektronenmikroskopisches Bild einer HIV-infizierten T-Helferzelle
20000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D. Hockley).
Abb. 21.23
AIDS-Pathogenese.
552
Obwohl sich HIV in erster Linie an CD4-Rezeptoren bindet, wird die Infektion durch seine Bindung an Chemokinrezeptoren der Wirtszellen (hier nicht gezeigt) noch verstärkt. Gendefekte an Chemokinrezeptoren könnten eine Erklärung dafür sein, dass sich manche Prostituierte in Afrika trotz wiederholter HIV-Kontakte nicht infizierten. TH = T-Helferzelle
Abb. 21.24 Infektion.
Hauptübertragungswege der HIV-
553
Obwohl die heterosexuelle Übertragung bisher nur in Entwicklungsländern hinreichend belegt ist, gibt es Anzeichen dafür, dass dieser Weg auch in entwickelten Ländern zunehmend wichtiger wird.
In reichen Ländern ist die heterosexuelle Übertragung noch nicht so bedeutend wie in armen Ländern Dass in den Entwicklungsländern überhaupt häufiger STD mit Geschwüren und Ausfluss (als Quelle für infizierte Lymphozyten und Monozyten) vorkommen, könnte erklären, weshalb sich die HIV-Infektion dort vermehrt heterosexuell ausbreitet. Genitale Geschwüre sind mit einem vierfach erhöhten Infektionsrisiko verbunden. Es zeigte sich auch, dass Langerhans-Zellen in der Genitalschleimhaut leichter von Virusstämmen infiziert werden, die in Asien und in Afrika südlich der Sahara verbreitet sind, als von anderen Virusstämmen. Nicht ganz klar ist, ob die Urethra von Männern direkt durch HIV infiziert werden kann oder nur, wenn Hautrisse bestehen. Wie mit anderen Geschlechtskrankheiten infizieren sich Männer, die nicht beschnitten sind, auch eher mit HIV. HIV kann von einer infizierten Mutter auf ihr Kind (vertikal) übertragen werden. 55– 85% der Neugeborenen sind jedoch nicht infiziert (der obere Wert scheint mit einem Verzicht auf das Stillen verbunden zu sein). Insgesamt kommt es bei 20% der Schwangerschaften intrauterin oder unter der Geburt zur HIV-Infektion des Kindes. Peri- und postnatal liegt die Rate bei 11–16%, wenn das Kind bis 24 Monate nach der Geburt gestillt wurde. In den entwickelten Ländern konnte das Übertragungsrisiko durch ein vorgeburtliches HIV-Screening, eine antiretrovirale Medikation während der Schwangerschaft, durch Kaiserschnitt-Entbindung, Verzicht auf das Stillen und eine antiretrovirale Therapie der Neugeborenen verringert werden. In den Entwicklungsländern ließe sich schon durch einmalige Gabe eines antiretroviralen 554
Medikaments an Mutter und Kind die HIV-Übertragung nachweislich um 47% reduzieren! Ende 2002 waren 3,2 Millionen Kinder unter 15 Jahren mit HIV infiziert oder an AIDS erkrankt, davon hatten sich 800000 erst in diesem Jahr neu infiziert. Da die Infektion in Afrika gewöhnlich erst nach Erreichen der sexuellen Reife ausbricht, ist eine Übertragung durch Arthropoden kaum wahrscheinlich. Seltener kommt es vor, dass Hämophile (durch verseuchte Blutprodukte) mit HIV infiziert werden. Wie bei anderen hämatogen übertragbaren Virusinfektionen stellt die Verwendung kontaminierter Nadeln (bei i.v. Drogenabhängigen, aber auch beim Tätowieren, Piercing, bei der Akupunktur) eine Infektionsquelle dar. Schließlich können sich auch Menschen (z.B. Arzt- und Pflegepersonal) infizieren, die beruflich mit HIV-Patienten zu tun haben (versehentliche Nadelstiche, spritzende Schleimhautverletzung). Das Infektionsrisiko liegt bei ca. 1/400 und hängt von weiteren Faktoren (Verletzungstiefe, Menge des kontaminierten Blutes) ab. Handschuhe und Schutzbrille sollten daher zu den allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen gehören, um die Ansteckungsgefahr zu vermindern.
21.10.2
Krankheitsverlauf
Die Primärinfektion kann von leichten Beschwerden wie bei einer Mononukleose begleitet sein Zu den schwachen mononukleoseartigen Symptomen der HIV-Infektion gehören Fieber, Krankheitsgefühl und Lymphadenopathie (Abb. 21.25). Auch ein makulopapulöser Ausschlag kann auftreten. Nach ein paar Wochen sind Antikörperreaktionen und die Produktion von Tc-Zellen nachzuweisen. Auf die akute Infektion mit rascher, ausgedehnter Dissemination des HIV folgt das chronische, asymptomatische Stadium der Infektion. Wenn mit Nachlassen der Immunantwort die Virusreplikation zurückgeht, fühlen sich die Betroffenen im Allgemeinen recht gut. Wie lange dieses Stadium anhält, hängt von mehreren Faktoren ab (HIV-Phänotyp, Immunlage des Wirts, antiretrovirale Therapie). Doch es sind weiterhin infizierte Zellen vorhanden.
Abb. 21.25
555
Klinik und Verlauf der unbehandelten HIV-Infektion (CMV, Zytomegalievirus; ZNS, Zentrales Nervensystem; HSV, Herpes-simplex-Virus; PML = progressive multifokale Leukoenzephalopathie). In späteren Stadien können Gewichtsverlust, Fieber, persistierende Lymphadenopathie, orale Candidiasis und Diarrhoen auftreten. Die Virusreplikation findet so lange weiter statt, bis sich schließlich nach jahrelanger HIV-Infektion das Vollbild von AIDS entwickelt (Abb. 21.25).
556
Progression zum Vollbild AIDS In Frühstadien der HIV-Infektion führt die Invasion des ZNS zu einer selbstlimitierenden aseptischen Meningoenzephalitis als dem häufigsten neurologischen Krankheitsbild. Bei AIDS-Kranken tritt dann eine progrediente, HIV-assoziierte Enzephalopathie auf, die durch zahlreiche kleine Knötchen gekennzeichnet ist. Dabei handelt es sich um entzündlich veränderte Zellen, offenbar hauptsächlich Mikrogliazellen oder infiltrierende Makrophagen. Diese Zellen exprimieren CD4-Antigen. Man vermutet, dass das HI-Virus von infizierten Monozyten zum Gehirn transportiert wird. Doch das Bild wird dadurch komplizierter, dass andere persistierende Infektionen reaktiviert werden und sich pathologisch auf das Gehirn auswirken können, z.B. Infektionen durch HSV (Herpes), VZV (Varicella-Zoster-Virus), Toxoplasma gondii, JC-Virus (progressive multifokale Leukoenzephalopathie, PML) und Cryptococcus neoformans. Das HIV übt zwar eine umfassende Kontrolle über seine eigene Replikation aus (Abb. 21.19), doch sie wird auch von den Reaktionen auf andere Infektionen beeinflusst, die zum Teil wie antigene Reize (Stimuli) oder sogar direkt wie transaktivierende Faktoren wirken. Dass sich bei einigen Patienten, vor allem in Afrika, ein Wasting-Syndrom (auszehrende Krankheit) entwickelt, könnte an einer unerkannten Darminfektion oder einem Parasitenbefall liegen, möglicherweise ist es aber auch dem direkten Einfluss von HIV auf die Darmwand zuzuschreiben. Das AIDS-Vollbild besteht aus einem breiten Spektrum mikrobieller Erkrankungen, die aufgrund der Immunsuppression durch HIV neu erworben oder reaktiviert wurden (Abb. 21.26 und Tab. 21.10). Das Krankheitsbild von AIDS ist daher eher eine indirekte Folge der HIV-Infektion. Vor dem Aufkommen der antiretroviralen Therapien lag die 5-Jahres-Letalität nach einer New Yorker Studie bei 80% und die durchschnittliche Überlebenszeit nach der Einlieferung ins Krankenhaus belief sich auf 242 Tage.
557
21.10.3
Behandlung
Seit Einführung der antiretroviralen Therapie hat sich die Prognose deutlich verbessert Die Ende der 90er Jahre eingeführten antiretroviralen Mittel schließen nukleosidische und nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI bzw. NNRTI) sowie Proteaseinhibitoren (PI) mit ein (s. Kap. 33). Im Jahr 2003 kam noch ein Fusionshemmer hinzu. Eine Studie zur Monotherapie mit AZT, einem NRTI, konnte vorzeitig beendet werden, nachdem sich ein signifikanter klinischer Nutzen für Patienten mit Symptomen herausgestellt hatte. Für asymptomatisch Erkrankte brachte eine Monotherapie der Concorde-Studie zufolge keinen größeren Nutzen, während die 1996 vorgelegte Delta-Studie einen erheblichen Vorteil durch eine Behandlung mit zwei NRTI nachwies. Nacheinander wurden mit NNRTI und PI zwei Medikamentenklassen mit unterschiedlichem Angriffsort in die Therapie eingeführt. In Kombination mit zwei NRTI ließ sich durch NNRTI oder PI eine dramatische Wirkung erzielen: die Progression zu AIDS wurde aufgehalten. Das führte zu der Bezeichnung „hochwirksame (highly active) antiretrovirale Therapie“ (HAART). Einen Rückschlag brachten die nicht unerheblichen Nebenwirkungen (Mitochondrientoxizität und veränderte Fettverteilung, sog. Lipodystrophie) mit sich. Wegen der Nebenwirkungen und der Vielzahl von Pillen, die häufig mehrmals am Tag geschluckt werden müssen, ist die Compliance noch immer ein Problem. Sie ist aber sehr wichtig, denn eine Unterdosierung könnte zur Arzneimittelresistenz führen und damit die Therapieoptionen erheblich einschränken.
558
Abb. 21.26 Opportunistische Infektionen und Tumoren bei HIV-Infektion.
a) Haarleukoplakie – erhabene weiße Schleimhautläsionen im Mund, bevorzugt an den Zungenseitenrändern, eine Epstein-Barr-Virus-(EBV)-Infektion; b) ausgedehnte orale Candidiasis (Mundsoor); c) Kaposi-Sarkome – braun pigmentierte Läsionen an den Armen; d) Pneumocystis-Pneumonie mit ausgedehnter Infiltration beider Lungenflügel; e) Zytomegalievirus(CMV)Retinitis mit verstreuten Exsudat- und Einblutungsherden sowie Scheidenbildung um die Gefäße; f) Kryptosporidiose – elektronenmikroskopisches Bild eines reifen Schizonten, der mit mehreren Merozoiten am Darmepithel sitzt. Mit freundlicher Genehmigung von H.P. Holley (a), W.E. Farrar (b und f), E. Sahn (c), J.A. Innes (d), C.J. Ellis (e). Seitdem es bessere Überwachungsmöglichkeiten gibt (Messung der Viruslast im Plasma, Bestimmung der CD4-Zahlen bzw. ihres prozentualen Anteils), zeigte sich, wie erfolgreich die HAART sein kann. Schon bald nach Beginn der Therapie nahm die Viruslast rasch ab, während die Zahl der CD4-Zellen anstieg. Da sich HIV in verschiedenen Kompartimenten, auch im Liquor und im Genitaltrakt, aufhält, in die antiretrovirale Mittel nicht vordringen können, kann im Sperma noch eine hohe Viruslast messbar sein, obwohl sie im Plasma supprimiert wurde. Infolge der HAART hat sich die Inzidenz der AIDS- bzw. mit AIDS in Verbindung stehenden (AIDSrelated) Todesfälle in Großbritannien seit 1996 um über 40% verringert. Neben den bereits in Gebrauch befindlichen Medikamentenklassen der nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmer (NRTI) und Fusionsinhibitoren werden derzeit noch andere antiretrovirale Medikamente entwickelt. Erforscht werden auch immuntherapeutische Ansätze, die sich gegen andere HIV-Ziele richten.
Zunehmende Resistenz gegen antiretrovirale Mittel und Kreuzresistenz 559
Ein guter Indikator für die Virusreplikation ist die HIV-1-RNA-Last im Plasma. An einem Anstieg der Viruslast lässt sich ein Therapieversagen ablesen. Man schätzt, dass die HAART bei jährlich 50% der Patienten nicht anschlägt. Zur klinischen Betreuung von Infizierten gehören daher auch antiretrovirale Resistenztestung und Überwachung der Medikation. Ein Test sollte z.B. durchgeführt werden, wenn sich die HIV-1-Last im Plasma trotz der antiretroviralen Therapie nicht verringert. Mithilfe der Nukleinsäuresequenzierung (sog. Genotypanalyse) konnte eine reduzierte Empfindlichkeit für ein oder mehrere antiretrovirale Mittel mit spezifischen Mutationen der Reverse-Transkriptase- und Protease-Regionen des HIV in Verbindung gebracht werden. Mehr als 15 Mittel sind zur HIV-Therapie zugelassen. Bei manchen Mutationen besteht Resistenz gegen mehrere Medikamente derselben Klasse, andere wirken sich nur bei einem bestimmten Arzneimittel aus. Offenbar werden zunehmend häufiger arzneimittelresistente HIV-Varianten übertragen. Ihre Prävalenz bei neu Infizierten beträgt 5–20% und hängt unter anderem davon ab, ob sie von jemandem angesteckt wurden, bei dem die antiretrovirale Therapie versagt hat. Das dürfte in armen Ländern seltener der Fall sein. In bestimmten Situationen ist es sinnvoll, vor dem Behandlungsbeginn erst die Resistenz zu testen, da die Therapie nur wirksam ist, wenn keine Infektion mit einem arzneimittelresistenten Virus vorliegt.
560
Tab. 21.10 Opportunistische Infektionen und Tumore bei AIDS. *
Auch pyogene Bakterien (z. B. Haemophilus, Streptokokken, Pneumokokken) verursachen Septikämie, Pneumonie, Meningitis, Osteomyelitis, Arthritis, Abszesse usw.;multiple oder rekurrierende Infektionen, vor allem bei Kindern ** mit HHV-8 assoziiert, einem unabhängig übertragenen Herpesvirus, das bei AIDS 300 ×häufiger als bei anderen Immundefizienzsyndromen vorkommt CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HSV = Herpes-simplexVirus, PML = progressive multifokale Leukoenzephalopathie, ZNS = zentrales Nervensystem
561
Die Behandlung von AIDS-Kranken schließt neben dem Einsatz antiretroviraler Medikamente die Prophylaxe opportunistischer Infektionen mit ein Je nach Zahl der CD4-positiven T-Zellen wird eine Prophylaxe gegen opportunistische Infektionen (mit Pneumocystis jiroveci und Cryptococcus neoformans) durchgeführt. Wenn opportunistische Infektionen festgestellt wurden, müssen sie mit geeigneten Mitteln behandelt werden. Zum Einsatz kommen z.B. Cotrimoxazol oder Pentamidin (mit/ohne Steroide) gegen P. jiroveci, Ganciclovir gegen CMV, Fluconazol oder Amphotericin B gegen C. neoformans.
21.10.4
Labortests
Bei HIV-Infektion werden serologische und molekularbiologische Laboranalysen durchgeführt AIDS ist eine klinische Definition. Das Vorliegen von HIV-Antikörpern und eines der in Tab. 21.10 genannten Kriterien sprechen unabhängig von anderen Ursachen einer Immunschwäche für AIDS. Drastisch zugenommen haben Bandbreite und Komplexität der Tests, die zum Screening auf HIV-1- und HIV-2-Antikörper, zur Diagnose, zur Verlaufskontrolle und zur Überwachung des Therapieerfolgs eingesetzt werden. Die Virusreplikation findet in der Inkubationszeit statt. In dieser Phase kann neben dem Virusgenom für kurze Zeit auch das p24-Virus-Antigen nachweisbar sein, aber noch keine Antikörperreaktion des Wirts. Bei den diagnostischen Tests auf HIV-1 und HIV-2 können verschiedene Nachweismethoden unterschieden werden: Antikörpernachweis, Antigen-Antikörper-Nachweis, Antigennachweis und Genomnachweis. Letzterer wird als qualitativer HIV-1-Provirus-DNA- oder als quantitativer HIV-1-RNA-Nachweis geführt. Zusätzlich werden immer häufiger antiretrovirale Resistenztests ins Standardrepertoire aufgenommen. Zunächst wird ein HIV-1- und HIV-2-Antikörper- oder ein kombinierter AntigenAntikörper-Test (auf p24-Antigen, s. Kap. 32) durchgeführt. Letzterer hilft die Phase des diagnostischen Fensters zu verkürzen. Bei positiven Testbefunden muss zur Bestätigung ein alternatives HIV-Testformat auf eine zweite Originalprobe angewandt werden (die nicht aufgetrennt im Labor vorrätig zu halten ist). Damit soll sichergestellt werden, dass kein Laborfehler bei der Separation passiert ist. Mit einem Immunoblot (auf Nitrozellulose-Streifen geschichtete Antigene) kann die Differenzierung des HIVTyps erfolgen. Ein positives Testergebnis wird noch durch eine weitere Blutprobe bestätigt, um eine Verwechslung bei der Beschriftung der ursprünglich entnommenen Probe auszuschließen. Ist es schwierig oder unmöglich, die Diagnose zu stellen – z.B. Ansprechen auf die Probe, ohne eindeutiges Testergebnis; Serokonversionskrankheit, so dass alle Screeningtests negativ ausfallen –, kann anhand von Plasma- oder Vollblutproben ein HIV-1-RNA- oder Provirus-DNA-Test durchgeführt werden.
562
Unabhängig davon, ob HIV-Infizierte eine antiretrovirale Therapie erhalten oder nicht, wird regelmäßig die Viruslast (HIV-1-RNA) im Plasma gemessen. Zur quantitativen Bestimmung stehen unterschiedliche Testmethoden zur Verfügung, die kommerziell erhältlich sind. Den wichtigsten Verfahren liegen Reverse-Transkriptase-PolymeraseKettenreaktion (RT-PCR), Branched-DNA-Signalamplifikation und RNATranskriptions-Isothermalen-Amplifikation zugrunde. Zum Portfolio der Laboruntersuchungen gehört auch die Möglichkeit einer automatisierten DNA-Sequenzierung, um die antiretrovirale Resistenz der HIVGenotypen zu beurteilen. Diese Spezialuntersuchung ist nicht nur sehr teuer, sondern kann auch schwierig zu interpretieren sein. Probleme kann die Diagnose einer HIV-Infektion bei Neugeborenen bereiten. Die vorhandenen IgG-Antikörper könnten von der Mutter stammen. Tests, die virusspezifische IgM- und IgA-Antikörper nachweisen könnten und damit eine intrauterine Infektion (s. Kap. 23) bestätigen würden, sind kommerziell noch nicht erhältlich. In Referenzlaboren gehören sie jedoch zum Portfolio und werden auch im Haus durchgeführt. Um den HIV-Status von Säuglingen zu ermitteln, werden in unterschiedlichen Zeitabständen (bis 12 oder 24 Monate nach der Geburt) Blutproben auf p24-Antigen, HIV-1-RNA und/oder HIV-1-Provirus-DNA und auf HIVAntikörper getestet.
21.10.5
Maßnahmen zur Infektionskontrolle
Um die Ausbreitung von HIV einzudämmen, haben viele Länder entsprechende Maßnahmen ergriffen Anders als in Afrika und Asien waren in höher entwickelten Ländern bisher hauptsächlich männliche Homosexuelle betroffen (Tab. 21.11), doch das Bild beginnt sich zu verändern. Bei Blutspendern wird ein Screening auf HIV durchgeführt (neben anderen Viren, die durch Blut übertragbar sind), und wenn die Gefahr besteht, dass sie infiziert sein könnten, wird ihnen von der Blutspende abgeraten. Als weitere Vorsichtsmaßnahme werden Faktor-VIII-Produkte erst nach einer Hitzebehandlung an hämophile Patienten verabreicht. HIV besitzt eine Außenhülle, die sehr empfindlich für Hitze und Chemikalien ist. Durch Pasteurisieren oder mit Hypochlorit (selbst in niedrigen Konzentrationen von 1/10000 ppm) kann man HIV inaktivieren; auch Glutaraldehyd (2,5%) und Äthylalkohol sind wirksam. Zur Prävention der HIV-Infektion bemüht man sich aber vor allem um Erziehungsprogramme für die breite Öffentlichkeit. Das betrifft die Anleitung zu einem veränderten Sexualverhalten (weniger Promiskuität) ebenso wie die Anwendung von Barriere-Kontrazeptiva (Kondome). In den westlichen Ländern scheint sich mit dem veränderten Sexualverhalten männlicher Homosexueller ein Umschwung bei der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten abzuzeichnen. In einigen Gebieten konnte die Übertragung der Infektion unter Drogenabhängigen, die den Suchtstoff i.v. injizieren, durch kostenlose Versorgung mit sauberen Spritzen bzw. Nadeln gestoppt werden, obwohl diese Maßnahme anfangs sehr umstritten war.
563
Wie wichtig es ist, die Übertragungsraten zu verringern, wird in Kap. 31 diskutiert. Die größte Gefahr für die Zukunft geht in den entwickelten Ländern von der zunehmend häufiger werdenden heterosexuellen Übertragung aus – nach demselben Muster wie in Afrika und Asien. Leider sind noch nicht alle Einflussfaktoren bei der heterosexuellen Übertragung bekannt, doch klar ist, wie sie sich verhüten lässt: durch Benutzen von Kondomen und geringere Promiskuität. Bisher hat es sich als schwierig erwiesen, mithilfe öffentlicher Gesundheitsprogramme und über die Medien auch in der heterosexuellen Bevölkerung eine Veränderung des Sexualverhaltens zu bewirken. Eine Verhaltensänderungen unter Heterosexuellen würde sicher zu einem deutlichen Rückgang sämtlicher STD führen.
21.10.6
Impfung
Die Aussichten auf eine erfolgreiche HIV-Impfung sind gering, aber nicht hoffnungslos Dass die Aussichten nicht so gut sind, liegt zum Teil an Antigenvariationen und zum Teil an der langsamen neutralisierenden Antikörperreaktion auf die HIVInfektion. Inzwischen wurden Hüllproteine verschiedener Subtypen, Vollvirusvakzinen und HIV-Antigen-Überträger (Virusvektoren) entwickelt und getestet. Die meisten Versuche werden noch an Tiermodellen (Affen) durchgeführt, doch es gibt erste Vorstudien an Menschen. Benötigt werden gute virusspezifische Reaktionen. Die Gefahr, dass Antikörper induziert werden, die die Infektiosität verstärken, hat man erkannt. Eine Verstärkung durch Antikörper spielt z.B. beim hämorrhagischen Schocksyndrom (Dengue-Virus) eine wichtige Rolle. Diese Antikörper neutralisieren das Virus nicht, sondern kombinieren sich mit ihm zu einem Komplex, der sich an den Fc-Rezeptor von Monozyten bindet, aufgenommen wird und sie so infiziert. Anders ausgedrückt: Diese Antikörper schützen nicht, sondern sie befördern das Virus direkt in anfällige Zellen hinein. Andererseits lässt die Tatsache, dass es schon eine erfolgreiche Impfung gegen Katzenleukose (feline Leukämie durch ein felines Retrovirus) und einen ähnlichen Impfschutz für Affen gibt, darauf hoffen, dass irgendwann ein HIV-Impfstoff entwickelt wird. Eine sexuelle Übertragung ließe sich vermutlich am bes-ten durch Immunisierung der Schleimhäute verhindern. Dass lokal (mukosal) applizierbare Peptidimpfstoffe entwickelt werden, ist derzeit wenig wahrscheinlich, weil sich durch Trägerproteine oder Zusatzstoffe ein allgemeines Immunogenitätsproblem (s. Kap. 34) ergeben kann und weil angesichts der vielfältigen Antigenvariationen von MHC-Klasse-IIMolekülen in der Bevölkerung zahlreiche T-Zell-Epitope eingeschlossen sein müssten.
Tab. 21.11 Gesamtzahl der AIDS-Fälle in England (bis September 2002), bezogen auf den Zeitraum der Diagnose.
564
21.11 Opportunistische Infektionen Zu den opportunistischen Erregern sexuell übertragbarer Krankheiten (STD) gehören Salmonellen, Shigellen, Hepatitis-A-Virus, Giardia lamblia und Entamoeba histolytica Obwohl heterosexueller Verkehr der klassische Übertragungsweg ist, können STD auch durch Schleimhautkontakt übertragen werden. Beim Analverkehr können Mikroorganismen vom Penis auf die Darmschleimhaut oder in den (Peri-)Analbereich gelangen. An diesen Stellen treten dann z.B. Gonokokken- oder Papillomavirusläsionen auf. Erreger wie HBV oder HIV werden häufiger über die Darmmukosa übertragen. Bei oral-analem Kontakt haben verschiedene Darmpathogene die Gelegenheit (engl. opportunity), eine STD hervorzurufen. Daher spricht man von „opportunistischer“ STD. Auslöser können Salmonellen, Shigellen, Hepatitis-A-Virus (HAV), Giardia lamblia und Entamoeba histolytica sein (s. Kap. 22). Heutzutage sind sie seltener geworden, doch Entamoeba histolytica war früher wichtig als Erreger des „gay bowel syndrome“. Neben chronischen Infektionen (Zytomegalie und Kryptosporidiose) tragen sie bei AIDS-Patienten zu Darmstörungen und Diarrhoen bei.
Das Hepatitis-B-Virus (HBV) wird oft auf sexuellem Weg übertragen In Sperma, Speichel und Scheidensekret können HBV und das Oberflächenantigen HbsAg nachweisbar sein, doch die Virus-Titer im Blut sind höher. Genauso wie bei HIV wird die Übertragung durch genitale Geschwüre (Ulzera) oder Blutkontamination (z.B.
565
während der Menstruation) begünstigt. Für die Übertragung von Hepatitis B zwischen männlichen Homosexuellen ist wie bei der HIV-Übertragung Analverkehr (besonders für den passiven Partner) als höchster Risikofaktor anzusehen. Hepatitis D wird ähnlich wie Hepatitis B übertragen. Nur selten wird eine Hepatitis C sexuell übertragen (weniger als 5% der langjährigen Sexualpartner infizieren sich).
21.12 Arthropodenbefall Filzläuse verursachen Juckreiz; behandelt wird mit Permethrin-Creme Die Filzlaus (Phthirus pubis) unterscheidet sich von anderen Läusen des Menschen (Pediculus humanus corporis und Pediculus humanus capitis) dadurch, dass sie sich gut an das Leben im Genitalbereich angepasst hat. Sie hält sich üblicherweise an Schamhaaren fest (s. Kap. 6), doch gelegentlich können auch Augenbrauen oder Achselhaare befallen sein. Filzläuse saugen bis zu 10-mal am Tag Blut, danach fangen die Bissstellen an zu jucken. Ihre Eier („Nissen“) sieht man an den Schamhaaren. Mit der Handlupe oder unter dem Mikroskop sind auch die 2 mm langen, typischen Läuse erkennbar, die oft an Haarwurzeln sitzen. Läuse sind keine Seltenheit (über 10000 Fälle/Jahr in Großbritannien). Zur Behandlung wird auf die befallenen Stellen 1%ige PermethrinCreme aufgetragen.
Auch Krätze im Genitalbereich wird mit PermethrinCreme oder Lindan behandelt Sarcoptes scabiei (s. Kap. 26) kann Läsionen an den Genitalien verursachen und sich wie eine STD ausbreiten. Spuren der Krätze können am ganzen Körper zu finden sein, z.B. in Finger- oder Zehenzwischenräumen. Der Genitalbereich wird mit 5%iger Permethrin-Creme behandelt.
Zusammenfassung ■ Auf sexuellem Weg können Mikroorganismen sämtlicher Gruppen (außer Rickettsien und Helminthen) zwischen Menschen übertragen werden. ■ Sexuell übertragbare Krankheiten (STD) beschränken sich nicht länger auf Hochrisikogruppen, sondern breiten sich zunehmend in der ganzen Bevölkerung aus. ■ Genitaler Herpes, Feigwarzen und Chlamydien-Ure-thritis sind die mit Abstand häufigsten STD. Doch zum größten Problem hat sich die HIV-Infektion entwickelt, die alle anderen (bekannten) STD in den Schatten stellt, weil sie bisher meist tödlich ausgeht. ■ Bis auf Hepatitis A und B gibt es keine Impfung; doch für viele dieser Infektionen gibt es eine wirksame Chemotherapie. ■
Derzeit ist Prävention die beste Kontrollmethode.
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■ Die Übertragungshäufigkeit hängt u. a. vom Verhalten ab, das sich bekanntlich bei Menschen schlecht beeinflussen lässt. ■ Lange Intervalle zwischen dem Beginn der Infektiosität und Ausbruch der Krankheit erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung.
FRAGEN Eine 24-jährige Kunstkritikerin mit Fieber, trockenem Husten und Kurzatmigkeit seit ca. 10 Tagen hat das Gefühl, ihr Zustand habe sich verschlechtert. Sie wirkt sehr besorgt, doch aus der medizinischen Anamnese oder körperlichen Untersuchung ergeben sich keine auffälligen Befunde. Um eine atypische Pneumonie abzuklären, wird ihr Blut abgenommen und vom Arzt Amoxycillin und Erythromycin verschrieben. Fünf Tage später gehtes ihr noch viel schlechter, und ihr Arzt veranlasst die Krankenhauseinweisung. Blutuntersuchung (Ergebnis der Probe vom 10. Krankheitstag): Hämoglobin 13 g/dl, Leukozyten 2,3 × 109/l, MykoplasmenLatexagglutinationstest <8, Chlamydienantikörper-KBR < 40, Titer:Influenza-A- und B-Virus < 40, Adenoviren < 40, Mycoplasma pneumoniae < 40, Coxiella burnetii < 40. Später gesteht die Patientin, dass sie viel Gewicht verloren hat und nachts stark schwitzt. Sorgen bereitet ihr vor allem, dass sie vor vier Jahren monatelang intimen Kontakt zu einem Freund hatte, der später als HIV-1-seropositiv diagnostiziert wurde. Untersuchungsbefunde: 37,8°C Körpertemperatur, Dyspnoe und Tachypnoe, sonst keine Atembeschwerden. Röntgen: beidseitig Lungenschatten, die wie Mattglas“ aussehen und nur die oberen Bereiche aussparen. Nach ausführlicher Beratung stimmt sie zu, einen HIVAntikörper-Suchtest durchführen zu lassen. 1 Wie lautet die wahrscheinlichste Diagnose? 2 Welche weitergehenden Untersuchungen würden veranlassen? 3 Wie würden Sie die Patientin behandeln? 4 Der Zustand der Patientin bessert sich in den nächsten zwei Wochen. Wie sieht die Prognose aus? Wie würden Sie die Nachsorge gestalten?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Hansfield, H.: Color Atlas and Synopsis of Sexually Transmitted Diseases. McGrawHill, New York 2001. Hirsch, M.S., Brun-Vezinet, F., D’Aquila, R.T. et al.: Antiretroviral drug resistance testing in adult HIV-1 infection: recommendations of an International AIDS SocietyUSA Panel. JAMA 283 (18) (2000) 2417–2426. Ho, D.D., Neumann, A.U., Perelson, A.S. et al.: Rapid turnover of plasma virions and CD4 lymphocytes in HIV-1 infection. Nature 373 (1995) 123–126. Holmes, K.: Sexually Transmitted Diseases. McGraw-Hill, New York 1998. 567
Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.). Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena. Lawn, S.D., Butera, S.T., Folks, T.M.: Contributions of immune activation to the pathogenesis and transmission in human immunodeficiency virus type 1 infection. Clin Microbiol Rev 14 (2001) 753–777. Mellors, J.W., Rinaldo, C.R., Gupta, P. et al.: Prognosis of HIV-1 infection predicted by the quantity of virus in plasma. Science 272 (1996) 1167–1170. Shafer, R.W.: Genotypic testing for human immunodeficiency virus type 1 infection drug resistance. Clin Microbiol Rev 15 (2002) 247–277. UNAIDS: http://www.unaids.org Wilfert, C.M.: Prevention of mother-to-child transmission of HIV-1. Antiviral Therapy 6 (2001) 161–177.
568
22 Gastrointestinale Infektionen 22.1
Viral und bakteriell verursachte Durchfallerkrankungen 298
22.1.1
Bakterielle Ursachen 298
22.1.2
Antibiotika-assoziierte Diarrhoen durch Clostridium difficile 308
22.1.3
Virus-assoziierte Diarrhoe 309
22.2
Lebensmittelvergiftung 311
22.2.1
Staphylococcus aureus 311
22.2.2
Botulismus 311
22.3
Helicobacter pylori und Ulkuskrankheit 312
22.4
Parasiten im Verdauungstrakt 313
22.4.1
Protozoeninfektionen 313
22.4.2
Wurminfektionen 317
22.5
Vom Gastrointestinaltrakt ausgehende systemische Infektionen 320
22.5.1
Typhus abdominalis und Paratyphus („enterisches Fieber“) 320
22.5.2
Listeriose 323
22.5.3
Virushepatitis 323
22.5.4
Parasiteninfektionen der Leber 329
22.5.5
Gallenwegsinfektionen 330
22.5.6
Peritonitis und Sepsis 331
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Zur Orientierung Krankheiten durch oral aufgenommene Pathogene können auf den Darm beschränkt bleiben oder auf andere Körperregionen übergreifen Durch orale Aufnahme (Ingestion) von Erregern kann es zu unterschiedlichen Infektionen kommen, die sich auf den Verdauungstrakt beschränken oder über den Darm auf andere Körperbereiche ausweiten können. In diesem Kapitel befassen wir uns mit den wichtigsten bakteriellen Ursachen von Durchfallerkrankungen und in einer Übersicht mit Bakterien, die Nahrungsmittel-assoziierte Infektionen oder Lebensmittelvergiftungen auslösen. Angesprochen werden außerdem virale und parasitäre Auslöser von Durchfallerkrankungen sowie Infektionen, die zwar vom Gastrointestinaltrakt ausgehen, sich aber an anderer Stelle manifestieren (z.B. Typhus und Paratyphus, Listeriose, bestimmte Virushepatitiden). Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Virushepatitiden hier abgehandelt. Leberinfektionen können zu Leberabszessen führen, und einige Lebererkrankungen können von Parasiten verursacht sein. Bei Streuung (Dissemination) von Erregern aus dem Verdauungstrakt in die Bauchhöhle kann es zu Peritonitis und intraabdominellen Abszessen kommen. Da zur Beschreibung gastrointestinaler Infektionen zum Teil unterschiedliche Begriffe verwendet werden, sind in Tab. 22.1 die gängigsten aufgeführt. Der Verdauungstrakt kann durch ein breites Spektrum pathogener Mikroorganismen infiziert werden (die wichtigsten bakteriellen und viralen Erreger s. Tab. 22.2). Übertragen werden sie meist auf fäkal-oralem Weg, über Nahrung, Flüssigkeit oder über mit Fäkalien verunreinigte Finger. Eine Infektion setzt voraus, dass eine ausreichende Keimmenge aufgenommen wird oder dass die Erreger dank bestimmter Eigenschaften der Abwehr im oberen Verdauungstrakt entgehen und in den Dünndarm gelangen (Abb. 22.1; s. auch Kap. 13). Dort können sie sich vermehren und/oder Toxine bilden und so eine lokal begrenzte Infektion auslösen. Sie können aber auch tiefer in die Darmmukosa eindringen und sich über das Lymphoder Blutsystem im Körper ausbreiten (Abb. 22.2). Die schädlichen Folgen, die gastrointestinale Infektionen haben können, sind in Tab. 22.3 zusammengefasst.
Nahrungsmittel-assoziierte Infektion oder Lebensmittelvergiftung? Obwohl sie oft als „Lebensmittelvergiftung“ bezeichnet werden, sollte man besser von „Nahrungsmittel-assoziierten Infektionen“ sprechen, wenn Infektionen nach dem Verzehr kontaminierter Nahrung auftreten. Eine echte Lebensmittelvergiftung tritt dagegen auf, wenn mit der Nahrung chemische Giftstoffe (wie Schwermetalle) oder Bakterientoxine (z.B. von Clostridium botulinum oder Staphylococcus aureus) aufgenommen wurden. Die Bakterien vermehren sich und produzieren Toxine innerhalb der kontaminierten Nahrungsmittel. Durch die Zubereitung können zwar toxinbildende Bakterien, nicht aber ihre Toxine zerstört werden, die wenige Stunden nach dem Konsum Wirkung zeigen. Bei einer Nahrungsmittel-assoziierten Infektion dient die Nahrung nur als Vehikel (z.B. für Campylobacter pylori) oder begünstigt die Keimvermehrung (z.B. von Salmonellen).
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Tab. 22.1 Wie in der Umgangssprache werden gastrointestinale Infektionen auch klinisch oft unterschiedlich bezeichnet.
571
Tab. 22.2 Wichtige bakterielle und virale Krankheits-erreger im Verdauungstrakt. EHEC = enterohämorrhagische E. coli (bilden Verotoxin), ETEC = enterotoxigene E. coli, SRSV = kleine Viren rundlicher Struktur (small round structured viruses)
572
Abb. 22.1 Täglich verschlucken wir jede Menge Mikroorganismen.
Die körpereigene Abwehr bewirkt, dass nicht allzu viele die Darmpassage überstehen und eine Infektion auslösen.
573
Abb. 22.2 Gastrointestinale Infektionen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, je nachdem, ob sie auf den Verdauungstrakt beschränkt bleiben oder auf andere Bereiche übergreifen.
Um sich auf neue Wirte auszubreiten, müssen die Erreger in großer Menge mit dem Stuhl ausgeschieden werden und lange genug in der Umgebung überleben können, bis sich ein anderer Wirt direkt oder indirekt (über kontaminierte Nahrung oder Wasser) infiziert.
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Tab. 22.3 Lokale oder weiter entfernte Schädigungsfolgen gastrointestinaler Infektionen
22.1 Viral und bakteriell verursachte Durchfallerkrankungen Durchfall (Diarrhoe) ist die häufigste Folge einer Magen-Darm-Infektion Infektionen des Gastrointestinaltrakts wirken sich unterschiedlich aus. Das Spektrum reicht von milden, selbstlimitierenden Durchfallattacken bis hin zu schweren, manchmal tödlichen Diarrhoen. Begleitend können Übelkeit, Fieber und ein allgemeines Krankheitsgefühl hinzukommen. Eine Diarrhoe ist Folge des erhöhten Wasserund Elektrolytverlusts ins Darmlumen, der zu ungeformten oder dünnflüssigen Stühlen führt. Man kann darin eine Methode des Wirts sehen, Pathogene forciert loszuwerden (was allerdings zur weiteren Streuung beiträgt). Es gibt aber auch nichtinfektiöse Diarrhoen.
In Entwicklungsländern sind Durchfallerkrankungen eine führende Ursache der Kindersterblichkeit Durchfallerkrankungen gehören in Entwicklungsländern gerade bei Kleinkindern zu den Hauptursachen von Morbidität und Mortalität. Auch in den entwickelten Ländern kommen sie sehr häufig vor, doch in der Regel verlaufen sie mild und selbstlimitierend – mit Ausnahme von Säuglingen, älteren Menschen und Patienten mit Immunschwäche. Die meisten der in Tab. 22.2 genannten Erreger sind weltweit verbreitet, während einige (z.B. Vibrio cholerae) nur geografisch begrenzt vorkommen. Reisende in die betreffenden Gebiete können sich infizieren und die Erreger in ihre Heimatländer importieren. Dass Durchfallerkrankungen vielfach gar nicht diagnostiziert werden, liegt zum Teil an ihrem milden und spontan sistierenden Verlauf (was einen Arztbesuch überflüssig macht), zum Teil aber auch an unzureichenden Labor- und medizinischen Einrichtungen, besonders in den Entwicklungsländern. Im Allgemeinen kann man allein anhand des klinischen Bildes die verschiedenen Infektionserreger nicht unterscheiden. Nützliche Hinweise ergeben sich aber oft aus der Anamnese (Ernährung, Reisen) sowie durch makro- und mikroskopische Untersuchung
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des Stuhls auf Blut und Schleim/Eiter. Die exakte Diagnose lässt sich nur mit Laboruntersuchungen stellen. Sie ist wichtig, wenn bei gehäuftem Auftreten (Epidemien) epidemiologische Untersuchungen und geeignete Kontrollmaßnahmen durchgeführt werden sollen.
22.1.1
Bakterielle Ursachen
Escherichia coli (E. coli) E. coli zählt zu den vielseitigsten Bakterien; einige Stämme sind Bestandteil der normalen Darmflora von Mensch und Tier (s. Kap. 2), während andere durch Virulenzfaktoren zu Infektionen im Darmtrakt oder an anderen Stellen (besonders urogenital, s. Kap. 20) führen können. Die E.-coli-Stämme, die Durchfallerkrankungen auslösen, unterscheiden sich in Bezug auf ihre Pathomechanismen und in epidemiologischer Hinsicht (Tab. 22.4).
Sechs verschiedene E.-coli-Gruppen mit unterschiedlichen Pathomechanismen Anfänglich bezeichnete man alle mit Diarrhoe assoziierten E. coli als enteropathogene E. coli (EPEC). Doch ein besseres Verständnis der Pathomechanismen führte schließlich zu spezifischen Gruppenbezeichnungen: enteropathogene (EPEC), enterotoxische (ETEC), enterohämorrhagische (EHEC), enteroinvasive (EIEC), enteroaggregative (EAEC) und diffus-aggregative E. coli (DAEC).
Enteropathogene E. coli (EPEC) bilden offenbar keine Toxine Stattdessen produzieren EPEC bündelförmige Pili (Bfp), Intimin (ein Adhäsin) und ein damit zusammenhängendes Rezeptorprotein (translocated intimin receptor, Tir). Aufgrund dieser Virulenzfaktoren können sie sich an Dünndarmepithelzellen heften und Mikrovilli zerstören. Über diesen besonderen Wirkmechanismus (Tab. 22.4 und Abb. 22.3) kommt es dann zur Diarrhoe (Tab. 22.5).
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Enterotoxische E. coli (ETEC) besitzen FimbrienAdhäsine Mit ihren Fimbrien-Adhäsinen können sich ETEC an spezifische Membranrezeptoren der Dünndarmzellen binden (Tab. 22.4 und Abb. 22.4). Ihre Plasmidgene produzieren stark wirksame Enterotoxine, die als hitze- bzw. thermolabil (LT) oder thermostabil (ST) eingestuft werden:
Abb. 22.3 Elektronenmikroskopisches Bild enteropathogener E. coli (EPEC).
Nach ihrer Adhäsion am Bürstensaum der Dünndarmmukosa zerstören sie lokale Mikrovilli (mit freundlicher Genehmigung von S. Knutton). ■ Struktur und Wirkung des hitzelabilen Enterotoxins LT-1 haben große Ähnlichkeit mit Choleratoxin, daher können Infektionen mit LT-1-bildenden Stämmen vor allem bei Kleinkindern oder unterernährten Kindern einer Cholera (Vibrio cholerae) täuschend ähneln (Tab. 22.5). ■ andere ETEC-Stämme produzieren statt LT (oder zusätzlich) hitzestabile Enterotoxine (ST), die ähnlich, aber doch anders als LT wirken. Bei Guanylatcyclase-Aktivierung durch STA kommt es durch Zunahme von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) zu vermehrter Flüssigkeitssekretion; Immunoassays zur ETEC-Identifizierung sind kommerziell erhältlich (Tab. 22.4).
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Tab. 22.4 Eigenschaften von E.-coli-Stämmen, die gastrointestinale Infektionen auslösen.
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* in Kursivschrift Spezialtests (LT = thermolabiles, ST = thermostabiles Enterotoxin)
Abb. 22.4 Elektronenmikroskopisches Bild der Pili enterotoxischer E. coli – zur Adhärenz an Schleimhautepithel
(mit freundlicher Genehmigung von S. Knutton).
Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) produzieren ein Verotoxin Das Verotoxin (toxisch für echte bzw. „Vero-“Zellen in Gewebekulturen) von EHEC ist im Wesentlichen identisch mit dem Shigatoxin von Shigellen. Nach der EHEC-Adhäsion an der Dickdarmmukosa (mit demselben „attaching-effacing“Mechanismus wie EPEC) wirkt ihr Toxin direkt auf das Kolonepithel – eine Diarrhoe ist die Folge (Tab. 22.5). EHEC lösen eine hämorrhagische Kolitis aus und können ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) verursachen. Dass Verotoxin-Rezeptoren auch auf Nierenepithelzellen nachgewiesen wurden, könnte die renale Beteiligung erklären helfen. Von den zahlreichen EHEC-Serotypen kommt O157:H7 am häufigsten vor.
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Enteroinvasive E. coli (EIEC) heften sich bevorzugt an Dickdarmmukosa Sie benutzen dazu Plasmidgene und werden durch Endozytose in die Zellen aufgenommen. Im Zellinneren vermehren sie sich nach Lyse der Endozytosevesikel und breiten sich in benachbarte Zellen aus. Die Zerstörung, Entzündung, Nekrose und Ulzeration des Gewebes, die sie verursachen, hat Blut und Schleim im Stuhl zur Folge (Tab. 22.4 und 22.5).
Der Name der enteroaggregativen E. coli (EAEC) leitet sich von ihrem typischen Adhäsionsmuster an Zellen in Gewebekultur ab Das Muster, eine klumpige Anhäufung, sieht wie ein Ziegelstein-Stapel aus. EAEC wirken auf den Dünndarm und rufen vor allem bei Kindern in den Entwicklungsländern anhaltende Durchfälle hervor. Ihre aggregative Adhärenz wird durch Plasmidgen-assoziierte Fimbrien vermittelt. EAEC produzieren zwar auch thermolabile Toxine (ein Enterotoxin und ein mit E.-coli- Hämolysin verwandtes Toxin), doch welche Rolle sie bei Durchfallerkrankungen spielen, ist unklar.
Diffus-aggregative E. coli (DAEC) bilden αHämolysin und den zytotoxischen Nekrosefaktor 1 DAEC sind zum Teil auch als diffus-adhärente oder zellablösende E. coli bekannt. Ob und welche Rolle sie bei Durchfallerkrankungen (besonders von Kleinkindern) spielen, ist nicht geklärt bzw. umstritten, da einige Studien keinen Zusammenhang herstellen konnten.
Zur weltweiten Inzidenz der Diarrhoe tragen hauptsächlich EPEC und ETEC bei, in höher entwickelten Ländern ist EHEC wichtiger Je nach auslösendem E.-coli-Stamm und Allgemeinzustand des Wirts können die Durchfälle mild bis schwer verlaufen. In Entwicklungsländern ist eine ETECDiarrhoe bei Kindern klinisch nicht von Cholera zu unterscheiden. EIEC und EHEC verursachen blutige Durchfälle (Tab. 22.5). Ein hämolytisch-urämisches Syndron (HUS) infolge einer EHEC-Infektion ist durch akutes Nierenversagen (Abb. 22.5), Anämie und Thrombozytopenie gekennzeichnet, auch neurologische Komplikationen kommen vor. In Großbritannien und den USA ist das HUS die häufigste Ursache für ein akutes Nierenversagen bei Kindern.
Pathogene E.-coli-Stämme lassen sich nur durch spezifische Tests identifizieren
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Da E. coli zur normalen Darmflora gehören, müssen die für Diarrhoe verantwortlichen Stämme durch spezifische Tests identifiziert werden (Tab. 22.4). Dass häufiger Kinder betroffen sind oder Infektionen oft mit Reisen zusammenhängen, sollte bei der Laboruntersuchung von Stuhlproben berücksichtigt werden. Wichtig ist, dass neben einer Routine-Stuhluntersuchung Spezialtests nötig sind, um spezifisch mit Diarrhoe assoziierte E.-coli-Typen zu identifizieren. Solche Tests werden bei unkomplizierter Diarrhoe gewöhnlich nicht durchgeführt, da diese in der Regel selbstlimitierend verläuft. Aus Sorge vor einer EHEC-Infektion (blutige Durchfälle) führen die meisten Laboratorien in den entwickelten Ländern ein Screening auf E. coli O157:H7 durch.
Abb. 22.5 Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) infolge der Verotoxinbildung bei EHEC-Infektion.
In den Glomeruluskapillaren sind Fibrinthromben erkennbar; Weigert-Färbung (mit freundlicher Genehmigung von H.R. Powell).
Bei einer E.-coli-Diarrhoe ist keine Antibiotikatherapie indiziert Eine spezifische Antibiotikatherapie ist nicht angezeigt, doch unter Umständen kann – besonders bei Kleinkindern – ein Flüssigkeitsersatz nötig sein. Dagegen muss ein HUS umgehend behandelt werden (evtl. mit Dialyse). Sauberes Trinkwasser und ausreichende Kanalisation bzw. Abwasserentsorgung sind die Grundvoraussetzungen, um Durchfallerkrankungen zu verhindern. Wichtige Transportvehikel für eine E.-coli-Infektion (besonders mit EIEC und EHEC) können Nahrung und unpasteurisierte (Roh-) Milch sein; es deutet jedoch nichts auf ein Tieroder Umweltreservoir hin.
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Salmonellen In den entwickelten Ländern sind Diarrhoen am häufigsten durch Salmonellen bedingt In manchen Ländern (z.B. USA und Großbritannien) sind sie durch Campylobacter auf den zweiten Platz verdrängt worden. Wie E. coli gehören auch Salmonellen zur Familie der Enterobakterien. Historisch war die Nomenklatur der Salmonellen ziemlich verwirrend. Nach dem Kauffmann-White-Schema wurden anhand unterschiedlicher Zellwand-(O-) und Geißel-(H-) Antigene über 2000 Serotypen definiert. Neuere (DNA-Hybridisierungs-) Studien weisen darauf hin, dass es nur zwei Spezies gibt, von denen Salmonella enterica für Menschen die wichtigere ist. Um die Beschreibung und Vergleichbarkeit zu vereinfachen, wurde früher vereinbarungsgemäß statt der Spezies- die Serotypbezeichnung angegeben. Obwohl es streng genommen falsch ist (ein Serotyp ist keine Spezies), war es in der Praxis hilfreich, wenn man z.B. bei epidemiologischen Untersuchungen Isolate zueinander in Beziehung setzen wollte, um die Spuren zur Infektionsquelle zurückzuverfolgen. Um die Kontinuität der wissenschaftlichen Literatur zu wahren, wird die Konvention hier beibehalten (s. Anhang). Alle Salmonellen außer S. typhi und S. paratyphi findet man sowohl bei Tieren als auch bei Menschen. Wegen des großen Tierreservoirs kann die Infektion durch kontaminierte Nahrungsmittel (vor allem Geflügel und Molkereiprodukte) leicht auf Menschen übertragen werden (Abb. 22.6). Eine Übertragung durch Wasser ist selten. Da Salmonellen auch von Mensch zu Mensch übertragbar sind, können sich z.B. mehrere Familienmitglieder anstecken, nachdem sich einer durch kontaminierte Speisen infiziert hat.
Salmonellen werden fast immer oral aufgenommen (durch Nahrung oder Getränke) Nach Invasion des Dünndarmepithels kommt es zur Diarrhoe (Abb. 22.7). Vermutlich werden Salmonellen von M-Zellen im terminalen Ileum („Antigensammler“ des Darms) aufgenommen und breiten sich dann auf die Epithelzellen aus (ähnlich ist der Zugangsweg für Shigellen, Yersinien und Reoviren). Die Bakterien wandern in den Ileozäkalbereich ein, vermehren sich dort in der Lamina propria und rufen dadurch eine Entzündung hervor. Die entzündliche Reaktion führt einerseits dazu, dass die Infektion auf den Darmtrakt beschränkt bleibt, doch andererseits werden auch Prostaglandine freigesetzt, die über eine Aktivierung von cAMP (zyklisches Adenosinmonophosphat) die Flüssigkeitssekretion verstärken – mit einer Diarrhoe als Folge.
Abb. 22.6 Der Kreislauf von Salmonellen.
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Bis auf Salmonella typhi sind Salmonellen auch bei Tieren weit verbreitet, die daher eine ständige Infektionsquelle für Menschen darstellen. Da Infizierte und Träger sie in großer Zahl im Stuhl ausscheiden, gelangen Salmonellen laufend zurück in die Nahrungskette.
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Abb. 22.7 Salmonellen-Passage durch den Körper.
Die meisten Infektionen bleiben auf den Darmtrakt beschränkt, ohne dass die Salmonellen weiter als zur Mukosa vordringen. cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat Bei besonderer Prädisposition (Kinder, Krebskranke, Patienten mit Sichelzellanämie) können auch Salmonellenspezies, die normalerweise nur Durchfall auslösen (S. enteritidis, S. cholerae-suis), invasiv werden. In dem Fall halten sich die Erreger nicht lange im Darm auf, sondern dringen tiefer in den Körper ein und verursachen eine Sepsis; infolgedessen können sie unterschiedliche Organe befallen und z.B. eine Osteomyelitis, Pneumonie oder Meningitis induzieren.
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In den allermeisten Fällen führen Salmonellen zu einer akuten, selbstlimitierenden Diarrhoe, auch wenn die Symptome bei Kleinkindern und älteren Menschen stärker sein können. Häufig kommt begleitend zur Enterokolitis Erbrechen vor, während Fieber meist auf eine invasive Verlaufsform hindeutet (Tab. 22.5). Systemische Infektionen durch S. typhi und S. paratyphi, die sich vom Verdauungstrakt in den Körper ausbreiten, werden weiter unten besprochen.
Eine Salmonellendiarrhoe lässt sich mit selektiven Kulturmedien nachweisen Kulturmethoden für Stuhlproben auf Spezialnährböden sind im Anhang beschrieben. Da Salmonellen nicht sehr anspruchsvoll sind, lassen sie sich meist innerhalb von 24 Stunden isolieren, obwohl bei geringer Anzahl evtl. eine Anreicherung in Selenitbouillion nötig ist. Eine vorläufige Diagnose kann man rasch stellen, doch bis zum endgültigen Ergebnis (mit Serotypangabe) dauert es mindestens 48 Stunden.
Tab. 22.5 Klinische Merkmale bakterieller Durchfallerkrankungen.
Bei Salmonellendiarrhoe kann ein FlüssigkeitsElektrolyt-Ersatz nötig werden Normalerweise klingt die Diarrhoe nach einem selbstlimitierenden Verlauf ohne Behandlung ab. Doch besonders Säuglinge und ältere Menschen benötigen
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möglicherweise einen Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten. Solange nichts für einen invasiven oder septischen Verlauf spricht, ist von einer Antibiotikatherapie abzuraten, da sie weder die Symptome lindert noch die Krankheitsdauer verkürzt, sondern sogar noch zu einer längeren Ausscheidung von Salmonellen im Stuhl beitragen kann. Es deutet auch einiges darauf hin, dass die symptomatische Behandlung mit Antidiarrhoeika dieselbe unerwünschte Wirkung hat.
Die Salmonellenausscheidung kann noch Wochen nach der Infektion weitergehen Abb. 22.6 veranschaulicht, wie schwierig sich die Verhütung von Salmonelleninfektionen gestaltet. Wegen des großen Tierreservoirs ist es praktisch unmöglich, die Erreger völlig zu eliminieren, so dass präventive Maßnahmen in erster Linie auf eine Unterbrechung der Übertragungsketten (von Tier zu Mensch bzw. zwischen Menschen) abzielen müssen. Entsprechende Maßnahmen sind: ■ Mindeststandards der öffentlichen Gesundheitsversorgung (sauberes Trinkwasser, angemessene Kanalisation/Abwasserentsorgung) ■ hygienische Nahrungszubereitung Nach dem Ende einer Salmonellendiarrhoe können Infizierte noch wochenlang Erreger in sich tragen und im Stuhl ausscheiden. Auch wenn sich Salmonellen mit Abklingen der Symptome nicht mehr so ungehemmt in der Umgebung verteilen, ist gründliches Händewaschen vor der Nahrungszubereitung eine wichtige Vorsichtsmaßnahme. Wer beruflich mit Nahrungsmitteln zu tun hat, darf erst wieder arbeiten, wenn drei Stuhlproben negativ (d.h. keine Salmonellen anzüchtbar) sind.
Campylobacter Campylobacter-Spezies zählen zu den häufigsten Durchfallursachen Campylobacter spp. sind S-förmig gebogene Gram-negative Stäbchenbakterien (Abb. 22.8). Obwohl sie schon länger als Durchfallerreger bei Tieren bekannt waren, gehören sie auch bei Menschen zu den häufigsten Auslösern von Diarrhoen. Dass ihre Bedeutung erst so spät erkannt wurde, hängt damit zusammen, dass sie mikroaerophil und thermophil sind (Wachstum bei 42°C). Campylobacter spp. benötigt andere Kulturmedien als Enterobakterien wie E. coli oder Salmonellen.
Abb. 22.8 Campylobacter jejuni nach GramFärbung; erkennbar S-förmige, Gram-negative Stäbchenbakterien
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(mit freundlicher Genehmigung von I. Farrell). Es sind zwar mehrere Campylobacter-Spezies mit Erkrankungen des Menschen verbunden, doch Campylobacter jejuni überwiegt bei weitem. Helicobacter pylori wurde früher als Campylobacter pylori bezeichnet und ist eine wichtige Ursache von Gastritis und Magengeschwüren (s. unten). Wie Salmonellen hat auch Campylobacter ein großes Tierreservoir (Rinder, Schafe, Nager, Geflügel, andere Vögel). Die Infektion erfolgt über kontaminierte Nahrungsmittel (meist Geflügel), Milch oder Wasser. Nach neueren Studien besteht offenbar eine Assoziation zum Konsum aus Milchflaschen, an deren Deckel wild lebende Vögel mit dem Schnabel gehackt hatten. Auch Haustiere wie Hunde oder Katzen können sich infizieren und besonders für Kleinkinder eine Infektionsquelle darstellen. Eine Ansteckung auf fäkal-oralem Weg zwischen Menschen kommt ähnlich selten vor wie eine Übertragung durch Lebensmittelverkäufer.
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Klinisch besteht eine große Ähnlichkeit zwischen Campylobacter-, Salmonellen- und Shigelleninfektionen Die makroskopisch und histopathologisch erkennbaren Ulzerationen und blutigentzündeten Schleimhautstellen in Jejunum, Ileum und Kolon (Abb. 22.9) sind mit einer Bakterieninvasion vereinbar, doch es wurden auch Zytotoxine von C. jejuni nachgewiesen. Gerade bei Neugeborenen und körperlich geschwächten Erwachsenen sind Invasion und Bakteriämie keine Seltenheit. Das klinische Bild ähnelt einer Salmonellen- oder Shigelleninfektion, doch Inkubationszeit und Krankheitsdauer können bei Campylobacter-Infektionen länger sein. Weitere Unterscheidungsmerkmale sind in Tab. 22.5 angegeben.
Abb. 22.9 Entzündliche Enteritis durch Campylobacter jejuni, bei der die gesamte Mukosa mit einbezogen ist.
Zottenatrophie, Detritus (Nekrose) in Krypten, Verdickung der Basalmembran; Kresylviolettfärbung (mit freundlicher Genehmigung von J. Newman).
Bei Durchfallerkrankungen ist routinemäßig eine Campylobacter-Kultur anzulegen Die Methoden sind im Anhang näher beschrieben. Wichtig ist, daran zu denken, dass sich die Kulturmedien und Wachstumsbedingungen von Campylobacter von denen anderer Enterobakterien unterscheiden. Oft wachsen sie langsamer als andere Enterobakterien, doch eine vorläufige Diagnose sollte innerhalb von 48 Stunden möglich sein.
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Schwere Campylobacter-Diarrhoen mit Erythromycin behandeln Erythromycin ist Mittel der Wahl, falls die Schwere der Symptome eine Antibiotikatherapie erforderlich macht. Invasive Infektionen müssen unter Umständen zusätzlich mit Chinolonen, Tetracyclin oder Aminoglykosiden behandelt werden. Die für Salmonellen beschriebenen präventiven Maßnahmen gelten auch für Campylobacter. Ein Screening bei Lebensmittelverkäufern ist allerdings nicht notwendig, da eine Kontamination von Nahrungsmitteln auf diesem Weg eher ungewöhnlich ist.
Vibrio cholerae (Erreger der Cholera) Cholera ist eine akute Darminfektion durch das kommaförmige, Gram-negative Bakterium Vibrio cholerae (Abb. 22.10). Die Erkrankung hat eine lange Geschichte von Epidemien und Pandemien. In Großbritannien traten die letzten Cholerafälle im 19.Jahrhundert auf, als Seeleute vom Kontinent das Bakterium eingeschleppt hatten. 1849 veröffentlichte Snow seinen historischen Essay „On the Mode of Communication of Cholera“ [„Übertragungswege von Cholera“].
Abb. 22.10 Vibrio cholerae.
Elektronenmikroskopisches Bild der kommaförmigen Stäbchen mit Geißel an einem Polende; 13000 × vergr. (mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee).
In Gemeinden ohne ausreichende Trinkwasserversorgung und Kanalisation blüht Cholera regelrecht auf
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1990 verbreitete sich in Lateinamerika die siebte Cholera-Pandemie. Endemisch tritt die Cholera auch weiterhin in Südostasien sowie in Teilen Afrikas und Südamerikas auf. Anders als Salmonellen oder Campylobacter kommt V. choleraefrei lebend in Süßwasser vor, infiziert aber ausschließlich Menschen. Man vermutet in symptomlosen menschlichen Trägern das Hauptreservoir. Die Krankheit breitet sich über kontaminierte Nahrung aus; auch Muscheln aus Süßwasserzuchten oder Flussmündungen könnten eine Rolle spielen. Eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist aber eher untypisch. Cholera tritt überall dort häufig auf, wo die Versorgung mit sauberem Trinkwasser nicht oder nur sporadisch gewährleistet ist bzw. Abwässer nicht richtig entsorgt werden. Vereinzelte Fälle gibt es auch in entwickelten Ländern hin und wieder (in den USA z.B. an der Golfküste von Louisiana oder in Texas), doch die hohen Hygienestandards verhindern im Allgemeinen eine Weiterverbreitung.
Somatische (O-) Antigene kennzeichnen die Serotypen von V. cholerae Wichtigster Serotyp ist O1, der in ein klassisches und ein El-Tor-Biovar unterteilt wird (Abb. 22.11). Das El-Tor-Biovar wurde zuerst bei Pilgern aus Mekka isoliert und ist nach dem Quarantänelager El Tor benannt. Es unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht vom klassischen V. cholerae, vor allem weil es nur milde Diarrhoen verursacht. Bezogen auf die Fälle, gibt es im Vergleich zur klassischen Cholera mehr Träger als Erkrankte. Der El-Tor-Trägerstatus hält meist länger an, und die Keime können besser in der Umgebung überleben. El Tor war für die siebte Pandemie verantwortlich und hat sich jetzt weltweit verbreitet und das klassische Biovar weitgehend verdrängt. 1992 tauchte in Südindien ein neuer Nicht-O1-Stamm (O139) auf, der sich rasch ausbreitete. Da er Menschen, die gegen O1 immun sind, infizieren und Epidemien verursachen kann, erklärte man ihn zum achten pandemischen Cholerastamm. V. cholerae O139 scheint von einem El-Tor-O1-Biovar abzustammen, das durch horizontalen Gentransfer ein neues O-(Kapsel-) Antigen eines Nicht-O1-Stamms erworben hat. In einer Region, in der große Teile der Bevölkerung immun gegen O1-Stämme sind, bedeutete das einen selektiven Vorteil für den „Empfänger“Stamm. Andere Vibrio-Spezies können unterschiedliche Infektionen bei Menschen verursachen (Abb. 22.11). Auch V. parahaemolyticus kann Durchfallerkrankungen auslösen, doch gewöhnlich ist der Verlauf nicht so schwer wie bei Cholera (s. unten).
Abb. 22.11 Vibrio cholerae ist Ursache der Cholera.
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Der Serotyp O1 kann in Biovare mit unterschiedlichen epidemiologischen Eigenschaften unterteilt werden. Beim Ausbruch von Masseninfektionen wird zu Untersuchungszwecken noch eine weitere Unterteilung in Serosubgruppen und Phagentypen vorgenommen. Obwohl V. cholerae der wichtigste Erreger ist, können auch andere Vertreter der Gattung gastrointestinale und sonstige Infektionen hervorrufen.
Die Cholerasymptome werden durch ein Enterotoxin verursacht Cholerasymptome kommen ausschließlich durch ein Enterotoxin zustande, das im Verdauungstrakt gebildet wird (s. Kap. 17). Um die Wirtsabwehr zu überstehen und sich an die Dünndarmmukosa zu heften, braucht der Erreger allerdings zusätzliche Virulenzfaktoren; sie sind in Abb. 22.12 dargestellt (s. auch Kap. 13). Die klinischen Kennzeichen der Cholera sind in Tab. 22.5 zusammengefasst. Der stark wässrige, nicht blutige Durchfall wird aufgrund seines Aussehens als „Reiswasserstuhl“ bezeichnet (Abb. 22.13) und kann zu einem Flüssigkeitsverlust von 1 Liter/Stunde führen. Durch den Flüssigkeitsverlust und die damit verbundenen Elektrolytstörungen kommt es zu ausgeprägter Dehydrierung, metabolischer Azidose (Bikarbonatverlust), Hypokaliämie (Kaliumverlust) und zum hypovolämischen Schock bis hin zum Herzversagen. Unbehandelt ist Cholera in 40– 60% der Fälle tödlich, doch durch raschen Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten lässt sich die Letalität unter 1% senken.
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Um sporadische oder importierte Fälle von Cholera und Träger des Erregers zu erkennen, sind Stuhlkulturen nötig In Ländern mit Cholera-Prävalenz stützt sich die Diagnose auf klinische Zeichen und wird selten laborchemisch überprüft. Man sollte daran denken, dass eine ETECInfektion ähnlich schwer wie Cholera verlaufen kann – und dass in beiden Fällen der Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten vorrangig ist. Die Kulturmethoden sind im Anhang aufgeführt.
Abb. 22.12 Zentraler Pathomechanismus bei Cholera ist die Bildung eines Enterotoxins.
Doch um in den Dünndarm zu gelangen und sich an die Mukosazellen zu heften, muss der Erreger noch andere Virulenzfaktoren besitzen.
Abb. 22.13 Typischer Reiswasserstuhl bei Cholera.
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(mit freundlicher Genehmigung von A.M. Geddes)
Von zentraler Bedeutung ist die umgehende Rehydrierung (Flüssigkeits- und Elektrolytersatztherapie) Die Rehydrierung kann oral oder intravenös durchgeführt werden. Antibiotika sind nicht erforderlich. Trotzdem wird manchmal Tetracyclin verabreicht, um die Ausscheidungsphase abzukürzen – und die Ansteckungsgefahr zu verringern. Allerdings wurde bereits über eine Tetracyclinresistenz bei V. cholerae in bestimmten Gebieten berichtet. Wie bei anderen Durchfallerkrankungen sind sauberes Trinkwasser und Kanalisation wesentliche Voraussetzungen, um eine Infektion mit Vibrio cholerae zu verhindern. Da es kein Tierreservoir gibt, müsste die Krankheit theoretisch auszurotten sein. Doch der Trägerstatus von 1–20% der vormals infizierten Patienten macht es – selbst wenn er nur ein paar Wochen anhält – schwierig, dieses Ziel tatsächlich zu erreichen.
Der Vollkeim-Impfstoff aus abgetöteten Cholerabakterien wird von der WHO nicht länger empfohlen Eine parenteral zu verabreichende Cholera-Vakzine aus abgetöteten Bakterien ist zwar verfügbar, verleiht aber nur 50% der Geimpften Schutz, und das für höchstens 3–6 Monate. Für Reisen in Cholera-Endemiegebiete wird sie von der WHO nicht länger empfohlen, kann aber für bestimmte Länder weiter erforderlich sein. Besser scheinen orale Impfstoffe (in den USA nicht verfügbar) zu schützen.
Shigellen (Shigellose) 593
Je nach Erregerspezies können Shigelleninfektionen mild oder schwer verlaufen Die Shigellose ist auch als Bakteriendysenterie – im Unterschied zur Amöbendysenterie (s. unten) – bekannt, weil ihre schwere Verlaufsform durch eine entzündliche Invasion der Dickdarmmukosa gekennzeichnet ist. Aufgrund der Entzündung sind die Durchfälle mit eitrigem Schleim und Blut durchsetzt. Je nach auslösender Spezies und Gesundheitszustand des Wirts kommt es zu milden bis schweren Symptomen. Es gibt vier Spezies: ■ Shigella sonnei verursacht meist sehr milde Infektionen. ■ S. flexneri (Dysenterie) und S. boydii verursachen schwerere Symptome. ■ S. dysenteriae ist für schwerste Verlaufsformen verantwortlich (bakterielle Ruhr). Shigellosen sind in erster Linie pädiatrische Erkrankungen. Wenn sie mit einer starken Mangelernährung einhergehen, können Komplikationen wie das Proteinmangelsyndrom Kwashiorkor begünstigt werden. Wie V. cholerae sind Shigellen obligat humanpathogen (ohne Tierreservoir). Im Unterschied zu den Choleraerregern kommen sie allerdings nicht in der Umgebung vor, sondern breiten sie sich eher auf fäkal-oralem Weg direkt von Mensch zu Mensch aus als durch kontaminiertes Essen oder Wasser. Shigellen scheinen schon in kleinen Infektionsdosen (10–100 Keime) eine Infektion auslösen zu können und breiten sich unter schlechten hygienischen Bedingungen oder bei mangelnder Reinlichkeit (Flüchtlingslager, Kinderheime, Tagespflege- und Behinderteneinrichtungen) entsprechend schnell aus.
Der Durchfall ist zunächst wässrig, später schleimigblutig Shigellen heften sich im distalen Ileum und Kolon an die Schleimhaut, dringen dann in die Epithelzellen ein und verursachen eine ulzerierende Entzündung (Abb. 22.14). Sie brechen allerdings nur selten durch die Darmwand ins Blut ein. S. dysenteriae bildet ein (Shiga-) Toxin, das Ähnlichkeit mit dem Toxin enterohämorrhagischer E. coli (EHEC) aufweist. Es kann das Darmepithel oder glomeruläre Endothelzellen schädigen; im letzteren Fall kann es zu Nierenversagen kommen (hämolytisch-urämisches Syndrom, HUS, s. oben).
Abb. 22.14 Shigellose.
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Histologisch Epithelläsionen, die von Pseudomembranen bedeckt sind, und interstitielle Infiltration im Kolon sichtbar. Die Nebenzellen haben Muzin abgesondert, die Becherzellen sind leer; Kolloid-Eisenfärbung. E = Epithel, I = interstitielle Infiltration, M = muzinhaltige Drüsenzellen, P = Pseudomembran (mit freundlicher Genehmigung von R.H. Gilman). Die Hauptmerkmale einer Shigelleninfektion sind in Tab. 22.5 zusammengefasst. Der Durchfall ist zunächst wässrig, enthält aber später Schleim und Blut. Es können starke Krämpfe im unteren Abdomen auftreten. Gewöhnlich verläuft die Erkrankung selbstlimitierend, kann aber besonders bei Kindern und alten Menschen zur Dehydrierung führen. Bei Mangelernährung können Komplikationen hinzukommen (s. oben).
Antibiotika sollten nur bei schweren Durchfällen gegeben werden Bei Shigelleninfektionen kann eine Rehydrierung indiziert sein. Vor allem Antibiotika, die die Darmmotilität verringern, sollten nur in Ausnahmefällen (schwere Verlaufsformen) gegeben werden. Verbreitet kommt eine plasmidvermittelte Resistenz vor, daher sollte erst die Antibiotikaempfindlichkeit getestet werden, um bei Bedarf die richtige Therapie zu wählen. Wichtig sind Reinlichkeitserziehung und bessere Entsorgung von Abwässern. Obwohl Shigellen noch ein paar Wochen nach der Infektion weiter ausgeschieden werden, ist ein längerer Trägerstatus eher die Ausnahme. Da es kein Tierreservoir gibt, wäre die Erkrankung durch geeignete öffentliche Gesundheitsmaßnahmen auszurotten.
Andere bakterielle Ursachen von Durchfallerkrankungen Bisher wurden die wichtigsten bakteriellen Durchfallerreger beschrieben. Salmonellen-, Campylobacter- und bestimmte E.-coli-Infektionen werden am 595
häufigsten mit Nahrungsmitteln übertragen, während Cholera bevorzugt durch verseuchtes Wasser und Shigellosen im direkten Kontakt auf fäkal-oralem Weg übertragen werden. Nachfolgend werden weitere Bakterien beschrieben, die nahrungsassoziierte Infektionen oder eine Lebensmittelvergiftung hervorrufen können.
V. parahaemolyticus und Yersinia enterocolitica sind Nahrungsmittel-assoziierte Gram-negative Durchfallerreger Als halophile (salzliebende) Vibrio-Spezies kommt V. parahaemolyticus in Meeresfrüchten und Fisch vor. Werden sie roh verzehrt, kann eine Durchfallerkrankung die Folge sein. Der Pathomechanismus ist noch immer ungeklärt. Die meisten Stämme, die eine Infektion verursachen, bilden ein hämolysierendes hitzestabiles Zytotoxin. Im Unterschied zu V. cholerae bzw. dem nichtzytotoxischen Choleratoxin sind sie invasiv und dringen in die Darmzellen ein. Die klinischen Infektionsmerkmale sind in Tab. 22.5 zusammengefasst. Im Anhang werden Methoden zur Labordiagnostik (Spezialnährböden usw.) von V.parahaemolyticus-Infektionen beschrieben. Infektionen lassen sich vermeiden, wenn Fisch und Meeresfrüchte richtig gekocht werden. Yersinia enterocolitica gehört zur Familie der Enterobacteriaceae und löst speziell bei Kindern und vor allem in kälteren Regionen nahrungsmittelassoziierte Infektionen aus. Die Gründe für dieses geografische Verteilungsmuster sind nicht bekannt, doch der Keim wächst z.B. bevorzugt bei Temperaturen von 22–25°C. Y. enterocolitica findet sich bei tierischen Wirten wie Nagetieren, Kaninchen, Schweinen, Schafen, Rindern, Pferden und Haustieren (nach einigen Fallberichten erfolgte eine Übertragung durch Hunde). Yersinien überstehen selbst tiefe Temperaturen (4°C) und vermehren sich im Kühlschrank, wenn auch langsamer. Eine Infektion kann durch verseuchte Milch und andere Lebensmitteln hervorgerufen werden. Der Pathomechanismus ist unbekannt. Klinisch zeigt sich eine Invasion des terminalen Ileums mit Nekrose der Peyer-Plaques und einer Entzündung mesenterialer Lymphknoten (Abb. 22.15). Das Krankheitsbild (Enterokolitis mit mesenterialer Lymphadenitis) lässt sich besonders bei Kindern leicht mit einer akuten Appendizitis verwechseln. Die klinischen Zeichen sind in Tab. 22.5 zusammengefasst, die Labordiagnostik wird im Anhang erläutert. Wie bei V. parahaemolyticus sollte man auf den Yersinien-Verdacht hinweisen, damit die Proben im Labor entsprechend aufbereitet werden.
Sporenbildner wie Clostridium perfringens und Bacillus cereus sind Gram-positive Durchfallerreger Die bisher beschriebenen Gram-negativen Keime verursachen Diarrhoen, indem sie in die Darmmukosa eindringen oder Enterotoxine produzieren. Keiner dieser Erreger bildet Sporen. Wichtige Durchfallerreger sind mit Clostridium perfringens und Bacillus cereus auch zwei Gram-positive Spezies, die besonders in sporenverseuchten Lebensmitteln vorkommen.
596
C. perfringens kann unter folgenden Bedingungen mit Durchfallerkrankungen assoziiert sein (Pathogenese Abb. 22.16):
Abb. 22.15 Yersinia-enterocolitica -Infektion des Ileums; oberflächliche Schleimhautnekrose mit Ulzerationen
(mit freundlicher Genehmigung von J. Newman).
597
Abb. 22.16 Clostridium perfringens ruft zwei Formen nahrungsassoziierter Infektionen hervor.
598
Üblicherweise ist die Infektion durch ein Enterotoxin vermittelt (links). Wenn beim Kochen von Fleisch- oder Geflügelgerichten zwar die lebenden Bakterien, nicht aber die Sporen zerstört werden, keimen die Sporen beim Abkühlen der Nahrung. Wird das Essen beim Aufwärmen nicht ausreichend erhitzt (wie es oft bei Fertiggerichten aus Großküchen der Fall ist), werden große Keimmengen aufgenommen. Die seltenere Infektion durch β-Toxinbildende Stämme (rechts) führt zu einer schwer nekrotisierenden Erkrankung. ■ Enterotoxinbildende Stämme verursachen meist nahrungsassoziierte Infektionen. ■ Sehr viel seltener führen β-Toxin-produzierende Stämme zu einer akutnekrotisierenden Dünndarmerkrankung, die mit Abdominal-schmerzen und Diarrhoe einhergeht. Von dieser Form (nach Verzehr von kontaminiertem Fleisch) sind Menschen betroffen, die nicht an eine proteinreiche Ernährung gewöhnt sind und bei denen das Toxin aufgrund eines Trypsinmangels nicht im Dünndarm abgebaut werden kann. Traditionell trat diese Form der Erkrankung bei Eingeborenen in Neuguinea nach orgiastischen Schweinefleisch-Festen auf, kam aber auch bei Kriegsgefangenen nach der Freilassung vor. Die klinischen Zeichen der üblichen Verlaufsform sind in Tab. 22.5 aufgeführt. Im Anhang ist die Labordiagnostik bei Verdacht auf C.-perfringens-Infektion beschrieben. Der anaerobe Keim lässt sich gut auf Routinelabor-Nährböden anzüchten. Mithilfe der Latexagglutination kann die Enterotoxinbildung nachgewiesen werden. C.-perfringens-Diarrhoen müssen nur selten antibakteriell behandelt werden. Zur Prävention sollten Speisen vor dem Servieren ausreichend aufgewärmt bzw. generell erst unmittelbar vor dem Verzehr zubereitet werden. C. perfringens ist auch ein wichtiger Erreger von Wund- und Weichteilinfektionen (s. Kap. 26). Viele Lebensmittel können mit Sporen und vegetativen Formen von Bacillus cereus kontaminiert sein. Die Infektionen äußern sich entweder: ■ als Diarrhoe infolge der Enterotoxinbildung im Darm oder ■ als Erbrechen bei Aufnahme des Enterotoxins mit der Nahrung. Wie Abb. 22.17 zeigt, sind zwei verschiedene Toxine beteiligt. In Tab. 22.5 sind die klinischen Infektionsmerkmale aufgelistet. Zur Diagnosesicherung sind Spezialnährboden erforderlich (s. Anhang). Solange keine Kultur von verdächtigen Nahrungsmitteln angelegt wurde, lässt sich bei Erbrechen nur schwer B. cereus als Ursache ermitteln. Wie bei C. perfringens sollten Gerichte ausreichend gekocht und möglichst bald verzehrt werden, um eine B. cereus-Infektion zu verhindern. Eine Antibiotikatherapie ist nicht indiziert.
22.1.2 Antibiotika-assoziierte Diarrhoen durch Clostridium difficile 599
Als Komplikation einer BreitspektrumAntibiotikatherapie kann eine Diarrhoe durch C. difficile auftreten Alle bisher beschriebenen Infektionen hingen mit der Ingestion von Keimen oder Toxinen zusammen. Diarrhoen können allerdings auch infolge einer Störung der normalen Darmflora auftreten. Schon früh erkannte man, dass Antibiotika nicht nur gegen Erreger wirksam sind, sondern auch die Normalflora schädigen können. Ist die Darmflora z.B. nach oraler Gabe von Tetracyclinen gestört, siedeln sich manchmal statt der üblichen fakultativ anaeroben Gram-negativen Keime Staphylococcus aureus (verursacht Enterokolitis) oder Hefepilze wie Candida an. Kurz nach der Zulassung von Clindamycin zum therapeutischen Einsatz stellte sich heraus, dass es zu schweren Diarrhoen führt, bei denen sich charakteristische fibrinöse Pseudomembranen auf der Mukosa bilden (pseudomembranöse Kolitis, s. Abb. 22.18). Clindamycin ist allerdings nicht selbst Ursache der Kolitis, sondern begünstigt eine Überwucherung der normalen Darmflora mit C. difficile. Bei Kindern kommt dieser Keim oft im Darm vor, bei Erwachsenen tritt er seltener auf; unter Krankenhauspatienten kann er durch eine Kreuzinfektion erworben werden.
600
Abb. 22.17 Bacillus cereus kann zwei Formen nahrungsassoziierter Infektionen hervorrufen. An beiden sind Toxine beteiligt.
Wie andere Clostridien produziert auch C. difficileExotoxine, von denen zwei als Zytotoxin bzw. als Enterotoxin charakterisiert wurden; beide scheinen in der Pathogenese der pseudomembranösen Enterokolitis eine Rolle zu spielen. Obwohl anfangs nur eine Verbindung mit Clindamycin bestand, hat sich gezeigt, dass eine C.-difficile- Diarrhoe auch nach Therapien mit anderen Breitspektrumantibiotika auftreten kann; daher die Bezeichnung Antibiotika-assoziierte Diarrhoe bzw. Kolitis. 601
Die Infektion verläuft oft so schwer, dass eine Behandlung mit Metronidazol (gegen Anaerobier wirksam) oder oralem Vancomycin erforderlich wird. Da aber unter verlängerter oraler Vancomycin-Therapie – vermutlich aus der Darmflora stammende – Vancomycin-resistente Enterokokken isoliert wurden, wird empfohlen, auf eine orale Gabe von Vancomycin möglichst zu verzichten (s. Kap. 33).
Abb. 22.18 Antibiotika-assoziierte Kolitis durch Clostridium difficile.
Beim Blick durch das Sigmoidoskop sind zahlreiche Läsionen mit Pseudomembranen erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von J. Cunningham).
22.1.3
Virus-assoziierte Diarrhoe
Jährlich sterben über drei Millionen Säuglinge an Gastroenteritis, die meist viral bedingt ist Eine nichtbakterielle Gastroenteritis bzw. Diarrhoe wird gewöhnlich durch Viren verursacht. Von den weltweit auftretenden Infektionen sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder betroffen (Abb. 22.19). Mit erschütternden Folgen: In Afrika, Asien und Lateinamerika sterben jährlich mehr als drei Millionen Säuglinge an Gastroenteritis, und Kinder haben oft an bis zu 60 Tagen pro Jahr Durchfall. Das wirkt sich deutlich auf ihren Ernährungsstatus und ihr Wachstum aus. In den USA werden jährlich rund 200000 Kinder unter fünf Jahren wegen einer infektiösen Gastroenteritis ins Krankenhaus eingewiesen. Obwohl bei Säuglingen und Kleinkindern am häufigsten Viren Ursache einer Gastroenteritis zu sein scheinen, kann man sie klinisch nicht von anderen Formen unterscheiden. Die Infektion mit humanpathogenen Viren erfolgt im Allgemeinen auf fäkal-oralem Weg. Experimentell konnte die orale Übertragbarkeit einer nichtbakteriellen Gastroenteritis 1945 zum ersten Mal nachgewiesen werden, doch erst 1972 konnten elektronenmikroskopisch Viruspartikel im Stuhl identifiziert werden. Bei den meisten Viren ist eine Anzüchtung in Zellkulturen schwierig bis unmöglich. 602
Abb. 22.19 In den Entwicklungsländern sind Durchfallerkrankungen eine Hauptursache von Krankheit und Tod im Kindesalter.
Hier ist der prozentuale Anteil der unterschiedlichen Erreger dargestellt. Es fällt auf, dass in rund 20% der Fälle die Infektionsursache unklar bleibt; doch vermutlich sind vielfach Viren dafür verantwortlich (nach Daten der WHO). EPEC = enteropathogene E. coli, ETEC = enterotoxigene E. coli
Rotaviren Diese morphologisch unverwechselbaren Viren (Abb. 22.20) haben ein Genom aus 11 getrennten Abschnitten doppelsträngiger RNA. Rotaviren infizieren meist junge Säugetiere (Menschen genauso wie Kätzchen, Welpen, Kälber, Fohlen und Täubchen), doch zu Kreuzinfektionen zwischen verschiedenen Spezies kommt es vermutlich nur gelegentlich. Beim Menschen sind mindestens zwei Serotypen bekannt.
603
Rotaviren beeinträchtigen den Darmtransport und lösen so Diarrhoen aus Die Inkubationszeit beträgt 1–2 Tage. Nach der Virusvermehrung im Dünndarmepithel kommt es zu akutem, oft schwallartigem Erbrechen und zu Durchfall, der 4–7 Tage anhalten kann. Durch die Virusreplikation werden die Transportmechanismen im Darm behindert und der Wasser-, Salz- und Glukoseverlust führt dann zur Diarrhoe (Abb. 22.21).
Abb. 22.20 Rotaviren.
Der klar umschriebene äußere Rand und strahlenförmig um den inneren Kern (Core) angeordnete Kapseln verleihen den Viruspartikeln (Durchmesser 65 nm) ihr typisches „Speichenrad“-Aussehen (daher: Rotaviren) (mit freundlicher Genehmigung von J.E. Banatvala). Die Zerstörung infizierter Dünndarmzellen mündet in eine Zottenatrophie. Mit Abflachung der Zotten (Villi intestinales, lange fingerartige Schleimhautauswüchse) nehmen sowohl Resorptionsfläche als auch Verdauungsenzyme ab, so dass der erhöhte osmotische Druck im Darmlumen zu einer Diarrhoe führen kann, die weder mit Entzündung noch mit Blutverlust verbunden ist. Im Stuhl tauchen massenhaft Viruspartikel auf (1010–1011/g). Aus unbekannten Gründen treten begleitend oft respiratorische Symptome wie Husten und Schnupfen auf. Bei Säuglingen in den Entwicklungsländern verläuft die Erkrankung meist schwerer.
604
Abb. 22.21 Entstehungsmechanismus einer Rotavirusdiarrhoe; bei anderen Virusinfektionen dürften unterschiedliche Mechanismen beteiligt sein.
605
Am häufigsten sind Kleinkinder unter zwei Jahren betroffen, und Infektionen treten bevorzugt in der kalten Jahreszeit auf. In den ersten sechs Lebensmonaten verleihen IgA-Antikörper im Kolostrum noch Immunität. Oft kommt es in Kinderkrippen zu Infektionsausbrüchen. Da sich bei fast allen älteren Kindern Antikörper gebildet haben, sind sie weniger anfällig. Sporadische Fälle können aber auch bei Erwachsenen vorkommen. Rotaviren sind gut an den Dünndarm angepasste Erreger. Um eine Infektion auszulösen, reicht schon die orale Aufnahme weniger Viruspartikel (ca. 10). Da sie aber Diarrhoen mit enormer infektiöser Erregerdichte bewirken, stellen sie so ihre fortgesetzte Übertragung und ihren weiteren Bestand sicher.
In Stuhlproben sind Rotaviren elektronenmikroskopisch nachweisbar Eine Labordiagnostik ist in Entwicklungsländern im Allgemeinen nicht verfügbar und in den entwickelten Ländern nicht nötig. Im Akutstadium lassen sich aber elektronenmikroskopisch die typischen 65 nm großen Viruspartikel in Stuhlproben entdecken. Mit ihrer räumlichen Symmetrie und der äußeren Kapsidhülle sehen sie wie ein Speichenrad aus (Abb. 22.20). Durch ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) ist in Stuhlproben das Virusantigen nachzuweisen (s. Kap. 32).
Eine Ersatztherapie (Flüssigkeit und Elektrolyte) kann lebensrettend sein Säuglinge können sehr leicht austrocknen, daher kann bei Dehydrierung eine orale oder intravenöse Salz-/Elektrolyt- und Flüssigkeitsersatztherapie lebensrettend sein. Antivirale Mittel stehen nicht zur Verfügung, doch in Versuchen wurden bereits mehrere (oral verabreichte) attenuierte Lebendimpfstoffe erfolgreich getestet.
Andere humanpathogene Viren Diarrhoen können auch Calici-, Astro-, Adeno- und Coronaviren verursachen Caliciviren sind einzelsträngige RNA-Viren mit einem Durchmesser von 27 nm und können den „Winterbrechdurchfall“ verursachen. Dazu gehören auch die früher als SRSV (small round structured viruses) oder NLV (Norwalk-like viruses) bezeichneten Noroviren, die bisher nicht in vitro angezüchtet werden konnten. Freiwillige erwachsene Testpersonen erkrankten nach oraler Zufuhr an Gastroenteritis. Zum ersten Mal brach die Infektion 1969 in einer Schule in Norwalk (im US-Bundesstaat Ohio) aus. Infiziert werden vorzugsweise ältere Kinder und Erwachsene. Die hoch infektiösen Viren breiten sich rasch aus und verursachen häufig nosokomiale Infektionen. In 25–50% der Fälle kommt es zu Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgie oder Fieber sowie Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Diarrhoe; doch die meisten
606
Patienten erholen sich innerhalb von 24–48 Stunden wieder. Bei massenhaften Ausbrüchen oder für epidemiologische Studien ist die Labordiagnostik wichtig – gewöhnlich elektronenmikroskopisch oder mit Immuntechniken (ELISA). Mit den Genom-Nachweismethoden hat sich die Sensitivität verbessert. Viren dieser Gruppe verursachen oft durch Nahrungsmittel aus Gewässern bedingte Diarrhoen (z.B. mit Fäkalien verseuchte Muscheln). Astroviren sind 28 nm große, einzelsträngige RNA-Viren mit einem typischen Sternmuster (fünf- oder sechszackig). Bekannt sind fünf Serotypen. Die meisten Infektionen treten bei Kindern auf und zeigen einen milden Verlauf. Adenoviren sind hüllenlose, 70–80 nm große doppelsträngige DNA-Viren. Mit Gastroenteritiden werden Adenovirustyp 40 und 41 in Verbindung gebracht, die sich beide nur in spezialisierten Zellkulturen anzüchten lassen. Nach Rotaviren sind sie zweithäufigste Ursache einer akuten Diarrhoe bei Kleinkindern in gemäßigten Klimazonen. Die Bedeutung der Coronaviren ist unklar. Obwohl epidemieartige Gastroenteritisfälle oft eine virale Ätiologie haben, lässt sich kaum genau sagen, welche Rolle ein bestimmtes, im Stuhl nachgewiesenes Virus dabei spielt. Denn im Gastrointestinaltrakt replizieren sich viele Viren, die keine akute Durchfallerkrankung auslösen.
22.2
Lebensmittelvergiftung
In diesem Abschnitt bleibt der Begriff „Lebensmittelvergiftung“ ausschließlich Erkrankungen vorbehalten, die durch bakterielle Toxine in kontaminierten Lebensmitteln verursacht werden (s. oben). Diese Definition erfüllt das emetogene B.cereus- Toxin ebenso wie Erkrankungen durch Staphylococcus-aureus-Enterotoxin und Clostridium-botulinum-Toxin, die mit der Nahrung aufgenommen werden.
22.2.1
Staphylococcus aureus
Staphylococcus-aureus-Stämme produzieren acht unterschiedliche Enterotoxine Von den mindestens acht serologisch unterschiedlichen Enterotoxinen der Staph.aureus-Stämme sind die Enterotoxine A–E am besten untersucht (Tab. 22.6). Alle fünf sind hitzestabil und resistent gegen Magen- und Dünndarmenzyme. Ihr Wirkmechanismus ist noch nicht völlig aufgeklärt. Im Allgemeinen scheinen sie sich jedoch – ähnlich dem TSST-1 beim toxischen Schocksyndrom (s. Kap. 26) – wie Superantigene zu verhalten (s. Kap. 16), die über ihre Bindung an MHC-Klasse-IIMoleküle T-Zellen stimulieren. Infolge ihrer ZNS-Wirkung kommt es innerhalb von 3–6 Stunden nach dem Essen zu heftigem Erbrechen. Durchfall tritt nicht auf, normalerweise kommt es innerhalb von 24 Stunden zur Regeneration. Bis zu 50% der S.-aureus-Stämme produzieren Enterotoxine. Zur Kontamination von Nahrungsmitteln (vor allem Hackfleisch) kommt es durch menschliche Träger. Die Bakterien wachsen bei Raumtemperatur und setzen dabei Toxine frei. Bei anschließender Erhitzung werden zwar die Keime, nicht aber die Toxine zerstört. In
607
kontaminierten Speisen lässt sich oft kein einziger lebender Keim mehr entdecken, wohl aber das Enterotoxin (Nachweis durch Latexagglutinationstest).
Tab. 22.6 Staphylokokken-Enterotoxine.
22.2.2
Botulismus
Ursache sind Exotoxine von Clostridium botulinum Botulismus ist eine seltene, aber schwere Erkrankung durch Exotoxine von C. botulinum. Dieser Mikroorganismus kommt weit verbreitet in der Umgebung vor. Seine Sporen lassen sich leicht aus Bodenproben und bei Tieren (auch Fisch) isolieren. Nur vier der bisher identifizierten sieben serologisch unterschiedlichen Toxine sind humanpathogen (A, B, E und seltener F). Von Verdauungsenzymen werden sie nicht zersetzt, doch man kann sie durch 30-minütiges Erhitzen (80°C) inaktivieren. Die Toxine werden entweder mit der Nahrung aufgenommen (meist Konserven oder wieder Aufgewärmtes) oder im Darm gebildet (nach Ingestion des Erregers). Nach der Resorption über die Darmschleimhaut gelangen sie mit dem Blut zu ihrem eigentlichen Wirkort, den Synapsen peripherer Nerven. Dort bewirken sie eine Blockade der Nervenleitung (Neurotransmission, s. Kap. 17).
Häufigste Form ist der Säuglingsbotulismus Es gibt drei Formen von Botulismus: ■
Lebensmittelbotulismus
■
Säuglingsbotulismus
■
Wundbotulismus
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Beim Lebensmittelbotulismus entsteht das Toxin in keimverseuchter Nahrung und wird dann aufgenommen. Beim Säuglings- und Wundbotulismus werden dagegen die Keime aufgenommen bzw. in Wunden eingebracht, ehe sie sich vermehren und in vivo Toxine bilden. Beim Säuglingsbotulismus konnte eine Verbindung zu Sporen von C. botulinum in Honig nachgewiesen werden, mit dem die Kinder gefüttert wurden. Alle drei Formen zeigen das gleiche klinische Bild und sind durch eine schlaffe Parese gekennzeichnet; die progressive Muskelschwäche kann bis zum Atemstillstand führen. Daher ist unbedingt eine Intensivbehandlung erforderlich. Bis zur völligen Genesung kann es Monate dauern. Auch wenn die Letalität durch eine verbesserte supportive Behandlung von ca. 70 auf 10% gesenkt werden konnte, bleibt diese Erkrankung trotz ihrer Seltenheit lebensgefährlich. Besorgnis erregend ist auch, dass Botulinustoxin – bekanntlich eines der stärksten Gifte für Menschen – als biologischer Kampfstoff eingesetzt werden kann.
Inokulation von Serum- und Nahrungsproben in Mäuse zur Labordiagnostik Die Diagnose hängt weitgehend vom Toxinnachweis ab. Daher werden Mäusen, die zuvor mit Botulinus-Antitoxin immunisiert wurden oder ungeschützt sind, Serum- und Nahrungsproben (sofern verfügbar) injiziert. Von Stuhl oder Wundexsudaten sollte auch eine Kultur angelegt werden. Aus Angst vor Bioterroristen bemüht man sich derzeit um weniger zeitraubende Nachweismethoden für Botulinustoxin, wie Verfahren zur Sequenzanalyse mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) oder Funktionstests (ELISA) zur Toxinaktivität (s. Kap. 32).
Empfehlung: polyvalentes Antitoxin ergänzend zur Intensivtherapie des Botulismus Aufgrund ihrer Antigenwirkung lassen sich Botulinustoxine inaktivieren und zur Produktion von Antitoxin in Tieren verwenden. Bei jedem Botulismusverdacht sollte ergänzend zur supportiven Behandlung – Beatmung (wegen Atemschwierigkeiten) und i.v. Infusion oder nasogastrale Sonde zur Nahrungszufuhr (wegen Schluckstörungen) – sofort ein Antitoxin verabreicht werden. Antibiotisch werden im Allgemeinen nur Sekundärinfektionen behandelt. Eine Kontamination von Lebensmitteln mit C.-botulinum- Sporen lässt sich nicht verhindern. Daher hängt die Krankheitsprävention davon ab, ob es gelingt, das Keimen der Sporen in Nahrungsmitteln zu verhindern, z.B. durch: ■
sauren pH-Wert,
■
Lagerung unter 4°C,
■
30-minütiges Erhitzen bei 80°C (zur Zerstörung des Toxins).
22.3
Helicobacter pylori und Ulkuskrankheit
609
Magen- und Duodenalulzera sind meist mit Helicobacter pylori assoziiert Inzwischen ist gut belegt, dass über 90% der Duodenalund 70–80% der Magengeschwüre mit dem Gram-negativen spiralförmigen Bakterium H. pylori assoziiert sind (Abb. 22.22). Bei der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) oder einer nichtulzerösen Dyspepsie (mit persistierenden oder rezidivierenden Oberbauchschmerzen ohne strukturelle Veränderungen) scheint H. pylori dagegen keine Rolle zu spielen. Die Diagnose lässt sich gewöhnlich histologisch anhand von Biopsieproben stellen, doch den schnellsten Nachweis ermöglicht der nichtinvasive Urease-Atemtest (H. pylori produziert große Mengen Urease). H. pylori ist nur sehr aufwendig im Labor anzüchtbar. Auch wenn die Pathomechanismen noch weiter erforscht werden müssen, sind offenbar eine Reihe von Virulenzfaktoren (Zytotoxin, säurehemmendes Protein, Adhäsine, Urease für das Überleben im sauren Milieu) und andere, die Magenschleimhaut angreifende Faktoren beteiligt. Um eine Remission und Heilung der Ulzera zu erreichen, ist eine H.-pylori -Eradikation nötig; sie wird als Kombinationstherapie mit einem Protonenpumpenhemmer und zwei Antibiotika durchgeführt (z.B. Clarithromycin und Amoxicillin, s. Kap. 33). Allerdings legen Studien nahe, dass H. pylori in Wirklichkeit sogar vor manchen Ösophagus- und Magentumoren schützen könnte. Seitdem ist eine lebhafte Diskussion im Gange, ob der Keim auch bei asymptomatischen Patienten eliminiert werden sollte. Die komplexe Beziehung zwischen H. pylori und Erkrankungen des Magens sollte daher erst noch weiter erhellt werden.
610
Abb. 22.22
Helicobacter-pylori -Gastritis.
Nach Silberfärbung sind auf der Schleimhaut zahlreiche spira-lförmige Bakterien sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von A.M. Geddes).
22.4
Parasiten im Verdauungstrakt
Im Gastrointestinaltrakt leben viele verschiedene Protozoenund Wurmparasiten, so dass weltweit ca. 3,5 Milliarden Menschen infiziert sind. Doch nur wenige Spezies verursachen ernste Erkrankungen, auf die in diesem Kapitel eingegangen wird (Abb. 22.23).
Darmparasiten werden als unterschiedliche Stadien im Stuhl übertragen Ihr Lebenszyklus kann Zysten-, Ei- und Larvenstadien umfassen. In den meisten Fällen kommen Neuinfektionen durch direkten oder indirekten Kontakt mit fäkal verschmutzten Materialien zustande, daher spiegeln sich in den Infektionsraten auch die hygienischen und sanitären Bedingungen wider. Im Allgemeinen sind im Stuhl ausgeschiedene Protozoen bereits infektiös oder werden es innerhalb kürzester Zeit. Solche Parasiten werden daher meist als infektiöse Stadien (in fäkal verschmutzter Nahrung oder Wasser) aufgenommen. Dagegen benötigen Wurmeier oder die Larven von Wurmparasiten – mit zwei großen Ausnahmen (Madenwurm und Zwergbandwurm) – eine Entwicklungsphase außerhalb des Wirts, um infektiös zu werden. Hier verläuft die Übertragung auf verschiedenen Wegen:
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Abb. 22.23
Darmparasiten.
Die meisten Infektionen treten in Entwicklungsländern auf, doch sämtliche Spezies kommen auch in den entwickelten Ländern vor. Einige sind erst neu im Zusammenhang mit AIDS bekannt geworden. Die wichtigsten Parasiten sind halbfett hervorgehoben. ■ Die infektiösen Wurmeier oder Larven einiger Spezies werden über kontaminiertes Wasser und kontaminierte Nahrung oder direkt über schmutzige Finger aufgenommen. ■ Manche Wurmlarven bohren sich durch die Haut und wandern schließlich in den Darm. ■ Infektiöse Stadien können in Fleischprodukten oder Tieren enthalten sein, die als Nahrung dienen. Die Symptomatik reicht von leichten Darminfektionen über akute oder chronische (entzündlich bedingte) Durchfälle bis zu lebensbedrohlichen Erkrankungen bei Ausbreitung der Parasiten auf andere Körperorgane. Die meisten Infektionen fallen jedoch unter die erste Kategorie, so dass Darmparasiten in vielen Teilen der Welt als Normal-zustand hingenommen werden.
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22.4.1
Protozoeninfektionen
Von Bedeutung sind besonders drei Arten: ■
Entamoeba histolytica
■
Giardia lamblia
■
Cryptosporidium parvum
Alle drei können zu Durchfallerkrankungen führen, doch wegen unterschiedlicher Merkmale fällt die Differenzialdiagnose leicht (Abb. 22.24). Erst kürzlich entdeckte Protozoen, wie z.B. Cyclospora cayetanensis, Isospora belli und Mikrosporidien, spielen besonders bei immunsupprimierten Patienten eine Rolle.
Abb. 22.24 Protozoeninfektionen des Gastrointestinaltrakts.
a) im akuten Krankheitsstadium vorhandene Trophozoiten von Entamoeba histolytica enthalten oft rote Blutkörperchen. b) akutes Infektionsstadium mit Giardia-lamblia-Trophozoit. c) in der E.-histolytica-Zyste ist nur einer der vier Kerne erkennbar. Bei dem breiten Chromatinband handelt es sich um eine semikristalline Ansammlung von Ribosomen (Hämatoxylin-Eosin-Färbung). d) In
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der ovalen Zyste (G. lamblia) sind zwei der vier Kerne sichtbar (Eisen-HämatoxylinFärbung). Mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee (a, b) bzw. R. Muller und J.R. Baker (c, d).
Entamoeba histolytica Entamoeba-histolytica-Infektionen sind besonders in tropischen und subtropischen Ländern verbreitet Jahrelang glaubte man, dass eine E.-histolytica-Infektion asymptomatisch oder pathogen verlaufen könnte und dass Dysenterie das Leitsymptom einer Schleimhautinvasion wäre. Kürzlich wurde jedoch entdeckt, dass zwei Spezies an einer Amöbiasis beteiligt sind: E. histolytica an der invasiven und E. dispar an der nichtinvasiven Verlaufsform. Trotz weltweiter Verbreitung kommt E. histolytica vor allem in subtropischen und tropischen Ländern vor, wo die Prävalenz über 50% betragen kann. Trophozoitenstadien halten sich im Dickdarm an der Schleimhaut auf und reproduzieren sich durch einfache Zellteilung. In regelmäßigen Abständen werden Zysten gebildet und aus dem Körper ausgeschieden. Mit ihrer widerstandsfähigen Hülle können sie gut in der Umgebung überleben. Diese Zysten stellen die infektiösen Stadien dar. Die Übertragung erfolgt durch kontaminierte Nahrung oder Wasser (über infizierte Händler oder bei schlechten sanitären Verhältnissen). Möglich ist auch eine Infektion durch bestimmte sexuelle (anale) Praktiken. Nachdem sie unversehrt in den Magen gelangt sind, lösen sich die äußeren Hüllen verschluckter Zysten ab. Im Dünndarm entwickeln sich aus jeder Zyste acht Protozoen, die sich an Epithelzellen heften und sie nach Phagozytose zytolytisch schädigen. Da die Protozoen in die Mukosa eindringen und sich von Wirtszellen (auch roten Blutkörperchen) ernähren können, kommt es zur Amöbenkolitis.
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E.-histolytica-Infektionen verlaufen als leichte Diarrhoe oder schwere Dysenterie (Amöbenruhr) E. dispar verursacht keine Symptome. Bei einer Schleimhautinvasion durch E. histolytica können sich im Kolon kleine, oberflächlich ulzerierte Stellen oder tiefe, konfluierende Ulzera bilden, die die gesamte Darmmukosa einbeziehen (Abb. 22.25). Während oberflächliche Ulzerationen nur zu einer leichten Diarrhoe führen, kommt es bei einer tiefen Invasion zu Schleim, Eiter und Blut im Stuhl (Amöbendysenterie, -ruhr). Amöben- und bakterielle Dysenterien unterscheiden sich (Tab. 22.7).
Abb. 22.25 Amöbenkolitis (Sigmoidoskopie).
Unter dem eitrigen Exsudat sind tiefe Ulzera erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von R.H. Gilman). Zu den Komplikationen zählen Darmperforation (Peritonitisgefahr) und extraintestinale Gewebeinvasion. Wenn sich Trophozoiten auf dem Blutweg in die Leber ausbreiten, können sich Leberabszesse bilden; infolgedessen ist ein Übergreifen auf die Lunge und andere Organe möglich. In seltenen Fällen streuen Abszesse direkt unter Einbeziehung der darüber befindlichen Haut.
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Tab. 22.7 Kennzeichen einer bakteriellen und Amöben-dysenterie (-ruhr).
E.-histolytica- Infektionen lassen sich anhand der typischen vierkernigen Zysten im Stuhl diagnostizieren Weil bei einer leichteren Infektion nur sporadisch Zysten auftreten, sind wiederholte Stuhluntersuchungen erforderlich. Dabei ist E. histolytica sorgfältig von apathogenen Spezies abzugrenzen, die ebenfalls vorkommen können (Abb. 22.26). Vor der Untersuchung sollte man ein paar Stuhlproben konservieren, da die bei Dysenterie (weicher, feuchter Stuhl) vorhandenen Trophozoiten sehr fragil sind und sich leicht zersetzen. Für die Unterscheidung zwischen E. histolytica/E. dispar, Cryptosporidium parvum und Giardia lamblia sind z.B. Antigen-ELISAs verfügbar. E. histolytica ist nur durch spezifische Antigentests oder PCR von E. dispar abzugrenzen.
Akute Infektionen mit Metronidazol behandeln In der Regel kommt es zur Genesung von der Infektion und zu einer gewissen Immunität gegen Reinfektionen. Manchmal wird die Infektion jedoch nicht komplett ausgeräumt, so dass trotz Behandlung weiterhin infektiöse Zystenstadien ausgeschieden werden. Metronidazol eignet sich sowohl für intestinale wie extraintestinale Infektionen. Wenn es bereits zu einer bakteriellen Sekundärinfektion gekommen ist, müssen zusätzliche Antibiotika und Drainagen eingesetzt werden. Zur Prävention einer Amöbiasis sind dieselben hygienischen und sanitären Vorkehrungen zu treffen wie bei bakteriellen Darminfektionen.
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Abb. 22.26 Pathogene und apathogene Protozoen lassen sich anhand bestimmter Merkmale (Größe und Anzahl der Kerne in Zysten) unterscheiden.
Zum Vergleich ein Erythrozyt.
Giardia lamblia Giardia lamblia war der erste Darmparasit, der unter dem Mikroskop betrachtet wurde. Entdeckt hat ihn Anton van Leeuwenhoek, als er 1681 eigene Stuhlproben untersuchte, um sein neu entwickeltes Mikroskop auszuprobieren. Giardia lamblia ist weltweit verbreitet und derzeit in den USA der am häufigsten diagnostizierte Darmparasit.
Wie Entamoeba hat auch Giardia nur zwei Entwicklungsstadien Neben dem Trophozoiten- (vier Geißelpaare, zwei Kerne) gibt es ein sehr widerstandsfähiges Zystenstadium (vier Kerne). Die Trophozoiten halten sich im oberen Dünndarmabschnitt auf und binden sich mit spezialisierten Regionen fest an das Bürstensaumepithel (Abb. 22.27). Durch normale Zellteilung können sie sich so stark vermehren, dass sie die Schleimhaut großflächig bedecken. In regelmäßigen Intervallen bilden sich Zysten, deren robuste Wand aus einem aufgerollten Trophozoiten besteht. Sie werden im Stuhl ausgeschieden und können unter optimalen Bedingungen mehrere Wochen überstehen. Die Infektion erfolgt durch Verschlucken der Zysten (meist kontaminiertes Wasser). Mit 10–25 Zysten ist die minimale Infektionsdosis sehr gering. Die meisten Lambliasis-Epidemien gingen von der (kontaminierten) öffentlichen Wasserversorgung aus, doch bei kleineren Ausbrüchen ließen sich die Spuren bis zum Trinken von Flussoder Bachwasser zurückverfolgen, das wild lebende Tiere kontaminiert hatten. Unter Säugetieren ist die Gattung Giardia weit verbreitet und es deutet einiges darauf hin, dass es zur Kreuzinfektion zwischen bestimmten Wirten (wie Biber) und Menschen kommen kann. Das mag in vielen Fällen reiner Zufall sein, doch Fallberichte liefern auch konkrete Hinweise. Nach neueren Befunden könnte Giardia sexuell übertragbar sein. 617
Abb. 22.27 An der Dünndarmmukosa haftende Giardia-lamblia -Trophozoiten (Eisen-HämatoxylinFärbung).
(mit freundlicher Genehmigung von R. Muller und J.R. Baker)
Leichte Infektionen verlaufen asymptomatisch, schwerere mit Diarrhoen Die Diarrhoen können ■ nach 7–10 Tagen von selbst aufhören (selbstlimitierender Verlauf ist die Regel) ■ oder chronisch progredient in eine schwere Durchfallerkrankung übergehen (besonders bei Immunschwäche oder Immunsuppression). Man hält sie für eine entzündliche Reaktion auf die Epithelzellschädigung und die Störung der normalen Resorptionsvorgänge. Typisch ist die weiche Konsistenz der übel riechenden, oft fettigen Stühle.
Die Diagnose stützt sich auf den Nachweis von Zysten oder Trophozoiten im Stuhl Bei leichten Verlaufsformen sind wiederholte Stuhluntersuchungen nötig, und durch Stuhlkonzentrierungsmethoden erhöht sich die Chance, Zysten zu finden. Mithilfe einer Duodenalsonde oder schluck- und rückholbarer Kapseln und Fäden lassen sich Trophozoiten auch direkt aus dem Dünndarm gewinnen. Verfügbar sind ELISA-Tests von guter Spezifität.
Giardia-lamblia-Infektionen können mit unterschiedlichen Mitteln behandelt werden
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In Frage kommen Metronidazol und Tinidazol, eine wiederholte Behandlung kann erforderlich sein. Zur Prävention empfehlen sich die üblichen öffentlichen Hygieneund sanitären Vorkehrungen; zusätzlich sollte eine als Infektionsquelle verdächtige Trinkwasserversorgung verbessert werden (Kläranlagen, Chlorzusatz). Vorsicht ist auch beim Trinken natürlichen Quellwassers geboten, das ebenfalls verseucht sein könnte.
Cryptosporidium parvum Cryptosporidium parvum ist bei Tieren weit verbreitet Dass C. parvum auch bei Menschen ein wichtiger Auslöser von Diarrhoen ist, drang erst mit Beginn der AIDS-Epidemie ins Bewusstsein; bekannt war nur, dass ähnliche Parasiten verbreitet bei Tieren vorkommen. Von den beiden bekannten Genotypen ist einer humanpathogen, während der andere primär tierische Infektionen (Rinder) verursacht, aber offenbar auch auf Menschen übertragbar ist (Kreuzinfektion). Kryptosporidien haben einen komplexen Lebenszyklus und durchlaufen ihre asexuelle und sexuelle Entwicklung ohne Wirtswechsel. Die Übertragung erfolgt fäkal-oral durch Material, das mindestens 10 Oozysten enthält (Abb. 22.28). Im Dünndarm setzen die resistenten und 4–5 μm im Durchmesser großen Oozysten infektiöse Sporozoiten frei, die in Epithelzellen eindringen. Fest mit der apikalen Plasmamembran verbunden bilden sie Schizonten, aus denen durch Teilung Merozoiten hervorgehen, die zur Invasion weiterer Epithelzellen befähigt sind. Schließlich tritt die sexuelle Entwicklungsphase ein, nach der wieder Oozysten freigelassen werden. Wahrscheinlich findet bei Mensch und Tier am häufigsten eine Übertragung durch kontaminiertes Wasser statt. 1993 kam es in Milwaukee (USA) zu einer Masseninfektion mit C. parvum, in deren Verlauf rund 403000 Menschen an wässriger Diarrhoe erkrankten. Die Infektionsquelle dürften Rinder gewesen sein und die Übertragung erfolgte über die öffentliche Wasserversorgung.
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C.-parvum-Diarrhoen verlaufen mittelschwer bis schwer Eine C.-parvum-Infektion kann unter dem Bild einer mäßigen bis schweren profusen Diarrhoe in Erscheinung treten, die bei normaler Immunlage nach einer Dauer von 15–40 Tagen selbstlimitierend verläuft, bei Patienten mit Immunschwäche aber chronisch werden kann. AIDS-Patienten leiden häufiger an einer Kryptosporidiose. Bei Werten unter 100/mm3 CD4-positiven T-Zellen kann die anhaltende Diarrhoe irreversibel und lebensbedrohlich werden.
Abb. 22.28 Stuhlprobe mit Oozysten von Cryptosporidium parvum.
(mit freundlicher Genehmigung von S. Tzipori)
Zur Diagnose reicht eine Routine-Stuhluntersuchung nicht aus Um Oozysten gewinnen und identifizieren zu können, sind Konzentrierungsmethoden und Spezialfärbungen (z.B. modifizierte ZiehlNeelsen-Färbung) der Stuhlproben erforderlich. Angewandt werden direkte Immunfluoreszenz und ELISA, während ein DNA-Nachweis (mittels PolymeraseKettenreaktion) derzeit noch entwickelt wird.
Nur Patienten mit Immunschwäche müssen behandelt werden Durch antivirale Mittel bessert sich die Diarrhoe bei AIDS-Patienten. Mit begrenztem Erfolg wurde Spiramycin (ein Makrolid) eingesetzt. Unter Paromomycin und Azithromycin wurden zwar weniger Oozysten gebildet, aber die Infektion nicht beseitigt. Zur Prävention empfehlen sich ähnliche öffentliche Hygienemaßnahmen wie gegen Giardiasis bzw. Lambliasis. Allerdings sind Kryptosporidien resistenter gegen chloriertes Wasser.
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Cyclospora, Isospora und Mikrosporidien 1994 wurde Cyclospora cayetanensis identifiziert; mittlerweile sieht man darin einen Auslöser von Reisediarrhoen. Der Erreger kann mit Obst importiert werden; in den USA kam es 1997 z.B. durch Himbeeren aus Guatemala zum Ausbruch der Infektion. Auch Vögel können eine wichtige Infektionsquelle sein. Bei immunsupprimierten Patienten ist die Diarrhoe schwerer und länger anhaltend. Ein wirksames Mittel ist Cotrimoxazol (Trimethoprim-Sulfamethoxazol). Isospora belli ist wie Cyclospora cayetanensis und Cryptosporidium parvum ein (Kokzidien-) Parasit, der seine Entwicklungsphasen in Schleimhautepithelzellen durchläuft. Besonders schwere Symptome – Gewichtsverlust oder sogar Tod – durch die persistierende Diarrhoe treten bei AIDS-Patienten auf. Als seltene Gruppe können auch Mikrosporidien bei AIDS- und anderen immunsupprimierten Patienten Diarrhoen verursachen. Häufig ist Enterozoon bieneusi der Auslöser, aber auch Encephalitozoon intestinalis kommt vor. Die Übertragung erfolgt scheinbar auf direktem Weg. Mit Erfolg wurden Albendazol und Metronidazol zur Behandlung eingesetzt.
„Unbedeutendere“ Darmprotozoen Der menschliche Darm beherbergt eine Vielzahl von Protozoen. Die meistens dürften völlig harmlos sein (Abb. 22.23), einige wie z.B. Balantidium coli, Blastocystis hominis, Dientamoeba fragilis oder Sarcocystis hominis spielen jedoch eine fragliche Rolle im Hinblick auf Erkrankungen.
22.4.2
Wurminfektionen
Klinisch sind Nematoden, die „Würmer aus dem Boden“, am wichtigsten Aus dem Erdboden werden zwei Gruppen von Helminthen übertragen: ■ Als verschluckte infektiöse Wurmeier gelangen Ascaris lumbricoides(Spulwurm) und Trichuris trichiura(Peitschenwurm) in den Darm. ■ Hakenwürmer (Ancylostoma duodenale, Necator americanus) und der Zwergfadenwurm (Strongyloides stercoralis) dringen als infektiöse Larven in die Haut ein und wandern im Körper durch die Lunge zum Darm. Mit Ausnahme von Trichuris trichiura (im Dickdarm) besiedeln alle Würmer den Dünndarm. In den entwickelten Ländern ist vermutlich der fadenförmige Madenwurm Enterobius vermicularis der häufigste Rundwurm im (Dick-) Darm – und die bei weitem harmloseste Spezies. Die infektiösen Eier werden von den Weibchen in perianalen Hautfalten abgelegt. Da sie Juckreiz verursachen, findet die Übertragung meist direkt über kontaminierte Finger statt; andererseits sind die Eier auch leicht genug, um im Staub zu schweben. 621
Wurminfektionen durch Umweltbestandteile kommen meist in wärmeren Entwicklungsländern vor. Etwa ein Viertel der Erdbevölkerung trägt Darmwürmer in sich, wobei die am häufigsten betroffene Gruppe Kinder sind. Dass Fäkalien unzureichend beseitigt werden, die Wasserversorgung oft kontaminiert ist und Fäkalien als Düngemittel verwendet werden, begünstigt die Übertragung ebenso wie niedrige Hygienestandards (s. unten). Riesige Mengen von Eiern werden von den weiblichen Würmern abgesetzt (Zehntausende beim Peitschenwurm und beim Hakenwurm, Hunderttausende beim Spulwurm).
Lebenszyklus und Übertragung Die von Ascaris- und Trichuris-Weibchen im Dünndarm abgelegten Eier werden im Stuhl ausgeschieden; sobald ein anderer Wirt sie verschluckt hat, schlüpfen Larven In Abb. 22.29 sind die dickschaligen Wurmeier von Ascaris und Trichuris gezeigt. Erst nach mehrtägiger Inkubation unter optimalen Bedingungen (Wärme, hohe Feuchtigkeit) können sich aus den Eiern infektiöse Larvenstadien entwickeln. In dem Fall bleiben sie je nach dem lokalen Mikroklima wochen- bis monatelang infektiös. Nach ihrem Verschlucken werden die Eier im Dünndarm „bebrütet“, bis die Larvenstadien schlüpfen. Ascaris -Larven durchdringen die Darmwand und werden vom Blut in die Leber und zur Lunge transportiert. Von dort steigen sie in Bronchien und Luftröhre hoch, werden wieder verschluckt und landen erneut im Dünndarm. Die adulten Würmer halten sich frei im Darmlumen auf und ernähren sich vom Darminhalt. Trichuris Larven bleiben dagegen im Kolon und dringen in die Epithelschicht ein, um dort voll auszureifen.
622
Aus den dünnschaligen Eiern adulter Hakenwürmer schlüpfen kurz nach der Ausscheidung im Stuhl Larven In Abb. 22.29c ist ein dünnschaliges Hakenwurmei zu sehen. Erst wenn sie sich lange genug von Bakterien ernährt haben und infektiös geworden sind, bewegen sich die Larven von Ancylostoma duodenale und Necator americanus aus den Stuhlmassen heraus. Der Infektionsweg beginnt an ungeschützten Hautstellen, mit denen die Larven in Berührung kommen (oder – wie im Fall von A. duodenale – zusätzlich durch Verschlucken). Nachdem sie sich durch die Haut gebohrt haben, gelangen die Larven im Blut zur Lunge, steigen in der Trachea hoch und werden wieder verschluckt. Die adulten Hakenwürmer halten sich mit ihren großen Mundwerkzeugen an der Darmmukosa fest und beißen Gewebestückchen ab, damit die Kapillargefäße einreißen und sie Blut saugen können.
Abb. 22.29 Im Stuhl ausgeschiedene Eier und Larven von Nematoden.
a) Ascaris-Ei (fertil); b) Trichuris-Ei; c) Hakenwurmei, das sich in der Stuhlprobe weiter teilen und zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits ein 16oder 32-zelliges Stadium erreicht haben kann; d) Strongyloides-stercoralis-Larve (mit freundlicher Genehmigung von J.H. Cross). 623
Aus den Eiern adulter Strongyloides-Weibchen schlüpfen im Dünndarm Larven Trotz seiner Ähnlichkeit mit Hakenwürmern weist der Zwergfadenwurm ein paar wichtige Unterschiede im Lebenszyklus auf. Bei den adulten Strongyloides- Formen handelt es sich um parthenogenetische Weibchen. Sie legen ihre Eier in der Darmschleimhaut ab. Nachdem sie im Dünndarm geschlüpft sind, werden die Wurmlarven mit dem Stuhl ausgeschieden (Abb. 22.29d). Außerhalb ihres Wirts können sie sich – nach dem Muster der Hakenwürmer – unmittelbar zu infektiösen Stadien entwickeln, die gleich wieder durch die Haut eindringen oder erst auf dem Umweg über eine komplett frei lebende Generation infektiös werden. Unter bestimmten Umständen (vor allem bei Immunschwäche des Wirts) kann es zur erneuten Invasion der Strongyloides-Larven kommen, ohne dass sie aus dem Körper ausgeschieden wurden. Aus dieser Autoinfektion kann eine „disseminierte Strongyloidose“ als besonders schweres Krankheitsbild hervorgehen. Obwohl alle „Boden-Helminthen“ ziemlich langlebig sind (mehrere Monate bis Jahre), gibt es Fallberichte von Strongyloides-Infektionen, die über 30 Jahre anhielten. Das lässt sich wohl nur durch innere Prozesse einer fortgesetzten Autoinfektion erklären.
Klinik Wurminfektionen verursachen bei den meisten Menschen eher leichte chronische Symptome wie Darmbeschwerden und selten schwere Diarrhoen oder akute Symptome. Wurminfektionen können aber auch Überempfindlichkeitsreaktionen hervorrufen und dazu führen, dass Impfungen schlechter anschlagen. Jedem Wurmparasiten lassen sich typische Symptome zuordnen.
Darmverschluss durch adulte Ascaris-Würmer Bei ihrer Wanderung durch die Lunge können Ascaris-Larven eine schwere Atemstörung (Pneumonie) verursachen; oft kommt es begleitend zu einer ausgeprägten Eosinophilie. Intestinale Infektionsstadien führen zu Bauchschmerzen, Übelkeit und Verdauungsstörungen. Sie können neben einem unzureichenden Nährstoffangebot bei Kindern zum klinischen Bild der Mangel- oder Unterernährung beitragen. In großer Zahl vorhandene adulte Würmer können einen mechanischen Dünndarmverschluss bewirken (auch nach Behandlung mit Wurmmitteln). Würmer aus dem Dünndarm wandern bevorzugt den Gallengang hinauf und können daher eine Cholangitis auslösen. Auch eine Dünndarmperforation ist möglich. Selbst an ausgefallenen Stellen wie der Augenhöhle oder der (männlichen) Harnröhre waren gelegentlich Würmer nachzuweisen. Ascaris-Infektionen wirken in hohem Maße allergen, so dass die Hypersensitivitätssymptome oft noch Jahre danach weiterbestehen.
624
Chronische Diarrhoe bei mäßiger bis schwerer Trichuris-Infektion Wie bei allen Wurminfektionen sind Kinder die am stärksten betroffene Bevölkerungsgruppe. Obwohl ihnen gewöhnlich kaum eine klinische Bedeutung beigemessen wird, können mäßige bis schwere Trichuris- Infektionen nach neueren Forschungsergebnissen zu chronischen Durchfällen bei Kindern führen (Abb. 22.30). Unterernährung und Wachstumsverzögerung sind die sichtbaren Folgen. Gelegentlich kommt es bei schweren Infektionen zum Rektumprolaps.
Eisenmangelanämie durch Hakenwurmbefall Durch ihre Invasion von Haut und Lunge können Hakenwurmlarven eine Dermatitis bzw. Pneumonie verursachen. Da adulte Hakenwürmer im Dünndarm Blut saugen, kann es bei Fehlernährung sogar zu einer Eisenmangelanämie kommen. Eine schwere Infektion macht sich oft als ausgeprägte Hinfälligkeit und Wachstumsretardierung bemerkbar.
Für Immunsupprimierte kann eine Strongyloidosis verheerende Folgen haben Die persistierenden und profusen Diarrhoen infolge einer schweren Darminfektion mit Strongyloides stercoralis (Strongyloidosis) führen zu Dehydratation und Elektrolytstörungen. Durch tiefe Schleimhautschäden kann es auch zu einem Malabsorptionssyndrom kommen, das gelegentlich mit tropischer Sprue verwechselt wird. Aufgrund ihrer Immunschwäche sind AIDS- oder Krebskranke und Patienten mit medikamentöser Immunsuppression für eine disseminierte Strongyloidosis anfällig. Für sie stellt die Invasion tausender autoinfektiöser Larven eine tödliche Bedrohung dar.
625
Abb. 22.30 Wurmbefall bei einem gesunden Kind (Trichuriasis).
Proktoskopisch sind zahlreiche adulte Exemplare von Trichuris trichiura an der Darmmukosa zu sehen (mit freundlicher Genehmigung von R.H. Gilman). Übliches Zeichen einer Fadenwurminfektion ist der Analpruritus, der gelegentlich mit leichter Diarrhoe einhergeht. Manchmal kann eine Appendizitis mit Würmern zusammenhängen, die in den Wurmfortsatz gewandert sind. Vereinzelt wurde über einen vaginalen Wurmbefall bei kleinen Mädchen berichtet.
Labordiagnostik Alle genannten Wurminfektionen lassen sich anhand von Larven oder Eiern in frischen Stuhlproben diagnostizieren (direkte Ausstrichpräparate oder Konzentrierungsmethoden). Immunologische Nachweisverfahren für Darmwürmer befinden sich erst noch in einer frühen Entwicklungsphase. Ascaris-, Hakenwurm- und Strongyloides-Infektionen sind meist mit einer starken Bluteosinophilie verbunden, die zwar nicht als diagnostisch beweisend, aber doch als hoch verdächtig für Wurminfektionen gelten kann.
Typisches Aussehen der Wurmeier Wie in Abb. 22.29 gezeigt, sind die Eier von Ascaris, Trichuris und Hakenwürmern leicht erkennbar. Um die Hakenwurmspezies zu bestimmen, müssen von den Eiern Stuhlkulturen angelegt werden, damit die Larven schlüpfen und bis zum infektiösen dritten Stadium heranreifen. Adulte Ascaris-Würmer sind manchmal direkt beim Röntgen nachzuweisen (Abb. 22.31). Strongyloides-Infektionen werden durch den Nachweis von Larven in frischen Stuhlproben diagnostiziert.
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Eier in perianalen Hautfalten sprechen für einen Fadenwurmbefall Manchmal sind adulte Enterobius-Würmer im Stuhl zu sehen, doch ihre Eier werden direkt auf der Perianalhaut abgelegt und tauchen daher nur selten in Stuhlproben auf (Abb. 22.32). Wird der Bereich mit einem Klebestreifen abgewischt („Tesafilmtest“), können die hängen gebliebenen Eier unter dem Mikroskop betrachtet werden.
Abb. 22.31 Füllungsdefekt bei Ascaris -Befall des Dünndarms
(Röntgenaufnahme nach Bariumbreischluck; mit freundlicher Genehmigung von W. Peters).
627
Abb. 22.32 Enterobius -Ei auf der Perianalhaut.
(mit freundlicher Genehmigung von J.H. Cross)
Behandlung und Prävention Zur Behandlung von Nematodeninfektionen stehen mehrere Antihelminthika zur Verfügung. Piperazin wurde mit großem Erfolg gegen Ascaris-, Haken- und Fadenwurmbefall eingesetzt, doch inzwischen gibt es neuere Mittel (Albendazol, Mebendazol, Levamisol, Pyrantel), die bei Trichuriasis und Strongyloidosis genauso wirksam sind (vor allem Albendazol und Levamisol). Im Sinne der Prävention ist eine Verbesserung der hygienischen und sanitären Verhältnisse mit adäquater Entsorgung der Fäkalien anzustreben.
Andere Darmwürmer Die meisten anderen Wurmarten, die den Darm befallen können, kommen in den entwickelten Ländern nur selten vor Bandwürmer des Menschen: ■ Am weitesten verbreitet ist der über infiziertes Rindfleisch übertragene Rinderbandwurm (Taenia saginata). Bis auf Übelkeit bei der Passage großer Bandwurmglieder verläuft die Infektion jedoch im Allgemeinen asymptomatisch. Die Diagnose stützt sich auf den Nachweis von Bandwurmgliedern (Proglottiden) oder der typischen Eier im Stuhl (Abb. 22.33).
628
■ Der Fischbandwurm (Diphyllobothrium latum) ist geografisch weit verbreitet, befällt aber nur Menschen, die rohen oder nicht ausreichend gegarten Fisch verzehren (der infektiöse Larvenstadien enthält). Diagnostisch beweisend sind Eier im Stuhl, die bei dieser Wurmart einen Deckel am Ende haben (Abb. 22.34a). ■ Der Zwergbandwurm (Hymenolepis nana) kommt in erster Linie bei Kindern vor, die sich durch Verschlucken der Eier infizieren (Abb. 22.34b). Durch Autoinfektion kann er sich im Darm des Wirts sehr rasch vermehren (führt zu Diarrhoe und Abdominalbeschwerden). Alle genannten Bandwürmer können mit Praziquantel oder Niclosamid ausgetrieben werden. Auch eine Trichinella-spiralis- Infektion kann Darmbeschwerden (vor allem Durchfall und Bauchschmerzen) verursachen. Bekannter ist diese Nematodenart aber für Symptome, die durch ihre Entwicklungsphase in Blut und Muskeln ausgelöst werden (s. Kap. 26 und 28). Eine Infektion der Mesenterialgefäße (durch Schistosoma japonicum und S. mansoni) kann ebenfalls zu Darmsymptomen führen. Bei ihrer Passage durch die Wand des Dünndarms rufen Schistosomen-Eier so starke entzündliche Reaktionen hervor, dass sich granulomatöse Läsionen bilden. In der früh-akuten Phase kann Durchfall auftreten. Schwere, chronische Verlaufsformen einer S.-mansoni-Infektion gehen mit entzündlichen Kolonpolypen einher, während bei einer S.-japonicum-Infektion der Dünndarm stärker beteiligt ist.
Abb. 22.33 Taenia saginata.
a) Nach Anfärbung mit Tinte zeigen sich die zahlreichen Seitenäste reifer Proglottiden. b) Ei mit Sechshakenlarve (mit freundlicher Genehmigung von R. Muller & J.R. Baker).
Abb. 22.34 Bandwurmeier.
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a) Diphyllobothrium latum und b) Hymenolepis nana (mit freundlicher Genehmigung von R. Muller & J.R. Baker).
22.5 Vom Gastrointestinaltrakt ausgehende systemische Infektionen In der Einleitung zu diesem Kapitel haben wir darauf hingewiesen, dass sich Infektionen durch die Aufnahme von Pathogenen auf den Verdauungstrakt beschränken oder in andere Organe und Körpersysteme ausbreiten (disseminieren) können. Wichtige Beispiele für disseminierte Infektionen sind Typhus und Paratyphus oder die Virushepatitiden A und E. Anscheinend wird auch die Listeriose auf gastrointestinalem Weg erworben. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden andere Virushepatitisformen in diesem Kapitel mit abgehandelt.
22.5.1 Typhus abdominalis und Paratyphus („enterisches Fieber“) Der Begriff „enterisches Fieber“ wurde im letzten Jahrhundert eingeführt, um besser zwischen Typhus exanthematicus („Fleckfieber“, s. Kap. 27) und Typhus abdominalis („Bauchtyphus“) unterscheiden zu können. Der gemeinsame Wortstamm (Anmerkung: im Englischen ist typhus = Fleckfieber und typhoid = Typhus) legt den Verdacht nahe, dass beide Krankheiten jahrelang verwechselt wurden. Doch selbst als die Auslöser (Salmonella typhi bei Typhus, Rickettsien bei Fleckfieber) noch nicht isoliert waren, wurde bereits betont, dass „die Darmläsionen bei Typhus genauso wenig mit den pathologischen Folgen des Fleckfiebers zu verwechseln sind wie ein Masernexanthem mit dem Pockenausschlag“. Typhus/Paratyphus wird nicht nur von S. typhi, sondern noch durch drei andere Spezies verursacht:
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S. typhi, S. paratyphi A, S. paratyphi B (auch S. schottmuelleri) und S. paratyphi C (auch S. hirschfeldii) Diese Salmonellenspezies sind ausschließlich humanpathogen und verfügen über kein Tierreservoir. Daher breitet sich die Infektion – meist über kontaminierte Nahrung oder Wasser – von Mensch zu Mensch aus. Nach einer Infektion können die Betroffenen oft monate- oder jahrelang Erreger in sich tragen und damit zur ständigen Infektionsquelle für andere werden. Als langjährige Trägerin löste z.B. eine New Yorker Köchin („Typhus-Mary“) Anfang des 20.Jahrhunderts mindestens 10 Masseninfektionen aus.
Salmonellen vermehren sich in Makrophagen und breiten sich so im Körper aus Nach oraler Aufnahme dringen Salmonellen, wenn sie die Abwehrmechanismen im Magen und Dünndarm überwunden haben, vermutlich im mittleren (Jejunum) oder distalen Abschnitt (Ileum) über Peyer-Plaques in die Mukosa ein (Abb. 22.35). Nach Überwinden der Schleimhautbarriere gelangen sie in Darmlymphknoten, wo sie im Innern der Makrophagen überleben und sich vermehren können (Abb. 15.5). In den Makrophagen werden sie über mesenteriale Lymphknoten weiter zum Ductus thoracicus transportiert und schließlich in den Blutstrom freigesetzt. Die im Blut kreisenden Keime können in zahlreiche Organe streuen (Dissemination), konzentrieren sich aber vor allem in den Zellen des retikuloendothelialen Systems (d.h. in Milz, Knochenmark, Leber und Peyer-Plaques). Nach ihrer Vermehrung, z.B. in den Kupffer-Zellen der Leber, kehren sie vom retikuloendothelialen System zurück ins Blut und erreichen auf diesem Weg andere Organe (z.B. die Nieren). Da Salmonellen sehr resistent gegen Galle sind, können sie die Gallenblase entweder hämatogen oder über das Gallenwegssystem von der Leber aus infizieren. So kommt S. typhi dann ein zweites Mal – allerdings in viel größeren Mengen – in den Dünndarm. Die starke Entzündungsreaktion der Peyer-Plaques, die das verursacht, führt zu Ulzerationen mit drohender Perforation des Dünndarms.
Die typischen rosa Flecken am Oberbauch fehlen bei der Hälfte der Patienten Nach einer Inkubationszeit von 7–21 (durchschnittlich 10–14) Tagen beginnt die Erkrankung schleichend mit unspezifischen Symptomen wie Fieber und allgemeinem Krankheitsgefühl; das lässt wegen der begleitenden Gliederschmerzen und Atemwegssymptome häufig an eine Erkältung denken (s. Kap. 15). Es können Diarrhoe oder Obstipation auftreten. In diesem Stadium tritt oft Fieber auf (Fieber unerklärlicher Ursache, FUO, s. Kap. 29), das unbehandelt weiter ansteigt. Jetzt sind die Patienten akut krank und können einen makulopapulösen Ausschlag bekommen. Die typischen rosa Flecken am Oberbauch, die bei Druck abblassen (Abb. 22.36), fehlen jedoch bei der Hälfte der Patienten. Als flüchtige Erscheinung sind sie innerhalb von Stunden oder Tagen wieder verschwunden. Ohne Behandlung dauern auch unkomplizierte Infektionen mindestens 4–6 Wochen. 631
Abb. 22.35 Typhus abdominalis.
Schnittbild des Ileums; typhöses Ulkus mit transmuraler Entzündungsreaktion, Nekroseherde (N) und fibrinöses Exsudat (E) auf der Serosa. Hämatoxylin-EosinFärbung (mit freundlicher Genehmigung von M.S.R. Hutt).
Bevor es Antibiotika gab, starben 12–16% der Patienten – meist an Komplikationen Die Typhus-Komplikationen lassen sich danach unterteilen, ob sie: ■
durch Darmläsionen (z.B. Hämorrhagie oder Perforation, Abb. 22.37) oder
■
toxämisch (z.B. Myokarditis, Leber- und Knochenmarkschädigung) bedingt,
■
Folge einer längeren schweren Erkrankung oder
■ auf eine Keimvermehrung an anderer Stelle (Meningitis, Osteomyelitis, Endokarditis) zurückzuführen sind.
632
Abb. 22.36 Rosa Hautflecken bei Typhus.
(mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar)
Abb. 22.37 Klinischer Verlauf von Typhus.
Neben der Fieberkurve sind Pulsfrequenz und bakteriologische Befunde eingetragen. Als Komplikation trat bei diesem Patienten eine massive Blutung auf (mit freundlicher Genehmigung von H.L. DuPont). Als noch keine Antibiotika verfügbar waren, starben 12–16% der Patienten in der dritten oder vierten Krankheitswoche an Komplikationen. Nach anfänglicher Genesung kam es auch häufig zu Rückfällen.
1–3% der Patienten werden chronische Träger des Typhuserregers 633
Die meisten Patienten scheiden noch Wochen nach ihrer Genesung weiter S. typhi im Stuhl aus. 1–3% werden zu chronischen Trägern (definiert als Stuhl- oder Urinausscheidung von S. typhi über ein Jahr nach der Infektion). Chronische Träger sind überwiegend Frauen, ältere Menschen und Patienten mit Gallen- oder Harnblasenerkrankungen (z.B. Gallensteine oder Schistosomiasis).
Die Diagnose stützt sich auf die Isolierung von S. typhi oder S. paratyphi mithilfe von selektiven Nährböden Allein aufgrund des klinischen Bildes lässt sich die Diagnose nicht stellen, auch wenn rosa Flecken bei Patienten mit Fieber hoch verdächtig sind. Blut-, Stuhl- und Urinproben sollten auf selektiven Nährmedien kultiviert werden. Mit dem Widal-Test (Agglutinationstest) ist eine Antikörperreaktion nachzuweisen. Ein Titeranstieg der H- und O-Antikörper kann allerdings auch durch eine unspezifische Kreuzreaktion mit anderen Enterobakterien verursacht sein. Die Befundinterpretation ist schwierig und setzt voraus, dass die normalen Antikörpertiter in der Bevölkerung und der Impfstatus der Patienten bekannt sind. Sinnvoller als eine Einzelprobenuntersuchung ist der Nachweis eines Serumtiteranstiegs zwischen Akutund Rekonvaleszenzphase. Im besten Fall bestätigt das Ergebnis die mikrobiologische Diagnose.
Gleich nach Diagnosestellung mit einer Antibiotikatherapie beginnen Ciprofloxacin oder Ceftriaxon (und als zweite Wahl Cefixim) wurden mit Erfolg angewandt. Die Antibiotikatherapie sollte noch mindestens eine Woche nach Normalisierung der Körpertemperatur fortgesetzt werden. Mit einigen Antibiotika, die sich in vitro als wirksam erwiesen, ließ sich klinisch keine Heilung erzielen, weil sie vermutlich nicht bis zu den intrazellulären Bakterien vordrangen. Berichtet wurde von S.-typhi-Resistenzen gegen eine Reihe von Antibiotika.
Zur Prävention: öffentliche Hygienemaßnahmen, Behandlung chronischer Träger und Impfung Um die Infektionskette abreißen zu lassen, sind gute persönliche und öffentliche Hygiene mit Abwasserentsorgung und sauberer Trinkwasserversorgung erforderlich. Trotzdem kommt es in den entwickelten Ländern zwar selten, aber immer noch zu Typhusfällen. Typhusträger stellen ein öffentliches Gesundheitsrisiko dar und dürfen keiner Beschäftigung nachgehen, bei der sie Umgang mit Lebensmitteln haben. Um die Infektion auszurotten, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, auch Träger antibiotisch zu behandeln; falls dies erfolglos bleiben sollte, ist eine Entfernung der Gallenblase (üblicher Sitz der Erreger) zu erwägen. Die Impfung erfolgt als einmalige Injektion einer Typhim-Vi-Dosis (Vakzine mit Polysaccharid-Kapselantigen) oder oral (abgeschwächter Lebendimpfstoff mit Ty21a-
634
Stamm). Reisenden in Entwicklungsländer ist die Impfung zu empfehlen. Ein kompletter Impfschutz besteht aber nur bei 50–80% der Geimpften.
22.5.2
Listeriose
Ein Listerieninfektion tritt oft bei Schwangeren und geschwächter Immunlage auf Listeria monocytogenes ist ein Gram-positives kokkoides Stäbchen, das verbreitet bei Tieren und in der Umgebung vorkommt. Zunehmend häufiger findet man den Erreger in Lebensmitteln wie roher Leberpastete, Milch, Weichkäse und Krautsalat. Studien mit unpasteurisierter Milch ergaben, dass weniger als 1000 Keime zur Erkrankung ausreichen und dass sich Listerien selbst bei Kühlschranktemperaturen noch vermehren, zwar nur langsam, aber doch so, dass ihre Zahl auch in gekühlt aufbewahrten Lebensmitteln bis zur Infektionsdosis ansteigt. Ein Infektionsrisiko besteht vor allem für: ■ Schwangere (mit Ansteckungsgefahr für das Kind im Uterus oder unter der Geburt), ■
Menschen mit geschwächter Immunabwehr,
■
Krebspatienten (besonders bei Leukämie).
In den meisten Fällen tritt die Erkrankung als Meningitis in Erscheinung (s. Kap. 24).
22.5.3
Virushepatitis
Die alphabetisch mit A bis E bezeichneten Hepatitisviren greifen direkt die Leber an „Hepatitis“ bedeutet so viel wie Entzündung oder Schädigung der Leber. Ihre Ätiologie reicht von nichtinfektiösen, multisystemischen Erkrankungen über Arzneimitteltoxizität bis hin zu Infektionen (in erster Linie durch Viren, seltener Bakterien, z.B. Leptospiren, oder andere Mikroorganismen). Das klinische Krankheitsbild ist breit gefächert, die Erkrankung verläuft asymptomatisch oder symptomatisch mit Krankheitsgefühl, Appetitmangel, Übelkeit, Abdominalschmerzen, Ikterus, in seltenen Fällen kommt es zu Leberversagen als akut lebensbedrohlicher Zustand. Ikterus ist die klinische Bezeichnung für die gelbliche Verfärbung von Haut, Skleren und Schleimhäuten. Die „Gelbsucht“ beruht auf einer Leberzellschädigung, die dazu führt, dass Bilirubin aus der Leber nicht mehr in die Galle übergeht und sich die Bilirubinkonzentration in Körperflüssigkeiten erhöht. Bevor es zum Funktionsausfall (funktionelles Leberversagen) kommt, muss über die Hälfte der Leberzellen geschädigt oder zerstört sein. Obwohl sich Leberzellen schnell regenerieren, kann ihre reparative Fibrosierung – besonders bei persistierender
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Infektion – zu einer bleibenden Schädigung führen (Leberzirrhose). Eine zirrhotisch veränderte Leber ist klein und geschrumpft, die Funktion ist beeinträchtigt. Als Hepatitisviren werden mindestens sechs verschiedene Viren bezeichnet, die sich klinisch meist nicht unterscheiden lassen (Tab. 22.8). Hepatitis A und Hepatitis E werden fäkal-oral übertragen; beide Infektionen heilen aus, ohne in einen Trägerstatus überzugehen. Dagegen können Patienten mit Hepatitis B, D (Deltavirus) und C zu chronischen Trägern werden. Diese Infektionen werden alle ähnlich übertragen – durch mit Blut kontaminierte Instrumente oder auf sexuellem Weg (letzteres bei Hepatitis B weitaus häufiger als bei C). Es gibt zwar Berichte über Erreger, die man den Non-A-non-B-Hepatitiden zuordnen könnte, doch es deutet nichts darauf hin, dass diese GB-, Hepatitis-G- und TT-Viren die Leber direkt infizieren. Vielmehr scheint es sich bei der Leberentzündung nur um eine Begleiterscheinung zu handeln. Auf Viren, die im Rahmen anderer Syndrome eine Hepatitis verursachen, wird in anderen Kapiteln eingegangen.
Tab. 22.8 Hauptursachen einer Virushepatitis. Ein deutlicher Anstieg der Serumaminotransferasen (Alaninaminotransferase, ALT, und Aspartataminotransferase, AST) ist typisch für eine akute Virushepatitis. Seit einigen Jahren gibt es spezifische Labortests auf Hepatitisviren (HAV, HBV, HCV, HDV und HEV). Impfstoffe sind bislang nur gegen Hepatitis A und B zugelassen. Zur Behandlung von Hepatitis B und C stehen spezifische antivirale Therapien mit/ohne Immunmodulatoren zu Verfügung.
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Hepatitis A Auslöser ist ein einzelsträngiges, hüllenloses RNA-Virus, das als Hepatitis-A-Virus (HAV) bezeichnet und neuerdings als eigene Gattung (Hepatovirus) der Familie der Picornaviridae zugeordnet wird. Von dem weltweit endemischen Virus gibt es nur einen Serotyp.
HAV wird auf fäkal-oralem Weg übertragen Das in großen Mengen im Stuhl (pro Gramm 108 Infektionsdosen) ausgeschiedene Virus breitet sich über engen Kontakt (Hände, Analverkehr) oder kontaminierte Nahrung bzw. Wasser von Mensch zu Mensch aus. Nach einer Inkubationszeit von durchschnittlich vier (3–5) Wochen bricht die Erkrankung aus. Im Stuhl ist das Virus etwa von 1–2 Wochen vor dem Auftreten von Symptomen bis zum Ende der ersten (manchmal auch noch zweiten und dritten) Krankheitswoche vorhanden. In Schulen und Lagern kann es durch den engen Kontakt zu massenhaften HAVInfektionen kommen. Infektionsquellen sind üblicherweise verseuchtes Wasser und/oder Nahrung (Abb. 22.38). Während sich bis zu 90% der Kinder in Entwicklungsländern bereits mit 5 Jahren infiziert haben, sind in höher entwickelten Ländern bis zu 20% der jüngeren Erwachsenen betroffen. Früher lag der Anteil über 20%, ging aber infolge besserer sanitärer Verhältnisse und der geringeren Bevölkerungsdichte zurück.
Abb. 22.38 Durch kontaminierte Muscheln können sich Menschen mit dem Hepatitis-A-Virus (HAV) infizieren.
Bei Kleinkindern verläuft die Hepatitis A klinisch milder als bei älteren Kindern und Erwachsenen An unbekannten Stellen im Verdauungstrakt geht das HAV ins Blut über und vermehrt sich, bevor es Leberzellen infiziert. Danach gelangt es über die Gallenwege in den Dünndarm und erscheint im Stuhl (Abb. 22.39). In diesem Stadium befinden sich nur geringe Virusmengen im Blut. Wir wissen nicht genau,
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was sich in der verhältnismäßig langen Inkubationszeit noch abspielt. Jedenfalls scheinen die Leberzellen direkt von den Viren geschädigt zu werden. Gewöhnlich treten Symptome wie Fieber, Appetitverlust, Übelkeit und Erbrechen auf; eine Gelbsucht kommt häufiger bei Erwachsenen vor. Im Allgemeinen verläuft der Beginn einer Hepatitis A akuter als der einer Hepatitis B. Am besten wird der Nachweis mit einem Labortest auf HAV-spezifische IgM-Antikörper im Serum geführt. Gepooltes humanes (normales) Immunglobulin enthält HAV-Antikörper und kann als prä- oder postexpositionelle Prophylaxe verabreicht werden, um die Infektion zu verhindern oder abzuschwächen. Spezifische antivirale Mittel stehen nicht zur Verfügung. Inzwischen ist jedoch ein wirksamer Formaldehyd-inaktivierter Impfstoff erhältlich, der besonders Personengruppen mit erhöhtem Risiko angeboten werden sollte (z.B. Reisende in HAV-Endemiegebiete, Arbeiter in Kläranlagen, Erzieher/Betreuer in Kindertagesstätten, Personal anderer Pflegeeinrichtungen, männliche Homosexuelle, Patienten mit chronischen Leberkrankheiten). Der Impfstoff kann auch zur postexpositionellen Prophylaxe angewandt werden und hier die Immunglobulinpräparate ersetzen.
Hepatitis E Das Hepatitis-E-Virus (HEV) wird auf fäkal-oralem Weg übertragen Auslöser der Hepatitis E – auch bekannt als sog. enterale Non-A-non-B-Hepatitis – ist ein kleines, einzelsträngiges RNA-Virus, das Ähnlichkeit mit den Caliciviren aufweist.
Abb. 22.39 Klinischer und virologischer Verlauf der Hepatitis A.
AK = Antikörper
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Es wird im Stuhl ausgeschieden und verbreitet sich fäkal-oral. In höher entwickelten Ländern kommt Hepatitis E kaum vor. In Indien wird der Erreger durch verseuchtes Wasser übertragen und könnte in den Entwicklungsländern für 50% der sporadischen Hepatitisfälle verantwortlich sein. Da HEV bei zahlreichen Tierarten identifiziert wurde, vermutet man, dass sie ein Infektionsreservoir bilden; somit könnte Hepatitis E ein weiteres Beispiel für eine Zoonose sein. Die Inkubationszeit beträgt 6–8 Wochen. Im Allgemeinen verläuft eine Hepatitis-EInfektion milde, in der Schwangerschaft jedoch kann es zu einer fulminanten Hepatitis mit hoher Sterblichkeit (bis zu 20% im dritten Trimenon) kommen. In der Erholungsphase wird das Virus vollständig aus dem Körper eliminiert und führt nicht zum Trägerstatus. Die Diagnose wird serologisch durch den Nachweis von HEV-spezifischem IgM gestellt. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung.
Abb. 22.40 Bei akuter Infektion und manchen Trägern können im Serum pro ml:
106–107 infektiöse Danepartikel (a) und bis zu 1012 HBsAg-Partikel (b) enthalten sein. c) Dane- und HBsAg-Partikel im elektronenmikroskopischen Bild (mit freundlicher Genehmigung von J.D. Almeida).
Hepatitis B Auslöser ist das Hepatitis-B-Virus (HBV), ein Hepadnavirus (abgeleitet von Hepatitis-DNA, s. Anhang und Kasten) mit teilweise doppelsträngigem, ringförmigem DNA-Genom und drei wichtigen Antigenen (HBsAg, HBcAg, HBeAg; Abb. 22.40 und Tab. 22.9). Als lösliches Sekretionsprodukt aus dem Viruskern kommt HBeAg auf der Oberfläche von Hepatozyten zur Expression und wird zum Angriffsziel für das Immunsystem des Wirts. Obwohl die Infektion mit einem bestimmten HBV-Stamm zu einer Immunität gegen alle weiteren Stämme führt, kann doch eine Antigenvariation auftreten. Die vier serologischen Subtypen (adw, adr, ayw und ayr) wurden inzwischen durch eine genetische Klassifikation (in die Genotypen A–F) ersetzt. Vom Genotyp hängen das klinische Bild der Infektion und das Ansprechen auf die antivirale Therapie ab. Auch für epidemiologische Studien ist die Genotypisierung nützlich.
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HBsAg (Oberflächenantigen von HBV) ist in Blut und anderen Körperflüssigkeiten nachweisbar HBV kann auf unterschiedlichen Wegen übertragen werden: ■ sexuell, ■ vertikal als intrauterine, peri- oder postnatale Infektion (von der Mutter auf das Kind, s. Kap. 23), ■ über Blut und Blutprodukte, z.B. bei i.v. Drogenabhängigen durch kontaminierte Nadeln und Spritzbestecke bzw. beim Tätowieren (Piercing, Akupunktur) durch mehrfache Benutzung mit Blut kontaminierter Nadeln. Auch in therapeutischen Einrichtungen wie Hämodialyse-Abteilungen kann HBV übertragen werden. Doch seitdem die Patienten regelmäßig auf HBsAg kontrolliert und Einmalsysteme verwendet werden, hat sich die Gefahr merklich verringert. Darüber hinaus gibt es Berichte über Patienten, die bei Zwischenfällen mit direktem Blutkontakt durch HBV-Träger im Behandlungsteam infiziert wurden (erhöhte Expositionsgefahr z.B. bei kardiothorakalen Eingriffen durch intraoperative Nadelstichverletzungen). Solche Zwischenfälle ereignen sich seltener, wenn das medizinische Personal gegen Hepatitis B geimpft und routinemäßig auf HBsAg untersucht wird, bzw. durch engmaschige Kontrolle der HBV-DNA-Last von HBVTrägern.
Tab. 22.9 Hepatitis-B-Virus-Antigene und -Antikörper. Blutsaugende Insekten scheinen keine wichtigen Überträger zu sein, obwohl 1 ml Blut bis zu 1 Million Infektionsdosen enthalten kann und zur Ansteckung selbst unsichtbare Blutspuren ausreichen. Die Zahl der HBV-Träger schätzt man auf über 300 Millionen weltweit, und auch bei der Übertragung spielen sie die Hauptrolle. In Nord-, West- und Mitteleuropa sowie in den USA und Australien dürfte ihre Prävalenz bei etwa 0,5% liegen, in Osteuropa, Russland, den Mittelmeeranrainerstaaten, Mittelund Südamerika sowie in Südwestasien bei ca. 0,7%. Mit bis zu 20% ist ein HBV-Trägerstatus in Südostasien, China und in Afrika südlich der Sahara deutlich verbreiteter. Noch höher sind die Gesamtraten in 640
Ländern, wo die Infektion bereits bei Säuglingen und Kindern auftritt (vermutlich weil viele Mütter HBV-Trägerinnen sind).
Da HBV nicht direkt zytopathisch wirkt, ist die Pathologie weitgehend immunvermittelt Nach dem Eindringen in den Körper gelangt das Virus erst ins Blut und dann zur Leber. Entzündung und Nekrose als pathologische Folgen sind jedoch weitgehend immunvermittelt, da die infizierten Leberzellen von virusspezifischen zytotoxischen T-Zellen angegriffen werden. Die Inkubationszeit beträgt 6 Wochen bis 6 Monate (im Mittel 2,5 Monate). Sobald sich die ersten virusspezifischen Antikörper bilden, kann es zu einer kurzen Prodromalphase mit einem Exanthem und Arthralgien kommen. Das betrifft etwa 10–20% der Patienten mit Ikterus. Zugrunde liegen Immunkomplexe, die sich aus HBsAg (im Überfluss vorhanden) und frei zirkulierenden HBsAK bilden und sich z.B. in der Haut oder in Gelenken ablagern (s. Kap. 17). Freie Antikörper sind zu diesem Zeitpunkt nicht nachweisbar. Mit zunehmender Leberschädigung manifestiert sich die Hepatitis B klinisch (Abb. 22.41), im Allgemeinen mit stärkeren Symptomen als bei Hepatitis A. Während die Immunreaktion langsam Wirkung zeigt, wird die Virus-replikation eingeschränkt, bis das Blut schließlich nicht länger infektiös ist; das kann aber unter Umständen Monate dauern. Durch spezifische Genprodukte des äußerst komplexen HBV wird die α- und β-Interferon-Bildung des Wirts gezielt unterdrückt.
Bestimmte Personengruppen werden eher zu chronischen HBV-Trägern Bei einer guten Immunabwehr wird das Virus schneller aus dem Körper entfernt, doch dafür leiden die Patienten meist auch an stärkeren Symptomen. Bei rund 10% der Erwachsenen wird die Virusinfektion nicht vollständig beseitigt, so dass sie zu chronischen HBV-Trägern werden. Ihr Blut bleibt infektiös – oft lebenslang – und trotzdem fühlen sie sich gesund, weil die Leber meist nur schwach geschädigt ist, auch wenn eine fortgesetzte Leberschädigung zur chronischen Hepatitis führen kann. Bei bestimmten Personengruppen besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, zu chronischen HBV-Trägern zu werden:
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Geschichte der Mikrobiologie Hepatitis A Im August 1988 verfolgte das Florida Department of Health and Rehabilitation Services die Spuren von 61 Menschen mit einer serologisch nachgewiesenen HAV-Infektion. Sie lebten zwar in fünf verschiedenen US-Bundesstaaten, doch 59 von ihnen hatten rohe Austern von denselben Zuchtbänken im Küstenwasser von Bay County gegessen. Die illegal außerhalb der ausgewiesenen Bereiche gefischten Austern waren mit HAV kontaminiert. Die mittlere Inkubationszeit bis zum Ausbruch der Hepatitis A betrug 29 Tage (16–48 Tage). Vermutlich war das Wasser in der Nähe der Austernbänke durch Fäkalien von Schiffen ohne Toilettenanlage und Abwässer mit hoher fäkaler Kolibakterienkonzentration aus einer örtlichen Kläranlage verunreinigt worden. Hepadnaviren Hepadnaviren sind in den USA auch bei Waldmurmeltieren, Eichhörnchen und Pekingenten zu finden. In allen Fällen persistierte die Infektion im Körper mit HBsAg-artigen Partikeln im Blut, die Folge waren chronische Hepatitis sowie hepatozelluläres Karzinom. Diese Viren infizieren nicht nur Hepatozyten, sondern oft auch andere Zellen. Im Nordosten der USA sind z.B. 30% der Waldmurmeltiere Träger ihres eigenen Hepadnavirustyps und bei den meisten entwickelt sich daraus später ein hepatozelluläres Karzinom. Die Virusreplikation kann in der Leber und darüber hinaus im Lymphgewebe der Milz, im peripheren Blut, Thymus, in Azinuszellen des Pankreas und im Gallengangsepithel stattfinden.
Abb. 22.41 Klinischer und virologischer Verlauf der Hepatitis B.
a) bis zur Genesung, b) bei einem HBV-Träger (nach Farrar, W.E., Wood, M.J., Innes, J.A. et al.: Infectious Diseases, 2nd ed. Mosby International, London 1992). ■ Bei Patienten mit Immunschwäche entwickeln sich mildere Symptome, doch die Krankheit mündet häufiger im Trägerstatus.
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■ Ein deutlicher Alterseffekt macht sich bemerkbar. Wie eine Studie in Taiwan zeigte, wurden perinatal infizierte Säuglinge in 90–95% zu Trägern (zum Vergleich: Trägerrate von 23% nach einer Infektion als Kleinkind mit 1–3 Jahren bzw. von 3% nach einer Infektion im Studentenalter). ■ Einfluss des Geschlechts: Männer werden häufiger zu Trägern als Frauen.
Komplikationen bei Hepatitis B ■ Leberzirrhose. Die irreversible Leberschädigung ist Folge einer chronischaktiven Hepatitis und kann zu einem primären hepatozellulären Karzinom führen. ■ Das hepatozelluläre Karzinom gehört weltweit zu den zehn häufigsten Malignomarten. HBV-Träger haben ein 200fach erhöhtes Risiko. Oft entwickelt sich erst 20–30 Jahre nach der Infektion ein Malignom. Dass die Krebszellen mehrere HBV-DNA-Kopien enthalten (die nach etwa 2-jährigem Trägerstatus in infizierte Leberzellen integriert werden), könnte der karzinogene Faktor sein. Weitere Erklärungsmöglichkeiten sind die konstant ablaufende regenerative Mitose der Leberzellen als Reaktion auf die chronische Infektion oder ein bisher unbekanntes Kokarzinogen.
Serologische Tests zur Diagnose der HBV-Infektion Während der Inkubationszeit erscheinen HBsAg und die infektiösen Danepartikel im Serum (Abb. 22.41). Das typische serologische Bild einer akuten HBV-Infektion schließt den Nachweis von HBsAg, HBc-IgM und HBe-Antigen mit ein. Im Laufe der Erholungsphase und der Rekonvaleszenz sinkt die HBsAg-Konzentration, bis sie schließlich ganz verschwunden ist. In den darauf folgenden drei Monaten fällt auch der HBc-IgM-Spiegel; zwar lässt sich noch ein Gesamttiter von HBcAntikörpern (IgM und IgG) nachweisen, doch in dieser Phase überwiegt IgG. Jetzt erscheinen HBs-Antikörper. Somit würde eine abgelaufene Infektion folgendes serologisches Profil ergeben: HBsAg negativ, Gesamt-HBc-Titer positiv und HBsAntikörper positiv. Als HBV-Trägerstatus definiert man die Nachweisbarkeit von HBsAg in einem Zeitraum von sechs Monaten nach der akuten Infektion. Das Vorhandensein von HBeAg spricht für eine große Virusmenge im Blut und eine hohe Infektiosität des Trägers. Nach dem Verschwinden von HBeAg können HBe-Antikörper nachweisbar sein. Solche HBeAK-positiven Träger gelten als gering infektiös. In der HBV-DNA-Last wird heute ein nützlicherer Marker der Infektiosität gesehen. Mit dazu beigetragen hat die Entdeckung, dass in der HBe-Antigen kodierenden Region Mutationen vorkommen, so dass trotz fehlender HBe-AntigenProduktion noch immer infektiöse Viruspartikel zusammengefügt werden. HBeAgnegative und HBeAK-positive Patienten können demnach hochinfektiös sein.
Antivirale Mittel sind verfügbar Die Entwicklung oraler antiviraler Mittel brachte einen Aufschwung für die Behandlung von HBV-Trägern. Erprobt werden vor allem Lamivudin (3TC) und
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Adefovir sowie andere Substanzen. Früher wurde bei ausgewählten Patienten eine Immunmodulation mit Interferon-α2b versucht, doch nur 30% zeigten eine anhaltende Besserung. Hinzu kommt, dass eine Interferontherapie erhebliche Nebenwirkungen hat.
Hepatitis-B-Impfung Ursprünglich (1981) bestand der Impfstoff aus gereinigtem HBsAg und wurde nach chemischer Vorbehandlung (um eine Viruskontamination zu vermeiden) aus dem Plasma von Trägern zubereitet. Der aktuelle Impfstoff enthält dagegen gentechnisch in Hefe- oder Säugetierzellen erzeugtes HBsAg. Über 90% der gesunden Erwachsenen gewähren drei Injektionen in einem Zeitraum von sechs Monaten einen guten Impfschutz. Eine Impfung ist allen zu empfehlen, die Blut oder Blutprodukte erhalten (bei Mehrfachtransfusionen oder Dialysepatienten), dem gesamten medizinischen Personal, den Sexualpartnern akut oder chronisch mit HBV Infizierter und intravenös Drogenabhängigen. Problematisch ist, dass sich in bis zu 10% der Normalbevölkerung trotz wiederholter Immunisierung keine schützenden HBsAntikörper bilden. Das könnte an genetisch determinierten Immundefekten oder an der Induktion von Suppressorzellen liegen. Nach Zwischenfällen mit HBV-Exposition sollte als sofortiger passiver Infektionsschutz Hepatitis-B-Immunglobulin (HBIg) verabreicht werden. HBIg wird aus dem Serum von Menschen mit hohen HBs-Antikörper-Titern gewonnen. Zusammen mit Hepatitis-B-Impfstoff wird es auch prophylaktisch bei Neugeborenen angewandt, damit das Virus nicht von der infizierten Mutter auf das Kind übertragen wird.
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Hepatitis C HCV war die häufigste Ursache einer transfusionsassoziierten Hepatitis 1989 stellte sich heraus, dass eine Non-A-non-B-Hepatitis nach Bluttransfusionen in 90–95% der Fälle durch das Hepatitis-C-Virus (HCV) verursacht war. Das einzelsträngige RNA-Virus gehört zu den Flaviviren. Das HCV konnte mit enormem Aufwand von Molekularbiologen entdeckt werden. Sie hatten die VirusRNA aus dem Blut extrahiert, einen komplementären cDNA-Klon angefertigt und Virusantigen hergestellt und testeten das Blut von Patienten mit Non-A-non-BHepatitis auf Antikörper gegen das Virus-antigen. Mit Einführung der ersten Generation von HCV-Antikörper-Screening-Tests zwischen 1990 und 1992 und schrittweiser Verbesserung der Sensitivität und Spezifität sowie Methoden zum Genomnachweis ließ sich eine massive Reduktion transfusionsassoziierter HCVInfektionen erreichen. Man schätzt die Zahl der HCV-Infizierten auf weltweit ca. 170 Millionen Menschen.
HCV wird ähnlich wie HBV übertragen Als Erreger im Blut wird HCV durch Blut und Blutprodukte übertragen, aber auch durch kontaminierte Nadeln und Spritzbestecke von i.v. Dorgenabhängigen oder bei mehrfacher Verwendung von Nadeln zum Tätowieren (bzw. bei Piercing oder Akupunktur) von Kunden. Berichtet wurde auch über Infektionen im medizinischen Umfeld (kontaminierte Dialysegeräte, Instrumente oder Handschuhe). Obwohl die Infektion besser unter Kontrolle ist, seitdem Patienten regelmäßig auf HCV untersucht und Einmalsysteme zur Dialyse verwendet werden, kann es noch zur Infektion kommen. Darüber hinaus kann HCV auch bei invasiven Maßnahmen von HCV-Trägern auf Patienten übertragen werden, z.B. durch direkten Blutkontakt bei intraoperativen Nadelstichverletzungen oder während eines kardiothorakalen Eingriffs. Im Unterschied zu HBV wird HCV allerdings nur selten vertikal (von Müttern auf Kinder) oder sexuell übertragen. Es scheint noch andere Möglichkeiten zu geben, da der Übertragungsweg bei bis zu 40% der Infizierten unbekannt ist. Bisher wurden sechs Genotypen und mehrere Subtypen identifiziert. Die Genotypisierung des HCV ist prognostisch wichtig für das Ansprechen auf die Therapie; Typ 1 ist z.B. mit einem schlechten Ansprechen auf die Therapie assoziiert. Virale und Wirtsfaktoren beeinflussen den Krankheitsverlauf. Eine rasche Progression ist mit hoher HCV-Last im Blut, Genotyp und Heterogenität (Quasispezies) assoziiert. Ob das Virus aus dem Körper beseitigt werden kann, hängt von der Entwicklung und Persistenz einer starken HCV-spezifischen Immunreaktion der T-Helfer- und zytotoxischen T-Zellen ab. Eine Infektion mit einem bestimmten Genotyp schützt nicht vor erneuten Infektionen mit anderen Genotypen. Dass wiederholte Infektionen möglich sind, erschwert die Herstellung eines breit wirksamen Impfstoffs.
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Bei der Hälfte der Patienten entwickelt sich eine chronischaktive Hepatitis Die Inkubationszeit beträgt 2–4 Monate, im Mittel 7 Wochen. In der Regel kommt es zu einer subklinischen Infektion und in etwa 10% zu einem sehr milden Verlauf. Oft ist das HCV erst in der Erholungsphase nach der Akutkrankheit im Blut nachzuweisen, so dass Träger eine Infektionsquelle darstellen. In den USA haben scheinbar gesunde Menschen in bis zu 2% der Fälle HCV-Antikörper und folglich ca. 2,7 Millionen eine aktive Infektion. Bei rund der Hälfte der Patienten entwickelt sich eine chronischaktive Hepatitis; in 20% geht sie in eine Zirrhose über. Bei einer Zirrhose erhöht sich das Risiko für ein hepatozelluläres Karzinom auf jährlich 1–4%. Zur Diagnose einer HCV-Infektion werden serologische HCV-Antikörpertests, quantitative und qualitative HCV-RNA-Nachweismethoden und Genotypanalyse eingesetzt. Rund 70% der Patienten haben neben HCV-Antikörpern auch HCV-RNA im Blut. Da eine transfusionsassoziierte Hepatitis am häufigsten durch HCV bedingt ist, muss Spenderblut auf HCV-RNA oder HCV-Antikörper untersucht werden.
Die Behandlungsergebnisse mit Interferon-α und Ribavirin sind ermutigend Einen enormen Fortschritt in der Behandlung der HCV-Infektion brachte eine antivirale Kombinationstherapie aus Ribavirin und Interferon-α. Nachdem ursprünglich 40% auf eine IFNα-Monotherapie angesprochen hatten, lagen die dauerhaften Ansprechraten unter 20%. Erst mit der Kombination aus Ribavirin und pegyliertem IFNα, bei dem sich Halbwertszeit und Wirkdauer durch die Bindung von Polyethylenglykol (PEG) an Interferon verlängern, zeigten 40% der Patienten eine anhaltende Besserung. Ein Impfstoff steht bisher noch nicht zur Verfügung, doch die Forschungen gehen weiter.
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Hepatitis D Das HDV kann sich nur in HBV-infizierten Zellen vermehren Auslöser ist das Hepatitis-D-Virus (HDV oder Deltavirus). Es hat ein kleines, ringförmiges Einzelstrang-RNA-Genom und wird als defektes Virus bezeichnet, weil es sich nur erfolgreich vermehren kann, wenn Zellen bereits mit HBV infiziert sind (s. Anhang). Bei der Aussprossung (Budding) von Leberzellen erhält das HDV eine HBsAg-Hülle (Abb. 22.42). Mit dieser Hülle werden die 35–37 nm großen Viruspartikel infektiös und bleiben mit Leberzellen verbunden.
HDV wird ähnlich wie HBV und HCV übertragen Infiziertes Blut kann große Mengen HDV (bis 1010 Infektionsdosen/ml bei experimentell infizierten Schimpansen) enthalten. HDV wird wie andere Hepatitisviren parenteral übertragen. Das Krankheitsbild der kombinierten HBV/HDV-Infektion ist schwerer als das bei einer reinen Hepatitis-B-Infektion. Möglicherweise wird durch eine HDVSuperinfektion auch der Übergang zu einer chronischen HBV-assoziierten Lebererkrankung bei HBV-Trägern beschleunigt. In Großbritannien und den USA ist die Infektion selten, in den Mittelmeerländern sowie Teilen von Südamerika und Afrika jedoch recht häufig anzutreffen. Weltweit sind schätzungsweise 5% der HBV-Träger zusätzlich mit HDV infiziert. Die Diagnose wird durch serologischen Nachweis von Deltaantigen oder HDV-IgM bzw. -IgG gestellt. Auch HBsAg ist vorhanden. Einen spezifischen HDV-Impfstoff gibt es nicht, doch eine Hepatitis-B-Impfung schützt auch vor Hepatitis D.
Virushepatitiden (noch mehr Buchstaben des Alphabets?) Nach Entdeckung des HCV bleibt ein gewisser Prozentsatz von Hepatitiden übrig (wenn auch nur noch ein sehr kleiner), von denen man weiß, dass sie bei Bluttransfusionen übertragen werden, die aber erst noch einem bestimmten Virus zugeordnet werden müssen. Warten noch mehr humane Hepatitisviren auf ihre Entdeckung?
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Abb. 22.42 Struktur des Hepatitis-D-Virus im Serum.
22.5.4
Parasiteninfektionen der Leber
Protozoen befallen die Leber nur selten. Manche adulten Würmer halten sich in der Leber auf, während andere auf ihrem Weg zu anderen Zielen auch durch die Leber wandern.
Entzündliche Reaktionen auf die Eier von Schistosoma mansoni führen zu einer schweren Leberschädigung Am stärksten wird die Leber bei einer Infektion mit S. mansoni in Mitleidenschaft gezogen. Obwohl die Würmer auf ihrem Weg zu den Mesenterialgefäßen nur eine kurze Zeit in der Leber zubringen, können die Weibchen Eier ablegen, die in den hepatischen Kreislauf geschwemmt und in den Lebersinusoiden aus dem Blut gefiltert werden. Verantwortlich für die komplexen Veränderungen (Hepatomegalie, Fibrosierung, Varikose) ist hauptsächlich eine entzündliche Reaktion auf diese in der Leber stationierten Wurmeier (Abb. 22.43). Während die Schistosomiasis in tropischen und subtropischen Ländern sehr verbreitet ist, zeigen andere Parasiteninfektionen der Leber (z.B. Clonorchiasis, Faszioliasis, Hydatidose) ein geografisch eingeschränkteres Verteilungsmuster. Die in Asien vorkommenden Infektionen mit dem humanpathogenen Leberegel Clonorchis sinensis werden durch Fischkonsum (mit Metazerkarienstadien) erworben. Jugendliche im Dünndarm freigesetzte Egel bewegen sich im Gallengang aufwärts. Dabei heften sie sich ans Gangepithel, um sich von Zellen, Blut und Gewebeflüssigkeit zu ernähren. Bei schweren Infektionen kann die Entzündung so ausgeprägt sein, dass sie in Proliferation/Hyperplasie des Gallenepithels, Cholangitis, Gelbsucht und Lebervergrößerung mündet. Es könnte eine Verbindung zum Cholangiokarzinom bestehen, doch bei Menschen gibt es kaum stichhaltige Beweise. Auch tierpathogene Leberegel können sich im menschlichen Körper festsetzen. Dazu gehört neben Opisthorchis-Spezies (in Asien und Osteuropa) vor allem der große Leberegel Fasciola hepatica. Die Symptomatik ist im Allgemeinen ähnlich wie bei Clonorchis sinensis beschrieben. 648
Aus verschluckten Eiern des Hundebandwurms Echinococcus granulosus können sich im menschlichen Körper Larven entwickeln, die im Darm schlüpfen und sich zu anderen Stellen hinbewegen. In der Leber bilden sich häufig große Hydatidenzysten, die im Ultraschall als große Hohlräume (Kavernen) erkennbar sind. Außer einer Druckschädigung des Gewebes können nach einer Zystenruptur weitere kleinere Zysten entstehen und zu anaphylaktischen Reaktionen führen. Die Zysten müssen chirurgisch entfernt oder medikamentös mit Benzimidazol behandelt werden. Über Eier, die fleischfressende Wildtiere ausscheiden, kann eine Infektion mit Echinococcus multilocularis erworben werden. In dem Fall bildet sich in der Leber statt Zysten ein verzweigtes, karzinomartiges Geschwür, das nur mit Chemotherapie behandelbar ist. Weitere Parasiteninfektionen mit Leberbefall sind Malaria, Leishmaniasis, Askariasis und eine extraintestinale Amöbiasis, die Leberabszesse hervorruft.
Abb. 22.43 Nachdem sich unzählige Granulome um Wurmeier in der Leber gebildet haben, droht bei Schistosoma-mansoni -Befall am Ende eine Pfortaderzirrhose.
Ein ähnlicher Prozess läuft bei Infektionen mit Schistosoma haematobium in der Harnblasenwand ab. a) Wurmei von S. mansoni, 400 × vergr.; b) „Pfeifenhals“-Zirrhose infolge einschmelzender, kalzifizierter Granulome in der Leber; c) entzündliche (zelluläre) Reaktion um ein Wurmei in der Leber (E = Ei mit Mirazidium, G = Riesenzelle, H = Leberzelle); d) klinisches Bild einer Schistosomiasis mit massiver Hepatosplenomegalie und Aszites nach Pfortaderobstruktion. Mit freundlicher Genehmigung von R. Muller (a, b, c) und G. Webbe (d).
Leberabszesse 649
Ein Amöbenabszess der Leber enthält keinen Eiter E. histolytica kann sich aus dem Verdauungstrakt hinausbewegen und eine extraintestinale Erkrankung auslösen, unter anderem in der Leber (s. oben). Streng genommen trifft die Bezeichnung Amöbenabszess nicht zu, weil die Leberläsion aus nekrotischem Gewebe statt aus Eiter besteht. Echte Leberabszesse – d.h. eingekapselte Erregerherde mit toten oder absterbenden Leukozyten (Eiter) – enthalten häufig auch noch eine gemischte aerobe und anaerobe Bakterienflora (Abb. 22.44). Allerdings können die Herde bei einer E.-granulosus-Hydatidose sekundär mit Bakterien infiziert werden. Die Infektionsquelle kann sich in Nähe der Läsion oder anderswo befinden, lässt sich aber nur selten diagnostizieren. Um sowohl aerobe wie anaerobe Erreger abzudecken, sind zur Therapie Breitspektrumantibiotika erforderlich.
22.5.5
Gallenwegsinfektionen
Infektionen sind eine häufige Komplikation von Erkrankungen der Gallenwege Obwohl Infektionen keine primäre Ursache der meisten Gallenwegserkrankungen sind, stellen sie doch eine häufige Komplikation dar. Bei vielen Patienten mit einem Gallensteinleiden rufen bei einer Obstruktion der Gallenwege Keime der normalen Darmflora (wie Enterobakterien oder Anaerobier) infektiöse Komplikationen hervor. Eine lokale Infektion kann über eine Cholangitis zu Leberabszessen führen oder bei Einschwemmung der Erreger ins Blut in eine generalisierte Infektion übergehen (Sepsis bzw. Septikämie). Grundlage eines Therapieerfolges ist die Beseitigung der biliären Obstruktion. Gewöhnlich behandelt man die Infektion mit einem Breitspektrumantibiotikum, das gegen Anaerobier wie Aerobier wirksam ist.
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Abb. 22.44 Multiple pyogene Leberabszesse durch Pseudomonas aeruginosa.
(mit freundlicher Genehmigung von N. Holland)
22.5.6
Peritonitis und Sepsis
Obwohl die Peritonealhöhle normalerweise steril ist, schwebt sie in ständiger Gefahr, bei einer Darmperforation von Bakterien kontaminiert zu werden. Darmperforationen können traumatisch (Unfallereignis, chirurgischer Eingriff) oder infektiös bedingt sein. Der Ausgang einer peritonealen Kontamination hängt von der inokulierten Menge (1 ml Darminhalt enthält Millionen Keime) und der lokalen Abwehr ab, d.h. davon, inwieweit die Keime abgekapselt oder zerstört werden können.
Im Allgemeinen wird zwischen primärer (ohne offensichtliche Infektionsquelle) und sekundärer Peritonitis unterschieden (durchbrechende Appendizitis, Ulkus- oder Darmperforation) Eine Peritonitis beginnt meist als akuter Entzündungsprozess im Abdomen, bei dessen Fortschreiten sich intraabdominelle Abszesse bilden. Im Allgemeinen haben primäre und sekundäre Peritonitis sowie intraperitoneale Abszesse unterschiedliche Ursachen. Eine spontane bakterielle Peritonitis (SBP) ist am häufigsten mit einer Leberzirrhose assoziiert. Typische Auslöser einer SBP sind Gram-negative Darmbakterien, meist E. coli. An einer sekundären Peritonitis und intraabdominellen Abszessen sind oft gemischte Keime beteiligt, besonders Gramnegative Anaerobier wie Bacteroides fragilis. Auch Mycobacterium tuberculosis und Actinomyces können zu intraperitonealen Infektionen führen (Abb. 22.45). Ohne adäquate antibiotische Behandlung können die Infektionen tödlich verlaufen, und trotz geeigneter Antibiotikatherapie beträgt die Letalität noch 1–5%. Bis das Ergebnis der Erregerkultur vorliegt, erfolgt eine empirische Therapie der SBP z.B. mit einem 651
Aminopenicillin plus β-Laktamase-Inhibitor (s. Kap. 33). Bei sekundärer Peritonitis muss die Initialtherapie in erster Linie gegen Gram-negative Erreger und obligate Anaerobier wirksam sein (z.B. Carbapeneme). Gleichzeitig sollte alles unternommen werden, um die Ursache zu beseitigen.
Abb. 22.45 Tuberkulöse Peritonitis.
Ödematöse Darmschwellung mit multiplen Läsionen der Peritonealschicht (mit freundlicher Genehmigung von M. Goldman).
Zusammenfassung ■ Durchfallerkrankungen sind in den Entwicklungsländern eine Hauptursache von Morbidität und Mortalität. Ein breites Keimspektrum kann gastrointestinale Infektionen auslösen, mit Durchfällen als häufigstem Symptom. Diarrhoen können milde und selbstlimitierend bis schwer verlaufen, zu Dehydrierung und zum Tod führen. ■ Pathogene, die auf fäkal-oralem Weg in den Gastrointestinaltrakt gelangen, können durch Invasion der Darmwand eine systemische Erkrankung (z.B. Typhus) hervorrufen oder durch Toxine mit lokaler Wirkung eine auf den Darmtrakt beschränkte Schädigung (z.B. Cholera) auslösen. Entscheidend für die Stärke der Infektion sind aufgenommene Menge und Virulenz der Erreger. ■ Ohne Laboruntersuchungen ist eine mikrobiologische Diagnose kaum zu stellen, doch aus der Anamnese (nach Ernährung und Reisen fragen) ergeben sich oft nützliche Hinweise. ■ Die wichtigsten bakteriellen Auslöser von Diarrhoen sind E. coli, Salmonellen, Campylobacter, V. cholerae und Shigellen, seltener C. perfringens, B. cereus, V. parahaemolyticus und Y. enterocolitica. Zu einer Lebensmittelvergiftung im engeren Sinn (d.h. durch Bakterientoxine in der Nahrung) führen S. aureus und C. botulinum. ■ E. coli ist die wichtigste Durchfallursache in Entwicklungsländern und auch Auslöser der Reisediarrhoe. Die einzelnen Gruppen (ETEC, EHEC, EPEC und
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EIEC) unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Pathomechanismen; manche sind invasiv, andere bilden Toxine. ■ Salmonellen und Campylobacter kommen in höher entwickelten Ländern häufiger vor. Sie verfügen über große Tierreservoire und breiten sich über die Nahrungskette aus. Beide vermehren sich im Darm und führen durch lokal wirksame Toxine zur Erkrankung. ■ V. cholerae und Shigellen besitzen kein Tierreservoir, daher könnten Erkrankungen wie Cholera und Shigellosen potenziell ausgerottet werden. Eine Übertragung lässt sich durch Hygiene, sauberes Trinkwasser und geeignete Entsorgung der Fäkalien verhindern. Bei Cholera entfaltet das Cholera-Enterotoxin seine pathogene Wirkung auf die Darmmukosa. Shigellen verursachen dagegen durch Schleimhautinvasion Ulzerationen und blutige Diarrhoen, d.h. ähnliche Symptome wie bei Amöbenruhr/-dysenterie. ■ H. pylori ist mit Gastritis und Duodenalulzera verbunden. Nach Eradikation des Bakteriums (durch eine Kombinationstherapie mit Antibiotika und Protonenpumpenhemmer) klingen die Symptome ab und es kommt zur Abheilung der Ulzera. ■ Bei einem verschobenen Gleichgewicht der Normalflora (meist durch Antibiotikatherapie) können im Darm Keime überhand nehmen, die sonst nur in geringer Zahl vorhanden sind oder ganz fehlen (wie C. difficile). Dadurch wird eine antibiotikaassoziierte Diarrhoe hervorgerufen. ■ Virale Gastroenteritiden gehen in den Entwicklungsländern mit einer erschreckend hohen Morbidität und Mortalität einher (vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern). Ursache sind in erster Linie Rotaviren. Diese obligat humanpathogenen Erreger breiten sich auf fäkal-oralem Weg aus. Sie vermehren sich ausschließlich in gastrointestinalen Epithelzellen und zerstören sie dabei. Schon kleinste Mengen können eine Infektion auslösen. Nach ihrer Vermehrung im Darm werden enorme Mengen ausgeschieden und auf neue Wirte übertragen. ■ Durch Wasser oder Nahrung, die mit S. typhi oder S. paratyphi kontaminiert sind, kann es zu einer systemischen Infektion kommen (Typhus abdominalis oder „enterisches Fieber“). Nach Invasion der Darmschleimhaut werden die Erreger von Makrophagen aufgenommen, ohne Schaden zu nehmen. Über die Lymphe gelangen sie ins Blut und streuen hämatogen in verschiedene Organe (Multisystemerkrankung). Die richtige Diagnose hängt von der Erregerkultur ab. Zur Behandlung ist eine erregerspezifische Antibiotikatherapie nötig; die Impfung ermöglicht eine gezielte Prävention. ■ Eine Hepatitis ist meist viral verursacht (Virushepatitis). Hepatitis A und E werden auf fäkal-oralem Weg übertragen, die anderen (Hepatitis B, C, D) durch kontaminiertes Blut oder sexuell. Eine HBV- und eine HCV-Infektion gehen oft in eine chronische Hepatitis über. Ein hepatozelluläres Karzinom kann die Folge sein. ■ Obwohl im Darm viele Protozoen und Würmer leben, verursachen nur wenige schwere Diarrhoen. Wichtige Protozoen sind E. histolytica, G. lamblia und Cryptosporidium, die als infektiöse Stadien mit fäkal verunreinigtem Wasser oder
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Nahrung aufgenommen werden. Als wichtige Wurmparasiten werden Ascaris, Trichuris und Hakenwürmer auf kompliziertere Weise übertragen, da ihre Ei- oder Larvenstadien obligat eine bestimmte Entwicklungsphase außerhalb des menschlichen Wirts durchlaufen müssen. ■ Parasiteninfektionen mit Leberbefall werden in tropischen und subtropischen Ländern durch S. mansoni und in Asien durch den humanpathogenen Leberegel C. sinensis hervorgerufen. Parasiteninfektionen mit pathogenen Auswirkungen auf die Leber sind auch Malaria, Leishmaniasis, extraintestinale Amöbiasis, Hydatidose und Askariasis. ■ Gallenwegsinfektionen entstehen oft als Sekundärkomplikation nach einer Obstruktion. Wenn sich Mischinfektionen durch Keime der normalen Darmflora ausdehnen, können sie zu Leberabszessen oder Septikämie führen. ■ Nach Kontamination der (im Normalfall sterilen) Bauchhöhle mit Darmkeimen kann es zu Peritonitis und Sepsis kommen. Die Infektion manifestiert sich als akutes Abdomen und kann tödlich enden. Entscheidend ist eine Antibiotikatherapie, die sowohl gegen aerobe wie gegen anaerobe Keime wirksam ist.
FRAGEN Ein 24-jähriger Astrologe kommt zum Arzt, weil er sich in den letzten Wochen ständig müde und unwohl fühlt. Er war drogenabhängig und hatte sich den Stoff intravenös injiziert. Ihm sei eine Dunkelfärbung des Urins aufgefallen, er leide außerdem an Übelkeit, Appetitverlust und rechtsseitigen Abdominalbeschwerden. Ein Freund fand ihn „gelb“ aussehend. Bei der Inspektion fällt seine Tätowierung auf. Die Skleren sind gelb verfärbt. Palpatorisch erweist sich das Abdomen im rechten oberen Quadranten als tastempfindlich, die Leber ist vergrößert, hart und glatt. Einige Ergebnisse der Laboruntersuchung (einschließlich der Leberfunktionswerte): AST 1200 IU/l, ALT 1000 IU/l, ALP 100 IU/l, Bilirubin 60 mmol/l. 1 Wie lautet die Verdachtsdiagnose? Welche Virushepatitis muss in dieser Situation differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden? 2
Welche weiterführenden Untersuchungen würden Sie veranlassen?
3
Wie würden Sie den Patienten behandeln?
4
Welche Faktoren sind hinsichtlich der Infektionskontrolle zu beachten?
Ein 11 Monate altes Mädchen wird wegen zweitägigen Fiebers mit Erbrechen und reichlich wässrigen Durchfällen stationär in der Kinderabteilung aufgenommen. Die Geburt verlief normal (voll ausgetragen und Entbindung zum Termin). Von den beiden Geschwistern hatte eines bis vor vier Tagen eine leichte Durchfallerkrankung, die jetzt abgeklungen war.
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Bei der Untersuchung fühlt sich die Kleine sichtlich unwohl. Sie ist leicht dehydriert und hat Fieber (38°C). Das Abdomen ist weich zu tasten, auch sonst zeigen sich keine auffälligen Befunde. 1
Wie würden Sie das Mädchen akut behandeln?
2
Welche Viren sind die wahrscheinlichste Ursache der Diarrhoe?
3
Wie lässt sich eine Virusinfektion diagnostizieren?
4
Wie sieht der natürliche/spontane Verlauf der Infektion aus?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Blaser, M.J., Ravdin, J.I., Guerrant, R.L. et al.: Infections of the Gastrointestinal Tract. Lippincott Williams & Wilkins, Baltimore 1995. Doerr, H.W., Gerlich, W.H.: Medizinische Virologie. Grundlagen, Diagnostik und Therapie virologischer Krankheitsbilder Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York 2002. Farthing, M.J., Wakelin, D., Keusch, G.T.: Enteric Infection: Intestinal Helminths, Vol. 2. Chapman and Hall, London 1995. Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.). Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001. Lauer, G., Walker, B.D.: Hepatitis C virus infection. N Engl J Med 345 (2001) 41– 52. Mahoney, F.J.: Update on diagnosis, management and prevention of hepatitis B virus infection. Clin Microbiol Rev 12 (1999) 351–366. Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W. Diagnostik und Therapie der Parasitosen des Menschen. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New York 1995. Paradise, L.J., Friedman, H., Bendinelli, M.: Enteric Infections and Immunity. Kluwer Academic, Dordrecht 1996. Surawica, C.F., Owen, R.: Gastrointestinal and Hepatic Infections. WB Saunders, Philadelphia 1995.
655
23 Intrauterine und perinatale Infektionen 23.1
Infektionen in der Schwangerschaft 335
23.2
Konnatale Infektionen 336
23.2.1
Röteln 338
23.2.2
CMV-Infektion 339
23.2.3
Syphilis 340
23.2.4
Toxoplasmose 340
23.2.5
HIV-Infektion 340
23.2.6
Listeriose 340
23.3
Perinatale Infektionen (max. 3 Tage vor und 3 Tage nach der Geburt) 341
23.3.1
Auswirkungen auf Feten und Neugeborene 341
23.3.2
Auswirkungen auf die Mutter 342
23.3.3
Weitere Neugeboreneninfektionen 343
Zur Orientierung Die in der Schwangerschaft neu entstehenden Gewebe wie Fetus, Plazenta und die milchproduzierenden Brustdrüsen sind potentiell anfällig für Infektionen. Die Plazenta bildet eine sehr wirksame Schranke, die den Fetus vor den meisten frei zirkulierenden Erregern schützen kann, während die Fruchtblase ihn vor Keimen aus dem mütterlichen Genitaltrakt schützt. Deshalb kommt es bei einem vorzeitigen Blasensprung in der Spätschwangerschaft häufig zur fetalen Infektion. Bei Schwangeren können bestimmte Infektionen schwerer verlaufen (Malaria, Hepatitis) oder reaktiviert werden (HSV-, CMV-, Polyomavirusinfektion). Nach der Entbindung ist der Uterus mit seiner großen Wundfläche anfällig für Streptokokken und andere Erreger einer Puerperalsepsis. Diaplazentare Infektionen können den Fetus in hohem Maße gefährden. Selbst wenn er überlebt, können sich unter der Einwirkung bestimmter Pathogene (z.B. Röteln, CMV-, Toxoplasma gondii- und Treponema pallidum-Infektion) Fehlbildungen entwickeln. Aus dem Vaginalbereich aufsteigende Bakterien (z.B. Streptokokken der Gruppe B) können zu Neugeborenensepsis, -meningitis und zum Tod führen. Wenn der Geburtskanal mit Neisseria gonorrhoeae oder Chlamydia trachomatis infiziert ist, kann es durch Inokulation der Augen zu einer Neugeborenenkonjunktivitis kommen. Eine genitale Herpes-simplex-Virus-Infektion der Mutter kann eine schwere Erkrankung des Neugeborenen verursachen. Abort, Frühgeburt oder niedriges Geburtsgewicht können durch eine mütterliche HIVInfektion bedingt sein. Bis zu 40% der Neugeborenen HIV-positiver Mütter sind in Entwicklungsländern oder bei nicht diagnostizierter Infektion der Mutter infiziert; ein Drittel stecken sich bereits in utero und zwei Drittel perinatal an (über mütterliches Blut 656
oder Muttermilch). Mit mütterlichem Blut können auch Hepatitis B und C übertragen werden, während Muttermilch u.a. eine Infektionsquelle für T-Zell-Leukämieviren (HTLV-1 und -2) darstellt. Im Folgenden werden Infektionen besprochen, die während Schwangerschaft und Geburt auftreten, unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf Mutter, Fötus und Neugeborenes.
23.1
Infektionen in der Schwangerschaft
Durch die immunologischen und hormonellen Veränderungen in der Schwangerschaft können bestimmte Infektionen schwerer verlaufen oder reaktiviert werden Man könnte den Fetus als ein immunologisch inkompatibles Transplantat betrachten, das von der Mutter nicht abgestoßen werden soll. Verhindert wird seine Abstoßung durch ■ das Fehlen oder eine geringe Dichte von MHC-Antigenen auf den Plazentazellen, ■
mit blockierenden Antikörpern bedeckte Antigene,
■
eine leichte Schwäche der mütterlichen Immunreaktionen.
Eine schwere oder generalisierte Immunsuppression der Mutter wäre unerwünscht, weil sie die Infektionsanfälligkeit in fataler Weise steigern würde. Bekannt ist, dass bestimmte Infektionen in der Schwangerschaft schwerer verlaufen (Tab. 23.1) und dass latent persistierende Infektionen reaktiviert werden können (Tab. 23.2). Auch die hormonellen Veränderungen im Laufe der Schwangerschaft tragen zur verstärkten Anfälligkeit bei. Komplizierend kommt unter Umständen eine Mangelernährung hinzu; sie kann die Immunabwehr schwächen, die metabolischen Reserven verringern und die Intaktheit der Epithelflächen schädigen.
657
Schwache Immunabwehr des Fetus Feten sind außerordentlich infektionsanfällig, weil ■ erst in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft größere Mengen von IgM- und IgA-Antikörpern gebildet werden, ■
keine IgG-Antikörper-Synthese stattfindet,
■ nicht genügend Zytokine produziert werden, da die zellvermittelten Immunreaktionen kaum entwickelt sind oder fehlen.
Tab. 23.1 Einfluss der Schwangerschaft auf die Schwere von Infektionskrankheiten. Wäre der Fetus zu einer starken Immunreaktion auf mütterliche Antigene imstande, könnte das eine unerwünschte Abstoßungsreaktion (graft-versus-host reaction) auslösen. Die meisten Erreger wirken fruchtschädigend, es kommt zum Spontanabort oder zu einer Totgeburt. Unser Interesse richtet sich hier aber auf die wenigen Erreger, die eine subtilere, nichtletale Wirkung entfalten können. Sie überwinden die Plazentaschranke, indem sie erst die Plazenta und dann den Fetus infizieren. Das kann die fetale Entwicklung stören oder zur Schädigung bei lebend geborenen Kindern führen.
658
23.2
Konnatale Infektionen
Fruchttod oder Fehlbildungen können Folge einer intrauterinen Infektion sein Bestimmte Erreger, die bei einer Primärinfektion in der Schwangerschaft ins Blut gelangen, können die Plazenta infizieren und auf den Fetus übergreifen. Manchmal stirbt der Fetus an der Infektion und es kommt zum Abort. Doch wenn die Infektion weniger schwer ist (z.B. weil ein Virus nicht zytopathisch wirkt) oder durch mütterliche IgG-Antikörper z.T. unterdrückt wird, kann der Fetus überleben. Möglicherweise kommt er dann mit einer konnatalen Infektion zur Welt, weist Fehlbildungen oder andere pathologische Veränderungen auf. Es sind im Allgemeinen kleine Säuglinge, die nicht richtig gedeihen.
Tab. 23.2 Reaktivierung latent persistierender Infektionen während der Schwangerschaft. Obwohl spezifische Antikörper gebildet werden, kann das Kind z.B. bei einer CMVInfektion (Zytomegalie) längere Zeit infiziert bleiben, weil keine wirksame, virusspezifische zellvermittelte Immunreaktion zustande kommt. Daher kann sich die Schädigung auch nach der Geburt noch fortsetzen. Diese Infektionen verlaufen oft so symptomarm, dass sie von der Mutter nicht bemerkt werden. Wichtige Auslöser fetaler Infektionen sind in Tab. 23.3 genannt. Fehlbildungen (fetale Malformationen) können Viren bewirken, die ähnliche Wirkungen wie teratogene Medikamente oder Strahlen aufweisen (Tab. 23.4). Da Feten auf verschiedene Erreger immer gleich (z.B. mit Hepatosplenomegalie, Enzephalitis, Augenfehlern, niedrigem Geburtsgewicht) reagieren, lässt sich die genaue Diagnose nur selten anhand der klinischen Zeichen stellen. Infektionen wie Herpes (HSV), Röteln, Zytomegalie (CMV) oder Syphilis können gelegentlich tödlich für den Fetus sein. In der Regel handelt es sich um eine Primärinfektion der Schwangeren, so dass ihre Inzidenz vom Anteil nichtimmuner Frauen im gebärfähigen Alter bestimmt wird. Weltweit wird in unterschiedlichem Umfang ein routine-mäßiges Screening von Schwangeren auf Röteln- und Treponemenantikörper (da Syphilis, Frambösie, Pinta oder Bejel serologisch nicht unterscheidbar sind), Hepatitis-B-Surface-Antigen (HBsAg) und HIV-Antikörper durchgeführt. Diese Tests helfen, Frauen zu identifizieren, die mit
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HBV oder HIV infiziert sind, eine Treponemeninfektion oder Kontakt zu Infizierten hatten (wobei Syphilis am wichtigsten ist) oder die nicht gegen Röteln immun sind. Aus Routine-Screeningprogrammen ergeben sich Folgen für den klinischen Umgang mit Mutter und Kind. Wird bei der Schwangeren z.B. eine HIV-Infektion diagnostiziert, versucht man, eine vertikale Übertragung zu verhindern. Neben der antiretroviralen Therapie für die Mutter (und direkt nach der Geburt für das Kind) dienen eine Empfehlung zur Schnittentbindung und zum Verzicht auf das Stillen dazu. In Nachuntersuchungen mit empfindlichen Tests wird über wenigstens 12 Monate verfolgt, ob sich das Kind wirklich nicht infiziert hat. Nach Diagnose einer chronischen HBV-Infektion wird die Infektiosität der Schwangeren bestimmt, weil davon abhängt, ob das Kind bald nach der Geburt nur mit Hepatitis-B-Vakzine oder zusätzlich mit einem HBV-spezifischen Immunglobulin (bei hochinfektiöser Mutter) geimpft werden muss. Bei chronischer Hepatitis B kann der Mutter auch eine antivirale Therapie mit Langzeitüberwachung angeboten werden.
Tab. 23.3 Intrauterine Infektionen, die Mütter auf ihre Feten übertragen. * gilt für ressourcenarme Länder ohne medizinische Intervention (keine antiretroviralen Medikamente, keine Schnittentbindung, kein Verzicht aufs Stillen) ** auch während und unmittelbar nach der Geburt Infektion möglich 660
1
Schutz des Neugeborenen mit Hepatitis-B-Impfstoff und spezifischem Immunglobulin
Frauen, die noch nicht gegen Röteln immun sind, sollten direkt nach der Geburt des Kindes eine Schutzimpfung erhalten. Wenn Schwangere mit Treponemen Kontakt hatten, empfiehlt sich eine Antibiotikatherapie; ihre Kinder müssen im ersten Lebensjahr engmaschig (serologisch) auf eine aktive Infektion kontrolliert werden. Eine konnatale Syphilis kann Folge einer unbehandelten Infektion der Mutter sein. CMV-Infektionen werden beim pränatalen Routine-Screening nicht erfasst. Sie können in der Schwangerschaft reaktiviert werden und zur Infektion des Fetus führen. Da mütterliche Antikörper die Infektion teilweise in Schach halten, sind die Neugeborenen im Allgemeinen jedoch nicht betroffen. Nur bei einem kleinen Prozentsatz entwickeln sich im Laufe der ersten Jahre Symptome. Durch eine schwache Immunabwehr der Mutter, hohe Erregerkonzentrationen im mütterlichen Blut (wie bei primärer oder sekundärer Syphilis, e-Antigen-positiven HBV-Trägerinnen, HIV-positiven Frauen) oder in der Frühphase einer primären CMVInfektion erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer fetalen Infektion.
Tab. 23.4 Teratogene Viren haben viele Gemeinsamkeiten mit anderen Teratogenen.
Abb. 23.1 Organbeteiligung und pathologische Folgen konnataler Röteln.
661
Ob Virusinfektionen wie Mumps, Grippe oder Poliomyelitis eine Fetopathie verursachen können, ist nicht hinreichend belegt. Doch eine Parvovirusinfektion (s. Kap. 26) führt gelegentlich zur Schädigung des Fetus bzw. in der Frühschwangerschaft in 5–10% zum Fruchttod. Da das Virus Vorstufen der roten Blutstammzellen infiziert, entwickelt sich bei den betroffenen Feten ein Hydrops fetalis (d.h. eine hochgradige Anämie mit Blässe, Aszites und Hepatosplenomegalie). Zur Behandlung wird eine intrauterine Blutaustauschtransfusion durchgeführt.
23.2.1
Röteln
Besonders im ersten Schwangerschaftsdrittel ist der Fetus durch eine mütterliche Rötelnvirusinfektion gefährdet In dieser Zeit bilden sich Herz, Gehirn, Augen und Ohren aus; daher führt die Infektion zu Entwicklungsstörungen dieser Organe. Überlebende Feten weisen bestimmte Fehlbildungen und andere Schädigungen auf (Abb. 23.1). Doch es sind nicht alle Feten betroffen. In einer Studie hatten nach einer mütterlichen Rötelnvirusinfektion im ersten Schwangerschaftsmonat (SSM) 15,3% der Kinder konnatale Defekte, nach einer Infektion im 2. SSM 24,6%, im 3. SSM 17,5% und im 4. SSM 6,5%. Dass der Anteil geschädigter Kinder nach einer Rötelninfektion im 1. SSM relativ niedrig ist, liegt daran, dass sie meist zum Fruchttod führt.
Auswirkungen auf Augen, Herz, Gehirn und Ohren Klinisch manifestieren sich konnatale Röteln in einem niedrigen Geburtsgewicht, als Herz- und Augenschäden (Abb. 23.2). Erst später machen sich in Form von geistiger Retardierung und Taubheit Veränderungen an Gehirn und Ohren bemerkbar. Am Ende können bis zu 80% der infizierten Kinder schwerhörig sein. Auch wenn sich bei rund 25% der Kinder (infolge der Virusreplikation im Pankreas) ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus entwickelt, sind Röteln nur eine sehr seltene Diabetesursache. 662
Zeigen sich schon bei der Geburt Symptome der Infektion, beträgt die Säuglingssterblichkeit 15% (meist durch Hypogammaglobulinämie).
663
Abb. 23.2
Katarakt als Zeichen konnataler Röteln.
(mit freundlicher Genehmigung von R.J. Marsh und S. Ford)
Im Nabelschnurblut und Blut der Neugeborenen sind fetale Röteln-IgM-Antikörper nachweisbar Infizierte Feten bilden eigene Antikörper gegen das Rötelnvirus. Diese IgMMoleküle lassen sich im Nabelschnurblut und im Blut der Neugeborenen nachweisen. Daneben sind auch mütterliche IgG-Antikörper vorhanden, die zusammen mit Interferonen helfen, die fetale Infektion einzudämmen. Da das Rötelnvirus aus Rachen oder Urin der Neugeborenen isoliert werden kann und Säuglinge es noch monatelang ausscheiden, können sich nichtimmune Menschen bei ihnen anstecken.
Konnatale Röteln sind durch eine Impfung komplett zu verhindern Meist wird der attenuierte Lebendimpfstoff als kombinierte MMR (Masern, Mumps, Röteln)-Impfung in der Kindheit verabreicht (s. Kap. 34). Da Schwangerschaft eine Kontraindikation darstellt, ist die Phase direkt nach der Geburt des Kindes die sicherste Zeit, um Frauen im gebärfähigen Alter zu impfen. Röteln sind ein interessantes Beispiel dafür, dass Infektionen trotz ihres subklinischen oder milden Verlaufs bei der Mutter eine Impfung zum Schutz des irgendwann in der Zukunft werdenden Lebens/Fetus erfordern können. Als noch keine wirksamen Impfstoffe zur Verfügung standen (bis Ende der 60er Jahre), waren Röteln eine der Hauptursachen für angeborene Herzfehler, Taubheit, Blindheit und geistige Retardierung. Das Rötelnvirus ist nicht ausgerottet, sondern breitet sich weiter in der Bevölkerung aus; daher kann es in Ländern mit niedrigen Impfraten auch weiterhin Fetopathien verursachen.
23.2.2
CMV-Infektion 664
Mütter mit schwacher Immunreaktion (T-ZellProliferation) auf CMV-Antigene stecken mit größerer Wahrscheinlichkeit ihre Feten an Bei einer Primärinfektion der Schwangeren infizieren sich etwa 40% der Feten mit CMV, und 5% weisen zum Zeitpunkt der Geburt Symptome auf. Es ist nicht bekannt, ob die Anfälligkeit in bestimmten Phasen der fetalen Entwicklung besonders hoch ist. Auch infolge der schwangerschaftsbedingten Reaktivierung einer früher durchgemachten CMV-Infektion kann sich der Fetus infizieren, doch in dem Fall kommt es zu keiner Schädigung. In den USA sind 1–2% der Neugeborenen mit CMV infiziert, bei jedem Zehnten zeigen sich Symptome (bis zu 1 Million Infektionsdosen/ml Urin). Vermutlich wird die Inzidenz konnataler CMV-Infektionen weltweit zu niedrig eingeschätzt.
Geschichte der Mikrobiologie Röteln und der Fetus Dr. Norman McAllister Gregg (1892–1966) war Augenchirurg am Royal Alexandra Hospital für Kinder in Sydney, als ihm während des Zweiten Weltkriegs bei Säuglingen eine – wie er es nannte – „Epidemie“ konnataler Katarakte auffiel. Sein Scharfsinn führte ihn bei weiteren Untersuchungen zu der Entdeckung, dass deren Mütter in der Frühschwangerschaft an Röteln erkrankt waren. Bei 68 der 78 kindlichen Kataraktpatienten war anamnestisch eine Rötelninfektion der Mutter in der Frühschwangerschaft bekannt. Viele hatten Herzfehler und waren klein, zwei Drittel hatten eine Mikrophthalmie. Als McAllister Gregg seine Ergebnisse 1941 veröffentlichte, lieferte er den ersten eindeutigen Nachweis, dass angeborene Fehlbildungen durch einen Umweltfaktor beeinflusst sein konnten. Ein auffälliges Merkmal der Infektion war, dass die Mütter keine oder nur leichte Symptome zeigten, während es bei den Feten zu furchtbaren Fehlbildungen kam. Wir wissen heute, dass andere Viren (vor allem CMV), aber auch chemische Stoffe wie Thalidomid oder ein Folsäuremangel dieselbe Wirkung haben können. Bei späteren Studien stellte sich heraus, dass eine Rötelnembryopathie auch zu Taubheit und Hirnschäden bei den infizierten Kindern führen kann. Follow-upUntersuchungen bis 1991, als die überlebenden Kinder 50 Jahre alt wurden, ergaben, dass noch weitere Abweichungen hinzugekommen waren, darunter Diabetes ab dem 25.Lebensjahr und bestimmte Gefäßanomalien. Erst 1962 konnte das Rötelnvirus isoliert und in Zellkulturen angezüchtet werden. Eine Rötelnepidemie in den USA ließ 1964/65 ca. 20000 Säuglinge mit einem konnatalen Rötelnsyndrom zurück. Seit Ende der 60er Jahre steht eine wirksame Lebendvakzine zur Verfügung; seitdem sieht man konnatale Röteln nur noch bei unzureichendem Impfschutz. Besonders im ersten Drittel der Schwangerschaft ist der Embryo/Fetus durch Röteln gefährdet. In dieser kritischen Phase der Embryonalentwicklung entstehen wichtige Organe wie Herz, Ohren, Augen und Gehirn. Zwar schädigt das Virus nicht die Zellen, in denen es wächst, verhindert aber ihre Kernteilung (Mitose). Neben
665
Fehlbildungen dieser wichtigen Organe durch Störung der programmierten Zellteilung spielt auch eine Vaskulitis eine Rolle. Obwohl Schäden vom Fetus oft gut repariert werden können, lässt sich die frühembryonale Entwicklungshemmung vitaler Organe in späteren Stadien nicht mehr kompensieren. Aus der antimitotischen Wirkung des Rötelnvirus erklärt sich auch die verringerte Gesamtzahl der Körperzellen; daher sind konnatal mit Röteln infizierte Neugeborene kleiner. In infizierten Organen wie Augenlinsen und Gehirn kann sich das Rötelnvirus über ein Jahr lang halten, bis es durch Einsetzen entsprechender zellvermittelter Immunreaktionen beseitigt wird. Klinische Zeichen einer konnatalen CMV-Infektion sind geistige Retardierung, Spastik, Augenfehler, Hörschäden, Hepatosplenomegalie, thrombozytopenische Purpura und Anämie (Abb. 23.3). Taubheit und geistige Retardierung machen sich meist erst später in der Kindheit bemerkbar. Die Diagnose wird serologisch durch den Nachweis CMV-spezifischer IgMAntikörper im Blut des Neugeborenen (bis zu drei Wochen nach der Entbindung) gestellt. Zuverlässiger ist die Isolierung des Virus aus Rachenabstrichen oder Urin; allerdings sind dazu spezialisierte Zelllinien erforderlich. Molekularbiologische Nachweismethoden des Virusgenoms sind ebenfalls geeignet. Nach ersten Studien scheinen die in Entwicklung befindlichen attenuierten Lebendimpfstoffe mit AD169- und Towne-Stämmen eine vertikale Infektion zu verhindern (wenn Frauen vor dem Eintreten der Schwangerschaft geimpft wurden, übertrugen sie das Virus nicht auf ihr Kind).
23.2.3
Syphilis
Infolge des serologischen Routine-Screenings auf Syphilis in Entbindungskliniken und der Penicillinbehandlung (s. Kap. 21) ist eine konnatale Syphilis inzwischen selten geworden und kommt nur in den Entwicklungsländern noch häufiger vor. Klinische Zeichen bei infizierten Neugeborenen sind Rhinitis (Schnupfen), Haut- und Schleimhautläsionen, Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie sowie Knochen-, Knorpel- (Sattelnase) und Zahnveränderungen. Obwohl die Frühzeichen einer Syphilis oft durch die Schwangerschaft maskiert werden, lässt sich eine Treponemeninfektion der Mutter serologisch feststellen, außerdem sind im Fetalblut Treponemen-IgMAntikörper nachweisbar. Wird die Mutter bis zum 4. Schwangerschaftsmonat behandelt, lässt sich eine fetale Infektion verhindern.
23.2.4
Toxoplasmose
Eine akute asymptomatische Infektion mit Toxoplasma gondii der Schwangeren kann zu Fehlbildungen beim Fetus führen Rund 35% der gesunden Erwachsenen haben serologisch nachweisbar eine Toxoplasma-gondii-Infektion durchgemacht. Bei Neugeborenen äußert sich eine Toxoplasmose mit klinischen Zeichen wie Krämpfen (Konvulsionen), Mikrozephalie, 666
Chorioretinitis, Hepatosplenomegalie und Gelbsucht; später können Hydrozephalus, geistige Retardierung und Sehfehler (s. Kap. 25) hinzukommen. Oft sind bei der Geburt noch keine auffälligen Veränderungen erkennbar, doch innerhalb weniger Jahre entwickeln sich Symptome wie die Chorioretinitis (Abb. 25.5).
Abb. 23.3 Neugeborenes mit Mikrozephalie, schwerer psychomotorischer Retardierung und Hepatosplenomegalie aufgrund einer CMVInfektion.
(Mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar) Die Inzidenz fetaler Schäden (Abort, Totgeburt, Erkrankung des Neugeborenen) hängt vom Zeitpunkt der Infektion ab und erhöht sich von 14% bei mütterlicher Infektion im ersten Schwangerschaftsdrittel auf 59% bei Infektion im letzten Trimenon. Spezifische IgM-Antikörper gegen Toxoplasmen lassen sich im Nabelschnurblut nachweisen. Die Schwangeren oder infizierte Neugeborene werden mit Spiramycin (vorsichtig dosieren, um Toxizität zu vermeiden!) oder einem Sulfonamid, Pyrimethamin und Folinsäure behandelt. Einen Impfstoff gibt es nicht. Zur Prävention muss daher eine Primärinfektion durch Zysten (aus Katzenkot oder Verzehr von unzureichend gegartem Fleisch) in der Schwangerschaft vermieden werden.
23.2.5
HIV-Infektion
In ressourcenarmen Ländern ist rund ein Viertel der Neugeborenen HIV-positiver Mütter infiziert; ein Drittel infiziert sich intrauterin, der Rest unter der Geburt Klinisch manifestiert sich eine konnatale HIV-Infektion in mangelnder Gewichtszunahme, erhöhter Neigung zur Sepsis, verzögerter Entwicklung, lymphozytärer Pneumonie, Mundsoor, vergrößerten Lymphknoten, Hepatosplenomegalie, Diarrhoe und Pneumonie. Manchmal entwickelt sich im ersten Lebensjahr eine Enzephalopathie oder das Vollbild von AIDS. 667
Da die Ansteckung meist erst in der Spätschwangerschaft oder unter der Geburt erfolgt, lassen sich die Infektionsraten reduzieren, wenn die Viruslast durch eine antiretrovirale Therapie im letzten Drittel der Schwangerschaft (oder während der Entbindung) verringert, eine elektive Schnittentbindung durchgeführt und auf das Stillen verzichtet wird. IgG-Antikörper im Blut der Neugeborenen können von der Mutter stammen und sind oft ein Jahr lang nachweisbar. Die Labordiagnose stützt sich daher auf den Nachweis proviraler HIV-1-DNA oder HIV-1-RNA mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR), allerdings können diese Tests erst Monate nach der Geburt positiv ausfallen; zusätzlich wird der Nachweis von p24-Antigen und HIV-Antikörpern geführt.
23.2.6
Listeriose
Ein Kontakt der Mutter mit listerieninfizierten Tieren oder Nahrungsmitteln kann zum Fruchttod oder zu Fehlbildungen führen Listeria monocytogenes ist ein bewegliches, betahämolysierendes Stäbchenbakterium. Die kleinen Gram-positiven Erreger finden sich weltweit und nutzen eine Vielzahl von Tieren (Rinder, Schweine, Nagetiere und Vögel) als Reservoir. Sie kommen auch in Pflanzen und im Boden vor. Listerien lassen sich bei normalen Kühlschranktemperaturen von 3–4°C anzüchten und können durch ■
Kontakt mit infizierten Tieren oder Kot,
■ Konsum von (unpasteurisierter) Rohmilch oder Weichkäse bzw. kontaminiertem Gemüse auf Menschen übertragen werden. In den USA werden jährlich ca. 1700 neue Listeriosefälle gemeldet, und bei rund einem Drittel handelt es sich um Neugeborene bzw. Säuglinge. Eine Übertragung auf fäkalem Weg kommt nur selten vor und betrifft meist die Kontaktpersonen von Infizierten. L. monocytogenes kann bei Schwangeren eine leichte, grippeartige Erkrankung auslösen oder gar keine Symptome verursachen. Doch die Bakteriämie führt erst zur Infektion der Plazenta und dann zur Infektion des Fetus. Mögliche Folgen sind Abort oder Frühgeburt, eine Neugeborenensepsis oder -pneumonie mit Abszedierung oder Granulombildung. Das Neugeborene kann sich auch unmittelbar nach der Geburt bei anderen Kindern oder dem Personal der Säuglingsstation anstecken; in dem Fall kommt es zu einem meningitischen Krankheitsbild. L. monocytogenes lässt sich aus Blutkulturen, Liquor cerebrospinalis oder Hautläsionen des Neugeborenen isolieren. Behandelt wird mit Ampicillin – unter Umständen kombiniert mit Gentamicin, um eine stärkere antibakterielle Wirkung zu erzielen. Ein Impfstoff ist nicht verfügbar. Schwangere sollten möglichst den Kontakt mit infiziertem Material vermeiden, doch im Allgemeinen lässt sich die Infektionsquelle nicht sicher feststellen.
668
23.3 Perinatale Infektionen (max. 3 Tage vor und 3 Tage nach der Geburt) 23.3.1
Auswirkungen auf Feten und Neugeborene
Die Infektionswege bei Feten und Neugeborenen sind in Abb. 23.4 gezeigt. Wenn sich die Mutter erst in der Spätschwangerschaft infiziert, sind Virusinfektionen (wie Röteln, CMV) im Allgemeinen weniger schädlich für das Kind. Bis zur 20. SSW (Schwangerschaftswoche) kann eine Primärinfektion mit dem Varicella-Zoster-Virus (VZV) zu Gliedmaßendeformitäten und anderen schweren Schäden des Neugeborenen führen. In dem Zusammenhang wird viel zu selten eine HSV-Infektion diagnostiziert, die erheblich zur neonatalen Morbidität und Mortalität beitragen kann. In der Spätschwangerschaft sind bakterielle Infektionen mit Ursprung in der Vagina und im Dammbereich wichtiger als Virusinfektionen, vor allem wenn sie ein oder zwei Tage nach dem (vorzeitigen) Blasensprung auftreten. Sie können zu Chorioamnionitis, mütterlichem Fieber, Frühoder Totgeburt führen. Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht (unter 1500 g) sind meist stärker von bakteriellen Infektionen betroffen. Beteiligt sein können: ■ betahämolysierende Streptokokken der Gruppe B, die bei 10–30% der Schwangeren Rektum oder Vagina besiedeln, ■
Escherichia coli,
■
Klebsiellen,
■
Proteus,
■
Bacteroides,
■
Staphylokokken und
■
Mycoplasma hominis.
Werden die Infektionen erst kurz nach der Geburt erworben, bricht die Erkrankung später aus.
669
Abb. 23.4 Infektionswege bei Feten und Neugeborenen.
670
CMV = Zytomegalievirus, HIV = human immunodeficiency virus, HTLV = human Tcell lymphotropic virus
Eine Neugeborenensepsis geht oft in eine Meningitis über Unbehandelt verläuft eine Meningitis (Tab. 24.6) oft tödlich. Klinisch lässt sie sich nur schwer diagnostizieren, weil die Neugeborenen meist nur unspezifische Symptome wie Atemschwierigkeiten, Gedeihstörungen, Trinkschwäche, Durchfall und Erbrechen zeigen. Dabei ist die frühzeitige Diagnose lebenswichtig und eine Notfallbehandlung erforderlich! Nach der Gewinnung von Liquor- (Gram-Färbung und Kultur) und Blutproben sollte man sofort mit einer empirischen Antibiotikatherapie beginnen.
Eine Infektion ist unter der Geburt oder beim Stillen möglich Bei der Entbindung kann sich das Kind durch einen direkten Erregerkontakt im Geburtskanal infizieren (Tab. 23.5). Aus den Hautläsionen des Herpes simplex kann sich z.B. eine Woche nach der Geburt eine generalisierte Infektion mit starker ZNSBeteiligung entwickeln. Fast 80% der Mütter mit einer primären HSV-Infektion (aber nur 10% mit Herpesrezidiven) haben zervikale Läsionen, und rund ein Drittel der Neugeborenen infiziert sich darüber. Gonokokken (Abb. 23.5), Chlamydien oder Staphylokokken (s. Kap. 25) können eine Augeninfektion (Ophthalmia neonatorum) hervorrufen. Zum Zeitpunkt der Geburt erfolgt auch eine Infektion mit Streptokokken der Gruppe B. In Ländern mit hohen Trägerraten ist das mütterliche Blut eine Hauptquelle für eine HBV-Infektion während oder unmittelbar nach der Geburt. Mehr als 90% der Neugeborenen von Müttern mit Hepatitis-B-Trägerstatus infizieren sich und werden ebenfalls zu Trägern. Das lässt sich durch Verabreichung des Hepatitis-B-Impfstoffes und des spezifischen Immunglobulins an Neugeborene verhindern. Hepatitis C wird im Allgemeinen nicht auf diesem Weg übertragen; daher infizieren sich weniger als 5% der Kinder von Müttern mit Trägerstatus. In der Muttermilch können Rötelnvirus, CMV, HTLV (human T-cell lymphotropic virus) und HIV enthalten sein. Doch ihre Titer sind im Allgemeinen so niedrig, dass Muttermilch außer bei HTLV und HIV nicht als relevante Infektionsquelle angesehen wird. Allerdings kann es sinnvoll sein, Muttermilch (wie Kuhmilch) in Humanmilchbänken zu pasteurisieren.
671
23.3.2
Auswirkungen auf die Mutter
Eine Puerperalsepsis lässt sich durch aseptische Kautelen verhindern Nach der Geburt (oder einem Abort) ist das geschädigte Uterusgewebe mit seiner großen Wundfläche sehr anfällig für Infektionen. Im 19.Jahrhundert war die Puerperalsepsis („Kindbettfieber“) in Europa eine Hauptursache für den Tod der Mütter im Wochenbett. Oliver Wendell Holmes machte sich 1843 sehr unbeliebt mit seiner Behauptung, es würde von den Händen der Ärzte übertragen. Vier Jahre später konnte Ignaz Semmelweis in Wien zeigen, dass sich das Kindbettfieber vermeiden ließ, wenn Ärzte und Hebammen ihre Hände wuschen, bevor sie Frauen bei der Entbindung halfen, und wenn sie aseptische Techniken anwandten. Denn
Tab. 23.5 Bei der Passage durch den infizierten Geburtskanal erworbene Infektionen. * durch Kaiserschnitt vermeidbar, doch eine Genitalinfektion der Mutter ist oft schwierig festzustellen; Säuglinge prophylaktisch mit Aciclovir behandeln ** bis zu 30% der Frauen tragen diese Bakterien in Vagina oder Rektum
672
Abb. 23.5 Gonokokkenkonjunktivitis (Ophthalmia neonatorum) mit ersten Symptomen am 2. bis 5. Tag nach der Geburt.
Entzündung und Ödem sind meist stärker ausgeprägt als bei einer Chlamydieninfektion (mit freundlicher Genehmigung von J.S. Bingham). ■ mit betahämolysierende Streptokokken der Gruppe A stammten die wichtigsten Erreger aus dem Nasenrachenraum oder von der Haut der Geburtshelfer; ■ als Erreger kamen unter anderem auch Anaerobier aus der Darmflora der Mutter wie Clostridium perfringens, Bacteroides, E. coli und Streptokokken der Gruppe B infrage. Bis in die 30er Jahre des 20.Jahrhunderts war die Puerperalsepsis mit einer Sterblichkeit von bis zu 10% belastet, ist aber in höher entwickelten Ländern ähnlich selten geworden wie ein septischer Abort. Prädisponierend wirken neben einem vorzeitigen Blasensprung der Einsatz von Instrumenten und verbleibende Reste von Fruchtblase oder Plazenta im Uterus. Zur Abklärung sollten bei postnatalem Fieber (Pyrexie) und übel riechendem Ausfluss hoch in der Vagina Abstriche entnommen und Blutkulturen angelegt werden.
23.3.3
Weitere Neugeboreneninfektionen
Zu den Infektionserregern, die eher ein oder zwei Wochen nach der Geburt als unmittelbar bei der Entbindung übertragen werden, gehören: ■ betahämolysierende Streptokokken der Gruppe B und gramnegative Bakterien (s. oben); die nach einer Kreuzinfektion auf der Säuglingsstation eine schwere Infektion mit Meningitis (s. Kap. 24) auslösen können; ■ Herpes-simplex-Virus, das bei der Pflege des Neugeborenen z.B. aus offenen oder geschlossenen Herpesbläschen von Erwachsenen übertragen werden kann;
673
■ Staphylokokken, die über Nasensekrete oder die Finger erwachsener Träger ins Auge des Neugeborenen eingebracht werden. Sie können eine Staphylokokkenkonjunktivitis oder „Augenverklebung“ (s. Kap. 25) und eine Hautsepsis verursachen; manchmal kommt es durch ein spezifisches epidermolytisches Staphylokokkentoxin zum Syndrom der „verbrühten Haut“ (staphylococcal scalded skin syndrome; Abb. 23.6).
Abb. 23.6 Syndrom der „verbrühten Haut“ (staphylococcal scalded skin syndrome) mit großflächigen Epidermisverlusten durch aufgeplatzte Blasen.
(Mit freundlicher Genehmigung von L. Brown) In den ersten ein bis zwei Lebenswochen wird die Nase des Neugeborenen von Staphylococcus aureus besiedelt. Dieser Keim kann einen Brustdrüsenabszess bei der Mutter hervorrufen, wenn er beim Stillen in die Brustwarze eindringt. All diese Infektionen lassen sich vermeiden, wenn das Krankenhauspersonal auf peinliche Sauberkeit (Händewaschen und aseptische Techniken) achtet. Bei mangelnder Hygiene kann sich der Nabelstumpf mit Clostridium tetani infizieren. Das passiert vor allem in den Entwicklungsländern noch häufiger. Wenn die Nabelschnur z.B. mit einem sporenverseuchten Instrument durchtrennt wurde, erkrankt das Neugeborene an Tetanus (Abb. 23.7). Das lässt sich durch Impfen der Mütter mit Tetanustoxoid verhindern.
674
In den Entwicklungsländern ist die Gastroenteritis ein Hauptproblem bei Neugeborenen und im Säuglingsalter Die Wasserund Elektrolytverluste durch eine Diarrhoe haben besonders nachteilige Folgen bei Kindern mit einem niedrigen Geburtsgewicht. Auslöser sind meist E.-coliStämme und Salmonellen, seltener Rotaviren (s. Kap. 22). Einen gewissen Schutz verleiht das Stillen; doch bis auf die spezifischen Antikörper sind die Schutzfaktoren der Muttermilch noch nicht besonders gut untersucht.
Abb. 23.7
Tetanus mit Risus sardonicus.
(Mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar)
Zusammenfassung ■ Bestimmte Infektionen (wie Kokzidioidomykose, Grippe) können in der Schwangerschaft schwerer verlaufen als sonst üblich, und einige latent persistierende Infektionen (mit CMV, Polyomaviren) können reaktiviert werden. ■ Einige Erreger können die Plazentaschranke überwinden und den Fetus schädigen. Bei der Mutter zeigen sich meist milde bis subklinische Verläufe der Infektionen (Röteln, Zytomegalie, Toxoplasmose), doch das ist nicht immer der Fall (z.B. bei Syphilis). ■ Der infizierte Fetus kann absterben oder überleben und mit einer Infektion (mit HIV, Toxoplasmose) oder typischen Fehlbildungen (durch Röteln, Syphilis) geboren werden. ■ Eine Infektion des Kindes während oder kurz nach der Geburt kann sich als lokal begrenzte (Gonokokken-, Chlamydienkonjunktivitis), gelegentlich aber auch
675
als schwere, lebensbedrohliche, systemische Erkrankung (wie E.-coli-Meningitis, Herpes-simplex-Virus- oder Gruppe-B-Streptokokken-Infektion) manifestieren. ■ Die Puerperalsepsis („Kindbettfieber“) war als lebensbedrohliche bakterielle Infektion der Mutter gefürchtet, ist in den entwickelten Ländern aber extrem selten geworden.
FRAGEN 1 Ein Kinderarzt wird von der Hebamme auf die Entbindungsstation gerufen. Sie sorgt sich um ein Kind, das vor 12 Stunden als erstes Kind der Mutter geboren wurde. Nach lang anhaltenden Wehen und wegen der schwierigen Geburt war schließlich eine Zangenentbindung erforderlich. Der Blasensprung fand 12 Stunden vor der Geburt statt. In der Austreibungsphase bekam die Mutter Fieber von 38,5°C, das auch nach der Entbindung anhielt. Der Apgar-Wert des Neugeborenen betrug nach einer Minute 1, nach fünf Minuten 9. Bei der Untersuchung wirkte der Junge blass und lethargisch. Auskultation und Palpation ergaben ein schwaches systolisches Geräusch, Krepitationen über beiden Lungenflügeln und unter dem Rippenbogen tastbare Leber. Das Kind kam auf die Intensivstation. a)
Wie lautet die Verdachtsdiagnose?
b)
Wie würden Sie das Neugeborene weiter untersuchen?
c)
Gibt es Risikofaktoren aus der Vorgeschichte der Mutter?
2 Warum sind bei einer kongenitalen Rötelninfektion so häufig Herz, Gehirn, Augen und Ohren betroffen?
676
3
Welche der folgenden Erreger werden über die Muttermilch übertragen: a)
Herpes simplex,
b)
HTLV-1,
c)
Treponema pallidum (Syphilis),
d)
Epstein-Barr-Virus,
e)
E. coli?
4 Welche der genannten konnatalen Infektionen lassen sich durch Impfung verhindern: a)
Syphilis,
b)
HIV,
c)
Röteln,
d)
Listeriose,
e)
Toxoplasmose?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Demmler, G.: Congenital cytomegalovirus infection and disease. Adv Pediatr Inf Dis 11 (1996) 134–162. Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.). Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001. Kovar, I.Z.: Neonatal and pediatric infections. Curr Opin Infect Dis 3 (1990) 479– 500. Peckham, C., Gibb, D.: Mother-to-child transmission of human immunodeficiency virus. N Engl J Med 333 (1995) 298–302. Sever, J.L., Ellenberg, J.H., Ley, A.C.X et al.: Toxoplasmosis; maternal and pediatric findings in 23.000 pregnancies. Pediatrics 82 (1988) 181–192.
677
24 ZNS-Infektionen 24.1
ZNS-Invasion 345
24.2
Reaktion auf die Invasion 347
24.3
Meningitis 348
24.3.1
Bakterielle Meningitis 348
24.3.2
Pilzmeningitis 352
24.3.3
Protozoenmeningitis 353
24.3.4
Virusmeningitis 353
24.4
Enzephalitis 354
24.4.1
Enterovirusinfektionen 355
24.4.2
Paramyxovirusinfektionen 357
24.4.3
Tollwutvirusenzephalitis 357
24.4.4
Togavirusinfektionen (Meningitis und Enzephalitis) 358
24.4.5
Neu aufgetauchte Enzephalitisursache, das Westnilvirus 359
24.4.6
Retrovirusinfektionen (Meningitis und Enzephalitis) 359
24.4.7
Impf- und postinfektiöse Enzephalitis 359
24.5
Neurologische Erkrankungen mit vermuteter viraler Ätiologie 360
24.6
Spongiforme Enzephalopathien durch Scrapie-artige Partikel 360
24.6.1
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit 360
24.6.2
Andere Prionenkrankheiten 361
24.7
Parasitäre ZNS-Erkrankungen 361
24.8
Hirnabszesse 362
24.9
Tetanus und Botulismus 362
24.9.1
Tetanus 363
24.9.2
Botulismus 363
Zur Orientierung ZNS-Infektionen – entstehen meist hämatogen – oder die Erregerinvasion geht von peripheren Nerven aus
678
Die Schädelknochen und der Wirbelkanal schützen Gehirn und Rückenmark nicht nur vor mechanischem Druck oder Verformung, sondern verhindern durch ihre Schrankenfunktion die Ausbreitung von Infektionen. Eintrittspforten für Erreger sind hauptsächlich Blutgefäße und Nerven, die Schädel- und Wirbelknochen durchqueren Am häufigsten kommt es zur hämatogenen ZNS-Invasion (z.B. von Polioviren und Neisseria meningitidis). Seltener geht die Invasion – wie im Fall des Herpes-simplex(HSV), Varicella-Zoster- (VZV) und Tollwutvirus – von peripheren Nerven aus. Auch eine lokale Infektion, die von Herden in Ohren oder Nebenhöhlen übergreift, Verletzungen oder angeborenen Fehlbildungen (Spina bifida) sind möglich, dagegen kommt eine Meningitis durch frei lebende Amöben über die Riechbahn nur sehr selten vor. Wir besprechen hier zunächst die bevorzugten Zugangswege von Erregern zum ZNS (s. Kap. 13) und die Reaktion des Körpers auf die Invasion, während am Ende eine ausführlichere Darstellung von Krankheiten folgt.
24.1
ZNS-Invasion
Natürliche Schranken verhindern eine ZNS-Invasion auf dem Blutweg Eine hämatogene Invasion führt zur ■
Enzephalitis nach Überwinden der Blut-Hirn-Schranke,
■
Meningitis nach Überwinden der Blut-Liquor-Schranke (Abb. 24.1).
Die Blut-Hirn-Schranke besteht aus einem festen Verband von Endothelzellen, die von Gliafortsätzen umgeben sind, während fest verbundene Plexus-choroideus-Epithelzellen mit dem gefensterten Endothel am Plexus choroideus die Blut-Liquor-Schranke bilden. Diese Barrieren können überwunden werden, wenn Erreger ■
die Zellen, aus denen die Schranken aufgebaut sind, infizieren,
■
sich in intrazellulären Vakuolen passiv hindurchtransportieren lassen oder
■
weiße Blutzellen infizieren, die die Erreger mit sich überall hintragen.
Bei den Virusinfektionen finden sich für sämtliche Infektionswege Beispiele. Das Poliovirus dringt z.B. über die Blut-Hirn-Schranke ins ZNS ein. Nach seiner oralen Aufnahme führt eine komplexe Abfolge von Schritten schließlich zur ZNS-Invasion (Abb. 24.2). Das Poliovirus kann auch in Zellen des Gefäßendothels Station machen, dann die Blut-Liquor-Schranke überwinden und die Hirnhäute (Meningen) infizieren.
Abb. 24.1 Schranke.
Strukturen der Blut-Hirn- und Blut-Liquor-
679
680
Abb. 24.2 Zeitlicher Ablauf und an einer ZNSInvasion durch dasPoliovirusbeteiligte Faktoren.
CSF = Liquor cerebrospinalis, GALT = gut-associated lymphoid tissue, Darmlymphgewebe Dasselbe trifft für das Mumpsvirus oder für Bakterien (wie Haemophilus influenzae, Meningo- oder Pneumokokken) zu, die frei zirkulieren können. Hat die Infektion Meningen und Liquor erreicht, kann sie sich über die Pia mater auf das Hirngewebe ausbreiten. So kann bei einer Poliomyelitis der Enzephalitis und Paralyse oft eine meningitische Phase vorausgehen. Insgesamt kommt es aber nur selten zur ZNS-Invasion, weil die meisten Erreger bereits beim Übertritt vom Blut ins ZNS an den natürlichen Barrieren scheitern. Werden Viren direkt ins Hirngewebe eingebracht, wachsen und vermehren sich viele, bis sie den Schwellenwert zur Auslösung von Krankheiten überschreiten, doch Viren aus dem Kreislauf schaffen es im Allgemeinen nicht bis ins ZNS. Daher kommt es nur bei einem kleinen Prozentsatz der mit Polio, Masern, Mumps oder Röteln Infizierten zu einer 681
ZNS-Beteiligung. Von welchen Faktoren eine erfolgreiche ZNS-Invasion abhängt, ist nicht bekannt.
Typisch für HSV-, VZV- oder Tollwutvirusinfektion ist eine ZNS-Invasion von peripheren Nerven aus Ausgehend von Haut- oder Schleimhautläsionen (s. Kap. 26) können Herpes-simplex(HSV) oder Varicella-Zoster-Viren (VZV) an Axonen entlang zu Hinterwurzelganglien aufsteigen. Unter Ausnutzung der normalen retrograden Transportmechanismen bewegen sie sich mit einer Geschwindigkeit von 200 mm/Tag voran. Ebenso schnell werden Fremdstoffe (z.B. Tetanustoxin) transportiert. Durch den Biss eines infizierten (tollwütigen) Tieres kann das Tollwutvirus ins Muskel- oder Subkutangewebe eingebracht werden. Es bindet sich an nikotinerge Acetylcholinrezeptoren und infiziert Muskelfasern und -spindeln. Dort befällt es periphere Nerven und steigt zum ZNS auf, wo es sich in Gliazellen und Neuronen vermehrt.
24.2
Reaktion auf die Invasion
Infolge einer Infektion erhöht sich die Zellzahl im Liquor Als Reaktion auf eine Virusinvasion kommt es zum Anstieg der Lymphozyten (überwiegend T-Zellen) und Monozyten im Liquor (Tab. 24.1). Möglich ist auch eine leichte Zunahme des Proteingehalts. Doch der Liquor bleibt klar. Das bezeichnet man als „aseptische“ Meningitis. Pyogene Bakterien bewirken eine mehr dramatische Reaktion: Durch die rasche Zunahme polymorphkerniger Leukozyten und Proteine (Abb. 24.3) trübt sich der Liquor sichtbar ein. In dem Fall spricht man von „septischer“ Meningitis. Nicht ganz so dramatische Veränderungen rufen langsamer wachsende oder weniger pyogene Keime hervor (z.B. tuberkulöse oder Listerienmeningitis).
Die pathologischen Folgen von ZNS-Infektionen sind abhängig von der Art des Erregers Im ZNS selbst können Nervenzellen von Viren infiziert werden, und es zeigen sich z.T. ausgesprochene Präferenzen. So dringen Polio- und Tollwutviren z.B. bevorzugt in Neurone ein, das JC-Virus dagegen in Oligodendrozyten. Weil es im ZNS kaum extrazelluläre Räume gibt, breiten sich Infektionen meist direkt von Zelle zu Zelle über vorhandene Nervenbahnen aus. Dass eingedrungene Bakterien und Protozoen im Allgemeinen zu stark entzündlichen Prozessen führen, bewirkt rasch eine lokale Begrenzung der Infektion mit Abszessbildung. Die von Viren ausgelöste perivaskuläre Infiltration von Lymphozyten und Monozyten kann manchmal, wie im Fall von Polio, die infizierten Zellen direkt schädigen. In Abb. 24.7 ist die Pathogenese einer Virusenzephalomyelitis gezeigt. Bei einer Impfenzephalitis spielen zum Teil Immunreaktionen eine Rolle, die sich nicht nur gegen virale, sondern auch gegen wirtseigene Komponenten (im ZNS) richten.
682
Tab. 24.1 Liquorveränderungen bei ZNS-Infektionen. * aseptisch, weil Liquor cerebrospinalis in normalen Bakterienkulturen steril ist ** niedrig (< 45 mg/dl) bei Tuberkulose, Pilzinfektionen (Mykosen) oder Leptospirose
Abb. 24.3
Bakterielle Meningitis.
Akut-entzündliche Exsudation in den Subarachnoidalraum; Hämatoxylin-EosinFärbung (mit freundlicher Genehmigung von P. Garen). Während infiltrierende B-Zellen Antikörper gegen eingedrungene Erreger produzieren, werden von T-Zellen in einer Antigenreaktion Zytokine gebildet, die weitere T-Zellen und Makrophagen anlocken bzw. aktivieren. Daraus entwickelt sich innerhalb von Tagen die Erkrankung. Unter Umständen kann sich die Entwicklung über Jahre hinziehen – z.B. wenn die Infektion teilweise von der Wirtsabwehr eingedämmt wird – wie bei der virologisch und immunologisch bedingten subakut-sklerosierenden Panenzephalitis (SSPE) nach Masern. Bakterien verursachen im Gegensatz dazu viel rascher pathologische Veränderungen; dabei spielen lokale Reaktionen auf Bakterienantigene und Toxine eine wichtige Rolle.
683
In empfindlichen, nach außen abgeschlossenen Geweben wie der Leptomeninx, in Gehirn und Rückenmark können Entzündung und Ödembildung lebensbedrohliche Ausmaße annehmen, obwohl sie völlig belanglos wären, wenn sie in Skelettmuskeln, Haut oder Leber auftreten würden. Oft dauert es nach der klinischen Besserung noch Wochen, bis alle Zellinfiltrate entfernt sind und sich das histologische Erscheinungsbild normalisiert hat.
Nur selten fördert eine ZNS-Invasion die Ausbreitung von Infektionen Für parasitäre Mikroorganismen, die ausgeschieden und auf neue Wirte übertragen werden müssen, ist die ZNS-Invasion normalerweise eine unnütze Strategie, weil sie zur Schädigung des Wirts führt. Sinnvoll erscheint sie nur bei zwei Gelegenheiten: ■ Wenn die Invasion von Hinterwurzelganglioneuronen einen wesentlichen Schritt zur Latenzphase darstellt, aus der die Infektion reaktiviert und der Erreger über Haut-/Schleimhautläsionen weiterverbreitet werden kann (HSV und VZV). ■ Bei Tollwut (s. unten) ist die ZNS-Invasion aus zwei Gründen notwendig; zum einen kann sich das Virus durch eine absteigende Infektion vom ZNS über periphere Nerven zu den Speicheldrüsen des infizierten Tieres ausbreiten und mit Speichel übertragen werden, zum anderen bewirkt der Befall des limbischen Systems eine Verhaltensänderung, die infizierte Tiere enthemmt, aggressiver und bissiger macht. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung der Infektion (durch einen Biss). Man könnte in der Invasion des limbischen Systems eine abgefeimte Strategie des Tollwutvirus sehen, um seine eigene Übertragung und sein Überleben zu sichern.
684
24.3
Meningitis
24.3.1
Bakterielle Meningitis
Eine akute bakterielle Meningitis ist lebensbedrohlich und muss als Notfall behandelt werden Eine bakterielle Meningitis kommt zwar seltener vor als eine Virusmeningitis, verläuft aber schwerer. Sie kann eine Reihe verschiedener Ursachen haben (Tab. 24.2). Bis Ende 1990 war in den meisten Fällen Haemophilus influenzae Typ b (Hib) der Auslöser. Seit der Einführung eines spezifischen Hib-Impfstoffes in die Impfempfehlungen für Kinder ist die Hib-Inzidenz jedoch gesunken, so dass jetzt Neisseria meningitidis und Streptococcus pneumoniae für die meisten bakteriellen Meningitiden verantwortlich sind. Zu den gemeinsamen Virulenzfaktoren der drei Erreger (Tab. 24.3) gehört unter anderem ihre Polysaccharidkapsel (Tab. 24.4).
Meningokokkenmeningitis Die Trägerrate (Neisseria meningitidis) in der Bevölkerung liegt bei rund 20%, kann aber bei Epidemien noch höher sein Neisseria meningitidis ist ein Gram-negativer Diplokokkus, der strukturell große Ähnlichkeit mit N. gonorrhoeae aufweist (s. Kap. 21). Allerdings kennzeichnet zusätzlich eine antigen wirkende Polysaccharidkapsel den jeweiligen Serotyp. Asymptomatische Träger sind in bestimmten geografischen Regionen bis zu 20% der Bevölkerung. Mit ihren Pili haften die Bakterien vor allem an Epithelzellen im Nasenrachenraum. In Blut und Meningen streuen sie selten, und falls doch, wird der Hergang nicht besonders gut verstanden. Die bisher bekannten Virulenzfaktoren sind in Tab. 24.3 zusammengefasst.
685
Tab. 24.2 Hauptursachen einer nichtviralen Meningitis, spezifische Behandlung und Vorbeugung. * sofortiger Therapiebeginn, Antibiotikaempfindlichkeit von Isolaten im Labor testen lassen ** in Gebieten mit hoher Prävalenz penicillinresistenter Pneumokokken empfiehlt sich eine Therapie mit Ceftriaxon, bis das Ergebnis der Antibiotikaempfindlichkeitstestung vorliegt BCG = Bacillus Calmette-Guérin
Tab. 24.3
Virulenzfaktoren der wichtigsten
Tab. 24.3 Virulenzfaktoren der wichtigsten bakteriellen Meningitiserreger.
686
Menschen mit spezifischen komplementabhängigen Antikörpern gegen Kapselantigene sind vor einer Bakterieninvasion geschützt. Verstärkt anfällig für eine Bakteriämie (z.B. durch N. gonorrhoeae; s. Kap. 21) sind Patienten mit einem Komplementmangel (C5–9). Am häufigsten infizieren sich Kleinkinder – nach Verlust der Leihimmunität durch mütterliche Antikörper – oder Jugendliche beim ersten Kontakt mit einem neuen infektiösen Serotyp, gegen den sich noch keine spezifische Immunität entwickeln konnte. Die Übertragung per Tröpfcheninfektion kann durch (virale) Atemwegsinfektionen mit vermehrter Sekretion noch begünstigt werden. Daher tragen dichte Menschenansammlungen auf engstem Raum (Gefängnisse, Militärlager, Schlafsäle in Internaten) zum gehäuften Vorkommen der Infektion bei. Bei massenhaften Ausbrüchen einer Meningokokkenmeningitis, wie es besonders häufig gegen Ende des Winters/Anfang des Frühlings der Fall ist, kann die Trägerrate auf 60–80% ansteigen. Die Infektionen mit spezifischen Serotypen zeigen geografische Unterschiede. In höher entwickelten Ländern dominieren die Serotypen B, C und Y, während die Serotypen A und W-135 in Entwicklungsländern verbreiteter sind. Die verfügbaren Impfstoffe sind nur gegen A, C, Y und W-135 wirksam, nicht aber gegen B (Tab. 24.4). Großbritannien hat als erstes Land den neuen Meningitis-C-Konjugatimpfstoff eingeführt, der seit November 1999 zu den Routineimpfungen von Kindern gehört. Nach Empfehlungen des britischen Gesundheitsamtes sollten sich alle Universitätsund Collegestudenten im ersten Jahr bzw. junge Erwachsene im Alter von 20–24 Jahren gegen Meningitis C impfen lassen. Die US Centers for Disease Control wollen verstärkt die Aufmerksamkeit von Collegestudenten in Wohnheimen auf die Impfung lenken und das Angebot verbessern.
Zur Symptomatik einer Meningokokkenmeningitis gehört ein hämorrhagisches Exanthem Nach einer Inkubationszeit von 1–3 Tagen treten bei einer Meningokokkenmeningitis plötzlich Halsentzündung, Kopfschmerzen, Benommenheit und Meningitiszeichen auf – Fieber, Reizbarkeit, Nackensteife und Lichtempfindlichkeit (Photophobie). Als Zeichen der begleitenden Sepsis zeigt sich oft ein hämorrhagisches Exanthem mit Petechien (Abb. 24.4). Bei rund 35% der Patienten entwickelt sich eine fulminante Sepsis mit Komplikationen wie Gerinnungsstörung (disseminierte intravasale Koagulopathie), Endotoxinämie, Schock und Nierenversagen. In besonders schweren Fällen kommt es zur akuten Addison-Krise mit Einblutungen ins Gehirn und in die Nebennieren (sog. Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Ohne Behandlung ist eine Meningokokkenmeningitis zu 100% tödlich, doch auch mit Behandlung bleibt die Letalität noch hoch (bis zu 10%). Hinzu kommen bei Überlebenden schwere Folgeschäden wie ein dauerhafter Hörverlust (Tab. 24.5).
687
Tab. 24.4 Kapselpolysaccharide als wichtige Virulenzfaktoren in der Pathogenese einer bakteriellen Meningitis.
Abb. 24.4 Meningokokkensepsis.
An den Extremitäten und Außenflächen mischen sich Petechien und ein makulopapulöser Ausschlag (mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar).
Die Verdachtsdiagnose akute Meningitis ergibt sich meist aus der klinischen Untersuchung
688
Bei einer akuten Meningitis ist die labordiagnostische Sicherung der bakteriellen Ursache eine Grundvoraussetzung für die richtige Antibiotikatherapie und (bei Kontaktpersonen) -prophylaxe. Eine Stunde nach Abgabe einer Liquorprobe im Labor sollte das vorläufige Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung (Leukozytenzahl, Gram-Färbung) vorliegen und 24 Stunden später sollten die Ergebnisse der Liquor- und Blutkulturen nachgeliefert werden (s. Kap. 32). Eine serologische Untersuchung ist diagnostisch nicht weiterführend, weil bei einer akuten Infektion noch keine Antikörperreaktion nachweisbar ist.
Eine bakterielle Meningitis ist ein medizinischer Notfall Bei entsprechendem Verdacht sollte sofort mit einer Antibiotikatherapie begonnen werden (möglichst nach der Liquorpunktion). Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn kann lebensrettend sein, selbst wenn er den Nachweis lebender Erreger in Proben schwieriger macht. Intime Kontaktpersonen und Familienmitglieder (Austausch von Küssen) sollten eine 2-tägige Chemoprophylaxe mit Rifampicin erhalten. (Anmerkung: Penicillin eignet sich nicht als Prophylaxe, weil Meningokokken aus dem Nasenrachenraum von Trägern nicht beseitigt würden.) Nach Abklingen der Akutphase sollte ein Therapieschema mit Rifampicin angewandt werden, um einen Übergang zum Trägerstatus zu verhindern.
Haemophilus-Meningitis Haemophilus influenzae Typ b kann zur Meningitis bei Säuglingen und Kleinkindern führen Haemophilus influenzae ist ein Gram-negatives Stäbchen. „Hämophil“ heißt wörtlich „blutliebend“ und aus dem Zusatz „influenzae“ geht hervor, dass man ihn ursprünglich für einen Grippe-(Influenza-)Erreger hielt. Heute weiß man, dass der Keim üblicherweise eine Sekundärinfektion der unteren Atemwege bewirkt. Die sechs bekannten Typen (a–f) von H. influenzae lassen sich serologisch durch ihre Kapselpolysaccharide unterscheiden: ■ Die häufiger vorkommenden Stämme (z.B. auch im Rachen von Gesunden) sind unbekapselt. ■ Typ b besitzt eine Kapsel und ist häufiger in den Atemwegen von Säuglingen und Kleinkindern anzutreffen (wo dann auch die Infektion lokalisiert ist, s. Kap. 18); nur in seltenen Fällen kommt es zur Keimeinschwemmung ins Blut mit Hirnhautentzündung. Bis etwa zum 3./4.Lebensmonat sind Säuglinge durch mütterliche Antikörper geschützt. Doch mit Nachlassen dieser Leihimmunität und solange die Kinder noch keine eigenen Antikörper haben, öffnet sich ein „Fenster“ erhöhter Anfälligkeit. Gegen die Bakterienkapsel gerichtete (antikapsuläre) Antikörper tragen als gute Opsonine (s. Kap. 14) zur Phagozytose und Abtötung der Bakterien bei. Die T-Zell-
689
unabhängigen Antikörper werden erst im 2. oder 3.Lebensjahr der Kinder gebildet. Neben der Kapsel besitzt H. influenzae noch weitere Virulenzfaktoren (Tab. 24.3).
Tab. 24.5 Klinische Kennzeichen einer bakteriellen Meningitis. * bezogen auf die Zahl der Behandlungen ** größere ZNS-Ausfallerscheinungen; zudem Schwerhörigkeit bei bis zu 10% der Patienten
Schwere neurologische Komplikationen einer akuten H.-influenzae-Meningitis Nach einer Inkubationszeit von 5–6 Tagen beginnt eine H.-influenzae-Meningitis oft schleichender als eine Meningo- oder Pneumokokkeninfektion (Tab. 24.5). Obwohl sie seltener zum Tod führt, kann sie genauso wie eine Meningokokkeninfektion gravierende Folgen haben (z.B. Hörverlust/Schwerhörigkeit, verzögerte Sprachentwicklung, geistige Retardierung und Krämpfe; Tab. 24.5). Die Diagnostik ist im Grunde dieselbe wie bei einer Meningokokkenmeningitis (s. oben; Labordiagnose s. Kap. 32). Wichtig zu wissen ist, dass die Keime (erst recht in geringer Zahl) in Gram-gefärbten Liquor-Ausstrichpräparaten oft nur schwer erkennbar sind.
Hib-Impfung ab dem 2. Lebensmonat Die Grundzüge der Behandlung sind oben bei der Meningokokkenmeningitis beschrieben und Einzelheiten in Tab. 24.2 zusammengefasst. Für Kinder ab dem 2. Lebensmonat ist eine Hib-Impfung geeignet, und der verfügbare Impfstoff ist gut wirksam. Enge nichtimmune Kontaktpersonen kann man prophylaktisch mit Rifampicin behandeln.
Pneumokokkenmeningitis
690
Streptococcus pneumoniae ist besonders bei Kindern und älteren Menschen häufiger Auslöser einer bakteriellen Meningitis Seitdem Streptococcus pneumoniae vor mehr als 100 Jahren zum ersten Mal isoliert wurde, hat man ihn intensiv erforscht, nicht nur als Erreger, sondern auch als frühes Studienobjekt für bakterielle Veränderungen (Transformationen). Trotzdem weiß man wenig mehr über seine Virulenzfaktoren, als dass er eine Polysaccharidkapsel (Tab. 24.3 und 24.4) besitzt. Er bleibt eine führende Ursache der Morbidität und Mortalität (Atemwegsinfektionen durch Pneumokokken s. Kap. 19). Pneumokokken sind Gram-positive Kokken (mit Kapsel) und im Rachen vieler Gesunder vorhanden. Selten bricht der Erreger ins Blut und die Hirnhäute ein, und falls doch, sind vor allem Kleinkinder unter 2 Jahren, ältere Menschen, Sichelzellkranke, geschwächte, splenektomierte oder Schädeltrauma-Patienten betroffen. Mit der erhöhten Anfälligkeit verbunden sind niedrige Antikörpertiter gegen Kapselantigene; diese Antikörper schützen den Wirt vor einer Invasion, weil sie opsonisierend wirken und die Phagozytose fördern. Der Schutz ist allerdings typspezifisch – es gibt über 85 verschiedene Kapseltypen von S. pneumoniae. Klinisch zeigen sich bei Pneumokokkenmeningitis im Allgemeinen schwerere Verläufe als bei einer N.-meningitidis- oder H.-influenzae-Infektion (Symptome s. Tab. 24.5). Grundzüge der Diagnostik sind oben bei der Meningokokken-Meningitis beschrieben (Einzelheiten s. Kap. 32). Behandlung und Prävention einer Pneumokokken-Meningitis sind in Tab. 24.2 dargestellt. Seitdem weltweit penicillinresistente Pneumokokken beobachtet wurden, muss die Antibiotikaempfindlichkeit des betreffenden Stamms untersucht werden. In Ländern mit hoher Prävalenz von Penicillinresistenz in Pneumokokken hat sich eine empirische Kombinationstherapie aus Vancomycin und Cefotaxim bzw. Ceftriaxon bewährt. Von den US Centers for Disease Control wird für alle Kinder vom 2. bis 23.Lebensmonat (d.h. im Rahmen der üblichen Vorsorgeuntersuchungen/Schutzimpfungen) oder für ältere Kinder (zwischen 24 und 59 Monaten) mit erhöhtem Risiko für Pneumokokkeninfektionen (aufgrund von Sichelzellanämie, HIV-Infektion, chronischer Immunkrankheit bzw. -schwäche) eine Impfung empfohlen. Verfügbar ist ein wirksamer hepta-(7-)valenter proteinkonjugierter Impfstoff, für Kinder über 5 Jahren auch der ältere 23-valente Polysaccharidimpfstoff.
Listeria-monocytogenes-Meningitis An einer Listerienmeningitis erkranken meist Erwachsene mit Immunschwäche Listeria monocytogenes ist ein Gram-positives kokkoides Stäbchen. Bei Erwachsenen, deren Immunabwehr (z.B. nach Nierentransplantation, durch eine Krebserkrankung) geschwächt ist, kann er eine wichtige Meningitisursache sein. L. 691
monocytogenes kann aber auch intrauterine und Neugeboreneninfektionen hervorrufen (s. Kap. 23). Zur Behandlung empfiehlt sich eine Kombination von Ampicillin mit Gentamicin.
Neugeborenenmeningitis Weil ihr Immunsystem noch nicht ausgereift ist, haben Neugeborene (vor allem die mit niedrigem Geburtsgewicht) ein erhöhtes Meningitisrisiko. Die Unreife des Immunsystems äußert sich z.B. in Problemen der humoralen und zellulären Immunität, der Phagozytosefähigkeit und der unwirksamen Komplementaktivierung auf alternativem Weg. Seitdem medizinische Fortschritte der letzten Jahre dazu beigetragen haben, dass mehr Frühgeborene überleben, wird das besonders deutlich.
Trotz rückläufiger Sterblichkeit in den entwickelten Ländern stellt die Neugeborenenmeningitis noch immer ein ernstes Problem dar Aus dem breiten bakteriellen Erregerspektrum sind hämolysierende Streptokokken der Gruppe B (GBS) und Escherichia coli die häufigsten Auslöser einer Neugeborenenmeningitis (Tab. 24.6, s. Kap. 23). Zum einen kann sie als nosokomiale Infektion auftreten, doch zum anderen können sich Säuglinge auch bei ihrer Mutter infizieren. Wenn die Vagina der Mutter z.B. mit GBS besiedelt ist, könnte das Kind bei der Geburt mütterliche Sekrete wie infiziertes Fruchtwasser schlucken. Eine Neugeborenenmeningitis führt oft zu bleibenden neurologischen Schäden (Hirn- bzw. Kranialnervenlähmung, Epilepsie, geistige Retardierung, Hydrozephalus). Das liegt zum Teil daran, dass sie klinisch schwer diagnostizierbar ist, weil Neugeborene kaum spezifischere Symptome als Fieber, Trinkschwäche, Erbrechen, Atemschwierigkeiten oder Diarrhoe zeigen. Zudem kommen so viele Erreger als Ursache in Frage, dass eine „blinde“ Antibiotikatherapie ohne Empfindlichkeitstest suboptimal ist; fraglich ist auch, wie liquorgängig die Mittel sind.
692
Tab. 24.6 Streptokokken der Gruppe B – wichtige Ursache der Neugeborenenmeningitis.
Tuberkulöse Meningitis Bei einer tuberkulösen Meningitis befindet sich der Infektionsherd immer an anderer Stelle im Körper, doch bei rund 25% der Patienten gibt es weder klinische noch anamnestische Hinweise auf eine solche Infektion. In über 50% geht die Meningitis mit einer akuten Miliartuberkulose einher (Abb. 24.5). In Gebieten mit hoher Tuberkuloseprävalenz erkranken am häufigsten Kinder unter 4 Jahren an Meningitis,
693
während dort, wo die Tuberkulose eher seltener ist, die meisten Meningitisfälle bei Erwachsenen auftreten.
Schleichender Beginn der tuberkulösen Meningitis über mehrere Wochen Nach schleichendem Beginn (mit Allgemeinsymptomen wie Abgeschlagenheit, Apathie und Appetitverlust) entwickelt sich die Meningitis über Wochen weiter, bis hin zu Photophobie, Nackensteife und Bewusstseinstrübung. Manchmal beginnt sie aber so plötzlich, dass sie irrtümlich für eine Subarachnoidalblutung gehalten werden kann. Aufgrund ihres variablen Erscheinungsbildes wird eine tuberkulöse Meningitis oft nur dann diagnostiziert, wenn der Arzt überhaupt an diese Möglichkeit denkt. Werden Diagnose und Behandlungsbeginn (Antibiotikatherapie, Tab. 24.2) hinausgezögert, kann es zu ernsten Komplikationen und Folgezuständen kommen. Außer in Entwicklungsländern ist die spinale Tuberkulose inzwischen selten geworden. Da Tuberkelbazillen das Bandscheibengewebe zerstören, bilden sich im Wirbelbereich Epiduralabszesse, die durch Kompression des Rückenmarks zur Paraplegie führen können.
24.3.2
Pilzmeningitis
Wenn Cryptococcus neoformans oder Coccidioides immitis von einem Primärherd in der Lunge ins Blut eingeschwemmt werden, können sie auch eine Meningitis verursachen. C. neoformans weist einen ausgeprägten ZNS-Tropismus auf und ist Hauptauslöser einer metastatischen Meningitis durch Pilze. Von C. neoformans gibt es zwei Formen mit jeweils zwei Serotypen.
An einer Cryptococcus-neoformans-Meningitis erkranken meist Patienten mit geschwächter zellvermittelter Immunität Daher kommt sie bei AIDS-Kranken oder Patienten unter immunsuppressiver Therapie vor. Die Meningitis beginnt gewöhnlich schleichend über Tage bis Wochen. Die in Liquor-Tuschepräparaten erkennbaren Hefepilze mit Kapseln (Abb. 24.6) lassen sich anzüchten (s. Kap. 32). Ein anderes nützliches Diagnoseinstrument ist der Antigennachweis, der sich auch zur Kontrolle des Therapieerfolgs (sinkender Antigentiter im Liquor) eignet. Als antimykotische Kombinationstherapie werden Amphotericin B, Fluconazol und Flucytosin empfohlen, da Amphotericin allein schlecht liquorgängig ist.
Abb. 24.5 Zusammenhang zwischen akuter Miliartuberkulose und Meningitis.
694
* Invasion ins Blut führt zur Miliartuberkulose (von latein. milium = Hirsekorn) mit Tuberkeln, die wie Hirsekörner aussehen und in der Lunge, aber auch an anderen Stellen im Körper vorkommen können.
Coccidiodes-immitis-Infektionen sind geografisch unterschiedlich verbreitet Bevorzugt treten sie im Südwesten der USA, in Mexiko und Südamerika auf. Zu einer ZNS-Infektion kommt es bei weniger als 1% der Infizierten; allerdings kann sie unbehandelt tödlich verlaufen. Die Meningitis kann Symptom einer generalisierten Erkrankung sein oder den einzigen extrapulmonalen Herd darstellen. In Liquorpräparaten sind die Mikroorganismen selten sichtbar und sie lassen sich auch nur in weniger als 50% anzüchten. Diagnostisch wegweisend ist aber der Nachweis komplementfixierter Antikörper im Serum. Amphotericin B, Fluconazol oder Miconazol werden zur Behandlung empfohlen.
Abb. 24.6 Cryptococcus neoformansim Sediment eines Liquor-Tuschepräparats.
695
(Mit freundlicher Genehmigung von A.E. Prevost)
24.3.3
Protozoenmeningitis
In wärmeren Ländern können sich in stehenden Gewässern Amöben (Naegleria- oder Acanthamoeba-Spezies) vermehren, bevorzugt im Bodenschlamm von Seen oder Swimming-Pools. Wenn sie eingeatmet werden, können sie über Riechbahn und Siebplatte (Lamina cribrosa) bis zu den Hirnhäuten gelangen. Von Naegleria wird eine primäre Amöbenmeningoenzephalitis mit raschem Beginn und hoher Sterblichkeit verursacht, während eine Acanthamoeba-Infektion eher chronisch verläuft und zu einer granulomatösen Amöbenenzephalitis führt. Bei sorgfältiger Untersuchung frischer, feuchter Liquorproben sind die langsam beweglichen Amöben zu sehen. Die Behandlungsergebnisse sind nicht voll zufrieden stellend. Erprobt wurden Amphotericin mit Miconazol und Rifampin gegen NaegleriaSpezies bzw. eine Vielzahl unterschiedlicher Mittel gegen Acanthamöben.
24.3.4
Virusmeningitis
Die meisten Meningitiden sind viral bedingt Eine virale Meningitis verläuft milder als eine bakterielle Infektion – auch mit Kopfschmerzen, Fieber und Photophobie, aber ohne starke Nackensteife. Wenn keine Bakterien vorhanden sind, bleibt der Liquor klar und enthält überwiegend Lymphozyten, in der Frühphase können auch polymorphkernige Leukozyten vorhanden sein (Tab. 24.1). Mögliche Ursachen einer Virusmeningitis sind in Tab. 24.7 zusammengestellt. In weniger als 50% der Fälle lassen sich aus dem Liquor Viren isolieren, daher wird die Diagnose meist mithilfe von VirusgenomNachweismethoden wie der Polymerasekettenreaktion (PCR) gestellt.
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Tab. 24.7 Ursachen einer Virusmeningitis. Da eine Infektion mit humanen Enteroviren (Echoviren, Coxsackie Gruppe A und B, drei Poliovirus-Gruppen) meist asymptomatisch verläuft, muss es ätiologisch nichts weiter bedeuten, wenn sich eines der Viren aus dem Rachenabstrich oder der Stuhlprobe eines Kindes mit leichter Meningitis isolieren lässt. Enteroviren sind allerdings die häufigste Ursache einer saisonal auftretenden aseptischen Meningitis. Im Unterschied zur bakteriellen Meningitis heilt eine Virusmeningitis trotz geringer Behandlungsalternativen (verfügbar sind lediglich ein paar antivirale Medikamente) nach benignem Verlauf in der Regel vollständig aus.
697
24.4
Enzephalitis
Eine Enzephalitis ist meist durch Viren verursacht Mögliche Ursachen und Pathogenese einer Virusenzephalitis sind in Tab. 24.8 und Abb. 24.7 zusammengestellt. Typisch sind Anzeichen einer zerebralen Dysfunktion (Funktionsausfall), da das Hirngewebe von der Entzündung betroffen ist und nicht nur die Hirnhaut bei der Meningitis. Bei manchen Enzephalitis-Patienten kann es zu auffälligem Verhalten, Krämpfen und Bewusstseinsveränderungen kommen (oft mit Übelkeit, Erbrechen und Fieber). Auch Toxoplasma gondii und Cryptococcus neoformans können – besonders bei eingeschränkter zellvermittelter Immunität – zu einer lebensbedrohlichen Enzephalitis oder Meningoenzephalitis führen. Als Komplikation einer Plasmodium-falciparumInfektion verläuft eine zerebrale Malaria oft tödlich. Eine Enzephalitis kann auch als Begleiterscheinung der Lyme- (durch Borrelia burgdorferi) und der Legionärskrankheit (Legionella pneumophila) auftreten, doch es ist nicht klar, welchen Stellenwert bakterielle Invasion, Bakterientoxine und Immunpathologie haben.
Die Herpes-simplex-Enzephalitis (HSE) ist die häufigste Form einer sporadisch auftretenden, schweren akuten Herdenzephalitis In den USA beträgt die jährliche Inzidenz der Neuerkrankungen an HSE ca. 1/250000 bis 500000 Einwohner. Es macht aber einen Unterschied, ob eine Herpesinfektion des ZNS bei Neugeborenen oder bei älteren Kindern und Erwachsenen auftritt. Wenn sich Neugeborene von Müttern mit einer genitalen HSV-2-Infektion während der vaginalen Entbindung angesteckt haben, entwickelt sich eine disseminierte Primärinfektion mit diffuser Enzephalitis. Dagegen wird eine Herpesenzephalitis bei älteren Kindern und Erwachsenen meist durch HSV-1 ausgelöst. In der Mehrzahl handelt es sich um eine Reaktivierung des Virus in den Trigeminusganglien (s. Kap. 15), von wo aus die Infektion zurück ins Gehirn (Temporallappen) wandert. Nur die wenigsten Fälle beruhen auf einer Primärinfektion. Rund 30% der HSE-Patienten sind unter 20, rund 50% über 50 Jahre alt. Auch auf Haut oder Schleimhäuten können sich Herpesbläschen zeigen. Diagnostisch wegweisend ist eine verstärkte Temporallappen-Zeichnung im CT oder MRT (Abb. 24.8). Mithilfe der PCR sollte man einen HSV-DNA-Nachweis an einer Liquorprobe durchführen. Auch ein Elektroenzephalogramm (EEG) kann sinnvoll sein. Durch eine rechtzeitig begonnene intravenöse Dauerinfusion von Aciclovir lässt sich die Sterblichkeit (bis zu 70% der unbehandelten Patienten!) deutlich senken.
Andere Herpesviren verursachen seltener eine Enzephalitis Während eine Enzephalitis durch das Varicella-Zoster-Virus(VZV) im Allgemeinen durch eine Reaktivierung bedingt ist, kann es sich bei einer Zytomegalie-(CMV698
)Enzephalitis um eine intrauterine Primärinfektion (s. Kap. 21) oder um eine Reaktivierung handeln, die z.B. als Komplikation bei Immunschwäche (wie AIDS) auftritt. Berichtet wurde auch über eine HHV-6-Enzephalitis bei immunsupprimierten Patienten.
699
Tab. 24.8 Ursachen einer Enzephalitis. FSME = Frühjahrs-Sommer-Meningoenzephalitis, HTLV = human T-cell lymphotropic virus 700
Das B-Virus ist ein „simian“-(Affen-)Herpesvirus von Makaken. Den Tieren selbst tut es nichts, führt jedoch bei Menschen, die von einem infizierten Affen gebissen wurden, unter Umständen zu einer schweren, tödlichen Enzephalitis. Die Bisswunde muss sofort gereinigt werden, und eine sofortige antivirale Prophylaxe wird empfohlen.
24.4.1
Enterovirusinfektionen
Früher waren Polioviren eine häufige Enzephalitisursache Bei der großen Poliovirusepidemie in New York (1916) wurde 9000 Fälle von Paralysen gemeldet, fast durchweg bei Kindern unter 5 Jahren („Kinderlähmung“). Weniger als 1% der Infizierten hatten Anzeichen einer ZNS-Erkrankung. Nach 1- bis 4-tägigem Fieber mit Halsschmerzen und allgemeinem Krankheitsgefühl zeigten sich die ersten meningitischen Symptome, gefolgt von einer Beteiligung motorischer Neurone und Lähmungen (Abb. 24.2). Heute gibt es wirksame Impfstoffe. Seitdem Struktur (Abb. 24.9) und Replikation des Virus besser bekannt sind und der Versuch unternommen wurde, die Erkrankung bis zum Jahre 2002 auszurotten, hat die Poliomyelitis-Inzidenz ihren historisch niedrigsten Stand erreicht. Die Kinderlähmung lässt sich durch Schutzimpfungen sicher verhüten (s. Kap. 31) und ist infolge der in den 50er Jahren gestarteten Impfprogramme in den entwickelten Ländern praktisch verschwunden (Abb. 24.10). Mit der weltweiten Initiative zur Ausrottung der Polio – Global Polio Eradication Initiative – konnte die Zahl der Endemiegebiete im Zeitraum von 2000/2001 um die Hälfte auf 10 Länder verringert werden. 2002 blieben folgende Endemiegebiete übrig: Indien, Pakistan, Nigeria, Afghanistan, Niger, Somalia, Ägypten, Angola, Äthiopien und Sudan (in abnehmender Reihenfolge der Ansteckungsraten). Die Zahl der Neuerkrankungen sank von 2979 im Jahr 2000 auf 537 im Jahr 2001, d.h. um über 80%. Verglichen mit 1988, als noch über 350000 Kinder in 125 Ländern Kinderlähmung hatten, ein höchst eindrucksvoller Rückgang! Im Jahr 2001 erhielten mehr als 575 Millionen Kinder unter 5 Jahren in 94 Ländern die Impfung.
701
Abb. 24.7 Pathogenese einer viralen Enzephalomyelitis.
Ma = Makrophagen, NK = natürliche Killerzellen
702
Abb. 24.8
Herpes-simplex-Enzephalitis (HSE).
Das Computertomogramm (CT) zeigt eine Verstärkung der Hirnwindungen (Gyri) im linken Temporallappen und ein Hirnödem (mit freundlicher Genehmigung von J. Curé).
Abb. 24.9 Oberfläche eines Poliovirus in einem Modell (Computergrafik aufgrund von Röntgenstrahlendiffraktionsstudien).
703
Bei den Untereinheiten der Kapsid-/Hüllproteine handelt es sich um Virusprotein 1 (VP-1, blau), VP-2 (grün) und VP-3 (grau). Mit freundlicher Genehmigung von A.J. Olson (Forschungsinstitut der Scripps-Klinik in La Jolla, Kalifornien).
Abb. 24.10 Inzidenz der Kinderlähmung (paralytische Poliomyelitis) in den USA im Zeitraum 1951–1985.
Da die drei Antigen- bzw. Serotypen des Poliovirus eine geringe Kreuzreaktivität aufweisen, sind zum Schutz jeweils typspezifische Antikörper nötig. In mindestens 75% waren die Lähmungen durch Typ 1 bedingt.
Eine Epidemie der Hand-Fuß-Mund-Krankheit (durch Enterovirus 71) war mit einer hohen Rate neurologischer Komplikationen verbunden Enteroviren wie Coxsackie- oder Echoviren führen nur gelegentlich zu Meningoenzephalitis. 1998 häuften sich jedoch Fälle einer Hand-Fuß-Mund-Infektion durch das Enterovirus 71 in Taiwan. Die meisten der 405 Patienten waren Kinder unter 5 Jahren, mit einer Letalitätsrate von 19%. Von den am stärksten betroffenen Kindern (mit Beteiligung des Hirnstamms) behielten viele bleibende neurologische Schäden zurück. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung. Die Wirksamkeit der Substanz Pleconaril wird zurzeit in klinischen Studien von Enterovirusinfektionen untersucht.
704
24.4.2
Paramyxovirusinfektionen
Das Mumpsvirus löst häufig eine milde Form von Enzephalitis aus Eine asymptomatische ZNS-Invasion scheint öfter vorzukommen, denn bei rund 50% der Patienten mit Parotitis lässt sich eine erhöhte Zellzahl im Liquor nachweisen. Doch Meningitis und Enzephalitis treten andererseits oft auch ohne Parotitis auf.
Als Zoonose gewinnt die Nipah-Virus-Enzephalitis zunehmend an Bedeutung 1998 brach auf Schweinefarmen in Malaysia eine tödliche Enzephalitis unter den Arbeitern aus; 105 der insgesamt 265 Patienten starben an der Nipah-VirusEnzephalitis. Zunächst hatte man eine Japanische Enzephalitis als Ursache vermutet, doch aufgrund der klinischen, epidemiologischen und virologischen Merkmale musste es sich um ein Paramyxovirus handeln. Vermutlich wurde es durch Tröpfcheninfektion (Aerosol) von infizierten Schweinen auf Menschen übertragen, die engen Kontakt zu den Tieren hatten. Nach der Schlachtung von über 1 Million infizierten bzw. exponierten Schweinen in den betroffenen sowie angrenzenden Gebieten Malaysias brach die Epidemie ab. Das Reservoir bilden vermutlich Inselflughunde (Pteropus hypomelanus), denn in Urin und Speichel dieser Fledermausart war das Virus nachzuweisen. Die Schweine hatten Obst gefressen, das mit Sekreten der Flughunde kontaminiert war, und sich daran infiziert.
24.4.3
Tollwutvirusenzephalitis
Weltweit erkranken jährlich 35000 Menschen an Tollwut Auslöser der Tollwut ist ein Rhabdovirus, ein einzelsträngiges RNA-Virus mit Gewehrkugel-/Patronenform. Infizierte Hunde, Füchse, Schakale, Wölfe, Stinktiere, Waschbären und Vampirfledermäuse scheiden es im Speichel aus, und wenn infektiöser Speichel in eine Wunde gelangt (Tierbiss oder Verunreinigung einer Hautabschürfung), kann das Tollwutvirus auf Menschen übertragen werden. Füchse z.B. sind infektiöser als andere Tiere, weil ihr Speichel größere Virusmengen (bis zu 106 Infektionsdosen/ml) enthält. Letztlich ist Tollwut tödlich, auch wenn der Krankheitsverlauf speziesabhängig enorm schwanken kann. Bei einem Hund, der 10 Tage, nachdem er einen Menschen gebissen hat, weiterhin gesund wirkt, ist Tollwut ziemlich unwahrscheinlich. Doch das Virus kann sich schon im Speichel befinden, bevor bei dem infizierten Tier klinische Zeichen auftreten. Das Tollwutvirus kann alle Warmblüter infizieren. In Mittel- und Südamerika verenden jährlich über 1 Million Stück Vieh an Tollwut durch Vampirfledermaus705
Bisse. Weltweit erkranken 35000 Menschen pro Jahr an Tollwut, meist nach einem Hundebiss. Auf dem kontinentalen Festland erhält sich die Infektion in Säugetieren (nicht Menschen) selbst aufrecht. Inseln wie Australien, Großbritannien, Japan, Hawaii, die meisten Karibikinseln und Skandinavien sind tollwutfrei, weil der Import von Hunden und Katzen streng kontrolliert wird; doch es zeichnen sich Veränderungen ab. Nachdem in den 40er/50er Jahren die meisten Fälle durch Hunde verursacht waren, ist in den USA die Tollwut-Inzidenz bei Menschen rückläufig. Jetzt sind häufiger wild lebende Tiere (Stinktiere, Waschbären und Fledermäuse) oder auch Hunde in anderen Ländern die Infektionsquelle. Von Florida aus breitete sich die Waschbären-Tollwut ab 1950 langsam nordwärts aus. Als 1980 in Virginia, Maryland und Columbia ein explosionsartiger Anstieg zu beobachten war, lag es offenbar daran, dass Waschbären aus infizierten Gebieten importiert worden waren. Die Inkubationszeit bei Menschen beträgt im Allgemeinen 4–13 Wochen, manchmal aber auch bis zu 6 Monate, wenn das Virus verzögert in periphere Nerven eindringt. Weil das Tollwutvirus an peripheren Nerven aufwärts wandert, dauert die Inkubationszeit umso länger, je weiter distal vom ZNS das Tier zugebissen hat; nach einem Biss in den Fuß wird sie z.B. länger sein als nach einem Biss ins Gesicht. Solange das Virus an den Axonen motorischer oder sensorischer Nerven entlang hochsteigt, ist keine Antikörper- oder zellvermittelte Immunantwort nachweisbar, wahrscheinlich weil das Antigen in infizierten Muskelzellen noch sequestriert bleibt. Daher kann in der Inkubationszeit eine passive Immunisierung mit Immunglobulin erfolgen. Hat es das Gehirn erreicht, breitet sich das Virus von Zelle zu Zelle aus, bis ein großer Teil der Neurone infiziert ist. Doch selbst elektronenmikroskopisch sind kaum zytopathische Auswirkungen und so gut wie keine Zellinfiltration erkennbar. Statt einer sichtbaren Schädigung infizierter Zellen fällt ihr weitgehender Funktionsausfall auf. Sobald das Virus ins limbische System eingedrungen ist, kann sich bei infizierten Tieren ein verändertes Verhalten bemerkbar machen.
706
Klinische Zeichen von Tollwut sind Muskelspasmen, Krämpfe (Konvulsionen) und Wasserscheu (Hydrophobie) Nach Hals- und Kopfschmerzen, Fieber und Beschwerden an der Bissstelle werden die Patienten zunehmend erregt und bekommen Muskelspasmen und Krämpfe. Dass sich auch die Schluck-/Schlingmuskeln beim Versuch, Wasser zu trinken, verkrampfen und sich die Symptome manchmal schon beim Anblick von Wasser verstärken, erklärt die frühere Bezeichnung der Tollwut als „Wasserscheu“ (Hydrophobie). Tollwut ist tödlich; die meisten Patienten sterben an einem Herz- oder Atemstillstand. Oft ist die Lähmung Leitsymptom der Erkrankung. Ein oder zwei Patienten überlebten nach der Behandlung auf der Intensivstation mit schweren neurologischen Schäden.
Tollwut lässt sich durch Virusantigen- oder Virus-RNANachweis diagnostizieren Labordiagnostisch kann Tollwut durch Immunfluoreszenz (zum Nachweis von Virusantigen) oder PCR (zum Nachweis von Virus-RNA aus Hautproben, HornhautImpressionsabstrichen, Hirnbiopsien) festgestellt werden. In den Neuronen sind typische zytoplasmatische Einschlusskörperchen, die sog. Negri-Körperchen, zu sehen (Abb. 24.11). Außer einer supportiven Behandlung gibt es keine Möglichkeit der Therapie. Viele Länder (z.B. Frankreich) haben Impfprogramme für Haushunde festgesetzt, und in Kanada (unter anderem) wurden zur Impfung wild lebender Füchse in Lebendvakzine getauchte Fleischbrocken aus der Luft abgeworfen. Tollwutfreie Länder müssen ihre Grenzen ständig überwachen und durch strenge Quarantänevorschriften verhindern, dass infizierte Tiere eingeführt werden. 1886 starben in England 36 Menschen an Tollwut, 11 davon in London. Noch bis 1906 war die Tollwut in England endemisch und im Londoner Hampton Court Park verendeten einzelne Hirsche bzw. Rehe.
Nach Kontakt mit einem verdächtigen Tier sollten unverzüglich Schritte zur Prävention von Tollwut unternommen werden ■
Wunde sofort reinigen (Alkohol, Jod, Débridement);
■ Nachweis oder Ausschluss von Tollwut (klinische Beobachtung des Hundes, histologische Untersuchung von Hirnproben bei anderen verdächtigen Spezies); ■ sofortige passive Immunisierung durch humanes Tollwut-Immunglobulin, die Hälfte der Dosis in die Wunde, den Rest intramuskulär injizieren;
707
■ bei nachgewiesenem Risiko aktive Immunisierung mit abgetötetem Tollwutvirusimpfstoff (s. Kap. 34). Durch möglichst frühzeitige Impfung lässt sich Tollwut mit größerer Wahrscheinlichkeit verhindern.
24.4.4 Togavirusinfektionen (Meningitis und Enzephalitis) Togaviren werden von Arthropoden übertragen und können eine Meningitis oder Enzephalitis verursachen Diese Togaviren sind in Tab. 24.7 und 24.8 aufgelistet und manchmal führen sie zu einer Häufung von Infektionen. In bestimmten Gegenden der Welt dienen Säugetiere, Vögel oder sogar Reptilien als Reservoir und eine Reihe von Mücken oder Zecken als Vektoren. Eine neurologische Erkrankung entwickelt sich meist bei weniger als 1% der infizierten Menschen (s. Kap. 27). Auch wenn hin und wieder eine febrile Erkrankung vorkommen kann, verlaufen die meisten Infektionen doch asymptomatisch.
Abb. 24.11 Mehrere Negri-Körperchen als zytoplasmatische Einschlüsse in den Pyramidenneuronen des Hippocampus als Zeichen von Tollwut.
(Mit freundlicher Genehmigung von P. Garen) In Kalifornien sind z.B. das Western-Equine-Encephalitis(WEE)- und das St.-LouisEncephalitis(SLE)-Virus vorherrschend. Sie werden von der Mücke Culex tarsalis übertragen; ein WEE-Impfstoff steht nur für Pferde zur Verfügung. In Indien sind Infektionen mit dem Japanische-Enzephalitis-Virus verbreitet; in höheren Altersgruppen können sie eine hohe Letalität (über 50%) aufweisen. Ein Impfstoff für Menschen wurde entwickelt.
708
24.4.5 Neu aufgetauchte Enzephalitisursache, das Westnilvirus 1999 starben bei einer Epidemie in New York 7 von 62 an Virusenzephalitis erkrankten Patienten. Von der Meningoenzephalitis waren nur selten jüngere Altersgruppen, sondern hauptsächlich die über 50-Jährigen betroffen. Ursprünglich dachte man an das St.-Louis-Encephalitis-Virus (SLE), doch eine genauere klinische, epidemiologische und virologische Charakterisierung ergab, dass es sich um eine Westnilvirusinfektion handeln musste. Bei einer vorausgegangenen Virusepidemie waren Wild- und andere Vögel gestorben, die als Reservoir des SLE normalerweise nicht von ihm getötet würden. Wie das SLE gehört das Westnilvirus zur Serogruppe der Japanischen Enzephalitis der Flaviviren. Obwohl man es aus Afrika und dem Mittleren Osten kannte, war das Westnilvirus zuvor im Westen noch nicht aufgetreten. Es infiziert primär Vögel und Culex-Mücken, während Menschen und Pferde nur Zufallswirte werden. Seit 1999 hat sich das Virus erfolgreich mit den Zugvögeln ausgebreitet und ist nun fast überall in den USA anzutreffen. Berichten zufolge wurde es durch Organe von einem Spender, der vor seinem Tod an einer Westnilvirämie litt, auch auf vier Transplantatempfänger übertragen. Die Diagnose kann durch Nachweis der Virus-RNA oder eine IgM-Reaktion von Serum- und/oder Liquorproben gestellt werden. Behandelt wird rein supportiv; einen Impfstoff gibt es nicht. Zur Prävention dienen Mückenbekämpfungsprogramme.
24.4.6 Retrovirusinfektionen (Meningitis und Enzephalitis) Durch HIV kann eine subakute Enzephalitis mit Demenz ausgelöst werden Oft dringt das HIV kurz nach Beginn der Infektion ins ZNS ein (s. Kap. 21) und bewirkt dadurch einen Anstieg der Liquorzellzahl mit leichten Meningismuszeichen. In einem späteren Stadium kann sich unabhängig vom Krankheitsbild der Immunschwäche eine subakute Enzephalitis, meist mit Demenz, entwickeln. Manchmal ist sie schwer von den neurologischen Symptomen zu unterscheiden, die eine Infektion mit T. gondii, C. neoformans, CMV und JC-Virus hervorrufen kann. Das JC-Virus ist ein Polyomavirus, das bei Immunschwäche, vor allem bei AIDSPatienten, durch Invasion in Oligodendrozyten zu einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) führt. Bei HIV-assoziierter Demenz sind die Ventrikel des geschrumpften Gehirns vergrößert und die Nervenbahnen mit Myelinscheiden vakuolisiert. Durch HIV werden hauptsächlich Makrophagen und Mikroglia des ZNS infiziert. Weil das Krankheitsbild viel schwerer ist, als aufgrund der pathologischen Veränderungen zu erwarten wäre, vermutet man noch andere Pathomechanismen. So lässt z.B. die Ähnlichkeit von Aminosäuresequenzen des HIV-Hüllproteins gp120 und bestimmter Neurotransmittermoleküle vermuten, dass HIV-Moleküle die Wirkung natürlicher Neurotransmitter blockieren könnten. 709
Bei einigen Patienten entwickelt sich nach einer HTLV-1-Infektion das Krankheitsbild der „tropischen spastischen Paraparese“. Das Rückenmark ist auf jeden Fall beteiligt, doch über die Pathogenese weiß man noch wenig.
24.4.7
Impf- und postinfektiöse Enzephalitis
Eine Enzephalitis nach Virusinfektionen oder Impfungen könnte autoimmun bedingt sein Sehr selten kommt es ein bis zwei Wochen nach einer scheinbar normalen Maserninfektion und noch seltener nach Röteln zu einer Enzephalitis, gelegentlich auch nach einer Mykoplasmeninfektion oder einigen grippeähnlichen Krankheiten. Im Allgemeinen lässt sich im ZNS kein Virus nachweisen, und die perivaskuläre Infiltration zum Teil mit Demyelinisierung legt den Verdacht einer Autoimmunpathogenese nahe. Inaktivierter Tollwutimpfstoff aus Hirngewebe (heute obsolet), aber auch eine Immunisierung mit nichtinfektiösem Material konnte zu einem ähnlichen Zustand führen. Das klinische Bild gleicht dem einer experimentell erzeugten allergischen Enzephalitis und könnte durch eine Autoimmunreaktion auf eine Infektion oder auf das injizierte Material ausgelöst werden. Ein analoger Zustand mit entzündlicher Demyelinisierung peripherer Nerven ist das Guillain-Barré-Syndrom, das mit verschiedenen Virusinfektionen und nichtinfektiösen Impfstoffen in Verbindung gebracht wird. Als 1976 die meisten Erwachsenen in den USA mit inaktivierter Influenzavirusvakzine gegen Grippe geimpft wurden, kam es in einer kleinen, aber hoch signifikanten Zahl von Fällen zu einem Guillain-Barré-Syndrom. Auch das Röteln- und das Masernvirus dringen ins ZNS sein, doch sie wachsen so langsam und oft unvollständig, dass sie von der Immunabwehr des Wirts zumindest teilweise unter Kontrolle gehalten werden können (s. Kap. 11). Klinisch treten erst nach bis zu 10-jähriger Inkubationszeit erste Krankheitszeichen in Erscheinung. ■ SSPE kann Folge der ZNS-Invasion bei einer ansonsten unkomplizierten Masernvirusinfektion sein. ■ Röteln führen nur selten zu einem SSPE-ähnlichen Krankheitsbild, dringen aber wie CMV häufiger ins Gehirn von Feten ein und verursachen dadurch Entwicklungsstörungen in Form einer geistigen Retardierung.
24.5 Neurologische Erkrankungen mit vermuteter viraler Ätiologie Schon öfter wurde die Vermutung geäußert, dass bestimmte neurologische Erkrankungen unbekannter Ursache (wie multiple Sklerose, amyotrophe Lateralsklerose, ParkinsonKrankheit, Schizophrenie und senile Demenz) viral bedingt sein könnten. Obwohl es bisher noch keine stichhaltigen Beweise dafür gibt, könnten gefährliche autoimmune ZNS-Reaktionen zum Teil durch Viren getriggert sein.
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24.6 Spongiforme Enzephalopathien durch Scrapieartige Partikel Die infektiösen Partikel sind eng mit Prionproteinen des Wirts verbunden Unterschiedliche Säugetiere, darunter auch Menschen, können Scrapie-artige Krankheiten bekommen, die von Labortieren (Mäuse und Ratten oder Primaten) übertragen werden. Die infektiösen Partikel weisen besondere biologische Eigenschaften auf. Molekularbiologisch sind sie inzwischen gut beschrieben, und Laborexperimente mit Mäusen gaben Aufschluss über ihre Interaktion mit Wirtsgeweben (s. Kap. 7). Typisch für das Krankheitsbild ist das durch Vakuolen- und Plaquebildung schwammartig aussehende Nervengewebe. Merkmale Scrapie-artiger Partikel sind unter anderem: ■ Extrem langsame Replikation; es dauert über eine Woche bis zur Verdopplung ihrer Zahl. Normalerweise ist die Inkubationszeit so lang, dass sie einen beträchtlichen Teil der Lebensspanne ausmacht. ■ Trotz ihrer virusähnlichen Größe sind es keine echten Viren, da sie weder DNA noch RNA enthalten. Eng mit den infektiösen Partikeln verbunden ist ein Prionprotein, das vom Wirt kodiert wird, im infizierten Gehirn aber leicht abgewandelt ist; das anormale Protein häuft sich in Nervenzellen an. Durch Umwandlung des wirtskodierten Prionproteins in die anormale Form findet die Replikation statt. ■ Die Partikel zeigen sich erstaunlich resistent gegen Hitze, Chemikalien und Bestrahlung und lassen sich weder durch Kochen noch durch jahrelanges Einlegen in Formalin komplett zerstören. ■ In vitro lassen sich die Partikel nicht anzüchten, und da es weder Antikörpernoch andere Immunreaktionen auf die Infektion gibt, kann die Diagnose nur anhand der Klinik und der typischen pathologischen Hirnveränderungen gestellt werden. Unter dem Mikroskop sind Vakuolen erkennbar, die dem Hirngewebe zwar ein schwammartiges (spongiformes) Aussehen verleihen, aber keine oder nur eine geringe entzündliche Reaktion hervorrufen. Die infektiösen Partikel bleiben auf das ZNS und Lymphgewebe beschränkt. ■ Es gibt keine Therapiemöglichkeit und keinen Impfstoff für die tödlich ausgehende Erkrankung. Bei Tieren scheint die Infektion von Ziegen oder Schafen mit Scrapie ausgegangen zu sein (Abb. 7.2). „Scrapie“ gibt es in Europa seit 200 oder 300 Jahren; es wurde so bezeichnet, weil sich die befallenen Tiere an Pfosten „schaben“, um ihren Juckreiz zu lindern.
24.6.1
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
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Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist eine chronische Enzephalopathie des Menschen und mit Demenz verbunden Bei schätzungsweise jedem 10000. Menschen lassen sich zum Zeitpunkt des Todes Anzeichen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) nachweisen. Der natürliche Übertragungsweg ist nicht bekannt, die CJK scheint nicht von Schafen übertragen zu werden. Zwischen Menschen kann eine Übertragung stattfinden über: ■ Elektroden für neurochirurgische (stereotaktische) Eingriffe, die nicht richtig sterilisiert wurden, ■
Hornhauttransplantate,
■ Injektionen von Wachstumshormonlösungen (die aus Extrakten eines humanen Hypophysen-Pools zubereitet wurden, bevor Wachstumshormone gentechnisch hergestellt werden konnten). Insgesamt wurde von 15–20 Fällen nach einer Inkubationszeit von ca. 19 Jahren berichtet. Bei einigen Fällen in den letzten Jahren vermutete man eine Verbindung zum „Rinderwahn“, der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE, nach dem Verzehr kontaminierter Lebensmittel). Weil sie rascher ausbrach als die CJK teilweise bei Jugendlichen im Teenageralter und sich noch in anderen Punkten von der CJK unterscheidet, wird diese Form als „neue Variante“ (nvCJK) bezeichnet. Die CJK kann auch als erbliche Krankheit und offensichtlich unabhängig vom Kontakt mit kontaminiertem Material vorkommen. Etwa 10% der CJK-Fälle traten familiär gehäuft auf; die Betroffenen wiesen Mutationen des Prionprotein kodierenden Gens auf. Dadurch kann das anormale Prionprotein leichter in die pathogene Form überführt werden. Das geschieht offensichtlich spontan. Hierbei findet eher eine vertikale als eine horizontale Übertragung der CJK statt (s. Kap. 13), so dass die Grenze zwischen Infektion und Vererbung verschwimmt. Vielleicht beruhen sogar die meisten CJK-Fälle auf einer somatischen Mutation des Prionprotein-Gens. Kennzeichnend für CJK sind Demenz, Auszehrung („wasting“) und motorischer Kontrollverlust.
Kuru – eine tödliche Nervenkrankheit mit Kleinhirnsymptomatik bei den Fore-Stämmen in Papua-Neuguinea In einer Bevölkerung von 35000 Menschen traten insgesamt 3700 Fälle von Kuru auf. Die Übertragung hing mit dem rituellen Kannibalismus zusammen, die Leichen verstorbener Familienangehöriger wurden gemeinsam aufgegessen. Da überwiegend erwachsene Frauen erkrankten, gab es in einigen Dörfern dreimal mehr Männer als Frauen; Männer nahmen selten an dem Ritual teil und infizierten sich daher seltener. Obwohl somit eine eindeutige Verbindung zum Kannibalismus bestand, hätte die Infektion auch über kleine Schürfwunden an den Fingern oder im Mund erfolgen können statt erst im Gastrointestinaltrakt. Auffällig war die geringe Übertragbarkeit
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zwischen Menschen, denn kurukranke Mütter gebaren und stillten Hunderte von Kindern, ohne dass bei einem einzigen Zeichen der Krankheit auftraten. Die Inkubationszeit von Kuru betrug 4–20 Jahre. Seitdem der Kannibalismus aufgegeben wurde, ist bei den nach 1957 Geborenen kein Fall von Kuru mehr aufgetreten. In manchen Dörfern war Kuru die Haupttodesursache und an zweiter Stelle stand (Vergeltungs-)Mord, weil man die tödliche Erkrankung einem Hexenzauber zuschrieb. Ursprünglich wurde Kuru vermutlich von Missionaren eingeschleppt; einer könnte an CJK gestorben sein und die Eingeborenen über den kannibalistischen Leichenschmaus angesteckt haben.
24.6.2
Andere Prionenkrankheiten
Noch zwei andere seltene neurologische Krankheiten des Menschen sind durch prionartige Partikel bedingt: ■
das Gerstmann-Sträussler-Scheinker(GSS)-Syndrom und
■
die familiäre Insomnie.
Bei der familiären Insomnie führt der Verlust des Schlafvermögens innerhalb von ein, zwei Jahren zum Tod.
24.7
Parasitäre ZNS-Erkrankungen
Das ZNS ist ein wichtiges Angriffsziel bei Toxoplasmose Nachdem sie anfangs generalisiert verläuft, kann sich eine angeborene Toxoplasmagondii-Infektion schließlich im ZNS manifestieren. Am häufigsten kommt es zu Augenschäden (s. Kap. 25), aber auch das Gehirn kann betroffen sein (durch Hydrozephalus und intrazerebrale Kalkablagerung). Bevor eine hochwirksame antiretrovirale Therapie (HAART) verfügbar war, gehörte Toxoplasmose zu den Haupttodesursachen bei AIDS-Patienten; dazu trugen vor allem die Enzephalopathie und nekrotische Hirnschäden bei.
Zerebrale Malaria ist tödlich Der Plasmodium-falciparum-Lebenszyklus weist insofern ein ungewöhnliches Merkmal auf, als sich rote Blutkörperchen, die die sexuellen Vermehrungsstadien enthalten, an die Wände von Kapillargefäßen anlagern (s. Kap. 27). Wenn das im Gehirn passiert, kann eine zerebrale Malaria die Folge sein. Sie ist für den Tod von jährlich mindestens 1 Million afrikanischer Kinder verantwortlich. Nach anfänglichem Fieber folgen Symptome wie Krampfanfälle und Koma, die unbehandelt rasch zum Tod führen. Solange noch keine Resistenz aufgetreten ist, können die Patienten mit Chloroquin behandelt werden, sonst muss Chinin (zunächst intravenös) verabreicht werden. Bei erfolgreicher Behandlung ist das Koma vollständig reversibel, ohne dass Schäden zurückbleiben.
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Nach einer Toxocara-Infektion können sich Hirn- und Netzhautgranulome bilden Menschen können sich mit Katzen- (Toxocara cati) und Hunde-Rundwürmern (Toxocara canis) infizieren, vor allem Kinder, die beim Spielen Toxocara-Eier aus dem Kot von Welpen oder Kätzchen aufnehmen können (s. Kap. 6). Auch wenn die Übertragung direkt (von Hund oder Katze) erfolgen kann, benötigten die Parasiten ursprünglich wahrscheinlich Nagetiere als Zwischenwirte, die von Hunden oder Katzen gefressen werden müssen, ehe sich der Lebenszyklus der Wurmparasiten vollendet. Nach der Eiaufnahme schlüpfen im Darm (von Mensch oder Nagetier) Larven, die in Leber, Lunge, Augen (s. Kap. 25), Gehirn, Nieren und Muskeln einwandern. Granulome, die sich um die Larven herum bilden, können eine Epilepsie auslösen (wenn sie im Gehirn lokalisiert sind) oder als tumorartige Geschwulst im Auge zur Netzhautablösung und Erblindung führen. Oft besteht eine starke Eosinophilie. In den meisten Fällen verläuft die Infektion jedoch asymptomatisch. Das Serum Infizierter kann mit einem Fluoreszenztest auf Antikörper gegen Toxocara-Antigen untersucht werden. Eine regelmäßige Entwurmung von Hunden und Katzen trägt mit dazu bei, die Krankheit zu verhindern, und Kinderspielplätze sollten nicht mit Hundekot verschmutzt sein. Zur Behandlung können neben Mebendazol auch Entzündungshemmer (antiinflammatorische Mittel) erforderlich sein.
Eine Echinokokkose ist durch Zysten in Leber, Lunge, Gehirn und Nieren gekennzeichnet Eine Hydatidose/Echinokokkose wird durch den Bandwurm Echinococcus granulosus (s. Kap. 6 und 22) ausgelöst, der weltweit vor allem in Gegenden mit Schafzucht vorkommt. Wenn Menschen die Bandwurmeier infizierter Hunde aufnehmen, wandern die daraus entstehenden Embryonalstadien durch den Darm zu den Portalgefäßen und entwickeln sich zu Hydatidenzysten weiter (bevorzugt in der Leber, aber auch in Lunge, Gehirn und Nieren). Beschwerden verursacht vor allem der lokale Druck der Zysten. Manchmal kommt es zu einer Überempfindlichkeitsreaktion gegen Hydatidenantigene. Zu den neurologischen Symptomen gehören Übelkeit und Erbrechen, Krämpfe und geistig-mentale Veränderungen. Eine Echinokokkose kann durch den Nachweis von Antikörpern gegen Hydatidenantigene oder von Hydatidenzysten im CT, Röntgen- oder Ultraschallbild diagnostiziert werden (Abb. 24.12). Zur Verhütung der Krankheit sollte man den natürlichen Übertragungsweg (von Hunden auf Schafe oder Ziegen bzw. von anderen Fleisch- auf Pflanzenfresser) unterbinden. In der Behandlung kommen Albendazol, Mebendazol und Praziquantel zum Einsatz.
Eine Zystizerkose ist durch Hirn- und Augenzysten gekennzeichnet Zystizerkose ist die Folge eines (Schweine-)Bandwurmbefalls(Taenia solium). Wenn sich Schweine mit Wurmeiern aus menschlichem Stuhl infiziert haben, entwickeln sich 714
in ihrem Muskelgewebe Zystenstadien; dieses Schweinefleisch kann zur Infektionsquelle für weitere Menschen werden. Gelegentlich kommt es zur Reinfektion von Menschen durch Eier aus dem Dünndarm, vermutlich nach der Aufnahme von kontaminierter Nahrung oder Wasser oder wenn sie direkt ausschlüpfen. Nachdem sie durch die Darmwand ausgewandert sind, entwickeln sich die Parasiten meist im Gehirn (Abb. 24.13) oder im Auge zu Zysten weiter, die eine Epilepsie oder Enzephalopathie verursachen können. Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis spezifischer Antikörper im Serum oder Liquor bzw. durch die Darstellung von Zysten im CT, MRT oder Röntgenbild. Behandelt wird mit Albendazol und Praziquantel; manchmal sind Entzündungshemmer erforderlich.
Abb. 24.12
Echinokokkose.
a) Im zerebralen Angiogramm sichtbare Verdrängung der Hirngefäße durch eine massive Geschwulst im Stirnbereich; b) derselbe Patient nach Entfernung der Zyste (mit freundlicher Genehmigung von H. Whitwell).
24.8
Hirnabszesse 715
Bei Hirnabszessen liegen meist prädisponierende Faktoren vor Seitdem es Antibiotika gibt, sind Hirnabszesse selten geworden. Sie entwickeln sich gewöhnlich nach Operation oder Trauma, bei einer chronischen Osteomyelitis benachbarter Knochen, septischer Embolie oder chronischer Anoxie. Auch Kinder mit angeborenen zyanotischen Herzfehlern, bei denen im Blut zirkulierende Bakterien in der Lunge nicht ausgefiltert werden, können einen Hirnabszess haben. Akute Abszesse werden von unterschiedlichen Bakterien, unter anderem von Anaerobiern (überwiegend aus dem Oropharynx), verursacht. Meist besteht eine gemischte Bakterienflora. Chronische Abszesse können durch Mycobacterium tuberculosis oder C. neoformans entstehen. Bei immunsupprimierten Patienten können Pilze und Protozoen die Auslöser opportunistischer Infektionen sein. Hirnabszesse werden anhand der Klinik oder mit bildgebenden Verfahren (kraniales CT oder MRT) diagnostiziert. Bei Verdacht auf einen Hirnabszess ist eine Lumbalpunktion kontraindiziert; wird sie trotzdem durchgeführt, sind im Liquor vermehrt Zellen und Proteine nachweisbar (Tab. 24.1). Bei einem gut abgekapselten Abszess erfolgt die Behandlung durch chirurgische Drainage und unter antibiotischer Abdeckung über mindestens einen Monat. Andere Infektionen, die sich als chronische Meningitis oder Hirnabszess manifestieren können, sind in Tab. 24.9 aufgezählt.
Abb. 24.13
Zerebrale Zystizerkose.
Das Magnetresonanztomogramm (MRT) zeigt eine Zyste, in der die Entwicklung von Larven beginnt (mit freundlicher Genehmigung von J. Curé).
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24.9
Tetanus und Botulismus
Verschiedene Bakterien dringen selbst nicht ins ZNS ein, setzen aber Toxine frei, die sich auf das Nervensystem auswirken können (s. Kap. 17). Im Fall von Clostridium tetani oder Clostridium botulinum sind klinisch die neurologischen Symptome am wichtigsten.
Tab. 24.9 Infektionen, die sich als chronische Meningitis oder Hirnabszess äußern. *
manifestiert sich als Hirnabszess
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24.9.1
Tetanus
Tetanustoxin gelangt über periphere Nerven ins ZNS Clostridium-tetani-Sporen kommen verbreitet im Boden vor und stammen aus dem Kot von Haustieren. Wenn Sporen in eine Wunde gelangen und wenn nekrotisches Gewebe oder ein vorhandener Fremdkörper ein lokales, anaerobes Bakterienwachstum begünstigen, wird das Toxin Tetanospasmin gebildet (s. Kap. 17). Alle Stämme von C. tetani bilden dieses Toxin. Die Wunde kann winzig klein (Kratzer bei der Gartenarbeit) oder groß und tief sein (nach Autounfall, Kriegsverletzung). In fast 20% der Fälle findet sich jedoch keine Verletzung in der Vorgeschichte. Eine Nabelstumpfinfektion kann zum Neugeborenentetanus führen, an dem weltweit jährlich 200000–300000 Säuglinge sterben (s. Kap. 23). Das Toxin wird axonal an peripheren Nerven entlang und möglicherweise auch auf dem Blutweg zum ZNS transportiert. Dort bindet es an Neurone und blockiert die Freisetzung hemmender Transmitter an Spinalnervensynapsen. Dadurch kommt es zur Übererregbarkeit motorischer Neurone. Über sympathische Axone kann das Toxin aber auch zur Übererregbarkeit von Sympathikusnerven führen.
Klinische Zeichen von Tetanus sind Muskelsteife und Spasmen Nach 3–21 Tagen oder erst nach einem längeren Zeitraum zeigen sich übersteigerte Reflexe, Muskelsteife und unkontrollierbare Muskelspasmen. Durch die Dauerkontraktion der Kiefermuskeln kommt es zur Kiefersperre (Trismus). Zusätzlich treten Schluckstörungen, Risus sardonicus, Nackensteife und Opisthotonus auf (vor allem bei Neugeborenentetanus, s. Kap. 23). Die Muskelspasmen können zu Verletzungen und schließlich sogar zur Ateminsuffizienz führen. Auf eine Beteiligung des sympathischen Nervensystems weisen Tachykardie und Schweißausbrüche hin. Je nach Schwere der Infektion und Qualität der Behandlung kann die Letalität bis zu 50% betragen. Die Diagnose wird anhand der Klinik gestellt. Aus Wunden lassen sich nur selten Keime isolieren. Für die Toxinbildung bzw. Krankheitsmanifestation reicht schon eine geringe Zahl von Bakterien aus.
Bei klinischem Verdacht auf Tetanus sollte sofort humanes Immunglobulin verabreicht werden Die Wunde muss ggf. chirurgisch gesäubert werden. Durch Penicillin lässt sich die Vermehrung der Bakterien hemmen. Zum Einsatz kommen Muskelrelaxanzien und bei Bedarf muss eine intensivmedizinische Behandlung mit maschineller Beatmung durchgeführt werden. Tetanus kann durch eine Immunisierung mit Toxoidimpfstoff verhindert werden; die Wirkung hält bis zu 10 Jahre nach der letzten Injektion an. Daher zählt Tetanus zu den Krankheiten, die sich durch Schutzimpfung verhindern lassen. Eine Besonderheit besteht darin, dass die Ansteckung nicht durch andere Menschen, sondern durch 718
Umgebungseinflüsse erfolgt (Kontakt mit C.-tetani-Sporen im Boden). Wunden sollten gereinigt, nekrotisches Gewebe und Fremdkörper entfernt und eine Auffrischungsimpfung mit Tetanustoxoid durchgeführt werden. Bei besonders stark verschmutzten Wunden sollte man den Patienten zusätzlich Tetanus-Immunglobulin verabreichen. Die routinemäßige Impfung von Frauen in den Entwicklungsländern mit Tetanustoxoid und die verbesserte Hygiene in der Geburtshilfe haben sich positiv ausgewirkt und zu einem spürbaren Rückgang des Neugeborenentetanus geführt.
24.9.2
Botulismus
Clostridium-botulinum-Sporen kommen verbreitet im Boden vor und können Gemüse, Fleisch und Fisch kontaminieren. Werden Gerichte unsteril in Konservendosen gefüllt oder zu Hause hergestellt, können Sporen in der anaeroben Umgebung überleben und auskeimen. Dabei bildet sich das Toxin.
C.-botulinum-Toxin blockiert die Acetylcholinfreisetzung an Synapsen peripherer Nerven Wird so entstandenes Botulinustoxin aufgenommen und aus dem Darm ins Blut resorbiert (s. Kap. 22), hemmt es die Acetylcholinfreisetzung an den Synapsen peripherer Nerven (s. Kap. 17). Es handelt sich um eine Art Lebensmittelvergiftung, die sich auf das motorische und autonome Nervensystem auswirkt. Manchmal geraten die Sporen auch in eine Wunde und das Toxin wird von dort aus in den Körper resorbiert. Haben Säuglinge (z.B. durch Honig am Schnuller) den Erreger aufgenommen, vermehrt er sich im Darm und bildet dann das Toxin (Säuglingsbotulismus).
Klinische Zeichen sind Schwäche (Schlaffheit) und Lähmung (Paralyse) Nach einer Inkubationszeit von 2–72 Stunden entwickeln sich absteigende Schwäche und Paralyse. Sie sind mit Schluckstörungen, Diplopie, Erbrechen, Schwindel und Ateminsuffizienz (Schwächung der Atemmuskulatur) verbunden, doch es kommt nicht zu Abdominalschmerzen mit Durchfall oder Fieber. Die Kinder entwickeln eine allgemeine Schlaffheit („floppy infants“), von der sie sich im Allgemeinen wieder erholen.
Botulismus wird mit Antikörper- und Beatmungstherapie behandelt Botulismus wird im Wesentlichen klinisch diagnostiziert. Das Toxin ist in kontaminierten Nahrungsmitteln und gelegentlich auch im Patientenserum nachzuweisen. Da man nicht weiß, welcher C.-botulinum-Stamm verantwortlich ist, wird sofort mit der Beatmung begonnen und ein Dreifach-immunglobulin(gegen
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Toxin A, B, C) verabreicht. Die Letalität liegt bei erfolgreicher Beatmungstherapie unter 20%. Zur Prävention sollte auf unzureichend sterilisierte Konservendosen oder aufbewahrte Gerichte verzichtet werden. Konservendosen wirken durch Gasbildung (von Clostridien-Enzymen) wie aufgebläht. Zwar werden meist selbst eingekochte Lebensmittel verdächtigt, doch der saure pH-Wert von Früchten hindert Sporen gewöhnlich am Auskeimen. Das hitzelabile Toxin wird durch ausreichendes Erhitzen zerstört (z.B. 10-minütiges Kochen). Die Sporen können allerdings Kochzeiten von 3–5 Stunden überstehen.
Zusammenfassung ■ Eine ZNS-Invasion kommt selten vor, weil Blut-Hirn- und Blut-LiquorSchranke das Übergreifen von Infektionserregern verhindern oder erschweren. ■ Wenn sie diese Barrieren überwunden haben, verursachen Erreger im Allgemeinen eine neurologische Erkrankung, die Hirnhäute (Meningitis) oder Hirngewebe (Enzephalitis) mit einschließt. ■ Häufigste Erkrankung ist eine Virusmeningitis, gefolgt von einer bakteriellen Meningitis; dagegen sind Hirnabszess und Virusenzephalitis eher selten. Gelegentlich können Rückenmark (bei Myelitis) und periphere Nerven (bei Neuritis) befallen sein. ■ Die Auswirkungen können von einer Funktionsstörung infizierter Nervenzellen (bei Tollwut) über ihre direkte Schädigung (bei Poliomyelitis) bis hin zu entzündlichen Folgen der ZNS-Invasion (bei bakterieller Meningitis oder Virusenzephalitis) reichen. ■ Da die anatomisch definierten Abschnitte des Nervensystems aneinander grenzen bzw. miteinander verbunden sind, können Infektionen mehr als ein Kompartiment erfassen. ■ Manchmal ist das ZNS auch bei Wurminfektionen beteiligt (z.B. Toxokariasis, Hydatidose, Zystizerkose). ■ ZNS-Erkrankungen können auch durch bakterielle Neurotoxine hervorgerufen werden, die sich in extraneuralen Geweben bilden (bei Tetanus) oder aus kontaminierter Nahrung stammen (bei Botulismus).
FRAGEN Eine 45-jährige Bankmanagerin wird als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie auf der Straße zusammengebrochen war. Sie kann selbst nicht sagen, was passiert ist. Ein Passant hatte gesehen, dass sie nach dem Verlassen eines Geschäfts plötzlich ohnmächtig wurde und einen Krampfanfall hatte. Die Polizei benachrichtigte den Ehemann. Diesem war aufgefallen, dass sie seit ein paar Tagen über Kopfschmerzen geklagt und sich irgendwie komisch verhalten hatte. Anamnestisch war bei ihr weder eine Krampfneigung bekannt, noch stand sie unter einer Medikation. Bei der Untersuchung wirkt sie benommen und verwirrt. Sie hat 720
Fieber von 38°C. Neurologische Herdsymptome liegen nicht vor, nur die Reflexe sind leicht übersteigert, die sonstigen Befunde normal. Bei der Fundoskopie zeigt sich kein Papillenödem, Rachen- und Ohrenspiegelung ergeben keinen auffälligen Befund. Die Laborwerte großes Blutbild, Harnstoff, Elektrolyte (mit Glukosespiegel) liegen alle im Normalbereich. 1
Welche Untersuchungen sollten umgehend durchgeführt werden?
2 Im kranialen CT ist eine geringe Dichteabschwächung in einem Bereich des linken Temporallappens erkennbar, aber kein Anzeichen für ein Hirnödem oder eine Verschiebung der Mittellinie. Lumbalpunktion: Liquor klar (Lymphozyten 50/mm3, keine roten Blutkörperchen, Protein 0,9 g/dl); Glukose: 3,3 mmol/l im Liquor und 5 mmol/l im Blut; Gram-Färbung ohne sichtbare Erreger. Welche Diagnose kommt unter Berücksichtigung der Laborwerte und der klinischen Vorgeschichte in Betracht? 3
Wie würden Sie die Patientin behandeln?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Chuka, K.B., Bellini, W.J., Rota, P.A. et al.: Nipah virus: a recently emergent deadly paramyxovirus. Science 288 (2000) 1432–1435. Cook, T.M., Protheroe, R.T., Handel, J.M.: Tetanus: a review of the literature. Br J Anaesth 87 (2001) 477–487. Johnson, R.T.: The pathogenesis of acute viral encephalitis and post infectious encephalomyelitis. J Infect Dis 155 (1987) 359–364. Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.). Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001. Lanciotti, R.W., Roehrig, J.T., Deubel, V. et al.: Origin of West Nile virus responsible for an outbreak of encephalitis in the northeastern United States. Science 286 (1999) 2333–2337. Mestel, R.: Putting prions to the test. Science 273 (1996) 184–189. Plotkin, S.A.: Rabies. Clin Infect Dis 30 (2000) 4–12. Prusiner, S.B.: Human prion diseases. In: Principles and Practice of Clinical Virology, 4th ed. Wiley, Chicester 2000. Shapiro, R.L., Hatheway, C., Swerdlow, D.L.: Botulism in the United States: a clinical and epidemiologic review. Ann Intern Med 129 (1998) 221–228. Tunkel, A.R.: Bacterial Meningitis. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia 2001. Whitley, R.J., Gnann, J.W.: Viral encephalitis: familiar infections and emerging pathogens. Lancet 359 (2002) 507–514.
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25 Augeninfektionen 25.1
Konjunktivitis 365
25.1.1
Chlamydieninfektion 365
25.1.2
Andere Bindehautinfektionen 366
25.2
Tiefere Augeninfektionen 367
25.2.1
Toxoplasmose 367
25.2.2
Parasitäre Wurminfektionen 368
Zur Orientierung Die Außenschicht des Auges ist der Außenumgebung zugewandt und dadurch leichter für Infektionserreger zugänglich. Besonders anfällig ist die Bindehaut (Konjunktiva). Nicht nur als verletzliche Epithelfläche, sondern auch weil sie von den Augenlidern bedeckt wird, die ein abgeschlossenes, feucht-warmes Milieu schaffen, in dem sich eine Keimkontamination gut halten und zum Infektionsherd werden kann. Durch Lider und Tränenflüssigkeit sind die Augen mechanisch und biochemisch geschützt; wenn hier eine Funktionsstörung vorliegt, setzen sich Pathogene noch eher in den Augen fest. Lidinfektionen sind meist durch Staphylococcus aureus bedingt. Bei Mitbeteiligung des Lidrandes kommt es zur Blepharitis und bei einer Liddrüsen- oder Follikelentzündung kann sich ein Gerstenkorn (Hordeolum) bilden. Die Bindehaut wird noch auf anderen Wegen (hämatogen oder über Nervenstrukturen) befallen. Manchmal dringen Infektionen in tiefere Augenschichten ein, besonders Protozoen- oder Wurminfektionen.
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25.1
Konjunktivitis
Ein breites Erregerspektrum von Viren oder Bakterien kann eine Bindehautentzündung bzw. Konjunktivitis verursachen (Tab. 25.1). Bestimmte Infektionen betreffen vorwiegend Kinder und diese heilen rasch ab, andere können dagegen schwerer verlaufen. Zu schweren Augenschäden kann eine Keratokonjunktivitis durch Adeno-, Herpes-simplex(HSV) oder Varicella-Zoster-Viren (VZV) führen. Eine akute hämorrhagische Konjunktivitis ist oft Folge einer Enterovirus-70- oder Coxsackievirus-A24-Infektion.
25.1.1
Chlamydieninfektion
Einschlusskörperchen-Konjunktivitis und Trachom werden durch unterschiedliche Chlamydiatrachomatis-Serotypen verursacht Um die Augenbindehaut infizieren zu können, dürfen sich Mikroorganismen nicht einfach von der Tränenflüssigkeit wegspülen lassen. Das gelingt am besten durch spezifische Adhäsion an den Bindehautzellen. Chlamydien binden sich z.B. über Oberflächenmoleküle an spezifische Zellrezeptoren. Das ist einer der Gründe, weshalb sie zu den häufigsten Konjunktivitiserregern gehören (Tab. 25.1). Acht C.trachomatis-Serotypen können eine Einschlusskörperchen-Konjunktivitis (Abb. 25.1) verursachen und vier weitere sind für das Trachom verantwortlich, eine der weltweit wichtigsten Augeninfektionen.
Tab. 25.1 Erreger einer Bindehautentzündung (Konjunktivitis).
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Abb. 25.1 Häufigste Form der Neugeborenenkonjunktivitis ist eine Chlamydieninfektion.
(Mit freundlicher Genehmigung von G. Ridgway)
Sechs Millionen Menschen sind durch ein Trachom erblindet Von weltweit etwa 100–200 Millionen Menschen mit Trachom sind sechs Millionen erblindet, viele andere leiden an einer Sehbehinderung. Das Trachom war schon vor rund 4000 Jahren im alten Ägypten bekannt (Abb. 25.2), und in Königsgräbern fand man Pinzetten, mit denen einwärts gedrehte Lider bzw. Wimpern (Entropium) umgestülpt wurden. Chlamydia trachomatis wird als Kontaktinfektion z.B. über kontaminierte Fliegen, Hände und Handtücher übertragen. Das Trachom selbst ist Endergebnis wiederholter chronischer Infektionen (Abb. 25.2) und tritt besonders häufig auf, wenn Hände und Gesicht wegen Wasserknappheit nicht regelmäßig gewaschen werden. Unter diesen Umständen greift eine Chlamydieninfektion schnell auf andere Bindehäute über, so dass man fast schon analog zur unspezifischen Urethritis, die sich über genitale Sekrete weiter verbreitet (s. Kap. 21), von einer „okulären Promiskuität“ sprechen könnte. Bestimmte Chlamydien-Serotypen können Urogenitaltrakt (s. Kap. 21) und Augenbindehaut infizieren. Neugeborene können sich beim Durchqueren des infizierten Geburtskanals z.B. eine Konjunktivitis oder eine Lungeninfektion zuziehen (s. Kap. 23). In dieser Situation ist meist eine systemische Behandlung mit Erythromycin erforderlich.
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Chlamydieninfektionen werden antibiotisch behandelt und lassen sich durch Gesichtswäsche verhindern Laborchemisch kann eine Chlamydieninfektion (s. Anhang) anhand des Sekrets oder Zellabstrichs von der Bindehaut diagnostiziert werden. Die Therapie erfolgt durch topisch oder oral anzuwendende Antibiotika (wie Azithromycin, Doxycyclin usw.). Weil Infektion und Reinfektion durch dichte Menschenansammlungen, Wasserknappheit und eine Überpopulation von Fliegen begünstigt werden, lässt sich die Krankheit durch bessere Hygienebedingungen verhindern. In vielen Endemiegebieten mit hohen Trachomraten konnte ein Fortschreiten der Erkrankung bis zur Erblindung durch sozioökonomische Verbesserungen und spezifische Maßnahmen (z.B. Gesichtswäsche) deutlich eingeschränkt oder ganz unterbunden werden. Das veranlasste die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einer internationalen Allianz mit dem Ziel, die trachominduzierte Erblindung bis zum Jahr 2020 weltweit auszurotten.
Abb. 25.2
Chlamydia trachomatis und Erblindung.
a) Skizzierung der Pathogenese. Durch Vernarbung der Hornhaut (b) bildet sich ein länger anhaltendes Trachomkorn im Auge. In Zellabstrichen aus einem Trachom (c) sind nach Giemsa-Färbung intrazelluläre C.-trachomatis725
Einschlusskörperchen erkennbar. Mit freundlicher Genehmigung von R.C. Barnes (b) und G. Ridgway (c). Trotz jahrzehntelanger Forschung gibt es noch immer keine Impfstoffe gegen Chlamydieninfektionen. Das liegt zum Teil an einer starken immunpathologischen Komponente, die wesentlich zur Erkrankung beiträgt, so dass sich Impfreaktionen schädlich auswirken könnten.
25.1.2
Andere Bindehautinfektionen
In höher entwickelten Ländern beruhen nur 20% der Konjunktivitisfälle auf Chlamydien Verschiedene Bakterien wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Staphylococcus aureus können eine Konjunktivitis auslösen (Abb. 25.3). H. aegyptius, ein Biovar von H. influenzae, verursacht das Brasilianische Purpurafieber (BPF), das sich Wochen nach einer akuten Hämophiluskonjunktivitis entwickeln kann. BPF ist durch Fieber, Purpura und massiven Gefäßkollaps gekennzeichnet und führt rasch zum Tod. Die Pathogenese ist unklar. Obwohl sie ursprünglich für Brasilien beschrieben wurden, sind mittlerweile fast überall auf der Welt BPF-Fälle aufgetreten. Wenn sich Neugeborene bei der Passage durch den infizierten Geburtskanal mit Neisseria gonorrhoeae infiziert haben, kann sich am ersten oder zweiten Lebenstag eine schwere eitrige Augenerkrankung (Ophthalmia neonatorum) einstellen, die dringend mit Ceftriaxon behandelt werden muss, weil inzwischen verbreitet eine Penicillinresistenz in Gonokokken auftritt. Staphylococcus aureus kann sowohl bei Neugeborenen wie bei Erwachsenen Infektionen hervorrufen. Bei einer Augeninfektion von Säuglingen kann der Keim aus dem Körper des Kindes stammen oder von einem infizierten Erwachsenen übertragen worden sein.
726
Abb. 25.3 Eitrige Absonderung bei bakterieller Konjunktivitis (meist bei einer Infektion mit Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae oder Staphylococcus aureus).
(Mit freundlicher Genehmigung von M. Tapert).
Eine Augeninfektion ist auch durch Kontaktlinsen möglich Ständiges Tragen von Kontaktlinsen kann zwar die Abwehrmechanismen des Auges unwirksamer werden lassen und Erregern den Zutritt erleichtern, doch Infektionen sind wahrscheinlich trotzdem häufiger Folge eines falschen Umgangs mit Kontaktlinsen bzw. des Gebrauchs kontaminierter Reinigungslösungen oder Augentropfen. Auf diesem Weg kommt es zur Direktübertragung einer Reihe von Bakterien. Wird die Reinigungslösung von Kontaktlinsen nicht regelmäßig gewechselt, können sich darin frei lebende Akanthamöben vermehren und die Hornhaut schädigen, wenn die Linse das nächste Mal wieder ins Auge eingesetzt wird.
Eine Bindehautinfektion kann über Blut- oder Nervenbahnen übertragen werden Nachdem sie vom Blut zum Auge transportiert wurden oder sich wie im Fall des Herpes-simplex-Virus (HSV) entlang dem Trigeminusnerv dorthin bewegt haben, können Erreger in die oberflächlichen Schichten eindringen. Durch Reaktivierung einer HSV-Infektion kann sich eine Keratitis entwickeln, die zur Bildung dendritischer Ulzera führt (Abb. 25.4). Bei versehentlicher Anwendung topischer Steroide verschlimmert sich der Zustand noch, bis die schweren Ulzerationen schließlich die Hornhaut zerstören.
25.2
Tiefere Augeninfektionen
727
Das Erregerspektrum von Augenkrankheiten tieferer Gewebeschichten ist breiter als bei Bindehautentzündungen (Tab. 25.2).
Abb. 25.4 Herpes-simplex-Virus(HSV)-Keratitis.
Dendritische Ulzera wie hier sind häufig bei rekurrierenden HSV-Infektionen auf der Hornhaut sichtbar (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
Die Invasion tieferer Augenschichten kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen Manifestiert sich nach Augenverletzung eine opportunistische Pseudomonas-aeruginosaInfektion, kann es zu einer schweren Innenaugenerkrankung kommen. Manchmal wird der Erreger durch kontaminierte Augentropfen ins Auge eingebracht. Das Röteln- und das Zytomegalievirus (CMV) infizieren bereits intrauterin die Augen des Fetus und können Katarakt und Mikrophthalmie (Rötelnvirus) oder eine schwere Chorioretinitis (CMV) verursachen. CMV-Infektionen können auch bei AIDS-Patienten zur Chorioretinitis führen (Abb. 21.26e). Bei angeborener Syphilis entwickelt sich oft erst später aus einer latenten Retinopathie eine Keratitis. Auch eine Syphilis im Sekundärstadium kann von einer Augenentzündung begleitet sein.
25.2.1
Toxoplasmose
Eine Chorioretinitis durch Toxoplasma gondii kann zur Erblindung führen Auch bei Toxoplasmose kommt es häufiger zur Chorioretinitis. Übertragen wird sie bei der oralen Aufnahme von Oozysten aus dem Kot infizierter Katzen (Primärwirt) oder beim Verzehr von Fleisch, das Gewebezysten enthält. Obwohl Toxoplasmose eine weit verbreitete Protozoeninfektion ist (s. Kap. 5), hat sie nur ernste Folgen, wenn ■ nach intrauteriner Infektion sämtliche Gewebe, und vor allem das ZNS, befallen sind, ■
sie unter Immunsuppression erworben (oder reaktiviert) wurde.
728
Augenschäden treten hauptsächlich im Fall einer angeborenen Toxoplasmose auf. Infizierte Schwangere können ihr Kind intrauterin anstecken, da die schnell beweglichen Larven die Plazentaschranke überwinden können. Wenn sich im Netzhautgewebe des Fetus Zysten bilden, bewirkt ihre kontinuierliche Proliferation Läsionen, die ständig weiter voranschreiten, gerade wegen der noch unterentwickelten Immunität. Ist neben der Retina auch die Choroidea (Aderhaut) betroffen, kann die Chorioretinitis letztlich zur Erblindung führen (Abb. 25.5). Erkranken können ein oder beide Augen.
Tab. 25.2 Augeninfektionen tieferer Gewebeschichten. * 25% der AIDS-Patienten erkranken an CMV-Retinitis
729
25.2.2
Parasitäre Wurminfektionen
Die starke Entzündungsreaktion auf Toxocara-canisLarvenstadien kann zur Netzhautablösung führen Gelegentlich dringen Bandwurmlarven ins Auge ein (z.B. Hydatidenzysten von Echinococcus granulosus), nachdem sie aus Eiern im Kot infizierter Hunde geschlüpft sind. Durch das Zystenwachstum kann eine schwere mechanische (Druck-)Schädigung ausgelöst werden. Häufiger findet jedoch eine Invasion wandernder Rundwurmlarven (z.B. von Toxocara canis) statt. Toxocara canis ist ein natürlicher Darmparasit von Hunden, dessen Eier in die Umgebung ausgeschieden werden und die wegen ihrer dicken Hülle sehr widerstandsfähig sind. Werden sie von Menschen aufgenommen, beginnen die geschlüpften Larven ihre übliche Wanderung durchs Gewebe, können sie aber nicht vollenden. In ihrem eigentlichen Wirt, dem Hund, führt die Migration dazu, dass die Larven wieder in den Dünndarm zurückgelangen und dort zu adulten Rundwürmern heranreifen.
Abb. 25.5
Angeborene Toxoplasmose.
Auf dem Foto ist nach abgeheilter Chorioretinitis eine Narbe auf dem Augenhintergrund zu sehen (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood). Bei Menschen können die Larven so gut wie in jedes Organ eindringen, oft z.B. ins ZNS oder Auge (Abb. 25.6), und eine heftige eosinophile Entzündungsreaktion auslösen. In der Retina lokalisierte Läsionen können eine Netzhautablösung verursachen. Die Fehldiagnose als Retinoblastom hat schon zur Enukleation solcher Augenläsionen geführt. Empfohlen wird eine Behandlung mit Antihelmintika (wie Albendazol oder Mebendazol).
730
Abb. 25.6 Granulom am hinteren Augenpol bei einer Toxocara-canis-Infektion.
Mitten im Granulom befindet sich deutlich sichtbar die Nematodenlarve (mit freundlicher Genehmigung von D. Spalton).
Onchocerca volvulus ist Ursache der Flussblindheit und wird von Kriebelmücken übertragen Onchocerca-volvulus-Infektionen (Onchozerkose des Menschen) führen in Afrika und Mittelamerika zur Flussblindheit. Übertragen werden sie von Kriebelmücken (Simulium), die beim Blutsaugen Mikrofilarien von einem infizierten Wirt aufnehmen und die infektiösen Larven bei ihrem nächsten Biss weiter übertragen. Die adulten Würmer bilden subkutane Knötchen und sind vergleichsweise harmlos. Doch die in großer Menge von den Weibchen freigesetzten Mikrofilarien rufen eine intensive Entzündungsreaktion der Haut hervor (s. Kap. 26). Die Larven wandern durch das Unterhautgewebe und dringen, besonders in bestimmten Regionen Afrikas und Mittelamerikas, häufiger ins Auge ein. Durch entzündliche Reaktionen kommt es zu pathologischen Veränderungen, die sowohl die Vorder- wie die Hinterkammer des Auges betreffen können (Abb. 25.7), z.B.: ■
Keratitis punctata und sclerosans,
■
Iridozyklitis,
■
Chorioretinitis,
■
Optikusatrophie.
Die Krankheit wird als Flussblindheit bezeichnet, weil sich Kriebelmücken in Flüssen entwickeln und daher vor allem Menschen erkranken, die am Ufer von Flüssen leben. In Endemiegebieten können bis zu 40% der erwachsenen Bevölkerung nach der Infektion erblinden. Doch die Bekämpfung der Vektoren und die Behandlung der
731
Patienten mit Ivermectin haben dazu beigetragen, die Zahl der Neuerkrankungen in vielen afrikanischen Ländern drastisch zu verringern. Flussblindheit ist aber eine irreversible Erkrankung.
Abb. 25.7
Onchozerkose.
Sklerose der Aderhaut-/Choroideagefäße nach der Invasion von Onchocercavolvulus-Mikrofilarien (mit freundlicher Genehmigung von J. Anderson).
Zusammenfassung ■ Die Außenschicht der Augen ist besonders infektionsanfällig. Zu ihrem Schutz tragen Augenlider und Lysozyme in der Tränenflüssigkeit bei. ■ Jede Augeninfektion kann ernste Folgen haben, da das Sehvermögen von einer intakten und transparenten Hornhaut (Kornea) abhängt. ■ Um die Bindehaut infizieren zu können, müssen die Keime über spezifische Adhäsionsmechanismen verfügen. ■ Durch entzündliche Reaktionen, die eigentlich die Erregerinvasion der Augen begrenzen und Schäden reparieren sollten, können die oberflächlichen Schichten (Binde- und Hornhaut) auch irreversibel geschädigt werden. ■ Relativ wenige Keime dringen in die Netzhaut ein (Retina) und diese gefährden das Sehvermögen. ■ Mit zu den schwersten Augenerkrankungen/-infektionen führt eine Invasion von Protozoen- oder Wurmparasiten. Oft wird die Diagnose nicht rechtzeitig gestellt, sondern erst aufgrund des eingeschränkten Sehvermögens.
FRAGEN Ein 42-jähriger homosexueller AIDS-Patient klagt über verschwommenes Sehen und eine Einschränkung seines Gesichtsfelds. Ihm sind auch „Mouches volantes“ aufgefallen, die er als „schwarze Flecken“ vor den Augen beschreibt. Bei der letzten
732
Untersuchung hatte er sehr niedrige CD4-Zellzahlen (20/mm3) und wurde ins Krankenhaus eingeliefert, um seine Pneumonie (durch Pneumocystis jiroveci [früher: P. carinii]) und ein Kaposi-Sarkom behandeln zu lassen. Die bei der Fundoskopie sichtbaren weißen Flecken und Einblutungen im Augenhintergrund sprechen für eine Retinitis. Bei der Gesichtsfelduntersuchung zeigt sich ein einzelnes Skotom( blinder Fleck) im infratemporalen Teil der Netzhaut. 1
Welche Infektionen können zu Chorioretinitis führen?
2
Wie würden Sie diagnostisch vorgehen?
3
Wie würden Sie einen Patienten mit CMV-Retinitis behandeln?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Cox, F.E.G. et al. (eds.): Parasitology. In: Collier, L.H. et al.: Topley & Wilson’s Microbiology and Microbial Infections, vol. 5, 9th ed. Arnold, London 1988. Harding, S.P.: Viral infections of the eye. Rev Med Virol 3 (1993) 161–171. Holmes, K.K.: The chlamydia epidemic. J Am Med Assoc 245 (1981) 1718–1723. Weiss, A., Brinser, J.H., Nazar-Stewart, V.: Acute conjunctivitis in childhood. J Pediatr 122 (1993) 10–14. Wilcox, A.D.P., Stapleton, F.: Ocular bacteriology. Rev Med Microbiol 7 (1996) 123–131.
733
26 Infektionen von Weichteilen und Knochen 26.1
Bakterielle Infektionen von Haut, Weichteil- und Muskelgewebe 373
26.1.1
Staphylokokkeninfektionen der Haut 374
26.1.2
Streptokokkeninfektionen der Haut 376
26.1.3
Zellulitis und Gangrän 377
26.1.4
Nekrotisierende Fasziitis, Muskelnekrose und Gangrän 378
26.1.5
Akne und Propionibacterium acnes 379
26.2
Mykobakterielle Hautkrankheiten 380
26.2.1
Lepra 380
26.2.2
Andere Mykobakterieninfektionen 382
26.3
Pilzinfektionen der Haut 383
26.3.1
Oberflächliche und kutane Mykosen 383
26.3.2
Subkutane Mykosen 387
26.4 26.4.1 26.5
Parasiteninfektionen der Haut 388 Arthropodeninfektionen 389 Mukokutane Virusinfektionen 390
26.5.1
Papillomavirus-(HPV-)Infektionen 390
26.5.2
Herpes-simplex-Virus-(HSV-) Infektion 392
26.5.3
Varicella-Zoster-Virus-(VZV-) Infektionen 393
26.5.4
Ausschläge durch Coxsackie- und Echoviren 396
26.5.5
Ausschläge durch Erythrovirus B9 396
26.5.6
Ausschläge durch humane Herpesviren (HHV-6 und HHV-7) 397
26.6
Pocken 397
26.7
Masern 398
26.7.1
Ätiologie und Übertragung 398
26.7.2
Diagnose, Therapie, Prävention 400
26.8
Röteln 400
734
26.9
Hautläsionen bei anderen Infektionen 401
26.10
Kawasaki-Syndrom 401
26.11
Virusinfektionen von Muskeln 401
26.11.1 Virale Myositis, Myo- und Perikarditis 401 26.11.2 Chronic-Fatigue-Syndrom 402 26.12
Parasiteninfektionen von Muskeln 402
26.12.1 Trypanosoma cruzi-Infektion 402 26.12.2 Taenia solium-Infektion 402 26.12.3 Trichinella spiralis-Infektion 403 26.12.4 Sarcocystis 403 26.13
Gelenk- und Knocheninfektionen 403
26.13.1 Reaktive Arthritis, Arthralgie und septische Arthritis 403 26.13.2 Osteomyelitis 404 26.14
Infektionen des blutbildenden Systems 405
26.14.1 HTLV-1-Infektion 405 26.14.2 HTLV-2-Infektion 405
735
Zur Orientierung Schutzfunktion der Haut–Gesunde, unversehrte Haut wehrt eine Erregerinvasion gut ab und schützt darunter liegendes Gewebe Auf die Bakterienzahl in der normalen Hautflora üben unterschiedliche Faktoren Einfluss aus (Tab. 26.1). Länger einwirkende Feuchtigkeit und andere Veränderungen können das ökologische Gleichgewicht der (kommensalen) Hautflora stören und zu Hautinfektionen prädisponieren. Eine kleinere Zahl von Erregern kann Muskel- und Gelenkerkrankungen oder Störungen des blutbildenden Systems (Hämopoese) verursachen. Hier erfolgt im Allgemeinen eine Invasion vom Blutweg aus, doch aus welchem Grund bestimmte Gewebe befallen werden, ist vielfach ungeklärt. Keime aus dem Blutkreislauf siedeln sich bevorzugt in wachsenden bzw. vorgeschädigten Knochen (akute Osteomyelitis) oder Gelenken an; wir wissen allerdings nicht, warum Coxsackieviren oder Trichinella spiralis bevorzugt in Muskelgewebe eindringen. Andererseits hängt es mit spezifischen Zelladhäsionsstellen zusammen, dass Viren bestimmte Zielzellen infizieren oder Plasmodien in Erythrozyten einwandern.
Tab. 26.1 Bakterienmenge der Haut.
Hautinfektionen Zusätzlich zu ihrer mechanischen Barrierefunktion ist die Haut von einer Normalflora aus unterschiedlichen Keimen besiedelt. In relativ trockenen Hautarealen wie den Unterarmen oder am Rücken handelt es sich um eine eher spärliche Besiedlung, bei der grampositive Bakterien und Hefepilze überwiegen. In feuchteren Bereichen wie Leiste oder Achselhöhle finden sich mehr und unterschiedlichere Keime, darunter auch Gramnegative Bakterien. Wie die Normalflora an anderen Körperstellen spielt auch die Hautflora eine wichtige Rolle als Schutz vor einer Invasion fremder Keime. Bei näherer Betrachtung der Hautstruktur wird verständlich, weshalb sie und die darunter befindlichen Gewebe für unterschiedliche Infektionen anfällig sind (Abb. 26.1). Wenn Keime die Hornschicht (Stratum corneum) überwinden, wird die körpereigene 736
Abwehr mobilisiert: Von Langerhans-Zellen in der Epidermis werden Zytokine gebildet, die Neutrophile zur Invasionsstelle hinlocken, und der alternative Weg des Komplementsystems wird aktiviert.
Zu Hautkrankheiten führen drei unterschiedliche Angriffslinien der Erreger Abb. 26.1 Bei Infektionen der Haut und Unterhautgewebe lässt sich eine Beziehung zur Anatomie der Haut herstellen.
Normalerweise dringen Erreger erst nach einer Schädigung der Hautoberfläche in die unteren Epidermis- und Dermisschichten vor. ■
Risse in der Haut ermöglichen eine Infektion von außen.
■ Hautsymptome im Rahmen von systemischen Erkrankungen kommen hämatogen oder durch direktes Übergreifen eines Infektionsherds auf die Haut zustande (z.B. Fisteln bzw. Ausführungsgänge bei aktinomykotischen Läsionen, nekrotisierende Anaerobierinfektion bei intraabdominaler Sepsis). ■ An anderen Stellen im Körper gebildete Bakterientoxine (z.B. bei Scharlach oder toxischem Schocksyndrom) können ebenfalls die Haut schädigen.
737
In Abb. 26.2 ist der pathogenetische Ablauf einer mukokutanen Schädigung nach Bakterien-, Pilz- oder Virusinfektionen dargestellt. Die Haut kann mikroskopisch kleine Risse oder tiefe und großflächige Verletzungen aufweisen (Schnittwunden nach Unfällen, Brandblasen nach Verbrennung, Operationsschnitte). Hospitalisierte Patienten sind noch durch andere Vorschäden (Dekubitus, Venenkatheterinsertionsstelle) anfällig für Hautinfektionen (s. Kap. 36). Infektionen bei Immunschwäche, z.B. Patienten mit Brandverletzungen, werden in Kap. 30 näher besprochen.
Abb. 26.2
Pathogenese mukokutaner Läsionen.
Ausgangspunkt (Keiminvasion, Toxin- oder Immunkomplexbildung) und Endergebnis (makulopapulöser Ausschlag, Bläschen) von Haut- und Schleimhautinfektionen können unterschiedlich sein. HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus Hier befassen wir uns mit Primärinfektionen der Haut und des Unterhautgewebes sowie mit mukokutanen Schäden nach bestimmten systemischen Virusinfektionen. Systemische bakterielle und Pilzinfektionen als Ursache einer Haut- oder Schleimhautschädigung sind in Tab. 26.2 zusammengefasst.
26.1 Bakterielle Infektionen von Haut, Weichteil- und Muskelgewebe Einteilung auf anatomischer Grundlage 738
Ihre Einteilung richtet sich nach den beteiligten Haut- und Weichteilschichten; bei manchen Infektionen können verschiedene Bestandteile des Bindegewebes eingeschlossen sein: ■ Abszedierung. Infolge einer Infektion und Entzündung der Haarfollikel in der Haut (Follikulitis) können sich Furunkel und Karbunkel bilden. ■ Ausbreitung von Infektionen. Bei Impetigo (bullöse, verkrustete oder pustelartige Flechte) bleibt der Ausschlag auf die Epidermis beschränkt. Ein Erysipel geht mit der Blockade von Hautlymphgefäßen einher; es manifestiert sich als umschriebene, sich ausbreitende entzündliche Rötung (meist im Gesicht, an Beinen oder Füßen) und ist oft mit Schmerzen und Fieber verbunden. Bei Infektionsherden im Unterhautfettgewebe ist eine diffuse akute Entzündung (Zellulitis) die übliche Erscheinungsform. ■ Nekrotisierende Infektionen. Die entzündliche Reaktion auf eine Infektion subdermaler Weich-/Bindegewebe bezeichnet man als Fasziitis. Oft breitet sich die Infektion mit alarmierender Schnelligkeit entlang von Faszien aus und behindert die Blutzufuhr. Nach ischämischen Muskelinfektionen kann sich eine Gangrän oder Muskelnekrose entwickeln. Bei einer Gasgangrän können die im fermentiven (Gärungs-)Stoffwechsel anaerober Keime gebildeten Gase im Gewebe tastbar sein. Die häufigsten Auslöser solcher bakteriellen oder Pilzinfektionen sind in Tab. 26.3 aufgeführt. Zu beachten ist, dass derselbe Erreger (z.B. Streptococcus pyogenes) je nach betroffener Haut-/Unterhautschicht oft unterschiedliche Infektionen verursachen kann.
739
Tab. 26.2 Hautsymptome bei systemischen Infektionen durch Bakterien oder Pilze.
26.1.1
Staphylokokkeninfektionen der Haut
Staphylococcus aureus (häufigste Ursache von Hautinfektionen) ruft eine heftige Entzündungsreaktion hervor Neben kleineren Hautinfektionen (Furunkel oder Abszesse) verursacht Staphylococcus aureus auch schwere postoperative Wundinfektionen. Die Übertragung kann durch Selbstinokulation (z.B. aus der Nase) oder im Kontakt mit einer exogenen Infektionsquelle (meist andere Menschen) erfolgen. Die Träger virulenter S.-aureusStämme (in der Nase) können unter wiederkehrenden Furunkeln leiden. Ohne vorhandene Wunden oder Fremdkörper ist dazu allerdings ein Inokulum von mindestens 100000 Keimen erforderlich. Auch durch Toxinbildung kann S. aureus schwere Hautsymptome (Syndrom der verbrühten Haut, toxisches Schocksyndrom, s. unten) hervorrufen. Ein Furunkel beginnt 2–4 Tage nach der Inokulation als oberflächliche Entzündung in und um einen Haarfollikel (Follikulitis, Abb. 26.3). An dieser Stelle kann sich der Keim einigermaßen sicher vor der Wirtsabwehr rasch vermehren und lokal ausbreiten. Das provoziert eine stark entzündliche Reaktion mit dem Zustrom von Neutrophilen und einer Abkapselung der Stelle durch Fibrinablagerungen. Typisch für Abszesse ist gelber Eiter von cremiger Konsistenz, der reichlich vorhanden ist und aus Zellmassen der Erreger und nekrotischen weißen Blutkörperchen besteht. Unter langsamer Ausbreitung einer Abszedierung kommt es schließlich zur Erosion der darüber befindlichen Haut, bis sich ein „Eiterstippchen“ bildet und sich der Abszess entleert. Fließt Eiter nach innen ab, kann die Streuung von Staphylokokken in innere Körperstrukturen zu schweren Infektionen (Peritonitis, Empyem oder Meningitis) führen.
S.-aureus-Infektionen sind oft klinisch diagnostizierbar, werden ausgeleitet und mit Antibiotika behandelt S. aureus ist die häufigste Ursache von Furunkeln. Meist stützt sich die Diagnose auf klinische Anhaltspunkte. Zur Abklärung von Hospitalinfektionen sind Isolierung und nähere Identifizierung der auslösenden Staphylokokken bei Krankenhauspatienten und -personal wichtig (s. Kap. 36).
Abb. 26.3
Follikulitis.
740
Hier ist die oberflächliche Infektion von Haarfollikeln am Unterschenkel gezeigt. Die Furunkel enthalten cremig-gelben Eiter und Bakterienmassen. Am häufigsten ist Staphylococcus aureus die Ursache (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier).
Tab. 26.3 Direkter Zugang für Bakterien oder Pilze zu unterschiedlichen Hautschichten. Bei kleineren Läsionen kann eine Entleerung der Furunkel als Behandlung ausreichen, doch bei stärkeren Infektionen mit Fieber sollten die Patienten zusätzlich Antibiotika erhalten. Die meisten Staphylokokken bilden Betalaktamase, doch Methicillin-empfindliche S. aureus (MSSA) können mit einem betalaktamasefesten Penicillin behandelt werden. Zur Behandlung Methicillin-resistenterS. aureus 741
(MRSA, s. Kap. 33) kommen z.B. Vancomycin oder Linezolid zum Einsatz. Eine Behandlung mit diesen Substanzen führt jedoch bei Trägern von Stapyholokken nicht unbedingt zur Eradikation der Erreger. Um rezidivierende Infektionen über die Nase zu verhindern, können S.-aureusTräger z.B. mit antibiotikahaltigen Nasensalben behandelt werden. Mupirocin wurde z.B. erfolgreich gegen MRSA angewandt (s. Kap. 36). Man sollte Träger und Patienten zu guter Hautpflege und sorgfältiger Hygiene anhalten.
Toxinbildende S. aureus verursachen das „Syndrom der verbrühten Haut“ (staphylococcal scalded skin syndrome) Bei Säuglingen ist es auch als Dermatitis exfoliativa neonatorum Ritter von Rittershain und bei älteren Kindern als Lyell-Syndrom oder Epidermolysis acuta toxica bekannt. Das sporadisch oder epidemisch auftretende Syndrom wird von S. aureus-Stämmen verursacht, die ein Toxin bilden (sog. Exfoliatin oder scalded skin syndrome toxin, SSST). Ausgehend von einer Hautschädigung, die völlig unerheblich sein kann, führt das Toxin zur Zerstörung von interzellulären Verbindungen mit Ablösung der obersten Epidermisschicht. Nachdem sich große, mit klarer Flüssigkeit gefüllte Blasen entwickelt haben, kommt es innerhalb von ein, zwei Tagen zum Verlust der darüber befindlichen Hautareale (Abb. 26.4); darunter kommt wieder normale Haut zum Vorschein. Obwohl sie gereizt wirken können und sich unwohl fühlen, sind die Säuglinge selten ernstlich krank. Allerdings ist die Gefahr eines großen Flüssigkeitsverlustes über die geschädigte Haut zu berücksichtigen; daher kann unter Umständen ein Flüssigkeitsersatz nötig sein.
Toxisches Schocksyndrom durch S.-aureus-Stämme, die TSST produzieren Einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichte diese systemische S.-aureus-Infektion gesunder Frauen im Zusammenhang mit der Tamponbenutzung; doch sie beschränkt sich weder auf Frauen noch auf den Genitalbereich, sondern kann z.B. in extragenitalen Wunden auftreten. In das toxische Schocksyndrom (TSS) sind mehrere Organe mit einbezogen; kennzeichnend sind Fieber, Hypotonie und ein diffuser, fleckig-roter Ausschlag mit Abschälung der Haut (Desquamation), besonders an Handinnenflächen und Fußsohlen (Abb. 26.5). Auslöser sind Exotoxine von S. aureus, vor allem TSST-1, das sich wie ein Superantigen verhält (stimuliert T-ZellProliferation und Zytokinfreisetzung, s. Kap. 16). Während die Prävalenz des TSS in den USA derzeit auf 6000 Fälle pro Jahr geschätzt wird, haben über 90% der Erwachsenen Antikörper gegen TSST-1. Zur Behandlung des toxischen Schocksyndroms werden der Infektionsherd eröffnet (und ausgeleitet), ein Flüssigkeitsersatz und eine Antibiotikatherapie mit staphylokokkenwirksamen Mitteln durchgeführt.
742
Abb. 26.4 „Syndrom der verbrühten Haut“ durch Staphylococcus-aureus-Stämme, die ein spezifisches Toxin produzieren.
Das Toxin zerstört interzelluläre Verbindungen in der Haut, so dass sich die Haut großflächig ablöst (Desquamation). Man könnte das Erscheinungsbild mit einer Verbrennung verwechseln (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier).
Abb. 26.5
Toxisches Schocksyndrom.
Infolge einer systemischen Staphylococcus-aureus-Infektion kam es, begleitet von Hautsymptomen in Form einer Desquamation der Handinnenflächen und Fußsohlen, zum TSS (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
743
26.1.2
Streptokokkeninfektionen der Haut
Hautinfektionen verursachen besonders Streptokokken der Gruppe A (wie Streptococcus pyogenes) Eine Impetigo kann sich unabhängig von einer Atemwegsinfektion durch Streptokokken entwickeln. Auch wenn rund 35% der Patienten denselben Stamm in ihrer Nasen- oder Rachenschleimhaut tragen, könnte sie erst nach der Hautinfektion besiedelt worden sein. Streptokokken werden im Kontakt zu anderen Leuten mit Hautinfektionen übertragen. Sie halten und vermehren sich vermutlich schon auf der normalen Haut, bevor sie über kleine Hautrisse eindringen und zu Läsionen führen. In Abb. 26.6 sind Risikofaktoren für die Entwicklung einer Streptokokken-Impetigo zusammengestellt. S. pyogenes kann auch ein Erysipel verursachen, eine tiefere akute Infektion der Dermis. Bei rund 5% der Patienten mit Erysipel schreitet die Infektion bis zur Bakteriämie fort, die unbehandelt mit einer hohen Sterblichkeit behaftet ist. Wie schon erwähnt, kann auch S. aureus eine Impetigo auslösen, bei der sich gelegentlich so starke Blasen entwickeln (Impetigo bullosa), dass sie einem lokalen Scalded-skinSyndrom ähnlich sieht (s. oben). Bestimmte Oberflächenproteine (M und T) von S. pyogenes wirken antigen. Aufgrund dieser Antigene lassen sich einzelne Subtypen unterscheiden. Mit Hautinfektionen sind nachweislich andere M- und T-Typen assoziiert als mit Halsentzündungen. Die Funktion der T-Proteine ist unklar, sie scheinen jedenfalls keine Rolle für die Virulenz zu spielen. M-Proteine sind jedoch wichtige Virulenzfaktoren, die eine Opsonisierung der Bakterien verhindern und sie dadurch resistent gegen Phagozytose machen. Zur Virulenz tragen auch Faktoren wie z.B. Lipoteichonsäure und F-Protein bei, indem sie die Erregerbindung an Epithelzellen fördern.
744
Abb. 26.6 An Streptokokkeninfektionen der Haut beteiligte Faktoren.
Obwohl bestimmte M-Formen von Streptococcus pyogenes bevorzugt die Haut befallen, prädisponieren erst bestimmte Wirtsfaktoren zur Infektion (vor allem im Kindesalter). Auch Mischinfektionen mit Staphylococcus aureus kommen häufiger vor.
Typisch für Streptokokkeninfektionen der Haut sind akute Symptome Innerhalb von 24–48 Stunden nach der Hautinvasion entwickeln sich klinische Zeichen und eine ausgeprägte Entzündungsreaktion aus dem Bemühen des Wirts, die Infektion lokal zu begrenzen (Abb. 26.7 und 26.8). S. pyogenes kann durch eine Reihe toxischer Produkte und Enzyme wie Hyaluronidase zu seiner Verbreitung im Gewebe beitragen. Da häufig auch Lymphgefäße beteiligt sind, kann es zur Lymphadenitis und Lymphangitis kommen. Lysogene Stämme von S. pyogenes bilden pyrogene Exotoxine, die früher als erythrogene Toxine bezeichnet wurden. Wie oben für das TSST-1 von S. aureus beschrieben, haben solche Toxine als Superantigene einen starken Einfluss auf das Immunsystem. Sie wirken sich auch auf die Hautgefäße aus und verursachen ein diffuses Erythem (Scharlach), z.B. bei einer Streptokokken-Pharyngitis. Auch S. pyogenes kann ein toxisches Schocksyndrom hervorrufen, bei dem offenbar ein Zusammenhang mit der Bildung des pyrogenen Exotoxins SpeA besteht.
745
Bestimmte M-Typen (z.B. M49) von S. pyogenes sind mit akuter Glomerulonephritis assoziiert Eine akute Glomerulonephritis (AGN) tritt häufiger nach Haut- als nach Racheninfektionen auf (s. Kap. 18) und ist durch die Ablagerung von Immunkomplexen in der glomerulären Basalmembran gekennzeichnet. Welche kausale Rolle Streptokokken dabei spielen, ist noch immer unklar (s. Kap. 17). Rund 2–3 Wochen nach Primärinfektion mit einem nephritogenen Stamm entwickelt sich bei 10–15% der Patienten eine AGN. In den meisten Fällen heilt sie vollständig aus, und auch Rezidive bei nachfolgenden Streptokokkeninfektionen kommen eher selten vor. Rheumatisches Fieber (s. Kap. 18) ist sehr selten Folge einer Hautinfektion mit S. pyogenes.
Abb. 26.7
Hautflechte (Impetigo).
Die typischen gelb verkrusteten Läsionen bleiben auf die Epidermis beschränkt. Ursache ist meist Streptococcus pyogenes, zum Teil auch eine Mischinfektion mit Staphylococcus aureus (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
Streptokokkeninfektionen der Haut werden meist klinisch diagnostiziert und mit Penicillin behandelt Nach Gram-Färbung sind im Eiter aus Hautbläschen Gram-positive Kokken sichtbar, und in Kulturen zeigen sich manchmal Mischinfektionen von S. pyogenes mit S. 746
aureus (Abb. 26.9). Bakterielle Kulturen aus einem Erysipel bleiben meist negativ, während Kulturen mit der Flüssigkeit aus Randbezirken der Läsion gelegentlich zum Erfolg führen.
Abb. 26.8
Erysipel.
Die Streptococcus-pyogenes-Infektion führt unter Einbeziehung lokaler Lymphgefäße zu einer klar umschriebenen Rötung und Verhärtung des Hautbezirks. Wenn wie hier das Gesicht betroffen ist, zeigt sich oft ein schmetterlingsförmiges Erythem (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
747
Abb. 26.9
Eiter mit Gram-positiven Kokken.
Penicillin ist das Mittel der Wahl; für Patienten mit Penicillinallergie kommt Erythromycin oder ein orales Cephalosporin in Betracht. Die Resistenz von Streptokokken nimmt allerdings zu, und auch bei Mischinfektionen mit S. aureus sind die Mittel nicht gut wirksam. In schweren Fällen kann eine stationäre Aufnahme erforderlich sein. Eine Impetigo lässt sich verhindern, wenn man die zur Infektion beitragenden Wirtsfaktoren stärker berücksichtigt und soweit möglich verbessert (Abb. 26.6). Da eine AGN bei nachfolgenden Streptokokkeninfektionen nur selten rezidiviert, ist keine Langzeitprophylaxe mit Penicillin indiziert (anders als beim rheumatischen Fieber, s. Kap. 18).
26.1.3
Zellulitis und Gangrän
Zellulitis ist eine akute Hautinfektion, die sich in subkutanes Gewebe ausbreitet Eine Zellulitis entsteht gewöhnlich aus einer oberflächlichen Hautläsion (Furunkel, Ulzera) oder nach einem Trauma und dehnt sich tiefer ins Gewebe aus als z.B. ein Erysipel. Statt selbst hämatogen ausgelöst zu werden, kann sie umgekehrt eine Bakterieneinschwemmung ins Blut bewirken. Die Infektion entwickelt sich innerhalb weniger Stunden oder Tage nach einem Trauma und führt rasch zu einer überwärmten, geröteten Schwellung (Abb. 26.10) mit Vergrößerung regionaler Lymphknoten. Die Patienten fühlen sich krank und reagieren mit Schüttelfrost und Fieber.
Abb. 26.10 Ein Infektionsherd im Unterhautfettgewebe führt zum typischen Bild der Zellulitis, einer schweren und rasch progredienten Infektion. 748
Auf der Hautoberfläche können auch große Blasen und Verschorfung zu sehen sein (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood). In den allermeisten Fällen sind S. pyogenes und S. aureusAuslöser einer Zellulitis. Nur gelegentlich können andere Keime aus der Umgebung beteiligt sein: bei Metzgern und Fischhändlern z.B. Erysipelothrix rhusiopathiae. In Salzwasser können Vibrio vulnificus und Vibrio alginolyticus zu Komplikationen bei offenen Wunden führen. Nur in 25–35% der Zellulitis-Fälle lässt sich der verantwortliche Erreger isolieren. Daher sollte die Therapie am Anfang gegen Streptokokken und Staphylokokken wirksam sein. Zur Sicherung der klinischen Diagnose können Kulturen anlegt werden, z.B. von: ■
Aspiraten aus den Randbezirken der sich ausweitenden Zellulitis,
■
einer verletzten Stelle (sofern vorhanden),
■
Hautbiopsien oder
■
Blutproben.
Weil die Erkrankung gerade bei S.-pyogenes-Infektionen rasch voranschreitet, sollte man sofort mit der Behandlung beginnen und sich von der klinischen Diagnose leiten lassen. Die eingesetzten Mittel sollten sowohl Streptokokken- wie Staphylokokkeninfektionen erfassen.
749
In geschädigtem oder devitalisiertem Gewebe kann sich eine Anaerobier-Zellulitis entwickeln Solche Gewebeschäden sind meist durch Wunden (chirurgisch oder traumatisch) bedingt oder in ischämischen Bereichen der Extremitäten anzutreffen. Besonders anfällig für eine Anaerobier-Zellulitis sind z.B. die Füße von Diabetikern (Abb. 26.11). Welcher Erreger ursächlich ist, hängt von den Umständen ab; Infektionen im unteren Körperbereich werden häufiger von Fäkalkeimen ausgelöst, während sich Bisswunden eher mit Keimen aus der Mundhöhle infizieren. Übel riechende Absonderungen, deutliche Schwellung und Gasbildung im Gewebe sind typisch für eine AnaerobierZellulitis. Meist werden verschiedene Erreger aus solchen Wunden isoliert. Eine Ausbreitung der Infektion lässt sich nur durch rigorose Behandlung verhindern; deshalb sind Antibiotika und chirurgisches Débridement erforderlich. Eine häufige Folge ist eine Osteomyelitis (s. unten).
Abb. 26.11 Schwere, progrediente Zellulitis am Fuß.
Die Ursache sind meist Anaerobier oder eine aerob-anaerobe Mischinfektion. Betroffen sind vor allem Diabetiker mit peripheren Gefäß- oder Nervenschäden (mit freundlicher Genehmigung von J.D. Ward).
Synergistische bakterielle Mischinfektionen wie eine Gangrän führen unaufhaltsam zur Zerstörung Dabei handelt es sich um eine seltene Mischinfektion durch mikroaerophile Streptokokken und S. aureus. Eine Gangrän kann nach Operationen im Inguinaloder Genitalbereich auftreten und im Bereich einer Drainage oder an der Naht beginnen. In der Umgebung entwickelt sich eine Zellulitis, die sich rasch (innerhalb weniger Stunden) ausbreitet und ein dunkles nekrotisches Zentrum hinterlässt; oft mit tödlichem Ausgang. Zur Behandlung ist eine radikale Exzision des nekrotischen Gewebes mit systemischer Antibiotikatherapie erforderlich.
26.1.4 Nekrotisierende Fasziitis, Muskelnekrose und Gangrän 750
Eine nekrotisierende Fasziitis ist eine Mischinfektion durch obligat und fakultativ anaerobe Keime und endet oft tödlich Trotz offensichtlicher Ähnlichkeit mit einer synergistischen bakteriellen Gangrän verläuft die nekrotisierende Fasziitis noch akuter und hoch toxisch. Durch großflächige Nekrose und Unterminierung des umgebenden Gewebes wirkt die Infektion in tieferen Schichten viel zerstörerischer als auf der Haut (Abb. 26.12). Sie kann zwar von unterschiedlichen Keimen verursacht werden, doch für die Laienpresse stand die nekrotisierende Fasziitis vorrangig mit S. pyogenes in Verbindung und es war oft von „fleischfressenden Bakterien“ die Rede. Der Zustand der Patienten verschlechtert sich rapide, und viele sterben an einer nekrotisierenden Fasziitis. Die Therapie besteht im Wesentlichen in der radikalen Exzision des nekrotischen Fasziengewebes plus einer lokalen und systemische Antibiotikatherapie.
Abb. 26.12 Nekrotisierende Fasziitis der Bauchdecke.
Vom ursprünglichen Herd breitet sich die Infektion rasch aus und kann zu einer ausgedehnten, tiefen Nekrose führen. Sie macht ein vollständiges Débridement mit intensiver Antibiotikatherapie erforderlich. Trotzdem verläuft die Erkrankung oft tödlich (mit freundlicher Genehmigung von W.M. Rambo).
Offene Verletzungen oder Operationswunden können von Clostridien infiziert werden Clostridium tetani dringt über Hautverletzungen ins Gewebe ein. Zum Krankheitsbild Tetanus führt jedoch ausschließlich die Bildung eines starken Exotoxins (s. Kap. 17).
751
Von den Clostridien-Spezies, die eine Gasgangrän oder eine Muskelnekrose verursachen können, ist Clostridium perfringens der häufigste Auslöser. Da Keime und Sporen im Boden sowie in Fäkalien von Tieren und Menschen vorkommen, können Gewebeverletzungen aus diesen Quellen kontaminiert werden. Die Infektion entwickelt sich in schlecht durchbluteten (anaeroben) Körperbereichen, daher ist sie meist im Gesäß- und Dammbereich lokalisiert und betrifft besonders Patienten mit einer ischämischen Vaskulopathie oder peripheren Arteriosklerose. Die Keimvermehrung im Subkutangewebe wird von Gasbildung und einer anaeroben Zellulitis begleitet, doch typisch für Clostridieninfektionen ist ihre größere Eindringtiefe bis in Muskelschichten; dort führen sie zur Nekrosierung und die Gasblasen, die sich dabei bilden, sind im Gewebe tastbar und manchmal sogar in Wunden zu sehen (Abb. 26.13). Bei ihrem raschen Voranschreiten ruft die Infektion akute Schmerzen hervor. Die Schädigung beruht zum großen Teil auf einer von C. perfringens gebildeten Lecithinase (auch als Alphatoxin bekannt), die Zellmembranlipide hydrolysiert und so zur Zytolyse und zum Zelltod führt (Abb. 26.14). Durch abgestorbenes und untergehendes Gewebe wird die Blutversorgung noch weiter eingeschränkt, so dass sich die Keime vermehren, noch mehr Toxin bilden und weitere Gewebeschäden verursachen können. Andere extrazelluläre Enzyme könnten die Ausbreitung der Clostridien fördern. Sobald das Toxin ins Blut übergeht, bewirkt es eine massive Hämolyse, führt zu Nierenversagen und schließlich zum Tod.
Um die Ausbreitung einer Clostridieninfektion zu verhindern, kann eine Amputation nötig sein Wegen des rasch progredienten Verlaufs und tödlichen Ausgangs ist bei dieser Art von Clostridieninfektion eine sofortige chirurgische Intervention erforderlich. Das gangränöse Gewebe muss komplett entfernt werden, und manchmal ist eine Amputation unumgänglich. Empfohlen wird auch eine Überdruckbehandlung im Sauerstoffzelt, um die Oxygenierung des Gewebes zu verbessern. Als adjuvante Behandlung, aber nie als Ersatz für das chirurgische Débridement werden Antibiotika (z.B. Penicillin) gegeben.
752
Abb. 26.13 Gasgangrän durch Clostridium perfringens.
Nach Kontamination einer Wunde können Fäkalkeime in schlecht durchblutetem (anaerobem) Gewebe wachsen und sich vermehren. Bei der sich rasch ausbreitenden Infektion können Gasblasen im Gewebe zu tasten oder auf Röntgenbildern zu sehen sein (mit freundlicher Genehmigung von J. Newman).
Abb. 26.14 Nagler-Reaktion.
Das von Clostridium perfringens produzierte Alphatoxin ist eine Lecithinase. Wird der Keim auf einem dotterhaltigen (Eigelb, Lecithin) Medium angezüchtet, lässt sich an der Verdichtung um die Wachstumslinien die Enzymaktivität ablesen 753
(rechts). Wird die Platte vor der Keiminokulation mit Anti-Alphatoxin beschichtet, hemmt das die Toxinwirkung (links). Anhand dieses Tests können Clostridien identifiziert werden. Vorrangige Bedeutung hat die Prävention. Um Anaerobierinfektionen zu verhindern, sollten Wunden gereinigt und abgestorbenes oder schlecht durchblutetes Gewebe möglichst frühzeitig entfernt werden. Vor elektiven Operationen an Körperstellen, die für Fäkalkeime leicht zugänglich sind, sollten die Patienten eine Antibiotikaprophylaxe erhalten (s. Kap. 33 und 36).
26.1.5
Akne und Propionibacterium acnes
Hand in Hand mit hormonellen Veränderungen kommt es in der Pubertät zu Akne durch P. acnes Eine gesteigerte Ansprechbarkeit auf Androgene führt zu einer vermehrten Talgproduktion, und die Ausführungsgänge der Talgdrüsen im Bereich von Haarfollikeln können aufgrund der stärkeren Verhornung (Keratinisierung) und Abschuppung (Desquamation) verstopft werden. Dadurch verwandeln sie sich in „Blindsäcke“, in denen sich P. acnes und andere Vertreter der Normalflora (Mikrokokken, Hefepilze, Staphylokokken) vermehren können. Unter dem Einfluss von P. acnes entstehen Fettsäuren und Peptide aus dem Talg, die zusammen mit den von Bakterien und polymorphkernigen Leukozyten freigesetzten Enzymen und anderen Substanzen entzündlich wirken (Abb. 26.15). Komedonen („Mitesser“) sind Pfröpfe aus Keratin und Talg/Fett, vermischt mit Bakterien, und sehen durch die obere Melaninschicht schwarz aus (Abb. 26.16).
754
Abb. 26.15 Typisches Aknebild.
„Mitesser“ sind Keratinpfröpfe, die Haarfollikel und Talgdrüsenausführungsgänge verstopfen (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier).
Orale Langzeit-Antibiotikatherapie zur Behandlung von Akne Akne wird meist mit einem Tetrazyklin oder Erythromycin behandelt. Ergänzend kommen Hautpflegemittel, Keratolytika und in schweren Fällen synthetische VitaminA-Derivate wie Isotretinoin zum Einsatz. Unter einer oralen Antibiotikatherapie nimmt mit der Anzahl von P. acnes auf der Hautoberfläche auch der Anteil freier Fettsäuren ab, die unter der Einwirkung bakterieller Enzyme zu Hautreizungen führen. Für Teenager kann Akne zum Problem werden, doch mit nachlassender Aktivität der Talgdrüsen verschwindet sie in zunehmendem Alter oft wieder. Auch mit P. acnes verwandte Gram-positive Bakterien (wie Coryne- und Brevibakterien) können Hautinfektionen verursachen.
755
26.2
Mykobakterielle Hautkrankheiten
26.2.1
Lepra
Weltweit sind Millionen Menschen an Lepra erkrankt Lepra ist seit biblischen Zeiten bekannt, war aber in der Vergangenheit oft ein Oberbegriff für unterschiedliche Erkrankungen, der auch so etwas wie „moralische Unreinheit“ implizierte. Man nimmt an, dass sich Lepra im 6.Jahrhundert in Europa ausbreitete. Im 13.Jahrhundert gab es über 200 Leprahospitäler in England. In den folgenden Jahrhunderten ging die Inzidenz zurück, bis die Lepra im 15.Jahrhundert nicht länger endemisch in England war; dagegen stieg die Zahl der Tuberkulosefälle. In Großbritannien und den USA ist Lepra heute sehr selten geworden. Ende des 20.Jahrhunderts waren weltweit schätzungsweise 1–2 Millionen Menschen an Lepra erkrankt; die meisten Fälle konzentrierten sich auf Südostasien, Afrika und Südamerika. Jährlich kommen etwa 500000 bis 800000 Neuerkrankungen hinzu.
Lepra wird durch Mycobacterium leprae verursacht Als G. A. Hansen 873 das Mycobacterium leprae entdeckte, hatte er den ersten bakteriellen Krankheitserreger des Menschen identifiziert. Die Lepra (oder HansenKrankheit) beschränkt sich offenbar auf Menschen. Obwohl sich M. leprae auch bei Gürteltieren, Schimpansen und Mangabey-Affen nachweisen lässt, konnten epidemiologische Untersuchungen keine signifikante Beziehung zwischen diesen Trägern und der Erkrankung von Menschen belegen.
756
Abb. 26.16 Vermuteter Pathomechanismus der Akne.
Wenn sich aufgrund hormoneller Veränderungen Komedonen in normalen Haarfollikeln bilden, findet Propionibacterium acnes neue Umgebungsbedingungen vor und verändert seine physiologischen Eigenschaften. P. acnes gilt auch als Immunstimulans.
757
Die Übertragung (durch direkten Kontakt oder als Tröpfcheninfektion) steht aber unmittelbar mit beengten Wohnverhältnissen und schlechten hygienischen Bedingungen in Verbindung. Während aus den Hautläsionen nur geringe Erregermengen freigesetzt werden, können die Nasensekrete von Patienten mit Lepra lepromatosa stark mit M. leprae angereichert sein. Vielleicht spielen Arthropoden als Vektoren eine Rolle. Da Lepra nicht hochkontagiös ist, ist längerer Kontakt zu einer Infektionsquelle nötig, um sich anzustecken. Kinder, die unter demselben Dach mit einem Leprakranken leben, sind offenbar am stärksten gefährdet. Es mutet wie eine Ironie des Schicksals an, dass man Leprakranke wegen ihrer sichtbaren Läsionen aus der Gemeinschaft ausschloss und in Leprakolonien unterbrachte, aber die viel ansteckenderen Tuberkulosekranken nicht verbannte.
Die zellvermittelte Immunreaktion bestimmt die Symptomatik der Lepra M. leprae lässt sich nicht auf künstlichen Kulturmedien anzüchten; auch über seine Pathogenität ist kaum etwas bekannt. In zwei Tiermodellen wurden Gürteltiere und Mäuse experimentell infiziert. Die Konzentration auf Haut und oberflächlichen Nerven ist dadurch zu erklären, dass der Keim bei Temperaturen unter 37°C besser wächst; er vermehrt sich nur sehr langsam. Im Fettpolster der Mäusepfote beträgt die Generationszeit 11–13 Tage; bei Menschen kann die Inkubationszeit viele Jahre dauern. M. leprae wächst intrazellulär, vor allem in Histiozyten und Endothelzellen der Haut und den Schwann-Zellen peripherer Nerven. Entscheidend für den Krankheitstyp ist die Immunreaktion. M. leprae weist pathobiologisch viele Gemeinsamkeiten mit M. tuberculosis auf, doch die Krankheitsbilder sind völlig verschieden. Nach mehrjähriger Inkubationszeit und schleichendem Beginn zeigt sich bei Lepra eine große Bandbreite der Krankheitsaktivität, die von der zellvermittelten Immunreaktion (CMI) auf M. leprae abhängig ist (Abb. 26.17). Am einen Ende dieser Skala befindet sich die tuberkuloide Lepra mit roten Flecken und „tauben“ Hautbezirken im Gesicht, am Stamm und an den Extremitäten (Abb. 26.18). Wegen der Keimvermehrung in den Nervenscheiden sind die peripheren Nerven tastbar verdickt. Die lokale Anästhesie macht die betroffenen Hautstellen anfällig für Verletzungen und bakterielle Superinfektionen. Dieses Krankheitsbild entspricht einer sekundären Tuberkulose (s. Kap. 19), bei der eine starke zellvermittelte Immunreaktion zur Phagozytose/Zerstörung der Bakterien führt und eine übersteigerte allergische Reaktion auslöst. Die tuberkuloide Lepra hat eine bessere Prognose als die lepromatöse Lepra; bei manchen Patienten verläuft sie selbstlimitierend, bei anderen Patienten kann sie in die lepromatöse Form übergehen (d.h. sich zum anderen Ende der Skala verschieben).
Abb. 26.17 Immunreaktionen bei Lepra.
758
Da bei tuberkuloider Lepra (TT) eine wirksame zellvermittelte Immunantwort der Patienten zustande kommt, können die Erreger von Makrophagen zerstört und die Infektion aufgehalten werden. Dagegen gelingt es Patienten mit lepromatöser Lepra (LL) nicht mehr, eine zellvermittelte Immunreaktion aufzubauen, so dass sich die Keime ungehindert vermehren können. In ihren Haut- und Nasensekreten sind zahlreiche säurefeste Stäbchen nachzuweisen, und sie sind viel ansteckender als Patienten mit tuberkuloider Lepra. Zwischen diesen beiden Extremen befinden sich Grenzfälle wie Borderline-lepromatöse (BL), Borderline-Borderline(BB)- und Borderline-Tuberkuloid(BT)-Reaktionen.
759
Abb. 26.18 Für Lepra tuberculoides typischer trocken-erhabener Fleck im Gesicht.
Zur Diagnosesicherung muss eine Hautbiopsie mikroskopisch untersucht werden (Abb. 26.21). Mit freundlicher Genehmigung des Dermatologischen Instituts. Bei Lepra lepromatosa ist die Haut in viel stärkerem Maße beteiligt und die Bakterienzahl in den befallenen Gebieten sehr hoch. Mit fortschreitender Erkrankung fallen die Augenbrauen aus, und infolge der Verdickung und Vergrößerung von Nase, Ohren und Wangen kommt es zur Facies leontina, dem typischen Löwengesicht (Abb. 26.19). Das Nasenseptum wird zunehmend zerstört und in der Nasenschleimhaut steigt die Keimmenge deutlich an (Abb. 26.20). Als Entsprechung zur Miliartuberkulose (s. Kap.19) geht diese Krankheitsform mit einer schwachen zellvermittelten Immunreaktion und zahlreichen extrazellulären Keimen in den Läsionen einher. Die groben Entstellungen im Spätstadium der Lepra beruhen in erster Linie auf der Zerstörung der nasomaxillären Gesichtsstrukturen und in zweiter Linie auf den pathologischen Veränderungen peripherer Nerven, die zu wiederholten Verletzungen der Hände und Füße und zu Superinfektionen mit anderen Keimen prädisponieren. Ob sich bei einem Patienten die tuberkuloide oder lepromatöse Form der Lepra entwickelt, ist zum Teil genetisch determiniert. Aus Zwischenformen kann sich die Lepra in die eine oder andere Richtung weiter entwickeln.
In Zellabstrichen aus der Nase und Hautbiopsien sind die säurefesten Stäbchen von M. leprae nachweisbar Bei Patienten mit dermatologischen, neurologischen oder multisystemischen Beschwerden größeren Ausmaßes kann es entscheidend sein, an Lepra zu denken. Obwohl die meisten Patienten nicht in den USA oder Europa geboren wurden, kommt die Diagnose auch bei allen in Betracht, die z.B. in Endemiegebieten gearbeitet haben.
760
Abb. 26.19 Großflächige Hautbeteiligung bei der Lepra lepromatosa führt zum typischen Löwengesicht (Facies leontina).
(Mit freundlicher Genehmigung von D.A. Lewis.) In Zellabstrichen aus der Nase und Biopsien aus Hautläsionen lassen sich nach Anfärbung (nach Ziehl-Neelsen oder mit Auramin) die säurefesten Stäbchen nachweisen (s. Anhang). Bei der lepromatösen Form sind viele, bei der tuberkuloiden Form nur wenige oder gar keine Keime sichtbar; trotzdem kann die Diagnose anhand der typischen Granulome gestellt werden (Abb. 26.21). Es sei noch einmal daran erinnert, dass sich der Erreger im Unterschied zu M. tuberculosis nicht in vitro anzüchten lässt.
Behandlung Zur Vermeidung von Resistenzen wird Lepra nur in Mehrfachkombination mit Dapson, Rifampicin und Clofazimin behandelt Wenn Lepra rechtzeitig diagnostiziert und sofort mit der Behandlung begonnen wird, ist die Prognose sehr viel besser. Dapson (s. Kap. 33) war lange Zeit ein Stützpfeiler der Therapie, doch wegen Resistenzentwicklung bevorzugt man heute Mehrfachkombinationen:
Abb. 26.20 Bei Lepra lepromatosa ist die Nasenschleimhaut voll gepackt mit Mycobacterium leprae, wie sich hier durch
761
säurefeste Ziehl-Neelsen-Färbung eines Nasenabstrichs zeigt.
Mit freundlicher Genehmigung von I. Farrell.
Abb. 26.21 Bei Lepra tuberculoides sind nur spärlich Keime, stattdessen aber typische Granulome in der Haut anzutreffen, wie dieses histologische Präparat zeigt.
(Mit freundlicher Genehmigung von C.J. Edwards)
762
■ bei lepromatöser Lepra eine Dreierkombination aus Dapson, Rifampin und Clofazimin: mindestens zwei Jahre oder lebenslang oder bis keine säurefesten Stäbchen mehr in Zellabstrichen und Hautbiopsien nachweisbar sind; ■ bei tuberkuloider Lepra eine Zweierkombination aus Dapson und Rifampin über sechs Monate. Grundlage dieser Empfehlung ist die Überlegung, dass sich wegen der viel geringeren Keimzahl bei dieser Form wahrscheinlich seltener resistente Mutanten bilden. Die kostengünstigen und gut verträglichen Kombinationstherapien bewirken eine vollständige Heilung der Lepra und lassen die weltweite Ausrottung dieses Public-Health-Problems in größere Nähe rücken. Manchmal kann durch eine wirksame Antibiotikatherapie eine schwere Entzündungsreaktion (Erythema nodosum leprosum) auf die Zerstörung der Erreger hervorgerufen werden, die in einigen Fällen tödlich enden kann. Eine Behandlung mit Kortikosteroiden oder Thalidomid kann hier indiziert sein. Zu widersprüchlichen Ergebnissen führten Impfversuche zur Prävention der Lepra mit BCG (Bacillus Calmette-Guérin) und M.-leprae-Totimpfstoff (nach Hitzebehandlung).
26.2.2
Andere Mykobakterieninfektionen
Hautläsionen durch Mycobacterium marinum, M. ulcerans und M. tuberculosis M. marinum und M. ulcerans sind zwei langsam wachsende Mykobakterien-Spezies, die kühlere Temperaturen bevorzugen und ebenfalls Hautläsionen hervorrufen können. Wie der Name schon sagt, ist M. marinum mit Wasser- und Meerestieren assoziiert. Menschen können sich im feuchten Milieu über Verletzungen infizieren, z.B. wenn ein kleiner Kratzer beim Herausklettern aus dem Schwimmbecken oder beim Reinigen eines Aquariums durch Mykobakterien kontaminiert wird. Nach einer Inkubationszeit von 2–8 Wochen erscheinen erst kleine Papeln, die sich vergrößern, anfangen zu eitern und eventuell ulzerieren. Histologisch handelt es sich granulomatöse Läsionen, daher auch der Name „Schwimmbad-“ oder „Aquariumgranulom“ (Abb. 26.22). Manchmal ziehen sich die Knötchen an Lymphgefäßen entlang, so dass man das Erscheinungsbild mit einer Sporotrichose verwechseln kann (s. unten). M. ulcerans verursacht chronische, fast schmerzlose Hautgeschwüre (Buruli-Ulzera), die in Afrika und Australien häufiger, anderswo aber nur selten vorkommen. Eine Hauttuberkulose ist äußerst selten. Zur Infektion führt entweder die direkte Implantation von M. tuberculosis in Hautverletzungen (Lupus vulgaris) oder das Übergreifen von einem infizierten Lymphknoten auf die Haut (Skrofuloderm).
26.3
Pilzinfektionen der Haut
Pilzinfektionen können sich auf äußere Hautschichten und Haare beschränken oder in die Hornschicht der Epidermis, in Nägel und Haare eindringen (oberflächliche oder kutane 763
Mykosen); subkutane Mykosen entwickeln sich in den Schichten der Dermis. Hinzu kommt, dass sich auch systemische (durch Inhalation erworbene) Pilzinfektionen auf der Haut manifestieren können (Tab. 26.2).
26.3.1
Oberflächliche und kutane Mykosen
Einige gehören zu den häufigsten Infektionen des Menschen. Oberflächliche Infektionen von Haut und Haaren (Pityriasis versicolor, Tinea nigra, Piedra negra und blanca) bereiten eher kosmetische Probleme. Wichtiger sind Dermatophyteninfektionen (Dermatophytien) wie Tinea und Hautflechten. Auslöser sind hauptsächlich der Hefepilz Malassezia furfur und Dermatophyten wie Epidermophyton, Trichophyton und Microsporum.
764
Abb. 26.22 „Schwimmbad-“ oder „Aquariumgranulom“ aufgrund einer Mycobacterium-marinum-Infektion, die sich z.B. beim Reinigen eines Aquariums ereignen kann.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)
Pityriasis versicolor Ursache einer Pityriasis bzw. Tinea versicolor ist Malassezia furfur Die Haut wird häufiger von Malassezia furfur (Pityrosporum) besiedelt. Der Wandel vom Kommensalen zum Pathogen scheint mit dem Phasenwechsel vom Hefepilz zur Hyphenform zusammenzuhängen, doch wodurch er stimuliert wird, ist nicht bekannt. Gewöhnlich bleiben die Herde auf Stamm oder proximale Gliedmaßenabschnitte beschränkt; es sind hyper- oder hypopigmentierte Flecken, die unter Bildung schuppender Plaques zusammenfließen. Juckreiz tritt meist nicht auf, und bei einigen Patienten heilen die Läsionen spontan ab. Pityrosporum-Hefen sind vermutlich auch an der Entstehung einer seborrhoischen Dermatitis beteiligt.
Durch mikroskopische Untersuchung von Zellabstrichen lässt sich die Diagnose einer Pityriasis versicolor bestätigen 765
Unter dem Mikroskop zeigen sich die typisch runden Formen der Hefepilze in Zellabstrichen (Abb. 26.23). Zur topischen Behandlung ist ein azolhaltiges Antimykotikum (s. unten) oder eine Selensulfid-Lotion (2%) geeignet.
Dermatophytie (Dermatophyteninfektion der Haut) Dermatophyteninfektionen können aus unterschiedlichen Quellen stammen und sich über Arthrosporen ausbreiten Je nach ihrem primären Vorkommen (bei Menschen, Tieren oder im Boden) werden die Dermatophyten-Spezies als anthropophil, zoophil oder geophil bezeichnet. Unterschiede ergeben sich aus der geografischen Verbreitung, der Prädilektion bestimmter Körperstellen und der Stärke der Wirtsreaktion, die sie bei Menschen hervorrufen können. Von der Infektionsquelle hängen sowohl die Übertragung auf Menschen als auch zu einem gewissen Grad die Verbreitung innerhalb von Menschengruppen ab (Abb. 26.24), obwohl sich die Muster seit der Zunahme von Migrationen ändern. Durch Immigranten aus Lateinamerika hat z.B. Trichophyton tonsurans in den USA Microsporum audouinii als Hauptursache der Tinea capitis abgelöst. Doch auch letzterer ist wieder im Steigen begriffen (spricht sehr schlecht auf die Behandlung an).
766
Abb. 26.23 Nach der Anfärbung infizierter Hautschuppen werden die dickwandigen Sporenhaufen von Malassezia furfur und die kurzen, angewinkelten Pilzfäden sichtbar.
767
(Mit freundlicher Genehmigung von Y. Clayton und G. Midgley)
Abb. 26.24 Aus drei Dermatophyten-Gattungen kommen wichtige Krankheitserreger: Microsporum, Trichophyton und Epidermophyton.
768
In jeder gibt es anthropophile, zoophile und geophile Arten. Wie der natürliche Wirt variiert auch die Verteilung der anthropophilen Spezies. Wichtigste geophile Spezies ist Microsporum gypseum. Dermatophytien werden oft durch anthropophile Spezies verursacht. In gemäßigten Klimazonen übertragen Rinder Trichophyton verrucosum, Nagetiere T. mentagrophytes sowie Hunde und Katzen Microsporum canis als die häufigsten zoophilen Ursachen für Infektionen des Menschen. Geophile Spezies wie Microsporum gypseum führen nur sehr selten zu Infektionen, und wenn doch, sind Menschen mit entsprechender Exposition betroffen, z.B. Gärtner und Landarbeiter. Entzündungsreaktionen auf zoophile und geophile Spezies fallen oft stärker aus als bei anthropophilen. Übertragen wird die Infektion durch Arthrosporen, d.h. von Hyphen (Pilzfäden) gebildete vegetative Formen mit dicker Zellwand (Abb. 26.25), die Monate unbeschadet überstehen können. Bei anthropophilen und zoophilen Spezies werden Arthrosporen mit Hautschuppen und ausgefallenen Haaren des Primärwirts in die Umgebung verstreut.
Dermatophyten dringen in Haut, Haare und Nägel ein Als keratinliebende Mikroorganismen dringen Dermatophyten in entsprechende Strukturen wie Haut, Haare und Nägel ein. Die Arthrosporen heften sich an Keratinozyten, keimen aus und dringen in sie ein. Der lateinische Begriff „Tinea“ bedeutet so viel wie Made oder Larve (engl. ringworm) und wurde für diese Infektionen gewählt, weil man ursprünglich wurmartige Parasiten für den Auslöser hielt. Bei Tinea capitis sind Haare und Kopfhaut befallen, bei Tinea corporis der Körper, bei Tinea inguinalis der Leistenbereich, bei Tinea manuum die Hände, bei Tinea unguium die Nägel und bei Tinea pedis die Füße (Abb. 26.26). Typisch ist ein ringförmiger oder geschlängelter, schuppender Fleck mit erhabenem Rand und als Leitsymptom tritt Juckreiz auf, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung. Die trockene Haut ist oft schuppig und manchmal rissig (z.B. zwischen den Zehen bei Tinea pedis), während eine Infektion der Haare zu Haarausfall führen kann (Abb. 26.27). Je nach Ursache fällt die Entzündungsreaktion verschieden aus; bei zoophilen Spezies ist sie in der Regel stärker als bei anthropophilen. Menschen zeigen eine individuell unterschiedliche Anfälligkeit, ohne dass man sich erklären kann, wodurch sie zustande kommt. Aber auch die einzelnen Dermatophyten-Spezies unterscheiden sich in Bezug auf ihre Fähigkeit, Immunreaktionen hervorzurufen; manche (wie Trichophyton rubrum) führen zu chronischen oder rezidivierenden Läsionen, während andere eine lang anhaltende Resistenz gegen Reinfektionen bewirken.
Abb. 26.25 Arthrosporen von Trichophyton tonsurans in einem Haarschaft.
769
In Form solcher dickwandigen Sporen breitet sich die Infektion aus. Bis sie einen neuen Wirt infizieren, können sie Wochen oder Monate in der Außenumgebung überstehen (mit freundlicher Genehmigung von A.E. Prevost).
Abb. 26.26 Tinea ist eine Dermatophyteninfektion von Haut, Haaren und Nägeln.
Einzelne Spezies bevorzugen bestimmte Körperstellen. E. = Epidermophyton, M. = Microsporum, T. = Trichophyton Bei einigen Patienten reagiert die Haut mit immunvermittelter Überempfindlichkeit (Erythem oder Bläschen) auf frei zirkulierende Pilzantigene und es kommt zu einem 770
sog. Dermatophytid. Eine infolge der Infektion rissige oder wunde Haut ist sehr anfällig für eine Superinfektion mit anderen Erregern, z.B. mit Gram-negativen Bakterien in feuchteren Körperzonen. In sehr seltenen Fällen dringen Dermatophyten auf dem Lymphweg in subkutanes Gewebe ein und verursachen Granulome, Lymphödeme oder nässende Fisteln. Ein Übergreifen der Infektion auf Leber und Gehirn kann tödlich enden.
Viele Dermatophyten-Spezies fluoreszieren im UVLicht Das kann besonders bei Tinea capitis den Weg zur klinischen Diagnose weisen. Die Labordiagnose stützt sich auf den mikroskopischen Nachweis von Pilzfäden (Hyphen) und die Kultivierung von (Schabe- oder Knips-)Material aus Läsionen auf Sabouraud-Agar (Abb. 26.28, s. Anhang). Bei einem Haarbefall durch Dermatophyten kann das typische Verteilungsmuster die Identifizierung erleichtern: ■ Arthrosporen der meisten Microsporum-Spezies bilden sich außen am Haarschaft (Ektothrix-Infektionen). ■ Arthrosporen der meisten Trichophyton-Spezies bilden sich innen im Haarschaft (Endothrix-Infektionen, Abb. 26.29).
Abb. 26.27 Tinea.
a) Klassisches ringförmiges Ekzem bei Tinea corporis (hier durch Microsporum); b) Tinea inguinalis mit juckendem, schuppendem Ausschlag in den Leistenfalten (das Skrotum bleibt meist ausgespart); c) schuppige Kopfhaut und Haarausfall sind typisch für Tinea capitis. Dass manche Dermatophyten unter UV-Licht fluoreszieren, kann diagnostisch weiterhelfen. Mit freundlicher Genehmigung von A.E. Prevost (a), M.J. Wood (b) und M.H. Winterborn (c). Entscheidend für die Identifizierung sind Koloniebildung und mikroskopische Eigenschaften der auf Sabouraud-Agar kultivierten Pilze (Abb. 26.30). Ihre Anzüchtung kann bis zu zwei Wochen dauern, doch die Identifizierung ist nicht schwierig und nützlich zum Aufspüren der Infektionsquelle.
Dermatophyteninfektionen werden nach Möglichkeit topisch behandelt 771
Ein Nagel- oder Haarbefall sollte mit oralen Antimykotika behandelt werden. Zur topischen Anwendung stehen verschiedene Mittel zur Verfügung (→ Kap. 33), darunter Antimykotika wie Miconazol und keratolytische Salben (z.B. Whitfields Mischung aus Salizyl- und Benzoesäure). Am häufigsten wird Griseofulvin oral verabreicht. Bei einer Infektion der Kopfhaut spricht die Therapie nach 6–12 Wochen an, bei Fingernagelinfektionen kann es bis zu 6 Monaten und bei Fußnagelinfektion ein Jahr oder noch länger dauern. Da die Rezidivrate bei Nagelinfektionen sehr hoch ist, raten viele Ärzte von der Behandlung ab, solange weder Schmerzen noch eine stärkere Hautbeteiligung vorliegen.
Abb. 26.28 Dermatophyteninfektion.
Haut-, Haar- und Nagelproben müssen vor der mikroskopischen Untersuchung erst mit Kaliumhydroxid vorbehandelt werden, um die Pilzfäden erkennen zu können.
772
Abb. 26.29 Arthrosporen von Dermatophyten können sich a) im Haarschaft (Endothrix) oder seltener b) außen am Haarschaft (Ektothrix) bilden.
(Mit freundlicher Genehmigung von Y. Clayton und G. Midgley.)
773
Abb. 26.30 a) Makroskopisches (Kolonie)Wachstum und b) im mikroskopischen Präparat erkennbare Makrokonidien von Microsporum gypseum.
Candidainfektionen Candida braucht Feuchtigkeit Für Pilze wie Candida, die zum Wachsen Feuchtigkeit benötigen, bedeutet die relative Trockenheit der meisten Hautareale eine natürliche Einschränkung ihres Wachstums. Auf gesunder, intakter Haut finden sich nur geringe Mengen, doch 774
verletzte und intertriginöse Hautstellen (Hautflächen, die sich berühren, sind oft feucht und reiben aufeinander), werden rasch von Candida überwuchert (Abb. 26.31). Da auch Mund- und Vaginalschleimhaut von Candida besiedelt werden, bildet sich hier Soor bei einer Überwucherung (s. Kap. 21). Allerdings muss die Wirtsresistenz schon wesentlich verringert sein (z.B. bei Neutropenie), damit Candida in tiefere Subkutangewebe eindringen kann. Eine disseminierte Candidose entwickelt sich weniger aus einer Hautinfektion als durch die Instrumentierung infizierter Areale (s. Kap. 30).
26.3.2
Subkutane Mykosen
Viele verschiedene Spezies können subkutane Pilzinfektionen verursachen Diese Läsionen entwickeln sich gewöhnlich nach der Pilzimplantation in eine (durch Dornen oder Biss) verletzte Stelle. Bis auf die Sporotrichose kommen subkutane Mykosen eher selten vor. Da Bakterien (Aktinomyzeten, atypische Mykobakterien) ähnliche Krankheitsbilder verursachen können, ist die ätiologische Abklärung aber wichtig für die Wahl der richtigen Therapie. Auf Antimykotika sprechen diese Pilzinfektionen kaum an, so dass zur Behandlung oft eine chirurgische Intervention (Exzision oder Amputation) erforderlich wird.
Abb. 26.31 Candidainfektion der Haut.
Hier fanden die Pilze auf den sich berührenden Hautflächen günstige Wachstumsbedingungen (Feuchtigkeit) vor (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier/St. Mary’s Hospital).
775
Sporotrichose–eine noduläre Mykose durch Sporothrix schenckii Sporothrix schenckii ist ein saprophytärer Pilz, der verbreitet im Boden, auf Rosenund Berberitzenbüschen, auf Baumrinden und Sphagnum-Moosen vorkommt. Ein berufliches Risiko tragen Bauern, Gärtner und Floristen, die sich die Infektion durch eine Verletzung (z.B. an Dornen) zuziehen können. Etwa 1 Woche bis 6 Monate nach der Inokulation bildet sich an der Verletzungsstelle eine kleine Papel oder ein subkutanes Knötchen, bis sich schließlich eine Knötchenreihe an den ableitenden Lymphgefäßen entlang zieht (Abb. 26.32). Durch Anzüchtung von Proben aus der Lymphflüssigkeit oder aspiriertem Material auf Sabouraud-Agar lässt sich die Diagnose stellen. Bei Erkrankung der Hautlymphgefäße ist die orale Gabe von Kaliumjodid wirksam. Eine Haut- oder Lungeninfektion mit S. schenckii kann in eine disseminierte Erkrankung übergehen. Betroffen sind vor allem Patienten mit Immunschwäche, z.B. durch ein Karzinom oder eine Sarkoidose. Oft liegt aber keine bzw. keine bekannte Grundkrankheit vor. In dem Fall ist eine Behandlung mit Amphotericin B indiziert, doch die Prognose ist nicht sehr gut.
Abb. 26.32 Sporotrichose mit Ausbreitung von einem Infektionsherd am Nagelbett des Mittelfingers entlang den ableitenden Lymphgefäßen am Handrücken.
(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.). Subkutane Infektionen verursachen auch Spezies wie Cladosporium und Phialophora (Chromoblastomykose), Pseudallescheria und Madurella (Myzetome).
776
Systemische Mykosen mit Hautsymptomen (Blastomykose, Kokzidioidomykose und Kryptokokkose) In Mittel- und Nordamerika sowie in Afrika kommt endemisch eine Blastomykose durch Blastomyces dermatitidis vor, deren Leitsymptom Hautläsionen sind. Die Infektion wird durch Pilzsporen übertragen und breitet sich nach der Inhalation von der Primärstelle in der Lunge weiter aus. Als systemische Erkrankung kann die Blastomykose bei immunologisch völlig normal wirkenden Menschen auftreten (Abb. 26.33). Auch Hunde und Pferde können daran erkranken. Systemische Infektionen mit Hautsymptomen verursachen auch Coccidioides immitis und Cryptococcus neoformans.
26.4
Parasiteninfektionen der Haut
Die Haut ist eine wichtige Eintrittspforte für Parasiten, die ■ direkt in sie eindringen (z.B. Schistosomen, Nematoden), ■ von Vektoren beim Blutsaugen inokuliert werden. Die meisten dieser Parasiten verlassen sie umgehend wieder, doch einige bleiben in der Haut oder werden eingekapselt. Umgekehrt werden nur wenige über die Haut aus dem Körper ausgeschieden. Die (pathologischen) Hautreaktionen auf Parasiten können schwach bis stark beeinträchtigend sein. Es folgt eine kurze Beschreibung von Parasiteninfektionen, die zu schweren Störungen führen.
Abb. 26.33
Typische Hautläsion bei Blastomykose.
Die Infektion wird über die Atemwege übertragen und befällt daher zunächst die Lunge. Doch die extrapulmonalen Infektionsherde bei chronischer Blastomykose 777
befinden sich am häufigsten auf der Haut (mit freundlicher Genehmigung von K.A. Riley).
Leishmaniose als Haut- und mukokutane Infektion Leishmanien werden durch den Biss von Sandfliegen übertragen. Die zu den Protozoen zählenden Leishmanien lösen zwei wichtige Krankheitskomplexe der Haut aus: ■ Die Hautleishmaniose kommt in Asien, Afrika, Südeuropa und in Mittel- und Südamerika vor. Ihr Spektrum reicht von lokalen, selbst abheilenden Geschwüren bis zu unheilbaren, disseminierten, lepraartigen Läsionen. ■ Bei den nur in der Neuen Welt (Mittel- und Südamerika) auftretenden mukokutanen Leishmaniosen sind die Parasiten in der Haut lokalisiert oder in HautSchleimhaut-Übergangsbereiche (Mund und Nase) eingedrungen und verursachen chronische, entstellende Erkrankungen (ausführlicher zu Leishmaniosen s. Kap. 27).
Dermatitis durch Schistosomeninfektionen Schistosomen benötigen Wasserschnecken als Vektoren und die Übertragung erfolgt durch aktive Hautpenetration der Larvenstadien (s. Kap. 27). In dieser Phase kann sich eine Dermatitis entwickeln. Wenn statt der Spezies, die sich an den Menschen adaptiert haben, Vogelschistosomen in die Haut eindringen, kommt es zu einer ähnlichen, aber sehr viel stärkeren Hautreaktion auf die Invasion. Die „Schwimmerkrätze“ ist relativ häufig bei Freizeitsportlern anzutreffen, die natürliche und dicht von Wasservögeln bevölkerte Seen aufsuchen, z.B. die großen Seen im Norden der USA. Wirksam sind antientzündliche Mittel zum Auftragen (Salben).
Juckende, entzündete Gänge in der Haut sind Kennzeichen der Larva migrans Wenn Hakenwürmer (wie Ancylostoma duodenale oder Necator americanus) über die Haut in den menschlichen Körper eingedrungen sind, graben sich die infektiösen Larven durch die Dermis und wandern im Blut schließlich zum Dünndarm. Ihre Invasion kann zur Dermatitis führen, die sich bei wiederholter Infektion weiter verschlimmert. Menschen können aber auch von Katzen- und Hundehakenwurmlarven befallen werden, wenn sie mit verseuchtem Boden in Kontakt kommen. Die Haustiere können erwachsene Würmer im Darm tragen und scheiden in ihrem Kot Eier aus, aus denen dann die infektiösen Larven schlüpfen. Diese Larven bleiben über längere Phasen lebensfähig. Da der Mensch eigentlich der falsche Wirt für sie ist, leben sie nach der Invasion noch eine Zeit lang weiter, schaffen es aber nicht mehr, sich wieder aus der fremden Dermis herauszubewegen. In der Zeit bewegen sie sich parallel zur Haut und hinterlassen stark juckende, gewundene, entzündete Gänge (creeping eruption), die an der Hautoberfläche gut erkennbar sind (Abb. 26.34). Um die Entzündung einzudämmen, können topische Mittel und ein Anthelminthikum wie Thiabendazol angewandt werden.
Typisch für Onchozerkose ist eine Überempfindlichkeitsreaktion auf Larvenantigene 778
Die Onchozerkose ist auch als „Flussblindheit“ bekannt. Adulte Formen von Onchocerca volvulus (Knäuelfilarie) überleben jahrelang in subkutanen Knötchen. Die lebend von den Weibchen freigesetzten Mikrofilarien wandern aus den Knötchen heraus, halten sich aber überwiegend in den Dermisschichten auf. Wenn sie ins Auge eindringen, können sie ein Blindheit verursachen (s. Kap. 25).
Abb. 26.34
Larva migrans (creeping eruption).
Hakenwurmlarven hinterlassen nach ihrem Eindringen leicht erhabene, entzündete Gänge in der Haut (mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier). Während der langsamen Zunahme der Parasitenzahl entwickelt sich eine Hypersensitivitätsreaktion auf die von lebenden und absterbenden Larven ausgeschiedenen Antigene, die zu entzündlichen Hautsymptomen führt. In frühen Stadien erscheint ein papulöses, stark juckendes Erythem. Später verdickt sich die Haut, wird unelastisch und sehr faltig; auch ein Pigmentverlust kommt häufiger vor. Durch eine Behandlung mit Ivermectin können zwar die Mikrofilarien abgetötet werden, doch wenn die Hautveränderungen schon fortgeschritten sind, ist der Zustand irreversibel. Auch bei Infektionen mit anderen Filarien oder Nematoden treten häufiger Hautentzündungen auf.
779
26.4.1
Arthropodeninfektionen
In den Tropen und Subtropen können sich Fliegenlarven in der Haut entwickeln Als Myiasis bezeichnet man eine Erkrankung durch die in den Körper eingedrungenen Larven (Maden) von Diptera-Fliegen. Bei verschiedenen Fliegenarten wachsen die Larvenstadien in der Haut von Säugetieren heran, wo sie sich auch ernähren. Sie bleiben möglichst dicht an der Oberfläche, um sich unmittelbar vor oder nach der Verpuppung als erwachsene Fliegen wieder befreien zu können. Da die Weibchen ihre Eier oder Larven direkt auf der Haut ablegen, können Larven über Wunden oder natürliche Öffnungen in den Körper gelangen. Infolge der Aktivitäten und des Fressverhaltens der Larven kann es zu starken Schmerzen und zum Teil großflächigen Läsionen kommen. Menschen können von mehreren Spezies dieser Fliegen(larven) befallen sein; Fallberichte gibt es aus vielen Ländern, auch wenn die Infektionen vor allem in tropischen und subtropischen Regionen auftreten. Wieder aufgelebt ist das Interesse an Maden, die zur Entfernung von nekrotischem Gewebe aus Wunden eingesetzt werden könnten und deren Sekrete eine bakterielle Kontamination verhindern.
Zecken, Läuse und Milben leben von Blut oder Gewebeflüssigkeit des Menschen Bestimmte Spezies ernähren sich nur fakultativ von Menschen, andere aber wirtsspezifisch. Durch ihr Fressverhalten und den Speichel, den sie dabei unweigerlich ausscheiden, kommt es zur Hautreizung, die noch stärker wird, wenn Speichelproteine eine Immunreaktion des Wirts auslösen. Dauern die Fressphasen länger, z.B. die von Zecken, können schmerzhafte Hautläsionen zurückbleiben, die sich oft sekundär infizieren. Läuse und Krätzemilben (Skabies), die den größten Teil oder ihr ganzes Leben auf dem menschlichen Körper zubringen, können mit Zunahme ihrer Population schwere Hautsymptome verursachen. Auslöser sind: ■
Aktivitäten der Insekten selbst,
■
Ausscheidungen (Exkretion) der Insekten,
■
Austritt von Blut oder Gewebeflüssigkeit an der Bissstelle,
■
Entzündungsreaktionen des Wirts.
Bei einer schweren Pedikulose, d.h. einem Befall von Kopf und Körper mit Pediculus humanus, können sich im Schorf der entzündeten Stellen Pilzinfektionen entwickeln. Durch gute Körperhygiene lässt sich ein Läusebefall (Infestation) verhindern. Angewandt werden insektizide Cremes, Lotionen, Shampoos und Puder, die Malathion oder Carbaryl enthalten.
780
Krätzemilben haben noch intimeren Kontakt zu ihrem menschlichen Wirt als Läuse, weil sie ihr ganzes Leben in seiner Haut zubringen. Sie graben Gänge, in denen die Weibchen Eier ablegen, bis sich der infizierte Bereich schließlich großräumig um den ursprünglichen Herd (meist an den Händen oder Handgelenken; Abb. 26.35 und s. Kap. 21) herum ausdehnt. Typisch für Skabies ist ein juckender Ausschlag, der sich durch Kratzen sekundär infizieren kann. Menschen mit Immunschwäche oder die sich nicht selbst versorgen können, leiden oft an besonders schweren Infektionen. Unter diesen Umständen kann es zu einer starken Verdickung und Verkrustung der Haut kommen (Scabies norvegica oder Boeck-Skabies). Empfohlen wird eine Behandlung mit Malathion oder Gammabenzenhexachlorid; auf unversehrte Haut kann auch Benzylbenzoat aufgetragen werden.
Abb. 26.35 Typischer Hautgang von Krätzemilben bei Skabies.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
26.5
Mukokutane Virusinfektionen
Mukokutane Läsionen durch Viren lassen sich danach unterteilen, ob ■ die Virusinfektion lokal bleibt, d.h. sich auf den Ort der Primärinfektion an der Hautoberfläche beschränkt, oder ob ■ sich die Virusinfektion systemisch ausbreitet und erst danach Haut- und Schleimhautsymptome hervorruft (Tab. 26.4). Die Hautsymptome systemischer Infektionen können unterteilt werden in ■ infektiöse Hautläsionen (Bläschen), in denen die Virusreplikation stattfindet, ■ nichtinfektiöse (makulopapulöse, fleckig-knotige) Hautläsionen, die immunvermittelt sind und auch auftreten, wenn das Virus an anderen Stellen ausgeschieden wird.
781
Bei vielen Infektionskrankheiten zeigt sich ein typisches Verteilungsmuster des Ausschlags, doch bis auf die Gürtelrose (Zoster) sind die Gründe dafür unklar. Hautausschläge sind eine Besonderheit des Menschen und kommen bei Infektionen von Tieren nur selten vor. Das liegt an der „Nacktheit“ der menschlichen Haut, die dadurch sehr störanfällig und empfindlich wird, so dass sich entzündliche bzw. Immunreaktionen deutlich abzeichnen. Die Betroffenen leiden oft nicht unter dem Hautausschlag, der jedoch dem Arzt eine wichtige Hilfestellung für die Diagnose geben kann. So gut haben es Tierärzte nicht, denn die Haut der meisten Säugetiere ist mit Fell bedeckt; Hautläsionen treten daher meist an unbehaarten Stellen wie Euter, Skrotum, Ohren, Vorhaut, Zitzen, Nase oder Pfoten auf, wo die Haut ähnlich dick und empfindlich wie bei Menschen ist und Gefäßreaktionen zeigt.
Tab. 26.4 Mukokutane Läsionen durch Viren HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus
26.5.1
Papillomavirus-(HPV-)Infektionen
Menschen können sich mit rund 80 HPV-Typen infizieren Papillomaviren sind kubische, doppelsträngige DNA-Viren mit einem Durchmesser von 55 nm und die Ursache von Hautpapillomen (Warzen). Die 80 Typen, mit denen 782
sich Menschen infizieren können, verfügen über < 50% Homologie auf DNA-Ebene. Nicht alle Typen kommen gleich häufig vor. Humane Papillomaviren sind speziesspezifisch und unterscheiden sich von den Papillomaviren von Tieren. Ihre Anpassung an die menschliche Haut und Schleimhaut ist so gelungen, dass sie zu uralten „Gefährten“ unserer Gattung wurden; daher machen sie nicht richtig krank oder führen meist nur zu leichten Beschwerden. Einige haben sich auf bestimmte Körperregionen spezialisiert: ■ Mindestens 25 HPV-Typen (darunter Typ 6, 11, 16 und 18) sind sexuell übertragbar und können den Genitalbereich infizieren. ■
HPV-Typ 1 und 4 verursachen Plantarwarzen.
■
HPV-Typ 2, 3 und 10 führen zu Warzen an Knien und Fingern.
Obwohl sie im Allgemeinen durch direkten Kontakt übertragen werden, sind Papillomaviren stabil genug, um sich auch auf Umwegen auszubreiten. Plantarwarzen kann man sich z.B. auf infizierten Böden oder am Rand von Schwimmbecken zuziehen und Warzen können sich bei bereits Infizierten z.B. durch das Rasieren weiter ausbreiten.
Papillomaviren infizieren Zellen in der Basalschicht von Haut oder Schleimhäuten Nachdem sie in kleine Hautabschürfungen gelangt sind, infizieren HPV die Basalzellen von Haut oder Schleimhäuten (Abb. 26.2), dringen aber nicht in tiefere Schichten ein. Sie vermehren sich langsam und sind entscheidend auf die Zelldifferenzierung des Wirts angewiesen. In den Basalzellen ist zwar Virus-DNA vorhanden, doch erst wenn die Zellen näher zur Oberfläche geschoben werden, um sich zu schuppen und zu verhornen, werden Antigene und infektiöse Viruspartikel gebildet. Infizierte Zellen werden zur Teilung stimuliert, bis sie schließlich 1–6 Monate nach Beginn der Infektion als Ausstülpung in Form eines Papilloms oder einer Warze an der Körperoberfläche sichtbar werden (Abb. 26.36). Besonders deutlich proliferieren die Stachelzellen, und in oberflächlicheren Lagen bestehen Zellvakuolen. Warzen können folgendermaßen aussehen: ■
filiform (mit fingerartigen Auswüchsen),
■
oben abgeflacht,
■
flach nach innen wachsend (durch Druck von außen, z.B. Plantarwarzen),
■
blumenkohlartig (Genitalwarzen),
■
flächig-dysplastisch (Zervixdysplasie).
Sobald Immunreaktionen die Virusreplikation schließlich unter Kontrolle gebracht haben, bilden sich die Warzen Monate nach der Infektion wieder zurück. Trotz vorhandener Antikörper sind zellvermittelte Immunreaktionen wichtiger für die Heilung. Wahrscheinlich hält sich die Virus-DNA im Latenzzustand in der 783
Basalzellschicht und infiziert eher zufällig die eine oder andere Stammzelle. Daher bleibt sie in dieser Schicht, während sich die epidermalen Zellen differenzieren und nach außen abgestoßen werden. So kommt es, dass Patienten mit Immunschwäche (z.B. nach einer Transplantation) plötzlich ganze Büschel von Warzen aufweisen, weil das Virus aus der Latenz in der Haut reaktiviert wurde.
Abb. 26.36 Gemeine Warzen (Verruca vulgaris) bzw. Papillome in der Hand.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)
Zervix-, Vulva-, Penis- und Rektum-karzinome sind mit HPV-Infektionenassoziiert Auf die Beziehung zwischen Genitalwarzen und Karzinomen von Zervix, Vulva, Penis oder Rektum wird in Kap. 17 näher eingegangen. Es ist nicht klar, ob es sich um einen kausalen oder rein zufälligen Zusammenhang handelt. Aber es spricht nichts dafür, dass „normale“ Warzen an der Entstehung von Hautkrebs beteiligt wären. Es gibt allerdings eine seltene, autosomal-rezessive Erkrankung (Epidermodysplasia verruciformis), für die Warzen mit vielen verschiedenen HPV-Typen typisch sind, die normalerweise nicht vorkommen. Darüber hinaus zeigen sich noch unerklärbare Immundefekte. Bei fast 30% der Patienten können die Warzen besonders an lichtexponierten Stellen entarten (Plattenepithelkarzinome).
HPV-Infektionen werden klinisch diagnostiziert und unterschiedlich behandelt Warzenviren lassen sich nicht im Labor anzüchten, und serologische Tests sind bisher weder von Nutzen noch verfügbar. Mit HPV-DNA-Nachweismethoden kann man den HPV-Typ ermitteln und auch die Viruslast von Hautproben feststellen.
784
Verblüffend sind die vielfältigen Warzenmittel, die schon zur Behandlung eingesetzt wurden; einige „wirken“ zweifellos deshalb, weil Warzen am Ende auch ohne Behandlung wieder verschwinden. Gelegentlich erwiesen sich posthypnotische Suggestionen als erfolgreich. Derzeit werden keratolytische Mittel wie Salizylsäure eingesetzt oder Warzen durch Kryotherapie zerstört (Kältekauterisierung mit Trockeneis bzw. festem Kohlendioxid oder mit flüssigem Stickstoff). Am gängigsten und wirksamsten ist die Behandlung mit flüssigem Stickstoff. Intraepitheliale Läsionen im Genitalbereich, besonders an der Zervix, können maligne entarten; um sie zu beseitigen, werden Lasertherapie, Schlingenexzision und chirurgische Eingriffe durchgeführt.
Molluscum contagiosum (Dellwarze)durch ein Pockenvirus Wenn Epidermiszellen von dem Pockenvirus infiziert werden, bildet sich eine fleischige Hautläsion, oft mit nabelartiger Einziehung in der Mitte (Abb. 26.37). Dellwarzen kommen nur bei Menschen vor und verbreiten sich durch Kontaktinfektion oder wie im Fall genitaler Läsionen auf sexuellem Wege. Es gibt zwei verschiedene Antigentypen. Pockenviruspartikel sind elektronenmikroskopisch sichtbar (s. Kap. 3).
Orf–ein papulovesikulöser Ausschlagdurch ein Pockenvirus Orf (eine ansteckende pustelförmige Dermatitis) ist eine seltenere epidermale Infektion und wird durch direkten Kontakt mit infizierten Schafen oder Ziegen übertragen. Die Knötchen und Bläschen treten meist an den Händen auf und können ulzerieren. Dabei handelt es sich um eine klinische Diagnose, die sich elektronenmikroskopisch sichern lässt.
785
Abb. 26.37 Einzeln stehende Dellwarze (Molluscum contagiosum) mit „Nabel“.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)
26.5.2
Herpes-simplex-Virus(HSV)-Infektion
HSV-Infektionen sind überall verbreitet und treten bereits in der frühen Kindheit auf Das Herpes-simplex-Virus (HSV) ist ein mittelgroßes (20 nm) doppelsträngiges DNAVirus der Herpesvirengruppe. Es gibt zwei Antigentypen, HSV- und HSV-2, die ein breites Spektrum klinischer Syndrome auslösen können; ihnen allen gemeinsam sind intraepitheliale Bläschen, aus denen das Virus freigesetzt wird. Die Übertragung erfolgt im Allgemeinen durch den Speichel oder Herpesbläschen anderer Menschen, oft z.B. beim Küssen.
Herpesbläschen und Latenz sind die klinischen Kennzeichen Nach der Infektion kommt es zur Virusreplikation in der Mundschleimhaut und es bilden sich virusreiche Bläschen. Die Patienten spüren kaum mehr als leichtes Fieber mit einer Störung ihres Allgemeinbefindens. Aufbrechende Bläschen werden von einem grauweißen Belag überzogen (Abb. 26.38).
786
Abb. 26.38 Primärinfektion mit dem Herpessimplex-Virus (HSV).
Auf flachen Geschwüren am Gaumen und Zahnfleisch hat sich ein weißes Exsudat gebildet (mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes). Bei der Primärinfektion dringen Viruspartikel in sensible Nervenendigungen ein und werden zu den (trigeminalen) Hinterwurzelganglien transportiert, wo sie eine latente Infektion sensorischer Neurone bewirken (s. Kap. 16). Sobald sich Antikörper bilden und sich eine zellvermittelte Immunreaktion entwickelt, heilen die Läsionen ab. Doch das Virus hält sich (latent) lebenslang in sensorischen Ganglien und kann von dort unter Umständen jederzeit reaktiviert werden. Dann wandert es an sensorischen Nerven entlang zum ursprünglichen Infektionsherd hinunter und es erscheinen wieder Herpesbläschen (Abb. 26.39). Eine Primärinfektion kann aber auch an anderen Stellen auftreten, z.B. ■ im Auge; Konjunktivitis und Keratitis sind die Folge, oft auch Herpesbläschen auf den Augenlidern (s. Kap. 25); ■
an den Fingern (Nagelbettentzündung);
■ an vorgeschädigten Hautstellen (durch Reibung oder Trauma) nach direktem Kontakt mit Infizierten, wie die „Rugby-Pocken“ bei Rugby-Spielern oder der „Herpes gladiatorum“ bei Ringern; ■ im Genitalbereich (s. Kap. 21). Obwohl HSV-2 ursprünglich eine sexuell übertragbare Variante von HSV- war, lassen sich die Infektionsgebiete der beiden HSV-Typen inzwischen nicht mehr so deutlich voneinander abgrenzen. Ernste Komplikationen einer HSV-Infektion sind: ■ herpetische Infektionen von Hautekzemen als schwere Erkrankung von Kleinkindern (Abb. 26.40);
787
■ akut nekrotisierende Enzephalitis nach Primärinfektion oder Reaktivierung (s. Kap. 24); ■
Neugeborenenherpes nach Ansteckung im Genitaltrakt der Mutter (s. Kap. 23);
■ schwere Erkrankung von Immungeschwächten nach einer Primär- oder reaktivierten HSV-Infektion (s. Kap. 30).
Faktoren, die eine HSV-Reaktivierung provozieren können Bei Gesunden: ■
bestimmte fiebrige Erkrankungen (Erkältung, Pneumonie),
■
Sonnenlicht,
■
Stress,
■
Trauma/Verletzung,
■
Menstruation,
■
Immunschwäche.
Bei immungeschwächten Patienten hat die Reaktivierung besonders schwere Auswirkungen (s. Kap. 30). Nadelstiche, Schmerzen, Brennen und Jucken der befallenen Stellen sind schon vor dem Auftreten der Herpesbläschen zu spüren. Diese Prodromi hängen mit der Virusaktivität in sensorischen Neuronen zusammen. Die Bläschen (ein „kalter“, d.h. nichtentzündlicher Ausschlag) bilden sich meist in den Haut-SchleimhautÜbergangszonen von Nase oder Mund (Abb. 26.41). Seltener entsteht ein dendritisches Hornhautulkus (bei Beteiligung des Augenastes des Ganglion trigeminale). Aus Herpesbläschen entleeren sich große Virusmengen, dann verschorfen sie und heilen innerhalb einer Woche ab. Manchmal treten auch nur Prodromi auf, ohne dass der Herpes ausbricht (s. rezidivierende VZV-Infektionen).
788
Abb. 26.39 Pathogenese von Herpes und Gürtelrose.
Herpes-simplex- (HSV) und Varicella-Zoster-Viren (VZV) steigen von mukokutanen Nervenendigungen über die Axone hoch zu sensorischen Neuronen und „schlummern“ dort (Latenz). Rezidive bilden sich, wenn das Virus in den Neuronen reaktiviert wird und wieder infektiös geworden an den Axonen entlang zu der mukokutanen Stelle zurückkehrt, an der die Infektion ursprünglich begonnen hat. Lokale Ausbreitung und Virusreplikation führen dann zu den klinischen Läsionen.
789
HSV kann aus der Bläschenflüssigkeit isoliert werden; behandelt wird mit Aciclovir HSV lässt sich leicht aus Speichel, Tränen- und Bläschenflüssigkeit isolieren. Im Labor von Krankenhäusern werden meist Proben eingereicht, die aus genitalen Läsionen stammen. Das Virus verhält sich ausgesprochen zytopathisch, wenn man es auf Zellkulturen aus menschlichem embryonalem Lungengewebe isoliert. Die Immunfluoreszenz erlaubt eine Typisierung, und in bestimmten klinischen Situationen kann es differenzialdiagnostisch (HSV-Typ1 und 2) wichtig sein, einen DNA-Nachweis zu führen, der sensitiver als eine Virusanzüchtung ist. Aciclovir hat die Behandlung von HSV-Infektionen revolutioniert (s. Kap. 33); es kann topisch oder systemisch angewandt werden, und bei relativ geringer Toxizität wirkt es spezifisch auf virusinfizierte Zellen. Wiederholte Herpesepisoden lassen sich erfolgreich mit niedrig dosiertem Aciclovir behandeln (2 × täglich für 6–12 Monate). Danach sollte die Behandlung ausgesetzt werden, um zu prüfen, wie häufig sich Herpesausbrüche wiederholen. Als weitere Therapieoptionen bieten sich Valaciclovir oder Famciclovir an. Bei schweren HSV-Infektionen (Herpes-Enzephalitis, disseminierte Infektion Immungeschwächter) muss Aciclovir intravenös verabreicht werden. Wenn eine Aciclovir-Resistenz aufgetreten ist, kommen Ganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir als Alternative in Betracht.
26.5.3
Varicella-Zoster-Virus(VZV)-Infektionen
VZV ist sehr ansteckend und kann Windpocken (Varizellen) und Gürtelrose (Zoster) hervorrufen VZV ist ein mittelgroßes (100–200 nm im Durchmesser), doppelsträngiges DNA-Virus der Herpesvirengruppe und morphologisch nicht von HSV unterscheidbar. Es gibt nur einen Serotyp. VZV wächst langsamer als HSV und wird nicht aus infizierten Zellen freigesetzt. Übertragen wird es als Tröpfcheninfektion (Inhalation abgehusteter Sekrete oder von Speicheltröpfchen) oder durch direkten Kontakt mit Hautläsionen. Bei der Primärinfektion mit VZV treten Windpocken (Varizellen) auf. Die Erkrankung macht zwar immun gegen eine Reinfektion (mit Windpocken), doch das Virus bleibt im Körper.
790
Abb. 26.40 Eczema herpeticatum durch HSVInfektion des Säuglings.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood) Wenn es später reaktiviert wird, verursacht es Gürtelrose (Zoster). In den ressourcenreichen Ländern hat sich fast jeder bereits in der Kindheit infiziert, doch in manchen Regionen ist die Inzidenz von Windpocken bei Kindern sehr niedrig (Afrika und Karibikinseln). Die Bläschen der Gürtelrose bilden eine wichtige Infektionsquelle für die Verbreitung von Windpocken in der Bevölkerung (s. Kap. 16).
Windpocken sind gruppiert stehende Bläschen, die zu Pusteln werden, bevor sie verschorfen Nach der Primärinfektion gelangt das Virus über das Oberflächenepithel in die Atemwege und infiziert mononukleäre Zellen, die es dann zu Lymphgeweben transportieren. Das geschieht ohne nachweisbare Symptome oder Läsionen an der Eintrittsstelle. Nach langsamer Replikation (über etwa eine Woche) im lymphoretikulären Gewebe wird das Virus mit mononukleären Zellen ins Blut eingeschwemmt und streut dann zu anderen Epithelstellen. Diese befinden sich überwiegend im Respirationstrakt und in der Haut, doch auch Mund, Konjunktiva, teilweise sogar Verdauungs- und Urogenitaltrakt können betroffen sein.
791
Abb. 26.41 Herpesrezidiv an der Haut-SchleimhautGrenze der Oberlippe.
(Mit freundlicher Genehmigung von A. du Vivier) Aus unbekannten Gründen sind besonders die Haut am Stamm und im Gesicht sowie die Kopfhaut befallen. An den Stellen treten die Viren aus den kleinen Blutgefäßen aus und infizieren erst das Subepithel und danach das Epithel. In den Läsionen sind mehrkernige Riesenzellen mit intranukleären Einschlusskörperchen vorhanden. Von der Oberfläche im Oropharynx und in den Atemwegen werden die Viren nach außen ausgeschieden, so dass sich ca. zwei Wochen nach der Primärinfektion auch andere anstecken können. In der Haut dauert es noch ein oder zwei Tage länger; genau in diesem Stadium erscheinen die für Windpocken typischen Bläschen, die zur klinischen Diagnose führen (Abb. 26.42). Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich 4 Tage (10–23 Tage). Bis kurz vor Auftreten des Ausschlags (1–2 Tage) geht es den Patienten gut, und selbst dann stellen sich nur leichtes Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl ein. Der Krankheitsverlauf ist mild und bleibt oft vollkommen unbemerkt. Windpocken treten zuerst am Stamm auf und breiten sich auf Gesicht und Kopfhaut aus, seltener auch auf Arme und Beine, und stehen häufig gruppiert. Nach einigen Tagen sind in den Gruppen mehrere Stadien gleichzeitig vertreten, bevor sich Bläschen (Pusteln) entwickeln, die aufbrechen und verkrusten. Es sind tiefere Läsionen als bei Herpes und sie vernarben auch häufiger. Besonders schmerzhaft können Mundbläschen sein.
Bei Erwachsenen verlaufen Windpocken schwerer und häufiger mit Komplikationen Wenn sich Windpocken sekundär mit Streptokokken oder Staphylokokken infizieren, kann es zu einer Impetigo kommen, doch Windpocken im Kindesalter sind meist eine sehr leichte Infektionskrankheit. Mögliche Komplikationen von Windpocken sind hauptsächlich:
792
Abb. 26.42 Windpockenausschlag mit Flecken, Papeln und Bläschen im Frühstadium.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood) ■ interstitielle Pneumonie bei rund 20% der Erwachsenen, die zwar oft subklinisch verläuft, sich aber durch Röntgen nachweisen lässt; auch eine sekundäre bakterielle Pneumonie kann vorkommen; ■ ZNS-Beteiligung in Form einer lymphozytären Meningitis oder Enzephalomyelitis (s. Kap. 24). Eine gelegentliche Thrombozytopenie führt meist nicht zu Symptomen. Lebensgefährlich können Windpocken für immungeschwächte Patienten, vor allem für leukämiekranke Kinder werden. Eine Primärinfektion in der Schwangerschaft kann sich auf den Fetus auswirken (s. Kap. 23), im Verlauf sorgen mütterliche Antikörper dafür, dass die Infektion im Allgemeinen ohne schwere Folgen bleibt. Wenn sich Mütter im ersten oder zweiten Trimenon der Schwangerschaft infiziert haben, kommt es in 1–2% der Fälle zu einem angeborenen Varizellensyndrom bei den Kindern (mit Symptomen wie vernarbte Haut, hypoplastische Gliedmaßen, Augen- oder Gehirnstigmata). Hat sich die Mutter erst ein paar Tage vor oder nach der Geburt infiziert und das Kind angesteckt, wird es nicht durch mütterliche Antikörper geschützt und kann schwer erkranken. Eine Säuglingsinfektion lässt sich durch passive Immunisierung mit Varicella-Zoster-Immunglobulin verhüten oder abmildern.
Bei Reaktivierung einer latenten VZV-Infektion kommt es zur Gürtelrose (Zoster) Nach der Primärinfektion steigt das VZV aus mukokutanen Läsionen über sensible Nervenendigungen zu Neuronen der Hinterwurzelganglien auf und hält sich dort als latente Infektion (Abb. 26.39). Bei der Reaktivierung zu einem späteren Zeitpunkt 793
kann in den zugehörigen Dermatomen eine Gürtelrose (Zoster) auftreten. Dass häufiger die Dermatome am Oberkörper betroffen sind, liegt an der bevorzugten Lokalisation der Primärinfektion, der Windpocken, am Stamm. Da es sich bei der Reaktivierung um ein lokales Ereignis in einem einzelnen Dorsalwurzelganglion handelt, bleibt die Gürtelrose auf eine Seite beschränkt. Der Zoster hat also seinen Ursprung im Körperinneren und wird nicht durch Ansteckung bei anderen (an Windpocken oder Gürtelrose Erkrankten) erworben. Die Virusreaktivierung in sensorischen Neuronen (Abb. 26.39) führt zu Parästhesien und Schmerzen. Die Schmerzen können sehr stark sein und dem erythematösen Ausschlag (mit virushaltigen Bläschen) um mehrere Tage vorausgehen (Abb. 26.43). Solange dauert es, bis das
Abb. 26.43 Gürtelrose (Zoster).
a) Frühzeichen ist ein bandförmiges blasses Erythem im Nervenverlauf eines Interkostalnervs;b) Ausschlag im Gebiet des N.-trigeminus-Augenastes (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood). Virus an peripheren Nerven entlang gewandert ist und sich in der Haut vermehrt hat. Der Ausschlag kann mit Fieber und Unwohlsein einhergehen. Manchmal wird die Virusreaktivierung vom Immunsystem unter Kontrolle gebracht, bevor sich der Hautausschlag bildet; in dem Fall treten nur die sensiblen Erscheinungen auf. Zu Zoster prädisponieren: ■ höheres Alter; auch wenn er sehr selten schon in der Kindheit auftritt, nimmt die Inzidenz des Herpes zoster mit steigendem Alter zu (von 3/1000 pro Jahr bei den 50- bis 59-Jährigen auf 10/1000 pro Jahr bei den 80- bis 89-Jährigen). ■ Immunschwäche (Leukämie, Lymphome, AIDS) oder Immunsuppression (medikamentös, Organtransplantation); so entwickelt sich z.B. bei rund 20% der Patienten mit Hodgkin-Krankheit eine Gürtelrose. ■
Hirn- oder Rückenmarksverletzung bzw. -tumor.
Wie aufgrund der Pathogenese nicht anders zu erwarten, lässt sich in den befallenen Hautarealen das Verteilungsmuster des ursprünglichen Varizellenausschlags erkennen (Abb. 26.39). Daher ist meist der Stamm betroffen. Besonders unangenehme
794
Symptome kann ein ophthalmologischer Zoster mit Beteiligung von Oberlid, Stirn und Kopfhaut bereiten oder sogar das Sehvermögen beeinträchtigen.
Häufige Komplikation ist eine postherpetische Zosterneuralgie Eine postherpetische Zosterneuralgie (oder Zoster-assoziierter Schmerz) kommt besonders häufig bei ansonsten gesunden Älteren vor. Im Frühstadium der Erkrankung können die starken Schmerzen noch Monate nach Abklingen des Ausschlags fortbestehen. Ihre Behandlung ist schwierig, auch wenn sich Inzidenz, Dauer und Schwere des ZAP durch antivirale Mittel verringern lassen; allerdings sollte damit möglichst bald nach Auftreten des Zosters begonnen werden. Bei immungeschwächten Patienten können sich schwere Verlaufsformen eines Zosters zeigen. Wenn sich das VZV einige Tage nach dem lokalisierten Ausschlag auf dem Blutweg im Körper ausgebreitet hat, weil es nur unzureichend von der zellvermittelten Immunantwort kontrolliert wurde, können überall Haut- und viszerale Läsionen entstehen. Auch Pneumonie und hämorrhagische Komplikationen können auftreten.
Labordiagnostik Die klinische Diagnose einer VZV-Infektion kann durch verschiedene Tests gestützt werden, wie Immunfluoreszenztest von Zellabstrichen aus Hautläsionen mithilfe VZV-spezifischer monoklonaler Antikörper, molekularem Nachweis von VZV-DNA und VZV-Isolierung aus Zellkulturen (der zytopathische Effekt kann u. U. erst nach einigen Wochen erkennbar sein). Elektronenmikroskopisch sind in der Bläschenflüssigkeit Herpesviruspartikel zu sehen; man kann sie allerdings nicht von anderen Herpesviren unterscheiden (besonders nicht von HSV, das ebenfalls Bläschen verursacht). Eine durchgemachte Infektion kann durch den Nachweis von VZV-IgG mittels ELISA oder anderer Methoden bestätigt werden. Ein positives VZV-IgM-Ergebnis kann auch hilfreich sein, wenn die Diagnose aus klinischen Gründen nachträglich gestellt werden muss, nachdem die Hautläsionen bereits abgeheilt sind.
Behandlung von Windpocken und Zoster Um Kratzen und Sekundärinfektionen zu verhindern, werden die (Varizellen)Hautläsionen mit Bädern und juckreizlindernden Lotionen behandelt. Zur Behandlung von Windpocken und Gürtelrose kann Aciclovir oder wegen der besseren Bioverfügbarkeit Valaciclovir bzw. Famciclovir oral verabreicht werden. VZV ist aber viel unempfindlicher für diese Mittel als HSV. Windpocken gelten als harmlose Infektionskrankheit ohne größere Beschwerden, so dass eine Behandlung meist gar nicht in Erwägung gezogen wird. Jugendlichen und Erwachsenen mit Windpocken ist jedoch eine antivirale Behandlung zu empfehlen, um Komplikationen zu verhindern. Antivirale Mittel bewirken auch eine Abschwächung neuer Läsionen, verringerte Virusausscheidung und Symptomlinderung. Schwere Infektionen müssen besonders bei 795
Hochrisikogruppen mit Aciclovir-Infusionen behandelt werden. Als passive Immunisierung gegen Windpocken sollten alle, die für Komplikationen anfällig sind (z.B. immungeschwächte Patienten), nach einer Exposition VZV-Ig erhalten, das einen hohen Titer humaner VZV-Antikörper enthält. In einer Reihe von Ländern ist ein attenuierter Lebendimpfstoff zugelassen. In Deutschland wird seit 2004 die Schutzimpfung bei Kindern im Alter von 11–14 Monaten (in der Regel zusammen mit der Masern-Mumps-Röteln-Schutzimpfung) durchgeführt.
26.5.4 Ausschläge durch Coxsackie- und Echoviren Coxsackie- und Echoviren können unterschiedliche Hautexantheme verursachen Manche dieser Infektionen führen auch zu einem Enanthem (auf inneren Epithelflächen, z.B. in der Mundhöhle auftretender Ausschlag). Betroffen sind meist Kleinkinder. Klinisch sind die Infektionen kaum voneinander zu unterscheiden und sie verlaufen im Allgemeinen nicht besonders schwer. Coxsackie- und Echoviren können auch ZNS-Erkrankungen (s. Kap. 24), Infektionen der oberen Atemwege (s. Kap. 18), der quergestreiften Muskulatur und des Herzmuskels hervorrufen (s. unten). Die von Coxsackievirus A verursachten Bläschen sind meist in der Wangenschleimhaut oder auf der Zunge lokalisiert. Viele Kinder klagen über Mundoder Zungenentzündungen und haben leichtes Fieber. Treten die virushaltigen Bläschen auch an der Haut von Händen und Füßen auf, spricht man von einer HandFuß-Mund-Krankheit (Abb. 26.44). Am häufigsten ist Coxsackievirus A6 der Auslöser. Vor allem im Sommer können sich Coxsackie-A- und Echovirusinfektionen als makulopapulöser Ausschlag (ähnlich wie bei Röteln) darstellen.
26.5.5
Ausschläge durch Erythrovirus B9
Das früher als Parvovirus bezeichnete Erythrovirus B9 verursacht das „Ohrfeigen“-Syndrom Parvoviren sind sehr kleine (22 nm im Durchmesser) einzelsträngige DNA-Viren. Als defekte Viren (s. Anhang) benötigen sie zu ihrer Replikation ein Adenovirus als Helfer und werden daher auch als „Adeno-assoziierte Viren“ bezeichnet. Es gibt vier Serotypen und die Infektion tritt relativ häufig auf. Das in mitotisch aktiven Zellen wachsende Erythrovirus B9 kann bei Kindern eine febrile Erkrankung mit sehr typischem, makulopapulösem Gesichtsausschlag auslösen, die als Erythema infectiosum oder Ringelröteln bezeichnet wird. Dass sie auch „Fünfte Krankheit“ (fifth disease) genannt wird, liegt an dem Umstand, dass sie als fünfte von sechs allgemein verbreiteten exanthematischen Infektionskrankheiten von den Ärzten im 19.Jahrhundert entdeckt wurde.
796
Erythrovirus-B19-Infektionen verlaufen meist ohne Symptome und werden durch Tröpfchen übertragen Fast die Hälfte der Bevölkerung weist Antikörper gegen Erythrovirus B9 auf. Das Virus befällt blutbildende Zellen des Knochenmarks. Normalerweise bewirkt es nicht viel mehr als einen vorübergehenden, kaum nachweisbaren Abfall des Hämoglobinspiegels, doch für alle Patienten mit chronischer Anämie kann dies ernste Folgen haben. Bei Kindern mit Sichelzellanämie kann die Erythropoesestörung z.B. eine aplastische Krise auslösen, bei Erwachsenen kann die Virusinfektion zu Arthralgie führen.
797
Abb. 26.44 Bläschen am Fuß bei der Hand-FußMund-Krankheit.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood) Labordiagnostisch wird das Blut auf Erythrovirus-B9- spezifische IgM-Antikörper untersucht. Bei Verdacht auf Hydrops fetalis führt man mit molekularbiologischen Tests den Nachweis von B9-DNA im Fetalblut. In Zellkulturen lässt sich Erythrovirus B9 nicht isolieren.
26.5.6 Ausschläge durch humane Herpesviren (HHV-6 und HHV-7) HHV-6 (Auslöser von Roseola infantum) ist bei über 85% der Erwachsenen im Speichel nachweisbar Als sechstes der humanen Herpesviren nach HSV-, HSV-2, VZV, CMV und EBV wurde 986 HHV-6 isoliert, dessen Verhalten und natürliche Entwicklung noch Gegenstand von Studien sind. Infektionen treten meist in der Altersgruppe der Säuglinge und Kleinkinder bis zum 3.Lebensjahr auf. Die Replikation findet in T- und B-Zellen sowie im Oropharynx statt, wo das Virus in den Speichel übergeht. Nach der Erstinfektion persistiert das Virus im Körper. HHV-6 verursacht das Exanthema subitum (oder Roseola infantum, „Dreitagefieber“), eine sehr verbreitete, akut-fiebrige Erkrankung von Säuglingen und Kleinkindern. Nach einer Inkubationszeit von ca. zwei Wochen bekommen die Kinder hohes Fieber, das mehrere Tage anhält. Die Krankheit nimmt einen milden Verlauf, und der makulopapulöse Ausschlag tritt innerhalb von zwei Tagen nach Abklingen des Fiebers auf (Abb. 26.45).
HHV-7 haben über 75% der Erwachsenen im Speichel
798
HHV-7 konnte aus CD4-positiven T-Zellen isoliert werden. Infektionen treten im Säuglings- und Kleinkindalter auf, später als HHV-6-Infektionen. Es bleibt zwar dauerhaft im Speichel, doch noch immer ist nicht klar, ob HHV-7 als Krankheitsursache wichtig ist. Einzelne Berichte brachten HHV-7 mit dem Exanthema subitum in Verbindung.
Abb. 26.45 Makulopapulöser Ausschlag bei Roseola infantum oder Exanthema subitum.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood)
HHV-8 ist mit sämtlichen Formen des Kaposi-Sarkoms assoziiert Einige epidemiologische Berichte legten die Vermutung nahe, dass an der Entwicklung des Kaposi-Sarkoms ein übertragbarer Erreger beteiligt sein müsste. Das Kaposi-Sarkom (KS) ist ein maligner Hauttumor, der in bestimmten Mittelmeerländern und Teilen Afrikas neben dem AIDS-assoziierten KS vorkommt. Nach einer Reihe molekulartechnologischer Fortschritte gelang es 1994, aus Endothelzellen der KS-Hautläsionen HHV-8 zu isolieren. Dieses Virus scheint auch noch mit zwei selteneren Malignomen verbunden zu sein. Die Diagnose wird klinisch gestellt. Seitdem hoch wirksame antiretrovirale Mittel verfügbar sind, ist die Inzidenz des AIDS-assoziierten KS zurückgegangen. In retrospektiven Studien zeigte sich, dass sich bei Behandlung mit Ganciclovir und Foscarnet auch die Zahl von KS-Läsionen verkleinerte.
26.6
Pocken 799
Pocken (oder Blattern, Variola) waren in den vergangenen dreitausend Jahren eine der schlimmsten Geißeln der Menschheit. Auslöser war eine Pockenvirusinfektion, die sich über Hautläsionen (Kontaktinfektion) und über die Atemwege unter Menschen ausbreitete. Abhängig vom jeweiligen Virusstamm gingen schwere Erkrankungen mit generalisiertem Ausschlag (Abb. 26.46) in bis zu 40% der Fälle tödlich aus.
Im Dezember 979 wurde offiziell die weltweite Ausrottung der Pocken verkündet In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts waren die Pocken in Australien und Neuseeland, Nordamerika und Europa schon weitgehend ausgerottet. Es wurden auf breiter Basis Impfprogramme mit einem ursprünglich von Edward Jenner (s. Kap. 34) entwickelten attenuierten Lebendimpfstoff aus dem Vaccinia-Virusstamm durchgeführt. Hinzu kamen strenge Kontrollen an den Grenzen. 1967 startete die WHO eine Kampagne zur weltweiten Ausrottung der Pocken, deren Schwerpunkt auf Südamerika, Afrika, Indien und Indonesien lag und die Impfungen sowie die Überwachung und Registrierung der Fälle beinhaltete. Trotz teilweise entmutigender Schwierigkeiten (kulturell bedingte Hindernisse, Kriege, Transport in entlegene Gebiete) war die Kampagne erfolgreich. In den USA traten noch bis in die 40er Jahre vereinzelte Fälle auf, und 1974 waren von den weltweit 28000 Fällen die meisten auf Asien konzentriert. Doch der letzte Fall wurde im Oktober 1977 aus Somalia gemeldet. Die Gesamtkosten für die WHO beliefen sich auf 150 Millionen US-Dollar.
Die globale Eradikation der Pocken war aus mehreren Gründen möglich ■ Da es keine subklinische Infektion gab, konnten die Kranken leicht identifiziert werden. ■ In der Genesungsphase wurde das Virus aus dem Körper beseitigt, ohne dass sich ein Trägerstatus entwickelte. ■
Das Pockenvirus ist obligat humanpathogen (ohne Tierreservoir).
■
Ein wirksamer Impfstoff stand zur Verfügung.
Abb. 26.46
Pocken.
800
Für ihre Kampagne zur Ausrottung der Pocken verwendete die WHO solche Bildkarten zur Pockenerkennung. Nach einer Infektion der oberen Atemwege befällt das Virus die Haut, repliziert sich dort und führt zu einem großflächigen, Bläschen/Pustel-ausschlag, der später vernarbt (Pocken-/Blatternnarben, besonders im Gesicht). Die Sterblichkeit betrug je nach Virusstamm und Alter des Patienten bis zu 40% (mit freundlicher Genehmigung der WHO). In Afrika bereiteten die „Affenpocken“ einige Jahre lang Sorgen; dabei erkrankten Affen an einem ähnlichen Virus, wenn sie sich bei infizierten Affen ansteckten („simian disease“ durch Kontaktinfektion). Eine Übertragung von Mensch zu Mensch fand allerdings kaum statt. 2003 hatten sich jedoch über 80 Menschen in den USA mit Affenpocken infiziert, vermutlich durch Kontakte zu Präriehunden. In einigen Ländern wurden aus Angst vor terroristischen Anschlägen mit Pockenviren planmäßige Vorkehrungen gegen die potenzielle Gefahr getroffen, die unter anderem eine Bevorratung ausreichender Impfstoffmengen enthalten.
26.7
Masern
Masern weisen einige Besonderheiten auf:
801
■ Die Infizierten fühlen sich fast alle unwohl und werden richtig krank. Das unterscheidet Masern von den meisten anderen Virusinfektionen, die zu einem nicht unbeträchtlichen Teil asymptomatisch oder subklinisch bleiben. ■ Das Krankheitsbild ist so typisch, dass die Diagnose eigentlich immer klinisch gestellt werden kann und nicht erst durch Laboruntersuchungen gesichert werden muss. Anhand der Beschreibung des arabischen Arztes Rhazes vor mehr als tausend Jahren können wir Masern noch immer erkennen. ■ Vom Masernvirus gibt es nur einen Antigentyp. ■ Nach der Infektion besteht wahrscheinlich lebenslange Immunität gegen Reinfektionen. Zweiterkrankungen sind nicht bekannt. ■ Masern sind hochinfektiös und bei entsprechendem Kontakt ziehen sich fast alle anfälligen Kinder Masern zu. Bis vor kurzem galten Masern als unvermeidlich, als eine übliche Kinderkrankheit, und mehr als 99% der Menschen haben Masern durchgemacht. ■ Es besteht ein auffallender Gegensatz zwischen Masern bei wohlgenährten Kindern mit guter medizinischer Versorgung (d.h. in den entwickelten Ländern) und Masern unter ungünstigen Bedingungen wie Mangelernährung oder Hunger und schlechter medizinischer Versorgung (in den Entwicklungsländern, Tab. 26.5).
26.7.1
Ätiologie und Übertragung
Ohne Impfschutz treten alle paar Jahre Masernepidemien auf In Grundzügen ist die Virologie des Paramyxovirus in Kap. 3 beschrieben (s. auch Anhang). Zur Übertragung kommt es durch Tröpfchen. An Oberflächen wird das Virus durch Austrocknung schnell inaktiviert, verhält sich jedoch in Suspension (Tröpfchen in der Luft) stabiler. In Bevölkerungsgruppen ohne Impfschutz können alle paar Jahre Masernepidemien auftreten, sobald die Zahl der anfälligen Kinder ausreichend hoch ist.
Typisch für Masern sind respiratorische Symptome, Koplik-Flecken und Exanthem Nach Inhalation dringt das Virus irgendwo in den oberen oder unteren Atemwegen in den Körper ein und breitet sich auf das subepitheliale und lokale Lymphgewebe aus, ohne dass Läsionen oder Symptome nachweisbar wären. In den darauf folgenden Tagen vermehrt sich das Virus langsam in den Lymphgeweben einschließlich der Milz. So gelangen größere Virusmengen ins Blut und verstreuen sich rund eine Woche nach Beginn der Infektion auf unterschiedliche Epithelstellen. Bald treten erste klinische Zeichen in den Atemwegen mit ihrem ein- oder höchstens zweilagigen Epithel auf. Noch bis zu 10 Tage nach der Infektion fühlt sich der Patient recht wohl, dann entwickelt sich eine Art Erkältung mit laufender Nase, Fieber und Husten. Als weiteres Symptom kann eine Konjunktivitis hinzukommen. Aufgrund der großen Virusmengen, die mit den Atemwegssekreten ausgeschieden werden, sind 802
die Patienten jetzt hoch kontagiös. Wenn bekannt ist, dass kurz vorher eine Exposition stattfand, kann sich allein schon aus den Prodromi die Verdachtsdiagnose ergeben. Es dauert dann noch ein oder zwei Tage, bis die Infektionsherde zu Haut- und Schleimhautläsionen führen. Auf der Innenseite der Wangen erscheinen KoplikFlecken (Abb. 26.47), und kurz danach zeigt sich der unverwechselbare makulopapulöse Ausschlag (Abb. 26.48), der vom Gesicht aus über den Körper bis zu den Extremitäten herunterreicht. Jetzt ist die Diagnose eindeutig.
Tab. 26.5 Unterschiedliche klinische Ausprägung der Masern.
803
Das Masernexanthem ist durch eine zellvermittelte Immunreaktion bedingt Trotz Antikörperbildung wird die Virusvermehrung in der Lunge und anderswo erst durch eine zellvermittelte Immunreaktion eingedämmt; die ungehemmte Virusvermehrung würde sonst zu einer Riesenzellpneumonie führen (s. Kap. 19). Die zellvermittelte Immunreaktion (CMI) ist auch für das Masernexanthem verantwortlich, das bei schweren Immundefekten nicht vorkommt. Auf der anderen Seite verläuft die Masernkrankheit bei Kindern mit Agammaglobulinämie völlig normal; sie werden immun oder können durch Impfung geschützt werden. In unkomplizierten Fällen genesen die Kinder rasch wieder.
Abb. 26.47 Koplik-Flecken.
Kleine weiße Punkte auf der entzündeten Wangenschleimhaut eines Masernpatienten (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood). Wie bei anderen akuten Infektionen können auch bei Masern vorübergehend Defekte der Immunantwort gegen nicht verwandte Antigene auftreten. So kann z.B. bei Menschen, die als Tuberkulin-positiv bekannt sind, zeitgleich mit dem Masernexanthem ein Tuberkulintest negativ ausfallen (keine Hautreaktion). Das normalisiert sich nach einem Monat wieder. Als die Masern 1953 nach langer Zeit wieder nach Südgrönland zurückkehrten (als Epidemie auf „unberührtem/jungfräulichem Boden“) und sowohl Erwachsene als auch Kinder erkrankten, war eine erhöhte Letalität bei allen festzustellen, die sich vorher mit Tuberkulose infiziert hatten.
804
Abb. 26.48 Masernexanthem.
Ein makulopapulöser Ausschlag im Gesicht und am Oberkörper (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood).
Komplikationen treten eher bei Kindern in den Entwicklungsländern auf Masernkomplikationen sind unter anderem: ■ opportunistische bakterielle Superinfektionen; sehr häufig kommt es zu Otitis media und Pneumonie infolge einer Vorschädigung des respiratorischen Epithels; ■ eine primäre Masernpneumonie (Riesenzellpneumonie) bei Patienten mit schweren CMI-Immundefekten; ■
Masernenzephalitis (in 1/1000 Fällen,
Kap. 24);
■ eine subakut sklerosierende Panenzephalitis (SSPE), die sich sehr selten 1–10 Jahre nach scheinbarer Genesung von einer akuten Infektion entwickeln kann. In Ländern mit schlechter medizinischer Versorgung und Unterernährung erkranken die Kinder oft schwerer an Masern (Tab. 26.5), vor allem in Hungerperioden. Das lässt sich zurückführen auf: ■ schwache Abwehrkraft der Schleimhäute, die durch Vitamin-A-Zufuhr gestärkt werden könnte; ■ Abwehrschwäche infolge einer proteinarmen Mangelernährung, zu der noch die vom Masernvirus induzierte Immunsuppression hinzukommt;
805
■ schlechte medizinische Versorgung, so dass kaum Antibiotika zur Behandlung von Sekundärinfektionen zur Verfügung stehen; ■
hohe bakterielle Kontamination der Umgebung;
■ möglicherweise auch Kontakt zu einer größeren Virusmenge, weil schwerkranke Masernpatienten größere Virusmengen aus dem Respirationstrakt ausscheiden.
26.7.2
Diagnose, Therapie, Prävention
Masern lassen sich gewöhnlich klinisch diagnostizieren; antivirale Mittel sind nicht verfügbar, wohl aber ein Impfstoff Eigentlich sollte die klinische Diagnose eindeutig sein. Trotzdem kann der Ausschlag ähnlich wie andere Virusexantheme aussehen, die in derselben Altersgruppe vorkommen. Hinzu kommt, dass Masern aufgrund der Schutzimpfung eine rückläufige Inzidenz zeigen und das medizinische Personal in ressourcenreichen Ländern nur noch selten Kinder mit Masern zu sehen bekommt. Daher kann ein IgM-Test von Blutoder Speichelproben zur Bestätigung der Diagnose hilfreich sein. Eine Virusisolierung aus Zellkulturen ist jedoch nur selten erforderlich.
Abb. 26.49 Rötelnpathogenese.
Röteln verlaufen im Allgemeinen als leichte, oft sogar subklinische Infektion, können aber auch zu Arthritis führen und vor allem den Fetus gefährden. Seit 1963 ist ein attenuierter Lebendimpfstoff verfügbar, der sicher und lang wirksam ist. Meist wird eine Kombinationsimpfung (mit Masern-MumpsRöteln/MMR-Impfstoff, s. Kap. 34) verabreicht. Bevor es den Impfstoff gab, starben weltweit jährlich 7–8 Millionen Kinder an Masern. Bis 1996 sank die Zahl auf 1 806
Million, und wenn dieselben Impfprogramme wie in Amerika und Europa auch in den Entwicklungsländern angewandt würden, könnten Masern nach Schätzungen der WHO bis 2010 ausgerottet sein.
26.8
Röteln
Die Folgen der multisystemischen Rötelnvirusinfektion treffen hauptsächlich Feten Es gibt nur einen Serotyp dieses einzelsträngigen RNA-Togavirus und betroffen sind in erster Linie Feten (s. Kap. 23). Röteln werden als Tröpfcheninfektion übertragen und sind nicht so ansteckend wie Masern, aber kontagiöser als Mumps. Nach stummer Invasion an einer unbekannten Stelle des Atemtrakts wächst das Rötelnvirus eine Zeit lang in lokalem Lymphgewebe heran, ehe es sich auf die Milz und Lymphknoten im ganzen Körper ausbreitet. Eine Woche nach Infektionsbeginn führt die weitere Vermehrung in diesen Geweben zur Virämie mit Absiedlung des Virus in den Respirationstrakt und die Haut, manchmal auch in Plazenta, Gelenke und Nieren. Die Rötelnpathogenese ist in Abb. 26.49 skizziert und die klinischen Auswirkungen auf unterschiedliche Körpergewebe sind in Tab. 26.6 zusammengestellt. Nach einer Inkubationszeit von 14–21 Tagen folgt eine schwach ausgeprägte Krankheit mit Fieber, Unwohlsein und unregelmäßig makulopapulösem Ausschlag über etwa drei Tage. Die Lymphknoten hinter dem Ohr sind oft vergrößert, doch ansonsten verläuft die Infektion meist subklinisch.
Tab. 26.6 Rötelnpathogenese. Klinische Auswirkungen auf unterschiedliche Körpergewebe.
807
Röteln werden serologisch diagnostiziert; es gibt keine rötelnspezifische Behandlung, aber eine Schutzimpfung Auch wenn sich Röteln manchmal klinisch diagnostizieren lassen, sollte die Diagnose durch Laboruntersuchungen gesichert werden, z.B. mit dem Nachweis rötelnspezifischer IgM-Antikörper (s. Kap. 32). Eine Virusisolierung aus Rachenabstrichen ist nur selten indiziert und erfordert spezialisierte Zelllinien; zum Wachstumsnachweis sind indirekte Methoden nötig. Die Rötelnvirus-RNA kann in Proben von verschiedenen Stellen entdeckt werden. Antivirale Mittel gegen Röteln gibt es nicht, wohl aber einen attenuierten Lebendimpfstoff, der sicher und wirksam ist; er wird meist als MMR-Vakzine in Kombination mit Masern- und Mumpsimpfstoff verabreicht (zur Prävention angeborener Röteln s. Kap. 23). Auf makulopapulöse Ausschläge bei Virusinfektionen, die von Arthropoden (z.B. Denguevirus) oder als Zoonosen (Marburg-Virus) übertragen werden, wird in Kap. 27 und 28 eingegangen. Ein makulopapulöser Ausschlag kann auch als Prodromalstadium einer Hepatitis B (s. Kap. 22) auftreten und ist in dem Fall durch Immunkomplexe vermittelt.
808
26.9
Hautläsionen bei anderen Infektionen
Ausschläge oder Hautläsionen können auch von Bakterien, Pilzen und Rickettsien verursacht sein Die meisten dieser Infektionen sind an anderer Stelle im Buch behandelt und in Tab. 26.2 aufgeführt. Bei Rickettsieninfektionen kommt es oft zu sehr auffälligen Ausschlägen, etwa beim Rocky Mountain spotted fever oder dem epidemischen Fleckfieber (s. Kap. 27). Nach ihrer Invasion in Gefäßendothelzellen treten Rickettsien ins Blut über, so dass sich blutsaugende Insekten infizieren können. Der Befall von Hautgefäßen bildet die Grundlage für Hautausschläge, ist aber nicht die direkte Quelle für die Virusausscheidung nach außen.
26.10 Kawasaki-Syndrom Als akute Vaskulitis ist das Kawasaki-Syndrom möglicherweise toxisch bedingt (durch Superantigene) Das Kawasaki-Syndrom ist eine Kinderkrankheit unbekannter Ätiologie, bei der die Patienten meist jünger als vier Jahre sind. Es kommt zu Fieber, Konjunktivitis und Ausschlag, die Lippen sind trocken und gerötet, die Handinnenflächen und Fußsohlen sind rot und zum Teil ödematös, während sich die Fingerspitzen schuppen. Häufiger treten Arthralgie und Myokarditis auf, die die Letalität auf rund 2% erhöhen können. Zugrunde liegt eine akute Vaskulitis, und unbehandelt entwickeln sich bei 20% der Patienten Aneurysmen der Koronararterien. Betroffen sind zwar häufiger Kinder asiatischer Herkunft, doch die Erkrankung ist weltweit verbreitet. Obwohl es keine Anzeichen für eine Übertragung von Mensch zu Mensch gibt, vermutet man einen infektiösen Ursprung, z.B. durch Superantigene wie die Toxine von S. aureus oder S. pyogenes (s. Kap. 16). Wird rechtzeitig mit einer hochdosierten intravenösen Immunglobulin-Behandlung begonnen, lässt sich die Aneurysmenbildung verhindern.
26.11 Virusinfektionen von Muskeln 26.11.1
Virale Myositis, Myo- und Perikarditis
Einige Viren, speziell Coxsackievirus B, verursachen Myokarditis und Myalgie Hauptursachen einer akuten Myokarditis und Perikarditis sind Coxsackieviren der Gruppe B und in geringerem Umfang der Gruppe A sowie bestimmte Enteroviren. In beiden Fällen erkranken hauptsächlich erwachsene Männer. Wichtig sind diese Infektionen vor allem, weil sie leicht mit einem Herzinfarkt verwechselt werden können; sie haben aber eine gute Prognose und heilen in der Regel vollständig aus. Es verdichten sich auch die Anzeichen, dass persistierende Virusinfektionen mit chronischer Myokarditis und chronisch dilatativer Kardiomyopathie verbunden sind. 809
Eine virale Myokarditis bei Säuglingen wird am häufigsten von Coxsackieviren der Gruppe B verursacht; sie kann plötzlich auftreten und tödlich enden. Die Infektionen werden fäkal-oral und gelegentlich durch Rachensekrete übertragen. Nach oraler Aufnahme gelangen Coxsackieviren aus dem Rachen oder Darm über Lymphgefäße ins Blut. Von kleinen Blutgefäßen aus beginnen sie die Invasion von Skelettmuskeln, Herz oder Perikard und rufen eine akute Entzündung hervor. Bei einer Myo- oder Perikarditis kommt es zu Atemnot und Schmerzen in der Brust, die manchmal an einen Herzinfarkt denken lassen. In Rachenabstrichen, Stuhlproben und gelegentlich der Perikardflüssigkeit sind Coxsackieviren zu finden. Alternativ können zum Nachweis der Virus-RNA Methoden wie die In-situ-Hybridisierung von Biopsiematerial aus dem Endomyokard angewandt werden. Seltener sind Mumps und Influenza Ursache einer Myo- oder Perikarditis. Röteln (s. Kap. 23) können bei Feten zu Myokarditis und damit assoziierten angeborenen Herzfehlern führen. Coxsackieviren der Gruppe B sind außerdem Auslöser einer Pleurodynie oder epidemischen Myalgie. Nach der dänischen Insel, auf der es 1930 zu einem massenhaften Ausbruch kam, wird dieser Zustand auch als „Bornholmsche Krankheit“ bezeichnet. Sie geht mit Schmerzen und Entzündung der Interkostal- oder Abdominalmuskeln einher. Muskelschmerzen und Druckempfindlichkeit können durch Influenzaviren (besonders Typ B bei Kindern) verursacht sein, wobei man nicht weiß, ob sie mit einer Virusinvasion des Muskelgewebes zusammenhängen. Die auch bei Dengue-Fieber, Rickettsien- und anderen Infektionen mit Fieber auftretenden Myalgien werden vermutlich durch zirkulierende Zytokine ausgelöst. Unter diesen Umständen kann es labordiagnostisch schwierig werden, eine Verbindung zwischen einer bestimmten Virusinfektion und einem spezifischen Organ herzustellen; Serologie und Virusisolierung können höchstens Indizien liefern. Hilfreicher dürfte in dem Fall ein direkter Nachweis in betroffenem Gewebe sein. Derzeit werden antivirale Mittel wie Pleconaril auf ihren therapeutischen Nutzen bei Coxsackievirusinfektionen untersucht. Einen Impfstoff gegen Coxsackievirusinfektionen gibt es nicht.
810
26.11.2
Chronic-Fatigue-Syndrom
Das postvirale (Chronic-)Fatigue-Syndrom war nur schwierig als eigenständiges Krankheitsbild zu etablieren Das postvirale oder Chronic-Fatigue-Syndrom wird manchmal unzutreffend als „myalgische Enzephalomyelitis“ bezeichnet; es gibt nämlich keine Anzeichen für eine ZNS-Beteiligung. Typische Merkmale des Chronic-Fatigue-Syndroms sind: ■ chronische und sehr ausgeprägte Muskelschwäche über mindestens sechs Monate, oft nach einer akut fieberhaften Erkrankung ■
starke Müdigkeit
■ als unregelmäßiger vorhandene Symptome Depression, Kopfschmerzen und Ängste Treten die beiden zuerst genannten Symptome bei zuvor gesunden Menschen ohne psychosomatische Vorgeschichte auf, spricht das für ein Chronic-Fatigue-Syndrom. Als Ursache werden Viren vermutet. Wiederholt standen Coxsackieviren der Gruppe B im Verdacht, nachdem Antikörpertests und der Nachweis eines virusspezifischen Proteins im Patientenserum darauf hindeuteten. Doch diese Befunde haben sich nicht ausreichend bestätigen lassen, so dass weiterhin Unklarheit herrscht. Einem kleinen Prozentsatz scheint eine chronische Epstein-Barr-Virus(EBV)Infektion zugrunde zu liegen. Einzelne Fallberichte belegten eine Verbindung zu HHV-6 und anderen Viren. Es könnte sich aber auch um eine „allergische Reaktion“ auf eine Virusinfektion handeln.
811
26.12 Parasiteninfektionen von Muskeln Nur relativ wenige Protozoen- oder Wurmparasiten dringen ins Muskelgewebe ein und verursachen ernste Erkrankungen. Wir beschreiben hier drei Beispiele für häufiger vorkommende Infektionen, um die Bandbreite der Mikroorganismen und Krankheitsbilder zu veranschaulichen.
26.12.1
Trypanosoma-cruzi-Infektion
Das Protozoon Trypanosoma cruzi ist Ursache der Chagas-Krankheit Die auch als Amerikanische Trypanosomiasis bekannte Chagas-Krankheit (s. Kap. 27) beschränkt sich auf Mittel- und Südamerika, wo schätzungsweise 10–12 Millionen Menschen erkrankt sind. Es handelt sich um eine Zoonose. Trypanosoma cruzi ist bei über 150 verschiedenen Säugetierspezies nachzuweisen und wird von Insekten (Raubwanzen) übertragen, die beim Blutsaugen infektiöse Stadien (Trypomastigoten) mit ihrem Kot auf der Haut ablagern. Werden die Ausscheidungen in Schleimhäute oder Wunden eingerieben, wandeln sich die in die Zellen eingedrungenen Parasiten in amastigote Formen um und proliferieren. Die infizierten Zellen platzen auf und setzen wieder Trypomastigoten frei. Dabei entstehen lokale Läsionen. Nach ihrer Verbreitung im ganzen Körper können die Parasiten in immer neue Zellen eindringen. Infektionsherde befinden sich vor allem im ZNS, Verdauungstrakt (Plexus myentericus), retikuloendothelialen System und im Herzmuskel.
Jahre nach einer Chagas-Krankheit kann es zu Herzversagen kommen In der akuten Phase tritt die Krankheit mit Fieber und stark entzündlichen Veränderungen in Erscheinung. Die chronische Phase zeigt sich erst Jahre später in Form einer allmählich zunehmenden Gewebezerstörung, bei der eine autoimmune Schädigung eine wichtige Rolle spielt. Durch Invasion in die Myofibrillen des Herzmuskels (Abb. 27.15) verursachen die Parasiten eine Myokarditis. Dabei können Myofibrillen und Purkinje-Fasern durch Bindegewebe ersetzt werden und infolgedessen Leitungsdefekte auftreten. Das Herz vergrößert sich, es kommt zu Arrhythmien und eventuell zu Herzversagen. In der Akutphase wird die Chagas-Krankheit mit Nifurtimox und Benzimidazol behandelt, der chronische Zustand ist jedoch irreversibel. Derzeit steht kein Impfstoff zur Verfügung. Daher ist Prävention die wichtigste Maßnahme.
26.12.2
Taenia-solium-Infektion
812
Larvenstadien von Taenia solium dringen in Körpergewebe ein Bandwürmer sind zwar Darmparasiten, doch die Larvenstadien einzelner Spezies befallen auch tiefer gelegene Gewebe. Am wichtigsten sind: ■ Echinococcus granulosus (Ursache der Hydatidose/Echinokokkose, s. Kap. 24 und 28) ■
Schweinebandwurm (Taenia solium).
Menschen können sich mit T. solium infizieren, wenn sie Schweinefleisch essen, das nicht richtig gar gekocht wurde und Larven (Zystizerkarien) enthält. Die Larven befinden sich als kleine, blasenartige Strukturen im Muskelgewebe, gelangen bei der Verdauung in den Darm und reifen dort zu adulten Bandwürmern heran, die mehrere Meter lang sein können. T. solium ist insofern ungewöhnlich, als die Eier direkt im menschlichen Darm schlüpfen können, nachdem sie mit verunreinigtem Wasser aufgenommen oder direkt von adulten Würmern freigesetzt wurden. Die geschlüpften Larven bohren sich durch die Darmwand und werden im Blut zu unterschiedlichen inneren Organen transportiert. Sie entwickeln sich unter anderem im ZNS und in Muskeln. Auf Röntgenbildern sind manchmal kalzifizierte Zysten im Muskelgewebe erkennbar (Abb. 26.50). Die Muskelinfektion ist nicht besonders schwer und bleibt sogar überwiegend asymptomatisch. Die Finnen können sich jedoch in allen Organen niederlassen, so auch im ZNS. Infektionen mit dem Schweinebandwurm sind in weiten Teilen der Welt verbreitet, vor allem in Süd- und Mittelamerika sowie in Asien. Als Vorsichtsmaßnahme sollte Schweinefleisch immer ausreichend gegart werden; Infektionen werden mit Praziquantel behandelt.
26.12.3
Trichinella-spiralis-Infektion
Trichinella-spiralis-Larven befallen gestreifte Muskulatur Dieser Rundwurm weist mehrere Besonderheiten auf: Er kann fast alle Warmblüter infizieren und vollzieht den Lebenszyklus einer kompletten Generation (von infektiösem zu infektiösem Stadium) im Körper eines einzigen Wirts. Die Übertragung erfolgt durch den Verzehr von Muskelgewebe, das genügend lebensfähige infektiöse Larven enthält. Für Menschen ist infiziertes Schweinefleisch die häufigste Infektionsquelle, aber auch andere Fleischsorten sind dafür bekannt (Bären-, Wildschwein-, Pferdefleisch). Die Infektion ist weltweit verbreitet. Aus nicht ausreichend gekochtem Fleisch kommen bei der Verdauung im Dünndarm die Larven frei und entwickeln sich rasch zu adulten Würmern. Fadenwürmer leben in der Darmschleimhaut und jedes Weibchen setzt über 1000 frische Larven direkt im Darmgewebe ab. Von dort werden sie dann mit Blut oder Lymphe im Körper verteilt, bis die Larven schließlich in quergestreiftes Muskelgewebe eindringen und zu infektiösen Stadien heranreifen; die Muskelzellen werden zu einer Art Amme für die Parasiten umfunktioniert (Abb. 28.10). 813
Abb. 26.50 Auf dem Röntgenbild sind in den Unterarmen zahlreiche verkalkte Zysten von Taenia solium erkennbar.
(Mit freundlicher Genehmigung von R. Muller & J.R. Baker) Leichte Infektionen bleiben asymptomatisch. Bei schweren Infektionen können Wanderung und Penetration der Larven mit starken und lebensbedrohlichen Entzündungsreaktionen verbunden sein. In dieser Phase kommt es zu typischen Symptomen wie Fieber, Muskelschmerzen, Schwäche und Eosinophilie. Auch wenn sich die Wurmparasiten nicht im Herzmuskel entwickeln, kann trotzdem eine Myokarditis auftreten. Die Symptome führen zur Diagnose, aber meist erst nachdem die Muskeln infiziert sind. Entsprechend schwierig ist die Behandlung. Man kann es mit Mebendazol versuchen, unter Umständen sind auch Kortikosteroide erforderlich.
26.12.4
Sarcocystis
Sarcocystis ist ein seltener Muskelparasit Es gibt Einzelfallberichte, dass im Muskelgewebe von Menschen Zystenstadien von Sarcocystis gefunden wurden, einem mit Toxoplasmen verwandten Protozoon. Die Infektion wird über verseuchtes Fleisch von Schlachttieren übertragen und kann zur Myositis führen.
26.13 Gelenk- und Knocheninfektionen Der Einfachheit halber werden Gelenke und Knochen getrennt dargestellt, auch wenn Gelenkinfektionen oft auf benachbarte Knochen übergreifen und umgekehrt (z.B. bei Tuberkulose).
814
26.13.1 Arthritis
Reaktive Arthritis, Arthralgie und septische
Arthralgien und Arthritis sind im Rahmen von Infektionen oft immunvermittelt Beispiele für derartige Infektionen sind in Tab. 26.7 aufgeführt. Auch wenn sich Gelenke hämatogen bzw. direkt nach einem Trauma oder einem chirurgischen Eingriff infizieren können, sind Gelenkinfektionen in den meisten Fällen eher auf eine Immunreaktion als auf eine Erregerinvasion zurückzuführen. Wenn sich ein Infektionsherd an einer anderen Stelle im Körper befindet, spricht man von „reaktiver“ Arthritis. Zu einer reaktiven Arthritis oder Arthralgie kommt es bei bestimmten enteralen Bakterieninfektionen, und eine Arthralgie bei Röteln oder Hepatitis B ist ähnlich zu erklären. Meist ist mehr als ein Gelenk betroffen. Eine Spondylitis ankylosans kann mit einer Klebsielleninfektion zusammenhängen und man vermutet, dass eine Kreuzreaktion aufgrund der Ähnlichkeit zwischen Klebsiellen- und HLA-B27-Antigenen zur Krankheit führt. Bisher gibt es noch keinen Beweis dafür, dass auch die rheumatoide Arthritis durch Viren oder andere Mikroorganismen verursacht sein könnte.
815
Tab. 26.7 Arthralgie und Arthritis im Rahmen von Infektionskrankheiten.
Im Blut zirkulierende Bakterien befallen manchmal Gelenke, z.B. nach einem Trauma Durch Absiedlung von Bakterien kann es zu einer suppurativen (septischen) Arthritis kommen. Im Allgemeinen ist ein einzelnes Gelenk betroffen. Besonders vorgeschädigte Gelenke (z.B. durch rheumatoide Arthritis oder mit Prothese) sind äußerst anfällig für Infektionen. Am häufigsten sind die Kniegelenke betroffen, danach folgen Hüft-, Fuß- (Abb. 21.5b) und Ellbogengelenke.
816
Als Symptome treten Fieber, Gelenkschmerzen, eingeschränkter Bewegungsumfang und Schwellung auf, oft auch ein Gelenkerguss. Aus der Synovialflüssigkeit oder Sedimenten nach dem Zentrifugieren können Bakterien isoliert werden; häufigster Erreger ist S. aureus. Manchmal ist offensichtlich, woher die Bakterien im Blut stammen (z.B. aus einer septischen Hautläsion), doch die Quelle ist nicht immer erkennbar.
26.13.2
Osteomyelitis
Knochen können von einem benachbarten Herd aus oder hämatogen infiziert werden Wie Gelenk- können auch Knocheninfektionen entweder direkt (von einem benachbarten Herd aus, nach Frakturen oder orthopädischen Operationen) oder durch Erreger im Blut hervorgerufen werden. Häufigste Ursache einer hämatogenen Osteomyelitis ist S. aureus, doch von benachbarten Herden übergreifende Infektionen sind gewöhnlich Mischinfektionen mit Gram-negativen Stäbchen, gelegentlich auch Anaerobiern. Es scheint keine Entsprechung zur reaktiven Arthritis zu geben, wo die Entzündung von einem Infektionsherd in größerer Entfernung ausgeht. Eine akute Osteomyelitis bezieht typischerweise die Enden langer Röhrenknochen mit ein, wo aussprossende Kapillaren in der Nähe der Epiphysen-Wachstumszentren die Absiedlung im Blut zirkulierender Bakterien begünstigen. Daher handelt sich meist um eine Erkrankung von Kindern und Jugendlichen nach einer stumpfen Knochenverletzung. Bei Osteomyelitis entwickeln sich schmerzhafte oder druckempfindliche Knochenläsionen und eine fiebrige Allgemeinerkrankung.
Eine Osteomyelitis wird medikamentös und manchmal auch chirurgisch behandelt Vor Beginn der Antibiotikatherapie werden Blutkulturen angelegt, um den Erreger zu diagnostizieren, oder, im Fall einer offenen Verletzung, eine Knochenbiopsie durchgeführt. Manchmal sind Periostreaktion und Knochenverlust radiologisch sichtbar (Abb. 26.51). Sobald Proben zur mikrobiologischen Untersuchung gewonnen wurden, wird eine Behandlung auf empirischer Grundlage begonnen. Eine Osteomyelitis kann chronisch werden, wenn sich z.B. nekrotische Knochenfragmente als ständige Infektionsquelle auswirken. Daher können chirurgische Eingriffe zur Wundreinigung (Débridement und Drainage) sowie eine längere Antibiotikatherapie erforderlich sein. Eine Tuberkulose kann sich auch auf Wirbelsäule, Hüfte, Knie, Hand- und Fußknochen erstrecken; in höher entwickelten Ländern sind vor allem Zuwanderer vom indischen Subkontinent betroffen. Ohne weitere Störung des Allgemeinbefindens sind die befallenen Stellen oft schmerzhaft, und ein tuberkulöser Abszess kann durch Druck auf das Rückenmark eine Paraplegie verursachen.
817
Abb. 26.51 Akute Staphylokokkeninfektion (Osteomyelitis) des Femurs bei einer 24-jährigen Frau.
Vor dem hellen/durchscheinenden Hintergrund ist eine umschriebene Periostreaktion in der Mitte des Femurschafts erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von A.M. Davies).
818
26.14 Infektionen des blutbildenden Systems Viele Infektionserreger können sich auf zirkulierende Blutzellen auswirken Beispiele sind: ■
Bordetella pertussis als Ursache einer Lymphozytose,
■ EBV- und Zytomegalievirus(CMV)-Infektionen als Ursache einer Mononukleose, ■
Plasmodien als Ursache von Anämie und Thrombozytopenie.
Eine kleinere Zahl von Erregern zielt direkt auf Knochenmarkzellen ab (humane Parvobzw. Erythroviren) oder führt zur malignen Transformation von Lymphozyten (z.B. HTLV-1, human T-cell lymphotropic virus). Die unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten sind in Tab. 26.8 aufgelistet. HTLV-1 und HTLV-2 sind schon in Kap. 21 und 24 erwähnt, sollen aber hier näher beschrieben werden.
26.14.1
HTLV-1-Infektion
HTLV-1 wird hauptsächlich mit Muttermilch übertragen HTLV-1 wurde 1980 zum ersten Mal bei einem Patienten mit der erwachsenen Form der T-Zell-Leukämie (ATLL) isoliert. Die Infektion ist weit verbreitet; besonders auf einigen Westindischen Inseln und in Japan sind 5–15% der Bevölkerung infiziert, aber auch in Südamerika und Teilen von Afrika tritt sie auf. Die Übertragung erfolgt primär mit der Muttermilch, seltener auf sexuellem Weg oder mit Blut (kontaminiertes Besteck von i.v. Drogenkonsumenten).
HTLV-1 befällt T-Zellen; bis zu 5% der Infizierten erkranken an einer T-Zell-Leukämie Nach der Infektion von T-Zellen persistiert HTLV-1 und beeinflusst über das tax-GenProdukt die Zellreplikation. Das Transkription-aktivierende Protein stimuliert die Transkription von Wirtsgenen, die die Produktion von Interleukin-2 (IL-2), IL-2Rezeptor und anderen Molekülen kontrollieren. Die infizierten T-Zellen beginnen zu proliferieren, und wenn außerdem noch bestimmte Chromosomenanomalien vorliegen, entarten sie (maligne Transformation). Klinische Zeichen sind eine leicht fieberhafte Erkrankung mit Lymphadenopathie. Oft zeigt sich bei den Patienten eine Knötchen- oder Plaquebildung in der Haut; ein Pleuraerguss oder eine aseptische Meningitis können ebenfalls auftreten. Hinzu kommt eine erhöhte Anfälligkeit für opportunistische Infektionen mit Pneumocystis jiroveci und Strongyloides stercoralis. Damit verbunden ist eine schwächere
819
Überempfindlichkeitsreaktion (vom verzögerten Typ) im Tuberkulintest. Beschrieben ist auch eine Polymyositis. Bis zu 5% der Infizierten erkranken schließlich an einer T-Zell-Leukämie mit hoher Sterblichkeit, die rasch zum Tod führt. In einem ähnlich hohen Prozentsatz führt die Krankheitsprogression zu einer „tropischen“ spastischen Paraparese (TSP) bzw. HTLV-assoziierten Myelopathie (HAM), bei der es zu einer primären Demyelinisierung kommt (s. Kap. 24). Nervenzellen scheinen nicht infiziert zu werden, und neurologische Erkrankungen durch das Virus sind nicht bekannt. Der Nachweis HTLV-1- und HTLV-2-spezifischer Antikörper beruht auf einer serologischen Typdifferenzierung mithilfe der Immunoblot-Technik. Antiretrovirale Mittel (nicht Proteaseinhibitoren), die nachweislich die Virusreplikation hemmen, werden auf ihre Eignung zur Behandlung von Patienten mit ATLL oder TSP untersucht. Andere Behandlungsformen hatten nur begrenzten Erfolg. Da HTLVAntikörper-positive Menschen vermutlich infektiös sind, sollten sie weder als Blutnoch als Organspender zugelassen werden. In vielen Ländern wird inzwischen ein HTLV-Antikörper-Screening bei Blutspendern durchgeführt.
26.14.2
HTLV-2-Infektion
HTLV-2 konnte 1982 zum ersten Mal bei einem Patienten mit (T-Zell-)HaarzellLeukämie isoliert werden, obwohl es nicht die eigentliche Ursache dieser Erkrankung ist. Es ist eng mit HTLV-1 verwandt und wird auf ähnlichem Weg übertragen. HTLV-2Infektionen betreffen offenbar vor allem i.v. Drogenabhängige und Indianerstämme in Nord-, Mittel- und Südamerika. Neben einer Reihe neurologischer Störungen wurde über einzelne Fälle von Myelopathie berichtet.
820
Tab. 26.8 Blutzellen oder Hämopoese beeinflussende Erreger * auch kutane Form möglich (Verruga peruana); 1885 wies Daniel Carrion, ein peruanischer Medizinstudent, den gemeinsamen bakteriellen Ursprung nach, als er nach einem Selbstversuch (Inokulation von infiziertem Blut aus Hautläsion der kutanen Form) Oroya-Fieber bekam ** viele andere Viren, die Immunzellen infizieren (z. B. CMV, Masernvirus), unterdrücken die Immunreaktionen weniger drastisch
Zusammenfassung ■ Intakte Haut bildet eine Barriere von unschätzbarem Wert zum Schutz des Körpers gegen eine Invasion von außen. ■ Hautinfektionen und -krankheiten sind mit einem breiten Erregerspektrum verbunden. ■ Bakterien, Pilze und Viren verschaffen sich meist über Verletzungen/traumatisch bedingte Risse im Schutzmantel der Haut Zutritt zum Körper. ■ Einige Parasiten können die Haut aktiv penetrieren (Leptospirose, Schistosomiasis). ■
Andere Erreger werden von Vektoren (Arthropoden) in die Haut eingebracht.
821
■ Erreger können lokale Hautinfektionen verursachen oder von der Haut aus zu weiter entfernten Stellen streuen. ■ Pathogene, die auf anderem Weg in den Körper gelangt sind, können sich nach einer disseminierten (systemischen) Infektion direkt in der Haut niederschlagen oder toxische bzw. immunpathologische Hauterscheinungen auslösen. ■ Oberflächliche Hautinfektionen (Furunkel, Impetigo, Warzen, Akne, Tinea) gehören bei Menschen zu den häufigsten Infektionen. ■ Eine Erregerinvasion in tieferen Haut- und Unterhautschichten kann zu schweren, rasch tödlich verlaufenden Infektionen (z.B. Gangrän) oder zu einer fortschreitenden Entstellung und Zerstörung führen (wie bei Lepra). ■ Muskelinfektionen werden gewöhnlich durch Invasion von außen verursacht, während Gelenkinfektionen häufiger auf dem Blutweg entstehen. ■ Knocheninfektionen können sich von einem lokalen Herd (infiziertes Gelenk) aus oder durch hämatogene Aussaat entwickeln. ■ Viren, die in Knochenmarkzellen oder Leukozyten eindringen, können die Hämopoese stören (z.B. Parvoviren), eine maligne Transformation bewirken (HTLVund -2) oder das Immunsystem schwächen (EBV, HIV).
FRAGEN Eine 19-jährige Philosophiestudentin konsultiert den Collegearzt, weil sie sich seit drei Wochen (seit Beginn des dritten Trimesters) ständig müde fühlt. Sie hatte Fieber und Schweißausbrüche, Halsschmerzen und leichte Bauchbeschwerden. Untersuchungsbefunde: Temperatur von 38,5°C, zervikale Lymphadenopathie, einige Petechien am Gaumen, Pharyngitis und druckempfindliche, weiche, vergrößerte Milz. Laborwerte: Hämoglobin 14 g/dl, Leukozyten 4 × 109/l mit atypischen Lymphozyten, Alanintransaminase 300 IU/l, Aspartattransaminase 350 IU/l. 1 Welche Differenzialdiagnosen kommen in Betracht? 2 Wie würden Sie eine EBV-Infektion der Frau abklären? 3 Monospottest- (Paul-Bunnell-Test-)Ergebnisse: Agglutination ohne Serumadsorption nach Zusatz von Indikator-Pferdeerythrozyten; Agglutination mit Meerschweinchen(antigen)zellen nach Zusatz von Pferdeerythrozyten; keine Agglutination mit Ochsenstromazellen nach Zusatz von Pferdeerythrozyten; VCA-IgM positiv, VCAIgG positiv. Wie würden Sie diese Ergebnisse interpretieren? 4 Welche Komplikationen treten bei einer EBV-Infektion häufiger auf? 5 Was würden Sie der Patientin empfehlen?
822
Ein vierjähriger Junge wird mit Armschmerzen in die Klinik eingeliefert. Er war vor fünf Tagen vom Klettergerüst gefallen und hatte sich den rechten Unterarm aufgeschürft. In den letzten 24 Stunden hat sich sein Zustand verschlechtert (Fieber, Erbrechen und Bauchschmerzen). Bei der Untersuchung wirkt er sehr krank, ausgetrocknet und fiebrig. Sein rechter Unterarm ist an der Verletzungsstelle äußerst berührungsempfindlich. Das Abdomen ist gespannt, aber nicht bretthart und zeigt auch keine Abwehrspannung. Der Thorax ist ohne Befund. 1 Welche Diagnose ist am wahrscheinlichsten? 2 Welche Untersuchungen würden Sie durchführen? 3 Laborwerte: Hämoglobin 15 g/dl, Leukozytenzahl 24 × 109/l mit 90% Neutrophilen; Methicillin-empfindlicher Staphylococcus aureus aus Blutkulturen anzüchtbar. Röntgen: Weichteilschwellung über der verletzten Stelle am rechten Unterarm. Wie würden Sie den Jungen behandeln? Bei einem zweijährigen Mädchen entwickelt sich ein feiner erythematöser Ausschlag mit plötzlichem hohem Fieber. Es ist regelmäßig geimpft worden. Der Kinderarzt macht einen Hausbesuch. Bei der Untersuchung fühlt sich die Kleine sichtlich unwohl. Außer Fieber und Ausschlag sind keine auffälligen Befunde zu erheben. 1 Welche Differenzialdiagnose kommt in Betracht? 2 Die Diagnose bleibt eine rein klinische Diagnose, doch im Krankenhaus könnte das Mädchen noch weiter untersucht werden. Welche Untersuchungen würden Sie in dem Fall durchführen
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Doerr, H.W., Gerlich, W.H (Hrsg.): Medizinische Virologie: Grundlagen, Diagnostik und Therapie virologischer Krankheitsbilder. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York 2002. Harahap, M.: Diagnosis and Treatment of Skin Infections. Blackwell, Oxford 1997. Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.): Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München, Jena 2001. Lesher, J.L.: An Atlas of Microbiology of the Skin. CRC Press, Boca Raton 2000. Mandal, S., Berendt, A.R., Peacock, S.J.: Staphylococcus aureus bone and joint infection. J Infect 44 (2002) 143–151. Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New York 1995. Noble, W.C.: Skin bacteriology and the role of Staphylococcus aureus in infection. Br J Dermatol 39 (Suppl 53) (1998) 9–12.
823
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824
27 Von Vektoren übertragene Infektionen 27.1
Arbovirusinfektionen 410
27.1.1
Gelbfieber 410
27.1.2
Denguefieber 410
27.1.3
Arbovirus-Enzephalitis 411
27.1.4
Arboviren und hämorrhagisches Fieber 411
27.2
Rickettsiosen 412
27.2.1
Rocky Mountain spotted fever 413
27.2.2
Mittelmeer-Fleckfieber (Boutonneuse-Fieber) 414
27.2.3
Rickettsien-Pocken 414
27.2.4
Epidemisches Fleckfieber 414
27.2.5
Endemisches Fleckfieber 414
27.2.6
Tsutsugamushi-Fieber 414
27.3
Borrelieninfektionen (Borreliosen) 415
27.3.1
Rückfallfieber 415
27.3.2
Lyme-Krankheit 417
27.4
Protozoeninfektionen 418
27.4.1
Malaria 418
27.4.2
Trypanosomiasis 421
27.4.3
Leishmaniose 423
27.5
Helmintheninfektionen 424
27.5.1
Schistosomiasis 424
27.5.2
Filariose 425
825
Zur Orientierung Blutsaugende Insekten (Arthropoden) übertragen eine Reihe wichtiger Erkrankungen des Menschen, von Virus- bis hin zu Wurminfektionen. Während sie sich vom Blut ernähren, injizieren Vektoren gleichzeitig Erreger in den menschlichen Körper. Krankheiten übertragen hauptsächlich zwei Klassen von Arthropoden: sechsbeinige Insekten und achtbeinige Zecken oder Milben. Solche Infektionen kommen weltweit vor, aber schwerpunktmäßig in wärmeren Ländern. Eine wichtige Tropenerkrankung durch Vektoren ist auch die Schistosomiasis, sie wird von Wasserschnecken übertragen.
Vektoren als effektive Verbreitungsform von Infektionen In spärlich besiedelten Regionen stellt die Übertragung durch Insekten eine sehr effektive Verbreitungsform dar Die Übertragung durch Insekten hat für Wirt, Vektor und Parasit wichtige Auswirkungen. Parasiten müssen zunächst einmal zur richtigen Zeit (manche Insekten saugen nur nachts Blut) am richtigen Ort sein. Blut kann sich als sehr unwirtliche Umgebung erweisen und Parasiten zu subtilen Ausweichmanövern zwingen, um trotzdem zu überleben. Zudem können die in Insekten/Vektoren vorgefundenen Bedingungen äußerst schwierig für Erreger sein, die sich an den Menschen/Wirt angepasst haben. Unter Umständen müssen Parasiten innerhalb kürzester Zeit eine komplexe Entwicklung durchlaufen. Bei größeren Protozoen- und Wurmparasiten kann die Umwandlung zu deutlichen Veränderungen ihres Aussehens führen, was zum Teil auch die komplizierte Terminologie für ihre Lebensstadien erklärt. Da manche Insekten kaum länger als „ihre“ Parasiten leben, droht ein beträchtlicher Verlust an infektiösem Potenzial. Beim Tod ihrer Vektoren erreichen diese Parasiten nicht mehr ein für Menschen infektiöses Entwicklungsstadium. Angesichts der kurzen Lebensspanne von Anopheles-Mücken können wenige Tage einen enormen Unterschied für die Übertragung der Malaria bedeuten; und dieser einfache Faktor scheint tatsächlich einen wichtigen Einfluss auf das unterschiedliche Ausbreitungsmuster der Malaria in Afrika (endemisch) und Indien (sporadisch) zu haben. Allerdings werden Verluste durch das Absterben von Vektoren durch die Streuung von Parasiten über große Entfernungen mehr als wettgemacht.
826
Vektoren als Ansatzpunkt zur Infektionsbekämpfung Die Übertragung durch Vektoren bietet auch die Möglichkeit, durch deren Kontrolle Krankheiten einzudämmen Das ist leichter gesagt als getan, wie der fehlgeschlagene Versuch zeigte, Malaria durch Besprühen der Mückenbrutstätten mit DDT (Dichlorodiphenyltrichlorethan) auszurotten. Während die Mücken Resistenz entwickelten, war DDT letztlich schädlicher für die Umwelt als für die Insekten. Die Bekämpfung der Vektoren bleibt ein erstrebenswertes Ziel bei allen hier besprochenen Krankheiten und ist z.B. einer der Hauptgründe, weshalb Malaria in vielen europäischen Ländern nicht endemisch ist. Für den Wirt hat diese Art der Übertragung manchmal den Vorteil, dass gegen bestimmte Parasitenstadien eine gezielte Impfung möglich ist. Auch hier kann Malaria wieder als Beispiel dienen, denn in Tierversuchen erwiesen sich Impfstoffe gegen Sporozoiten, Gametozyten und Gameten als wirksam und verhinderten die Übertragung. Gelingt es, die Übertragung zu unterbrechen, besteht eine mathematisch errechenbare Wahrscheinlichkeit, dass die Krankheit aussterben wird.
27.1
Arbovirusinfektionen
Arboviren werden von Arthropoden übertragen Die ca. 500 von Arthropoden (wie Zecken, Mücken und Sandfliegen) übertragbaren Viren werden als Arboviren (arthropode-borne) bezeichnet. Nach ihrer Vermehrung in Vektoren durchlaufen Arboviren ihren natürlichen Entwicklungszyklus sowohl in Wirbeltieren (Vögel oder Säugetiere) als auch in Insekten. Beim Blutsaugen nehmen Arthropoden die Arboviren von infizierten Wirbeltieren auf. Aus dem Darm der Arthropoden wandern die Viren dann zu den Speicheldrüsen, wo sie sich replizieren. Ein, zwei Wochen später sind die Arthropoden infektiös geworden und können jetzt beim Blutsaugen Arboviren auf andere Wirbeltiere übertragen. Bestimmte Arboviren, die Zecken infizieren, können direkt von adulten Zecken auf Eier (vertikale Übertragung) übergehen, so dass die neuen Generationen von Zecken ohne den Umweg über Vertebraten-Zwischenwirte infiziert werden können.
Nur eine geringe Zahl von Arboviren führt zu Erkrankungen des Menschen Arboviren replizieren sich bevorzugt im Gefäßendothel, ZNS, Haut- und Muskelgewebe und verursachen daher multisystemische Infektionen. Benannt werden sie im Allgemeinen nach dem Krankheitsbild, das sie hervorrufen (z.B. Gelbfiebervirus), oder nach der Gegend, in der sie zum ersten Mal entdeckt wurden (z.B. Rifttalfieber, Japanische Enzephalitis). Manche Arboviren (wie das Ross-River-Virus in Australien und im Pazifikraum) führen zu Arthritis.
827
Das Entwicklungsstadium im Menschen kann für manche Arboviren (z.B. urbane Form des Gelbfiebers, Dengue-Fieber) lebenswichtig sein, weil sie keine anderen Vertebraten-Wirte haben, oder eine Art Zufall bzw. Sackgasse sein, wenn sie in ihrem natürlichen Zyklus nicht unbedingt Menschen als Zwischenwirte benötigen (z.B. Pferdeenzephalitis).
27.1.1
Gelbfieber
Gelbfieber wird von Mücken übertragen und beschränkt sich geografisch auf Afrika, Mittel- und Südamerika und die Karibik Das Gelbfiebervirus gehört zu den Flaviviren, und es gibt nur einen Antigentyp. Nach Amerika kam es mit den ersten Sklavenhändlern; der erste Fall trat 1640 in Yucatan (Mexiko) auf. Das Gelbfiebervirus kann auf zwei unterschiedlichen Wegen übertragen werden: ■ von Mensch zu Mensch durch Aedes-aegypti- Mücken; auf diese Weise wird das „urbane“ Gelbfieber aufrechterhalten; ■ von infizierten Affen auf Menschen durch Haemagogus-Mücken; dieses „Dschungel“-Gelbfieber tritt in Afrika und Südamerika auf. Gelbfieber wird nicht direkt von Mensch zu Mensch übertragen.
Gelbfieber kann mit leichten Symptomen verlaufen, doch bei einer Leberschädigung zum Tod führen Nach einem Mückenstich verbreitet sich das Virus von der Dermis oder Blutgefäßen aus im ganzen Körper und infiziert Gefäßendothel und Leber. Nach einer Inkubationszeit von 3–6 Tagen treten dann plötzlich Fieber, Kopf- und Muskelschmerzen auf. Auch wenn leichte Verläufe möglich sind, führt Gelbfieber nicht selten zu Erschöpfungs- und Schockzuständen. Eine schwere Leberschädigung kann tödlich ausgehen. Infolge von Gerinnungsstörungen (meist Prothrombinmangel) kann es zu gastrointestinalen oder sonstigen inneren Blutungen (Hämatemesis) kommen. Bei einem Nierenschaden können sich Proteinurie und seltener eine Tubulusnekrose entwickeln. Die fallbezogene Letalität liegt bei 5–50%.
Die Diagnose wird meist klinisch gestellt; es gibt keine spezifische Behandlung, wohl aber einen Impfstoff Im Akutstadium kann das Virus aus Blutproben isoliert werden, und post mortem lässt sich Gelbfieber anhand von Leberzellnekrosen und azidophilen Einschlusskörperchen diagnostizieren. Nach rund einer Woche sind virusspezifische IgM-Antikörper nachweisbar. Die beste Prävention für alle Expositionsgefährdeten besteht in der Impfung mit attenuiertem „17D“-Gelbfieber-Lebendimpfstoff. Der Impfschutz hält mindestens 828
10 Jahre an, und zur Ein- oder Durchreise durch endemische Gebiete ist eine Impfung erforderlich. Eine gesetzliche Impfpflicht besteht auch für Reisende, die aus Endemiegebieten in Länder wollen, in denen es noch keine Krankheitsfälle, aber die „richtigen“ Mücken gibt (z.B. aus tropischen afrikanischen Ländern nach Indien). Wie bei allen Infektionen, die Arthropoden übertragen, sind Bekämpfung der Vektoren (Insektizide, Suche nach Brutstätten) und Schutzmaßnahmen (Repellenzien, Moskitonetze) zur Verringerung der Expositionsgefahr wichtig.
27.1.2
Denguefieber
Mücken übertragen das Dengue-Virus und Infektionen kommen in Südostasien, im Pazifikraum, in Indien und der Karibik vor Das Dengue-Virus ist ein Flavivirus mit vier Antigentypen und wird hauptsächlich von Aedes aegypti-Mücken auf Menschen übertragen. Auch bei Affen ist ein DengueVirus im Umlauf, das − von Mücken auf Menschen übertragen − analog zum „Dschungel-Gelbfieber“ ein „Dschungel“-Denguefieber hervorrufen kann.
Als Komplikation kann ein hämorrhagisches Denguefieber-Schocksyndrom auftreten Die Replikation des Dengue-Virus findet in Monozyten und vermutlich auch im Gefäßendothel statt. Nach einer Inkubationszeit von 4–8 Tagen entwickeln sich allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber, Kopfschmerzen, Arthralgie, Übelkeit und Erbrechen, manchmal kommt noch ein makulopapulöser Ausschlag hinzu. In der Erholungsphase stellen sich häufiger Erschöpfung und Schwäche ein. Eine besonders schwere Form ist das Dengue-Schocksyndrom mit hämorrhagischem Fieber und einer Sterblichkeit bis zu 10%. Betroffen sind vor allem Kinder in Endemiegebieten. In Abb. 27.1 ist die Pathogenese dargestellt. Nach Erstinfektion mit dem Dengue-Virus bilden sich serotypspezifische Antikörper, die sich bei späteren Infektionen mit einem anderen Serotyp an das Dengue-Virus binden, es aber erwartungsgemäß nicht neutralisieren können. Stattdessen verbessern sie dessen Fähigkeit zur Infektion von Monozyten. Denn das Dengue-Virus kann sich mit dem Fc-Abschnitt des gebundenen Immunglobulinmoleküls an Fc-Rezeptoren auf Monozyten heften und auf diesem Weg in sie eindringen, was seine Infektiosität deutlich steigert. Aufgrund der größeren Zahl infizierter Monozyten werden vermehrt Zytokine in den Blutkreislauf freigesetzt (s. Kap. 17), die zu Gefäßschäden, Schock und Blutungen, besonders im Gastrointestinaltrakt und in der Haut, führen. Obwohl sich bei vielen Virusinfektionen ähnliche „Verstärker“-Antikörper bilden, sind sie bisher nur für ihre pathogene Rolle beim hämorrhagischen Dengue-Fieber bekannt.
Gegen Denguefieber gibt es weder antivirale Mittel noch eine Impfung 829
Dass ein Impfstoff den gefährlichen Typ von Antikörpern induzieren könnte, stellt eine reale Gefahr dar.
27.1.3
Arbovirus-Enzephalitis
Arboviren verursachen nur gelegentlich eine Enzephalitis Sechs der zehn in Tab. 27.1 aufgelisteten Arboviren haben in den USA zu Enzephalitiden geführt, und auch wenn die meisten Infektionen subklinisch oder mild verlaufen, kann eine Enzephalitis tödlich ausgehen. Diese Viren replizieren sich zwar im ZNS, doch einen wesentlicheren Anteil an der Erkrankung haben zellvermittelte Immunreaktionen auf die Infektion. Bei Laborangestellten wurden Impfstoffe gegen Arboviren erprobt, die bei Pferden zur Erkrankung führen, d.h. gegen West- und Ostamerikanische (WEE bzw. EEE = Western bzw. Eastern equine encephalitis) sowie gegen Venezolanische Pferdeenzephalitis (VEE); in Japan und Indien ist ein Impfstoff gegen die Japanische Enzephalitis verfügbar. Die Labordiagnose wird in spezialisierten Zentren durchgeführt − durch Virusisolierung (eher selten) oder Nachweis eines Titeranstiegs virusspezifischer Antikörper (üblicher Weg). Nach 1999 brachen in den USA mehrfach Infektionen mit dem West-Nil-Virus aus. Davor hatte es noch keine Fallberichte aus westlichen Ländern gegeben. Das Virus wird (von infizierten Vögeln) durch Culex-Mücken übertragen und kann schwere Erkrankungen verursachen. Bis Dezember 2002 meldeten die Centers for Disease Control in den USA landesweit 3775 Erkrankungs- und 216 Todesfälle. Die Infektion wird klinisch und serologisch diagnostiziert (Fieber >38°C, neurologische Symptome, erhöhte Zellzahl und Eiweiß im Liquor, evtl. Muskelschwäche).
Abb. 27.1 Pathogenese des hämorrhagischen Dengue-Fieber-Schocksyndroms.
830
Von den vier Serotypen des Dengue-Virus sind hier Typ 1 und 2 als Beispiele angeführt. Gegen Typ 1 gerichtete Antikörper verhindern trotz Bindung an das Dengue-Virus keine Infektion mit Typ 2.
27.1.4
Arboviren und hämorrhagisches Fieber
Arboviren sind in Endemiegebieten weltweit eine Hauptursache von Fieber
831
Arbovirusinfektionen verlaufen meist subklinisch oder in milder Form, können gelegentlich aber auch als schwere hämorrhagische Erkrankung in Erscheinung treten. In Tab. 27.2 sind einige bekanntere Infektionen aufgeführt. Die Labordiagnose (in Speziallabors) ergibt sich durch Virusisolierung oder Virusgenomnachweis bzw. einen Antikörperanstieg.
Tab. 27.1 Enzephalitis durch Arboviren.
27.2
Rickettsiosen
Rickettsien sind eine Gruppe Gram-negativer, aerober Stäbchen (s. Kap. 2 und Anhang) der Gattungen Rickettsia, Coxiella, Ehrlichia und Orientia. Da traditionell auch Bartonella spp. den Rickettsien zugeordnet wurden, sind sie hier berücksichtigt, obwohl sich inzwischen durch Genomanalysen Unterschiede zu den Rickettsien ergeben haben. Bis auf Bartonella spp. handelt es sich um obligat intrazelluläre Parasiten. Sie haben alle ein Reservoir in Arthropoden oder anderen Tieren (Abb. 27.2) und werden von Arthropoden auf Menschen übertragen. Nur Coxiella-Infektionen kommen anscheinend durch Einatmen der Erreger aus Umgebungsquellen zustande. Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch findet nicht statt.
Rickettsien sind kleine Bakterien und verursachen meist persistierende oder latente Infektionen 1906 entdeckte Howard T. Ricketts das Rocky Mountain spotted fever und konnte nachweisen, dass sich die Infektion „transovariell“ (über Zeckeneier) unter Zecken 832
weiterverbreitet. Wahrscheinlich waren Rickettsien ursprünglich nur Parasiten blutsaugender oder anderer Arthropoden, die sich durch vertikale Übertragung erhielten und keine Zwischenwirte für ihr Überleben benötigten. Sie könnten dann eher zufällig von Arthropoden auf Vertebraten übertragen worden sein. Auf Arthropoden scheint sich die Infektion nicht nachteilig auszuwirken. Rickettsia prowazeki dürfte ein relativ neuer Parasit von Kleiderläusen sein, denn befallene Läuse sterben 1–3 Wochen nach der Infektion ab. Wie bei vielen anderen von Arthropoden übertragenen Infektionen findet keine direkte Ansteckung unter Menschen statt.
Typische Symptome sind Fieber, Kopfschmerzen und Ausschlag Rickettsien vermehren sich im Gefäßendothel und rufen Gefäßkrankheiten (Vaskulitis) in der Haut, im ZNS und in der Leber hervor; es handelt sich also um multisystemische Infektionen (Tab. 27.3), die trotz vorhandener Immunreaktionen längere Zeit im Körper persistieren oder latent werden können. Außer beim Q-Fieber (durch Coxiella burneti) sind Fieber, Kopfschmerzen und Ausschlag die typischen Symptome. Diagnostisch richtungsweisend können anamnestische Hinweise auf Kontakte zu Vektoren oder Tierreservoiren der Rickettsien sein (Camping, Arbeit oder Militäreinsätze in Endemiegebieten).
Tab. 27.2 Fieber- und hämorrhagische Syndrome durch Arboviren.
833
Die Labordiagnose stützt sich auf serologische Untersuchungen Spezifische Rickettsien-Tests beruhen auf der Komplementbindungsreaktion (KBR). Am häufigsten wird jedoch ein indirekter Immunfluoreszenztest auf Antikörper durchgeführt. Als positives Testergebnis gilt ein vierfach erhöhter Antikörpertiter. Dass sich bei den Infizierten auch Antikörper gegen Rickettsien bilden, die mit dem O-Antigen (Polysaccharid) verschiedener Proteus -Stämme kreuzreagieren, lässt sich durch den Weil-Felix-(Agglutinations-)Test nachweisen. Das Agglutinationsmuster mit drei Proteus-Stämmen kann auch zur RickettsienBestimmung herangezogen werden. Es ist zwar ein interessantes Phänomen, doch der Test hat keinen allzu großen Aussagewert, weil er zu falsch-positiven und falschnegativen Ergebnissen führen kann. Eine frühere Diagnose ermöglicht oft die Fluoreszenzmarkierung von Antikörpern in Hautbiopsien. Wie schwierig und gefährlich die Isolierung von Rickettsien sein kann, zeigen bereits aufgetretene Laborinfektionen.
834
Rickettsien sind Tetrazyklin-empfindlich Als Alternative bietet sich Chloramphenicol an. Zur Prävention sollten Kontakte mit Vektoren (z.B. Zecken) weitgehend eingeschränkt oder vermieden werden. Für Soldaten ist ein Totimpfstoff mit R. prowazeki verfügbar und für alle Hochrisikogruppen (Tierärzte, Soldaten usw.), die nicht antigensensibilisiert sind, gibt es einen Totimpfstoff mit C. burneti.
27.2.1
Rocky Mountain spotted fever
Bei dem von Hundezecken übertragenen Fleckfieber beträgt die Letalität bis zu 10% Auslöser des Rocky Mountain spotted fevers sind Rickettsien, die von Hunde(Dermacentor variabilis) oder Waldzecken(Dermacentor andersoni) übertragen werden und sich vertikal von erwachsenen Zecken auf ihre Eier fortpflanzen. Menschen infizieren sich vor allem in der warmen Jahreszeit, wenn die Zecken aktiv werden. Am häufigsten sind Kinder betroffen, bei denen die Krankheit aber milder verläuft. Rickettsien vermehren sich an der Zeckenbissstelle, breiten sich dann von der Haut ins Blut aus und infizieren das Gefäßendothel von Lunge, Milz, Gehirn und Haut. Nach ca. 1-wöchiger Inkubationszeit entwickeln sich Fieber, starke Kopf- und Muskelschmerzen sowie oft auch Atemwegssymptome. Einige Tage später erscheint ein generalisierter makulopapulöser Ausschlag mit Petechien oder Purpura (Abb. 27.3). Neben einer Splenomegalie kommt es häufiger zu einer Nervenbeteiligung, später treten Gerinnungsstörungen auf (disseminierte intravasale Koagulation, DIC), die zum Schock und zum Tod führen können. Tödlich enden meist zu spät diagnostizierte Fälle. Am höchsten ist die Sterblichkeit der 40- bis 60-Jährigen.
835
Abb. 27.2 Typischer Ablauf von RickettsienInfektionen.
Eine direkte Ansteckung kommt bei Menschen nicht vor. Atypisch ist nur das QFieber (Näheres im Text). Ungewöhnlich am Fleckfieber (Typhus exanthematicus) ist, dass infizierte Arthropoden absterben, nachdem sie es von Mensch zu Mensch übertragen haben, und dass sich keine Wunden bilden. ZNS = zentrales Nervensystem
836
27.2.2
Mittelmeer-Fleckfieber (Boutonneuse-Fieber)
Das von Hundezecken übertragene Fleckfieber weist eine Letalität bis zu 10% auf Auslöser dieser Rickettsiose ist Rickettsia conori, und der Überträger sind Hundezecken (Rhipicephalus sanguineus). Menschen infizieren sich vorwiegend im Oktober. Die in allen Mittelmeerländern bekannte Krankheit kann in städtischen und ländlichen Gebieten auftreten. Nach rund 1-wöchiger Inkubationszeit entwickeln sich bei 50% der Infizierten Fieber, Myalgie und Kopfschmerzen, 2–4 Tage später kommt noch Ausschlag hinzu, besonders an den Handinnenflächen und Fußsohlen. Oft bleibt der Zeckenbiss völlig unbemerkt, weil er von unreifen Zecken ausgeht und schmerzlos ist; nur unregelmäßig ist eine lokale Läsion zu sehen. Bei Krankenhauspatienten ist die Letalität ähnlich hoch wie beim Rocky Mountain spotted fever (bis zu 10%).
27.2.3
Rickettsien-Pocken
Dabei handelt es sich um eine leichte Infektion Fünf Tage nach dem Biss einer infizierten Milbe kann sich eine lokale Wunde entwickeln, auf die eine Woche später Fieber und Kopfschmerzen folgen. Wenige Tage danach zeigt sich ein generalisierter Ausschlag mit Pusteln und Bläschen, doch die Krankheit verläuft in sehr abgemilderter Form.
27.2.4
Epidemisches Fleckfieber
Überträger des Fleckfiebers sind Kleiderläuse Das epidemische Fleckfieber breitet sich über Kleiderläuse(Pediculus humanus) unter Menschen aus. Auslöser sindRickettsia prowazeki, die sich im Darmepithel der Läuse vermehren und beim Blutsaugen mit deren Kot ausgeschieden werden. Durch Kratzen an der Bissstelle gelangen die Rickettsien in die Haut. Die Rickettsiose kann aber nur Bestand haben, wenn ausreichend viele Menschen mit Läusen befallen sind. Das epidemische Fleckfieber ist eine klassische Begleiterscheinung von Armut und Krieg, da sich die Menschen unter solchen Bedingungen seltener waschen (weder Körper noch Kleidung). In den Jahren von 1918 bis 1922 gab es in Osteuropa und in der Sowjetunion rund 30 Millionen Fälle. Noch immer tritt die Krankheit in Afrika, Mittel- und Südamerika auf, seltener in den USA. Da keine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch stattfindet, gelingt es im Allgemeinen, Epidemien durch Entlausungskampagnen zu beenden.
Unbehandelt steigt die Letalität auf 60% an Rickettsien vermehren sich an der Bissstelle, bevor sie ins Blut übergehen und das Endothel von Haut-, Herz-, ZNS-, Muskel- und Nierengefäßen infizieren. Etwa eine Woche nach einem Läusebiss (der keine Wunde hinterlässt) entwickeln sich Fieber, 837
Kopfschmerzen und grippeartige Symptome. 5–9 Tage danach erscheint ein generalisierter makulopapulöser Ausschlag, und gelegentlich kommt noch eine schwere Meningoenzephalitis mit Delirium und Koma hinzu. In unbehandelten Fällen kann die Letalität von 20% bei ansonsten gesunden Patienten auf 60% bei älteren oder geschwächten Patienten ansteigen, wenn Komplikationen wie ein peripherer Gefäßverschluss oder eine sekundäre bakterielle Pneumonie auftreten. Die Rekonvaleszenz kann Monate dauern. Bei manchen Patienten werden die Rickettsien trotz klinischer Genesung nicht vollständig aus dem Körper entfernt, sondern bleiben in den Lymphknoten zurück. Noch 50 Jahre später kann eine Reaktivierung der Infektion zur Brill-Zinsser-Krankheit führen und die Patienten erneut zur Infektionsquelle für alle möglichen Läuse werden lassen.
27.2.5
Endemisches Fleckfieber
Das endemische Fleckfieber wird durch Rickettsia typhi ausgelöst und von Rattenflöhen auf Menschen übertragen. Die Krankheit gleicht dem epidemischen Fleckfieber, verläuft aber in schwächerer Form.
27.2.6
Tsutsugamushi-Fieber
Auslöser des Tsutsugamushi-Fiebers (engl. scrub typhus, „Buschfieber“) ist Orientia tsutsugamushi. Auf Menschen wird es von Milben(Trombicula) übertragen. Dieses Fieber tritt nur in fernöstlichen Ländern auf, vereinzelt hatten sich auch amerikanische Soldaten im Vietnamkrieg infiziert. Die Rickettsien sichern ihren Fortbestand in Milben durch infizierte Eier (transovariellen Transfer) und werden beim Blutsaugen auf Menschen oder Nagetiere übertragen.
Tab. 27.3 Wichtige Rickettsiosen des Menschen * **
vertikale Übertragung in Arthropoden außer Menschen sind vermutlich noch andere Vertebraten beteiligt 838
*** andere Rickettsien übertragen in Afrika, Indien und Australien ein ähnliches Zeckenbiss-Fieber * extrazelluläre Vermehrung; im I. Weltkrieg infizierten sich 1 Million Soldaten ** in Fort Chaffe, Arkansas, isoliert; befällt Lymphozyten, Monozyten und Neutrophile
839
Abb. 27.3 Generalisierter makulopapulöser Ausschlag mit petechialen Blutungen bei Rocky Mountain spotted fever.
(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.) An der Bissstelle bildet sich eine Wunde und etwa fünf Tage danach erscheint ein fleckförmiger Ausschlag.
27.3
Borrelieninfektionen (Borreliosen)
27.3.1
Rückfallfieber
Die epidemische Form des Rückfallfiebers wird von Borrelia recurrentis verursacht und durch Läuse auf Menschen übertragen Borrelia recurrentis ist eine Gram-negative Spirochäte mit unregelmäßigen Windungen, kann 10–30 μm lang werden und ist äußerst beweglich (Dreh- und schraubende Bewegungen). Die Übertragung durch Körperläuse(Pediculus humanus) kann ein epidemieartiges Rückfallfieber auslösen (Abb. 27.4). Die Bakterien vermehren sich in Läusen und können z.B. in Bisswunden gerieben werden, wenn die Läuse beim Blutsaugen zerquetscht werden. Bei dieser Form des Rückfallfiebers sind Läuse entscheidend für die Übertragung zwischen Menschen. Wie andere Infektionen durch Läuse (z.B. Fleckfieber) breitet sich die Krankheit besonders gut unter Bedingungen aus, unter denen sich Menschen nur selten waschen 840
oder ihre Kleidung wechseln können (Krieg, Naturkatastrophen). Bei der letzten großen Epidemie während des II.Weltkriegs starben in Nordafrika und Europa 50000 Menschen an Rückfallfieber.
Abb. 27.4
Übertragungswege des Rückfallfiebers.
Die endemische Form des Rückfallfiebers wird durch Zeckenbisse auf Menschen übertragen In vielen Teilen der Welt (unter anderem im Westen der USA) kommt eine endemische Infektion mit anderen Borrelien-Spezies bei Nagetieren vor. Auf Menschen werden sie von Weichzecken(Ornithodorus) übertragen. Innerhalb der Zeckenpopulationen findet eine transovarielle Übertragung auf nachfolgende Generationen statt. Dass Zecken bis zu 15 Jahre ohne Nahrung (Blut) überstehen können, trägt mit dazu bei, den Zyklus des endemischen Zeckenbiss-Rückfallfiebers aufrechtzuerhalten.
841
Abb. 27.5
Verlaufsphasen des Rückfallfiebers.
Die für Rückfallfieber typischen wiederholten Fieberepisoden beruhen auf einer Antigenvariation dieser Spirochäten Nach ihrer lokalen Vermehrung gehen die Bakterien ins Blut über. Die Inkubationszeit dauert 3–10 Tage, bevor plötzlich Schüttelfrost und Fieber auftreten, die 3–5 Tage anhalten (Abb. 27.5). Nach einem fieberfreien, ca. 1-wöchigen Intervall folgt eine zweite Fieberattacke mit anschließendem fieberfreiem Intervall. Im Allgemeinen schwächen sich die Symptome nach 3–10 Episoden wieder ab. Schwerere Verlaufsformen sind nach bakterieller Überwucherung von Milz, Leber und Nieren möglich. Sobald sich agglutinierende und lysierende Antikörper gebildet haben, werden die Borrelien aus dem Körper entfernt. Unter dem Druck dieser Immunantwort taucht rasch ein neuer Antigentyp auf, der sich ungehindert vermehren und eine neue Fieberepisode auslösen kann. Zur Antigenvariation kommt es durch ein „Switching“ unterschiedlicher Oberflächenproteine. Borrelien sind mit einem Bündel von Genen (variable large proteins [Vlp] und variable small proteins [Vsp]) ausgestattet, die unter Beteiligung der Plasmide, die Sammlungen dieser Gene mit sich tragen, umgewandelt und aktiviert werden können. Die Genkonversion hat zur Folge, dass sich aus einem einzelnen Bakterienklon spontan ca. 30 Serotypen entwickeln können. In jeder Borreliengeneration findet mit einer Häufigkeit von 1:1000 bis 1:10000 ein „Switching“ statt. Ganz ähnlich verhält es sich mit Trypanosomen. Eine Direktübertragung zwischen Menschen kommt nicht vor. Die Letalität liegt beim endemischen (Zeckenbiss-)Rückfallfieber unter 5%, kann aber bei der epidemischen Form (durch Läuse) auf fast 40% ansteigen. 842
Rückfallfieber wird mit Labormethoden diagnostiziert und mit Tetrazyklinen behandelt Borrelien können im Labor angezüchtet werden und nach Giemsa-Färbung in Blutausstrichen, die während der Fieberphase entnommen wurden, sichtbar sein (Abb. 27.6). Angesichts der häufigen Antigenvariation sind die verfügbaren Antikörpertests (Komplementbindungsreaktion) meist nicht besonders hilfreich.
Abb. 27.6 Stark gewundene schraubenförmige Spirochäte (Borrelia recurrentis) im Blut eines Patienten mit Rückfallfieber.
(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.) Zur Behandlung und zur Prävention von Rezidiven wird Tetrazyklin eingesetzt. Die beste Vorbeugung besteht aber darin, möglichst jeden Kontakt mit Vektoren zu vermeiden.
843
27.3.2
Lyme-Krankheit
Die Lyme-Krankheit wird von Borrelien verursacht und von Ixodes-Zecken übertragen Die Lyme-Krankheit, die in Europa, den USA und auf den meisten anderen Kontinenten vorkommt, ist nach einer Stadt in Connecticut benannt, in der 1975 die ersten Fälle auftraten. Auslöser sind Borrelia burgdorferi (USA) oder auch andere Borrelien-Spezies. Sie werden von Schildzecken(Ixodes) auf Mäuse oder Rehwild übertragen (Abb. 27.7) und durchlaufen in ihnen ihren natürlichen Infektionszyklus. Menschen infizieren sich über infizierte Zecken (Larven-, Nymphen- oder Erwachsenenstadium). In Europa und den USA tritt die Infektion gehäuft in den Sommermonaten auf, weil ein Zeckenbiss bei Freizeitaktivitäten im Freien wahrscheinlicher ist. Eine Ansteckung von Mensch zu Mensch findet nicht statt.
Typisches Symptom der Lyme-Krankheit ist ein Erythema chronicum migrans Nach lokaler Vermehrung der Bakterien und ca. 1-wöchiger Inkubationszeit entwickeln sich Fieber, Kopfschmerzen, Myalgie, Lymphadenopathie und eine typische Hautläsion an der Bissstelle. Die Bezeichnung „Erythema chronicum migrans“ beschreibt schon die wesentlichen Merkmale (Abb. 27.8). Der anfängliche Fleck vergrößert sich im Laufe weniger Wochen zu einem flachen, ringförmig geröteten Erythem von mehreren Zentimetern Durchmesser mit abblassendem Zentrum. Bei rund 50% der Patienten erscheinen auch an anderen Hautstellen flüchtige Exantheme. Immunologisch lassen sich zirkulierende Immunkomplexe nachweisen, manchmal sind auch die Serum-IgM-Werte erhöht oder IgMKryoglobuline vorhanden.
844
Abb. 27.7
Übertragungsweg der Lyme-Krankheit.
Eine Woche bis zwei Jahre nach den ersten Symptomen können sich weitere Krankheitssymptome entwickeln Ohne Behandlung treten bei rund 75% der Patienten trotz Antikörperbildung und TZell-Antwort auf die Lyme-Borreliose später noch weitere Krankheitszeichen auf. Das kann eine Woche, aber auch noch bis zu zwei Jahre nach den ersten Symptomen der Fall sein. Als Erstes zeigen sich neurologische (Meningitis, Enzephalitis, periphere Neuropathie) und kardiologische Störungen (Herzblock, Myokarditis), danach kommt es durch Immunkomplex-Ablagerung in den Gelenken zu Arthralgie und Arthritis, die monate- oder jahrelang anhalten können. Diese späten Erscheinungsformen der Lyme-Krankheit sind immunologisch bedingt und beruhen vermutlich auf einer Kreuzreaktivität zwischen Borrelien-Antigenen und dem Wirtsgewebe. Borrelien selbst sind in diesem Stadium nur sehr selten nachzuweisen.
845
Abb. 27.8 Erythema chronicum migrans am Bein eines Patienten mit Lyme-Krankheit.
(Mit freundlicher Genehmigung von E. Sohn)
Die Lyme-Krankheit wird serologisch diagnostiziert und antibiotisch behandelt In Hautbiopsien sind nur selten Borrelien zu finden; wenn doch, lassen sie sich höchstens in Proben aus Frühstadien isolieren, wobei der Nachweis Wochen dauern kann. Daher wird die Lyme-Krankheit primär klinisch und aufgrund anamnestischer Hinweise auf einen Zeckenbiss diagnostiziert. Bei entsprechender Indikation können serologische Untersuchungen (ELISA, enzyme-linked immunosorbent assay, oder IFA, indirekter Fluoreszenz-Antikörpertest) weiterhelfen. 3–6 Wochen nach der Infektion sind spezifische IgM-Antikörper nachweisbar, in späteren Stadien auch IgG-Antikörper. IgM-Antikörper können im Anfangsstadium der Erkrankung jedoch auch vollkommen fehlen. Eine Kreuzreaktivität der Antigene kann zu falsch-positiven Ergebnissen führen. Im Frühstadium sind Doxycyclin oder Amoxicillin wirksam, doch in Spätstadien muss, besonders bei neurologischen Komplikationen, eine aggressivere Form der Behandlung gewählt werden (i.v. Penicillin oder Ceftriaxon über mehrere Wochen). Zur Vorbeugung der Lyme-Krankheit sollte man sich vor Zeckenbissen schützen.
846
27.4
Protozoeninfektionen
27.4.1
Malaria
Malaria beginnt mit dem Stich einer infizierten weiblichen Anopheles-Mücke Malaria beschränkt sich weitgehend auf Gebiete mit Brutstätten dieser Mücken, d.h. auf die Tropen zwischen dem 60. nördlichen und 40. südlichen Breitengrad (außer höher gelegenen Regionen über 2000 m). Von Bedeutung ist sie hauptsächlich in Afrika, Indien, Fernost und Südamerika. Seitdem sich Resistenzen gegen Malariamittel und Insektizide entwickelt haben, nimmt die Zahl der Malariafälle weltweit zu. Schätzungsweise ein Drittel (35%) der Weltbevölkerung ist infiziert, und auf jährlich 10 Millionen Neuerkrankungen kommen etwa 2 Millionen Todesfälle. Durch häufiger gewordene Fernreisen treten jetzt auch in den entwickelten Ländern regelmäßig neue Fälle auf. Wenn Ärzte bei der Diagnose nicht regelmäßig auch an Malaria denken, hat das Unterbleiben der lebenswichtigen Behandlung unter Umständen tödliche Folgen. Malaria kann auch über Blut (Transfusion, versehentliche Nadelstichverletzung) oder sehr selten von der Mutter auf den Fetus übertragen werden.
Der Entwicklungszyklus der Malariaparasiten umfasst drei Stadien Vier Plasmodien-Arten können bei Menschen Malaria verursachen; davon ist Plasmodium falciparum die virulenteste (Tab. 27.4). Da sie alle ähnliche Entwicklungszyklen mit drei völlig verschiedenen Stadien und abwechselnd extraund intrazellulären Formen durchlaufen, gehört Malaria zu den komplexesten Infektionen des Menschen (Abb. 27.9 und 27.10). Das Eindringen in rote Blutkörperchen setzt mindestens zwei getrennte RezeptorLiganden-Interaktionen voraus; Dass die meisten Westafrikaner resistent gegen P. vivax sind, lässt sich durch das Fehlen des Duffy-Antigens (Oberflächenrezeptor auf roten Blutzellen) erklären. Gegen Malaria resistent machen auch andere genetische Merkmale, wie Hämoglobin S (Sichelzellanämie), β-Thalassämie und Glukose-6Phosphat-Dehydrogenase-Mangel.
847
Tab. 27.4 Malariaparasiten des Menschen.
848
Abb. 27.9 Malaria – Entwicklungszyklus der Parasiten in Menschen und Mücken.
In der symptomfreien (präerythrozytären) Phase gelangen Sporozoiten beim Stich einer infizierten Anopheles-Mücke über den Speichel ins Blut des Menschen (1). Sie dringen dann in Leberparenchymzellen ein (2). Dort reifen sie in zwei Wochen zu Gewebeschizonten heran (4), die schließlich aufplatzen und 10000 bis 40000 Merozoiten freilassen (5). Für ein paar Minuten kreisen die Merozoiten frei im Blut, dann beginnt mit ihrem Eindringen in rote Blutkörperchen (6) das asexuelle Blutstadium. Einzelne Parasiten bleiben als „schlummernde“ Hypnozoiten (3) in
849
der Leber zurück, von denen Rezidive ausgehen können. In Blutzellen reifen die Merozoiten zu Ringformen (7), Trophozoiten (8) und Schizonten (9) heran. Der Entwicklungszyklus endet damit, dass Merozoiten zurück in den Blutkreislauf gelangen (10). Diese Phase kann Monate oder sogar Jahre dauern. Einige Merozoiten gehen allerdings in ein sexuelles Stadium über, so dass sich in den roten Blutkörperchen männliche und weibliche Gametozyten (11) entwickeln, die beim Blutsaugen von Anopheles-Mücken aufgenommen werden können. Im Darm der Insekten werfen die männlichen Gametozyten ihre Geißel ab (12) und werden zu Mikrogameten, die weibliche Gameten befruchten und Zygoten bilden (13). Nach Invasion der Darmmukosa (14) werden die Zygoten zu Oozysten (15), aus denen wieder tausende Sporozoiten (16) entstehen. Die Sporozoiten wandern aus dem Darm der Mücken (17) in die Speicheldrüsen ein (18) – und damit schließt sich der Kreis. Ein neuer Infektionszyklus kann beginnen.
Abb. 27.10 Verschiedene Stadien von Malariaparasiten.
a) Plasmodium falciparum-Ringformen in roten Blutkörperchen, b) Blutschizont von Plasmodium vivax, c) weiblicher P.-falciparum- Gametozyt, d) männlicher P. vivax- Gametozyt, der nach Abwerfen der Geißel zu einem 20–25 μm langen Mikrogameten wird.
Malariasymptome sind undulierendes Fieber und starke Schweißausbrüche Das Symptomenspektrum reicht von Fieber bis zu einer tödlichen Hirn- oder Nierenkrankheit. Klinische Zeichen treten ausschließlich während des asexuellen Blutstadiums auf (Abb. 27.9). Das Krankheitsbild hängt weitgehend vom Alter und Immunstatus des Patienten sowie von der Plasmodien-Spezies ab. Als Leitsymptom entwickelt sich Fieber; nach dem Aufplatzen der Blutschizonten wird es hauptsächlich durch Zytokine wie Interleukin 1 (IL-1) und Tumornekrosefaktor (TNF) ausgelöst. Aufgrund des synchronen Entwicklungszyklus der Malariaparasiten in Erythrozyten zeigt sich ein typisches Fiebermuster mit Schwankungen (Abb. 27.11): je nach Erreger in einem 48-Stunden- (Malaria tertiana am 1. und 3. Tag) oder 72-Stunden-Rhythmus (Malaria quartana am 1. und 4. Tag). Der Fieberanfall (Paroxysmus) beginnt mit starkem Schüttelfrost (Kältezittern), gefolgt von einer heiß-trockenen Phase und abschließend einem heftigen 850
Schweißausbruch. Recht häufig kommen Kopf- und Muskelschmerzen mit Erbrechen vor. Übergelagerte unregelmäßige (nicht synchrone) Zyklen können bei einer Falciparum-Malaria auch zu täglichen abendlichen Fieberattacken führen. In dem Fall wird möglicherweise irrtümlich eine Grippe oder andere fieberhafte Erkrankung diagnostiziert. Oft sind Milz und Leber vergrößert, und eine Anämie ist fast schon die Regel.
Zu den Komplikationen gehören zerebrale Malaria, schwere Anämie, Hypoglykämie, Laktatazidose und Glomerulonephritis Wenn es zu keiner Reinfektion kommt, verläuft eine Malaria durch P. vivax, P. ovale und P. malariae normalerweise selbstlimitierend; allerdings kommen auch Rückfälle vor. Dagegen kann eine Falciparum-Malaria aufgrund unterschiedlicher Komplikationen schon in den ersten zwei oder drei Wochen tödlich enden (Tab. 27.4). Noch Monate oder sogar Jahre später sind besonders nach Infektionen mit P. vivax Rezidive möglich, die von persistierenden Parasiten (Hypnozoiten) in der Leber ausgehen.
Abb. 27.11 Malaria-Fieberkurven.
Spitzen dieser zyklischen Temperaturschwankungen fallen mit dem Heranreifen und Aufbrechen der Blutschizonten zusammen. Das geschieht bei synchronisierten (regelmäßigen) Zyklen alle 48 Stunden (P. falciparum, P. vivax und P. ovale) bzw. alle 72 Stunden (P. malariae). Mit Komplikationen verläuft eine Falciparum-Malaria vor allem bei Kindern (im Alter von 6 Monaten bis 5 Jahren) und Schwangeren (besonders Erstgebärenden), doch im Grunde kann es jeden treffen, der nicht immun ist (z.B. Touristen). Am gefährlichsten ist die zerebrale Malaria mit stärker werdenden Kopfschmerzen, Nackensteife, Krämpfen und Koma. Als Ursache kommen infizierte Erythrozyten in
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Hirnkapillargefäßen, gesteigerte Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke oder überschießende Zytokinbildung (z.B. von TNF) in Betracht. Nach erfolgreicher Behandlung bleiben meist nur minimale oder keine Einschränkungen der Hirnfunktionen zurück. Doch bei 5–10% der Kinder können sich neurologische oder psychische Folgen bemerkbar machen. Dass es fast regelmäßig zu einer schweren Anämie kommt, liegt zum Teil an der Zerstörung roter Blutkörperchen und zum Teil an der Dyserythropoese des Knochenmarks. Von den sonstigen Komplikationen tragen vermutlich vor allem Hypoglykämie und Laktatazidose zur Sterblichkeit bei. Auch eine ImmunkomplexGlomerulonephritis kommt häufiger vor, und ein fortschreitendes nephrotisches Syndrom entwickelt sich bevorzugt bei Malaria quartana (P. malariae).
Malaria wirkt immunsuppressiv Epidemiologisch besteht eine starke Korrelation zwischen Malaria und endemischem Burkitt-Lymphom, worin sich vermutlich die verringerte Zytotoxizität von T-Zellen gegen EBV-infizierte Zellen widerspiegelt. Auch die Wirkung von Impfstoffen gegen gängige Virus- oder bakterielle Infektionen kann durch Malaria eingeschränkt sein.
Die allmähliche Entwicklung einer Immunität setzt anscheinend wiederholten Antigenkontakt voraus Da Kinder in Endemiegebieten mit etwa fünf Jahren resistent gegen eine schwere Malaria werden, wenn sie frühe Episoden überlebt haben, kann sich offenbar stufenweise eine Immunität gegen Malaria entwickeln. Bis zum Erwachsenenalter sinken die Parasitenspiegel immer weiter ab, bis sie nur noch niedrig oder die meiste Zeit nicht nachweisbar sind. Bleibt der Antigenkontakt jedoch auch nur ein Jahr aus, verliert sich die Immunität großenteils wieder, d.h., zu ihrer Aufrechterhaltung sind offenbar wiederholte Infektionen erforderlich. Umstritten ist noch der beteiligte Immunmechanismus, doch wie es scheint, spielen sowohl antikörper- als auch zellvermittelte Immunität eine Rolle (Abb. 27.12).
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Diagnostiziert wird Malaria anhand von befallenen Zellen in Blutausstrichen Dünne Blutausstriche und ein Dicker Tropfen (dicker getrockneter Blutstropfen) werden mikroskopisch auf das Vorhandensein von Plasmodien und ihren Entwicklungsformen untersucht. Da spätere Stadien (Schizonten) in tieferen Geweben sequestiert sein können, lassen sich oft nur enttäuschend wenig oder keine Parasiten mehr im peripheren Blut nachweisen. Wenn bei Patienten mit Fieber und Anämie, Splenomegalie oder Hirnzeichen eine Malaria im Bereich des Möglichen liegt, sollten sie am besten gleich so behandelt werden, als ob sie Malaria hätten.
Abb. 27.12 Immunität gegen Malaria.
Bezogen auf das jeweilige Malariastadium sind die Immunmechanismen dargestellt, die für die Entwicklung der Immunität verantwortlich sein dürften.
853
IFN = Interferon, IL = Interleukin, TNF = Tumornekrosefaktor, ROI bzw. RNI = reaktive Sauerstoff- (oxygen) bzw. Stickstoff-Zwischenprodukte (nitrogen intermediates), ECP = eosinophil-kationisches Protein Allerdings muss das Vorhandensein von Parasiten im Blut bei Patienten aus Endemiegebieten nicht unbedingt heißen, dass Malaria die Krankheitsursache ist, da es eine asymptomatische Parasitämie sein kann. Ein Antikörpernachweis (mit Immunfluoreszenztest oder ELISA) bestätigt eine Infektion, und wenn IgMAntikörper überwiegen, spricht das für eine erst kurz zurückliegende Malariaepisode. Der Antikörpernachweis spielt für die Akutdiagnostik der Malaria jedoch keine Rolle.
Chinin ist das Mittel der Wahl bei lebensbedrohlicher Malaria In lebensbedrohlichen Malariafällen bleibt Chinin das Mittel der Wahl. Zu den Komplikationen einer Chinintherapie gehört eine massive intravaskuläre Hämolyse („Schwarzwasserfieber“). Wichtige Malariamittel sind außerdem Chloroquin (zunehmende Resistenz bei P. falciparum), Mefloquin, Doxycyclin und das chinesische Quing-hao-su (Artemisia). Um Rezidiven vorzubeugen, wird Primaquin eingesetzt. Die beste Prävention sind mit Insektenmitteln (Repellenzien) imprägnierte Moskitonetze. Die Erfolgsaussichten für Impfstoffe werden in Kap. 34 diskutiert.
27.4.2
Trypanosomiasis
Erkrankungen des Menschen verursachen drei Trypanosomen-Spezies Trypanosoma brucei gambiense und Trypanosoma brucei rhodesiense führen zur Afrikanischen Trypanosomiasis oder Schlafkrankheit und T. cruzi zur Südamerikanischen Trypanosomiasis oder Chagas-Krankheit. Zwischen beiden Krankheitsformen bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich: ■
des (Insekten-)Vektors
■
der Lokalisation des Parasitenbefalls
■
der Auswirkungen auf das Immunsystem
854
Afrikanische Trypanosomiasis Die von Tsetsefliegen übertragene Afrikanische Trypanosomiasis beschränkt sich auf Äquatorialafrika Überträger ist die TsetsefliegeGlossina, und als Infektionsreservoir dienen Haus- und Wildtiere (Schafe, Schweine, Rehe). Bei Menschen bleibt T. brucei ein extrazellulärer Parasit, der sich zuerst in der Nähe der Bissstelle aufhält, bevor er aus dem Gewebe ins Blut übergeht, wo er sich rasch und kontinuierlich durch Zellteilung vermehrt.
Symptome sind Lymphadenopathie und „Schlafkrankheit“ Nach dem Biss einer infizierten Tsetsefliege entwickelt sich eine lokale Weichteilschwellung mit ausgedehnter Lymphknotenvergrößerung, vor allem im Nacken (Winterbottom-Zeichen, Abb. 27.13a). Infolge der Blutinvasion und raschen Vermehrung der Trypanosomen treten Fieber, Splenomegalie und oft Zeichen einer Myokardbeteiligung auf. Bei einem ZNS-Befall (stärker bei der ostafrikanischen Form durch T. b. rhodesiense als bei der westafrikanischen Form durch T. b. gambiense) kommt es zu zunehmenden Kopfschmerzen, psychischen Veränderungen („stille Trauer“), unersättlichem Hunger und Gewichtsverlust, bevor die Patienten ins Koma fallen („Schlafkrankheit“, Abb. 27.13b) und sterben. Anders als Malaria heilt eine Trypanosomiasis zum Teil mit schweren neurologischen Restzuständen und geistigen Defiziten aus.
Durch Antigenvariation seiner Glykoproteinhülle entgeht T. brucei der Wirtsabwehr Dass T. brucei ungehindert im Blut kreisen kann, liegt an der enormen Antigenvariabilität seiner Glykoproteinhülle, die auf dem „Switching“ einiger seiner tausend Gene beruht. Die hohe IgM-Konzentration im Blut und später auch im Liquor kommt durch Plasmazellen (Mott-Zellen) zustande, die sich wie eine perivaskuläre Manschette um die Hirnblutgefäße legen und Ausdruck einer Lymphozyteninfiltration sind (Abb. 27.14).
855
Die Afrikanische Trypanosomiasis wird durch (mikroskopischen) Parasitennachweis diagnostiziert und mit unterschiedlichen Mitteln behandelt T. brucei kann in Lymphknotenbiopsien oder in späteren Stadien auch im Liquor (CSF) nachgewiesen werden. Gestützt wird die Diagnose durch eine bis zu 16fach erhöhte IgM-Konzentration im Serum. Besonders in chronischen Fällen waren arsenhaltige Medikamente wie Tryparsamid und Melarsoprol Stützpfeiler der Therapie, während in akuten Stadien Mittel wie Suramin, Nitrofurazon oder Pentamidin angewandt werden, die kein Arsen enthalten. Pentamidin ist Mittel der Wahl zur Prophylaxe. Die Bekämpfung von Tsetsefliegen gestaltet sich schwierig, auch wenn verbreitet Insektizide zum Einsatz kommen. Moskitonetze sind nutzlos, weil die Fliegen tagsüber beißen/stechen.
Abb. 27.13 Afrikanische Trypanosomiasis.
a) Vergrößerter Nackenlymphknoten (Winterbottom-Zeichen), b) Koma (Schlafkrankheit) infolge einer generalisierten Enzephalitis. Mit freundlicher Genehmigung von P.G. Janssens (a) sowie M.E. Krampitz und P. de Raadt (b).
856
Abb. 27.14 Lymphozyteninfiltration eines Hirnblutgefäßes als Zeichen einer Trypanosomabrucei-Infektion.
Hämatoxylin-Eosin-Färbung (mit freundlicher Genehmigung von R. Muller und J.R. Baker).
Chagas-Krankheit T. cruzi wird von Raubwanzen übertragen Da T. cruzi von Raubwanzen (Reduviidae, „kissing bug“) übertragen wird, die nicht fliegen können, beschränkt sich die Krankheit auf Gegenden mit ärmlichen Wohnverhältnissen. Als Infektionsreservoir können alle möglichen Säugetiere dienen. Der Parasit befällt vor allem Makrophagen und Herzmuskelzellen des Wirts.
Zu den schweren Langzeitfolgen der ChagasKrankheit gehört auch eine tödliche Herzkrankheit An der infizierten Stelle können sich Weichteilschwellungen („Chagrome“) entwickeln. Sie sind mit einer flüchtigen fiebrigen Krankheit verbunden, die in sehr seltenen Fällen zum Tod durch Herzversagen führen kann. Nach Invasion der Wirtszellen schreitet die Krankheit nur sehr langsam voran und wird chronisch. Bis sich Herz- und Darmbeteiligung als die beiden Leitsymptome zeigen, können Jahre vergangen sein. Haupttodesursache ist eine Myokarditis, die auf einer Zerstörung des Herzmuskels (durch den Parasitenbefall) mit progredienter Schwäche und Ventrikeldilatation beruht (Abb. 27.15). Dabei spielen vermutlich auch autoimmune Einflüsse durch 857
kreuzreagierende Antigene eine Rolle. Ähnliche Vorgänge in Nervenzellen des Verdauungstrakts führen zur Weitstellung mit aufgehobener Peristaltik; zwei übliche Erscheinungsformen sind daher Megaösophagus und Megakolon.
Die chronische Form wird meist serologisch diagnostiziert In der Akutphase können Parasiten im Blutausstrich nachweisbar sein, doch die chronische Chagas-Krankheit wird meist serologisch oder durch „Xenodiagnose“ festgestellt.
Abb. 27.15 Amastigote Form von Trypanosoma cruzi im Herzmuskelgewebe bei der ChagasKrankheit.
Hämatoxylin-Eosin-Färbung (mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs). In Verdachtsfällen lässt man „saubere“ Raubwanzen auf Patienten Blut saugen. Ein, zwei Monate später wird ihr Darminhalt untersucht oder nach Homogenisierung Mäusen injiziert, bei denen bereits ein einziger Erreger zur manifesten Infektion führt. In späteren Stadien kann die Diagnose auch anhand von Muskelbiopsien gestellt werden. Nachweisverfahren mit der Polymerasekettenreaktion (PCR) befinden sich in Entwicklung. Die Chagas-Krankheit ist nur schwer heilbar. Gegen die Blutstadien (Trypomastigoten) sind zwar verschiedene arsenhaltige Mittel wirksam, doch die amastigoten intrazellulären Formen lassen sich damit kaum beseitigen. Im Idealfall sind bessere Wohn- und Lebensverhältnisse die beste Prävention. Die Vektoren mit Insektiziden zu bekämpfen erweist sich als schwierig, und bis die Forschung nach einem Impfstoff praktischen Erfolg hat, dürften noch Jahre vergehen.
27.4.3
Leishmaniose
858
Leishmanien werden von Sandfliegen übertragen und rufen verschiedene Formen einer Leishmaniose hervor Leishmanien verursachen in Ländern der Alten und Neuen Welt Erkrankungen (Tab. 27.5). In Ländern der Neuen Welt bilden Hunde ein wichtiges Infektionsreservoir. Alle Leishmaniosen werden von Sandfliegen übertragen.
Tab. 27.5 Leishmanien: Spezies, Verbreitung und Krankheitssymptome.
Leishmanien sind intrazelluläre Parasiten und befallen Makrophagen Im Allgemeinen umgehen Leishmanien die Abwehr der Makrophagen (Abb. 27.16), solange sie nicht zu stark aktiviert sind, z.B. durch Interferon-γ (IFNγ). Hauptsächlich befallen werden: ■
Leber und Milz (bei der viszeralen Leishmaniose)
■
Haut (bei der Hautleishmaniose)
Unbehandelt führt die viszerale Leishmaniose (KalaAzar) zu Leberversagen
859
Eine viszerale Leishmaniose (oder Kala-Azar) entwickelt sich meist schleichend mit Fieber und Gewichtsverlust; Monate oder Jahre später kommt es zu einer Hepato- und vor allem Splenomegalie. Unbehandelt sterben die Patienten an Leberversagen. Nach der Behandlung können Hautsymptome auftreten, in denen eine große Parasitenmenge enthalten ist. Man spricht dann von einer „Post-Kala-Azar-Hautleishmaniose“.
Typisch für die Hautleishmaniase sind große Geschwüre und Immunität vor erneuter Infektion Auch die klassische Hautleishmaniose entwickelt sich schleichend. Aus einer kleinen Papel an der Infektionsstelle wird langsam ein großflächiges Geschwür, das schließlich unter beträchtlicher Narbenbildung abheilt (Abb. 27.17). Sie macht die Patienten aber relativ immun gegen Reinfektionen. Die Hautläsionen werden als „Orient- (oder Delhi-)Beule“ und in Südamerika als „Espundia“ (Haut-SchleimhautLeishmaniase) oder „Ulcera de los chicleros“ (am Ohr) bezeichnet.
Abb. 27.16 Leishmanien in Makrophagen.
Aspirationsbiopsie (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Woods).
860
Abb. 27.17 Hautläsion im Nacken bei einer Leishmania brasiliensis-Infektion.
(Mit freundlicher Genehmigung von P.J. Cooper)
Bei Immunschwäche ist der Verlauf oft schwerer Patienten mit Immunschwäche können ähnlich wie bei einer Lepra lepromatosa zahlreiche chronische Hautläsionen (diffuse Hautleishmaniose) aufweisen. Bei HIVPatienten ist die viszerale Leishmaniose inzwischen nicht nur in den Tropen, sondern auch im Mittelmeerraum zu einer der Hauptkomplikationen geworden.
Die Diagnose wird durch mikroskopischen Erregernachweis gestellt; therapeutisch kommen antimonhaltige Mittel zur Anwendung Je nach Leishmaniose-Form können die Erreger in Biopsien aus Knochenmark, Milz oder Hautläsionen nachgewiesen werden, um die Diagnose endgültig zu sichern. Wenn keine Parasiten gefunden wurden, kann ein positives Ergebnis des Montenegro-Tests auf Leishmanien-Antigene (Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ) diagnostisch weiterhelfen. Abgesehen von einfachen Hautläsionen, die von selbst heilen, ist bei Leishmaniosen eine Langzeittherapie mit antimonhaltigen Mitteln (Natriumstiboglukonat, Megluminantimonat) erforderlich; bei Nichtansprechen können Pentamidin oder Amphotericin B zum Erfolg führen. Als Schutz vor Sandfliegen sind imprägnierte Moskitonetze geeignet, und über eine Kontrolle von Hunden lässt sich das andere Tierreservoir beseitigen. Zumindest bei der Hautleishmaniose stehen die Aussichten für eine Impfung nicht schlecht.
27.5
Helmintheninfektionen 861
27.5.1
Schistosomiasis
Hierbei dienen Wasserschnecken als Vektoren Digenetische Trematoden (alle Egel) müssen eine Entwicklung in Mollusken als Zwischenwirt durchlaufen, um ihr Larvenstadium zu vollenden. Schistosomen sind aber die einzige Gruppe, deren Larven sich nach der Ausscheidung durch Wasserschnecken aktiv in die Haut bohren können. Der Entwicklungszyklus von Schistosomen ist in Abb. 27.18 dargestellt. Nachdem infizierte Wasserschnecken sie ins Wasser ausgeschieden haben, können sich die gabelschwänzigen Larven in die Haut eines Menschen bohren. Nach Durchqueren der Dermis gelangen sie auf dem Blutweg und über die Lunge in die Leber, wo sie geschlechtsreif werden und sich zu festen Paaren aus Männchen und Weibchen zusammenschließen, die zu ihren Endorganen aufbrechen und sich in Venen niederlassen, und zwar:
Abb. 27.18 Entwicklungszyklus von Schistosomen.
Frei im Wasser schwimmende Zerkarien (1) dringen in ungeschützte Haut ein (2). Dabei verlieren sie ihren Schwanz und werden zu Schistosomulae (3). Diese wandern auf dem Blutweg und über Lunge und Leber in Blasen- (Schistosoma haematobium) oder Darmvenen ein (S. mansoni, S. japonicum), in denen sie heranreifen (4) und innerhalb von 6–12 Wochen speziestypische Eier produzieren (5). Die Eier wandern durch die Wand ins Blasen- oder Darmlumen und werden mit Urin oder Stuhl ausgeschieden (6). In Süßwasser werden die ausgeschiedenen Eier von Wasserschnecken als Zwischenwirten (7) aufgenommen und entwickeln 862
sich zu Sporozysten (8). Mit der Freisetzung von Zerkarien (1) schließt sich dann der Kreis. ■
Schistosoma haematobium im Bereich der Harnblase,
■ Schistosoma japonicum und Schistosoma mansoni im Mesenterium des Dünndarms. Der Kreis schließt sich, sobald sich die von den Weibchen gelegten Eier aus der Blasen- oder Darmwand herausbewegen und den Körper verlassen.
Allergische Reaktionen auf unterschiedliche Entwicklungsstadien der Schistosomen verursachen die Symptome Sowohl die Phasen der Hautpenetration und Wanderung als auch die Eiablage sind mit pathologischen Veränderungen verbunden, die sich auf verschiedene Organe auswirken. Durch die Hautpenetration der Larven wird eine Dermatitis ausgelöst, die sich mit wiederholten Reinfektionen noch verschlimmert. Auch wenn alle Entwicklungsstadien mit allergischen Reaktionen (Fieber, Eosinophilie, Lymphadenopathie, Hepato-/Splenomegalie oder Diarrhoe) verbunden sind, treten die stärksten Symptome nach der Eiablage auf. Der Körper reagiert überempfindlich auf die von den Eiern freigesetzten Antigene – wenn sie auf ihrem Weg Gewebe durchwandern oder in Organen „gefangen“ sind, in die sie mit dem Blut eingeschwemmt wurden: ■ Bei Schistosomiasis der Blase (durch S. haematobium) kommt es beim Durchwandern der Blasenwand zu Blutungen. Mit der Zeit entsteht daraus eine entzündliche Infiltration der Blasenwand und es entwickeln sich Polypen; später können maligne Veränderungen folgen oder auch eine Nephrose auftreten (s. Kap. 20). ■ In ähnlicher Weise können die Eier von S. japonicum oder S. mansoni Darmblutungen und -entzündungen hervorrufen. Ernstere Auswirkungen haben entzündliche Reaktionen auf Eier, die sich in anderen Organen festgesetzt haben. Das gilt in erster Linie für die Leber, doch auch Lunge oder ZNS können betroffen sein. Solche Reaktionen treten zwar nicht bei allen Patienten auf, können aber zu schweren Erkrankungen führen (s. Kap. 22). Bilden sich z.B. infolge einer verzögerten Hypersensitivitätsreaktion auf Schistosomeneier in den präsinusoidalen Kapillargefäßen der Leber Granulome, wird die Durchblutung behindert und das kann neben einer ausgeprägten Fibrosierung der Pfortader („Symmer-Pfeifenhalsfibrose“) zur Entwicklung einer portalen Hypertonie beitragen. Die Folgen sind Hepatosplenomegalie, Kollateralenbildung zwischen hepatischen Gefäßen und leicht verletzliche Ösophagusvarizen. Über den Kollateralkreislauf können dann Eier in das Kapillarbett der Lunge gespült werden.
863
Auch wenn abgetötete Parasiten (nach Antihelmintikatherapie) über die Mesenterialgefäße wieder zurück in die Leber gelangen, können stark entzündliche Reaktionen ausgelöst werden.
Eine Schistosomiasis wird mit Praziquantel behandelt Durch Praziquantel-Behandlung lassen sich zwar die Würmer der Patienten entfernen, doch in weit fortgeschrittenen Fällen kann die Erkrankung irreversibel sein. Die Forschung nach einem Impfstoff macht Fortschritte; vielleicht liegt sein Nutzen aber nicht vorrangig in der Prävention, sondern eher in der Symptomlinderung. Um die Infektion innerhalb einer Bevölkerung unter Kontrolle zu bekommen, muss die Übertragungskette durchbrochen werden; das gelingt nur, wenn verseuchte Gewässer gemieden und die sanitären Verhältnisse verbessert werden.
27.5.2
Filariose
Die Übertragung von Fadenwürmern (Filarien) ist an blutsaugende Insekten/Vektoren gekoppelt Fadenwürmer parasitieren in tieferen Körpergeweben (s. Kap. 6). Die wichtigen Spezies lassen sich nach bevorzugtem Befall von Lymphgefäßen(Brugia, Wuchereria) oder des Unterhautgewebes(Onchocerca) unterscheiden. Aber auch harmlosere Spezies kommen vor. Bei allen Fadenwürmern setzen die Weibchen lebende Larven (Mikrofilarien) ab, die von Vektoren aus dem Blut (Erreger im Lymphsystem) oder von der Haut (Onchocerca) aufgenommen werden. Beide Gruppen können schwere Entzündungsreaktionen auslösen, die sich in unterschiedlichen Haut- oder Lymphknoten-Symptomen äußern, aber zusätzlich noch mit anderen pathologischen Veränderungen einhergehen. Onchocerca-Krankheiten (Onchozerkosen) sind in Kap. 25 und 28 näher beschrieben.
Eine lymphatische Filariose verursachen Brugia und Wuchereria, die von Mücken übertragen werden Mücken bringen beim Blutsaugen infektiöse Larven in die Haut ein, aus denen sich sehr langsam die langen, dünnen adulten Würmer entwickeln (Weibchen werden 80– 100 mm lang und 0,25 mm dick), die in Lymphknoten und Lymphgefäßen der Gliedmaßen (meist im Bein) oder im Leistenbereich zu finden sind. Sobald nach ca. einem Jahr umhüllte Mikrofilarien im Blut auftauchen, wird die Infektion erkennbar. Bei den Infizierten zeigen sich entweder kaum klinische Zeichen oder akute Symptome wie Fieber, Ausschlag, Eosinophilie, Lymphangitis, Lymphadenitis (Abb. 27.19) und Orchitis. Später kommt es durch wiederholte Entzündung der Lymphgefäße zu einer chronischen Obstruktion mit Lymphstau, der zu Hydrozelen und massiver Vergrößerung von Brüsten, Skrotum oder Gliedmaßen führen kann („Elephantiasis“, Abb. 27.20). Seit kurzem gibt es Belege, dass die entzündlichen Reaktionen zum Teil
864
von Wohlbachia-Bakterien (Symbionten von Fadenwürmern, die in den Filarien leben) ausgelöst werden könnten.
Abb. 27.19 Adulter Wuchereria-Fadenwurm in einem Lymphknoten.
Erkennbare Dilatation der Lymphgefäße und Gewebereaktion in der Gefäßwand (mit freundlicher Genehmigung von R. Muller und J.R. Baker).
865
Abb. 27.20 Bein-Elephantiasis durch Brugia malayi.
(Mit freundlicher Genehmigung von A.E. Bianco) Ein Merkmal von Filariosen in Endemiegebieten ist, dass nicht bei allen Infizierten Symptome auftreten. Trotz Mikrofilarien im Blut zeigen viele Patienten einen asymptomatischen Verlauf, und nur vergleichsweise wenige Patienten haben sichtbare pathologische Veränderungen (Abb. 27.21). Bei manchen Patienten entwickeln sich Lungensymptome („tropische pulmonale Eosinophilie“, s. Kap. 19).
Nur wenige Mittel gegen Filarien sind zufriedenstellend wirksam Diethylcarbamazin tötet in erster Linie Mikrofilarien ab; es wird seit langem verwendet, kann aber eine heftige allergische Reaktion (Mazzotti-Reaktion) auslösen. Suramin tötet adulte Würmer ab, ist aber zu toxisch. Ivermectin ist gegen Onchozerkose wirksam und könnte auch bei lymphatischer Filariose von Nutzen sein. Albendazol kommt derzeit im Rahmen einer WHO-Kampagne zur Ausrottung der Krankheit zum Einsatz. Gegen die symbiotischen Wohlbachia-Bakterien angewandte Antibiotika sind auch gegen die Würmer wirksam.
866
Abb. 27.21 Verlauf in symptomatischen Fällen einer lymphatischen Filariose.
(Schema nach Muller und Baker 1990) Die Übertragung von Filariosen lässt sich kaum verhindern, man kann aber durch Kontrolle der Vektoren und Schutz vor Insektenstichen wenigstens das Risiko verringern.
Zusammenfassung ■ Viele wichtige Infektionen (mit Arboviren, Rickettsien, Borrelien, Protozoen und Helminthen) werden durch Vektoren (Insekten, Zecken oder Wasserschnecken) übertragen. ■ Manche können chronisch verlaufen (Lyme-Krankheit, Leishmaniose, Schistosomiasis) oder zum Tod führen (Malaria, Virusenzephalitis). 867
■ Aufgrund der Verbreitung von Vektoren sind viele Infektionen auf tropische Länder beschränkt. Mit der globalen Erwärmung könnten sich die Verbreitungsmuster ändern und Krankheiten im größeren Maßstab übertragbar werden. ■ Durch heftige Immunreaktionen kann es zu immunologischen Komplikationen kommen. Die Behandlung erfolgt meist medikamentös. ■ Die Bekämpfung von Vektoren ist schwierig, kann aber zur Ausrottung dieser Krankheiten führen. ■ Bis auf wenige Ausnahmen (Gelbfieber) sind keine Impfstoffe für diese Gruppe von Krankheiten verfügbar.
FRAGEN 1 Ein 42-jähriger Geschäftsmann wird mit Fieber, Halsentzündung, Schüttelfrost, Kopf- und Muskelschmerzen, Übelkeit und Erbrechen ins Krankenhaus eingeliefert. Er war zwei Wochen vorher von einer dreimonatigen Reise nach Westafrika zurückgekehrt und hatte eine Malariaprophylaxe durchgeführt. Bei der Untersuchung hat er 38°C Fieber, eine leichte Pharyngitis, regelmäßige Pulsfrequenz (100/min) und Blutdruck von 110/70 mmHg. Einziger auffälliger Befund ist eine Splenomegalie mit tastempfindlicher, leicht vergrößerter Leber. a)
Welche Differenzialdiagnose muss sofort in Betracht gezogen werden?
b)
Welche Untersuchungen würden Sie sofort veranlassen?
c)
Wie würden Sie den Patienten behandeln?
2
Besteht für Urlauber in den USA die Gefahr, nach einem Zeckenbiss an a)
West-Nil-Enzephalitis,
b)
Ostamerikanischer Pferdeenzephalitis,
c)
Rückfallfieber,
d)
Lyme-Krankheit,
e)
St.-Louis-Enzephalitis zu erkranken?
3
Welche Krankheit wird von Mücken übertragen: a)
lymphatische Filariose,
b)
Leishmaniose,
c)
Chagas-Krankheit,
d)
epidemisches Fleckfieber/Flecktyphus, 868
e) 4
Westamerikanische Pferdeenzephalitis? Welche der folgenden Aussagen trifft für Malaria zu:
a)
Überträger sind Culex-Mücken,
b)
nach einer Infektion besteht lebenslange Immunität,
c)
die Infektion tritt nur in Afrika auf,
d)
gefährlichste Spezies ist Plasmodium vivax,
e)
Malariaparasiten entwickeln sich zuerst in der Leber?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Cook, G.C. (ed.): Manson’s Tropical Diseases, 20th ed. W.B. Saunders, London 1996. Doerr, H.W., Gerlich, W.H (Hrsg.): Medizinische Virologie: Grundlagen, Diagnostik und Therapie virologischer Krankheitsbilder. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York 2002. Fisher-Hoch, S.: Viral hemorrhagic fever. Med Int 54 (1988) 2240–2247. Hoffman, S.L. (ed.): Malaria Vaccine Development. ASM Press, Washington D.C. 1996. Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G (Hrsg.): Medizinische Mikrobiologie. Urban & Fischer Verlag, München Jena 2001. Mehlhorn, H., Eichenlaub, D., Löscher, T., Peters, W.: Diagnostik und Therapie der Parasitosen des Menschen. 2. Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart Jena New York 1995. Muller, R., Baker, J.R.: Medical Parasitology. Gower Medical Publishing, London 1990. Nimmanitya, S.: Dengue fever and dengue hemorrhagic fever. Med Int 54 (1988) 2247–2251. Rahn, D.W., Evans, J. (eds.): Lyme Disease. American College of Physicians, Philadelphia 1998. Service, M.W. (ed.): Encyclopedia of Arthropod-Transmitted Infections of Man and Domesticated Animals. CABI Publishing, Wallingford, Oxon 2001.
869
28 Multisystemische Zoonosen 28.1
Arenavirusinfektionen 429
28.2
Koreanisches hämorrhagisches Fieber 430
28.3 431
Hämorrhagisches Fieber durch Marburg- oder Ebola-Virus-Infektionen
28.4
Q-Fieber 432
28.5
Milzbrand (Anthrax) 432
28.6
Pest 433
28.7
Yersinia-enterocolitica-Infektion 434
28.8
Tularämie 435
28.9
Pasteurella-multocida-Infektion 436
28.10
Leptospirose 436
28.11
Rattenbissfieber (Sodoku) 437
28.12
Brucellose 437
28.13
Wurmbefall/Helmintheninfektionen 439
28.13.1 Echinokokkose 439 28.13.2 Trichinellose 440 28.13.3 Strongyloidose 440
870
Zur Orientierung Einige multisystemische Infektionen des Menschen beruhen auf Tierkrankheiten (Zoonosen) Bei Zoonosen bilden Wirbeltiere das eigentliche Infektionsreservoir und Menschen stecken sich nur zufällig an. Obwohl sich Menschen bei einem tierischen Wirt infizieren können, sind sie für die Entwicklung des Erregers oder für die Erhaltung seines natürlichen Bestands nicht unbedingt erforderlich. Ein auffallendes Merkmal von Zoonosen oder der von Vektoren übertragenen und in Kap. 27 beschriebenen Infektionen ist, dass sie sich nur selten nachhaltig von Mensch zu Mensch weiter ausbreiten. Nicht immer ist bei diesen Infektionen ihr zoonotischer Ursprung eindeutig erkennbar. Die in diesem Kapitel berücksichtigte Tularämie kann z.B. durch direkten Kontakt mit einem Tierreservoir oder durch Vektoren übertragen werden. Auch die Pest ist hier abgehandelt, weil sie durch Rattenflöhe von infizierten Ratten übertragen wird, eine Kontaktinfektion zwischen Menschen ist jedoch ebenfalls möglich. Andere Zoonosen sind in ihrem jeweiligen Kontext dargestellt (Toxoplasmose in Kap. 23, Tollwut in Kap. 24, Salmonellose in Kap. 22, Psittakose in Kap. 19).
28.1
Arenavirusinfektionen
Arenaviren werden über Ausscheidungen von Nagetieren auf Menschen übertragen Viele Zoonosen werden von einzelsträngigen RNA-Viren mit Virushülle verursacht, den sog. Arenaviren (Abb. 28.1). Elektronenmikroskopisch sind in den pleomorphen Viruspartikeln Granula zu sehen, die an Sandkörner erinnern, was zu ihrer Bezeichnung als Arenaviren (latein. arena = Sand) geführt hat. Als Parasiten einer Reihe von Nagetieren rufen Arenaviren bei ihren Wirten harmlose lebenslange Infektionen hervor und werden so ständig im Urin oder Kot scheinbar gesunder Tiere ausgeschieden. Wenn sich Menschen über diese Quelle anstecken, können sich bei ihnen schwere und oft sogar tödliche Erkrankungen entwickeln. In Tab. 28.1 sind von Arenaviren verursachte Erkrankungen aufgeführt. Wie bei den meisten Zoonosen findet keine oder zumindest keine sehr erfolgreiche Übertragung von Arenavirusinfektionen zwischen Menschen statt. Es gab jedoch Fälle, in denen sich Ärzte und medizinisches Personal durch direkten Kontakt mit Blut oder Sekreten von Patienten mit Lassafieber infiziert haben. Die Inkubation dauert gewöhnlich 5–10 Tage.
871
Abb. 28.1 Elektronenmikroskopisches Bild vom „Budding“ (Ausknospen) eines LCM-Virus an der Oberfläche einer infizierten Zelle (LCM = lymphozytäre Choriomeningitis).
Typisch für Arenaviren sind sandartige Granula (mit freundlicher Genehmigung von K. Mannweiler und F. Lehmann-Grübe).
Tab. 28.1 Virale Fieber und hämorrhagische Krankheiten (durch Ansteckung bei Vertebraten oder unbekannte Infektionsquelle).
872
Arenavirusinfektionen werden serologisch, durch Virusisolierung oder Genomnachweis diagnostiziert In Speziallaboratorien kann die Labordiagnose mit spezifischen Antikörpertests, durch Virusgenomnachweis oder Virusisolierung gestellt werden. Zur Prävention sollte die Expositionsgefahr möglichst verringert werden. Wie wirksam solche Maßnahmen sein können, zeigt sich am Beispiel des Bolivianischen hämorrhagischen Fiebers; es trat nicht mehr auf, als Mäuse in Fallen gefangen wurden (s. Kasten 1). Durch frühzeitige Anwendung von Ribavirin kann man Lassafieber erfolgreich behandeln.
Das LCM-Virus (Auslöser der lymphozytären Choriomeningitis) kommt weltweit vor Sporadische Fälle einer lymphozytären Choriomeningitis traten bei Menschen mit einer Mäuseplage in der Wohnung auf, ganz vereinzelt aber auch bei Kindern, die scheinbar gesunde Hamster besaßen. Im Allgemeinen kommt es nur zu unspezifischem Fieber, gelegentlich kann sich eine aseptische lymphozytäre Meningitis entwickeln, die aber wieder ausheilt.
Das Lassafieber-Virus ist ein Arenavirus, mit dem Ratten in Teilen Westafrikas infiziert sind Menschen, die sich an infizierten Ratten (Mastomys natalensis, Vielzitzenratte) oder deren Urin anstecken, erkranken meist nur mit leichtem Fieber. Mit 300000 Patienten und jährlich 5000 Todesfällen ist das Lassafieber in einigen Landesteilen von Sierra Leone die häufigste fiebrige Infektionskrankheit bei Patienten in den Krankenhäusern. Wird das Virus über Blut und andere Körperflüssigkeiten stationärer Patienten auf das Klinikpersonal übertragen, führt es zu einer viel schwereren Verlaufsform mit hoher Sterblichkeit. Die mit Blutungen, (Kapillar-)Gefäßschäden, Hämokonzentration und Kollaps gekennzeichnete Krankheit wurde 1969 bei Amerikanern festgestellt, die in dem Dorf Lassa lebten. Man geht aber davon aus, dass die Infektion nur selten durch Tröpfchen zwischen Menschen übertragen wird. Lassafieber-Epidemien wurden aus Zentralafrika, Liberia, Nigeria und Sierra Leone gemeldet. Von Januar 1996 bis April 1997 starben in Sierra Leone 19% der 823 Erkrankten. Wegen der langen Inkubationszeit von 6–21 Tagen können Infizierte die Krankheit überallhin tragen. Daher muss nach einer Reise in Endemiegebiete bei unklarem Fieber unbedingt an ein Lassafieber gedacht werden.
873
28.2
Koreanisches hämorrhagisches Fieber
Auslöser ist das Hantaan-Virus, Nagetiere übertragen die Infektion Das Hantaan-Virus ist ein Bunyavirus, das bei Ratten und Mäusen zu einer harmlosen, persistierenden Infektion führt. Bei Menschen entwickelt sich nach Kontakt mit dem Urin infizierter Tiere eine fiebrige Erkrankung, oft mit Hypotonie, Blutungen und einem renalen Syndrom. Schwere Verlaufsformen traten bei amerikanischen Soldaten in Korea auf, während die Erkrankung in Osteuropa und Skandinavien nur mit leichten Beschwerden verbunden ist. Verwandte Viren US-amerikanischer Ratten und Mäuse führten zum Ausbruch einer Infektion im Südwesten der USA, bei der 26 Menschen an einer schweren Lungenkrankheit starben. Die Labordiagnose kann durch den Nachweis spezifischer IgM- oder IgG-Antikörper gestellt werden.
Geschichte der Mikrobiologie Bolivianisches hämorrhagisches Fieber: eine ökologische Lektion 1962 brach in der kleinen bolivianischen Stadt San Joaquin eine schwere, tödliche Infektionskrankheit aus. Die Patienten bekamen Fieber, Muskelschmerzen und ein Enanthem, gefolgt von Sickerblutungen aus Kapillargefäßen (capillary leakage), hämorrhagischem Schock und neurologischen Symptomen. Die Letalität bei dieser als „Bolivianisches hämorrhagisches Fieber“ bezeichneten Infektionskrankheit lag bei 15%. Trotz ausgiebiger Untersuchungen ließen sich keine Arthropoden als Vektor ermitteln, es deutete aber einiges darauf hin, dass Mäuse bei der Epidemie eine Rolle spielen könnten. Aufgrund dessen stellte man in der geplagten Stadt mehrere hundert Mausefallen auf. Das zeigte eine dramatische Wirkung auf die Inzidenz der Krankheit; mit dem Mäusefangen konnte die Epidemie gestoppt werden. Davon unabhängig konnte aus dem Gewebe einer vor Ort gefangenen Maus (Calomys callosus) ein Virus isoliert werden, das eine harmlose lebenslange Infektion verursachte und fortlaufend im Urin und Kot der Maus ausgeschieden wurde. Dieses „Machupo-Virus“ – wie man es nannte – gehört wie das Lassafieber- und das LCM-Virus zu den Arenaviren. Mit dem LCM-Virus (führt zu lymphozytärer Choriomeningitis) sind Hamster und Mäuse und mit dem Lassafieber-Virus eine afrikanische Rattenart infiziert. Für die natürlichen Tierwirte ist eine persistierende Infektion harmlos, doch wenn sich Menschen an den Tieren angesteckt haben, entwickelt sich bei ihnen oft eine schwere Krankheit. Aus dem Auftreten des Bolivianischen hämorrhagischen Fiebers lässt sich eine wichtige ökologische Lehre ziehen. Aufgrund der hohen Malaria-Inzidenz in San Joaquin wurde zur Bekämpfung der Moskitos großflächig DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) versprüht. Das DDT häufte sich unter anderem im Gewebe von Geckos (kleine Eidechsen, die Insekten fressen) an. Katzen, die diese Geckos fingen, starben an einer tödlichen DDT-Konzentration in der Leber. Mit der Ausdünnung des Katzenbestands konnten mehr Mäuse in menschliche Wohnsiedlungen eindringen. Die räumliche Nähe infizierter Mäuse zu Menschen bzw. Lebensmitteln führte schließlich zum Ausbruch der Epidemie (Abb. 28.2). 874
Abb. 28.2 Bolivianisches hämorrhagisches Fieber – eine wichtige ökologische Lektion.
DDT = Dichlordiphenytrichlorethan
28.3 Hämorrhagisches Fieber durch Marburg- oder Ebola-Virus-Infektionen
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Die Infektionsquelle der beiden hämorrhagischen Fiebersyndrome ist unbekannt In Zentral- und Ostafrika traten nach einer Marburg- oder Ebola-Virusinfektion Fälle von hämorrhagischem Fieber auf. Auslöser sind lange, fadenförmige, einzelsträngige RNA-Viren (Filoviridae). Bei den Patienten entwickeln sich Fieber, Blutungen, Ausschläge und Gerinnungsstörungen (disseminierte intravasale Koagulation, s. Kap. 17). Es gibt weder eine spezifische Behandlung noch einen Impfstoff für diese Virusinfektionen. Bei beiden Viren sind weder das Reservoir noch der natürliche Erhaltungszyklus bekannt. Die (nach der hessischen Stadt Marburg benannte) Marburg-Virus-Infektion wurde 1967 zum ersten Mal bei Laborarbeitern festgestellt, die mit infizierten Grünaffen aus Uganda in Kontakt gekommen waren. Da diese afrikanischen Affen aber nicht der natürliche Wirt des Virus sind, kennt man die eigentliche Infektionsquelle immer noch nicht. Die Letalität betrug 20%. Wie das Ebola-Virus ließ sich auch das Marburg-Virus noch Monate nach klinischer Besserung in der Samenflüssigkeit nachweisen; einer der Patienten infizierte seine Frau auf diesem Weg. Acht der 31 gemeldeten Infektionen endeten tödlich. Eine ähnliche Krankheit trat 1976 im Südsudan und im Flussgebiet des Ebola in Zaire (heutige Demokratische Republik Kongo) auf. Von den insgesamt 602 Erkrankten starben 397. In örtlichen Krankenhäusern kam es durch kontaminierte Spritzbestecke und Nadeln zur Übertragung zwischen Menschen. 1989 wurden versehentlich Affen, die mit einem ähnlichen Virus infiziert waren, von den Philippinen in die USA importiert. Einige der Affen starben; doch bei keinem der mindestens vier Menschen, die sich infiziert hatten, brach die Krankheit aus. 1995 forderte eine große Epidemie in Kikwit (Zaire) 244 Todesopfer unter den insgesamt 315 Infizierten. Weitere Ausbrüche wurden im Februar und Juli 1996 aus Gabun sowie im Jahr 2000 aus Norduganda gemeldet. Ohne Berücksichtigung dieser neueren Epidemien starben über 1000 der ca. 1500 infizierten Patienten.
28.4
Q-Fieber
Rickettsien (Coxiella burneti) sind Auslöser des QFiebers Noch Jahre nachdem das Q-Fieber 1935 zum ersten Mal in Australien aufgetreten war, blieb seine Ursache unklar (daher Q-Fieber, von query = fraglich). Der Auslöser, Coxiella burneti, unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von anderen Rickettsien (s. Kap. 27): ■
Er wird nicht von Arthropoden auf Menschen übertragen.
■ C. burneti ist relativ resistent gegen Austrocknung, Wärme und Sonnenlicht und ist deshalb stabil, wenn der Erreger als infektiöses Material eingeatmet wird.
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■ C. burneti entfaltet seine Wirkung eher in der Lunge als auf dem Gefäßendothel an anderen Körperstellen; daher entwickelt sich gewöhnlich kein Ausschlag.
Coxiella burneti wird über die Atemwege auf Menschen übertragen Viele Wild- und Haustiere können mit C. burneti infiziert sein. In manchen Ländern wie den USA gibt es trotz einer verbreiteten Durchseuchung des Nutzviehs nur wenige Fälle bei Menschen (in den USA weniger als 50 pro Jahr). Gefährdet sind vor allem Berufsgruppen, die mit infizierten Tieren bzw. der Plazenta von Muttertieren in Kontakt kommen und dabei die Keime in Aerosolform einatmen können (z.B. Tierärzte, Landwirte, Schlachthofarbeiter). Auch über die Milch und Gewebeflüssigkeit infizierter Kühe kann die Krankheit übertragen werden. Inhalierte Keime vermehren sich in den Endästen der Bronchien in der Lunge. Etwa drei Wochen später treten Fieber, starke Kopfschmerzen und oft auch Atembeschwerden oder eine atypische Pneumonie bei den Patienten auf. Wenn die Rickettsieninfektion auf die Leber übergreift, entwickelt sich meist eine Hepatitis. Innerhalb von zwei Wochen erholen sich die meisten Patienten wieder völlig. Falls die Erkrankung chronisch wird, kann es zu einer Herzbeteiligung (Endokarditis) mit Thrombozytopenie und Purpura kommen. Unbehandelt kann diese Form des Q-Fiebers zum Tode führen.
Q-Fieber wird serologisch diagnostiziert und antibiotisch behandelt Als signifikant ist ein vierfach oder noch stärker erhöhter Antikörpertiter in der KBR (Komplementbindungsreaktion) anzusehen. Es gibt zwei Antigentypen (Phase 1 und 2) der Rickettsien-Lipopolysaccharide (LPS). Bei akutem Q-Fieber sind nur Antikörper gegen Phase 2 und bei der chronischen Form Antikörper gegen beide Phasen nachweisbar. Der Weil-Felix-Test ist nicht gebräuchlich (s. Kap. 27). Akute Infektionen werden mit oralen Tetrazyklinen behandelt, bei chronischen Infektionen kann eine Arzneimittelkombination wie Rifampicin und Doxycyclin oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol angebracht sein. Für Risikogruppen steht ein Totimpfstoff zur Verfügung. Beim Pasteurisieren der Milch werden Rickettsien zerstört.
28.5
Milzbrand (Anthrax)
Auslöser von Milzbrand ist Bacillus anthracis und es erkranken vor allem Pflanzenfresser Bacillus anthracis ist ein großes Gram-positives, aerobes und unbewegliches Stäbchen. Die meisten Vertreter der Bacillus-Familie sind harmlose Saprophyten, die in Böden, Wasser, Luft und Pflanzenvegetation vorkommen. Bacillus cereus kann zwar eine Lebensmittelvergiftung auslösen, doch als Krankheitserreger sind in erster Linie die Milzbrandbazillen wichtig. Nur B. anthracis besitzt eine Kapsel, die ihn durch ihren D-
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Glutaminsäure-Gehalt vor der Phagozytose schützt. Seine Sporen können jahrelang im Boden überstehen. An Milzbrand erkranken Pflanzenfresser wie Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde, die die Bakterien in ihrem Kot, Urin oder Speichel ausscheiden. Menschen sind relativ resistent. Die Verbreitung der Krankheit beschränkt sich größtenteils auf die Entwicklungsländer (Teile von Asien, Afrika, Mittlerer Osten). Menschen infizieren sich durch direkten Kontakt mit kranken Tieren oder über sporenhaltige Tierprodukte mit Milzbrand. Die Sporen von B. anthracis können über Haut- oder Schleimhautwunden in den Körper eindringen, in seltenen Fällen auch über die Atemwege. In höher entwickelten Ländern sind nur noch gelegentlich Tiere befallen; auch Menschen infizieren sich eher selten, und wenn, dann meist über importierte Waren (Tierfelle, Wolle, Ziegenhaare und Borsten, Knochen oder Knochenmehl in Düngern). Von Terroristen wurden Milzbrandsporen bereits als biologische Waffen eingesetzt.
Typisch für Milzbrand ist ein schwarzer Karbunkel; unbehandelt kann die Erkrankung tödlich enden Nachdem die Sporen von B. anthracis an der Eintrittsstelle im Gewebe ausgekeimt sind, vermehren sich die Milzbrandbakterien und bilden ein Toxin. Das schützende Antigen, der Ödemfaktor (Adenylatcyclase) und der letale Faktor, aus denen das Anthraxtoxin besteht, sind alle auf Plasmiden kodiert. Um toxisch zu wirken, muss neben dem protektiven Antigen noch mindestens einer der beiden anderen Faktoren vorhanden sein. Durch die antiphagozytisch wirkende Bakterienkapsel wird die Wirtsabwehr gehemmt (s. Kap. 14). Übliche Eintrittspforte für den Milzbranderreger ist die Haut. Je mehr toxisches Material sich anhäuft, desto eher bilden sich Ödeme und Schwellungen. Innerhalb von 12–36 Stunden entwickelt sich ein Knötchen. Während der Ulzeration (geschwürige Veränderung) der Papel wird ihr Zentrum schwarz und nekrotisch. Der Karbunkel (auch als Pustula maligna bezeichnet, obwohl er keinen Eiter enthält), der dabei entsteht, ist schmerzlos und oft ringförmig von Bläschen umstanden (Abb. 28.3). Die Bakterien breiten sich auf die Lymphgefäße aus und treten in etwa 10% der Fälle ins Blut über, so dass es zur Septikämie kommt. Fortgesetzte Vermehrung und Toxinbildung bewirken eine allgemeine Toxizität und Ödembildung, die letztlich tödlich sind. Wenn eingeatmete Sporen in Alveolarmakrophagen in der Lunge eingedrungen sind, führt das Bakterienwachstum zum Lungenödem mit mediastinalen Blutungen und bei Streuung ins Blut schließlich zum Tod. Lungenmilzbrand ist in den meisten höher entwickelten Ländern inzwischen eine Seltenheit geworden; früher galt er dort als Krankheit der Wollsortierer.
Abb. 28.3
Hautmilzbrand.
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a) Typischer schwarzer Karbunkel mit einem Ring von Bläschen. b) Acht Tage später hat sich der Karbunkel über die mit Bläschen bedeckte Fläche hinaus vergrößert, während die ödematöse Schwellung zurückgegangen ist (mit freundlicher Genehmigung von F.J. Nye).
Milzbrand wird mittels Erregeranzucht diagnostiziert und mit Penicillin behandelt In Ausstrichen aus Hautläsionen sind die Gram-positiven Stäbchen mikroskopisch erkennbar. Zur Sicherung der Diagnose und zur Abgrenzung von B. anthracis gegenüber apathogenen Bacillus spp. wird eine Kultur angelegt. Auf vorhandene Bakterien weisen Antikörper gegen Toxinantigene hin. Milzbrand lässt sich erfolgreich behandeln, wenn frühzeitig und hoch dosiert Penicillin verabreicht wird. Bei einer Penicillinallergie kann stattdessen Erythromycin oder
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Tetracyclin gegeben werden. Unbehandelt ist Hautmilzbrand in 10–20% der Fälle tödlich.
Eine Prävention ist möglich, Milzbrand tritt vorwiegend in Entwicklungsländern auf Tiere können zum Schutz vor Milzbrand mit avirulentem Lebendimpfstoff geimpft werden. Infizierte Tiere sollten isoliert, getötet und ohne vorherige Autopsie vergraben oder verbrannt werden. Für Menschen mit erhöhtem Risiko steht ein Impfstoff aus gereinigtem protektivem Antigen zur Verfügung. Durch streng kontrollierte Desinfektion importierter Tierprodukte (Felle, Haare oder Wolle) lässt sich die Infektionsgefahr für Menschen deutlich reduzieren.
28.6
Pest
Yersinia pestis infiziert Nagetiere, die Übertragung auf Menschen erfolgt durch Flöhe Yersinia pestis ist ein kleines Gram-negatives Stäbchen und verdankt seine Virulenz u. a. einer Kapsel, die es vor Phagozytose schützt. Sein Wildtierreservoir sind Ratten, Eichhörnchen, Wüstenrennmäuse, Feldmäuse und andere Nagetiere, bei denen die Infektion meist in milder Form verläuft. Zwischen infizierten Tieren und auf Menschen wird die Infektion durch Flöhe übertragen (Abb. 28.4). Die wichtigste Infektionsquelle für Stadtbewohner waren jedoch Ratten, und zu bestimmten Zeiten wurde die Bevölkerung so stark dezimiert, dass sich die Pest auf den Lauf der Geschichte auswirkte. Im 14.Jahrhundert starb ein Viertel der europäischen Bevölkerung in Pestepidemien (s. Kasten 2). Seitdem sie Anfang des 20.Jahrhunderts auch Nordamerika erreichte, ist die Pest im Westen der USA endemisch bei wilden Nagetieren verbreitet. Heute ist die Pest in Europa ausgesprochen selten geworden und in den USA praktisch nicht existent. Der RattenflohXeopsylla cheopsis überträgt die Infektion zwischen Ratten und von Ratten auf Menschen. Yersinia pestis bringt Blut im Darm der Flöhe zum Gerinnen und verlegt nach reichlicher Vermehrung in den Blutgerinnseln schließlich die Lichtung, so dass Flöhe infiziertes Material hochwürgen müssen, wenn sie Blut saugen wollen. Sobald infizierte Ratten erkranken, werden sie von ihren Flöhen verlassen und diese können einen Menschen stechen. Auf diese Weise infizieren sie Menschen mit der „Bubonenpest“, die im Allgemeinen nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird. Wenn sich die Bakterien aber massenhaft in der Lunge repliziert haben, kann es zur Bronchopneumonie mit großen Bakterienmengen im Sputum kommen, so dass sie sich in dem Fall auch als Tröpfcheninfektion auf andere Menschen ausbreiten. Die „Lungenpest“ bricht sehr plötzlich aus.
Abb. 28.4
Epidemiologie der Pest.
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Endemische Infektionen sind bei Nagetieren in Indien, Südostasien, Südafrika, Südamerika, Mexiko und im Westen der USA verbreitet. In diesen Teilen der Welt treten immer wieder sporadische Fälle von Pest auf, z.B. wenn sich Jäger in den USA an infizierten Präriehunden anstecken, oder auch sonst überall in der Landbevölkerung.
Klinische Zeichen sind Bubonen, Pneumonie und eine hohe Todesrate Direkt an der Eintrittsstelle in der Haut vermehren sich die Bakterien, bevor sie sich auf dem Lymphweg in lokale und regionale Lymphknoten ausbreiten. Unter den Virulenzfaktoren, die sie ausbilden, befinden sich neben einem antiphagozytischen Kapselantigen (Fraktion 1, plasmidkodiert) ein Endotoxin und verschiedene andere Proteintoxine. Achselhöhlen- oder Leistenlymphknoten werden daraufhin sehr druckempfindlich und vergrößern sich 2–6 Tage nach dem Flohstich zu Pestbeulen (Bubonen) mit hämorrhagischer Entzündung. Die Patienten entwickeln Fieber. Bei leichteren Formen kommt die Infektion in dieser Phase zum Stehen, doch bei Ausbreitung ins Blut können oft Septikämie und ein hämorrhagisches Syndrom mit multipler Organbeteiligung (Milz, Leber, Lunge, ZNS) die Folge sein. 881
Häufige Komplikationen sind disseminierte intravasale Koagulation (DIC), Pneumonie und Meningitis. Unbehandelt hat die Bubonenpest eine Letalität von 50%, die Lungenpest ist sogar fast zu 100% tödlich. Nach der Erholung von der Krankheit besteht Immunität und alle Bakterien sind aus dem Körper entfernt.
Pest wird mikroskopisch diagnostiziert und antibiotisch behandelt Die Erreger können aus aspirierter Lymphknotenflüssigkeit oder aus Sputum (im Fall der Lungenpest) gewonnen werden und lassen sich nach Giemsa oder Gram bzw. mit einer bipolaren (Fluoreszenzantikörper-)Färbung anfärben und sind auch anzüchtbar. Zur Behandlung der Pest werden Streptomycin und/oder Tetrazykline angewandt. Zur Pestprävention dienten folgende Maßnahmen: ■
klassische Quarantäne in Häfen und auf Schiffen
■ Bekämpfung von Nagetieren (vor allem Ratten) nach der Landung von Schiffen oder Flugzeugen in pestfreien Ländern ■
strenge Isolierung von Pestkranken
■ Chemoprophylaxe (mit Tetrazyklin) während einer Epidemie oder vor einem Besuch betroffener Gebiete ■ Impfung von Soldaten oder Angehörigen bestimmter Berufsgruppen vor dem Einsatz in Endemiegebieten Der Impfstoff besteht aus Formalin-inaktivierten Bakterien und verleiht Teilimmunität.
Geschichte der Mikrobiologie Der Schwarze Tod (England im 14. Jahrhundert) Über tausende Jahre war Yersinia pestis bei Nagetieren im Fernen Osten endemisch, und gelegentlich brachen auch in Europa und anderswo Epidemien aus. Im Januar 1348 brachten drei mit Gewürzen beladene Schiffe aus dem Osten die Pest an Bord nach Italien mit, in den Hafen von Genua. Aus unbekannten Gründen wurde die Krankheit als „Schwarzer Tod“ bezeichnet. Sie breitete sich rasch über Europa aus und erreichte London im Dezember 1348. Nach mittelalterlicher Vorstellung waren die Schnelligkeit und Heftigkeit, mit der sich die Krankheit (im Winter in Form der Lungenpest) von Mensch zu Mensch ausbreitete, das schrecklichste Merkmal. Besonders in den wärmeren Sommermonaten war auch die Bubonenpest wichtig, da in jedem Haushalt mindestens eine Rattenfamilie und auf jeder Ratte mindestens drei Flöhe lebten. Die Pest wurde Erdbeben oder planetaren Bewegungen zugeschrieben, man vermutete in ihr eine Verschwörung von Juden oder Arabern (während der großen Pestepidemie fanden in Europa über 350 Massaker an Juden statt), doch am häufigsten sah man sie als Strafe Gottes für menschliche Sünden. Man konnte sich infizieren, ohne je ein Pestopfer berührt zu haben, und vielen schien es, als läge so etwas wie eine
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ungesunde Ausdünstung oder ein Gift in der Luft. Ärzte trugen seltsam anmutende Masken, und infizierte Häuser wurden stigmatisiert und gemeinsam mit ihren Bewohnern hinter Zäunen abgeschottet. Trotzdem war es unmöglich, alle Kranken zu isolieren. Der Tod traf Reiche und Arme. In England starben in zweieinhalb Jahren rund 35% der damaligen Bevölkerung (über eine Million der insgesamt vier Millionen Einwohner Englands). Aus unklaren Gründen war die Mortalität im Klerus besonders hoch, denn von den Geistlichen starben fast 50%. In ganz Europa forderte die Pest mindestens 25 Millionen Menschenleben und war eine Katastrophe für die Menschheit mit lang anhaltenden Folgen für die Wirtschafts- und Sozialstruktur. Im 14.Jahrhundert gab es in England noch fünf kleinere Pestepidemien. Seinen Eindruck von der Pestepidemie im Jahr 1665, ein Jahr vor dem großen Brand in London, hat der damals erst 5-jährige Daniel Defoe in einer Zeichnung für sein Journal of the Plague Year in London (Tagebuch vom Londoner Pestjahr) festgehalten. Die letzte Pandemie trat in China auf und erreichte 1894 auch Hongkong, wo Yersin und unabhängig von ihm auch Kitasato Yersinia pestis als auslösenden Mikroorganismus beschrieben.
Abb. 28.5
Eröffnung einer Pestbeule (Bubo).
Holzschnitt aus Deutschland, 15.Jahrhundert (mit freundlicher Genehmigung der WHO).
28.7
Yersinia-enterocolitica-Infektion 883
Yersinia enterocolitica ist Auslöser von Durchfallerkrankungen (s. Kap. 22) und wird hier nur erwähnt, weil Nagetiere, Kaninchen, Schweine und andere Nutztiere sein Reservoir bilden.
28.8
Tularämie
Auslöser der Tularämie ist Francisella tularensis und Überträger sind Arthropoden Verursacht wird die Tularämie durch ein kleines Gram-negatives Stäbchen. Francisella tularensis wurde erstmals 1912 bei Nagetieren in Tulare County (Kalifornien) isoliert, doch erst später konnte Edward Francis nachweisen, dass es auch zur Erkrankung von Menschen führen kann. In vielen Ländern der nördlichen Halbkugel (besonders Arkansas und Missouri in den USA, Russland, Skandinavien, Spanien) hat Francisella tularensis ein Reservoir in Nagern und zahlreichen anderen Wildtieren, kommt aber auch in verseuchtem Wasser vor. Die nordamerikanische Variante führt zu einer schwereren Verlaufsform als in Europa und Asien. Bei infizierten Tieren tritt eine pestartige Erkrankung auf, die von Zecken, Milben, Läusen und Stechfliegen übertragen wird. Bei Zecken kann über die Eier infizierter Dermacentor-Weibchen auch eine vertikale Übertragung (auf die nachfolgende Generation) stattfinden. Menschen infizieren sich nur sporadisch, z.B. über Tierkadaver (beim Enthäuten von Hasen, Wildkaninchen, Bisamratten) oder Insektenstiche; eine Ansteckung zwischen Menschen kommt nicht vor.
Typisches Symptom sind schmerzhaft geschwollene Lymphknoten F. tularensis befällt das retikuloendotheliale System, hält sich als intrazellulärer Parasit in Makrophagen auf und verhindert die Verschmelzung von Phagosom und Lysosom. Geschützt durch seine antiphagozytische Kapsel breitet sich der Erreger an der Eintrittsstelle weiter aus, bis sich innerhalb von 3–5 Tagen ein Hautgeschwür entwickelt hat; dazu kommt leichtes Fieber. Infolge einer lymphogenen Aussaat können regionale Lymphknoten schmerzhaft anschwellen. Nicht selten kommt es nach der Einschwemmung ins Blut zu einer Lungen-, MagenDarm- und Leberbeteiligung, wobei sich granulomatöse Knötchen um die infizierten retikuloendothelialen Zellen bilden oder auch Ausschlag auftreten kann. Unbehandelt liegt die Letalität der Tularämie bei 5–15%. Durch Schmierinfektion (mit den Fingern) können sich Bindehaut oder Mundschleimhaut infizieren und entsprechende Augenbzw. Mundsymptome hervorgerufen werden. Seltener führt eine Tröpfcheninfektion zu einer Erkrankung mit Fieber und respiratorischen Symptomen.
Eine Tularämie wird serologisch diagnostiziert und mit Streptomycin behandelt Infiziertes Gewebe kann mithilfe der Antikörper-Fluoreszenzfärbung untersucht werden, doch weil das Risiko einer Laborinfektion sehr hoch ist, wird eine Erregerisolierung
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nicht allzu oft versucht. Stattdessen werden verbreitet Antikörpernachweismethoden angewandt. Mit Streptomycin ist ein wirksames Mittel zur Behandlung verfügbar und für Personengruppen mit Berufsrisiko (z.B. Pelzjäger) steht eine attenuierte Lebendvakzine bereit. Zur Sicherheit sollten beim Abhäuten oder Ausweiden von Tieren Handschuhe getragen werden; man sollte sich außerdem auch vor Zeckenbissen schützen.
28.9
Pasteurella-multocida-Infektion
Als Bestandteil der normalen Mundflora von Katzen und Hunden wird Pasteurella multocida durch Tierbisse auf Menschen übertragen Pasteurella multocida ist ein bekapseltes, Gram-negatives Stäbchen mit unterschiedlichen Kapseltypen und weltweit verbreitet. Als Bestandteil der normalen Mundflora von Katzen, Hunden und anderen Haus- oder Wildtieren kann Pasteurella bei Tieren auch zu Pneumonie und Septikämie führen. Eine Übertragung auf Menschen erfolgt durch Tierbisse (besonders von Katzen) oder Kratzwunden.
Die Infektion verursacht eine Zellulitis, wird mikroskopisch diagnostiziert und mit Penicillin behandelt Innerhalb von ein oder zwei Tagen führt die lokale Vermehrung der Bakterien zu Zellulitis und Lymphadenitis; oft sind in den Läsionen noch andere Bakterien vorhanden, unter anderem auch Anaerobier. Bei geschwächter Immunabwehr kann sich die Infektion systemisch ausbreiten. Zu den Virulenzfaktoren von P. multocida gehören ein Endotoxin und die Kapsel. P. multocida kann aus Wundmaterial angezüchtet und identifiziert werden. Als wirksame Behandlung bietet sich Penicillin an; zur Prophylaxe nach einem Katzenoder Hundebiss wird Ampicillin eingesetzt. Bisswunden sollten gesäubert und an den Rändern ausgeschnitten werden (Débridement).
28.10 Leptospirose Auslöser ist Leptospira interrogans, eine Spirochäte, die Säugetiere (z.B. Ratten) befällt Leptospiren sind 5–15 μm lange, stark spiralig gewundene Spirochäten. Sie zeigen aktive Drehbewegungen und haben an beiden Enden je eine Geißel, die aber wie bei Borrelien im Zellinnern lokalisiert sind. Da sie sich nicht besonders gut anfärben, lassen sich ihre zarten Umrisse am besten mit der Dunkelfeldmikroskopie untersuchen. Neben den zwei bekannten Spezies (mit jeweils mehreren Serotypen) könnten noch andere existieren. Leptospira biflexa ist eine frei lebende und L. interrogans eine 885
pathogene Art. Dass die Enden von L. interrogans wie ein Fragezeichen gebogen sind, erklärt den Namen dieser Spezies. In unterschiedlichen Erdteilen sind zahlreiche Haus- und Wildtiere (Säuger) mit L. interrogans infiziert (Tab. 28.2). Wichtige Infektionsquellen sind vor allem Hunde und Ratten. Bei infizierten Tieren entwickelt sich eine chronische Niereninfektion mit Ausscheidung großer Bakterienmengen im Urin. Obwohl Spirochäten rasch austrocknen oder durch Erhitzen, Detergenzien oder Desinfektion zerstört werden, können sie in stehenden Gewässern (mit alkalischem pH) oder in feuchten Böden wochenlang überleben. Menschen infizieren sich, wenn sie kontaminiertes Wasser oder Nahrung aufnehmen bzw. damit in Berührung kommen. Dank ihrer Motilität können die Bakterien in Hautoder Schleimhautwunden eindringen, so dass sich Menschen beim Baden, Arbeiten oder Spielen in verseuchtem Wasser infizieren können. Gefährdet sind vor allem Bergleute, Bauern, Arbeiter in Kläranlagen und Wassersportler. Aus England und Wales werden jährlich rund 60 Fälle und aus den USA jährlich ca. 100 Fälle gemeldet. Auch wenn Leptospiren im menschlichen Urin ausgeschieden werden, kommt es nur sehr selten zu einer Ansteckung unter Menschen. Immunität wird jeweils nur gegen einen bestimmten Serotyp erworben.
Klinische Zeichen der Leptospirose sind Nieren- und Leberversagen Wenn Bakterien ins Blut eingeschwemmt wurden, tritt nach 1- bis 2-wöchiger Inkubationszeit eine fieberhafte, grippeartige Krankheit auf. In rund 90% der Fälle klingt sie folgenlos ab, doch die Bakterienvermehrung führt unter Umständen auch zu: ■
Hepatitis, Gelbsucht und Blutungen in der Leber,
■
Urämie und Bakteriurie (Nieren),
■ aseptischer Meningitis, Blutungen in Bindehaut oder Skleren, im Liquor und im Oberarmknochen (Abb. 28.6). Die Symptome beruhen im Wesentlichen auf der Schädigung des Gefäßendothels, während das Krankheitsbild in gewissem Maße vom beteiligten Leptospirentyp abhängt. Als schwerste Form der Leptospirose tritt bei 5–10% der Patienten die Weil-Krankheit mit hämorrhagischen Komplikationen, Leber- und Nierenversagen auf.
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Tab. 28.2 Wichtige serologische Untergruppen von Leptospira interrogans und Krankheiten, die sie verursachen.
Eine Leptospirose wird mikroskopisch und serologisch diagnostiziert und antibiotisch behandelt Oft lässt sich anamnestisch eine Ansteckungsquelle ermitteln. Man kann die Bakterien aus Blut-, Liquor- und Urinproben isolieren und durch Agglutinationstests ist auch ein Anstieg serotypspezifischer Antikörper nachweisbar. Penicillin und Tetrazykline haben sich als wirksam erwiesen, wenn sie ein oder zwei Tage nach Auftreten der Symptome verabreicht wurden. Durch Doxycyclin-Gabe nach einer möglichen Exposition lässt sich ein Ausbruch der Krankheit verhindern. Weitere Präventionsmaßnahmen sind: ■
Nagetier-/Rattenbekämpfung
■
Schutzkleidung
■ Penicillin-Prophylaxe bei Gefährdeten nach Schnittwunden oder Abschürfungen.
28.11 Rattenbissfieber (Sodoku) Das Rattenbissfieber ist als bakterielle Infektion durch Nagetier-/Rattenbisse auf Menschen übertragbar Die seltene, weltweit verbreitete Krankheit wird entweder durch Spirillum minus, einen Gram-negativen spiralförmigen Keim (Spirillenfieber, Spirillose), oder durch Streptobacillus moniliformis, einen Gram-negativen, fadenförmigen Erreger (HaverhillFieber), verursacht. Beide Bakterienspezies sind bei 50% der gesunden Wildtyp- und Laborratten sowie bei anderen Nagetieren in der Mund-/Rachenflora nachzuweisen und werden durch Bisse auf Menschen übertragen.
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Abb. 28.6 Konjunktivalblutungen bei einem ikterischen Patienten mit Leptospirose.
(Mit freundlicher Genehmigung von D. Lewis)
Zu den Symptomen können auch Endokarditis und Pneumonie gehören Nach einer Inkubationszeit von 7–10 Tagen entwickeln sich Fieber, Kopfschmerzen und Myalgie. Durch Bakterienvermehrung an der Bissstelle tritt im Fall von S. moniliformis eine lokale Entzündung auf. Bei weiterer Ausbreitung der Infektion auf Lymphknoten und ins Blut kommt es zu Lymphadenopathie, Ausschlag und Arthralgie. Unbehandeltes Fieber neigt zu Rezidiven. Wenn Komplikationen wie Endokarditis und Pneumonie hinzukommen, kann die Letalität bei unbehandelten Patienten auf 10% ansteigen.
Rattenbissfieber kann durch mikroskopische Untersuchung oder Kulturen festgestellt werden und wird mit Antibiotika behandelt S. moniliformis kann aus Wunden, Lymphknoten oder Blutproben angezüchtet werden. Da sich Spirillum minus nicht kultivieren lässt, muss dieser Erreger durch Dunkelfeldmikroskopie im Gewebe nachgewiesen werden. Penicillin und Streptomycin sind therapeutisch wirksam. Zur Prävention dienen Maßnahmen wie: ■
Rattenbekämpfung und
■
bei Laborangestellten Schutz vor Rattenbissen. 888
28.12 Brucellose Auslöser der weltweit verbreiteten Brucellose sind Brucellen Brucellen sind kleine, Gram-negative, unbewegliche Stäbchen, die sich intrazellulär replizieren. Bei den vier Spezies – Brucella abortus, B. melitensis, B. suis, B. canis –, die zu Erkrankungen des Menschen führen, handelt es sich möglicherweise nur um Varianten von B. melitensis. Die drei Erstgenannten besitzen gemeinsame A- und MAntigene (bei B. abortus überwiegen A-Antigene, bei B. melitensis M-Antigene), nur B. canis unterscheidet sich von den anderen. Brucellen sind zwar in erster Linie tierpathogen, doch Menschen können sich an infizierten Tieren oder Tierprodukten anstecken (Abb. 28.7). ■ B. abortus infiziert weltweit Kühe/Rinder, konnte aber in mehreren Ländern ausgerottet werden. Bei Menschen tritt nur eine leichte Krankheitsform auf. ■ B. melitensis infiziert Ziegen und Schafe und ist besonders in Mittelmeerländern (Malta und anderswo), Mexiko und Südamerika verbreitet. Bei Menschen tritt eine schwerere Krankheitsform auf. ■ B. suis infiziert Schweine in den USA (und ist dort wichtigste Ursache einer Brucellose), in Südamerika und Südostasien. Bei Menschen verursacht es eine schwere Erkrankung mit destruierenden Läsionen. ■ B. canis infiziert Hunde, kommt sehr selten vor und verursacht bei Menschen nur leichte Erkrankungen. Da Brucellen bei Kühen und Ziegen auch die Plazenta und Brustdrüsen befallen, können sie zu einem infektiösen Abort führen und über längere Zeit in der Milch ausgeschieden werden. Die Keime sind auch in vaginalem Ausfluss, Kot und Urin der Tiere enthalten. Bei Menschen tritt eine Brucellose in Form von undulierendem Fieber (Maltafieber) auf, wenn die Bakterien über Hautabschürfungen, aus dem Verdauungstrakt oder – am häufigsten – über die Atemwege in den Körper gelangen. Besonders häufig sind daher Landwirte, Veterinäre und Schlachthofarbeiter betroffen. Seltener sind unpasteurisierte Kuhmilch (Großbritannien, USA), Ziegenmilch bzw. -käse (Mittelmeerländer) die Infektionsquelle. Zwischen Menschen findet keine Übertragung statt. Trotz weltweiter Verbreitung kommt die Infektion in den entwickelten Ländern nur höchst selten vor.
Abb. 28.7
Übertragungsweg der Brucellose.
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Menschen infizieren sich durch Tierkontakte oder beim Verzehr infizierter Tierprodukte.
Symptome wie undulierendes Fieber und Chronifizierung sind immunvermittelt Von ihrer Eintrittsstelle breiten sich die Bakterien auf lokale und regionale Lymphknoten und über den Ductus thoracicus ins Blut aus (septikämische Phase). Nachdem sie Zellen des retikuloendothelialen Systems (Leber, Milz, Knochenmark, Lymphgewebe) infiziert haben, können die Brucellen dort längere Zeit unbeschadet überstehen. Folgen der entzündlichen (granulomatösen) Reaktion sind Epitheloidund Riesenzellen, zentrale Nekrose und periphere Fibrose. In den meisten Fällen verläuft die Infektion subklinisch. Nach 1- bis 3-wöchiger Inkubation entwickelt sich die akute Brucellose schleichend mit Symptomen wie Abgeschlagenheit (Krankheitsgefühl), Fieber, Schweißausbrüchen, Schmerzen und Schwäche. Nur bei einer Minderheit der Patienten tritt ein undulierendes (wellenförmig ansteigendes und abfallendes) Fieber auf. Manchmal sind vergrößerte Lymphknoten, Splenomegalie und Hepatitis (Abb. 28.8) nachzuweisen. Aus Knochenmarkläsionen kann sich eine Osteomyelitis entwickeln, und gelegentlich kommen Cholezystitis, Endokarditis oder Meningitis hinzu. Trächtige Tiere 890
(Kühe, Säue, Ziegen) können auf die Infektion mit Abort reagieren. Das ist bei Frauen nicht der Fall, weil ihnen der Zuckerbaustein Erythritol fehlt, der das Bakterienwachstum in der Plazenta stimuliert. Die meisten Patienten erholen sich nach ein paar Wochen oder Monaten wieder, doch nach mehr als einjähriger Krankheitsdauer kann sich eine chronische Brucellose mit Müdigkeit, Schmerzen, Angstzuständen, Depression und gelegentlichem Fieber entwickeln. Rückfälle oder Remissionen sind möglich. Bei chronischer Brucellose lassen sich keine Bakterien mehr isolieren, daher ist die Diagnose oft schwierig zu stellen. Auch wenn sich im Allgemeinen hohe Titer in der Agglutinationsreaktion zeigen, spielen Antikörper bei den intrazellulären Parasiten eine unwichtigere Rolle als die zellvermittelte Immunität.
Abb. 28.8 Im Computertomogramm ist die Hepatosplenomegalie bei Brucella-melitensisInfektion erkennbar.
(Mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs)
Die Brucellose wird serologisch diagnostiziert und mit Antibiotika behandelt Brucellen lassen sich in einigen Fällen nach dem Anlegen von einer Blutkultur (oder aus Knochenmark-, Lymphknotenbiopsien, Urinproben) isolieren. Das kann bis zu 4 Wochen dauern. In der Akutphase sind IgM-Antikörper und bei chronischer Brucellose IgG- und IgA-Antikörper vorhanden. Ein Titeranstieg deutet auf eine aktive Infektion hin.
891
Brucellen sprechen auf Tetrazykline und Streptomycin an; auch Cotrimoxazol kommt zum Einsatz. Aufgrund der intrazellulären Lokalisation sind bei diesen Bakterien längere Therapiezyklen nötig (über 3 Monate). Beim Pasteurisieren von Milch werden die Brucellen zerstört. In den USA und Großbritannien geht die Zahl der Brucellose-Fälle seit der Durchführung groß angelegter Eradikations- und Kontrollprogramme allmählich zurück (aus den USA werden derzeit ca. 100 Fälle/Jahr gemeldet). Wer Kontakt zu infizierten Tieren haben könnte (Landwirte, Tierärzte, Schlachter), sollte Schutzkleidung und Schutzbrille tragen. Für Menschen steht noch kein Impfstoff zur Verfügung, der zufrieden stellend wirksam wäre. Nach unabsichtlicher Eigeninjektion der Lebendvakzine S19 für Tiere trat bei Tierärzten eine leichte Form der Erkrankung auf.
28.13 Wurmbefall/Helmintheninfektionen Nur wenige Wurminfektionen sind echte multisystemische Erkrankungen Es war in gewisser Weise eine willkürliche Entscheidung, bestimmte Helmintheninfektionen in dieses Kapitel über multisystemische Zoonosen mit aufzunehmen. Viele Wurmparasiten kann man sich über Tierkontakte zuziehen. Einige durchlaufen Entwicklungsstadien, in denen sie in unterschiedliche Körpersysteme eindringen, während andere primär in einem bestimmten Organ lokalisiert sind, aber sehr weitreichende pathologische Veränderungen hervorrufen. Umgekehrt können Würmer zwar in bestimmten Stadien überall im Körper verteilt sein, sich aber auf ein ganz bestimmtes Organ pathologisch auswirken. Einige Beispiele: ■ Larven des Schweinebandwurms(Taenia solium) entwickeln sich in unterschiedlichen Geweben, wie etwa in Muskeln, und verursachen eine Zystizerkose. Trotzdem betreffen die schwersten pathologischen Auswirkungen das ZNS; daher ist die Zystizerkose in Kap. 24 abgehandelt. ■ Nach einer Infektion mit Wurmeiern des Hundebandwurms(Toxocara canis) wandern die geschlüpften Larven durch den ganzen Körper; dieser Zustand wird als Larva migrans visceralis bezeichnet. Die schwersten pathologischen Folgen sind wiederum mit Larven im ZNS (s. Kap. 24) oder in den Augen (s. Kap. 25) verbunden. Doch drei Wurmarten können tatsächlich als Helminthen mit multisystemischer Wirkung aufgefasst werden: ■
der Bandwurm Echinococcus granulosus,
■
die Rundwürmer Trichinella spiralis und
■
Strongyloides stercoralis.
28.13.1
Echinokokkose
892
In adulter Form sind Echinokokken winzige Hundebandwürmer und in Larvenform verursachen sie Hydatidenzysten bei Menschen Die adulten Würmer leben als winzige (3–5 mm lange) Bandwürmer im Darm des Hundes. Im Hundekot ausgeschiedene Wurmeier können in der Umwelt lange Zeit unbeschadet überleben. Wenn sie (von Schafen oder unabsichtlich von Menschen) verschluckt werden, schlüpfen daraus im Dünndarm Larven, die über die Schleimhaut in Blutgefäße eindringen und sich meist im Kapillarbett der Leber, aber auch in der Körperhöhle, in Lunge, Gehirn, Augen, Rückenmark oder Röhrenknochen einnisten. Dort wachsen sie allmählich zu großen, dickwandigen, mit Flüssigkeit gefüllten Hydatidenzysten heran, die sich weitgehend durch mechanischen Druck pathologisch auswirken (Abb. 28.9).
Eine Echinokokkose bzw. Hydatidose wird durch bildgebende Verfahren, mikroskopische oder serologische Untersuchungen diagnostiziert, sie wird mit Praziquantel und chirurgisch behandelt Durch Röntgen, Ultraschall oder CT können die Hydatidenzysten entdeckt werden. Zur Sicherung der Diagnose können serologische Untersuchungen durchgeführt werden, jedoch mit variabler Sensitivität und Spezifität. Die endgültige Bestätigung der Diagnose liefern Haken oder Skolexstücke in der aspirierten Zystenflüssigkeit.
893
Abb. 28.9
Hydatidenzysten.
a) Patienten mit deutlicher Vorwölbung des Abdomens durch Hydatidenzysten in der Leber. b) Das Bronchogramm zeigt links unten in der Mitte eine Bronchusverlegung durch Echinococcus-granulosus-Zyste. Mit freundlicher Genehmigung von G.S. Nelson (a) und R.B. Holliman (b). Mit Praziquantel steht zwar ein Mittel zur medikamentösen Behandlung bereit, doch die chirurgische Entfernung der Zysten (soweit möglich) führt zu besseren Behandlungsergebnissen. Damit keine Flüssigkeit heraussickert, müssen die Zysten äußerst vorsichtig entfernt werden. Sonst könnten bei empfindlichen Patienten allergische Reaktionen ausgelöst werden. Aufgrund der großen Anzahl von Larven (durch asexuelle Vermehrung) in der Zystenflüssigkeit bestünde zudem die Gefahr, dass die Infektion zu anderen Stellen streut. Echinococcus multilocularis (Finnen des Fuchsbandwurms) hat große Ähnlichkeit mit E. granulosus, führt aber zur Bildung von Zysten aus Hunderten kleiner Bläschen ohne eine Außenhülle aus Bindegewebe. Diese Parasitenform entwickelt sich im Allgemeinen über einen Fuchs-Nagetier-Zyklus in Nordeuropa, Sibirien und Teilen Nordamerikas. Menschen infizieren sich durch Fuchskot. Bei einer 894
Leberbeteiligung kommt es zu Gelbsucht und Gewichtsverlust; dieser Zustand ist gewöhnlich inoperabel.
28.13.2
Trichinellose
Trichinella spiralis wird durch nicht richtig gares Schweinefleisch übertragen und verursacht eine Trichinellose Von allen Nematodenarten ist vermutlich T. spiralis am weitesten verbreitet, da praktisch jedes warmblütige Tier befallen sein kann. Der natürliche Entwicklungszyklus von T. spiralis läuft zwischen Raubtieren (Bären, Roben) und Beute bzw. zwischen Aasfressern und Aas ab, doch daneben hat sich auch noch ein Haustierzyklus (Schweine, Ratten) etabliert. Menschen infizieren sich beim Verzehr von nicht ausreichend gegartem Fleisch (Schwein oder Wildtiere), wenn sich Zysten mit infektiösen Larven darin befinden. Im Dünndarm reifen die Larven rasch zu adulten Würmern heran, die in die Schleimhaut eindringen und dadurch eine akute Enteritis verursachen.
Es treten überwiegend immunpathologische Symptome auf Die Weibchen setzen lebende Larven in der Darmmukosa ab. Von dort dringen die Larven in Blutgefäße ein und werden mit dem Blut im ganzen Körper verteilt. In dieser Phase kann eine Bakteriämie auftreten. Die Larven versuchen zwar, in zahlreiche Organe (einschließlich Herz und ZNS) einzudringen, doch nur in Skelettmuskelzellen können sie heranreifen und die typischen Zysten bilden (Abb. 28.10). Es gibt ein breites Spektrum von Symptomen (Fieber, Gelenk- und Muskelschmerzen, Eosinophilie, periorbitale Ödeme, Myositis, petechiale Blutungen; gelegentlich auch Enzephalitis und kardiale Störungen), die aber hauptsächlich durch Hypersensitivitäts- und Entzündungsreaktionen verursacht werden.
895
Abb. 28.10 Entzündliche Reaktion um eine Zyste mit eingerollter Trichinella spiralis-Larve.
(Mit freundlicher Genehmigung von I.G. Kagan)
Eine Trichinellose wird mikroskopisch und serologisch diagnostiziert und mit Anthelminthika sowie Entzündungshemmern behandelt Muskelbiopsien und der Nachweis spezifischer Antikörper (ELISA) führen zur Diagnose. Behandelt wird mit Benzimidazolen, doch manchmal kann zusätzlich eine symptomatische Therapie mit antiinflammatorisch wirkenden Mitteln nötig sein.
28.13.3
Strongyloidose
Strongyloides-Infektionen werden meist zwischen Menschen übertragen, können sich aber auch in Tierwirten (Hunden) entwickeln Eine Strongyloidose entsteht, wenn sich infektiöse Wurmlarven durch die Haut bohren, durch die Lunge in Alveolen einwandern, in Bronchien und Trachea hochsteigen und schließlich hinuntergeschluckt werden. Über Parthenogenese entwickeln sich nur Weibchen im Darm des Wirts, die ihre Eier in Strängen in der Darmmukosa ablegen (Abb. 28.11). Die aus den Eiern geschlüpften Larven werden im Stuhl ausgeschieden und benötigen ein warmfeuchtes Milieu im Boden, um infektiös zu werden. Geografisch zeigt sich bei der Strongyloidose ein ähnliches Verbreitungsmuster wie bei Hakenwürmern (tropische Regionen und ländliche Gegenden im Süden der USA).
Abb. 28.11 Strongyloides stercoralis. 896
Adulte Würmer und Larven in der Dünndarmmukosa haben die Zotten zerstört. Eine Übertragung der Infektion findet am häufigsten zwischen Menschen statt, doch zwei Strongyloides-Spezies können sich auch in Tieren entwickeln, z.B. in Hunden (S. stercoralis) und afrikanischen Menschenaffen (S. fulleborni). Fäkale Larven können direkt in ihr infektiöses Stadium übergehen und ihren Wirt erneut infizieren, wenn sie in die perianale Haut oder Schleimhaut eindringen; das setzt einen Prozess der Autoinfektion in Gang.
Auch wenn sie meistens asymptomatisch verläuft, kann sich eine Strongyloidose bei T-Zell-Insuffizienz oder Mangelernährung zur disseminierten Krankheit ausweiten Bei immunkompetenten Wirten spielt eine Autoinfektion keine besondere Rolle, und mit Ausnahme von gelegentlicher Diarrhoe oder Erbrechen verläuft die Strongyloidose bei den meisten Infizierten asymptomatisch. Doch bei T-ZellInsuffizienz oder Mangelernährung kanin es infolge der Autoinfektion zu einer Hyperinfektion bzw. disseminierten Strongyloidose kommen. Da fast sämtliche Organe mit Larven befallen sein können, entwickelt sich ein schweres, manchmal tödliches Krankheitsbild. Diese Patienten können mit Erbrechen, Bauchschmerzen, Durchfall (führt zu Malabsorption und Dehydrierung), Eosinophilie, Pneumonitis und anderen „allergischen“ Symptomen auf die Wurminfektion reagieren. Eine disseminierte Strongyloidose stellt sich manchmal erst Jahre nach der Erstinfektion ein. Es gilt als erwiesen, dass es über 30 Jahre dauern kann, bis die Immunabwehr des Patienten gegen die ständig wieder aufflackernde geringgradige Autoinfektion schließlich nachlässt. Vor diesem Hintergrund sollte ein HTLV-1-Antikörpertest durchgeführt werden, da beide Infektionen zusammenhängen können.
897
Strongyloides-Infektionen werden mikroskopisch diagnostiziert und mit Anthelminthika behandelt Die Labordiagnose stützt sich auf mikroskopisch sichtbare Larven im Stuhl; zur Behandlung werden PageAnthelminthika wie Thiobendazol oder Levamisol eingesetzt.
Zusammenfassung ■ Die in diesem Kapitel beschriebenen multisystemischen Infektionen sind Zoonosen, die sich in natürlichen (Wirbeltier-)Reservoiren aufrechterhalten. ■ Menschen infizieren sich nur zufällig, im Allgemeinen durch Nagetiere (mit Arenaviren, Hantaviren, Pest, Tularämie, Leptospirose) oder Haustiere (Brucellose, Hydatidose, Leptospirose, Echinokokkose, Trichinellose). ■ Zwischen Menschen findet in der Regel keine Übertragung statt. ■ Entscheidend sind Art und Ausmaß der Mensch-Tier-Kontakte. ■ Einige Infektionen sind sehr schwerwiegend (virulente Erreger). ■ In der Geschichte traten immer dann große Epidemien (z.B. Pest) auf, wenn sich das Tierreservoir in räumlicher Nähe zu dicht bevölkerten Menschenansiedlungen befand. ■ Bei weniger intensivem Kontakt von Menschen zu Tierreservoiren haben selbst hoch virulente Erreger (wie das Lassa- oder Ebola-Virus) viel schwächere Auswirkungen. ■ Die meisten genannten Infektionen (Milzbrand, Brucellose, Hydatidose) sind zwar in den entwickelten Ländern selten geworden, zählen aber in den Entwicklungsländern weiterhin zu häufigen Krankheitsursachen. ■ Für die meisten nichtviralen Infektionen stehen wirksame (antimikrobielle) Medikamente zur Verfügung, doch im Allgemeinen mangelt es an wirksamen Impfstoffen.
FRAGEN Ein 39-jähriger Seemann war in Fernost und danach in Afrika gewesen. Seit einem Monat fühlt er sich unwohl mit Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schweißausbrüchen. Auf hoher See hatte er außer 38°C Fieber keine anderen nennenswerten Beschwerden. Bei der Untersuchung hat er Fieber (39°C), im linken oberen Quadranten ist sein Abdomen druckempfindlich und die Milz etwa einen Fingerbreit vergrößert. Laborwerte: Hämoglobin 14 g/dl, Leukozyten 1,8 × 109/l, Thrombozyten 250 × 109/l; im Blutausstrich sind keine Malariaparasiten erkennbar; Blutsenkungsgeschwindigkeit von 40 mm/h; Harnstoff und Elektrolyte normal; 898
Leberfunktion und Thoraxröntgen normal; nach 48 Stunden kein Bakterienwachstum in der Blutkultur; im Morgenurin Mycobacterium tuberculosis nicht nachweisbar. Auf Nachfragen gibt er an, dass er in Afrika unpasteurisierte Molkereiprodukte gegessen hat. Wie lautet die Verdachtsdiagnose? a) Q-Fieber b) Milzbrand (Anthrax) c) Trichinellose d) Brucellose e) Leptospirose
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Hugh-Jones, M.E.: Outline of Zoonotic Diseases. Iowa State University Press, Ames 2002. Krauss, H., Weber, A., Appel, M., Enders, B., Graevenitz, A. von, Isenberg, H.D., Schiefer, H.G., Slenczka, W., Zahner, H.: Zoonosen. Von Tier zu Mensch übertragbare Infektionskrankheiten. 2004. 3., vollständig überarb. und erw. Aufl., Deutscher Ärzte-Verlag. Palmer, S.R., Soulsby, E.J.L., Simpson, D.I.H. (eds.): Zoonoses. Oxford University Press, Oxford 1998.
899
29 Fieber unbekannter Ursache (FUO) 29.1
Definition von FUO 443
29.2
Ursachen von FUO 443
29.3
Abklärung eines klassischen FUO 444
29.4
FUO-Behandlung 445
29.5
Besondere Patientengruppen 446
29.6
Infektiöse Endokarditis 447
Zur Orientierung Fieber ist ein Anstieg der Körpertemperatur über den normalen Wert und kann kontinuierlich oder intermittierend auftreten Homöostatische Regelmechanismen sorgen dafür, dass eine konstante Körpertemperatur aufrechterhalten wird, die täglich (im zirkadianen Rhythmus) nicht mehr als + 1–1,5°C schwankt. Obwohl 37°C als „normale“ Körpertemperatur gelten, gibt es individuelle Unterschiede; so kann sie bei manchen Menschen ständig darunter (bis 36°C) und bei anderen darüber (bis 38°C) liegen. Fieber ist als Anstieg der Körpertemperatur über den Normalwert definiert – oral über 37,6°C, rektal über 38°C – und kann kontinuierlich oder intermittierend auftreten: ■ Bei kontinuierlichem Fieber ist die Temperatur über 24 Stunden erhöht und schwankt im Tagesverlauf um weniger als 1°C (z.B. typisch für Typhus). ■ Bei intermittierendem Fieber ist die Temperatur auch über 24 Stunden erhöht, zeigt aber im Tagesverlauf Schwankungen um mehr als 1°C (typisch für pyogene Infektionen, Abszesse und Tuberkulose). Mit Fieber reagiert der Körper auf: ■ exogene Pyrogene (wie Endotoxine in der Zellwand Gram-negativer Bakterien) ■ endogene Pyrogene (wie das von phagozytierenden Zellen freigesetzte Interleukin 1) Im Allgemeinen wird Fieber als Schutzreaktion angesehen (Abb. 29.1).
900
29.1
Definition von FUO
Patienten geben bei Arztbesuchen häufig Fieber als Beschwerde an. Die Fieberursache ist meist sofort ersichtlich oder stellt sich innerhalb weniger Tage heraus. Oft normalisiert sich die erhöhte Temperatur auch spontan wieder. Wenn Patienten aber wiederholt Fieber (über 38,3°C) haben, das trotz intensiver einwöchiger Untersuchungen mehr als drei Wochen anhält, lautet die vorläufige Diagnose „Fieber unbekannter Ursache“ (fever of unknown origin, FUO). Dies ist die klassische Definition von FUO. Seitdem es aber dank der modernen Medizin gelingt, immer mehr Patienten mit schweren Grunderkrankungen am Leben zu erhalten, ist eine weitere FUO-Definition für Patienten aus besonderen Risikogruppen formuliert worden (Tab. 29.1).
29.2
Ursachen von FUO
Am häufigsten sind Infektionen die Ursache Seit Jahrhunderten galt Fieber als typisches Zeichen einer Infektion, und Infektionen sind auch die häufigste Einzelursache eines FUO (bei 30–40% der Erwachsenen und 50% der Kinder). Daneben gibt es allerdings noch zwei wichtige nichtinfektiöse Fieberursachen, nämlich: ■
maligne Erkrankungen und
■
Kollagenosen (Abb. 29.2).
Diese nichtinfektiösen Ursachen müssen von Infektionen während der Untersuchung von Patienten mit FUO abgegrenzt werden. Trotz intensiver und zeitaufwendiger Untersuchungen bleibt aber bei 5–15% der Patienten die Fieberursache unklar. Solange allerdings kein deutlicher Gewichtsverlust auftritt oder Anzeichen einer schweren Grundkrankheit vorliegen, ist die Prognose günstig – selbst bei länger anhaltendem Fieber. Etwa 10% der Patienten können ihr Fieber selbst induziert haben (künstliches Fieber), z.B. bei einem Münchhausen-Syndrom.
Infektionen als Ursache des klassischen FUO Die wichtigsten infektiösen Ursachen des klassischen FUO sind in Tab. 29.2 zusammengestellt und können in zwei Hauptgruppen unterteilt werden: ■
Infektionen durch einen bestimmten Erreger (wie Tuberkulose oder Typhus)
■ Infektionen durch unterschiedliche Erreger (wie Harn-/Gallenwegsinfekte oder Abszesse) Die meisten dieser Infektionen sind an anderer Stelle dieses Buches näher beschrieben. Die bakterielle Endokarditis wird weiter unten besprochen. In einigen Patientengruppen kann eine signifikante Infektion ohne Fieber vorliegen, z.B. bei ■
schwerkranken Neugeborenen
901
■
älteren Menschen
■
Urämie
■
Kortikosteroidtherapie
■
Dauereinnahme antipyretischer Mittel
Abb. 29.1
Fiebermechanismen.
Fieber kann durch exogene Pyrogene (Bakterien und deren Toxine) oder durch wirtseigene endogene Pyrogene ausgelöst werden und schützend wirken. IL = Interleukin, PG = Prostaglandin, TNF = Tumornekrosefaktor In dem Fall muss nach anderen Zeichen einer Infektion gesucht werden. In diesem Kapitel geht es aber ausschließlich um Patienten mit Fieber.
29.3
Abklärung eines klassischen FUO
Untersuchungsschritte
902
Da es für ein FUO viele verschiedene infektiöse und andere Ursachen geben kann, ist es praktisch ausgeschlossen, bei jedem Patienten gleich mit spezifischen Untersuchungen zu beginnen. Stattdessen kann das diagnostische Vorgehen in einzelne Schritte oder Stufen unterteilt werden, um auf jeder Stufe die wahrscheinlichste Ursache einzukreisen oder auszuschließen und dann gezielt weiter zu untersuchen (Tab. 29.3).
Stufe 1: gründliche Anamnese, körperliche Untersuchung und Screening-Tests Entscheidend ist eine umsichtige, gründliche Erhebung der Anamnese; daher sollte nach (Fern-) Reisen, Beruf/Arbeit, Hobbys, Tierkontakten, früher durchgemachten Infektionen, einer Antibiotikatherapie (in den letzten zwei Monaten), Suchtverhalten und anderen Gewohnheiten gefragt werden. Da in Tab. 29.2 auch Zoonosen (Leptospirose, Fleckfieber) und Infektionen, die von Vektoren übertragen werden (Malaria, Trypanosomiasis) und/oder ein bestimmtes geografisches Verbreitungsmuster (Histoplasmose) zeigen, aufgeführt sind, ist die Reiseanamnese besonders wichtig. Als wichtige Ergänzung zur Vorgeschichte und hinsichtlich möglicher Differenzialdiagnosen wird dann eine umfassende körperliche Untersuchung durchgeführt. Zu achten ist besonders auf: ■
Haut, Augen, Lymphknoten und Abdomen
■
Herzgeräusche bei der Auskultation
Wichtig ist auch zu kontrollieren, ob der Patient Fieber hat. In einigen Untersuchungsreihen klagten fast 25% der FUO-Patienten über Fieber, obwohl sich ihre Körpertemperatur nur im Rahmen der zirkadianen Rhythmusschwankungen leicht erhöhte. Bis zu 10% der Patienten können ein künstlich induziertes Fieber haben. Auf dieser ersten Stufe werden auch routinemäßig Thorax (Röntgen) und Blut untersucht.
Stufe 2: kritische Durchsicht der Krankengeschichte, erneute körperliche Untersuchung, spezifische Tests und nicht-invasive diagnostische Methoden Um sich zu vergewissern, dass nichts übersehen wurde (z.B. eine kürzer oder länger zurückliegende Gefährdung durch einen Risikofaktor), kann eine kritische Durchsicht der Krankengeschichte (nach Gesprächen mit Kollegen oder unter Umständen von einem anderen Arzt vorgenommen) sinnvoll sein. Die körperliche Untersuchung sollte wiederholt werden, weil Ausschläge und andere Symptome oft nur flüchtig auftreten. Wenn sich aus der Anamnese diagnostisch wichtige Hinweise ergeben, kann gezielt weitergeforscht werden. Da ein FUO in den meisten Fällen durch eine Infektion bedingt ist, sollten geeignete Proben entnommen und sorgfältig untersucht werden; auf dieser Stufe kann auch ein Hauttest sinnvoll sein. Blutproben sind vor allem wichtig für: ■
Blutkulturen
■ Antikörpertests; zu Vergleichszwecken sollten gleich bei der Erstuntersuchung des Patienten Blutproben entnommen und aufbewahrt werden, um später feststellen zu 903
können, ob sich der Antikörpertiter (nach einigen Wochen der Infektion) erhöht hat. Serologische Tests eignen sich besonders zur Diagnose einer CMV- (Zytomegalie) oder EBV(Epstein-Barr-Virus)-Infektion, einer Toxoplasmose, Psittakose oder Rickettsiose. Vorsicht ist bei positiver Luesserologie (Syphilis) geboten, denn es könnte sich um ein falsch-positives Ergebnis aufgrund einer anderen Infektion handeln (s. Kap. 21). ■ Direktuntersuchung auf Parasitenstadien (bei Malaria, Trypanosomiasis und Rückfallfieber). Oft ist es nötig, wiederholt Proben (Blut, Urin, andere Körperflüssigkeiten) zu gewinnen und das Labor anzuweisen, gezielt nach seltenen und schwierig nachzuweisenden Keimen zu suchen (z.B. nach ernährungsabhängigen Streptokokken als Auslöser einer Endokarditis, s. unten). Alle Proben sollten möglichst vor Beginn der Antibiotikatherapie gesammelt werden.
Tab. 29.1 Definitionen von Fieber unbekannter Ursache (FUO). 904
Dank technischer Fortschritte bei bildgebenden Verfahren verfügt der Arzt nun über ein breites Spektrum nichtinvasiver Diagnosemethoden (wie Ultraschall, CT, MRT usw.). Während radiologische Verfahren wie Thoraxröntgen (Abb. 29.3) bei Patienten mit FUO zur Routineuntersuchung gehören, werden Gallium- oder Technetium-Szintigrafie im Hinblick auf bestimmte Verdachtsdiagnosen angewendet (Abb. 29.4).
905
Abb. 29.2 Ursachen für ein Fieber unbekannter Ursache (FUO).
Nach den Ergebnissen mehrerer retrospektiver Studien waren Infektionen die häufigste monokausale Erklärung eines FUO. In einer signifikanten Fallzahl blieb die Fieberursache jedoch unbekannt.
Stufe 3: invasive Untersuchungsmethoden Zur Abklärung eines klassischen FUO sollten immer Leber- und Knochenmarkbiopsien in Erwägung gezogen werden, doch auch andere Gewebeproben (Haut, Lymphknoten oder Niere) können von Nutzen sein. Da es nicht wünschenswert ist, Biopsien zu wiederholen, sollte das gewonnene Material im Labor sehr sorgsam untersucht werden, um möglichst viele Informationen zu erhalten.
Stufe 4: Therapieversuche Bei Verdacht auf eine nicht-infektiöse Ursache kann ein Therapieversuch mit Kortikosteroiden (Prednison, Dexamethason) oder Prostaglandinhemmern (Acetylsalicylsäure, Indometacin) indiziert sein. Beim klassischen FUO gibt es kaum Indikationen für eine empirische Antibiotika- oder zytotoxische Chemotherapie. Allerdings ist bei Patienten, die bereits in der Vorgeschichte an Tuberkulose erkrankt waren, auch ohne mikrobiologische Verdachtszeichen ein Versuch mit Antituberkulotika vertretbar. Da Infektionen von neutropenischen oder AIDSPatienten sehr rasch voranschreiten können, ist auch in ihrem Fall ein therapeutischer „Blindversuch“ (d.h. eine ungezielte Therapie) gerechtfertigt (s. unten).
906
29.4
FUO-Behandlung
Untersuchung und Behandlung von FUO-Patienten erfordern neben einer gewissen Ausdauer auch Sachkenntnis und Aufgeschlossenheit, um die Diagnose aufzuspüren. Angesichts der großen Bandbreite möglicher infektiöser Ursachen ist die richtige Diagnose Grundbedingung für die Wahl einer geeigneten Therapie. Sobald die Ursache feststeht, kann mit der gezielten, spezifischen Behandlung begonnen werden (wenn es sie gibt).
907
Tab. 29.2 Auswahl möglicher infektiöser Ursachen von Fieber unbekannter Ursache. 908
Tab. 29.3 Stufenplan der diagnostischen Schritte zur Abklärung eines FUO.
29.5
Besondere Patientengruppen
Der Hauptunterschied zwischen klassischem FUO und einem FUO bei diesen Patienten ist der zeitliche Verlauf Wie oben erwähnt, überleben immer mehr Patienten mit schweren Grunderkrankungen, die sie anfälliger für Infektionen machen oder eine Immunsuppression mit zytotoxischen Medikamenten erfordern. Diese Patientengruppen sind in Kap. 30 ausführlicher beschrieben, werden aber hier schon unter dem Aspekt neuer FUO-Definitionen angesprochen, die sich durch sie ergeben (Tab. 29.1): ■
nosokomiales FUO
■
neutropenisches FUO
■
HIV-assoziiertes FUO
Ein klassisches FUO kann Wochen oder Monate bestehen, ohne diagnostiziert zu werden, während es bei einem FUO hospitalisierter oder neutropenischer Patienten eine Frage von Stunden oder Tagen ist. In Tab. 29.4 sind die wichtigsten infektiösen Ursachen eines FUO bei diesen Patientengruppen aufgeführt. Die diagnostische Vorgehensweise orientiert sich an den oben genannten Stufen, setzt aber bei den jeweiligen Patienten besondere Schwerpunkte. Bei hospitalisierten Patienten richtet sich das Vorgehen nach ■ durchgeführten Eingriffen/Operationen; Fieber ist z.B. eine Allgemeinerscheinung nach Transplantation und könnte eher auf eine Abstoßungsreaktion (graft-versus-host disease) als auf eine Infektion hinweisen; 909
■
besonders in Gefäßen vorhandenen Fremdkörpern (z.B. liegender Katheter);
■ der Medikation, da einem FUO häufig ein (nicht infektiöses) Arzneimittelfieber zugrunde liegt; ■
Grundkrankheit und Chemotherapiestadium bei neutropenischen Patienten;
■ bekannten Risikofaktoren wie i.v. Drogenmissbrauch, Reisen oder Kontakt zu Infizierten (z.B. bei HIV-positiven Patienten). Obwohl die wichtigsten opportunistischen Infektionen von AIDS-Patienten gut beschrieben sind (s. Kap. 30), können Infektionen in atypischer Form erscheinen und auch ständig neue Infektionen auftreten.
Abb. 29.3 Differenzialdiagnostisch zwischen infektiösen und anderen Ursachen der Granulome zu unterscheiden ist wichtig, kann in frühen diagnostischen Stadien aber schwierig sein.
a) Mithilfe der Computertomografie lassen sich Abszesse nachweisen. Doch bei diesem Patienten mit Hirntuberkulom ist das CT zu unspezifisch, um es von einem pyogenen Abszess oder einem Meningeom abzugrenzen. b) Thoraxröntgenbild eines Patienten mit Sarkoidose. Mit freundlicher Genehmigung von J. Ambrose (a) und M. Turner-Warwick (b).
29.6
Infektiöse Endokarditis
Als seltene Krankheit kann sich hinter einem FUO eine infektiöse Endokarditis verbergen, die unbehandelt meist tödlich ausgeht. Die Infektion der Herzinnenhaut (Endokard) schließt oft auch die Herzklappen mit ein. Sie kann sich als akute, rasch progrediente Krankheit oder in subakuter Form (Lenta-Endokarditis) präsentieren. Bei den meisten Patienten war das Herz schon vorher geschädigt (angeborener Herzfehler oder z.B. infolge 910
von rheumatischem Fieber) oder ein Klappenersatz durchgeführt worden. Allerdings werden manche Patienten erst durch die Infektion auf einen vorhandenen Herzfehler aufmerksam.
Obwohl fast jeder Erreger eine Endokarditis auslösen kann, sind die nativen Herzklappen meist mit Streptokokken oder Staphylokokken infiziert Infektionen der nativen Herzklappen werden am häufigsten durch orale Streptokokken der Viridans-Gruppe (vergrünende Streptokokken wie Streptococcus sanguis, S. oralis, S. mitis) und durch Staphylococcus aureus verursacht. Intravenös Drogenabhängige haben ein zusätzliches Komplikationsrisiko durch Erreger, die sie sich selbst injizieren. Eine früh nach Klappenersatz auftretende Endokarditis wird oft durch koagulasenegative Staphylokokken verursacht, die möglicherweise während der Operation in den Körper gelangen. Später (mehr als drei Monate nach prothetischen Herzoperationen) wird die Infektion wahrscheinlich eher von Spezies ausgelöst, die auch native Herzklappen befallen (Tab. 29.5).
Abb. 29.4
Gallium-Szintigraphie.
Da sich Gallium in vielen entzündeten und tumorösen Geweben anreichert, kann sie als nichtinvasive Untersuchungsmethode bei Patienten mit FUO nützlich sein: a) deutlich erkennbare retroperitoneale Lymphadenopathie bei Morbus Hodgkin, b) intraabdomineller Abszess. A = Abszess, G = Gallium im KolonMit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs (a) und W.E. Farrar (b). Bei einer Endokarditis handelt es sich um eine endogene Infektion. Sobald die Erreger ins Blut gelangen, setzen sie sich an den Herzklappen fest – potenziell könnte jede Bakteriämie zu Endokarditis führen. Am häufigsten breiten sich Streptokokken der Mundflora auf dem Blutweg aus (z.B. durch zahnärztliche Eingriffe, kräftiges Zähneputzen oder den Gebrauch von Zahnseide), um sich dann an geschädigte 911
Herzklappen zu heften. Man nimmt an, dass sich auf geschädigten Herzklappen FibrinThrombozyten-Auflagerungen (Vegetationen) gebildet haben, die den Boden für die Erreger bereiten.
Tab. 29.4 Infektiöse FUO-Ursachen in besonderen Patientengruppen (repräsentative Auswahl).
912
Die Adhärenz der Keime an den Herzklappen wird vermutlich durch ihre Fähigkeit, Dextrane zu bilden, sowie durch Adhäsine und Fibronektin-bindende Proteine begünstigt. An Stellen wie den Herzklappen sind die Keime geschützt vor der Wirtsabwehr, vermehren sich und bewirken dadurch eine weitere Ablagerung von Fibrin und Thrombozyten. So können die Vegetationen mehrere Zentimeter dick werden. Das scheint ein ziemlich langsamer Vorgang zu sein; entsprechend lange dauert es vom Beginn der Bakteriämie bis zum Auftreten von Symptomen – durchschnittlich fünf Wochen (Abb. 29.5).
Patienten mit infektiöser Endokarditis haben fast immer Fieber und Herzgeräusche Trotz variabler Ausprägung der Symptome spielen sich bei einer infektiösen Endokarditis im Wesentlichen vier Prozesse ab: ■ Infektion der Herzklappe, verbunden mit lokalen intrakardialen Komplikationen ■
septische Embolisierung in jedes beliebige Organ
■
Bakteriämie, oft mit Absiedlung von Infektionsherden
■
Bildung zirkulierender Immunkomplexe und anderer Faktoren
Die Patienten haben fast immer Fieber und Herzgeräusche, klagen aber oft auch über unspezifische Symptome wie Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit, Schüttelfrost, Übelkeit und Erbrechen oder nächtliches Schwitzen. Dieselben Beschwerden treten bei vielen der in Tab. 29.2 genannten FUO-Ursachen auf. Peripher können sich Erscheinungen wie Splinter-Hämorrhagien oder Osler-Knötchen bemerkbar machen (Abb. 29.6). Typisch für Immunkomplexablagerungen in der Niere ist eine Mikrohämaturie (s. Kap. 17).
913
Abb. 29.5 Im Blut zirkulierende Bakterien setzen sich an den Herzklappen fest und führen durch ihre Vermehrung zur Gewebezerstörung an den Klappen.
Damit verbunden ist die Bildung von Vegetationen, die sich auf die normale Klappenfunktion auswirken und sie schwer beeinträchtigen können. Die beiden histologischen Schnitte zeigen, wie das Mitralklappensegel praktisch völlig von Staphylokokken zerstört wurde. a) Gram-Färbung, b) van-Gieson-Eosin-Färbung. LA = linker Vorhof, LV = linker Ventrikel, MV = Reste der Mitralklappe, TV = thrombotische Vegetationen (Mit freundlicher Genehmigung von R.H. Anderson).
914
Tab. 29.5 Hauptursachen einer Endokarditis in unterschiedlichen Patientengruppen.
Blutkulturen sind die wichtigste Diagnosemethode bei Endokarditis Von entscheidender Bedeutung ist die mikrobiologische und kardiologische Abklärung. Wichtigster laborchemischer Einzeltest ist die Blutkultur. Im Idealfall sollten vor Beginn der Antibiotikatherapie innerhalb von 24 Stunden drei getrennte Blutproben entnommen werden. Wie Blutkulturen angelegt werden, ist im Anhang beschrieben.
Abb. 29.6 Äußerliche Anzeichen für eine Endokarditis können diagnostisch hilfreich sein. 915
Sie kommen infolge der Wirtsreaktion auf die Infektion zustande und sind Ausdruck einer Immunkomplexvaskulitis, einer herdförmigen Thrombozytenaggregation und erhöhten Gefäßpermeabilität. a und b) Splinter-Hämorrhagien im Nagelbett und Hautpetechien (aus unterschiedlichen Blickwinkeln gezeigt); c) Osler-Knötchen – druckempfindliche Papeln an den Handinnenflächen und Fingerspitzen (mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs). Die Isolierung des Erregers ist wichtig, um seine Antibiotikaempfindlichkeit zu testen und eine optimale Therapie anzuordnen bzw. durchzuführen. Ernährungsabhängige orale Streptokokken-Stämme sind dafür bekannt, dass sie eine infektiöse Endokarditis verursachen. Manchmal lassen sie sich aber erst auf Blutkulturmedien anzüchten, wenn Pyridoxal zur Bouillon hinzugefügt wurde. Alternativ kann man sie als Satellitenkolonien von S. aureus auf Blutagar wachsen lassen.
Trotz Antibiotikatherapie liegt die Letalität der infektiösen Endokarditis bei 20–50% Auch wenn die meisten Erreger einer infektiösen Endokarditis in hohem Maße empfindlich für eine Reihe von Antibiotika sind, kann es mehrere Wochen dauern, bis sie völlig aus dem Körper verschwunden sind; nicht selten kommt es zu Rückfällen. Mögliche Gründe sind: ■ relative Unzugänglichkeit der Keime in Vegetationen (für Antibiotika und Abwehrkräfte) ■
hohe Keimdichte und relativ langsame Keimvermehrung
Bevor es Antibiotika gab, verlief eine infektiöse Endokarditis immer tödlich (100%), doch auch heute noch liegt die Letalität trotz wirksamer Antibiotika bei 20–50%.
916
Das Therapieschema einer antibiotischen Behandlung richtet sich nach dem auslösenden Erreger Für penicillinempfindliche Streptokokken ist hochdosiertes Penicillin die Therapie der Wahl. Patienten mit bekannter Penicillinallergie können mit Ceftriaxon oder Vancomycin behandelt werden. Um weniger gut ansprechende oder gegen Penicillin tolerante Keime zu entdecken, sollten MHK (minimale Hemmkonzentration) und MBK (minimale bakterizide Konzentration) getestet werden (s. Kap. 33). (Definition: Penicillin-tolerante Keime werden im Wachstum gehemmt, aber nicht abgetötet, z.B. bei MBK ≥ 32 × MHK.) Tolerante Keime sollten wie die immer relativ Penicillinresistenten Enterokokken mit einer Kombination aus Penicillin (Ampicillin bei Enterokokken) und einem Aminoglykosid behandelt werden, die sich in ihrer Wirkung verstärken, d.h. synergistisch gegen Streptokokken und Enterokokken wirken (s. Kap. 33). Als besonders schwierige therapeutische Herausforderung kann sich eine Staphylokokken-Endokarditis erweisen; vor allem wenn es sich um eine Infektion durch Hospitalkeime nach einem Klappenersatz handelt, kann sie gegen mehrere Antibiotika resistent sein. Oft ist ein β-Laktamase-stabiles Penicillin am besten zur Therapie geeignet; es wird mit einem Aminoglykosid oder Rifampicin kombiniert angewandt. Glykopeptid-Antibiotika (z.B. Vancomycin) sollten für Patienten mit Penicillinallergie und zur Behandlung Methicillin-resistenter Staphylokokken (MRSA) reserviert bleiben. Detaillierte Therapieschemata wurden z.B. von der Paul-EhrlichGesellschaft für Chemotherapie veröffentlicht.
Patienten mit Herzfehler benötigen vor invasiven Eingriffen eine Antibiotikaprophylaxe Bei Patienten mit bekanntem Herzfehler sollte vor zahnchirurgischen oder anderen invasiven Eingriffen eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden, um sie vor jeder Gefährdung durch eine passagere (vorübergehende) Bakteriämie zu schützen.
Die meisten FUO-Patienten haben eine Krankheit, die sich nur in ungewöhnlicher Form präsentiert, aber behandelt werden kann Jeder Patient muss natürlich individuell klinisch untersucht werden. Doch in diesem Kapitel ging es um die wesentlichen Stufen der Diagnostik bei allen Patienten und den Versuch, die Aufmerksamkeit auf wichtige infektiöse Ursachen eines FUO zu lenken. Obwohl Patienten mit klassischem FUO meist eine lange Vorgeschichte hinter sich haben (wochen- oder monatelanges Fieber), kann es vorkommen, dass sich die Ursache mancher Arten von Fieber nicht sofort mit Routineuntersuchungen im Labor feststellen lässt. Für diese Patientengruppen wurden neue Definitionen (nosokomiales, neutropenisches, HIV-assoziiertes FUO) vorgeschlagen. Die Liste möglicher Erreger wird bei diesen Patienten immer länger.
917
Für den Kliniker ist es bei jeder Abklärung von FUO vorrangiges Ziel, die Ursache aufzudecken, damit aus Fieber unbekannter Ursache ein Fieber mit bekannter Ursache wird und eine entsprechende Behandlung einsetzen kann.
Zusammenfassung ■ Fieber ist die Antwort des Körpers auf exogene und endogene Pyrogene. Es ist ein häufiges Symptom und kann auch schützend wirken. ■ Die Bezeichnung „Fieber unbekannter Ursache“ (fever of unknown origin, FUO) wird verwendet, wenn die Ursache nicht ersichtlich ist, das Fieber länger als drei Wochen anhält und durch klinische sowie laborchemische Routineuntersuchungen nicht abgeklärt werden kann. ■ Die gestiegene Zahl von Patienten mit Immunschwäche hat dazu geführt, dass neben dem klassischen FUO noch andere FUO-Definitionen für bestimmte Gruppen eingeführt wurden (z.B. nosokomiales, neutropenisches und HIV-assoziiertes FUO). ■ FUO-Ursachen sind am häufigsten Infektionen, aber auch Malignome und Autoimmunkrankheiten sind signifikant vertreten. In bis zu 15% der Fälle lässt sich die Ursache nicht feststellen. ■ Die Liste der infektiösen Ursachen ist lang, daher muss auf der ersten Stufe der diagnostischen Abklärung (Anamnese, körperliche Untersuchung, Screening-Tests) nach wichtigen Hinweisen für weiterführende Untersuchungen geforscht werden. ■ Ein Therapieversuch kann indiziert sein, wenn keine eindeutige Diagnose gefunden wurde, er kann aber weitere Testergebnisse verfälschen. ■
Die richtige Diagnose ist unabdingbar für eine spezifische Behandlung.
■ Eine infektiöse Endokarditis ist zwar selten, aber ein klassisches Beispiel für FUO. Sie wird gewöhnlich von Gram-positiven Kokken verursacht (wobei die Spezies von prädisponierenden Faktoren des Patienten abhängt) und führt unbehandelt zum Tode.
FRAGEN Eine 60-jährige Frau kommt in die Klinik, weil sie sich seit 7Tagen krank fühlt, keinen Appetit hat und an Übelkeit leidet. Vor zehn Jahren war sie wegen eines Aneurysma dissecans im Bereich der Aorta ascendens (Aortenwurzel) ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Korrekturoperation mit Aortenklappenersatz verlief damals erfolgreich. Bisher ging es ihr relativ gut, obwohl sie eine schlechte Compliance zeigt und es daher schwierig war, ihre Antikoagulanzientherapie richtig einzustellen. Bei der Untersuchung hat sie Fieber (38°C), ist gerötet und fühlt sich unwohl. Ihre Pulsfrequenz liegt bei 100/min, der Blutdruck beträgt 80/60 mmHg. Die Auskultation ergibt ein Klicken an der prothetischen Klappe und ein systolisches Herzgeräusch. Thorax und Abdomen sind ansonsten unauffällig. Blutbild: Hämoglobin 8,3 g/dl (normochrom-normozytär im Blutausstrich), Leukozyten 14,6 × 109/l mit 60% Neutrophilen, Thrombozytenzahl 192 × 109/l.
918
1 Wie lautet die Verdachtsdiagnose und welche weiterführenden Untersuchungen sind entscheidend? 2 Welcher Erreger kommt am häufigsten als Auslöser infrage? 3 Welches sind die wesentlichen Bestandteile der Behandlung? 4 Welche Komplikationen können auftreten? 5 Gibt es Richtlinien, um das Erkrankungsrisiko zu senken?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Akpede, G.O., Akenzua, G.I.: Aetiology and management of children with acute fever of unknown origin. Paediatr Drugs 3 (2001) 169–193. Akpede, G.O., Akenzua, G.I.: Management of children with prolonged fever of unknown origin and difficulties in the management of fever of unknown origin in children in developing countries. Paediatr Drugs 3 (2001) 247–262. Armstrong, W.S., Katz, J.T., Kazanjian, P.H.: Human immunodeficiency virusassociated fever of unknown origin: a study of 70 patients in the United States and review. Clin Infect Dis 28 (1999) 341–345. Arnow, P.M., Flaherty, J.P.: Fever of unknown origin. Lancet 350 (1997) 575–580. Bayer, A.S., Bolger, A.E., Taubert, K.A. et al.: Diagnosis and management of infective endocarditis and its complications. Circulation 98 (1998) 2936–2948. Christoph K. Naber und die Arbeitsgemeinschaft Endokarditis der Paul-EhrlichGesellschaft für Chemotherapie. Herausgegeben von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie (PEG) und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung (DGKHK) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie (DGHTG), der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Nofallmedizin (DGIIN) der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der infektiösen Endokarditis. Chemotherapie Journal 2004;13 (6):227–37. Collazos, J., Guerra, E., Mayo, J., Martinez, E.: Tuberculosis as a cause of recurrent fever of unknown origin. J Infect 41 (2000) 269–272. Davies, G.R., Finch, R.G.: Fever of unknown origin. Clin Med 1 (2001) 177–179. Hirschmann, J.V.: Fever of unknown origin in adults. Clin Infect Dis 24 (1997) 291– 300. Majeed, H.A.: Differential diagnosis of fever of unknown origin in children. Curr Opin Rheumatol 12 (2000) 439–444.
919
Mayo, J., Collazos, J. Martinez, E.: Fever of unknown origin in the setting of HIV infection: guidelines for a rational approach. AIDS Patient Care STDs 12 (1998) 373– 378. Tal, S., Guller, V., Gurevich, A., Levi, S.: Fever of unknown origin in the elderly. J Intern Med 252 (2002) 295–304 (
920
30 Infektionen bei Immunschwäche 30.1 30.1.1
Immunschwäche 453 Erreger bei Immunschwäche 456
30.2 Infektionen bei eingeschränkter angeborener Immunabwehr durch physikalische Einflüsse 457 30.2.1
Infektionen von Brandwunden 457
30.2.2
Infektionen von Verletzungen und Operationswunden 458
30.2.3
Infektion von Kunststoffprothesen in situ 459
30.2.4
Infektionen bei eingeschränkter Clearance 459
30.3
Infektionen bei sekundärer (erworbener) Immunschwäche 459
30.3.1 Maligne Blutbildungsstörungen und Infektionen bei Knochenmarktransplantationen 459 30.3.2
Infektionen nach Organtransplantation 460
30.3.3
Infektionen bei AIDS 460
30.4
Wichtige opportunistische Erreger 460
30.4.1
Pilze (Mykosen) 462
30.4.2
Bakterielle Infektionen 463
30.4.3
Protozoen- und Helmintheninfektionen 465
30.4.4
Virusinfektionen 466
921
Zur Orientierung Der menschliche Körper verfügt über ein komplexes System von Schutzmechanismen, die eine Infektion verhindern. Daran ist neben dem erworbenen (zellulären und humoralen) Immunsystem auch die angeborene Abwehr (z.B. Haut, Schleimhäute) beteiligt. Beide sind in Kap. 9 und 10 ausführlich beschrieben. Bisher wurden häufige und schwerere Infektionen von Patienten mit weitgehend intakten Schutzfunktionen beschrieben. Unter diesen Voraussetzungen müssen Parasiten all ihre Schliche und Kniffe aufbieten, um zu überleben und in den Körper des Wirts einzudringen, denn der gesunde Wirt kann sich gegen ihre Invasion wehren. In diesem Kapitel geht es um Infektionen, bei denen sich das Kräfteverhältnis in der Wirt-Parasiten-Beziehung stark zugunsten des Parasiten verschoben hat, mit anderen Worten: es geht um Infektionen bei Immunschwäche des Wirts.
30.1
Immunschwäche
Bei Menschen mit Immunschwäche weist die natürliche Abwehr gegen eine Erregerinvasion eine oder mehrere Lücken auf. Das macht sie viel anfälliger für schwere oder sogar lebensgefährliche Infektionen. Etwa die Hälfte aller schweren Krebserkrankungen können mit der modernen Medizin wirksam behandelt werden, die (Organ-)Transplantationstechnik wurde perfektioniert und dank technologischer Entwicklungen können Patienten mit sonst tödlichen Erkrankungen heute länger und besser überleben. Ein unerwünschter Nebeneffekt dieser Fortschritte ist aber, dass zunehmend mehr Menschen immunsupprimiert und daher anfälliger für Infektionen sind. Zudem steigt die Zahl der HIV-Infizierten und AIDS-Kranken weiter an.
Eine Immunschwäche des Wirts kann sich auf unterschiedliche Weise entwickeln Die unterschiedlichen Formen, unter denen eine Immunschwäche in Erscheinung tritt, lassen sich in zwei Hauptgruppen einteilen: ■
unbeabsichtigte oder gezielte Schwächung der angeborenen Abwehrkräfte,
■
Lücken in der erworbenen (adaptiven) Immunabwehr.
Diese Immunstörungen können weiter danach unterteilt werden, ob es sich um eine „primäre“ oder „sekundäre“ Immundefizienz handelt (Tab. 30.1): ■ Eine primäre Immundefizienz kann erblich oder durch intrauterine Umwelteinflüsse und andere, noch unbekannte Faktoren bedingt sein. Sie kommt selten vor und ihre Schwere hängt von der Art des Immundefekts ab. ■ Eine sekundäre bzw. erworbene Immundefizienz beruht auf einer zugrunde liegenden Krankheit (Tab. 30.2) oder folgt auf die Behandlung einer bestimmten Krankheit.
Primäre Störungen der angeborenen Immunität sind kongenitale Phagozytose- oder Komplementdefekte 922
Kongenitale Defekte des Phagozytensystems tragen zu einer erhöhten Infektionsanfälligkeit bei; am bekanntesten dürfte in dem Zusammenhang die chronische Granulomatose sein (Abb. 30.1), bei der aufgrund einer vererbten Cytochrom-b245-Synthesestörung keine reaktiven Sauerstoff-Zwischenprodukte während der Phagozytose gebildet werden können.
Tab. 30.1 Zu Immunschwäche führende Faktoren Dass das Komplementsystem eine zentrale Rolle bei angeborenen Abwehrmechanismen spielt, steht außer Frage. Wenn bei angeborenen Synthesedefekten – besonders der frühen Komplementfaktoren (C4 und C2) – keine C3-Konvertase gebildet werden kann (s. Kap. 10), kommt es daher zu einer Häufung extrazellulärer Infektionen.
Zu Sekundärdefekten der angeborenen Abwehr gehören auch Lücken in natürlichen Schutzschranken des Körpers Mechanische, unspezifische Schutzbarrieren können von Infektionserregern durchbrochen werden, wenn z.B. Brandwunden, traumatische Verletzungen oder größere Operationen die Unversehrtheit der Haut zerstört haben und dicht an der Oberfläche schlecht durchblutetes Gewebe zurückbleibt, das Mikroorganismen relativ schutzlos ausgeliefert ist und von ihnen besiedelt werden kann. Intakte Schleimhäute im Atem- und Verdauungstrakt schützen vor Infektionen. Werden sie (z.B. durch Endoskopie, Operation oder Bestrahlung) anhaltend geschädigt, können sich Infektionserreger leicht Zugang verschaffen. Über Instrumente (wie Venen- oder Blasenkatheter) und bei invasiven Eingriffen (z.B. Lumbalpunktion oder Knochenmarkaspiration)gelingt es Keimen, die normale Abwehr zu umgehen und in normalerweise sterile Körperräume einzudringen. Fremdkörper (wie Hüftendoprothesen, künstliche Herzklappen oder Liquordrainage) verändern nicht nur lokale unspezifische Abwehrreaktionen des Wirts, sondern bieten Keimen auch leichter (als die natürlichen Flächen) zu besiedelnde Angriffsflächen.
923
Tab. 30.2 Zu (vorübergehender) Immunsuppression füh-rende Infektionen
Abb. 30.1
Chronische Granulomatose.
Nachdem sich in beiden Leisten des 18-monatigen Jungen mit chronischer Granulomatose Staphylococcus-aureus-Abszesse gebildet hatten, wurden sie chirurgisch (bilaterale Lymphknotendrainage) entlastet (mit freundlicher Genehmigung von A.R. Hayward). Der Merkspruch „Obstruktion führt zu Infektion“ ist eine nützliche Gedächtnisstütze, denn die Abwehr beruht auch darauf, dass viele Körperfunktionen (Harnfluss, Ziliartransport in den Atemwegen, Darmperistaltik) dazu beitragen, unerwünschtes Material aus dem Körper zu entfernen. Werden sie infolge einer pathologischen Obstruktion, einer ZNS-Dysfunktion oder eines chirurgischen Eingriffs gestört, kann sich leicht eine Infektion entwickeln.
Primärdefekte der erworbenen Immunität können aus Defekten im primären Differenzierungsmilieu 924
(Knochenmark, Thymus) oder der Zelldifferenzierung resultieren Die wichtigsten angeborenen Störungen des adaptiven Immunsystems sind in Abb. 30.2 dargestellt. Tritt ein Defekt im stromalen Differenzierungsmilieu der Lymphozyten auf, werden entweder keine B-Zellen (Agammaglobinämie Typ Bruton) oder keine TZellen (Di-George-Syndrom) gebildet. Auch Abläufe der Zelldifferenzierung selbst können betroffen sein. Ein nonfunktionales Rekombinase-Enzym verhindert z.B. die Rekombination von Genfragmenten, die B-Zell-Antikörper oder die variable Region auf T-ZellRezeptoren (dient zur Antigenerkennung) bilden; infolgedessen kommt es zu einem schweren kombinierten Immundefekt (severe combined immunodeficiency, SCID).
925
Abb. 30.2 Die wichtigsten Primärdefekte der zellulären Immunität.
Mangelzustände (lila Kästen) entwickeln sich entweder aus Defekten im primären Differenzierungsmilieu (Knochenmark oder Thymus) oder während der Zelldifferenzierung (dargestellt in Form gestrichelter Pfeile von der jeweiligen Differenzierungsstufe aus). Als häufigste Form eines kongenitalen Antikörpermangels ist die CVI (common variable immunodeficiency) typisch für wiederkehrende pyogene Infektionen und vermutlich ein heterogenes Merkmal. Auch wenn die Zahl unreifer B-Zellen im Knochenmark noch normal zu sein scheint, sind sie im peripheren Blut nur noch in Unterzahl oder in manchen Fällen gar nicht mehr vertreten. In einigen Fällen können sich vorhandene B-Zellen nicht zu Plasmazellen weiterentwickeln und in anderen Fällen können sie keine Antikörper sezernieren. Eine transiente Hypogammaglobulinämie von Säuglingen (mit typischen rezidivierenden Atemwegsinfektionen) ist mit niedrigen Serum-IgG-Konzentrationen verbunden, die sich mit 3–4 Jahren oft schlagartig normalisieren (Abb. 30.3).
926
Dass mit dem Nachlassen der mütterlichen Leihimmunität die Serum-IgGKonzentration abfällt und dadurch ein Immunglobulinmangel bei Säuglingen auftritt, ist eine natürliche Erscheinung, kann aber bei unreifen Frühgeborenen zu einem ernsten Problem werden.
Zu den Ursachen sekundärer erworbener Immundefekte gehören Mangelernährung, Infektionen, Neoplasien, Splenektomie und bestimmte medizinische Behandlungsformen Mangel-/Unterernährung ist weltweit die häufigste und wichtigste Ursache einer erworbenen Immunschwäche. Sie kommt hauptsächlich als Eiweiß- und Kalorienmangel (protein-energy malnutrition, PEM) vor, der sich in einer Bandbreite von Störungen (zwischen Kwashiorkor und Marasmus als den beiden Extremformen) äußern kann. Unterernährung führt zu:
Abb. 30.3 Serum-IgG-Konzentration eines Jungen mit transienter Hypogammaglobulinämie und Vergleichswerte (Mittelwert und Normalbereich).
Nach der Polioschluckimpfung (mit attenuiertem Sabin-Impfstoff) im Alter von vier Monaten trat bei dem Jungen eine leichte Paralyse auf. ■
drastischen strukturellen Auswirkungen auf die Lymphorgane (Abb. 30.4),
■
stark eingeschränkter Synthese der Komplementfaktoren,
■
abgeschwächter chemotaktischer Reaktion von Phagozyten, 927
■ abnehmenden Immunglobulinkonzentrationen (sekretorisches und mukosales IgA), ■
verringerter IgG-Affinität,
■ insbesondere einem schweren Mangel an zirkulierenden T-Zellen (Abb. 30.5) und damit zu einer unzureichenden zellvermittelten Immunreaktion. Dass Infektionen oft selbst immunsuppressiv wirken (Tab. 30.2), zeigt sich bei keiner so deutlich wie bei der HIV-Infektion, die zu AIDS führen kann (s. Kap. 21). Neoplastische Erkrankungen des lymphatischen Systems induzieren oft einen Zustand mit reduzierter Reaktionsbereitschaft des Immunsystems, und eine Splenektomie (aus welchen Gründen auch immer) führt zur Schwächung der humoralen Immunität. Auch bestimmte Therapieformen können eine Immunsuppression verursachen: ■ Zytotoxische Mittel wie Cyclophosphamid und Azathioprin können zu Leukopenie oder einer Funktionsstörung der T- und B-Zellen führen. ■ Durch Kortikosteroide kann die Zahl zirkulierender Leukozyten, Monozyten und Eosinophiler verringert und die Leukozytenaggregation an entzündeten Stellen unterdrückt werden. ■
Eine Strahlentherapie hat nachteilige Folgen für die Lymphozytenproliferation.
Daher kann die Immunschwäche von Patienten, die wegen einer neoplastischen Erkrankung behandelt werden, sowohl durch die Krankheit als auch durch die Therapie bedingt sein.
928
Abb. 30.4 Thymushistologie – normales und unterernährtes Kind (mit Protein-EnergieMangelernährung, PEM).
a) Im normalen Thymusgewebe sind Rinden- und Markzonen deutlich abgrenzbar. b) Akute Schrumpfung bei PEM; typisch sind Läppchenatrophie, verwischte Grenzen zwischen Rinde und Mark, Lymphozytenmangel (Depletion) und vergrößerte Hassall-Körperchen (mit freundlicher Genehmigung von R.K.
929
Chandra).C = Rinde (Cortex), CT = Bindegewebe (Connective Tissue), H = HassallKörperchen, L = Läppchen, M = Mark (Medulla) Eine Immunschwäche zu erkennen und zu begreifen, wodurch die natürlichen Abwehrkräfte des Patienten wahrscheinlich beeinträchtigt wurden, kann sehr wichtig sein. Aufgrund medizintechnologischer Verbesserungen tritt eine Immunschwäche in vielen Fällen – insbesondere nach einer Strahlen- oder Chemotherapie – nur vorübergehend auf, so dass Patienten nach einer überstandenen Phase der Immunsuppression gute Chancen haben, komplett geheilt zu werden.
30.1.1
Erreger bei Immunschwäche
Patienten mit Immunschwäche sind nicht nur anfällig für alle Pathogene, mit denen sich Gesunde infizieren, sondern auch für opportunistische Erreger, die Gesunden nichts anhaben können, aber bei Abwehrschwäche oft zu Erkrankungen mit tödlichen Folgen führen. Dass verschiedene Immundefekte zu unterschiedlichen Infektionen prädisponieren, hängt davon ab, welche Immunmechanismen zur Abwehr bestimmter Erreger aktiv werden müssten. Wir konzentrieren uns hier auf opportunistische Infektionen und verweisen für nähere Informationen zu anderen Erregern auf die entsprechenden Kapitel.
Abb. 30.5 Verglichen mit gesunden Kontrollpersonen haben unterernährte Patienten einen verringerten Anteil von T-Zellen.
Die Zahl der B-Zellen ist im Allgemeinen unverändert, während Nullzellen (Lymphozyten ohne T- oder B-Zell-Marker) prozentual stärker vertreten sind. 930
30.2 Infektionen bei eingeschränkter angeborener Immunabwehr durch physikalische Einflüsse 30.2.1
Infektionen von Brandwunden
Bei einer Verbrennung werden Haut (mechanische Schutzbarriere des Körpers), Neutrophilenfunktion und Immunreaktionen geschädigt Direkt nach einer Verbrennung sind die Brandwunden noch steril, werden aber unweigerlich innerhalb weniger Stunden von einer bakteriellen Mischflora besiedelt. Neben einer unmittelbaren Schädigung der Haut (als mechanischer Schutzschranke des Körpers) beeinträchtigen Brandverletzungen aber auch Neutrophilenfunktionen und Immunreaktionen. Hinzu kommen größere physiologische Störungen durch Flüssigkeits- und Elektrolytverluste. Nach Verbrennungen finden Keime eine sehr nährstoffreiche Fläche zum Besiedeln vor, wobei Häufigkeit und Schwere der Infektion von Ausdehnung und Tiefe der Brandwunden sowie vom Alter des Patienten abhängen. Während sich eine Infektion bei Verbrennungen, die weniger als 30% der gesamten Körperfläche ausmachen, mit modernen antibakteriellen Mitteln zur topischen Anwendung verhindern lässt, werden großflächigere Verbrennungen immer von Keimen besiedelt. Nicht-invasive Infektionen beschränken sich auf das nekrotische (abgestorbene) Hautgewebe über tiefen Brandwunden (d.h. auf die Brandblasen). Typisch ist, dass sich Brandblasen rasch vom darunter liegenden Gewebe abheben, sobald stark eitriges Exsudat aus der Brandwunde austritt. Die systemischen Symptome sind meist nur schwach ausgeprägt. Wenn allerdings Keime aus stark kolonisierten Brandblasen in tieferes Gewebe eindringen, können sie es sehr schnell zerstören; aus einer oberflächlichen Verbrennung wird dann eine Zerstörung in ganzer Hautdicke. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Keiminvasion von Lymph- und Blutgefäßen bzw. bis zum direkten Eintritt ins Blut mit Sepsis. Eine Septikämie von Verbrennungspatienten ist oft durch mehrere Keime verursacht.
931
Die wichtigsten Erreger in Brandwunden sind aerobe und fakultativ anaerobe Bakterien sowie Pilze Die wichtigsten Bakterienpathogene in Brandwunden sind: ■
Pseudomonas aeruginosa und andere Gram-negative Stäbchen
■
Staphylococcus aureus
■
Streptococcus pyogenes und andere Streptokokken
■
Enterokokken
Für ca. 5% der Infektionen sind Candida-Spezies und Aspergillen gemeinsam verantwortlich. Anaerobier finden sich selten in infizierten Brandwunden. Trotz einzelner Berichte über Virusinfektionen (meist Herpes- und Zytomegalieviren, CMV) ist ihre klinische Bedeutung unklar.
P. aeruginosa – ein Gram-negatives Bakterium mit verheerender Wirkung bei Brandverletzten P. aeruginosa ist ein opportunistisches Gram-negatives Bakterium und seit langem schon ein gefürchteter Infektionserreger bei Verbrennungen. Im feuchten Milieu der Brandwunden wächst es besonders gut und führt zu faulig-grünlichen Wundabsonderungen sowie zu Nekrosen. Nicht selten kommt es zu einer invasiven Infektion mit Septikämie, bei der die pathognomonischen Hautläsionen (Ecthyma gangraenosum) auch an nicht verbrannten Hautstellen auftreten (Abb. 30.6). Begünstigt wird die Infektion durch Wirtsfaktoren wie: ■
eine anormale antibakterielle Aktivität der Neutrophilen,
■
Opsoninmangel im Serum.
Hinzu kommt noch eine Kombination von Virulenzfaktoren (unter anderem Elastase, Protease und ein Exotoxin), die P. aeruginosa zu einem besonders verheerend wirkenden Gram-negativen Erreger von Infektionen bei Verbrennungspatienten macht. Die Behandlung ist schwierig, weil P. aeruginosa von Natur aus schon gegen viele antibakterielle Mittel resistent ist. Empfohlen wird eine Kombinationstherapie mit einem Aminoglykosid (meist Gentamicin oder Tobramycin) und einem Betalaktam-Antibiotikum (z.B. Ceftazidim oder Imipenem), doch die Zunahme von mulitresistenten Stämmen wird berichtet. Die Keimbesiedlung von Brandwunden lässt sich praktisch nicht verhindern. Ob es zur Infektion kommt, hängt aber weitgehend davon ab, inwieweit topische Mittel wie Silbernitrat die Keimvermehrung in Brandwunden hemmen können. In den bisher durchgeführten Versuchsreihen zur aktiven und passiven Immunisierung erwies sich letztere als vielversprechender.
Abb. 30.6 Ecthyma gangraenosum als Zeichen einer Pseudomonas-aeruginosa-Septikämie bei einem Kind mit Immunschwäche. 932
(Mit freundlicher Genehmigung von H. Tubbs)
Weitaus häufigster Keim in Brandwunden ist S. aureus Bei Verbrennungen scheint eine gestörte Abwehrfunktion der Neutrophilen der wichtigste prädisponierende Faktor für Wundinfektionen mit S. aureus zu sein. Die Infektion verläuft schleichender als Streptokokkeninfektionen (s. unten) und bricht erst einige Tage später voll durch. Dieser Erreger kann Granulationsgewebe zerstören, invasiv wachsen und zur Sepsis führen (Hautinfektionen durch S. aureus s. Kap. 26). Bei Anzeichen für eine invasive Infektion sollte ein staphylokokkenwirksames Mittel wie Cefazolin eingesetzt werden; gegen methicillinresistente S.-aureus-Stämme (MRSA) ist ein Glykopeptid oder Linezolid geeignet. Es sollte jede Anstrengung unternommen werden, um eine Ausbreitung auf andere Patienten zu verhindern. Obwohl Staphylokokken auch durch Aerosole übertragen werden können, spielen Kontaktinfektionen eine größere Rolle.
Die hohe Ansteckungsgefahr macht S. pyogenes zur „Geißel“ von Stationen für Verbrennungspatienten Auf Haut- und Weichteilinfektionen durch S. pyogenes (Streptokokken der Gruppe A) wird in Kap. 23 näher eingegangen. Bevor es Antibiotika gab, waren Infektionen von Brandwunden am häufigsten durch S. pyogenes bedingt, und auf Stationen für Verbrennungspatienten ist der Keim noch immer gefürchtet. Die Infektion tritt gewöhnlich gleich in den ersten Tagen nach der Verletzung auf und ist durch rasche Zustandsverschlechterung der Brandwunde mit einer Invasion in angrenzendes 933
gesundes Gewebe gekennzeichnet. Wenn der Patient nicht sofort behandelt wird, stirbt er innerhalb von Stunden an einem schweren toxischen Syndrom. S. pyogenes infiziert selten gesundes Granulationsgewebe, kann aber frische Hautlappentransplantate zur Wunddeckung infizieren und zerstören. Es sollte alles dafür getan werden, eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern. Mittel der Wahl ist Penicillin und für Patienten mit Penicillinallergie ist Erythromycin (Resistenzentwicklung beachten!) oder Vancomycin geeignet. Wichtig für Infektionen von Brandwunden sind außerdem β-hämolysierende Streptokokken anderer Lancefield-Gruppen (vor allem Gruppe C und G, s. Anhang) und Enterokokken.
30.2.2 Infektionen von Verletzungen und Operationswunden Sowohl durch zufällige Hautverletzungen als auch durch bewusst herbeigeführte Hautschnitte (bei Operationen) wird der Körper leichter für Infektionen anfällig. Bei unabsichtlicher (Unfall-)Verletzung können die Keime ziemlich tief in die Wunde eindringen. Welche Erreger es sind, hängt von der Wundart ab (s. Kap. 26).
Hauptursache einer Wundinfektion nach Operationen ist S. aureus Operationswunden können sich intra- oder postoperativ mit S. aureus infizieren, die vom Patienten selbst, von einem Mitpatienten oder dem medizinischen Personal stammen. Eine Wunde ist nicht so gut geschützt wie normales Gewebe, denn ihre Blutzufuhr kann beeinträchtigt sein oder es wurden Nähte gelegt (mit körperfremdem Material). Klassische Untersuchungen zu Wundinfektionen haben gezeigt, dass im Nahtbereich schon weit weniger Staphylokokken für eine Infektion ausreichen als im normalen Hautgewebe. Wundinfektionen können sehr schwerwiegende Folgen haben: Wenn die Keime ins Blut übergehen, können sie sich an anderen Stellen ansiedeln, z.B. an den Herzklappen (führt zu Endokarditis, s. Kap. 29) oder in Knochen (führt zu Osteomyelitis, s. Kap. 26), und dadurch die Patienten noch weiter schwächen.
Im Harntrakt kommt es häufig zu Katheterinfektionen Blasenkatheter durchbrechen die normale Abwehr im Harntrakt und erleichtern Keimen den Aufstieg zur Blase. Katheterinfektionen treten besonders häufig auf, wenn Katheter länger als 48 Stunden liegen bleiben (s. Kap. 20). An der Infektion sind gewöhnlich Gram-negative Stäbchen aus der normalen Darm- (Fäkalkeime) oder periurethralen Flora beteiligt, doch auch Erreger aus der Umgebung im Krankenhaus kommen vor (s. Kap. 36).
Häufigste Erreger einer Venen- oder Dialysekatheterinfektion sind Staphylokokken 934
Über Hautverletzungen durch Katheter, die in Venen oder zur Peritonealdialyse eingeführt werden, haben Keime (aus der Hautflora des Patienten oder von den Händen des Pflegepersonals) leichten Zugang zu tieferem Gewebe. Neben Staphylokokken – den häufigsten Erregern – können auch Corynebakterien, Gramnegative Stäbchen und Candida spp. beteiligt sein. Für über 50% der Infektionen sind koagulasenegative Staphylokokken verantwortlich, besonders S. epidermidis (Tab. 30.3). Die opportunistischen Erreger galten jahrelang als harmlose Keime der normalen Hautflora. Doch sie zeigen eine besondere Vorliebe für Kunststoff, und wenn sich Herde auf Prothesen oder Kathetern bilden, können sie eine invasive Infektion im angrenzenden Gewebe auslösen. Obwohl die Virulenzfaktoren noch nicht ganz geklärt sind, dürfte ihre Fähigkeit, ein klebrig schleimiges Material zu produzieren und sich als Biofilm auf Kunststoffflächen zu legen, eine wichtige Rolle zu spielen. Die Infektion mit S. epidermidis beginnt schleichender als mit hoch virulenten S. aureus. Erschwert wird die Diagnose dadurch, dass sich ein infektiöser Stamm nur schwer von Vertretern der Normalflora abgrenzen lässt. Auch die Behandlung ist schwierig; weil viele Stämme von S. epidermidis gegen Antibiotika resistent sind, muss oft ein Glykopeptid (Vancomycin oder Teicoplanin) mit Rifampicin eingesetzt werden (s. Kap. 33). Falls möglich, sollten Fremdkörper wie (Kunststoff-)Katheter entfernt werden.
30.2.3
Infektion von Kunststoff-prothesen in situ
Technische Weiterentwicklungen bei synthetischen Materialien haben viele Fortschritte in der Medizin und Chirurgie erst ermöglicht, aber auch dazu geführt, dass Infektionserreger noch auf anderen Wegen als sonst in den Körper eingebracht werden können. S. epidermidis ist eine wichtige Infektionsursache bei Patienten mit Herzschrittmacher, Gefäßprothesen und Liquordrainagen (Shunts).
S. epidermidis infiziert am häufigsten künstliche Herzklappen und Gelenkprothesen Künstliche Herzklappen oder Gelenkersatz schwächen die Immunabwehr der Patienten in doppelter Weise: ■
zum einen durch die Operation (Implantation der Prothese),
■
zum anderen durch ständiges Vorhandensein dieses Fremdkörpers.
935
Tab. 30.3 Prozentualer Anteil von Staphylococcus epider-midis an Infektionen von Patienten mit liegendem Katheter oder Kunststoffprothesen (nach Gemmell und McCartney 1990). Häufigster Erreger ist wiederum S. epidermidis, der sich bereits intraoperativ Zugang verschaffen oder infolge einer Bakteriämie (z.B. ausgehend von der Infektion eines venösen Dauerkatheters) angeschwemmt werden kann. (Zur Endokarditis künstlicher Herzklappen s. Kap. 29.) Nach Gelenkersatz ist zwar eine Prothesenlockerung die häufigste Komplikation, doch gleich dahinter folgen an zweiter Stelle Infektionen, die viel wahrscheinlicher zu einem dauerhaften Misserfolg des Eingriffs führen. Die Schwierigkeiten bei der Behandlung sind oben skizziert. Aus verständlichen Gründen scheut man sich eher, eine Endoprothese zu entfernen, doch manchmal ist dies die einzige Möglichkeit, eine Infektion radikal zu sanieren.
30.2.4
Infektionen bei eingeschränkter Clearance
Stase prädisponiert zu Infektionen. Bei Gesunden wird ein Stau durch die physiologischen (normalen) Körperfunktionen verhindert. Wenn aber das Flimmerepithel geschädigt ist, kann sich Sekret im Respirationstrakt stauen und Keimen das Eindringen in die Lunge erleichtern. Das gilt vor allem für Patienten mit zystischer Fibrose, die sich mit S. aureus, Haemophilus influenzae und später auch mit P. aeruginosa infizieren können (s. Kap. 19). Bei einer Harnwegsobstruktion mit Harnabflussstörung können Gram-negative Keime aus der periurethralen Flora in der Harnröhre zur Blase aufsteigen. Als wichtige Komplikation einer Harnwegsinfektion kann sich eine Septikämie auf eine Obstruktion aufpfropfen.
30.3 Infektionen bei sekundärer (erworbener) Immunschwäche Aufgrund einer Immunschwäche verändern sich Art und Schwere sämtlicher Infektionen, und in einigen Fällen weist erst die Infektion auf eine vorliegende Immunstörung hin. Infektiöse Komplikationen einer Immunschwäche (wie eine Septikämie) sind jedoch 936
häufiger bei Krankenhauspatienten anzutreffen, die sich wegen maligner Erkrankungen oder einer Organtransplantation einer Chemotherapie unterziehen müssen. Bei diesen Patienten sind Infektionen noch immer eine Hauptursache der Morbidität und Letalität (Tab. 30.4). Zunehmend häufiger handelt es sich um iatrogene Infektionen durch opportunistische Hospitalkeime.
30.3.1 Maligne Blutbildungsstörungen und Infektionen bei Knochenmarktransplantationen Bei Knochenmarkinsuffizienz prädisponiert ein Mangel an zirkulierenden Neutrophilen zur Infektion Die Infektionsanfälligkeit leukämischer Patienten beruht in erster Linie auf einem Mangel an zirkulierenden Neutrophilen, der sich unvermeidlich bei Knochenmarkinsuffizienz einstellt. Leitsymptom kann zwar eine Septikämie sein, doch Neutropenie tritt viel häufiger bei Patienten auf, die chemotherapeutisch behandelt wurden, um eine Krankheitsremission zu erreichen (Remissions-InduktionsChemotherapie). Neutropenie ist als Neutrophilenzahl unter 0,5 × 109/l definiert, und dieser Zustand kann tage- bis wochenlang anhalten. Verlängerte neutropenische Phasen kommen auch nach einer Knochenmarktransplantation vor.
937
Tab. 30.4 Opportunistische Erreger bzw. Infektionen bei neutropenischen Patienten und Transplantatempfängern. CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HBV = Hepatitis-BVirus, HCV = Hepatitis-C-Virus, HHV = humanes Herpesvirus, HSV = Herpessimplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus Von der Dauer der neutropenischen Phase hängt ab, für welche Infektionen die Patienten anfällig sind bzw. wie häufig diese Infektion wiederkehrt: Mykosen sind z.B. viel häufiger bei Patienten, deren Neutropenie über 21 Tage bestehen bleibt. Auch 938
wenn bisher überwiegend Gramnegative Darmkeime wie Escherichia coli und P. aeruginosa Ursache einer Septikämie bei neutropenischen Patienten waren, gewinnen Gram-positive Erreger wie Staphylokokken, Streptokokken und Enterokokken zunehmend an Bedeutung. Eine Kathetersepsis (s. oben) wird oft durch S. epidermidis ausgelöst. Dass auch Pilzinfektionen (Mykosen) zunehmen, liegt zum Teil daran, dass dank moderner antibakterieller Mittel und Granulozytentransfusion immer mehr Patienten die frühe neutropenische Phase überleben. Als wichtige Komplikation nach einer Knochenmarktransplantation können schwere CMV-Infektionen sowohl mit Abstoßungsreaktionen (graft-versus-host) als auch mit immunsuppressiver Therapie assoziiert sein.
30.3.2
Infektionen nach Organtransplantation
Die meisten Infektionen treten innerhalb von 3–4 Monaten nach der Transplantation auf Um die Abstoßung eines Spenderorgans zu verhindern, muss die zellvermittelte Immunität des Empfängers unterdrückt werden. Doch durch die zytotoxische Chemotherapie wird in gewissem Umfang gewöhnlich auch die humorale Immunität supprimiert. Hinzu kommt, dass wegen der Entzündungsreaktion hochdosierte Kortikosteroide verabreicht werden müssen. Aus all diesen Faktoren ergibt sich eine schwere Immunschwäche des Patienten. Einfluss auf die Infektionsanfälligkeit von Transplantatempfängern (z.B. Niere, Herz, Lunge, Leber) haben unter anderem: ■
Grundkrankheit des Patienten
■
Immunstatus vor der Transplantation
■
Art des Transplantats
■
Schema der immunsuppressiven Therapie
■
Infektionsgefährdung (Exposition)
Erreger der häufigsten und schwersten Infektionen bei Transplantatempfängern sind in Tab. 30.4 aufgelistet. Einige latente Virusinfektionen können bei Suppression der zellvermittelten Immunität, die sie bisher unter Kontrolle hielt (immunosurveillance), reaktiviert werden. Etwa 3–4 Monate nach der Transplantation geht das Infektionsrisiko zurück, bleibt aber so lange bestehen, wie die Immunsuppression des Patienten weitergeführt wird (Abb. 30.7).
30.3.3
Infektionen bei AIDS
Nach der klinischen Definition von AIDS müssen eine oder mehrere opportunistische Infektionen vorliegen
939
AIDS-Patienten sind oft von mehreren Erregern gleichzeitig infiziert, die sich trotz einer längeren, aggressiven Chemotherapie mit geeigneten Mitteln nicht vollständig beseitigen lassen. Dabei handelt es sich überwiegend um intrazelluläre Keime, die nur durch eine intakte zellvermittelte Immunabwehr wirksam bekämpft werden könnten. Während sich die Immunschwäche von HIV-Infizierten mit der Entwicklung zum Vollbild von AIDS (s. Kap. 21) verstärkt, können durch die Reaktivierung von Erregern, die bisher von der zellvermittelten Immunität unter Kontrolle gehalten wurden, disseminierte Infektionen hervorgerufen werden, die bei immunologisch Gesunden nicht vorkommen. Viele der Pathogene, die zu Infektionen bei Immungeschwächten führen (Tab. 30.4), sind an anderer Stelle in diesem Buch beschrieben, unten werden einige der opportunistischen Erreger ausführlicher dargestellt.
940
Abb. 30.7 Diese Zeittafel gibt einen Überblick über Zeitpunkt und Häufigkeitsgipfel von Infektionen, die nach einer Nierentransplantation auftreten können.
941
Während bestimmte Infektionen (z.B. Hepatitis B, Wundinfektionen) nur unmittelbar nach der Transplantation und für begrenzte Zeit ein Risiko für die Patienten darstellen, entwickeln sich andere erst nach wochenlanger Immunsuppression. Doch die meisten Infektionen bedeuten eine ständige Gefährdung – über den ganzen Zeitraum der Immunsuppression. Zu beachten ist, dass Pneumocystis jiroveci(früher: P. carinii) jetzt als Pilz eingestuft wird. (Flussdiagramm nach Reese und Douglas 1986) CMV = Zytomegalievirus, EBV = Epstein-Barr-Virus, HSV = Herpes-simplex-Virus, VZV = Varicella-Zoster-Virus
30.4
Wichtige opportunistische Erreger
30.4.1
Pilze (Mykosen)
Bei Immunschwäche ist Candida der häufigste pathogene Pilz Dieser Hefepilz befällt als opportunistischer Erreger eine Vielzahl von Patienten an unterschiedlichen Körperstellen und verursacht: ■
Vaginal- oder Mundsoor (s. Kap. 21),
■
Hautinfektionen (s. Kap. 26),
■
Endokarditis, besonders bei Drogenabhängigen (s. Kap. 29).
Je nachdem, welche Art von Immunschwäche zugrunde liegt, kann eine CandidaInfektion in unterschiedlicher Weise in Erscheinung treten. ■ Die chronische mukokutane Candidiasis ist eine seltene, persistierende, aber nicht-invasive Infektion von Schleimhäuten, Haaren, Haut und Nägeln bei Patienten (oft Kindern) mit einem spezifischen T-Zell-Mangel, der sie anerg auf die CandidaInfektion reagieren lässt (Abb. 30.8). Sie kann z.B. mit Ketoconazol (intermittierende Zyklen) behandelt werden. ■ Eine Oropharynx- oder Ösophagus-Candidiasis kann bei Patienten vorkommen, deren Immunität aus unterschiedlichen Gründen geschwächt ist, z.B. Patienten mit schlecht sitzender Zahnprothese, Diabetes mellitus, unter Antibiotikaoder Kortikosteroidtherapie. Mittlerweile ist sie typisch für HIV-Infizierte (Abb. 30.9). Zur Behandlung werden antimykotische Mundspülungen (mit Nystatin oder azolhaltigen Mitteln) empfohlen, vor allem wenn sich über den Gastrointestinaltrakt eine disseminierte (systemische) Krankheit entwickeln könnte (s. unten). ■ Eine gastrointestinale Candidiasis kann nach einer größeren Magen- oder Bauchoperation oder bei Patienten mit neoplastischen Erkrankungen auftreten. Da Hefen die Darmwand durchqueren können, ist eine systemische Ausbreitung von einem intestinalen Herd aus möglich. Vor dem Tod lässt sich die Diagnose nur schwer stellen, und in Frühstadien haben bis zu 25% der Patienten keinerlei Symptome. Nach der Dissemination eines Darmherdes können Blutkulturen positiv ausfallen und im Serum Candida-Antigene nachzuweisen sein. Oft wird eine
942
antimykotische Therapie nur bei hoch verdächtigen Anzeichen früh genug eingeleitet, denn die disseminierte Erkrankung verläuft meist tödlich. ■ Eine disseminierte oder systemische Candidiasis geht vermutlich vom Magen-Darm-Trakt aus, kann aber auch mit einer (Venen-)Katheterinfektion zusammenhängen. Am stärksten sind Lymphom- und Leukämiepatienten gefährdet. Hämatogen kann sich die Infektion auf jedes beliebige Organ ausbreiten. Diagnostisch wichtige Hinweise können Infektionen der Augen (Endophthalmitis, Abb. 30.10) und der Haut (Hautknötchen, s. Kap. 26) liefern; sonst treten nur unspezifische Symptome wie Fieber und septischer Schock auf, die eine frühzeitige Diagnose sehr schwierig machen. Patienten mit Immunschwäche werden oft „blind“ (ungezielt) antimykotisch behandelt, wenn sie Fieber bekommen, das nicht auf ein Breitspektrumantibiotikum anspricht (Abb. 30.11).
Abb. 30.8 Orale chronische mukokutane Candidiasis bei einem Kind mit herabgesetzter TZell-Reaktion auf Candida-Antigene.
(Mit freundlicher Genehmigung von M.J. Woods)
Bei eingeschränkter zellvermittelter Immunität kommt es häufig zu Cryptococcus-neoformans-Infektionen C. neoformans ist als opportunistischer Hefepilz weltweit verbreitet. Zwar können sich auch immunkompetente/-gesunde Patienten infizieren, aber betroffen sind doch überwiegend Patienten mit herabgesetzter zellvermittelter Immunität. Die Krankheit entwickelt sich sehr langsam und führt meist zu einer Lungeninfektion (Pneumonie) oder Meningoenzephalitis; nur gelegentlich sind andere Stellen beteiligt (Haut, Knochen, Gelenke, s. Kap. 26). C. neoformans ist in Liquorproben nachweisbar und durch eine dicke Polysaccharidkapsel gekennzeichnet (s. Abb. 24.6). Ein Latexagglutinationstest (mit spezifischen Antikörpern beschichtete Latexpartikel zum Antigennachweis) ermöglicht eine rasche Identifizierung. Behandelt wird mit einer Kombination aus 943
Amphotericin B und Flucytosin (s. Kap. 33), und zur Verlaufskontrolle kann die sinkende Antigenkonzentration im Liquor herangezogen werden. Die Prognose hängt weitgehend von der Grundkrankheit des Patienten ab (bei schwerer Immunschwäche steigt die Letalität auf fast 50% an). Trotz intensiver Therapie lässt sich der Erreger bei AIDS-Kranken kaum ausrotten.
Abb. 30.9
Candida-Ösophagitis.
Endoskopischer Blick auf großflächige weißliche Beläge (mit freundlicher Genehmigung von I. Chesner).
944
Abb. 30.10 Candida-Endophthalmitis.
Bei der Fundoskopie sind weißliche Beläge auf dem Augenhintergrund zu erkennen (mit freundlicher Genehmigung von A.M. Geddes)
Eine disseminierte Histoplasma-capsulatum-Infektion kann bei Patienten mit Immunschwäche noch Jahre nach der Ansteckung auftreten Histoplasma capsulatum ist ein hochinfektiöser Pilz, der bei Gesunden eine akute, aber gutartige Lungenkrankheit auslöst, während sich bei immungeschwächten Patienten eine chronisch progrediente, disseminierte Erkrankung entwickelt. Histoplasma capsulatum ist nur in tropischen Regionen endemisch, im sog. „histobelt“ („Histoplasmengürtel“) der mittleren USA und dort vor allem in Flusstälern von Ohio und Mississippi. Der natürliche Lebensraum von Histoplasma capsulatum ist der Boden. Nach aerogener Übertragung lagern sich die Pilzsporen in Alveolen ab und über die Lymphgefäße breitet sich der Pilz dann in regionale Lymphknoten aus. Da die Krankheit bei Patienten mit Immunschwäche noch Jahre später disseminieren kann, erkranken viele erst, nachdem sie das Endemiegebiet, in dem sie sich infiziert hatten, längst verlassen haben. HIV-Infizierte können sich bei einem Besuch in Endemiegebieten anstecken. Um Histoplasmen nachzuweisen, können Kulturen (von Blut, Knochenmark, Sputum, Liquor) angelegt werden, doch oft ist eine histologische Untersuchung von Knochenmark-, Leber- oder Lymphknotenbiopsien erforderlich, um die Diagnose stellen zu können (Abb. 30.12). In rund 50% der Fälle lässt sich die fortgeschrittene Krankheit erfolgreich mit Amphotericin behandeln.
Eine invasive Aspergillose verläuft bei Patienten mit Immunschwäche meist tödlich
945
Die Rolle von Aspergillen (Schimmelpilzen) bei Lungenkrankheiten ist in Kap. 19 dargestellt. Inzwischen häufen sich jedoch Berichte über eine invasive Form der Aspergillose bei Patienten mit Immunschwäche – meist aufgrund einer starken Neutropenie oder einer hochdosierten Kortikosteroidtherapie (Abb. 30.13). Wie Histoplasmen leben auch Aspergillen im Boden, kommen allerdings weltweit vor. Sie breiten sich über die Luft aus und die Lunge ist in der Regel der Eintrittsort des Erregers. Bei rund 25% der Patienten mit Immunschwäche streuen Herde aus der Lunge zu anderen Stellen, besonders ins ZNS (Abb. 30.14) und ins Herz. Weil es sich um einen ubiquitären Schimmelpilz handelt, hängt die Diagnose vom Nachweis einer Gewebeinvasion ab; dazu ist meist eine Lungenbiopsie erforderlich. Eine invasive Aspergillose bei Patienten mit Immunschwäche geht meist tödlich aus, die Prognose scheint sich jedoch zu verbessern, wenn die Krankheit frühzeitig diagnostiziert und behandelt wird; Mittel der Wahl ist Amphotericin (s. Kap. 33), und nach Möglichkeit sollte die Kortikosteroid- und zytotoxische Medikation reduziert werden. Berichten zufolge scheint auch eine Verbindung zwischen kurz vorher durchgeführten Bauarbeiten und einem gehäuften Auftreten von nosokomialen (Hospital-)Infektionen zu bestehen (s. Kap. 36).
Pneumocystis jiroveci (früher: P. carinii) führt nur bei geschwächter zellvermittelter Immunität zur symptomatischen Erkrankung P. jiroveci ist als atypischer Pilz offenbar weit verbreitet, da große Teile der Bevölkerung Antikörper aufweisen. Zu einer symptomatischen Erkrankung kommt es jedoch nur bei Menschen mit eingeschränkter zellulärer Immunität. Entsprechend hoch ist die Inzidenz von P.-jiroveci-Pneumonien unter immunsuppressiver Therapie (zur Vermeidung einer Abstoßung nach Transplantationen) oder bei HIVInfizierten. Aus unbekannten Gründen ist die Infektion nur selten an anderen Stellen als der Lunge lokalisiert. Die Diagnose ist nicht einfach und setzt hochverdächtige Zeichen voraus. Die unspezifischen Symptome könnten auch bei zahlreichen anderen Infektionen und Atemwegserkrankungen auftreten. Hinzu kommt, dass sich Pneumocystis im Unterschied zu den oben beschriebenen Pilzen nicht mit konventionellen Kulturmethoden aus abgehustetem Sputum isolieren lässt und dass deshalb eine bronchoalveoläre Lavage (BAL) oder offene Lungenbiopsie durchgeführt werden muss. Nach Silber- oder Immunfluoreszenzfärbung der Proben, die mit diesen invasiven Techniken gewonnen wurden, kann man den Keim dann nachweisen (Abb. 30.15). Die Sensitivität der diagnostischen Tests lässt sich durch DNA-Amplifizierung (mit der Polymerasekettenreaktion) verbessern. Empfohlen wird eine Behandlung mit hohen Dosen von Cotrimoxazol (Trimethoprim-Sulfamethoxazol) oder Pentamidin (s. Kap. 33); auch zur Prophylaxe wurde Cotrimoxazol mit gewissem Erfolg angewandt.
30.4.2
Bakterielle Infektionen
Nocardia asteroides – ein weltweit vorkommender, aber seltener opportunistischer Erreger 946
Die Familie der Aktinomyzeten ist mit Mykobakterien verwandt, ähnelt mit ihren verzweigten Fäden/Geflechten aber auch Pilzen. Pathogen wirken die beiden Gattungen Actinomyces und Nocardia (Aktinomykose s. Kap. 22). Bei Patienten mit Immunschwäche (besonders nach Nierentransplantation) sind N.-asteroidesInfektionen beschrieben. Primärsitz ist meist die Lunge, doch die Infektion kann auch auf Haut, Nieren oder ZNS übergreifen (Abb. 30.16). Wie bei Aspergillosen sind auch nosokomiale Fälle von Nokardiose aufgetreten.
Abb. 30.11 Muster zur Entscheidungsfindung als Flussdiagramm.
Neutropenische Patienten sind sehr anfällig für Infektionen, daher müssen therapeutische Entscheidungen auf empirischer Grundlage getroffen werden (nach Rogers 1989). GVHD = graft-versus-host disease, Abstoßungsreaktion Nokardien lassen sich im Labor auf Routine-Nährmedien anzüchten, wachsen aber oft so langsam, dass sie leicht von der kommensalen Flora überwuchert werden können. Daher sollte man das Laborpersonal auf einen klinischen NokardioseVerdacht hinweisen, damit geeignete Nährböden zur Inokulation ausgewählt werden. Die Gram-positiven verzweigten Stäbchenbakterien sind partiell säurefest (Abb. 30.17).
947
Mittel der Wahl sind Sulfonamide oder Cotrimoxazol, doch die Behandlung kann sich als schwierig erweisen; auch Therapieschemata mit Tetrazyklinen, Aminoglykosiden oder Imipenem sind beschrieben.
Im Endstadium von AIDS treten oft Erkrankungen mit Mycobacterium avium-intracellulare auf Obwohl Mykobakteriosen bei immunsupprimierten Patienten ausreichend belegt sind, fällt ihre Verbindung zu AIDS besonders ins Auge. Darin sind unter anderem disseminierte Infektionen mit Mycobacterium tuberculosis und Mycobacterium aviumintracellulare (sog. Mycobacterium-avium-Komplex oder MAC) eingeschlossen. Diese Erreger können aus Blutkulturen von AIDS-Patienten isoliert werden (Einzelheiten zu M. tuberculosis s. Kap. 19).
Abb. 30.12 Im histologischen Schnitt (Lungengewebe) sind nach MethenaminSilberfärbung Hefepilzformen von H. capsulatum sichtbar.
(Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr.) M. avium-intracellulare wird zu den „atypischen“ Mykobakterien (mycobacteria other than tuberculosis, MOTT) gerechnet und ähnelt M. tuberculosis hinsichtlich des langsamen Wachstums, ist aber resistent gegen herkömmliche Antituberkulotika. Empfohlen werden daher Kombinationen mit Clofazimin oder Rifamycinderivaten und Makrolidantibiotika (wie Azithromycin, Clarithromycin), Chinolone, Isoniazid, Ethambutol, Cycloserin oder Pyrazinamid).
30.4.3
Protozoen- und Helmintheninfektionen
Schwere Diarrhoen von AIDS-Patienten können durch Cryptosporidium und Isospora belli bedingt sein Kryptosporidien (Abb. 30.18) sind Protozoenparasiten, die Tierärzte als tierpathogen kennen, die aber auch beim Menschen zu Infektionen führen können. Bei gesunden
948
Menschen verläuft die starke Diarrhoe, die sie verursachen, selbstlimitierend (s. Kap. 22), während AIDS-Patienten unter schweren chronischen Durchfällen leiden. Eine wirksame Behandlung ist schwierig; derzeit gilt Spiramycin als Mittel der Wahl (s. Kap. 33).
Abb. 30.13 Pulmonale Aspergillose.
Das Thoraxröntgenbild zeigt eine invasive Aspergillose in der rechten Lunge eines Patienten mit akuter Myeloblastenleukämie (mit freundlicher Genehmigung von C. Kibbler).
949
Abb. 30.14 Zerebrale Aspergillose.
In der Gefäßwand sind nach PAS-Färbung (Perjodsäure-Schiff-Reaktion) zahlreiche septierte Pilzfäden zu erkennen (mit freundlicher Genehmigung von W.E. Farrar). Isospora belli (Abb. 30.19) ist ein ähnlicher Parasit wie Kryptosporidien und verursacht auch schwere Diarrhoen bei AIDS-Patienten. Im Unterschied zu einer Kryptosporidiose spricht diese Infektion aber auf Cotrimoxazol an.
950
Abb. 30.15 Dunkel gefärbte Pneumocystis-jiroveciZysten in der Gewebeprobe (offene Lungenbiopsie) eines AIDS-Patienten mit Pneumonie.
Grocott-Silberfärbung (mit freundlicher Genehmigung von I. Chesner).
Durch Immunsuppression kann es zur Reaktivierung einer „schlummernden“ Strongyloides-stercoralisInfektion kommen Strongyloides stercoralis, der Zwergfadenwurm kann sich Jahre nach der Erstinfektion in einem „Schlummerzustand“ als Parasit im menschlichen Dünndarm aufhalten, aber bei immunsupprimierten Patienten reaktiviert werden und zu einer massiven Autoinfektion führen. Obwohl ein Wurmbefall in Großbritannien und weiten Teilen der USA selten vorkommt, sollte man bei Patienten, die in Endemiegebieten (wie den Tropen oder im Süden der USA) gelebt haben, an diese Möglichkeit denken, selbst wenn sie sich dort schon Jahre vor der Immunsuppression aufgehalten hatten.
951
Abb. 30.16 Pulmonale Nokardiose.
Auf dem Thoraxröntgenbild ist im rechten unteren Lungenbereich ein großes, rundes Myzetom mit zahlreichen Kavernen erkennbar (mit freundlicher Genehmigung von I. Chesner).
30.4.4
Virusinfektionen
Da bestimmte Virusinfektionen bei Immunschwäche häufiger auftreten und schwerer verlaufen, ist eine engmaschige Kontrolle wichtig Virusinfektionen, die bei Patienten mit Immunschwäche häufiger vorkommen oder schwerer verlaufen (Tab. 30.4), sind an anderer Stelle in diesem Buch ausführlicher beschrieben. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um die Reaktivierung einer latenten Infektion. Vor einer Transplantation werden Spender und Empfänger in einer (Basis)Blutuntersuchung auf ihren Immunstatus überprüft (Infektionen mit HIV, Hepatitis-Bund -C-Virus, CMV, EBV und HSV). Zur Behandlung von Transplantatempfängern gehört unter anderem, bestimmte Virusinfektionen mit antiviralen Mitteln zu unterdrücken, sowie eine regelmäßige virologische Nachuntersuchung (mit Virusgenom- oder Antigennachweis) nach der Transplantation. Im Rahmen präventiver Behandlungsstrategien werden regelmäßig Blutproben entnommen, um möglichst früh eine Virämie oder Antigenämie festzustellen, da sie der eigentlichen Krankheit vorausgeht. 952
Abb. 30.17 Sputum mit Nocardia asteroides.
a) nach säurefester Anfärbung, b) nach Gram-Färbung. Mit freundlicher Genehmigung von T.F. Sellers jr. (a) und I. Chesner (b). Spender und Empfänger werden z.B. auf CMV-IgG untersucht. Unter den Bedingungen einer Transplantation kann eine CMV-Infektion ein breites Krankheitsspektrum hervorrufen (Pneumonitis, Ösophagitis, Kolitis, Hepatitis, Enzephalitis u. a.). Bei einem CMV-IgG-positiven Spender bestünde die Möglichkeit, dass sich der CMV-IgG-negative Empfänger über eine Organ- oder Knochenmarkspende infiziert. Transplantationszentren versuchen dies möglichst zu vermeiden, da das Risiko einer Primärinfektion mit CMV in den ersten Monaten nach der Transplantation sehr hoch ist (genauso wie Morbidität und Letalität). Daher müssen die Blutproben nach einer Transplantation regelmäßig auf CMV-DNA oder CMV-Antigen kontrolliert werden, um die Infektion rechtzeitig zu entdecken und so früh wie möglich antiviral behandeln zu können. Manche Zentren beginnen gleich nach der Transplantation mit der antiviralen Therapie, um den Ausbruch einer CMV-Infektion so lange hinauszuzögern, bis der Empfänger nicht mehr so stark immunsupprimiert ist. Bei CMV-IgG-positiven Transplantatempfängern besteht die Gefahr einer Reaktivierung oder Reinfektion, daher werden sie ebenfalls engmaschig kontrolliert. Zur Reaktivierung kommt es meist 8–12 Wochen nach der Transplantation. Nach Knochenmarkspenden erhalten die Empfänger oft noch längere Zeit danach eine Prophylaxe gegen HSV, um eine Reaktivierung zu verhindern. HSV-Infektionen können rezidivieren, und die Episoden treten im Allgemeinen unmittelbar nach der Transplantation auf. Eine Viruskontrolle wird nicht durchgeführt, doch wenn eine HSV-Infektion durchbricht, kann es wichtig sein, Materialproben aus den Herpesbläschen zu gewinnen, um das Virus zu isolieren oder eine Genomsequenzanalyse durchzuführen und um das Ansprechen auf Virustatika zu testen. Bei Herpes können persistierende
953
Läsionen an Lippen, im Ösophagus und an anderen Stellen des Verdauungstrakts auftreten und zu Pneumonie, Hepatitis oder Enzephalitis führen.
Abb. 30.18 Kryptosporidiose mit zahlreichen Erregern im Bürstensaumepithel des Darms.
(Mit freundlicher Genehmigung von I. Chesner) Wird eine VZV-Infektion reaktiviert, kann sich innerhalb weniger Monate nach der Transplantation im Versorgungsgebiet (Dermatom) des betroffenen Nervs ein Herpes zoster entwickeln. Manchmal können mehrere Dermatome befallen sein oder Herde an anderen Stellen auftreten (Dissemination). Berichtet wurde auch über Infektionen, Reaktivierungen oder Reinfektionen mit HHV-6 und HHV-7 bei Transplantatempfängern; besonders häufig handelte es sich um neurologische Komplikationen (einschließlich Enzephalitis). HHV-8 ist mit der Entwicklung eines Kaposi-Sarkoms (KS) bei AIDS-Patienten sowie der klassischen und endemischen Form des KS bei Nicht-HIV-Infizierten assoziiert.
Eine EBV-Infektion kann zur Tumorbildung führen EBV-Infektionen scheinen mit der Entwicklung eines Morbus Hodgkin und NonHodgkin-Lymphomen bei HIV-Infizierten, mit lymphoproliferativen Erkrankungen nach Transplantation und mit Tumoren der glatten Muskulatur bei immunsupprimierten Kindern in Beziehung zu stehen.
Abb. 30.19 Kokzidiose des Menschen.
954
Hier eine Epithelzelle mit einem einzelnen Isospora-belli-Exemplar und chronischer Entzündungsreaktion der Lamina propria (mit freundlicher Genehmigung von I. Chesner). Eine lymphoproliferative Störung (post-transplantation lymphoproliferative disorder, PTLD) in Verbindung mit einer EBV-Infektion kann zu einem breiten Spektrum klinischer Syndrome führen – angefangen von der infektiösen Mononukleose bis hin zu Malignomen (darunter solche mit klonalen Chromosomenanomalien und hoher Sterblichkeit, wie z.B. monoklonale Tumoren). Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTLD gehören eine primäre EBVInfektion von Organempfängern, ein inkompatibler CMV-Status von Spender und Empfänger, eine CMV-Erkrankung sowie Intensität und Art der immunsuppressiven Therapie. Verglichen mit Empfängern, die schon früher mit EBV in Kontakt gekommen sind, haben EBV-anfällige Empfänger ein 10- bis 76-fach erhöhtes Risiko, an einer PTLD zu erkranken. Da die beiden Häufigkeitsgipfel der primären EBV-Infektion im Kindes- bzw. Jugendalter liegen, kommt eine PTLD bei pädiatrischen Transplantatempfängern entsprechend häufiger vor. Bei pädiatrischen Lebertransplantatempfängern beträgt die Prävalenz z.B. 4–14% (je nachdem, welches immunsuppressives Therapieschema angewandt wird). Retrospektive Studien haben ergeben, dass bis zu 50% der pädiatrischen Organempfänger mit primärer EBV-Infektion gefährdet sind, an einer PTLD zu erkranken. Eine EBV-Infektion kann sich im privaten Umfeld oder im Rahmen der Transplantation (durch Spenderorgan, Blutprodukte) ereignen. Über den Spontanverlauf einer EBV-Infektion und die Pathophysiologie einer EBV-induzierten Lymphoproliferation nach Transplantationen ist noch nicht viel bekannt. Für eine EBV-assoziierte PTLD wurden diagnostische Kriterien entwickelt. Allerdings liegen bisher noch kaum Informationen über die Wirksamkeit spezifischer Therapieprotokolle vor, da randomisierte plazebokontrollierte Versuche fehlen. Einige Forschergruppen untersuchten, ob sich Lymphome bei 955
Transplantationspatienten durch adoptiven Transfer EBV-spezifischer zytotoxischer T-Lymphozyten behandeln lassen.
Adenovirusinfektionen gehen mit hoher Letalität einher Bei Kindern und Erwachsenen kann durch die Immunsuppression nach einer Transplantation (besonders nach Knochenmarkspenden) eine primäre Adenovirusinfektion auftreten und genauso wie eine Reaktivierung zu disseminierten (systemischen) Erkrankungen führen. Am häufigsten wurden Fälle einer Hepatitis und Pneumonie berichtet. Auch zur Kontrolle von Adenovirusinfektionen werden nach Transplantationen in spezialisierten Zentren Blutproben auf Adenovirus-DNA untersucht, um eine Virämie möglichst frühzeitig zu entdecken. Bei nachgewiesener Virämie gibt es verschiedene Behandlungsstrategien (z.B. schwächere Immunsuppression oder antivirale Medikamente wie Ribavirin und Cidofovir). Über eine erfolgreiche Behandlung liegen aber nur wenige Berichte vor.
Wenn eine Hepatitis-B-Virus(HBV)-Infektion nach der Transplantation entdeckt wird Eine HBV-Infektion hat immunpathologische Grundlagen, und wenn zytotoxische TZellen Hepatozyten, die das Hepatitis-B-surface-Antigen tragen, lysiert haben, entwickelt sich eine Gelbsucht. Daher kann es sein, dass eine akute HBV-Infektion bei Knochenmarkempfängern erst nach der Transplantation symptomatisch wird (bzw. nach Reaktivierung einer früher durchgemachten HBV-Infektion). Eine Hepatitis-C-Virus(HCV)-Infektion kann bei Knochenmarkempfängern zu einer Venenverschlusskrankheit (veno-occlusive disease, VOD) führen.
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Polyomaviren können Ursache einer hämorrhagischen Zystitis und einer progressiven multifokalen Leukoenzephalopathie sein Polyomaviren (BK- oder JC-Viren) gelangen über die Atemwege in den Körper und können sich als latente Infektion in der Niere halten. Im Urin von Knochenmarkempfängern sind sie oft nachweisbar (s. Kap. 20), bleiben aber meist asymptomatisch. Eine BK-Virämie kann jedoch mit hämorrhagischer Zystitis assoziiert sein. Nach Reaktivierung und Dissemination einer JC-Virus-Infektion kann sich bei AIDS-Patienten eine progressive multifokale Leukoenzephalopathie entwickeln. Sie ist aber seltener geworden, seitdem die Möglichkeit einer hochwirksamen antiretroviralen Therapie (HAART) besteht.
Zusammenfassung ■ Menschen, deren Immunität (normale Abwehr von Infektionen) herabgesetzt ist, haben Immundefekte bzw. gelten als immungeschwächt. Eine Immunschwäche kann primär oder sekundär sein und das angeborene oder das erworbene Immunsystem betreffen. ■ Patienten mit Immunschwäche können sich nicht nur mit allen Erregern infizieren, die auch für Immunkompetente infektiös sind, sondern zusätzlich noch mit opportunistischen Erregern. Der Typ der Infektion hängt mit der Art der Immunschwäche zusammen. ■ Ohne die normalen Immunreaktionen lässt sich eine wirksame Behandlung oder ein Therapieerfolg oft nur schwer erreichen, selbst wenn Erreger in vitro empfindlich für Medikamente sind. ■ Wichtige opportunistische Erreger sind P. aeruginosa (besonders bei Patienten mit Neutropenie und schweren Verbrennungen) sowie S. epidermidis (z.B. bei Patienten mit Prothesen/Ersatzteilen aus Kunststoff). Bei AIDS-Patienten überwiegen intrazelluläre opportunistische Keime (Bakterien), die sich das Fehlen der zellvermittelten Immunität zunutze machen. ■ AIDS und Neutropenie (besonders nach zytotoxischer Chemotherapie) prädisponieren zu Pilzinfektionen (Candida-Spezies, Aspergillen und Kryptokokken), besonders nachdem die Patienten antibiotisch behandelt wurden. ■ Patienten mit Immunschwäche erkranken häufiger und schwerer an Virusinfektionen als Patienten ohne Immundefekte, besonders wenn es sich um die Reaktivierung einer latenten Infektion (z.B. mit Herpes-simplex-Virus, CMV, JCViren) handelt.
FRAGEN Ein 24-jähriger HIV-Infizierter kommt zum Arzt, weil er seit sechs Wochen an Kopfschmerzen leidet, die ständig wiederkehren und sich verschlimmern. Seit 1987 weiβ er, dass er HIV-1-seropositiv ist, doch bisher ging es ihm gut (CD4-positive Zellen: 80/mm3). 957
Bei der Untersuchung sind keine neurologischen Herdsymptome erkennbar, auch der Augenhintergrund (Fundoskopie) ist normal. Der Patient hat allerdings Mundsoor (orale Candidiasis). Eine kraniale CT ergibt keinen Befund. Eine Lumbalpunktion liefert folgende Ergebnisse: Liquor klar, Leukozytenzahl von 150/mm3 (vorwiegend Lymphozyten), Glukose im Liquor 2,2 mmol/l, Blutglukose 3,8 mmol/l, Proteinkonzentration 0,4 g/dl. 1 Wie lautet die Verdachtsdiagnose und welche diagnostischen Untersuchungen würden Sie durchführen? Mit welchen Untersuchungen könnte die Diagnose sonst noch gesichert 2 werden? 3
Wie würden Sie den Patienten behandeln?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Brostoff, J., Scadding, G.K., Male, D., Roitt, I.M.: Clinical Immunology. Mosby International, London 1991. Gemmell, C.G., McCartney, A.C.: Coagulase-negative staphylococci within the hospital environment. Rev Med Microbiol 1 (1990) 213–218. Orr, K.E., Gould, F.K.: Infection problems in patients receiving solid organ transplants. Rev Med Micobiol 3 (1992) 96–103. Reese, R.E., Douglas, R.G. (eds.): A Practical Approach to Infectious Diseases. Little, Brown & Co., Baltimore/Toronto 1986. Rogers, T.R.: Management of septicaemia in the immunocompromised with particular reference to neutropenic patients. In: Shanson, D.C. (ed.): Septicaemia and Endocarditis. Oxford Medical Publications, Oxford 1989. www.archetypum.net
958
31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine Einführung 31.1
Epidemiologische Überlegungen 473
31.1.1
Die Biologie der Infektionserreger verstehen 473
31.1.2
Aussagewert der Reproduktionsraten 474
31.1.3
Einfluss des Verhaltens auf die Ausbreitung von Infektionen 476
31.1.4
Übertragung zwischen Gruppen 476
31.1.5
Veränderte Inzidenz von Infektionen 477
31.1.6
Erfolgreiche Übertragung 477
31.2
Nachweis und Diagnose 477
31.3
Chemotherapie oder Impfung 480
31.4
Bekämpfung oder Ausrottung 483
Zur Orientierung Infektionskrankheiten können medikamentös, durch Impfung und eine „gesündere“ Umwelt bekämpft werden Ein großer Verdienst der angewandten medizinischen Forschung war die erfolgreiche Bekämpfung zahlreicher Infektionskrankheiten; die Pocken sind ausgerottet und andere Infektionen können inzwischen in vielen Teilen der Welt wirksam bekämpft werden. Diese Kontrollierbarkeit wurde hauptsächlich auf drei Wegen erreicht: ■ durch Medikamente (Antibiotika-/Chemotherapie) ■ durch Impfstoffe (Immunisierung) ■ durch Verbesserung der Umweltbedingungen (Hygiene, Ernährung usw.; Tab. 31.1) Während Infektionskrankheiten auf individueller Ebene im Allgemeinen mit Medikamenten behandelt werden, dienen Impfungen und Verbesserung der Umweltbedingungen zur Infektionsbekämpfung in der Bevölkerung. Wie Infektionskrankheiten entstehen, sich ausbreiten und bekämpft werden können, lässt sich nur auf der Grundlage detaillierter epidemiologischer Studien verstehen, die eine Risikoeinschätzung und die Planung von Gegenstrategien ermöglichen. Solche Untersuchungen setzen zum einen Kenntnisse über Infektionserreger und die unterschiedlichen Beziehungen zu ihren Wirten voraus, erfordern zum anderen aber auch eine Datensammlung und -analyse mithilfe mathematischer Modelle, um sich eine Vorstellung von Übertragungs- und Kontrollmöglichkeiten machen zu können. Wo die Kausalbeziehung zwischen Krankheitsbild und Erreger oder der Übertragungsweg noch unbekannt sind, können epidemiologische Forschungen dazu beitragen, das fehlende Glied zu finden und geeignete Strategien zur Infektionskontrolle festzulegen.
959
31.1
Epidemiologische Überlegungen
31.1.1
Die Biologie der Infektionserreger verstehen
Mikroorganismen reproduzieren sich direkt in ihrem Wirt und sind in der Regel eine flüchtige (transiente) Erscheinung Viren, Bakterien, Pilze und Protozoen („Mikroparasiten“) vermehren sich oft in sehr hohen Raten in ihrem Wirt. Sie sind meist klein (Mikroorganismen) und haben eine recht kurze Generationszeit. Eine überstandene Infektion macht gewöhnlich immun gegen Reinfektionen; nach Virusinfektionen kann sogar lebenslange Immunität bestehen. Mit einigen wichtigen Ausnahmen (z.B. Herpes, HIV-Infektion) sind es Infektionen kurzer Dauer, verglichen mit der Lebensspanne des Wirts. Daher ist ihr flüchtiges (transientes) Erscheinen typisch für Infektionen mit Mikroorganismen. Um die Epidemiologie dieser Infektionskrankheiten zu definieren und die Durchseuchung einer Wirtspopulation zu beschrieben, ist es sinnvoll, vier Gruppen zu unterscheiden: (1) anfällige (nichtimmune), (2) latent infizierte (d.h. nichtinfektiöse), (3) infizierte und infektiöse, (4) genesene und immun gewordene Menschen (Abb. 31.1). Auch Inkubationszeit (vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Erkrankung), Latenzphase (vom Zeitpunkt der Infektion bis zur Infektiosität) und Generationszeit (Summe aus Inkubationszeit und Latenzphase) sind nützliche Unterscheidungskriterien (Abb. 31.2). Bei einigen Infektionen (z.B. mit Herpesvirus) kann es zu einer intermittierenden Infektiosität oder zu einer großen Schwankungsbreite während der Inkubationszeit (z.B. HIV-Infektion) kommen. In Tab. 31.2 sind die durchschnittliche Dauer der Latenzphase und der Inkubationszeit für einige häufigere Infektionskrankheiten angegeben.
Größere Parasiten vermehren sich nicht in ihrem Wirt und sind typischerweise auch nicht transient Größere Parasiten (d.h. Helminthen und Arthropoden) vermehren sich nicht direkt im Körper ihres Wirts, sondern bilden übertragbare Stadien aus, die ausgeschieden werden und ihren Entwicklungszyklus außerhalb vollenden. Typisch für sie sind die Größe („Makroparasiten“) und eine Generationszeit, die im Verhältnis zur Lebensdauer des Wirts oft beträchtlich sein kann. Nach ihrer Entfernung besteht nur eine kurz währende Immunität und Reinfektionen sind jederzeit wieder möglich.
960
Tab. 31.1 Strategien zur Bekämpfung von Infektions-krankheiten.
Die Ausbreitung von Infektionen hängt von der Reproduktionsrate der Erreger ab An der Vermehrungsgeschwindigkeit bzw. Reproduktionsrate eines Organismus lässt sich sein biologischer Erfolg messen. Da sie für Mikroorganismen im Körper nicht genau errechnet werden kann, definiert man die Grundrate ihrer Vermehrung (R0) als „durchschnittliche Zahl der Infizierten infolge eines einzigen Falls (einer Erstinfektion) in einer komplett anfälligen Population“. Synonym gebraucht werden auch „fallbezogene Reproduktionsrate“ oder „Übertragbarkeit“ (Übertragungspotenzial). Bei größeren Parasiten kann die Zahl der Fälle direkt
961
bestimmt werden; hierbei entspricht R0 der durchschnittlichen Zahl von Nachkommen, die ein geschlechtsreifes Weibchen im Laufe seines Lebens produziert.
Abb. 31.1 Flussschema einer direkt übertragbaren Infektion in einer Population (Gruppen von anfälligen, infizierten und immun gewordenen Individuen).
Während durch Reproduktion (mit der Rate a) wieder neue anfällige Individuen hinzukommen, scheiden andere durch Tod (Rate b) aus. In der infektiösen Gruppe wird „b“ noch durch die krankheitsbezogene Todesrate α ergänzt. Aus einer Mischung infektiöser und anfälliger Individuen könnten neue Infektionen hervorgehen. Diese Definitionen gelten aber nur für Infektionen unter idealen Bedingungen, d.h., wenn die gesamte Wirtspopulation anfällig wäre; doch das ist selten der Fall. Die Infektionsanfälligkeit hängt von individuellen Faktoren ab (wie Geschlecht, Alter, Genetik, Ernährungs- und Immunstatus, vorhergegangene Exposition), so dass die Ausbreitung von Infektionen immer gewissen Einschränkungen unterliegt. Daher ist die Größe der effektiven Reproduktionsrate (R) ein realistischerer Wert. Sobald sich eine Infektion in einer Bevölkerung etabliert hat (hohe Durchseuchung) und sich eine Gruppenimmunität entwickelt, nimmt der Anteil anfälliger Individuen ab. Auch wenn immer wieder saisonal oder in längeren Zeitabständen Schwankungen auftreten können, stellt sich schließlich eine Art Gleichgewicht ein (endemische Infektion). Vor Einführung der Masern-Schutzimpfung wurde der regelmäßige 2Jahres-Rhythmus der Maserninzidenz z.B. von einer saisonalen Häufung überlagert (Abb. 31.3). Bei einem Gleichgewichtszustand halten sich immun gewordene und – durch Geburt oder Zuwanderung – neu hinzugekommene anfällige Individuen in einer Bevölkerung genau die Waage; daher beträgt die effektive Reproduktionsrate R = 1. Könnte R durch gezielte Interventionen verringert werden (R < 1), würde sich die Infektion nicht selbst erhalten können und aussterben. Nach diesem Grundprinzip werden Impfkampagnen durchgeführt (s. unten). Bei R > 1 breitet sich die Infektion dagegen weiter aus. 962
31.1.2
Aussagewert der Reproduktionsraten
Wie stark die Zahl der Infektionen anfangs zunimmt, hängt von der Größe von R0 ab Wie hoch der Anteil der (z.B. mit HIV) Infizierten in einer anfälligen Population zu Beginn ansteigt, wird durch die Größe von R0 und bestimmte Verhaltensweisen beeinflusst (s. unten). Dabei gilt: je größer R0, desto steiler der Anstieg. Sobald Infektionen auftreten, deren Erreger einen hohen R0-Wert haben, muss rasch reagiert werden – auf individueller wie auf der Bevölkerungsebene.
Abb. 31.2 Beziehung zwischen Inkubationszeit, Latenz- und infektiöser Phase am Beispiel einer hypothetischen Infektion (mit Mikroorganismen).
Zu beachten ist, dass die infektiöse und die symptomatische Phase einer Krankheit nicht notwendigerweise synchron sein müssen. Die Generationszeit entspricht der Gesamtdauer von Latenz- und infektiöser Phase (s. Text).
R0 bestimmt auch das Alter, in dem sich ungeimpfte Kinder anstecken können Wie Abb. 31.4 zeigt, nimmt bei ungeimpften Kindern nach dem Rückgang der mütterlichen Antikörper der Anteil derjenigen zu, die aufgrund einer Virusinfektion selbst Antikörper gebildet haben. In welchem Durchschnittsalter Infektionen auftreten, steht in direkter Beziehung zu R0. Dabei gilt: je größer R0, desto niedriger das Alter (A) bei Infektion und desto kleiner das Zeitfenster der Anfälligkeit – und umgekehrt.
963
Abb. 31.3 Jährliche Meldungen von Masernfällen in einer städtischen Bevölkerung (für den Zeitraum von 1960 bis 1985).
Vor Einführung der Schutzimpfung traten alle 2 Jahre deutlich erkennbare Schwankungen der Maserninzidenz auf. Durch die Masern-Schutzimpfung (seit 1966) und den besonders bei Kleinkindern hohen Anteil der Geimpften haben sich die Abstände zwischen den Epidemien signifikant verlängert (Statistik des britischen Office of Population Censuses and Surveys).
964
Tab. 31.2 Inkubationszeit, Latenz- und infektiöse Phase verschiedener Virus- und bakteriellen Infektionen. In Tab. 31.3 ist für einige häufige Infektionskrankheiten das geschätzte Durchschnittsalter A (ungeimpfte Bevölkerungsgruppen) angegeben. Die Übertragbarkeit von Infektionen (bzw. ihre „erfolgreiche“ Ausbreitung) kann sehr stark schwanken; in Entwicklungsländern ist das Durchschnittsalter (A) bei Infektionen viel niedriger als in den USA oder Großbritannien.
965
Abb. 31.4 Altersbezogenes serologisches Profil der spezifischen Antikörper, die sich gegen Antigene einer direkt übertragbaren Virusinfektion („Kinderkrankheit“) bilden können.
Das Durchschnittsalter bei Infektion beträgt 5 Jahre. Zwischen dem Rückgang der mütterlichen Antikörper und dem Anstieg der Seroprävalenz nach einer Infektion öffnet sich ein Fenster erhöhter Anfälligkeit (Suszeptibilität). Serologische Reihenuntersuchungen können wertvolle Hinweise auf das beste Impfalter und die Bevölkerungsgruppe liefern, deren Immunisierung (Impfung) am ehesten Erfolg verspricht (d.h. die weitere Übertragung unterbinden kann).
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Tab. 31.3 Durchschnittsalter bei Infektion (A) – bezogen auf Infektionskrankheiten in unterschiedlichen Ländern vor der Einführung von Schutzimpfungen in größerem Maßstab.
31.1.3 Einfluss des Verhaltens auf die Ausbreitung von Infektionen Um sich aufrechtzuerhalten, muss bei Infektionen (außer den sexuell übertragbaren) der Anteil der anfälligen Personen über dem kritischen Grenzwert liegt Bei einer direkt übertragbaren Infektion müssen infektiöse und anfällige Personen in Kontakt kommen. Wie eng der Kontakt zu sein hat, richtet sich nach dem Anteil (Dichte) der anfälligen Mitglieder einer Gruppe, der über dem kalkulierbaren kritischen Grenzwert liegen muss. Dieses Konzept erklärt, weshalb Impfkampagnen darauf abzielen, einen möglichst flächendeckenden Schutz aufzubauen, um so den Anteil der Gefährdeten unter diesen Wert zu senken.
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Bei sexuell übertragbaren Krankheiten hängt R0 von der durchschnittlichen Anzahl neuer Sexualpartner ab Besonders große Bedeutung hat das Verhalten bei sexuell übertragbaren Krankheiten wie Gonorrhoe oder HIV-Infektion. Da sich die Betroffenen in unterschiedlicher Häufigkeit neue Sexualpartner suchen (Abb. 31.5), hängt R0 in hohem Maße von der sexuellen Aktivität ab. Wer viele Sexualpartner hat, kann sich eher infizieren oder andere anstecken. Das spielt eine Schlüsselrolle für die Aufrechterhaltung von Infektionen in der Gruppe der sexuell aktiven Menschen. Daher richten sich Behandlung und Aufklärung über Safer-Sex-Praktiken (Sexualerziehung) vornehmlich an promiskuitive Menschen.
31.1.4
Übertragung zwischen Gruppen
Nach welchem Muster sich einzelne Bevölkerungsgruppen mischen, ist ausschlaggebend für das Vorgehen bei der Infektionsbekämpfung. Denn die Übertragbarkeit von Infektionen ist nicht nur innerhalb einzelner Gruppen unterschiedlich, sondern auch der Kontakt zwischen den Gruppen kann eine Schlüsselrolle hinsichtlich des Infektions- und Erkrankungsmusters spielen. Unter diesen Umständen wird sich die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Einzelner zu Mitgliedern seiner eigenen oder anderer Gruppen in Kontakt kommt, auch auf R0 auswirken. Mögliche Mischungen zu berücksichtigen ist daher von großer Bedeutung für die Entwicklung von Strategien zur Infektionsbekämpfung.
968
Abb. 31.5 Zahl der Sexualpartner und Häufigkeitsverteilung in unterschiedlichen Zeiträumen (von einem Monat bis lebenslange Beziehung).
Umfrage (1987) unter männlichen und weiblichen Studenten in Großbritannien.
Die Durchmischung wird von Schulzeiten und Ferien beeinflusst Bei direkt ansteckenden Infektionskrankheiten wie Masern, Röteln, Mumps und Keuchhusten können unter Schulkindern der Grund- oder Sekundarstufe (im Alter von 5–15 Jahren) sehr hohe Übertragungsraten auftreten. Von dieser Altersgruppe breitet sich die Infektion auf jüngere und ältere Familienmitglieder aus. In Ländern, in denen Kinder in hohem Maße durch Impfungen geschützt sind, halten sich trotzdem „Infektionsnester“ in ärmeren Gemeinden oder bei ethnischen Minderheiten in größeren Städten, die sich nur selten impfen lassen. Um die Ansteckungsgefahr zwischen den Gruppen zu verringern, wäre es erstrebenswert, Kinder vor dem Eintritt in die Grundschule und Kleinkinder in ärmeren urbanen Zentren zu impfen.
969
31.1.5
Veränderte Inzidenz von Infektionen
Viele direkt übertragbare Virus- und bakterielle Infektionen zeigen regelmäßige Häufigkeitsgipfel Anhand epidemiologischer Daten, die über mehrere Jahre gesammelt wurden, lässt sich der Zeitraum zwischen zwei Epidemien (mittleres Zeitintervall zwischen den Häufigkeitsgipfeln) ermitteln. Ein auffälliges Merkmal vieler verbreiteter Virus- und Bakterieninfektionen ist die Regelmäßigkeit, mit der solche Häufigkeitsgipfel auftreten. Meist handelt es sich um: ■ jahreszeitliche/saisonale Schwankungen (Auswirkungen des Schul- bzw. Ferienkalenders auf Kinderkrankheiten) ■ längere Zeitintervalle. Vor Einführung der Masern- bzw. PertussisSchutzimpfung lagen in Großbritannien 2 Jahre zwischen Masern- und 3–4 Jahre zwischen Keuchhusten-Epidemien (Tab. 31.4, s. Kap. 16). Diese Intervalle werden von den Interaktionen zwischen Erreger und Wirt bestimmt, die zu ständigen Fluktuationen von R (< 1 oder > 1) führen. Zu Beginn eines Epidemiezyklus breiten sich die Erreger ziemlich schnell aus. Doch bei Ausschöpfung des Infektionsreservoirs der Anfälligen fällt R unter 1 und die Inzidenz der Infektion geht langsam zurück. Das setzt sich so lange fort, bis neue Geburten den Pool der Infektionsanfälligen wieder auffüllen und ihr Anteil schließlich so stark ansteigt, dass die nächste Epidemie ausgelöst wird.
31.1.6
Erfolgreiche Übertragung
Wie erfolgreich eine Infektion übertragen wird, hängt von unterschiedlichen demografischen (Geburtenüberschuss, „Nettogeburtenrate“) und Verhaltensmerkmalen (Durchmischung einzelner Gruppen) ab. Vor Einführung der Masern-Schutzimpfung verkürzte sich der Zeitraum zwischen Masernepidemien in afrikanischen oder indischen Großstädten oft auf ein Jahr (in den USA und Großbritannien sind zwei Jahre typisch). Darin kommen direkt die Unterschiede beim durchschnittlichen Infektionsalter zum Ausdruck (Tab. 31.3). Durch Schutzimpfungen erhöht sich das durchschnittliche Alter zur Zeit der Infektion. Welche Auswirkungen das hat, wird in Kap. 34 näher besprochen, doch eine Folge ist unter anderem ein längerer Abstand zwischen Epidemien (Tab. 31.4). Daher verändert sich durch Schutzimpfungen nicht nur die Inzidenz von Infektionen, sondern sie beeinflussen auch die Altersverteilung der Fälle und das Fluktuationsmuster.
970
Geschichte der Mikrobiologie (1) Epidemiologie als Wissenschaft Die Epidemiologie untersucht das Auftreten, die Verbreitung und die Bekämpfung von Infektionen. Sie stützt sich dabei auf eine ausführliche Sammlung statistischer Informationen und kann auf unterschiedlichen Ebenen durchgeführt werden, von der rein deskriptiven bis zur analytischen und experimentellen Untersuchung, wobei mathematische Modelle eine zunehmend bedeutendere Rolle spielen. Epidemiologische Daten können dazu verwendet werden, ein Register von Krankheiten in der Bevölkerung zu erstellen oder, wenn es sich um Infektionskrankheiten handelt, die Ursachen und Übertragungswege herauszufinden. Sie können außerdem benutzt werden, um prognostische Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu treffen, Risikofaktoren zu erkennen und Behandlungs-/Kontrollprogramme zu entwickeln. Wie jede Wissenschaft hat auch die Epidemiologie ihren eigenen „Jargon“ und besondere Fachbegriffe Als Infektion wird das Vorhandensein eines Erregers bei Einzelpersonen oder in einer Bevölkerung(sgruppe) bezeichnet. Der Begriff Krankheit wird nur für eine Infektion mit erkennbar klinischen Auswirkungen verwendet, egal, ob leichte oder schwere Symptome. Das Zeitintervall zwischen Exposition und Ausbruch der Infektion ist die Inkubationszeit. Wer sich infiziert hat und andere Menschen anstecken kann, ist infektiös. Da die Infektiosität trotz Abklingen der Krankheitszeichen weiter bestehen kann, gelten die Betreffenden als Überträger oder Carrier. Ein Carrier-Status kann auch bestehen, ohne dass jemals Symptome aufgetreten wären. Obwohl die Übertragung (Ansteckung) auf unterschiedlichen Wegen stattfinden kann, setzt sie immer voraus, dass infektiöse und anfällige Personen direkt oder indirekt miteinander in Kontakt kommen (s. Kap. 13). Eine Infektion kann immun und damit oft resistent gegen zukünftige Infektionen machen. Infektionen oder Krankheiten, die mit niedriger oder mittlerer Häufigkeit in Bevölkerungsgruppen auftreten, werden als endemisch bezeichnet (und als hyperendemisch, wenn sie gehäuft vorkommen). Ein plötzlicher Häufigkeitsanstieg – über das endemische Niveau hinaus – führt zur Epidemie; globale Epidemien sind Pandemien. Auf die Infektions- oder Krankheitsfälle in einer Population bezieht sich die Prävalenz, wobei Punktprävalenz die Fallzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt und Periodenprävalenz die Fallzahl in einem bestimmten Zeitraum bedeutet. Seroprävalenz gibt die Zahl der Personen an, bei denen Antikörper gegen eine bestimmte Infektion nachweisbar sind. Bei den Betreffenden hat in dem Moment, wo solche Antikörper auftauchen, eine Serokonversion stattgefunden. Als Inzidenz bezeichnet man die Zahl der Neuerkrankungen in einer Bevölkerung über einen definierten Zeitraum. Auf Krankheiten oder Infektionen in bestimmten Altersgruppen verweist die altersspezifische Prävalenz oder Inzidenz. Prävalenz und Inzidenz können periodische Schwankungen aufweisen oder im zeitlichen Verlauf Trends erkennen lassen (oft 971
„longitudinale“ Trends genannt). Bei säkularenTrends entwickeln sich Veränderungen langsam über viele Jahre, während sich periodischeTrends kurzfristiger (innerhalb von Monaten oder wenigen Jahren) abzeichnen. Jährlich oder monatlich können Veränderungen als saisonaleTrends auftreten, in denen sich Klima(Jahreszeiten) oder Verhaltenseinflüsse widerspiegeln, und akute (aktuelle) Trends ergeben sich während einer Epidemie. Deskriptive epidemiologische Daten können während oder nach einer Epidemie gesammelt werden Je vollständiger die Daten, desto fruchtbarer kann ihre Analyse sein. Dementsprechend müssen nicht nur Daten in unmittelbarem Zusammenhang zur Infektion, sondern auch demografische, geografische, klimatische, sozioökonomische, Verhaltens- und persönliche Daten erfasst werden. Die Unterteilung oder Schichtung (Stratifikation) einer Bevölkerung anhand solcher Parameter ist eine sinnvolle Methode, um zu untersuchen, ob eine Infektion mit bestimmten Merkmalen korreliert ist. Die analytische Epidemiologie verwendet Fallkontroll- und Kohortenstudien als Grundlage Fallkontrollstudien sind retrospektiv. Um Ursache und Wirkung einer Infektion oder Krankheit herauszufinden, wird eine Gruppe Erkrankter mit einer dazu passenden (nicht infizierten) Kontrollgruppe verglichen. Kohortenstudien sind normalerweise prospektiv und beobachten das Auftreten einer Infektion oder Krankheit in sorgfältig zusammengestellten Gruppen über einen längeren Zeitraum. Wieder dient der Vergleich mit einer Kontrollgruppe dazu, Ursache und Wirkung aufzudecken. Als dritte Form der analytischen Epidemiologie befasst sich die epidemiologische (Feld-)Forschung mit auftretenden Epidemien. In dem Bemühen, geeignete Maßnahmen zur Behandlung bzw. Bekämpfung zu ergreifen, sammelt sie alle relevanten Daten, um Infektionserreger und Übertragungswege erkennen zu können. Die experimentelle Epidemiologie wendet epidemiologische Methoden in Experimenten an Systematische Experimente sind z.B. Versuche mit Medikamenten oder Impfstoffen, die an kranken oder gesunden Probanden getestet werden (bzw. mit/ohne Erregerexposition). Zur Auswertung werden diese Versuchsergebnisse mit denen von Probanden in einer Placebo- oder alternativen Therapiegruppe verglichen. Für die experimentelle Epidemiologie sind detaillierte statistische Planungen und Analysen erforderlich. Mathematische Modelle als aussagekräftiges Instrument in der Epidemiologie Modellrechnungen zu Infektionen und Krankheiten in Bevölkerungsgruppen führen sowohl die deskriptive als auch die analytische und experimentelle Epidemiologie durch. Solche Modelle sind nicht nur ein aussagekräftiges Instrument hinsichtlich der Dateninterpretation, sondern aufgrund ihres Vorhersagewerts sehr breit einsetzbar zur Krankheitsbekämpfung.
Geschichte der Mikrobiologie (2)
972
Krankheitsüberwachung – Surveillance In vielen Ländern führen Gesundheitsbehörden regelmäßige epidemiologische Erhebungen zu bestimmten Erkrankungen in der Bevölkerung durch (in den USA z.B. die Centers for Disease Control [CDC] des US Public Health Service, in Großbritannien die Communicable Diseases Surveillance Centres [CDSC] der Health Protection Agency, in Deutschland das Robert-Koch-Institut [RKI)). International übernimmt die Weltgesundheitsbehörde (WHO) eine ähnliche Rolle. Auf nationaler Ebene beruht die Überwachung meist auf meldepflichtigen Krankheiten; Ärzte sind in dem Fall verpflichtet, die Erkrankung (Morbiditätsdaten) eines Patienten den Gesundheitsämtern mitzuteilen. Auch meldepflichtige Todesursachen (Letalitätsdaten) werden zentral erfasst, z.B. aus Laborberichten, statistischen Erhebungen (Volkszählung) und detaillierten Einzelfallstudien. Diese Daten werden regelmäßig veröffentlicht (z.B. im American Morbidity and Mortality Weekly Report [MMWR], im ebenfalls wöchentlich erscheinenden UK Communicable Diseases Report [CDR]. oder im RKI-Bulletin). So wird die medizinische Forschergemeinde auf bestimmte Trends im Muster von Krankheiten aufmerksam und kann rascher effiziente Empfehlungen zur Kontrolle abgeben.
31.2
Nachweis und Diagnose
Epidemiologisches Verständnis kann dazu beitragen, die richtigen Strategien zur Bekämpfung von Infektionen auf der Bevölkerungsebene festzulegen. Dieses Verständnis hängt allerdings genauso wie die richtige Entscheidung über angemessene Gegenmaßnahmen sehr stark davon ab, dass der Ausbruch einer Epidemie erkannt, ihr Verlauf überwacht und eine Kausalbeziehung zu einem Erreger hergestellt werden kann. Dem Nachweis und der Diagnose von Infektionskrankheiten kommt daher auf Bevölkerungsebene eine ähnliche Schlüsselrolle zu wie in der Behandlung jedes einzelnen Patienten.
973
Tab. 31.4 Zeitintervalle zwischen Epidemien in unterschiedlichen Ländern am Beispiel einiger häufiger Infektionskrankheiten. Zur deskriptiven Epidemiologie gehören auch Fragestellungen, die beim gehäuften Auftreten einer Krankheit mithelfen, den Erreger und die Infektionsquelle zu entdecken. Es ist wichtig, eine Falldefinition zu haben, die neben den Krankheitssymptomen auch nähere Einzelheiten zu den Betroffenen und zum zeitlichen Ablauf beinhaltet. Nach Auswertung dieser Daten sollte man sagen können, wo und wie es zum Ausbruch der Krankheit kam, wer zu den Risikopersonen zählt und durch welche Behandlung sich weitere Infektionen verhindern lassen (s. Kasten 3). Mögliche Gegenmaßnahmen können neben einer Antibiotikatherapie bei direkt Betroffenen auch eine Impfung umfassen, falls größere Gruppen gefährdet sind (z.B. Meningitis-Epidemie unter britischen Studenten). Bei sexuell übertragbaren Krankheiten (s. oben) ist es wichtig, die Kontaktmuster oder die Form, in der sich Gruppen mischen, aufzudecken, um Infizierte individuell behandeln und weitere Ansteckungen verhindern zu können. Dass Epidemien einer bekannten oder neuen Krankheit manchmal rein zufällig aufgrund klinischer Beobachtungen entdeckt werden, zeigt sich exemplarisch an AIDS: 1981 wurde es entdeckt, als sich Pneumocystis carinii-(heute Pneumocystis jiroveci)Infektionen und Kaposi-Sarkome bei männlichen Homosexuellen häuften. Ein systematischerer Ansatz stützt sich auf ein behördliches Meldesystem oder Register, mit dem routinemäßig die Episoden einer Reihe meldepflichtiger Krankheiten erfasst werden. Solche Überwachungssysteme unterstehen auf nationaler Ebene der Verwaltung durch Regierung oder Gesundheitsämter, während international die WHO für die Registrierung von Krankheiten wie Cholera, Gelbfieber oder Pest zuständig ist. Mit dem Grundstock an Daten, den eine regelmäßige Überwachung liefert, lässt sich leichter ermitteln, ob die Zahl der Erkrankungsfälle „deutlich höher als üblicherweise zu erwarten“ liegt (und somit die Definition einer Epidemie erfüllt).
Geschichte der Mikrobiologie (3) Die Legionärskrankheit – eine Fallstudie Hintergrund Nachdem Kriegsveteranen der Pennsylvania American Legion vom 21. bis 24. Juli 1976 in einem Hotel in Philadelphia eine Versammlung abgehalten hatten, häuften sich Anfang August Meldungen über eine schwere Pneumonie unbekannter Ursache unter den Teilnehmern. Trotz antibiotischer Behandlung kam es zu Todesfällen. Falldefinition ■ Teilnahme an der Versammlung oder Aufenthalt im Hotel zwischen 1. Juli und 18. August ■ in diesem Zeitraum aufgetretener Husten mit Fieber als Pneumonie diagnostiziert Von den 182 Patienten, auf die diese Definition zutraf, hatten 149 an der VeteranenVersammlung teilgenommen, neun weitere waren im fraglichen Zeitraum auf anderen 974
Kongressen im selben Hotel gewesen. Zudem hatten sich 39 Patienten mit dem gleichen Krankheitsbild zur betreffenden Zeit nicht im Hotel, wohl aber im selben Straßenblock aufgehalten. Epidemie Ende Juli traten die ersten Erkrankungen auf und erreichten zwischen dem 25. und 27. Juli ihren Höhepunkt (Häufigkeitsgipfel). In 78% der Fälle handelte es sich um Männer, die meisten waren über 50 Jahre alt. Die Inkubationszeit betrug etwa 2–10 Tage. Ein erheblicher Prozentsatz der Patienten hatte sich in der Lobby aufgehalten oder draußen vor dem Hotel gestanden, um sich die Parade anzusehen. Eine gegenseitige Ansteckung hatte nicht stattgefunden. Schlussfolgerungen Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass der Infektionserreger als Aerosol verbreitet wurde und höchstwahrscheinlich in der Lobby oder direkt vor dem Hotel eingeatmet wurde. Man dachte an eine bakterielle Infektion (erhöhte Neutrophilenzahl im Sputum), doch Keime ließen sich nicht nachweisen. Schließlich wurde ein bisher unbekanntes Bakterium isoliert und kurz danach als Legionella identifiziert (s. Kap. 19.2.7). Eine Behandlung mit Erythromycin erwies sich als wirksam. Aus den biologischen Merkmalen von Legionella war abzuleiten, dass Infektionen durch Desinfektion und Hitzebehandlung von Wasserleitungen und Klimaanlagen verhindert bzw. bekämpft werden können. Sobald sich eine Häufung (Epidemie) von Infektionskrankheiten bestätigt hat, kann man durch eine Erregeridentifizierung mit herkömmlichen diagnostischen Methoden (s. Kap. 13) sicherstellen, dass die richtige Antibiotikatherapie oder Impfung durchgeführt wird.
31.3
Chemotherapie oder Impfung
Von zentraler Bedeutung für Antibiotika und Impfstoffe ist ihre Selektivität (oder Spezifität) Auch wenn sie auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen (Tab. 31.5), haben sich Antibiotikatherapie und Impfung doch gemeinsam aus den intensiven Studien entwickelt, die unternommen wurden, nachdem sich Ende des 19. Jahrhunderts herausstellte, dass Krankheiten durch Mikroorganismen verursacht sein können. Louis Pasteur (s. Kasten 4) wies nach, dass Impfungen mit abgetöteten oder abgeschwächten Bakterien (z.B. Anthrax- oder Rabies-Erregern) eine aktive Immunisierung gegen Milzbrand oder Tollwut induzierten; und Paul Ehrlich kam durch seine Arbeit mit histologischen Farbstoffen zu der Überzeugung, dass bestimmte chemische Stoffe (Medikamente) gegen Krankheiten wirksam sein könnten, weil sie sich gezielt (spezifisch) an bestimmte Bakterienstrukturen binden und sie schädigen (s. Kap. 33). Beide Wissenschaftler führten also das Konzept eines selektiven oder spezifischen Angriffs gegen infektiöse Keime als Mittel zur Krankheitsbekämpfung ein.
975
Tab. 31.5 Chemotherapie (Antibiotikatherapie) und Impfung im Vergleich.
976
Geschichte der Mikrobiologie (4) Louis Pasteur (1822–1895) Die Mikrobiologie wurde im 19.Jahrhundert durch die Arbeiten zahlreicher hervorragender Wissenschaftler begründet. Doch als eigentlicher „Gründervater“ dieser Wissenschaft ist wohl zu Recht Louis Pasteur anzusehen. Gemeinsam mit dem deutschen Arzt Robert Koch (s. Kap. 12) konnte er nachweisen, dass lebende Organismen (Mikroben) Krankheiten verursachen. Damit legten sie den wissenschaftlichen Grundstein zur Erforschung und Bekämpfung von Bakterien. Pasteur begann zu einer Zeit zu forschen, als nach der allgemein gültigen Erklärung Keime noch spontan in verrottendem Material erzeugt wurden. Mit seinen Experimenten konnte er jedoch beweisen, dass sterile organische Infusionen weder verwesen noch gären, wenn sie nicht aus der Luft kontaminiert werden. Demnach konnten Mikroorganismen nicht spontan entstehen, sondern mussten von bereits vorher vorhandenen abstammen. Diese Entdeckung leistete zu vielen Gebieten der Grundlagen- und angewandten Wissenschaft ihren Beitrag. Möglicherweise am wichtigsten war Pasteurs Beitrag für die Arbeit von Lister, der mit seinem Werk über Antisepsis die Operationsfächer revolutionierte. Pasteur beschäftigte sich mit erstaunlich vielseitigen mikrobiologischen Themen – von der Gärung bei Bier- und Weinerzeugung bis zu Krankheiten von Seidenraupen – und bereicherte jedes dieser Fachgebiete mit hochwissenschaftlichen Erkenntnissen und Entdeckungen, die ihm in Frankreich und international hohes Ansehen verschafften. Aus seinem Verständnis von Bakterien als Krankheitsursache und mit wissenschaftlichem Scharfsinn konnte er auch scheinbar misslungene CholeraExperimente an Küken richtig deuten: dass die Inokulation attenuierter Bakterien deshalb keine Krankheit induziert, weil sie dagegen immun macht. Seine Vorstellungen stießen zwar auf heftigen Widerstand, doch in unerschütterlicher Überzeugung nahm Pasteur 1881 an einem öffentlichen Versuch teil und erprobte seinen Impfstoff gegen Milzbrand (Anthrax) an Haustieren. Später entwickelte er aufgrund der Erkenntnis, dass er den Tollwuterreger weder sehen noch anzüchten konnte, aus dem getrockneten Rückenmark infizierter Kaninchen einen Impfstoff. Dass dieser auch bei Menschen wirksam war, stellte sich 1885 heraus, als Pasteur dem neunjährigen Joseph Meister, nach schlimmen Bissverletzungen durch einen tollwütigen Hund, den Tollwutimpfstoff spritzte – und der Junge überlebte. Seitdem fand Pasteurs Auffassung von Impfungen allgemeine Anerkennung und hat sich durchgesetzt. Den Rest seines Lebens verbrachte Pasteur in seinem Geburtsland Frankreich als Nationalheld mit weltweitem Renommé. Sein Name ist nicht nur unsterblich mit dem von ihm entwickelten Sterilisierungsvorgang – der Pasteurisierung – verbunden, sondern auch mit dem Institut Pasteur in Paris, das zu den international führenden mikrobiologischen Zentren weltweit zählt.
977
Louis Pasteur (1822–1895)
Die Spezifität antimikrobieller Mittel bemisst sich danach, dass sie nur den Erreger, nicht aber den Wirt schädigen Um spezifisch gegen Erreger (und nicht gegen den Wirt) zu wirken, sollten antimikrobielle Mittel im Idealfall an Moleküle binden, die nur auf Erregern vorkommen (s. Kap. 13). Das lässt sich je nach Erreger in unterschiedlichem Maße erreichen. Mit ihren prokaryotischen Zellstrukturen stehen Bakterien dem Menschen viel ferner als Pilze, Protozoen oder Würmer (die alle eukaryotisch sind). Daher überrascht es auch nicht, dass die gegen Bakterien eingesetzten Antibiotika im Allgemeinen am besten wirksam sind. An vier Stellen unterscheiden sich Bakterienzellen so sehr von menschlichen Zellen, dass sie das Angriffsziel von Antibiotika sein können: ■
Zellwand
■
Ribosomen
■
Nukleinsäuresynthese
■
Zellmembran (Abb. 31.6).
978
Viele Wirkstoffe sind entweder Produkte von Mikroorganismen oder deren Derivate. Man vermutet dahinter einen Selbsterhaltungsmechanismus, der verhindern könnte, dass Mikroorganismen (von der eigenen oder fremden Spezies) überwuchert werden. Obwohl antimikrobielle Mittel theoretisch in einer Zubereitung zugeführt werden können, in der sie länger im Körper bleiben, nimmt ihre Wirkung automatisch ab, sobald die Wirkkonzentration unter eine kritische Schwelle sinkt. Für eine anhaltende Wirkung müssen sie regelmäßig verabreicht werden.
Abb. 31.6 Wirkstoffe.
Angriffsziele für antibakterielle
Die Spezifität eines Impfstoffs hängt davon ab, wie gut der Körper Fremdantigene erkennt Mit seiner Ausstattung an T- und B-Zell-Rezeptoren kann der Körper praktisch jedes Fremdantigen erkennen. Daher hängt die Spezifität eines Impfstoffs davon ab, dass Moleküle in den Körper eingebracht werden, die eine Abwehrreaktion gegen den Erreger, nicht aber gegen wirtseigenes Gewebe hervorrufen (s. Kap. 34). 979
Einmal ausgelöst, halten Antigen-Antikörper-Reaktionen nicht nur für gewisse Zeit an, sondern danach wird sich das Immunsystem immer erinnern, dass es bereits Bekanntschaft mit dem betreffenden Antigen gemacht hat. Nach einer Impfung wird der Körper daher umso aktiver auf Antigene reagieren, die ihm bei einer Infektion wiederbegegnen. Im Unterschied zur medikamentösen Therapie verleiht eine Impfung meist einen länger anhaltenden Schutz und muss nicht ständig erneuert werden.
Sowohl Arzneimittel als auch Impfstoffe können Nebenwirkungen haben Obwohl sich Nebenwirkungen wegen der Spezifität in Grenzen halten sollten, sind antimikrobielle Wirkstoffe und Impfstoffe nicht völlig frei von Risiken. Bei unsachgemäßer Anwendung (z.B. Überdosierung) können Antibiotika akut toxisch wirken und die Langzeittherapie kann zu chronischer Toxizität führen. Das Verhältnis der minimalen (noch) wirksamen Dosis zur minimalen (bereits) toxischen Dosis wird als therapeutischer Index bezeichnet. Zum Einsatz kommen bevorzugt Mittel mit hohem therapeutischem Index, die viel toxischer für den Erreger als für den Wirt sind. Mit ihrer relativ komplexen Molekülstruktur können Antibiotika selbst zum Angriffsziel von Immunreaktionen werden. Vergleichsweise häufig tritt gegen Medikamente wie Penicillin eine Überempfindlichkeit auf (5–10% der Bevölkerung), die schlimme Folgen haben kann. Auch Impfstoffe können unerwünschte Wirkungen haben und bei bestimmten Menschen immunvermittelte Nebenwirkungen hervorrufen, die zu bleibenden Schäden führen, besonders wenn das Gehirn betroffen ist. Das im Allgemeinen sehr geringe Nebenwirkungsrisiko von Impfstoffen oder Antibiotika sollte man aber immer gegen die viel schwereren und wahrscheinlicheren Folgen der Infektionen abwägen, gegen die sie gerichtet sind.
980
Da sich Viren vielfach in und mit der Hilfe von Wirtszellen entwickeln, lassen sie sich besonders schwierig medikamentös bekämpfen Doch auch Viren haben Stellen, an denen sie empfindlich getroffen werden können: die zur Virusreplikation nötigen Enzyme. Herausragende Beispiele für eine maßgeschneiderte Chemotherapie sind Aciclovir (gegen Herpesviren wirksam, greift an der DNA-Polymerase an) und Zidovudin bzw. AZT (gegen HIV wirksam, greift an der reversen Transkriptase an). Stattdessen lassen sich Virusinfektionen zum Teil recht erfolgreich durch Impfungen eindämmen. Die HIV-Infektion gehört zu den Virusinfektionen, die das vordringliche Ziel für Neuentwicklungen von Impfstoffen bleiben.
Erreger können Resistenzen gegen Medikamente und Impfstoffe entwickeln Mit dem Auftreten von Resistenzen verschiebt sich das Gleichgewicht zugunsten der Mikroorganismen. Das betrifft gleichermaßen Medikamente wie Impfstoffe. Eine Resistenz kann sich auf unterschiedlichen Wegen entwickeln: ■ Eine Penicillinresistenz beruht meist auf der von Bakterien gebildeten Betalaktamase; dieses Enzym bricht den Betalaktam-Ring von Penicillin auf. ■ Die Chloroquinresistenz ist auf einen Mechanismus zurückzuführen, den Malariaparasiten entwickelt haben, um den Wirkstoff schneller aus ihrem Körper herauszuschleusen. ■ Influenzaviren sind aufgrund kleiner Veränderungen ihrer Oberflächenmoleküle (Hämagglutinin und Neuraminidase) gegen die GrippeSchutzimpfung resistent geworden.
Medikamente müssen oft regelmäßig verabreicht werden, Impfungen u.U. nur einmal Ein Hauptunterschied zwischen Medikamenten und Impfstoffen besteht darin, dass Medikamente zur Behandlung von Krankheiten dienen und regelmäßig verabreicht werden müssen, während Impfstoffe Krankheiten verhindern sollen und zur Prävention nur ein paar Mal oder sogar nur einmalig verabreicht werden müssen. Natürlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel: Eine passive Immunisierung durch Antikörper kann z.B. wie ein Arzneimittel zur Behandlung akuter Infektionen eingesetzt werden; oder Medikamente wie Pyrimethamin und Chloroquin werden – fast als wären sie kurz wirkende Impfstoffe – zur Malariaprophylaxe verwendet. Doch in den meisten Fällen besteht ein deutlicher Unterschied zwischen ein- oder zweimaliger Impfung (mit jahrelanger Schutzwirkung) und täglicher oder zweimal täglicher Gabe einer Arzneimitteldosis. Verständlich, dass Patienten und Ärzte eine Impfung vorziehen, während der Pharmaindustrie natürlich Medikamente lieber sind. So erklärt sich, weshalb die 981
Industrie die Arzneimittelforschung vorantreibt, ohne extra ermutigt werden zu müssen – und im Gegensatz dazu für die Entwicklung von Impfstoffen erst ein äußerer Anreiz durch zweckgebundene Mittel geschaffen werden muss. Auf dem Gebiet hat sich die WHO große Verdienste erworben.
31.4
Bekämpfung oder Eradikation
Krankheitsbekämpfung und -ausrottung sind unterschiedliche Ziele, doch am Ende sollte im Idealfall immer die Eradikation stehen Viele Infektionen können (zumindest in einigen Teilen der Welt) durch antimikrobielle Mittel behandelt oder durch Schutzimpfung verhindert werden, aber sie werden trotzdem nie völlig verschwinden, nicht einmal in Ländern, die sie sehr wirkungsvoll bekämpfen. Nach den theoretischen Voraussagen der Epidemiologie sollte eine Infektion aussterben, sobald die Übertragungsraten unter den kritischen Schwellenwert sinken; das mag auf lokaler Ebene durchaus der Fall sein. Da sich aber überall dort, wo es keine oder nur unzureichende Behandlungsmöglichkeiten gibt, Reservoire halten oder Infektionen durch Zuwanderungen wieder eingeführt werden, können sich immer neue Epidemien entwickeln. Bis heute wurde erst bei einer einzigen Krankheit – Pocken – der Punkt erreicht, an dem der Erreger ausgerottet ist. Wie stehen die Chancen, dass auch andere Infektionen als die Pocken in Vergessenheit geraten? Programme zur Eradikation von Krankheiten müssen mehrere Faktoren berücksichtigen (Tab. 31.6).
Angesichts der langfristigen Ziele ist eine realistische Einschätzung bei der Krankheitsbekämpfung gefragt Die hoffnungsfrohen Erwartungen nach ersten Erfolgen der Antibiotika erhielten bald einen Dämpfer, als sich Resistenzen entwickelten. Weit davon entfernt, sich in absehbarer Zeit zu verringern, hat die „Bakterienlast“ der Menschen sogar noch zugenommen. Viele Infektionen, die in diesem Buch beschrieben sind (HIV-Infektion, Legionärskrankheit, Lyme-Borreliose, Kryptosporidiose – um nur einige zu nennen), kommen in den alten Lehrbüchern der Mikrobiologie gar nicht vor. Für manche Infektionen bleiben wirksame Impfstoffe reine Illusion. Jeder Versuch, Infektionskrankheiten zu bekämpfen, ist daher auch eine Frage der Prioritäten:
982
Tab. 31.6 Faktoren, die eine weltweite Ausrottung von Infektionskrankheiten begünstigen. ■
Welche Krankheit ließe sich mit angemessenem Aufwand ausrotten?
■
Sind die Kosten eines Eradikationsprogramms gerechtfertigt?
■ Bei welchen Krankheiten müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden, damit sie sich nicht verschlimmern? ■ Welche Krankheiten erzeugen den größten Leidensdruck und verursachen die höchsten Kosten für die Menschheit? Es wird unvermeidlich immer Krankheiten geben, die sich mit diesem Raster nicht erfassen lassen und bei denen wir es wohl oder übel hinnehmen müssen, dass sie uns vielleicht für immer begleiten.
Zusammenfassung ■ Die Epidemiologie trägt zum Verständnis von Infektionen bzw. Krankheiten bei, die in der Bevölkerung bzw. in bestimmten Gruppen auftreten, und sie kann die Behandlung und Bekämpfung dieser Infektionen/Krankheiten unterstützen. ■ Parasiten reproduzieren sich mit einer typischen Grundrate (R0), von der ihre Ausbreitung in voll anfälligen Populationen abhängt. Aus unterschiedlichen Einschränkungen von R0 ergibt sich die tatsächliche (effektive) Reproduktionsrate (R). ■ Wenn die Größen von R0 und R bekannt sind, lassen sich Vorhersagen über die Ausbreitung von Epidemien, wirksame Gegenmaßnahmen und den Nutzen von Impfprogrammen treffen. ■ Auf Infektionen durch Mikroorganismen (z.B. Viren) oder größere Parasiten (z.B. Würmer) sowie auf sexuell übertragbare Krankheiten müssen unterschiedliche epidemiologische Ansätze angewandt werden.
983
■ Nachweis und Diagnose sind wesentliche Voraussetzungen, um Infektionskrankheiten erkennen und behandeln bzw. bekämpfen zu können. ■ Arzneimittel, Impfungen und umweltmedizinische Maßnahmen haben alle ihren Platz in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten. Wodurch eine Infektionskrankheit am besten kontrolliert werden kann, hängt von den Faktoren ab, die in Kap. 33 bis 36 beschrieben sind.
FRAGEN 1 Welche Vor- und Nachteile hat eine Arzneimittel-/Chemotherapie gegenüber einer Impfung? 2 Bezeichnet man eine Infektion, die plötzlich auftritt und sich dann weltweit ausbreitet, als a) Epidemie b) Endemie c) Hyperendemie d) Pandemie e) Hypoendemie? 3 Steht der Begriff Basisreproduktionsrate (R0) für: a) die maximale Reproduktionsrate eines Erregers b) die in Wirklichkeit und realen Wirten erreichbare Reproduktion c) die Anzahl der Folgegenerationen, die ein Erreger produziert, bevor sich die Krankheit klinisch manifestiert d) die für das Auftreten von Symptomen erforderliche Reproduktionsrate e) die Reproduktionsrate eines Erregers nach Impfung?
984
4 Ein wichtiger Faktor für epidemiologische Unterschiede zwischen Masern und HIV-Infektion ist, dass: a) es gegen HIV keine Impfung gibt b) sich Erwachsene nie mit Masern infizieren c) Masern durch Tröpfcheninfektion übertragen werden d) beide Infektionen durch unterschiedliche Viren verursacht werden e) HIV Lymphozyten infiziert? 5 Welche Kinderkrankheit hat das kürzeste Zeitintervall zwischen Epidemien: a) Röteln b) Masern c) Mumps d) Keuchhusten (Pertussis) e) Poliomyelitis? 6 Womit wird Louis Pasteur in Verbindung gebracht: a) Anthrax-/Milzbrandimpfung b) Biergärung c) Seidenraupenkrankheit d) Tollwut-/Rabiesimpfung e) mit allen vier?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Anderson, R.M., May, R.M.: Infectious Diseases of Humans: Dynamics and Control. Blackwell Scientific, Oxford 1992. Giesecke, J.: Modern Infectious Disease Epidemiology. Edward Arnold, London 1994. Gordis, L.: Epidemiology. W.B. Saunders, Philadelphia 1996. Scott, M.E., Smith, G.: Parasitic and Infectious Diseases: Epidemiology and Ecology. Academic Press, New York 1994.
985
32 Diagnose von Infektionen und Beurteilungder Abwehrlage 32.1
Klinische Mikrobiologie – Laboruntersuchungen 485
32.2
Richtige Aufbereitung der Proben 486
32.3
Labordiagnose von Infektionen – ohne kulturelle Verfahren 487
32.3.1
Mikroskopie 487
32.3.2
Antigennachweis in Proben 491
32.3.3
Nachweis von Mikroorganismen durch Gensonden 492
32.4
Anzüchtung von Mikroorganismen (Kulturen) 494
32.5
Erregeridentifizierung in Kulturen 496
32.6
Antikörpernachweis zur Diagnose von Infektionen 499
32.6.1 32.7 32.7.1 32.8
Übliche serologische Labortests zur Diagnose von Infektionen 500 Beurteilung der Abwehr (Immunlage) 502 Lymphozyten 503 Aufbereitung von Proben 504
Zur Orientierung Für verlässliche mikrobiologische Diagnosen müssen Proben von guter Qualität sein Seitdem es bei Infektionen therapeutische Eingriffsmöglichkeiten gibt, ist es zunehmend wichtiger geworden, die ursächlichen Erreger genau zu bestimmen. Ob das gelingt, hängt von einer guten Zusammenarbeit zwischen Klinikern und Mikrobiologen ab. Dabei sollte der Kliniker wissen, wie komplex und zeitaufwendig die erforderlichen Untersuchungen sind, während der Mikrobiologe sich mit Krankheitsbildern auskennen und dem Kliniker bei der Interpretation der Untersuchungsergebnisse helfen sollte. Die Wahl geeigneter Proben ist ein entscheidender Schritt zur Diagnose von Infektionen und muss letztlich aufgrund des pathogenetischen Verständnisses getroffen werden. Die Mikrobiologie unterscheidet sich von anderen klinischen Labordisziplinen insofern, als sie einen Mehraufwand an Interpretationen erfordert. Wenn Probenmaterial eingereicht wurde, liegt es am Mikrobiologen zu entscheiden, wie es richtig aufbereitet werden sollte, und sobald das Ergebnis vorliegt, muss er es zur entnommenen Probe und zum Zustand des Patienten in Beziehung setzen, um es richtig interpretieren zu können.
32.1
Klinische Mikrobiologie – Laboruntersuchungen
Mikrobiologische Laboruntersuchungen werden mit dem Ziel durchgeführt, um
986
■ genaue Informationen zu erhalten, ob in Probenmaterial Mikroorganismen enthalten sind, die am Krankheitsprozess eines Patienten beteiligt sein könnten; ■ nähere Angaben zur Antibiotikaempfindlichkeit (nach Keimisolierung) machen zu können.
Zur Identifizierung dienen Erregernachweis, ihre Produkte oder eine Immunreaktion des Patienten Laboruntersuchungen werden durchgeführt, um ■ im Probenmaterial eines Patienten Mikroorganismen bzw. deren Produkte zu entdecken, ■
eine Immunreaktion auf die Infektion (d.h. Antikörperbildung) nachzuweisen.
Labortests fallen unter drei Hauptkategorien: ■ Erregeridentifizierung durch Isolierung und Kultur: Mikroorganismen lassen sich auf künstlichen Nährmedien oder – wie im Fall von Viren – in Zellkulturen anzüchten. Unter bestimmten Umständen kann eine Mengenangabe wichtig sein (über 105 Bakterien/ml Urin sind z.B. Ausdruck einer Infektion, niedrigere Werte u.U. nicht; s. Kap. 20). Sobald Erreger in Kulturen isoliert wurden, kann ihre Antibiotikaempfindlichkeit bestimmt werden. ■ Identifizierung mikrobieller Produkte: Schneller zu Ergebnissen führen können andere Nachweismethoden als Kulturen (Anzüchtung zur Keimvermehrung), die unter anderem Zellstrukturen (z.B. Zellwandantigene) und extrazelluläre Produkte (z.B. Toxine) der Erreger nachweisen. Alternativ lassen sich mit DNA-Sonden spezifische Gensequenzen in klinischen Proben entdecken. Seitdem die Möglichkeit der DNA-Amplifikation durch Polymerasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR; s. unten) besteht, finden solche Methoden immer breitere Anwendung. Auch wenn sie auf alle Mikroorganismen anwendbar sind, lässt sich die Antibiotikaempfindlichkeit nicht testen, ohne eine Kultur anzulegen (obwohl mit spezifischen DNA-Sonden einzelne Resistenzgene nachweisbar sind). ■ Nachweis spezifischer Antikörper: Das ist besonders wichtig bei Erregern, die sich nicht auf Labormedien anzüchten lassen (z.B. Treponema pallidum, viele Viren), oder wenn das Anlegen von Kulturen zu gefährlich für das Laborpersonal wäre (z.B. bei dem Tularämie-Erreger Francisella tularensis oder dem Pilz Coccidioides immitis). Anhand von IgM- und/oder IgG-Antikörpern in Einzelserumproben aus der akuten Krankheitsphase können Röteln (rötelnspezifische IgM), Hepatitis A (HAVIgM), Hepatitis B (surface antigen, HBsAg) oder seltenere Krankheiten wie das Lassafieber diagnostizierbar sein. Doch die klassische Diagnosemethode ist ein (vierfacher oder noch höherer) Antikörper-Titeranstieg in gepaarten Serumproben, die in der Akutphase der Infektion (5–7 Tage nach Auftreten der Symptome) und in der Rekonvaleszenzphase (nach 3–4 Wochen) gewonnen werden. Solche Tests sind aber nur bedingt hilfreich, da sie erst eine verzögerte oder retrospektive Diagnose ermöglichen. 987
32.2
Richtige Aufbereitung der Proben
Der richtige Umgang mit Probenmaterial und die Befundinterpretation setzen Kenntnisse über Normalflora und Kontaminationen voraus Je nach Entnahmestelle lassen sich Proben zur Kultivierung von Mikroorganismen unterteilen in: ■
Proben von normalerweise sterilen Stellen und
■
Proben von Stellen mit kommensaler Flora (Tab. 32.1; s. auch Kap. 8).
Damit Proben(material) richtig behandelt und die Ergebnisse richtig interpretiert werden können, ist eine gründliche Kenntnis der Keime wichtig, die sich normalerweise aus Proben von unsterilen Stellen isolieren lassen bzw. die Proben von sterilen Stellen kontaminieren können. Dass Proben von eigentlich sterilen Stellen (z.B. Blasenurin, Sekret aus dem unteren Respirationstrakt) manchmal erst nach der Passage von Öffnungen mit Normalflora aufgefangen werden und daher kontaminiert sein können, muss bei der Befundinterpretation dieser Kulturen berücksichtigt werden. Im Idealfall würden auf dem Lieferschein zu jeder Probe, die ins Labor kommt, ausreichende Informationen über den Patienten stehen, so dass sich der Mikrobiologe vorab ein Bild über die verdächtigen Keime machen und sein Vorgehen individuell zugeschnitten planen könnte. Doch in der Praxis lässt sich dieser Ansatz wegen äußerer Zwänge (Kosten, Zeitaufwand) kaum verwirklichen. Daher werden Proben (je nach Art, z.B. Urin, Blut, Stuhl) unterschiedlich aufbereitet, wobei der Mikrobiologe sein Augenmerk auf bekanntermaßen mit dieser Probenart verbundene, leicht anzüchtbare Keime richtet.
Tab. 32.1 Die Entnahmestellen von Proben sind wichtig für die Ergebnisinterpretation.
988
Nur wenn entsprechende Hinweise (wie vermutete Ätiologie) mitgegeben werden, wird das Labor gezielt nach anspruchsvolleren oder selteneren Keimen suchen und – sofern von Belang – deren Antibiotikaempfindlichkeit testen. Das weitere Vorgehen bei der Aufbereitung von Probenmaterial ist unten skizziert und im Anhang ausführlicher beschrieben. Um eine Infektion anhand der Untersuchungsergebnisse identifizieren zu können, ist es wichtig, geeignetes Material zu gewinnen, es richtig zu transportieren und möglichst rasch ins Labor einzusenden. Von diesen Bedingungen hängt die Genauigkeit des Laborbefunds (und damit sein Wert/Nutzen für den Kliniker bzw. letztlich den Patienten) ab. Woran man bei der Probengewinnung unbedingt denken sollte, ist in Tab. 32.2 zusammengefasst.
Bei Kulturen dauert es mindestens 18 Stunden, bis ein Ergebnis vorliegt Weil die herkömmlichen mikrobiologischen Methoden auf der Anzüchtung und Identifizierung des Erregers beruhen, spielt hierbei die Zeit eine Schlüsselrolle. Denn Kulturen liefern frühestens nach 18 Stunden Ergebnisse, und bei einigen Pathogenen kann es noch viel länger dauern (z.B. mehrere Wochen bei den sehr langsam wachsenden Mykobakterien). Daher können die Aufbereitungsmethoden für Proben nach Zeitaufwand und Verfahren (mit/ohne Kultur zur Erregeranzüchtung) unterteilt werden. Infektionen lassen sich aber auch immunologisch diagnostizieren, wenn Antikörper gegen ein verdächtigtes Antigen im Patientenblut nachweisbar sind. In Abb. 32.1 sind die diagnostischen Schritte dargestellt, wobei Schnelltests (PCR, DNA-Sonden, Mikroarrays usw.) großen Einfluss auf den Ablauf haben.
Abb. 32.1 Vom Patienten zur mikrobiologischen Diagnose – Überblick über entscheidende Schritte der Probenaufbereitung.
989
Einige Tests können direkt am Probenmaterial durchgeführt werden und liefern noch am selben Tag Ergebnisse. Bis sich in Kulturen Kolonien bilden und eine Keimidentifizierung ermöglichen, dauert es aber mindestens 18 Stunden. Eine weitere Inkubation ist zur (Antibiotika-)Empfindlichkeitstestung nötig. Eine andere Möglichkeit bietet der Nachweis spezifischer Antikörper im Serum. CSF = Liquor cerebrospinalis
990
32.3 Labordiagnose von Infektionen – ohne kulturelle Verfahren Bei nichtkulturellen Nachweismethoden ist eine Keimvermehrung nicht notwendig Lange Zeit war medizinische Mikrobiologie gleichbedeutend mit dem Anlegen von Kulturen aus Proben der Patienten. Doch diese Keimanzüchtung ist arbeitsintensiv und langwierig, denn es dauert eher Tage als Stunden, bis die Ergebnisse vorliegen. Die Keimvermehrung ist ein notwendiger Schritt, beschränkt aber auch die Schnelligkeit des Verfahrens. Hinzu kommt, dass sich manche Mikroorganismen nicht auf künstlichen Medien anzüchten lassen oder dass es bei antimikrobiell vorbehandelten Patienten schwierig sein kann, noch lebende Keime aus den Proben zu gewinnen. Mit anderen (Nichtkultur-)Methoden sind Erreger nicht erst nach ihrer Vermehrung nachweisbar. Einige liefern rasche Ergebnisse (z.B. Mikroskopie und Antigennachweis in Proben innerhalb von 2 Stunden). Innerhalb von Stunden – und damit schneller als bei Kulturen – führt auch der Einsatz von DNA-Sonden oder die DNA-Amplifikation mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) zum Ergebnis.
Tab. 32.2 Wichtige Schritte zur Entnahme von Proben.
32.3.1
Mikroskopie 991
Die mikroskopische Untersuchung von Proben ist ein erster wichtiger Schritt In der Mikrobiologie spielt das Mikroskop eine wesentliche Rolle. Obwohl sie beträchtliche Unterschiede in ihrer jeweiligen Größe zeigen (s. Kap. 1), sind Mikroorganismen im Einzelnen viel zu klein, um mit bloßem Auge erkannt zu werden. Daher zählt das Mikroskop zur Grundausstattung eines Mikrobiologen. In Abb. 32.2 sind unterschiedliche Formen der Mikroskopie zusammengefasst. Durch Vergrößerung der Objekte verbessert sich das Auflösungsvermögen des bloßen Auges mit dem Lichtmikroskop von etwa 100000 nm (0,1 mm) auf 200 nm und mit dem Elektronenmikroskop sogar auf 0,1–1,0 nm.
Lichtmikroskopie Probenmaterial und Kulturen können als feuchte (Nativ-) oder gefärbte Präparate mit der Hellfeldmikroskopie untersucht werden Feuchte bzw. Nativpräparate dienen zum Nachweis von: ■ Blutzellen und Keimen in flüssigen Proben (Urin, Stuhl, Liquor) ■ Zysten, Eiern oder Parasiten in Stuhlproben ■ Hautpilzen ■ Protozoen in Blut und Gewebe Bei lebenden Mikroorganismen kann die Beweglichkeit beurteilt werden. Um solche Zellen leichter sichtbar zu machen, werden Farbstoffe verwendet. Vor dem Anfärben wird das Material gewöhnlich getrocknet und (mit Wärme oder Alkohol) auf dem Objektträger fixiert. Anfärben lassen sich sowohl Proben als auch Reinkulturen. Durch eine Ölimmersionslinse verbessert sich das Auflösungsvermögen, wenn man Objektträger unter dem Lichtmikroskop betrachtet.
992
Abb. 32.2 Anwendungsmöglichkeiten für die Mikroskopie in der Mikrobiologie.
Gezeigt sind unterschiedliche Formen der Licht- und Elektronenmikroskopie (EM) zur Untersuchung von Proben auf Mikroorganismen.
In der Bakteriologie ist die Gram-Färbung das wichtigste Unterscheidungsmittel Differenzialfärbetechniken machen es sich zunutze, dass sich Zellen mit unterschiedlichen Eigenschaften verschieden anfärben und daher leichter differenziert werden können. Aufgrund des Ansprechens auf die Gram-Färbung (Abb. 32.3) werden Bakterien in zwei Gruppen unterteilt: ■ Gram-positive (dunkelviolette bis blaue Färbung) und ■ Gram-negative (rosa Färbung).
Abb. 32.3 Die Gram-Färbung ist die wichtigste Färbemethode für Bakterien. 993
Der violette Farbstoff (Kristall-/Gentianaviolett kombiniert mit Jod als Fixierer) bindet an die Zellwand. Gram-positive Bakterienzellen behalten die Färbung und bleiben auch nach der Spülung mit Aceton violett. Dagegen verlieren Gramnegative Bakterienzellen ihre violette Färbung und erscheinen farblos, bis sie nach Gegenfärbung mit Neutralrot oder Safranin rosa aussehen. Nach der GramFärbung von Ausstrichpräparaten lassen sich auch verschiedene Bakterienformen erkennen. Hier gezeigte Beispiele sind: a) Gram-positive Kettenkokken (Streptokokken), b) Gram-positive Stäbchen (Listerien), c) Gramnegative Stäbchen (Escherichia coli), d) Gram-negative Kokken (Neisserien). Dieser Unterschied hängt mit der Zellwandstruktur beider Gruppen zusammen (s. Kap. 2).
Säurefeste Färbungen zum Nachweis von Mykobakterien Manche Mikroorganismen (besonders Mykobakterien) nehmen wegen ihrer wächsernen Zellwand die Gram-Färbung nicht gut an und müssen daher mit Spezialfärbetechniken nachgewiesen werden. Solche Keime behalten trotz Behandlung mit „Entfärbern“ wie Säure oder Alkohol ihre Färbung bei. Ein klassisches Beispiel ist die Ziehl-Neelsen-Färbung (Abb. 19.17), bei der unter Hitzeeinwirkung Fuchsin als Farbstoff in die Bakterienzellen eingebracht wird.
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Fuchsin-gefärbte Mykobakterien widerstehen einer Behandlung mit Säure oder Alkohol – während sich andere Bakterien entfärben würden – und werden daher als „säurefest“ (bzw. „alkoholfest“) bezeichnet. Statt Fuchsin benutzen viele Laboratorien Auramin, einen Fluoreszenzfarbstoff mit starker Affinität zur wächsernen Zellwand von Mykobakterien, um die Keime dann fluoreszenzmikroskopisch nachzuweisen (Abb. 32.4).
Abb. 32.4 Fluoreszenzmikroskopische Betrachtung von Mykobakterien.
Nach Fluoreszenzfärbung (Fluorochromierung) von Mycobacterium tuberculosis mit einer Mischung aus Auramin O und Rhodamin B fluoreszieren die Mykobakterien bei der Betrachtung im Ultraviolettlicht (mit freundlicher Genehmigung von D.K. Banerjee).
Andere Färbemethoden können besondere Zellmerkmale verdeutlichen Merkmale, die bei der Identifizierung helfen können, sind z.B. die metachromen Volutin-(Polyphosphat-) Speichergranula in Corynebakterien oder Lipide von Bacillus-Spezies (Abb. 32.5). Das Vorgehen bei diesen Färbetechniken ist im Anhang dargestellt.
Abb. 32.5 Mit Spezialfärbetechniken lassen sich besondere Zellmerkmale von Bakterien darstellen.
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a) Nach der Anfärbung (Albert-Färbung) von Corynebakterien erscheinen die Polymetaphosphat-(Volutin-)Speichergranula als dunkle Flecken in den blaugrünen Zellen. b) Nach der Anfärbung mit Sudanschwarz sind die Lipidspeichergranula von Bacillus cereus als schwarze Punkte in den roten Zellen sichtbar.
Die Dunkelfeldmikroskopie eignet sich zur Beurteilung der Motilität oder zur Betrachtung besonders dünner (Spirochäten-)Zellen Durch Modifikation der Sammel-/Kondensatorlinse kann ein Lichtmikroskop so eingestellt werden, dass das Objekt hell leuchtend vor schwarzem Hintergrund erscheint. Mit der Dunkelfeldmikroskopie kann die Motilität lebender Organismen untersucht werden. Sie wird aber auch angewandt, um besonders dünne Zellen (wie Spirochäten) besser sichtbar zu machen. Da sie durch Lichtreflexion an der Zelloberfläche größer wirken, sind sie leichter erkennbar als unter dem Hellfeldmikroskop (Abb. 32.6).
Phasenkontrastmikroskopie zur Verstärkung des Bildkontrasts Mit dieser Technik lassen sich die minimalen Unterschiede zwischen Brechungsindex und Dichte lebender Bakterien und der Flüssigkeit, in der sie sich befinden, verstärken. Daher liefert sie ein kontrastreicheres Bild als die Hellfeldmikroskopie.
Die Fluoreszenzmikroskopie dient zur Betrachtung natürlich fluoreszierender oder fluorochromierter Substanzen
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Wenn Licht einer bestimmten Wellenlänge auf ein fluoreszierendes Objekt fällt, wird es mit anderer Wellenlänge reflektiert. Biologische Substanzen können von Natur aus fluoreszieren oder mit Fluoreszenzfarbstoffen gefärbt (fluorochromiert) unter UV-Licht statt normalem Licht mit dem Mikroskop betrachtet werden (Abb. 32.4). Die Fluoreszenzmikroskopie findet in Mikrobiologie und Immunologie breite Anwendung. Entwickelt wurde sie zum Nachweis mikrobieller Antigene in Proben und Geweben, die zuvor mit spezifischen fluoreszenzmarkierten Antikörpern markiert werden (Immunfluoreszenz). Um die Empfindlichkeit der Methode zu erhöhen oder Antikörper nachzuweisen, kann sie mit einer weiteren Antikörpermarkierung als indirekter Immunfluoreszenztest durchgeführt werden (Abb. 32.7).
Elektronenmikroskopie Für die Elektronenmikroskopie sind Dünnschnitte erforderlich In Elektronenmikroskopen werden Elektronenstrahlen statt Licht verwendet und der Strahl mit Magneten statt Sammellinsen wie im Lichtmikroskop fokussiert. Das ganze System arbeitet unter hoher Abdichtung (Vakuumverschluss). Da Elektronenstrahlen nur eine geringe Eindringtiefe haben, sind einzelne (Bakterien)Zellen zu dick für eine direkte Betrachtung. Deshalb müssen Proben vor der Untersuchung erst fixiert, in Kunststoff eingebettet und in dünne Scheiben geschnitten werden.
997
Abb. 32.6 Spirochäten unter dem Dunkelfeldmikroskop.
Spirochäten und Leptospiren sind viel dünner als die meisten anderen Bakterien (Durchmesser ca. 0,1 μm, verglichen z.B. mit 1 μm bei Escherichia coli), erscheinen aber hell leuchtend vor dunklem Hintergrund größer.
Abb. 32.7 Fluoreszenztest zur Identifizierung von mikrobiellen (oder Gewebs-)Antigenen bzw. Antikörpern.
Im direkten Immunfluoreszenztest werden fluoreszenzmarkierte Antikörper auf antigentragende Gewebeschnitte angewandt; nach dem Wegwaschen
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ungebundener Antikörper zeigt sich fluoreszenzmikroskopisch, ob und wo Antigen-Antikörper-Komplexe übrig geblieben sind. Im indirekten Immunfluoreszenztest erfolgt der Antigennachweis durch Behandlung mit einem unmarkierten Antikörper und anschließender Fluoreszenzmarkierung durch ein Antiimmunglobulin (Anti-Ig) zur Signalverstärkung. War der erste Antikörper ein humaner Antikörper, wird der markierte Antikörper ein AntiHuman-Ig sein. Zur Kontrastverstärkung werden sie mit elektronendichten Farbstoffen wie Osmiumtetroxid, Uranylacetat oder Glutaraldehyd behandelt. Von den für Elektronen durchlässigen Dünnschnitten wird ein Bild auf einem fluoreszierenden Bildschirm erzeugt, das abfotografiert wird und eine tausendfache Vergrößerung der ursprünglichen Probe wiedergeben kann (Abb. 32.8).
Elektronenmikroskopie kann zur Identifizierung von Viruspartikeln genutzt werden Durch Direktuntersuchung unter dem Elektronenmikroskop lassen sich in Proben rasch Viruspartikel erkennen oder auch Viren entdecken, die nur schwer oder gar nicht anzüchtbar sind (z.B. Rotaviren). Flüssigkeitsproben werden erst auf einem Kupfergitter getrocknet und dann auf Viruspartikel untersucht. Um nachweisbar zu sein, müssen aber mindestens 1 Million pro ml enthalten sein. Durch Vorbehandlung der Flüssigkeit (Antivirus-Antikörper-Reaktion zur „Verklumpung“ von Viruspartikeln) lässt sich die Testsensitivität verbessern. Analog zur lichtmikroskopischen Immunfluoreszenz bezeichnet man dies als Immunelektronenmikroskopie.
Abb. 32.8 Elektronenmikroskopisches Bild des HPV bzw. „Warzenvirus“.
32.3.2
Antigennachweis in Proben
Eine schnellere Nachweismethode als der Versuch, Mikroorganismen anzuzüchten und dann zu identifizieren, ist der Nachweis spezifischer Antigene. Dazu werden folgende Methoden (Tab. 32.3) angewandt: 999
■
Nachweis über spezifische Antigen-Antikörper-Interaktionen,
■
Nachweis mikrobieller Toxine.
Der Nachweis mikrobieller Gene mit DNA-Sonden wird weiter unten besprochen.
1000
Tab. 32.3 Nachweismethoden für Bakterienprodukte.
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Latexagglutination: sichtbare Verklumpung durch die Reaktion spezifischer Antikörper-beschichteter Latexpartikel mit Bakterien oder deren Produkten Als häufige Auslöser einer bakteriellen Meningitis können z.B. Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Neisseriae meningitidis (Typ A und C) im Liquor nachgewiesen werden, wenn man Liquorproben mit Latexpartikeln mischt, die mit spezifischen Antikörpern beschichtet sind. Falls die Latexpartikel Klumpen bilden, ist ein Bakterienantigen (oder -produkt) in der Probe vorhanden (Abb. 32.9). Latextests liefern zwar innerhalb von Minuten nach Einreichen der Proben das Ergebnis, doch ihre Sensitivität ist nur unwesentlich höher als die der Gram-Färbung und aufgrund von Kreuzreaktionen können auch falsch-positive Ergebnisse vorkommen. Trotzdem können sie diagnostisch nützlich sein, wenn Patienten bereits mit Antibiotika vorbehandelt wurden, ein Erreger im Liquor morphologisch nicht eindeutig erkennbar oder nicht anzüchtbar ist.
Abb. 32.9
Latextest.
Wird eine bakterienhaltige (z.B. Haemophilus influenzae) Liquorprobe mit einer Lösung von Latexpartikeln gemischt, die (z.B. Haemophilus-influenzae-Kapsel)Antikörper tragen, führt die Antigen-Antikörper-Reaktion unverzüglich zu einer auch mit bloßem Auge erkennbaren Agglutination der Latexpartikel.
Die Antigenkonzentration kann mit Immunoassays bestimmt werden Antigene lassen sich auch anhand ihrer Bindung an eine Standardmenge von Antikörpern bestimmen; dabei entspricht die Antigenkonzentration dem Anteil der besetzten an den insgesamt verfügbaren Antigenbindungsstellen (Abb. 32.10). Der Einfachheit halber wird meist eine Adsorption von Antikörpern an ein Festphasen(solid-phase-)Antigen durchgeführt und dann mithilfe eines zweiten Antikörpers die gebundene Menge bestimmt. Der zweite Antikörper kann enzym- (Abb. 32.11) oder fluoreszenzmarkiert sein.
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■ Bei Verwendung enzymmarkierter Antikörper wird der Test als „enzymelinked immunosorbent assay“ (ELISA) bezeichnet. ■ Durch Chemilumineszenz oder zeitlich verzögerte Fluoreszenzmarkierung haben diese Tests eine sehr hohe Sensitivität. Früher wurden Antikörper für Immunoassays eher mit Radioisotopen als mit Enzymen oder Fluoreszenz markiert.
Mit monoklonalen Antikörpern lassen sich Antigenunterschiede zwischen Spezies bzw. den Stämmen einer Spezies feststellen Monoklonale Antikörper (Abb. 32.12) dienen häufig als diagnostisches Instrument. Bei einem direkten ELISA (s. oben) werden z.B. enzymkonjugierte monoklonale Antikörper verwendet, um im Probenmaterial von Patienten Antigene nachzuweisen. Durch direkten ELISA mit monoklonalen Antikörpern sind Rotaviren, HIV, HepatitisB- (HBV), Herpes- und Respiratory-syncytial-Viren (RSV) nachweisbar. Durch einen direkten Fluoreszenztest mit Fluorescein-markierten monoklonalen Antikörpern kann eine Chlamydia-trachomatis-Infektion innerhalb von Stunden diagnostiziert werden (s. Kap. 21).
32.3.3 Nachweis von Mikroorganismen durch Gensonden Durch Nukleinsäuresonden können Gene für Virulenzfaktoren entdeckt werden Als Gensonde bezeichnet man ein einzelsträngiges und markiertes Nukleinsäuremolekül, das zur Entdeckung und Hybridisierung mit einer komplementären DNA-Sequenz eingesetzt wird. Um Polynukleotidsonden zu erhalten, können sie – nach dem Klonen natürlich vorkommender DNA-Fragmente in geeigneten Plasmidvektoren – aus der geklonten DNA isoliert werden. Ist die betreffende Gensequenz bekannt, lassen sich allerdings auch Oligonukleotidsonden synthetisieren oder mit der PCR (s. unten) herstellen. Gensonden werden mit Radioisotopen oder mit Indikatoren markiert, die unter bestimmten Bedingungen eine Farbreaktion zeigen (z.B. Biotin-Streptavidin). Zum Nachweis spezifischer Nukleinsäure-Zielsequenzen wurden unterschiedliche DNAund RNA-Sonden entwickelt und angewandt (Abb. 32.13). Im Handel sind derzeit Sonden zum Schnellnachweis (innerhalb von 2–4 Stunden) einer Vielzahl pathogener Mikroorganismen (in klinischen Proben oder Kulturen) erhältlich, z.B. für Chlamydien, Streptokokken der Gruppe A, Neisseria gonorrhoeae, Mykobakterien, Pilze und humane Papillomaviren.
Nukleinsäuresonden sind bei geringen Erregermengen nur von begrenztem Nutzen 1003
Obwohl sie eine wichtige Ergänzung des diagnostischen Arsenals darstellen, sind Gensonden unter Umständen nicht sensitiv genug, z.B. wenn nur eine kleine Anzahl von Mikroorganismen vorhanden ist (d.h. nur wenige Genkopien zur Verfügung stehen). Unter solchen Bedingungen kann sich die Genamplifikation mit Polymerasekettenreaktion (PCR, s. unten) und anschließender Hybridisierung mit Oligonukleotidsonden als mögliche Lösung anbieten. Hinzu kommt, dass sich mikrobielle Antigene auch direkt mit der PCR nachweisen lassen, was besonders bei langsam wachsenden oder nur schwer im Labor anzüchtbaren Mikroorganismen sehr hilfreich sein kann.
Abb. 32.10 Das Prinzip der Ligandenbindung in Immunoassays.
Eine ligandenbindende Substanz kann in löslicher Form oder (wie hier) in fester Bindung an ein Hilfsmittel vorliegen. Letzteres hat den Vorteil, dass sich gebundenes mühelos von freiem Substrat (Analysat) trennen lässt. Um nach einer Exposition den Anteil der besetzten Ligandenbindungsstellen zu bestimmen, werden kompetitive oder nicht-kompetitive Immunoassays mit (hier in Orange) markierten Reagenzien verwendet.
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Abb. 32.11 Festphasen-Enzymimmunoassay (ELISA).
a) Wird das Testantigen mit dem (Festphasen-)Antikörper 1 zusammengebracht, kann mit einem zweiten enzymmarkierten Antikörper die Besetzung der Bindungsstellen (vgl. Abb. 32.10) bestimmt und kolorimetrisch oder anhand der Lumineszenz abgelesen werden, wie viel Enzym (z.B. Peroxidase oder alkalische Phosphatase) durch Antigen-Antikörper-Reaktionen gebunden wurde. In einigen Fällen verwendet man eine Standardmenge markierten Antigens, um unbesetzte Stellen zu entdecken (das gilt besonders für sehr kleine Antigene). b) Um Antikörper nachzuweisen, verwendet man (Festphasen-)Antigen und gibt dann enzymmarkiertes Antiimmunglobulin hinzu (vgl. den indirekten Immunfluoreszenztest in Abb. 32.7, bei dem ein fluoreszierendes Antiimmmunglobulin zum Nachweis gebundener Antikörper benutzt wird). Für diese Immunoassays ist statt der Enzym- auch eine Fluoreszenzmarkierung möglich.
Mit der PCR können bestimmte DNA-Sequenzen amplifiziert, d.h. innerhalb weniger Stunden millionenfach kopiert bzw. vervielfältigt werden Auch wenn man mit der PCR theoretisch einzelne Gensequenzen entdecken könnte (Abb. 32.14), wird diese Sensitivität bei klinischen Proben selten erreicht. Mit den Standard-PCR-Techniken lassen sich jedoch schon sehrkleine Bakterienzahlen (je nach Größe einer Probe z.B. knapp unter 10) nachweisen, und mit verfeinerten Techniken sind einzelne Virussequenzen identifizierbar. Ein weiterer Vorteil ist die Schnelligkeit (innerhalb weniger Stunden), mit der das zu schaffen ist.
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Abb. 32.12 Herstellung monoklonaler Antikörper.
Nach Immunisierung mit einem Antigen, das z.B. die beiden Epitope X und Y trägt, entwickeln sich in Mäusen Milzzellen, die Anti-X- und Anti-YSerumantikörper produzieren. Die Milz wird dann entfernt, um die einzelnen BZellen in Polyethylenglykol mit immortalisierten (d.h. sich ständig teilenden) BTumorzellen zu verschmelzen, die im Hinblick auf ihren Purinmangel ausgesucht wurden, aber oft auch kein Immunglobulin zur Bildung von Hybridomzellen sezernieren können. Die fusionierten Zellen werden auf Platten mit kleinen Vertiefungen in ein HAT-Medium (Hypoxanthin, Aminopterin, Thymidin) eingebettet, und zwar in so starker Verdünnung, dass jede Mulde im Schnitt
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weniger als eine Hybridomzelle aufnimmt. Als Hybridom bezeichnet man das Ergebnis der Fusion zwischen einer antikörperbildenden Zelle und einer Tumorzelle; durch diese beiden Zellen hat jedes Hybridom zum einen die Fähigkeit, eine einzige Art von Antikörpern zu bilden, und zum anderen unsterblich zu sein (d.h. ständig weiter zu proliferieren). So werden unendlich viele Klone einer bestimmten Antikörperspezifität bereitgestellt. Diese monoklonalen Antikörper lassen sich mit Enzymen oder fluoreszierenden Molekülen markieren und bei Bindung an spezifische Antigene (z.B. Viruspartikel) entsprechend darstellen. Etwas Zeit kostet die Nachuntersuchung mit Agarose-Gelelektrophorese (zur Bestätigung des PCR-Ergebnisses), die man allerdings einsparen kann, seitdem mit den neu entwickelten Real-Time-PCR-Methoden bereits das im Entstehen begriffene Produkt nachweisbar ist. Das ermöglichen spezifische PCR-Primer, die fluoreszieren, sobald sie in die bei der PCR erzeugten Amplikons eingebaut werden. Auch RNA (z.B. von Retroviren) kann mit der PCR amplifiziert werden, nachdem sie mithilfe der reversen Transkriptase in DNA überführt wurde (sog. RT-PCR).
Durch sorgfältige Wahl der Primer lässt sich die Spezifität der PCR bestimmen Da Primer (Oligonukleotide) sich komplementär zur Ziel-DNA verhalten, muss diese Zielsequenz bekannt sein, um passende (komplementäre) Primer zu synthetisieren. Derzeit stehen PCR-Methoden zum Nachweis diverser Erreger zur Verfügung (Abb. 32.15), darunter Bakterien (C. trachomatis, N. gonorrhoeae, M. tuberculosis) und Viren (Zytomegalie-, Hepatitis-C-, Herpes-simplex-Virus und HIV). Der Nachweis kann sowohl qualitativ als auch quantitativ erfolgen (z.B. HIV-1-RNA-Last).
32.4
Anzüchtung von Mikroorganismen (Kulturen)
Bakterien und Pilze sind auf festen Nährböden oder flüssigen Medien anzüchtbar Werden Kulturen in flüssigen Medien (z.B. Bouillon) angesetzt, lässt sich unmöglich sagen, ob mehr als eine Spezies vorhanden ist. Daher sind feste Nährböden besser für diagnostische Zwecke geeignet. Wenn Bakterien und Pilze auf festen Nährböden (Agar) wachsen, bilden sich Kolonien aus mehreren tausend Zellen, die alle von einer einzelnen Zelle abstammen. Dass unterschiedliche Spezies in sehr charakteristischen Kolonieformen wachsen, ist aufschlussreich für die Keimidentifizierung (Abb. 32.16).
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Abb. 32.13 Hybridisierung von Nukleinsäure – die wichtigsten Methoden.
Denaturierte (d.h. einzelsträngige) DNA kann direkt auf einer festen Unterlage (z.B. einer Nitrozellulosemembran) immobilisiert und mit einer spezifischen einzelsträngigen DNA-Sonde hybridisiert werden, deren Sequenz markiert ist, um sie anschließend wieder zu erkennen („Dot-Blot“-Methode). Alternativ können verschieden große DNA-Fragmente durch Agarose-Gelelektrophorese aufgetrennt und denaturiert werden, bevor man sie zur Hybridisierung und zum Nachweis mit der Sonde auf die Membran überträgt („Southern Blot“-Methode). Wird das ganze Verfahren mit elektrophoretisch aufgetrennten RNA-Molekülen durchgeführt, spricht man von „Northern Blot“-Methode.
Abb. 32.14
Polymerasekettenreaktion (PCR).
Zur Expansion von DNA-Fragmenten werden die kurzen Oligonukleotid-Primer mit Nukleotidsequenzen auf komplementären Strängen an beiden Enden hybridisiert. Zusammen mit einer hitzestabilen Polymerase bilden sie eine rasch (exponentiell) ansteigende Zahl von Fragmenten mit der zu amplifizierenden Sequenz; nach mehreren Zyklen liegen dann Millionen Kopien vor. (Hier wurden die einzelnen 1008
Stränge nummeriert, um sie in darauf folgenden Zyklen wiederfinden zu können.) Die nach den ersten Zyklen gebildeten (überschriebenen) Kopien sind identisch mit der Sequenz, die amplifiziert werden sollte.
Abb. 32.15 Nachweis von Herpes-simplex-Virus(HSV-) DNA im Liquor eines Patienten mit Enzephalitis.
Hier wurde eine Modifikation der ursprünglichen PCR-Methode angewandt, die „nested PCR“. Bei der modifizierten PCR werden zur Amplifikation der Ziel-DNA zuerst zwei Primer angewandt, die etwas weiter entfernte Sequenzen erkennen, und in einem zweiten Reaktionsschritt dann mit einem weiteren Primer-Paar nach Sequenzen innerhalb des vom ersten Paar amplifizierten DNA-Stückes gesucht. Durch diese modifizierte Technik erhöhen sich Spezifität und Sensitivität der PCR.
Verschiedene Species von Bakterien und Pilzen stellen unterschiedliche Ansprüche an Nährböden 1009
Die überwiegende Mehrheit der medizinisch bedeutsamen Bakterien und Pilze lässt sich zwar im Labor anzüchten, doch es gibt kein universelles Kulturmedium, das für alle gleichermaßen geeignet wäre, und noch immer können einige Spezies (z.B. Mycobacterium leprae und Treponema pallidum) nur in Versuchstieren angezüchtet werden. Bakterien wie Rickettsien und Chlamydien wachsen zwar nicht auf künstlichen Medien, aber in Zellkulturen (s. unten). Viele Kulturmedien sind so beschaffen, dass sie nicht nur das erwünschte Keimwachstum fördern, sondern auf andere hemmend wirken, d.h. „Selektivmedien“ sind. Im Anhang werden für die Labordiagnostik wichtige Kulturmedien sowie ihr Einsatz zur Aufbereitung klinischer Proben beschrieben. In Proben von Körperstellen, die mit kommensaler Normalflora besiedelt sind, kann eine Keimmischung enthalten sein, aus der gezielt nach einem Pathogen gesucht werden muss. Deshalb werden die Proben auf Platten sorgsam ausgewählter Nähr- und Selektivmedien inokuliert, um Einzelkolonien in Reinkultur zu erhalten. Die weitere Nachbereitung in Frischkulturen dient zur Erregeridentifizierung und AntibiotikaEmpfindlichkeitstestung (s. unten). Mit konventionellen (nichtmolekularen) Methoden kann die Prozedur 48 Stunden oder noch länger dauern (Abb. 32.1). Um Parasiten wie Leishmanien, Trypanosomen und Trichomonaden, die meist nur in geringer Anzahl in Proben (z.B. Blut oder Vaginalsekret) enthalten sind, bei der mikroskopischen Untersuchung leichter entdecken zu können, werden sie zur Vermehrung erst in flüssigen Nährmedien angezüchtet. Parasiten bilden auf festen Nährböden keine Kolonien wie Bakterien oder Pilze.
Viren, Chlamydien und Rickettsien müssen in Zell- oder Gewebekulturen angezüchtet werden Das liegt daran, dass sie in frei lebender Form nicht existieren können. In der Labordiagnostik werden für Zellkulturen meist kontinuierliche Zelllinien verwendet – d.h. Zellen von Menschen oder Tieren, die in vitro wachsen und bei −80°C so lange aufbewahrt werden können, bis sie gebraucht werden. Nach dem Einbringen einer Probe in die Zellkultur wird beobachtet, ob ein sichtbarer zytopathischer Effekt (CPE) das Vorhandensein von Viren beweist. Zellkulturtechniken sind hoch spezialisiert und arbeitsintensiv. Da aber manche Viren keinen zytopathischen Effekt hervorrufen oder es länger als eine Woche dauert, bis er sich entwickelt (z.B. bei Zytomegalieviren, während CMV-Antigene schon nach 1–2 Tagen in den Zellen entdeckt werden können), sind andere Methoden – z.B. Antigennachweis (s. oben), Antikörpernachweis ( unten) und PCR-Techniken – diagnostisch wichtiger.
32.5
Erregeridentifizierung in Kulturen
Bakterien sind anhand einfacher Merkmale und biochemischer Eigenschaften gut zu erkennen
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Viele Bakterien, die medizinisch eine Rolle spielen, werden traditionell anhand bestimmter Zelleigenschaften (Abb. 32.17) vorläufig beurteilt, z.B. durch ■
Ansprechen auf die Gram-Färbung
■ Morphologie (z.B. Stäbchen, Kokken) und Anordnung (z.B. in Paaren oder Ketten) ■
anaerobes oder aerobes Wachstum
■
Ansprüche an Nährböden (leicht anzüchtbar oder aufwendig)
Eine weitere Identifizierung wird aufgrund biochemischer Eigenschaften vorgenommen, z.B. der Fähigkeit, ■
Enzyme zu produzieren, die sich mit einfachen Tests nachweisen lassen,
■ Zucker oxidativ oder fermentativ (d.h. aerob oder anaerob) zu verstoffwechseln, ■
unterschiedliche Substrate zu verwenden (z.B. Glukose, Laktose, Sucrose).
Obwohl alle Untersuchungen einzeln durchgeführt werden könnten (z.B. in einer Nährlösung bzw. Bouillon mit den jeweils erforderlichen Reagenzien), werden üblicherweise kommerziell erhältliche Testkits oder automatisierte Systeme verwendet, die anhand des biochemischen Profils relativ rasch (in 2–4 Stunden) die Identität eines Erregers erbringen können.
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Abb. 32.16
Kolonien von Bakterien.
Nach ihrer Implantation auf einen festen Nährboden beginnt eine Bakterienzelle sich zu vermehren und eine Kolonie aus Millionen Zellen zu bilden. Das typische Kolonie-/Wachstumsmuster unterschiedlicher Spezies liefert einen ersten Hinweis auf ihre Identität. a) Goldfarbene Kolonien von Staphylococcus aureus. b) Durch Anzüchten auf bluthaltigen Kulturmedien lassen sich zusätzliche Bakterieneigenschaften nachweisen (z.B. Lyse roter Blutzellen), wie hier die von Streptococcus pyogenes verursachte β-Hämolyse (komplette Hämolyse) auf Pferdeblutagar. c) Durch Zugabe bestimmter Mittel kann das Wachstum anderer Spezies gehemmt und ein Kulturmedium folglich „selektiv“ gemacht werden; wegen der im MacConkey-Agar enthaltenen Gallensalze können darauf z.B. nur gallensalztolerante Mikroorganismen wachsen. Darüber hinaus enthält er Laktose und einen pH-Indikator, so dass bei Laktose vergärenden (fermentierenden) Bakterien ein Farbumschlag nach Hellrosa erfolgt. d) Nicht-laktosefermentierende Spezies wie Salmonellen oder Shigellen bilden dagegen gelbliche Kolonien. Manche Spezies werden aufgrund ihrer Antigene identifiziert (durch AntigenAntikörper-Reaktion in Zellsuspensionen mit einem spezifischen Antiserum). Die wichtigsten Nachweismethoden für medizinisch relevante Erreger sind im Anhang beschrieben.
Die Antibiotikaempfindlichkeit kann nur an Bakterien in Reinkultur getestet werden 1012
Zu den zahlreichen Methoden der (Antibiotika-)Empfindlichkeitstestung gehören unter anderem Verdünnungsreihen und automatisierte Verfahren. Am häufigsten kommen jedoch mit unterschiedlichen Antibiotika getränkte Filterpapierscheiben zum Einsatz, die auf einen Keimrasen (nach Aussaat des Testkeims auf einer Agarplatte) gelegt werden – so genannte Disk-(Filterscheiben-)Diffusion. Während die Keime über Nacht bebrütet werden, wachsen und sich vermehren, diffundieren die Antibiotika aus der Filterscheibe heraus und hemmen das Keimwachstum rund um die Scheibe. Daher ist im Anschluss an die Bakterienisolierung aus Proben eine weitere Inkubation über Nacht erforderlich, ehe das Ergebnis der Empfindlichkeitstestung (Antibiogramm) vorliegt. Diese Methode wird aus wirtschaftlichen Gründen am häufigsten angewandt. Die Ergebnisse des Agardiffusionstestes müssen jedoch aus verschiedenen Gründen als minderwertig beurteilt werden. Die nach DIN (Deutsches Institut für Normung) empfohlene Methode zur Empfindlichkeitstestung der meisten Bakterien ist die Bouillon-Mikrodilution. Ausführlicher sind Methoden der Empfindlichkeitstestung in Kap. 33 beschrieben.
Pilze werden anhand ihres Koloniewachstums und der Zellmorphologie identifiziert Pilze lassen sich anhand ihrer Kolonien oder aus Reinkulturen identifizieren. Das geschieht weitgehend aufgrund bestimmter Koloniemerkmale (z.B. der Farbe) oder der mikroskopisch erkennbaren Morphologie einzelner Zellen (Abb. 32.18). Um medizinisch wichtige Hefen näher zu identifizieren, können biochemische Tests (Substratassimilation) hinzugezogen werden. Da Pilze im Allgemeinen langsamer als Bakterien wachsen, kann es bis zu ihrer endgültigen Identifizierung u.U. zwei Wochen dauern.
Protozoen und Helminthen lassen sich durch direkte Untersuchung in Proben identifizieren Viele Protozoen und Helminthen können gleich bei der Untersuchung des Probenmaterials erkannt werden, ohne dass Kulturen angelegt werden müssen, daher liegen die Ergebnisse noch am selben Tag (nach Einreichen der Probe im Labor) vor. ■ Protozoen werden anhand morphologischer Merkmale identifiziert; dabei können in Proben ein und desselben Patienten sowie in unterschiedlichen Krankheitsphasen verschiedene Entwicklungsstadien erkennbar sein (Abb. 32.19). ■ Helminthen sind makroskopisch an der typischen Wurmform oder bei der mikroskopischen Untersuchung von Proben (z.B. Stuhl oder Urin) anhand der vorhandenen Wurmeier, etwa von Schistosomen, zu erkennen (s. Kap. 22).
Abb. 32.17
Identifizierung von Bakterien.
1013
Bakterien von medizinischer Bedeutung wurden traditionell anhand einiger typischer Merkmale vorläufig eingestuft (s. Text). Anhand biochemischer und serologischer Tests ist dann eine weitere Charakterisierung möglich.
Abb. 32.18
Pilze unter dem Mikroskop.
Pilze können wie Bakterien auf Agar-Kulturmedien angezüchtet werden, wachsen aber meist langsamer als Bakterien, so dass es zwei Wochen dauern kann, bis sich Kolonien bilden. Besonderheiten (z.B. Farbe) der Kolonieformen helfen zwar, Pilze zu identifizieren, doch zur Bestätigung ist eine mikroskopische Untersuchung der Pilzfäden (Hyphen) und Sporen nötig. a) Feuchtpräparat mit Konidiophoren und freien Konidien von Penicillium; b) Makrokonidien von Microsporum canis nach Anfärbung mit Laktophenol-Baumwollblau.
Viren werden meist serologisch identifiziert Viren sind an ihrem zytopathischen Effekt in Zellkulturen und anhand ihrer Morphologie in elektronenmikroskopischen Präparaten zu erkennen (Abb. 32.8). Eine Reihe von Viren können inzwischen mit Nukleinsäure-Testmethoden (DNA-Sonden und 1014
PCR, s. oben) identifiziert werden, doch die Diagnose wird auch oft durch den Nachweis von Virusantigenen oder spezifischer Antikörper im Patientenserum gestellt (s. unten).
Abb. 32.19 Auch wenn sich einige Parasiten im Labor anzüchten lassen, werden sie meist anhand ihres mikroskopischen Erscheinungsbilds in Proben identifiziert.
a) Cryptosporidium in einer Stuhlprobe nach säurefester Färbung. Wie Mykobakterien bleiben Cryptosporidien nach Karbolfuchsinfärbung trotz Spülung mit Säure/Alkohol weiterhin rosa. b) Leishmania donovani (Donovan-Körperchen) im gefärbten Präparat einer Knochenmarkprobe.
32.6 Antikörpernachweis zur Diagnose von Infektionen Serologische Tests (d.h. Untersuchung der Antigen-Antikörper-Reaktion) dienen zur: ■ Diagnose von Infektionen
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■ Erregeridentifizierung (s. oben) ■ Typisierung von Blut (für Blutbanken und vor Gewebetransplantation)
Ein Antikörpernachweis im Patientenserum ermöglicht eine retrospektive Diagnose Diagnosen, die sich auf Antikörper im Patientenserum stützen, können nur retrospektiv gestellt werden; das ist ihr größter Nachteil, denn bis sich nach einer Infektion IgGAntikörper gebildet haben und nachweisen lassen, sind bereits 2–4 Wochen vergangen. Mehr noch: Ein positiver Befund besagt nichts weiter, als dass der Patient irgendwann in der Vergangenheit mit der Infektion in Kontakt gekommen ist. Zu einem früheren Zeitpunkt (nach 7–10 Tagen) sind allerdings IgM-Antikörper zu entdecken, die gewöhnlich für eine aktive (statt früher durchgemachte) Infektion sprechen. Auch eine „Serokonversion“ kann hilfreich sein, d.h. ein vier- oder mehrfacher Anstieg des Antikörpertiters in Serumproben aus der Akut- und der Rekonvaleszenzphase einer Krankheit.
Ein Antikörpernachweis ist äußerst wertvoll zur Identifizierung langsam wachsender oder schwer anzüchtbarer Erreger Trotz der oben genannten Nachteile ist der Antikörpernachweis eine wichtige Labormethode zur Diagnose von Virusinfektionen. Oft werden Techniken angewandt, mit denen gleichzeitig nach verschiedenen Infektionen gesucht werden kann (z.B. bei atypischer Pneumonie, s. Kap. 19). Serumproben aus der Akutphase von Krankheiten sollten bei −20°C aufbewahrt werden, bis auch Serumproben aus der Rekonvaleszenzphase verfügbar sind, um dann beide parallel zu testen. Nur die wenigsten Diagnosen lassen sich zuverlässig anhand einzelner Serumuntersuchungen stellen. Dennoch kann ein Frühtest manchmal gerechtfertigt sein, falls klinisch der Verdacht auf eine seltene Infektion (z.B. Legionellose) besteht, mit der ein Patient vermutlich bisher noch nie in Berührung gekommen war. Nach vorhergehender Impfung kann es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein, die Ergebnisse bestimmter serologischer Untersuchungen richtig zu interpretieren, weil die nachweisbaren Antikörper sowohl impf- als auch infektionsbedingt sein könnten (z.B. Widal-Test zur serologischen Diagnose von Typhus abdominalis, s. Kap. 22).
32.6.1 Übliche serologische Labortests zur Diagnose von Infektionen Präzipitationsreaktionen beruhen auf der Ausfällung von Antigen-Antikörper-Komplexen Wenn in Lösungen ausreichend hohe Antigen- und Antikörperkonzentrationen aufeinander treffen, bilden sich aufgrund ihrer Multivalenzen Aggregate (Komplexe), 1016
die gewöhnlich ausgefällt werden. Noch ausgeprägter sind Präzipitationsreaktionen, wenn Antigene und Antikörper durch Agar-Gele aufeinander zu diffundieren (Abb. 32.20). Sofern keine immunchemische Verwandtschaft (d.h. Kreuzreaktivität) zwischen ihnen besteht, wird sich jedes Antigen mit den passenden Serumantikörpern verbinden (reagieren), so dass sich getrennte Präzipitationslinien im Gel bilden. Ein praktisches Beispiel ist der Elek-Test, mit dem Diphtherietoxin in Isolaten von Corynebacterium diphtheriae nachgewiesen wird. (Anmerkung: Eine inzwischen erhältliche PCR-Methode ermöglicht den Direktnachweis des Toxingens in klinischen Proben.)
Durch Hämagglutination lassen sich Antikörper gegen antigene Oberflächenstrukturen, die auf der Oberfläche roter Blutzellen gebunden sind, nachweisen Gegen antigene Oberflächenstrukturen von Erythrozyten gerichtete Antikörper können eine derartig starke Quervernetzung bewirken, dass sich die Zellen in Mulden einer Mikrotiter-Agglutinationsplatte eher als Matte statt fest und knopfartig ablagern (Abb. 32.21). Dieses System dient zum Nachweis von Antikörpern, die sich gegen ein beliebiges, kovalent oder nichtkovalent an die Erythrozytenoberfläche (oder sogar an andere Partikel, z.B. Latex) gebundenes Antigen richten. Es kann auch zum Antigennachweis verwendet werden (z.B. Hepatitis-B-surfaceAntigen), wenn sich ein Antigen und ein spezifischer Antikörper an der Oberfläche von Partikeln verbunden haben. Diese klassische Untersuchungsmethode wird aber nur in Referenzlaboratorien angewandt.
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Abb. 32.20 Doppeldiffusion und Immunpräzipitation in Agar-Gel.
Die dunklen (opaken) Linien sind angefärbt besser sichtbar. a) Präzipitationsbande mit einem Antigen; b) durch zwei unabhängige Antigene mit entsprechenden Antikörpern gebildete getrennte Präzipitationsbanden innerhalb eines AntigenAntikörper-Komplexes. Manchmal maskieren Antikörper auch Virusmoleküle, z.B. Hämagglutinine von Influenza-/Grippeviren, die an deren spezifischer Zelladhärenz beteiligt sind. Das ermöglichte die Entwicklung eines Hämagglutinationshemmtests (Abb. 32.22), der aber ebenfalls nur von Referenzlaboratorien durchgeführt wird.
Komplementverbrauch kann die Grundlage für Antigen- oder Antikörpertests bilden Unter der Voraussetzung, dass Immunkomplexe das Komplementsystem aktivieren können, eignet sich auch der Komplementverbrauch zum Nachweis von Antigenen oder Antikörpern. Die Komplementbindungsreaktion (KBR) wird so wie in Abb. 32.23 dargestellt durchgeführt. Auch dieser klassische Test verhilft vor allem zu einer retrospektiven Diagnosestellung. Soll Serum auf Antikörper untersucht werden, wird es mit einem bekannten Antigen vermischt und nachträglich Komplement hinzugefügt. Sind Antikörper vorhanden, bilden sich Antigen-Antikörper-Komplexe, die einen Teil oder das gesamte Komplement verbrauchen. Um den Komplementverbrauch zu messen, werden Indikator-Erythrozyten ergänzt, die mit einer Antikörpermenge unterhalb der Agglutinationsschwelle beschichtet sind; übrig gebliebene Komplementreste werden 1018
eine Lyse dieser Indikatorzellen bewirken. Alternativ lässt sich ein StandardAntiserum als Suchtest für Antigene in Serumproben verwenden.
Antikörper in Proben können auch durch ELISA nachgewiesen werden Enzymimmunoassays wie ELISA wurden oben schon als Nachweismethode beschrieben (Abb. 32.11). Als Maßeinheit für die Antikörperkonzentration in der Originalprobe dient die Menge der an Festphasenantigen gebundenen Antikörper, während zum Nachweis ein zweiter Antikörper mit einem Enzym wie Phosphatase oder Peroxidase konjugiert wird, das einen Farbumschlag bei Antigen-AntikörperReaktionen eines Substrats bewirkt.
Abb. 32.21 Hämagglutinationstest zum Antikörpernachweis mit Antigen-sensibilisierten roten Blutzellen.
Horizontal sind die doppelt verdünnten Testseren (Serumdilution) angeordnet, senkrecht (in der 11. bzw. 12. Spalte) positive und negative Kontrollen. Bei negativer Reaktion (Hämagglutinationshemmung) bilden sich feste „Knöpfe“, während agglutinierte rote Blutzellen sich wie eine Matte auf den Muldenboden legen. Ein Mikroagglutinations-Schnelltest kann Antikörper gegen Legionellen im Patientenserum nachweisen.
Abb. 32.22 Hämagglutinationshemmtest. 1019
Manche Viren (z.B. Grippe-/Influenzaviren) haben Hämagglutinine in ihrer Außenhülle, die zur Hämagglutination führen, wenn Viruspartikel und Erythrozyten vermischt werden. Spezifische Antikörper können die Hämagglutination jedoch verhindern (hemmen). Dieser Test eignet sich daher zum Nachweis von Influenzavirus-Antikörpern im Patientenserum.
Einige Tests erfassen die hemmende Wirkung von Antikörpern auf bakterielle Antigene Bei manchen Tests steht die hemmende Wirkung von Antikörpern im Mittelpunkt; erfasst wird, inwieweit sie biologische Eigenschaften der betreffenden Erreger im Patientenserum inhibieren können. Ein Beispiel ist der Antistreptolysin-O-Test, bei dem das Streptolysin-O-Toxin durch Antikörper neutralisiert wird. Wie stark das Testserum verdünnt werden kann, um die Lyse roter Blutzellen durch das Toxin gerade noch zu verhindern, wird austitriert (Abb. 32.24). Ein anderes Beispiel sind Antikörper, die die Beweglichkeit von Bakterien im Patientenserum lähmen können, wie z.B. mit dem Treponema-pallidum-Inhibitionstest (TPI) nachgewiesen werden kann.
Gegen zytopathische Viren gerichtete Antikörper können dadurch nachgewiesen werden, dass Patientenserum ihre Infektiosität verhindert/neutralisiert
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Im Fall zytopathischer Viren kann die Verhinderung ihres zytopathischen Effekts durch das Patientenserum als Antikörpernachweis dienen. Sie werden als „neutralisierende Antikörper“ bezeichnet. Auf wichtige Anwendungsbereiche dieser Methode wird in den jeweiligen klinischen Kapiteln (s. Kap. 18–30) näher eingegangen.
Abb. 32.23 Zur serologischen Diagnose einer Reihe von Infektionen stehen KBR-Tests (Komplementbindungsreaktion) zur Verfügung.
Wird neben Antigen auch Komplement (als Quelle dient meist Meerschweinchenserum) zu einem Testserum hinzugefügt, werden alle vorhandenen Antikörper an das Antigen gebunden und in den meisten Fällen bewirken diese Antigen-Antikörper-Komplexe dann eine Komplementbindung. „Fixiertes“ Komplement steht nicht länger zur Lyse antikörperbeschichteter (Indikator-)Erythrozyten bereit. (Es sei daran erinnert, dass der „klassische Weg“ der Komplementaktivierung durch Antigen-Antikörper-Komplexe – wie in Kap. 10 beschrieben – zur Bildung von Membranangriffskomplexen führt, die im vorliegenden Fall die roten Blutzellen lysieren, d.h. zerstören, würden.) Daher stellt die Lyse von Erythrozyten ein negatives bzw. die nicht stattfindende Lyse ein positives (Antikörper-)Testergebnis dar. Hier ist als Beispiel die KBR für Antikörper gegen Coxiella burneti (Ursache einer atypischen Pneumonie) gezeigt. In der oberen Reihe mit verdünntem Akutphasenserum kam es nur in den ersten fünf Vertiefungen zur Komplementfixierung (daher beträgt der Antikörpertiter 1/32), während in der unteren Reihe auf keiner Verdünnungsstufe des Rekonvaleszentenserums eine Lyse roter Blutzellen stattfand (das entspricht einem Antikörpertiter von 1/512 oder noch mehr). Dieser vierfache Serumtiteranstieg zwischen Akut- und Rekonvaleszenzphase zeigt eine Infektion mit Coxiella burneti an. Da KBR-Tests sehr aufwendig und problembehaftet sind, werden sie zunehmend durch neuere Testmethoden wie ELISA ersetzt.
Abb. 32.24 Antistreptolysin-O-(ASO-)Test.
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Streptolysin-O-Toxin führt zur Lyse von roten Blutzellen. Beim ASO-Test wird Serum so lange verdünnt, bis die enthaltenen Antikörper nicht mehr verhindern können, dass es durch eine Standard-Toxinkonzentration zur Lyse kommt. Das beinhaltet auch negative und positive Kontrollen (rechts).
32.7
Beurteilung der Abwehr (Immunlage)
Zur Beurteilung können Opsonisierung und Aktivität einzelner Komplementfaktoren herangezogen werden Obwohl derzeit nur in Ausnahmefällen die Gesamtaktivität des Komplements im Serum erfasst wird, kann es oft nützlich sein, die opsonisierende Wirkung einer Serumprobe zu untersuchen; dabei wird gemessen, wie sehr die Phagozytose mikrobieller Partikel durch Komplementanlagerung gefördert wird (Abb. 32.25).
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Die Aktivität einzelner Komplementfaktoren lässt sich ■ anhand ihrer Titrierbarkeit in einem komplementabhängigen Lysesystem beurteilen, wenn der gesuchte Komplementfaktor fehlt, ■ direkt immunchemisch bestimmen, oft mithilfe von GelPräzipitationsreaktionen.
Abb. 32.25
Opsonisierende Wirkung von Serum.
a) Zeitverlauf bei der Phagozytose von Hefepilzen (durch polymorphkernige neutrophile Leukozyten, PMN): Vergleich zwischen der opsonisierenden Wirkung eines Normalserums von 12 gesunden Spendern und eines Serums, dessen Spender vorher mit Cytochalasin B (40 mg/ml) behandelt wurde, das die Phagozytose hemmt. b) Verteilung der Opsonisierungsaktivität in 150 Serumproben von gesunden jungen, älteren und kranken Spendern [nach Kerr et al. 1983].
1023
Zur Beurteilung der Phagozytoseaktivität wird der Nitroblautetrazolium(NBT)-Test angewandt Mit dem Nitroblautetrazolium(NBT)-Test lässt sich untersuchen, inwieweit Neutrophile zur Phagozytose befähigt sind und gleichzeitig molekularen Sauerstoff reduzieren können. Wird der gelbe NBT-Farbstoff zu Blutproben hinzugefügt, bildet er Komplexe mit Heparin oder Fibrinogen, die von Neutrophilen phagozytiert werden (nach Aktivierung durch ein exogenes Endotoxin). Die von den stimulierten Neutrophilen aufgenommenen Farbstoffkomplexe ersetzen Sauerstoff, der normalerweise als Substrat für den Reduktionsprozess dient, an dessen Ende das unlösliche blaue Formazan entsteht (Abb. 32.26).
32.7.1
Lymphozyten
Lymphozyten werden gezählt und anhand ihrer Oberflächenmoleküle in verschiedene Gruppen unterteilt Mit der Lymphozytendifferenzierung geht die Expression bestimmter Moleküle auf ihrer Zelloberfläche einher. Ihr Nachweis mithilfe der Immunfluoreszenz ermöglicht neben der Zählung auch die Zuordnung von Lymphozyten zu unterschiedlichen Subklassen (Abb. 32.27). Verbreitet werden monoklonale Antikörper zur Abgrenzung dieser Differenzierungsmoleküle eingesetzt, und auch von der Durchflusszytofluorometrie wird zunehmend Gebrauch gemacht (Abb. 32.28). Sie ist schneller und ein weniger arbeitsintensives Mittel zur Bestimmung der Lymphozyten-Subpopulationen als die konventionelle Fluoreszenzmikroskopie.
Die Entwicklung von T-Effektorzellen gegen ein Antigen wird oft durch einen intradermalen Provokationstest aufgedeckt Auf einen intradermalen Provokationstest reagiert die Haut gewöhnlich mit Rötung und Induration, die nach ca. 48 Stunden ihren Höhepunkt erreichen (Abb. 32.29). Aufgrund des zeitlichen Verlaufs wird diese Reaktion als „Überempfindlichkeit vom verzögerten Typ“ (delayed type hypersensitivity, DTH) bezeichnet. Mit Substanzen wie Phytohämagglutinin oder Concanavalin A kann die Ansprechbarkeit der gesamten T-Zell-Population getestet werden, denn sie wirken wie polyklonale Stimulanzien, die T-Zellen unabhängig von ihrer Antigenspezifität aktivieren. Werden periphere Blutzellen jedoch in vitro mit einem Antigen inkubiert, führt das nur zur Aktivierung spezifischer T-Zellen, die einen sehr geringen Teil der Gesamtzahl verkörpern und sich zu teilen beginnen. Bei der Untersuchung solcher Kulturen sind Blastozyten und mitotische Zellteilung zu erkennen. Die Bestimmung der Lymphozytenstimulation anhand der Inkorporation von radioaktiv markiertem Thymidin, mit der sich auch die Zellproliferation bestimmen lässt, ist die geeignetere Methode (Abb. 32.30).
Abb. 32.26 Nitroblautetrazolium(NBT)-Test. 1024
a) Im Normalfall werden bei der Phagozytose reaktive SauerstoffZwischenprodukte (reactive oxygen intermediates, ROI) in Monozyten und Polymorphkernigen aktiviert und das gelbe NBT in blauviolettes Formazan überführt. b) Patienten mit chronischer Granulomatose (CGD) bilden jedoch keine ROI, so dass der Farbstoff gelb bleibt (mit freundlicher Genehmigung von A.R. Hayward).
Abb. 32.27 Immunfluoreszenztechnik zur Darstellung von Differenzierungsmolekülen auf Lymphozyten.
a) Im doppelten Antikörpertest werden monoklonale Maus-Antikörper zum Nachweis des gesuchten Oberflächenmoleküls verwendet. b) Direktnachweis von Antikörperrezeptoren auf zwei B-Lymphozyten durch fluoreszierendes Antiimmunglobulin. Deutlich sichtbar sind Aggregation und Capping der Oberflächenrezeptoren durch das Antiimmunglobulin(-Reagens).
Abb. 32.28 Durchflusszyto(fluoro)metrie.
1025
Um ihre Oberflächenmoleküle zu entdecken, lässt man die Zellen einer Probe nach dem Anfärben mit spezifisch fluoreszierenden Reagenzien einzeln hinter einem Laserstrahl her strömen. Bei jeder Zelle werden Größe (Lichtstreuung nach vorn) und Granulation (90°-Lichtstreuung) sowie Rot- und Grünfluoreszenz gemessen, um unterschiedliche Oberflächenmarker zu erkennen. Die dreidimensionalen Grafiken zeigen neben einer ganzen Lymphozytenpopulation (links) auch CD8positive Zellen, die durch Zellseparierung gewonnen und mit anti-CD8 gefärbt wurden (rechts).
Zytokine können jetzt näher untersucht werden Stimulierte T-Zellen setzen auch Zytokine frei. Ursprünglich waren Zytokine für ihre Wirkung als biologische Marker bekannt, denn ein Nachlassen ihrer Aktivität unter dem Einfluss spezifischer Antikörper bewies ihre Spezifität. Seitdem Zytokine geklont werden können und monoklonale Antikörper direkt gegen sie gerichtet sind, zeichnet sich ein starker Trend in Richtung von Immunoassays mit einzelnen Zytokinen und Zytokinrezeptoren ab.
1026
Abb. 32.29 Verzögerte Hypersensitivität vom Tuberkulintyp.
Sensibilisierte Menschen reagieren auf Lepraantigene mit typischen Erscheinungen (Fernandez-Reaktion): einer Rötung und Induration (a), die nach 48–72 Stunden am stärksten sind, und einer dichten Infiltration von Lymphozyten und Makrophagen (b) an der Injektionsstelle. Hämatoxylin-Eosin-Färbung; 80 × vergr.
Der Angriff zytotoxischer T-Zellen auf bestimmte Ziele wird mit herkömmlichen Mitteln (Radioisotopen) untersucht Zytotoxische T-Zellen attackieren z.B. virusinfizierte Zellen. Um diese Fähigkeit zu untersuchen, werden mögliche Ziele üblicherweise mit Radioisotopen (z.B. mit 51Cr) markiert und dann darauf achtet, ob die Radioisotopen nach der Zentrifugation im Überstand von geschädigten Zellen auftauchen (Abb. 32.31).
1027
Abb. 32.30 Beurteilung der Lymphozytenstimulation nach Inkorporation von radioaktiv markiertem Thymidin.
Hohe Werte weisen auf eine Zellproliferation hin und bestätigen damit die Antigenempfindlichkeit der Lymphozyten
1028
Abb. 32.31 Messung der zytotoxischen Aktivität humaner Lymphozyten.
Angegriffen werden nur Zielzellen, die mit dem Grippe-/Influenzavirus infiziert sind und denselben HLA-Haplotyp (human leukocyte antigens) haben wie der Spender dieser zytotoxischen Zellen (Haplotyp-Restriktion). Erst dann wird 51Cr freigesetzt. Die gestrichelte Linie zeigt, dass im Hintergrund auch ohne Inkubation der Effektorzellen Radioisotop aus Zielzellen freigesetzt wird.
32.8
Aufbereitung von Proben
In der Labordiagnostik gibt es Protokolle für die Bearbeitung von: ■ Urin ■ Stuhl ■ Genitalabstrichen ■ Haut- und Weichteil-/Bindegewebeproben ■ Augenabstrichen ■ Proben aus dem Respirationstrakt (Nasen-, Rachen-, Ohrenabstriche und Sputum) ■ Liquor ■ Eiter ■ sonstigen Körperflüssigkeiten (Aspirate der Pleura-, Perikard-, Synovialflüssigkeit)
1029
■ Blut ■ Knochenmark- und anderen Biopsien ■ Autopsie- und forensischen Proben Nähere Einzelheiten hierzu finden sich unter www.StudentConsult.de.
Zusammenfassung ■ Die mikrobiologische Bestätigung für eine klinisch diagnostizierte Infektion hängt von der Qualität der Proben ab, die mit allen erforderlichen Informationen möglichst rasch ans Labor weitergereicht werden. ■ Mit Laboruntersuchungen lassen sich Mikroorganismen, deren Produkte sowie Anzeichen für eine Immunreaktion des Patienten auf die Infektion nachweisen. ■ Bakterienkulturen und serologische Untersuchungen sind wichtige und sich gegenseitig ergänzende Methoden zur Identifizierung klinisch relevanter Erreger, auch wenn sie unterschiedliche Aspekte beleuchten. ■ Um Erreger rascher nachzuweisen, werden zunehmend häufiger neue molekulare Techniken (PCR oder Gensonden) eingesetzt. Doch zur Empfindlichkeitstestung (Antibiogramm) und zur Wahl der richtigen Therapie müssen die Erreger in Reinkultur isoliert werden. ■ Bakterien benötigen in der Regel mindestens 18 Stunden zum Wachstum (und die Isolierung von Viren oder Pilzen kann sogar noch länger dauern); daher sind frühestens nach 24 Stunden erste Ergebnisse aus Kulturen zu erwarten. ■ Wie die Ergebnisse zu interpretieren sind, hängt von der Entnahmestelle ab: In Proben von normalerweise sterilen Stellen ist schon ein einziger Keim signifikant, während Isolierung und Identifizierung der Erreger schon schwieriger sind, wenn Proben von Stellen mit kommensaler Normalflora stammen. ■ Eine gute Kommunikation zwischen Kliniker und Mikrobiologen ist überaus wichtig.
FRAGEN 1 Nennen Sie jeweils drei Körperstellen, die normalerweise steril bzw. von kommensaler Normalflora besiedelt sind. 2 Welche Proben würden Sie entnehmen, um folgende Diagnosen zu sichern: a) Harnwegsinfektion b) Meningitis c) Osteomyelitis d) Malaria? 3 In welchem Probenmaterial lassen sich Antikörper nachweisen? Was ist in Bezug auf den Zeitpunkt der Probenentnahme wichtig? 4 Wann ist frühestens mit dem Ergebnis der Laboruntersuchung zu rechnen: a) bei signifikanter Bakteriurie (Mittelstrahlurinprobe) eines Patienten mit Dysurie b) bei mikroskopischen Anzeichen für eine Infektion im Liquor eines jungen Patienten mit Nackensteife c) bei Testung der Antibiotikaempfindlichkeit von Staphylococcus aureus (nach Isolierung aus der Blutkultureines Fieberpatienten)?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur 1030
Alonzo de Velasco, E., Verheul, A.F., Verhoef, J., Snippe, H.: Streptococcus pneumoniae: virulence factors, pathogenesis and vaccines. Microbiol Rev 59 (1995) 591–603. Forbes, B.A., Sahm, D.F., Weissfeld, A.: Bailey & Scott s Diagnostic Microbiology, 11th ed. Mosby, St. Louis 2002. Griffin, J.W., Watson, D.F.: Axonal transport in neurologic disease. Ann Neurol 23 (1988) 3–13. Henry, J.B. (ed.): Clinical Diagnosis and Management by Laboratory Methods. W.B. Saunders, Philadelphia 2001. Kerr, M.A., Falconer, J.S., Bashey, A. et al.: The effect of C3 levels on yeast opsonization by normal and pathological sera; identification of a complement-dependent opsonin. Clin Exp Immunol 54 (1983) 793–800. Köhler, W., Eggers, H.J., Fleischer, B., Marre, R., Pfister, H., Pulverer, G. (Hrsg.): Medizinische Mikrobiologie, 8. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München Jena 2001. Larone, D.: Medically Important Fungi: a Guide to Identification, 4th ed. American Society of Microbiology, Washington 2002. Mims, C.A., Nash, A. Stephen, J.: Mims Pathogenesis of Infectious Disease, 5th ed. Academic Press, London 2001. Murray, P.R., Barron, E.J., Pfaller, M.A. et al. (eds.): Manual of Clinical Microbiology, 8th ed. American Society of Microbiology, Washington 2003. Rose, N.R.: Manual of Clinical Laboratory Immunology, 6th ed. American Society of Microbiology, Washington 2002. Savino, W., Dardenne, M.: Immune-neuroendocrine interactions. Immunol Today 16 (1995) 318–322. Singleton, P.: DNA Methods in Clinical Microbiology. Kluwer, Dordrecht 2000. Townsend, G.C., Scheld, W.M.: In vitro models of the blood-brain barrier to study meningitis. Trends Microbiol 3 (1995) 441–445.
1031
33 Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie 33.1
Selektive Toxizität 508
33.2
Entdeckung und Entwicklung von antimikrobiellen Wirkstoffen 508
33.3
Antibakterielle Wirkstoffe – Einteilung 508
33.4
Resistenz gegen antibakterielle Wirkstoffe 510
33.4.1
Genetik der Resistenz 510
33.4.2
Resistenzmechanismen 512
33.5
Antibiotikaklassen 512
33.6
Zellwand-Synthesehemmer 513
33.6.1
Betalaktame 513
33.6.2
Glykopeptide 518
33.7
Proteinsynthesehemmer 519
33.7.1
Aminoglykoside 519
33.7.2
Tetrazykline 521
33.7.3
Chloramphenicol 523
33.7.4
Makrolide, Lincosamide, Streptogramine 523
33.7.5
Oxazolidinone 526
33.7.6
Fusidinsäure 526
33.8
Nukleinsäuresynthesehemmer 526
33.8.1
Chinolone 526
33.8.2
Rifamycine 528
33.9
Antimetaboliten mit Auswirkungen auf die Nukleinsäuresynthese 529
33.9.1
Sulfonamide 529
33.9.2
Trimethoprim (und Co-trimoxazol) 529
33.10
Nitroimidazole mit Einfluss auf die DNA 531
33.11
Polymyxine als Hemmstoffe der Zytoplasmamembranfunktion 531
33.12
Urologika (Harnwegsantiseptika) 531
1032
33.13
Antituberkulotika 531
33.13.1 Isoniazid 532 33.13.2 Ethambutol 532 33.13.3 Pyrazinamid 532 33.13.4 Resistenzentwicklung bei Mykobakterien 532 33.14
Antibakterielle Mittel in der Praxis 533
33.14.1 Empfindlichkeitstestung 533 33.14.2 Antibiotikatests/-assays 534 33.15
Antivirale Therapie 536
33.15.1 Aciclovir (Acycloguanosin) 537 33.15.2 Ganciclovir (Dihydroxypropoxy- methylguanin, DHPG) 537 33.15.3 Foscarnet (Phosphonoformat) 538 33.15.4 Nukleotid- und Nukleosid-Reverse- Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) 538 33.15.5 Nichtnukleosidische Reverse- Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) 539 33.15.6 Protease-Inhibitoren (PI) 539 33.15.7 Influenzavirus-Inhibitoren 539 33.15.8 Antivirale Mittel gegen Hepatitisviren (HBV und HCV) 540 33.15.9 Entwicklung von Virustatika 540 33.15.10 Interferontherapie bei Infektionen 540 33.16
Antimykotika 540
33.17
Gegen Parasiten wirksame Mittel 542
33.18
Richtiger Gebrauch und Missbrauch 545
1033
Zur Orientierung Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Wirt, Erreger und Wirkstoffen kann man sich als Dreieck vorstellen, bei dem sich jede Veränderung einer Seite unvermeidlich auf die beiden anderen auswirkt (Abb. 33.1). In diesem Kapitel werden zwei Seiten dieses Dreiecks näher beleuchtet: ■ Interaktionen zwischen Wirkstoffen und Erreger ■ Interaktionen zwischen Wirkstoffen und menschlichem Wirt Skizziert werden auch einige Aspekte zu Laboruntersuchungen und (Antibiotika)Empfindlichkeitstests. Als dritte Seite des Dreiecks sind die Beziehungen zwischen Mikroorganismen und menschlichem Wirt bereits in den vorhergehenden Kapiteln ausführlich erörtert worden. Am Ende des Kapitels werden alle drei Seiten des Dreiecks abschließend noch einmal zusammengeführt.
Abb. 33.1 Darstellung der wechselseitigen Beziehung als Dreieck.
Die Beziehungen zwischen antimikrobiellen Wirkstoffen, Mikroorganismen und menschlichem Wirt kann man sich als Dreieck vorstellen, wobei sich jede Beeinflussung der einen Seite auch auf die beiden anderen auswirkt.
33.1
Selektive Toxizität
Den Begriff der „selektiven Toxizität“ hat Paul Ehrlich, der Begründer der Chemotherapie, eingeführt (s. Kasten). Um selektive Toxizität zu ermöglichen, werden Unterschiede in der Struktur und im Metabolismus von Mikroorganismen und Wirtszellen erforscht. Im Idealfall greifen antimikrobielle Wirkstoffe gezielt an Stellen an, die nur bei den Erregern, nicht aber auf Wirtszellen vorhanden sind. Das lässt sich eher bei Prokaryonten erreichen, die größere strukturelle Unterschiede zu den Wirtszellen aufweisen als Eukaryonten (Zellstrukturen von pro- und eukaryoten Mikroorganismen s. Kap. 1).
1034
Am anderen Ende des Spektrums befinden sich die Viren, die durch ihre obligat intrazelluläre Lebensweise schwierig anzugreifen sind – ein wirksames Mittel gegen Viren muss in Wirtszellen eindringen können, darf aber nur virusspezifische Ziele hemmen bzw. schädigen. Wünschenswerte Eigenschaften eines idealen antimikrobiellen Mittels sind in Tab. 33.1 zusammengestellt.
33.2 Entdeckung und Entwicklung von antimikrobiellen Wirkstoffen Der Begriff „antibiotisch“ war traditionell auf natürliche Stoffwechselprodukte von Pilzen, Aktinomyzeten und Bakterien bezogen, die das Wachstum von Mikroorganismen hemmten oder sie zerstörten. Da Antibiotika offenbar besonders von Mikroorganismen im Boden produziert werden, scheinen sie ihnen einen selektiven Vorteil vor anderen Keimen in der Konkurrenz um Raum und Nährstoffe der natürlichen Umgebung zu verleihen. Die heute klinisch gebräuchlichen antimikrobiellen Wirkstoffe leiten sich zwar meist von natürlichen Fermentierungs- bzw. Gärungsprodukten her, sind aber mehrheitlich semisynthetisch, d.h. chemisch verändert worden, um ihre antibakteriellen oder pharmakologischen Eigenschaften zu verbessern. Einige Wirkstoffe (wie Sulfonamide oder Chinolone) sind vollsynthetisch. Daher sollte man besser von „antimikrobiellen“ oder „antibakteriellen“ Mitteln statt von „Antibiotika“ sprechen. Obwohl sich auch Mittel gegen Pilze und Parasiten unter antimikrobiellen Wirkstoffen subsumieren lassen, sind in dem Fall „Antimykotika“ bzw. „Antihelminthika“ gebräuchlichere Bezeichnungen.
Tab. 33.1 Erwünschte Eigenschaften neuer antimikrobieller Mittel. *
hängt vom Anwendungsgebiet ab: Da Mittel mit engem Wirkspektrum weniger stark in die Normalflora eingreifen, führen sie wahrscheinlich langsamer zur Resistenz; Substanzen mit breitem Wirkspektrum sind besser für empirische Therapieversuche und zur Behandlung von Mehrfachinfektionen (mehreren Erregern) geeignet.
1035
Neue Wirkstoffe wurden oft durch reinen Zufall entdeckt, wenn pharmazeutische Firmen mit massenhaften Boden-Screening-Programmen nach Mikroorganismen mit antibiotischer Wirkung suchten. Doch mit umfassenderen Kenntnissen über die Wirksamkeit vorhandener Substanzen konnten diese Prozesse rationalisiert werden, so dass jetzt entweder gezielt nach neuen natürlichen Produkten mit einem bestimmten Angriffsziel gesucht wird oder entsprechende Wirkstoffe synthetisiert werden. Seit kurzem gibt es auch Ansätze dazu, das Genom nach neuen (noch unerforschten) Angriffszielen zu untersuchen. Die einzelnen Schritte zu einem rationalen Entwicklungsprogramm für antimikrobielle Wirkstoffe sind in Tab. 33.2 zusammengefasst.
33.3
Antibakterielle Wirkstoffe – Einteilung
Antibakterielle Wirkstoffe können nach ■ Wirksamkeit (bakterizid oder bakteriostatisch), ■ Angriffspunkt oder ■ chemischer Struktur klassifiziert werden.
Antibakterielle Mittel wirken bakterizid oder bakteriostatisch Bakterizide Wirkstoffe töten Bakterien ab, während andere nur das Bakterienwachstum hemmen (bakteriostatisch wirken). Bakterizidie ist demnach ein irreversibler, Bakteriostase ein reversibler Prozess. Trotzdem lassen sich Infektionen erfolgreich mit bakteriostatischen Mitteln be handeln, weil die Wirtsabwehr besser mit einer statischen (nicht mehr weiter ansteigenden) Bakterienmenge fertig werden kann. Doch bei Patienten mit Immunschwäche sind bakteriostatische Mittel unter Umständen weniger wirksam.
Geschichte der Mikrobiologie Paul Ehrlich (1854–1915) Von ähnlich überragender Bedeutung wie Pasteur für die (Immun-)Mikrobiologie ist Paul Ehrlich als „Vater der Immunchemie“. Er leistete außerordentliche wissenschaftliche Beiträge zu allen Gebieten der Medizin. Ehrlich äußerte als Erster 1890 die Vermutung, Fremdantigene könnten von „Seitenketten“ an Zellen erkannt werden; doch es dauerte noch 70 Jahre, bis seine brillante Idee bestätigt wurde. Ehrlich entdeckte die Mastzellen, führte eine säurefeste Färbetechnik für Tuberkelbazillen ein und entwickelte eine Methode zur Herstellung und Vermarktung eines stark wirksamen Diphtherie-Antitoxins. Mit seiner Arbeit über „606“ (oder „Salvarsan“) zur Syphilisbehandlung wurde er zum Pionier der Antibiotikatherapie, was die Kirche als Einmischung in Gottes gerechte Strafe für Sünder anprangerte. Das Konzept der selektiven Toxizität begann sich abzuzeichnen, als Ehrlich sich mit der Behandlung von Trypanosomeninfektionen befasste, wie folgendes Zitat zeigt: 1036
„Aber meine Herren, es sollte klar sein, dass sich diese Aufgabe im Allgemeinen viel schwieriger bewerkstelligen lässt als eine Serumtherapie. Im Unterschied zu Antikörpern können diese Chemotherapeutika schädlich für den Körper sein. Will man ein solches Mittel einem Kranken geben, muss hinsichtlich seiner Toxizität für Erreger und den Wirtorganismus ein Unterschied bestehen. Wir müssen uns immer der Tatsache bewusst sein, dass sich diese Mittel genauso auf andere Körperbereiche wie auf die Parasiten auswirken können.“ Wie Pasteur begriff auch Ehrlich den ganzen Körper als Kontinuum – bis zu den Zellen und der dreidimensionalen Struktur der Moleküle – und betonte sein Leben lang die Bedeutung, die molekulare Interaktionen als Grundlage sämtlicher biologischen Funktionen hätten. Dies kommt in seinem berühmten Leitsatz „Corpora non agunt nisi fixata“ (oder „Nur wenn sich Dinge berühren, interagieren sie“) zum Ausdruck. 1908 erhielt Paul Ehrlich den Nobelpreis. Weil er Jude war, wurde sein Name unter dem Naziregime systematisch aus allen Aufzeichnungen getilgt. Mit allen Ehren rehabilitiert wurde er, als anlässlich des 7. Internationalen Immunologie-Kongresses in Berlin 1989 sein früheres Labor (Paul-Ehrlich-Institut) wiedererrichtet wurde.
Paul Ehrlich (1854–1915) Manchmal verschwimmt jedoch die Grenze zwischen bakteriziden und bakteriostatischen Wirkstoffklassen, wenn die Mittel nur bestimmte Erreger abtöten und bei anderen lediglich bakteriostatisch wirken: So kann Chloramphenicol z.B. das Wachstum von Escherichia coli nur hemmen, Haemophilus influenzae jedoch abtöten.
Antibakterielle Wirkstoffe haben fünf wichtige Angriffspunkte
1037
Eine geläufige Einteilung antibakterieller Mittel erfolgt nach ihrem Wirkort oder Angriffsziel. Mit dieser Klassifizierung lässt sich zwar nicht genau vorhersagen, welcher Stoff bei welchen Bakterien wirksam sein wird, doch sie trägt zu einem besseren Verständnis der molekularen Grundlagen der antibakteriellen Wirkung bei und kann zudem viele Syntheseprozesse in Bakterien aufklären. Die fünf Hauptangriffspunkte für antibakterielle Mittel sind: ■
Zellwandsynthese
■
Proteinsynthese
■
Nukleinsäuresynthese
■
Stoffwechselwege
■
Zellmembranfunktionen
Da sich Bakterienzellen in Bezug auf diese Angriffsziele mehr oder weniger stark von den Wirtszellen unterscheiden, geht ihre Hemmung nicht mit gleichzeitiger Hemmung der (Säugetier-)Wirtszellen einher (selektive Toxizität antibakterieller Mittel). An jedem Angriffsziel läuft eine Vielzahl chemischer Reaktionen ab (Synthese von Enzymen und Substraten), die einzeln von bestimmten antibakteriellen Wirkstoffen inhibiert werden können. Chemisch unterschiedliche Wirkstoffmoleküle können auch an derselben Stelle angreifen und unterschiedliche Reaktionen hemmen (z.B. Proteinsynthesehemmer).
Tab. 33.2 Gezielte Entwicklung neuer antimikrobieller Mittel.
1038
Antibakterielle Wirkstoffe haben unterschiedliche chemische Strukturen Die chemische Struktur allein ist zu unterschiedlich, um für die Einteilung von Wirkstoffen von praktischem Nutzen zu sein. Doch in Verbindung mit dem Angriffspunkt ermöglicht die chemische Struktur eine sinnvolle vorläufige Zuordnung zu spezifischen Wirkstoffklassen oder -familien, die weiter unten besprochen werden.
33.4
Resistenz gegen antibakterielle Wirkstoffe
Die Resistenz gegen antibakterielle Wirkstoffe kann graduell unterschiedlich ausgeprägt sein. Im medizinischen Rahmen werden Erreger als resistent definiert, wenn sie durch die Wirkstoffkonzentration, die sich mit normaler Dosierung eines antibakteriellen Mittels erreichen lässt, weder im Wachstum gehemmt noch abgetötet werden. „Some men are born great, some achieve greatness, and some have greatness thrust upon them“ [so viel wie: Einige Männer sind groß geboren, andere erlangen Größe und einigen fällt Größe zu“] (William Shakespeare, 12. Night oder Was ihr wollt). Ähnlich ist es mit Bakterien; einige sind von Natur aus resistent und andere erwerben Resistenz. Mit anderen Worten: Manche Spezies sind natürlich (angeboren) resistent gegen bestimmte Antibiotikaklassen, weil ihnen das Angriffsziel fehlt oder der Wirkstoff nicht zu ihnen durchdringt. Mit ihrer Außenhülle um die Peptidoglykan-Zellwand sind Gram-negative Stäbchen nicht so durchlässig für Makromoleküle wie Gram-positive
1039
Bakterien. Doch auch bestimmte Stämme von Natur aus empfindlichen Bakterien können Resistenzen entwickeln oder erwerben.
33.4.1
Genetik der Resistenz
Parallel zur raschen Entwicklung einer Vielzahl antibakterieller Mittel (seit 1940) entwickelten Bakterien äußerst geschickt Resistenzen gegen jedes der neu aufkommenden Mittel. Das ist exemplarisch mit dem Zeitschema in Abb. 33.2 für Staphylococcus aureus gezeigt. Dass Resistenzen immer rascher und häufiger auftreten, während sich gleichzeitig die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Bekämpfung resistenter Stämme verlangsamt, wird inzwischen weltweit als ernste Gefahr für die Behandlung lebensbedrohlicher Infektionen erkannt.
Durch chromosomale Mutation kann es zur Resistenz gegen ganze Antibiotikaklassen kommen (Kreuzresistenz) Resistenz entsteht entweder durch: ■ Einzelmutation im Bakterienchromosom, so dass ein verändertes Protein synthetisiert wird; Beispiele sind die Streptomycinresistenz (durch Veränderung eines ribosomalen Proteins) oder die verringerte Bindungsaffinität zu Sulfonamiden nach einem einzelnen Aminosäurenaustausch im Enzym Dihydropteroat-Synthetase; ■ reihenweise Mutationen, z.B. Veränderungen in den PenicillinBindungsproteinen (PBP) von Penicillin-resistenten Pneumokokken. Durch solche spontanen Mutanten haben manche Erreger bei einer Antibiotikatherapie einen selektiven Vorteil gegenüber empfindlichen Erregern, die sie überleben oder überwuchern können (Abb. 33.3a). Auch ein Übergreifen resistenter Keime auf andere Körperbereiche desselben Patienten oder eine Disseminierung durch Kreuzinfektion mit anderen Patienten ist möglich. Chromosomale Mutationen kommen relativ selten vor (d.h. meist nur in 1 von 106–108 Keimen) und machen im Allgemeinen nur gegen eine einzelne Antibiotikaklasse resistent (d.h., sie bewirken eine „Kreuzresistenz“ gegen strukturell verwandte Substanzen).
Von Plasmiden übertragbare Gene können gegen unterschiedliche Wirkstoffklassen resistent machen (Multidrug-Resistenz) Bakterien wappnen sich auch mit Resistenzgenen, die von Plasmiden übertragen werden, und sind somit nicht allein auf zufällige chromosomale Mutationen angewiesen, um Antibiotika-Behandlungen zu überleben (Abb. 33.3b, s. Kap. 2). Solche Plasmide kodieren häufig Resistenzfaktoren gegen mehrere antibakterielle Wirkstoffe, die nicht miteinander verwandt sein müssen. So kann sich eine Bakterienzelle sehr viel effizienter als durch eine chromosomale Mutation gleich eine „Multidrug-Resistenz“ (gegen mehrere Wirkstoffklassen, MDR) erwerben.
1040
Die „infektiöse Resistenz“ wurde von japanischen Forschern zunächst bei der Untersuchung von Darmbakterien beschrieben, ist aber inzwischen als verbreitetes Phänomen im ganzen Bakterienreich bekannt. Einige „promiskuitive“ Plasmide überschreiten Speziesschranken, so dass dasselbe Resistenzgen bei völlig unterschiedlichen Bakterien anzutreffen sein kann. So kommt TEM-1, die am häufigsten von Plasmiden übertragene Betalaktamase Gram-negativer Bakterien, z.B. nicht nur verbreitet bei E. coli und anderen Enterobakterien vor, sondern ist auch für die Penicillinresistenz von Neisseria gonorrhoeae bzw. die Ampicillinresistenz von H. influenzae verantwortlich.
1041
Abb. 33.2 Zeitschema zur chronologischen Entwicklung der Antibiotikaresistenz bei Grampositiven Kokken.
1042
Abb. 33.3 Verschiedene Arten des „Resistenzerwerbs“.
Verändert sich durch chromosomale Mutation (a) das Angriffsziel antibakterieller Mittel, können sich die resistent gewordenen Bakterienzellen trotz Antibiotikatherapie vermehren. Schneller als durch Teilung und Verbreitung der Zellen selbst übertragen Plasmide die Resistenzgene unter den Bakterien (b). Dass sich Resistenzgene mit Transposons (c) vom Chromosom zu Plasmiden bewegen oder zwischen Plasmiden hin- und herbewegen können, macht sie stabiler bzw. ermöglicht eine breitere Streuung (größere Dissemination).
1043
Resistenz kann auch über Transposons und andere bewegliche Elemente erworben werden Resistenzgene können sich auch auf Transposons befinden. Von diesen „springenden“ Genen in einem Replikationsprozess erzeugte Kopien können in ein Bakterienchromosom oder in Plasmide integriert werden (s. Kap. 2). Im Chromosom finden die Gene zwar eine stabilere Lage, können sich aber nicht schneller verbreiten als sich die Bakterienzelle teilt. Wenn sich Kopien von Transposons vom Chromosom zu Plasmiden bewegen, erfolgt eine sehr viel raschere Disseminierung. Um die Streuung von Resistenzgenen noch mehr zu beschleunigen, kann auch eine Übertragung zwischen Plasmiden (z.B. von stationären auf bewegliche/übertragbare) stattfinden (Abb. 33.3c).
Resistenzgene können in sog. Integronen zu „Kassetten“ zusammengefügt werden Wie bereits erwähnt, können einzelne Antibiotika-Resistenzgene entweder auf Plasmiden oder im Chromosom bzw. auf Transposons (an beiden Stellen) lokalisiert sein. Doch unter bestimmten Umständen können sich MDR-Gene auch in einer Struktur versammeln, die als „Integron“ bezeichnet wird. Wie in Abb. 33.4a gezeigt, wird im Integron an einer spezifischen Stelle ein Rekombinationsenzym (Integrase) vom int-Gen kodiert, das die Insertion – und genauso Exzision – von Antibiotika-Resistenzgen-Kassetten an der Anheftungsstelle (att) des Integrons ermöglicht. Solche Kassetten bestehen aus dem Resistenzgen und zusätzlichen Sequenzen mit einer „attachment region“. Nach der klassischen Art von Operonen wird die Transkription der inserierten Gene von einem starken IntegronPromoter kontrolliert. Integrone finden sich sowohl in Gram-negativen als auch in in Gram-positiven Bakterien und werden anhand ihrer Integrationsform (mit Integrase usw.) in verschiedene Klassen unterteilt. Als eigenständige mobile Genelemente oder in Transposons eingebaut, können sich Integrone in zahlreiche DNA-Moleküle hineinbegeben; ihre gesamte Hierarchie ist in Abb. 33.4b dargestellt. Dass sie verschiedene Antibiotika-Resistenzgene aufnehmen, strukturieren oder umstellen (rearrangieren) können, macht Integrone zu einem wichtigen Faktor für die Ausbreitung einer Multidrug-Resistenz unter klinisch relevanten Erregern.
33.4.2
Resistenzmechanismen
Resistenzmechanismen lassen sich grob in drei Hauptarten unterteilen, die im Folgenden und in Tab. 33.3 zusammengefasst sind, auf die aber weiter unten im Zusammenhang mit einzelnen Antibiotika (sofern sie eine Rolle spielen) noch näher eingegangen wird. Bei allen Resistenzen gegen antibakterielle Mittel, die bisher aufgeklärt werden konnten, scheint eine Synthese neuer oder veränderter Proteine der entscheidende Faktor zu sein. Wie oben erwähnt, können sich diese proteinkodierenden Gene auf Plasmiden oder im Chromosom befinden.
Verändertes Angriffsziel 1044
Das Angriffsziel kann in einer Art und Weise verändert sein, dass die antibakterielle Substanz nur noch mit geringerer Affinität an den Angriffspunkt bzw. Wirkort gebunden wird. Der Metabolismus funktioniert unverändert. Alternativ kann ein zusätzlicher Angriffspunkt (z.B. ein zusätzliches Enzym) synthetisiert werden.
Abb. 33.4 Grundstruktur eines Integrons (a) und Beziehungsebenen zwischen Integronen und anderen DNA-Elementen (b).
att = Anheftungsstelle des Integrons, int = Integrase
Veränderte Zugänglichkeit (geringere Aufnahme oder vermehrte Ausscheidung) Hierbei verändert sich die am Zielort verfügbare Wirkstoffmenge durch ■
schlechtere Zugänglichkeit (z.B. geringere Durchlässigkeit der Zellwand) oder
■
Herauspumpen des Wirkstoffs aus der Zelle (sog. Efflux-Mechanismus)
1045
Inaktivierung antibakterieller Wirkstoffe durch enzymatische Modifikation/Zerstörung Es gibt viele Beispiele derartiger Enzyme, doch die wichtigsten sind: ■
Betalaktamasen
■
Aminoglykosid-modifizierende Enzyme
■
Chloramphenicol-Acetyltransferasen
Sie werden unter den jeweiligen Antibiotikaklassen näher beschrieben.
33.5
Antibiotikaklassen
Nachfolgend geht es um antibakterielle Wirkstoffe, die aufgrund ihres Angriffspunkts/Wirkorts und ihrer chemischen Struktur zu unterschiedlichen Gruppen (Klassen) zusammengefasst werden können. Bei der Darstellung wird versucht, auf alle Fragen, die sich aus Tab. 33.4 ergeben, eine Antwort zu geben und dabei die Beziehungen zwischen Antibiotika und Bakterien sowie zwischen Antibiotika und Patienten zu berücksichtigen (d.h. zwei Seiten des in Abb. 33.1 gezeigten Dreiecks).
Tab. 33.3 Bei Resistenzen gegen antibakterielle Mittel lassen sich drei Hauptmechanismen unterscheiden.
1046
Tab. 33.4 Was muss ich über ein antibakterielles Mittel wissen?
1047
33.6
Zellwand-Synthesehemmer
Peptidoglykane sind ein lebenswichtiger Bestandteil der Bakterienzellwand (s. Kap. 2). Dass sie nur bei Bakterien vorkommen, macht sie zum idealen Angriffsziel im Sinne der selektiven Toxizität. Die Synthese beginnt mit Peptidoglykan-Vorstufen (Präkursoren) im Zytoplasma; Untereinheiten werden durch die Zytoplasmamembran hindurchtransportiert und schließlich in das wachsende Peptidoglykanmolekül der Zellwand eingebaut. Für Inhibitoren bieten sich in den jeweiligen Stadien verschiedene Angriffspunkte (Abb. 33.5). Verschiedene Wirkstoffe, die die Zellwandsynthese hemmen, haben unterschiedliche chemische Strukturen. Die wichtigste und größte Gruppe bilden die Betalaktame, gefolgt von den Glykopeptiden, die nur gegen Gram-positive Bakterien wirksam sind. Seltener – d.h. bei wenigen Indikationen – kommen Bacitracin (vor allem topisch) und Cycloserin (hauptsächlich als „Second-line“-Medikation in der Tuberkulosebehandlung, s. unten) klinisch zum Einsatz.
33.6.1
Betalaktame
Betalaktame besitzen einen Betalaktam-Ring und hemmen die Zellwandsynthese durch ihre Bindung an Penicillin-bindende Proteine (PBP) Betalaktame sind eine große Familie (Antibiotikaklasse) mit unterschiedlichen bakteriziden Wirkstoffgruppen, die alle einen Betalaktam-Ring aufweisen. Die einzelnen Gruppen der Betalaktam-Antibiotika unterscheiden sich durch die Ringstruktur, die am Betalaktam-Ring ansetzt (bei Penicillinen ist es z.B. ein fünfgliedriger, bei Cephalosporinen ein sechsgliedriger Ring), und durch die Seitenketten an diesem Ring (Abb. 33.6).
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Abb. 33.5
Peptidoglykan-Synthese.
Der komplexe Prozess beginnt im Zytoplasma, setzt sich durch die Zytoplasmamembran hindurch weiter fort und führt zur Anlagerung neuer Bausteine an die wachsende Peptidoglykankette der Zellwand. Diesen Syntheseweg können antibakterielle Wirkstoffe an mehreren Stellen hemmen. Während nicht genau bekannt ist, wie Glykopeptide (wie Vancomycin) die Synthese hemmen, ist der Wirkmechanismus von Betalaktamen inzwischen vollständig aufgeklärt worden (s. Text). NAG = N-Acetyl-Glucosamin, NAM = NAcetyl-Muraminsäure, UDP = Uridindiphosphat PBP sind Membranproteine (z.B. Carboxypeptidasen, Transglykosylasen, Transpeptidasen), die Penicillin binden können – daher PBP – und die abschließende Quervernetzung der Zellwandstrukturen von Bakterien sicherstellen. Wird eines oder mehrere dieser wichtigen Enzyme gehemmt, kommt es zur Anhäufung von Vorstufen der Wandbausteine, durch die die Autolyse der Zelle aktiviert und damit ihre Zerstörung (Zytolyse) eingeleitet wird (Abb. 33.7).
Die meisten Betalaktame müssen parenteral verabreicht werden 1049
Neben den mehrheitlich intramuskulär oder intravenös zu injizierenden Betalaktamen gibt es einige oral zu verabreichende Wirkstoffe. Da die Blut-Hirn-Schranke bei Hirnhautentzündung durchlässiger wird, lassen sich bei Meningitis meist therapeutische Wirkstoffkonzentrationen im Liquor erzielen. Gegen intrazelluläre Erreger sind Betalaktame im Allgemeinen unwirksam. Cephalosporine (wie etwa Cefotaxim) werden vereinzelt zu Produkten mit schwächerer mikrobiologischer Wirkung abgebaut. Alle Betalaktame werden im Urin ausgeschieden – manche sogar ziemlich rasch (z.B. Benzylpenicillin) – daher sind häufigere Dosen nötig. Durch gleichzeitige Zufuhr von Probenecid lässt sich die Ausscheidung verlangsamen, um über längere Zeit höhere Blut- und Gewebespiegel aufrechtzuerhalten.
Abb. 33.6
Familie der Betalaktam-Antibiotika.
Um eine antibakterielle Wirkung zu entfalten, muss die allen Betalaktamen gemeinsame Ringstruktur intakt sein. Betalaktamasen sind Enzyme, die die Betalaktam-Bindung hydrolytisch spalten und damit inaktivieren. Wichtigste Klassen der Betalaktam-Antibiotika sind Penicilline und Cephalosporine, doch bei
1050
Neuentwicklungen stehen andere Vertreter (besonders Carbapeneme und Monobactame) im Mittelpunkt des Interesses.
Betalaktame haben unterschiedliche Anwendungsgebiete (Indikationen), sind aber unwirksam bei Bakterien ohne Zellwand Zum klinischen Gebrauch ist ein riesiges Aufgebot von Betalaktam-Antibiotika zugelassen. Einige (wie Penicillin) sind hauptsächlich gegen Gram-positive Erreger wirksam, während andere (z.B. halbsynthetische Penicilline, Carboxypeneme, Monobactame, Cephalosporine der 3./4. Generation) ihre Aktivität überwiegend gegen Gram-negative Stäbchen entwickeln. Nur neuere Betalaktame zeigen auch bei natürlich resistenteren Keimen wie Pseudomonas aeruginosa Wirkung (Tab. 33.5). Es ist wichtig, daran zu denken, dass Betalaktame unwirksam sind, wenn Bakterien keine Zellwand (z.B. Mykoplasmen) oder eine nahezu undurchlässige Zellwand haben (wie Mykobakterien) oder wenn es sich um intrazelluläre Erreger handelt (Brucellen, Legionellen und Chlamydien).
Betalaktam-Resistenz Resistenz durch Veränderungen am Angriffsbzw. Wirkort Methicillin-resistente Staphylokokken (wie S. aureus/MRSA oder S. epidermidis/MRSE) synthetisieren ein zusätzliches PBP, das Betalaktame mit sehr viel geringerer Affinität bindet als die normalen PBP und daher die Zellwandsynthese trotz Hemmung der anderen PBP fortsetzen kann. Das zusätzliche PBP wird von einem Gen (mecA) kodiert, das zwar im Chromosom sämtlicher Zellen einer resistenten Bakterienpopulation vorhanden ist, aber offenbar nur bei einem bestimmten Prozentsatz transkribiert wird. Dieses Phänomen ist als „heterogene Resistenz“ bekannt. Um die Expression zu verstärken und diese Resistenz nachzuweisen, werden im Labor Spezialkulturen angewandt. Methicillinresistente Staphylokokken sind auch gegen alle anderen Betalaktam-Antibiotika resistent. Die meisten Stämme bilden auch Betalaktamasen (s. unten). Je nach Wirkstoff können auch Keime wie Streptococcus pneumoniae, Neisseria gonorrhoeae und Haemophilus influenzae eine Betalaktam-Resistenz aufgrund von PBP-Veränderungen entwickeln.
Resistenz durch erschwerte Zugänglichkeit Dieser Mechanismus ist vor allem bei Gram-negativen Bakterien anzutreffen, bei denen Betalaktame durch Proteinkanäle (Porine) in der Außenhülle diffundieren müssen, um zu ihrem PBP-Ziel zu gelangen. Wenn sich infolge einer PorinGenmutation die Durchlässigkeit der Außenhülle verringert, erhöht sich dementsprechend die Resistenz. Auf diesem Weg resistent gewordene Stämme
1051
weisen oft eine Kreuzresistenz gegen nicht verwandte Antibiotika auf, die ebenfalls Porine als Zugang benutzen.
Resistenz durch Betalaktamase-Bildung Betalaktamasen sind katalytische Enzyme, die durch Hydrolyse des BetalaktamRings die Wirkstoffe zu mikrobiologisch inaktiven Produkten abbauen. Im Bakterienreich finden sich verbreitet solche enzymkodierenden Gene, die auf Chromosomen oder Plasmiden lokalisiert sein können. Da Gram-positive Bakterien ihre Betalaktamasen nach extrazellulär freisetzen (Abb. 33.7a), manifestiert sich ihre Resistenz erst ab einer größeren Keimzahl. Dagegen verbleiben die Betalaktamasen Gram-negativer Bakterien im Periplasma (Abb. 33.7b). Bislang wurden schon Hunderte Betalaktamase-Enzyme beschrieben, die alle dieselbe Funktion erfüllen, aber unterschiedliche Aminosäuresequenzen haben, von denen ihre Affinität zu den jeweiligen Betalaktam-Substraten beeinflusst wird. Manche Enzyme greifen gezielt Penicilline oder Cephalosporine an, während andere besonders wirksam sind, weil sie auf breiter Front fast alle Betalaktam-Antibiotika attackieren („Extended-spectrum“-Betalaktamasen, ESBL).
1052
Abb. 33.7 Rolle der PBP.
Penicillin-bindende Proteine (PBP) spielen eine Schlüsselrolle im Endstadium der Peptidoglykansynthese, da sie die Quervernetzung der Untereinheiten 1053
katalysieren, bevor sie in die Zellwand eingebaut werden. Betalaktame können in Bakterienzellen eindringen (z.B. durch Poren in der Außenhülle Gram-negativer Bakterien) und an die PBP binden, so dass die Quervernetzung der Wandbausteine nicht mehr katalysiert wird; stattdessen häufen sich die Wandbausteine in der Bakterienzelle an und bewirken die Freisetzung autolytischer Enzyme, die zur Zytolyse führen. Im periplasmatischen Raum Gram-negativer Bakterien (b) können Betalaktame durch Betalaktamasen inaktiviert werden, bevor sie ihr Ziel-PBP erreichen; daher ist die Zelle vor der Antibiotikawirkung geschützt. Alternativ scheitert die Bindung von Betalaktamen, weil PBP-Mutanten vorliegen, so dass die Peptidoglykansynthese doch abgeschlossen werden kann. Bei Gram-positiven Bakterien (a) können Betalaktam-Antibiotika entweder extrazellulär von Betalaktamasen zerstört oder – wie bei Gram-negativen Bakterien – durch PBP-Mutanten unwirksam werden. Einige Betalaktam-Antibiotika wie Cloxacillin, Ceftazidim oder Imipenem sind Betalaktamase-fest (d.h. nur von ganz wenigen Enzymen hydrolysierbar), andere (z.B. Ampicillin) dagegen sehr viel labiler. Betalaktamase-Hemmer wie Clavulansäure (Abb. 33.8) sind Moleküle mit einem Betalaktam-Ring und agieren, indem sie an Betalaktamasen binden, um deren zerstörerische Wirkung auf Betalaktame zu verhindern. Selbst entfalten sie nur eine schwache bakterizide Aktivität.
Nebenwirkungen Toxische Effekte der Betalaktam-Antibiotika sind leichte Ausschläge und Überempfindlichkeitsreaktionen vom Soforttyp Statistisch lässt sich eine Betalaktam-Allergie schwer fassen, weil meist nur subjektive Angaben von Patienten vorliegen, die das Problem oft fälschlich „diagnostizieren“. Dennoch dürften schwere allergische Reaktionen (Typ-1Hypersensitivität vom Sofforttyp) bei 0,5–2% der Patienten auftreten, während anaphylaktische Reaktionen viel seltener sind (ca. 0,002% der Behandelten). Häufiger kommen leichte idiopathische Reaktionen – gewöhnlich Ausschlag – auf Betalaktam-Antibiotika vor (in ca. 25% der Fälle), vor allem bei Ampicillin.
1054
Tab. 33.5 Repräsentative Auswahl von Betalaktamen.
Patienten mit Penicillinallergie reagieren oft auch auf Cephalosporine allergisch (oder umgekehrt), vielleicht etwas weniger bei Cephalosporinen der 3. Generation. Nur Aztreonam, ein Monobactam, zeigt eine vernachlässigbar geringe Kreuzreaktivität. Benzylpenicillin kann – besonders bei Patienten mit Niereninsuffizienz – in hohen Dosen neurotoxisch wirken. Das äußert sich in Anfällen, Bewusstlosigkeit, Myoklonien und Halluzinationen. Carbenicillin kann zu Thrombozytenfunktions/Gerinnungsstörungen und zu einer Hypernatriämie führen (da es in Form von Natriumsalzen zugeführt wird), vor allem bei Patienten mit Leber-, Nieren- oder Herzinsuffizienz.
1055
Abb. 33.8 Betalaktamase-Hemmer und Kombinationspräparate.
Clavulansäure ist ein Produkt von Streptomyces clavuligerus, das viele der üblichen Betalaktamasen (z.B. TEM-Enzyme) hemmt bzw. es Amoxicillin ermöglicht, die bakterielle Produktion dieser Enzyme zu verhindern. Als Präparat mit beiden Wirkstoffen wird am häufigsten Augmentan eingesetzt. Verfügbar sind auch Kombinationen mit Ticarcillin und Clavulansäure sowie mit Piperacillin und Tazobactam.
33.6.2
Glykopeptide
Glykopeptide sind Makromoleküle und greifen auf einer früheren Synthesestufe ein als Betalaktame Die beiden Glykopeptide Vancomycin und Teicoplanin sind sehr große Moleküle und haben daher Schwierigkeiten, in Gram-negative Bakterienzellen einzudringen. Teicoplanin ist ein natürlicher Komplex aus fünf unterschiedlichen, aber eng verwandten Molekülen. Glykopeptide wirken bakterizid und greifen in die Zellwandsynthese ein, indem sie das terminale D-Alanin-D-Alanin-Ende der Pentapeptidketten besetzen, die ein struktureller Bestandteil der wachsenden Bakterienzellwand sind (Abb. 33.5). Durch diese Bindung wird die Transglykosylierungsreaktion gehemmt und verhindert, dass neue Untereinheiten in die wachsende Zellwand eingebaut werden. Da Glykopeptide auf einer früheren Stufe der Zellwandsynthese eingreifen als Betalaktame, ist es nicht sinnvoll, Infektionen kombiniert mit beiden Mitteln zu behandeln.
1056
Bei systemischen Infektionen müssen Vancomycin und Teicoplanin als Injektion verabreicht werden Vancomycin und Teicoplanin werden nicht aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert und sind normalerweise auch nicht liquorgängig. Doch bei Meningitis können meist bakterizide Wirkstoffkonzentrationen erreicht werden, weil die Blut-Hirn-Schranke dann durchlässiger ist. Glykopeptide werden über die Nieren ausgeschieden.
Vancomycin und Teicoplanin sind nur gegen Grampositive Keime wirksam Zum Einsatz kommen sie hauptsächlich bei ■ Infektionen durch Gram-positive Kokken und Stäbchen, die gegen Betalaktame resistent sind (besonders multiresistente Keime wie Staphylococcus aureus und S. epidermidis); ■
Patienten mit Betalaktam-Allergie;
■ antibiotikaassoziierter Kolitis (durch Clostridium difficile); orale Verabreichung; allerdings werden zunehmend häufiger andere Mittel eingesetzt, seitdem Glykopeptide im Verdacht stehen, die Entwicklung resistenter Enterokokken in der Darmflora zu fördern.
Glykopeptid-Resistenz Einige Bakterien sind intrinsisch resistent Wie schon erwähnt, verleiht die äußere Hülle Gram-negativen Bakterien eine natürliche Resistenz gegen Glykopeptide, weil die Moleküle zu groß sind, um durch die äußere Membran zu den Peptidoglykanen vorzudringen. Andere Erreger schützen sich durch Veränderungen am Angriffsziel der Glykopeptide, indem ihre Pentapeptidketten mit D-Alanin-D-Laktat (z.B. Erysipelothrix, Leuconostoc, Lactobacillus und Pediococcus) oder mit D-Alanin-D-Serin enden (z.B. Enterococcus gallinarum, Enterococcus casseliflavus).
Resistenz gegen Glykopeptide kann sich auch erst entwickeln Historisch betrachtet ist die Glykopeptid-Resistenz, die sich bei Vancomycinresistenten Enterokokken (VRE) wie Enterococcus faecium und Enterococcus faecalis entwickelt hat und 1986 von Forschern in Großbritannien zum ersten Mal beobachtet wurde, klinisch am wichtigsten. Seit der Zeit sind mehrere resistente Phänotypen beschrieben worden, die sich aufgrund der Übertragbarkeit (plasmidgebunden), Induzierbarkeit und Ausprägung ihrer Resistenz unterscheiden lassen (Tab. 33.6). Eine besonders starke Glykopeptid-Resistenz ist mit den Genen VanA, VanB und vanD verbunden; eine von ihnen kodierte Ligase führt zu Pentapeptiden mit endständigem D-Alanin-D-Laktat. 1057
Am besten wird die Resistenzentwicklung durch VanA verstanden Die Glykopeptid-Resistenz vom Typ VanA wurde besonders ausgiebig untersucht und ist dadurch gekennzeichnet, dass sich eine High-Level-Resistenz gegen Vancomycin und Teicoplanin induzieren lässt. VanA ist mit transponierbaren
Tab. 33.6 Merkmale der Glykopeptid-Resistenz von Enterokokken. Elementen assoziiert, die mit Tn1546 (ca. 11 kb groß) verwandt sind und sich ursprünglich im Chromosom oder auf Plasmiden (daher transferierbar) befunden haben können. Durch VanB wird eine High-Level-Resistenz gegen Vancomycin, nicht aber gegen Teicoplanin induziert (allerdings kann nach vorausgegangener Exposition mit Vancomycin auch eine Teicoplanin-Resistenz entstehen). Die chromosomal oder plasmidvermittelte VanB-Resistenz ist mit einem sehr großen (34 kb) Transposon verbunden, mit Tn1549. VanD ist ans Chromosom gebunden (daher nicht übertragbar) und bewirkt eine konstitutive Resistenz gegen hohe Vancomycin- und niedrige TeicoplaninKonzentrationen.
Die Glykopeptid-Resistenz von Staphylokokken ist mutationsbedingt oder von Enterokokken erworben Von den koagulasenegativen Staphylokokken neigen besonders S. epidermidis und S. haemolyticus zur Resistenzentwicklung, wobei die Mechanismen noch nicht ganz klar sind. Trotzdem ließ sich an resistenten klinischen und im Labor erzeugten Isolaten aufzeigen, dass sie sich in vielfältiger Weise von ihren (Glykopeptid-)empfindlichen Gegenstücken unterscheiden, etwa in Bezug auf die veränderte GlykopeptidBindungskapazität, Membranproteine, Zellwandsynthese und Zusammensetzung. Dass koagulasepositive Staphylokokken (wie S. aureus) schwächer auf Glykopeptide ansprechen, ohne völlig resistent zu sein, hatten japanische Forscher 1996 zum ersten Mal beschrieben. Die begrenzte Empfindlichkeit sog. VISA bzw. GISA (vancomycin- bzw. glycopeptide-intermediate S. aureus) kann homogen oder heterogen zur Expression kommen. In beiden Fällen ist diese Resistenz aber nicht mit VanA, VanB oder VanD assoziiert, sondern stattdessen scheinen Resistenzfaktoren
1058
beteiligt zu sein, die sich auf die Zusammensetzung der Zellwand auswirken (z.B. die Wanddicke verstärken). Leider lässt sich eine hochgradige Glykopeptid-Resistenz auch schon bei S. aureus beobachten. Sie scheint auf einem (offensichtlich von Vancomycin-resistenten Enterokokken erworbenen) VanA-Gen zu beruhen, das sich auf einem Staphylokokken-Plasmid befindet.
Nebenwirkungen Glykopeptide sind potenziell oto- und nephrotoxisch Vancomycin wird gewöhnlich intravenös infundiert, muss aber sehr langsam laufen, um das „Red Man“-Syndrom durch Histaminfreisetzung zu verhindern. Besonders bei Niereninsuffizienz ist die Infusion sorgfältig zu überwachen, um toxische Spiegel zu vermeiden. Zur Behandlung einer antibiotikaassoziierten pseudomembranösen Kolitis durch Clostridium difficile wird Vancomycin oral verabreicht. Teicoplanin ist weniger toxisch als Vancomycin und kann als intravenöser Bolus oder intramuskulär injiziert werden.
33.7
Proteinsynthesehemmer
Obwohl die Proteinsynthese von Eu- und Prokaryonten im Wesentlichen in ähnlichen Schritten abläuft, lässt sich durch Ausnutzen der Unterschiede (z.B. 70S- statt 80SRibosom) eine selektive Toxizität erreichen. Die Translation der Messenger-RNA (mRNA) in ihre entsprechende Peptidkette ist ein komplexer Prozess, den man mit einer Reihe antibakterieller Mittel hemmen kann, auch wenn die Wirkmechanismen noch nicht in allen Einzelheiten aufgeklärt sind (Abb. 33.9).
1059
33.7.1
Aminoglykoside
Aminoglykoside sind eine Familie verwandter Substanzen mit bakterizider Wirkung Aminoglykoside enthalten entweder Streptidin (Streptomycin) oder 2Desoxystreptamin (z.B. Gentamicin, Tab. 33.7). Durch eine chemische Modifikation der ursprünglichen Strukturen (Seitenkettenaustausch) konnten Wirkstoffe wie Amikacin und Netilmicin hergestellt werden, die auch noch bei Keimen wirken, die gegen ältere Aminoglykoside resistent geworden sind. Durch ihre Bindung an spezifische Proteine der ribosomalen 30S-Untereinheit verdrängen Aminoglykoside die Formylmethionyl-Transfer-RNA (fmet-tRNA) von den Ribosomen-Bindungsstellen (Abb. 33.9) und verhindern so, dass sich Initiationskomplexe bilden können, mit denen die Proteinsynthese startet. Hinzu kommt, dass Aminoglykoside ein fehlerhaftes Lesen der mRNA-Kodons und das Auseinanderbrechen funktionell wichtiger Polysomen (mehrere Ribosomen, die sich zur Proteinsynthese in Tandems an ein einzelnes mRNA-Molekül heften) in funktionslose Monosomen bewirken.
Zur systemischen Infektionsbehandlung müssen Aminoglykoside intravenös oder intramuskulär verabreicht werden Aminoglykoside werden nicht aus dem Darm resorbiert, verteilen sich nicht besonders gut in Knochen und Geweben und sind auch nicht liquorgängig, da sie die Blut-HirnSchranke nicht überwinden können. Daher werden sie gewöhnlich intravenös verabreicht. Bei tuberkulöser Meningitis wird eine intrathekale Applikation von Streptomycin durchgeführt, und bei einer Säuglingsmeningitis (Gram-negative Keime) kann Gentamicin auf diesem Weg verabreicht werden. Aminoglykoside werden über die Nieren ausgeschieden.
Schwere Infektionen durch Gram-negative Erreger werden mit Gentamicin und neueren Aminoglykosiden behandelt Bei schweren Infektionen durch Gram-negative Bakterien wie P. aeruginosa (Tab. 33.8) sind Gentamicin, Tobramycin, Amikacin und Netilmicin wichtig für die Therapie. Aminoglykoside sind nicht wirksam gegen Streptokokken oder Anaerobier, besitzen jedoch Aktivität gegenüber Staphylokokken. Bei P. aeruginosa scheint Tobramycin etwas besser als Gentamicin zu wirken. Amikacin und Netilmicin sind beide schwächer wirksam, können aber gegen Stämme mit Gentamicin- und Tobramycin-Resistenz unter Umständen erfolgreich eingesetzt werden (s. unten).
Abb. 33.9 Syntheseweg eines neuen Bakterienproteins mit den Angriffspunkten für antibakterielle Mittel. 1060
Die äußerst komplexen Abläufe hierbei sind noch immer nicht ganz aufgeklärt. Hier können unterschiedliche Wirkstoffgruppen über spezifische Reaktionen mit Proteinen ihre hemmende Wirkung auf die Synthese entfalten. Unterschieden werden sie nach Gruppen, die auf die 30S-Untereinheit (z.B. Aminoglykoside und Tetrazykline) bzw. auf die 50S-Untereinheit des Ribosoms (z.B. Chloramphenicol, Lincosamide, Erythromycin und Fusidinsäure) einwirken.fmet-tRNA = Formylmethionin-Transfer-RNA 1061
Streptomycin bleibt inzwischen fast ausschließlich der Therapie mykobakterieller Infektionen vorbehalten. Neomycin wird nicht systemisch angewandt, kann aber oral z.B. bei neutropenischen Patienten zur Darmdekontamination eingesetzt werden.
Hauptursache der Aminoglykosid-Resistenz sind Aminoglykosid-modifizierende Enzyme Obwohl es eher selten vorkommt, kann sich eine Resistenz gegen AminoglykosidAntibiotika entwickeln, wenn ihr Angriffspunkt, das ribosomale 30S-Protein, verändert wird (Austausch einer einzigen Aminosäure im p12-Protein kann z.B. die Streptomycin-Bindung verhindern). Auch eine geringere Durchlässigkeit der Zellwand oder Veränderung im energieabhängigen Transport durch die Zytoplasmamembran kann zur Resistenz führen.
T Tab. 33.7 Chemische Gruppenstruktur der Aminoglykoside. *
**
-micine stammen von Micromonospora-Spezies ab mycine stammen von Streptomyces-Spezies ab
Der wichtigste (erworbene) Resistenzfaktor sind aber Aminoglykosid-modifizierende Enzyme (Abb. 33.10). Deren Gene stammen oft von Plasmiden und befinden sich auf Transposons, so dass sie von einer Bakterienspezies zur nächsten übertragen werden können. Durch strukturelle Veränderungen der Moleküle können diese Enzyme 1062
Aminoglykosid-Antibiotika unwirksam machen (inaktivieren). Das Resistenzspektrum eines Erregers hängt von der Art des Enzyms ab.
Aminoglykoside sind potenziell oto- und nephrotoxisch Zwischen den für eine erfolgreiche Behandlung erforderlichen (therapeutischen) bzw. toxischen Aminoglykosid-Serumkonzentrationen besteht nur ein schmales therapeutisches Fenster. Daher sollten die Blutspiegel regelmäßig überwacht werden, besonders bei Patienten mit Niereninsuffizienz. Netilmicin gilt als eines der weniger toxischen Aminoglykosid-Antibiotika.
Tab. 33.8 Indikationen für eine Aminoglykosidtherapie. *
es sollte jede Anstrengung unternommen werden, die genaue Ursache festzustellen
33.7.2
Tetrazykline
1063
Tetrazykline sind bakteriostatische Mittel, die sich mehr durch ihre pharmakologischen Eigenschaften als durch ihr Wirkspektrum unterscheiden An den großen ringförmigen Strukturen der Tetrazykline bietet sich an mehreren Stellen die Möglichkeit für chemische Substitutionen (Abb. 33.11). Tetrazykline hemmen die Proteinsynthese, indem sie sich an die kleine ribosomale Untereinheit binden und auf diese Weise verhindern, dass die Aminoacyl-TransferRNA die Akzeptorstellen des Ribosoms besetzen kann (Abb. 33.9). Dieser Vorgang kann sich zwar an Ribosomen sowohl eukaryoter wie prokaryoter Zellen abspielen, doch die selektive Wirkung der Tetrazykline kommt durch ihre stärkere Aufnahme in Prokaryonten zustande. Tetrazykline werden im Allgemeinen oral verabreicht. Da Doxycyclin und Minocyclin besser (vollständiger) resorbiert werden als Tetracyclin, Oxytetracyclin und Chlortetracyclin, lassen sich höhere Serumspiegel bei geringeren gastrointestinalen Beschwerden erreichen, weil die normale Darmflora weniger stark beeinträchtigt wird. Tetrazykline verteilen sichgut im Gewebe und dringen auch in Wirtszellen ein, so dass sie das Wachstum intrazellulärer Bakterien hemmen können. Ausgeschieden werden sie primär in Galle und Urin.
Abb. 33.10 Prototyp der Aminoglykosid-Struktur:
1064
Aminohexosen sind glykosidisch mit einem zentralen 2-DesoxystreptaminKerngerüst verbunden. An den Hydroxyl- und Aminogruppen können Aminoglykoside durch Phosphorylierung, Adenylierung oder Acetylierung inaktiviert werden, wenn resistente Stämme die entsprechenden katalysierenden Enzyme produzieren.
Trotz ihrer Wirksamkeit gegen ein breites Bakterienspektrum sind Tetrazykline wegen der verbreiteten Resistenz nur beschränkt einsetzbar Tetrazykline kommen bei Mykoplasmen-, Chlamydien- und RickettsienInfektionen zum Einsatz. Andere Bakterien sind oft resistent geworden, was zum Teil an der weit verbreiteten Anwendung von Tetrazyklinen bei Menschen, zum Teil aber auch an ihrer Beimischung zum Tierfutter (als wachstumsfördernde Zusätze) liegt. Die Resistenzgene werden von einem Transposon übertragen und führen unter einer Tetrazyklinbehandlung zur Synthese neuer Zytoplasmamembranproteine. Mit der Folge, dass Tetrazykline aus resistenten Zellen herausgepumpt werden (positiver Effluxmechanismus). 1065
In der Schwangerschaft und bei Kindern unter acht Jahren sollten Tetrazykline nicht angewandt werden Da sie die normale Darmflora schädigen, können Tetrazykline gastrointestinale Störungen mit Diarrhoen auslösen und eine Überwucherung durch resistente oder pathogene Bakterien (wie S. aureus) und Pilze (z.B. Candida) begünstigen. Bei Feten und Kindern können Knochenentwicklungsstörungen und eine Braunfärbung der Zähne durch Tetrazykline verursacht sein. Bei systemischer Therapie besteht die Gefahr einer Leberschädigung.
1066
Abb. 33.11 An den vier Ringen der TetrazyklinMoleküle gibt es fünf verschiedene Stellen für eine Substitution.
So entsteht durch unterschiedliche Substituenten an unterschiedlichen Stellen eine Molekülfamilie, deren Mitglieder sich stärker durch ihre pharmakologischen Eigenschaften als durch ihr Wirkspektrum unterscheiden.
33.7.3
Chloramphenicol
Chloramphenicol hat ein Nitrobenzen-Kerngerüst und wirkt bakteriostatisch (durch verhinderte Synthese von Proteinbindungen) Chloramphenicol hat eine relativ einfache Molekülstruktur mit einem NitrobenzenKern, der für bestimmte toxische Arzneimittelwirkungen verantwortlich ist (s. unten). Keins der verschiedenen Chloramphenicol-Derivate kommt klinisch verbreitet zum Einsatz. Mit seiner Affinität zur großen (50S-)Untereinheit von Ribosomen schaltet Chloramphenicol die Peptidyltransferase-Aktivität aus und verhindert so die Synthese von Proteinbindungen (Abb. 33.9). Dass es auch bei Menschen mitochondriale Ribosomen (70S) hemmen kann, könnte zur dosisabhängigen Knochenmarktoxizität von Chloramphenicol beitragen ( unten).
1067
Chloramphenicol wird nach oraler Gabe gut resorbiert, kann aber Patienten, die per os nichts zu sich nehmen können, i.v. injiziert werden. Topische Präparate sind ebenfalls erhältlich. Chloramphenicol verteilt sich gut im Körper und dringt in Wirtszellen ein. Durch Konjugation mit Glukuronsäure wird es in der Leber abgebaut und dann in mikrobiologisch inaktiver Form über die Nieren ausgeschieden.
Salmonella-typhi-Infektionen waren lange die Hauptindikation für Chloramphenicol, doch Resistenz schränkt den Einsatz heute ein Da sich ausreichende Wirkspiegel im Liquor erreichen lassen, kam Chloramphenicol bei bakterieller Meningitis (besonders durch H. influenzae) zur Anwendung. Augeninfektionen werden mit topischen Zubereitungen behandelt. Chloramphenicol ist zwar gegen eine Vielzahl von Bakterien wirksam (Gram-positive und -negative, Aerobier und Anaerobier, intrazelluläre Erreger), aber auch hoch toxisch (s. unten). Probleme wie Nebenwirkungen und Resistenz haben dazu geführt, dass Chloramphenicol – zumindest in den Ländern, die über alternative Mittel verfügen – kaum noch systemisch angewandt wird. Eine Chloramphenicol-Resistenz entwickelt sich am häufigsten auf enzymatischem Wege; da die Inaktivierung des Wirkstoffs plasmidvermittelt erfolgt, kann sich die Resistenz in einer Gram-negativen Bakterienpopulation leicht weiter verbreiten. Obwohl sich die von resistenten Bakterien erzeugten ChloramphenicolAcetyltransferasen (Abb. 33.12) intrazellulär befinden, können sie sämtliches Chloramphenicol in der unmittelbaren Umgebung von Bakterienzellen inaktivieren. Acetyliertes Chloramphenicol kann nicht mehr an sein ribosomales Ziel binden.
Knochenmarktoxizität ist die wichtigste Nebenwirkung von Chloramphenicol Nitrobenzen führt zu einer Knochenmarkdepression (Myelosuppression) und das strukturell ähnliche Chloramphenicol hat die gleiche Wirkung. Die Knochenmarktoxizität kann in zweierlei Form in Erscheinung treten: ■ als dosisabhängige Knochenmarkdepression nach längerer Gabe von Chloramphenicol (nach Beendigung der Therapie reversibel) oder ■ als idiosynkratische Reaktion, die dosisunabhängig eine irreversible aplastische Anämie verursacht. Das kann selbst nach Beendigung der Therapie noch auftreten, ist aber zum Glück sehr selten (ca. 1/30000 Patienten).
Abb. 33.12 Chloramphenicol-Resistenz.
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Einige Bakterien entwickeln Resistenz gegen Chloramphenicol, indem sie ein Enzym (Chloramphenicol-Acetyltransferase) bilden, das die Bindung weiterer Acetylgruppen an das Chloramphenicol-Molekül katalysiert. Die in zwei Schritten ablaufende Reaktion führt zur inaktiven acetylierten Form von Chloramphenicol. Chloramphenicol ist auch für Neugeborene toxisch und kann vor allem bei Frühgeborenen, deren Leberenzymsystem noch unterentwickelt ist, zu einem „GrayBaby-Syndrom“ führen. Daher müssen die Chloramphenicol-Serumkonzentrationen bei Neugeborenen engmaschig überwacht werden.
33.7.4
Makrolide, Lincosamide, Streptogramine
Die Ribosomen-Bindungsstellen dieser drei antibakteriellen Wirkstoffgruppen überlappen sich, und eine Makrolid-Resistenz betrifft meist auch die beiden anderen Substanzgruppen. Klinisch sind Erythromycin (ein Makrolid) und Clindamycin (ein Lincosamid) am wichtigsten.
Makrolide
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Erythromycin ist das Makrolid mit den breitesten Einsatzmöglichkeiten und verhindert die Freisetzung von Transfer-RNA aus Peptidbindungen Makrolide sind große, ringförmige Moleküle mit einem makrozyklischen LactonRing (Abb. 33.13), die alle bakteriostatisch wirken. Noch ist Erythromycin das bekannteste und am breitesten anwendbare Makrolid, doch neuere Mittel (wie Azithromycin und Clarithromycin) mit verbesserter Pharmakokinetik und Wirksamkeit könnten es bei bestimmten Indikationen bald ersetzen. Spiramycin, ein weiteres Makrolid, wird fast ausschließlich zur Behandlung der Kryptosporidiose und zur Prävention der kongenitalen Toxoplasmose eingesetzt.
Abb. 33.13 Makrolide sind antibakterielle Wirkstoffe, deren relativ große Molekülstruktur aus 14-, 15- oder 16-gliedrigen Ringen besteht.
Erythromycin ist das älteste Mittel und wird sehr breit angewandt, doch die Entwicklung neuer Mittel mit verbesserter Wirksamkeit und geringeren Nebenwirkungen geht weiter. Erythromycin bindet an die 23S-ribosomale RNA (rRNA), die sich in der 50SUntereinheit des Ribosoms befindet, und blockiert dadurch den 1070
Translokationsschritt der Proteinsynthese; daher wird nach Bildung der Peptidbindungen keine Transfer-RNA freigesetzt (Abb. 33.9). Erythromycin wird meist oral verabreicht, kann aber bei Bedarf auch i.v. injiziert werden. Es verteilt sich gut im Körper und kann in Säugetierzellen auch bis zu intrazellulären Erregern vordringen. In der Leber gebildete Wirkstoffkonzentrate werden in die Galle ausgeschieden und ein kleinerer Teil der Dosis kann im Urin nachweisbar sein.
Bei Streptokokkeninfektionen kann Erythromycin eine Alternative zu Penicillin sein, doch resistente Stämme treten zunehmend häufiger auf Mit seiner Aktivität gegen Gram-positive Kokken (Streptokokkeninfektion) stellt Erythromycin eine wichtige Alternative für die Behandlung von Patienten mit Penicillinallergie dar. Es wirkt nicht nur gegen Legionella pneumophila und Campylobacter jejuni, sondern ist außerdem gegen Mykoplasmen, Chlamydien und Rickettsien aktiv – und daher ein wichtiges Medikament zur Behandlung atypischer Pneumonien und urogenitaler Chlamydieninfektionen. Für die Resistenzentwicklung sind in erster Linie plasmidkodierte Gene (mef oder erm), ein Effluxmechanismus oder eine Veränderung an der 23S-rRNABindungsstelle (durch Methylierung von zwei RNA-Adeninnukleotiden) verantwortlich. Das Enzym Methylase kann entweder induzierbar oder konstitutiv exprimiert sein. Resistenz wird zwar eher durch Erythromycin als durch Lincosamide erzeugt, doch da resistente Stämme auch gegen Lincomycin und Clindamycin resistent sind, spricht man von „MLS-(Makrolid-LincosamidStreptogramin)-Resistenz“. Wie leicht eine Resistenz induzierbar ist, hängt jeweils von der Bakterienspezies ab; resistente Stämme kommen aber besonders bei Gram-positiven Kokken (Staphylound Streptokokken) vor. Im Unterschied zur Methylierung wirkt sich der gesteigerte Efflux nur auf Makrolide aus, ohne auch gegen Lincosamide oder Streptogramine resistent zu machen.
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Erythromycin ist relativ nebenwirkungsarm (kaum toxisch) Bei einer beträchtlichen Zahl von Patienten treten nach oraler Einnahme von Erythromycin Übelkeit und Erbrechen auf. Einige Präparate können zu Gelbsucht führen.
Lincosamide Clindamycin verhindert die Bildung von Peptidbindungen Clindamycin ist ein chloriertes Lincomycin-Derivat mit stärkerer Aktivität und das wichtigste Medikament dieser Klasse. Da Lincosamide ähnlich wie Erythromycin an die 50S-Untereinheit von Ribosomen binden und die Proteinsynthese hemmen (Abb. 33.9), kann es zu der oben erwähnten kombinierten MLS-Resistenz kommen. Ihre selektive Toxizität beruht darauf, dass sie nicht an die entsprechende ribosomale Untereinheit von Säugetierzellen binden können. Clindamycin wird meist oral verabreicht, kann aber auch (i.v. oder i.m.) injiziert werden und dringt gut in Knochengewebe ein. Es ist aber nicht liquorgängig, nicht einmal bei einer Hirnhautentzündung. Clindamycin wird in polymorphkernigen Leukozyten und Makrophagen zur Leber transportiert und dort metabolisiert. Die Abbauprodukte zeigen unterschiedliche antibakterielle Wirksamkeit, und manchmal kann die Aktivität noch bis zu fünf Tage nach einer Clindamycin-Dosis im Stuhl nachwirken.
Clindamycin hat ein ähnliches Wirkspektrum wie Erythromycin Bei Gram-positiven (z.B. Clostridien) und Gram-negativen Anaerobiern (z.B. Bacteroides) ist Clindamycin weitaus stärker wirksam als Erythromycin. Nur Clostridium difficile ist oft resistent und kann aufgrund der Selektion im Darm zu einer pseudomembranösen Kolitis führen (s. unten). Seine Wirksamkeit gegen S. aureus und seine Knochengängigkeit machen Clindamycin zu einem wertvollen Therapiemittel bei Osteomyelitis. Gegen Gram-negative aerobe Bakterien ist Clindamycin unwirksam, weil es kaum durch ihre Außenhülle dringt. Da die 23S-rRNA-Methylase schwächer durch Clindamycin induzierbar ist, können Stämme, die in vitro empfindlich erscheinen, in vivo dennoch resistent gegen Erythromycin sein (s. oben unter MLS-Resistenz).
Eine pseudomembranöse Kolitis durch C. difficile wurde zum ersten Mal nach einer ClindamycinBehandlung beobachtet 1072
Viele Antibiotika können zu einer pseudomembranösen Kolitis führen (zur Pathogenese dieser Komplikation s. Kap. 22), die mit Metronidazol oder Vancomycin (oral) behandelt wird.
Streptogramine Derzeit ist ein Kombinationspräparat aus Streptogramin A (Dalfopristin) und Streptogramin B (Quinupristin) verfügbar (Abb. 33.14). Für sich genommen wirken beide nur bakteriostatisch, doch kombiniert wirken sie synergistisch und bakterizid. Beide Komponenten binden an die 23S-RNA der großen (50S-)Untereinheit von Ribosomen (wobei Dalfopristin die Bindung von Quinupristin erleichtert). Dalfopristin hemmt die Proteinsynthese auf einer früheren Stufe als Quinupristin (Abb. 33.9), und gemeinsam verhindern sie die Verlängerung (Elongation und Extension) der Peptidketten. Eine Streptogramin-Resistenz ist noch selten, kann sich aber durch Veränderungen an der Quinupristin-Bindungsstelle (MLS-Resistenz, s. oben), durch enzymatische Inaktivierung oder Efflux entwickeln.
1073
Abb. 33.14 Strukturformel der Streptogramine.
Die Wirkstoffkombination Quinupristin-Dalfopristin ist gegen Gram-positive Kokken (auch bei Multidrug-Resistenz) wirksam. Dass sie trotz guter Wirksamkeit gegen Enterococcus faecium jedoch nicht gegen E. faecalis wirken, könnte an einem intrinsischen Effluxmechanismus liegen. Quinupristin-Dalfopristin wird i.v. injiziert und hauptsächlich in der Leber metabolisiert.
1074
33.7.5
Oxazolidinone
Oxazolidinone sind eine neue Klasse synthetischer bakteriostatischer Wirkstoffe (Abb. 33.15). Derzeit ist nur Linezolid verfügbar, das gegen ein breites Spektrum Grampositiver Bakterien (auch multiresistenter Stämme) wirksam ist. Linezolid hemmt die Proteinsynthese, bevor sie beginnen kann (Abb. 33.9), da es an die 23S-rRNA der 50SUntereinheit von Ribosomen bindet und so die Bildung eines funktionell aktiven 70SKomplexes verhindert. Aufgrund der besonderen Wirkungsweise von Linezolid entwickelt sich selten eine Resistenz (durch Mutation verändertes Angriffsziel), und wenn doch, dann meist bei Enterococcus faecium. Linezolid wird oral oder intravenös verabreicht und in der Leber metabolisiert.
33.7.6
Fusidinsäure
Fusidinsäure ist ein steroidartiger Wirkstoff, der die Proteinsynthese hemmt Fusidinsäure wirkt bakteriostatisch und hemmt die Proteinsynthese dadurch, dass sie einen stabilen Komplex mit dem Elongationsfaktor EF-G (bakterielles Pendant zum humanen EF-2), Guanosindiphosphat und dem Ribosom bildet. Fusidinsäure kann oral oder intravenös zugeführt werden und ist gut resorbierbar. Es verteilt sich gut in Knochen und Gewebe, ist aber nicht liquorgängig. Topische Darreichungsformen sind zwar verfügbar, sollten aber restriktiv verwendet werden, da sich rasch Resistenzen entwickeln können (s. unten). Fusidinsäure wird in der Leber metabolisiert und in die Galle ausgeschieden.
Abb. 33.15 Strukturformel der Oxazolidinone.
Fusidinsäure eignet sich zur Behandlung von Staphylokokkeninfektionen, sollte aber mit anderen 1075
Mitteln kombiniert werden, um Resistenzentwicklung zu vermeiden Fusidinsäure ist gegen Gram-positive Kokken wirksam und kommt hauptsächlich gegen Staphylokokken zum Einsatz, die Betalaktam-resistent sind, oder falls die Patienten auf andere Mittel allergisch reagieren. Man sollte Fusidinsäure nur zusammen mit einer anderen Staphylokokken-wirksamen Mittel anwenden, um zu verhindern, dass resistente Mutanten mit verändertem EF-G auftreten, wie es in Staphylokokkenpopulationen unter dem Einfluss von Fusidinsäure sehr rasch geschehen kann.
Fusidinsäure hat kaum Nebenwirkungen Gelegentlich kann es zu Gelbsucht oder zu Magen-Darm-Beschwerden durch Fusidinsäure kommen.
33.8
Nukleinsäuresynthesehemmer
Die Nukleinsäuresynthese kann durch antibakterielle Wirkstoffe in dreierlei Weise gehemmt werden (Tab. 33.9).
33.8.1
Chinolone
Chinolone sind synthetische Wirkstoffe, die mit der Replikation bakterieller Chromosomen interferieren Chinolone bilden eine große Familie synthetischer bakterizider Wirkstoffe, die sich – ähnlich wie Cephalosporine – anhand ihres Wirkspektrums im Allgemeinen unterschiedlichen Kategorien oder Generationen zuordnen lassen (Tab. 33.10). Prototyp der 1. Generation ist Nalidixinsäure, durch Hinzufügen von Fluor an Position 6 des Haupt-Chinolonrings hat sich die antibakterielle Aktivität entscheidend verbessert (Abb. 33.16) und es wurden noch viele andere Substanzen (Fluorchinolone) synthetisch hergestellt.
Tab. 33.9 Nukleinsäuresynthesehemmer. Die antibakterielle Wirkung der Chinolone beruht darauf, dass sie bakterielle Enzyme (die DNA-Gyrase, eine Topoisomerase und die Topoisomerase IV) hemmen können. 1076
Die DNA-Gyrase sorgt bei der Replikation des Bakterienchromosoms dafür, dass es vor der Replikationsgabel des DNA-Strangs nicht zur Überspiralisierung der DNAStränge kommt (supercoils). Ähnlich wirkt die Topoisomerase IV, die nach der Replikation die neu gebildeten DNA-Tochterstränge auftrennt (Abb. 33.17). Die richtige räumliche Beziehung der DNA-Stränge wird nach der Replikation durch die Topoisomerasen wiederhergestellt.
Tab. 33.10 Eigenschaften ausgewählter Chinolone – hier die am häufigsten angewandten Mittel und ihre Haupt-indikationen. *
alle bis auf Nalidixinsäure (1. Generation) sind Fluorchinolone mit Fällen von akutem Leberversagen assoziiert; in Deutschland nicht verfügbar
**
Beide Enzyme stellen also gemeinsam sicher, dass das DNA-Molekül die richtige Konformation für eine effiziente Replikation hat und in die Zelle hineingepackt werden kann. Chinolone hemmen diese Enzyme nur bei Bakterien, ohne sich auf entsprechende Vorgänge in Säugetierzellen auszuwirken.
Die Chinolon-Resistenz ist chromosomal vermittelt Dass bisher noch über keine plasmidvermittelte Resistenz berichtet wurde, ist eine wichtige Besonderheit. Chromosomale Resistenz kommt allerdings vor und kann in zwei Formen in Erscheinung treten: ■ als Mutationen, durch die sich Zielenzyme so verändern, dass es sich auf die Chinolon-Bindung auswirkt; ■ als veränderte Durchlässigkeit der Zellwand mit verringerter Aufnahme oder Efflux. Auf dem Weg kann sich auch eine Kreuzresistenz gegen andere (nicht verwandte) Substanzen entwickeln, die von demselben Prozess betroffen sind.
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Wegen ihrer Sicherheit und Verträglichkeit sind Chinolone eine Alternative zu Betalaktam-Antibiotika in der Behandlung verschiedener Infektionen Da sie gut aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert werden, können Chinolone vorwiegend oral zugeführt werden, um ausreichende Serumspiegel und eine gute Verteilung in den Körperkompartimenten zu erreichen. Eliminiert werden sie hauptsächlich über den Urin und zu einem geringen Teil mit dem Stuhl.
1078
Abb. 33.16 Chinolone bilden eine große Gruppe synthetischer antibakterieller Wirkstoffe; hier einige Strukturformeln.
Mit Nalidixinsäure lassen sich keine wirksamen systemischen Konzentrationen erreichen. Sie ist nur gegen Enterobakterien wirksam. Gelegentlich wird sie noch bei Harnwegsinfektionen angewandt (s. Kap. 20), doch inzwischen wurde sie weitgehend durch die neueren Fluorchinolone ersetzt.
Abb. 33.17 Darstellung der Rolle, die Enzyme wie DNA-Gyrase und Topoisomerase bei der Replikation des Bakterienchromosoms spielen.
a) Überblick und b) Ausschnitt Die neueren Fluorchinolone haben eine verbesserte Wirksamkeit gegen Gramnegative Stäbchen (einschließlich Pseudomonas aeruginosa). Neben der Behandlung von Harnwegsinfektionen eignen sie sich besonders für systemische Infektionen durch Gram-negative Bakterien, Chlamydien und Rickettsien. Ihr therapeutischer Nutzen erstreckt sich auch auf intrazelluläre Erreger (wie L. pneumophila und S. typhi) und „atypische“ Mykobakterien (nur in Kombination mit anderen Mitteln). Bei gewisser
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Staphylokokken-Wirksamkeit sind sie jedoch bei Streptokokken- und Enterokokkeninfektionen nur bedingt einsetzbar (Tab. 33.10).
Fluorchinolone sind wegen möglicher toxischer Effekte auf die Knorpelbildung nicht für Kinder, Schwangere und Stillende zu empfehlen Die häufigste Nebenwirkung von Chinolonen sind gastrointestinale Beschwerden. Seltener kommt es zu Neurotoxizität und Photosensitivitätsreaktionen. Eine nennenswerte Ausnahme stellt jedoch die potenzielle Hepatotoxizität von Trovafloxacin (Tab. 33.10) dar, das seitdem sehr viel restriktiver angewandt wird (in Deutschland nicht mehr zugelassen).
33.8.2
Rifamycine
Klinisch ist Rifampicin am wichtigsten, es blockiert die Synthese der mRNA Im klinischen Gebrauch ist Rifampicin der wichtigste Vertreter der RifamycinFamilie, ein großes Molekül mit komplexer Struktur. Weitere Vertreter sind Rifabutin und Rifapentin. Sie alle wirken bakterizid. Rifampicin bindet an die DNA-abhängige RNA-Polymerase und hemmt die mRNASynthese. Seine selektive Toxizität beruht auf der größeren Affinität zu bakteriellen Polymerasen als zu entsprechenden Enzymen des Menschen. Rifampicin wird oral zugeführt, ist gut resorbierbar und verteilt sich sehr gut im Körper. Es kann die Blut-Hirn-Schranke passieren und hohe Konzentrationen im Speichel erreichen. Zudem scheint es eine besondere Affinität zu Kunststoffen zu besitzen, was sich bei infizierten Prothesen als nützlich für die Behandlung erweisen kann. Rifampicin wird in der Leber metabolisiert und in die Galle ausgeschieden. Unter der Behandlung können sich Urin, Schweiß und Speichel der Patienten durch die rote Substanz orange verfärben. Das mag für die Patienten unangenehm sein, ist aber harmlos und ein Zeichen ihrer guten Compliance. Da die neueren Rifamycine (Rifabutin und Rifapentin) langsamer als Rifampicin eliminiert werden, müssen sie seltener appliziert werden. Das macht sie besonders attraktiv für die Tuberkulose-Behandlung.
Rifampicin wird hauptsächlich gegen Mykobakterien eingesetzt, doch die Resistenz nimmt zu Obwohl es primär bei Mykobakteriosen angewandt wird, eignet sich Rifampicin auch zur Prophylaxe bei engen Kontaktpersonen von Patienten mit Meningokokken- oder Hämophilus-Meningitis. Da allerdings hochresistente Meningokokken-Stämme
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entstehen können, sollte die Behandlung nicht länger als höchstens 48 Stunden dauern (s. Kap. 24). Während Staphylokokken sehr rasch Resistenz entwickeln, kann Rifampicin in Kombination mit anderen Mitteln eine wirksame Therapie der (künstlichen) Klappenendokarditis darstellen (s. Kap. 29). Zur Resistenz führen chromosomale Mutationen, die eine Veränderung der RNAPolymerase bewirken; mit ihrer geringeren Bindungsaffinität zu Rifampicin kann sie der hemmenden Wirkung entgehen. Durch die zunehmende Prävalenz resistenter M. tuberculosis wird die Anwendbarkeit von Rifampicin als Antituberkulotikum zukünftig in Frage gestellt sein.
Nebenwirkungen von Rifampicin sind Ausschlag und Gelbsucht Bei intermittierender Rifampicin-Gabe können Hypersensitivitätsreaktionen auftreten.
33.9 Antimetaboliten mit Auswirkungen auf die Nukleinsäuresynthese Einige häufiger verwendete antibakterielle Mittel hemmen Stoffwechselprozesse von Bakterien, unter anderem die Bildung von Vorstufen der Nukleinsäuresynthese.
33.9.1
Sulfonamide
Als Strukturanaloga der Paraaminobenzoesäure verhalten sich Sulfonamide kompetitiv zu ihr Bei dieser Gruppe handelt es sich nicht um natürliche Produkte, sondern um komplett chemisch synthetisierte. Ausgangssubstanz war Sulfanilamid, nachdem es sich 1935 klinisch als antibakterieller Wirkstoff erwiesen hatte. Entscheidend für die Aktivität ist die p-Aminogruppe, doch durch Modifikationen der Sulfonsäure-Seitenkette konnten viele verwandte Stoffe hergestellt werden (Abb. 33.18). Die bakteriostatisch wirkenden Sulfonamide konkurrieren mit Paraaminobenzoesäure (PABA) um die aktive Stelle der Dihydropteroat-Synthetase, ein Enzym, das einen wichtigen Reaktionsschritt in der Synthese von Tetrahydrofolsäure (THFA) katalysiert. THFA wird zur Synthese von Purinen und Pyrimidinen – und damit für die Nukleinsäuresynthese – benötigt (Abb. 33.19). Dass viele Bakterien THFA synthetisieren können, menschliche Zellen aber nicht (und daher auf die Folsäurezufuhr von außen angewiesen sind), ist ausschlaggebend für die selektive Toxizität. Bakterien, die vorgefertigte Folsäure für sich nutzen können, sind kaum anfällig für Sulfonamide. Sulfonamide werden oral und meist in Kombination mit Trimethoprim angewandt (als Co-trimoxazol, s. unten). Einzelne Substanzen dieser Familie unterscheiden sich in Bezug auf ihre Löslichkeit und ihr Penetrationsvermögen. Metabolisiert werden sie 1081
in der Leber und dann in freier Form oder als Abbauprodukte über die Nieren ausgeschieden.
Sulfonamide sind bei Harnwegsinfektionen von Nutzen, es besteht aber verbreitet Resistenz Das Wirkspektrum der Sulfonamide umfasst in erster Linie Gram-negative Keime – außer Pseudomonas –, daher werden sie zur Therapie von Harnwegsinfektionen eingesetzt (s. Kap. 20). Allerdings darf man nicht unbedingt Empfindlichkeit voraussetzen, da bei den Keimen verbreitet Resistenz besteht (weil plasmidkodierte Gene eine veränderte Dihydropteroat-Synthetase kodieren). Die Affinität zu PABA bleibt davon im Wesentlichen unbeeinflusst, doch die Affinität zu Sulfonamiden wird deutlich schwächer. Sulfonamid-resistente Bakterien besitzen demnach zwei unterschiedliche Enzyme: ein empfindliches (von Chromosomen kodiertes) und ein resistentes (von Plasmiden kodiertes) Enzym.
In seltenen Fällen verursachen Sulfonamide ein Stevens-Johnson-Syndrom Sulfonamide sind relativ nebenwirkungsarm, doch gelegentlich kann es zu Ausschlägen und Knochenmarkdepression (Myelosuppression) kommen.
33.9.2
Trimethoprim (und Co-trimoxazol)
Trimethoprim ist ein Strukturanalog zum Aminohydroxypyrimidin-Anteil der Folsäure und verhindert die Synthese von THFA Trimethoprim gehört zu einer Gruppe pyrimidinähnlicher Moleküle mit Strukturanalogie zum Aminohydroxypyrimidin-Anteil des Folsäuremoleküls (Abb. 33.20). Eine ähnliche Struktur und Wirkungsweise haben auch Pyrimethamin (ein Malariamittel) und Methotrexat (ein Zytostatikum bzw. Antitumormittel).
Abb. 33.18 Strukturformeln der Sulfonamide.
1082
Die Ringstruktur der Sulfonamide weist große Ähnlichkeit mit der Struktur des normalen Substrats (PABA) für das Enzym Dihydropteroat-Synthetase auf, das von Sulfonamiden gehemmt wird. Die zahlreichen verfügbaren Sulfonamide unterscheiden sich eher in ihren pharmakologischen Eigenschaften als im Wirkspektrum. Klinisch allgemein gebräuchlich sind nur wenige. Dapson ist wichtig bei Mycobacterium-leprae-Infektionen und Paraaminosalicylsäure (PAS) wird gegen M. tuberculosis eingesetzt. 1083
Wie Sulfonamide verhindert auch Trimethoprim die THFA-Synthese, greift aber erst auf einer späteren Stufe ein und hemmt die Dihydrofolatreduktase (Abb. 33.19). Da dieses Enzym sowohl in Säugetier- wie in Bakterien- oder Protozoenzellen vorkommt, beruht die selektive Toxizität von Trimethoprim auf seiner größeren Affinität zum bakteriellen Enzym.
Abb. 33.19 Tetrahydrofolsäure-(THFA-)SyntheseHemmung.
Durch Wechselwirkung mit den Schlüsselenzymen hemmen Sulfonamide und Trimethoprim der Reihe nach diese Reaktionsschritte. Trimethoprim und Sulfamethoxazol werden häufig kombiniert (Co-trimoxazol) angewandt; das hat einige Vorteile gegenüber den Einzelsubstanzen: ■ Durch Mutation gegen einen Wirkstoff resistent gewordene Bakterien dürften kaum auch gegen den anderen resistent sein (Doppelmutation).
1084
■ Bei einigen Bakterien wirken beide Substanzen synergistisch (d.h., die Kombination ist wirksamer als die Einzelstoffe). Trimethoprim (oder Co-trimoxazol) kann oral verabreicht oder i.v. infundiert werden (allein oder mit einem Sulfonamid). Es wird im Urin ausgeschieden, und zwar bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz rascher als das Sulfonamid, so dass die synergistische Wirkung von Co-trimoxazol verloren gehen kann.
Abb. 33.20 Der Folsäure-Antagonist Trimethoprim.
Aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Aminohydroxypyrimidin-Anteil der Folsäure kann Trimethoprim das Enzym Dihydrofolatreduktase ausschalten.
1085
Harnwegsinfektionen werden mit Trimethoprim oder Co-trimoxazol (Kombination mit Sulfamethoxazol) behandelt Als Einzelsubstanz ist Trimethoprim gegen Gram-negative Stäbchen (außer Pseudomonas) wirksam und wird vorwiegend zur Behandlung oder Langzeitprophylaxe von Harnwegsinfektionen angewandt (s. Kap. 20). Das Kombinationspräparat Co-trimoxazol ist außer gegen ein breites Spektrum pathogener Keime im Harntrakt auch gegen S. typhi wirksam. Co-trimoxazol ist das Mittel der Wahl für die Therapie einer Pneumocystis-Pneumonie (durch den Pilz Pneumocystis jiroveci, früher: P. carinii). Pentamidin – ein anderes Pyrimidinderivat – stellt hier eine Alternative dar (s. Kap. 30). Therapeutisch von Nutzen ist Cotrimoxazol zudem bei Nokardiose (s. Kap. 30) und weichem Schanker (s. Kap. 21).
Zur Resistenz führen plasmidkodierte Dihydrofolatreduktasen Plasmidkodierte Dihydrofolatreduktasen haben eine schwächere Affinität zu Trimethoprim, so dass die TFHA-Synthese trotzdem ungehindert fortschreiten kann. Obwohl diese „Ersatzenzyme“ etwa 20000-mal unempfindlicher für Trimethoprim sind, bleibt ihre Affinität zum normalen Substrat erhalten. Sulfonamid- und Trimethoprim-resistente Bakterien sprechen auch nicht auf Co-trimoxazol an.
AIDS-Patienten scheinen anfälliger für Nebenwirkungen (von Trimethoprim und Cotrimoxazol) zu sein Trimethoprim kann allein oder in Kombination mit Sulfamethoxazol zu Neutropenie führen. Auch Übelkeit und Erbrechen kommen vor.
33.10 Nitroimidazole mit Einfluss auf die DNA Metronidazol (ein Nitroimidazol) ist gegen Parasiten und Bakterien wirksam Metronidazol wird nach dem Eindringen in Bakterienzellen über eine Reduktion aktiviert, deren Zwischen-/Intermediärprodukte seine antibakterielle Aktivität bewirken, die sich vermutlich aus der Interaktion und dem Aufbrechen der Zell-DNA ergibt. Die kurzlebigen Intermediärprodukte zerfallen zu ungiftigen, inaktiven Endprodukten. Da nur obligat anaerobe Bakterien das zur Reduktion der Ausgangssubstanz erforderliche niedrige Redoxpotenzial erzeugen können, ist Metronidazol nur gegen sie wirksam. Vor einer Strahlentherapie können hypoxische Zellen mit Metronidazol sensibilisiert werden.
1086
Metronidazol wird gewöhnlich oral oder i.v. verabreicht. Es ist gut resorbierbar und verteilt sich gut im Gewebe und Liquor. Nach der Metabolisierung werden Ausgangssubstanz und Metaboliten zum großen Teil im Urin ausgeschieden.
Metronidazol wurde ursprünglich zur Behandlung von Trichomonas vaginalis eingeführt Metronidazol ist nicht nur gegen diesen begeißelten Parasiten, sondern auch gegen andere Protozoen (z.B. Giardia lamblia und Entamoeba histolytica) wirksam und ein wichtiges Medikament für Anaerobierinfektionen. Eine Metronidazol-Resistenz ist relativ selten und scheint mit einem verzögerten Beginn seiner intrazellulären Aktivierung zusammenzuhängen. Mögliche Gründe sind schlechtere Aufnahme in die Zelle oder verringerte Reduktase-Aktivität.
In seltenen Fällen verursacht Metronidazol ZNSNebenwirkungen Ernstere Nebenwirkungen von Metronidazol kommen nur selten vor und betreffen meist das ZNS (einschließlich einer peripheren Neuropathie). Gefährdet sind die Patienten vor allem bei einer Hochdosis- oder Langzeittherapie.
33.11 Polymyxine als Hemmstoffe der Zytoplasmamembranfunktion Sämtliche lebenden Zellen sind von einer Zytoplasmamembran umgeben, die eine Reihe vitaler Funktionen ausübt. Aufgrund der strukturellen Unterschiede von Bakterien- und Säugetier-Zytoplasmamembranen kann mit bestimmten Wirkstoffen eine selektive Toxizität erreicht werden; verglichen mit den Antibiotika, die an anderen Punkten angreifen, sind es aber sehr wenige. Als wichtigste Vertreter sind die Polymyxine bei Gram-negativen Bakterien wirksam. Über eine Hemmung der Membranfunktionen entfalten auch Antimykotika wie Amphotericin B oder Nystatin ihre Wirkung (s. unten).
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Polymyxine sind zyklische Polypeptide, die Zellmembranstrukturen zerstören und dadurch bakterizid wirken Die freien Aminogruppen der Polymyxine wirken wie kationische Detergenzien und zerstören das Phospholipidgerüst von (Bakterien-)Zellmembranen. Als Vertreter dieser Familie sind Polymyxin B und E noch am häufigsten klinisch in Gebrauch. Früher wurden sie systemisch angewandt, doch schlechte Verteilung im Gewebe, Neuro- und Nephrotoxizität haben dazu beigetragen, dass sie zunehmend häufiger durch weniger toxische Mittel ersetzt wurden.
Polymyxine werden überwiegend topisch angewandt, zum Teil aber auch zur Darmdekontamination, Wundreinigung und Blasenspülung benutzt Polymyxine sind gegen Gram-negative Keime (außer z.B. Proteus-Spezies, Serratia spp., Burkholderia cepacia) wirksam und werden meist topisch (d.h. in Form von Salben) aufgetragen. Bei Wund- und Blasenspülungen kommen sie ebenfalls zum Einsatz. Da Polymyxine nach oraler Gabe nicht aus dem Darm resorbiert werden, hat man früher Polymyxin E (Colistin) zur Darmdekontamination bei neutropenischen Patienten verwendet. Es liegen bereits Berichte über chromosomal bedingte Veränderungen der Membranstruktur oder der Antibiotikaaufnahme vor.
33.12 Urologika (Harnwegsantiseptika) Nitrofurantoin und Methenamin hemmen pathogene Harnwegskeime Nitrofurantoin und Methenamin sind synthetische Wirkstoffe, die nach oraler Gabe resorbiert und in ausreichend hoher Konzentration im Urin ausgeschieden werden, um das Wachstum pathogener Keime in den Harnwegen zu hemmen. Die Wirkung von Nitrofurantoin kann sich nur bei saurem Harn-pH entfalten. Durch Hydrolyse von Methenamin (bei saurem pH) entstehen Ammoniak und Formaldehyd, wobei die antibakterielle Wirkung von Formaldehyd ausgeht. Mit Nitrofurantoin werden unkomplizierte Harnwegsinfektionen behandelt, und zur Prävention rezidivierender Harnwegsinfektionen eignen sich beide Mittel. Von Vorteil ist, dass empfindliche Bakterienpopulationen nur selten Resistenzen entwickeln. Das breite Spektrum an Nebenwirkungen hat diese Substanzen aus der täglichen Patientenbehandlung weitestgehend verdrängt.
33.13 Antituberkulotika
1088
Infektionen mit M. tuberculosis und anderen Mykobakterien erfordern eine längere Behandlung Mykobakteriosen (Infektionen mit M. tuberculosis und anderen Mykobakterien) bereiten Medizinern und Pharmaindustrie enorme Schwierigkeiten hinsichtlich geeigneter Medikamente, weil die Erreger ■ mit ihrer nahezu undurchdringlichen wächsernen Außenhülle für Antibiotika schwer erreichbar sind; ■ intrazellulär lokalisiert und die Zellen oft noch von massenhaft verkäsendem Material umgeben sind, so dass Antibiotika ebenfalls kaum zu ihnen vordringen; ■ extrem langsam wachsen und sich vermehren, so dass es bis zur effektiven Hemmung (und damit Heilung) Wochen oder Monaten dauern kann. Bei Langzeittherapie kann die regelmäßige Zufuhr des Wirkstoffs zum Problem werden, daher sind orale Mittel höchst wünschenswert. Daraus folgt aber auch, dass wahrscheinlich eher mit Resistenz bei den Mykobakterien bzw. mit toxischen Nebenwirkungen bei den Patienten zu rechnen ist als bei der kurzen Stoßtherapie, mit der andere bakterielle Infektionen angegangen werden. ■ im Zuge der AIDS-Epidemie treten zunehmend häufiger Mykobakteriosen in den Entwicklungsländern auf, wo die Behandlungskosten unerschwinglich hoch sein können. Mittlerweile sind verschiedene Antituberkulotika verfügbar, mit denen meist ausschließlich Mykobakterien behandelt werden (restriktive Anwendung, um Resistenz bei anderen Bakterien zu vermeiden) oder die wegen ihrer Toxizität unattraktiv und nicht zum Allgemeingebrauch geeignet sind.
Tuberkulose wird in erster Linie mit Isoniazid, Ethambutol, Rifampicin, Pyrazinamid und Streptomycin behandelt („First-line“-Therapie) Auch wenn das Behandlungsschema in einzelnen Ländern unterschiedlich sein wird, hat sich bei empfindlichen Stämmen in Deutschland ein zweimonatiger Therapiezyklus mit Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol, gefolgt von einer 4-monatigen Konsolidierungstherapie mit Rifampicin und Isoniazid, gut bewährt. Je nach Ergebnis der Empfindlichkeitstestung wird die Behandlung üblicherweise mit einer Dreier- oder Viererkombination begonnen – und bei resistenten Erregern auch so weitergeführt. Chemische Struktur und Wirkmechanismen von Rifampicin und Streptomycin sind weiter oben beschrieben.
33.13.1
Isoniazid
Isoniazid hemmt das Wachstum von Mykobakterien und wird mit Pyridoxin zusammen verabreicht, um neurologische Nebenwirkungen zu vermeiden 1089
Isoniazid enthält Isonikotinsäurehydrazid, einen Wirkstoff, der Mykobakterien hemmt, ohne andere Bakterienspezies oder Menschen in größerem Umfang zu beeinträchtigen. Seine bakterizide Wirkung kommt durch Hemmung der Mycolinsäuresynthese zustande, was auch seine Spezifität erklärt. Oral verabreicht, wird Isoniazid gut resorbiert; im Allgemeinen genügt eine Dosis pro Tag (außer in schwierigeren Fällen von Meningitis oder Miliartuberkulose). Bei Menschen sind neurologische Komplikationen, die sich aber durch gleichzeitige Zufuhr von Pyridoxin vermeiden lassen, sowie Hepatitis die wichtigsten toxischen Nebenwirkungen.
33.13.2
Ethambutol
Ethambutol hemmt das Wachstum von Mykobakterien, kann aber zur Optikusneuritis (Sehnervenentzündung) führen Ethambutol ist ein synthetischer Wirkstoff, der Mykobakterien hemmen, aber nicht abtöten kann. Mykobakteriostatisch wirkt es dadurch, dass es die Polymerisation von Arabinoglykan (ein wichtiger Bestandteil der Zellwand) verhindert. Nach oraler Zufuhr wird es gut resorbiert und im Körper (einschließlich Liquor) verteilt. Bei einer Monotherapie mit Ethambutol entwickelt sich rasch Resistenz. Daher wird es zur Tuberkulosebehandlung mit anderen Mitteln kombiniert. Wichtigste toxische Nebenwirkung ist eine Optikusneuritis, daher sollte die Sehschärfe unter der Therapie sorgfältig kontrolliert werden.
33.13.3
Pyrazinamid
Pyrazinamid ist ein synthetisches Nikotinamid-Analog. Wodurch seine bakterizide Aktivität zustande kommt, ist nicht bekannt. Nach oraler Gabe wird es rasch aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert und verteilt sich gut in Geweben und Flüssigkeiten. Pyrazinamid wird primär in der Leber metabolisiert und über die Nieren ausgeschieden. Da eine Monotherapie genau wie mit Ethambutol zur Resistenz führen kann, sollte Pyrazinamid mit anderen „First-line“-Medikamenten kombiniert werden. Seine wichtigste Nebenwirkung ist die Hepatotoxizität.
33.13.4
Resistenzentwicklung bei Mykobakterien
Tuberkulosebehandlung Arzneimittelresistenz und Immunschwäche erschweren die Tuberkulosebehandlung Trotz Anwendung von Antibiotikakombinationen hat sich die MykobakterienResistenz zu einem anhaltenden und zunehmenden Problem entwickelt. Gerade bei AIDS-Patienten steigt die Inzidenz opportunistischer Infektionen, wobei MOTTKeime (MOTT = mycobacteria other than tuberculosis) von Natur aus resistenter zu sein scheinen.
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Leprabehandlung Der breite Einsatz einer Dapson-Monotherapie bei Lepra hat zur Resistenz geführt, deshalb wird es jetzt meist mit Rifampicin kombiniert Kennzeichnend für Infektionen mit M. leprae ist die jahrelange Erregerpersistenz im Gewebe, die zur Vermeidung von Rückfällen sehr lange Therapiezyklen erforderlich macht. Über viele Jahre wurde bevorzugt das chemisch mit Sulfonamiden verwandte Dapson eingesetzt (Abb. 33.18). Es hat den Vorzug, oral anwendbar, billig und effektiv zu sein. Doch seitdem infolge der verbreiteten Durchführung von Dapson-Monotherapien Resistenzen aufgetreten sind, wird jetzt üblicherweise eine Dreierkombination aus Dapson, Rifampicin und Clofazimin (ein Phenazin) angewandt.
33.14 Antibakterielle Mittel in der Praxis Aus den vorstehenden Abschnitten sollte klar geworden sein, dass sich zwar bestimmte Faustregeln bezüglich der Antibiotikaresistenz von Bakterien aufstellen lassen, aber oft empirisch behandelt werden muss, wenn keine Laborbefunde vorliegen. Durch Empfindlichkeitstests im Labor können die Interaktionen zwischen Antibiotika und Bakterien nur isoliert (d.h. unter ziemlich künstlichen Bedingungen) untersucht werden. Im besten Fall bieten die Ergebnisse eine Orientierung in Bezug auf den zu erwartenden Therapieerfolg, im schlimmsten Fall sind sie irreführend. Bei der Entscheidung über eine Antibiotikatherapie müssen auch Patientenfaktoren wie Alter, zugrunde liegende Erkrankung, Nieren- und Leberinsuffizienz berücksichtigt werden.
33.14.1
Empfindlichkeitstestung
Laboruntersuchungen zur Bestimmung der Antibiotikaempfindlichkeit lassen sich in zwei Kategorien einteilen: ■
Agar-Diffusionstests und
■
Dilutions-/Verdünnungstests.
Bei Diffusionstests werden Keime auf Agar aufgebracht und dann Antibiotika-haltige Filterpapierscheiben aufgelegt Nachdem die ganze Oberfläche einer Agarplatte mit dem Testkeim beimpft wurde, legt man Antibiotika-haltige Filterpapierscheiben darauf und inkubiert die Platte über Nacht. Am nächsten Tag wird untersucht, ob sich Hemmzonen um die Papierscheiben gebildet haben (Abb. 33.21). Die Antibiotikamenge, mit der die Scheiben getränkt sind, steht unter anderem zur erreichbaren Serumkonzentration in Beziehung und ist daher verschieden bei den jeweiligen Antibiotika.
1091
Da Antibiotika zudem unterschiedlich gut in Agar diffundieren können, zeigt die Größe der Hemmzonen (und nicht lediglich ihr Vorhandensein), wie empfindlich der Keim ist. Zum Vergleich wird die Hemmzonengröße von Referenzkeimen (die parallel getestet wurden oder für die Referenzlisten vorliegen) hinzugezogen, um die Testergebnisse als „S“ (susceptible, empfindlich), „I“ (intermediate, intermediär empfindlich) oder „R“ (resistent) einstufen zu können. „I“-Ergebnisse bedeuten, dass unterdurchschnittlich empfindliche Keime noch auf höhere Dosen bzw. an bestimmten Stellen konzentrierte Antibiotika ansprechen (z.B. auf Antibiotika im Blasenurin, die über die Nieren ausgeschieden werden).
Mit Dilutionstests ist die Antibiotikaempfindlichkeit quantitativ schätzbar Quantitative Aussagen zur Antibiotikaempfindlichkeit von Keimen liefern Untersuchungen zur MHK (minimale Hemmkonzentration, engl. MIC, minimal inhibitory concentration). Mit diesem Test wird nach der niedrigsten Antibiotikakonzentration gesucht, die das Bakterienwachstum in vitro sichtbar hemmt. Das Testantibiotikum wird mit Kulturmedien wie Bouillon oder Agar in Verdünnungsreihen aufbereitet und dann in Lösung mit dem Testkeim inokuliert. Nach der Inkubation über Nacht wird die höchste Stufe der Verdünnung, ab der makroskopisch kein Wachstum mehr erkennbar ist, als MHK festgehalten (Abb. 33.22).
1092
Abb. 33.21 Diffusionstest.
Um die Keimempfindlichkeit zu testen, werden nach Beimpfen einer Agarplatte mit Antibiotika getränkte Filterpapierscheiben auf den Keimrasen gelegt und die Platte über Nacht inkubiert. Dort, wo sich die Antibiotika durch Diffusion verteilt haben, bilden sich sog. Hemmzonen, an denen sich der Grad der Empfindlichkeit ablesen lässt. Hier zeigt ein Agar-Diffusionstest mit SF100 (eine Filterscheibe mit Sulfonamid) eine Sulfonamid-Resistenz an (mit freundlicher Genehmgung von D.K. Banerjee). Dilutionstests können mit Mikrotiterplatten durchgeführt werden und bilden die Grundlage einiger automatisierter (Empfindlichkeits-)Testsysteme. Als Alternative bietet sich der E-Test an, bei dem ein Filterpapierstreifen mit abgestuften Konzentrationen eines Antibiotikums imprägniert und auf die mit dem Testkeim beimpfte Agarplatte aufgelegt wird. Hierbei entspricht die MHK der Konzentration auf dem Streifen, ab der das Keimwachstum gehemmt wird. MHK-Tests sind natürlich aufwendiger (hinsichtlich Zeit und Material) als Diffusionstests, beinhalten jedoch weitaus weniger Fehlermöglichkeiten als Agardiffusionstests. Sie können wichtige Informationen für die Behandlung schwieriger Infektionen oder bei Therapieversagen (wenn Patienten trotz geeigneter Antibiotika nicht ansprechen) liefern. Von Vorteil der MHK-Bestimmung ist, dass sie erweitert werden kann, um auch die MBK (minimale bakterizide Konzentration) zu bestimmen, d.h. die niedrigste Antibiotikakonzentration zur Abtötung der Keime. Um festzustellen, ob ein Mittel wirklich bakterizid wirkt und nicht nur das Bakterienwachstum hemmt, werden Testverdünnungen noch auf ein frisches, wirkstofffreies Medium aufgebracht und für weitere 18–24 Stunden inkubiert (Abb. 33.22). Ein Antibiotikum gilt als bakterizid, wenn seine MBK gleich der MHK bzw. nicht mehr als viermal höher als die MHK ist.
Eine dynamische Einschätzung der Empfindlichkeit ermöglichen „Abtötungskurven“ 1093
Ein Nachteil von MHK- und MBK-Tests besteht darin, dass ihr Befund nur punktuell (zu einem bestimmten Zeitpunkt) abgelesen werden kann. Dynamischer lässt sich die Empfindlichkeit von Bakterien durch eine Messung über die Zeit bestimmen (abnehmende Zahl lebender Keime in einer Population, Abb. 33.23). Wie bei MBKTests kann unmöglich für jedes Isolat manuell die Abtötungskurve ermittelt werden, sondern sinnvoll ist es nur, um nützliche Informationen bei Behandlungsschwierigkeiten zu gewinnen.
Abb. 33.22 Dilutionstest.
Genauere Angaben zur Menge/Konzentration eines Antibiotikums, die zur Hemmung und Abtötung einer Bakterienpopulation erforderlich ist, lassen sich aus der Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (MHK) und der minimalen bakteriziden Konzentration (MBK) ableiten. Mit der hier gezeigten Standardmethode liegt das Ergebnis für die MHK nach 24 Stunden und für die MBK nach 48 Stunden vor. Einfluss auf das Ergebnis des MHK-Tests haben mehrere Variablen wie Größe des Inokulums, Kulturmedium und Befundinterpretation. Die Überlebensfähigkeit von Bakterien lässt sich mit einer Reihe automatisierter Testsysteme (Turbidimetrie, elektrische Impedanzmessung) bestimmen, in denen ein Antibiotikum als Indikator dient. Diese Geräte führen rascher als die herkömmlichen Empfindlichkeitstests zu Ergebnissen (innerhalb von ca. 4 Stunden), funktionieren z.Zt. allerdings noch nicht besonders gut bei anspruchsvollen Keimen (z.B. bei Neisseria meningitidis, Anaerobiern).
Antibiotikakombinationen können synergistisch oder antagonistisch wirken Krankenhauspatienten werden oft mit mehr als einem Antibiotikum behandelt, daher kann es zu Arzneimittelinteraktionen (auch mit Diuretika) kommen. Arzneimittelkombinationen gelten als ■ synergistisch, wenn ihre Wirkung größer ist als die Summe der Einzelwirkungen, 1094
■
antagonistisch, wenn ein Wirkstoff die Wirkung des anderen verringert.
Wie Antibiotikakombinationen wirken, kann man mit Agar-Diffusions- oder Verdünnungstests untersuchen. Obwohl sich in vitro oft eine Synergie nachweisen lässt (Abb. 33.24), ist sie in vivo schwieriger zu bestätigen. Co-trimoxazol ist z.B. eine häufig verwendete Kombination (s. oben). Ein anderes Beispiel ist die Kombination aus Penicillin (oder Ampicillin) mit Gentamicin, die in der Behandlung einer Enterokokken-Endokarditis der Wirkung eines einzelnen Betalaktams deutlich überlegen ist (Tab. 33.11). Bei bestimmten Antibiotikapaaren/-kombinationen lässt sich nur in vitro ein Antagonismus nachweisen, der sich jedoch in vivo selten bemerkbar macht.
33.14.2
Antibiotikatests/-assays
Bisher wurden pharmakokinetische Eigenschaften (Resorption, Verteilung, Ausscheidung) der antibakteriellen Mittel zusammengefasst. Manche haben einen engen therapeutischen Bereich, d.h., die zur erfolgreichen Behandlung nötige (therapeutische) Konzentration unterscheidet sich nur geringfügig von der für den Patienten toxischen Konzentration. Bei diesen Antibiotika sollten die Konzentrationen sorgfältig kontrolliert werden, um Toxizität zu vermeiden und um sich zu vergewissern, ob therapeutische Wirkstoffspiegel erreicht wurden. Mittel, die weniger toxisch sind, müssen nur in bestimmten Situationen und bei bestimmten Patienten regelmäßig überwacht werden (Tab. 33.12). Meist werden die Serumspiegel gemessen, doch unter Umständen müssen auch Urin, Liquor und andere Körperflüssigkeiten untersucht werden. Antibiotikatests/-assays können mit verschiedenen Methoden durchgeführt werden, z.B. mit der Hochleistungs-Flüssigkeitschromatografie (high performance liquid chromatography, HPLC) oder direkter Bestimmung der biologischen Aktivität (Bioassays).
Abb. 33.23
Abtötungskurven.
1095
Ein dynamischeres Bild von der Interaktion zwischen Antibiotikum und einer Bakterienpopulation lässt sich aus Abtötungskurven gewinnen. Hier wurde eine Kultur von 2 × 106 kbE/ml (koloniebildenden Einheiten pro ml) jeweils mit Antibiotikum A und B allein sowie mit A und B in Kombination behandelt. Verglichen mit unbehandelten Kontrollen wurde das Bakterienwachstum in der Kultur sowohl von Antibiotikum A als auch von Antibiotikum B gehemmt, aber B war wirksamer als A. Bei Kombination von A und B kam es zu einem synergistischen Effekt (d.h., die Kombination war wirksamer als beide Einzelaktivitäten zusammen) und auch das bei Einzelgaben der Antibiotika üblicherweise nach 6–24 Stunden sichtbare erneute Wachstum wurde verhindert.
1096
Abb. 33.24 Unterschiedliche Wirkungen von Antibiotikakombinationen.
a) Synergie-Effekt zweier antibakterieller Wirkstoffe. Hier wurden Sulfonamidund Trimethoprim-Scheiben aufgelegt, um ihre synergistische Wirkung bei Escherichia coli aufzuzeigen (erkennbar an den zusammenhängenden Hemmzonen der beiden Scheiben). b) Antagonismus. Nitrofurantoin wirkt antagonistisch zu Nalidixinsäure. Wenn beide Scheiben weiter auseinander liegen, hemmt Nalidixinsäure das Wachstum des Testkeims, doch wenn sie dichter zusammen liegen, wird die Hemmung durch Nitrofurantoin abgeschwächt (antagonisiert), wie die Verkürzung der Hemmzone zeigt.
Tab. 33.11 Gründe für Antibiotikakombinationen.
Am häufigsten werden jedoch (automatisierte) Immunmethoden angewandt, bei denen das Antibiotikum in der Probe des Patienten als „Antigen“ mit einem markierten „Tracking“-Antibiotikum um die Bindungsstelle an einem „Anti-Wirkstoff“-Antikörper konkurriert. Erhöhte Antibiotikaspiegel in der Patientenprobe führen also zu einer geringeren Bindung des „Tracking“-Antibiotikums. Solche Bioassays sind Schnelltests, für die nur geringe Serummengen erforderlich sind, und hoch spezifisch. Natürlich setzt das voraus, dass spezifische „Anti-Wirkstoff“-Antikörper verfügbar sind.
1097
Tab. 33.12 Antibiotikatests/-assays sind in der klinischen Praxis besonders wichtig bei potenziell toxischen Mitteln, doch es gibt noch andere Umstände bzw. Situationen.
33.15 Antivirale Therapie In den letzten 15 Jahren erhielten zahlreiche neue antivirale Mittel die Zulassung für die Behandlung von Virusinfektionen mit HIV, HBV und HCV (Hepatitis B bzw. C) und dem Influenzavirus A und B (Abb. 33.25). Die derzeit zur Individualbehandlung verfügbaren Mittel wirken alle eher virustatisch als virusabtötend. Das Problem bei der Entwicklung neuer antiviraler Mittel besteht hauptsächlich in der Schwierigkeit, nur die Virusaktivität zu hemmen, ohne unerwünschte Nebenwirkungen an Wirtszellen hervorzurufen. Das hängt damit zusammen, dass Viren auf den Proteinsyntheseapparat der Wirtszellen angewiesen sind. Hinzu kommt, dass bei Virusinfektionen mit kurzer Inkubationszeit (z.B. der Atemwege durch RSV) die frühzeitige Diagnose entscheidend für den Erfolg der Chemotherapie ist. Virusspezifische Replikationsschritte wurden bereits identifiziert (Abb. 33.26), und es werden zweifellos noch mehr werden, etwa durch den Nachweis virusinduzierter Enzyme. In unterschiedlichen Patientengruppen schwankt die Prävalenz antiviraler Resistenzen; Aciclovir-resistente HSV oder Ganciclovir-resistente CMV kommen z.B. überwiegend bei Immunschwäche niedrigen Grades vor. Quer durch alle wichtigen Wirkstoffgruppen – ob Nukleosid- oder Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI bzw. NNRTI) oder Protease-Inhibitoren (PI) – zieht sich die Resistenz von Retroviren, bei steigender Häufigkeit in den ressourcenreichen Ländern.
Abb. 33.25 Antivirale Wirkstoffe gibt es nur in begrenzter Zahl und mit engem Wirkspektrum.
1098
Amantadin ist z.B. nur gegen das Influenzavirus A, aber nicht gegen B wirksam und Aciclovir nur gegen HSV und VZV (Herpes-simplex- bzw. Varicella-Zoster-Virus), aber nicht gegen CMV und EBV (Zytomegalie- bzw. Epstein-Barr-Virus). Bekannt ist auch, dass sich nach mehrjähriger Behandlungsdauer oft eine LamivudinResistenz bei HBV entwickelt. Das Problem bei antiviraler Resistenz besteht darin, dass resistente Varianten oft weniger „replikationsfit“ sind als der Wildtyp-Stamm. In vielen Fällen hängt das Ansprechen auf antivirale Mittel auch vom Genotyp ab, z.B. bei HBV und HCV.
1099
Manche Virusinfektionen (wie die CMV-Pneumonitis) haben eine immunpathologische Grundlage, und in dem Fall wird ein antivirales Mittel mit einem Immunglobulinpräparat kombiniert, z.B. einem humanen Normal- oder einem virusspezifischen Immunglobulin (z.B. CMV-Hyperimmunglobulin). Darüber hinaus kann bei Hepatitis C (HCV-Infektion) auch ein Immunmodulator wie pegyliertes Interferon zusammen mit dem antiviralen Mittel Ribavirin verabreicht werden.
Abb. 33.26
Angriffspunkte antiviraler Mittel.
Resistenz kommt vor (z.B. Ganciclovir-resistente CMV- oder Aciclovir-resistente HSV-Stämme). Durch virusspezifische Antikörper lässt sich die Virusadsorption an Zellen verhindern. * T-20 bindet die gp41-Stelle von HIV und verhindert seine Bindung an T-Zellen. Palivizumab ist ein Beispiel für einen „humanisierten“ monoklonalen Antikörper, der zur Prävention von Infektionen eingesetzt wird, da er das Fusionsprotein von RSV (respiratory syncytial virus) angreift und eine stark neutralisierende und fusionshemmende Wirkung hat. Er wird nur in bestimmten Situationen angewandt, z.B. um einer RSV-Infektion der unteren Atemwege bei Säuglingen vorzubeugen, die in der 35.Schwangerschaftswoche oder früher geboren wurden und zu Beginn der RSV-Saison noch keine sechs Monate alt sind – damit sie nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Auch Kinder unter zwei Jahren mit bestimmten respiratorischen oder kardialen Störungen (z.B. bronchopulmonaler Dysplasie) können mit Palivizumab behandelt werden. Schließlich werden bei viralen Atemwegsinfektionen manchmal auch Antibiotika verabreicht, um eine bakterielle Sekundärinfektion einzudämmen oder zu verhindern. Ein Beispiel ist eine Grippe, bei der sich auf die anfängliche Schwächung durch das Influenzavirus noch eine Staphylokokken- oder Streptokokkenpneumonie aufpfropft.
33.15.1
Aciclovir (Acycloguanosin)
Aciclovir hemmt die DNA-Polymerase von HSV und VZV Aciclovir wird zur Behandlung von HSV-und VZV-Infektionen angewandt. Inzwischen haben weitere Wirkstoffe die Zulassung erhalten, darunter Valaciclovir 1100
(L-Valyl-Ester von Aciclovir) und Famciclovir. Aciclovir ist ein gutes Beispiel für ein „Prodrug“, denn es wird erst durch Phosphorylierung aktiviert (Abb. 33.27). Nach der Phosphorylierung durch die Herpesvirus-Thymidinkinase wird das AciclovirMonophosphat von Zellkinasen in ein Triphosphat überführt, das die HSV-DNAPolymerase hemmt. Da es von den mit HSV infizierten Zellen aufgenommen und phosphoryliert wird, wirkt sich Aciclovir kaum auf die zelluläre DNA-Polymerase aus, und toxische Nebenwirkungen wie Neutropenie und Thrombozytopenie sind gewöhnlich nicht sehr ausgeprägt. Der Wirkstoff wird auch in die Virus-DNA eingebaut und beendet die Kettenbildung. Da Aciclovir renal eliminiert wird, kann es in den Nieren von Patienten mit Niereninsuffizienz ausfällen und eine akute Tubulusnekrose verursachen. Abgesehen davon hat Aciclovir jedoch ein ausgezeichnetes Sicherheitsprofil. Die systemische Anwendbarkeit von Aciclovir hat die Behandlung der HSVEnzephalitis bzw. der HSV- und VZV-Infektionen von immungeschwächten Patienten revolutioniert. Auch ein primärer oder Rezidive eines genitalen Herpes lassen sich wirksam behandeln. Bei Herpes zoster (Gürtelrose) kann Aciclovir den Heilungsprozess beschleunigen und postzosterische Schmerzen lindern. Wie das HSV hält sich auch das VZV latent in den Ganglien und kann von dort aus jederzeit reaktiviert werden. Da die orale Bioverfügbarkeit nur 15–20% beträgt, wird Aciclovir unter bestimmten Umständen anfangs intravenös zugeführt. Aufgrund der besseren Bioverfügbarkeit von Valaciclovir und Famciclovir (verglichen mit Aciclovir) müssen weniger Dosen pro Tag verabreicht werden.
33.15.2 Ganciclovir (Dihydroxypropoxymethylguanin, DHPG) Ganciclovir hat eine ähnliche Struktur wie Aciclovir, aber eine zusätzliche Hydroxylgruppe. Sein Wirkspektrum ist breiter als das von Aciclovir, und es ist auch gegen CMV-Infektionen wirksam. Da CMV keine Thymidinkinase induzieren, wird Ganciclovir zuerst durch eine virusspezifische Kinase (des UL97-Gens) monophosphoryliert und dann von Zellkinasen weiter phosphoryliert. Allerdings ergibt sich daraus keine selektive Toxizität.
Abb. 33.27 Die Aktivität antiviraler Herpesmittel hängt davon ab, dass die Herpesviren eine Thymidinkinase bilden können.
1101
Daher ist Aciclovir am stärksten gegen Herpes-simplex- (HSV) und am geringsten gegen Zytomegalieviren (VZV) wirksam. Ganciclovir wirkt myelosuppressiv, daher ist seine Knochenmarktoxizität die wichtigste Nebenwirkung. Ganciclovir-Triphosphat hemmt die CMV-DNA-Polymerase, ist aber bei oraler Gabe nur eingeschränkt bioverfügbar und wird daher intravenös verabreicht. Inzwischen wurde ein verbessertes orales Mittel (Valganciclovir) hergestellt. Mit Ganciclovir werden CMV-Infektionen wie Retinitis, Enzephalitis und gastrointestinale Infektionen bei Immunschwäche behandelt. Bei den Empfängern von Knochenmark- und Organtransplantaten wird es präventiv angewandt und das Blut regelmäßig auf CMV kontrolliert, weil es zu einer hämatogenen Aussaat (Dissemination) kommen könnte.
33.15.3
Foscarnet (Phosphonoformat)
Dieser Wirkstoff besetzt die Pyrophosphat-Bindungsstelle an der DNA-Polymerase von Herpesviren und verdrängt damit Nukleotide aus der Bindung, d.h., er hemmt die Virusreplikation. Foscarnet wird bei CMV-Infektionen angewandt und ist auch gegen HSV und VZV wirksam. Wegen seiner Nephrotoxizität ist es aber meist nur zweite Wahl (Second-line-Medikament).
1102
33.15.4 Nukleotid- und Nukleosid-ReverseTranskriptase-Inhibitoren (NRTI) Die hier angeführten Mittel wirken alle in ähnlicher Weise und werden meist in Verbindung mit anderen antiretroviralen Medikamenten (Nichtnukleosid-ReverseTranskriptase-Inhibitoren und Proteasehemmer) zur Behandlung von HIV-Infizierten eingesetzt.
Zidovudin (Azidothymidin, AZT) Zidovudin ist ein Analog zu Thymidin, einem Nukleosid, dessen Hydroxylgruppe durch eine Azido-Gruppe an der Ribose ersetzt ist. Nach seiner Umwandlung in ein Triphosphat durch Zellenzyme (Abb. 33.28) hemmt es die reverse Transkriptase von Viren und dient ihnen zugleich als Substrat. Die Azido-Gruppe verhindert, dass sich Phosphodiesterverbindungen bilden. Da AZT-Triphosphat – in die DNA inkorporiert – zur Beendigung der Reaktionskette führt, hemmt es die Entstehung von ProvirusDNA. Zidovudin wird oral verabreicht. Ein Problem stellt seine Toxizität (Knochenmarkdepression mit Anämie, Neutropenie, Leukozytopenie) dar; etwas seltener treten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Myalgie und allgemeines Krankheitsgefühl auf. Als AZT in den frühen Zeiten der HIV-Therapie noch höher dosiert wurde, kamen sie häufiger vor. Um Anzeichen einer Anämie oder Myelosuppression rechtzeitig zu entdecken, sind regelmäßige Blutuntersuchungen erforderlich. Bekannt sind auch Fälle von Kreuzresistenz gegen andere Nukleosidanaloga.
1103
Abb. 33.28 Wirkmechanismus von Zidovudin.
Die reverse Transkriptase des HIV ist hundertfach empfindlicher für ZidovudinTriphosphat als die DNA-Polymerase der Wirtszellen, toxische Nebenwirkungen sind jedoch nicht selten.
Zalcitabin (Didesoxycytidin, ddC), Didanosin (Didesoxyinosin, ddI), Lamivudin (Thiacytidin, 3TC), Stavudin (Dihydrodidesoxyuridin, d4T), Abacavir und Tenofovir Wie Zidovudin werden auch diese Nukleosidanaloga in Triphosphate umgewandelt und damit zu Hemmern der reversen Transkriptase des HIV. Als Wirkstoffkombinationen sind Combivir (AZT und 3TC) oder Trizivir (AZT, 3TC und Abacavir) in Gebrauch. Bei Tenofovir handelt es sich um einen Nukleotid-ReverseTranskriptase-Hemmer. Die Nebenwirkungen dieser antiretroviralen Substanzen überschneiden sich zum Teil, doch es gibt auch spezifischere, wie etwa Pankreatitis (ddI), periphere Neuropathie (ddC, d4T, ddI), Lipodystrophie – eine subkutane FettgewebeUmverteilung aus Gesicht und Gliedmaßen zum Nacken und in Baucheingeweide
1104
(d4T) sowie Hypersensitivität (Abacavir). Berichte über Toxizität (durch Hemmung der mitochondrialen DNA-Polymerase) und Laktatazidose liegen ebenfalls vor. Bekannt sind auch Fälle von Kreuzresistenz gegen andere Nukleosidanaloga.
33.15.5 Nichtnukleosidische Reverse-TranskriptaseInhibitoren (NNRTI) Nevirapin und Efavirenz (DMP) In Kombination mit Nukleosidanaloga können sie als „First-line“-Medikamente eingesetzt werden, bevor zu Protease-Inhibitoren übergewechselt wird. Sie führen zum raschen Abfall der HIV-RNA-Last im Plasma und eignen sich besonders für Patienten mit sehr hohen HIV-Werten, bei denen eine Behandlung mit ProteaseInhibitoren in Erwägung gezogen wird, da sie weniger Nebenwirkungen haben. Bei HIV-1 binden sie als nicht-kompetitive RT-Hemmer an eine hydrophobe Tasche proximal von der Katalysestelle des Enzyms. Gegen HIV-2 sind sie unwirksam. Häufigste Nebenwirkung von Nevirapin sind Hautausschläge, bei Efavirenz kann es anfänglich zu lebhaften Träumen und Schlafstörungen kommen. Eine einzelne Mutation der reversen Transkriptase erzeugt Resistenz gegen beide Wirkstoffe und sorgt damit für den Ausschluss dieser Substanzen aus der weiteren Behandlung.
33.15.6
Protease-Inhibitoren (PI)
Nelfinavir, Saquinavir, Indinavir, Ritonavir, Kaletra, Amprenavir Proteasen sind Enzyme, die Polyproteine (gag und gag-pol) nach der Translation in Strukturproteine und Enzyme mit entscheidender Bedeutung für die Virusreplikation aufspalten. Bei einer Protease-Hemmung können nur unreife, defekte Viruspartikel gebildet werden. Mit Protease-Inhibitoren (PI) lässt sich die HIV-RNA-Last im Plasma rasch und sehr wirksam senken, vor allem bei Patienten mit sehr hohen HIVWerten. PI werden meist mit Nukleosidanaloga kombiniert. Dass sie metabolisiert und rasch ausgeschieden werden, macht mehrere Dosen am Tag erforderlich. Zu den Nebenwirkungen gehören gastrointestinale Symptome, Lipodystrophie-Syndrom (Fettverteilungsstörungen), erhöhte Triglyzeridwerte und eine Insulinresistenz, die in Diabetes übergeht. Dass sich Resistenzen entwickeln können, ist bekannt, und eine Reihe von ProteaseMutationen führen zu Kreuzresistenz. Das als Protease-Inhibitor zugelassene Kaletra (eine Kombination aus Lopinavir und Ritonavir) scheint sehr viel versprechend hinsichtlich eines geringeren Risikos der Resistenzentstehung zu sein. T-20 ist ein Fusionshemmer, der durch Bindung an das transmembranäre Glykoprotein gp41 dem HIV den Zutritt zu Zellen verwehrt.
1105
Ribavirin (Tribavirin) Dieses Guanosin-Analog wird von Zellenzymen zu einem Triphosphat umgewandelt. Seine Wirkung beruht unter anderem darauf, dass es die Bildung eines Guanosintriphosphat-Pools hemmt, der zur viralen Nukleinsäuresynthese benötigt wird. Klinisch kommt Ribavirin in Aerosolform bei schweren Atemwegsinfektionen (durch RSV) von Neugeborenen oder bei Arenavirusinfektionen (Lassafieber, s. Kap. 26) zur Anwendung. Es ist auch bei Masern wirksam.
33.15.7
Influenzavirus-Inhibitoren
Seitdem sich zu Amantadin und Rimantadin mit den Neuraminidasehemmern eine neue Wirkstoffklasse hinzugesellt hat, wurde das Spektrum der virustatischen Aktivität auf Influenza-A- und -B-Viren ausgedehnt.
Amantadin Seit 1960 ist bekannt, dass Amantadin gezielt die Replikation der Influenza-A-Viren hemmt, aber auf Typ B oder andere respiratorische Viren keinen Einfluss hat. Seine Wirkung besteht darin, Viren am Eindringen in die Zellen und Entfernen der Hülle (Uncoating) zu hindern. Die Infektion wird auch dadurch gestoppt, dass Amantadin den pH-Wert der intrazellulären Vakuolen erhöht; das verhindert die Fusion von Virushülle und Zellmembran, welche nur bei dem normalerweise niedrigen pH stattfindet. Standarddosen von Amantadin können – vor allem bei älteren Patienten – zu leichten neurologischen Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit, Benommenheit und Kopfschmerzen führen, was mit ein Grund ist, dass es nicht mehr so breit eingesetzt wird. Bei Influenza-A-Grippeepidemien kann Amantadin prophylaktisch verabreicht werden, und wenn es innerhalb von 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome eingenommen wird, verläuft die Grippe weniger schwer.
Neuraminidasehemmer (Zanamivir und Oseltamivir) Neuraminidase ist eines der beiden Glykoproteine auf der Oberfläche von Influenzaviren und spaltet Sialinsäure-Reste von Wirtszellen auf, um die Freisetzung und Ausbreitung der Viren im Respirationstrakt zu ermöglichen. Neuraminidasehemmer sind reversible kompetitive Inhibitoren der aktiven Enzymstelle. Zanamivir, ein Sialinsäure-Analog, wird inhaliert, Oseltamivir wird oral eingenommen und von Esterasen in die aktive Carboxylat-Form aufgespalten. Beide Substanzen interagieren in unterschiedlicher Weise mit der Neuraminidase und sind gegen Influenzaviren des Typs A und B wirksam. Wenn sie früh genug verabreicht werden, verringern beide Wirkstoffe die Virusausscheidung, verkürzen die Dauer der Erkrankung und lindern die Schwere der Symptome, sie können aber auch als Prophylaxe angewandt werden.
1106
33.15.8 Antivirale Mittel gegen Hepatitisviren (HBV und HCV) Aus den unten genannten Gründen war eine Interferontherapie bei Patienten mit chronischer HBV- oder HCV-Infektion nur begrenzt erfolgreich. Nach Absetzen der Therapie kam es außerdem häufig zu Rückfällen. Studien zufolge lassen sich HCV-Infektionen besser mit einer Kombination aus pegyliertem Interferon und Ribavirin bzw. HBV-Infektionen besser mit Lamivudin und Adefovir behandeln.
33.15.9
Entwicklung von Virustatika
In der Entwicklung neuer antiviraler Medikamente wurden folgende Richtungen eingeschlagen: ■ Um die Virusadsorption an Zellen zu verhindern, wurden Viren mit Analoga oder Peptiden des Zellrezeptors (z.B. HIV mit dem CD4-Molekül von T-Zellen) bzw. Zellen mit viralen Adhäsionsproteinen (z.B. mit gp120 im Fall von HIV) beschichtet. ■ „Antisense“-Oligonukleotide zur Hemmung der Virus-mRNA; die kurzen komplementären Nukleotidsequenzen binden an neu transkribierte Virus-RNA und blockieren ihre Wirkung. ■
Topisch anwendbare Wirkstoffe, die Viren inaktivieren können.
33.15.10
Interferontherapie bei Infektionen
In vitro haben Interferone (IFN, s. Kap. 9) schon in Konzentrationen von einigen pg/ml deutliche Auswirkungen auf die Virusreplikation und sind bei bestimmten experimentell induzierten Virusinfektionen wirksam. Klinisch verlief ihr Einsatz jedoch bisher enttäuschend. Wegen ihrer kurzen Halbwertszeit im Blut erwies es sich als schwierig, ausreichende Wirkstoffmengen zum Infektionsherd zu befördern. In der Behandlung chronischer Virusinfektionen (Hepatitis B und C) haben hochdosierte Interferone ihren festen Platz. Bei Papillomavirusinfektionen sind direkt in die Läsionen injizierte Interferone wirksam, werden aber nicht routinemäßig verabreicht. Da Interferone (besonders IFNγ) großen Einfluss auf das Immunsystem haben, eignen sie sich potenziell auch zur Immunmodulation.
Viele Patienten leiden an grippeartigen Symptomen unter einer IFN-Therapie Grippeartige Symptome wie Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen sind Nebenwirkungen der Interferone, selbst bei gentechnisch hergestellten. Tatsächlich werden derartige Symptome im Rahmen von Virusinfektionen der Wirkung endogen produzierter IFN zugeschrieben. Unter einer hochdosierten IFN-Therapie waren darüber hinaus Leukopenie, Thrombozytopenie und ZNS-Wirkungen zu beobachten.
1107
33.16 Antimykotika Verglichen mit antibakteriellen Mitteln ist die Zahl wirksamer Antimykotika sehr begrenzt. Bei eukaryoten Pilzen lässt sich viel schwieriger selektive Toxizität erreichen als bei prokaryoten Bakterien, und auch wenn sich die Aktivität der verfügbaren Antimykotika stärker gegen Pilze als gegen Wirtszellen richtet, ist der Unterschied längst nicht so ausgeprägt wie bei den meisten antibakteriellen Mitteln. Die Behandlung von Pilzinfektionen wird zudem noch dadurch erschwert, dass Löslichkeit, Stabilität und Resorption der vorhandenen Substanzen nicht ganz unproblematisch sind. Daher hat die Suche nach neuen, besseren Wirkstoffen hohe Priorität. Auch die Resistenz gegen Antimykotika nimmt zu.
Antimykotika können nach Angriffsziel und chemischer Struktur unterteilt werden Wie antibakterielle werden auch antimykotische Wirkstoffe nach ihrem Angriffspunkt und ihrer chemischen Struktur in verschiedene Klassen eingeteilt. Schon hier zeigt sich ein Hauptunterschied zu den Antibiotika, denn Antimykotika wirken hauptsächlich auf Synthese oder Funktion intrazellulärer Membranen ein. Ausnahmen bilden Flucytosin (bzw. 5-Fluorocytosin) und Griseofulvin, die in die DNA-Synthese eingreifen. Derzeit gibt es keinen einzigen Proteinsynthesehemmer, der nur bei Pilzen wirksam wäre (ohne Einfluss auf die entsprechenden Wirtszellen).
Azole und Echinocandine hemmen die Synthese der Zellmembranen Azol-Antimykotika führen zur Hemmung der Lanosterol-C14-Demethylase, eines wichtigen Enzyms der Sterolbiosynthese. Sehr nützlich sind topische Zubereitung wie Clotrimazol und Miconazol, Candida-Infektionen werden häufig mit Fluconazol behandelt (Tab. 33.13). Da sich die Azol-Resistenz immer weiter ausbreitet, droht die ganze Wirkstoffgruppe in Misskredit zu geraten. Vor kurzem wurden neue Azole (z.B. Posaconazol, Voriconazol) auf dem Markt eingeführt. Mit den neu entwickelten Echinocandin-Antimykotika eröffnen sich zudem potente Therapieoptionen für Aspergillosen, Candida- und Pneumocystis-Infektionen.
Polyene hemmen die Membranfunktion Amphotericin B und Nystatin entfalten ihre Wirkung über die Sterolbindung, so dass sich Löcher in der Zellmembran bilden und der Zellinhalt austritt, was letztlich zum Zelltod führt. Ihre selektive Toxizität kommt durch bevorzugte
1108
Tab. 33.13 Hauptanwendungsgebiete der Antimykotika. 1109
Bindung an Ergosterol statt an Cholesterol zustande. Amphotericin B bleibt in dieser Gruppe trotz stark toxischer Nebenwirkungen das Mittel der Wahl zur Behandlung schwerer systemischer Pilzinfektionen. Liposomale Präparate sind weniger toxisch. Nystatin liegt nur zur topischen Applikation vor.
Flucytosin und Griseofulvin hemmen die Nukleinsäuresynthese Flucytosin (5-Fluorocytosin) hemmt die DNA-Synthese nach seiner Desaminierung zu 5-Fluorouracil. Seine selektive Toxizität kommt dadurch zustande, dass es bevorzugt von Pilz- statt menschlichen Zellen aufgenommen wird. Flucytosin ist nur gegen Hefen und wenige Schimmelpilze wirksam (z.B. Candida- und Cryptococcus-Spezies). Da sich rasch Resistenz entwickelt, sollte Flucytosin mit Amphotericin B kombiniert werden (manchmal lassen sich so Amphotericin B-Dosis und toxische Nebenwirkungen reduzieren). Griseofulvin scheint die Nukleinsäuresynthese zu hemmen und antimitotisch zu wirken, vielleicht indem es die Anordnung der Mikrotubuli verhindert. Auch eine Hemmung der Chitinsynthese könnte sich auf die Zellwandsynthese auswirken. Bei den Patienten bindet Griseofulvin spezifisch an neu gebildetes Keratin und ist in vivo nur gegen Dermatophyten wirksam (s. Kap. 4 und 26).
Topische Mittel gegen Pilze sind Whitfields Salbe, Tolnaftat, Ciclopirox, Haloprogin und Naftifin Zur topischen Anwendung bei oberflächlichen Hautmykosen stehen Whitfields Salbe (eine Mischung aus Benzoin- und Salicylsäure) oder Tolnaftat, Ciclopirox, Haloprogin und Naftifin in Form von Cremes zur Verfügung. Die meisten sind freiverkäuflich und unterscheiden sich kaum.
Kein einziges Mittel entspricht dem idealen Antimykotikum Die wichtigsten Indikationen und Nebenwirkungen von Antimykotika sind in Tab. 33.13 zusammengestellt. Trotz mehrerer wirksamer Präparate sind Nagelbefall (Tinea unguium) oder rezidivierender Vaginalsoor (Candidiasis) oft therapierefraktär. Zur Behandlung systemischer Infektionen steht nur eine begrenzte Zahl von Antimykotika zur Verfügung – und einige haben beträchtliche Nebenwirkungen.
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Antimykotika-Resistenz Obwohl sie nicht so gut untersucht ist wie die Antibiotika-Resistenz, deutet vieles darauf hin, dass ganz ähnliche Mechanismen bei den Pilzen zur Resistenz führen. Dazu zählen unter anderem: ■
modifizierte Enzyme
■
Veränderung an Angriffspunkten
■
verminderte Durchlässigkeit
■
Efflux-/Pumpmechanismus
■
Inaktivierung/fehlgeschlagene Antimykotika-Wirkung
Einige oder alle genannten Faktoren können an der bereits für Aspergillus-, Candidaund Cryptococcus-Spezies beschriebenen Antimykotika-Resistenz beteiligt sein, die sich vor allem durch eine Behandlung mit Azolpräparaten entwickelt.
Dringender Bedarf an sicheren und wirksameren Antimykotika Wenn sich Patienten einer Chemotherapie unterziehen müssen, immunsupprimiert oder Transplantatempfänger sind, können invasive (systemische) Mykosen eine signifikante Morbiditäts- und Letalitätsursache sein. Parallel zur steigenden Zahl von Patienten, die dank wirksamer antibakterieller Therapien bessere Überlebenschancen haben, nimmt die Inzidenz systemischer Mykosen zu. Daher werden dringend neue Medikamente benötigt, mit denen sich besonders invasive Aspergillosen bekämpfen lassen.
33.17 Gegen Parasiten wirksame Mittel Parasiten bereiten besondere Schwierigkeiten in der Therapie Vor jedem Einsatz antiparasitärer Medikamente ist zu berücksichtigen, dass Infektionen des Menschen durch eine Vielzahl von Parasiten mit zum Teil komplexen Entwicklungszyklen und unterschiedlichen Stoffwechselwegen verursacht sein können. Protozoenmittel sind daher oft unwirksam gegen Würmer und umgekehrt. Hinzu kommt, dass Protozoen und Würmer als Eukaryonten dem Menschen ähnlicher sind als Bakterien. Obwohl bestimmte antibakterielle Mittel (z.B. Metronidazol, Tetrazykline) eine gewisse Aktivität bei Parasiten zeigen, sind Antibiotika im Allgemeinen unwirksam gegen Parasiten. Eine große Herausforderung stellt die Suche nach Angriffszielen dar, an denen die Unterschiede zwischen Parasiten und Menschen groß genug sind, um eine gewisse Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten. Solche Angriffspunkte sind z.B.: ■ unverwechselbare Aufnahme von Malariamitteln wie Chloroquin, Mefloquin, Primaquin 1111
■ unterschiedlicher Folsäurestoffwechsel: z.B. Pyrimethamin bei Malaria, Sulfonamide bei Toxoplasmose, Trimethoprim bei Cyclosporidiose ■
Polyaminaufnahme: z.B. Pentamidin bei Leishmaniasis und Toxoplasmose
■ unverwechselbare Trypanothion-abhängige Reduktion: z.B. Fluoromethylornithin bei Trypanosomen ■ unverwechselbare Neurotransmitter: z.B. Piperazin, Ivermectin, Pyrantel bei Nematoden ■
Zytoskelettproteine (Tubuline): z.B. Benzimidazole bei Nematoden
■
intrazellulärer Kalziumspiegel: z.B. Praziquantel bei Egeln und Bandwürmern
■
oxidative Phosphorylierung: z.B. Niclosamid bei Band-würmern
Obwohl sich diese Angriffsziele bei Menschen und Parasiten unterscheiden, gilt trotzdem, dass gerade einige der wirksameren Mittel ein erhebliches Toxizitätsrisiko beinhalten und daher nur nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile angewandt werden sollten. Das breite Spektrum der bisher entwickelten Mittel ist in Tab. 33.14 und 33.15 zusammengefasst.
Arzneimittelresistenz wird zunehmend zum Problem Wie bei Bakterien stellt auch die Resistenz von Parasiten gegenüber spezifischen Therapeutika ein erhebliches Problem dar, besonders für die Behandlung der Malaria. Die Behandlung der Malaria ruht auf vier Säulen: ■
Prophylaxe (Verhütung der Infektion)
■
Therapie (Behandlung der Infektion)
■
Radikalkur (Behandlung und Vorbeugung von Rückfällen)
■
Mücken-/Gametozyten-Bekämpfung (Verhinderung der Übertragung)
Chloroquin war lange das Mittel der Wahl zur Malariaprophylaxe und -therapie, doch inzwischen treten weltweit resistente Plasmodium-falciparum-Stämme auf und auch P. vivax zeigt zunehmend Resistenz. Als Alternative zu Chloroquin wurde üblicherweise Mefloquin oder Pyrimethamin-Sulfadoxin verordnet, doch auch gegen Folsäureantagonisten hat sich mittlerweile eine signifikante Resistenz entwickelt. Bei schweren Malariafällen kann Chinin, das ursprüngliche Malariamittel, die letzte Rettung bedeuten; es hat aber unter Umständen ernste Nebenwirkungen.
1112
Tab. 33.14 Wichtige therapeutische Anwendungsgebiete für Antiprotozoenmittel. 1113
G6PDH = Glukose-6-Phosphatdehydrogenase Aussichten auf neue Malariamittel eröffnen sich jetzt durch natürliche Wirkstoffe; am wichtigsten sind Artemisinin-Derivate (aus Beifuß/Wermut – in der chinesischen Medizin als Quing-hao-su bekannt). Arzneimittelresistenz bei anderen Protozoen stellt kein so großes Problem dar, weil sie zwar weit verbreitet bei Tiernematoden vorkommt, bei Infektionen des Menschen aber noch keine Schwierigkeiten bereitet. Protozoen können durch modifizierte Enzyme oder Angriffsziele Resistenz entwickeln (z.B. gegen Folsäureantagonisten und Sulfonamide). Für die Resistenz von P. falciparum gegen Malariamittel wie Chloroquin, Mefloquin und Artemisinin scheint zusätzlich ein aktiver Efflux (Pumpmechanismus) verantwortlich zu sein. Zur Resistenz gegen Benzimidazole kommt es, wenn sich durch Mutation der kutikulären Tubuline die Angriffspunkte der Antihelminthika verändern.
1114
1115
Tab. 33.15 Wichtige therapeutische Anwendungsgebiete für Anthelminthika. ** *
nicht in der Schwangerschaft topische Anwendung, NW = Nebenwirkungen
33.18 Richtiger Gebrauch und Missbrauch In diesem Kapitel ist viel über die Interaktionen zwischen antimikrobiellen Wirkstoffen und Mikroorganismen gesagt worden – wie selektive Toxizität entsteht und wie resistente Keime sie abwehren. Kurz erwähnt wurden auch Verteilung, Stoffwechsel und Ausscheidung der einzelnen Substanzen und die wichtigsten Nebenwirkungen bei den Patienten. Auf die Auswahl geeigneter Mittel für spezifische Infektionen ist in den „Organkapiteln“ (s. Kap. 18–30) ausführlich eingegangen worden. Dosierungsempfehlungen werden nicht angegeben, weil sie je nach Art der Infektion, Alter und Grunderkrankung des Patienten bei einzelnen Mitteln stark schwanken können. Zum Teil gelten in anderen Ländern auch unterschiedliche Richtlinien. Jeder Arzt sollte daher geeignete lokale Quellen zu Rate ziehen.
Antimikrobielle Mittel dürfen nur zur Prophylaxe oder Therapie angewandt werden Infolgedessen sollten wir uns zurückhalten und fragen, ob der betreffende Patient wirklich mit antimikrobiellen Mitteln behandelt werden muss, und falls ja, welches für ihn am besten geeignet wäre. Mit antimikrobiellen Mitteln können Eine Antibiotikaprophylaxe ist nur unter klar umschriebenen Bedingungen zulässig und sollte möglichst kurz dauern (z.B. 1–2 Tage). Solche Sonderfälle sind a) Kontakt mit bestimmten ansteckenden Infektionen (z.B. bakterielle Meningitis oder Tuberkulose); b) erhöhte Infektionsanfälligkeit (z.B. bei neutropenischen Patienten) und c) antimikrobielle Abschirmung vor und während bestimmten Operationen. ■
Infektionen verhütet (Prophylaxe) oder
■
Infektionen behandelt werden.
1116
Abb. 33.29
„Das Beziehungs-Dreieck“.
Um sich einen Überblick über die Interaktionen von antimikrobiellen Mitteln, Mikroorganismen und menschlichem Wirt zu verschaffen, können zu jeder Seite dieses Beziehungsdreiecks Fragen gestellt und beantwortet werden. * Weitere Tests erfassen die Phäno- und Genotyp-Empfindlichkeit sowie die Viruslast
Durch Antibiotika kommt es zur Selektion resistenter Stämme Falls eine Antibiotikatherapie erforderlich ist, sind mehrere Faktoren zu berücksichtigen (Abb. 33.29). Man sollte sich unbedingt klar machen, dass sich die Behandlung nicht nur auf den Infektionserreger, sondern auch auf den Patienten und seine Normalflora auswirken wird. Der Einsatz antimikrobieller Mittel führt erwiesenermaßen zur Selektion resistenter Stämme, nicht nur bei Einzelpatienten, sondern in ganzen Gruppen – und erst recht, wenn diese Mittel falsch oder missbräuchlich angewandt werden. Nach der bisherigen Geschichte ist zu vermuten, dass Bakterien immer neue Wege finden werden, Resistenz zu entwickeln, was eines Tages zum kompletten Fehlen wirksamer antimikrobieller Mittel führen kann.
Zusammenfassung ■ Infektionen sind insofern eine besondere Form von Erkrankungen, da an ihnen zwei unterschiedliche Biosysteme beteiligt sind. Antimikrobielle Wirkstoffe sollen das eine System (Erreger) hemmen und das andere System (Patienten) nur minimal schädigen. Dazu müssen sie selektive Toxizität besitzen. ■ Antimikrobielle Wirkstoffe stammen oft selbst von Mikroorganismen (natürliche Produkte derselben), werden allerdings oft chemisch modifiziert, um ihre Wirkeigenschaften zu verbessern. Einige werden komplett synthetisch hergestellt. 1117
Während es zahlreiche antibakterielle Wirkstoffe gibt, stellt die Entwicklung antiviraler, antimykotischer und antiparasitärer Mittel mit selektiver Toxizität eine sehr viel größere Herausforderung dar. ■ Antibiotika werden nach Angriffsziel und chemischer Struktur in Klassen unterteilt. Das hilft, ihre Wirkungsweise und Resistenzmechanismen besser zu verstehen. ■ Antibakterielle Mittel haben vier mögliche Angriffspunkte: Zellwand, Proteinsynthese, Nukleinsäure und Zellmembran der Bakterien. Die meisten attackieren die Zellwand oder hemmen die Protein- oder Nukleinsäuresynthese. An allen Stellen gibt es unterschiedliche molekulare Ziele (Enzyme oder Substrate), die spezifisch gehemmt werden können. ■ Resistenzentwicklung ist die wichtigste Einschränkung für den Einsatz antibakterieller Mittel. Sie kann zufällig nach einer Genmutation im Bakterienchromosom auftreten, aber noch wichtiger ist die von anderen Bakterien erworbene Resistenz (durch Resistenzgene auf Integrons, Transposons oder Plasmiden). ■ Unter dem Einfluss mutierter oder erworbener Resistenzgene verändern sich Angriffsziele, die Aufnahme antibakterieller Mittel oder es werden Enzyme produziert, die den Wirkstoff zerstören (inaktivieren). ■ AIDS hat der Forschung nach antiviralen Mitteln (besonders gegen HIV) starken Auftrieb gegeben. Wieder stellt die selektive Toxizität eine große Herausforderung dar. Bei HIV-Infizierten erwiesen sich antiretrovirale Wirkstoffkombinationen als viel versprechend, doch für die meisten Viruserkrankungen gibt es keine spezifische Therapie. Wirksame Mittel stehen für Virusinfektionen wie Hepatitis B und C, Influenza A und B, Herpes simplex und Zytomegalie zur Verfügung. ■ Antimykotische Mittel bzw. Wirkstoffklassen gibt es nur in sehr begrenzter Zahl. Toxizität (fast alle), schwierige Zubereitung (Polyene) und zunehmende Resistenzentwicklung (Azole) machen die erfolgreiche Behandlung schwerer Pilzinfektionen zu einem echten Problem. ■ Trotz der zahlreich verfügbaren Mittel gegen Parasiten sind einige zu toxisch und andere werden durch zunehmende Resistenzentwicklung unbrauchbar. Das zeigt sich besonders bei den derzeit verfügbaren Malariamitteln, gegen die die Parasiten vermehrt Resistenzen entwickelt haben. ■ Bakterien können im Labor auf ihre (Antibiotika-)Empfindlichkeit getestet werden. Die Ergebnisse gut kontrollierter Untersuchungen können wertvolle Hilfestellungen zur Wahl der richtigen Therapie geben. Weniger verlässlich sind Invitro-Tests von Antimykotika. Antivirale Mittel werden nur selten unter Laborbedingungen erprobt.
FRAGEN
1118
1 Nennen Sie die klinisch wichtigsten Klassen antibakterieller Wirkstoffe und geben Sie für jede Klasse ein Beispiel an. 2 Welches sind die Hauptmechanismen, unter denen Resistenz gegen antibakterielle Mittel in Erscheinung tretenkann? Führen Sie für jeden ein Beispiel an. 3 Wieso stellt selektive Toxizität eine Herausforderung für die Entwicklung antiviraler, antimykotischer und antiparasitärer Wirkstoffe dar?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Gilbert, D.N., Moellering, R.C., Sande, M.A.: The Sanford Guide to Antimicrobial Therapy. Antimicrobial Therapy Inc, Hyde Park/Vermont 2002. Greenwood, D.: Antimicrobial Chemotherapy. Oxford University Press, Oxford 2000. Murray, P. et al.: Manual of Clinical Microbiology, 7th ed. American Society for Microbiology, Washington D.C. 1999. Sande, M.A., Gilbert, D.N., Moellering, R.C.: The Sanford Guide to HIV/AIDS Therapy. Antimicrobial Therapy Inc, Hyde Park/Vermont 2002. Stille, W., Brodt, H.-R., Groll, A.H., Just-Nübling, G.: Antibiotika-Therapie. Klinik und Praxis der antiinfektiösen Behandlung. Schattauer, Stuttgart New York 2005.
1119
34 Impfungen 34.1
Impfziele 547
34.2
Anforderungen an gute Impfstoffe 548
34.3
Impfstoffe 550
34.3.1
DNA-Impfstoffe 554
34.3.2
Impfstoffe gegen Nichtproteinantigene 554
34.4
Besondere Überlegungen 555
34.4.1
Adjuvanzien 557
34.4.2
Wann impfen? 558
34.5
Impfschutz auf Bevölkerungsebene 560
34.6
Einflussfaktoren auf den Impferfolg 562
34.7
Derzeitige Impfpraxis 564
34.7.1
Allgemein gebräuchliche Impfstoffe 564
34.7.2
Neue und experimentelle Impfstoffe 571
34.7.3
Auf diese Impfstoffe wird noch gewartet 572
34.7.4
Neue Applikationsformen 573
Zur Orientierung Impfungen sollen das adaptive Immunsystem auf bestimmte Erregerantigene vorbereiten, damit bei Erstinfektion eine sekundäre Immunreaktion ausgelöst wird „In der Geschichte des menschlichen Fortschritts“, schrieb der Pathologe Geoffrey Edsall, „gab es nie eine bessere und billigere Methode der Krankheitsverhütung als durch bestmögliche Immunisierung.“ Dass die größte Erfolgsgeschichte der Medizin (Ausrottung der Pocken) schon begann, bevor sich Fächer wie Immunologie und Mikrobiologie etablierten oder noch bevor die Existenz von Mikroorganismen und des Immunsystems auch nur geahnt wurde, ist eine ziemlich ernüchternde Vorstellung. Infolge von Edward Jenners Pionierarbeit mit Vaccinia (s. Kasten) wird heute jede spezifische, aktiv induzierte Immunität als „Vakzination“ (Impfung) bezeichnet. Das Prinzip ist einfach: Impfungen „primen“ das Immunsystem (bereiten es vor), damit beim Erstkontakt mit der betreffenden Infektion durch eine rasche und effektive Immunreaktion ein Ausbruch der Krankheit verhindert wird. Die Vakzination stellt eine Art aktiver Verstärkung der erworbenen Immunität dar, denn sie ist nur wirksam, wenn Bund T-Lymphozyten auf spezifische Antigene ansprechen und sich Gedächtniszellen entwickeln. Die passive Immunisierung durch vorgefertigte Elemente (wie Antikörper) wird in Kap. 35 besprochen.
1120
Ein wichtiger Aspekt von Impfprogrammen ist die Herdimmunität, d.h. Maßnahmen, die Gesamtimmunität einer Bevölkerung so anzuheben, dass nicht mehr genügend infektionsanfällige Individuen übrig bleiben, um eine Übertragung weiter aufrechtzuerhalten. Erfolgreiche Impfprogramme beruhen daher nicht nur auf der Entwicklung und Anwendung von Impfstoffen, sondern auch auf Kenntnissen zu den epidemiologischen Aspekten der Krankheitsübertragung. Trotz gestiegener Zahl der zugelassenen Impfstoffe und vieler Impferfolge bleibt die Entwicklung wirksamer Impfstoffe gegen die drei wichtigsten tödlichen Infektionskrankheiten (die schätzungsweise 5,2 Millionen Tote pro Jahr fordern; Tab. 34.1) noch immer eine große Herausforderung.
34.1
Impfziele
Impfungen verfolgen weit gesteckte Ziele: von der Verhütung der Übertragung über die Prävention von Symptomen bis zur Ausrottung der Krankheit Das ehrgeizigste Ziel von Impfungen ist die Ausrottung einer Krankheit. Bei den Pocken konnte es erreicht werden und bei Poliomyelitis ist es in Sichtweite. Auch bei den meisten anderen Infektionen ließ sich mit den verfügbaren Impfstoffen ein dramatischer Rückgang der Inzidenz erzielen (Abb. 34.1). Doch solange in Bevölkerungsgruppen ein Infektionsherd zurückbleibt, dienen Impfungen hauptsächlich zum individuellen Schutz vor der Infektion. In bestimmten Fällen sind die Ziele enger gesteckt, z.B. bei Impfungen, die individuell vor spezifischen Symptomen schützen. Zum Beispiel sind bestimmte Bakterientoxine schädlicher als der alleinige Erreger selbst. Diphtherie- und Tetanusimpfungen werden mit Impfstoffen gegen die von den Erregern produzierten Toxine durchgeführt. Schließlich kann man sich auch Impfungen vorstellen, die bei Krankheiten wie Malaria (die von Vektoren übertragen werden und ein umschriebenes infektiöses Stadium haben) die Ausbreitung verhindern; in dem Fall handelt es sich sozusagen um eine „altruistische“ Impfung zum Wohle der Gruppe, von der die Geimpften selbst keinen unmittelbaren Nutzen haben.
1121
Geschichte der Mikrobiologie Edward Jenner (1749–1823) Der englische Arzt Edward Jenner gilt als Begründer der modernen Form der Impfung, obwohl er die Technik keinesfalls als Erster ausprobierte. Die früher geübte Praxis der „Variolisierung“ geht zurück ins China des 10.Jahrhunderts und kam im frühen 18.Jahrhundert über die Türkei nach Europa: Kindern getrocknetes Material aus abgeheilten Pockennarben (leichter Fälle) zu inokulieren lieferte einen Vorgeschmack auf das Prinzip moderner attenuierter Virusimpfstoffe. Doch die Methode war unberechenbar und gefährlich. Jenners Neuerung bestand in dem Nachweis, dass sich durch absichtliche Inokulation desKuhpocken- (Vaccinia-)Virus ein viel sichererer und zuverlässigerer Schutz erzielen ließ. Von Melkerinnen – die häufiger mit Kuhpocken in Kontakt kamen – war traditionell bekannt, dass sie gegen Pocken resistent waren und daher ihren glatten Teint behielten. 1796 inokulierte Jenner den 8-jährigen James Phipps mit Kuhpocken-Flüssigkeit aus einem Bläschen an der Hand von Sarah Nelmes, um seine Theorie zu testen. Mit dem Ergebnis, dass der Junge bei einer anschließenden Inokulation mit Pocken nicht erkrankte. (Anmerkung: Ein solches Experiment wäre heutzutage undenkbar!) Jenners 1798 veröffentlichte „Untersuchung zu Ursachen und Folgen der VariolaVaccinia-Erkrankung in einigen westlichen Grafschaften von England (namentlich Gloucestershire), die unter dem Namen Kuhpocken bekannt ist“ wurde zum Klassiker – ein lebendig und elegant geschriebenes Buch mit stichhaltigen Argumenten. Zunächst noch mit Skepsis aufgenommen, fanden Jenners Vorstellungen bald breite Zustimmung, und so fuhr er fort, tausende Patienten im Geräteschuppen seines Hauses in Berkeley/Gloucester zu impfen. Schließlich erlangte er Weltruhm. (Allerdings wurde ihm seine Mitgliedschaft in der Royal Society aus ganz anderen Gründen angetragen: für seine Arbeit über die Nestgewohnheiten des Kuckucks!) Sein Haus in Berkeley blieb als Museum erhalten und dient heute der British Society of Immunology als Ort für kleinere Symposien.
1122
Edward Jenner (1749–1823)
Tab. 34.1 Die wichtigsten Erreger tödlicher Infektions-krankheiten.
34.2
Anforderungen an gute Impfstoffe
Der ideale Impfstoff sollte wirksam, sicher, stabil und kostengünstig sein Ein wirksamer Impfstoff muss nicht nur eine angemessene Immunreaktion, sondern auch noch eine des richtigen Typs induzieren. Denn: ■ es ist unwahrscheinlich, dass bei intrazellulären Infektionen wie Tuberkulose eine reine Antikörperreaktion etwas nützt; nötig wäre eine zellvermittelte Reaktion.
1123
■ es ist genauso unwahrscheinlich, dass bei Streptokokkeninfektionen eine reine T-Zell-Reaktion etwas nützt; hier wären opsonisierende Antikörper entscheidend für die Immunität. ■ hohe Serum-Antikörpertiter gewähren keinen Schleimhautschutz vor Poliomyelitis, sondern die sekretorische IgA-Konzentration ist wichtiger. ■ die Aktivierung zytotoxischer T-Zellen kann bei Hepatitis schädlich sein, weil sie die Leber schädigen kann.
Abb. 34.1 Auswirkung von Impfungen auf die Inzidenz von verschiedenen Viruskrankheiten in den USA.
Bei den meisten zeichnete sich ein dramatischer Abwärtstrend nach Einführung eines Impfstoffs (Pfeile) ab [nach Mims und White 1984].
Von vorrangiger Bedeutung ist die Dauer einer Immunreaktion Als kurzzeitiger Schutz (z.B. für Touristen, die in ein Erkrankungsgebiet reisen wollen) kann die primäre Antikörperreaktion auf die Impfung selbst völlig ausreichen, ohne dass sich Gedächtniszellen bilden müssten. Dagegen ist es für den Impfschutz vor einer in Zukunft möglichen Exposition entscheidend, ein Immungedächtnis zu induzieren. Leichter schützen kann man sich vor Krankheiten mit langer Inkubationszeit, weil das Immunsystem mehr Zeit zum Aufbau von Sekundärreaktionen hat.
1124
Durch periodische Krankheitsausbrüche in der Bevölkerung (z.B. jährliche Masern- und Mumpsepidemien) wird das Immungedächtnis oft auf natürliche Weise aufgefrischt. Seitdem immer mehr Infektionskrankheiten aussterben, kann man sich darauf aber nicht mehr verlassen. Paradoxerweise sind Schutzimpfungen also umso wichtiger, je seltener Infektionskrankheiten in einer Bevölkerung auftreten – ein Punkt, den Eltern oft nicht wahrhaben wollen. Lebendimpfstoffe induzieren im Allgemeinen eine stärkere und länger anhaltende Immunität als Totimpfstoffe (s. unten).
Eine wichtige Überlegung ist die Impfsicherheit Die hohen Schadensersatzansprüche für Impfschäden, die erfolgreich vor Gericht eingeklagt werden können, waren u.a. Grund dafür, dass sich mehrere Herstellerfirmen aus der Entwicklung und Produktion von Impfstoffen zurückgezogen haben. Dabei hat sicherlich auch eine Rolle gespielt, dass Impfstoffe nicht so profitabel sind wie Medikamente (s. unten). Hinzu kommt, dass Impfstoffe als einzige Wirksubstanzen routinemäßig an Gesunde verabreicht werden. Angesichts der enormen Zahl von Impfungen, die bisher durchgeführt wurden, ist ihre Sicherheit statistisch ausgesprochen gut. Dennoch gab es ernste Impfzwischenfälle wie in Lübeck 1926 (s. Kap. 15), so dass die Impfsicherheit nun sehr streng mit intensiven Qualitätskontroll- und Tierversuchen überprüft wird, bevor Impfstoffe an Menschen getestet werden dürfen. Einige Probleme, die sich bei der Sicherheitskontrolle von Impfstoffen ergeben können, sind in Tab. 34.2 zusammengefasst.
Tab. 34.2 Probleme der Impfsicherheit.
Bei attenuierten Lebendimpfstoffen ist Stabilität besonders wichtig Alle Wirkstoffe benötigen eine gewisse Stabilität, um länger haltbar zu bleiben. Doch es ist nicht immer leicht, die Kühlkette zwischen Fabrik und Klinik/Praxis 1125
aufrechtzuerhalten. Eine Studie in Kamerun ergab, dass nur jede sechste Dosis Masernimpfstoff wirksam war, wenn sie einem Patienten verabreicht wurde. Attenuierter Polio-Lebendimpfstoff ist bei 4°C nachweislich ein Jahr lang haltbar, bei 37°C aber nur wenige Tage.
Die Impfkosten dürfen für Entwicklungsländer nicht zu hoch sein 80 US-Dollar für eine Impfung, die vor Hepatitis B – einer potenziell tödlichen Infektion und Hauptursache des Leberzellkarzinoms – schützt, würde man für gut angelegtes Geld halten. Doch in einem durchschnittlichen Entwicklungsland sind solche Kosten – und sogar viele billigere Impfstoffe – völlig unerschwinglich für die Normalbevölkerung oder die nationalen Gesundheitsdienste. Ob mit neuer Gentechnik kostengünstigere oder teurere Impfstoffe als die derzeit gebräuchlichen produziert werden können, wird weiter unten diskutiert.
34.3
Impfstoffe
Ein Impfstoff sollte mehrere (bzw. mindestens eines) schützende Antigene enthalten Die heute gebräuchlichen Impfstoffe haben alle Vor- und Nachteile. Es gibt Impfstoffe mit ■
Mikroorganismen, deren Virulenz künstlich abgeschwächt (attenuiert) wurde;
■
Mikroorganismen, die von Natur aus weniger virulent für Menschen sind;
■
abgetöteten Mikroorganismen,
■
subzellulären Fragmenten (= immunogene Untereinheiten in Spaltimpfstoffen).
Der Pockenimpfstoff (Vaccinia) war in vielerlei Hinsicht ideal Die Impfung gegen Pocken klappte deshalb so gut, weil das Vaccinia-Virus – als natürliches Tier- bzw. „heterologes“ Virus – und das Pockenvirus viele gemeinsame Antigene haben. In Tierversuchen können avirulente Stämme bestimmter Mikroorganismen einen Schutz vor virulenten Stämmen induzieren, und auf demselben Prinzip beruhen auch einige Impfstoffe für Tiere. So wurden z.B. Truthahn-Herpesviren zur Schutzimpfung von Hühnern verwendet, während Rotaviren von Affen und Kälbern mit gewissem Erfolg bei Kindern erprobt wurden.
Erfolgreiche Virusimpfstoffe sind zum Großteil attenuierte Lebendvakzinen Von den derzeit gebräuchlichen attenuierten Lebendimpfstoffen gegen Viren sind einige rein zufällig (durch Selektion von Mutanten in einem „genetischen Roulette“) 1126
entstanden. Zur Abschwächung (Attenuation) dieser Impfstoffe werden hauptsächlich zwei Methoden angewandt: ■
Passage in einer Reihe von Zellkulturen in vitro,
■
Adaptation an niedrige Temperaturen.
Bei der oralen Poliovakzine (OPV) erfolgte die Virulenzabschwächung z.B. als Passage durch Affennierenzellen oder Fibroblasten menschlicher Embryonen, und anhand der Neurotoxizität bei Affen wurde dann die Virulenz überprüft (Abb. 34.2). Mit ähnlichen Methoden wurden Masern-, Röteln-, Mumps- und Gelbfieber-Impfstoffe hergestellt (Tab. 34.3). Wie unvorhersehbar Zufallsmutationen sind, lässt sich anhand der drei Serotypen des attenuierten (Sabin-)Poliovirus-Impfstoffs aufzeigen: ■
Typ 1 weist 57 unabhängige Basensubstitutionen auf.
■ Die wenigen Basensubstitutionen bei Typ 2 und 3 scheinen alle (bis auf zwei) nicht mit dem Virulenzverlust zusammenzuhängen. Das erklärt, warum es bei Typ 2 und 3 häufiger zum Umschlagen in virulentes WildtypVirus kommen kann, auch wenn dies mit weniger als 1 pro 1 Million Impfungen noch immer sehr selten ist. Wenn aber in einer Bevölkerung viele Menschen ungeimpft sind, kann das zum Problem werden – so ging die Poliomyelitis-Epidemie in Haiti und der Dominikanischen Republik (2000/2001) offenbar von der einige Jahre früher durchgeführten Schluckimpfung (mit OPV) eines einzelnen Kindes aus! In manchen Ländern (wie den USA) zieht man den weniger wirksamen, inaktivierten PolioImpfstoff vor, um die Möglichkeit einer Reversion auszuschließen. Interessanterweise stellte sich heraus, dass es sich bei den Mutanten in auf diese Art hergestellten Polio- und Masernimpfstoffen um temperaturempfindliche Stämme handelte. In anderen Fällen wurde die Temperaturempfindlichkeit bewusst zur Selektion kälteadaptierter Viren herangezogen. Wenn sich Viren an niedrige Temperaturen (z.B. 25°C) angepasst haben, wachsen sie gewöhnlich nur schlecht (oder überhaupt nicht) bei Körpertemperatur. Solche Viren könnten zwar die oberen Atemwege, nicht aber das wärmere Lungengewebe besiedeln.
Abb. 34.2
Vorgang zur Virulenzabschwächung.
1127
Um attenuierte Lebendimpfstoffe (z.B. zur Polio-Schluckimpfung) zu erzeugen, wurden die Viren ursprünglich unter unüblichen Bedingungen angezüchtet und dann zufällig entstandene Mutanten ausgewählt, die ihre Virulenz verloren hatten. Ein auf diese Weise produzierter Grippe-Impfstoff erwies sich als recht viel versprechend. Bei einem Grippe-Impfstoff mit chemisch induzierten temperaturempfindlichen Mutanten fand allerdings leichter ein Umschlagen zum Wildtyp statt, und dasselbe Problem trat bei einem Respiratory-syncytial-Virus(RSV)Impfstoff auf. Eine vergleichbare zufällige Attenuation ließ sich bei Bakterien nicht erzielen, doch der von Calmette und Guérin entwickelte Tuberkulose-Impfstoff mit Bacillus CalmetteGuérin (BCG), einem nach zehnjähriger Kultur (1908–1918) auf einem Glycerin-GalleKartoffel-Nährmedium attenuierten bovinen Mykobakterienstamm, zeigt, dass es grundsätzlich möglich ist. Der BCG-Impfstoff hat sich als einzige attenuierte Bakterienvakzine gut etabliert, und es ist seit über 70 Jahren kein einziges Mal zur Virulenz-Reversion gekommen. Kürzlich haben Studien ergeben, dass seit 1931 in mehreren Regionen des BCGChromosoms Deletionen aufgetreten sind und dass unabhängig davon verschiedene Stämme der Pasteur- und Danish-Vakzinen weitere Genabschnitte verloren haben (Tab. 34.4). Weltweit werden fast 90% der Neugeborenen gleich nach der Geburt zum Schutz vor schweren disseminierten Formen wie der tuberkulösen Meningitis mit BCG geimpft. Bei der Lungentuberkulose Erwachsener zeigt die Impfung eine variablere Wirksamkeit (s. unten). Eine neuere Entwicklung ist ein attenuierter Impfstoff mit einem chemisch veränderten Salmonella-typhi-Stamm, der sich dem älteren Totimpfstoff gegen Typhus als mindestens ebenbürtig erwiesen hat.
1128
Gentechnische oder zielgerichtete Mutationen von Viren und Bakterien lassen einiges für die Zukunft erwarten. In der Mehrzahl handelt es sich um Deletionsmutanten, bei denen ein Virulenzgen inaktiviert wurde. Die Palette der Beispiele reicht von einem experimentellen Typ-2-Poliovirusstamm mit Austausch einer einzelnen Base über Salmonellenstämme mit Enzym-Genmutation (aroA oder galE) bis zum Pseudorabiesvirus, dem das komplette Gen für Thymidinkinase, bzw. Cholera-Erregern, denen das Gen für die A-Toxin-Untereinheit fehlt.
Sind keine Lebendimpfstoffe verfügbar, werden abgetötete oder inaktivierte Mikroorganismen verwendet Manchmal stehen keine Lebendimpfstoffe zur Verfügung, weil eine Attenuation nicht möglich war oder weil es zu leicht wieder zum Umschlagen in den virulenten Wildtyp kommen kann. Totimpfstoffe haben zwar den Vorteil, nicht infektiös und daher besonders sicher zu sein, aber auch den Nachteil, wegen ihrer allgemein geringeren Immunogenität häufiger verabreicht werden zu müssen.
1129
Tab. 34.3 Verschiedene Herstellungsmethoden für attenuierte Lebendimpfstoffe. BCG = Bacillus Calmette-Guérin, CMV = Zytomegalievirus, RSV = Respiratory-syncytial-Virus Eine Inaktivierung lässt sich mit mehreren Methoden erreichen (Tab. 34.5). Bei den älteren Impfstoffen gegen Grippe und Poliomyelitis (Salk-Impfstoff) wurde noch Formaldehyd verwendet, doch seit neuerem werden β-Propiolacton sowie verschiedene Ethylenimine und Psoralene (z.B. für Tollwutimpfstoff) bevorzugt. Ultraviolettlicht gilt als nicht voll zuverlässig, weil es virale Nukleinsäure nur selektiv schädigt, so dass sie wieder repariert werden kann. Bei Bakterien können Formaldehyd, Phenol, Aceton oder einfaches Erhitzen alle mit vergleichbar gutem Erfolg angewandt werden.
1130
Tab. 34.4 Seit ihrer ursprünglichen Attenuation kam es bei verschiedenen BCG-Stämmen noch zur Deletion weiterer Genregionen (RD).
Wenn Impfschutz nur gegen bestimmte Erregerbestandteile nötig ist, können immunogene Untereinheiten (sog. Spaltimpfstoffe) verabreicht werden Bekannte Beispiele für immunogene Untereinheiten in Spaltimpfstoffen sind die Kapsel-Polysaccharide von Pneumokokken, Haemophilus und Meningokokken, das mit rekombinanter DNA-Technologie herstellbare Oberflächenantigen des HepatitisB-Virus sowie Fragmente oder gereinigte Oberflächenantigene von Grippeviren. Noch im Versuchsstadium befinden sich Impfstoffe aus Proteinfilamenten (Pili), mit denen sich Escherichia coli und Neisseria gonorrhoeae am Harntraktepithel festheften können. Entscheidend für die Sicherheit dieser Impfstoffe ist, dass lebendes infektiöses Material vollständig entfernt wird.
1131
Tab. 34.5 Verschiedene Inaktivierungsmethoden für Impfstoffe.
Toxoidimpfstoffe enthalten inaktivierte Bakterientoxine, die schützende Antikörper induzieren können Bakterientoxine, die meist mit Formaldehyd inaktiviert wurden und nicht länger toxisch wirken, aber dennoch schützende Antikörper induzieren können, werden als Toxoide bezeichnet. Zwei dieser Toxoidimpfstoffe, Diphtherie- und Tetanustoxoid, gehören zu den erfolgreichsten und am häufigsten eingesetzten Impfstoffen. In Verbindung mit Bordetella-pertussis-Totimpfstoff (gegen Keuchhusten) bilden sie die wohl bekannteste Tripelvakzine DTP (Diphtherie, Tetanus, Pertussis). Dass die Antikörperreaktion auf die beiden Toxoide eingeschränkt ist, wenn der Pertussis-Anteil fehlt, spricht dafür, dass die Pertussis-Komponente sowohl als „Adjuvans“ als auch als spezifische Vakzine wirkt. Tetanustoxoid gilt allgemein als nützliches Trägerprotein für kleine Peptide (Haptene), die als Impfstoffantigene eingesetzt werden könnten (s. unten). Dahinter steckt die Vorstellung, dass die meisten Patienten schon vorher mit Tetanustoxoid immunisiert wurden und daher tetanusspezifische T-Gedächtniszellen besitzen, die dann peptidspezifische B-Zellen bei der Antikörperproduktion unterstützen. Mit diesem Ansatz lässt sich zwar eine Primärreaktion induzieren, doch er eignet sich weniger gut für Zellreaktionen, bei denen sich die T-Memory-Zellen eher an die Infektions- als an Tetanusproteine erinnern müssten. Unter derselben Vorstellung wurde auch der Hib-Konjugatimpfstoff (gegen H. influenzae Typ b) entwickelt. Man verbindet Tetanus- oder Diphtherietoxoid mit
1132
Kapselpolysacchariden von H. influenzae, um dadurch die Immunogenität für Säuglinge und Kleinkinder zu verbessern. Vibrio cholerae ist ein weiteres toxinbildendes Bakterium, und mit Impfstoffen, die neben der Untereinheit B des Choleratoxins auch abgetötete Keime enthielten, ließ sich mit einigem Erfolg eine Schleimhautimmunität erzielen.
Manche Viren und Bakterien können als Vektoren für geklonte Gene benutzt werden Die Idee, Gene für immunogene Proteine in Vektoren wie E. coli oder Hefen zur Expression zu bringen, ist so alt wie die rekombinante DNA-Technologie selbst. Neueren Datums ist jedoch eine Modifikation, die den Vektor selbst samt inserierten Genen zum Impfstoff macht. Nach Injektion des Vektor-Impfstoffs wird durch Proliferation im Patienten eine ausreichend immunisierende Menge an Fremdantigen freigesetzt, ohne dass die Krankheit ausbricht. Als erster Vektor wurde 1982 das Vaccinia-Virus vorgeschlagen. Es hat den Vorteil, sich bereits als hochwirksamer Impfstoff bewährt zu haben und ein relativ großes DNAGenom zu besitzen, in das mehrere Fremdgene inseriert werden können, ohne die Virusstruktur oder -funktion zu beeinträchtigen. Allerdings hat es auch den Nachteil, dass ein Großteil der Weltbevölkerung immun geworden sein dürfte und das VacciniaVirus daher möglicherweise eliminiert wird, bevor sich eine ausreichende Menge der Fremd-Genprodukte bilden kann. Zudem können Kuhpocken selbst in 1/100000 Fällen zu Komplikationen führen (vor allem Enzephalitis). Dennoch ließ sich in einem Pionierversuch an Schimpansen durch einen VacciniaVektor mit dem für das Hepatitis-B-surface-Antigen (HBsAg) kodierenden Gen ein hervorragender Schutz vor provozierten Infektionen erzielen – ähnlich wie gegen Virusgrippe und Herpes-simplex-Virus (HSV-Infektion). Inzwischen wird das Virus in abgewandelter Form – als modifiziertes Vaccinia-Virus Ankara (MVA) – zur Entwicklung neuer Impfstoffe gegen Malaria und Tuberkulose verwendet (Abb. 34.3). Es wurden noch andere Viren als Vektoren in Betracht gezogen, darunter das modifizierte Gelbfiebervirus, Adenoviren, HSV und VZV (Varicella-Zoster-Virus). Erfolgreich inseriert werden konnten Gene des RSV, Epstein-Barr-Virus (EBV), Tollwut, Dengue- und Lassafieber-Virus. Auch Bakterien eignen sich als Vektoren; geeignete Kandidaten sind die bereits erwähnten attenuierten Salmonellen und BCG. Als Erreger von Darminfektionen hat Salmonella typhi den Vorteil, dass sich durch orale Gabe (Impfdosis mit Bikarbonat, um Inaktivierung durch Magensäure zu verhindern) eine Immunität der Darmmukosa induzieren lässt. Avirulente Mutanten von S. typhi könnten sich daher als ImpfstoffVektoren für alle möglichen Darminfektionen anbieten – und gerade auf diesem Gebiet sind die verfügbaren Impfstoffe alles andere als zufriedenstellend. Schließlich wurde noch BCG als Vektor vorgeschlagen, der folgende Vorteile zu bieten hat: ■
ein sehr großes Genom;
1133
■ sehr weite Verbreitung, da fast 90% der Kinder auf der ganzen Welt direkt nach der Geburt mit BCG geimpft werden; ■ besonders verdienstvoll ist die überwiegende Induktion einer zellvermittelten Immunität (gegen BCG und alle anderen Antigene, die mit ihm zusammen verabreicht werden). BCG könnte daher zum idealen Antigenvektor für die große und wichtige Gruppe persistierender intrazellulärer Erreger werden – die neben Mycobacterium tuberculosis und M. leprae noch Brucellen, Leishmanien, Toxoplasma, Histoplasma, Listerien, Rickettsien und Chlamydien, zahlreiche Viren und evtl. auch Leberstadien der Malariaparasiten umfasst. Bei Gabe zu vieler Antigene kann es jedoch zur kompetitiven Verdrängung von Antigenen kommen.
Durch Klonen und Peptidsynthese hergestellte immunogene Peptide könnten als Impfstoffe dienen Diese Technologien gehören inzwischen zum Standard; trotzdem wird noch immer über geeignete Vektoren zur Expression geklonter Gene gestritten. Die erste erfolgreiche Vakzine dieser Art war ein Impfstoff gegen die Maul- und Klauen-Seuche bei Tieren (obwohl in Großbritannien für Notfälle derzeit nur ein inaktivierter VirusAdjuvansimpfstoff zu beziehen ist). Dass ein 20-Aminosäuren-Peptid eines Kapsidproteins Meerschweinchen vor der Infektion schützt, ließ sich zuerst durch geklonte Gene in E. coli und bald darauf auch durch chemische Synthese zeigen.
1134
Abb. 34.3
Vektor-Impfstoff.
Antigene kodierender Gene von einem oder mehreren Erregern können jetzt in ein großes Virus (wie das modifizierte Vaccinia-Virus Ankara) inseriert werden. Nach der Replikation werden sie im Körper des Geimpften freigesetzt. Inzwischen stehen für ein breites Erregerspektrum synthetische Peptide zur Verfügung. Wie das richtige Peptid ausgewählt und so immunogen wie möglich gemacht werden kann, wird derzeit intensiv erforscht. Man versucht z.B. Peptide an größere CarrierMoleküle (wie Tetanustoxoid, s. oben) zu binden, wobei möglichst immer Peptidsequenzen eingeschlossen sein sollten, die T-Zellen eigenständig stimulieren können. Solche T-Zell-Epitope lassen sich in gewissem Umfang aus bekannten Molekülsequenzen ermitteln. Wenn keine verfügbar sind, wird eine andere Strategie verfolgt; man versucht, neue Sequenzen zu bilden, die neben einem oder mehreren TZell-Epitopen auch ein B-Zell-Epitop umfassen (gegen das Antikörper produziert werden sollen). Als weitere Verfeinerung der Technik können mehrere Kopien getrennter T- und BZell-Epitope zu multiplen Antigenpeptiden bzw. sog. „Oktopusmolekülen“ gekoppelt werden – mit einer verzweigten Hülle von Lysinen und bis zu acht angehängten Peptiden. In einer Studie führten Peptide mit jeweils vier B- und T-Zell-Epitopen zu den 1135
besten Ergebnissen. Selbst dann stellte sich oft heraus, dass zur Steigerung der Immunogenität ein Adjuvans benötigt wird. Als schwierig kann es sich bei diesen Ansätzen erweisen, dass ■ Patienten unterschiedlich auf Peptide reagieren und es auch genetische „Nonresponder“ geben kann. Welche Rolle MHC-Antigene (major histocompatibility complex antigens) dabei spielen, wird weiter unten besprochen; ■
lineare B-Zell-Epitope leichter zu replizieren sind als diskontinuierliche.
34.3.1
DNA-Impfstoffe
Die überraschende Entdeckung, dass Labortiere durch intramuskuläre Injektion der Erreger-DNA und eines geeigneten Promoters gegen Infektionen wie Grippe und Malaria immunisiert werden können, fand großes Interesse. Das entsprechende Antigen befindet sich vermutlich auf Muskelzellen bzw. wird dort exprimiert. Um das sicher nachzuweisen und das Risiko von Nebenwirkungen wie Autoimmunität oder Erregerresistenz auszuschließen, ist aber noch viel Forschungsarbeit nötig. DNAImpfstoffe scheinen die zellvermittelte Immunität zu fördern, unter bestimmten Bedingungen jedoch auch die Antikörperproduktion zu unterstützen. Eine Impfstrategie besteht in einer vorbereitenden DNA-Immunisierung und anschließender Auffrischung des Immungedächtnisses mit dem eigentlichen Protein (z.B. mit dem modifizierten Vaccinia-Virus Ankara oder dem Geflügelpockenvirus als Vektor). Bis jetzt sind DNA-Vakzinen noch nicht zum routinemäßigen Gebrauch bei Mensch und Tier zugelassen, doch eine Reihe von Impfstoffen (gegen Grippe-, Zytomegalie-, Herpes simplex-Viren) befinden sich in der Entwicklung. In Tiermodellen ließ sich mit einem DNA-Impfstoff ein sehr eindrucksvoller Schutz in GrippeProvokationstests erzielen.
34.3.2
Impfstoffe gegen Nichtproteinantigene
Es ist viel leichter, ein Fremdantigen oder Epitop in einem Virus- oder Bakterienvektor zur Expression zu bringen, als Vektoren für komplexe Kohlenhydrat- oder Lipidantigene zu finden, die oft erst nach einer Kettenreaktion von Enzymmodifikationen speziesspezifisch werden. Doch es gibt andere Möglichkeiten zur Vorbereitung (Priming) des Immunsystems auf solche Antigene bzw. zum Aufbau einer Immunreaktion. Eine Methode wird als Phagen-Display bezeichnet; hierbei werden Peptid-Epitope danach ausgewählt, ob ihre Form der von einem monoklonalen Antikörper erkannten täuschend ähnlich sieht. Bei einem anderen Ansatz werden antiidiotypische Moleküle verwendet; das funktioniert, weil Antikörper nicht nur Antigene, sondern auch verwandte Strukturen mit entsprechenden Bindungsstellen (Idiotypen, s. Kap. 11) erkennen können. Daher können mit dem ersten Antikörper neue Antikörper erzeugt werden, deren Idiotypen zum Teil dem ursprünglichen Antigen ähnlich sind. Ein Vorteil solcher Surrogat-Antigene besteht darin, dass sie große Proteine sind und sich wie T-Zell-abhängige Antigene verhalten, selbst wenn das ursprüngliche Antigen (z.B. ein Polysaccharid) T-Zell-unabhängig war. Mit dieser Strategie ließ sich bei Mäusen – nach der Impfung gegen Streptokokken-, Hepatitis-B- und Trypanosomen1136
Antigene – erfolgreich eine Produktion sekundärer Antikörper als Reaktion auf Endotoxine erzielen.
34.4
Besondere Überlegungen
Lebend- und Totimpfstoffe haben Vor- und Nachteile Lebend- oder Totimpfstoffe sind kontroverse Themen in der Immunologie, zu denen sich allgemeine, aber auch einige besondere Anmerkungen machen lassen, die in Tab. 34.6 zusammengestellt sind. Die Strittigkeit lässt sich am besten anhand von Krankheiten verdeutlichen, auf deren Genesung normalerweise eine lang anhaltende ausreichende Immunität folgt (z.B. bei den üblichen viralen Kinderkrankheiten). Hierbei sind Impfungen mit attenuierten Lebendvakzinen wahrscheinlich viel wirksamer, weil sie mit der Infektion selbst viele Eigenschaften gemein haben, wie etwa: ■
Virusreplikation
■
lokalisierte Wirkung in bestimmten Körperbereichen (z.B. Darm, Lunge)
■ Induktion zytotoxischer T-Zellen; das könnte damit zusammenhängen, dass sich mikrobielle Peptide nur mit Klasse-I-MHC-Molekülen verbinden, die in den Zellen synthetisiert (statt wie Totimpfstoff-Antigene durch Endozytose aufgenommen) werden. Zumindest theoretisch ist es ein weiterer Vorteil, dass sich attenuierte Stämme auf normalen Übertragungswegen in der Bevölkerung ausbreiten und damit auch Ungeimpfte schützen. Hauptnachteile attenuierter Lebendimpfstoffe sind: ■
die mögliche Reversion in den Wildtyp,
■
das Erkrankungsrisiko bei Patienten mit Immunschwäche.
Viele natürliche Infektionen (z.B. Virusgrippe) hinterlassen keine sichere Immunität bei den Patienten – aus unterschiedlichen Gründen; besonders wichtig dürften hierbei Antigendiversität bzw. -variation, Immunsuppression und Schutzreaktionen der Erreger sein.
1137
Tab. 34.6 Vor- und Nachteile von Lebend- und Totimpfstoffen. In dem Fall lässt sich der Einsatz attenuierter Lebendvakzinen kaum überzeugend vertreten, und es könnte sein, dass Spaltimpfstoffe mit Antigenkomponenten, die eine starke Immunität induzieren und Erreger an der schwächsten Stelle (Polysaccharidkapsel, wichtige Adhäsionsmoleküle) treffen (z.B. in Form einer Antigenmischung), besser funktionieren. Das Problem der Zielgerichtetheit ließe sich dann mit anderen Mitteln lösen (z.B. Aerosol für Lungen-, Retardkapseln für Darminfektionen). Poliomyelitis ist derzeit die einzige Krankheit, bei der Lebend- und Totimpfstoffe annähernd gleich gut geeignet sind (s. Kap. 22).
Viele Polysaccharidantigene scheitern an der Stimulierung von T-Zellen und induzieren nur primäre Immunreaktionen Da die meisten Antigenkomplexe T- und B-Zell-Epitope enthalten, induzieren sie TZellen, die mit B-Zellen zusammenarbeiten. Es kommt zur Bildung von T- und BGedächtniszellen, zum Immunglobulin-Switching (von IgM zu IgG) und zur Affinitätsreifung – alles Merkmale sekundärer Immunreaktionen, die wesentlich für die Impfwirkung sind. T-Zell-unabhängige Polysaccharidantigene scheitern jedoch an der Stimulierung von T-Zellen (egal, wie häufig sie verabreicht werden) und können nur primäre Immunreaktionen hervorrufen. Solche Antigene erweisen sich besonders bei Kindern unter zwei Jahren als unwirksam. Die derzeitige Strategie besteht darin, Polysaccharide mit einem geeigneten Protein zu konjugieren, das möglichst vom selben Erreger stammen sollte (die Ergebnisse werden unten im Zusammenhang mit Pneumokokken- und Meningokokken-Impfstoffen besprochen). Ein anderer Lösungsansatz sieht den Einsatz antiidiotypischer Antikörper als Surrogat-Antigene vor, ist aber noch weitgehend experimentell (s. oben). 1138
Für T-Zell-Reaktionen sind MHC-Klasse-II-Moleküle nötig T-Zellen stimulierende Antigene können bei einzelnen Menschen ganz unterschiedlich wirken. Das gilt besonders für kleine Peptide und lässt sich dadurch erklären, dass die Bindung zwischen einem Peptid, dem MHC-Klasse-II-Molekül (HLA-D, human leukocyte antigen D) einer antigenpräsentierenden Zelle und dem T-Zell-Rezeptor sehr genau sein muss. Da HLA-Antigene aber äußerst vielgestaltig (polymorph) sind, passiert es nicht selten, dass ein HLA-Molekül nicht an ein bestimmtes Peptid binden kann. Wenn kein einziges der vorhandenen MHC-Klasse-II-Moleküle (je zwei HLA-DP, -DQ und -DR) zu einem bestimmten Peptid passt, handelt es sich um Nonresponder, d.h. Menschen, bei denen keine T-Zell-Reaktionen zustande kommen. Eine ähnliche MHC-Restriktion kann auch Peptide betreffen, deren Epitope eine Immunität durch zytotoxische T-Zellen induzieren sollen und die von MHC-Klasse-I-Molekülen präsentiert werden. Es ist nicht bekannt, wie sehr MHC-Restriktionen dazu beitragen, dass ein bestimmter Prozentsatz in der Bevölkerung auf (fast) keine einzige Standardimpfung anspricht. Vielleicht wurde das Problem auch überbewertet, obwohl nur kleine Peptide betroffen waren. Man hat z.B. ein 21-Aminosäuren-Peptid von Malariaparasiten entdeckt, dessen Sequenzen mit 11–14 Aminosäuren nur wenige (DR-Typ-)T-Zellen stimulierten, während eine 15-Aminosäuren-Sequenz alle untersuchten DR-Typen stimulieren konnte. Peptide, die an unterschiedliche DR-Typen binden, werden als promisk bezeichnet. Das impliziert, dass durch Hinzufügen oder Modifizieren einiger Aminosäuren die Bandbreite der MHC-Reaktionsfähigkeit eines Peptids vergrößert werden könnte.
1139
Pathologische Impffolgen können durch Impfstoffe oder Immunantworten bedingt sein Zu pathologischen Impfreaktionen kommt es: ■ wenn attenuierte Impfstoffe mit anderen Viren kontaminiert sind, die in denselben Zelllinien wachsen (besonders bei den häufig verwendeten Affenzellen, da Affenviren für Menschen tödlich sein können); ■ aufgrund einer Überempfindlichkeit gegen Hühnereiweiß, da Viren für Lebendimpfstoffe oft in Hühnerembryozellen gezüchtet wurden. Wenn bei Kindern eine Hühnereiweißüberempfindlichkeit bekannt ist, sollte der verdünnte Impfstoff zunächst auf der Haut getestet werden. Je nach Befund sollte die Immunisierung dann stufenweise und niedriger dosiert als normal durchgeführt oder auf die Impfung verzichtet werden, weil mit einer anaphylaktischen Reaktion zu rechnen ist. Komplizierter ist die Lage, wenn der Impfstoff selbst eine pathologische Hypersensitivitäts- oder Autoimmunreaktion hervorruft. Hypersensitivitätsreaktionen gaben bei den älteren Maserntotimpfstoffen den Anstoß, als Ersatz eine attenuierte Lebendvakzine zu entwickeln. Anscheinend konnte der Totimpfstoff zwar nichtneutralisierende Hämagglutinin-Antikörper, aber keine Antikörper gegen das Fusions(F)-Protein induzieren, das bei der Inaktivierung zerstört wurde. Das F-Protein sorgt dafür, dass sich Viren von einer Zelle zur anderen ausbreiten. Infolgedessen bildeten sich bei einer Maserninfektion große Virusmengen und hohe Titer nicht-neutralisierender Antikörper. Die Immun-(Antigen-Antikörper-)Komplexe, die bei Maserninfektionen entstanden, verursachten eine schwere Typ-IIIHypersensitivität, durch die sich das Krankheitsbild der Patienten noch verschlimmerte. Eine ähnliche Reaktion war beim RSV(respiratory syncytial virus)Totimpfstoff zu beobachten. Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl nach einer Typhus-Impfung (mit abgetöteten Keimen) beruhen auf der Endotoxinwirkung und sind durch Zytokine wie Interleukin 1 (IL-1) und Tumornekrosefaktor α (TNFα) vermittelt. Bei Autoimmunreaktionen im Rahmen von Infektionen lässt sich die Spur manchmal auf eine Ähnlichkeit (Mimikry) zwischen Patienten- und Erregerantigenen zurückverfolgen. Dasselbe ist theoretisch bei Impfantigenen möglich. Auch wenn dies mit den derzeit gebräuchlichen Impfstoffen noch nicht beobachtet wurde, ist denkbar, dass es zur Kreuzreaktion mit Patientenmolekülen kommen könnte, wenn starke T-ZellEpitope an schwache Antigene (wie Polysaccharide) gekoppelt sind. Sofern ein möglicherweise kreuzreagierender Bestandteil entdeckt wird, sollte er vor Anwendung des Impfstoffs entfernt werden (ein solcher Fall wäre z.B. die ChagasKrankheit). Am häufigsten dürfte über Impfkomplikationen wie Anfälle und Hirnschäden berichtet worden sein, besonders nach Keuchhustenimpfung (s. Kap. 19). Ob wirklich der Pertussis-Impfstoff dafür verantwortlich ist, wird weiter unten erörtert. In Tab. 34.7 sind Hauptkomplikationen der anderen Impfstoffe aufgelistet.
1140
Lebendimpfstoffe dürfen nicht bei Patienten mit Immunschwäche angewandt werden
Tab. 34.7 Auch wenn Komplikationen der neueren Impfstoffe selten geworden sind, sollte der Arzt immer daran denken. RSV = respiratory syncytial virus Eine absolute Kontraindikation bei immungeschwächten Patienten ist die BCGImpfung bei Patienten mit schwerer T-Zell-Defizienz. Tatsächlich waren es Ausbreitung und tödliche Infektionen durch das Vaccinia-Virus, die den New Yorker Kinderarzt Di George auf das Thymusaplasie-Syndrom aufmerksam machten, das heute seinen Namen trägt. Auch eine Masern-Mumps-Röteln(MMR)-Impfung ist im Allgemeinen nicht zu empfehlen, wenn Kinder an einem T-Zell-Mangel anderer Ursache leiden (z.B. nach Glukokortikosteroid- oder immunsuppressiver Therapie). Lebendimpfstoffe (gegen Masern oder Gelbfieber, Polio-Schluckimpfung, BCG) sollten außerdem nicht an Patienten verabreicht werden, deren Immunabwehr durch Krebs, Diabetes mellitus oder Immunsuppressiva geschwächt ist. Da sich bei Patienten mit Hypogammaglobulinämie nach einer Polio-Schluckimpfung keine Antikörper bilden, können sie sich durch die Lebendvakzine dauerhaft infizieren. Seitdem sich die HIV-Epidemie weltweit ausbreitet, ist eine Impfung noch schwieriger geworden, vor allem weil sich HIV-infizierte Kinder ohne geeignetes Screening nicht identifizieren lassen. Nach den derzeitigen Empfehlungen (Stand 2002) sollten Kinder mit asymptomatischer HIV-Infektion die normalen Impfungen wie alle Kinder erhalten. Bestimmte Impfungen (gegen Masern, Poliomyelitis) können trotz symptomatischer Infektion verabreicht werden, da die Gefahr von Impfkomplikationen geringer ist als das Risiko, an einer unbehandelten Infektion zu sterben. Nicht zu empfehlen sind Gelbfieber- und BCG-Impfungen. Totimpfstoffe stellen kein so großes Problem bei Immunschwäche dar. Sie sind womöglich unwirksam, aber für den Empfänger zumindest nicht gefährlich. Außer bei schwerer B-Zell-Defizienz sind alle Impfungen empfehlenswert, die Antikörper induzieren (z.B. mit Kapselpolysacchariden, bei Hepatitis B); allerdings kann auch eine passive Immunisierung erwogen werden (s. Kap. 35).
1141
Da Patienten mit eingeschränkter Milzfunktion besonders anfällig für bestimmte Infektionen sind, sollten sie zusätzlich geschützt werden (durch Impfungen gegen Haemophilis influenzae Typ B, Meningokokken, Pneumokokken und Grippe).
34.4.1
Adjuvanzien
Viele Zusätze zu Impfstoffen (Adjuvanzien) verstärken die Immunreaktion Seit 1920 ist bekannt, dass bestimmte Substanzen, wenn sie gleichzeitig mit dem Antigen verabreicht werden, die Immunreaktion verstärken können. So stellte sich z.B. heraus, dass die Antikörperreaktion deutlich stärker ausfiel, wenn ein Antigen mit inkomplettem Freund-Adjuvans (einer Wasser-in-Öl-Emulsion) zugeführt wird (Abb. 34.4). Die ersten – sicheren, gut verträglichen und wirksamen – Zusatzstoffe waren Aluminiumsalze, mit denen sich Antigene im Gewebe ablagern. Aluminiumhaltige Zusätze werden derzeit für DPT-, Hepatitis B- und vereinzelt auch für Hib-Impfstoffe bzw. für Impfstoffe gegen Lyme-Krankheit, Milzbrand und Tollwut verwendet. Obwohl sie sicher zu sein scheinen, werden noch andere Substanzen auf ihre klinische Anwendbarkeit als Adjuvanzien getestet. Der Begriff „Adjuvans“ wird in leicht abgewandelter Bedeutung manchmal auch auf Substanzen angewandt, die bei alleiniger Gabe eine gewisse Immunfunktion erfüllen (z.B. das Tumorwachstum hemmen oder den Genesungsprozess beschleunigen) können. Auf diese unspezifischen Immunstimulanzien wird in Kap. 35 näher eingegangen.
1142
Abb. 34.4 Adjuvanzien beeinflussen die Antikörperreaktion von Mäusen auf Hühnereiweiß (Albumin).
Das Albumin wurde den Mäusen nacheinander in Kochsalzlösung (blaue Symbole) und in inkomplettem Freund-Adjuvans (rote Symbole) injiziert. Dargestellt sind hier die Antikörpertiter in mehreren Zeitintervallen [nach Hunter in Vaccine 2002; 20:S7–S12]. In langjähriger Forschungsarbeit und Tierversuchen hat sich die Eignung unterschiedlicher Materialien als Impfzusatz herausgestellt; sie sollen hier kurz beschrieben werden, weil anzunehmen ist, dass aus ihnen die in Zukunft klinisch anwendbaren Adjuvanzien hervorgehen werden (Tab. 34.8).
In Alaun präzipitierte Antigene können besonders wirksame Antikörperreaktionen, aber sehr viel schlechter eine zelluläre Immunität induzieren Weshalb gerade Aluminiumsalze besonders wirksame Adjuvanzien sind, ist noch nicht ganz geklärt. Sicher beruht die Wirkung zum Teil auf kleinen entzündlichen Läsionen, aus denen sich Granulome entwickeln und das Antigen einfangen können, so dass es langsamer freigesetzt wird und auf eine große Zahl von Makrophagen und antigenpräsentierenden Zellen trifft. Ursprünglich wurden z.B. Toxoid-Antigene erst während der chemischen Zubereitung hinzugefügt, um sie in Ausflockungen der Salze zu binden. Diese Antigene werden als alaunpräzipitiert bezeichnet. Inzwischen ist es jedoch üblich geworden, das Antigen erst zum fertigen Aluminiumhydroxid- oder -phosphat-Gel zu geben.
1143
Als Adjuvanzien dienen auch Präparate aus kleinen sphärischen Strukturen (Kügelchen), die das Antigen auf der Oberfläche präsentieren Durch einen ähnlichen Depot-Effekt dürfte auch die Adjuvanswirkung neuerer Zubereitungen zu erklären sein. Dazu zählen z.B. ■
Liposomen (Phospholipidbläschen mit ein- oder mehrschichtiger Wand);
■ ISCOM (immunstimulierende Komplexe) oder Mizellen aus einem Saponinderivat (QUIL A), das amphipathische Proteine einfängt; ■
nichtionische Kopolymer-Blöcke aus Polyoxyethylen und Polyoxypropylen.
Tab. 34.8 Impfzusätze (Adjuvanzien). * routinemäßige Anwendung bei Menschen ** experimentell *** zu toxisch für Menschen BCG = Bacillus Calmette-Guérin, IFN = Interferon, IL = Interleukin, ISCOM = immunstimulierende Komplexe, MDP = Muramyldipeptid, RIBI = in TrehaloseDimycolat der Mykobakterienzellwand emulsifiziertes Lipid-A-Derivat Je nach Zusammensetzung und verwendetem Antigen sind alle hoch wirksam und zum Teil schon in der Veterinärmedizin im Einsatz. Es ist noch zu früh für eine verbindliche Aussage, ob und welches Adjuvans zukünftig zum klinischen Standard gehören wird. Das entscheidet sich erst nach weiteren Sicherheitsprüfungen und aufgrund des immunologischen Nutzens.
Mykobakterien und andere Bakterien können ebenfalls wirksame Adjuvanzien sein 1144
Es ist bemerkenswert, wie gut sich Mykobakterien als Adjuvanzien eignen. Freund verwendete sie in einer Wasser-in-Öl-Emulsion für sein berühmtes „komplettes Freund-Adjuvans“ (CFA). CFA eignet sich besonders zur Auffrischung der zellvermittelten Immunität – wie bei der Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ (DTH) auf Antigene, die normalerweise nur schwache Reaktionen induzieren. Leider haben mehrere Zwischenfälle (versehentliche Injektion) gezeigt, dass CFA zu toxisch für den menschlichen Gebrauch ist, weil es chronische, nicht heilende Granulome verursacht. Das inkomplette Freund-Adjuvans (IFA), eine Wasser-in-Öl-Emulsion ohne Mykobakterien, scheint keine Nebenwirkungen zu haben und bei Menschen anwendbar zu sein, allerdings hat es auch nicht annähernd eine ähnlich starke immunogene Wirkung auf zellvermittelte Immunreaktionen wie CFA. Nach intensiver Erforschung der Rolle, die Mykobakterien im CFA spielen, stellte sich heraus, dass die kleinen wasserlöslichen Muramyldipeptid(MDP)-Moleküle ähnliche Vorzüge wie Mykobakterien aufweisen, ohne so toxisch zu sein. Auch zahlreiche andere Bakterienderivate werden auf ihre Eignung als Adjuvanzien untersucht. Wie bereits erwähnt, scheinen abgetötete Pertussis-Erreger in der DPTTripelvakzine als Adjuvans für die Diphtherie- und Tetanustoxoide zu fungieren.
Die neueste Entwicklung auf dem Gebiet ist der Einsatz von Zytokinen als Adjuvanzien Es wurde immer schon vermutet, dass die Wirkung von Adjuvanzien wie CFA und MDP zum Teil über Zytokine zustande kommt, die wichtig für die Auslösung von Entzündungsreaktionen sind. Als gereinigte, rekombinante Zytokine verfügbar waren, bestätigte sich, dass sie tatsächlich wirksame Adjuvanzien sein können, wenn man sie zu Impfstoffen hinzufügt. In einer Reihe experimenteller Untersuchungen stellten sich IL-2, IL-12, IFNγ und GM-CSF (Granulozyten-Makrophagenkoloniestimulierender Faktor) als wirksam heraus. Wie neuere Daten belegen, können IL-15 und IL-18 die Reaktion auf DNA-Impfstoffe verstärken. IL-1 und IFNγ erwiesen sich als besonders nützlich, wenn Patienten nur schwach auf eine Impfung ansprechen (z.B. Hämodialyse-Patienten auf eine Hepatitis B-Impfung).
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Als natürliche Adjuvanzien wurden dendritische Zellen ins Gespräch gebracht Wenn ein Peptidantigen von antigenpräsentierenden dendritischen Zellen aufgenommen wird, kann es eine viel bessere Immunantwort hervorrufen, als wenn es mit einem unspezifischen Adjuvans (z.B. dem inkompletten Freund-Adjuvans) dargeboten würde. Ein anderer Vorteil von Impfzusätzen wie dendritischen Zellen ist die Induktion einer MHC-Klasse-I-restriktiven, durch CD8-positive T-Zellen vermittelten Immunität (sog. cross-priming). Dieser Ansatz klappt in Tiermodellen recht gut, ist aber im alltäglichen Gebrauch bei Menschen kaum anwendbar. Von Nutzen kann er jedoch bei Krebspatienten sein.
34.4.2
Wann impfen?
Das Impfalter hängt von der am stärksten gefährdeten Altersgruppe ab Die meisten Impfungen sollen Kleinkinder vor Krankheiten schützen (Tab. 34.9) und werden daher so früh wie möglich durchgeführt. Man sollte allerdings im Kopf behalten, dass ■ die vorhandenen mütterlichen Antikörper die Impfwirkung manchmal abschwächen, so dass die Impfung bis zum dritten Lebensmonat oder später verschoben werden sollte; ■ attenuierte Lebendimpfstoffe (einschließlich Vaccinia, als es noch angewandt wurde) bei Immunschwäche zu schweren Krankheitsbildern führen können, wenn der Zustand nicht unmittelbar nach der Geburt diagnostiziert wurde; ■ die Impfung später erfolgen muss, wenn überwiegend Ältere gefährdet sind (z.B. durch Pneumokokken-Pneumonie). Nähere Einzelheiten werden bei den einzelnen Impfungen angeführt.
Können sich Impfungen auf die Entwicklung des Immunsystems von Neugeborenen auswirken? Einige Impfungen sind so sicher, dass sie Neugeborenen innerhalb weniger Tage nach der Geburt verabreicht werden können. Dazu zählen Polio-Schluckimpfung und Hepatitis A- und -B-Impfung. Einige Sorge bereitet jedoch, dass die mit den Impfstoffen eingeführten Antigene tief greifende Auswirkungen auf das Immunsystem haben könnten, die weiter gehen, als eine spezifische Immunität zu induzieren.
Tab. 34.9 Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Empfohlenes Impfalter und Mindestabstände zwischen den Impfungen
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Neuere Arbeiten aus Westafrika deuten an, dass die Masernimpfung die Morbidität (aller anderen Krankheitsursachen) bei Kleinkindern zu verringern scheint – auch wenn weitere Untersuchungen nötig sind, um nachzuweisen, inwieweit sich das verallgemeinern lässt bzw. um den ursächlichen Zusammenhang zu klären. Erwähnenswert ist auch, dass trotz der Vielzahl von Impfungen (11 oder mehr), die Kinder heute erhalten können, die Gesamtzahl der Antigene vermutlich niedriger liegt als im früheren Pockenimpfstoff.
34.5
Impfschutz auf Bevölkerungsebene
Betrachten wir nun die epidemiologischen Auswirkungen von Impfungen allgemein, bevor wir einzelne Impfstoffe im Anschluss ausführlicher darstellen.
Zur Eradikation von Infektionskrankheiten ist eine unterschiedliche Durchimpfung der Bevölkerung erforderlich Unter ansonsten gleichen Bedingungen lässt sich eine Infektion durch Massenimpfung umso schwerer ausrotten, je größer die Reproduktionsrate R0 ist (d.h., je mehr
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Menschen sich bei einem einzelnen Infizierten anstecken werden, s. Kap. 31). Eine Infektion, die durch zufällige Kontakte zwischen Infizierten und anfälligen Individuen übertragbar ist (wie die viralen Kinderkrankheiten), wird verschwinden, sobald der Prozentsatz der erfolgreich Geimpften (p) einen kritischen Wert (pc) übersteigt, ab dem zu wenige anfällige Individuen übrig bleiben, um die Übertragung weiter zu gewährleisten. Da dieser Wert mit R0 in Beziehung steht (pc = 100–[100/R0]), gilt: je größer R0, desto größer muss die Durchimpfung der Bevölkerung (pc) sein, um die Infektion auszurotten. In Tab. 34.10 sind die pc-Werte für verschiedene virale und bakterielle Kinderkrankheiten angeführt, die sich durch Impfungen verhüten lassen. Die weltweite Ausrottung der Masern (mit R0 = 15–17 und pc = 92–95%) dürfte eine weitaus schwierigere Aufgabe sein als die erfolgreiche globale Eradikation der Pocken (R0 = 2–4). In den USA – wo vor dem Eintritt in die Grundschule zwingend die MMRImpfung (gegen Masern-Mumps-Röteln) vorgeschrieben ist – lag das Durchschnittsalter der Rötelninfektion bei neun Jahren (vor der Immunisierung), verglichen mit rund fünf Jahren bei Masern. Der R0-Wert von Röteln ist nur etwa halb so groß wie der von Masern, so dass die Röteln mit dem US-Impfprogramm ausgerottet werden konnten. Dagegen nimmt die Masern-Inzidenz nur langsam ab, und in Städten mit geringer Impfakzeptanz gibt es immer wieder lokale Ausbrüche.
Zur Eradikation von Infektionskrankheiten muss das Impfalter niedriger sein als das durchschnittliche Alter bei Infektion Die meisten Lebendimpfstoffe (z.B. MMR-Vakzine) sind weniger wirksam, solange noch hohe mütterliche Antikörpertiter vorliegen. Diese fallen aber im Alter von sechs Monaten bis einem Jahr unter die Nachweisgrenze (Abb. 34.5). In der anschließenden Zunahme der seropositiven Kinder in einer ungeimpften Gruppe spiegelt sich die durch spontane Infektion erworbene Immunität wider. In der Talsohle der Seropositivität im Alter von ca. einem Jahr ist es offenbar am günstigsten zu impfen. Die kürzlich entwickelten hochwirksamen bzw. hochpotenten Impfstoffe gegen Masern und Mumps ermöglichen auch eine Immunisierung bereits im jüngeren Alter, wenn noch mütterliche Antikörper vorhanden sind. Das ist besonders wichtig, wenn in Gebieten mit hohen Übertragungsraten (in Entwicklungsländern) das Zeitfenster zwischen Anfälligkeit und Impfalter sehr schmal ist. Werden Kinder nicht bald nach der Geburt geimpft oder sind bereits breitere Altersgruppen immunisiert, muss man bei der Einschätzung der kritischen Fraktion – die zur endgültigen Beseitigung einer Infektion noch geimpft werden müsste – das durchschnittliche Impfalter berücksichtigen. Um die Eradikation einer Infektion zu erreichen, muss die Impfung vor dem durchschnittlichen Infektionsalter erfolgen; Kohortenimpfungen konzentrieren sich daher auf Kleinkinder (unter Berücksichtigung der Impfwirkung bei Säuglingen, die noch mütterliche Antikörper aufweisen).
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Tab. 34.10 Zur Verhütung von viralen und bakteriellen Kinderkrankheiten erforderliche Durchimpfung der Bevölkerung (Schätzwerte). *
in höher entwickelten Ländern
Abb. 34.5 Schutzimpfungen gegen typische (virale und bakterielle) Kinderkrankheiten wirken sich auf die Altersverteilung der Infektionsanfälligkeit in einer Bevölkerung aus.
In dem tiefen Tal der Anfälligkeit (S1) junger Altersgruppen können vor Beginn der Immunisierung Infektionen auftreten. Da sich die Übertragbarkeit durch Impfungen verringert, verschiebt sich das Alter (S2), in dem anfällige Menschen eine spontane Infektion durchmachen, nach oben.
Bestimmte Infektionen lassen sich durch zweistufige Impfungen ausrotten Dass in einigen Großstädten von Entwicklungsländern Kinder bereits mit durchschnittlich 1–2 Jahren an Masern erkranken, macht es schwierig, solche Infektionen vollständig auszurotten (Abb. 34.5). Um die Übertragung zu stoppen, müssten über 97% der Säuglinge schon vor ihrem ersten Geburtstag erfolgreich immunisiert werden. Das ist praktisch unmöglich. Als Alternative bietet sich ein
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zweistufiges Vorgehen an, bei dem z.B. zuerst etwa einjährige und danach Kleinkinder von 2–3 Jahren geimpft werden: ■ Mit der ersten Stufe lässt sich die Übertragbarkeit einschränken (aber nicht verhindern) und so das Fenster der Infektionsanfälligkeit bzw. für die Impfung verbreitern. ■ Mit der zweiten Stufe wird versucht, eine möglichst hohe Herdimmunität zu erreichen, um die Übertragungskette abreißen zu lassen.
Zur Ausrottung einer Infektion ist keine 100%ige Durchimpfung erforderlich Impfungen wirken sich direkt und indirekt aus. Ihre direkte Wirkung besteht im Schutz aller erfolgreich Immunisierten und der rückläufigen Inzidenz neuer Fälle; die Infektion wird daher von immer weniger Infizierten auf noch anfällige Personen übertragen. Letztere profitieren also indirekt von den Geimpften. Solange ein ausreichend hoher Bevölkerungsanteil geimpft ist (selbst wenn es nicht 100% sind), wird die Zahl der Anfälligen sinken – letztlich unter den zur Aufrechterhaltung einer Infektion erforderlichen Wert von R > 1. Wenn das zur Unterbindung der weiteren Übertragung erforderliche Niveau mit einer Massen-/Schutzimpfung nicht erreicht wird, verringert sich zwar die Infektionshäufigkeit, doch das hat überraschenderweise keine Auswirkung auf die Gesamtzahl der anfälligen Personen (Abb. 34.5). Da bei einem Immunisierungsgrad unterhalb des Schwellenwerts eine endemische Infektion bestehen bleibt, hängt der Anteil anfälliger Personen nur von der Erreger-Reproduktionsrate R0 ab, nicht aber davon, ob die anderen durch Impfung oder spontane Infektion immun geworden sind.
1150
Indirekte Auswirkung von Massen-/Schutzimpfungen Selbst wenn die Durchimpfung unterhalb des zur Eradikation nötigen Grenzwerts liegt, werden sich Ungeimpfte wahrscheinlich seltener anstecken. Infolgedessen tritt eine Infektion erst in einem höheren Durchschnittsalter auf als vor der Impfung (Abb. 34.5). Da Infektionen mit zunehmendem Alter mit einem höheren Krankheitsrisiko verbunden sein können, führt ein Impfprogramm, mit dem es nicht gelingt, die Übertragung zu verhindern (weil der Anteil der Geimpften unter dem pc-Wert bleibt), möglicherweise zu einem völlig entstellten Bild der Komplikationen. Ob es dazu kommt, hängt genau davon ab, wie sehr sich mit dem Alter das Risiko einer ernsten Krankheit im Fall einer Infektion verändert (Abb. 34.6). Unabhängig vom erreichten Grad der Durchimpfung reduziert sich die Häufigkeit der Masernenzephalitis, während in Bevölkerungsgruppen mit niedrigen Impfraten die Gesamtinzidenz einer schweren Röteln- oder Mumpserkrankung im späteren Alter zunimmt.
Durch Schutzimpfung kann das Risiko ernster Rötelnerkrankungen zunehmen Wenn sich Mütter im ersten Schwangerschaftsdrittel mit Röteln infizieren, können ihre Kinder geschädigt werden. Das Risiko einer Rötelnembryopathie ist daher proportional zum altersspezifischen Fertilitätsprofil der Frauen eines Landes (Abb. 34.6a). Angenommen, 50% aller Zweijährigen würden geimpft, ließe sich zwar die Gesamtzahl der Rötelnfälle verringern, doch das durchschnittliche Infektionsalter würde angehoben und sich bei Frauen in die Jahre ihrer Gebärfähigkeit verschieben.
1151
Abb. 34.6 Altersabhängiges Komplikationsrisiko bei Infektionen.
Einfluss des Alters auf a) das kongenitale Rötelnsyndrom, b) Komplikationen bei Mumps, c) das Risiko einer Masernenzephalitis.
1152
Könnte (durch Impfpflicht wie in den USA oder ein gut koordiniertes Anreiz- und Überwachungssystem für Impfungen wie in Großbritannien) eine sehr hohe Durchimpfung der Bevölkerung erreicht werden, ließen sich Röteln durch sukzessive Impfung der Ein- bis Zweijährigen-Kohorten ausrotten. Wird aufgrund der Freiwilligkeit nur eine Impfakzeptanz von 60–70% erreicht (wie in Großbritannien vor der Impfkampagne), sollten vor allem Mädchen im jüngeren Teenageralter (d.h. vor Beginn des potenziellen Schwangerschaftsalters) gegen Röteln geimpft werden, damit sich die Infektion in jüngeren Jahren ausbreiten und Immunität verleihen kann. Doch ab welchem Grad der Durchimpfung sollte die Impfstrategie geändert werden? Nach epidemiologischen Berechnungen erscheint ein Wechsel zur KohortenSchutzimpfung (MMR-Impfung für 1- bis 2-Jährige) nur unter der Voraussetzung sinnvoll, dass über 70% der Jungen und Mädchen bis zum 2. Lebensjahr geimpft werden können. Ergänzend zur gezielten Rötelnimpfung weiblicher Teenager hätte die MMRImpfung ein- bis zweijähriger Kinder aber nur geringe Auswirkungen auf die Erkrankung, wenn die Durchimpfung der 12- bis 13-jährigen Mädchen ausreichend wäre (80–90%). Sobald ein sehr hoher Anteil (über 90%) der Ein- bis Zweijährigen mit MMR-Vakzine geimpft wurde, wird nach zehn Jahren oder noch später ein gewisser Nutzen erkennbar sein.
34.6
Einflussfaktoren auf den Impferfolg
Der Erfolg von Impfungen wird durch die Bevölkerungsdichte beeinflusst Wie Impfprogramme – vor allem in den Entwicklungsländern – zu gestalten sind, hängt von Unterschieden in der Bevölkerungsdichte ab. In kleinen Dörfern ländlicher Gebiete ist die Bevölkerungsdichte (und damit verbunden die Nettogeburtenrate) oft zu niedrig, um eine endemische Infektion wie Masern oder Keuchhusten aufrechtzuerhalten (s. Kap. 13). Trotzdem sind Bewohner dieser Gebiete durch die Nähe zu Großstädten gefährdet. Als Lösung würde es sich anbieten, den Impfschutz an die Gruppengröße anzupassen, wobei er in größeren Ballungsgebieten höher sein sollte. Unter bestimmten Umständen lässt sich allein schon durch einen hohen Durchimpfungsgrad in urbanen Zentren die Übertragung von Infektionen verhindern, da sie ein Infektionsreservoir für dünner besiedelte ländliche Regionen darstellen können.
1153
Im Mittelpunkt nationaler Impfprogramme sollte besonders in armen Ländern ein hoher Impfschutz bei Säuglingen und Kleinkindern stehen Die Impfprogramme in entwickelten Ländern werden durch regional unterschiedliche Akzeptanz von Impfungen beeinflusst. In den USA entstehen durch die mangelnde Impfbereitschaft von benachteiligten Minderheiten in Großstädten oft Nester mit erhöhter Anfälligkeit, die ein völliges Verschwinden von Infektionen wie Masern oder Keuchhusten verhindern. Um Schwachstellen in den jeweiligen Impfprogrammen aufzudecken, können serologische Untersuchungen (in ländlichen und städtischen Gebieten) sehr aufschlussreich sein.
Wie viele anfällige Personen sich mit den üblichen (durch Impfung vermeidbaren) Kinderkrankheiten infizieren, hängt vom Alter ab Bei vielen der Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Röteln, die durch Impfung zu verhindern wären, schwankt die Pro-Kopf-Ansteckungsrate altersabhängig. Bei Röteln (Abb. 34.7) erhöht sich der Anteil (von 80 Infizierten/1000 Anfälligen/Jahr im Alter von 0–4 Jahren) bei den 5- bis 14-Jährigen und sinkt bei Erwachsenen wieder auf ein niedrigeres Niveau ab. Darin spiegeln sich soziale Verhaltensmuster, denn die höheren Ansteckungsraten bei den 5- bis 14-Jährigen sind Ausdruck ihres regelmäßigen und engen Kontakts in der Schule. Solche altersabhängigen Schwankungen können dazu führen, dass eine Kohortenimpfung schon ab einem niedrigeren Level durchgeführt werden muss, um eine Übertragung zu beenden oder zu verhindern. Das liegt an dem gestiegenen durchschnittlichen Infektionsalter durch Immunisierungen (s. oben). Ohne jemals geimpft zu werden und sich zu infizieren, wechseln Anfällige allein durch ihr Älterwerden aus der Gruppe mit hoher Infektionsrate (Kinder, Jugendliche) in eine Gruppe mit niedriger Infektionsrate (Erwachsene) über.
Das Infektionsrisiko muss schwerwiegender als mögliche Impfkomplikationen sein Bei den meisten Impfungen besteht ein geringes Risiko schwerer Komplikationen. Um Nutzen und Risiken eines Impfprogramms richtig beurteilen zu können, sollte die Anzahl schwerer Erkrankungsfälle (die sich durch Schutzimpfung verhindern ließen) immer mit der Anzahl der durch Impfung verursachten Fälle verglichen werden. Solche Berechnungen sind nicht ganz einfach, weil sich mehrere Faktoren wechselseitig beeinflussen, z.B.:
Abb. 34.7 Altersbezogene Veränderungen der Infektionsrate, hier am Beispiel der Röteln.
1154
■
Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs
■
Anteil geimpfter Kinder an den jeweiligen Kohorten
■
durchschnittliches Impfalter
■
indirekte Wirkung der Schutzimpfung auf die Übertragungsrate
Mit zunehmendem Impfschutz in einer Bevölkerung verändern sich in typischer Weise die Infektions- und Impfrisiken. Bei verbreiteten Infektionen und geringen Impfraten sind die Infektionsrisiken stets größer (oft um ein Vielfaches) als die Impfrisiken. Wenn Infektionen infolge der Impfung seltener geworden sind, kann das Gegenteil zutreffen. Schließlich wird nach der Ausrottung einer Infektionskrankheit das Impfrisiko immer höher liegen.
Neuere immunogene Impfstoffe schützen besser, sind möglicherweise aber weniger sicher Hinsichtlich möglicher Impfkomplikationen geben die neu entwickelten hochwirksamen Virus-Lebendimpfstoffe Anlass zur Sorge. Mit ihnen können Kinder bereits im Alter von sechs Monaten (wenn noch mütterliche Antikörper vorhanden sind) geimpft und die überwiegende Mehrheit auch geschützt werden. Trotz des besseren Schutzes können diese Impfstoffe aufgrund ihrer immunogenen Wirkung zu einer stärkeren Immunreaktivität (bzw. geringeren Sicherheit) führen und so den Interessenskonflikt zwischen Individuen und Gemeinwesen verschärfen.
1155
Sind Umstände denkbar, unter denen ein hochwirksamer Impfstoff verwendet werden sollte, obwohl vermehrt Krankheiten/Impfkomplikationen auftreten könnten? Im Fall von Mumps wird z.B. für den hochpotenten Impfstoff „Urabe Am 9“ eine Wirksamkeit von 98% und für den niederpotenten Impfstoff „Jeryl Lynn“ eine Wirksamkeit von etwa 94% angenommen, wobei die Komplikationsraten von Urabe höher zu liegen scheinen. Wenn der Impfschutz in der Bevölkerung ausreicht, um die Übertragung zu verhindern, bietet sich der niederpotente Impfstoff als vernünftige Option an. Falls aber keine hohe Durchimpfung erreichbar ist, lässt sich die Gesamtinzidenz schwerer Krankheitsfälle (durch Infektion und Impfung) in größerem Umfang durch den hochpotenten Impfstoff verringern.
Epidemiologische Kenntnisse helfen Impfprogramme zu entwerfen Mit der Entwicklung eines sicheren, wirksamen und billigen Impfstoffs oder Medikaments ist nur der erste Schritt, wenn auch ein entscheidender, in Richtung der Infektionsbekämpfung in der Bevölkerung getan. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Beziehung zwischen Wirtspopulation und Infektionserreger nicht linear ist. Wenn sich z.B. die Bevölkerungsdichte verdoppelt, kann die Prävalenz direkt übertragbarer Virus- und bakterieller Infektionen um mehr als das Doppelte ansteigen. Aus dem Teil-Impfschutz zu Beginn eines Impfprogramms können sich komplexe Veränderungen der Infektionshäufigkeit ergeben. Oft lässt sich wegen der vielen Variablen (die die Übertragung beeinflussen) die voraussichtliche Wirkung eines Impfprogramms gar nicht einschätzen. Daher kann die epidemiologische Analyse der Wirt-Erreger-Interaktionen auf bevölkerungsbiologischer Ebene entscheidend für die Entwicklung von Impfungen sein. Ausschlaggebend ist vor allem, wie Einflussfaktoren auf die Übertragbarkeit von Erreger (gemessen als basale Reproduktionsrate R0) bewertet werden.
Infektionsbekämpfung mit anderen Mitteln Auf der Suche nach neuen Impfstoffen dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass einige Infektionskrankheiten ebenso gut mit anderen Mitteln bekämpft werden können. In den entwickelten Ländern sind Malaria und Cholera eher infolge von Public-Health(Hygiene-)Maßnahmen als durch Impfung oder Antibiotikatherapie verschwunden bzw. die Zahl der Tuberkulosefälle zurückgegangen. Man könnte daraus schließen, dass sich auch tropische Krankheiten wie Schistosomiasis oder Chagas-Krankheit eindämmen ließen, wenn der Kontakt zu Wasserschnecken oder Insekten eingeschränkt würde. In der Praxis lässt sich eine Vektorkontrolle allerdings nicht so leicht durchführen – und im Unterschied zu Impfungen bzw. ähnlich wie eine medikamentöse Behandlung müsste sie mehr oder weniger ständig erfolgen. Bei bestimmten Krankheiten ist die Ansteckungsgefahr so gering, dass sich der Aufwand für die Entwicklung und Produktion eines erfolgreichen Impfstoffs nicht lohnen würde bzw. die Kosten nie gerechtfertigt wären. In dem Fall stellt die passive Immunisierung nach Exposition die bessere Alternative dar.
34.7
Derzeitige Impfpraxis 1156
34.7.1
Allgemein gebräuchliche Impfstoffe
Diphtherietoxoid wird fast überall mit Tetanustoxoid und Aluminiumhydroxid verabreicht, meist auch zusammen mit Pertussisvakzine Obwohl die Antigenität des Diphtherietoxins teilweise verloren geht, wenn es durch Formaldehyd-Inaktivierung in ein Toxoid überführt wird, bleibt es ein hoch wirksamer Impfstoff. Überraschenderweise verringert sich durch die Diphtherie-Impfung auch die Zahl der Träger, obwohl sie eher gegen die Krankheit als den bakteriellen Erreger gerichtet ist. Das könnte bedeuten, dass das Toxin für das Überleben bzw. bei der Ausbreitung des Keims eine Rolle spielt. Diphtherietoxoid wird fast überall mit Tetanustoxoid und Aluminiumhydroxid, oft auch zusammen mit Pertussisvakzine verabreicht (3 Injektionen ab dem 2. bis 3.Monat) und später aufgefrischt. Die Auffrischungsimpfung kann einmalig (mit 3 oder 4 Jahren) oder wiederholt erfolgen. In manchen Ländern (wie in Deutschland) wird eine Tetanus- und Diphtherie-Boosterimpfung alle 10 Jahre empfohlen. Der Impfschutz liegt bei 90% oder höher.
Auch Tetanustoxoid ist ein hoch wirksamer Impfstoff und allgemein in Gebrauch Auffrischungsimpfungen und postexpositionelle Behandlung von Patienten werden allerdings unterschiedlich gehandhabt. In den meisten Ländern folgt auf die Grundimmunisierung im Kleinkindalter eine Auffrischung vor Eintritt in die Grundschule, und Wiederholungen werden im Abstand von 5–10 Jahren empfohlen. Wenn die Auffrischung länger als fünf Jahre zurückliegt und die Wunde verschmutzt ist, kann nach einer Exposition zusätzlich zur Auffrischung ein Antitoxin verabreicht werden (passive Immunisierung, s. Kap. 35, siehe auch Empfehlungen der STIKO unter www.rki.de). Da sich die Impfreaktionen meist auf eine leichte Überempfindlichkeit nach wiederholter Auffrischung beschränken, kann Tetanustoxoid als einer der sichersten und wirksamsten Impfstoffe gesehen werden.
Ob eine Pertussis-Impfung zu Hirnschäden führt, ist unklar, sie kann aber auf jeden Fall einen tödlichen Verlauf bei Keuchhusten verhindern In Großbritannien wurde die Keuchhusten-Schutzimpfung 1957 eingeführt. Die in den 40er Jahren entwickelte (hitze- oder formalininaktivierte) Pertussis-Vollvakzine wurde zusammen mit Diphtherie- und Tetanustoxoid als DTP-Tripelvakzine verabreicht, aber später nicht noch wieder aufgefrischt, da nur Kleinkinder schwer an Keuchhusten erkranken. An diesem Impfstoff haben sich immer wieder Auseinandersetzungen entzündet. Durch die Impfung ging die Keuchhusteninzidenz zweifellos deutlich zurück, doch ein 1157
statistisch signifikanter Schutzeffekt machte sich erst nach mehreren Versuchsreihen bemerkbar. Das lag zum Teil daran, dass in Impfproben einer der drei Serotypen weggelassen wurde und dass kein standardisierter Impfstoff zum Allgemeingebrauch verfügbar war. Zu einer ernsteren Kontroverse führten Bedenken wegen der Nebenwirkungen. Relativ häufig kam es nach der Impfung zu Schmerzen, Entzündung und Fieber (vermutlich durch Endotoxin und andere Toxine), doch in den 70er Jahren in Großbritannien veröffentlichte Studien brachten schwere Schreianfälle, Krämpfe und Dauerschäden am Gehirn mit der Pertussis-Impfung in Verbindung (in rund 1/100000 Fällen). Der Streit – ob tatsächlich ein Kausalzusammenhang besteht – geht weiter und hat verständlicherweise viele Eltern alarmiert; mit der Folge, dass die Impfakzeptanz inzwischen in einigen Gebieten auf knapp 30% abgefallen ist. Es war absehbar, dass es zu einer schweren Keuchhustenepidemie kommen würde – und genau das war im Winter 1978/79 der Fall, als über 100000 Kinder erkrankten und viele starben (Abb. 34.8). Das lieferte den unwiderlegbaren Beweis, dass der Impfstoff tatsächlich wirkt. Trotzdem hat die Kontroverse wohl nicht nur den Pertussis-Impfstoff diskreditiert, sondern in der öffentlichen Meinung dem Ansehen von Impfungen allgemein geschadet. Es wurde auch vorgeschlagen, die einzelnen Komponenten der DTP-Impfung getrennt zu injizieren, doch ob sich das Risiko von Komplikationen dadurch verringert, ist nicht erwiesen.
Abb. 34.8 Zahl der gemeldeten Keuchhustenfälle von 1940 bis 1990.
Nach Einführung der Schutzimpfung ging ab 1958 die Anzahl ständig zurück, obwohl in ca. 4-jährigen Intervallen immer wieder mal Epidemien auftraten. Aufgrund der panischen Angst vor möglichen Nebenwirkungen nahm die Zahl der Keuchhustenfälle wieder zu, bis es im Winter 1978/79 zur großen Epidemie kam. Ein inzwischen in einigen Ländern (wie in Deutschland) zugelassener neuer Pertussis-Impfstoff enthält mit Pertussistoxoid und filamentösem Hämagglutinin
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zwei Komponenten, aber keine Zellen. Dieser azelluläre Impfstoff ruft signifikant weniger Reaktionen hervor und steigert die Impfwirkung. Im Januar 2006 wurde von der STIKO am RKI eine neue Empfehlung zur Pertussisimpfung publiziert.
Masern sind ein möglicher Kandidat für die weltweite Ausrottung Seitdem 1963 in den USA ein attenuierter Lebendimpfstoff eingeführt wurde, ist die Inzidenz der Masern (an denen zuvor jährlich über 500 Kinder starben) fast auf null zurückgegangen. Ihre weltweite Eradikation rückt damit in den Bereich des Möglichen (Tab. 31.6) – vorbehaltlich einer erheblich besseren Impfakzeptanz, als es derzeit in den meisten anderen Ländern noch der Fall ist. Ein ebenfalls 1963 zugelassener inaktivierter Impfstoff wurde wieder zurückgezogen, als sich herausstellte, dass er nicht vor Masern schützte. Die ursprüngliche attenuierte Edmonston-B-Lebendvakzine wurde nach und nach durch noch weiter attenuierte Stämme ersetzt, die Fieber (mit Ausschlag) auslösen. Bei der Masernimpfung dreht sich die Debatte hauptsächlich um das beste Impfalter. Da mütterliche Antikörper eine vollständige Immunisierung verhindern können, sollte mit der Masernimpfung mindestens bis zum 6.Lebensmonat gewartet werden. Doch selbst im 9.Lebensmonat verleiht sie nur zu 80% Schutz, so dass man die Impfung in Ländern, in denen Masern seltener auftreten, meist bis zum 1.Lebensjahr verschiebt. In Entwicklungsländern sind Masern aber noch immer so verbreitet, dass die meisten Kinder schon früher mit der Infektion in Kontakt kommen. Daher werden sie mit 9 Monaten zum ersten Mal und mit einem Jahr erneut geimpft, um auch die zu schützen, die beim ersten Mal nicht so gut angesprochen haben. Der Schutz durch die Masernimpfung scheint mindestens 21 Jahre vorzuhalten, was aber zum Teil auch an der natürlichen Auffrischung bei Epidemien liegen könnte. Erwachsene werden wieder anfälliger, je mehr die Masern aus der Bevölkerung verschwinden. Wenn das so ist, sollte logischerweise eine routinemäßige Auffrischung im Schulalter (Eintritt in die Grundschule oder Wechsel auf weiterführende Schule) vorgesehen werden.
Die Mumpsimpfung lässt sich bequem mit Masernund Rötelnimpfung durchführen Das zu Masern Gesagte gilt auch für den attenuierten Mumps-Lebendimpfstoff. Einige Länder zweifeln an der Notwendigkeit der Mumpsimpfung, doch wenn darauf verzichtet würde, müsste Großbritannien mit jährlich 1000 Fällen einer Mumpsmeningitis rechnen und die USA nach einer anderen Hochrechnung mit ca. 40 Toten und 95 Taubheitsfällen pro Jahr. Als Bestandteil der MMR-Vakzine lässt sich der Mumpsimpfstoff bequem verabreichen. Wie wichtig die Injektion aller beider MMR-Dosen ist, wird an einer kürzlich in Nordirland ausgebrochenen Epidemie deutlich: 55,4% der (nachweislich an Mumps) Erkrankten waren nur einfach geimpft, während nur 0,9% die komplette MMR-Immunisierung erhalten hatten.
1159
Obwohl es nicht nötig wäre, werden Jungen genauso wie Mädchen gegen Röteln geimpft Als relativ leichte Infektionskrankheit sind Röteln ein anschauliches Beispiel, dass manchmal der Nutzen einer Impfung für den Einzelnen gegen den für die Bevölkerung abgewogen werden muss. Bis vor kurzem herrschte in Großbritannien die Auffassung vor, Jungen müssten nicht gegen Röteln geimpft werden und sollten daher auch nicht dem geringsten Risiko möglicher Impfkomplikationen ausgesetzt werden. Die Immunität der Mädchen würde zudem von den in der Gesamtbevölkerung im Umlauf befindlichen Röteln-Wildtypen wieder aufgefrischt. Um ein angeborenes Rötelnsyndrom (durch eine Infektion der Schwangeren und Ansteckung des Fetus) zu verhindern, wurden lediglich heranwachsende Mädchen gegen Röteln geimpft. Da das Rötelnvirus eine hohe Reproduktionsrate hat (s. Kap. 26), hält es sich in einer Bevölkerung, solange nicht über 50% geschützt sind. Aus dem Grund wurden in den USA immer Mädchen und Jungen geimpft (Immunisierung mit MMR-Vakzine im Alter von ca. 1 Jahr), eine Herangehensweise, die kürzlich auch von Großbritannien übernommen wurde. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich mit der rückläufigen Infektionshäufigkeit das Infektionsalter in der Bevölkerung erhöht (und damit auch die Wahrscheinlichkeit einer Röteln-Embryopathie zunimmt). Solange Röteln noch nicht ausgerottet sind, sollte die Impfstrategie sorgfältig auf die besondere Situation im jeweiligen Land zugeschnitten werden.
Orale und inaktivierte Poliovakzine haben beide Vorund Nachteile Der merkliche Rückgang der Poliomyelitis beruht auf zwei unterschiedlichen Impfstoffen: ■
dem 1954 von Salk entwickelten Impfstoff mit abgetöteten Viren bzw.
■
dem 1957 von Sabin entwickelten attenuierten Lebendimpfstoff.
Wirksam sind beide, und in Tab. 34.11 ist eine Gegenüberstellung ihrer Vor- und Nachteile gezeigt. Dem attenuierten oralen Lebendimpfstoff (OPV, Polio-Schluckimpfung) geben viele Länder den Vorzug. Seine Hauptvorteile sind: ■
geringere Kosten
■ die Tatsache, dass er wie alle Lebendimpfstoffe an der richtigen Stelle (d.h. an der Schleimhaut) immun macht; ■ die vorhersehbare Entwicklung einer Herdimmunität durch Ausbreitung in der Bevölkerung; das stützt sich auf die Tatsache, dass Impfstämme z.B. in den USA schon verbreiteter vorkommen als Wildstämme (z.B. in Kläranlagen). Diesen Vorteilen steht die Gefahr der Reversion zum Wildtyp gegenüber; das gilt besonders für Typ 2 und 3 des Virus, die sich – wie oben beschrieben – nicht so sehr von Wildstämmen unterscheiden, wie eigentlich wünschenswert wäre. Das Wildtyp1160
Virus konnte bereits Tage nach der Impfung aus dem Stuhl isoliert werden, und besonders bei Kontaktpersonen der Geimpften trat in mehreren Fällen eine paralytische Poliomyelitis auf (mit einer geschätzten Häufigkeit von 1–2 Fällen pro 1 Million Impfungen). Die Polio-Schluckimpfung darf nicht bei Immunschwäche durchgeführt werden. Aus den genannten Erwägungen verzichten einige Länder zugunsten der inaktivierten Poliovakzine (IPV) auf die Schluckimpfung, z.B. Deutschland, Schweden, Finnland, Holland und Island. Hier wird argumentiert, dass IPV ■ genauso gut immunisiert wie OPV und die Poliomyelitis-Symptome nicht im Darm auftreten, ■ in Entwicklungsländern sogar wirksamer als OPV sein könnte, da die Ergebnisse mit OPV eher enttäuschend waren (vermutlich weil – wie für Masernimpfstoff nachgewiesen – die Kühlkette zwischen Fabrik und Klinik nicht sicher gewährleistet ist). Überraschenderweise schützt eine Impfung mit OPV nicht länger als eine Impfung mit IPV; vielleicht spiegelt sich darin der kürzer anhaltende Schleimhautschutz im Vergleich zur systemischen Immunität wider. Ohne substanzielle Herdimmunität muss die Durchimpfung jedoch sehr hoch sein, um mit IPV eine Eradikation der Infektion zu erreichen. Trotz der in hohem Maße erfolgreichen Polio-Impfung besteht eindeutig noch Raum für Verbesserungen. Derzeit werden bei der Weiterentwicklung zwei Linien verfolgt, nämlich bessere und billigere (orale und inaktivierte) Impfstoffe zu produzieren bzw. beide zu kombinieren (z.B. IPV im Anschluss an OPV). Poliomyelitis könnte als nächste Krankheit ausgerottet werden. Europa gilt seit 2002 als Poliomyelitis-frei, und die Global Polio Eradication Initiative wollte dieses Ziel bis Ende 2005 weltweit erreichten. Im Jahr 2000 waren nur noch in 20 Ländern Poliomyelitisfälle aufgetreten, und weltweit wurden insgesamt weniger als 3000 Fälle diagnostiziert. Um die Welt offiziell für Poliomyelitis-frei zu erklären, darf drei Jahre lang keine Übertragung durch Wildtypen stattfinden. Selbst nach Eradikation der Krankheit darf nicht sofort mit dem Impfen aufgehört werden, da Patienten mit Immunschwäche das lebende Poliovirus noch über Jahre ausscheiden können.
1161
Tab. 34.11 Inaktivierte (IPV) und attenuierte orale Poliovakzine (OPV).
Calmettes und Guérins attenuierter Tuberkelbazillenimpfstoff (BCG) ist seit über 70 Jahren in Gebrauch Trotz der langen Anwendungszeit wird noch immer heftig über den Nutzen debattiert. Wenn man bedenkt, dass jährlich ca. 1,5 Millionen Menschen weltweit an Tuberkulose sterben und sich die Zahl in Ländern mit AIDS-Pandemie noch weiter erhöht, ist der Nutzen der BCG-Impfung tatsächlich eine wichtige Frage. Für die BCG-Impfung spricht, dass in kontrollierten Versuchen, die 1950 in Großbritannien und in den 70er Jahren in den USA an Indianern und Puertoricanern durchgeführt wurden, eindeutig eine Schutzwirkung nachweisbar war. Auch aus mehreren südamerikanischen und afrikanischen Ländern wurde die Schutzwirkung mit 70% oder mehr angegeben. Zudem erwies sich der BCG-Impfstoff in Uganda (und in etwas geringerem Maße in anderen Ländern) auch bei Lepra als wirksam. Die Impfstrategien richten sich danach, wie wahrscheinlich eine Infektion ist: ■
in Hochrisikoländern erfolgt die Impfung direkt nach der Geburt;
■ in Ländern wie Großbritannien beim Übergang zu weiterführenden Schulen (aber nur bei Kindern mit negativem oder schwach positivem Mendel-MantouxTest, s. Kap. 19). 1162
Ein Nachteil der BCG-Impfung besteht darin, dass der diagnostische Wert des Mendel-Mantoux-Tests in Ländern, wo die Tuberkulose selten vorkommt, verloren geht, weil es zu einer Konversion im Tuberkulintest kommen kann. Ein Problem bei Versuchsreihen mit BCG ist eine Verschiebung im Hintergrund, da die Verbreitung der Infektion noch von anderen Faktoren als der Impfung beeinflusst wird (z.B. vom öffentlichen Gesundheitswesen oder einer Therapie mit Antituberkulotika). In Ländern mit niedriger Krankheitsinzidenz wäre es inzwischen unmöglich, zufriedenstellende klinische Versuche zur Schutzwirkung durchzuführen, und es gibt auch keinen Schnelltest, mit dem sich die Schutzwirkung genau vorhersagen ließe. Wie sich herausgestellt hat, fallen die Ergebnisse des verbreitet eingesetzten Tuberkulin-Hauttests unabhängig vom tatsächlich vorhandenen Schutz so unterschiedlich aus, dass er sich besser als Indikator für eine stattgefundene Exposition gegenüber Mykobakterien statt als Indikator der Immunität eignet (s. Kap. 14). Ein anderes Problem ist, dass sich in genauso gut kontrollierten Versuchen keine oder eine völlig unzureichende Schutzwirkung der BCG-Impfung nachweisen ließ. Tatsächlich schien sie in zwei Versuchen (1980 in Südindien und in Südstaaten der USA) sogar zum Anstieg der Tuberkulose-Inzidenz zu führen. Als Erklärung für diese auffällige Diskrepanz, die man von keinem anderen Impfstoff kennt, wurden zahlreiche Argumente angeführt: Unterschiede bei den Impfstämmen (es gibt keine weltweit akzeptierte Standardisierung), genetische Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen, das vorherrschende Krankheitsmuster oder Anzahl und Typen der Mykobakterien in der Umgebung könnten sich z.B. auf den Grad der Immunität in der Bevölkerung ausgewirkt haben. Die meisten Experten sind sich darüber einig, dass Mykobakterien aus der Umgebung den größten Einfluss auf den BCG-Impfschutz haben dürften. In einer kürzlich in Großbritannien (wo die BCG-Impfung schützt) und in Malawi (wo sie nicht schützt) an jungen Erwachsenen durchgeführten Vergleichsstudie zeigte sich, dass die Jugendlichen aus Malawi schon vorher eine stärkere T-Zellimmunität gegen Mykobakterienantigene der Umgebung entwickelt hatten, die durch die BCG-Impfung geringfügig verstärkt wurde. Dagegen konnte bei den meisten britischen Kindern (weil sie immunologisch „naiv“ waren) durch die Impfung eine starke T-Zellimmunität induziert werden. Abgesehen von ihrem umstrittenen Einfluss bei Tuberkulose hat die BCG-Vakzine aber potenziell einen dreifachen Nutzen: ■
als Adjuvans für andere Impfstoffe
■
als Vektor für geklonte Gene anderer Erreger
■
als unspezifisches Immunstimulans (s. Kap. 35)
Um die Unzulänglichkeiten zu überwinden, wurden über 200 neue BCG-Impfstoffe an Tieren erprobt, doch nur wenige versprechen einen besseren Schutz. Dazu zählen rekombinante BCG-Impfstoffe, attenuierte M.-tuberculosis-Stämme, Vorbereitungsund Auffrischimpfung (prime-boost) mit einem DNA-Impfstoff und einem
1163
rekombinanten Virus bzw. mit zwei rekombinanten Viren sowie Spaltimpfstoffe aus Sekretionsproteinen.
Als erster rekombinanter Impfstoff zum menschlichen Gebrauch wurde eine HBV-Vakzine DNAtechnologisch hergestellt Der erste Impfstoff gegen Hepatitis-B-Virus (HBV) war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Es handelte sich um ein Plasma-Antigenpräparat, das aus dem Blut von Virusträgern gewonnen und abgetötet wurde. Das im Übermaß von HBV produzierte Oberflächenantigen (HBsAg) zirkuliert in Form nichtinfektiöser, 22 nm im Durchmesser großer sphärischer (Kugel-)Partikel im Blut (bis zu 1013/ml Blut, Abb. 34.9). Nachdem es gereinigt und inaktiviert, d.h. absolut von DNA befreit, wurde, wurde es 1980 in den USA in einem kontrollierten Versuch an Homosexuellen angewandt. Wie sich zeigte, schützte die Impfung mindestens 95% vor der Infektion, und im darauf folgenden Jahr erhielt die Vakzine die Zulassung. Sie hat aber auch Nachteile: ■ Als Derivat aus menschlichem Blut muss große Sorgfalt darauf verwendet werden, dass keine lebenden HBV oder sonstigen Viren mit dem Impfstoff übertragen werden. ■ Dass der Antikörpertiter selbst nach dreimaliger Impfdosis 1–2 Jahre später wieder abzufallen begann, machte eine Wiederauffrischung nötig. Als protektiv wird ein Antikörpertiter von 100 IE/l angesehen. ■ Schließlich waren die Herstellungskosten extrem hoch, und wegen der beschränkten Verfügbarkeit blieb die Anwendung hauptsächlich medizinischem Personal vorbehalten. Mittlerweile wurde mit rekombinanter DNA-Technologie ein anderer Impfstoff hergestellt – der als erster dieser Art bei Menschen zur Anwendung kommt und dasselbe Antigen (HBsAg) enthält. Das Gen wird in einem Hefevektor geklont, um Antigenprotein in großen Mengen zu produzieren. Dieser rekombinante Impfstoff ist nicht nur sicherer und um etwa 50% billiger als der Plasma-Impfstoff, sondern scheint genauso wirksam zu sein. Zur weiteren Verbesserung wurden kürzlich weitere (Prä-S)Gene für Entzündungsproteine in den Vektor inseriert. Es gibt auch Überlegungen, HBV-Gene in einen attenuierten Lebendimpfstoff (-Vektor) einzufügen.
Abb. 34.9 Elektronenmikroskopische Aufnahme der gereinigten, in Hefezellen exprimierten, 22 nm großen Hepatitis-B-surface-Antigen(HBsAg)-Kugeln.
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(Mit freundlicher Genehmigung von J.R. Pattison) Anfangs wurden nur Hochrisikogruppen (wie medizinisches Personal, das mit Blutprodukten in Kontakt kam, i.v. Drogenabhängige und männliche Homosexuelle) gegen HBV geimpft, doch auch in Deutschland gehört die HBV-Impfung inzwischen zu den empfohlenen Impfungen für alle Säuglinge. Die Kinder HBsAg-positiver Mütter erhalten gleich nach der Geburt zusätzlich eine Dosis Hepatitis-BImmunglobulin. Über 95% der Geimpften entwickeln eine Antikörperreaktion gegen HBsAg, doch die restlichen 5% sprechen selbst auf eine Zweitimpfung nicht an. Einige dieser Nonresponder könnten chronisch mit HBV infiziert sein.
HBV ist eindeutig ein Kandidat zur Eradikation In Afrika erfolgt die HBV-Infektion typischerweise im frühen Kindesalter, so dass die Impfung mit der üblichen Grundimmunisierung gegen andere Kinderkrankheiten durchgeführt werden kann. Das Hauptproblem ist hier, die Kosten im erschwinglichen Rahmen zu halten. Derzeit liegt das Minimum bei 1 US-Dollar/Dosis. In Fernost übertragen gewöhnlich Mütter mit chronischem TrägerstatusHBV auf ihre Neugeborenen. Hier wird die Impfung (Injektionen in der 1., 5. und 9.Lebenswoche sowie mit 1 Jahr) mit einer passiven Immunisierung (durch Immunglobulin) kombiniert. Die ersten Ergebnisse deuten auf einen guten Schutz hin, und es bleibt zu hoffen, dass die Zahl der chronischen Träger (zusammen mit der Leberkarzinom-Inzidenz) kontinuierlich weiter sinkt.
Auch gegen Hepatitis A ist jetzt ein Impfstoff verfügbar, aber nicht gegen Hepatitis C Reisende in Länder mit endemischer Hepatitis A können sich mit einer Vakzine impfen lassen, die von menschlichen Diploidzellen abgeleitet und mit Formaldehyd inaktiviert wurde. Bevor dieser Impfstoff verfügbar war, bestand die Standardmethode in einer passiven Immunisierung mit gepooltem humanem Normal-Immunglobulin, das gut, aber nur vorübergehend schützte. Da sich die neue Vakzine (mit inaktivierten ganzen Viren) als sehr wirksam erwiesen hat – in Thailand konnten 94% der Kinder vor einer klinischen Hepatitis A geschützt werden –, gilt für Länder mit einer jährlichen Hepatitis-A-Inzidenz von 20/100000 Einwohnern oder höher die Empfehlung, alle über 2-jährigen Kinder
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impfen. Zu hoffen ist, dass in absehbarer Zeit auch für das später entdeckte HepatitisC-Virus ein wirksamer Impfstoff entwickelt wird.
Tollwut ist die einzige Krankheit, bei der eine postexpositionelle Impfung erfolgreich ist, weil sie eine lange Inkubationszeit hat Mit seinem mutigen Experiment von 1885 hat Pasteur nachgewiesen, dass Menschen auch noch nach einer Infektion mit luftgetrockneten, abgetöteten Viren aus dem Rückenmark rabieskranker Kaninchen geschützt werden können (s. Kap. 31), und hat damit die Tollwutimpfung berühmt gemacht. Über ein Jahrhundert später ist diese Nervengewebe-Vakzine (neuro-tissue vaccine, NTV) in einigen Ländern noch immer in Gebrauch. Überall sonst wurde sie durch Viren ersetzt, die in humanen Diploidzellen oder Entenembryonen angezüchtet und mit Propiolacton inaktiviert werden. Mit drei Impfdosen lassen sich schützende Antikörpertiter erzielen. Bisher sind keine sicheren attenuierten Virusimpfstoffe verfügbar, doch es ist nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann auch möglich sein wird, attenuierte oder gentechnische Impfstoffe zu erzeugen. Nach einer Exposition sollte möglichst bald mit der Serie von 5–6 intramuskulären Injektionen begonnen werden; die erste wird mit einer Einmaldosis von humanem Hyperimmunglobulin (20 IU/kg) kombiniert und verleiht praktisch einen kompletten Schutz. Als Prophylaxe (z.B. für Reisende in Hochrisikogebiete) sind gewöhnlich 2–3 Dosen ausreichend; bei anhaltender Gefährdung (Tierärzte und andere, die regelmäßig Umgang mit Tieren haben) ist alle paar Jahre eine Auffrischimpfung nötig. Die Eradikation scheint noch ein unerreichbares Ziel zu sein, doch in der Schweiz und Nachbarländern sowie in Kanada wurden erste Versuche mit infizierten Futterbrocken unternommen, um das attenuierte Virus gezielt bei wildlebenden Tieren einzuführen – und zwar mit bemerkenswertem Erfolg.
Gegen einige Arbovirusinfektionen sind Impfstoffe verfügbar, aber nicht gegen Denguefieber Zu den von Vektoren übertragenen Arbovirusinfektionen gehören Gelbfieber, Denguefieber, Südostasiatisches hämorrhagisches Fieber und Japanische Enzephalitis. Da sie zu den besonders virulenten Virusinfektionen zählen (s. Kap. 28), wären gute Impfstoffe höchst erwünscht. Ein 1937 entwickelter attenuierter Gelbfiebervirusstamm („17 D“) ist bis heute der hochwirksame Standardimpfstoff gegen Gelbfieber. In tropischen Regionen bewirkt eine einzelne subkutane Dosis (mit Auffrischungen in regelmäßigen Abständen von 10 Jahren) bei Bewohnern oder häufigen Besuchern einen guten Schutz. Erforderlich ist die Impfung auch vor Reisen in Länder, in denen die Krankheit bisher nicht aufgetreten ist, aber Fuß fassen könnte, wenn das Gelbfiebervirus von Touristen eingeschleppt und Moskitos oder Menschenaffen (Primaten-Wirt) infizieren würde. Impfpflicht kann sogar für Reisende im Transitbereich eines Flughafens gelten!
1166
Auch gegen die Japanische Enzephalitis und das Rift- talfieber sind Impfstoffe verfügbar (in allen Ländern wird eine inaktivierte, nur in China eine attenuierte Lebendvakzine verwendet). Da bisher aber leider keine Impfung gegen Denguefieber möglich ist, wird der Entwicklung eines solchen Impfstoffs oberste Priorität eingeräumt. Eine Schwierigkeit kann sich aus dem Vorhandensein von vier Serotypen ergeben, doch ein größeres Problem ist, dass sich die Krankheit in immunpathologischer Form manifestieren kann. Das hämorrhagische Schocksyndrom tritt in Erscheinung, wenn sich Patienten nach einer früheren Begegnung mit einem Serotyp mit dem zweiten infiziert haben. Obwohl der Mechanismus nicht ganz klar ist, besteht offensichtlich auch die Möglichkeit, dass eine Impfung, die nicht gegen alle Serotypen voll wirksam ist, einen derartigen Zustand begünstigen könnte.
Influenzaimpfstoffe sind derzeit nur partiell wirksam Anders als bei den meisten der bisher besprochenen Infektionskrankheiten wird nach der Genesung von einer Virusgrippe keine anhaltende Immunität bei Gesunden induziert. Das beruht hauptsächlich auf der Fähigkeit des Influenzavirus, sich zu verändern (durch Antigenshift und Antigendrift, s. Kap. 16 und 19), hat aber auch etwas mit der seltsamen Neigung zur „originalen Antigenantwort“ zu tun (d.h., der gegen den ersten Grippevirusstamm, mit dem ein Mensch in Kontakt kommt, gebildete Antikörper dominiert bei der Reaktion auf alle anderen Stämme). Allerdings ist Grippe eine so wichtige Morbiditäts- und Letalitätsursache (in den USA schätzungsweise 150 Tote/1 Million), dass man in Erwartung eines besseren Impfstoffs auch mit einer Reihe nur teilweise wirksamer Vakzinen vorlieb nehmen muss. Verbreitet eingesetzt werden Grippeimpfstoffe, die mit Formalin oder β-Propiolacton inaktiviert sind und gewöhnlich zwei Subtypen des Influenza-A- und einen des Influenza-B-Virus umfassen – mit den in der Bevölkerung vorherrschenden oder zu erwartenden Hämagglutinin- (H)- und Neuraminidase(N-)Antigenen (Tab. 34.12). Grippeimpfstoffe wurden vor allem Hochrisikogruppen angeboten (Pflege- und medizinisches Hilfspersonal, älteren Menschen, Patienten mit chronischen respiratorischen, kardialen oder renalen Erkrankungen, Anämie, Diabetes mellitus oder Immunschwäche). Die Grippeschutzimpfung gehört in Deutschland inzwischen zu den Standardimpfungen für alle Erwachsenen. Hinsichtlich der Symptomabschwächung wird die Wirksamkeit mit 70% angegeben, im Hinblick auf die völlige Prävention aber nur mit 30%. Um die Antikörpertiter aufrechtzuerhalten, müssen die Patienten auch in den folgenden Jahren regelmäßig geimpft werden, doch weder mit demselben noch mit einem anderen Virusstamm gelingt es, den Antikörperspiegel noch weiter anzuheben. In Russland wurden Versuche mit kälteadaptierten Virusstämmen durchgeführt; diese Lebendimpfstoffe verliehen einen gewissen Schutz, doch da sich bei bis zu 30% der Normalpatienten keine Antikörper bilden, sind sie vermutlich auch nicht geschützt. Enttäuschend verlief auch die Anwendung hitzeempfindlicher Mutanten (die sich eigentlich auf die oberen Atemwege beschränken sollten), weil es hierbei zur Reversion (Wildtyp-Virulenz) kam. 1167
Tab. 34.12 Veränderte Zusammensetzung der Grippeimpfstoffe. Als Alternative bietet sich ein rekombinanter Virusimpfstoff mit RNA-Teilen an, die die richtigen H- und N-Antigene kodieren. Theoretisch haben rekombinante und andere Lebendimpfstoffe den Vorteil, dass sie zytotoxische T-Gedächtniszellen induzieren, was mit abgetöteten Viren kaum bzw. gar nicht funktioniert. Doch kürzlich zeigte sich, dass auch in ISCOM enthaltene Virusantigene eine gute zytotoxische T-Zell-Reaktion hervorrufen können.
Attenuierte VZV-Lebendvakzine wirkt in hohem Maße protektiv Windpocken (durch das Varicella-Zoster-Virus, VZV) können sich gelegentlich zu schweren Infektionen entwickeln und sind für leukämiekranke Kinder lebensgefährlich. Ein guter Impfstoff sollte auch einen Zoster (Gürtelrose) älterer Menschen wirksam verhüten. Nach Passage des Oka-Stamms durch humane und Meerschweinchen-Zelllinien konnte ein attenuierter VZV-Lebendimpfstoff gewonnen werden, der bei 97% der Kinder messbare Antikörpertiter induziert, die bei über 90% der gesunden Kinder über mindestens sechs Jahre erhalten bleiben. Erheblich geringer fällt der Impfschutz bei Kindern aus, die wegen einer Leukämie medikamentös behandelt werden müssen. Versuche mit hitzeinaktivierten VZVImpfpräparaten für Kinder haben gezeigt, dass sie eine Reaktivierung des Virus bei Krebspatienten (nach hämopoetischer Stammzelltransplantation) verhindern konnten.
Pneumokokkenvakzinen müssen vor verschiedenen Serotypen schützen Bei Pneumokokkeninfektionen sind die großen Antigenunterschiede ein Problem. Da sich die 84 Serotypen von Streptococcus pneumoniae aber relativ stabil in der Bevölkerung halten, ohne sich so rasch wie Influenzaviren zu verändern, wäre es theoretisch möglich, einen Vollimpfstoff, der sie alle enthält, herzustellen. In der Praxis zeigt sich aber, dass zum Schutz vor den meisten Infektionen weniger als die Hälfte ausreicht.
1168
Als Antigen dient ein Kapselpolysaccharid, das in groß angelegten Bakterienkulturen gewonnen wird. In den derzeit verfügbaren Impfstoffen sind Polysaccharidantigene von 23 verschiedenen Serotypen enthalten, die bei 80% der gesunden Erwachsenen eine Antikörperreaktion induzieren können. Für Pneumokokken- gelten dieselben Indikationen wie für die Grippeimpfung. In Deutschland ist die Pneumokokkenimpfung für Menschen > 60 Jahre eine empfohlene Impfung, die deutlich billiger ist als eine Pneumoniebehandlung. Eine weitere Hochrisikogruppe sind Kinder unter zwei Jahren, die aber im Allgemeinen nur schlecht auf die Impfung ansprechen, weil sich die Klasse der IgG-2-Antikörper, die bei der Reaktion auf Kohlenhydratantigene dominieren, erst relativ spät entwickelt und sich die Polysaccharide wie T-Zell-unabhängige Antigene verhalten. Durch Bindung an einen Proteinträger lässt sich die Impfreaktion verbessern, wahrscheinlich weil sich dann die T-Zellen beteiligen können. Inzwischen ist ein Impfstoff verfügbar, der gereinigte Kapselpolysaccharide von sieben S.-pneumoniae-Serotypen enthält und bei praktisch allen Immunisierten eine Antikörperreaktion induziert. In der Entwicklung befinden sich derzeit Konjugatimpfstoffe, die den Schutz auf 9–11 Serotypen ausweiten könnten. In Gambia (Westafrika) wurde ein großer Feldversuch mit dreimaliger Injektion eines 9valenten Impfstoffs gestartet, um zu sehen, ob sich die Inzidenz einer röntgenologisch nachweisbaren Pneumonie reduzieren lässt.
Meningokokken-Impfstoffe sind nur teilweise wirksam und nicht für alle Serotypen verfügbar Nach demselben Prinzip wie bei Pneumokokken-Impfstoffen wird ein Kapselpolysaccharid als Antigen verwendet, und wieder ist die Impfreaktion besonders bei Kleinkindern nicht optimal. Gegenwärtig sind Impfstoffe für die Neisseria-meningitidis-Stämme A, C, Y und W-135 verfügbar. Für alle Qumrah- und Hadsch-Pilger, die nach Mekka (Saudiarabien) reisen wollen, besteht Impfpflicht, und manche Länder verlangen auch von heimkehrenden Pilgern, sich gegen Meningitis impfen zu lassen. Damit soll verhindert werden, dass erneut eine Meningitis-Epidemie unter den Pilgern ausbricht wie im Jahr 2000 (durch N. meningitidis W-135). Bisher ist eine wirksame Impfung gegen Gruppe-B-Stämme nicht möglich, da das Typ-B-Polysaccharid überwiegend aus Sialinsäure besteht, die nur schwach immunogen wirkt. Das ist insofern ein Problem, als die meisten Meningitisfälle in den USA und Europa gerade von Gruppe-B-Stämmen hervorgerufen werden. Statt der Kapselpolysaccharide könnten vielleicht die bei der Genomsequenzierung entdeckten Membranproteine als Impfantigen genutzt werden. Sowohl bei Pneumokokken- als auch bei Meningokokken-Impfungen ist ein weiteres Problem aufgetreten: Die normale Impfreaktion wird durch andere Infektionen, selbst durch eine leichte Malaria beeinflusst. So stellte sich bei einem nigerianischen Versuch heraus, dass eine Malariatherapie mit Chloroquin (1 Woche vor der Impfung) die Antikörperreaktion auf Polysaccharidantigene verbessern konnte. Das unterstreicht, wie wünschenswert die Entwicklung eines Malaria-Impfstoffs wäre (s. unten). 1169
Wie Pneumokokken- und Meningokokken-Impfstoffe enthält auch der Haemophilus-influenzae-Impfstoff Kapselpolysaccharid Für die meisten schweren Erkrankungen ist der Serotyp b des Haemophilus influenzae(Hib) verantwortlich. Seine Kapsel ist ein mit Phosphodiesterase vernetztes Polymer aus Ribose und Ribitol und beinhaltet dieselben Schwierigkeiten wie andere Polysaccharide; auf die Erstimpfung mit Polysacchariden entwickelt sich bei Kleinkindern unter zwei Jahren nur eine geringfügige Immunogenität. Inzwischen sind verschiedene Polysaccharid-Protein-Konjugat-Impfstoffe verfügbar, meist mit Tetanus- oder Diphtherietoxoid, die entweder allein (2–3 subkutane Injektionen vom 2. bis 6.Lebensmonat) oder mit der DTP-Tripelvakzine zusammen verabreicht werden. Sie scheinen gute Antikörper- oder Gedächtniszellreaktionen zu induzieren (durch Konjugation verändern sich Polysaccharide von T-Zell-unabhängigen in T-Zell-abhängige Antigene) und, was sehr ermutigend klingt, zu bewirken, dass anfänglich schlecht ansprechende Kinder auf eine spätere Auffrischung noch wie gewünscht reagieren. In einem groß angelegten Versuch in Finnland zeigte sich eine Wirksamkeit von 94%, und bei Kleinkindern mit komplettem Impfschutz entwickelte sich nur sehr selten eine invasive HibErkrankung.
TY21a ist ein Stamm, der zu 60–90% und für mindestens fünf Jahre vor Typhus schützt Fast ein Jahrhundert lang mussten sich Tropenreisende und vor allem Militärs einer „TAB“-Impfung unterziehen. Der Impfstoff enthielt Vollbakterien (S. typhi und S. paratyphi), die mit Hitze, Phenol, Aceton oder Alkohol abgetötet worden waren, und musste ein- oder zweimal intramuskulär injiziert werden. Diese Impfung war nicht nur sehr unangenehm (Schmerzen an der Injektionsstelle und allgemeines Krankheitsgefühl aufgrund des Endotoxingehalts), sondern ihre Wirkung wurde wiederholt in Frage gestellt. In mehreren kontrollierten Versuchen konnte bei ca. 10– 70% eine Schutzwirkung erzielt werden, die zum Teil von der Impfdosis abhing. Daher besteht ein hoher Bedarf an neuen, besseren Typhus-Impfstoffen. Zwei Kandidaten sind: ■
eine attenuierte Lebendvakzine
■
ein Kapselpolysaccharid
Der erste attenuierte Typhusbazillus (TY21a) entstand durch eine zufällige chemische Mutagenese, doch gegenwärtig richtet sich die Aufmerksamkeit auf Stämme, bei denen Enzymdefekte – Mutationen der Galaktose-Epimerase (GalE) oder der aromatischen Aminosäurensynthese (AroA) – vorliegen. Aufgrund der Mutation können die Bakterien nur wenige Tage überleben und proliferieren, so dass bei oraler Gabe eine lokale Immunität der Darmschleimhaut, aber keine systemische Erkrankung induziert wird. Alle Mutantenstämme scheinen sicher und wirksam zu sein (bei 67% der Geimpften in Endemiegebieten bestand noch 1170
sieben Jahre nach der letzten Dosis weiterhin Impfschutz), wobei die beiden zuletzt Genannten den zusätzlichen Vorteil haben, sich als Vektoren für die Insertion von Genen anderer Keime zu eignen. TY21a wird entweder mit Natriumbikarbonattabletten oder in darmlöslichen Kapseln verabreicht. Der Polysaccharid-Impfstoff enthält gereinigtes Vi- (Virulenz)-Antigen. Eine Einzeldosis von 25 μg bewirkte einen Impfschutz in der Größenordnung von 72% nach 1,5 Jahren, der nach drei Jahren auf 50% abnahm.
Neuere Vibrio-cholerae-Stämme könnten besser schützen als die ursprüngliche hitzeinaktivierte Vakzine Der ursprünglich durch Hitze inaktivierte Cholera-Vollimpfstoff litt unter denselben Nachteilen wie die älteren Typhus-Impfstoffe – unangenehmen Impfreaktionen und einem 50%igen Schutz für lediglich 6 Monate. Er wurde daher nicht zur Impfung empfohlen und auch vor Auslandsreisen bestand keine gesetzliche Impfpflicht. Inzwischen sind zwei neue Cholera-Impfstoffe (Lebend- und Totvakzine) zugelassen und in einer Hand voll Ländern verfügbar. Der Totimpfstoff kann oral verabreicht werden und scheint einen recht guten Impfschutz (> 85% nach der zweiten Dosis) zu bewirken; Geimpfte, die älter als fünf Jahre waren, wiesen noch drei Jahre in über 60% Impfschutz auf. Interessanterweise verleiht die Impfung mit Totvakzine auch einen gewissen Schutz vor E. coli und schützt somit zusätzlich vor einer Reisediarrhoe.
34.7.2
Neue und experimentelle Impfstoffe
Eine neue Möglichkeit ist eine heterologe RotavirenLebendvakzine Wie schon erwähnt, könnten Rotavirusinfektionen genau wie Pocken für eine Impfung mit heterologer Lebendvakzine zugänglich sein. Versuchsweise als Schluckimpfung für Säuglinge angewandte bovine und Affen-Rotavirusstämme erzielten eine Schutzwirkung von 70–80%. Da ein zunächst zugelassener tetravalenter Rotavirusimpfstoff (von Rhesusaffen) 1999 wieder zurückgezogen wurde, nachdem Fälle von Darminvagination aufgetreten waren, wird jetzt in weiteren Versuchen bovine Vakzine auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit getestet. Erforscht werden soll auch, inwieweit „natürlich attenuierte“ humane Stämme, die auf Kinderstationen vorkommen, sich zur Impfung eignen. Die Aussichten, dass doch irgendwann ein Rotavirus-Impfstoff verfügbar sein wird, stehen also recht günstig.
Mutierte Shigellenstämme oder Insertion von Shigellenantigen in andere Vektoren könnten eine Impfung gegen Shigellen ermöglichen
1171
Obwohl aus lebenden, zufällig attenuierten Shigellen wirksame orale Impfstoffe gewonnen werden können, kamen sie wegen der kurz anhaltenden Schutzwirkung und gelegentlicher Nebenwirkungen nie breiter zum Einsatz. Derzeit konzentriert sich das Forschungsinteresse auf gezielt mutierte Stämme und auf die Einfügung von Shigellenantigen in S. typhi oder andere Vektoren.
Verschiedene E.-coli-Impfungen werden derzeit untersucht Dass bisher noch keine voll wirksame Impfung gegen E. coli möglich ist, liegt an den unterschiedlichen Oberflächenantigenen und Toxinen einzelner Serotypen. Trotzdem ließ sich in Versuchen mit Toxoid- (auf Enterotoxin-Basis), gereinigten Fimbrien-, abgetöteten Vollbakterien- und attenuierten Lebendimpfstoffen eine gewisse Schutzwirkung erzielen. Mit dem bereits erwähnten Spaltimpfstoff (Kombination aus abgetöteten V. cholerae und B-Toxin) konnte aufgrund der Kreuzreaktion zwischen beiden Toxinen sogar ein signifikanter Schutz vor E. coli erreicht werden.
Trotz mehrfacher Bemühungen gibt es noch immer keinen Malaria-Impfstoff Zu der Zeit, als dieses Buch verfasst wurde, waren schon die Ergebnisse mehrerer klinischer Versuche mit Malariavakzine veröffentlicht worden, und es werden sicherlich weitere folgen. An Menschen wurden Peptide, rekombinante Proteine und DNA-modifizierte Viren („prime-boost“) als Impfstoffe getestet, die sich hauptsächlich gegen Sporozoiten- und Leberstadien der Malaria richten. Obwohl sich in einigen Versuchen ein statistisch signifikanter Impfschutz zeigte, war die Wirksamkeit sehr niedrig (unter 30%) und auch nicht reproduzierbar. Andere Angriffsziele im außergewöhnlich komplexen Entwicklungszyklus der Malariaerreger (s. Kap. 27) könnten das Leberstadium selbst, das Merozoiten(Infektion der roten Blutzellen) oder das sexuelle Stadium (Gametozyten und Gameten) sowie lösliche Moleküle sein, von denen man annimmt, dass sie die Symptome auslösen (Abb. 34.10). Durch die große Auswahl erhöhen sich einerseits die Erfolgsaussichten, doch bei jedem Ansatz gibt es andere Schwierigkeiten (z.B. ausgedehnte Antigenvariation im Blutstadium; 100%ige Wirksamkeit in prähepatischen und hepatischen Stadien erforderlich; Impfung gegen die sexuellen Stadien verhindert nur die Übertragung und schützt damit die Bevölkerung, aber nicht den Geimpften selbst). Jeder Ansatz hat Befürworter, doch es wird wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass in einem wirksamen Impfstoff die Antigene mehrerer oder aller Stadien enthalten sein müssen.
Ein gewisser Schutz vor Hautleishmaniase ist durch Impfung möglich Untersucht wurden drei verschiedene Ansätze:
1172
■ „Leishmanisierung“: Bei dieser alten Praxis aus dem Mittleren Osten wird bei Kindern eine verdeckte Hautstelle absichtlich mit Leishmania tropica eines milden Falls infiziert, damit sich eine von selbst heilende Läsion („Orientbeule“) bildet und die Kinder dadurch immun gegen eine ausgedehntere Hautleishmaniase werden. Die Methode war auch in der früheren Sowjetunion und in Israel sehr beliebt, doch ihre Schutzwirkung ist zu unbestimmbar und ein avirulenter Verlauf nicht garantiert. ■ Zwei- bis dreimalige i.m. Injektion abgetöteter Promastigoten (invasive Stadien): Bei einem in Brasilien durchgeführten Versuch wurde eine bis zu 80%ige Schutzwirkung reklamiert, die jedoch von unbestimmter Dauer war. ■ Injektion abgetöteter Promastigoten zusammen mit BCG: Hier waren die Ergebnisse am beeindruckendsten. In einem venezolanischen Versuch konnte ein Impfschutz von über 90% induziert werden, doch es ist noch zu früh zu sagen, wie lange er anhalten wird. In einem Versuch im Sudan ließ sich kein Vorteil der kombinierten Impfung gegenüber der alleinigen BCG-Impfung zum Schutz vor viszeraler Leishmaniase nachweisen.
1173
Abb. 34.10 Impfstrategien gegen Malaria.
In der Vielfalt der Ansätze, die von Forschern untersucht werden, spiegeln sich der komplexe Entwicklungszyklus und die ausgeprägte Immunität dieser Parasiten wider (s. Kap. 27). Mittlerweise wird eine völlig neue Art von Impfstoff getestet. Man verwendet dabei ein Speichelprotein der Sandfliege (Vektor von Leishmanien), das bei geimpften Mäusen eine starke Hypersensitivitätsreaktion vom verzögerten Typ (DTH) und einen hohen Schutz bewirkt. Dies hätte zudem den Vorteil, dass die Impfung wiederholt aufgefrischt würde, wenn Menschen von Sandfliegen (infiziert oder nicht) gebissen 1174
werden; weniger klar ist jedoch, ob sich die Infektion jemals komplett verhindern lässt.
34.7.3
Auf diese Impfstoffe wird noch gewartet
Es bleibt eine lange Liste von Infektionskrankheiten übrig, für die eine Impfung wünschenswert wäre, aber noch nicht verfügbar ist (Tab. 34.13). In einigen Fällen ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, doch in anderen Fällen handelt es sich um sehr grundlegende Schwierigkeiten. Bei Adeno- und Rhinoviren ist es z.B. wegen der zahlreichen Serotypen (ca. 40 bzw. 110) schwer vorstellbar, voll wirksame Impfstoffe zu entwickeln. Bei Herpesviren besteht die Gefahr, dass eine latente Infektion durch Lebendimpfstoffe reaktiviert wird, während es bei Totimpfstoffen schwierig sein dürfte, ausreichende Virusmengen zu erhalten (mit Ausnahme von HSV). Bei Respiratory-syncytial-Viren(RSV) stellt sich das Problem, dass attenuierte Stämme virulent werden oder Totimpfstoffe die Krankheit verschlimmern können. Was die in Tab. 34.13 aufgezählten Bakterieninfektionen betrifft, so ist das Fehlen einer wirklich überzeugenden Immunität nach einer natürlichen Infektion sehr entmutigend; als augenfälligstes Beispiel sei die Syphilis genannt. Das Gleiche trifft für Protozoen- und Wurminfektionen zu – auch wenn die Forschung in verschiedenen Richtungen weitergeht und für die Veterinärmedizin bereits einige wirksame Impfstoffe herausgekommen sind (z.B. zur Impfung von Hunden gegen Hakenwürmer oder von Rindern gegen Lungenwürmer). Die größten Anstrengungen der Forschung konzentrieren sich vermutlich auf eine Impfung gegen HIV, um Verbreitung oder Progression der AIDS-Erkrankung zu stoppen; hier ist die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs im wahrsten Sinne ein Wettlauf gegen die Zeit. 2002 wurden über 30 Substanzen als potenzielle Impfstoffe in klinischen Phase-I- bzw. Phase-II-Versuchen getestet und in einigen Entwicklungsländern wurde bereits der Übergang zu Phase-III-(Wirksamkeits-)Studien eingeleitet.
1175
Tab. 34.13 Wichtige Infektionskrankheiten, für die es noch keine zufriedenstellenden Impfstoffe gibt. * die BCG-Impfung schützt unterschiedlich gut vor Tuberkulose, scheint aber auch einen gewissen Schutz vor Lepra zu bewirken Die meisten Forschergruppen richten ihre Aufmerksamkeit auf gp120, ein Molekül, mit dem sich HIV an Zellen heften und mit ihnen fusionieren kann, und in Thailand wird ein rekombinanter gp120-Impfstoff getestet, obwohl ein Impferfolg wegen der ausgeprägten Antigenvariation des Moleküls problematisch erscheint. Eine in Kenia erprobte Impfung besteht aus einem DNA-Priming und anschließender Boosterung mit modifiziertem Vaccinia-Virus (Typ Ankara), das die gag-p24/p17-Antigene aller HIV-A-Sybtypen sowie eine Folge zytotoxischer T-Zell-Epitope enthält.
1176
Brauchen wir neue Impfstoffe zum Schutz vor Biowaffen? Um uns vor der Bedrohung durch Bioterroristen zu schützen, sind möglicherweise neue (und einige der alten) Impfstoffe nötig. Impfstoffe gegen Bacillus anthracis (Milzbrand) und Yersinia pestis (Pest) sind zwar bereits verfügbar, bleiben aber beruflich gefährdeten Personengruppen vorbehalten. Auch Pockenimpfstoff wird schon wieder hergestellt und hat eine Diskussion darüber entfacht, ob eine allgemeine Schutzimpfung oder eine postexpositionelle Impfung der Infizierten und ihrer Kontaktpersonen besser wäre. Aber auch aus den verfügbaren Impfstoffen lässt sich ein größerer Nutzen schlagen. Es ist besorgniserregend, dass noch immer weltweit so viele Menschen an Krankheiten sterben, die durch Impfungen zu verhindern wären (Tab. 34.14). Daher bleibt es das vorrangige Ziel, die bestehenden Impfmöglichkeiten allen Menschen bereitzustellen.
34.7.4
Neue Applikationsformen
In Zukunft könnten Impfantigene auch in völlig anderer Form verabreicht werden.
Transdermale Impfung über Hautpflaster Ein neuer Impfansatz ist die Entwicklung von Hautpflastern, die mit dem Antigen imprägniert werden. Das Antigen wird dann von den zahlreichen epidermalen Langerhans-Zellen aufgenommen und zu regionalen Lymphknoten weitergeleitet. Auf diesem Weg wäre sogar eine Adsorption rekombinanter viraler Vektoren (zur Expression von Impfantigenen) über die Hautoberfläche möglich. Besonders clever ist die Idee, ein Impfantigen mit Choleratoxin als Adjuvans zu kombinieren, um mit einem Hautpflaster gleich Schutz vor zwei Krankheiten zu erreichen.
Impfstoffe in Pflanzen Ein neuer Ansatz ist auch der Anbau von Pflanzen zur Gewinnung von Impfstoffen. Könnten die Gene von bakteriellen oder viralen Antigenen in pflanzlichem Gewebe zur Expression gebracht werden, wäre das viel kostengünstiger als die jetzt üblichen Fermentierungs- oder Zellkulturmethoden; transgene Pflanzen würden schon während des Wachsens Impfantigene produzieren. Pflanzen würden sich auch als Darreichungsform für Impfstoffe eignen: man müsste nur von transgenen Pflanzen essen, um geimpft zu werden. Die Experimente zum „Impfstoffanbau“ in Kartoffeln, Tomaten und Tabakpflanzen sind recht viel versprechend. Es bleiben zwar noch einige Schwierigkeiten zu überwinden – doch vielleicht schützen wir uns eines Tages mit dem Verzehr einer transgenen Banane vor einer ganzen Palette von Pathogenen. Die Pflanzen müssten nur so gezüchtet werden, dass sie gleich mehrere Gene exprimieren!
1177
Tab. 34.14 Weltweite Todesfälle durch acht Krankheiten, die sich durch Impfung verhüten ließen. * eingeschlossen sind 215 000 Neugeborene
Zusammenfassung ■ Impfungen dienen zur Vorbereitung des erworbenen Immunsystems auf bestimmte Erregerantigene, damit es bei einer Erstinfektion eine sekundäre Immunreaktion induzieren kann. ■ Es gibt attenuierte Lebendimpfstoffe und abgetötete Voll(bakterien)impfstoffe sowie Spaltimpfstoffe mit Untereinheiten oder Antigenen, die (durch Klonen oder chemische Synthese) künstlich erzeugt werden. ■ Lebendimpfstoffe sind im Allgemeinen wirksamer als andere, bergen aber die Gefahr, dass es zum Umschlagen (Reversion) in Virulenz oder bei immungeschwächten Patienten zum Ausbruch der Krankheit kommen kann. ■ Auswahl, Applikationsform, Dosierung und Risiken eines Impfstoffs müssen bei jeder Krankheit individuell erwogen werden; dabei bleibt noch Raum für Verbesserungen (durch die Produktion sicherer, wirksamer und erschwinglicher Impfstoffe). ■ Wie hoch der Impfschutz/die Durchimpfung einer Bevölkerung sein muss, um eine Infektion auszurotten, lässt sich prozentual errechnen. ■ Dass sich das Alter, in dem sich anfällige Personen infizieren, erhöhen kann, wenn die Mehrheit der Bevölkerung geimpft ist, führt möglicherweise zu Komplikationen. ■ Konflikte zwischen individuellem und gemeinschaftlichem (Bevölkerungs)Impfschutz lassen sich mithilfe epidemiologischer Kenntnisse entschärfen.
1178
■ Insgesamt sind Impfungen sehr nützlich für das öffentliche Gesundheitswesen (Public Health); trotzdem stellen sich noch große Herausforderungen: z.B. bessere Nutzung der verfügbaren Impfstoffe zum Wohl der gesamten Weltbevölkerung und die Entwicklung neuer Impfstoffe für Infektionen, gegen die noch keine Impfung möglich ist.
FRAGEN 1
* Sind Impfstoffe mit inaktivierten Erregern: a)
zur Immunisierung von Schleimhäuten geeignet
b)
weniger stabil als Lebendvakzine
c)
nicht zum Umschlagen in Virulenz imstande
d)
sicherer als Lebendvakzine
e)
immunogener als Lebendvakzine?
2
* Welche Impfung Erwachsener ist trotz Immunschwäche sicher: a)
inaktivierte Impfstoffe
b)
Polio-Lebendimpfstoff
c)
BCG-Impfung
d)
Masernimpfung
e)
Tetanus-Impfung
f)
DNA-Vakzinen? * Was wird mit pc bezeichnet:
3 a)
Anteil der erfolgreich Geimpften in der Bevölkerung
b)
zur Eliminierung der Infektion nötiger Impfschutz
c)
Zahl der Menschen, die sich an einem Infizierten anstecken können
d) kritischer Wert, ab dem eine Infektion nicht mehr übertragen wird, weil in der Bevölkerung zu wenig Menschen anfällig sind? 4
* Wovon hängt der Erfolg einer Impfkampagne ab: a)
von der Bevölkerungsdichte
b)
ob ein Impfstoff die richtige Immunreaktion induziert
c)
ob ein 100%iger Impfschutz erreicht wird 1179
d) von der Verfügbarkeit einer Lebendvakzine? * Fragen mit mehr als einer richtigen Antwort
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Epidemiology and prevention of vaccine-preventable diseases. The Pink Book, 7th ed. 2002 (auch verfügbar unter www.cdc.gov/nip/publicaions/pink). Mims, C.A., White, D.O.: Viral Pathogenesis and Immunity. Blackwell Scientific, Oxford 1984. Vaccination: a series of expert reviews. British Medical Bulletin 62 (2002). Quast, U., Ley, S.: Schutzimpfungen im Dialog. Die häufigsten Fragen zum Thema Schutzimpfungen (3., überarbeitete Auflage). Verlag im Kilian www.rki.de
1180
35 Passive und unspezifische Immuntherapie 35.1 35.1.1
Passive Immunisierung durch Antikörper 575 Gentechnische Antikörperherstellung 577
35.2
Unspezifische zelluläre Immunstimulation 578
35.3
Ausgleich von Immundefekten 579
Zur Orientierung Für Patienten, die sich bereits infiziert oder eine Immunschwäche haben, muss eine Alternative zur Impfung gesucht werden Die eindrucksvollste und erfolgreichste Immuntherapie ist die im vorhergehenden Kapitel beschriebene Impfung. Doch es gibt Situationen, in denen ein anderer Ansatz gefragt ist, z.B. wenn ■ Patienten bereits infiziert sind und deshalb schneller effektive Immunmechanismen benötigen, als sich von selbst aufbauen würden, ■ das Immunsystem wegen Immunschwäche des Patienten oder besonders resistenter Erregermerkmale nur schlecht oder gar nicht auf Infektionen oder Impfungen reagiert. In diesem Kapitel sind solche Situationen beschrieben.
1181
35.1
Passive Immunisierung durch Antikörper
Bestimmte Krankheiten werden durch passive Immunisierung behandelt, die unter Umständen lebensrettend sein kann Bevor Antibiotika in die Therapie eingeführt wurden, injizierte man Patienten bei akuten Infektionskrankheiten oft präformierte Antikörper nach dem Grundsatz, dass sie bereits krank seien und es für eine aktive Immunisierung zu spät wäre. Ende des 19.Jahrhunderts wurde der Nachweis, dass sich mit dem Serum geimpfter Kaninchen Immunität gegen Tetanus und Diphtherie auch auf Mäuse übertragen ließ, tatsächlich zu einer Art Schlüsselexperiment für die Entdeckung von Antikörpern. Im Anschluss daran entwickelte sich die Produktion von Antisera zur passiven Behandlung von Diphtherie, Tetanus und Pneumokokken-Pneumonie zu einem wichtigen Industriezweig weiter, und Generationen von Pferden wurden nach Beendigung ihrer aktiven Laufbahn noch als stille Immunserum-Reserve gehalten. Mit der Einführung eines Antitetanusserums zu Beginn des Ersten Weltkriegs konnte die Tetanus-Inzidenz drastisch (um das 30-fache) gesenkt werden (Abb. 35.1). Mit dem Aufkommen von Penicillin und anderer Antibiotika hat sich das Bild stark verändert, so dass die passive Immuntherapie heute nur noch bei ausgewählten Krankheiten angewandt wird (Tab. 35.1). Das Serum kann von Mensch oder Tier stammen und spezifisch oder unspezifisch sein.
Abb. 35.1
Tetanus-Inzidenz von 1914 bis 1917.
In den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs konnte die Tetanus-Inzidenz durch passive Immunisierung drastisch gesenkt werden. Gezeigt ist die Verlaufskurve der 1182
Tetanus-Inzidenz bei verwundeten Soldaten in britischen Krankenhäusern für den Zeitraum 1914–1916 (Zahlenangaben in Tausend). Als im Oktober 1914 das Antitetanusserum eingeführt wurde, sank die Häufigkeit abrupt ab.
Tab. 35.1 Spezifische passive Immuntherapie mit Antikörpern.
Ein Antiserum tierischen Ursprungs kann zur Serumkrankheit führen Auf Pferde- oder Kaninchen-Antisera wird inzwischen weitgehend verzichtet, weil die Antikörper natürlich ein Fremdantigen darstellen und weil aufgrund der Immunreaktion Komplikationen auftreten können. Dazu gehört zum einen, dass sie allmählich immer schneller eliminiert werden (so dass der klinische Nutzen abnimmt), zum anderen kann sich aber als besonders schwere Nebenwirkung eine Serumkrankheit (durch Ablagerung von Immunkomplexen in Niere und Haut, s. Kap. 17) oder sogar eine Anaphylaxie entwickeln. Diese Komplikationen sind vermeidbar, wenn stattdessen Humanserum von Geimpften oder Rekonvaleszenten verwendet wird, um den Ausbruch einer Infektion nach Exposition (z.B. Tollwut) zu verhindern oder die Symptome abzumildern (z.B. Windpocken bei Kindern mit Immunschwäche).
Theoretisch sind monoklonale Antikörper mit genau definierter Spezifität die beste Form der Antikörpertherapie 1183
In der Praxis kann aber eine Mischung verschiedener monoklonaler Antikörper erforderlich sein, z.B. wenn einzelne Antigene nur in geringen Mengen exprimiert werden oder wenn zur vollen Entfaltung der Wirkung eine Bindung an mehrere Epitope nötig ist. Wir haben oben schon die Herstellung monoklonaler Antikörper in Mäusen beschrieben, doch ihre starke immunogene Wirkung auf Menschen stellt insofern eine schwere Komplikation dar, als humane Antimausantikörper (HAMA) gebildet werden, die zur beschleunigten Entfernung der monoklonalen Antikörper aus dem Blut und möglicherweise zu Hypersensitivitätsreaktionen führen. HAMA verhindern außerdem, dass Maus-Antikörper ihr Ziel erreichen, und blockieren in einigen Fällen deren Antigenbindung. Hier bieten sich Ansatzpunkte, um mit der rekombinanten DNATechnologie die xenogenen (fremden) Anteile monoklonaler Antikörper zu entfernen und durch humane Ig-Strukturen zu ersetzen. Ein sehr raffinierter Ansatz besteht darin, alle sechs complementarity-defining regions (CDR) eines hochaffinen monoklonalen Ratten-Antikörpers auf ein komplett humanes Ig-Gerüst zu verpflanzen, ohne dass sie dabei ihre spezifische Reaktivität verlieren (Abb. 35.2). Das ist allerdings gar nicht so einfach. Daher bleibt es weiterhin ein sehr verlockendes Ziel, humane B-Zellen zu fusionieren, vor allem wenn man bedenkt, dass sich mit solchen Hybridomen nicht nur die Immunogenität stark reduzieren ließe, sondern auch bei Antikörpern derselben Spezies subtile Unterschiede berücksichtigt werden könnten – wie die polymorphen Haupthistokompatibilitäts(MHC)-Moleküle und tumorassoziierten Antigene anderer Menschen.
1184
Abb. 35.2 Antikörper.
„Humanisierter“ monoklonaler Ratten-
Erzeugung durch Verpflanzung aller sechs Ratten-CDR (complementarity-defining regions) auf ein humanes Immunglobulin-(Ig)-Gerüst. Dagegen richten sich xenogene Immunreaktionen eher gegen die (immun)dominanten Strukturen, die den meisten Menschen eigen sind. Trotz der Schwierigkeiten, gut geeignete Fusionspartner zu finden, hat sich bereits eine Vielzahl humaner monoklonaler Antikörper etabliert. Ein völlig anderer Ansatz ist die Produktion transgener Mäusestämme. Dazu bringt man unrearrangierte humane Ig-Leichtketten-Loci (H und k) von Megabasengröße in Mäuse ein, deren endogene murine Ig-Gene vorher inaktiviert wurden. Durch Immunisierung dieser Mäuse lassen sich humane Antikörper hoher Affinität (10−10 bis 10−11 M) gewinnen, die mithilfe von Hybridom- oder rekombinanten Techniken isoliert werden können. Mit solchen transgenen Mäusen sind bereits sehr wirksame antiinflammatorische (Anti-IL-8) und (gegen den Epidermal-Growth-Factor-Rezeptor gerichtete) Antitumormittel hergestellt worden. Doch die Sache hat noch immer den Haken, dass selbst humane Antikörper antiidiotypische Reaktionen hervorrufen können; dies lässt sich möglicherweise durch
1185
aufeinander folgende Injektionen gentechnisch erzeugter Antikörper mit verschiedenen Idiotypen umgehen. Derzeit werden viele humane Antikörper auf ihren klinischen Nutzen untersucht; genannt seien Anti-RhD-IgG zur Verhütung der Rhesusunverträglichkeit bei Neugeborenen oder hochwirksame monoklonale Antikörper zum Schutz vor VZV(Varicella-Zoster-Virus)-, CMV(Zytomegalievirus)- und Gruppe-B-StreptokokkenInfektionen bzw. gegen Lipopolysaccharid-Endotoxine Gram-negativer Bakterien.
35.1.1
Gentechnische Antikörperherstellung
Es gibt andere Möglichkeiten, den mit der Produktion humaner monoklonaler Antikörper verbundenen Problemen aus dem Weg zu gehen und dabei alle Tricks der modernen Molekularbiologie auszureizen. Die „Humanisierung“ von RattenAntikörpern wurde bereits erwähnt, doch inzwischen hat sich eine wichtige neue Strategie, die auf der Bakteriophagen-Expression und Auswahl (Selektion) beruht, einen vorderen Platz erobert. Im Wesentlichen geht es darum, mRNA – vorzugsweise durch „Priming“ humaner BZellen – in cDNA zu überführen und Antikörper-Gene (bzw. Genfragmente) mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) zu expandieren. Danach werden einzelne Konstrukte angefertigt, bei denen sich Leicht- und Schwerketten-Gene zufällig als Faboder scFv-Fragmente (sc = single chain) mit dem Proteingen der Bakteriophagenhülle zu Tandems kombinieren dürfen (Abb. 35.3). In dieser „kombinatorischen Bibliothek“ ist ein riesiges Repertoire an Antikörperfragmenten verschlüsselt (enkodiert), die als Fusionsproteine mit einem filamentösen Hüllprotein auf der Bakteriophagenoberfläche exprimiert werden.
1186
Abb. 35.3 Selektionsverfahren zur gentechnischen Antikörperherstellung.
Pools von Genen, die Ig-Domänen enkodieren und von IgG-RNA abgeleitet sind, werden zufällig kombiniert und als Fab- oder Einzelketten-Fragmente (scFv) auf der Bakteriophagenoberfläche exprimiert. Es können auch Bibliotheken aufgebaut werden, die einzelne Domänen einer variablen Schwerketten-Region (VH) – meist von Mensch oder Lama – exprimieren. Mithilfe von Festkörper-(solid-phase)Antigenen können aus diesen extrem großen Bibliotheken Phagenklone ausgewählt werden, die Gene für Antikörperfragmente mit hoher Affinität enthalten. Um Antikörperfragmente in ausreichenden Mengen zu produzieren, können geeignete Ig-Gene geklont und in passenden Vektoren zur Expression gebracht werden. Die enorm vielen Phagen, die bei einer Escherichia-coli-Infektion entstehen, können nun mit einem Festkörper- (solid-phase-)Antigen aufgefangen werden, um genau die auszuwählen, an deren Oberfläche die Antikörper mit der höchsten Affinität sitzen (Abb. 35.3). Weil in den ausgewählten Phagen bereits die Genkodierung dieser hochaffinen Antikörper vorliegt, können sie leicht geklont werden, um eine massenhafte Expression von Antikörperfragmenten zu erreichen. Dieses Selektionsverfahren bietet einen enormen Vorteil gegenüber anderen Suchverfahren (Screenings), weil die Zahl der Phagen, die untersucht werden können, um einige log-Stufen höher liegt. Obwohl es sich um eine „Retorten-Methode“ handelt, ist die Erzeugung spezifischer Antikörper hier eng an die Affinitätsreifung der Immunantwort in vivo angelehnt, weil das Antigen entscheidend für die Auswahl der Reaktionspartner mit der höchsten Affinität ist. Um die Affinität der erzeugten Antikörper noch zu steigern, können mit dem Antigen Mutanten ausgewählt werden, die durch zufällige Mutagenese (oder noch effektiver an „Mutations-Hotspots“ durch gezielten Austausch gleich an der richtigen Stelle) entstanden sind und eine noch höhere Affinität besitzen. Auch dies imitiert die zufällige Mutation und Antigenselektion bei der natürlichen Immunantwort. Es wurden Phagen1187
Bibliotheken geschaffen, die gerade einmal die Domänen der variablen Region einer einzigen Schwerkette exprimieren – mit erstaunlich hoher Affinität, manchmal im unteren Nano-Molekülbereich. Gene zur massenhaften Expression monoklonaler Antikörper können nicht nur in der Milch laktierender Tiere gentechnisch erzeugt werden, sondern auch Pflanzen lassen sich zu diesem Zweck nutzen. So genannte „Pflanzenantikörper“ (engl. plantibodies, ein Wortspiel, das nicht auf Deutsch übertragbar ist) wurden in Bananen, Kartoffeln und Tabakspflanzen gezüchtet. Die Vorstellung, dass vielleicht eines Tages ein High-TechLandwirt auf seinen Feldern Anti-Tetanustoxoid, Anti-Meningokokken-Polysaccharide usw. anpflanzen wird, bietet reichlich Stoff für Science-fiction!
Antikörper in gepooltem Normalserum können vor Infektionen schützen Bei den gängigen Infektionskrankheiten ist anzunehmen, dass die meisten Menschen Antikörper gegen deren Erreger im Serum haben. Einen eindeutigen Beweis dafür liefert das Ausbleiben rezidivierender Infektionen bei Patienten mit Hypogammaglobulinämie, denen regelmäßig IgG aus gepooltem Normalserum injiziert wird; in gleicher Weise können Kinder mit Immundefekten vor Masern geschützt werden (Tab. 35.2). Das Immunglobulin wird aus Plasmakonzentraten von 1000–6000 gesunden Blutspendern gewonnen, die zuvor auf Hepatitis B und C sowie auf HIV untersucht wurden. Seitdem die Zubereitungsmethoden verbessert wurden, verabreicht man IgGInjektionen in den meisten Fällen intravenös statt wie früher üblich intramuskulär. Die Dosierung beträgt bei dieser Art von Therapie monatlich 100–400 mg IgG/kg Körpergewicht. Bei Gesunden lässt sich das Risiko einer Hepatitis-A-Infektion in einem Endemiegebiet allein schon durch einmalige Injektion von 5 ml IgG drastisch senken. Auch die Leihimmunität, die Neugeborene durch diaplazentaren IgG-Transfer und später beim Stillen durch IgA im Kolostrum (das nicht resorbiert wird, sondern im Darm bleibt) von ihren Müttern erhalten, ist ein weiterer Beweis für die schützende Wirkung selbst relativ kleiner Antikörpermengen.
1188
Tab. 35.2 Indikationen für eine normale Immunglobulintherapie. CMV = Zytomegalievirus
35.2
Unspezifische zelluläre Immunstimulation
Zytokine und andere molekulare Mediatoren können das Immunsystem stimulieren Schon vor über einem Jahrhundert führte William Coley den Nachweis, dass Rohextrakte von Bakterien eine Remission und manchmal sogar Heilung von Krebserkrankungen induzieren können. Das zeigt, in welchem Maße sich das Immunsystem durch unspezifische Reize überstimulieren lässt – mit potenziell günstigen Auswirkungen. Noch bis vor kurzem stammten die meisten Substanzen von Bakterien ab, doch derzeit richtet sich das Interesse verstärkt auf die Einsetzbarkeit von Zytokinen und anderen molekularen Mediatoren. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich die Wirkung der älteren Roh-/Reinextrakte möglicherweise aus der Zytokininduktion erklärt (Tab. 35.3). Am häufigsten wurde diese Immunstimulation in der Tumortherapie angewandt, doch auch Infektionskrankheiten sprechen teilweise gut auf eine Zytokinbehandlung an (Tab. 35.4). Gegen eine Reihe von Virusinfektionen sind Interferone (IFN) – besonders IFNα – wirksam, wenn auch nicht in dem Maße, wie angesichts der wichtigen Rolle, die sie normalerweise bei der Hemmung der Virusreplikation spielen, zu erwarten gewesen wäre. Kürzlich hat sich herausgestellt, dass viele chronische Granulomatosen (CGD) von IFNγ günstig beeinflusst werden; allerdings ist der Wirkmechanismus noch nicht geklärt. Doch die unerwünschten Nebenwirkungen einer hochdosierten Therapie mit Interleukinen, Interferonen oder Tumornekrosefaktor α (TNFα) schränken ihren routinemäßigen Einsatz ein (Tab. 35.5).
1189
Tab. 35.3 Unspezifische Immunstimulanzien.
Zwischen Immunstimulation und Ernährung liegt eine interessante „Grauzone“ Seit Jahren wird behauptet, der Transferfaktor (TF), ein dialysiertes Extrakt peripherer Leukozyten von Normalpatienten, könne die T-Zell-Reaktionen bei immun nicht ansprechenden Empfängern wiederherstellen, und in dem Zusammenhang wird auch über dramatische Heilungen berichtet (z.B. einer chronischen mukokutanen Candidiasis). Ob die Wiederherstellung der Immunreaktivität antigenspezifisch ist oder nicht, war lange Thema großer Auseinandersetzungen. Mangels einer genaueren molekularen Charakterisierung wird TF nicht länger als orthodoxe Behandlungsform angesehen.
1190
Tab. 35.4 Potenziell therapeutisch nutzbare Zytokine.
Tab. 35.5 Häufige Nebenwirkungen einer Zytokintherapie. IL = Interleukin, TNFα= Tumornekrosefaktor α Ebenso unorthodox sind auch Pflanzenstoffe (z.B. Saponine, Ginseng, TCMHeilkräuter), die aber zunehmend Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie scheinen die Widerstandskraft gegen Infektionen stärken zu können und wirken in einigen Fällen als Adjuvanzien, wenn sie mit Impfungen kombiniert werden. 1191
35.3
Ausgleich von Immundefekten
Am einfachsten lassen sich Antikörperdefekte behandeln Dieses Thema ist ausführlicher in Kap. 30 erörtert und soll hier nur kurz zusammengefasst werden: ■ Antikörperdefekte sind am einfachsten zu behandeln, weil Immunglobuline übertragbar sind und eine vernünftig lange Halbwertszeit haben (IgG z.B. ca. 3 Wochen). ■ Weniger erfolgreich ist die Behandlung von T-Zell-Defekten, auch wenn in einigen Fällen eine Transplantation von Thymusgewebe oder Knochenmark versucht wurde (Tab. 35.6). ■ Am schwierigsten lassen sich Phagozytendefekte beheben; in der Praxis bleiben daher Antibiotika die Grundpfeiler der Therapie, obwohl die Zukunft in Genersatztherapien liegen könnte. Kürzlich konnten Gendefekte auch bei einer Reihe schwerer Immundefizienzsyndrome (z.B. Hyper-IgM-Syndrom, CGD und Agammaglobulinämie des Typs Bruton) als Ursache nachgewiesen werden.
Tab. 35.6 Behandlung von Immundefekten im Überblick. ADA = Adenosindesaminase, CGD = chronische Granulomatose, PNP = Purin-Nukleosid-Phosphorylase, SCID = schwerer kombinierter Immundefekt
Zusammenfassung ■ Der Transfer von normal gepooltem IgG ist die gebräuchlichste Form einer passiven Immuntherapie und dient zur Behandlung der meisten Fälle eines Antikörpermangels. ■ Für bestimmte definierte Immunstörungen können spezifische Antikörper angewandt werden. Um diese Antikörper zu gewinnen, können sie als monoklonale Mausoder Human-Antikörper produziert, als Ratten-CDR (complementaritydetermining regions) auf ein Human-Ig-Gerüst verpflanzt oder als Fab-, Einzelketten-Fv(scFv)- oder Schwerketten-variable-Region-Domänen-Fragmente aus den Genexpressions-Bibliotheken von Bakteriophagen ausgewählt werden, die Antikörperfragmente als Oberflächenprotein tragen.
1192
■ In vitro können gentechnisch hergestellte Antikörper in konventionellen Vektoren oder in vivo in der Milch von laktierenden Tieren oder in Pflanzen massenhaft zur Expression gebracht werden. ■ Die unspezifische Stimulation der T-Zell-vermittelten Immunität befindet sich noch im experimentellen Stadium, doch Zytokine erscheinen viel versprechend (besonders IFN bei Virusinfektionen).
FRAGEN 1 *Was könnte man als „passive“g Immunisierung beschreiben: a)
den diaplazentaren Übertritt von mütterlichem IgG,
b)
die Injektion eines Immunogens,
c)
die Injektion von humanem Rekonvaleszenten-Immunglobulin,
d)
die Injektion monoklonaler humaner Antikörper,
e)
die Injektion bakterieller Lipopolysaccharide?
2 *Die Injektion von Pferdeserum-Antitetanustoxoid bewirkt: a)
einen Schutz vor Diphtherietoxin,
b)
eine aktive Immunisierung gegen Tetanustoxin,
c)
eine kurzzeitige Neutralisierung von Tetanustoxin,
d)
in einigen Fällen Überempfindlichkeitsreaktionen (Serumkrankheit)?
3 *Spezifische Antikörper konnen gentechnisch zur Expression gebracht werden: a)
als scFv auf der Oberfläche von Bakteriophagen,
b)
als Fc-Fragment auf der Oberfläche von Bakteriophagen,
c)
als VH auf der Oberfläche von Bakteriophagen,
d) von Schwer- und Leichtketten-Immunglobulin-Genen mit fehlender Signalsequenz in E. coli, e)
in Mäusen mit Agammaglobulinämie, denen B- und T-Zellen fehlen?
4 Interferon α ist: a)
zur Behandlung von Streptokokkeninfektionen geeignet,
b)
tödlich fur Candida albicans,
c)
ein potenziell wertvoller Bestandteil der Hepatitis-B-Therapie, 1193
d) ein Hemmstoff für die Proliferation extrazellulärer Viren? (* mehr als eine richtige Antwort)
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Allison, A.C.: Immunopotentiation. In: Brostoff, J., Scadding, G.K., Male, D., Roitt, I.M. (eds.): Clinical Immunology. Gower Medical Publishing, London 1991. Coley, W.B.: The therapeutic value of the mixed toxins of erysipelas and Bacillus prodigiosus in the treatment of inoperable malignant tumours. Am J Med Sci 112 (1986) 251. Parker, M.T., Collier, L.H. (eds.): Topley and Wilson’s Principles of Bacteriology, Virology and Immunity, Vol. 1, 9th ed. Edward Arnold, London 1997.
1194
36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und Desinfektion 36.1
Häufige nosokomiale Infektionen 583
36.2
Hauptursachen nosokomialer Infektionen 584
36.3
Infektionsquellen und Übertragungswege im Krankenhaus 585
36.4
Wirtsfaktoren und nosokomiale Infektionen 586
36.5
Folgen nosokomialer Infektionen 587
36.6
Prävention nosokomialer Infektionen 588
36.6.1
Infektionsquellen beseitigen 588
36.6.2
Infektionskette abbrechen 589
36.6.3
Widerstandskraft der Patienten stärken 591
36.7
Epidemiologische Untersuchung nosokomialer Infektionen 594
36.7.1
Überwachung (Surveillance) 594
36.7.2
Untersuchung von Epidemien 594
36.7.3
Schritte zum Aufspüren der Infektion 595
36.7.4
Epidemiologische Typisierungs- methoden 595
36.7.5
Molekulare Typisierung 597
36.7.6
Untersuchung von Virusinfektionen 600
36.7.7
Prävention 600
36.8
Sterilisation und Desinfektion 600
36.8.1
Definitionen 600
36.8.2
Sterilisation oder Desinfektion? 601
36.8.3
Sterilisationsverfahren 602
36.8.4
Kontrolle von Sterilisation und Desinfektion 604
1195
Zur Orientierung Jede im Krankenhaus erworbene Infektion wird als nosokomiale Infektion bezeichnet Dass im Krankenhaus eine große Zahl kranker Menschen unter einem Dach versammelt ist, hat Vorteile, aber auch einige Nachteile, z.B. dass sich Infektionen leichter zwischen den Patienten übertragen. Als nosokomiale oder Hospitalinfektion wird jede während eines Krankenhausaufenthalts erworbene Infektion bezeichnet (im Zeitraum von 48 Stunden nach der Einweisung bis 48 Stunden nach der Entlassung). Obwohl die meisten Infektionen noch im Krankenhaus symptomatisch werden, treten sie in einigen Fällen erst nach der Entlassung in Erscheinung (ca. 50% der postoperativen Wundinfektionen). Dass Patienten aus Kostengründen früher entlassen werden, kann mit dazu beitragen, dass Infektionen nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, während sich andererseits bei einem kürzeren Aufenthalt vor der Operation das Risiko verringert, sich einen Hospitalkeim einzufangen (s. unten). Nosokomiale Infektionen können aus ■ einer exogenen Quelle (Kreuzinfektion durch Keime von anderen Patienten oder aus der Umgebung) oder ■ einer endogenen Quelle (Autoinfektion des Patienten von einer anderen Körperstelle aus) stammen (Abb. 36.1). Hat die Inkubationszeit schon vor der Einweisung ins Krankenhaus begonnen, spricht man nicht von nosokomialer Infektion. Trotzdem können sich Infektionen, die Patienten aus ihrer häuslichen Umgebung mitbringen, zu nosokomialen Infektionen für die anderen Patienten und das Krankenhauspersonal ausweiten.
Viele nosokomiale Infektionen sind vermeidbar 1850 wies Semmelweis darauf hin, dass viele nosokomiale Infektionen vermeidbar seien, als er die unpopuläre Behauptung aufstellte, das Puerperalfieber („Kindbettfieber“ nach der Geburt, s. Kap. 23) werde von Ärzten übertragen, die nach einer Autopsie nicht die Hände waschen, bevor sie zur Entbindungsstation überwechselten. Mit einer einfachen Maßnahme wie dem Händewaschen vor und nach einer körperlichen Untersuchung ließ sich die Sterblichkeit von 8,3 auf 2,3% senken. Intensive Studien in den USA kamen in den 70er Jahren zu dem Ergebnis, dass 35? aller im Krankenhaus erworbenen Infektionen zu verhüten wären. Nach neueren USamerikanischen Schätzungen verursachen nosokomiale Infektionen nicht nur Kosten in Höhe von jährlich rund 4,5 Milliarden Dollar, sondern tragen auch zu mindestens 88000 Todesfällen/Jahr bei.
36.1
Häufige nosokomiale Infektionen
Am häufigsten werden Harnwegsinfektionen im Krankenhaus erworben 1196
Zu den häufigsten nosokomialen Infektionen gehören: ■
chirurgische Wundinfektionen (z.B. nach Operationen)
■
Atemwegsinfektionen
■
Harnwegsinfektionen
■
Bakteriämien
Abb. 36.1
Nosokomiale Infektionen.
Im Krankenhaus erworbene (nosokomiale) Infektionen können aus einer endogenen (Autoinfektion von einer anderen Körperstelle aus) oder einer exogenen Quelle (Krankenhauspersonal, andere Patienten, aus der Umgebung) stammen. Auch die Art der pathogenen Keime hängt von ihrer Umgebung ab; im feuchten Milieu siedeln bevorzugt Gram-negative Stäbchen (wie Escherichia coli, Klebsiella, Pseudomonas), während durch Luft oder Staub übertragbare Keime resistent gegen Austrocknung sind (z.B. Streptokokken, Staphylokokken, Mykobakterien, Acinetobacter). In Abb. 36.2 ist ihre Häufigkeitsverteilung zu sehen. Jede Infektion kann aus einer exogenen oder endogenen Quelle stammen, doch selbst die Keime einer körpereigenen (Auto-)Infektionsquelle können sich Patienten erst während des Krankenhausaufenthalts zugezogen haben. Eine Bakteriämie kann unterschiedliche Ursachen haben: ■ primär – durch direkte Einbringung von Keimen ins Blut, z.B. über kontaminierte Infusionslösungen ■ sekundär – durch Streuung aus einem vorhandenen Infektionsherd, z.B. im Urogenitaltrakt
Abb. 36.2 Häufigkeitsverteilung nosokomialer Infektionen.
1197
Diese kann leichte Schwankungen in unterschiedlichen Patientengruppen aufweisen, doch insgesamt sind Harnwegsinfektionen die häufigsten Infektionen bei Krankenhauspatienten. Andere Infektionen können ebenfalls ausbruchsartig im Krankenhaus auftreten, wie z.B. Gastroenteritis und Hepatitis.
36.2
Hauptursachen nosokomialer Infektionen
Zu den häufigsten Ursachen gehören Staphylokokken und Escherichia coli Im Grunde kommt fast jeder Mikroorganismus als Auslöser einer nosokomialen Infektion in Frage, wobei Protozoeninfektionen eher die Ausnahme sind. Das Muster nosokomialer Infektionen hat sich im Laufe der Jahre geändert und spiegelt die Fortschritte wider, die in der Medizin und bei der Entwicklung neuer antimikrobieller Mittel erzielt wurden. Vor der Anwendung von Antibiotika waren meist Gram-positive Bakterien die Ursache (vor allem Streptococcus pyogenes und Staphylococcus aureus), doch mit der Einführung von Penicillin und anderen staphylokokkenwirksamen Antibiotika sind Gram-negative Erreger (wie Escherichia coli und Pseudomonas aeruginosa) wichtiger geworden. Durch die Entwicklung noch stärker wirksamer Mittel und Breitspektrumantibiotika sowie durch vermehrte Anwendung invasiver Diagnose- und Therapiemethoden steigt seit neuerem auch die Inzidenz: ■ antibiotikaresistenter Gram-positiver Bakterien (wie koagulasenegative Staphylokokken, Enterokokken und Methicillin-resistente S. aureus [MRSA]), ■ multiresistenter Gram-negativer Bakterien (inklusive solcher mit erweitertem Spektrum Betalaktamase-bildender Keime [ESBL]), ■
von Candida.
1198
Viele dieser Keime gelten als „opportunistisch“, denn sie können nur bei Immunschwäche oder nach Einschleppung durch invasive Techniken zur Erkrankung führen, wirken bei gesunder, intakter Abwehr aber nicht pathogen. Derzeit ist E. coli für insgesamt mehr nosokomiale Infektionen verantwortlich als jede andere Spezies, dicht gefolgt von Staphylokokken an zweiter Stelle (Tab. 36.1).
Viren verursachen möglicherweise mehr nosokomiale Infektionen als angenommen Viren können Patienten und Krankenhauspersonal infizieren: ■ Über die Atemwege gelangen besonders Influenza- und Parainfluenzaviren, Respiratory-syncytial-Viren (RSV) und das Varicella-Zoster-Virus (VZV) in den Körper, aber manchmal auch Erreger einer Gastroenteritis. ■ VZV und Herpes-simplex-Virus (HSV) können z.B. über infektiöse Bläschen übertragen werden (Kontaktinfektion). ■ Der Kontakt mit kontaminierten Ausscheidungen kann zur Infektion mit Noroviren (früher als Norwalk-like-Viren [NLV] bzw. small round structured virus [sRSV] bezeichnet) oder mit Rotaviren führen. ■ Durch Blutkontakt (Ausscheidungen, Nadelstichverletzung oder Schleimhautspritzer) werden HBV (Hepatitis-B-Virus), HIV und HTLV (human T cell lymphotropic virus) übertragen. Auch wenn Blut und Blutprodukte – wie es in manchen Ländern noch der Fall ist – vor Transfusionen nicht routinemäßig untersucht werden oder wenn Blutspender – in sehr seltenen Fällen – im Frühstadium (Inkubationszeit) durch das Screening-Raster fallen, ist eine Ansteckung mit diesen Viren möglich. Dass Infizierte in der Periode des diagnostischen Fensters nicht erfasst werden, könnte selbst beim Einsatz von Virusgenomnachweismethoden passieren.
1199
Tab. 36.1 Rangordnung von Hospitalkeimen nach ihrer Bedeutung für verschiedene Infektionen. Die Risiken für eine Virusinfektion im Krankenhaus sind im Überblick in Tab. 36.2 dargestellt.
1200
36.3 Infektionsquellen und Übertragungswege im Krankenhaus Infektionsquellen können Menschen und kontaminierte Gegenstände sein Wie oben erwähnt können Hospitalinfektionen aus folgenden Quellen stammen (Abb. 36.1): ■
von Menschen (andere Patienten, Krankenhauspersonal, Besucher) oder
■ aus der Umgebung (kontaminierte Ausscheidungen, Nahrungsmittel, Luft und Wasser) Wenn die Kontamination durch ein Keimreservoir in der Umgebung bedingt ist, z.B. wenn verunreinigte antiseptische Lösungen in sterile Behälter gelangen und verteilt werden (Abb. 36.3), muss neben der Quelle auch das Keimreservoir beseitigt werden. Als Infektionsquellen kommen Menschen in Frage, die: ■
selbst infiziert sind,
■
eine Infektion inkubieren,
■
klinisch gesunde Träger sind.
Wie lange ihre Infektiosität anhält, ist bei einzelnen Krankheiten unterschiedlich (s. Kap. 31). Manche Infektionen sind schon während der Inkubationszeit ansteckend, andere erst im frühen klinischen Stadium; wieder andere münden nach der klinischen Heilung in einen längeren Trägerstatus, z.B. Typhus (Abb. 36.4). Obwohl sie selbst klinisch gesund bleiben, können Träger virulenter Stämme wie S. aureus oder S. pyogenes zur Quelle einer nosokomialen Infektion werden. Ein lang anhaltender Trägerstatus wird unter Umständen erst bemerkt, wenn plötzlich eine Ausbruchsituation entsteht oder wenn sich bei einem besonderen Erreger die Spur von einzelnen Infizierten zum Träger – z.B. einer Pflegekraft mit chronischer Hepatitis B – zurückverfolgen lässt.
Hospitalkeime verbreiten sich durch Luft, als Kontaktinfektion oder über Vehikel Die Ausbreitungswege von Hospitalkeimen sind dieselben wie bei anderen Infektionen, d.h. aerogen, durch direkten Kontakt oder über ein Vehikel. Beispiele für jede Übertragungsart sind in Abb. 36.3 dargestellt. Obwohl theoretisch auch von Vektoren übertragene Infektionen denkbar sind, kommen sie im Krankenhaus ausgesprochen selten vor, genauso wie sexuell übertragbare Infektionen. Wichtig ist daran zu denken, dass bestimmte Keime auf mehreren Wegen verbreitet werden können. S. pyogenes kann sich z.B. mit Tröpfchen oder Staub in der Luft unter den Patienten ausbreiten, wird aber auch durch direkten Kontakt mit infizierten 1201
Läsionen (z.B. an der Hand einer Krankenschwester) übertragen. Auch das VZV kann eingeatmet oder durch direkten Kontakt (mit Windpockenbläschen eines anderen Patienten oder einer Pflegekraft) übertragen werden.
Tab. 36.2 Viren sind möglicherweise wichtigere Ursachen nosokomialer Infektionen, als man sich gemeinhin klar macht. ** 1 2 3
stärker in pädiatrischen Altersgruppen; seit Beginn der Impfprogramme rückläufig; außer bei Bluttransfusion und Organtransplantation; bei Nadelstichverletzung oder andere unabsichtliche Gefährdung; durch Blut oder Blutprodukte
1202
36.4
Wirtsfaktoren und nosokomiale Infektionen
Grunderkrankung, bestimmte Behandlungsformen und invasive Eingriffe schwächen die Abwehrkräfte In der Infektionsabwehr spielen Wirtsfaktoren eine wichtige Rolle. Das gilt besonders in Krankenhäusern, weil die natürlichen Abwehrkräfte bei einem großen Teil der stationären Patienten beeinträchtigt sind. Die Ausbreitung von Erregern auf neue Patienten kann ein Reaktionsspektrum hervorrufen, das von der Besiedlung über eine subklinische Infektion bis hin zur manifesten, möglicherweise tödlichen Krankheit reicht. Wie stark die Reaktion auf die Infektion ausfällt, hängt von der unterschiedlichen Ausprägung der Abwehrschwäche bei den Betroffenen ab. Besonders anfällig sind sehr junge Patienten, deren Immunsystem noch unreif ist. Auch ältere Patienten haben häufiger ein höheres Infektionsrisiko, weil Grundkrankheiten, schlechtere Durchblutung und Bettlägerigkeit eine Stase (z.B. Sekretstau in der Lunge) und damit eine Infektion begünstigen. Grundkrankheiten bzw. deren Behandlung (z.B. mit Zytostatika oder Steroiden) können in allen Altersgruppen zu Infektionen prädisponieren (Abb. 36.5). Durch invasive Maßnahmen werden leicht Keime in zuvor geschützte Gewebe eingeschleppt (Abb. 36.6). Welche Wirts-/Patientenfaktoren bei nosokomialen Infektionen berücksichtigt werden sollten, zeigt Tab. 36.3. Auf Infektionen immungeschwächter Patienten wird in Kap. 30 näher eingegangen.
Zu Wundinfektionen prädisponierende Faktoren Typisch für eine Wundinfektion oder Wundsepsis sind Entzündung, Eiter und Exsudat, aus denen z.B. Keime wie S. aureus isoliert werden können. In intensiven Untersuchungen zu postoperativen Wundinfektionen konnten mehrere Einflussfaktoren ermittelt werden:
1203
Abb. 36.3 Nosokomiale Infektionen verbreiten sich auf demselben Weg wie Infektionen in der Bevölkerung.
Manchmal sind Reservoir und Infektionsquelle (ein Mensch oder anorganisches Material) identisch, z.B. eine Krankenschwester mit infizierter Hautläsion. Falls Reservoir und Infektionsquelle getrennt sind (z.B. mit kontaminiertem destilliertem Wasser zubereitete Arzneimittel), müssen beide saniert werden, damit sich eine Infektion nicht weiter ausbreitet; sonst würde das Reservoir ständig neue Quellen kontaminieren. HBV = Hepatitis-B-Virus, i.v. = intravenös, RSV = Respiratory-syncytial-Virus ■ Durch längeren Krankenhausaufenthalt vor einem chirurgischen Eingriff erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten antibiotikaresistente Hospitalkeime erwerben. ■ Art der Operation und die Dauer des Eingriffs spielen ebenfalls eine Rolle (Tab. 36.4, Abb. 36.7; s. auch Kap. 26). ■ Nässende oder offene Wunden sind stärker durch eine Sekundärinfektion gefährdet.
1204
Aufgrund dieser Studien können präventive Maßnahmen für Patienten und Operationen mit besonders hohem Infektionsrisiko ergriffen werden (Antibiotikaprophylaxe und spezielle Belüftungssysteme in orthopädischen Operationssälen, s. unten).
36.5
Folgen nosokomialer Infektionen
Nosokomiale Infektionen wirken sich auf die Patienten und die Gesellschaft aus Nosokomiale Infektionen können schwerwiegende Folgen haben: ■
schwere Krankheit oder Tod des Patienten;
■ längerer Krankenhausaufenthalt, der Geld kostet und für die Patienten und ihre Familien einen Einkommensverlust und sonstige Härten bedeuten kann; ■ zusätzlich kann eine antimikrobielle Therapie notwendig sein, die teuer ist und ein höheres Toxizitätsrisiko für den Patienten bedeutet; zudem wird ein Selektionsdruck auf Hospitalkeime erzeugt, aus dem sich neue Resistenzen entwickeln können; ■ infizierte Patienten können andere Menschen (im Krankenhaus oder im gesellschaftlichen Umfeld) anstecken.
1205
Abb. 36.4 Erreger können in unterschiedlichen Infektionsphasen disseminieren.
Da einige schon in der Inkubationszeit übertragen werden, merken die Infizierten nicht einmal, dass sie krank und ansteckend sind. Manche Menschen bleiben noch lange nach der klinischen Gesundung Träger (z.B. Träger von Salmonella typhi oder
1206
des Hepatitis-B-Virus). Opportunistische Erreger gehen oft aus der Normalflora hervor und können daher lange ohne spürbare Nebenwirkungen vorhanden sein.
36.6
Prävention nosokomialer Infektionen
Zur Verhütung nosokomialer Infektionen werden drei Strategien angewandt Aus den oben skizzierten Gründen kommt der Prävention nosokomialer Infektionen oberste Priorität zu. Die drei Hauptstrategien sind: ■
Ausschluss von Keimen/Infektionsquellen in der Umgebung
■ Durchbrechen der Infektionskette (d.h., dass sich weitere anfällige Patienten an der Quelle anstecken) ■
Stärkung der Widerstandskräfte des Patienten
36.6.1
Infektionsquellen beseitigen
Unbelebte Infektionsquellen lassen sich ausräumen, doch eine Kontamination durch Menschen ist nur schwer vermeidbar Eine unbelebte Infektionsquelle auszuschalten ist nicht nur erstrebenswert, sondern auch weitgehend erreichbar (z.B. durch sterile Instrumente und Verbandmaterialien, sterile Medikamente und Infusionslösungen, saubere Leinentücher und hygienisch zubereitete Nahrungsmittel sowie durch ausschließliche Verwendung getesteter Blutkonserven und Blutprodukte). Doch in vielen Fällen geht die Infektion von Menschen aus oder von Gegenständen, die sie berührt haben – was einen Ausschluss sehr viel schwieriger macht. In der Klinik ist darauf zu achten, dass möglichst kein chronischer Träger im Behandlungsteam mit Patienten in Kontakt kommt.
1207
Abb. 36.5 Varizelleninfektion bei einem Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie.
Dunkelroter konfluierender (Windpocken-)Ausschlag am Stamm (mit freundlicher Genehmigung von G.D.W. McKendrick). Es dürfte allerdings schwer fallen, solche Träger zu ermitteln und diese auf andere Positionen zu versetzen. Vor der Einstellung sollten Krankenhausbeschäftigte einer gründlichen Gesundheitsprüfung unterzogen werden und sich in regelmäßigen Abständen untersuchen lassen (Tab. 36.5). In Großbritannien können alle Schüler bzw. Studenten, die sich auf einen Gesundheitsberuf vorbereiten, das Angebot einer Hepatitis-BImpfung in Anspruch nehmen; risikoträchtige Maßnahmen dürfen sie nur durchführen, wenn sie geimpft sind. Wer seinen Impfstatus nicht kennt oder auf die Impfung nicht angesprochen hat, darf erst nach Ausschluss einer akuten HBVInfektion bzw. Nachweis eines schützenden HBs-Antikörpertiters solche Maßnahmen vornehmen. Ein Infektionsrisiko (z.B. bei blutigen Eingriffen) kann sowohl von Hepatitis-BTrägern im Personal (Gefahr für Patienten) als auch von Patienten ausgehen (Gefahr für ungeschütztes Personal). In jedem Krankenhaus gibt es Behandlungsvorschriften für Beschäftigte, die sich versehentlich durch kontaminiertes Blut infiziert haben könnten (z.B. mit HBV, HCV und HIV). Als Prophylaxe wird meist eine aktive und/oder passive HBV-Immunisierung und bei einer möglichen HIV-Infektion eine Kurztherapie mit antiretroviralen Mitteln durchgeführt.
Abb. 36.6 Infiziertes Spitz-Holter-Ventil bei einem Kind mit Hydrozephalus.
1208
(Mit freundlicher Genehmigung von J.A. Innes).
1209
Tab. 36.3 Nicht alle Krankenhauspatienten sind in gleichem Maße infektionsgefährdet. Das Klinikpersonal sollte generell dazu angehalten werden, Anzeichen einer Infektion zu melden (z.B. infizierte Schnittwunde, Durchfallattacke). Freiwillige Impfungen können in manchen Fällen verbindlich vorgeschrieben werden (Impfpflicht). In Tab. 36.5 sind ausgewählte Infektionskrankheiten aufgeführt, bei denen das Personal besser vom Dienst befreit werden sollte. Klinisch gesunde Träger virulenter Staphylokokkenstämme lassen sich ohne ein bakteriologisches Screening kaum entdecken, doch das wird nicht routinemäßig möglich sein. Hinzu kommt, dass auch medizinisches Personal mit opportunistischen Keimen wie koagulasenegativen Staphylokokken oder Enterobakterien in der Normalflora zu einer ständigen Infektionsquelle werden kann, die sich nicht ohne weiteres nachweisen bzw. ausschließen lässt.
1210
36.6.2
Infektionskette abbrechen
Um die Infektionskette abreißen zu lassen, müssen zwei Elemente berücksichtigt werden: Strukturen und Menschen. Bau und Ausstattung eines Krankenhauses können bei der Prävention von Infektionen, die sich aerogen ausbreiten, und bei der Einhaltung aseptischer Kautelen eine Rolle spielen – was aber nichts hilft, wenn das Personal die gebotenen Möglichkeiten nicht richtig nutzt oder sich nicht selbst aktiv bemüht, die Verbreitung von Infektionen zu verhindern.
Tab. 36.4 Risikofaktoren für postoperative Infektionen.
1211
Durch Luft übertragbare Infektionen Belüftungssysteme und Luftströme können ihren Teil zur Streuung von Keimen beitragen Stationen mit separaten Zimmern scheinen einen gewissen Schutz vor Erregern zu bieten, die sich über die Luft verbreiten, und noch besser sind Räume mit kontrollierbarer Belüftung. Das verhindert aber nicht, dass vom Personal (mit der Kleidung) Keime hineingetragen werden, was offenbar eine wichtigere Infektionsquelle ist als die Übertragung durch die Luft, wie einige Studien vermuten lassen.
Abb. 36.7 Gangrän.
Nach einer Operation hat sich eine großflächige Ulzeration gebildet, mit gangränösem Hautgewebe und einer offenen Stelle im Wundbereich und umgebender Cellulitis (mit freundlicher Genehmigung von M.J. Wood). Es steht außer Zweifel, dass Legionella-Infektionen durch Luft übertragen werden, und daher sollten die Klimaanlagen im ganzen Krankenhaus so gewartet werden, dass sich die Keime nicht vermehren (s. Kap. 19). Nosokomiale Aspergillosen werden auf Sporen zurückgeführt, die in der Klinikluft vorkommen und sich besonders bei Bauarbeiten im Klinikbereich verbreiten. Belüftungsanlagen von Operationssälen müssen richtig installiert und gewartet werden, damit keine kontaminierte Luft von außen eindringen kann oder durch die Luftströmung Keime vom OP-Team zum Operationssitus gelangen. Ultrasaubere Luft ist Luft, die durch Hochleistungsfilter geleitet wird, um Bakterien und andere Schwebepartikel zu entfernen; das hat nachweislich dazu beigetragen, die Zahl postoperativer Wundinfektionen nach längeren orthopädischen Eingriffen zu reduzieren.
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Durch Patientenisolation lässt sich die aerogene Übertragung signifikant verringern Patienten werden entweder isoliert, ■ weil sie besonders anfällig sind (Schutzisolation zur besseren Abschirmung vor pathogenen Keimen), oder ■ weil sie infiziert sind (Absonderung zum Schutz der anderen Patienten). Durch die Isolierung kann auch eine Übertragung auf anderem Wege verhindert werden, denn der eingeschränkte Zugang zu diesen Patienten erinnert das Personal eher daran, wie wichtig Kontakte für die Ausbreitung von Infektionen sind. Zur Schutzisolierung kann der Patient in ein Einzelzimmer auf der Station verlegt oder in eine Isolierzimmer eingeschlossen werden. Überdruck (positive pressure ventilation) sorgt dafür, dass die Luft aus dem „reinen“ Patientenbereich (Zimmer/Isolator) herausgeleitet wird. Jeder aus dem Behandlungsteam sollte beim Betreten des Raums oder bei Pflege- bzw. ärztlichen Maßnahmen einen sterilen Kittel, Handschuhe und Mundmaske tragen, um keine eigenen oder Keime von anderen Patienten zu übertragen.
Tab. 36.5 Arbeitsbeschränkungen für medizinisches Personal mit Infektionskrankheiten. Um ansteckende Patienten abzusondern, sollten sie im Idealfall in einem anderen Gebäude untergebracht werden (so entstanden übrigens früher die Sanatorien für Tuberkulosekranke). Im Allgemeinen beschränken sich die Möglichkeiten aber auf eine Isolierstation oder ein Nebenzimmer abseits der Hauptabteilungen von Krankenhäusern. Um zu verhindern, dass Keime übertragen werden, sollte Luft von der Station ins Patientenzimmer geleitet werden. Ohne entsprechende technische 1213
Ausstattung (Doppeltüren, Luftschleuse) lassen sich die richtigen Luftströme aber nur schwer verwirklichen.
Aseptisches Verhalten fördern In Krankenhäusern spielt Sauberkeit eine entscheidende Rolle, doch es hängt auch von der Einrichtung ab, wie leicht sie rein gehalten werden bzw. wie gut sich das Personal an hygienische Bestimmungen halten kann.
Bakteriologisch gründliches Händewaschen gehört zu den wichtigsten Maßnahmen gegen nosokomiale Infektionen Mit den Händen kann das Personal Keime aus unterschiedlichen Quellen auf Patienten übertragen – z.B. von septischen Läsionen, klinisch gesunden Körperstellen anderer Patienten (Träger), durch kontaminierte Instrumente und Träger im Team selbst (Tab. 36.6 und Abb. 36.8). Daher sollten ■ vor jeder Maßnahme, bei der Schutzhandschuhe oder Werkzeuge nötig sind, ■ nach Kontakt mit infizierten oder mit multiresistenten Bakterien besiedelten Patienten, ■ nach dem Berühren von infektiösem Material unbedingt die Hände gewaschen werden. Obwohl Wasser und Seife in vielen Situationen ausreichen, werden stattdessen bevorzugt schnell trocknende Gele und Lösungen auf alkoholischer Basis verwendet, die handlicher sind und anscheinend auch stärker antibakteriell wirken. In den USA haben die Centers for Disease Control (CDC) den Gebrauch für alle Krankenhäuser verbindlich angeordnet. Wichtig ist auch das Abtrocknen nach dem Händewaschen. Vor Operationen ist eine längere und gründlichere Händereinigung erforderlich. Wasserhähne, Seifenspender und andere Waschgelegenheiten (etwa zur Reinigung von Bettpfannen) sind inzwischen technisch in hohem Maße perfektioniert. Doch das Verhalten von Menschen lässt sich nur sehr begrenzt von Technik und Design beeinflussen; und die Compliance in Bezug auf banale Prozeduren wie das Händewaschen ist oft enttäuschend schlecht. Hygienisch richtiges Verhalten sollte unbedingt regelmäßig geübt und positiv verstärkt werden.
36.6.3
Widerstandskraft der Patienten stärken
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Die Widerstandskraft von Patienten kann durch Auffrischungsimpfungen und Ausschalten von Risikofaktoren verbessert werden
Tab. 36.6 Kontamination der Hände bei Pflegemaßnahmen mit Hautkontakt. * Zur Kontrolle wurden vor jeder Prozedur die Hände gewaschen (keine Klebsiellen nachweisbar) Obwohl alle Anstrengungen unternommen werden sollten, um nosokomiale Infektionen zu bekämpfen (Infektionsquelle ausschalten, Ansteckung von anfälligen Patienten verhindern), ist keine dieser Strategien absolut sicher. Und sie können Patienten nicht vor endogenen Infektionen schützen. Damit der Zeiger an der Waage doch zugunsten des Patienten ausschlägt, sollte seine Widerstandskraft durch Auffrischen der spezifischen Immunität und Ausschaltung persönlicher Risikofaktoren gestärkt werden. Dabei ist auf folgende Aspekte zu achten:
Abb. 36.8 Abdruck einer Hand, die mit ca. 1000 Klebsiella aerogenes inokuliert wurde.
1215
Gram-negative Stäbchenbakterien gehören normalerweise nicht zur residenten Hautflora (außer in Feuchtbereichen), können aber leicht mit den Händen auf anfällige Patienten übertragen werden. ■
aktive oder passive Immunisierung zur Auffrischung der Immunität,
■
Antibiotikaprophylaxe (bei Bedarf),
■ Pflege von Instrumenten, die den natürlichen Schutzschild der Haut durchbrechen (Harnkatheter, Venenkanülen), ■
Risiken, die zu einer postoperativen Infektion prädisponieren.
Auffrischung der spezifischen Immunität (Impfschutz) Eine passive Immunisierung schützt kurzfristig Die Auffrischung des Impfschutzes durch aktive oder passive Immunisierung ist in Kap. 34 und 35 beschrieben. Bei Patienten mit Immunschwäche kann jedoch das Ausbleiben der Antikörperreaktion zum Problem werden. Eine passive Immunisierung verleiht Patienten, die nur aufgrund einer zytotoxischen Therapie neutropenisch geworden sind, für kurze Zeit Schutz (z.B. vor Windpocken), bis sich ihre weißen Blutzellen nach erfolgreicher Behandlung wieder erholen. Seitdem wirksame Hepatitis-B-Impfstoffe verfügbar sind, ist allen gefährdeten
1216
Dialysepatienten eine aktive Immunisierung zu empfehlen. Weitere Impfungen zum Schutz von Krankenhauspatienten sind in Tab. 36.7 zusammengefasst.
Tab. 36.7 Auffrischung der spezifischen Immunität.
Geeignete Antibiotikaprophylaxe Trotz klar definierter Indikationen werden Antibiotika oft missbräuchlich verwendet Darauf wird in Kap. 33 näher eingegangen. Begründet ist eine Antibiotikaprophylaxe bei Einsatzgebieten in der septischen Chirurgie oder wenn eine Infektion fatale Folgen hätte (Herz- und Nervenoperationen, Transplantationen). Dennoch werden Antibiotika vielfach missbräuchlich verwendet: ■ zu häufig und zu lange; dadurch steigt der Selektionsdruck und es treten neue Resistenzen auf; ■ Wahl der falschen Mittel. Mit einer Antibiotikatherapie (im Unterschied zur -prophylaxe) von Trägern pathogener Keime wie S. aureus oder S. pyogenes unter den Patienten oder Teammitgliedern kann man einer endogenen Infektion erfolgreich verbeugen oder eine bereits ausgebrochene Infektion bekämpfen. Auch Antibiotikasalben mit Bacitracin, Neomycin und Fucidin kommen zur Anwendung, doch es lässt sich nicht leugnen, dass zunehmende Resistenzentwicklung zum Problem wird. Als wirksam hat sich Mupirocin erwiesen, ein Fermentierungsprodukt von Pseudomonas fluorescens. Da es mit keiner anderen gebräuchlichen Antibiotikaklasse verwandt ist, besteht weniger Anlass zur Sorge, dass es zur Entwicklung resistenter Stämme mit Kreuzresistenz gegenüber anderen Mitteln
1217
kommen könnte. Die Aktivität von Mupirocin richtet sich besonders gegen Grampositive Kokken. In den vergangenen Jahren hat es eine wichtige Rolle in der MRSA-Eradikation (Methicillin-resistente S. aureus) bei chronischen Trägern gespielt, doch inzwischen sind auch bei diesem Mittel Resistenzen unterschiedlichen Schweregrades aufgetreten.
Durch Darmdekontaminationsverfahren – besonders die selektive Darmdekontamination – sollen potenziell pathogene Darmkeime ausgeräumt werden Eine Zeit lang wurden bei neutropenischen Patienten Darmdekontamination angewandt, um den Anteil Gram-negativer Aerobier an der Darmflora zu verringern. Auch bei Patienten auf der Intensivstation (z.B. nach Lebertransplantation) wurde eine selektive Darmdekontamination (SDD) durchgeführt, d.h. oral (oder über eine nasogastrale Sonde) eine hochkonzentrierte Antibiotikamischung verabreicht, um das Reservoir potenziell pathogener Darmkeime zu reduzieren. Über Nutzen und Sicherheit der SDD wird noch immer kontrovers diskutiert.
Katheterpflege Um das Risiko einer endogenen Infektion zu verringern, müssen Katheter in situ gut gepflegt werden Liegende Katheter gut zu pflegen ist eine wichtige Maßnahme, um z.B. bei Venenkathetern die Infektionsgefahr durch Hautkeime zu verringern oder bei Harnkathetern zu verhindern, dass aufsteigende Keime aus der Urethralflora zur Blaseninfektion führen. Richtlinien zur Pflege von Harn-/Blasenkathetern finden sich in Kap. 20.
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Bakteriämie und Candida-Sepsis sind bei stationären Patienten oft infusionsbedingt Im Rahmen von Infusionen gehen Bakteriämien und Candida-Sepsis meist vom Katheter aus. Entzündungen an der Einstichstelle werden häufig von Bakterien aus der Hautflora des Patienten verursacht, wobei es sich aber auch um resistentere Keime handeln kann, die erst während des Klinikaufenthalts die patienteneigene Flora verdrängt haben. Auslöser der Infektion sind überwiegend koagulasenegative Staphylokokken, doch auch S. aureus, Gram-negative Stäbchenbakterien oder Candida können beteiligt sein. Durch geeignete Gegenmaßnahmen ließen sich diese Infektionen vermeiden. Infektionsquellen und Prävention sind in Abb. 36.9 dargestellt.
Risikominderung bzw. Prävention postoperativer Infektionen Postoperative Infektionen lassen sich durch Risikominderung verhindern Um die Gefahr postoperativer Infektionen zu reduzieren, sollte man die Risikofaktoren kennen und wissen, wie sie umgangen werden können, z.B. durch
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Abb. 36.9 (Gefäß-)Katheterentzündungen – Infektionsquellen und Möglichkeiten zur Prävention
■ Verkürzung des präoperativen Klinikaufenthalts auf das absolute Minimum; ■ Behandlung interkurrenter Infektionen möglichst noch vor der Operation (z.B. einer oberen Harnwegsinfektion vor der Prostataresektion); ■ eine Operationsdauer, die so kurz wie möglich, aber trotzdem noch mit einer guten Operationstechnik vereinbar ist, ■ ein umfassendes Débridement abgestorbenen und nekrotischen Gewebes; das ist neben einer ausreichenden Drainage und (Wiederherstellung) einer guten Durchblutung wichtig, um den natürlichen Abwehrkräften des Körpers optimale Bedingungen zu schaffen; ■ Verhinderung von Druckgeschwüren und Stasen (z.B. Sekretstau) durch gute Pflege und Physiotherapie, damit sich keine Atemwegs- oder Harnwegsinfektion entwickelt.
1220
36.7 Epidemiologische Untersuchung nosokomialer Infektionen Viele der in Kap. 31 genannten epidemiologischen Grundsätze sind auch auf nosokomiale Infektionen anwendbar. Bei den im Krankenhaus ausbrechenden Infektionen handelt es sich um Epidemien, die entdeckt werden, weil ihre Inzidenz über der normalen Häufigkeit in der jeweiligen Institution liegt. Epidemiologische Untersuchungen dienen dazu, das Ausmaß, die Infektionsquelle und Übertragungswege zu ermitteln, Risikogruppen zu definieren und wirksame Gegenmaßnahmen festzulegen. Wie allgemein bei Infektionskrankheiten können statistische Methoden (z.B. Risikokalkulation) und mathematische Modelle das Gerüst liefern, das Analysen und prädiktive Aussagen zu diesen Infektionen ermöglicht. Trotzdem sind für alltägliche Untersuchungen noch immer altbewährte mikrobiologische Ansätze erforderlich. An nosokomialen Infektionen können alle großen Erregergruppen (Prionen bis Arthropoden) beteiligt sein. Ein besonderes Problem nosokomialer Infektionen besteht aber darin, dass im Unterschied zum normalen Umfeld häufig antibiotikaresistente Bakterien übertragen werden, deren Auftauchen/Verbreitung von den Bedingungen im Krankenhaus begünstigt wird. Bei der epidemiologischen Untersuchung nosokomialer Infektionen liegt ein Schwerpunkt auf der Typisierung, um den Auslöser identifizieren zu können. Die molekulare Epidemiologie leistet daher einen wichtigen Beitrag beim Aufspüren und Bekämpfen solcher Infektionen. In vielen Krankenhäusern fällt die Untersuchung nosokomialer Infektionen in den Zuständigkeitsbereich eines Krankenhaushygienikers unter der Leitung eines Hygienearztes oder Mikrobiologen, in dem aber auch mindestens eine Hygieneschwester vertreten sein sollte. Die Krankenhaushygiene hat die Aufgabe: ■ nosokomiale Infektionen zu überwachen, ■ Richtlinien und Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen festzulegen (z.B. zur Katheterpflege, Antibiotikatherapie, Desinfektion; Verfahrensweise bei möglicher Infektion nach einer Nadelstichverletzung oder durch Blutspritzer), ■ Quelle und Übertragungswege bereits ausgebrochener Infektionen aufzuspüren.
1221
36.7.1
Überwachung (Surveillance)
Durch regelmäßige Überwachung werden Veränderungen der Zahl oder Art nosokomialer Infektionen schon früh erkannt Obwohl nosokomiale Infektionen seit vielen Jahren bekannt sind, gibt es erst seit Ende der 50er Jahre genauere Aufzeichnungen. Von nationalen und internationalen Statistiken werden seitdem Prävalenz und Bedeutung der nosokomialen Infektionen unterstrichen. Infolge der regelmäßigen Überwachung lernen Krankenhaushygieniker die Situation ihres Hauses besser kennen und können so frühzeitig bemerken, ob sich zahlenmäßig oder in der Art der Infektionen etwas verändert hat. Zur Überwachung können folgende Quellen herangezogen werden: ■ Mikrobiologische Laborberichte sind zur regelmäßigen Kontrolle geeignet: z.B. auf Hepatitis-B-surface-Antigen und HCV-Antikörper bei Hämodialysepatienten (da weltweit Ausbrüche von HBV- und HCV-Infektionen auf renalen Stationen berichtet wurden). Anhand der Laborberichte ist es auch möglich, auf Keime wie S. aureus, S. pyogenes, M. tuberculosis, Salmonellen und Shigellen zu achten, die als Sentinelorganismen oder Alarmzeichen gelten. ■ Rundgänge auf den Stationen: Bei der direkten Inspektion können neue Fälle einer Infektion erkannt oder bereits identifizierte Fälle nachkontrolliert werden. Um sich einen Überblick (z.B. über Wundinfektionen nach bestimmten Eingriffen) zu verschaffen, können dies auch die Stationen übernehmen. ■ Autopsieberichte, Gesundheits-/Krankenakten des Personals und Abmeldeformulare von Patienten, die entlassen wurden.
36.7.2
Untersuchung von Epidemien
Wenn sich Fälle häufen (Epidemie) bzw. wenn bei der Routinekontrolle eine gestiegene Inzidenz auffällt, sollte die verantwortliche Krankenhaushygiene eine Untersuchung der Infektion veranlassen. Es gibt keine allgemein gültige Regel, wie sich die Ursache einer Epidemie feststellen lässt, aber im Prinzip beinhaltet jede Untersuchung epidemiologische und mikrobiologische Elemente.
1222
Zur Beschreibung einer Epidemie in epidemiologischen Begriffen müssen relevante Informationen eingeholt werden ■
Wie viele Patienten sind infiziert?
■
Wann wurden sie aufgenommen?
■
Wann hat sich die Infektion bei ihnen entwickelt?
■
Befinden sich alle auf derselben Station?
■
Wurden alle vom selben medizinischen oder chirurgischen Team behandelt?
■
Wurde bei allen die gleiche Behandlung durchgeführt?
Der Auslöser einer Epidemie muss bei allen betroffenen Patienten isoliert und/oder entdeckt werden Dem mikrobiologischen Labor fällt die Aufgabe zu, den Auslöser zu isolieren und bei allen Patienten, die von der Epidemie erfasst wurden (bzw. mit nicht unterscheidbaren Keimen infiziert sind, s. unten), nachzuweisen. Die Erregeridentifizierung kann Aufschluss über die mögliche Infektionsquelle geben: ■ Bei respiratorischen und intestinalen Viren geht die Infektion von einem Patienten oder dem medizinischen Personal aus. ■ Hepatitis spricht für eine Übertragung durch kontaminierte Blutprodukte oder subkutane Injektionen. ■ Eine Häufung von Wundinfektionen durch S. aureus könnte mit einer Kontaktinfektion durch ein Mitglied des OP- oder Stationsteams zusammenhängen. ■
Ein Salmonellen-Ausbruch hat seinen Ursprung am ehesten in der Küche.
■ Legionellen- oder Pseudomonas-Infektionen sind oft Ausdruck von Kontamination der Umwelt (vor allem Wasserkontamination). Wertvolle Hinweise lassen sich auch aus der Örtlichkeit einer Epidemie ziehen, z.B., ob sie auf der internistischen, chirurgischen, Kinder- oder Intensivstation aufgetreten ist. (Die Intensivstation galt früher als Epizentrum nosokomialer Infektionen.)
1223
36.7.3
Schritte zum Aufspüren der Infektion
Sobald das Problem klinisch erkannt ist, sollten Proben von den Patienten und – bei entsprechenden Hinweisen – auch vom medizinischen Personal gewonnen werden (s. Kap. 32). Wenn eine Umweltkontamination als Infektionsquelle in Betracht kommt, sollten auch von Flächen, Materialien, Geräten oder Wasser Proben genommen werden. Dieser Schritt ist wichtig, weil eine Untersuchung (mit einem nichtinfektiösen DNAMarker als experimentellem Infektionserreger) gezeigt hat, dass sich Keime über die Hände des Personals rasch auf alle möglichen Oberflächen (Computer, Akten, Telefone, Klingeln, Türgriffe, Wärmeregler, Monitore) ausbreiten. Nach Sammlung der Proben übernimmt das mikrobiologische Labor die Aufgabe, die betreffenden Erreger zu identifizieren und zu typisieren. Während die Untersuchung im Gang ist, sollten weitere Maßnahmen ergriffen werden, um die Infektion einzudämmen und eine Ansteckung anderer Patienten zu verhindern. Daher sollten infizierte Patienten isoliert und entsprechend behandelt werden. Wenn sich Mitglieder des Teams infiziert haben oder wenn sich herausstellt, dass sie Träger sind, sollten sie vom Dienst suspendiert werden, bis die Infektion auskuriert ist. Am Ende der Untersuchung müssen sämtliche Verfahrensweisen noch einmal daraufhin geprüft werden, ob sie geeignet sind, den erneuten Ausbruch einer ähnlichen Epidemie zu verhindern (oder es wenigstens zu versuchen).
36.7.4
Epidemiologische Typisierungsmethoden
Da Bakterien die häufigste Ursache nosokomialer Infektionen sind, ist ihre zunehmende Antibiotikaresistenz besonders besorgniserregend. In den USA wies ein statistischer Jahresbericht (1999) 52? Methicillin-resistente S. aureus (MRSA) und 25? Vancomycinresistente Enterokokken (VRE) unter den auf Intensivstationen isolierten Keimen aus. Vergleichbare Daten aus Großbritannien (1998) geben den Anteil von MRSA mit 34? und von VRE mit 24? an, was einer Zunahme von 3,8? bei S. aureus und von 6,3? bei E. faecium seit 1993 entspricht. In Deutschland wurde in 2004 eine Rate von 15–20? MRSA berichtet (mit deutlichen regionalen Unterschieden), VRE spielen bisher eine untergeordnete Rolle. Am häufigsten werden nosokomiale Infektionen durch coliforme Bakterien ausgelöst (überwiegend E. coli in rund einem Drittel der Fälle). Bei der Suche nach der Ursache hat man es also unverhältnismäßig oft mit Bakterien zu tun, obwohl viele Molekulartechniken auch zur Untersuchung von Virusinfektionen eingesetzt werden.
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Zu epidemiologischen Zwecken werden eine Reihe phäno- und genotypischer Merkmale als „genetischer Fingerabdruck“ von Bakterien verwendet Um die Ausbreitung nosokomialer Infektionen epidemiologisch zu untersuchen, ist es – wie bei Epidemien in der normalen Umgebung – erforderlich, verschiedene Isolate der infektiösen Keime zu identifizieren und herauszufinden, ob es dieselben oder unterschiedliche sind. Manchmal lässt sich nur sagen, dass zwei Erreger nicht voneinander unterscheidbar sind (was aber nicht heißt, dass sie identisch sein müssen). Im Fall von Bakterien, die regelmäßig in der Normalflora oder in der Umgebung vorkommen, ist wichtig, den Epidemie-Stamm von anderen derselben Spezies abzugrenzen, die nicht an der Infektion beteiligt sind, aber trotzdem im Laufe der Untersuchung nachweisbar sein können. Im Wesentlichen dient die Typisierung zum Erkennen von Anzeichen einer klonalen Ausbreitung bestimmter Erreger. Von Nutzen können in dem Zusammenhang Typisierungsmethoden sein, die ausreichend ■ diskriminatorisch (Unterschiede zwischen Stämmen derselben Spezies aufzeigen) und ■ reproduzierbar sind (derselbe Stamm muss unter unterschiedlichen Bedingungen und an unterschiedlichen Orten wiederholt mit demselben Ergebnis getestet werden können) bzw. ■ einen hohen Typisierungsgrad erreichen (allen Stämmen einen Typ zuordnen können). Die meisten Diagnoselaboratorien testen routinemäßig nur die Antibiotikaempfindlichkeit und führen eine einfache Biotypisierung durch, während spezialisierte Typisierungsmethoden Referenzlaboratorien vorbehalten bleiben. Das hat zwar den Vorteil einer besseren Qualitätssicherung, bedeutet aber auch, dass sich die Befundmitteilung unweigerlich verzögert, so dass man erst spät erfährt, ob ein einzelner Stamm für die nosokomiale Infektion verantwortlich ist.
Antibiotikaempfindlichkeitsmuster und einfache Biotypisierung Diese Tests können gut im diagnostischen Labor durchgeführt werden (s. Kap. 32) und nützliche erste Hinweise auf nicht unterscheidbare Isolate geben. Zur Diskrimination sind sie jedoch schlecht geeignet, da viele Antibiotikaempfindlichkeitsmuster weit verbreitet sind und verschiedene Stämme zum Teil dasselbe Muster zeigen. Umgekehrt können Bakterien während einer Epidemie auch Plasmide mit Antibiotikaresistenzmarkern hinzugewinnen oder verlieren.
1225
Bei der Biotypisierung wird untersucht, ob Keime auf verschiedenen Substraten wachsen oder unterschiedliche Enzyme produzieren können Im Idealfall sollten zur Biotypisierung andere biochemische Tests angewandt werden als zur Erregeridentifizierung. Identifizierungstests werden ausgewählt, um ähnliche Keime in Gruppen zusammenzufassen, während Biotyptests eine Spezies in unterschiedliche Stämme aufteilen können. Diagnostische Laboratorien verwenden zur Biotypisierung jedoch oft Multitest-(Identifikations-)Systeme im Kleinformat (Abb. 36.10).
Spezialisierte Typisierungstechniken Serotypisierung mit bestimmten Antisera zur Unterscheidung von Bakterienstämmen Mit dieser klassischen Technik können Stämme anhand ihrer Antigenstruktur unterschieden werden, die durch unterschiedliche Reaktionen mit spezifischen Antiseren erkennbar wird. Salmonellen lassen sich aufgrund von (somatischen) Ound (Geißel-)H-Antigenen in Serotypen unterteilen (die manchmal fälschlicherweise auch als Spezies bezeichnet werden, s. Kap. 22). Die Typisierung von S. pneumoniae, Neisseria meningitidis und Klebsiella aerogenes kann anhand der (Kapsel-)K-Antigene und die Typisierung von S. pyogenes anhand von M- und TZellWand-Proteinen erfolgen.
1226
Abb. 36.10 Biotypisierung von Bacillus-cereusIsolaten nach Ausbruch einer Infektion auf der Intensivstation.
Biotypisierungssysteme bauen darauf auf, dass sich Stämme einer Spezies durch ihre Metabolisierung und ihr Wachstum auf verschiedenen Substraten unterscheiden können. Kommerziell erhältliche Multitestsysteme sind in erster Linie zur Identifizierung gedacht, werden aber auch zur Biotypisierung verwendet. Auf jedem Streifen reihen sich unterschiedliche biochemische Tests hintereinander. Nach Inokulation aller Vertiefungen mit dem Isolat und anschließender Inkubation lässt sich an einem Farbumschlag ein positives Ergebnis ablesen (mit freundlicher Genehmigung von S. Dancer). Bisher wurden hauptsächlich polyklonale Antiseren verwendet, doch inzwischen sind monoklonale Reagenzien verfügbar. Da die Serotypisierung den Aufbau und die Unterhaltung von Antiserumbanken voraussetzt, was zeitaufwendig und kostspielig ist, bleibt sie überwiegend Referenzlaboratorien vorbehalten.
Phagentypisierung bei S. aureus, S. epidermidis und Salmonella typhi Bei dieser Methode wird verglichen, welche Lysemuster sich unter der Einwirkung einer Standardreihe von Phagensuspensionen im Keimrasen der auf Agarplatten angezüchteten Isolate bilden (Abb. 36.11). In der Vergangenheit war es eine wichtige Methode zur Typisierung von S. aureus, S. epidermidis und Salmonella typhi, die aber auch auf andere Spezies (z.B. Pseudomonas aeruginosa) angewandt wurde. Wie die Serotypisierung wird auch die Phagentypisierung meist in Referenzlaboratorien statt im Routinelabor von Kliniken durchgeführt, da sie die Herstellung, Vorratshaltung und Kontrolle von Standard-Phagensuspensionen 1227
erfordert. Die Centers for Disease Control (CDC) in den USA haben die Phagentypisierung aufgegeben zugunsten molekularer Techniken wie der Pulsedfield-Gelelektrophorese (PFGP, s. unten).
Bakteriocin-Typisierung von P. aeruginosa und Shigella sonnei Bacteriocine sind kleine Stoffwechselprodukte einiger Bakterien, die für andere Stämme derselben oder eng verwandter Spezies letal sein können. Anhand des Musters der Wachstumshemmung, das die von einem Teststamm produzierten Bakteriocine bei einem Satz von Indikatorstämmen induzieren, lässt sich der Teststamm einem bestimmten Typ zuordnen (Abb. 36.12).
Abb. 36.11 Phagentypisierung von Staphylokokken.
Nach der Aussaat auf einer Agarplatte werden verschiedene Phagensuspensionen auf den Testkeim getropft und die Platte dann inkubiert. Bei einer lytischen Wirkung von Phagen bilden sich klare Zonen im Bakterienrasen. Die mit demselben Phagensatz an verschiedenen Isolaten von S. aureus (z.B. bei epidemischen Wundinfektionen) gewonnenen Lysemuster können anschließend verglichen werden. Die Methode kann bei allen Bakterien angewandt werden, die Bakteriocine produzieren. Am erfolgreichsten war sie bei P. aeruginosa (Pyocin-Typisierung – von der früheren Bezeichnung P. pyocyanus abgeleitet) und bei Shigella sonnei (Colicin-Typisierung – eine Bezeichnung, die sich auf die genetische Ähnlichkeit mit E. coli und die Empfindlichkeit gegenüber den von dieser Spezies gebildeten Bakteriocinen [= Colicine] bezieht).
36.7.5
Molekulare Typisierung
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Molekulare Typisierungsmethoden charakterisieren die DNA von Keimen Auch wenn die oben genannten Methoden sehr nützlich zur epidemiologischen Analyse nosokomialer Infektionserreger waren, beruhen sie im Grunde alle auf unterschiedlichen Phänotyp-Merkmalen von Isolaten. Das eigentliche Identitätsmolekül von (Bakterien-)Zellen stellt aber das Chromosom dar, und daher geht der Trend in den letzten Jahren in Richtung einer Genotyp-Charakterisierung, die oft als molekulare Epidemiologie bezeichnet wird.
Plasmidprofile – die „erste Generation“ der molekularen Epidemiologie Einen Plasmidvergleich bei den isolierten Keimen anzustellen ist nur sinnvoll, wenn eine Spezies verschiedene Plasmide aufweist, und hat zudem den Nachteil, dass in Wirklichkeit die Plasmide und nicht die Keime, in denen sie sich befinden, charakterisiert werden. Durch Konjugation verschiedener Gram-negativer Bakterienspezies können am Ende alle dieselben Plasmide haben. Diese Methode hat andererseits den Vorteil, dass sich die z.B. Ausbreitung von AntibiotikaresistenzPlasmiden unter Hospitalkeimen nachverfolgen lässt (Abb. 36.13).
Abb. 36.12 Bakteriocin-Typisierung.
Das Testisolat wird bandförmig auf einer Agarplatte angezüchtet und bildet dabei Bakteriocine, die in den Agar diffundieren. Nach Inkubation über Nacht wird am nächsten Tag der mit bloßem Auge (makroskopisch) erkennbare Bewuchs entfernt und die Platte mit Chloroform behandelt, um übrig gebliebene Keime abzutöten (Bakteriocine sind resistent gegen Chloroform). Danach werden im rechten Winkel zum ersten Band Streifen von Indikatorstämmen ausgelegt und die Agarplatte ein zweites Mal inkubiert. Anhand der Wachstumshemmung eines Indikators lässt sich der getestete Stamm dann typisieren.
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Abb. 36.13 Verbreitung eines einzelnen ResistenzPlasmids auf unterschiedliche Stämme und Spezies in einem Krankenhaus.
Im ersten Jahr waren nur sehr wenige Gentamicin-resistente Enterobakterien aufgetreten. Doch in den ersten vier Monaten des zweiten Jahres brach eine Epidemie mit Gentamicin-resistenten Klebsiella pneumoniae aus, die alle zum selben Biotyp gehörten. Obwohl die Infektion eingedämmt werden konnte, fand sich in den darauf folgenden Monaten dasselbe Plasmid – das ein Aminoglykosidmodifizierendes Enzym kodiert – auch noch bei weiteren Klebsiella-Biotypen und 1230
anderen Gram-negativen Spezies ([O’Brien, T.E. et al. 1980] in: Antimicrob Agents Chemother 17:537).
Restriktionsenzyme und DNA-Sonden – die „zweite Generation“ der molekularen Epidemiologie Nachdem Restriktionsenzyme die gesamte zelluläre DNA von Isolaten verdaut haben, bleibt ein Muster mit unterschiedlich großen Fragmenten zurück, die aufgetrennt und durch eine Agarose-Gelelektrophorese-Restriktionsenzym-Analyse (REA) miteinander verglichen werden können. Da alle Bakterienzellen eine chromosomale DNA besitzen, könnten sie theoretisch auf diese Weise analysiert werden. Doch die DNA-Sequenzen, die von den meisten Restriktionsenzymen (Eco-RI, HindIII usw.) erkannt werden, sind zu Hunderten in einem typischen Bakterienchromosom vertreten. Daher stellt ein akkurater Vergleich der Elektrophorese-Muster Hunderter Restriktionsfragmente, die sich oft zu Clustern ähnlicher Größe zusammenlegen und auch ortsständige Plasmid-DNA einschließen können, eine ziemlich große Herausforderung dar. Das Prinzip, dass komplementäre DNA-Sequenzen miteinander hybridisieren, macht man sich (z.B. bei dem nach seinem Erfinder Ed Southern benannten Southern-Blot) zunutze, um spezifische, markierte DNA-Sonden an komplementäre Zielsequenzen – die sich an verschiedenen Stellen des Chromosoms befinden – anzulegen, damit sie mit den REA-Mustern von Isolaten hybridisieren. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert der Northern-Blot, mit dem RNASequenzen charakterisiert werden. In dem Zusammenhang sind AntibiotikaResistenzgene und verschiedene Sequenz-Repeats (z.B. Transposons) besonders gut als Ziel geeignet. Bei der Hybridisierung kommt es zu unterschiedlich großen Restriktionsfragmenten – allgemein als Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus (RFLP) bezeichnet –, deren Muster der Lage der hybridisierten Sequenzen auf dem Chromosom entspricht und Hinweise auf die chromosomale Verwandtschaft von Isolaten gibt (Abb. 36.14a). So befinden sich z.B. an verschiedenen Stellen im Chromosom der meisten medizinisch wichtigen Bakterien Genkopien der ribosomalen RNA (5S-, 16S- und 23S-rRNA). Solche in hohem Maße konservierte Sequenzen (d.h. fast identische Sequenzen bei unterschiedlichen Spezies) ermöglichen eine RFLP-Analyse mit einer gemeinsamen Sonde für alle (d.h. eine Ribotypisierung). Aufgrund konservierter Zielsequenzen lassen sich Stämme einer Spezies jedoch nur schlecht unterscheiden (geringe Diskriminationsfähigkeit). Der Erfolg von RFLP-Analysen ist in erster Linie auf Sonden für Insertionssequenzen zurückzuführen, die ausreichend viele unterschiedliche Chromosomenlokalisationen abdecken, um epidemiologisch relevante Beziehungen widerzuspiegeln. Ein Beispiel für die erfolgreiche Anwendung der Methode sind IS6110-Sonden zur RFLP-Analyse von Mycobacterium tuberculosis. Auch wenn sie der alleinigen Anwendung der REA überlegen ist, gilt die RFLPAnalyse epidemiologisch nur als mäßig diskriminatorisch.
1231
PFGE und PCR – die „dritte Generation“ der molekularen Epidemiologie Anstelle von Restriktionsenzymen, die sie häufig zerschneiden, können zum Verdau der chromosomalen DNA auch Enzyme verwendet werden, die weniger Erkennungsstellen im Bakterienchromosom haben (z.B. Not-I, Sfi-I, Spe-I und Xba-I bei den meisten Gram-negativen Bakterien oder Asc-I, Rsr-II, Sgr-AI und Sma-I bei den meisten Gram-positiven Bakterien). Die entstehenden DNA-Fragmente sind viel zu groß, um mit der herkömmlichen Agarose-Gelelektrophorese aufgetrennt zu werden, lassen sich aber auflösen, wenn ein elektrophoretischer Strom mit zeitlich unterschiedlicher Dauer in unterschiedliche Richtungen „pulsiert“ („Pulsed-Field“Gelelektrophorese, PFGE). Diese Methode hat sich als sehr nützliches Instrument für die Epidemiologie erwiesen. Mit der PFGE werden Makrorestriktionsmuster erzeugt, die eine Art „globales“ chromosomales Monitoring ermöglichen, denn aus Veränderungen der Restriktionsfragmentgröße kann auf genetische Abläufe geschlossen werden, die sich auf den Abstand zwischen Sequenzen der seltenen Restriktionsstellen auswirken (Abb. 36.14b). Bis jetzt besteht der größte Nachteil der PFGE-Analyse im zusätzlichen Zeit- und Arbeitsaufwand für die Herstellung unzerbrochener Chromosomenmoleküle, die für reproduzierbare Makrorestriktionsfragmentmuster benötigt werden. Im Großen und Ganzen hat aber der Gesamterfolg der PFGE-Analyse dazu geführt, dass sie zum Goldstandard für die epidemiologische Untersuchung klinisch bedeutsamer Erreger/Keime geworden ist. Da sich die Polymerasekettenreaktion (PCR, s. Kap. 32) ökonomisch und schnell anwenden lässt und kein größeres technisches Wissen voraussetzt, haben sich der epidemiologischen Analyse eine Reihe von Anwendungen auf der Basis von Amplifikationen erschlossen. Einer der ersten und am häufigsten angewandten Ansätze dieser Art ist die zufällige (= randomly) Amplifikation polymorpher DNA (RAPD), die auch als willkürlich angestoßene (= arbitrarily primed) AP-PCR bezeichnet wird. Die Methode stützt sich darauf, dass die Stringenz (d.h. Spezifität), mit der sich PCR-Primer an DNA-Matrizen binden, durch eine Lockerung der Bedingungen beeinflusst werden kann. Die PCRPrimer dürfen sich nach Belieben an Chromosomensequenzen variabler Homologie binden, danach werden die entstandenen Produkte einer vergleichenden Analyse (mit Agarose-Gelelektrophorese) unterzogen. Wenn es sich bei einer Gruppe klinischer Isolate um einen einzelnen zwischen den Patienten übertragenen Stamm handelt, wäre zu erwarten, dass sie denselben Grad an Zufälligkeit (randomness) zeigen, der zu identischen PCR-Produkten führen würde (Abb. 36.14c). Mehrere Studien haben jedoch ergeben, dass diese Methode besonders anfällig für Artefakte und eine Intra- sowie Inter-Labortest-Variabilität ist. Dennoch liefert die insgesamt einfach zu handhabende PCR noch immer den Antrieb zur Neuentwicklung und technischen Verfeinerung epidemiologischer Untersuchungsmethoden, deren Darstellung den Rahmen dieses Buches jedoch sprengen würde.
1232
DNA-Sequenzanalyse – die „vierte Generation“ der molekularen Epidemiologie Da das Chromosom das eigentlich Identitätsmolekül einer Zelle ist, wären die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Isolaten bei einer nosokomialen Infektion wohl auch am besten durch einen Vergleich der Chromosomensequenzen zu klären. Obwohl dieser epidemiologische Ansatz noch in den Kinderschuhen steckt, beruht das, was man als „vierte Generation“ der molekularen Epidemiologie ansehen könnte, auf der Analyse von Nukleotidsequenzen.
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Abb. 36.14 „Zweite und dritte Generation“ der molekularen Epidemiologie.
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a) Restriktionsfragmentlängenpolymorphismus(RFLP)-Analyse mit DNASonden. Dargestellt sind drei Hospitalkeime (A und B sind epidemiologisch verwandt, C nicht), die mit der RFLP-Analyse und anschließend mit einer spezifischen DNA-Sonde untersucht wurden. b) Je zwei Bakterienisolate von drei Klinikpatienten wurden mit der Pulsed-FieldGelelektrophorese (PFGE) untersucht. Die Isolate der ersten beiden Patienten sind epidemiologisch eng verwandt (auch wenn die von Patient 2 leichte Abweichungen zeigen), die des dritten Patienten aber nicht. c) Bei der RAPD/AP-PCR-Methode entstehen aus der zufälligen Bindung von PCR-Primern an Chromosomensequenzen PCR-Produkte, deren Muster erwartungsgemäß bei epidemiologisch verwandten Isolaten ähnlich aussehen. RAPD = randomly amplified polymorphic DNA, AP-PCR = arbitrarily primed PCR Probleme bereiten noch die Auswahl epidemiologisch relevanter Sequenzen, die Analysemethode, die Datenausgabe und die Befundinterpretation, doch ihre Lösung wird durch die derzeitigen Fortschritte in der Entschlüsselung von Bakteriengenomen deutlich erleichtert.
Molekulartechniken für den epidemiologischen Fingerabdruck haben viele Vorteile Obwohl Molekulartechniken ein bestimmtes Fachwissen und eine Ausstattung voraussetzen, die kaum routinemäßig verfügbar sein dürften, bieten sie mehrere Vorteile: Sie können sehr genau und rasch durchgeführt werden, machen den Umgang mit infektiösen Keimen überflüssig und eignen sich zur Typisierung sämtlicher relevanter Bakterienisolate.
36.7.6
Untersuchung von Virusinfektionen
Nosokomiale Virusinfektionen werden üblicherweise auf dem Luftweg, über kontaminierte Ausscheidungen oder durch Blutkontakt übertragen, wie bereits am Beispiel von RSV-, Norovirusinfektionen und Hepatitis B beschrieben wurde. Sie werden meist erst untersucht, wenn in Proben symptomatischer Patienten ein Virus nachweisbar ist. Je nach klinischer Situation werden dann auch Proben von asymptomatischen Patienten gesammelt, sobald die Entscheidung getroffen wurde, dass sie mit in die Kohorte aufgenommen werden sollen, um auch von ihnen Isolate zu gewinnen. Im Allgemeinen reicht es bei einer Häufung von Gastroenteritisfällen, den Erreger als Virus zu identifizieren, da die Behandlung bei allen viralen Ursachen gleich ist. Kommt es jedoch zu einer Häufung von Atemwegsinfektionen, ist neben der Erregeridentifizierung die Virustypisierung wichtig. Bevor Neuraminidasehemmer als neue Klasse der Influenzamittel eingeführt wurden, sprach bei Virusgrippe nur das Influenza-A-Virus auf eine Behandlung bzw. Prophylaxe mit Amantadin oder Rimantadin an. Zudem müssen die im Umlauf befindlichen Influenzaviren auch deshalb identifiziert werden, damit die Vakzine zur saisonalen Grippeimpfung darauf abgestimmt werden kann. 1235
Molekulare Nachweis- und Typisierungsmethoden wie die Sequenzierung sind in der Regel eher für epidemiologische Zwecke als unmittelbar zur Behandlung von Patienten nötig. Doch unter Umständen (z.B. bei Patienten mit akuter Hepatitis B nach einer Operation) muss durch gründlichere Untersuchung der Übertragungsweg ermittelt werden. Das kann die Kontrolle von Blutprodukten ebenso beinhalten wie die Untersuchung des Personals, das risikogefährdete Eingriffe durchgeführt hat, die Untersuchung anderer Patienten, die auf der OP-Liste standen, der Sexualpartner oder sonstiger Risikofaktoren (kontaminierte Injektionsnadeln). Sobald die potenzielle Quelle entdeckt wurde, müssen serologische Untersuchungen klären, ob es sich um eine aktuelle, kurz zurückliegende oder früher durchgemachte HBV-Infektion handelt. Mit Genomnachweismethoden und Sequenzierung lässt sich anhand von Blutproben des akut infizierten Patienten sowie seiner möglichen Ansteckungsquelle(n) bestätigen, ob die Übertragung tatsächlich so stattgefunden hat.
36.7.7
Prävention
Nachdem allen Spuren nachgegangen wurde, können Maßnahmen zur Prävention ergriffen werden Wenn der Auslöser einer Epidemie richtig typisiert wurde und man seine Eigenschaften sowie die Übertragungsweise kennt, können präventive Maßnahmen eingeleitet werden. Was im Einzelnen dazugehört, hängt zum Großteil vom jeweiligen Erreger ab – doch alle sollten eine grundlegende Verbesserung der Hygiene bezwecken, angefangen vom gründlichen Händewaschen über Sauberkeit im Allgemeinen bis zur besseren Sterilisation von Instrumenten. Hygiene ist ein entscheidender Faktor – schätzungsweise 20–40? der nosokomialen Infektionen (besonders durch S. aureus und coliforme Bakterien) werden durch das Personal im Krankenhaus übertragen und verbreiten sich dann unter den Patienten. Das kann bei häufiger vorkommenden Keimen wie P. aeruginosa (in der Umgebung) oder Legionellen (in Wasserleitungen) sogar bedeuten, dass zur Prävention eine radikale Gebäudesanierung fällig wird.
1236
36.8
Sterilisation und Desinfektion
Es ist klar, dass die Prävention nosokomialer Infektionen zum Teil auch davon abhängt, dass saubere und bei Bedarf sterile Geräte, Instrumente und Verbände verfügbar sind und dass die Möglichkeit zur Isolierung (Isolierstation) und zur sicheren Entsorgung von infiziertem Material besteht. Wenn Mikrobiologen über Sterilisation und Desinfektion sprechen, meinen sie oft die Herstellung steriler Kulturmedien und andere Labortätigkeiten, doch an dieser Stelle sollte betont werden, dass das Sterilitätskonzept für (fast) alle medizinischen Gebiete in der Praxis eine zentrale Rolle spielt. Wer nachvollziehen kann, weshalb Sterilisation und Desinfektion vernünftig sind, wird im medizinischen Alltag überlegten Gebrauch von sterilen Instrumenten/Hilfsmitteln (Injektionsnadeln bis Prothesen) und Techniken (Operation bis Händewaschen) machen.
36.8.1
Definitionen
Durch Sterilisation werden alle lebenden Keime abgetötet oder beseitigt Ein steriler Gegenstand ist frei von lebenden Mikroorganismen – wobei lebend in dem Zusammenhang bedeutet, vermehrungsfähig zu sein. Bei der Sterilisation werden physikalische oder chemische Mittel eingesetzt, um Keime von einem Objekt zu entfernen oder in situ zu zerstören; dabei bleiben manchmal toxische Abbauprodukte (Pyrogene) auf dem Objekt zurück.
Durch Desinfektion werden die meisten, aber nicht alle lebenden Keime beseitigt oder abgetötet Zur Desinfektion verwendet man: ■ chemische Mittel (Desinfizienzien), die Keime, aber nicht alle Viren und Sporen vernichten; ■ physikalische Mittel wie kochendes Wasser oder niedrigen Dampfdruck, um die Keimlast (d.h. die Menge lebender Keime) zu verringern.
Durch Antiseptika kann die Keimzahl auf der Hautoberfläche verringert werden Antiseptika bilden eine besondere Gruppe von Desinfizienzien, da sie unterschiedlich auf transiente Flora (die sie zerstören) und die normale Hautflora in Poren und Haarfollikeln (die sie unberührt lassen) wirken (Abb. 36.15). Haut kann nicht sterilisiert werden (außer bei Verbrennung), aber gründliches Waschen mit antiseptischer Seife verringert die Keimzahl (und damit die Gefahr einer Kontaktinfektion, s. oben) doch beträchtlich. Innerhalb weniger Stunden kann die Hautoberfläche aber wieder neu von residenten Bakterien aus den Haarfollikeln und Schweißdrüsenausführungsgängen besiedelt werden.
Abb. 36.15 Transiente und residente Hautflora. 1237
Auf der normalen Haut siedeln sowohl an der Oberfläche als auch tief in Hautporen und Ausführungsgängen der Schweiß- und Talgdrüsen Bakterien. Aber auch Bakterien aus einer kontaminierten Quelle können über die Haut auf anfällige Patienten übertragen werden (bei Berührung). Durch gründliches Händewaschen mit Wasser und Seife werden transiente und zum Teil auch residente Keime von der Hautoberfläche entfernt – mehr noch durch Bürsten der Hände mit Desinfizienzien. Dennoch ist die Hautoberfläche innerhalb von Stunden wieder neu mit Normalflora aus tiefen Hautporen besiedelt.
Durch Pasteurisieren können Keime in hitzeempfindlichen Produkten zerstört werden
1238
In verpackten Flüssigkeiten wie Milch oder Fruchtsäften lässt sich die Gesamtzahl lebender Mikroorganismen durch Pasteurisierung verringern, ohne dass Geruch und Geschmack beeinträchtigt würden. Auch wenn es Sporen nichts anhaben kann, hilft Pasteurisieren gegen intrazelluläre Erreger wie Brucellen, Mykobakterien und viele Viren. Seit Beginn der Geschichtsschreibung gab es immer wieder neue Versuche von Menschen, mit unterschiedlichen Techniken Nahrungsmittel haltbar zu machen (z.B. durch Trocknen oder Salzen) und die Vermehrung von Keimen zu verhindern.
36.8.2
Sterilisation oder Desinfektion?
Sterilisation und Desinfektion sind kostspielige Verfahren; daher ist es wichtig, sich für die richtige – und schonendste – Methode zu entscheiden (um Materialschäden zu vermeiden). In die Wahl der Methode fließen eine Reihe von Überlegungen ein. Wodurch die Keime abgetötet werden (d.h. der genaue Zerstörungsmechanismus), ist bei jeder Sterilisierungstechnik unterschiedlich, doch im Endeffekt läuft es immer auf dasselbe hinaus – dass wichtige Zellbestandteile (Nukleinsäuren oder Proteine) inaktiviert werden.
Saubere Gegenstände sind leichter zu sterilisieren als (physikalisch) verschmutzte Das liegt daran, dass organisches Material Mikroorganismen schützt, weil es das Eindringen von Strahlen oder Chemikalien verhindert bzw. bestimmte chemische Stoffe inaktivieren kann. Mit anderen Worten: Eine möglichst geringe Biolast ist unabdingbare Voraussetzung für eine kostengünstige Sterilisation.
Der Anteil der abgetöteten Keime (Zerstörungsrate) hängt von Konzentration und Einwirkungsdauer des Mittels ab Wie viele Keime die Sterilisation überleben werden, lässt sich in eine Gleichung fassen: N = 1/C × T (dabei entspricht N der Zahl der überlebenden Keime, C der Konzentration und T der Einwirkungsdauer des Sterilisationsmittels). Wird die Zahl der überlebenden Bakterien in einer Population nach der Sterilisierung als Logarithmus gegen die Zeitachse aufgetragen, definiert der Abfall der Kurve die Todesrate (Abb. 36.16). Dass solche Kurven s-förmig sein oder eine Schulter haben können, ist Ausdruck leicht unterschiedlicher Reaktionen einzelner Zellen – manche sind leichter abzutöten als andere. Im Fall von Bakterien hängt die Form der Zerstörungskurve von ihrem physiologischen Zustand ab; junge Bakterienzellen in der Vermehrungs/Replikationsphase sind in der Regel anfälliger als Zellen in der Ruhe- oder Rückbildungsphase und als Sporen. Anhand von Kurven, wie der in Abb. 36.16 gezeigten, kann man vorhersagen, unter welchen Bedingungen sich Sterilität erreichen ließe. Solche experimentellen Aussagen stützen sich aber meist auf Reinkulturen im Labor (bei denen oft Bakteriensporen als Modelle dienen), während die Biolasten im wirklichen Leben oft gemischt sind. Für Vorhersagen in Bezug auf gemischte Keimpopulationen können die Daten völlig ungeeignet sein.
1239
Abb. 36.16 Zerstörungskurve einer Population.
Theoretisch besteht eine lineare Beziehung zwischen dem Logarithmus (log-Zahl) lebender Keime und der Zeitdauer, über die eine Bakterienpopulation tödlicher Hitze ausgesetzt wird. In der Praxis verläuft die Kurve aber oft s-förmig. Der DWert entspricht der Zeit, die es dauert, die Population bei einer bestimmten Temperatur um 90? zu dezimieren. Als Bioindikatoren für eine effektive Hitzesterilisation werden Filterpapierstreifen mit einer standardisierten Zahl von Bacillus-stearothermophilus-Sporen in Autoklaven gelegt und anschließend inkubiert, um zu sehen, ob sich noch lebende Keime entwickeln. Üblicherweise reicht eine Autoklavierung über 15 Minuten bei 121°C aus, um B. stearothermophilus mit einem Sicherheitsbereich abzutöten.
36.8.3
Sterilisationsverfahren 1240
Zur Sterilisation verwendet man: ■
Hitze
■
Bestrahlung (mit Gammastrahlen oder UV-Licht)
■
Filtration
■
flüssige oder gasförmige Chemikalien
Techniken wie Einfrieren und Auftauen, Lyse, Trocknung, Beschallung (mit Ultraschall) und elektrische Stromstöße sind von zweifelhafter Wirksamkeit, werden aber alle nicht im Krankenhaus angewandt. Eine UV-Bestrahlung wirkt nicht sterilisierend, sondern wird in Kliniken hauptsächlich zur Hemmung des Bakterienwachstums im Wasser von Geräten (z.B. Autoanalysatoren) oder in der Luft (z.B. Schutzhauben in virologischen Laboratorien) eingesetzt. Mögliche Hornhaut- (Kornea) und Hautschäden schließen eine breitere Anwendung der UVBestrahlung von vornherein aus. Es sei daran erinnert, dass die Erreger der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) und von Scrapie äußerst resistent und weder durch Formalin, UV-Bestrahlung, ionisierende Strahlen noch durch regelmäßige Autoklavierung komplett inaktivierbar sind. Zur Sterilisierung müssen sie 10 Minuten bei Atmosphärendruck in 1N NaOH gekocht und anschließend längere Zeit bei einer höheren Temperatur als normal (134°C über 18 Minuten) autoklaviert werden. Diese Methode ist natürlich nicht für lebende Gewebe oder Materialien geeignet, die bei so hoher Temperatur geschädigt würden.
1241
Hitze Hitze stellt eine Art Energietransfer dar und wird als Sterilisierungsmethode bevorzugt, weil sie leicht handhab- und kontrollierbar, kostengünstig und effizient ist.
Heißluftsterilisation: trockene Hitze zur Oxidation von Zellbestandteilen Beispiele für die Sterilisation durch trockene Hitze (Heißluftsterilisation) sind Einäscherung und Bunsenbrenner im Labor. Glaswaren können in einem Heißluftofen bei 160–180°C über eine Stunde sterilisiert werden.
Dampfsterilisation: am wirksamsten ist gesättigter Wasserdampf (feuchte Hitze) unter Überdruck Das wird meist in Autoklaven erreicht. Unter Dampfdruck kann die Hitze leichter in das zu sterilisierende Material eindringen (z.B. Verbände), und zwischen Temperatur und Dampfdruck besteht eine direkte Beziehung. Da seine Temperatur weit über 100°C beträgt, führt Dampf unter Druck zur verstärkten Zerstörung von Bakterien. Um die sterilisierende Wirkung noch zu verbessern, kann in Autoklaven ein Vakuum erzeugt werden. Bei der anschließenden Einleitung von Dampf unter hohem Druck werden schnell alle Teile von der Hitze durchdrungen, so dass die Temperatur in den zu sterilisierenden Gegenständen vorhersehbar ansteigt. Die Länge der Autoklavierung richtet sich nach der vorgeschriebenen Zeit (abgeleitet aus der Zerstörungskurve hitzeresistenter Keime wie Clostridien) plus einer Sicherheitsspanne. Üblicherweise reicht ein 15-minütiger Zyklus bei 121°C aus, um C.-botulinum-Sporen mit angemessenem Sicherheitsbereich zu zerstören. Doch bestimmte Bakteriensporen, vor allem von Bodenkeimen, überstehen selbst diese Temperatur noch. Der Sicherheitsbereich wird bei einer großen Keimzahl kleiner, weil in einer größeren Population mit höherer Wahrscheinlichkeit mehr hitzeresistente Exemplare vorkommen. Daher sollten Instrumente vor der Sterilisation möglichst immer erst gereinigt werden. Mit der feuchten Hitze in Autoklaven können chirurgische Instrumente, Verbandmaterialien und hitzeresistente Produkte sterilisiert werden. Hitzeempfindliche Instrumente wie Endoskope werden mit kühlerem Dampf (niedrigere Temperatur, subatmosphärischer Druck) und Formaldehyd sterilisiert. Für diese Sterilisationsmethoden werden passende Druckbehälter benötigt, daher werden sie üblicherweise im zentralen Sterilisationsbereich des Krankenhauses durchgeführt.
1242
Zur raschen Desinfektion können Instrumente notfalls für ein paar Minuten in kochendes Wasser getaucht werden Beim Auskochen in Wasser reichen wenige Minuten aus, um vegetative Bakterienformen und viele (aber nicht alle) Sporen abzutöten. Der sporizide Effekt kann durch Zugabe von 2? Natriumcarbonat zum Wasser verstärkt werden.
Zur Pasteurisierung ist 30-minütiges Erhitzen bei 62,8– 65,6°C erforderlich Diese Methode wurde von Pasteur erfunden, um Wein durch Erhitzen auf 50–60°C vor dem Verfall zu schützen. Heute werden Flüssigkeiten wie Milch pasteurisiert, um die Keimzahl zu senken. Das hilft, wenn nur eine geringe Zahl von Bakterien vorhanden ist, und verlängert die Haltbarkeit der Milch. Die Milch (oder eine andere Flüssigkeit) wird 30 Minuten lang auf 62,8–65,6°C oder 15 Sekunden lang „ultrahoch“ auf 71,7°C erhitzt. Danach sollte sie kühl (Temperaturen unter 10°C) aufbewahrt werden, um erneutes Bakterienwachstum zu vermindern.
Bestrahlung Gammastrahlen werden zur Sterilisierung großer Posten kleinvolumiger Teile verwendet Industriell wird Gammabestrahlung zur Kaltsterilisation von Nadeln, Spritzen, Venenkanülen, Kathetern und Handschuhen eingesetzt. Mit Gammastrahlen können auch Impfstoffe sterilisiert oder Schimmelbildung auf Lebensmitteln verhindert werden. Die Anschaffungskosten für die Anlage sind hoch; eine 100?ig wirksame Bestrahlung mit anhaltender Wirkung wird ermöglicht. Die Artikel werden in Folie eingeschweißt (in ihrer Endverpackung) kalt sterilisiert, ohne sie zu erhitzen. Die Gammabestrahlung muss in einem geeigneten Gebäude stattfinden, das weiter vom Krankenhaus entfernt und auch außerhalb der Klinikverwaltung liegen sollte. Da sich durch die Bestrahlung die Qualität einiger Materialien verschlechtern kann, eignet sie sich nicht zur wiederholten Sterilisierung der Ausrüstung. Die Wirkung beruht auf der Bildung freier Radikale, die DNA-Bindungen aufbrechen können. Um auch Sporen (die nur einen geringeren Wassergehalt haben) zu vernichten, müssen höhere Gammastrahlendosen als bei vegetativen Formen angewandt werden. Auf die Kaltsterilisation mit UV-Strahlen ist weiter oben schon eingegangen worden.
Filtration
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Durch Filterung können partikel- und pyrogenfreie Flüssigkeiten gewonnen werden Hitzesterilisierte Lösungen enthalten oft Pyrogene (hitzestabile Abbauprodukte von Bakterien), die Fieber verursachen können und daher unerwünschte Inhaltsstoffe sind, z.B. in Infusionslösungen. Wasser oder Wein durch Filtration zu klären, d.h. Verunreinigungen von einem Produkt zu trennen, hat eine lange Geschichte. Moderne Filter bestehen aus Nitrozellulose und funktionieren als physikalische Form der Sterilisation mit elektrostatischer Anziehung und unterschiedlich großen Poren, die Keime oder andere Partikel zurückhalten. Filtrierte Flüssigkeiten sind praktisch frei von Teilchen. In einigen Teilen der Welt wird auch das Trinkwasser so aufbereitet. Filtrationstechniken werden aber auch angewendet, um in größeren Flüssigkeitsmengen Keime nachzuweisen, die nur in geringer Anzahl vorhanden sind (wie z.B. Legionellen im Wasser von Kühltürmen). Sie dienen daher auch zur quantitativen Bestimmung des Bakteriengehalts.
Chemikalien Gase wie Äthylenoxid und Formaldehyd entfalten ihre keimtötende Wirkung durch die Zerstörung von Proteinen und Nukleinsäuren Seit dem Erfolg der Gammabestrahlung (s. oben) besteht kein so großer Bedarf mehr an einer Gassterilisation mit Chemikalien, doch zwei alkylierende Gase (Äthylenoxid und Formaldehyd) sind noch immer in Gebrauch: ■ Mit Äthylenoxid werden in manchen Klinikzentren Artikel zum Einmalgebrauch sterilisiert (z.B. Herzklappen). Es ist jedoch toxisch und kann explodieren. ■ Formaldehyd ist nicht explosiv, hat aber einen äußerst unangenehmen Geruch und reizt die Schleimhäute. Es wurde zur Raumdesinfektion (z.B. auf der Isolierstation) und im Labor zur Desinfektion benutzter Schutzkabinen verwendet. Entscheidend für die Wirkung ist eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit.
Hitzeempfindliche Teile können mit flüssigem Glutaraldehyd desinfiziert werden Glutaraldehyd ist ungiftiger als Formaldehyd und kann in Lösung stabilisiert werden, so dass es in gebrauchsfertiger Konzentration wochenlang wirksam bleibt. Es wird zur Desinfektion hitzeempfindlicher Gegenstände (Endoskope) oder zur Flächendesinfektion verwendet, ist aber nicht zur Sterilisierung geeignet.
Von den verfügbaren antimikrobiellen Substanzen wirken nur wenige sterilisierend 1244
Einige (z.B. Derivate aus Kiefernöl und Terpentin) sind schon seit Urzeiten bekannt, und Chlorkalk oder flüssige Kohlenteerpräparate waren längst in Gebrauch, bevor sich die Keimtheorie von Krankheiten durchsetzte. Die meisten dieser Substanzen gehören zu den Desinfektionsmitteln oder Antiseptika, doch zur Sterilisierung eignen sich nur sehr wenige. Ihre Wirksamkeit wird beeinflusst von: ■ der physikalischen Beschaffenheit (z.B. poröse oder rissige Oberfläche) ■ Luftfeuchtigkeit ■ Temperatur und pH-Wert ■ Konzentration/Verdünnung ■ Wasserhärte ■ Biolast auf den zu desinfizierenden Gegenständen ■ Art und Zustandsform der Keime ■ Fähigkeit zu Inaktivierung chemischer Mittel (die manche Keime haben) Dass die genannten Faktoren unter bestimmten Umständen nur schwer kontrollierbar sind, ist einleuchtend. Die wichtigsten chemischen Substanzgruppen sind in Tab. 36.8 angeführt. Sie wirken durch eine chemische Schädigung von Proteinen, Nukleinsäuren oder Zellmembranlipiden der Erreger. Manchmal setzt sich die Wirkung von Desinfektionsmitteln auch aus unterschiedlichen Schädigungsmechanismen zusammen.
1245
36.8.4
Kontrolle von Sterilisation und Desinfektion
Im Allgemeinen sollte eher der Prozess als das Endprodukt kontrolliert werden Das bedeutet, dass es besser ist, den technischen Vorgang (Sterilisation oder Desinfektion) regelmäßig zu überprüfen, solange er noch im Gange ist, als erst zum Schluss durch Keimisolierung herausfinden zu wollen, ob er gescheitert ist. Der Versuch, überlebende Keime ausfindig zu machen, ist mit der sprichwörtlichen Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen vergleichbar. Es ist bekannt, dass sich Bakterien nach einiger Zeit und auf Spezialnährböden von einer Schädigung erholen können, doch es wird selten möglich sein, Stichproben für spätere Tests zurückzuhalten.
1246
Tab. 36.8 Desinfektionsmittel im Krankenhaus.
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Außerdem fragt sich, wie viele Proben in dem Fall untersucht werden müssten. Untersucht man zu wenige, wird das ungenügende Produkt wahrscheinlich nicht entdeckt, sind es zu viele, wird sich der allein zur Qualitätskontrolle verbrauchte Anteil ökonomisch bemerkbar machen. Die üblichen Verlaufskontrollen beinhalten eine physikalische oder chemische technische Prüfung (z.B., ob Autoklaven in der vorgegebenen Zeit die erwünschte Temperatur erreichen). Auch wenn sich daraus nicht schließen lässt, dass nach der Sterilisation keine lebensfähigen Keime mehr zurückbleiben, ist das Ergebnis sicher eher zu erwarten, wenn der Prozess selbst zufriedenstellend verläuft. Da solche Kontrollen aber oft – bewusst oder unbewusst – unterschiedlich streng durchgeführt werden, kann die Testempfindlichkeit zu hoch oder zu niedrig sein.
Desinfektionsmittel können durch mikrobiologische Gebrauchstests überwacht werden Bei diesen Tests werden von einer Desinfektionslösung mehrere Proben entnommen (um eine Verunreinigung des Desinfektionsmittels zu vermeiden) und behandelt, d.h. mit einer Bakteriensuspension beschickt und kultiviert. Solche Tests werden aber selten in der Klinik selbst durchgeführt; dort hält man sich beim Gebrauch von Desinfektionsmitteln weitgehend an die Herstellerempfehlungen
Zusammenfassung ■ Im Krankenhaus erworbene Infektionen werden als Hospital- oder nosokomiale Infektionen bezeichnet. ■ Nosokomiale Infektionen haben oft schwerwiegende Folgen für Patienten, für Beschäftigte im Krankenhaus und für die Gesellschaft allgemein. Jeder Mikroorganismus kommt zwar als Auslöser in Frage, doch die Mehrheit der Infektionen wird nur durch eine kleine Gruppe von Keimen ausgelöst. ■ Da die Bedingungen im Krankenhaus das Überleben resistenter Stämme begünstigen, werden Infektionen oft von Keimen mit eingeschränkter AntibiotikaEmpfindlichkeit hervorgerufen. ■ Die häufigsten nosokomialen Infektionen sind obere Harn- und Atemwegsinfektionen, postoperative Wundinfektionen und Bakteriämie (Sepsis). ■ Die wichtigsten Bakterien sind Gram-positive Kokken (Staphylo- und Streptokokken) und Gram-negative Stäbchen (z.B. E. coli, Pseudomonas). Viele Keime sind gegen mehrere Antibiotika resistent (Multidrug-Resistenz). Unter den Pilzen ist Candida als signifikante Ursache zu nennen. Viren verursachen möglicherweise mehr nosokomiale Infektionen, als man bisher gedacht hat. ■ Pathogene Keime können aus der Normalflora eines Patienten (endogene Infektion) oder von anderen Menschen sowie aus einer unbelebten Quelle stammen (exogene oder Kreuzinfektion). Ausbreitung über die Luft oder Kontaktinfektionen sind die wichtigsten Übertragungswege. ■ Entscheidend für die Infektionsanfälligkeit sind wirts-/patienteneigene Faktoren. 1248
■ Um Ausbrüche (Epidemien) einer Infektion rechtzeitig zu erkennen, sollte eine fortlaufende Überwachung gewährleistet sein, und bei der Untersuchung ist epidemiologisches und mikrobiologisches Fachwissen gefragt. Molekularbiologische Methoden (um einen genetischen „Fingerabdruck“ der ursächlichen Keime zu erstellen) werden technisch immer weiter verfeinert. ■ Zur besseren Versorgung der Patienten und zur Kosteneinsparung ist die Prävention nosokomialer Infektionen (Ausschluss von Keimreservoir/Infektionsquellen, Unterbrechung der Übertragungskette, Stärkung der Widerstandskräfte) unverzichtbar. ■ Wichtige Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention nosokomialer Infektionen sind Sterilisation und Desinfektion, die aber auf vielen Gebieten der medizinischen Praxis im Mittelpunkt stehen sollten.
FRAGEN Als Chirurg werden Sie von der Stationsschwester zu einem Patienten gerufen, der Fieber bekommen hat, nachdem drei Tage vorher eine Kolonresektion (wegen Kolonkarzinom) durchgeführt worden war. Der Eingriff verlief glatt, und bisher hatte sich der Zustand des Patienten recht gut entwickelt. Die medizinische Anamnese vor der Einweisung ins Krankenhaus war unauffällig. Der Patient ist Raucher. Bei der Untersuchung beträgt seine Temperatur 37,8°C, er zeigt eine leichte Ruhedyspnoe und über der Lungenbasis sind beidseitig einzelne Rasselgeräusche auskultierbar. Die Bauchwunde ist mit einem Verband abgedeckt, den Sie ungern entfernen würden. Was sind die häufigsten Ursachen postoperativer Infektionen und 1 welche Schritte können unternommen werden, um das Problem zu verringern? 2
Welche weiterführenden Untersuchungen würden Sie anordnen?
3
Wie würden Sie den Patienten behandeln?
Zur weiteren Information Weiterführende Literatur Bennett, J.V., Brachman, P.S. (eds.): Hospital Infections, 4th ed. Lippincott-Raven, Philadelphia 1998. Herwaldt, L.A., Decker, M.D. (eds.): A Practical Handbook for Hospital Epidemiologists. Slack, Thorofare/NJ 1998. Kappstein, I.: Nosokomiale Infektionen. Prävention, Labor-Diagnostik, Antimikrobielle Therapie. W. Zuckschwerdt Verlag, München Bern Wien New York 2002. Mayhall, C.G. (ed.): Hospital Epidemiology and Infection Control. William & Wilkins, Baltimore 1999.
1249
Wenzel, R.P. (ed.): Prevention and Control of Nosocomial Infections, 3rd ed. William & Wilkins, Baltimore 1997. Wenzel, R.P., Brewer, T.F., Butzler, J.P.: Guide to Infection Control in the Hospital. Decker, Hamilton/Ontario 2002.
1250
Pathogene im Überblick Eine alphabetische Auflistung aller Organismen (einschließlich der Pathogene im Überblick) finden Sie im Index.
Viren Adenoviren
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Arenaviren Zu ihren Vertretern zählen die Erreger des Lassa-Fiebers und LCM-Viren (Erreger der lymphozytären Choriomeningitis).
1252
Bunyaviren
1253
Coronaviren
1254
Filoviren Zu ihnen gehören das Ebola- und Marburg-Virus.
1255
Flaviviren Ihre Vertreter verursachen die folgenden Erkrankungen: Dengue-Fieber, Japanische Enzephalitis, Gelbfieber, durch Zecken übertragene Enzephalitis, West-Nil und Hepatitis C.
1256
Hepatitis B
1257
Hepatitis D (Delta)
Hepatitis E
1258
Herpesviren
1259
Zu ihren Vertretern zählen Herpes-simplex-Virus (HSV), Varicella-Zoster-Virus (VSV), Zytomegalievirus (CMV), Epstein-Barr-Virus (EBV), humanes Herpes-Virus (HHV) 6, 7 und
8.
1260
Noroviren
1261
Orthomyxoviren Influenzaviren
1262
Papovaviren
1263
Zu ihnen gehören die Papillomaviren, JC- und BK-Viren.
1264
Paramyxoviren Zu ihren Vertretern zählen die Erreger von Masern, Mumps, das Respiratory Syncytial Virus (RSV), das Parainfluenzavirus, das humanpathogene Metapneumovirus, Nipah-Virus und Hendra-Virus.
1265
Parvovirus
1266
Picornaviren
1267
Zu ihren Vertretern zählen die Enteroviren, Coxsachieviren, Echoviren, Polioviren und Hepatits-A-Virus.
1268
Poxviren
1269
Reoviren Zu ihnen zählen die Rotaviren und das Colorado-Zeckenfiebervirus.
1270
Retroviren Sie schließen HIV-1, HIV-2, HTLV-1 und HTLV-2 ein.
1271
Rhabdoviren Rabiesvirus
1272
Togaviren Zu ihren Vertretern zählen Rubella-, Chikungunya-, O’nyong-nyong-, Ross River-, Easternund Western Enzephalitis-Viren.
1273
Humane Erkrankungen mit Prionen
1274
Bakterien Gram-positive Kokken Gattung Staphylokokken Zu dieser Gattung gehören mindestens 16 verschiedene Arten, von denen drei von großer medizinischer Bedeutung sind: S.aureus, S. epidermidis, S. saprophyticus.
Tab. 1 Wesentliche Unterscheidungsmerkmale der medizinisch bedeutenden Staphylokokken. 1 Die koagulasenegativen Arten S. epidermidis und S. saprophyticus sowie die weniger häufig isolierten koagulasenegativen Arten (S. capitis und S. haemolyticus) werden oft nur als „koagulasenegative Staphylokokken” ohne weitere Identifikation bezeichnet. 2 übliches Resultat, jedoch nicht für alle Stämme. 3 hilfreich für die Unterscheidung zwischen S. epidermidis und S. saprophyticus.
1275
Staphylococcus aureus
1276
Staphylococcus epidermidis
1277
Staphylococcus saprophyticus
1278
Gattung Streptokokken Bei den Streptokokken handelt es sich um eine große Gruppe Gram-positiver Kokken, die weitverbreitet in Mensch und Tier vorkommen und Teil der normalen Flora bilden. Einige Arten rufen jedoch schwere Infektionen hervor. Der Zelldurchmesser des einzelnen Organismus beträgt 0,5–1 μm. Da sich die Kokken nur in einer Ebene teilen, kommt es zur Paar- und Kettenbildung. Die medizinisch bedeutenden Streptokokken können leicht voneinander unterschieden werden, entweder durch Hämolyse auf Blutagar (komplette Hämolyse, β-Hämolyse; partielle Hämolyse, α-Hämolyse; keine Hämolyse, γ-Hämolyse) oder durch die Präsenz oder Abwesenheit eines gruppenspezifischen Kohlenhydrat-Antigens (LancefieldGruppen A bis V).
1279
β-hämolysierende Streptokokken Streptococcus pyogenes (Gruppe-A-Streptokokken)
1280
Streptococcus agalactiae (Gruppe BStreptokokken)
Weitere β-hämolysierende Streptokokken von medizinischer Bedeutung Streptokokken der Lancefield-Gruppen C und G rufen manchmal eine Pharyngitis hervor. Die Streptokokken der Gruppe D werden der Gattung Enterococcus zugeordnet (siehe unten).
Streptokokken der Milleri-Gruppe Hier handelt es sich um mikroaerophile Streptokokken, die häufig kleine Kolonien bilden und Antigene der Lancefield-Gruppen A, C, F oder G tragen. Sie verursachen Abszesse (speziell in Leber und Gehirn).
α-hämolysierende Streptokokken
1281
Streptococcus pneumoniae
Orale Streptokokken Es gibt mehrere andere Arten von α-Streptokokken, die in der Vergangenheit unter dem Begriff „Viridans-Streptokokken” oder vergrünende Streptokokken zusammengefasst wurden. Diese und einige der nicht-hämolytischen Streptokokken sind neu klassifiziert worden. Die meisten Arten leben als Kommensalen im Mund. S. mutans steht in sehr engem Zusammenhang mit Karies. Mehrere Arten können eine bakterielle Endokarditis hervorrufen. Die meisten Stämme sind Penicillin-empfindlich; jedoch ist auch eine mäßige bis hohe Resistenz beobachtet worden. Mäßig resistente Isolate können mit Penicillin und zusammen mit einem Aminoglykosid behandelt werden, während stark resistente Stämme ein breites Spektrum an Cephalosporin oder Vancomycin erfordern. In Kulturen aus dem Respirationstrakt ist es wichtig, diese Streptokokken von S. pneumoniae zu unterscheiden.
Gattung Enterococcus (fäkale Streptokokken) 1282
Sie wurden früher der Gattung Streptococcus zugeordnet, mit der sie viele Merkmale gemeinsam haben; gegenwärtig gibt es 16 Arten von Enterokokken. E. faecalis und E. faecium sind die klinisch bedeutendsten und werden gemeinsam besprochen.
Gram-positive Stäbchenbakterien Gattung Corynebacterium Zu dieser Gattung zählen viele Arten. Sie ist in der Natur weit verbreitet und mit den Arten Mycobacterium und Nocardia ist sie Teil eines Spektrums, welches ähnliche Mykolsäure enthaltende Zellwandstrukturen aufweist. Eine wichtige pathogene Species ist C. diphtheriae. Diese und andere Pathogene der Gattung sind von kommensalen Corynebakterien zu unterscheiden.
Corynebacterium diphtheriae
1283
1284
Weitere Corynebakterien C. ulcerans wurde bei Diphtherie-ähnlichen Erkrankungen gefunden. Es produziert zwei Toxine, von denen eins durch Diphtherie-Antitoxin neutralisiert wird. Das andere ähnelt dem durch C. pseudotuberculosis gebildeten Toxin. C. jeikeium wird zunehmend aus Blutkulturen und Wunden immunsupprimierter Patienten isoliert. Normalerweise wird es aufgrund seiner relativen Resistenz gegen Antibiotika nachgewiesen (sensibel gegen Glykopeptide wie Vancomycin und Teicoplanin). C. pseudotuberculosis ist ein bedeutendes Pathogen für Pferde und Schafe. C. xerosis und C. pseudodiphtheriticum sind Hautbewohner und noch viele andere coryneforme Bakterien besiedeln die Haut. Diese und andere verwandte Gattungen wie Brevibakterium und Rhodococcus sind lipophil. Für optimales Wachstum benötigen sie Lipide.
Gattung Bacillus Zu dieser Gattung zählen mehr als 50 Arten, von denen die meisten Bodenorganismen sind. Zwei Arten sind von besonderer medizinischer Bedeutung: B. anthracis und B. cereus.
Bacillus anthracis
1285
1286
Bacillus cereus
Gattung Listeria Früher waren diese Organismen der Gattung Corynebacterium zugeteilt. Sie haben auch verwandte Antigene mit Enterokokken und Lactobazillen. L. monocytogenes ist die Art mit besonderer medizinischer Bedeutung.
Listeria monocytogenes 1287
Gattung Clostridium Zu dieser Gattung zählen viele Arten Gram-positiver, anaerober, Sporen bildender Stäbchenbakterien; einige wenige sind Sauerstoff-tolerant. Sie kommen weit verbreitet im Boden sowie im Darm von Mensch und Tier vor. Die Sporen sind gegen Umwelteinflüsse resistent. Die mit dieser Gattung verknüpften wesentlichen Erkrankungen sind Gangrän, Tetanus, Botulismus, Nahrungsmittelvergiftung und pseudomembranöse Kolitis. Bei jeder dieser Erkrankungen spielt die Produktion von starken Exotoxinen eine bedeutende Rolle für die Pathologie. Bei mehreren Arten werden die Toxin kodierenden Gene von Plasmiden oder Bakteriophagen getragen.
Clostridium perfringens 1288
Clostridium tetani
1289
1290
Clostridium botulinum
1291
Clostridium difficile
Gattung Mycobacterium Mykobakterien kommen weit verbreitet in der Umwelt und bei Tieren vor. Die wesentlichen Humanpathogene sind M. tuberculosis und M. leprae, aber das Bewusstsein über die Bedeutung anderer Arten (z.B. M. avium-Komplex) wächst mit der Erkenntnis ihrer Rolle als Pathogene bei AIDS-Kranken und anderen abwehrgeschwächten Patienten.
1292
1293
Gattung Actinomyces Die Actinomyzeten sind Bakterien, keine pilzähnlichen Organismen, wofür sie in der Vergangenheit aufgrund ihrer Myzelbildung gehalten wurden. Die chemische Struktur ihrer Zellwand ist mit der der Corynebakterien und Mykobakterien verwandt. Ihre Differenzierung von Pilzen ist wichtig, denn Infektionen mit Aktinomyzeten sollten auf antibakterielle Mittel ansprechen, wohingegen durch Pilze hervorgerufene ähnliche klinische Erscheinungsbilder gegen antibakteriell-wirkende Substanzen resistent sind. Zur Gattung Actinomyces zählen viele Vertreter, von denen einige für den Menschen als Produzenten antimikrobieller Substanzen wichtig sind. Wenige sind für Mensch und Tier pathogen. A. israelii verursacht die Aktinomykose.
Gattung Nocardia 1294
Gram-negative Stäbchenbakterien Enterobacteriaceae Es sind die zahlenmäßig häufigsten fakultativ anaeroben Bakterien im menschlichen Darm, die annähernd 109/g der Fäzes ausmachen. Nur Gram-negative Anaerobier (z.B. Bacteroides) sind ihnen zahlenmäßig etwa zehnmal überlegen. Gattungen der Familie Enterobacteriaceae besitzen gemeinsame Merkmale, die sie von anderen Familien unterscheiden; durch biochemische Tests können sie voneinander unterschieden werden.
Gattung Escherichia Escherichia coli
1295
1296
Gattung Proteus Zu dieser Gattung zählen mehrere Arten. Zwei, P. mirabilis und P. vulgaris, besitzen medizinische Bedeutung.
Gattung Klebsiella und verwandte Enterobakterien, Serratia und Enterobacter Anders als E. coli werden die Arten der Gattung Klebsiella, Serratia und Enterobacter seltener mit Infektionen in Verbindung gebracht, außer als Opportunisten bei abwehrgeschwächten Patienten.
1297
Gattung Salmonella Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Familie der Enterobacteriaceae sind Salmonella und Shigella keine normalen Bewohner des menschlichen Darmtrakts (außer bei postinfektiösen Trägern). Beide Gattungen sind für Durchfallerkrankungen verantwortlich. Diese können sehr schwer sein; nach einer Salmonelleninfektion kann auch eine Bakteriämie entstehen (am häufigsten assoziiert mit S. typhi, S. paratyphi and S. cholerae-suis). DNA-Hybridisierungsstudien haben nur zwei Salmonella-Arten identifiziert. Praktisch ist nur S. enterica, Subspezies enterica, für die Humanmedizin von Bedeutung. Basierend auf der serologischen Identifikation werden die Salmonellenarten zu O(somatisch) und H-Gruppen (flagellar) zusammengefasst. In der Gruppe S. enterica (bedeutendste Salmonellengruppe für Infektionen beim Menschen) lassen sich sechs Untergruppen unterscheiden (A, B, C1, C2, D und E). Nach der Kauffmann-White Klassifikation unter Berücksichtigung der neuen taxonomischen Einteilung lautet die korrekte Bezeichnung für Salmonella-Isolate wie folgt: •
statt S. enteritidis: S. enterica, Subspecies enterica, Serovar Enteritidis. 1298
•
statt S. typhi: S. enterica, Subspecies enterica, Serovar Typhi
Oftmals findet jedoch die alte Bezeichnung weiterhin Anwendung. Aufgrund der Infektion wird zwischen den Typhus bzw. Paratyphus hervorrufenden typhösen Salmonellen S. typhi, S. paratyphi, S. schottmuelleri (früher S. paratyphi B) und S. hirschfeldii (früher S. paratyphi C) und anderen Durchfallerkrankungen verursachenden enterischen Salmonellen (z.B. S. Enteriditis) unterschieden.
Kaufmann-White-Klassifizierung
Kaufmann-White-Klassifizierung
1299
1300
Gattung Shigella Vier Arten sind für den Menschen als Verursacher der Bakterienruhr von Bedeutung: S. dysenteriae, S. boydii, S. flexneri und S. sonnei (in abnehmender Folge der Schwere der Symptome).
Gattung Pseudomonas und verwandte Organismen Burkholderia, Stenotrophomonas und Acinetobacter Von den zahlreichen Arten sind wenige Humanpathogene, einige tierpathogen, andere bedeutende Pflanzenpathogene. Die Organismen kommen weit verbreitet vor, sie können das Umfeld im Krankenhaus kontaminieren und opportunistische Infektionen hervorrufen. Die für den Menschen bedeutendsten Arten sind: •
P. aeruginosa, ein bedeutender Opportunist für anfällige Patienten;
• Burkholderia pseudomallei, Verursacher der Melioidose, eine Erkrankung mit begrenzter geografischer Verbreitung; • Burkholderia cepacia, ist gewöhnlich mit nosokomialen Infektionen und mit Infektionen des Respirationstraktes bei Mukoviszidose-Patienten assoziiert; 1301
• Stenotrophomonas maltophilia, ein opportunistischer Keim, der auch mit nosokomialen Infektionen in Zusammenhang gebracht wird; • Acinetobacter baumannii (und andere Arten), opportunistische Pathogene, die eine Vielfalt an Infektionen hervorrufen (z.B. Wunden, Atemwege, Harnwege); sie sind häufig Antibiotika-resistent.
Pseudomonas aeruginosa
1302
Gekrümmte Gram-negative Stäbchen Verschiedene Gattungen gekrümmter Gram-negativer Stäbchen enthalten Arten, die für den Menschen pathogen sind. Die drei wichtigsten Gattungen sind Vibrio, Campylobacter und Helicobacter.
1303
Gattung Vibrio Die wichtigste Art ist V. cholerae.
Gattung Campylobacter 1304
Einst als Vibrionen klassifizierte gekrümmte, Gram-negative Stäbchen. Primär sind es Tierpathogene, doch verschiedene Arten können auch beim Menschen Infektionen hervorrufen. C. jejuni ist hauptsächlich für die bakterielle Gastroenteritis in den entwickelten Ländern verantwortlich. In weitaus geringerer Häufigkeit wird die Gastroenteritis von E. coli verursacht. Die durch diese Organismen provozierten Infektionen präsentieren sich mit einem im Wesentlichen identischen klinischen Bild. Im Labor werden sie im Allgemeinen nicht voneinander unterschieden.
Campylobacter jejuni
1305
Helicobacter pylori
Gram-negative, nicht Sporen bildende Anaerobier Historisch betrachtet wurden sämtliche kurzen, Gram-negativen, anaeroben Stäbchen oder kokkoiden Stäbchen als Gattung Bacteroides und längere Stäbchen mit spitz zulaufendem Ende als Gattung Fusobacterium klassifiziert. Jüngste Anwendungen neuer Techniken zur Untersuchung von Bacteroides führten zur Definition zweier zusätzlicher Gattungen: Porphyromonas und Prevotella. Somit beschränkt sich die Gattung Bacteroides jetzt auf Arten, die in der normalen Darmflora vorkommen. Zu Prevotella zählen saccharolytisch wirkende Organismen, die im Mundbereich und im Urogenitaltrakt vorkommen. Hierzu gehört P. melaninogenica (früher B. melaninogenicus), welche einen charakteristischen schwarz-braunen Farbstoff bilden. Zur Gattung Porphyromonas zählen asaccharolytische, pigmentierte Arten. Diese sind Teil der Mundflora (P. gingivalis) und können bei endogenen Infektionen der Mundhöhle beteiligt sein. Wenn auch andere Erreger viel häufiger vorkommen (z.B. bei Gingivitis und anderen endogenen oralen Infektionen) als B. fragilis, so ist er der bedeutendste Infektionen hervorrufende, nicht Sporen bildende Anaerobier.
1306
Bacteroides fragilis
1307
Gram-negative Kokken Gattung Neisseria Zu dieser Gattung zählen verschiedene mehr oder weniger anspruchsvolle Arten, von denen zwei, N. gonorrhoeae und N. meningitidis, bedeutende Humanpathogene sind.
1308
Gattung Moraxella Moraxella catarrhalis, früher als Branhamella catarrhalis klassifiziert, sind Gramnegative Kokken, die morphologisch Neisseria ähneln, jedoch weniger anspruchsvolle Wachstumsbedingungen benötigen. Früher galten sie als Kommensale im Respirationstrakt und wurden mit einer Vielfalt an Infektionen assoziiert. Hierzu zählen Bronchitis, Bronchopneumonie, Sinusitis und Otitis media. Die Mehrheit der Stämme bildet Beta-Laktamase. Durch die Zerstörung von zur Behandlung eingesetztem Penicillin oder Ampicillin schützen sie möglicherweise stärkere Pathogene, speziell im Respirationstrakt.
Gattung Haemophilus Zu dieser Gattung gehören viele Arten; H. influenzae und H. ducreyi haben medizinische Bedeutung.
1309
Haemophilus influenzae
Haemophilus ducreyi Haemophilus ducreyi ist der Erreger des „weichen Schankers“, einer venerischen Infektion. Es handelt sich um schlanke, Gram-negative Stäbchen, die paarweise oder kettenförmig auftreten. Die direkte mikroskopische Untersuchung eines Schankerabstrichs kann diagnostisch aufschlussreich sein. Die Organismen sind sehr anfällig gegen Dehydration; deshalb Beimpfung von Platten in der Klinik. 1310
Angereichertes Nährmedium erforderlich (wie für H. influenzae, jedoch mit Zusatz von Antibiotika, um das Wachstum anderer Organismen des Genitaltrakts zu hemmen).
Gattung Bordetella Es gibt drei Arten, von denen eine, B. pertussis, medizinische Bedeutung hat.
1311
Gattung Brucella Von den verschiedenen Arten der Gattung Brucella steht jede in einem charakteristischen Zusammenhang mit einer Tierart. Vier Arten – für B. abortus ist das Rind der Hauptwirt, für B. suis das Schwein, für B. canis der Hund und für B. melitensis die Ziege – sind die häufigsten Erreger zoonotischer Infektionen beim Menschen.
1312
Francisella tularensis
1313
Pasteurella multocida
1314
Gattung Yersinia Mitglied der Familie der Enterobacteriaceae. Diese Gattung ist sehr artenreich, doch nur wenige Arten werden als wichtige Humanpathogene betrachtet.
Yersinia pestis
1315
Yersinia enterocolitica
1316
Gattung Legionella Diese Gattung ist eine der neueren Entdeckungen in der Geschichte der Mikrobiologie. Sie wurde erstmals mit Techniken der Virusisolation (z.B. Wachstum in Embryonen enthaltenden Hühnereiern) nachgewiesen. Es handelt sich um frei lebende Organismen, die sich auch in Wasser vermehren können, sich jedoch nur schwierig auf herkömmlichen Nährböden kultivieren lassen. L. pneumophila ist das Pathogen von größter medizinischer Bedeutung.
Legionella pneumophila
1317
Gardnerella vaginalis
1318
Spirochäten Drei Gattungen haben medizinische Bedeutung: Treponema, Leptospira und Borrelia.
Gattung Treponema Regelmäßig gewundene Spirochäten mit größeren Amplituden als Leptospira. Verschiedene Arten und Unterarten sind bedeutende Humanpathogene; andere gehören zur normalen Flora, speziell zur Mundflora. T. pallidum und die Subspezies pertenue sowie T. carateum sind die wichtigsten Arten.
1319
Gattung Leptospira Die Gattung wird in zwei Arten unterteilt: L. interrogans und L. biflexa; erstere verhält sich parasitär; zu letzterer gehören frei lebende Arten. Innerhalb der Art L. interrogans gibt es unterschiedliche Serogruppen und Serovare, die für Krankheiten bei Mensch und Tier verantwortlich sind.
Leptospira interrogans
1320
Gattung Borrelia Für den Menschen sind zwei Arten der Gattung Borrelia bedeutend: B. burgorferi verursacht die Lyme-Krankheit; B. recurrentis ist der Erreger des Rückfallfiebers.
1321
Weitere Bakterien Mykoplasmen
1322
Rickettsiae
1323
Chlamydiae
1324
Pilze Oberflächliche Mykosen Dermatophyten Dieser allgemeine Begriff steht für Arten, die die äußeren Schichten der Haut besiedeln. Unter den vielen Spezies sind Epidermophyton, Microsporum und Trichophyton die wichtigsten.
Sporothrix schenckii
1325
Tiefe Mykosen Aspergillus Von den drei häufigsten Spezies, A. fumigatus, A. flavus und A. niger, ist A. fumigatus die wichtigste.
Blastomyces dermatitidis
1326
Candida albicans
Coccidioides immitis
1327
Cryptococcus neoformans
Histoplasma capsulatum
1328
Pneumocystis jiroveci (früher carinii)
Protozoen Cryptosporidium parvum
1329
Cyclospora cayetanensis
Entamoeba histolytica
1330
Naegleria fowleri
Giardia lamblia
1331
Gattung Leishmania Von den verschiedenen Arten, die zu dieser Gattung gehören, sind L. brasiliensis, L. donovani und L. tropica Erreger wesentlicher Erkrankungen.
1332
Gattung Plasmodium Vier Arten dieser Gattung, P. falciparum, P. malariae, P. ovale und P. vivax, sind Krankheitserreger. P. falciparum und P. vivax kommen am häufigsten vor.
Toxoplasma gondii
1333
Trichomonas vaginalis
Gattung Trypanosoma Zu dieser Gattung zählen drei Arten, die als Krankheitserreger bekannt sind: T. gambiense, T. rhodesiense (afrikanische Trypanosomiasis) und T. cruzi (amerikanische Trypanosomiasis).
1334
Microsporidia (zahlreiche Arten)
Isospora belli
1335
Helminthen Zestoden – Bandwürmer Diphyllobothrium latum
(Echinococcus
granulosus
1336
Hymenolepis nana
Gattung Taenia Zwei Arten dieser Gattung infizieren den Menschen: T. saginata und T. solium.
1337
Trematoden – Saugwürmer Clonorchis sinensis
Paragonimus westermanii
1338
Gattung Schistosoma Mehrere Arten dieser Gattung können den Menschen infizieren. Die drei bedeutendsten sind S. haematobium, S. japonicum und S. mansoni.
1339
Nematoden – Rundwürmer Ascaris lumbricoides
Enterobius vermicularis (Kindermadenwurm)
1340
Filarien – Fadenwürmer (Untergruppe der Nematoden) Es handelt sich um eine große Gruppe von Würmern, deren wichtigste Arten im Lymphgewebe (Wuchereria bancrofti, Brugia malayi) oder der Haut (Onchocerca volvulus) leben.
1341
Hakenwürmer Allgemeiner Begriff für intestinale blutsaugende Würmer. Die zwei bedeutenden Arten sind: Ancylostoma duodenale und Necator americanus.
Strongyloides stercoralis
1342
Toxocara canis
Trichinella spiralis
1343
Trichuris trichiura
1344
Antworten 0 Eine zeitgemäße Einführung in die Mikrobiologie 1. Viren, Bakterien, Pilze, Protozoen, Würmer, Arthropoden (Prionen sind keine Organismen im herkömmlichen Sinn). 2. Akute respiratorische Infektionen, AIDS, Durchfallerkrankungen, Tuberkulose, Malaria. 3. Hanta-Virus, humanes Herpesvirus 8, Hepatitis E–G, Escherichia coli O157, Borrelia burgdorferi, Helicobacter, Toxinproduzierende Staphylococcus aureus. 4. Vermehrtes Reisen, neue Methoden der Lebensmittelproduktion, Lieferung und Gebrauch; neue landwirtschaftliche Praktiken; verändertes Sexualverhalten; medizinische Interventionen; übermäßige Anwendung von Antibiotika; soziale, wirtschaftliche, politische und möglicherweise klimatische Veränderungen.
1 Mikroorganismen als Parasiten 1. Prokaryonten besitzen keinen eindeutigen Kern, die DNA existiert in einem einzelnen, ringförmigen Chromosom und kommt auch in Plasmiden vor, Transkription und Translation erfolgen gleichzeitig. Eukaryonten haben einen eindeutigen, Membran-umhüllten Kern, DNA ist in mehreren Chromosomen enthalten, für die Translation wird mRNA benötigt, sie findet an den Ribosomen im Zytoplasma statt. Das Zytoplasma ist reich an Organellen. 2. Gewöhnlich sind Mikroparasiten mikroskopisch klein, können intrazellulär leben, replizieren sich in der Wirtszelle und vermehren sich rasch nach einer einmaligen Infektion. Makroparasiten sind in der Regel größer (> 1 mm), leben außerhalb von Zellen. Die meisten können sich nicht im Wirtsorganismus replizieren, weshalb für ihre Vermehrung wiederholte Infektionen notwendig sind. 3. Nutzung des genetischen Apparates des Wirts, Nutzung interzellulärer Nährstoffquellen, Schutz vor einigen Abwehrmechanismen des Wirts. 4. Visuell (Form, Größe, Färbung), biochemisch (Atmung, Produktion von Enzymen, Toxinen), immunologisch (Reaktion auf Antikörper), molekular (DNAAnalyse, Sondenhybridisierungen).
2 Bakterien 1.
B – Lipopolysaccharid
2.
C – Staphyloccoccus
3.
E – alle 30 Minuten
4.
E – alle
5.
D– Mutation 1345
6.
B – Transposons
3 Viren 1.
B – Influenzavirus
2.
C – Vacciniavirus
3.
A – Sialinsäure
4.
D– HTLV
4 Pilze 1.
C – Candida
2.
D– abgestorbene Haut
5 Protozoen 1.
B – Malaria
2.
D– Toxoplasma
3.
D– Giardia
6 Helminthen und Arthropoden 1.
D– Taenia solium
2.
C – Wuchereria bancrofti
3.
B – Für die Transmission wird eine Wasserschnecke benötigt
4.
E – alle
7 Prionen 1.
D– Stich eines kontaminierten Insektenvektors
2.
E – keiner der genannten Reaktionen
3.
B – Behandlung mit Natriumhydroxid und Natriumhypochlorit
8 Wirt-Parasiten-Beziehung 1.
E – alle
2.
C – im Dickdarm
1346
3.
D– sie rufen immer eine Erkrankung hervor
4.
E – alle
9 Das angeborene Immunsystem 1.
D– Speichelamylase
2.
A – Monozyten
B – Kupffer-Zellen D– Medulläre Makrophagen in Lymphknoten 3.
A – Erzeugen reaktive Sauerstoff-Zwischenprodukte
C – Enthalten mikrobizide, zytoplasmatische Granula D– Sind auf Phagozytose spezialisierte Zellen 4.
C – Opsonisiert Bakterien
5.
A – Reagieren auf Interferon
B – Enthalten Perforine C – Enthalten Granzyme 6.
A – C-reaktives Potein
B – Mannose bindendes Protein C – Lysozym E – Komplement
10
Erworbene Immunreaktion 1.
B – C3bBb
E – C42 2.
E – C3
3.
A – Synthetisieren und scheiden Antikörper aus
C – Leiten sich von B-Zellen ab E – Besitzen einen hohen RNA-Gehalt 4. A – Antikörper ähnlicher Spezifität wie die Oberflächendeterminanten der elterlichen B-Zelle
1347
5.
B – MHC
E – Peptide (aus dem intrazellulären Abbau von Proteinen) 6.
B – Zytotoxischen T-Zellen
11 Zelluläre Grundlagen erworbener Immunreaktionen 1.
A – Toleranz
2.
A – Durch Bindung an spezifische Rezeptoren
3.
D– IL-4
4.
B – Antigen-spezifisches IgG
C – Antigenneutralisation 5.
12
T – Zellen
Wechselwirkungen zwischen Erreger und Wirt 1. (a) Nachweis mit Antikörpertests oder durch prospektive Populationsstudien, dass Diabetes nur bei Personen auftrat, die mit dem Virus infiziert waren. (b) Isolation oder Nachweis von „genetischen Fingerabdrücken“ (Nukleinsäuresequenzen, Antigene) des Virus im Pankreas von Diabetikern, aber nicht bei Nicht-Diabetikern. Anmerkung: es könnte schwierig sein zu beweisen, ob: (1) das Virus eher eine der Ursachen oder die Ursache des Diabetes darstellt, (2) das Virus nahezu jeden infiziert, aber Diabetes nur in gelegentlichen Fällen verursacht, (3) die Erkrankung erst 10–20 Jahre nach der Infektion auftritt. 2. Die Tollwut wird mit dem Speichel direkt von Tier zu Tier übertragen, ohne eine notwendige Infektion des Menschen. 3. Die Schritte sind in Tab. 12.1 dargestellt. Anheftung/Eintritt, Multiplikation und Abstoßung sind die wichtigsten. 4. (a) Beseitigung des Gens aus dem Virusgenom mithilfe von Molekulartechniken und Überprüfung, ob das Virus dann weniger virulent ist. (b) Produktion von Antikörpern gegen das/die Genprodukt(e) und Beobachtung, ob die passive Gabe von Antikörpern die Virulenz reduziert.
1348
(c) Versuch, beteiligte Zytokine und andere Komponenten des Immunsystems zu ersetzen. Dies wird weniger erfolgreich sein. 5. Mikroorganismen, die sich schrittweise im Körper verbreiten, benötigen dazu mindestens eine Woche (Abb. 12.3). 6. Weil Mikroben Strategien entwickelt haben, mit der phagozytischen Funktion zu interferieren, zum Beispiel durch Inhibition der Phagozytose oder durch Beeinträchtigung der phagolysosomalen Fusion.
13
Ein- und Austrittspforten, Übertragungswege 1.
Respiratorisch, fäkal-oral, sexuell, als Zoonose.
2. Weil die Infektion nicht von Körperoberflächen abgegeben wird (siehe Abb. 13.1) oder nicht in ausreichender Zahl vorhanden ist, um weitere Personen zu infizieren. In vielen Fällen ist eine Infektion des Menschen für die Erhaltung und Verbreitung der Mikroben nicht nötig. 3. Nein. Gewisse Infektionen werden über den Urin verbreitet (Leptospirose oder Lassa-Fieber, von Tier zu Mensch). Für eine effektive Übertragung des Erregers von Mensch zu Mensch müsste der Erreger sehr infektiös und resistent gegen Austrockung sein. 4. Ja. Allgemeine Erkältungskrankheiten können über Hände und Taschentücher verbreitet werden. 5.
Die Infektionswege: ■ pränatal (Plazenta): Blutzellen und Gefäßendothelium von Mutter und Fetus, zusätzlich Trophoblasten in der Plazenta ■ perinatal: Blutzellen und Schleimhautzellen von Zervix und Vagina der Mutter, weiterhin Epithelzellen der Konjunktiva und der Atemwege des Kindes ■ postnatal: mütterliche Blutzellen und Epithelzellen der Brustdrüsen und -gänge ■ Keimbahn: Eizelle und Spermium.
6. Wenn sich Rezeptoren auf Epithelzellen des respiratorischen Trakts befinden, an welche die Mikroben binden können, ist eine Infektion dieser Zellen möglich. Gonokokken können z.B. Zellen der Konjunktiva infizieren.
14
Aktivierung der Immunabwehr 1.
A – Reaktive Sauerstoffzwischenprodukte
C – Zytotoxische Lipidperoxide E – Stickstoffmonoxid 2.
B – Inhibition der Virenzusammensetzung 1349
C – Inhibition der viralen RNA-Translation 3.
A – Opsonisierung des Parasiten für darauf folgende Phagozytose
D– Blockierung des Eintritts des Mikroorganismus in die Wirtszelle E – Induktion Antikörper-abhängiger zellulärer Zytotoxizität 4.
A – Antigenspezifische T-Zellen
B – Produktion von Zytokinen wie IFN
15
Ausbreitung und Replikation 1. (a) Die Ausbreitung in die Speicheldrüsen erfolgt hämatogen nach Passage des Gefäßendothels (Mumps) oder über periphere Nerven (Tollwutvirus). (b) Die Ausbreitung in die Leber erfolgt hämatogen nach Passage der KupfferZellen oder des Gefäßendothels, in Sinusoiden. 2.
Ja. Im Fall von:
(a) Herpes-simplex- und Varizella-Zoster-Viren (Basis für Reaktivierung und erneute Virusausschüttung) (b) Tollwutvirus (Ausbreitung in die Speicheldrüsen über Nerven, Übertragung durch den Speichel von Tieren). 3. (a) Polioviren. Das bedeutet Exposition gegenüber zirkulierenden Antikörpern. (b) Herpesviren. Das heißt Schutz vor zirkulierenden Antikörpern und mögliche Übertragung der Infektion in Organe durch wandernde Leukozyten. 4.
Da sie sich sehr langsam replizieren (Replikationszeit in Tagen gemessen).
5.
Sichelzell-Gen und Anfälligkeit gegen Malaria.
16 Überlebensstrategien von Parasiten und persistierende Infektionen 1.
Nein. Häufiger mit kurzen Aminosäuresequenzen.
2. Weil die Oberfläche das Hauptziel der Wirtsabwehr ist, wird sich diese wahrscheinlich eher einer Veränderungsstrategie unterziehen, um z. B. sich dem Immunsystem zu entziehen. 3.
(a) – Nein
(b) – Nein
1350
4. Wenn antivirale Lymphozyten und Antikörper erhöhten Zugang zu epidermalen Zellen hatten, d.h. während lokaler Entzündungen.
17
Pathologische Folgen von Infektionen 1. Exotoxine werden von Bakterien sezerniert. Endotoxine sind biologisch hochaktive Zellwandbestandteile Gramnegativer Bakterien. 2. Der septische Schock ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, bei dem Bestandteile von Mikroorganismen in die Blutbahn eingeschwemmt werden. Die dadurch ausgelöste Überreaktion des Immunsystems mit massiver Freisetzung von Zytokinen verursacht die vielfältigen Symptome des Schocks. Eine frühzeitige antibakterielle Behandlung und die Sanierung infektiöser Herde sind essenziell. 3. Immunkomplexe sind Antigen-Antikörper-Verbindungen, die, wenn sie nicht aus dem Plasma eliminiert werden, zu pathologischen Ablagerungen führen können. 4.
Viele, z.B. Exantheme bei Röteln, Masern, Scharlach, Syphilis.
5.
HPV, HTLV, HBV, HCV, HSV-2, EBV.
18
Infektionen der oberen Atemwege 1.
Diagnose
Akute Otitis media. 2.
Die häufigsten Pathogene
Haemophilus influenzae und Streptococcus pneumoniae sind die häufigsten Pathogene bei dieser Erkrankung. Moraxella catarrhalis, β-hamolysierende Streptokokken der Gruppe A und Staphylococcus aureus sind seltener beteiligt. Die akute Otits media ist oft Folge einer Infektion der oberen Atemwege. Eine Stauung in den Eustach’schen Tuben führt zu einem Flüssigkeitsstau im Mittelohr und sekundärer bakterieller Infektion. Der sich innerhalb der anatomischen Grenzen des Mittelohrs aufbauende Druck verursacht Schmerzen und kann zur Perforation des Trommelfells mit eitrigem Ausfluss führen. 3.
Behandlung
Die Behandlung sollte mit Antibiotika erfolgen, gewöhnlich oral, es sei denn, das Kind erbricht. Wahlweise kann Amoxicillin allein oder in Kombination mit einem Beta-Laktamase-Inhibitor, wie Clavulansäure, verabreicht werden, um den zunehmenden Anteil von Beta-Laktamase-produzierenden H. influenzae zu erreichen. Alternativen bieten oral verabreichte aktive Cephalosporine der zweiten und dritten Generation. Bei erwachsenen Patienten mit einer Penicillinallergie empfiehlt sich die Behandlung mit Fluorochinolonen, bei Kindern mit neuen Makroliden mit erhöhter Aktivität gegen H. influenzae. 4.
Mögliche Komplikationen
1351
Zu den Komplikationen zählen die akute Mastoiditis, die jedoch seit dem Beginn der Antibiotikatherapie selten vorkommt, und wiederkehrende Infektionen, die zu chronischer exsudativer Otitis media (Seromukotympanon) führen, einem weit häufigeren Problem.
19
Untere Atemwegsinfektionen 1.
Differentialdiagnose
In diesem Fall wird der Eindruck einer atypischen Pneumonie vermittelt. Die Ursachen sind: ■ durch Chlamydien hervorgerufene Infektionen, wie Chlamydophila pneumoniae (auch als TWAR-Chlamydien bezeichnet) und Chlamydophila psittaci ■ Mycoplasma pneumoniae ■ Legionella pneumophila. ■ Coxiella burnetii (Q-Fieber) 2.
Weitere Fragen, die für die Diagnosestellung relevant sind ■ Welchen Beruf üben Sie aus? ■ Waren Sie in letzter Zeit viel auf Reisen? ■ Besitzen Sie Haustiere und welchen Hobbys gehen Sie nach?
Diese Fragen sind immer wichtig für die Anamnese, können jedoch im Hinblick auf C. psittaci (Kontakt mit infizierten Vögeln), L. pneumoniae (Air-condition-Systeme) und C. burnetii (Q-Fieber, Kontakt mit infizierten Schafen/Vieh), besonders relevant werden. 3.
Weitere Untersuchungen
Serologie ■ Nachweis von Mycoplasma pneumoniae Partikelagglutinationstest (IgM und IgG) und Komplementbindungsreaktion (KBR) mit gepaarten und Rekonvaleszenzseren, welche im Abstand von 10–14 Tagen gesammelt wurden, oder Test akuter Serumproben, die wenigstens 10 Tage nach Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Im Hämatologielabor sollte auch die Anwesenheit von Kälteagglutininen getestet werden. ■ Nachweis von Chlamydien Mikroimmunofluoreszenz für typspezifisches IgM/IgG oder ELISA, KBR mit gepaarten akuten und Rekonvaleszenzseren, die im Abstand von 10–14 Tagen entnommen wurden, oder Test akuter Serumproben, die wenigstens 10 Tage nach
1352
Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Die KBR nutzt das gruppenspezifische Chlamydien-Antigen. ■ Nachweis von L. pneumoniae Urinprobe für eine Legionella-Antigenprobe, um festzustellen, dass der Nachweis von Antikörpern weniger sensitiv ist. ■ Nachweis von C. burnetii. KBR mit gepaarten akuten und Rekonvaleszenzseren, welche im Abstand von 10– 14 Tagen gesammelt wur- den, oder Test akuter Serumproben die wenigstens 10 Tage nach Ausbruch der Erkrankung entnommen wurden. Phase-1-Antikörper wird bei Infektionen mit chronischem Q-Fieber nachgewiesen. Phase-2-Antikörper wird bei akuten und chronischen Infektionen mit Q-Fieber festgestellt. Abhängig von entsprechenden Laboratoriumseinrichtungen kann die Kultivierung von Chlamydien, Mykoplasma und Legionella versucht werden. 4.
Diagnose
Eine Infektion mit Mycoplasma pneumoniae: vierfacher Titer-Anstieg in der KBR, positiver Titer im Agglutinationstest nach Verdünnung des Serums von 1:1024, positive Kälteagglutinine. 5.
Behandlung
Das Antibiotikum der Wahl ist Erythromycin oder Tetrazyklin.
20
Harnwegsinfektionen 1.
Bedeutung der Bakterienzahl
Die Urinprobe des Patienten enthält eine Bakterienzahl von > 105 pro ml Urin. Es handelt sich um eine signifikante Bakteriurie. 2.
Warum wird Urin in der Schwangerschaft auf eine Infektion untersucht?
Schwangere Frauen haben ein erhöhtes Risiko einer Infektion des Urogenitaltrakts, da sich die Harnleiter unter der Wirkung von Progesteron erweitern. Dadurch entsteht eine gewisse Stase, welche einer aufsteigenden Infektion von der Blase her Vorschub leistet. Da die Patientin während der Fühphase der Infektion asymptomatisch sein kann, ist die Untersuchung des Urins auf eine vorliegende Infektion nötig. Für schwangere Frauen mit einer positiven Urinkultur ist das Risiko einer Pyelonephritis größer. Eine Infektion des Urogenitaltrakts und eine Pyelonephritis können eine Septikämie hervorrufen, welche wiederum zu vorzeitigen Wehen führen kann. Deshalb sind sofortige Identifikation und Behandlung von Infektionen des Urogenitaltrakts in der Schwangerschaft notwendig. 3.
Die drei wahrscheinlichsten Ursachen einer Infektion bei dieser Patientin
1353
Unter den koliformen Keimen ist Escherichia coli mit Abstand der häufigste Erreger, gefolgt von Proteus mirabilis. Andere Gram-negative Stäbchen wie Klebsiella oder Pseudomonas kommen seltener vor, es sei denn, die Patientin litt an wiederholten Infektionen oder hatte kürzlich einen instrumentalen Eingriff im Urogenitaltrakt. 4. Geeignete antimikrobielle Substanzen zur Behandlung dieser Infektion in der Schwangerschaft Ampicillin ist ein geeignetes, in erster Linie angewendetes Antibiotikum für Regionen mit geringer Prävalenz resistenter Escherichia coli. Eine hohe Prävalenz von resistenten Keimen kann die Behandlung mit oralen Gaben von Cephalosporin erforderlich machen. Bei Unwohlsein der Patientin und daher erforderlichen parenteral verabreichten Antibiotika kann Cephalosporin injiziert werden.
21
Sexuell übertragbare Krankheiten 1.
Wahrscheinliche Diagnose
Durch Pneumocystis carinii verursachte Pneumonie (PCP) bei HIV-infizierten Personen. 2.
Weitere Untersuchungen ■ arterielle Blutgasanalyse
■ induziertes Sputum oder Bonchoskopie und bronchoalveolare Lavage für eine PCP-Untersuchung ■ HIV-1- und HIV-2-Antikörper-Screening-Test: Dieser ist positiv, daher wird ein weiterer bestätigender Test durchgeführt, der die Gegenwart von Antikörpern gegen HIV 1 nachweist. Zusätzlich werden Pneumocystis-Zysten zytologisch nachgewiesen. 3.
Behandlung
Die Diagnose sollte einfühlend mit dem Patienten diskutiert und eine weitere Serumprobe genommen werden, um die Diagnose zu bestätigen. Eine Zweitprobe sollte immer noch einmal getestet werden, um sicherzustellen, dass keine Irrtümer während der Probenentnahme, Markierung der Probe, des Versendens oder der Handhabung im Labor aufgetreten sind. Das Labor sollte das Serum der Originalprobe getestet und einen Test mit der Restprobe aus dem geronnenes Blut enthaltenden Originalteströhrchen wiederholt haben. Die Behandlung von PCP sollte schon nach erstem Verdacht begonnen werden und besteht in in der Gabe von Sauerstoff und Cotrimoxazol, in schweren Fällen plus Methylprednisolon. Wenn ein Patient eine Allergie gegen Schwefel-enthaltende Medikamente wie Cotrimoxazol hat oder entwickelt, sollte eine intravenöse Pentamidin-Behandlung eingeleitet werden. Der Kliniker richtet sich sowohl nach den Krankheitsanzeichen als auch nach den Resultaten der Blutgasanalyse. 1354
4.
Prognose und Nachkontrolle
Bei dieser Patientin liegt eine AIDS-definierende Diagnose (d.h. PCP) vor. Die Prognose ihrer Überlebensdauer ist variabel. Eine grundlegende Zählung von CD4 und ein p24-Antigen-Test würden durchgeführt, sowie ein Screening auf Syphyilis und virale Hepatitis. Eine regelmäßige PCP-Prophylaxe mit Cotrimoxazol sollte eingeführt und regelmäßig kontrolliert werden. Die Patientin sollte klinisch überwacht und eine CD4-Zählung in regelmäßigen Intervallen wiederholt werden. Es sollte auch diskutiert werden, wann die antiretrovirale Behandlung beginnen sollte. Andere Kernfragen beinhalten eine Diskussion mit ihrem Partner über einen HIVTest, geschützten Geschlechtsverkehr und Familienplanung in Anbetracht schon vorhandener oder zukünftiger Kinder. Eine Gesundheitsberatung bezüglich weiterer Aspekte und Folgen im Rahmen ihrer Diagnose sollte arrangiert werden.
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Gastrointestinale Infektionen (a) 1.
Wahrscheinliche Diagnose und Differentialdiagnosen
Die wahrscheinlichste Diagnose ist eine akute Hepatits-B-Infektion. Die Differentialdiagnosen beziehen Hepatitis A, Hepatitis C, Delta-Hepatitis (als Hepatitis-B-Coinfektion/Superinfektion), Zytomegaloievirusinfektion (CMV) und die Epstein-Barr-Virus-Infektion (EBV) mit ein. 2.
Untersuchungen
■ Sammeln einer koagulierten Blutprobe für Tests auf Hepatitis-BOberflächenantigen (HBsAg) und Marker einer HBV-Infektion (siehe unten). ■ HBsAg-Test: ELISA oder ähnliche Tests. ■ Anti-HB-Core-IgM. ■ Anti-HB-Core (Gesamt-IgM und -IgG). ■ HBeAg. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind wie folgt: ■ der HBsAg positiv (bestätigt durch spezifische Neutralisierung mit einem HBsAg-Antikörper enthaltenden Immunserum) ■ anti-HBc-IgM positiv ■ anti-HBc gesamt (totales IgM und IgG) positiv. ■ HBeAg positiv. Diese Resultate entsprechen einer akuten HBV-Infektion. Bei negativer HBsAgProbe wird ein Test auf HAV-IgM und HCV-Antikörper durchgeführt. HCVAntikörper wären in diesem frühen Stadium nicht mit ELISA nachweisbar, da die 1355
Anti-HCV-Serokonversion nach einer akuten HCV-Infektion für mehrere Monate verzögert sein kann. Bei klinischer Indikation wird der Test üblicherweise zwei Monate später wiederholt. 3.
Behandlung ■ Wiederholung der HBV-Serologie nach 1, 3 und 6 Monaten, um zu sehen, ob die Infektion immunologisch beherrscht ist. Wenn HBsAg nach 6 Monaten noch nachweisbar ist, dann ist dieser Patient ein Hepatitis- B-Carrier (-Träger). Er sollte regelmäßig nachkontrolliert werden, da diese Patienten eine chronische HBVInfektion (d.h. chronische aktive Hepatitis, chronische persistente Hepatitis, heptazelluläres Karzinom) entwickeln können. Es kommt auch vor, dass einige Patienten von HBeAg-positiv nach anti-HBe-positiv wechseln, andere verlieren ihr HBsAg und werden anti-HBs-positiv. ■ Dem Patienten ist anzuraten, Alkohol und körperliche Anstrengung zu vermeiden. ■ Dieser Patient trägt auch das Risiko anderer infektiöser Erkrankungen aufgrund seines intravenösen Drogenmissbrauchs. Dies sollte mit ihm im allgemeinen Rahmen einer Gesundheitsberatung diskutiert werden.
4.
Kontrolle der Infektion
Eine HBV-Infektion ist nach dem IfSG meldepflichtig. Sexualpartner oder Personen, mit denen dieser Mann Injektionsnadeln ausgetauscht hat, sollten kontrolliert, beraten und dringend auf serologische Marker einer abgelaufenen Hepatitis-B getestet werden. Wenn eine durchgemachte HBV-Infektion nicht nachweisbar ist, sollte diesen Personen eine Hepatitis-B-Immunisierung zusammen mit einer Injektion von Hepatitis-B-Hyperimmunglobulin (HBIG) angeboten werden, um eine HBV-Infektion abzuschwächen, zu modifizieren oder zu verhüten.
22
Gastrointestinale Infektionen (b) 1.
Sofortige Behandlung ■ Einweisung in einen Isolierraum auf Station. ■ Blutentnahme zur Untersuchung von Harnstoff und Elektrolyten. ■ Orale Rehydration, es sei denn, dass die Patientin erbricht. In diesem Fall ist intravenöse Flüssigkeitszufuhr notwendig. ■ Untersuchung einer Stuhlprobe auf Bakterien und Viren.
2.
Wahrscheinlichkeit einer durch Viren verursachten Diarrhoe
Die virale Gastroenteritis lässt sich in eine sporadische infantile und in eine epidemische virale Gastroenteritis unterteilen. Eine Rotavirusinfektion ist die häufigste Ursache der sporadischen infantilen Gastroenteritis. Adenovirusinfektionen sind die zweithäufigste Ursache. 3.
Diagnose einer Virusinfektion 1356
■ Die Elektronenmikroskopie (Verwendung von Phosphor-Wolfram-Säure als Kontrastmittel) erlaubt den Nachweis einer Vielfalt von Viren, für die es gewöhnlich keine spezifischen Tests zum Nachweis des viralen Antigens oder Antikörper gibt. Unter Routinebedingungen ist diese Methode jedoch nicht praktikabel. ■ Für den Nachweis einer Rotavirusinfektion gibt es spezifische Partikelagglutinationstests und Antigen-ELISAs. Diese werden zwar weit verbreitet angewendet, können aber einige Rotavirusinfektionen verfehlen. ■ In spezialisierten Laboratorien stehen für einige weitere Viren, die mit Gastroenteritis assoziiert werden, folgende Tests zur Verfügung: ELISAs, Radioimmunoassays (RIAs) oder Nukleinsäurenachweismethoden. Im Elektronenmikroskop werden radähnliche, im Durchmesser 65 nm große Teilchen, für eine Rotavirusinfektion typische Strukturen, diagnostiziert. 4.
Natürlicher Verlauf der Infektion
Wenn das Kind dehydriert ist, wird eine Therapie zum Flüssigkeitsersatz notwendig. Eine spezifische Behandlung für jede durch Viren verursachte Diarrhoe gibt es nicht, und die Ausscheidung von Rotaviren sollte innerhalb einer Woche zurückgehen. Flüssigkeiten auf Laktosebasis sollten vermieden werden, da der Verlust der distalen Darmzotten durch die virale Infektion zu einem Disaccharidasemangel und damit zu Laktoseintoleranz/Malabsorption führt. Wichtigste Maßnahmen zur Prävention nosokomialer Infektionen bestehen in der Isolation des Kindes, weiterhin in der Aufrechterhaltung hoher Hygienestandards, insbesondere Händewaschen des Personals nach Kontakt mit dem Kind.
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Intrauterine und perinatale Infektionen 1. (a) Wahrscheinliche Diagnose und mögliche Pathogene Das Baby ist septikämisch. Es ist am wahrscheinlichsten, dass die für die Septikämie des Neugeborenen verantwortlichen Pathogene Organismen sind, die über den Genitaltrakt der Mutter erworben werden. Streptokokken der Gruppe B kommen am häufigsten vor, aber auch Escherichia coli und Listeria monocytogenes sind bedeutende Pathogene für diese Altersgruppe. 1. (b)
Untersuchung
Sepsis-Parameter müssen untersucht werden. Hierzu gehören insbesondere eine Blutkultur und eine Liquorpunktion. Ein tiefer Ohrenabstrich und ein Magenaspirat können für die Identifikation des verantwortlichen Pathogens nützlich sein. Auch ein Vaginalabstrich der Mutter sollte abgenommen werden. Eine antimikrobielle Therapie sollte bereits vor den Ergebnissen der Kulturen begonnen werden. Es gibt mehrere Behandlungsansätze, übliche Kombinationen sind Cefotaxim und Ampicillin, oder Ampicillin und Gentamicin. Die Anwendung von Aminoglykosiden erfordert eine sorgfältige Überwachung der Prä- und
1357
Postdosis-Serumkonzentrationen, um die Toxizität zu minimieren. Sobald der Erreger identifiziert ist, kann die Antibiotikabehandlung gezielt erfolgen. Streptokokken der Gruppe B wurden aus der Blutkultur des Neugeborenen isoliert und es wurde mit intravenös verabreichtem Benzylpenicillin und Gentamicin behandelt. 1. (c) Risikofaktoren in der mütterlichen Anamnese ■ Frühzeitiger Blasensprung – Ja. ■ Pyrexie der Mutter – Nein. ■ Lange und schwere Geburt – Ja. 2. Eine Rötelninfektion der Mutter in den ersten 16 Wochen einer Schwangerschaft führt fast immer zu einer Schädigung der Frucht, weil sich in dieser Zeit Herz, Hirn, Ohren und Augen ausbilden. 3.
B – HTLV-1
4.
C – Röteln
24
ZNS-Infektionen 1.
Dringende Untersuchungen
Computergesteuerte Tomographie (CT) vom Kopf des Patienten mit folgender Lumbalpunktur, wenn das CT keinen erhöhten intrakranialen Druck zeigt. 2.
Diagnose
Es ist wichtig, Folgendes auszuschließen: ■ eine subarachnoidale Hämorrhagie ■ eine subdurale Hämorrhagie (beide sind unwahrscheinlich in Abwesenheit von Erythrozyten und bei xanthochromer Erscheinung im CSF) ■ eine raumgreifende kraniale Läsion inklusive eines zerebralen Abszesses ■ metabolische Ursachen von Krämpfen und Meningitis. Die Darstellung und Resultate entsprechen eher einem enzephalitischen Prozess. Zu den häufigsten Erregern einer viralen Enzephalitis zählen das Herpes-simplexVirus (HSV), Mumps und Enteroviren. Bei einer genaueren klinischen Untersuchung wurden Ulzerationen an den Genitalien festgestellt. 3.
Behandlung und Management
Es liegen ausreichende Hinweise auf eine HSV-Infektion als Ursache der Enzephalitis vor. Deshalb sollte umgehend eine intravenöse Behandlung mit Aciclovir gemeinsam mit weiteren symptomatischen Maßnahmen eingeleitet 1358
werden. Um einem Rückfall vorzubeugen, muss der Patient mindestens zwei Wochen lang mit Aciclovir behandelt werden. Die Beobachtung diffuser langsamer Amplituden auf dem Elektroenzephalogramm (EEG) wäre eine weitere Hilfe für die Diagnose. Ein Genitalabstrich sollte für die Virusisolation entnommen und Liquor kultiviert werden (auch wenn die Isolation von HSV aus Liquor äußerst ungewöhnlich ist). Der Virus-Nukleinsäurenachweis mittels PCR ist heute die diagnostische Methode der Wahl bei V.a. HSV-Enzephalitis.
25
Augeninfektionen 1.
Choroidoretinitis-assoziierte Infektionen
Zytomegalievirus (CMV), Toxoplasma gondii, Toxocara (canis oder catis), Mycobacterium tuberculosis, oder akute Nekrose der Retina, für die ein Zusammenhang mit dem Varicella-Zoster-Virus angenommen wird. 2.
Wie würden Sie die Diagnose stellen?
Die Diagnosestellung erfolgt fast immer klinisch und wird mit der Unterstützung eines Ophthalmologen durchgeführt. Bei einem solchen Patienten kann sich die Differenzierung zwischen Toxoplasma und CMV manchmal als schwierig erweisen. Die durch CMV verursachte Retinitis präsentiert mitunter ein klassisches Erscheinungsbild, welches an Ketchup und Hüttenkäse erinnert! Serologische Untersuchungen können für die Diagnose einer Toxoplasmainfektion hilfreich sein. Zusätzlich wird in einigen Zentren Glaskörperflüssigkeit des betroffenen Auges entnommen. Der Nachweis von CMV-DNA in einer solchen Probe kann mit einer PCR (evtl. nested, d.h. in zwei Schritten mit einem Set innerer Primer, zur Erhöhung der Sensitivität) durchgeführt werden. 3.
Behandlung der CMV-Retinitis
Die Therapie beginnt mit der intravenösen Verabreichung von Ganciclovir. Aufgrund der myelosuppressiven Wirkung des Medikaments müssen während der Behandlungsdauer Hämoglobin, die Anzahl der weißen Blutkörperchen und die Blutplättchenzahl überwacht werden. Wird eine Suppression des Knochenmarks beobachtet, bietet Foscarnet (nephrotoxisch!) eine Alternative. Am besten ist ein permanenter intravenöser Zugang, da der Patient neben den ophthalmologischen Kontrollen zum Nachweis und zur Verhütung einer Reaktivierung eine Erhaltungstherapie mit einem dieser Medikamente benötigt.
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Infektionen von Weichteilen und Knochen
(a) 1.
Differentialdiagnosen
Infektiöse Mononukleose, gewöhnliche Streptokokkenangina, CMV-Infektion, Angina Plaut-Vincenti 2.
Diagnostik
1359
■ Laborwerte: Blutbild mit Leukozytose und 40–90% mononukleären Zellen sowie Reizformen der Lymphozyten bei infektiöser Mononukleose ■ spezifische Antikörperbestimmung im Serum 3.
Interpretation
Frische EBV-Infektion 4.
Komplikationen
Arzneimittelexanthem bei Gabe von Aminopenicillinen, Milzschwellung, selten Milzruptur 5.
Körperliche Schonung
1.
Wahrscheinliche Diagnose
(b)
Die wahrscheinliche Diagnose ist eine akute Osteomyelitis. Diese kann bei Kindern dieses Alters durch ein vorangegangenes leichtes Trauma verursacht worden sein. Die Diagnose kann schwierig sein, besonders dann, wenn Symptome wie z.B. Erbrechen einen großen Teil der Erkrankung ausmachen. 2.
Untersuchungen
Folgende Untersuchungen sollten durchgeführt werden: ■ komplettes Blutbild ■ Blutkulturen ■ Röntgen der betroffenen Bereiche Bei akuter Osteomyelitis hinken radiographische Veränderungen dem klinischen Bild gewöhnlich hinterher. In solchen Fällen ist Staphylococcus aureus das häufigste Pathogen. 3.
Behandlung
Solange die Resultate aus Kulturen noch ausstehen, sollte die Therapie mit intravenösen Gaben von einem S.-aureus-wirksamen Cephalosporin und Clindamycin (oder mit anderer äquivalenter Anti-Staphylokokken-Behandlung) begonnen werden. Ferner können intravenös Flüssigkeit und nasogastrische Aspiration eingeleitet werden. Durch Schienung wird die Gliedmaße immobilisiert, Traktion reduziert den Schmerz. Falls angebracht, kommen auch Schmerzmittel und fiebersenkende Mittel zur Anwendung. Wenn die Temperatur des Patienten nicht sinkt, wird die operative Drainage von Eiter notwendig. Jede gewonnene Eiterprobe sollte in ein mikrobiologisches Labor zwecks Kultivierung eingeschickt werden. (c) 1360
1.
Differentialdiagnose ■ Roseola infantum (auch Exanthem subitum genannt) durch das humane Herpesvirus 6 (HHV 6) hervorgerufen. ■ Enterovirale Infektionen (d.h. durch Echoviren, Coxsackieviren). ■ Parvo- bzw. Erythrovirus B19 ist unwahrscheinlich, da sich hierbei das klassische Bild mit roten, geschlagen aussehenden Wangen und feinem Ausschlag präsentiert. ■ Masern und Röteln sind aufgrund des klinischen Bildes und einer aktuellen Immunisierung der Patientin unwahrscheinlich.
2.
Untersuchungen
■ Entnahme eines Halsabstrichs und einer Stuhlprobe für die Isolierung von Viren, insbesondere der Enteroviren. ■ Serumprobe für folgende Tests: HHV-6-IgM, Erythrovirus-B19-IgM, Masernspezifisches IgM, Röteln-spezifisches IgM und Enterovirus-spezifisches IgM. Ihr Fieber ließ im Verlauf von 3 Tagen nach und HHV-6-spezifisches IgM wurde in Serumproben nachgewiesen.
27
Von Vektoren übertragene Infektionen 1. (a) Differentialdiagnose Malaria, virales hämorrhagisches Fieber und Typhus. Bei Patienten, die häufig in Gebiete wie Sierra Leone (Westafrika) reisen und dieses klinische Bild 3 Wochen nach der Rückkehr entwickeln, muss das Risiko eines vorliegenden hämorrhagischen Fiebers in Betracht gezogen werden. Dies ist wichtig, da diese Patienten in eine Kategorie des Verdachts auf minimales, moderates, oder starkes Erkrankungsrisiko eingeordnet werden. In Abhängigkeit von der Risikobewertung wird der Patient auf eine entsprechende Isolierstation eingewiesen. Dieser Patient wurde mit einem mittleren Risiko eingestuft und die Einweisung in eine Hochsicherheits-Isolierstation veranlasst, wo er untersucht und behandelt werden konnte. Alle Individuen, die mit ihm in engen Kontakt kommen, gelten ebenfalls als Risikopersonen und sollten nur unter Vorsichtsmaßnahmen kontaktiert werden. 1. (b)
Sofortige Untersuchungen
Nach der Einweisung des Patienten auf die Isolierstation mit besonderen Sicherheitsvorkehrungen, auf der sich auch ein eigenes Blutlabor befindet, sollten folgende Untersuchungen durchgeführt werden: ein komplettes Blutbild inklusive Zählung der Differenzialzellen, Blutausstrich, Dicker Tropfen, Blutharnstoff, Elektrolyte und Glukose, ein Elektrokardiogramm (EKG), eine Mittelstrahlurinprobe (MSU), Entnahme von Stuhlund Blutkulturen. In diesem Fall zeigte das Blutprofil eine hämolytische Anämie, Leukopenie und einen leicht erniedrigten Blutplättchengehalt. Der Blutausstrich stellte normal große,
1361
mehrfach infizierte Erythrozyten dar, von denen etwa 10% schwach gefärbte Ringformen aufwiesen (Malaria-Trophozoiten). Damit wurde eine Malaria tropica durch Plasmodium falciparum diagnostiziert. Eine Serumprobe sollte auch auf Arboviren serologisch untersucht werden, da Individuen aus endemischen Gebieten gleichzeitig an zwei Infektionen erkrankt sein können. 1. (c) Behandlung Die Behandlung umfasst die symptomatische Pflege und eine Therapie mit intravenös verabreichtem Chinin. Hämatologie und biochemische Parameter sollten überwacht werden, besonders der Grad der Parasitämie hinsichtlich der Reaktion auf die Behandlung, sowie Blutglukose und renale Funktion. Bei diesem Patienten, der sich ohne Zwischenvorkommnisse erholte, wurde eine Chloroquin-resistente Malaria tropica festgestellt. 2.
D– Lyme-Krankheit
3.
A – Lymphatische Filariose
4.
E – Die Parasiten entwickeln sich zuerst in der Leber.
28
Multisystemische Zoonosen 1.
29
D – Brucellose
Fieber unbekannter Ursache (FUO) 1.
Wahrscheinliche Diagnose und weitere wichtige Untersuchungen
Vermutlich leidet diese Patientin an einer infektiösen Endokarditis. Sie hat eine künstliche Aortenklappe, was die Diagnose sehr wahrscheinlich macht, besonders bei bestehendem Fieber und Herzgeräuschen. Unter diesen Umständen sind Blutkulturen zwecks Identifizierung des verantwortlichen Pathogens wichtig. Mindestens drei Blutkulturen sollten zu verschiedenen Zeitpunkten angelegt werden, um größtmögliche Chancen für eine Isolation der Organismen zu gewährleisten. Ein Echokardiogramm wird empfohlen, welches am empfindlichsten ist, wenn es transösophageal durchgeführt wird. Die Präsenz von Wucherungen in der echokardigraphischen Darstellung ist diagnostisch, jedoch schließt seine Abwesenheit die Diagnose nicht aus. 2.
Häufigstes Pathogen
Streptokokken, meist vom Viridans-Typ und Bestandteil der normalen Mundflora, sind die häufigsten Erreger der Endokarditis. Mit der wachsenden Zahl herzchirurgischer Eingriffe für Klappenersatz haben beide Staphylokokkenarten, Staphylococcus aureus und Koagulase-negative Staphylokokken (KNS), an Bedeutung gewonnen. KNS sind speziell mit der Endokarditis der Herzklappenprothese assoziiert. Noch viele andere Organismen werden in 1362
ursächlichen Zusammenhang mit Endokarditis gebracht. Zu ihnen zählen einige anspruchsvolle Gram-negative Stäbchen und, eher ungewöhnlich, Pilze. Die Mehrzahl der Endokarditisfälle wurde früher auf eine rheumatische Erkrankung der Herzklappen als Folge rheumatischen Fiebers zurückgeführt. Die mit Herzklappenprothesen assoziierten Fälle nehmen zu und Staphylokokken sind die wichtigsten Organismen dieser Patientengruppe. Eine Infektion kann während des chirurgischen Eingriffs erworben werden, ist in den ersten postoperativen Monaten präsent und manifestiert sich gewöhnlich innerhalb weniger Wochen. Wie in vorliegendem Fall kann sie auch später auftreten. Hier handelt es sich um die Besiedelung einer Herzklappe im Rahmen einer Bakteriämie. In dieser Patientengruppe können die klassischen Zeichen einer Endokarditis fehlen, ihre Präsentation aber viel akuter sein. Die Blutkulturen dieser Patientin zeigten in allen drei Testreihen Staphylococcus aureus. 3.
Wichtige Komponenten der Behandlung
Wesentlich ist, dass schon zu einem frühen Zeitpunkt ein Internist, ein Chirurg und ein Mikrobiologe involviert sind. Die chirurgische Entfernung einer infizierten Herzklappe ist meist notwendig. Derartige Entscheidungen werden am besten innerhalb eines multidisziplinäres Teams getroffen. 4.
Mögliche Komplikationen
Die häufigsten Komplikationen sind Abszesse innerhalb der Herzklappe und des Endokards. Durch Embolisierung infizierten Gewebes linker Herzklappen kann es zu zerebralen, renalen oder, eher selten, zu Knochenabszessen kommen. 5.
Richtlinien zur Risikominderung der Erkrankung
Es existieren Richtlinien von verschiedenen Fachgesellschaften über die Anwendung von antimikrobieller Prophylaxe vor zahnärztlicher Behandlung und anderen Eingriffen. Obwohl nur geringe Beweise vorliegen, dass die Mehrheit der Endokarditisfälle auf zahnärztliche Behandlung zurückgehen, kamen in Großbritannien Fälle vor Gericht, als ein Zahnarzt versäumte, bei Patienten mit einem Risiko für Endokarditis prophylaktische Maßnahmen anzuwenden.
30
Infektionen bei Immunschwäche 1.
Häufigste Diagnose und diagnostische Tests
Eine Infektion mit Cryptococcus neoformans (Mykose) ist die häufigste Diagnose. Das Serum kann unmittelbar auf Kryptokokken-Antigen getestet und Tuschefärbung mit Liquorsediment durchgeführt werden. Mit dem Latexteilchen-Agglutinationstest ist ein schneller Nachweis von Kryptokokken-Antigen in Liquor und Serum möglich. 2.
Andere bestätigende Untersuchungen 1363
Kulturen von C. neoformans zusammen mit antimykotischen Empfindlichkeitstests. Kryptokokken-Antigen wurde in Serum und Liquor nachgewiesen, und bekapselte Hefezellen waren im Liquor sichtbar. 3.
Behandlung ■ Abhängig vom klinischen Bild schließt die Behandlung Antiemetika, Analgetika und intravenöse Verabreichungen von Amphotericin B (mit oder ohne 5-Flucytosin) und Fluconazol ein. ■ Fortsetzung der Erhaltungstherapie mit Fluconazol, um Rezidive nach der Genesung zu vermeiden. ■ Es ist zu bedenken, dass für diesen Patienten gegenwärtig zwei AIDSdefinierte Diagnosen vorliegen, was prognostische Implikationen mit sich bringt. ■ Monatliche Wiederholung der Kryptokokken-Antigentests über 6 Monate, gleichfalls, wenn der Patient symptomatisch ist. Lumbalpunktionen können nach 1 und 6 Monaten wiederholt werden, um die Genesung zu überwachen.
31 Strategien zur Infektionskontrolle – eine Einführung 1. Hohe Spezifität, geringe Toxizität, lang andauernde Wirkung, kurze Behandlungszeit bei Impfstoffen. Geringe Spezifität, u.U. hohe Toxizität, längere Behandlungsdauer bei antimikrobiellen Chemotherapeutika. 2.
D– Pandemie
3.
A – die maximale Reproduktionsrate eines infektiösen Organismus
4.
C – Masern werden durch eingeatmete Tröpfchen übertragen.
5.
B – Masern
6.
E – Alle
32 Diagnose von Infektionen und Beurteilung der Abwehrlage 1. Steril: Liquor, tiefe Atemwege, Gewebe kommensale Besiedlung: Haut, Rachen, Darm 2.
a)
Urin
b) Liquor c) Blutkultur d) Blut
1364
3. Antikörper werden im Serum bestimmt. Zur Interpretation der Testergebnisse bzw. zur Bestimmung des Infektionszeitpunktes ist die Untersuchung von zwei im Abstand von 10–14 Tagen entnommenen Serumproben erforderlich. 4.
a)
kulturelles Ergebnis nach > 18 h
b) Mikroskopie und Antigennachweis mittels Latexagglutination innerhalb von 30 min c) Identifizierung und Empfindlichkeitsbestimmung nach > 36h
33
Antimikrobielle Wirkstoffe und Chemotherapie 1.
Hauptklassen der Antibiotika
Die Hauptklassen antibiotischer Substanzen (mit Beispielen) sind: ■ Inhibitoren der Zellwandsynthese (Penicilline, Cephalosporine, Glykopeptide) ■ Inhibitoren der Proteinsynthese (Aminoglykoside, Tetrazykline, Chloramphenicol, Makrolide, Lincosamide, Streptogramine, Oxazolidinone, Fusidinsäure) ■ Inhibitoren der Nukleinsäuresynthese (Fluorochinolone, Rifampicin, Sulfonamide, Trimethoprim, Cotrimoxazol) ■ Inhibitoren der zytoplasmatischen Membranfunktion (Polymyxine) 2.
Resistenzmechanismen gegen Antibiotika ■ Die Angriffsstelle ist möglicherweise verändert (veränderte Zellwand, Methicillinresistenz). ■ Der Zugang zur Zielstruktur kann sich aufgrund veränderter Aufnahme oder erhöhter Abgabe (Tetrazyklin-Efflux) geändert haben. ■ Es könnten Enzyme produziert werden, die antibakterielle Agenzien modifizieren oder zerstören (Beta-Laktamasen, Aminoglykoside modifizierende Enzyme).
3.
Selektive Toxizität
Wie ihr menschlicher Wirt sind auch Pilze und Parasiten Eukaryonten. Deshalb sind selektive Angriffsstellen schwieriger zu lokalisieren und zu beeinflussen. Viren stellen ein ähnliches Problem dar, da sie keine eigene zelluläre Struktur besitzen. Um eine Zelle befallen und sich zu vermehren zu können, müssen sie die Ressourcen (Enzyme etc.) der Wirtszelle benutzen.
34
Impfungen 1.
C – Unfähig, erneut virulent zu werden (Reversion nicht möglich)
1365
D– Sicherer als Lebendvakzine 2.
A – Inaktivierte Vakzine
E – Tetanusimpfung F – DNA-Vakzine 3.
B – Zur Eliminierung der Infektion nötiger Impfschutz
D– Kritischer Wert, ab dem eine Infektion nicht mehr übertragen wird, weil in der Bevölkerung zu wenig Menschen anfällig sind 4.
A – Bevölkerungsdichte
B – Fähigkeit der Vakzine, eine angemessene Immunreaktion zu induzieren
35
Passive und unspezifische Immuntherapie 1.
A – den diaplazentaren Übertritt von mütterlichem IgG
C – die Injektion von humanem Rekonvaleszenten-Immunglobulin 2.
C – eine kurzzeitige Neutralisierung von Tetanustoxin
D– in einigen Fällen Überempfindlichkeitsreaktionen (Serumkrankheit) 3.
A – als scFv auf der Oberfläche von Bakteriophagen
C – als VH auf der Oberfläche von Bakteriophagen 4.
C – ein potenziell wertvoller Bestandteil der Hepatitis-BTherapie
36 Nosokomiale Infektionen, Sterilisation und Desinfektion 1. Häufige Ursachen postoperativer Infektionen und Schritte zur Reduzierung dieser Probleme Die häufigste Ursache einer postoperativen Pyrexie ist eine Wundinfektion. Auch Infektionen des Respirationstraktes und der Harnwege führen zu fieberhaften Erkrankungen. Infektionen im Brustkorb treten besonders häufig nach abdominalen Operationen auf, da Schmerzen das (Ab-)Husten beschwerlich machen. Harnwegsinfektionen sind oft Folge der Katheterisierung. Zu den nichtinfektiösen Ursachen postoperativer Pyrexie zählt die tiefe Venenthrombose. Wundinfektionen nach chirurgischen Eingriffen werden durch eine Antibiotikaprophylaxe wesentlich reduziert. Sie sollte gegen die häufigsten Pathogene, die im Rahmen einer bestimmten Operation auftreten können, effektiv sein. 2.
Untersuchungen 1366
Es ist wichtig, den Wundverband zu entfernen, so dass die Wunde untersucht und ein Abstrich entnommen werden kann. Ebenso sollten eine Sputum- und eine Urinkultur angelegt werden. Liegt ein klinischer Beweis einer Infektion des Respirationstraktes vor, ist eine Röntgenaufnahme des Thorax erforderlich. Die Wunde des hier beschriebenen Patienten ist gerötet und sondert am unteren Rand kleine Mengen Eiter ab. Staphylococcus aureus lässt sich aus einem Wundabstrich kultivieren. 3.
Behandlung
Anfangs wird der Patient mit einem S.-aureus-wirksamen Cephalosporin behandelt. Die Ergebnisse eines antimikrobiellen Empfindlichkeitstests liegen am folgenden Tag aus dem Labor vor. Der Erreger erweist sich als resistent gegenüber BetaLaktam-Antibiotika und wird daher als Methicillin-resistenter Staphylococcusaureus-oder MRSA-Stamm bezeichnet. Der Patient muss isoliert untergebracht werden. Das Personal muss auf das Risiko, den Erreger an den Händen tragen und übertragen zu können, hingewiesen werden. S. aureus kommt an zahlreichen Körperregionen vor: der Nase, den Haaren, unter den Achseln, an Handgelenken und Händen und im Bereich des Perineums. Bei diesem Patienten müssen Abstriche aus der Nase entnommen werden. Die Trägerrate ist in Krankenhäusern höher als unter der Bevölkerung. Es kann zu einem MRSA-Ausbruch auf der Krankenstation kommen, denn der Erreger überlebt in trockener Umgebung. In diesem Fall sind Haut und Nase des Patienten die wahrscheinlichste Quelle für MRSA. Um die Wahrscheinlichkeit einer Verbreitung von MRSA zu reduzieren, sollten folgende Maßnahmen befolgt werden: ■ Isolierung des Patienten ■ Sorgfältige Wundverbandtechnik ■ Gründliches Händewaschen des Personals, das mit dem Patienten zu tun hat. Zusätzlich sollte der Patient mit einem MRSA-wirksamen Antibiotikum behandelt werden. Bei Verwendung von Vancomycin muß die Serumkonzentration überwacht werden (Mims et al.. Medizinische Mikrobiologie – Infektiologie, 2.A.. Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag 40).
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