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, die Schreibungen des geminierten germanischen d als ,
Neuere Entwicklungen der althochdeutschen Lexikographie und Erschließung der Glossographie
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stelle eine aktuelle Bedeutung realisiert, die auch in einer Bedeutungsangabe erfasst werden kann. Die Angaben bei bitten lauten bitten, erbitten, flehen; beten, anbeten, (Gebete) sprechen; m. Gen., Akk., bitten um; guotes b., Heil wünschen; ubiles b. Unheil wünschen. In den Bedeutungsangaben ist implizit eine syntaktische Differenzgrammatik enthalten. Da die Bedeutungsangaben in die Übersetzung einsetzbar sein sollen, gilt beim Fehlen expliziter syntaktischer Angaben, dass die syntaktischen Verhältnisse der neuhochdeutschen Bedeutungsangaben mit denen des althochdeutschen Wortes identisch sind. Hinter der Angabe nhd. bitten steht somit die Möglichkeit, das Verb im Neuhochdeutschen und im Althochdeutschen mit dem Akkusativ der Person zu verbinden: jemanden bitten. Dagegen steht das im Neuhochdeutschen präpositional angeschlossene Ziel des Bittens im Althochdeutschen im Genitiv und im Akkusativ: m. Gen., Akk., bitten um. Am Ende des Artikels bitten stehen dann die Textsiglen: B. C. Ch. FP. I. LB. MF. MH. Mps. N. O. P. PG. T. TC. WK. Sie werden in der Einleitung aufgelöst, und nach der Identifikation der Texte können die einzelnen Textstellen ermittelt werden, für O. = Otfrids Evangelienbuch beispielsweise mit den Editionen von Johann Kelle oder Paul Piper, für die in Elias von Steinmeyers ‚Kleineren althochdeutschen Sprachdenkmälern’ edierten Texte wie FP. = Freisinger Paternoster über den Word-Index von R-M.S. Heffner. Der sehr knappe Umfang des Wörterbuchs verursacht einige Einschränkungen in der Benutzbarkeit. So konnten weder Wortvarianten noch einzelne Bedeutungen oder syntaktische Konstruktionen einzelnen Textsiglen zugeordnet werden. Wenn man für eine ganz bestimmte Form oder Bedeutung oder Konstruktion oder idiomatische Verwendung die Belegstelle ermitteln will, muss man daher unter Umständen ziemlich lange suchen, man findet sie aber, und das auch in dem vom Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch noch nicht abgedeckten Alphabetbereich jenseits des Buchstaben L.
IV
Erschließung der Glossen
Die lexikographische Erschließung der Glossen hängt wie die der Texte von ihrer editorischen Erschließung ab, setzt aber zugleich eine stärkere Erschließung ihrer Überlieferung voraus. Nachdem E.G. Graff für nicht wenige Glossenhandschriften den Schritt der Edition übersprungen hatte und die Glossen in seinem Wörterbuch gleich aus den Handschriften zitiert hatte, geht im 19. Jahrhundert die Edition der Glossen weiter, und es werden erste Versuche von Handschriftenverzeichnissen als Instrumenten der Überlieferungserschließung unternommen. Alle diese Ansätze werden von Elias Steinmeyer aufgenommen und überholt, als er im Blick auf ein neues althochdeutsches Wörterbuch mit der editorischen und handschriftenbezogenen Erschließung der Glossen beginnt.
IV.1
Elias Steinmeyer – Eduard Sievers: Die althochdeutschen Glossen
Julius Zacher hatte 1870 dem damals erst 22jährigen Elias Steinmeyer die Erarbeitung eines althochdeutschen Wörterbuchs vorgeschlagen. E. Steinmeyer erkannte, dass noch weitreichende Vorarbeiten nötig seien, bevor ein neues Wörterbuch erarbeitet werden könnte. Die-
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sen Vorarbeiten widmete er sich sein weiteres Leben. Ergebnis seiner Bemühungen ist neben der Ausgabe der kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, einer eigenständigen Neuedition der kleineren Texte aus dem Jahre 1916, vor allem die bis heute maßgebliche Sammlung der althochdeutschen Glossen (Steinmeyer/Sievers 1879–1922). Die fünf Bände zeigen folgende inhaltliche Struktur: Band I enthält die Glossen zu biblischen Schriften (A. Alphabetische Bibelglossare; B. Glossen zu den einzelnen biblischen Büchern; C. Glossen zum Liber Comitis). Band II umfasst die Glossen zu den nichtbiblischen Büchern (in alphabetischer Abfolge nach Autoren und Werken). Band III liefert die sachlich geordneten Glossare, darunter große Glossare wie den Vocabularius Sti. Galli, die Versus de volucribus, das Summarium Heinrici, die Glossae Hildegardis und die Glossae Herradinae und zahlreiche Einzelglossare. Band IV umfasst die alphabetisch geordneten Glossare, die unbestimmten Glossare und Nachträge zu Band I-III sowie das Verzeichnis der benutzten Handschriften (mit kurzen Handschriftenbeschreibungen) und das der verschollenen Handschriften. Die Verbindung seiner Edition und seines Handschriftenverzeichnisses mit der früheren Forschung sicherte E. Steinmeyer durch die beigegebenen sechs Tabellen. Tabelle 1 (IV, 687–689) ermöglicht die Identifizierung der mit Siglen zitierten Handschriften in E.G. Graffs Althochdeutschem Sprachschatz. Drei Konkordanzen (IV, 689–694) nennen zu den Nummern beziehungsweise Seiten bei A.H. Hoffmann [von Fallersleben] (1826), J. A. Schmeller (1872–1877) und P. Piper (1880) die Handschriftennummer bei E. Steinmeyer. Tabelle 5 (IV, 694–696) ermöglicht die Identifizierung von Zitaten aus B.J. Docens glossographischen Exzerpten. Tabelle 6 (IV, 696–704) schließlich ordnet einer alphabetisch angelegten Liste vorgängiger Glossenausgaben und Glossenkollationen die Steinmeyerschen Handschriftennummern zu. Es folgen noch eine Übersicht mit berichtigten Textstellen und sechs Register (1. Frühere Besitzer der verzeichneten Handschriften; 2. Sonst erwähnte Handschriften; 3. Initien der lateinischen Verse; 4. Deutsche Worte der Anmerkungen und des Handschriftenverzeichnisses; 5. Besprochene Worte; 6. Personen- und Sachregister). Band V enthält schließlich Ergänzungen, Berichtigungen und Nachträge zu Band I-IV und Untersuchungen über die Bibelglossare Rz und die Handschriftenfamilie M. Als zeitliche Grenze der aufzunehmenden Glossen nennt E. Steinmeyer im Vorwort zum ersten Band das Ende des 11. und den Anfang des 12. Jahrhunderts; „jüngere hss. werden nur in soweit benutzt, als sie abschriften älterer vorlagen boten, und daher rührt es, dass einzelne in den kreis der bearbeitung hineingezogene codices bis in das 15. jh. hinabreichen.“ (I, IX-X) E. Steinmeyer hat die Lesungen auf unzähligen Reisen selbst vor Ort vorgenommen; sofern ihm das nicht möglich war, hat er sich die Angaben durch Gewährsleute vermitteln lassen. Zu seiner großen editorischen Leistung gehört die Ordnung, die er seinem Material gegeben hat. So hat er jeweils all die Glossen gemeinsam ediert, bei denen er eine verwandtschaftliche Beziehung erkannt hat. Auch bei einer gemeinsamen Edition von etwa zwei Dutzend Handschriften (beispielsweise bei den Versus de volucribus) sind die Informationen übersichtlich zusammengestellt. Der einzelne Glosseneintrag umfasst zunächst das lateinische Lemma, bei dem die Abbreviaturen unmittelbar aufgelöst worden sind. In der Regel wird nur das jeweilige Einzelbezugswort, nicht der gegebenenfalls vorhandene weitere lateinische Kontext abgedruckt. An dem Lemma wird die Positionierung der Glosse kenntlich gemacht. Grundsätzlich gilt, dass auf eine marginale Eintragung der Glosse durch Einklammerung des Lemmas hingewiesen wird. Ansonsten gilt, dass nur eine besondere Platzierung in den Fußnoten angegeben wird, die übliche interlineare Eintragung bleibt
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unmarkiert. Neben dem Lemma steht der Glossenbeleg, bei dem die Abkürzungen beibehalten wurden. Bei Parallelüberlieferungen stehen die Parallelbelege hintereinander, wobei jeder Beleg mit der Handschriftensigle und einer genauen Folio- beziehungsweise Seitenangabe der Handschrift versehen ist. Geheimschriftliche Glossen sind in den Fußnoten aufgelöst worden. Mit diesem Vorgehen wird das deutsche Interpretament möglichst überlieferungsgetreu wiedergegeben. Zudem ist es durch die Stellenangabe in der Handschrift auffindbar. Das zentrale Anliegen, die Zusammenhänge zwischen verwandten Handschriften zu einem lateinischen Text aufzudecken, hat allerdings häufig zu einer Aufsplitterung des Glossenmaterials einer Handschrift geführt. Die Glossen einer Handschrift erscheinen dann an ganz verschiedenen Stellen der Edition. Die Materialsammlung E. Steinmeyers folgt vor allem durch die überlieferungsnahe Wiedergabe der Glossen, durch ihren exakten Stellenausweis und die Nennung des lateinischen Bezugswortes editorischen Prinzipien, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als äußerst fortschrittlich galten. Dass neuere Editionen des späten 20. und 21. Jahrhunderts, die sich einzelnen Werken widmen, andere Ansprüche an eine Edition stellen, kann nicht verwundern. Vor allem mit den in der jüngeren Forschung aufgekommenen Fragen nach der Übersetzungstechnik und dem Verhältnis von Latein und Deutsch ist das Bedürfnis nach einer umfangreicheren Berücksichtigung des lateinischen Kontextes erwachsen. Nur dann wird auch deutlich, welchen Stellenwert die Glossen in einer Textglossierung oder einem Glossar haben, ob es sich beispielsweise um ein regelmäßig lateinisch-deutsches Glossar oder um ein primär lateinisch-lateinisches Glossar handelt, in das einzelne deutsche Glosse eingestreut sind. Diese Fragen sind aber Ergebnis späterer Forschung. Trotz vieler Glossennachträge und Neueditionen aus den letzten 80 Jahren ist das Werk von E. Steinmeyer und E. Sievers auch heute noch ganz unentbehrlich und kann nach wie vor als Meilenstein der deutschen Philologie bezeichnet werden. Es bildet auch heute noch den Ausgangspunkt aller modernen Glossenforschung. Dennoch erforderten die zahlreichen Neufunde eine neuerliche Verzeichnung aller Überlieferungsträger.
IV.2
Rolf Bergmann: Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften
Seit Abschluss der Edition von 751 Glossenhandschriften durch E. Steinmeyer und Eduard Sievers wurden in mehr als 250 Fällen neue Handschriften als glossentragend ermittelt. So entstand der Wunsch nach einem Arbeitsinstrument, in dem die 751 Nummern E. Steinmeyers und E. Sievers zusammen mit den Neufunden verzeichnet sein sollten. Um auch die Verluste und Verlagerungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg zu berücksichtigen, wurden alle Angaben mit den betreffenden Bibliotheken abgeklärt. Das im Jahre 1971 abgeschlossene Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften (Bergmann 1973) enthält 1023 Glossenhandschriften. Das bedeutet, dass über E. Steinmeyer und E. Sievers hinaus über ein Drittel neuer Handschriften hinzugekommen ist. Außer der Erfassung der Handschriften bot das Verzeichnis gleichzeitig den Zugang zu ausgewählter neuerer paläographischer und kodikologischer Literatur und erschloss die in der Forschung zum Althochdeutschen verstreuten Dialektbestimmungen der Glossen. Durch eine Konkordanz (Bergmann 1973, 132–136) ermöglicht es die Identifizierung der Nummern von E. Steinmeyer und E. Sievers mit den neuen Nummern des Verzeichnisses. Seit
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Vorliegen des Verzeichnisses ist es in der Glossenforschung üblich geworden, Glossenhandschriften mit einer sogenannten BV.-Nummer7 zu identifizieren. Die enorme Förderung der Glossenforschung durch R. Schützeichel und seine Schülerinnen und Schüler machte vier Nachtragslisten zum Verzeichnis notwendig (Bergmann 1982, 236–241; Bergmann 1985, 49–56; Bergmann 1991a, 151–172; Bergmann 1991b, 173). Mit der Publikation der vierten Nachtragsliste war im Jahr 1991 ein Kenntnisstand von 1023 Handschriften im Verzeichnis und 200 Handschriften in den Nachtragslisten erreicht. Als Gesamtzahl der bekannten Glossenhandschriften wird seither ‚ca. 1200’ genannt, unter Berücksichtigung einzelner Neufunde ‚ca. 1230’. Aber auch nach 1991 ging die Entdeckung bislang unbekannter Glossenhandschriften weiter.
IV.3
Handschriftenkataloge
IV.3.a) Rolf Bergmann – Stefanie Stricker: Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften Mit dem Jahre 1989 wurde die Arbeit an dem ‚Katalog der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften’ (Bergmann/Stricker 2005) aufgenommen, in dem die bis zu seinem Erscheinungsjahr 2005 bekannt gewordenen 1309 Handschriften mit lateinischen Texten berücksichtigt sind, denen volkssprachige Glossen beigeschrieben sind. Ziel des Katalogs ist die Erschließung und Dokumentation dieses bedeutenden sprachhistorischen Quellenbestands, womit die Voraussetzungen für die sprach- und kulturhistorische, grammatische und lexikalische Auswertung dieser Quellen geschaffen werden sollten. Der Katalog bietet in Band I bis IV eine Darstellung der gesamten bekannten Überlieferung lateinischer Handschriften mit althochdeutschen und altsächsischen Glossen. Er ist alphabetisch nach den Bibliotheksorten (in deutscher Namensform) und den Bibliotheken geordnet. Band V enthält Abkürzungs- und Literaturverzeichnis sowie acht Register: 1. Autoren und Werke; 2. Ortsregister; 3. Personenregister; 4. Kodikologisches Register; 5. Glossencharakteristik; 6. Sprachliche und sprachgeographische Übersicht; 7. Chronologische Übersicht; 8. Ungedruckte Glossen. Band VI enthält 311 Abbildungen aus den im Katalog beschriebenen Glossenhandschriften. Mit den Abbildungen sollte in zweierlei Hinsicht eine repräsentative Auswahl getroffen werden. Bezogen auf die einzelne Handschrift, ist jeweils die Seite ausgewählt worden, die als möglichst typisch für die Glossierung der Handschrift gelten kann. Bezogen auf die Glossierungstätigkeit überhaupt, ist darauf geachtet worden, dass alle wichtigen Glossentypen auch durch Abbildungen repräsentiert werden. Den Artikeln ist eine Nummer, die weiter oben beschriebene BV.-Nummer, vorausgestellt, die sich aus dem 1973 von Rolf Bergmann veröffentlichten ‚Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandschriften’, aus der 3. und 4. Nachtragsliste (Bergmann 1991a, 151–172; Bergmann 1991b, 173) zu diesem Verzeichnis sowie aus weiteren, in diesem Katalog vorgenommenen Ergänzungen ergibt. An diesen auch in der Forschungsliteratur verbreiteten Nummern wurden keine Änderungen vorgenommen (dazu Bergmann/
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BV. = Bergmann-Verzeichnis = Bergmann 1973.
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Stricker 2005, 64f.). Der Nummer folgen Bibliotheksort, Bibliotheksbezeichnung und Handschriftensignatur. Die Artikel gliedern sich jeweils in die beiden Hauptabschnitte Handschrift und Glossen. Der erste Teil enthält die notwendigen Informationen zur Handschrift, während der zweite Teil die volkssprachigen Glossen zum Gegenstand hat. In dieser Zweiteilung jedes Artikels spiegelt sich die in der Glossenforschung methodisch gebotene strikte Trennung von Handschrift und Text einerseits und Glossen andererseits. Es wird unterschieden zwischen der paläographischen Beschreibung sowie der Datierung und Lokalisierung der Texthandschrift einerseits und den entsprechenden Daten zur Glossierung andererseits, die gegebenenfalls von anderen Händen, zu späterer Zeit und an anderem Ort als der Text selbst vorgenommen worden sein kann. Unter den Kopfzeilen beginnt der erste Teil des Artikels, in dem der Überlieferungsträger insgesamt beschrieben wird. Dieser Teil zur Handschrift gliedert sich in die Abschnitte ‚Beschreibung’, ‚Inhalt’, ‚Geschichte’ und ‚Literatur’ (dazu Bergmann/Stricker 2005, 91–95). Gegenstand des zweiten Teils sind die althochdeutschen Glossen. Der Teil gliedert sich in die Abschnitte ‚Zahl und Art der Glossen’, ‚Zeit und Ort der Glossen’, ‚Sprachgeographische Einordnung’, ‚Edition’, ‚Literatur’ (dazu Bergmann/Stricker 2005, 96–100). Mit Erscheinen des Katalogs im Jahr 2005 liegt nun ein Werk vor, das zu allen bis dahin bekannten glossentragenden Handschriften die für glossographische Untersuchungen notwendigen Daten und Informationen aufbereitet und versammelt hat (Bulitta 2007, I–XXXIV). Der seit 2005 zu verzeichnende weitere Fortgang der Glossenforschung wird in einem von Rolf Bergmann und Stefanie Stricker unter Mitwirkung weiterer Glossenforscher in einem derzeit in Arbeit befindlichen ‚Lexikon Althochdeutsche und Altsächsische Glossographie’ dargelegt [dazu demnächst Bergmann/Stricker 2008 (in Druckvorbereitung)]. Die aktuelle Fortschreibung des Handschriftenbestandes erfolgt künftig unter der Internetanschrift www.glossen.info am Lehrstuhl für Ältere deutsche Philologie der Universität Trier (Prof. Dr. Claudine Moulin).
IV.3.b) Gerhard Köbler: Altdeutsch. Katalog aller allgemein bekannten Handschriften Althochdeutsch, Altsächsisch, Altniederfränkisch Gerhard Köbler veröffentlichte im Jahr 2005 unter dem Titel ‚Altdeutsch. Katalog aller allgemein bekannten Handschriften Althochdeutsch, Altsächsisch, Altniederfränkisch’ (Köbler 2005) ein Werk, das den Anspruch erhebt, alle Handschriften mit „altdeutschem“ Wortgut zu berücksichtigen. Sein Werk bietet nach eigener Angabe „die derzeit vollständigste Kurzbeschreibung aller nach herkömmlicher Abgrenzung altdeutsches Sprachgut aufbewahrenden Überlieferung“. Es werden erstmals Handschriften mit Texten und Handschriften mit Glossen in einem Werk zusammengefasst. Im Ganzen umfasst der Band 1600 ganz überwiegend aus dem 8. bis 12. Jahrhundert stammende Überlieferungsträger des ältesten Deutschen. Die Handschriften sind alphabetisch nach dem gegenwärtigen Aufbewahrungsort und den Signaturen geordnet. Die Daten werden so kurz wie möglich – oft in nur einem Satz – zusammengefasst. Ergänzt wird die Beschreibung um einschlägige Literatur. Als Beiwerk enthält der Katalog eine Übersicht über wichtigere Literatur sowie eine alphabetische Übersicht über die bearbeiteten Werke. Unter jedem Werk wird auf die jeweiligen Überlieferungsträger verwiesen, wodurch ein Register ersetzt wird.
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Den eigenen Anspruch, alle Handschriften mit „altdeutschem“ Wortgut zu berücksichtigen, erfüllt der Katalog nicht. So fehlt die volkssprachige Namenüberlieferung (z.B. die Verbrüderungsbücher) und die Einzelwortüberlieferung in Rechtstexten und anderen lateinischen Quellen. Das größere Manko besteht darin, dass der Katalog eine Reihe von Versehen und unzutreffenden Angaben enthält [dazu demnächst ausführlicher Bergmann/Stricker 2008 (in Druckvorbereitung)], so dass er nicht als verlässliches Hilfsmittel bezeichnet werden kann.
IV.4
T. Starck – J.C.Wells: Althochdeutsches Glossenwörterbuch
Das langsame Voranschreiten des Leipziger Althochdeutschen Wörterbuchs, von dem 1971 die erste Lieferung des E erschien, sowie das Vorliegen des die Textüberlieferung erschließenden Wörterbuchs von R. Schützeichel seit 1969 machte die nach E.G. Graff stehen gebliebene unzureichende Erschließung der Glossenüberlieferung umso spürbarer. Ihr wollten die amerikanischen Germanisten T. Starck und J.C. Wells mit dem Althochdeutschen Glossenwörterbuch (Starck/Wells 1972–1990) abhelfen, das seit 1972 in elf Lieferungen erschien und 1990 abgeschlossen wurde. Damit lag ein Hilfsmittel vor, das einen ersten Zugriff auf die Glossenedition von E. Steinmeyer und E. Sievers ermöglichte. Ziel des Wörterbuchs ist die Erschließung des Wortmaterials in der Glossenedition von E. Steinmeyer und E. Sievers und in den seit 1922 erschienenen neueren Glossenfunden. Dazu enthält das Wörterbuch auch die von W.L. van Helten herausgegebenen altniederfränkischen (Lipsiusschen) Glossen, die von E. Wadstein über die von E. Steinmeyer erfassten Glossen hinaus abgedruckten altsächsischen Glossen und die Glossen zu Notkers Psalter. Ein weiteres Ziel des Wörterbuchs ist die Erstellung eines vollständigen Indexes aller Glossenwörter, in dem auch die lateinischen Interpretamente Berücksichtigung finden. Jeder Artikel beginnt mit der normalisierten Ansatzform, der die grammatische Bestimmung sowie die Stelle des Wortes in E.G. Graffs Althochdeutschem Sprachschatz folgt. Sodann schließen sich die lateinischen Bezugswörter an. Die neuhochdeutsche Entsprechung eines althochdeutschen Wortes wird dann angegeben, wenn sie nach Schriftform und Bedeutung vom althochdeutschen Stichwort abweicht. Auf die Glossen in der Edition von E. Steinmeyer und E. Sievers wird mit Band, Seiten- und Zeilennummer verwiesen. Mit dieser Anlage erfüllt das Wörterbuch das zentrale Anliegen der Erschließung der Glossenedition. Allerdings lässt es auch verschiedene Wünsche offen. Die Fülle der Nachträge, Berichtigungen und Ergänzungen ist zu Lasten der Übersichtlichkeit der Makrostruktur gegangen. Entscheidender sind einige lexikographische Festlegungen.8 Der Ansatz der Stichwörter erfolgt in einem normalisierten Althochdeutsch auf der Basis des ostfränkischen Lautstandes. Dies entspricht durchaus dem Verfahren anderer Wörterbücher, so auch dem des Leipziger Wörterbuchs. Da dort im Artikel alle belegten Formen genannt werden, dient die Ansatzform nur dem leichteren Auffinden der Wörter. Das Glossenwörterbuch nennt aber aus Platzgründen die tatsächlich belegten Formen nicht, so dass nur der normalisierte Ansatz erscheint. Dadurch wird ein einheitliches Althochdeutsch 8
Dazu ausführlich Tiefenbach 1972, 349–359; Tiefenbach 1974, 222–226; Tiefenbach 1976, 214– 221; Tiefenbach 1980, 69–72; Tiefenbach 1982, 71–75; Tiefenbach 1984, 424–429; Tiefenbach 1991, 454–461; Lecouteux 1986, 77–78.
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geschaffen, das so nie existiert hat, und bei dem vor allem die Gefahr besteht, dass es so auch in andere Werke übernommen wird. Am bedauerlichsten ist jedoch die Entscheidung, nur bis zu höchstens drei lateinische Lemmata und neuhochdeutsche Entsprechungen anzugeben.9 Dadurch ist der Benutzer, der sich für die glossierten Lemmata und den wirklichen Bedeutungsumfang interessiert, gezwungen, alle Belege nachzuschlagen und die oft schwierige Bedeutungsermittlung selbst vorzunehmen. Die Bedeutungsangaben sind auch nicht aus der Übersetzung der Belegstellen gewonnen worden, so dass sie nicht mehr als eine erste Orientierung geben können. Sie werden auch nur dann angegeben, wenn sie nach Schriftform und Bedeutung vom althochdeutschen Wort abweichen. Auch hier ist der Benutzer auf eigene Überprüfung angewiesen. Mit diesem Vorgehen hat sich das Wörterbuch selbst auf eine reine Indexfunktion begrenzt. Mit dem Glossenwörterbuch ist ein zweifellos sehr nützlicher Index entstanden, der das große Werk von E. Steinmeyer und E. Sievers sowie neuere Editionen erschließt. Es handelt sich aber entgegen dem Titel nicht um ein Wörterbuch im eigentlichen Sinne, da das umfangreiche Material nicht grammatisch und semantisch erschlossen wird und weder alle althochdeutschen Belege und noch alle lateinischen Lemmata angeführt werden.
IV.5
R. Schützeichel: Althochdeutscher und altsächsischer Glossenwortschatz
Mit explizit höherem lexikographischen Anspruch und wesentlich größerem Umfang wird die lexikographische Erschließung der Glossenüberlieferung mit dem im Jahre 2004 erschienenen ‚Althochdeutschen und altsächsischen Glossenwortschatz’ von Rudolf Schützeichel fortgesetzt. Die zwölf Bände umfassen „über 27 000 Wortartikel aus mehr als 250 000 in fast 1300 Handschriften festgestellten Belegen.“ (Schützeichel 2004, VIII) Der zeitliche Rahmen der erfassten Überlieferung ist weit gesteckt und reicht vom frühen 8. Jahrhundert bis in die Anfänge des Buchdrucks. Die Masse der Überlieferung ist freilich der Zeit vor 1300 zuzuordnen. Die altsächsische Glossenüberlieferung wird ebenfalls berücksichtigt, da eine klare Grenzziehung aufgrund des vielfach gemeinsamen Auftretens althochdeutscher und altsächsischer Glossen gar nicht möglich ist. Das Wörterbuch berücksichtigt auch zahlreiche Neufunde in bekannten Handschriften, vor allem aber auch Glossen in bisher nicht bekannten neugefundenen Handschriften. Das betrifft Glossen aus rund 60 Handschriften. Dieses Wortmaterial ist bislang nicht ediert worden; es wird erstmals in dem Wörterbuch mitgeteilt. Diese Mitteilung geschieht allerdings in indirekter Form. Die Neufunde sind als solche überhaupt nur in den jeweils betroffenen Wortartikeln berücksichtigt und dort mit der Abkürzung „Neu.“ als Neufund gekennzeichnet. Solange man nicht das gesamte Wörterbuch auf die Abkürzung Neu. durchsieht, stößt man nur zufällig auf diese Neufunde. Da das Wörterbuch nicht die in den Handschriften stehenden Wortformen, sondern aus ihnen gebildete Ansatzformen (Schützeichel 2004. I, 5) wie
9
So finden sich beispielsweise beim Adjektiv abuh (Starck/Wells 1972–1990, 14) die Angaben protervus, versutus, aversus ‚böse, unheilvoll, verkehrt’. Es fehlen die Lemmata asper, diversus, improbus, nefandus, perversus, pravus, sinister, versipellis mit den Bedeutungen ‚wild, ungünstig, falsch, verschlagen’; man vergleiche Karg-Gasterstädt/Frings 1952ff. I, 21f.
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Infinitiv, Nominativ Singular usw. anführt, kann der Benutzer grundsätzlich nicht wissen, welche Form in der Handschrift steht (dazu auch Bulitta 2007, I–XXXIV). Die lexikographischen Prinzipien, die für das Wörterbuch der althochdeutschen Texte entwickelt worden sind, finden auch in diesem Glossenwörterbuch Anwendung. So sind alle Belege unmittelbar der handschriftlichen Überlieferung entnommen. Ein weiteres zentrales Prinzip des Wörterbuchs betrifft die Gewinnung der neuhochdeutschen Bedeutungen. Das Wörterbuch bietet alle aktuellen Bedeutungen, die auch in allen Fällen aus der Überlieferung selbst gewonnen worden sind. Die Wortartikel (Schützeichel 2004. I, 4ff.) beginnen jeweils mit einem ostfränkisch angesetzten Leitstichwort. Dieses wird in Spitzklammern gesetzt, um darauf aufmerksam zu machen, dass es sich nicht um einen tatsächlichen Beleg, sondern um eine gebildete Ansatzform handelt. Diese hat eine reine Ordnungsfunktion in der alphabetischen Abfolge. Dem Leitstichwort folgt die grammatische Bestimmung. Innerhalb des Artikels sind die nach rechts ausgerückten Bedeutungsangaben alphabetisch angeordnet. Sie gelten als oberster Ordnungsfaktor innerhalb des Artikels. Unter einer Bedeutung werden jeweils alle dazugehörigen Belege zusammengefasst. Innerhalb eines Abschnittes einer Bedeutungsposition werden die aus den überlieferten Belegen gewonnenen Ansatzvarianten eines Wortes (halbfett gesetzt) wiederum in alphabetischer Abfolge sortiert. Alle Belegstellen sind mit Handschriftensignaturen, Folioangaben und Zeilen sowie mit den abgekürzt zitierten Editionen mit genauer Stellenangabe notiert. Zu jeder Belegstelle wird das lateinische Lemma genannt und der lateinische Text (oder Autor) oder das Glossar abgekürzt identifiziert. Vgl. z.B. I, 401f.:
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am Ende der Textsiglen die Sigle SchG. eingefügt und die nur in den Glossen vorkommenden Wörter in der Form ihres Leitstichwortes in < > mit der Sigle SchG. eingefügt. So dient die 6. Auflage des Textwörterbuchs auch als Index zu dem Glossenwortschatz.
IV.6
Weitere lexikographische Erschließung von Glossenüberlieferungen
IV.6.a) Abrogans und Samanunga Die beiden Studien von Jochen Splett zu dem Abrogans-Glossar (Splett 1976) und seiner als Samanunga (Splett 1979) bezeichneten Umarbeitung enthalten jeweils einen fortlaufenden Kommentar zu allen erklärungsbedürftigen althochdeutschen Glossen. Erschlossen werden diese Werke durch einen lateinisch-althochdeutschen Wortindex. Erfasst wird der gesamte Wortschatz des althochdeutschen Abrogans und der Samanunga. Das Stichwort erscheint in normalisierter Form, um einen schnellen Vergleich mit anderen Wörterbüchern zu ermöglichen. Die Kommentare werden ergänzt um eine Charakterisierung der handschriftlichen Überlieferung, Erläuterungen zur lateinischen Vorlage, zur Eingliederung des Wortschatzes der althochdeutschen Überlieferung, zum Archetypus sowie zur Schichtung der althochdeutschen Überlieferung hinsichtlich des Wortschatzes und um Korrekturen zur Edition.
IV.6.b) Summarium Heinrici Im Anschluss an die zweibändige textkritische Ausgabe des Summarium Heinrici durch R. Hildebrandt aus den Jahren 1974 und 1982 erschien 1995 ein Registerband (Hildebrandt/ Ridder 1995), der den gesamten Wortschatz des Summarium Heinrici unter Einschluss der in der Zwischenzeit neu aufgefundenen und edierten Handschriften erschließt. Der Index der althochdeutschen Glossen listet alle Belege des Werkes auf. Die deutschen Wörter sind in einer möglichst überlieferungsnahen Form lemmatisiert worden und um einen in der Regel auf T. Starck und J.C. Wells und gegebenenfalls das Leipziger Althochdeutsche Wörterbuch bezogenen Referenzkommentar und um die jeweils zu den Glossen gehörenden Bezugswörter ergänzt worden. Ein zweites Register nimmt alle lateinischen Bezugswörter auf, die eine althochdeutsche Entsprechung haben. Nicht deutsch glossierte Textpassagen finden hier keine Berücksichtigung. Die Register bieten in der Verknüpfung des althochdeutschen und des kompletten lateinischen Bezugswortschatzes die Möglichkeit, ein weites Spektrum zweisprachiger enzyklopädisch-elementarer Schulgelehrsamkeit zu erfassen. Für den Sprachhistoriker erschließt der Band einen am Ende des Althochdeutschen stehenden Realienwortschatz, der das Schulwissen der Zeit in weit über 4200 althochdeutschen Glossen spiegelt.
IV.6.c) Mittelhochdeutsches Wörterbuch Das in Trägerschaft der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz entstehende Mittelhochdeutsche Wörterbuch
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(Gärtner/Grubmüller/Stackmann 2006) ist hier für die althochdeutsche Lexikographie zu berücksichtigen, da es Überlieferungen aufnimmt, die gewöhnlich für das Althochdeutsche in Anspruch genommen werden und somit auch in Wörterbücher des Althochdeutschen eingegangen sind. Dazu gehören beispielsweise große Glossare wie das Summarium Heinrici (Gärtner/Grubmüller/Stackmann 2006. I, XXIV), die Glossae Hildegardis (ebenda, XII) oder die Versus de volucribus, bestiis, arboribus (ebenda, XXIX), die wahrscheinlich noch am Ende der althochdeutschen Zeit entstanden sind, mit ihrer Überlieferung aber weit in mittelhochdeutsche Zeit hineinreichen. Dazu gehören aber auch andere für das Althochdeutsche zeugende Glossen, so auch eine Reihe von Glossen zu biblischen Büchern (ebenda, XII), die auch in der Glossenedition von E. Steinmeyer und E. Sievers enthalten sind.
V
Spezielle Wörterbücher
V.1
Etymologische Wörterbücher
Das Althochdeutsche ist in den etymologischen Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache berücksichtigt, sofern Wörter der Gegenwartssprache bereits im Althochdeutschen belegt sind. Althochdeutsche Wörter ohne neuhochdeutsche Fortsetzer sind darin natürlich nicht behandelt. Die althochdeutsche Überlieferung ist auch in etymologischen Teil-Wörterbüchern des Germanischen, etwa der starken Verben (Seebold 1970) und der Primäradjektive (Heidermanns 1993) ausgewertet. In den achtziger Jahren begründeten die amerikanischen Germanisten Albert L. Lloyd und Otto Springer das ‘Etymologische Wörterbuch des Althochdeutschen’, dessen erster Band (-a – bezzisto) im Jahre 1988 erschienen ist. Das Werk wurde nach dem Tod von O. Springer im Jahr 1991 von Rosemarie Lühr in ihre wissenschaftliche Obhut genommen und wird jetzt unter ihrer Leitung als Projekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften weitergeführt (Lloyd/Springer/Lühr I. 1988; II. 1998). Der behandelte Wortschatz ist der der althochdeutschen Text- und Glossenüberlieferung, wobei in Übereinstimmung mit der übrigen althochdeutschen Lexikographie die in den Glossen enthaltene jüngere, teils schon ins Mittelhochdeutsche führende Überlieferung eingeschlossen ist. Hingegen bleiben die in dieser Überlieferung enthaltenen erkennbar niederdeutschen Wörter ausgeschlossen. Nicht berücksichtigt werden wie auch sonst die Eigennamen sowie die in lateinischen Texten überlieferten volkssprachigen Wörter, die noch nirgends zusammenfassend erfasst wurden. Der Aufbau der Artikel sei am Beispiel berg erläutert: Den Artikelkopf bilden das Lemma, die Wortartbestimmung und die Angabe der Flexionsklasse (berg m. a-St.), neuhochdeutsche Bedeutungsangabe und Angabe der lateinischen Entsprechung (‚Berg, mons’), Angabe der althochdeutschen Schreibungsvarianten und der mittel- und neuhochdeutschen Entsprechung. Darauf folgen Verweise auf die Wörterbücher des Alt-, Mittel- und Neuhochdeutschen sowie auf etymologische Wörterbücher des Deutschen. Im nächsten Abschnitt werden die Entsprechungen für das Lemma in den altgermanischen Dialekten und den heutigen germanischen Sprachen angegeben; dazu werden wiederum die einschlägigen Wörterbuchstellen nachgewiesen.
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Der Überblick über die weiteren indogermanischen Parallelen geht bereits in die etymologische Diskussion über, insofern nicht lediglich Wörter aneinandergereiht, sondern die lautlichen und semantischen Probleme mitdiskutiert werden und die einschlägige Einzelliteratur einbezogen wird. Am Schluss stehen wieder die Nachweise der etymologischen Wörterbücher der außergermanischen Sprachen. Aufgenommen werden nicht nur Simplizia, sondern auch Komposita und Ableitungen, für die allerdings die Angaben zu den zugrundeliegenden Simplizia nicht wiederholt werden; vielmehr wird hier auf die entsprechenden Lemmata verwiesen. Das Wörterbuch berücksichtigt auch die nicht wenigen lateinischen Lehnwörter des Althochdeutschen (z.B. antiphona), es gibt eigene Artikel für Wortbildungsmorpheme (z.B. -ari), und es bietet auch Artikel zu schwierigen und umstrittenen Wortformen der Überlieferung, die sich dem Verständnis und damit auch der Etymologie mehr oder weniger sperren (z.B. bacca ?). Wo es erforderlich ist, wird auch die heutige dialektale Verbreitung oder Bedeutung der Wörter berücksichtigt und wiederum mit ausführlichen Wörterbuchangaben dokumentiert (z.B. unter dem Lemma âz). Der Darstellungsstil des Wörterbuchs ist im Gegensatz zu manchen anderen etymologischen Wörterbüchern erfreulich gut lesbar, da er explizit argumentiert. Freilich beansprucht dieser Stil relativ viel Druckraum.
V.2
Morphologische Wörterbücher
Morphologische Aspekte lagen bereits der Anordnung in E.G. Graffs Althochdeutschem Sprachschatz zugrunde (vgl. Abschnitt I). Morphologische Informationen sind auch in sämtlichen Wörterbüchern des Althochdeutschen enthalten, insofern etwa Komposita unter ihrem Bestimmungswort eingeordnet sind oder Verweise von Grundwörtern auf Ableitungen oder Verwendungen als Grundwort in Komposita gegeben werden. Die unterschiedliche Einordnung von Präfigierungen unter dem Präfix oder unter der Basis führt ebenfalls stets zu morphologischen Informationen. Einen morphologisch bestimmten Zugriff auf den althochdeutschen Wortschatz realisieren auch Spezialwörterbücher wie z.B. das Werk von F. Raven 1967), der die althochdeutschen -jan-Verben lexikographisch bearbeitete.
V.2.a) Rolf Bergmann: Rückläufiges morphologisches Wörterbuch des Althochdeutschen Das auf der 4. Auflage von Rudolf Schützeichels Wörterbuch von 1989 beruhende Wörterbuch von Rolf Bergmann (1991c) bietet morphologische Informationen seiner Grundlage entsprechend nur für den Bereich der Textüberlieferung.10 Die Zielsetzung ist zunächst, “alle Morpheme zu berücksichtigen und ihre Wortvorkommen zu erschließen. Da aufgrund des Standes der althochdeutschen Lexikographie von lemmatisiertem Material ausgegangen werden kann, ist der Bereich der Flexionsmorphologie dabei ausgeklam10
Vgl. auch Schützeichel 2004, I, S. 3: „Ein rückläufiges morphologisches Wörterbuch, das auf dem Wortschatz der literarischen Denkmäler fußt (sieh Abschnitt 4), demonstriert das Desiderat der Erweiterung auf den Wortschatz der Glossen.“
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Rolf Bergmann/Stefanie Stricker
mert. Dagegen sind alle Grundmorpheme zu berücksichtigen und ihre Vorkommen auch im Wortinnern oder als Endbestandteile von Wortbildungen zu erschließen. Ebenso sind alle Präfixe und ihre Wortvorkommen, vor allem aber auch alle Suffixe und die mit ihnen gebildeten Wörter zu erfassen. Vom Einzelwort aus betrachtet heißt das, daß jedes Wort bei allen in ihm enthaltenen Morphemen aufzuführen ist.”(Bergmann 1991c, 2) Die alphabetische Darstellung der im althochdeutschen Wortschatz der Texte enthaltenen Grundmorpheme (Teil B. Grundmorphemwörterbuch) erfolgt im Hinblick auf die Wirkung von Ablaut und Umlaut zunächst nach dem konsonantischen Gerüst der Grundmorpheme; vgl. z. B. unter K nach den Grundmorphemen mit einfachem K-Anlaut die mit Kl-, die dann alphabetisch nach den schließenden Konsonanten folgen: kl_b,11 kl_ff, kl_g, kl_kk, kl_mb usw. Unter kl_b stehen die tatsächlich realisierten Grundmorpheme alphabetisch nach ihren Vokalen: klëb-, kleib-, klîb-, kliob-, klob-, klûb-. Jedem Grundmorphem sind die Wörter zugeordnet, in denen es vorkommt, z.B. unter kleib-: kleiben sw. V., bi-cleiben, thara-kleiben, gi-kleiben. Das Grundmorphemwörterbuch wird ergänzt durch einen rückläufig-alphabetischen Index zu den Grundmorphemen. Die Präfixe sind in Teil C. Präfixwörterbuch alphabetisch gelistet; ihnen sind jeweils alphabetisch ihre Wortvorkommen zugeordnet. Das Suffixwörterbuch in Teil A ist wegen der Zusammenhänge von Suffix und Wortart sowie Flexionsklasse als nach Wortarten und weiteren Kategorien getrenntes rückläufigalphabetisches Wörterverzeichnis mit Berücksichtigung der Suffixe angelegt. So stehen etwa in Abschnitt II. Substantive, 1. Maskulina, a) Stark flektierende Maskulina nach denen auf -h auslautenden die auf -i auslautenden von imb-i bis gesiun-i, dann abgesetzt die mit dem Suffix -âri, -eri von scrîb-âri bis muniz-âri, worauf es dann mit her-i usw. bis phuzz-i weitergeht. Das Wörterbuch erlaubt seiner komplexen Anlage gemäß ganz verschiedene morphologische Fragestellungen. Es bietet in dem Grundmorphemwörterbuch auch Zugriffe auf Wortfamilien, im engsten Sinne auf solche mit gleichbleibendem Grundmorphem wie bei fisk-, aber auch auf solche mit ablaut- und umlautbedingten vokalischen Varianten wie bei drang-, dreng-, dring-, drung-. Nicht erfassbar sind konsonantisch bedingte Varianten wie zioh- und zug- oder wizz- und wiss-.
V.2.b) Jochen Splett: Althochdeutsches Wörterbuch Die Zielsetzung des ‘Althochdeutschen Wörterbuchs’ von Jochen Splett wird aus dem Untertitel deutlich: ‘Analyse der Wortfamilienstrukturen des Althochdeutschen, zugleich Grundlegung einer zukünftigen Strukturgeschichte des deutschen Wortschatzes’. Die Termini Wortfamilie und Struktur erhellen sich wechselseitig: Gegenstand der Analyse ist die wortbildungsmorphologische Struktur des Wortschatzes. Das Wörterbuch besteht aus zwei Teilen in drei Bänden. Der erste Teil bietet nach einer ausführlichen Einleitung von etwa 50 Seiten die Darstellung der Wortfamilien, in I,1 von A – L, in I, 2 von M – Z. Der zwei-
11
_ steht für die verschiedenen möglichen Vokale.
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te Band erschließt den gesamten Wortschatz noch einmal nach Präfixen und Suffixen sowie durch einen alphabetischen Wortindex. Das Wörterbuch12 enthält den Wortschatz der Text- und der Glossenüberlieferung und stützt sich auf die zum Zeitpunkt der Bearbeitung vorhandenen Wörterbücher oder Wörterbuchteile. Die belegten Wortfomen und die Belegstellen selbst werden nicht angegeben, doch wird die Herkunft der Wörter auf eine sehr einfache Weise kenntlich gemacht. Wörter aus den Texten erhalten keine Kennzeichnung, nur in Glossen überlieferte Wörter sind mit einem nachgestellten Stern gekennzeichnet; wenn der Stern in Klammern steht, sind die Wörter in der Textüberlieferung und in den Glossen bezeugt.13 Die direkte oder indirekte Kennzeichnung kann also für die Ermittlung der Belegstellen als Verweis gelesen werden: I, 552: lôs st. N. [ohne Stern] ‚Zuchtlosigkeit, Verlogenheit’ weist durch die Nichtkennzeichnung auf die Textüberlieferung und führt also über Schützeichel 3.A. 1981, 116, 4.A. 1989, 176: lōs1 st. N., Zuchtlosigkeit, Verlogenheit. L. durch die Sigle L. auf das Ludwigslied, das laut Einleitung (4.A., S. 20) innerhalb der Edition der kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler von E. v. Steinmeyer ediert ist, wofür der ‚Word-Index’ von R.-M. S. Heffner (1961, 101) auf die Belegstelle führt: 16 18, d.h. Text XVI (S. 85f.), Vers 18: Sum fol loses. – Der direkt unter lôs stehende Eintrag I, 552: gi-fir-* ‚heimliche Verleumdung’ weist durch die Kennzeichnung mit Stern auf die Glossenüberlieferung. Die tatsächlichen Belege sind mit dieser Angabe allerdings nicht leicht zu ermitteln: Das Leipziger Wörterbuch ist noch nicht bis los publiziert und hat die Bildung auch nicht unter gi-fir- (IV, 252). Unter fir- (III, 910) findet sich ein Verweis auf –los. Starck/Wells haben unter f kein –firlôs (157) und auch unter g kein gi-fir-los (206). Tatsächlich ist das Wort bei Starck/Wells (206) unter g als giflos gebucht, im Leipziger Wörterbuch (III, 993) unter f als gi-flôs und bei Schützeichel 2004 (III, 219) ebenfalls unter f als
12 13
Vgl. die eingehende Auseinandersetzung bei Meineke 1994, 205ff. Vgl. die weitergehende Erläuterung bei Splett 1993, S. XXIX.
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hängen; vgl. z.B. (I, 152) unter DRINGAN dringan st. V., drengen sw. V., drangôn sw. V., usw. Dem einzelnen Verb sind seine Präfigierungen zugeordnet, z.B. unter drangôn bi- und umbi-. Es folgen substantivische und weitere Ableitungen, zu denen jeweils in Strukturformeln die Ableitungswege angegeben werden: gi-drengi st. N.
p(wV) Sja (p(wV))Sja/
Das ist zu lesen: gidrengi ist präfigierte substantivische ja-Ableitung von einer verbalen Wurzel oder substantivische ja-Ableitung von einer präfigierten verbalen Wurzel. Das dem Wörterbuch zugrundeliegende Konzept von Wortfamilie wird in der Einleitung (I, XI-XIV) nur knapp erläutert; dafür wird auf eine Reihe von separaten Veröffentlichungen von J. Splett und F. Hundsnurscher verwiesen. In diese Diskussion kann aber an dieser Stelle nicht eingetreten werden.
V.3
Syntaktische Wörterbücher
Syntaktische Angaben finden sich im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch sowie bei R. Schützeichel (6.A. 2006) in den Konstruktionsangaben insbesondere bei Verben. Eingehender ausgeführt wurde dieser Ansatz von Albrecht Greule (1999) in dem Werk: Syntaktisches Verbwörterbuch zu den althochdeutschen Texten des 9. Jahrhunderts. Altalemannische Psalmenfragmente, Benediktinerregel, Hildebrandslied, Monseer Fragmente, Murbacher Hymnen, Otfrid, Tatian und kleinere Sprachdenkmäler.
V.4
Lateinisch-deutsche Wörterbücher
V.4.a) Heinrich Götz: Lateinisch-althochdeutsch-neuhochdeutsches Wörterbuch H. Götz, von 1978 bis 1988 Leiter der Arbeitsstelle des Althochdeutschen Wörterbuchs in Leipzig, hat mit Eintritt in seinen Ruhestand angefangen, die bereits erschienenen Bände und Lieferungen des althochdeutschen Wörterbuchs vom lateinischen Lemma ausgehend neu zu verzetteln. Aus dieser Arbeit ist 1993 ein „Vorläufiges lateinisch-althochdeutsches Glossar zum Althochdeutschen Wörterbuch“ entstanden. Entgegen den ersten Planungen übernahm H. Götz es dann auch selbst, das Begonnene weiterzuführen. So übersetzte er die althochdeutschen Texte und verzettelte sie nach den lateinischen Gegenwerten. Ein besonderes Augenmerk schenkte er dem Glossenwortschatz, den er für die vorliegenden Bände I-IV, 15, A-H berücksichtigen konnte (Götz 1999). Die Bedeutungsangaben der lateinischen Stichwörter erfolgen auf der Basis lateinischer Wörterbücher. Den lateinischen wie auch den deutschen Textpartien werden neuhochdeutsche Übersetzungen beigegeben, wodurch die Benutzbarkeit erheblich erleichtert wird. Übersetzungen in Glossen werden durch Kenntlichmachung von Übersetzungen in Texten unterschieden. Für die frühe Zeit des Althochdeutschen (bis zum 9./10. Jahrhundert) wird eine Datierung beigefügt. Neben Einzelwortübersetzungen hat H. Götz auch Syntagmen beachtet. Erst durch die Berücksichtigung des Wortumfeldes erschließt sich oft die Wahl des Wortes und
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seiner Wortform.14 Durch die Einbeziehung des Kontextes wird auch erst deutlich, dass die deutschen Glossen sich häufig auf die lateinischen Interpretamente zu den lateinischen Lemmata beziehen. Auch freie Wiedergaben, interpretierende Übersetzungen, konnotative Übersetzungen können nur richtig beurteilt werden, wenn erkannt wird, dass zuweilen nicht ein einziges Wort Übersetzung eines anderen ist. Auch wenn mit diesem Wörterbuch nicht der gesamte Bestand an Glossen Berücksichtigung finden konnte, hat es einen unschätzbaren Wert, der sich nicht so sehr in der enormen Materialfülle, sondern vor allem in der akribischen Auswertung der Quellen begründet.15
V.4.b) Hans Eggers: Vollständiges lateinisch-althochdeutsches Wörterbuch zur althochdeutschen Isidor-Übersetzung Hans Eggers veröffentlicht im Jahr 1960 ein Wörterbuch zur Übersetzung des von Isidor von Sevilla verfassten Traktats ‚De fide catholica contra Iudaeos’ (Eggers 1960). Zu Ziel und Anlage seines Wörterbuchs führt H. Eggers16 aus: „In erster Linie soll das Wörterbuch die Feinfühligkeit des Übersetzers in seiner deutschen Wortwahl nachweisen. Schon aus diesem Grunde war es notwendig, die lateinischen wie auch die deutschen Wörter in ihrem Kontext vorzuführen, weil nur auf diese Weise die geschmeidige Übersetzungstechnik voll zu erfassen ist, die Bedeutung der Wörter klar hervortritt und die mutmaßlichen Gründe für die oftmals variierenden Übersetzungen einigermaßen klar erkannt werden können.“ Hans Eggers deckt in seinem Wörterbuch auf, dass sich nirgends Spuren von Vokabelübersetzungen zeigen, sondern stets der Gesamtsinn der lateinischen Aussage erfasst und in ein ausdrucksstarkes Deutsch gebracht wird. Da das Wörterbuch alle Sätze an mindestens einer Stelle (in der Regel beim finiten Verb) vollständig erfasst, kann es auch als Materialfundus für syntaktische Studien dienen. Entgegen den Gepflogenheiten der heterogenes Sprachgut umfassenden Wörterbücher des Althochdeutschen ist der Isidor-Wortschatz nicht normalisiert worden; nur offensichtliche Schreibversehen wurden korrigiert. Das Wörterbuch schafft damit die Voraussetzungen für alle philologischen Fragen, für lautliche, lexikologische und syntaktische Untersuchungen ebenso wie für Fragen nach der Übersetzungstechnik.17
V.4.c) Lateinisch-althochdeutsche Verzeichnisse von G. Köbler In den Jahren 1970–1972 gab Gerhard Köbler ‚Verzeichnisse der Übersetzungsgleichungen’ (Köbler 1970a-d; Köbler 1971a-f; Köbler 1972a, b) heraus, und zwar zum Abrogans- und Samanunga-Glossar, zur Benediktinerregel, zu den Murbacher Hymnen, der Isidorgruppe,
14 15 16 17
Götz 1999, X (mit einschlägigen Beispielen). Für einen Teilbereich der Texte und Glossen, nämlich die Bibelübersetzungen und Bibelglossen, sei hier auch auf das nützliche Buch von Maria Petronia Steiner (1939) hingewiesen. Eggers 1960, XVI. Für den Bereich der althochdeutschen Texte sei hier noch Köhler 1914, Nachdruck 1962, genannt, ein schlichter lateinisch-althochdeutscher Index zur althochdeutschen Tatianübersetzung mit exakten Stellennachweisen, aber ohne Bedeutungsangaben.
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Rolf Bergmann/Stefanie Stricker
zu Otfrid, Notker, den altsächsischen, altostniederfränkischen und altsüdmittelfränkischen Psalmenfragmenten, zum Tatian, zu Williram und zu den kleineren althochdeutschen und altsächsischen Sprachdenkmälern sowie zum altsächsischen Heliand und zur Genesis. Diese Verzeichnisse begnügen sich mit der Angabe des lateinischen Lemmas und der althochdeutschen Übersetzung. Seinen einzelnen Verzeichnissen ließ G. Köbler 1996 noch ein lateinisch-althochdeutsches Wörterbuch18 folgen. Auch in diesem Wörterbuch ist viel Material zusammengestellt worden. Allerdings sind auch diese Angaben nicht durch Übersetzung und Interpretation der Quellen gewonnen. Es werden auch nur Lemmata und Interpretamente aufgelistet, aber keine Belegstellen oder nachprüfbaren Quellen angegeben.19
V.4.d) Rudolf Schützeichel: Althochdeutscher und Altsächsischer Glossenwortschatz Für den Glossenwortschatz ist nunmehr auf das alphabetische Verzeichnis ‚lateinische Bezugswörter’ in Band XII des Glossenwortschatzes (S. 91–485) hinzuweisen, das geschätzt etwa 47.000 lateinische Wörter enthält, denen die althochdeutschen Ansatzformen beigeben sind. So lässt sich (S. 445a) unter susurratio feststellen, dass das Wort durch giflōs und rūnezzunga glossiert wird, und unter diesen Stichwörtern können dann die entsprechenden Belegstellen ermittelt werden.
V.5
Chronologisches Wörterbuch des deutschen Wortschatzes
Elmar Seebold strebt mit seinem Wörterbuch eine chronologische Dokumentation des deutschen Wortschatzes (unter Ausschluss der Namen) an, die mit dem 2001 erschienenen Band zum Wortschatz des 8. Jahrhunderts beginnt.20 Dabei kann es allerdings nicht um das tatsächliche Alter eines Wortes gehen, sondern um die Bezeugung eines Wortes, das schon viel früher existiert haben mag. Neben der chronologischen Abfolge soll das Wörterbuch den Wortschatz auch nach Textsorten und räumlichen Schichten strukturieren. Der Band zum achten Jahrhundert besteht aus 4 Teilen. Teil 1 beschreibt das Ziel des Wörterbuchs und nimmt eine Abgrenzung des Materials vor. 18 19
20
Köbler 1996. Das Lateinisch-germanistische Lexikon von G. Köbler (Köbler 1983), das 1983 in 2. Auflage erschienen ist, erfasst circa 15 000 lateinische Lemmata, „für welche das Lexikon auf jeweils einen Blick zeigt, mit welchen Interpretamenten sie in den jeweils ältesten Sprachstufen der germanistischen Einzelsprachen gleichgesetzt werden. Der beachtlichen Zahl der ... Lemmata entsprechen mehr als 100 000 Interpretamente. Diese dürften auf einer Grundlage von vielleicht einer halben Million Belegen beruhen.“ Das Lexikon kommt nicht über eine „erste einfache Zusammenfassung“ hinaus, wie G. Köbler sein Werk selbst umschreibt. Da G. Köbler einzig und allein andere Wörterbücher und Indices zusammenfasst, dabei aber keine Quelle für die Belege nennt und auch keine eigenen philologischen Bemühungen zur Erhebung und Übersetzung des Wortgutes unternimmt, ist das Werk nicht vergleichbar mit den anderen hier vorgestellten Wörterbüchern. In keinem Fall weist es den Weg zu einer Quelle, wodurch die Zusammenstellung für seriöse Arbeit wertlos ist. Als ‚germanistisch’ bezeichnet G. Köbler hier befremdlicherweise die altgermanischen Einzelsprachen. Seebold 2001.
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Teil 2 stellt die Überlieferung des 8. Jahrhunderts vor: I. Die runische Überlieferung; II. Texte des 8. Jahrhunderts: Isidor-Übersetzung, das altbairische Paternoster, Basler Rezepte; St. Galler Vaterunser und Glauben; altbairische Beichte, altniederdeutsches Taufgelöbnis; III. Textglossen des 8. Jahrhunderts; IV. Textglossare des 8. Jahrhunderts; V. Wörterbucharbeit; VI. Die [ahd.] Einsprengsel [in lat. Texten] bis zum 8. Jahrhundert einschließlich. Teil 3, das Kernstück des Wörterbuchs, dokumentiert den Wortschatz bis zum Ende des 8. Jahrhunderts geordnet nach Wortfamilien. In der gegenüber der Internetversion vereinfachten Druckfassung ist jedes Wort mit Datierung, lateinischem Bezugswort, Verbreitung und Textsorte aufgenommen. Die Belegstellen und Informationen zum Kontext sind der Internetfassung vorbehalten. Das Wörterbuch ist zweigeteilt: Der erste Teil enthält die Text-, Glossen- und Wörterbuchstellen;21 der zweite Teil die Einsprengsel und Latinisierungen.22 Jeder Artikel beschreibt die Beleglage einer Wortfamilie für die Zeit bis zum 8. Jahrhundert einschließlich. Als Lemma ist das Grundwort der angesetzten Wortfamilie angegeben, bevorzugt ein tatsächlich belegtes Wort. Die Ansätze folgen dem Wortfamilienwörterbuch von J. Splett. Dem Lemma folgt die grammatische Angabe und eine allgemeine Bedeutungsangabe. Es folgen die übrigen Wörter der betreffenden Wortfamilie mit grammatischer Angabe, Bedeutung und Beleglage. Zur Beleglage der Wörter gehören das Viertel des Jahrhunderts der Quelle, die Mundart des Textes und die Textsorte mit Nennung des Textes. Teil 4 des Wörterbuchs ist auf die Wörter beschränkt, die mittelbar oder unmittelbar eine Fortsetzung im Neuhochdeutschen haben. Die Auswertung ist nach dem Vorhandensein neuhochdeutscher Entsprechungen ausgerichtet und bietet zwei Zugriffe auf das Material: Die erste Wortliste gibt die neuhochdeutschen Wörter mit Entsprechungen im 8. Jahrhundert in alphabetischer Reihenfolge an. Die zweite Wortliste schichtet diesen Bestand chronologisch. Ein größerer Teil des Materials, der neben dem Wörterbuch auch die Möglichkeit einer Volltextsuche erlaubt, ist (mit Passwort) über das Internet erreichbar: http://www.cis.unimuenchen.de/ahdeutsch
VI
Benutzungssituationen
Im Folgenden soll die Gesamtlage der althochdeutschen Lexikographie durch die exemplarische Veranschaulichung von typischen Benutzungssituationen zusätzlich charakterisiert werden,23 zunächst von einzelnen Belegstellen, dann von typischen Wörterbuchverweisen aus.
21 22 23
Seebold 2001, 75–341. Seebold 2001, 342–381. Zur Wörterbuchbenutzungsforschung vgl. man Wiegand 1998, wo (S. 425, 435ff., 993ff.) für ein althochdeutsches Wörterbuch – Schützeichel 3.A. 1981 – bestimmte Benutzungssituationen mit fiktiven Benutzern simuliert werden.
64 VI.1
Rolf Bergmann/Stefanie Stricker
Ausgang von einer Belegstelle im Text
Hildebrandslied Vers 34 cheisuringu Schützeichel 2006, 183: st. M. Kaisermünze. H. SchG. verweist auf Hildebrandslied und mindestens einen Glossenbeleg. Schützeichel 2004 (V, 171) zitiert den Glossenbeleg (zum Lemma dragma im Matthäus-Kommentar des Hieronymus) nach der Edition von Mayer 1994; dieser Beleg wird auch im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch (V. 2002, 72) bereits zitiert, er fehlt aber zwangsläufig bei Splett 1993 (I,1, 448) und bei Köbler 1993 (654). Der Fall illustriert die Abhängigkeit der lexikographischen Arbeit von der ständig weitergehenden Überlieferungserschließung. J. Splett bestimmt das Wort zutreffend als substantivische Suffixbildung auf -ing zur substantivischen Wurzel keisar, G. Köbler falsch als Kompositum aus keisur und ring.
VI.2
Ausgang von einer Belegstelle in Glossen
Echternacher Vergilglossen StSG. II, 702, 39: Terga gpppn nach Fußnote 28 aufzulösen als gopon Im Hinblick auf den lateinischen Plural terga zu tergum ‚Rücken’ lässt sich gopon als Nominativ Plural eines schwachen Femininums gopa verstehen, für das in der Gegenwartssprache kein fortsetzendes Wort erkennbar ist. Ein althochdeutsches Wort gopa gibt es bei Starck/Wells 1972–1990 und Schützeichel 2004 nicht. Hilfreich ist der Verweis im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch (IV, 331) gopon s. goffa. Dieses Wort ist nur in Glossen überliefert und dementsprechend außer im Leipziger Wörterbuch (IV, 320) auch bei Starck/ Wells 1972–1990 (2233) und Schützeichel 2004 (III, 483f.) gebucht. Ohne den Verweis im Leipziger Wörterbuch hätte die Suche nur über die lautliche Rekonstruktion (da inlautend -p- hier nicht oberdeutsche Schreibung für germ. b sein kann, weil es kein goba gibt, muss es niederdeutsche unverschobene Schreibung sein, der hochdeutsch -ff- entsprechen muss) Erfolg gehabt. Der Fall illustriert die Schwierigkeit für den Benutzer, gegebenenfalls ohne Verweise vorherzusehen, unter welchem Ansatz eine belegte Wortform im jeweiligen Wörterbuch untergebracht ist.
VI.3
Ausgang von einem handschriftlichen Befund
Summarium Heinrici. Langfassung Buch XI Gegenüber der Textglossierung weist ein Glossar in der Regel weniger oder gar keinen lateinischen Kontext auf, in den meisten Fällen ist nur ein lateinisches Syntagma oder ein lateinisches Lemma als semantische Orientierungshilfe gegeben. Das Thema eines Sachglossars kann immerhin einen weiteren Kontext liefern. Das Problem der Kontextlosigkeit ist erst recht gegeben, wenn das Glossar alphabetisch angelegt ist, ein weiteres semantisches Umfeld also nicht gegeben ist. In diesem Fall ist das lateinische Lemma die einzige Hilfe für die Interpretation der deutschen Glosse. Wenn die Glosse dann noch ein einmalig bezeugtes Wort darstellt und das Wort noch nirgends gebucht ist, ist das Verständnis nicht leicht. Einen solchen Fall bietet die Summarium-Heinrici-Handschrift W* 91 des Historischen Archivs Köln. Diese aus dem 12. Jahrhundert stammende Handschrift tradiert eine Fassung
Neuere Entwicklungen der althochdeutschen Lexikographie und Erschließung der Glossographie
65
des alphabetisch angelegten 11. Buches des Summarium Heinrici. Unter den Eintragungen zu dem Buchstaben S findet sich folgende Glossierung: fol. 30vb, Z. 26: Sulfur sueuil creicfur24 Die Glosse creicfur ist als Hapaxlegomenon zu bestimmen. Das Lemma Sulfur wird gewöhnlich mit ahd. swebal ‚Schwefel’ glossiert.25 Die Glosse creicfur weist das Grundwort –fur ‚Feuer’ auf, mit der für das Rheinische typischen Variante für germ. eu. Das Wort ist als Determinativkompositum zu bestimmen, das am ehesten als Synonym zu dem lateinischen Lemma wie auch zu der weiteren Glosse sueuil aufzufassen ist. In jedem Fall ist trotz des isolierten Vorkommens des Wortes creicfur von einer korrekten Glossierung auszugehen. U. Thies26 kommt zu dem Ergebnis, dass es sich wahrscheinlich um die Bezeichnung für ‚griechisches Feuer’ handelt, dessen Hauptbestandteil Schwefel ist. Den ersten und entscheidenden Hinweis gibt hier das lateinische Bezugswort. Ein weiterer Hinweis ist der sonstigen althochdeutschen Glossierung des Lemmas zu entnehmen. In dieser begegnet zuweilen die hinsichtlich ihres Grundwortes vergleichbare Glosse erdfiur ‚Schwefel’,27 wodurch das Verständnis von creicfur gestützt wird. U. Thies konnte 1989 bereits die Artikel erdfiur (Karg-Gasterstädt/Frings 1952ff. III, 377) und fiur (ebenda. III, 925–930) benutzen, die die Schreibung fur belegen und das Verständnis als Kompositum mit dem Grundwort –fiur stützen. Für die Deutung des Bestimmungswortes konnte sie wenigstens schon die kriech-Strecke bei Starck/Wells heranziehen (5. Lieferung 1980, 347). Die inzwischen erfolgten lexikographischen Buchungen des Hapaxlegomenons creicfur im Leipziger Wörterbuch (V, 6. Lieferung 2004, 407) (? kriechviur) und bei Schützeichel 2004 (V, 342) (
VI.4
Verweise ins Althochdeutsche
In zahlreichen nichtalthochdeutschen Wörterbüchern werden althochdeutsche Wörter angegeben, die in den althochdeutschen Wörterbüchern zu verifizieren sind. Das folgende Beispiel ist bewusst einem Alphabetbereich entnommen, der im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch in absehbarer Zeit noch nicht in Sicht ist. Das ‚Etymologische Wörterbuch des Deutschen’ (Pfeifer 1989, S.1583) gibt unter dem Adjektiv schütter Folgendes an: ahd. skitar (um 1000), sketar (11. Jh.) ‚dünn, lückenhaft’. Die althochdeutschen Wörterbücher28 bieten folgenden Befund: Schützeichel (2006, 308): sceter Adj., locker, dünn. N. SchG.
24 25 26 27 28
Thies 1989, 149–154, 183. Götz 1999, 640; Georges 1982. II, 2917. Thies 1989, 151–154. Starck/Wells 1972–1990, 130.. Da die Anlage dieser Wörterbücher in den Abschnitten III und IV erläutert worden ist, wird hier nur das für den Nachvollzug des Beispiels Notwendigste erklärt.
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Rolf Bergmann/Stefanie Stricker
Demnach ist das Wort in den Werken Notkers des Deutschen († 1022) belegt. Mit dem Notker-Wortschatz (Sehrt/Legner 1955, 456) lassen sich folgende Belegstellen in der Edition von P. Piper ermitteln: skéter adj.: nom.sg. neut. skéterez I, 458,25; skéteriz I, 459,7. In der Neuedition (King 1972, 103, 19 und 104, 2) stehen dieselben Formen. Die Sigle SchG. bei Schützeichel 2006 verweist auf Wortvorkommen in den Glossen. Der Befund im ‚Althochdeutschen Glossenwörterbuch’ (Starck/Wells 1972–1990, 540): sketari, skiteri, adj. (?) G. VI, 440; rarus; dünn, lückenhaft. II, 454,36. Hier wird eine nicht nachvollziehbare Unsicherheit in der Wortart angezeigt, es wird unbegründet ein -ja-/-jō-Stamm angesetzt, und es wird die entsprechende Stelle bei E.G. Graff (= G.) angegeben, an der bereits die beiden Notker-Belege genannt sind. Ferner wird ein lateinisches Lemma genannt; ihm folgen zwei neuhochdeutsche Bedeutungsangaben sowie eine Stellenangabe in der Glossenedition von Steinmeyer/Sievers. Aufschlussreich ist der Vergleich mit dem ‚Glossenwortschatz’ von Schützeichel (2004, VIII, 336): <scetar> Adj. scitir Clm 14395 [...]; StSG. II, 454, 36 (PRU rarus).- PaBN Nouv. acquis. lat. 241 [...]; StSG. II, 454, 36 u. A. 11 (PRU rarus) lückenhaft.29 Demnach ist an derselben Stelle in der Edition von Steinmeyer/Sievers die Glosse zu dem Wort rarus in einem Text von Prudentius aus zwei Handschriften ediert, nämlich einer Münchner und einer Pariser. Prüft man diese Angaben in der Edition nach, so ergibt sich, dass das Wort dort in der flektierten Form scitirero belegt ist. Die Informationen des Glossenhandschriftenkatalogs (Bergmann/Stricker 2005, Nr. 579 und Nr. 771) geben für die Münchner Handschrift Entstehung im 10. Jahrhundert an, für die Pariser im 11. Jahrhundert. Aufgrund der tatsächlichen Belege bei Notker und in den Glossen ist also Folgendes gesichert: Aus den Wortformen anzusetzende Grundformen: sketer und scitir. Beide bei W. Pfeifer genannten Formen haben keine Stütze in den Belegen. Auch die chronologischen Angaben bei W. Pfeifer sind nicht korrekt: Das Wort ist schon im 10. Jahrhundert belegt, und wenn die Angabe um 1000 wie üblich auf Notker Bezug nimmt, ist die dafür angegebene Form eben unzutreffend. Die Wörterbücher von G. Köbler (Wörterbuch des althochdeutschen Sprachschatzes 1993, 961, und Taschenwörterbuch des althochdeutschen Sprachschatzes 1994, 283) bieten diese Angaben: sketari* 3, scetari*, skiteri*, sketer*, Adj. ?: dünn, lückenhaft […] Hier sind erkennbar alle Angaben von Schützeichel (6.A. 2006, 308) und Starck/Wells zusammengeworfen, was für die Stammbildung mit -a-/-ō- oder -ja-/-jō-, wenn denn beide belegt wären, zu getrennten Wortansätzen hätte führen müssen. Es spricht aber nichts für die -ja-/-jō-Stammbildung. Das gänzlich unverständliche Fragezeichen bei der Wortartan-
29
Im Zitat weggelassen wurden die Angaben von Seite und Zeile in den beiden Handschriften.
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gabe kommt ebenfalls von Starck/Wells. Die Belegzahl 3 stimmt auch nicht. Vermutlich hat G. Köbler über den Notker-Wortschatz festgestellt, dass bei Notker zwei Belege vorkommen und aus der einen Stellenangabe bei Starck/Wells geschlossen, dass es sich um einen Beleg handelt. Wenn man bei Steinmeyer/Sievers nachschlägt, findet man freilich zwei Belege aus zwei Handschriften. Die Angaben G. Köblers stammen aus anderen Wörterbüchern, sind nicht einmal sorgfältig übernommen, geschweige denn kritisch geprüft, und sie sind um jegliche Hinweise auf die Belegtexte und -stellen gekürzt. Laut Selbstaussage G. Köblers beruhen sie aber auf „jahrzehntelangen Einzelforschungen” (Köbler 1994, VII). Man vergleiche aber die Einschätzung durch Splett 2000, 1204: „Das [...] durchweg aus zweiter Hand zusammengestellte Wörterbuch des althochdeutschen Sprachschatzes [...] des Rechtshistorikers G. Köbler ist hier nur unter Vorbehalt als ein sprachwissenschaftliches Werk einzustufen.“
VII
Schluss: Desiderata und allgemeine Einschätzung der lexikographischen Situation des Althochdeutschen30
Im Vergleich zu anderen historischen Sprachstadien des Deutschen mag das Althochdeutsche als besonders vielfältig lexikographisch erschlossen erscheinen. Um in die kritische Einschätzung der Wörterbuchlage einzuführen und die Desiderata sichtbar werden zu lassen, wird zunächst eine lexikographische Wunschvorstellung beschrieben.
VII.1 Wörterbuchphantasie Ich stelle mir vor: Der Wortschatz des Althochdeutschen ist auf einem ziemlich aktuellen Stand seiner Entdeckung und Edition vollständig und gleichmäßig erschlossen. Vollständigkeit ist gegeben im Hinblick auf die dem Althochdeutschen zugerechneten Texte und Glossen. Vollständigkeit besteht auch im Hinblick auf die volkssprachigen Einsprengsel in lateinischen Texten und auf die nur in Personen- und Ortsnamen bezeugten Appellative. Diese Wortschatzerfassung ist digital zugänglich und für die entsprechenden Recherchen entsprechend datentechnisch aufbereitet, also lemmatisiert und strukturiert durchsuchbar. Ich kann mir also eine Lemmaliste zeigen lassen, sie rückläufig oder nach den grammatischen Bestimmungen (Wortarten, Genus, Flexionsklasse) anordnen lassen. Da die Belegstellen als solche markiert sind, kann ich mir den Wortschatz einzelner Textdenkmäler zusammenstellen, ich kann aber auch die Belege zählen und den Wortschatz nach seiner Frequenz ordnen lassen. Ich kann die als solche markierten lateinischen Bezugswörter herausgreifen, ordnen und ihnen die althochdeutschen Lemmata zuordnen lassen. Dasselbe ist für die ebenfalls als solche gekennzeichneten neuhochdeutschen Bedeutungsangaben möglich. Auch die in den Artikeln erläuterten Kollokations- oder phraseologischen Angaben
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Für diese persönlich gehaltenen Schlussbemerkungen zeichnet Rolf Bergmann allein verantwortlich.
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können als solche aus den Artikeln isoliert werden. Für eine mir unklare Glosse kann ich den Artikel suchen, in dem die betreffende Belegstelle zitiert wird. Ich kann aber auch sofort die belegte Wortform suchen, da diese im Artikel zitierten Wortformen ebenfalls als solche markiert sind. Für grammatische Zwecke kann ich für Wörter einer bestimmten Wortart und Flexion, beispielsweise für starke Verben der V. Klasse, die belegten Formen des Imperativ Singular heraussuchen lassen usw. Ich kann mir alle Belege für einen bestimmten Zeitabschnitt oder geographischen Raum zeigen lassen, kann einen Link zum Dictionary of Old English aktivieren usw.
VII.2 Das Laufzeitproblem des Leipziger Althochdeutschen Wörterbuchs Das umfassende Leipziger Althochdeutsche Wörterbuch leidet wie viele deutsche Großwörterbücher unter einem Laufzeitproblem, das man sich zunächst einmal in aller Schärfe bewusst machen muss, ehe man einerseits durchaus verständnisvoll aus der Unternehmensgeschichte Gründe für die lange Laufzeit ableitet und andererseits Möglichkeiten der Beschleunigung sucht. Die Verzettelung der Glossen geht noch auf E. von Steinmeyer zurück. 1935 begründen Theodor Frings und Elisabeth Karg-Gasterstädt das Wörterbuchunternehmen in Leipzig, 1952 erscheint die erste Doppellieferung, im Jahre 2007 die derzeit letzte Lieferung, die bis lîb reicht. Rund gerechnet und eher grob kalkuliert, steht das Werk in der Mitte des Alphabets und hat für die erste Hälfte mehr als ein halbes Jahrhundert benötigt. Natürlich muss man die Zeit des zweiten Weltkriegs und die unmittelbare Nachkriegszeit mit ihrer deutlichen Einschränkung wissenschaftlicher Arbeit berücksichtigen, und ebenso ist zu bedenken, dass das Unternehmen in der Zeit der DDR nicht gerade zu den besonders geförderten gehörte. Die Ankündigung, dass das Unternehmen bis 2030 abgeschlossen werde, ist daher unter der Voraussetzung keiner Einschränkungen an Mitteln durchaus glaubhaft. Die Laufzeit hätte dann von 1935 an ein Jahrhundert betragen. Dieser durchaus beklagenswerten Realität sei hier die prinzipielle Forderung entgegengestellt, dass ein Wörterbuchunternehmen grundsätzlich nicht länger als zehn bis maximal fünfzehn Jahre dauern dürfe, damit es auf einer gleichbleibenden Quellenbasis in einem einheitlichen und auch nicht veraltenden Konzept innerhalb einer Wissenschaftlergeneration hergestellt und benutzt werden kann. Das setzt natürlich voraus, dass die dem Umfang der Aufgabe entsprechenden Mittel bereitgestellt werden, wovon in zwei Jahrhunderten germanistischer Erforschung der eigenen Sprachkultur und Sprachtradition gewiss noch nie die Rede sein konnte. Mit dieser Feststellung soll auch klar ausgedrückt werden, dass die Kritik sich in keiner Weise und bei keinem Wörterbuchunternehmen gegen die Arbeit der Redakteure richtet. Den Einwand, so ein Unternehmen sei eben nach Umfang und Bedeutung ein Jahrhundertunternehmen und wenn es dann einmal fertig sei, sei es für viele Generationen fertig, kann ich nicht gelten lassen. Schon jetzt hat das Althochdeutsche Wörterbuch in seiner Laufzeit mit dem Fortschreiten der Quellenerschließung das Problem der nicht einheitlich zu definierenden Editionsgrundlage. Es bezieht nämlich von Band zu Band wachsende Glossen-Neufunde ein und muss mittlerweile die dritte Notker-Ausgabe und neue Editionen von Tatian, Otfrid, Benediktinerregel vergleichend berücksichtigen, was für die jeweils bei Erscheinen der Neufunde schon vorliegenden Lieferungen Nachträge und zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet.
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Die Stilisierung zum Jahrhundertunternehmen erschwert natürlich auch ganz grundsätzlich die Entwicklung neuer lexikologischer Fragestellungen und neuer lexikographischer Darstellungsmethoden in neuen Wörterbüchern, wie man besonders deutlich am Grimmschen Wörterbuch beobachten kann.
VII.3 Die Einzelinitiativen Die in vielfältigen Einzelinitiativen entstandenen anderen Wörterbücher zum Althochdeutschen muss man auch vor dem Hintergrund des besonders anfangs langsamen Voranschreitens des Leipziger Althochdeutschen Wörterbuchs31 sehen. Als Rudolf Schützeichel die Arbeit an dem Wörterbuch der Textüberlieferung begann, war der erste Band des Leipziger Wörterbuchs noch nicht fertig, bei Erscheinen 1969 war er gerade abgeschlossen. Als T. Starck und J.C. Wells die erste Lieferung ihres Glossenwörterbuchs im Jahre 1972 herausbrachten, war vom Leipziger Wörterbuch außer dem ersten Band die erste Lieferung des D und des E erschienen. Zur gleichen Zeit war auch R. Schützeichel schon an der Erschließung des Glossenwortschatzes tätig, die ab 1980, als das Leipziger Wörterbuch dem Ende des Buchstabens F entgegensah (aber den Buchstaben D noch nicht vollendet hatte), von der Göttinger Akademie gefördert wurde und ihrerseits bis 2004 dauerte. Diese Entwicklungen bedeuten aber auch, dass wiederholt unabhängig von einander dieselben Arbeiten durchgeführt wurden, insbesondere die Bedeutungsermittlung, die kontinuierlich in Leipzig für Texte und Glossen erfolgt, und parallel dazu für Schützeichel 1969 an den Texten und für Schützeichel 2004 an den Glossen durchgeführt wurde, zwischenzeitlich aber auch für Splett 1993 an den Glossen. Das wäre so alles nicht nötig gewesen, wenn für das Grundlagenwerk des Leipziger Althochdeutschen Wörterbuchs eine Fertigstellung in näherer Zeit absehbar gewesen wäre. Dann hätte auch G. Köbler nicht immer Desiderata feststellen können, zu deren Befriedigung die Germanistik nichts tat, so dass er die Lücken glaubte füllen zu sollen und zu können, indem er das Abschreiben und Kompilieren an die Stelle philologischer Arbeit und den Glauben an die Stelle der Überprüfbarkeit der Angaben setzte.
VII.4 Zum Stellenwert von Wörterbuchforschung Die vielfältigen Einzelinitiativen und die Produktion nicht weniger und recht verschiedener Wörterbücher hätten Anlass zu einer lebendigen lexikographischen Diskussion geben können. Dem wurde schon das Rezensionswesen bei aller Anerkennung der Kompetenzen und der Arbeit einzelner Rezensenten insgesamt nicht gerecht. Man weiß allgemein, dass Wörterbuchbenutzer die Wörterbucheinleitungen nicht lesen, in den letzten Jahrzehnten konnte man zusätzlich feststellen, dass dies auch für manche Wörterbuchrezensenten zutrifft. Schlimmer noch waren etwa die oberflächlich-freundlichen Äußerungen zu den unzähligen Köbler-Produkten. Freilich sind große Teile der germanistischen Sprachwissenschaft in den
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I: A-B. 1952–1968; II: C-D. 1970, 1975, 1983, 1997; III: E-F. 1971–1985; IV: G-J. 1986–2002; V: K-L. seit 2002.
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letzten Jahrzehnten auch lieber andere Wege gegangen als sich mit Lexikographie älterer Sprachstufen zu beschäftigen und haben sich dieser und jener ‘Wende’ unterzogen, mit dem Ergebnis, dass sie jetzt, da Sprachwandelforschung wieder schick ist, Quellen in älteren Sprachstufen nicht übersetzen und analysieren und die dazugehörigen Wörterbücher nicht benutzen geschweige denn beurteilen können. Leider muss man darüber hinaus feststellen, dass auch die Macher althochdeutscher Wörterbücher nicht in die lexikographische Diskussion eingetreten sind. Diese Einschätzung lässt sich durchaus an der Publikationslage festmachen, und zwar an dem ganz zentralen Punkt der Bedeutungsermittlung. R. Schützeichel legte schon dem Wörterbuch zur Textüberlieferung von der ersten Auflage von 1969 an ein Bedeutungskonzept zugrunde, das von der aktuellen Bedeutung und ihrer Einsetzbarkeit an der jeweiligen Textstelle ausgeht. In einzelnen Rezensionen zu Schützeichel 1969 und den folgenden Auflagen wurde das Befremden spürbar, das dieses Vorgehen auslöste. R. Schützeichel hat in einer Reihe von Aufsatzpublikationen wiederholt dazu Stellung genommen und seine Vorgehensweise bekräftigt.32 Mir ist nicht bekannt, dass es dazu eingehende, womöglich auch kontroverse Stellungnahmen gegeben hätte, obwohl man die R. Schützeichel entgegengesetzte Position der Annahme einer etymologisch fassbaren Grundbedeutung immer wieder herausspürt. Neben dieser Linie von Publikationen steht in weitgehender Unabhängigkeit eine weitere im Umfeld des Leipziger Wörterbuchs, bei der es ebenfalls um die Bedeutungsermittlung, besonders bei den Glossen geht, und in der Heinrich Götz die hilfreiche Unterscheidung von Kontextübersetzung und Vokabelübersetzung einführte.33
VII.5 Fazit Die lexikographische Lage ist für das Althochdeutsche einerseits gut, insofern der Eingeweihte den vorhandenen Wörterbüchern eine Fülle von Informationen entnehmen kann. Die in Abschnitt VI vorgeführten Benutzungssituationen haben das hoffentlich verdeutlicht, aber auch erkennbar werden lassen, wieviel spezielles Wissen der Umgang mit diesen Wörterbüchern erfordert. Für die Bewertung ist natürlich immer ein Vergleichsmaßstab relevant, der tunlichst expliziert werden sollte. Gut ist demnach die Lage beim Althochdeutschen etwa im Vergleich zum Mittelhochdeutschen, besonders aber etwa im Vergleich zum 19. Jahrhundert, dessen Wortschatz allenfalls in der Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuchs von A-F berücksichtigt wird. Andererseits ist die Lage der althochdeutschen Lexikographie keineswegs so gut, wenn man sie mit der Lage beim Altenglischen vergleicht, indem man sich im Internet unter www.doe.utoronto.ca über die Situation des Dictionary of Old English informiert oder gar unter wnt.inl.nl die Verhältnisse der niederländischen Lexikographie im Einzelnen zur Kenntnis nimmt. Für den Zustand der Lexikographie des Althochdeutschen und des Deutschen insgesamt ist freilich die germanistische Sprachwissenschaft nicht allein verantwortlich, die Gründe dafür liegen auch in der zuständigen Wissenschaftsorganisation und Wissenschaftspolitik.
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Schützeichel 1971; Schützeichel 1976; Schützeichel 1991b; Meineke 1991. Götz 1961; Götz 1977; Große/Blum/Götz 1977; Köppe 1998.
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Neuere Entwicklungen der althochdeutschen Lexikographie und Erschließung der Glossographie
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In: Geist und Zeit. Wirkungen des Mittelalters in Literatur und Sprache. Festschrift für Roswitha Wisniewski zu ihrem 65. Geburtstag herausgegeben von Carola L. Gottzmann und Herbert Kolb. Frankfurt am Main. Bern. New York. Paris 1991, 9–17. Schützeichel 2004 = Althochdeutscher und Altsächsischer Glossenwortschatz. Bearbeitet unter Mitwirkung von zahlreichen Wissenschaftlern des In- und Auslands. Herausgegeben von Rudolf Schützeichel. I-XII. Tübingen 2004. Schützeichel/Meineke 2001 = Die älteste Überlieferung von Willirams Kommentar des Hohen Liedes. Edition. Übersetzung. Glossar. Herausgegeben von Rudolf Schützeichel und Birgit Meineke. Göttingen 2001. Seebold 1970 = Elmar Seebold: Vergleichendes und etymologisches Wörterbuch der germanischen starken Verben, The Hague, Paris 1970 (Janua Linguarum 85). Seebold 2001 = Elmar Seebold: Chronologisches Wörterbuch des deutschen Wortschatzes. Der Wortschatz des 8. Jahrhunderts (und früherer Quellen). Bearbeitet von Elmar Seebold unter Mitarbeit von Brigitte Bulitta, Elke Krotz, Judith Stieglbauer-Schwarz, Christiane Wanzeck. Berlin, New York 2001. Sehrt 1962 = Notker-Glossar. Ein Althochdeutsch-Lateinisch-Neuhochdeutsches Wörterbuch zu Notkers des Deutschen Schriften von Edward H. Sehrt. Tübingen 1962. Sehrt/Legner 1955 = Notker-Wortschatz. Das gesamte Material zusammengetragen von Edward H. Sehrt und Taylor Starck. Bearbeitet und herausgegeben von Edward H. Sehrt und Wolfram K. Legner. Halle (Saale) 1955. Sievers 1892 = Tatian. Lateinisch und altdeutsch mit ausführlichem Glossar herausgegeben von Eduard Sievers. Zweite neubearbeitete Ausgabe [1892]. Unveränderter Nachdruck. Paderborn 1960. Sievers 1972 = Die Murbacher Hymnen. Nach der Handschrift herausgegeben von Eduard Sievers. Mit einer Einführung von Evelyn Scherabon Firchow. New York/London 1972. Sonderegger 2003 = Stefan Sonderegger: Althochdeutsche Sprache und Literatur. Eine Einführung in das älteste Deutsch. Darstellung und Grammatik. Dritte, durchgesehene und wesentlich erweiterte Auflage. Berlin, New York 2003. Splett 1976 = Jochen Splett: Abrogans-Studien. Kommentar zum ältesten deutschen Wörterbuch. Wiesbaden 1976. Splett 1979 = Jochen Splett: Samanunga-Studien. Erläuterung und lexikalische Erschließung eines althochdeutschen Wörterbuchs. Göppingen 1979 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 268). Splett 1993 = Jochen Splett: Althochdeutsches Wörterbuch. Analyse der Wortfamilienstrukturen des Althochdeutschen, zugleich Grundlegung einer zukünftigen Strukturgeschichte des deutschen Wortschatzes. I,1-II. Berlin, New York 1993. Splett 2000 = Jochen Splett: Lexikologie und Lexikographie des Althochdeutschen. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von Werner Besch. Anne Betten. Oskar Reichmann. Stefan Sonderegger. 2. Teilband. Berlin, New York 2000, Nr. 74, 1196–1206 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.2). Starck/Wells 1972–1990 = Althochdeutsches Glossenwörterbuch (mit Stellennachweis zu sämtlichen gedruckten althochdeutschen und verwandten Glossen). Zusammengetragen, bearbeitet und herausgegeben von Taylor Starck, J.C. Wells. Heidelberg 1972–1990 (Germanische Bibliothek. 2. Reihe: Wörterbücher). Steiner 1939 = Maria Petronia Steiner: Gleichheit und Abweichungen im Wortschatz der althochdeutschen Bibelglossen und der zusammenhängenden Bibeltexte. Dissertation München 1937. Nachdruck der Ausgabe Speyer 1939. Hildesheim – New York 1997. Steinmeyer 1916 = Elias von Steinmeyer: Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler. 1. Auflage 1916. 3. Auflage Dublin – Zürich 1971 (Deutsche Neudrucke. Texte des Mittelalters). Steinmeyer/Sievers 1879–1922 = Die althochdeutschen Glossen. Gesammelt und bearbeitet von Elias Steinmeyer und Eduard Sievers. I-V. Berlin 1879–1922. unveränderter Nachdruck Dublin – Zürich 1968–1969. Thies 1989 = Ulrike Thies: Graphematisch-phonematische Untersuchungen der Glossen einer Kölner Summarium-Heinrici-Handschrift. Mit Edition der Glossen. Göttingen 1989 (Studien zum Althochdeutschen 14). Tiefenbach 1972 = Heinrich Tiefenbach: Zum Erscheinen des Althochdeutschen Glossenwörterbuchs von T. Starck – J.C. Wells. In: BNF. Neue Folge 7. 1972, 349–359.
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Rolf Bergmann/Stefanie Stricker
Tiefenbach 1974 = Heinrich Tiefenbach: Besprechung von: Althochdeutsches Glossenwörterbuch. Zusammengetragen, bearbeitet und herausgegeben von T. Starck – J.C. Wells, 2. Lieferung, Heidelberg 1973. In: BNF. Neue Folge 9. 1974, 222–226. Tiefenbach 1976 = Heinrich Tiefenbach: Besprechung von: Althochdeutsches Glossenwörterbuch. Zusammengetragen, bearbeitet und herausgegeben von T. Starck – J.C. Wells, 3. Lieferung, Heidelberg 1975. In: BNF. Neue Folge 11. 1976, 214–221. Tiefenbach 1980 = Heinrich Tiefenbach: Besprechung von: Althochdeutsches Glossenwörterbuch (mit Stellennachweisen zu sämtlichen gedruckten althochdeutschen und verwandten Glossen). Zusammengetragen und herausgegeben von T. Starck – J.C. Wells, 4. Lieferung, Heidelberg 1978. In: BNF. Neue Folge 15. 1980, 69–72. Tiefenbach 1982 = Heinrich Tiefenbach: Besprechung von: Althochdeutsches Glossenwörterbuch. Zusammengetragen, bearbeitet und herausgegeben von T. Starck – J.C. Wells, 5.Lieferung. 6. Lieferung, Heidelberg 1980–1981. In: BNF. Neue Folge 17. 1982, 71–75. Tiefenbach 1984 = Heinrich Tiefenbach: Besprechung von: Althochdeutsches Glossenwörterbuch. Mit Stellennachweis zu sämtlichen gedruckten althochdeutschen und verwandten Glossen. Zusammengetragen, bearbeitet und herausgegeben von T. Starck – J.C. Wells, 7. Lieferung. 8. Lieferung. 9. Lieferung, Heidelberg 1982–1983. In: BNF. Neue Folge 19. 1984, 424–429. Tiefenbach 1991 = Heinrich Tiefenbach: Besprechung von: Althochdeutsches Glossenwörterbuch. Mit Stellennachweis zu sämtlichen gedruckten althochdeutschen und verwandten Glossen. Zusammengetragen, bearbeitet und herausgegeben von T. Starck – J.C. Wells, 10. Lieferung. 11. Lieferung, Heidelberg 1984- 1990. In: BNF. Neue Folge 26. 1991, 454–461. van Helten 1969 = Willem Lodewijk van Helten: Die altostniederfränkischen Psalmenfragmente, die Lipsius’schen Glossen und die altsüdmittelfränkischen Psalmenfragmente. Mit einer Einführung von Evelyn Scherabon Firchow. New York/London 1969. Wiegand 1998 = Herbert Ernst Wiegand: Wörterbuchforschung. Untersuchungen zur Wörterbuchbenutzung, zur Theorie, Geschichte, Kritik und Automatisierung der Lexikographie. 1. Teilband. Mit 159 Abbildungen im Text. Berlin, New York 1998.
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Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
Ralf Plate
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch: Beleglexikographische Konzeption, EDV, Vernetzungspotential
0
2.1
Das MWB als beleglexikographisches Werk Konzentration auf die Gebrauchsdarstellung EDV für beleglexikographische Zwecke Die elektronische Materialbasis Das internetbasierte Artikelredaktionssystem Die Internetausgabe des Wörterbuchs und der Wörterbuchmaterialien Ausblick: Vernetzungspotentiale der historischen Lexikographie des Deutschen Literatur Wörterbücher Forschungsliteratur
1.6 2
Ein neues Epochenwörterbuch zum älteren Deutsch Die Stellung des MWB im Zusammenhang der historischen Lexikographie des (Hoch-)Deutschen Mittelhochdeutsch und Althochdeutsch Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch Mittelhochdeutsch im Grimm’schen Wörterbuch und im Deutschen Rechtswörterbuch Vorgängerwörterbücher des MWB Mittelhochdeutsche Text- und Speziallexikographie Mittelhochdeutsche Grammatik Aspekte der Konzeption des MWB
0
Ein neues Epochenwörterbuch zum älteren Deutsch
1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
2.2 3 3.1 3.2 4 5 6 6.1 6.2
Das mittelalterliche und frühneuzeitlichen Deutsch wird in drei großen Epochenwörterbüchern bearbeitet. Nach dem ALTHOCHDEUTSCHEN WÖRTERBUCH (AWB) und dem FRÜHNEUHOCHDEUTSCHEN WÖRTERBUCH (FWB), deren erste Lieferungen bereits 1952 bzw. 1986 publiziert wurden, erscheint seit 2006 als jüngstes Epochenwörterbuch das neue MITTELHOCHDEUTSCHE WÖRTERBUCH (MWB). Das MWB wurde seit 1994 von zwei Arbeitsgruppen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz an der Universität Trier und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen vorbereitet; eine wichtige weitere Vorarbeit reicht bis in das Jahr 1986 zurück, als an der Universität Trier mit der Kompilation des FINDEBUCHS ZUM MITTELHOCHDEUTSCHEN WORTSCHATZ begonnen wurde (erschienen 1992). Die lange Vorbereitungszeit des MWB galt zum einen der Bereitstellung einer umfassenden elektronischen Belegsammlung für die Ausarbeitung des Wörterbuchs, zum anderen der Klärung konzeptioneller Fragen und gegen Ende intensiver Diskussion der ersten ausgearbeiteten Artikelstrecken. Darüber ist von Anfang an bis in die jüngste Zeit hinein in Tagungsbeiträgen und Aufsatzveröffentlichungen verschiedener Beteiligter berichtet worden, 1998 legten die beiden Arbeitsgruppen ihre konzeptionellen Überlegungen zusammen mit einigen Probeartikeln auf einer Fachtagung zur Diskussion vor (vgl. den Tagungsband Gärtner / Grubmüller [2000]).
DOI 10.1515/lexi.2007.005
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Ralf Plate
Als wichtiges Merkmal des MWB darf in einem Bericht über neuere Entwicklungen in der historischen Lexikographie des Deutschen der umfassende EDV-Einsatz des Vorhabens hervorgehoben werden: Bereits zu Beginn der konzeptionellen Vorgespräche, noch geraume Zeit vor dem Siegeszug von PC und WWW, hat das MWB auf die Ausschöpfung der Möglichkeiten elektronischer Datenverarbeitung in allen Phasen des lexikographischen Arbeitsprozesses gesetzt, und zwar aus projektökonomischen wie aus lexikographisch-konzeptionellen Gründen. Hinzu kam mit der Etablierung des Internet in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre der Gesichtspunkt der Vernetzung der historischen Lexikographie, der für das Deutsche exemplarisch erstmals und auf hohem technischen wie fachlichen Niveau in den MITTELHOCHDEUTSCHEN WÖRTERBÜCHERN IM VERBUND (MWV) im Internet und auf CD realisiert worden ist. Anders als zu Zeiten der Ausarbeitung des Vorgängerwörterbuchs, des MITTELHOCHDEUTSCHEN WÖRTERBUCHS von Benecke / Müller / Zarncke (BMZ) beginnt die mittelhochdeutsche Lexikographie heute nicht mehr bei (beinahe) Null, sondern kann sich auf eine lange Tradition mit reich ausgebildeter Vielfalt von lexikographischen Arbeitsformen und Hilfsmitteln stützen und hat sich überdies in die stark arbeitsteilig organisierte Lexikographie und Sprachforschung zum mittelalterlichen Deutsch insgesamt einzufügen, wie im folgenden (1.) in einem kurzen Durchgang durch die Nachbar- und Vorgängerwörterbücher, die epochenübergreifenden großen Belegwörterbücher und einige der spezielleren Hilfsmittel zum Mittelhochdeutschen zu zeigen ist. Zusammen mit einer sehr engen Projektplanung ergibt sich daraus für die Aufgabenstellung des MWB (2.) eine starke Beschränkung. Konzentration auf die (noch zu erörternde) beleglexikographische Hauptaufgabe ist der Gewinn dieser Beschränkung; ihre Kehrseite ist Vernetzungsbedarf, der überdies auch dort entsteht, wo die Arbeitsteilung nicht vollständig sein kann und es daher Überschneidungsbereiche gibt. Lexikographisch-konzeptionell ganz auf die Hauptaufgabe zugeschnitten ist der umfassende EDV-Einsatz des Projekts, wie anschließend (3.) in einer Vorstellung der elektronischen Materialbasis und der EDV-gestützten Organisation der Artikelarbeit zu zeigen ist. Weil bereits die Bearbeiter des Wörterbuchs sich eines internetbasierten Artikelredaktionssystems bedienen, ist die Ausgabe des Wörterbuchs und seiner elektronischen Materialbasis im Internet in den Daten bereits angelegt. Der derzeitige Stand der Nutzungsmöglichkeiten dieser Internetausgabe wird unter (4.) kurz vorgestellt. Daraus ergeben sich abschließend (5.) Anregungen für die Vernetzung der historischen Lexikographie des Deutschen insgesamt.
1
Die Stellung des MWB im Zusammenhang der historischen Lexikographie des (Hoch-)Deutschen
1.1
Mittelhochdeutsch und Althochdeutsch
Den älteren lexikographischen Hilfsmitteln zum mittelalterlichen Hochdeutsch liegt eine Epochengliederung in das Althochdeutsche (von den Anfängen bis um 1100) und das Mittelhochdeutsche (12. bis 15. Jahrhundert) zugrunde. Sie lässt sich am ehesten mit der fehlenden Überlieferungskontinuität zwischen den beiden Epochen begründen, ein Argument,
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
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das aber gleich stark eingeschränkt werden muss auf die althochdeutschen Texte im engeren Sinne, während die Glossen- und Glossarüberlieferung bekanntlich in großem Umfang weit ins Mittelhochdeutsche reicht – eine nicht ganz unwesentliche Einschränkung, bedenkt man, dass rund zwei Drittel des althochdeutschen Wortschatzes nur in Glossen bezeugt sind.1 Das große Belegwörterbuch zum Althochdeutschen, das Althochdeutsche Wörterbuch (AWB) der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, das vollständig auch die in der monumentalen Glossensammlung von Steinmeyer / Sievers erfasste Überlieferung bearbeitet, beschreibt also im Bereich dieser Quellengruppe zu einem guten Teil mittelhochdeutschen Wortgebrauch. Dies wird im AWB gelegentlich sichtbar in explizit als „mittelhochdeutsch“ gekennzeichneten Stichwortansätzen (wenn nämlich gar keine althochdeutschen Überlieferung für das betreffende Lexem vorhanden ist), noch häufiger aber in den Datierungsangaben zur jüngeren Überlieferung im Formteil der Artikel. Für das MWB bedeutet das eine beträchtliche Entlastung, weil es sich mit Verweis auf das AWB eine systematische und selbständige Bearbeitung der mittelhochdeutschen Überlieferung (vermeintlich oder tatsächlich) „althochdeutscher“ Glossen bis auf wenige Ausnahmen ersparen kann: Diese Ausnahmen betreffen vor allem das ‚Summarium Heinrici‘, ein umfangreiches Sachglossar, von dem keine Überlieferung aus vormittelhochdeutscher Zeit bekannt ist und das in einer modernen Edition mit Wörterbuch vorliegt, sowie einige kleinere „althochdeutsche“ Glossare mit mittelhochdeutscher Überlieferung, die bereits im BMZ nach älteren Editionen erfasst worden waren. Aber auch im Bereich der Texte gibt es eine wichtige Ausnahme von dem sonst festzustellenden Bruch zwischen althochdeutscher und mittelhochdeutscher Überlieferung: sie betrifft den in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstandenen ‚Hoheliedkommentar‘ Willirams von Ebersberg, der in zahlreichen Handschriften aus mittelhochdeutscher Zeit verbreitet ist und dabei auch aktiv rezipiert wurde (im ‚St. Trudperter Hohen Lied‘). Williram wird daher auch im MWB bearbeitet, er ist der Hauptgrund für die abweichend vom AWB im MWB bereits um 1050 angesetzte Epochengrenze.
1.2
Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch
Aus der traditionellen lexikographischen Zweiteilung des mittelalterlichen Hochdeutsch in Alt- und Mittelhochdeusch ist durch das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (FWB), dessen Quellenzeitraum bereits um 1350 beginnt, eine Dreiteilung in Alt-, Mittel- und älteres Frühneuhochdeutsch geworden. Das MWB schließt sich – wie zuvor schon das FINDEBUCH ZUM MITTELHOCHDEUTSCHEN WORTSCHATZ – aus pragmatischen Gründen der neuen Epochengliederung an und setzt das Ende des von ihm zu bearbeitenden Quellenzeitraums in Übereinstimmung mit dem FWB um 1350 an. Lexikographisch ist diese Epochengrenze jedoch hochproblematisch, weil ihr kein Bruch in der Überlieferungskontinuität entspricht. Zahlreiche Quellentexte, die sicher aus der Zeit vor 1350 stammen, sind aufgrund des höheren Erhaltungsgrades der jüngeren Handschriften erst aus der Zeit nach 1350 überliefert, und bei einer großen Zahl von Texten aus dem 14. Jahrhundert kann überhaupt keine genauere Datierung im Sinne der Epochengrenze vorgenommen werden. Da das FWB bei der Quel-
1
Splett 2002, S. 1197.
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Ralf Plate
lendatierung eher die Überlieferungs- als die Entstehungsdatierung zugrundelegt, besonders wenn die betreffenden Quellen durch gedruckte Wortlisten, Glossare oder Wörterbücher erschlossen sind, das MWB aber schlecht verzichten kann auf die Bearbeitung zahlreicher Texte, die nur zufällig nicht aus der Zeit vor 1350 überliefert sind, ergibt sich ein breiter Überschneidungsbereich der Quellencorpora von MWB und FWB.
1.3
Mittelhochdeutsch im Grimm’schen Wörterbuch und im Deutschen Rechtswörterbuch
Mittelhochdeutscher Wortgebrauch wird in beträchtlichem Umfang auch in den beiden großen historisch-diachronen Belegwörterbüchern des Deutschen mitbeschrieben, allerdings eben eingeschränkt, zum einen im Hinblick auf das historisch für die jüngere Zeit Bedeutsame im GRIMM’SCHEN WÖRTERBUCH (DWB) und seiner Neubearbeitung (2DWB), zum anderen auf Rechtswortschatz bzw. rechtssprachlichen Wortgebrauch im DEUTSCHEN RECHTSWÖRTERBUCH (DRW). Gleichwohl sind die Belegdokumentationen dieser beiden Wörterbücher, insbesondere der jüngeren Teile der Erstbearbeitung des DWB, der älteren seiner Neubearbeitung und wiederum der jüngeren Teile des DRW, oftmals umfangreicher als jene der älteren mittelhochdeutschen Wörterbücher und beruhen auf ausgedehnter eigener Belegsammlung und -interpretation.
1.4
Vorgängerwörterbücher des MWB
Von den beiden älteren großen mittelhochdeutschen Wörterbüchern, die heute noch in Gebrauch sind, ist vor allem der 1854–1866 in vier Bänden erschienene BMZ als das eigentliche Vorgängerwörterbuch anzusprechen, aus zwei Gründen: Zum einen, weil er sich auf das ältere Mittelhochdeutsche des 12. bis 14. Jahrhunderts konzentriert, während das 1872–1878 in drei Bänden erschienene MITTELHOCHDEUTSCHE HANDWÖRTERBUCH von Matthias Lexer vor allem für die jüngere Zeit des späten 14. und des 15. Jahrhunderts, die jetzt im FWB bearbeitet wird, stark nachsammelt. Zum anderen, weil nur der BMZ als vollgültiges Belegwörterbuch anzusprechen ist, während Lexers Wörterbuch, das ja aus einem alphabetischen Index zu dem nach Wortstämmen geordneten BMZ entstanden ist, sich hinsichtlich des bereits im BMZ Dargestellten mit dem Verweis auf das ältere Wörterbuch und ganz knappen zusammenfasssenden Angaben begnügt und auch in seinen Ergänzungen oft nur eine Stellensammlung ohne Belegzitate und weitere lexikographische Bearbeitung bietet. Beide Wörterbücher behalten jedoch auch zukünftig neben dem MWB ihren Wert, der BMZ wegen seiner Anordnung als Wortfamilienwörterbuch und als stark auf die Dichtung der mittelhochdeutschen Klassik bezogenes Belegwörterbuch, der Lexer als bequeme Einstiegshilfe in den BMZ und als knappe Zusammenfassung und Ergänzung zu ihm. Die Benutzung dieser beiden Wörterbücher als Ergänzung zum MWB wird dadurch gefördert und erleichtert, dass sie in der oben bereits erwähnten digitalen Fassung des MWV miteinander und mit dem FINDEBUCH ZUM MITTELHOCHDEUTSCHEN WORTSCHATZ verknüpft im Internet (und mit erweiterten Suchfunktionen auf CD) zugänglich sind und aus der Internetausgabe des MWB direkt eingesehen werden können (s. zu dieser unten unter 4.).
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
1.5
81
Mittelhochdeutsche Text- und Speziallexikographie
Neben den genannten großen Wörterbüchern gibt es eine reichhaltige autor- bzw. textbezogene Lexikographie zum Mittelhochdeutschen, die eine lange Tradition hat und bis in die Anfänge der Germanistik zurückreicht. Sie stellt lexikalische Hilfsmittel sehr unterschiedlicher Art bereit, einfache Wortlisten mit Stellenangaben, Glossare zu Textausgaben, ausgearbeitete Belegwörterbücher und – seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit maschineller Unterstützung – Wortformenindizes und Konkordanzen.2 Von besonderer Bedeutung für das MWB sind zwei jüngere Spezialwörterbücher: Zum einen das bereits mehrfach erwähnte FINDEBUCH ZUM MITTELHOCHDEUTSCHEN WORTSCHATZ, eine umfassende Kompilation der mittelhochdeutschen Lexik, die in Glossaren und Wortverzeichnissen zu nach Lexers Wörterbuch erschienenen mittelhochdeutschen Textausgaben verzeichnet ist. Der Nutzen des 1992 erschienenen Findebuchs besteht vor allem im Nachweis von bei BMZ und Lexer nicht erfasstem Wortschatz und – über die Stellenangaben in den angegebenen Glossaren – als Index zu Belegmaterial in modernen Ausgaben. Das zweite hier zu nennende Werk ist das WÖRTERBUCH ZUR MITTELHOCHDEUTSCHEN URKUNDENSPRACHE (WMU), ein Belegwörterbuch zum Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300, das kurz vor dem Abschluss steht. Da die übergroße Mehrzahl der in dem fünfbändigen Quellenwerk des WMU edierten Urkunden vom Ende des 13. Jahrhunderts stammt, ist das WMU nicht nur als vollständiges Textsortenwörterbuch wertvoll, sondern auch als quasi synchrone Momentaufnahme der mittelhochdeutschen Schriftlichkeit, besonders für Graphematik und Morphologie, die jeweils erschöpfend in einem ersten Artikelteil dargestellt werden. Ein Desiderat bleibt leider ein etymologisches Wörterbuch des Mittelhochdeutschen. Wie nützlich es sein könnte, kann man am ETYMOLOGISCHEN WÖRTERBUCH DES ALTHOCHDEUTSCHEN (EtAWB) ermessen, das übrigens viel Mittelhochdeutsches bearbeitet (aus den oben unter 1.1 genannten Gründen); zugleich wird am Beispiel des EtAWB deutlich, warum es sinnvoll ist, wenn die etymologische Forschung sich bereits auf eine zuverlässige Gebrauchsbeschreibung des zu untersuchenden Wortschatzes stützen kann, wie sie in diesem Fall im AWB geboten wird. 1.6
Mittelhochdeutsche Grammatik
Schließlich darf bei einem Durchgang durch die für die Aufgabenbestimmung des MWB wichtigen weiteren Hilfsmittel die allgemeine Sprachforschung, insbesondere jene zur mittelhochdeutschen Grammatik, nicht fehlen. Hier ist es ein Glücksfall, dass parallel zur Ausarbeitung des MWB eine neue große Grammatik des Mittelhochdeutschen vorbereitet wird, die auf der Grundlage einer umfangreichen eigenen Belegsammlung nicht nur Graphematik / Lautlehre, Morphologie und Syntax völlig neu bearbeitet, sondern auch das dem Wörterbuch besonders eng verwandte Gebiet der Wortbildung.3 Eine erste Frucht dieses Vorhabens ist die gründliche Revision der Studiengrammatik von Hermann Paul in ihrer 25. Auflage (25Mhd. Gr.). 2 3
Vgl. Gärtner / Kühn 11984, 21998. Vgl. zur Wortbildung vorläufig die Pilotstudie von Herbers 2002.
82
2
Ralf Plate
Aspekte der Konzeption des MWB
Die lexikographische Konzeption des MWB hat zunächst die restriktiven Vorgaben der äußeren Projektplanung zu beachten. Sie sehen vor, dass das Wörterbuch an seinen beiden Standorten mit jeweils zwei Vollzeitstellen und einer Wissenschaftlichen Hilfskraft in einem Zeitraum von 20 Jahren ausgearbeitet wird; für die gesamte EDV-Betreuung des Vorhabens einschließlich der Einrichtung der Internetausgabe und der anspruchsvollen Satzarbeiten steht nur eine halbe Mitarbeiterstelle zur Verfügung (in Trier). Der 2006 im Druck erschienenen ersten Doppellieferung soll bis 2025 jedes Jahr eine weitere im Umfang von rd. 200 bis 240 Seiten folgen, das Gesamtwerk im Druck vier Bände zu rund 1000 bis 1200 Seiten umfassen. Die Anspannung, die dies für die Bearbeiter des Wörterbuchs bedeutet, wird unten unter 3. noch deutlicher an den Zahlen zum Stichwortbestand. Die beschränkte Projektausstattung zwingt zur Konzentration auf das lexikographisch unabdingbar Wesentliche. Dies lässt sich für das MWB mit den folgenden Punkten umreißen: Das neue Wörterbuch muss lemmatisch vollständig sein; es gilt das beleglexikographische Prinzip der Einheit von Vorführung und lexikographischer Kommentierung des historischen Sprachgebrauchs; das MWB darf hinsichtlich des erfassten Wortgebrauchs nicht nur nicht hinter dem zurückbleiben, was sich bereits aus den vorhandenen Hilfsmitteln ermitteln lässt, sondern muss einen deutlichen Mehrwert hinsichtlich Differenziertheit und Repräsentativität der Darstellung haben.
2.1
Das MWB als beleglexikographisches Werk
Die drei genannten Punkte mögen trivial erscheinen, besonders der zweite ist es aber nicht, denn in jüngster Zeit ist das beleglexikographische Prinzip in der historischen Lexikographie des Deutschen theoretisch wie praktisch stark unter Druck geraten. Ein extremes Beispiel für seine Vernachlässigung in der Praxis ist der zwölfbändige ALTHOCHDEUTSCHE UND ALTSÄCHSISCHE GLOSSENWORTSCHATZ von Rudolf Schützeichel (SchG), der kurzerhand auf „alle unnötigen Angaben wie Textausschnitte und dergleichen“ verzichtet, ja sie zu „unnützem Ballast“ erklärt, der in diesem Werk „entfällt“, weil „die Darstellung straff gehalten werden“ müsse (Bd.1, S. 5). Eckhard Meinekes Versuch einer theoretischen Begründung dieser lexikographischen Praxis nicht nur für Glossen, sondern auch für historische Texte liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Analyse von historischem Wortgebrauch durch den Lexikographen nur sogenannte „aktuelle Bedeutungen“ zugänglich seien, und ferner die Gleichsetzung der „aktuellen Bedeutung“ eines Lexems mit einem für die betreffende Gebrauchsinstanz passend erscheinenden beschreibungssprachlichen Äquivalent.4 Objektsprachliche
4
Meineke 1994, S. 331–397. Meineke erklärt audrücklich, „daß die Analyse von Bedeutungen im Rahmen der althochdeutschen Textdenkmäler auf eine Sammlung ermittelbarer aktueller Bedeutungen hinausläuft“; die ‚aktuelle Bedeutung‘ wird in einem Übersetzungsäquivalent ausgedrückt. „Das Übersetzungsäquivalent ist dasjenige Wort des Neuhochdeutschen, das an dieser Stelle [sc. in der beschreibungssprachlichen Übersetzung des betreffenden Textes] die gleiche Bezeichnung aufweist wie das althochdeutsche. An dieser einen Stelle ist ein bestimmtes Wort einer älteren Sprachstufe mit dem einer neueren in der Bezeichnung identisch. Die beiden ‚aktuellen Bedeutun-
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
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Kriterien für die lexikographische Beschreibung des Wortgebrauchs spielen in dieser Auffassung theoretisch keine Rolle, daher ist es nur konsequent, wenn die objektsprachlichen Kontexte des historischen Wortgebrauchs im Wörterbuch ausgeblendet werden. In der deutschen Wörterbuchforschung wird das beleglexikographische Prinzip zwar nicht direkt angegriffen, ist dort aber bislang als solches nicht angemessen thematisiert worden, wie an anderer Stelle in Auseinandersetzung mit wörterbuchtypologischen Versuchen und anderen Arbeiten Herbert Ernst Wiegands und Oskar Reichmanns zu zeigen versucht wurde.5 Eine gewisse Gemeinsamkeit mit den Auffassungen Schützeichels und seiner Schule besteht darin, dass ‚Bedeutung‘ bzw. ‚Einzelbedeutung‘ nicht konsequent als objektsprachliche Gegebenheit betrachtet wird, was tendenziell zu einer Überschätzung der beschreibungssprachlichen Bedeutungsangaben verleitet, bis hin zur ausdrücklichen Gleichsetzung von Bedeutung und Bedeutungsangabe, wobei dann der Schritt nicht mehr weit ist zu der Annahme, die Bedeutungsangabe sei das Wesentliche und die Vorführung von Belegtexten nur eine nicht konstitutive Zugabe, die auch unterbleiben könnte.6 Der traditionelle beleglexikographische Ansatz dagegen betrachtet als seinen nächsten Gegenstand die Gebrauchstypen oder Verwendungsweisen eines Wortes, wie sie sich der lexikographischen Interpretation unter einer Vielzahl von Gliederungsgesichtspunkten des Belegmaterials (als den Typisierungskriterien) zeigen können. Die Bedeutungsangaben zu den einzelnen Verwendungsweisen mittels beschreibungssprachlicher Äquivalente sind im Belegwörterbuch eine unter verschiedenen Formen des lexikographischen Gliederungskommentars, und zwar eine sehr indirekte (denn sie verweist ja wieder auf einen beschreibungssprachlichen Wortgebrauch, die „Bedeutung“ des Äquivalents). Das Gemeinsame dessen, was als Gebrauchstyp herausgehoben wird – unter einem Gliederungspunkt eines Wortartikels vereinigt wird –, lässt sich nicht immer durch ein beschreibungssprachliches Äquivalent oder durch eine Paraphrase mit einem Äquivalent ausdrücken. Umgekehrt: Anstelle von Äquivalenten (oder Paraphrasen mit einem Äquivalent) kann grundsätzlich auch eine explizite Formulierung der typenkonstitutiven objektsprachlichen Kontextmerkmale stehen (die allerdings sehr umständlich ausfallen könnte und leicht in Gefahr wäre, übergenau zu werden). – Es dürfte deutlich geworden sein, warum die Anführung von Belegzitaten im historischen Wörterbuch, mindestens in seiner Vollform, dem Belegwörterbuch, keine Zugabe ist, sondern im Gegenteil die Hauptsache: Sie konstituiert überhaupt erst den objektsprachlichen Gegenstand (einen Gebrauchstyp), auf den sich der beschreibungssprachliche
5
6
gen‘ sind gleich“ (S. 336). Wenn das Übersetzungsäquivalent die bedeutungserläuternde Funktion gerade nicht in seiner lexikalischen, sondern nur in einer im Zusammenhang eines Übersetzungstextes erscheinenden ‚aktuellen‘ Bedeutung erfüllt, wie kann dann der kontextlose Gebrauch des Äquivalents in einem Wörterbuchartikel diese Aufgabe übernehmen? Woraus soll der Wörterbuchbenutzer auf die ‚aktuelle Bedeutung‘ schließen, die das Äquivalent im Textzusammenhang der Übersetzung hatte? Vgl. zum folgenden ausführlich Plate 2005, S. 14–20. Wiegand 1998 spricht S. 701 von „eine[r] allmähliche[n] Konstitution von Bedeutungen beim schriftlichen Formulieren von lexikographischen Bedeutungsangaben“ und nimmt an, dass „die fragliche Bedeutung dadurch ermittelt [sc. wird], daß eine Bedeutungsangabe formuliert wird.“ Reichmann 1990 vertritt S. 1426 die Ansicht, „die Angabe von Belegen und Belegstellen“ sei nicht „konstitutiv“ für das Sprachstadienwörterbuch. Die romanistische Metalexikographie dagegen weiß: „L’exemple n‘est pas là pour exemplifier seulement une information déjà donnée. Il est informatif. Il fournit des informations qu‘on ne trouve nulle part ailleurs dans l’article“ (Hausmann 2005, 283).
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Kommentar (z.B. eine Bedeutungsangabe mittels eines beschreibungssprachlichen Äquivalents) bezieht. Der EDV-Einsatz des MWB, der unten näher beschrieben wird, ist aufs engste auf die beleglexikographische Konzeption des Werks zugeschnitten: In der Vorbereitungsphase diente er der ökonomischen Bereitstellung einer grossen Belegsammlung mittels halbautomatischer Lemmatisierung von sorgfältig eingerichteten E-Texten; bei der Ausarbeitung unterstützt er mit vielfältigen Funktionen alle Arbeitsschritte, die mit der interpretierenden Sichtung, Typisierung und Kommentierung des belegten Wortgebrauchs verbunden sind, von einer unbearbeiteten Ausgabe der Belegtexte bis zum gesetzten Wortartikel.
2.2
Konzentration auf die Gebrauchsdarstellung
Die selbständige Darstellung des Wortgebrauchs in dem umrissenen Sinne und aufgrund einer umfangreichen Belegsammlung ist die Kernaufgabe jedes beleglexikograpischen Werks; im Falle des Mittelhochdeutschen ist sie zugleich das dringlichste Desiderat, denn der Zuwachs an neuen Wortschatzeinheiten gegenüber den älteren Hilfsmitteln hält sich in engen Grenzen, und auf der Ebene der verhältnismäßig abstrakt angesetzten Hauptbedeutungen sind ebenfalls keine großen Überraschungen zu erwarten; der Hauptvorzug des neuen Hilfsmittels wird die Differenziertheit und Repräsentativität der Gebrauchsdarstellung sein. Dass wir trotz schmaler Projektausstattung zuversichtlich sind, auf diesem Gebiet beträchtlich über die vorhandenen Hilfsmittel hinausgelangen zu können, beruht auf zwei Beschränkungen: Zum einen, hinsichtlich des Quellenbereichs, auf dem bereits erwähnten, in der Arbeitsteilung mit dem FWB begründeten Rückzug auf den engeren Quellenzeitraum, der bereits dem BMZ zugrundelag (1050 – 1350), sowie auf der Ausklammerung der schwierigen mittelhochdeutschen Überlieferung althochdeutscher Glossen, die im AWB bearbeitet werden, und der Bearbeiung der Urkundenüberlieferung des 13. Jahrhunderts nach einem Spezialwörterbuch, dem WMU; zum anderen auf der weitgehenden Konzentration auf diese Hauptaufgabe. Diese Konzentration ist insofern Beschränkung, als verschiedene weitere Aufgaben in der Regel ausgeklammert bleiben müssen, die von historischen Belegwörterbüchern traditionell des öfteren mitbearbeitet werden, oder die ihnen neuerdings von einer an Wortschatzstrukturen und Diasystemen interessierten linguistischen Forschung nahegelegt werden. Das erstere betrifft Etymologie, Wortbildung, Graphematik und – abgesehen von der Zuweisung zu einer Flexionsklasse in den grammatischen Angaben zu Substantiven und Verben – auch die Morphologie. Dazu werden nur ausnahmsweise Angaben gemacht, vor allem dann, wenn der Lemmansatz oder Aspekte der Gebrauchsdarstellung einer besonderen Begründung und Stützung bedürfen oder wenn schwierige, nicht regelhafte Formen vorkommen. Im übrigen sieht sich der Benutzer mit diesbezüglichen Fragestellungen auf die etymologischen Wörterbücher, die historischen Grammatiken und die epochenübergreifenden historischen Wörterbücher, vor allem das Grimmsche Wörterbuch und seine Neubearbeitung, verwiesen, für Schreibformen und Morphologie besonders auf das WMU. Das zweite betrifft Angaben zu semantischen Wortschatzrelationen (wie Synonymie, Antonymie, Hyper- und Hyponymie) sowie Angaben zu zeitlichen, räumlichen und textsortenspezifischen Gebrauchsbeschränkungen. Wortschatzrelationen werden in aller Regel nur implizit dargestellt, wenn nämlich entsprechende aussagefähige Belege vorliegen, die
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
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bei der Belegauswahl bevorzugte Aufnahme finden. Gebrauchsbeschränkungen lassen sich, abgesehen von Trivialem, in unserer Epoche nur selten zuverlässig beobachten und beschreiben: zum einen wegen der Lückenhaftigkeit der Überlieferung und der Zufälligkeit des Erhaltenen, zum anderen wegen der geringen pragmatischen Ausdifferenzierung der volkssprachlichen Schriftlichkeit in dieser Epoche.
3
EDV für beleglexikographische Zwecke
Die EDV-Konzeption des Vorhabens konnte Anfang der 1990er Jahre bereits auf Erfahrungen zurückgreifen, die bei dem Versuch gemacht worden waren, die erprobten Verfahren der maschinellen Index- und Konkordanzherstellung weiterzuentwickeln für die Ausarbeitung eines Belegwörterbuchs, in diesem Falle zum ‚Tristan‘ Gottfrieds von Straßburg. Benötigt wurde dafür ein elektronischer Text, ein Verfahren zur Lemmatisierung des Textes und, als Kernstück, ein Editor, in den die Belege des Textes pro Wortartikel ausgegeben werden konnten und der alle Funktionen bereitstellte, um die Operationen durchzuführen, die bei der Sichtung und Bearbeitung des Belegmaterials bis hin zum elektronischen Satz des Artikels anfallen (Belegschnitt, Ordnung der Belege im Hinblick auf die Artikelgliederung, Belegauswahl, Beleg- und Gliederungskommentierung usw.), wobei die Belegzitate im Artikel stets mit dem elektronischen Quellentext verknüpft bleiben und bei Bedarf neu aus diesem geholt und bearbeitet werden können sollten.7 Das Verfahren erwies sich als tauglich auch für die Zwecke des Epochenwörterbuchs. Es war dem herkömmlichen Zettelkastenarchiv schon aus projektökonomischen Gründen entschieden vorzuziehen (was wohl heute, anders als noch Anfang der 1990er Jahre, keiner näheren Erläuterung mehr bedarf), mindestens ebensosehr aber deswegen, weil es die Chance zu einer tiefgreifenden Umgestaltung des lexikographischen Arbeitsprozesses bot, die vor allem zwei methodische Schwächen vermeidet, die mit der herkömmlichen Belegsammlung auf Zetteln häufig verbunden sind: Sie bestehen in einer zu frühen, nämlich bereits bei der Exzerption von Texten stattfindenden Belegauswahl, und in einer als Unterstützung für den Artikelautor gedachten, ihm aber ebenfalls vorgreifenden und möglicherweisse irreführenden Exzerptkommentierung. Beide Arbeitsschritte können in dem EDV-gestützten Prozess bei der Materialsammlung entfallen: Der erste, die Belegauswahl, wird erst vom Artikelautor, dafür dann aber lexikographisch kontrolliert vorgenommen (dass für hoch- und höchstfrequenten Wortschatz besondere Vorkehrungen getroffen werden müssen, versteht sich dabei von selbst); der zweite kann ganz entfallen, weil der größere Textzusammenhang dem Artikelautor bei Bedarf jederzeit zugänglich ist in den mit der Belegsammlung elektronisch verknüpften Texten, so dass nur die in den Artikel eingehenden Belege kommentiert werden müssen, und dies nur, sofern es das Verständnis im Artikelzusammenhang verlangt. Im folgenden soll etwas näher auf die Realisierung des Verfahrens zum jetzigen Zeitpunkt eingegangen werden, zunächst auf die elektronische Materialbasis, ihren Umfang und
7
Vgl. Sappler / Schneider-Lastin 1991 und Sappler 1991.
86
Ralf Plate
ihre Ergiebigkeit, dann auf das internetgestützte Artikelredaktionssystem, in dem das Wörterbuch erarbeitet wird.8
3.1
Die elektronische Materialbasis
Den Kern der elektronischen Materialbasis des Wörterbuchs bilden eine umfassende Stichwortliste, ein großes Corpus elektronischer Texte und ein Belegarchiv, das aus den Volltexten durch ein abgestuftes Verfahren halbautomatischer Lemmatisierung gewonnen wird. Die Stichwortliste ist eine Kompilation des gesamten Stichwortbestandes der beiden Vorgängerwörterbücher des 19. Jahrhunderts (BMZ und Lexer) und des FINDEBUCHS ZUM MITTELHOCHDEUTSCHEN WORTSCHATZ, zusammen rd. 83.000 Artikelkandidaten des neuen Wörterbuchs. Die tatsächliche Zahl der Wortartikel im MWB dürfte nach den bisherigen Erfahrungswerten jedoch nur rund 56.000 betragen, weil zahlreiche Stichwörter der Kandidatenliste erst in Texten aus der Zeit nach 1350 belegt sind und damit nicht mehr zum zu bearbeitenden Wortschatz des MWB, sondern zu jenem des FWB gehören. Die Stichwortliste ist verknüpft mit dem MWV im Internet, so dass zu jedem Stichwort der MWV aufgerufen und die betreffenden Artikel in den drei Wörterbüchern eingesehen werden könnnen. Das elektronische Textarchiv besteht aus rd. 160 repräsentativ für alle Teilperioden und Textsorten der Epoche zusammengestellten Volltexten, die vollständig oder in abgestufter Auswahl lemmatisiert sind. Sie ergeben zusammen eine Belegsammlung von rd. 1.300.000 Stellen für rd. 25.000 Lemmata. Damit sind rund 40 Prozent des voraussichtlichen Stichwortbestandes des MWB belegt, die übrigen müssen bei laufender Artikelarbeit nachexzerpiert werden. Nachexzerpiert werden muss allerdings auch für die belegten Stichwörter, wie die folgenden Frequenzangaben deutlich machen dürften: Knapp 40 Prozent der 25.000 im elektronischen Belegarchiv vorhandenen Stichwörter sind nur mit einem einzigen Beleg vertreten, weitere knapp 30 Prozent mit nicht mehr als 5 Belegen, und noch einmal 16 Prozent, insgesamt also rund 85 Prozent, mit nicht mehr als 20 Belegen. Das elektronische Belegarchiv ist also trotz der beträchtlichen Anstrengungen der Vorbereitungsphase stark ergänzungsbedürftig. Dafür stehen allerdings seit Beginn der Ausarbeitung des Wörterbuchs im Vorhaben selbst keine Ressourcen mehr zur Verfügung. Die Trierer Arbeitsstelle bemüht sich daher ständig um die Einwerbung von Drittmitteln zur Aufstockung des Textarchivs. In einem größeren Vorhaben konnten 2001–2003 sämtliche noch nicht im elektronischen Textarchiv vorhandenen Quellen des FINDEBUCHS ZUM MITTELHOCHDEUTSCHEN WORTSCHATZ in einer den Ansprüchen des Wörterbuchs genügenden hohen Qualität digitalisiert werden.9 Diese Texte sind zwar nicht lemmatisiert, stehen aber
8
9
Vgl. ausführlich zu den einzelnen Aspekten und Komponenten der Wörterbuch-EDV Recker / Sappler 1998, Gärtner 2000, Sappler 2000, Gärtner / Plate 2000, Plate / Recker 2001a und 2001b; Plate 2005, S. 20–24. Die Digitalisierung des Findebuch-Corpus war Gegenstand eines deutsch-amerikanischen Kooperationsprojekts, das mit Förderung durch die DFG und die NSF von der Trierer Wörterbucharbeitsstelle und dem Trierer ‚Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften‘ zusammen mit dem Electronic Text Center der University
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
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zu bequemer Nachexzerption im Artikelredaktionssystem zur Verfügung, müssen also nicht zeitraubend und fehlerträchtig abgeschrieben und korrigiert werden. Ergänzt um die über das Findebuch erschlossenen Belege repräsentiert das elektronische Belegarchiv in der Regel die Haupttypen des Wortgebrauchs in genügender Deutlichkeit. Die Anstrengungen zur Erweiterung des elektronischen Text- und Belegarchivs werden fortgesetzt.
3.2
Das internetbasierte Artikelredaktionssystem
Auch das Redaktionssystem konnte in der stark ausgebauten, auf einer relationalen Datenbank beruhenden und internetbasierten Form, in der es seit dem Beginn der Ausarbeitung in den beiden Arbeitsstellen des Wörterbuchs benutzt wird, nicht mit Mitteln des Vorhabens selbst entwickelt werden, sondern wurde in den Jahren 2002 bis 2005 in einem von der Trierer Arbeitsstelle mit Unterstützung des Trierer ‚Kompetenzzentrums für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften‘ durchgeführten DFG-Projekt erarbeitet. Eine ausführliche Beschreibung seiner Leistungsmerkmale mit anschaulichen Bildschirmansichten (screen shots) findet sich auf einer eigenen Projekthomepage.10 Das Redaktionssystem besteht aus den Komponenten Belegarchiv, Quellenverzeichnis, Artikelstrecke und Editor mit angeschlossenem Satzprogramm. Die eigentliche Artikelarbeit findet im Editor statt, worauf gleich noch näher einzugehen ist. Die Komponente ‚Artikelstrecke‘ bietet eine Übersicht über eine beliebig ausgewählte Teilstrecke und verzeichnet zu den einzelnen Stichwörtern die angelegten Artikeldateien, außerdem sind die Stichwörter in dieser Übersicht verknüpft mit den betreffenden Artikeln des MWV im Internet. In der Komponente ‚Belegarchiv‘ kann das elektronische Belegarchiv für ein bestimmtes Stichwort als Ganzes oder in frei wählbaren Textkorpus-Ausschnitten und verschiedenen Sortierungsmöglichkeiten ausgegeben werden, außerdem ist die Suche nach Wortformen und die Ergänzung und Korrektur der Lemmatisierung möglich. Die Komponente ‚Quellenverzeichnis‘ enthält alle quellenbezogenen Informationen, die im Projekt benötigt werden, außer den im gedruckten Quellenverzeichnis erscheinenden Angaben eine Vielzahl weiterer interner, auf die hier im einzelnen nicht näher eingegangen werden muss. Wenn die betreffende Quelle Bestandteil des elektronischen Textarchivs ist, kann sie über den bibliographischen Eintrag direkt aufgeschlagen werden. Die Angaben zur Sigle und zur Zitierweise werden für automatische Konsistenzprüfungen benutzt. Bei der Bearbeitung eines Artikels im Artikeleditor werden in der Regel die folgenden Hauptschritte durchlaufen. Der erste gilt der Bereitstellung des Belegmaterials: Dafür werden die Stellen aus dem elektronischen Belegarchiv in den Editor geladen, und meist werden auch gleich, wenn es sich nicht um ein hochfrequentes Lexem handelt, die weiteren über das Findebuch erschlossenen Belege nachexzerpiert, d.h. aus den betreffenden E-Texten einkopiert. Ferner werden die lexikographischen Hilfsmittel konsultiert, vor allem die oben unter 1 genannten, und bei Bedarf werden weitere dort nachgewiesene Belege nachexzerpiert.
10
of Virginia, Charlottesville, durchgeführt worden ist. Vgl. die Trierer Internetseite des Projekts: http://mhgta.uni-trier.de http://www.mhdwb.uni-trier.de/TAReS
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Ralf Plate
Der zweite Schritt ist dann die Erarbeitung der Artikelstruktur auf der Grundlage des zuvor bereitgestellten Belegmaterials. Dies geschieht in wiederholten Durchgängen durch die Belege, wobei Belege mit gleichartigem Gebrauch zu Gruppen zusammengestellt und diese Gebrauchstypen wiederum in einen gegliederten Zusammenhang gebracht werden. Wenn die Artikelstruktur erarbeitet ist, wird in einem dritten Schritt die Auswahl der zu zitierenden oder nur mit einem Stellennachweis anzugebenden Belege vorgenommen (die übrigen Belege bleiben in der Datei erhalten, werden aber bei der Ausgabe des Artikels ausgeblendet). Die nach einem erneuten Vergleich mit den lexikographischen Hilfsmitteln festgestellten Lücken werden gegebenenfalls durch weitere Nachexzerption geschlossen. In einem abschließenden vierten Schritt werden schließlich, sofern das in den vorangehenden Arbeitsgängen noch nicht erfolgt ist, die endgültigen Belegschnitte vorgenommen, Erläuterungen zu Einzelstellen eingefügt und der Gliederungskommentar (Bedeutungsangaben usw.) ausformuliert. Das Arbeitsergebnis kann über ein angeschlossenes Satzprogramm jederzeit im Format des späteren Drucks ausgegeben werden, so dass die Bearbeiter für jeden Arbeitszustand unmittelbar auch die Lesbarkeit, Proportionen und Länge des Artikels kontrollieren können. Der beschriebene Arbeitsablauf der Artikelarbeit ist also so eingerichtet, dass an seinem Beginn eine unkommentierte Konkordanz der Belegstellen des elektronischen Korpus steht (gegebenenfalls ergänzt um nachexzerpierte Stellen). Dies begünstigt den Blick auf die typischen Merkmale der Textumgebungen des zu bearbeitenden Stichworts, der verhältnismäßig stark ausdrucksseitig gebundenen und erkennbaren ebenso wie eher inhaltlicher Typen, die im Ausdruck stärker variieren können. Jedenfalls gilt die Aufmerksamkeit entsprechend dem oben beschriebenen beleglexikographischen Prinzip in erster Linie dem zu beschreibenden Sprachgebrauch selbst, den Wortfügungen und Wortkombinationen, syntaktischen Konstruktionen, Kollokationspartnern, Isotopien und Phraseologismen, noch nicht so sehr dem Bezug auf die Beschreibungssprache, wie er sich in Übersetzungsgleichungen und Paraphrasen ausdrückt. Die Erarbeitung der Artikelstruktur besteht also nicht in der Ermittlung von Bedeutungsangaben zu Einzelstellen und in der Zusammenfassung gleicher oder ähnlicher Bedeutungsangaben zu sogenannten Einzelbedeutungen, sondern in der Ermittlung von Gebrauchstypen aus den Textumgebungen. Erst bei der Kommentierung der Artikelgliederung und der Typen kommt dann der Bezug auf die Beschreibungssprache stärker ins Spiel.11
4
Die Internetausgabe des Wörterbuchs und der Wörterbuchmaterialien
Die Internetausgabe des MWB ist in der Strukturierung der Daten und Materialien im Artikelredaktionssystem bereits angelegt; sie enthält außer den bereits ausgearbeiteten Wörterbuchteilen selbst im Grunde alles, was im Artikelredaktionssystem für die Artikelarbeit bereitsteht, mit Ausnahme selbstverständlich der internen Materialien und Arbeitszustände und der besonderen Funktionen für die Artikelarbeit.
11
Ausführlicher und an Beispielartikeln erläutert Plate 2005, S. 26–35.
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
89
Eine vorläufige Fassung der Internetausgabe des MWB wurde im Juni 2006 auf dem Arbeitstreffen der deutschsprachigen Akademienwörterbücher in Wien erstmals öffentlich vorgestellt12 und kann bereits benutzt werden.13 Dies verdankt sich nicht zuletzt der open access-Politik der DFG, denn die DFG-Förderung für das Artikelredaktionssystem zielte auch auf die Einrichtung einer kostenfreien Internetausgabe von Wörterbuch und Materialien; hilfreich war überdies das Entgegenkommen des Hirzel-Verlags, der nur eine geringe Schutzfrist von einem halben Jahr nach Erscheinen der Printausgabe verlangt hat und insgesamt die Internetausgabe nicht als Konkurrenz ansieht, sondern als werbende Ergänzung zur Druckausgabe. – Im einzelnen enthält die Internetausgabe zur Zeit folgende Komponenten: – Die Komponente ‚Lemmaliste / Belegarchiv‘ mit Verknüpfung von den einzelnen Stichwörtern in den MWV im Internet und in das elektronische Belegarchiv des MWB; – die Komponente ‚Wörterbuch‘ mit einer html-Fassung der bereits im Druck publizierten ersten Doppellieferung; dabei sind die Quellensiglen mit den entsprechenden Einträgen im Quellenverzeichnis verknüpft, im Falle der Belegzitate aus Texten des elektronischen Textarchivs außerdem die Stellenangaben mit den entsprechenden Stellen in den Volltexten; – die Komponente ‚Quellenverzeichnis‘ mit den Siglen und bibliographischen Angaben; von hier aus sollen in nächster Zeit auch die Texte des elektronischen Textarchivs direkt zugänglich gemacht werden; – eine Suchhilfe, über die zur Zeit bereits die Lemmaliste, die im elektronischen Belegarchiv vorkommenden Wortformen und das Quellenverzeichnis durchsucht werden können; hinzukommen soll die Suche in den Wortartikeln, für die zur Zeit noch auf die der Druckausgabe beigegebene CD mit einer PDF-Fassung verwiesen werden muss. Für die Pflege und den Ausbau der Internetfassung steht nur so viel Zeit zur Verfügung, wie der auf halber Stelle beschäftigten Computerlinguistin Ute Recker-Hamm, die seit den Anfängen des Projekts die Wörterbuch-EDV maßgeblich gestaltet, neben der laufenden Pflege des Artikelredaktionssystems und den aufwendigen Satzarbeiten übrigbleibt. Auch in diesem Bereich bemüht sich die Trierer Arbeitsstelle um die Einwerbung von Drittmitteln, damit das Wörterbuch und die Materialien umfassend, auf dem neuesten Stand und so komfortabel wie möglich zugänglich gemacht und für die weitere Vernetzung bereitgehalten werden können.
12 13
In einem Vortrag von Ute Recker-Hamm (Trier). Unter der Adresse http://www.mhdwb-online.de. Die Benutzung ist zur Zeit noch nicht ganz frei, sondern passwortgeschützt; das Passwort wird auf Anfrage aber ohne Umstände vergeben und soll nach letzter Prüfung von Rechten und nach der Formulierung von Hinweisen zur Benutzung demnächst ganz entfallen.
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5
Ralf Plate
Ausblick: Vernetzungspotentiale der historischen Lexikographie des Deutschen14
Wörterbuch und Materialien sind im Falle des MWB untereinander in vielfacher Weise miteinander vernetzt, außerdem bereits auch mit externen Hilfsmitteln, nämlich den beiden Vorgängerwörterbüchern und dem Findebuch als Bestandteilen des MWV im Internet. Die tägliche Nutzung der Verknüpfungen bei der Artikelarbeit zeigt den Gewinn, den dies für den Überblick über die historischen Sprachdaten bedeutet und lässt die Vernetzung der historischen Lexikographie des Deutschen insgesamt als dringendes Desiderat erscheinen: Handelt es sich doch um die Umsetzung der implizit oder explizit bereits in der Buchform vorhandenen Vernetzung, wie der Überblick oben unter 1 über die Werke, in denen das Mittelhochdeutsche bearbeitet oder mitbearbeitet wird, gezeigt haben dürfte. Digitalisierungs- und elektronische Vernetzungsinitiativen sind in den einzelnen Vorhaben der historischen Lexikographie leider immer noch sehr enge Grenzen gesetzt aufgrund von Projektplanungen, in denen dieser Bereich keine Rolle spielt und mehr oder weniger dem außerplanmäßigen Engagement einzelner Beteiligter überlassen bleibt. Besonders weit vorangeschritten und vorbildlich ist das Deutsche Rechtswörterbuch, dessen Leiter Heino Speer seit geraumer Zeit beharrlich die volle Ausschöpfung der Nutzungsmöglichkeiten des Internet für das Online-Angebot der Arbeitsstelle vorangetrieben hat, bei laufender Ausarbeitung des Wörterbuchs und ohne Verzögerung im Wörterbuchplan. Wo umfassendere Lösungen wie im Falle des DRW und des MWB zur Zeit nicht möglich scheinen, sind doch vielfältige Ansatzpunkte für den Eintritt in die digitalen Verbünde gegeben. Ein Vorzug des Internet ist es ja gerade, dass es dezentrale und kleinschrittige Lösungen erlaubt, eben durch Online-Publikationen aus den verschiedenen Arbeitsgruppen und ihre sukzessive Vernetzung. Dabei ist nicht nur an die Wörterbücher, sondern auch an Komponenten der Materialbasis oder wörterbucherschließenden Zugaben (z.B. der Quellenund Literaturverzeichnisse) zu denken. Die Anfänge dazu sind gemacht. Die tabellarische Übersicht auf S. 92 zeigt den gegenwärtigen Stand der historischen Beleglexikographie im Internet und ihrer Vernetzung. Die Tabelle erfasst, welche der möglichen Komponenten und Verknüpfungsrelationen eines Online-Wörterbuchs in den verschiedenen Realisierungen vertreten sind. Im folgenden erläutere ich die Angaben kurz. Dabei kommt es in diesem Zusammenhang vor allem auf das Vernetzungspotential als solches an, nicht so sehr auf die Qualitätsmerkmale der im einzelnen sehr unterschiedlichen Präsentationen und Recherchefunktionen. Die Hauptkomponente ist natürlich der Wörterbuchtext selbst. Eine davon zu unterscheidende eigenständige Komponente ‚Stichwortliste‘, die mehr bietet als eine Einstiegshilfe in den Wörterbuchtext, gibt es im Falle des DRW und des MWB. In beiden Fällen werden auch Stichwörter aufgeführt, die im Wörterbuch nicht bearbeitet sind, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht den Anforderungen für Artikelwertigkeit genügen. Im Falle des MWB kommen diese Stichwörter aus den Vorgängerwörterbüchern, meist aus dem Lexer, und werden in der Regel deswegen nicht bearbeitet, weil sie aus jüngeren Texten
14
Der vorliegende Abschnitt beruht auf Ausführungen eines Vortrags, den ich auf dem 5. Arbeitstreffen deutschsprachiger Akademie-Wörterbücher in Wien (8.–10. Juni 2006) gehalten habe.
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
91
stammen, die bereits in den Quellenbereich des FWB fallen. Diese Stichwörter sind aber wie die übrigen mit dem MWV im Internet verknüpft. Ein Quellenverzeichnis bieten online und als eigenständige Komponente bislang ebenfalls nur DRW und MWB, in beiden Fällen verknüpft mit den im Wörterbuchtext vorkommenden Quellensiglen. Das Quellenverzeichnis des DWB gibt es bislang nur auf der CDFassung (und dort nicht verknüpft mit dem Wörterbuchtext), jenes zum MWV (auf der Grundlage von Nellmann 1997) ist – anders als in der parallelen CD-Fassung – online nicht als selbständige Komponente realisiert, aber über die Verknüpfung mit den Vorkommen der Quellensiglen im Wörterbuchtext punktuell einsehbar. Sowohl das DRW wie das MWB bieten in grossem Umfang die Möglichkeit, aus dem Wörterbuch heraus Quellentexte selbst einzusehen. Im Falle des MWB sind dies ausschließlich elektronische Volltexte, beim DRW vor allem Faksimiles von Quelleneditionen. Die Volltextkomponente des DRW wird jedoch weiter ausgebaut und besticht durch ihre bidirektionale Verknüpfung: Stellen, die im Wörterbuch zitiert werden, sind nicht nur vom Wörterbuch in den Quellentext verknüpft, sondern auch umgekehrt aus dem Quellentext in den betreffenden Wörterbuchartikel. Über eine digitale Belegsammlung verfügt als selbständige Komponente bislang allein das MWB. Das DRW bietet jedoch für jeden Artikel die Möglichkeit, sich die weiteren Belege für die dort vorkommenden Formen des Stichworts im gesamten Wörterbuchtext und darüber hinaus in den elektronischen Volltexten ausgeben zu lassen, was nicht selten einen bedeutenden Belegzuwachs ergibt. Die Homographie-Probleme nehmen die Benutzer dafür gerne in Kauf. Vernetzungen der verschiedenen Online-Publikationen untereinander gibt es bislang nur für den Wörterbuchtext selbst, und zwar auf Artikelebene, d. h. durch Verknüpfung der einander entsprechenden Artikelstichwörter. Diese Verknüpfungsweise wurde erstmals für den MWV realisiert, auf der Grundlage der Gesamtstichwortliste des MWB, das auf diese Weise selbst mit seinen Vorgängern verknüpft ist. Das DRW ist ebenfalls mit dem MWV und darüber hinaus auch mit dem DWB verknüpft. Soweit in einem kurzen Durchgang das aktuelle Vernetzungsprofil. Neben dem, was bereits verfügbar ist, enthält es in seinen Leerstellen Hinweise auf die noch unausgeschöpften Vernetzungsmöglichkeiten, positiv ausgedrückt, auf das große Synergiepotential für die historische Beleglexikographie, das die Internetpublikationen bieten. Dies betrifft nicht nur die Wörterbuchtexte selbst, sondern insbesondere auch die zugrundeliegenden oder erschließenden Materialien. Als ein Beispiel sei das Desiderat eines umfassenden Quellenverzeichnisses zur Lexikographie des älteren Deutsch genannt, das dezentral vorbereitet werden könnte durch Online-Publikation der Einzelverzeichnisse, soweit das noch nicht geschehen ist, und ihre Verknüpfung miteinander für jene Quellen, die in mehr als einem der beteiligten Wörterbuchunternehmen genutzt werden. Ähnliches gilt für die anderen digitalen Komponenten, also die Stichwortlisten, Textarchive und Belegsammlungen.
x (x) Lexer, BMZ, Findebuch, 1DWB
2DWB
— —
— untereinander
Berlin /Göttingen MWV (Lexer, (3,4 + 9,1) BMZ, Findebuch) x x — — — (auf CD) x — —
http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/drw (DRW) http://www.dwb.uni-trier.de/ (DWB) http://pom.bbaw.de/dwb (2DWB Berlin) http://www.dwb-digital.adw-goettingen.gwdg.de/WebDwb (2DWB Göttingen) http://www.mwv.uni-trier.de/ (MWV: Lexer, BMZ, Findebuch)] http://www.mhdwb-online.de (MWB, z.Zt. noch Passwort nötig)
— —
x — (auf CD) — —
x x x x x x
x
DWB
DRW
Adressen (zuletzt eingesehen am 7.5.2007):
Digitale Komponenten Wörterbuchtext Stichwortliste Quellenverzeichnis Verknüpft Quellen – elektronische Texte – vom Wörterbuch in den Text verknüpft – in beiden Richtungen verknüpft – Faksimiles – verknüpft Belegarchiv Verknüpfung mit anderen Wörterbüchern (auf Artikelebene)
Wörterbuch
Online-Wörterbücher
x Lexer, BMZ, Findebuch
—
x x x x x x x
MWB
— —
—
— — —
AWB + FWB
92 Ralf Plate
Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
6
Literatur
6.1
Wörterbücher
93
AWB = Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. und hg. [ab Bd. II: begründet] von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings [ab Bd. II: hg. von Rudolf Grosse, ab Bd. V: hg. von Gotthard Lerchner]. Bd. Iff., Berlin 1968ff. BMZ = Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearb. von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854–1866 mit einem Vorwort und einem zusammengefassten Quellenverzeichnis von Eberhard Nellmann sowie einem Alphabetischen Index von Erwin Koller, Werner Wegstein und Norbert Richard Wolf. 4 Bde. [Bd. I, II,1+2, III] und Indexband, Stuttgart 1990. DRW = Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Hg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Bd. 1ff., Weimar 1932ff. DWB = Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 33 Bde., Nachdruck München 1984. – Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Elektronische Ausgabe der Erstbearbeitung. Hrsg. vom Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier in Verbindung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bearbeitet von Hans-Werner Bartz/ Thomas Burch/ Ruth Christmann/ Kurt Gärtner/ Vera Hildenbrand/ Thomas Schares/ Klaudia Wegge. Frankfurt/M. 2004. 2DWB = Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm. Neubearbeitung. Hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Bd. 1ff., Leipzig 1983ff. EtAWB = Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Bd. I: -a – bezzisto. Von Albert L. Lloyd und Otto Springer. Bd. II: bî – ezzo. Von Albert L. Lloyd, Rosemarie Lühr und Otto Springer. Göttingen 1988 und 1998. Findebuch = Kurt Gärtner/ Christoph Gerhardt/ Jürgen Jaehrling/ Ralf Plate/ Walter Röll/ Erika Timm (Datenverarbeitung: Gerhard Hanrieder): Findebuch zum mittelhochdeutschen Wortschatz. Mit einem rückläufigen Index, Stuttgart 1992. FWB = Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hg. von Robert R. Anderson/ Ulrich Goebel/ Oskar Reichmann, Bd. 1ff., Berlin/ New York 1989ff. Lexer = Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1872–1878 mit einer Einleitung von Kurt Gärtner, Stuttgart 1992. MWB = Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Im Auftrag der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hg. von Kurt Gärtner, Klaus Grubmüller und Karl Stackmann. Bd. 1, 1ff., Stuttgart 2006. MWV = Thomas Burch/ Johannes Fournier/ Kurt Gärtner: Mittelhochdeutsche Wörterbücher im Verbund. Stuttgart 2002. [Elektronische Ausgabe auf CD von BMZ, Lexer, Findebuch und Eberhard Nellmanns Quellenverzeichnis (Nellmann 1997)] SchG = Rudolf Schützeichel (Hg.): Althochdeutscher und Altsächsischer Glossenwortschatz. Bearb. unter Mitwirkung von zahlreichen Wissenschaftlern des Inlandes und des Auslandes. 12 Bde., Tübingen 2004. WMU = Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300. Unter Leitung von Bettina Kirschstein und Ursula Schulze erarbeitet von Sybille Ohly und Peter Schmitt. Bd. 1f., Berlin 1994ff.
94 6.2
Ralf Plate
Forschungsliteratur
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Das Mittelhochdeutsche Wörterbuch
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Ralf Plate
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Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe
Gerda Haßler
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe Überlegungen zur Methodologie und ihrer lexikographischen Relevanz 1 1.1 1.2 2 2.1
1
Anliegen und Erkenntnisinteresse Konzeptualisierung in Texten Der eingeschränkte Retrospektionshorizont linguistischer Wörterbücher Der onomasiologische Ausgangspunkt Retrospektive und authentische Begriffe
2.2 2.3 3 3.1 3.2 4
Die onomasiologische Methode Textserien und begriffsprägende Texte Der Aufbau des Lexikons sprachtheoretischer Grundbegriffe des 17. und 18. Jahrhunderts Makrostruktur Mikrostruktur Literatur
Anliegen und Erkenntnisinteresse
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe ging aus einem DFG-geförderten Projekt, dem Onomasiologischen Lexikon Sprachtheoretischer Grundbegriffe des 17. und 18. Jahrhunderts (OLSG), hervor. Sein Grundanliegen wurde bereits in einem der Onomasiologie gewidmeten Heft von Lexicographica (21/2005) beschrieben (vgl. Haßler 2005). Hier werden wir uns auf Überlegungen zu seiner Erstellung beschränken, die möglicherweise von genereller methodologischer Relevanz sind und die Problematik der historischen Lexikographie metasprachlicher Begriffe kennzeichnen. Gegenstand des Lexikons sind sprachbezogene Konzepte, in denen sich das Sprachdenken des 17. und 18. Jahrhunderts sowohl in synchroner Perspektive als auch in seiner Kontinuität gegenüber der Tradition, seiner epochenbezogenen Dynamik und als Konzeptualisierungsangebot für spätere Zeiträume darstellt. Es soll dabei berücksichtigt werden, wie dieses Konzeptualisierungsangebot später aufgenommen wird, inwiefern es Transformationen, Vergessensprozessen und Aufwertungen durch traditionskonstituierende Legitimation unterzogen wurde. Im Vordergrund steht jedoch die Rekonstruktion der authentischen Konzepte in ihren Text- und Argumentationszusammenhängen. Wenn heutige Arbeiten zur Historiographie der Sprachwissenschaft weitgehend ohne Berücksichtigung der Forschungspraxis der Linguistik und der Erkenntnisinteressen der Sprachtheorie durchgeführt werden und sich nur im Ausnahmefall linguistischer Methoden bedienen, so wurde in dem Projekt in zweifacher Hinsicht ein anderer Weg gewählt: (1) Sprachbezogene Konzepte, die in der heutigen Sprachwissenschaft durch Schulenbindungen festgelegt und an bestimmte Referenztexte als Autoritäten gebunden sind bzw. im Verlauf wissenschaftshistorischer Prozesse vergessen, tabuisiert oder ausgegrenzt wurden, wurden in ihrer historischen Transparenz untersucht. Damit wird ein Beitrag zur Erweiterung des Fragehorizonts im Hinblick auf sprachbezogene Themen geleistet. (2) Die onomasiologische Methode wurde für einen neuen Gegenstandsbereich, den der ‚sprachbezogenen KonDOI 10.1515/lexi.2007.006
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Gerda Haßler
zepte‘ genutzt und weiterentwickelt. Es handelt sich dabei um einen Gegenstandsbereich, der nicht nur wissenschaftshistorisch relevante, sondern auch objektbezogene Einsichten verspricht.
1.1
Konzeptualisierung in Texten
Ausgangspunkt des Projekts war die Unzulänglichkeit der bisherigen lexikographischen Hilfsmittel als Unterstützung für das Verständnis von Texten aus der Geschichte der Sprachwissenschaft. Betrachten wir zum Beispiel den folgenden Textausschnitt, so stehen keine lexikographischen Hilfsmittel zur Verfügung, um Wörter wie Reichthum, Nachdrücklichkeit, Kürze, gemächliche Thätigkeit, Deut1ichkeit, Gewandtheit, Wohlklang, Organ außerhalb des Kontextes als metasprachliche Termini zu semantisieren: Sprache, als das Mittheilungs-Organ unsrer Begriffe und Empfindungen, erreicht ihre Bestimmung alsdann, wenn sie Begriff und Empfindung dem jedesmaligen Bedüfnisse des Geistes gemäss, darstellt. Da der Begriffe und Empfindungen, besonders eines gebildeten Geistes, so viele und mannichfaltige sind, und, nach der Menge und Mannichfaltigkeit derselben, die intellectuelle Vortrefflichkeit des Geistes geschätzt wird: so ist der Reichthum an Worten und Wendungen, wodurch Begriffe und Empfindungen bezeichnet werden, einer der Hauptvorzüge der Sprache. Die Darstellung der Begriffe und Empfindungen durch die wörtliche Bezeichnung muss ferner der Fülle und dem Umfange dieser geistigen Operationen entsprechen, und die Begriffe mit aller Wahrheit und Vollständigkeit, die Empfindungen nach dem jedesmaligen Grade ihrer Stärke und Innigkeit, ausdrücken. Diese Eigenschaft der Sprache heisst: die Nachdrücklichkeit (Energie). Der Geist geht bei jeder bestimmten Kraftäusserung einen gewissen raschen Gang; alles, was ihn nicht fördert, hindert ihn. Er will lieber viel Kraft in wenig Zeit, als wenig Kraft auf viel Zeit verwenden. Daher ist ihm auch in der Entwickelung seiner Ideen die Kürze, die mehr Worte und Begriffe gleichsam in Einen Punkt zusammendrängt, angenehmer, als die Weitschweifigkeit, die dieselben auseinander dehnt. Da die Sprache, in starken oder heftigen Bewegungen besonders, Begriffe und Empfindungen, und also auch bei der Darstellung derselben, den Ausdruck durch Worte, zusammendrängt: so schliessen wir die Eigenschaft der Kürze als schicklichsten dem Abschnitt von der Energie an. Der bestimmte Hang unsers Geistes bei allen seinen Kraftäusserungen, und also auch bei, der Sprache, ist eine gewisse gemächliche Thätigkeit, wodurch der intellectuelle sowohl, als der sinnliche Theil seiner Natur, auf eine ihm angenehme Weise ins Spiel gesetzt wird. Zuviel Ideen, auf Einmal dargestellt, überladen, zuwenig – langweiligen ihn. Das Mittel zwischen jener Ueberladung, und dieser Leere – trifft die Deut1ichkeit, wodurch Begriffe und Empfindungen so leicht und so schnell, als möglich, in die Seele übertragen werden. Der Deutlichkeit schliessen wir sogleich die Gewandtheit an, als den Vorzug einer Sprache, nach welchem jeder Begriff und jede Empfindung, ohne Mühe, zweckmässig dargestellt und gleichsam mit Leichtigkeit gehandhabt werden kann. Eine Sprache kann sehr glücklich für die Deutlichkeit gebildet sein, und doch der Gewandtheit mangeln, (obgleich Gewandtheit immer zugleich auch Deutlichkeit mit sich führt.) Da endlich der Sinn des Gehörs das Organ ist, durch welches die Rede in die Seele fliesst, und der Geist selbst durch den Eindruck der äussern Sinne empfindlich gerührt wird: so ist der ausdruckvolle und harmonische Zusammenklang der Sylben und Worte mit den darzustellenden Ideen und Empfindungen, dem Geiste eben so vortheilhaft zur Beförderung des Nachdrucks und der Deutlichkeit der wörtlichen Bezeichnung, als dem Gefühle angenehm. Daher gehört auch der Wohlklang mit zu den wesentlichen Vorzügen einer Sprache. Durch die genannten Eigenschaften des Reichthums, des Nachdrucks, der Deutlichkeit und des Wohlklanges erfüllt die Sprache alle die Forderungen, welche der Philosoph nach Massgabe der intellectuellen und sinnlichen Kraftäusserungen des Geistes, in so fern diese auf die Rede Bezie-
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe
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hung haben, an eine Sprache überhaupt machen kann. Durch die Vereinigung aller dieser Eigenschaften wird sie also (was sie durch ihre Bestimmung sein soll) das vollkommenste Werkzeug zu dem Ausdrucke unserer Begriffe und Empfindungen. (Jenisch 1796: 3–5. Hervorhebungen im Original)
Für den heutigen Leser hinterlässt der Textausschnitt den Eindruck großer Vagheit, obwohl sich der Autor hier an die vier seit der Sprachbetrachtung der Humanisten geläufigen Kategorien des wertenden Sprachgebrauchs anlehnt: Klarheit, Energie, Reichtum und Wohlklang. Gegenüber dem klassischen Begriffsgefüge perspicuitas, energeia, abundantia und harmonia war im 17. und 18. Jahrhundert eine Vielzahl von Bezeichnungen für Vorzüge einer Sprache entstanden, die unterschiedliche Blickrichtungen akzentuierten. Die Bezeichnungen für positive Wertungen sind dabei weitaus häufiger als die Benennung von Mängeln einzelner Sprachen. Neben der grundsätzlichen Eignung für die Kommunikation wird im 18. Jahrhundert auch die Möglichkeit, kognitive Prozesse positiv zu beeinflussen, zu einem wesentlichen Moment bei der Bestimmung der Vorzüge von Sprachen. Die Benennungen der Vorzüge und Mängel werden überwiegend auf systematische Eigenschaften von Sprachen bezogen, jedoch auch die Sprachverwendung konnte mit ihnen gewertet werden. Die Gründe für den Eindruck der Vagheit des zitierten deutschen Textes liegen auf zwei Ebenen. Einerseits entstanden metasprachliche Texte im Rahmen unterschiedlicher gelehrter Aktivitäten und waren nicht an den Sprachgebrauch einzelner, noch vor ihrer eigentlichen Konstituierung befindlicher Wissenschaften gebunden. Dem entsprechen auch die häufig essayistische Form, die von Definitionen meist absieht, und die noch nicht abgeschlossene Terminologisierung vieler sprachtheoretischer Begriffe (vgl. auch Haßler 2003). Andererseits ist gerade in deutschen Texten häufig bemerkbar, dass man sich noch nicht auf ein Wort für die Übersetzung des lateinischen Terminus festgelegt hatte und unterschiedliche Varianten, teilweise im selben Text, aber auch mit der Absicht der Etablierung von Bedeutungsnuancen verwendet wurden. Mit der Verwendung von Deut1ichkeit, Nachdruck, Reichtum und Wohlklang hatte sich Jenisch zwar eng an die lateinischen Kategorien der perspicuitas, energeia, abundantia und harmonia angelehnt, dabei aber doch eigene Akzente gesetzt. Die Klarheit (perspicuitas) spaltet er auf in eine Deutlichkeit und eine Gewandtheit, die teilweise zueinander im Widerspruch stehen, sich aber auch bedingen. Die Deutlichkeit bestimmt er als das richtige Maß an sprachlichen Mitteln, mit dem Begriffe und Empfindungen so leicht und so schnell, als möglich, in die Seele übertragen werden. Die Gewandtheit akzentuiert das Leichte und Mühelose in der Darstellung, stellt also gewissermaßen einen höheren Grad an Deutlichkeit dar. Die Nachdrücklichkeit genannte Energie der Sprache erklärt Jenisch auf der Basis des Einwirkens auf die Sinne, weshalb jede rohe Sprache eine kultivirte an Nachdruck und Kraft übertreffe. Die ursprünglichen, natürlichen Sprachen, die aus Onomatopoetika und Wurzelwörtern bestehen, seien elementare Formen von Energie, die sich allerdings auf die grobsinnlichen Ideen- und Empfindungskreise beschränken würden. Abstraktionen, Artikel, feine Verbindungs- und Uebergangspartikeln stellt Jenisch in einen Gegensatz zur Energie. Da die Sprachen sich jedoch vom ursprünglichen, energiereichen Zustand entfernt haben, sucht Jenisch die Nachdrücklichkeit in den modernen Sprachen auf verschiedenen Ebenen. Den lexikalischen Nachdruck sieht er in der Verwendung der Wörter mit ursprünglicher Bedeutung. Da sich die Bedeutungen der Wörter durch Metaphorisierung vom ursprünglichen, sinnliche Wahrnehmungen bezeichnenden Inhalt entfernt haben, ist ein Verlust an
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Gerda Haßler
Nachdruck der Sprachen zu verzeichnen, der durch die Wiederbelebung der sinnlichen Bedeutung ihrer Wörter wieder ausgeglichen werden soll. Den Nachdruck im grammatischen Bau nennt Jenisch grammatikalische Energie. Auch sie gehe im Verlauf der Sprachentwicklung mit der Einführung der Artikel, Hülfs-Verbindungs und Uebergangswörter verloren. Die lebhafte Einbildungskraft und erschütterte Leidenschaft ginge mit der Ausbreitung der Funktionswörter verloren. Zum grammatikalischen Bau, in so fern er auf den Nachdruck der Sprache Beziehung hat, zählt Jenisch auch die Wortstellung, zu der er die intensive Diskussion des 18. Jahrhunderts zur Kenntnis genommen hat (vgl. Ricken 1978 und 1984). Eine regelmässige und natürliche Syntax erklärt er für die Deutlichkeit als notwendig. Er räumt dabei ein, dass man im Interesse der Harmonie (Wohlklang) durchaus von der festen Wortfolge abweichen könne, man reiße damit aber Worte und Ideen auseinander, was zu einem höheren Aufwand beim Hörer oder Leser führe, der sie wieder zusammen ordnen müsse. Als dritte Form der Energie einer Sprache nimmt Jenisch eine Energie der Sprache durch die charakteristische Energie der Nation und ihrer Original-Schriftsteller an. Hier bezieht auch er die Ebene des Gebrauchs in die Betrachtung der Vollkommenheitskriterien von Sprache ein. Die Anwendung der klassischen Kriterien auf die Charakteristik von Sprachen als Voraussetzungen der Sprachverwendung ist im 18. Jahrhundert vorherrschend, wird jedoch auch durch die Bezugnahme auf den Gebrauch der Sprache und damit auf rhetorische Kriterien durchsetzt. Das Beispiel sollte verdeutlichen, dass es im 18. Jahrhundert durchaus Versuche einer terminologischen Verwendung allgemeinsprachlicher Wörter in metasprachlichen Texten gab. Derartige Versuche definitorischer Festlegungen von Wortbedeutungen auf sprachbezogene Begriffe konnten von anderen Autoren aufgegriffen werden und somit einen normativen Status erhalten. Die damit in Gebrauch geratenen Bedeutungen stellen deutlich einen Mehrwert gegenüber dem Allgemeinsprachlichen dar, der in lexikographischen Werken bisher nicht erfasst wurde.
1.2
Der eingeschränkte Retrospektionshorizont linguistischer Wörterbücher
Doch auch in Wörterbüchern der linguistischen Terminologie wird man die Wörter, die bei Jenisch metasprachliche Begriffe bezeichnen, nicht finden. Das trifft sogar auf den Begriff der ‚Arbitrarität des sprachlichen Zeichens‘ zu, der im 17. und 18. Jahrhundert weit verbreitet war. Seit vierzig Jahren liegt mit Coserius Studie ein fundierter historischer Längsschnitt zu diesem Begriff vor, der unter anderem für das 17. und 18. Jahrhundert durch stärker textuell basierte und von daher das Beziehungsgefüge besser berücksichtigende Untersuchungen zu ergänzen wäre. Mit der Aufspaltung des aristotelischen Begriffes in non natura sed ad placitum und der damit gegebenen Möglichkeit, eine der beiden Seiten zu betonen und sogar zu isolieren, erscheint jedoch der Ausgangspunkt späterer begrifflicher Entwicklungen erfasst. Um so erstaunlicher ist es auf den ersten Blick, dass in den Formulierungen in Lexika der sprachwissenschaftlichen Terminologie unter dem Stichwort arbiträr/Arbitrarität in der Regel Saussure als Ausgangspunkt genannt wird, obwohl dieser ausdrücklich feststellte, an eine Tradition anzuknüpfen. Darüber hinaus variiert die inhaltliche Bestimmung sehr stark und lässt sich durchaus partiell den von Coseriu genannten Richtungen zuordnen. Die folgenden Zitate aus Wörterbüchern der Sprachwissenschaft sollen dies verdeutlichen:
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe
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Arbitrarität [lat. arbitrium >Willkür< – Auch: Beliebigkeit, Konventionalität, Unmotiviertheit, Willkürlichkeit]. Grundlegende Eigenschaft von sprachlichen →Zeichen, die besagt, daß zwischen dem Bezeichnenden (= Lautbild, Zeichengestalt) und dem Bezeichneten eine beliebige, nicht naturnotwendige, d.h. abbildende Beziehung besteht. Je nach sprachtheoretischem Ausgangspunkt bezieht sich diese »Willkürlichkeit« entweder auf das Verhältnis von sprachlichen Zeichen und außersprachlicher Realität oder auf das Verhältnis von sprachlichem Zeichen und seiner Bedeutung. F. De Saussure [1916] bezieht A. auf das Verhältnis von Lautbild ( = image acoustique) und Vorstellung ( = concept) und belegt die Beliebigkeit dieser Verbindung durch die Tatsache, daß dasselbe Objekt der Realität von Sprache zu Sprache verschieden benannt wird. (Bußmann 1990: 94–95) arbiträr: e. arbitrary. Charakterisierung des Verhältnisses von Form und Inhalt sprachlicher Zeichen, die nicht →onomatopoetisch (lautmalend wie z.B. "kikeriki") sind; die Phonemfolge gibt keinen Aufschluß über Bedeutung; d.h. Phonemfolgen können in verschiedenen Sprachen bei gleicher Gestalt Verschiedenes bedeuten; erstmals deutlich von Saussure herausgestellt. (Burgschmidt 1976: 16) arbitrariness: The absence of any physical correspondence between linguistic signals (such as words) and the entities in the world to which they refer. There is nothing in the way the word table is pronounced or written which physically resembles the thing ‘table’. The opposite view is sometimes maintained, with evidence adduced from onomatopoeic and other symbolic uses of sound. See also Nominalism; Onomatopoeia; Sound Symbolism. (Crystal 1992: 26) Dans la théorie saussurienne, l’arbitraire caractérise le rapport qui existe entre le signifiant et le signifié. La langue est arbitraire dans la mesure où elle est une convention implicite entre les membres de la société qui l’utilisent; c’est dans ce sens qu’elle n’est pas «naturelle». Le concept qu’exprime un mot comme corde n’a aucun rapport de nécessité avec la suite des sons [kord] ou la graphie corde. La preuve en est que les langues aussi voisines que le français et l’italien ont pour désigner des objets identiques des mots entièrement différents [...] Arbitraire exclut dans cette acception la possibilité pour le sujet parlant de faire dépendre de sa volonté personnelle le choix de la forme exprimant tel signifié ou le choix d’un signifié pour telle forme. [...].(Dubois 1994: 46–47) Arbitrarität (lat. arbitrium >Willkür<. Auch: Unmotiviertheit, Willkürlichkeit) Auf F. de Saussure (1857–1913) zurückgehende Bez. für die Beliebigkeit des sprachl ✴Zeichens. Das sprachl. Zeichen ist willkürl. geschaffen, es gibt keinen naturgegebenen Zusammenhang zwischen dem Lautkörper des Zeichens und dessen Inhalt. Es besteht keine natürliche Zusammengehörigkeit von ✴Signifikant (Bezeichnendem) und ✴Signifikat (Bezeichnetem). Ausnahmen bilden die sog. ✴Onomatopoetika (lautmalerische Wörter, z.B. dt. Kuckuck frz. coucou, lat. cuculus, ital. cuculo, bulgar. kukuvica). Die Bedeutungszuordnung erfolgt jedoch nicht in dem Sinne arbiträr bzw. unmotiviert, daß sie für jeden einzelnen Sprecher beliebig ist, sondern sie wird durch Konventionen innerhalb einer ✴Sprachgemeinschaft geregelt. Die A. des sprachl. Zeichens ist somit durch seine soziale Determiniertheit eingeschränkt; ✴Konventionalität. Lit. F. de Saussure, Cours de Linguistique générale. Paris 1916. Dt.: Grundfragen der allgemeinen Sprachwiss. Bln. 1931, 21967. (Glück 1993: 52) Arbitrarität, auch Willkürlichkeit od. Beliebigkeit: Grundeigenschaft des Zeichens, derzufolge zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem kein natürlich notwendiger innerer Zusammenhang besteht. Zum Beispiel ist die Wahl der Lautkomplexe zur Bezeichnung der Gegenstandsklasse ‘Baum’ nicht durch die Natur dieser Gegenstände bedingt, wie die unterschiedlichen Bezeichnungen in verschiedenen Sprachen bezeugen (vgl. russ. gepelo, lat. arbor, engl. tree usw.). “Arbiträr” wird in der Linguistik gewöhnlich mit “unmotiviert” gleichgesetzt, obwohl dies nicht unbedingt der Fall sein muß (vgl. Motivation). (Bartschat/Conrad 1985)
Während Bußmann eine (hier nicht vollständig wiedergegebene) inhaltlich sehr differenzierte synchronische Analyse des Arbitraritätsbegriffs gibt, außer Saussure allerdings keine
102
Gerda Haßler
historischen Bezugstexte nennt, ist die Darstellung bei Burgschmidt historisch falsch verortet und begrifflich vereinseitigt, insofern nur die Beziehung zwischen Phonemfolge und Signifikat als ‚arbiträr‘ erfaßt wird, was selbst dem Saussureschen Arbitraritätsbegriff nur partiell gerecht wird. Im Vordergrund steht die differentiell-oppositive Abgrenzung des Arbitraritätsbegriffs gegenüber dem Lautsymbolismus, allerdings ohne jeglichen Bezug auf Referenztexte, auch bei Crystal. Glück nennt den scheinbaren Ausgangstext gleich im ersten Satz als Bezugsgröße, im Unterschied zur Hervorhebung fehlender Naturnotwendigkeit der Lautqualität betont er jedoch den Gesichtspunkt sprachlicher Konvention und hebt ihn ausdrücklich von individueller Willkürlichkeit ab. Dabei ist interessant, dass sich gerade diese Argumentation in frühen Texten zum Arbitraritätsbegriff (z.B. Condillac, Essai sur l’origine des connaissance humaines [1746]) ausführlich und fast gleichlautend findet. Möglicherweise hat hier eine argumentative Tradition im Umfeld sprachtheoretischer Grundbegriffe über spätere paradigmensetzende Referenztexte hinaus gewirkt. Geradezu irreführend ist wegen des Nahelegens einer sprachgenetischen Aussage die von Glück gewählte Formulierung willkürlich geschaffen, die (in dieser Beziehung zu unrecht) wiederum auf Saussure bezogen und weiter mit der fehlenden Lautsymbolik fortgesetzt wird. Es schließt sich allerdings ein Hinweis auf die nicht individuell willkürliche, sondern sozial bestimmte Relation zwischen Signifikat und Signifikant an. Die klare Orientierung auf den Cours de Linguistique générale zeigt sich in Bartschat/ Conrad in Gestalt einer engen Anlehnung an Saussures Text, bei der sogar auf jegliche Namensnennung verzichtet wird. Andere Theoriebindungen des Arbitraritätsbegriffs als die Referenz auf Saussures Cours de Linguistique Générale sind in Wörterbüchern sprachwissenschaftliche Terminologie durchaus nicht ausgeschlossen, aufgrund der Abweichung vom Retrospektionshorizont1 der gegenwärtigen Sprachwissenschaft jedoch eher erklärungsbedürftig und von daher in der Regel noch enger auf einen ganz bestimmten theoretischen Rahmen bezogen. So entwickelt John N. Mattock den Arbitraritätsbegriff in Ashers Encyclopedia of Language and Linguistics (1994) ausgehend vom mathematischen Begriff arbiträrer Objekte in Anlehnung an Fine (Reasoning with Arbitrary Objects, 1985) und an die Montague-Grammatik. Das Beispiel sollte verdeutlichen, dass die Explikation sprachtheoretischer Grundbegriffe in gegenwartsbezogenen Lexika sprachwissenschaftlicher Termini den „Anfangsverdacht“ dafür liefern kann, dass die gängige Bezugnahme auf Referenztexte historisch zu kurz greift und durch epochenbezogene historische Rekonstruktion ergänzt werden muss. Im gegebenen Fall liefert der Referenztext selbst einen klaren Hinweis. Saussure kennzeichnet seinen Arbitraritätsbegriff keinesfalls als innovativ, er ist sich vielmehr der langen Tradition des Arbitraritätsgedankens durchaus bewusst und betrachtet ihn sogar als allgemein anerkannt.2 Allerdings betont er ausdrücklich, dass dem arbiträren Zeichencharakter bisher noch nicht die dominierende Rolle in Sprachtheorien zugestanden wurde, die ihm eigentlich zukomme. Von dieser neuen Stellung im begrifflichen Netzwerk gesehen scheint es nicht unberechtigt, dem Cours de linguistique générale tatsächlich eine paradigmatische Rolle zuzugestehen und ihn als Ausgangspunkt der Entwicklungen im 20. Jahrhundert zu betrachten. Dass eine komplementäre historische Rekonstruktion gerade für die von uns zu betrachten-
1 2
Zum Begriff des Retrospektionshorizonts vgl. Auroux 1996. Saussure 1967–68: 152. Vgl. auch Haßler 1991: 168ff.
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe
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de Epoche erforderlich ist, lässt sich jedoch exemplarisch mit folgenden, auch von Coseriu (1967) nicht berücksichtigten Formulierungen erkennen: Enfin il y a une grande équivoque dans ce nom d’arbitraire; quand on dit que la signification des mots est arbitraire. Car il est vrai que c’est une chose purement arbitraire que de joindre une telle idée à un tel son plutôt qu’à un autre; mais les idées ne sont point des choses arbitraires; et qui dépendent de notre fantaisie, au moins celles qui sont claires et distinctes. Et pour le montrer évidemment, c’est qu’il serait ridicule de s’imaginer que des effets très réels pûssent dépendre des choses purement arbitraires. (Arnauld/Nicole [1662] 1965: I, 33) Les Mots, par un long & familier usage, excitent, comme nous venons de le dire, certaines idées dans l’esprit si réglément & avec tant de promptitude, que les Hommes sont portés à supposer qu’il y a une liaison naturelle entre ces deux choses. Mais que les mots ne signifient autre chose que les idées particulières des Hommes, & cela par une institution tout-à-fait arbitraire, c’est ce qui paroît évidemment en ce qu’ils s’excitent pas toujours dans l’esprit des autres, (lors même qu’ils parlent le même Langage) les mêmes idées dont nous supposons qu’ils sont les signes. (Locke 1755: Buch III, 327)3
Der Vergleich derartiger Konzeptualisierungen, die sich bereits des Terminus arbitraire bedienten und die auch über das 17. Jahrhundert hinaus in ihrer Kontinuität belegt werden können, mit den oben genannten Wörterbuchdefinitionen verdeutlicht, dass zwar unterschiedliche Beziehungsgeflechte und begriffliche Netzwerke hergestellt werden, aber eine für die Herstellung von Beziehungen hinreichende Kontinuität auch über die Bezeichnungskontinuität hinaus besteht. Die Unterschiede, die wir zwischen den Darstellungen in den einzelnen Terminologiewörterbüchern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts feststellen mussten, sind zum Teil beträchtlich größer als die zwischen der Saussureschen Begrifflichkeit und den Arbitraritätskonzepten Lockes oder der Logik von Port-Royal.
2
Der onomasiologische Ausgangspunkt
2.1
Retrospektive und authentische Begriffe
Eine begriffliche Arbeit, die sich auf eine vom gegenwärtigen objektbezogenen Denken entfernte Epoche bezieht, muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie retrospektiv vorgeht oder die Rekonstruktion der authentischen Begriffe der beschriebenen Epoche beabsichtigt. Leitbegriffe der Gegenwart wie ‚pragmatisch‘, ‚funktional‘, ‚generativ‘, ‚modular‘, ‚kognitiv‘, ‚strukturell‘ können die Komplexität der Problem-Begriff-Verschränkung illustrieren, insofern es sich auch hier um authentische Selbstbeschreibungen, nicht um polemische oder tendenziöse Fremdbeschreibungen handelt. Auf unseren Gegenstand bezogen bedeutet dies die Beantwortung der Frage, inwieweit heute gültige objektbezogene Aussagen über Sprache, die in einer oder mehreren Theorien begrifflich verankert sind, zum Ausgangspunkt der Untersuchung werden sollten oder ob im Sinne einer Vermeidung jeglicher teleologischer Perspektivierung ausschließlich eine Rekonstruktion von Begriffen aus
3
Wir zitieren nach der europaweit wirksameren französischen Übersetzung von Coste.
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Gerda Haßler
dem Sprachdenken des 17. und 18. Jahrhunderts erfolgen sollte. Diese Alternative bewegt sich nahe an dem historischen Paradoxon, das sich aus dem Verhältnis der beiden folgenden Prämissen ergibt: – –
Aussagen einer Wissenschaft sind, sofern sie objektbezogen argumentativ von Belang sind, frei von zeitlicher Verankerung. Die Historiographie einer Wissenschaft gelangt zu Aussagen, deren Wahrheitswert indifferent gegenüber dem objektbezogen argumentativen Wert im wissenschaftlichen Denken ist.
Wissenschaftsgeschichtliche Forschungen betreffen nicht Eigenschaften der Sprache, sondern den Diskurs, der solche Forschungen zum Gegenstand hat. Eine objektbezogene Aussage ist jedoch nicht immer transparent; sie ist als Ausdrucksform immer von ihren Äußerungsbedingungen abhängig. Vorrangige Aufgabe des Wissenschaftshistorikers ist es, diese Äußerungsbedingungen für Rezipienten zu rekonstruieren, die nicht mehr über dieselben Ausdrucksformen verfügen und keinen Anteil mehr an deren Entstehungssituation haben. Jeder Erkenntnisakt ist ein historisches Faktum, seine Existenzform ist nicht die ideale Zeitlosigkeit der logischen Ebene der Entfaltung der Wahrheit. Aufgrund seiner historischen Begrenztheit hat das Wissen einen Retrospektionshorizont und einen Projektionshorizont.4 Die Wissenschaft zerstört ihre Vergangenheit nicht, sondern sie organisiert sie, wählt aus, vergisst, deutet, idealisiert, ebenso wie sie ihre Zukunft antizipiert und konstruiert. Die Besonderheit historiographischer Arbeit gegenüber dem Vorgehen des einfach an seiner Fachgeschichte interessierten Wissenschaftlers ist gerade in der Rekonstruktion des Entstehens von Theorien und Positionen in Kontexten zu sehen. Für diese Aufgabe wird sehr zu Recht Interdisziplinarität angemahnt (Schmitter/van der Wal 1998). Die Korrektur von retrospektiven Faktenselektionen und durch den Mainstream erhobenen Verdikten wird notwendigerweise auch zur Akzentuierung vergessener oder marginalisierter Wissensbestände führen. Wenn wir uns das Ziel stellen, Konzeptualisierungen im Sprachdenken vor der Zeit der Institutionalisierung der Sprachwissenschaft zu betrachten, und dabei nicht ausschließen, dass eine solche Arbeit auch zu einem Verständnis der Ausgangspunkte und Grundlagen heute stark divergierender begrifflicher Festlegungen in einzelnen Schulen und Richtungen der Sprachwissenschaft beitragen kann, ist sowohl eine retrospektive Sicht als auch eine ausgehend von der beschriebenen Epoche prospektive Sicht impliziert. Trotz eines ständigen Wandels begrifflicher Inhalte lässt sich auch für den metsprachlichen Bereich eine relative Kontinuität an Grundstrukturen und Relationen feststellen. Kosellek hat dies für die allgemeine Begriffsgeschichte mit folgenden Worten festgestellt: „Man kann Begriffsgeschichte(n) als Wandel von Bedeutungen und Pragmatiken nur thematisieren, wenn man weiß, daß eine ganze Menge anderes sich gleich bleibt und also repetitiv ist“ (Kosellek 2006: 60). Dies darf selbstverständlich nicht zur Feststellung linearer Kontinuitäten führen, die weder die Entstehungsbedingungen noch das relationale Gefüge des einzelnen Begriffes berücksichtigen. Basis einer Inbezugsetzung über die zeitliche Verankerung hinweg sind vielmehr hinreichend allgemeine Fragestellungen, die tendenziell zu vergleichbaren Ant-
4
Auroux 1996: 31: horizon de rétrospection, horizon de projection.
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worten führen. Wir bevorzugen zur Charakterisierung derartiger Fragestellungen und Lösungsansätze die Bezeichnung Konzeptualisierungen, um die Prozesshaftigkeit der beschriebenen Erscheinung zu charakterisieren, zu der eine statische Begriffsbeschreibung nur Elemente beitragen kann, die ihrerseits durch die Untersuchung in ihren historischen Entstehungsbedingungen und Relationen transparent werden müssen. Neben der zeitlichen Dimension, in der Begriffe sich entwickelten und veränderten, muss auch die räumliche Dimension beachtet werden, die in der Geschichte de Sprachwissenschaft lange nicht hinreichend berücksichtigt wurde (Auroux 2006:106). Begriffe werden in Traditionen überliefert und bei Integration in andere Kulturen angepasst. Nicht nur durch den Objektbereich der Sprachen in ihrer geographischen Variation, sondern auch durch das Instrumentarium der Beschreibung selbst sind Unterschiede im begrifflichen Bereich bedingt. Als Voraussetzungen wollen wir annehmen, dass Begriffe Wissenseinheiten sind, die Erscheinungen und Objekte aufgrund von Merkmalen zu Klassen zusammenfassen und deren Beziehung zu anderen Klassen von Erscheinungen bestimmen. Während Erscheinungen in der Zeit wechseln, fassen Begriffe generalisierend und subsumierend zusammen. Die dabei repräsentierten Beziehungsgeflechte und funktionalen Zusammenhänge können mit einem hinreichenden Allgemeinheitsgrad beschrieben werden, um auch bei größeren wissenschaftsgeschichtlichen Veränderungen Gemeinsamkeiten in Fragestellungen und Antworten festzustellen. Die Suche nach authentischen Begriffen einer Epoche lässt die Merkmale, die der Klassenbildung zugrunde liegen, transparent werden, begründet sie in ihrer historischen Gebundenheit und bestimmt den Stellenwert des Begriffs im zeitgebundenen Netzwerk. Retrospektiv geht begriffsgeschichtliches Arbeiten dann vor, wenn von den begriffskonstituierenden Merkmalen ausgegangen wird, die den objektbezogenen Einsichten einer bestimmten Zeit entsprechen, und nach vergleichbaren früheren Konzeptualisierungen gefragt wird. Die retrospektive Betrachtung kann dazu beitragen, hinreichend allgemeine Merkmale für Konzeptualisierungen festzustellen, sie darf dabei allerdings nicht in den Fehler verfallen, einen zeitlich gebundenen ‚Maßstab‘ an frühere Epochen des Sprachdenkens anzulegen. Mitunter fallen authentische Begriffe aufgrund des Fehlens geläufiger lexikalischer Formen erst bei einer solchen Sicht als Fragestellungen auf. So wird man Ende des 18. Jahrhunderts vergeblich nach einer Entsprechung für die Termini Fokussierung und Topikalisierung suchen, die diesem Begriff entsprechende Fragestellung erscheint jedoch unter der wenig spezifischen Benennung Nachdruck in Daniel Jenischs bereits als Beispiel betrachteter Philosophisch-kritischer Vergleichung und Würdigung von vierzehn ältern und neuern Sprachen Europens (1796) und wird sogar in ihrem Beziehungsgeflecht zu anderen Konzeptualisierungen vorgeführt (grammatikalischer Bau, Wortstellung, Syntax, Sprache vs. (Strom der) Rede) (vgl. oben 1.1): Zu dem grammatikalischen Bau, in so fern er auf den Nachdruck der Sprache Beziehung hat, gehört vorzüglich auch die Wortstellung (Syntax). Sind die Gesetze derselben für jeden Fall durchaus bestimmt und unabänderlich, wie z. B. in der Französischen Sprache: so kann der Geist da, wo es der Strom der Rede und die Heftigkeit der Empfindung erfordert, daß der Gegenstand aus der Masse der Ideen besonders herausgehoben und dem Auge nahe gebracht werde, und wo ofte das, was in dem ruhigen Flusse der Rede das erste Wort seyn würde, das letzte seyn muß, und umgekehrt; – so kann er hier Empfindung und Leidenschaft nicht mit aller der Fülle und nach allen den Nüanzen in der Sprache darstellen, als er’s ohne dieß würde thun können. (Jenisch 1796: 26/27)
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Wie das Beispiel nahe legt, führt die retrospektive Blickrichtung außerdem bereits in die Nähe des onomasiologischen Ansatzes. Die entsprechende Fragestellung könnte hier lauten: Wie wurde die heute als Topikalisierung bekannte Verschiebung von Satzgliedern aufgrund ihres Mitteilungswertes Ende des 18. Jahrhunderts konzeptualisiert und wie wurde das entsprechende Konzept benannt? Die Frage nach der Konzeptualisierung wäre auflösbar in folgende Teilfragen: – – –
Wurden sprachliche Erscheinungen aufgrund des Merkmals ‚Verschiebung mit Veränderung des Mitteilungswerts‘ zu einer Klasse zusammengefasst? Gab es geläufige, gegebenenfalls sogar spezifische Benennungen dieser Klasse? Welche Beziehungsgeflechte und funktionalen Zusammenhänge werden zu anderen Klassen hergestellt?
Die Art der Fragestellung verdeutlicht, dass wir kognitive Prozesse bei der Begriffsbildung in den Mittelpunkt stellen und die onomasiologische Frage nicht auf eine Auflistung authentischer Bezeichnungen für einen feststehenden Begriff reduzieren. Die Zusammenfassung aufgrund von Merkmalen kann sich im Konzeptualisierungsprozess auch in einem vorbegrifflichen Stadium feststellen lassen, das sich sprachlich mit unspezifischen oder paraphrasierenden Bezeichnungen verbinden kann. Die Begriffsprägung selbst wird mit der Festlegung auf in der Regel eine Bezeichnung jedoch nicht abgeschlossen, da sich das Beziehungsgefüge, in dem der Begriff steht, erst später festigen oder neu konstituieren kann. Selbst eine Veränderung in den konstitutiven Merkmalen der Begriffsbildung ist dabei möglich. In unserem Beispiel wird mit Nachdruck eine sehr unspezifische Bezeichnung für die Veränderung des Mitteilungswertes eines Satzgliedes gewählt, die jedoch durch ihre expliziten Relationen in einem signifikanten Beziehungsgefüge steht. Der grammatische Bau wird als übergeordnet und nur partiell auf den Nachdruck beziehbar eingeführt, während Wortstellung in unmittelbare Beziehung gesetzt und in Klammern mit Syntax erklärt wird. Deutlich wird auch eine Beziehung des Nachdrucks zum Strom der Rede hergestellt.
2.2
Die onomasiologische Methode
Die mehrfach begründete Notwendigkeit einer begriffsgeschichtlichen Fundierung wissenschaftshistorischer Forschungen wirft die Frage nach einer geeigneten Methode auf. Die onomasiologische Lexikographie ist eine durch besondere Stabilität gekennzeichnete Tradition, die seit den Glossaren der frühen Schriftkultur eine nicht abreißende Kette von Wortlisten, Thesauren oder topikalen Wörterbüchern hervorgebracht hat. Diese Tradition ist in den letzten Jahren selbst Gegenstand wissenschaftshistorischer Forschungen geworden (vgl. Hüllen 1994, Lexicographica 21/2005). Zweifellos ist eine semasiologische Untersuchung der Voraussetzungen, die Bezeichnungen für die Festigung und Weitervermittlung von Begriffen haben, für das Anliegen des Lexikons unumgänglich. Sie hat die authentischen Bedeutungen eines Begriffsträgers oder eines anderen an Konzeptualisierungen beteiligten Wortes als Potential zu analysieren. Allein ausgehend von einer Bedeutungsanalyse des deutschen Wortes Nachdruck am Ende des 18. Jahrhunderts ließen sich die in unserem Beispiel gegebenen Verhältnisse jedoch nicht erklären.
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Ausschlaggebend für die Entscheidung für eine onomasiologische Fragestellung und eine entsprechende Anlage der Ergebnisform war weiterhin die Tatsache, dass gerade angesichts der im 19. und 20. Jahrhundert erfolgten Professionalisierung der Sprachwissenschaft und der Ausdifferenzierung einzelner Schulen eine Relationierung historischer Lemmata des 17. und 18. Jahrhunderts mit Begriffen oder gar mit kontinuierlich fortbestehenden Fragestellungen und Konzepten schwierig, in vielen Fällen sogar ausgeschlossen ist. Für die methodologische Anlage des Projekts wird jedoch angenommen, dass sich in den unterschiedlichen Phasen der Arbeit onomasiologische und semasiologische Betrachtungsweise ergänzen müssen. Wenn Karl Vossler 1919 die Onomasiologie oder Bezeichnungslehre gegenüber der bis dahin bevorzugten Semasiologie als „einen der größten Fortschritte der Sprachwissenschaft kennzeichnete, [...] dessen Tragweite sich noch kaum ermessen lässt“ (Vossler 1919: 43), so ist damit eine präzise methodologische Festlegung gemeint, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet und die gerade um die Jahrhundertwende zu zahlreichen materialintensiven Einzelstudien geführt hatte. Quadri betont in seinem entwicklungsgeschichtlichen Abriss die universelle und sprachvergleichende Ausrichtung dieser Methode, die den Blick auf die Ausdrucksmöglichkeiten des Begriffs in den verschiedensten Sprachgebieten richtet (Quadri 1952: 4). Dennoch ist die Entwicklung der onomasiologischen Methode wesentlich durch romanistische Arbeiten geprägt, bevor sie bei Germanisten und Indogermanisten, später auch in anderen Philologien Fuß fasste und sich dabei teilweise veränderte. Wenn auch die Methoden im einzelnen voneinander abweichen, so kann doch gesagt werden, dass die Bezeichnungslehre (Onomasiologie) auf einer Synthese von Diachronie und Synchronie beruht. In den älteren, vorwiegend diachronisch aufgebauten Arbeiten werden Bezeichnungen mit Blickrichtung vom ursprünglichen (für die romanischen Sprachen also lateinischen) Sprachzustand zum modernen untersucht. Dabei geht es um die Frage, wie sich altes (z.B. lateinisches) Wortgut unverändert oder verändert erhalten hat oder aber in welchem Umfang es durch Neuschöpfungen ersetzt wurde. Die später vorherrschende Betrachtungsweise besteht in der Verschmelzung der horizontalen Perspektive der Sprachgeographie und der vertikalen im Sinne der Sprachgeologie, wobei in gleicher Weise dem modernen Sprachzustand als dem Gewordenen wie dem Entwicklungsprozess selbst Rechnung getragen wird. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hatten sich zahlreiche Einzelstudien angehäuft, in denen die Bezeichnungen eines Begriffes diachronisch oder im synchronischen Vergleich untersucht wurden. Onomasiologisch in diesem Sinne sind bereits die Aufsätze von Jacob Grimm unter den Titeln Das Wort des Besitzes, Ueber die Namen des Donners, Friedrich Bechtels Untersuchung der Verben des Schmeckens, oder Berthold Delbrücks Abhandlung über die indogermanischen Verwandtschaftsnamen. Auch das mit Friedrich Diez‘ Romanischer Wortschöpfung (1875) implizierte Programm lässt sich retrospektiv als onomasiologisch betrachten. Diez sucht Antworten auf die Frage „Wie hat der Sprachgenius mit dem römischen Erbtheil geschaltet“ und er kommt zu einer Einteilung in 27 Begriffsklassen, bei denen es sich um eine Auswahl von konkreten und abstrakten Substantiven handelt. In romanistischen Arbeiten am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich onomasiologisches Herangehen aus der zunächst dominierenden Semasiologie heraus als deren komplementäre Methode (Tappolet, Zauner, Merlot). Auf der Suche nach einem geeigneten Namen für diese der Semasiologie komplementäre Methode schlägt Ernst Tappolet in sei-
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Gerda Haßler
ner Arbeit Über die romanischen Verwandtschaftsnamen (1895) den Ausdruck vergleichende Lexikologie vor, der sich allerdings nicht durchsetzte. Die Probleme, deren Lösung diese neue Sprachbetrachtung anstreben sollte und die durchaus bereits als umfassendes Programm einer Onomasiologie betrachtet werden können, werden in folgender Formulierung umschrieben: Im Vordergrund steht für sie die Grundfrage: wie drückt die Sprache einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes den gegebenen Begriff aus? d.h. hat sie den von einer früheren Periode überkommenen Ausdruck beibehalten oder hat sie ihn durch eine Neuschöpfung ersetzt? Im ersten Fall: hat sie ihn mit oder ohne Umänderung in Form und Inhalt beibehalten? Im zweiten Fall: auf welche Weise, mit welchen Mitteln hat sie neue Bezeichnungen geschaffen? Wann und wo sind sie aufgetreten? Und wieder drängt sich dem, der in erster Linie nur beobachten will, die ewig brennende Frage des „Warum“ auf; woher dieser Wechsel in der Ausdrucksweise ein und desselben Begriffs? Oder ist es vielleicht gerade deshalb nicht mehr derselbe Begriff, weil er anders ausgedrückt wurde? (Tappolet 1895: 4)
Mit der Frage nach dem Warum des Bezeichnungswandels wird die Onomasiologie bereits in frühen Arbeiten in einen kulturhistorischen Zusammenhang gestellt, dessen Potential jedoch bis in die Gegenwart nicht ausgeschöpft wurde. Dies wurde auch durch den Einfluss zweier neuer Richtungen innerhalb der Sprachwissenschaft nicht grundsätzlich korrigiert. Die eine der beiden betrifft die Wortgeschichte. Diese soll sich nicht auf die Analyse der lautlichen Veränderungen beschränken, sondern auch die Veränderungen des damit bezeichneten Gegenstandes mit einbeziehen. Nach der von dem Indogermanisten Rudolf Meringer und dem Romanisten Hugo Schuchardt entwickelten Methode sollte das Studium der Wörter nicht von der Erforschung der Sachen getrennt werden. Die andere bahnbrechende Neuerung war die von Jules Gilliéron begründete Sprachgeographie, die unmittelbar den Kontakt zwischen Forschung und lebender Sprache herstellt. Wenn die Onomasiologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre Arbeitsweise wesentlich verfeinern konnte, so verdankt sie dies dem glücklichen Umstand, dass sie alle entscheidenden sprachwissenschaftlichen Fortschritte dieser Zeitspanne auszunützen verstand (vgl. Quadri 1952: 82). Die weitere Entwicklung der Bezeichnungslehre steht im Zeichen des Ausbaus der bisherigen Methoden nach allen Richtungen. Damit stößt die Onomasiologie in Gebiete vor, die sprachlich bisher kaum ernsthaft erforscht wurden (Volksglaube, Brauchtum). Neben den kulturell wichtigen Begriffen, bei denen die Sprache vor allem ihre nivellierende Mitteilungsfunktion ausübt, werden nun auch jene nebensächlichen Dinge des Alltags Gegenstand bezeichnungsgeschichtlicher Untersuchungen, deren Namen von den Einflüssen der Verkehrssprache unberührt in der privaten Sprache eine umso größere Vielfalt besitzen. Differenzierter muss die onomasiologische Methode vor allem dort vorgehen, wo es keine sachlich vorgegebenen Begriffsraster gibt. Begriffe wie ‚dreschen‘, ‚Mühle‘, ‚Korn‘, ‚Schlitten‘, ‚Pflug‘ lassen eine rein sachlich onomasiologische Bearbeitung zu, bei anderen drängt sich eine psychologisch vertiefte Betrachtung auf (‚Kind‘, ‚Dummkopf‘, ‚Nesthäkchen‘, ‚Geck‘, ‚Armut‘, ‚Eifersucht‘). Der Geltungsbereich der onomasiologischen Methode schien einerseits durch das Aufwerfen der Relevanzfrage angesichts immer spezieller und ausgefallener werdender Untersuchungsthemen5 zunehmend eingeschränkt, andererseits jedoch auch durch die Hinwen5
Vgl. z.B. Christiane Budahn, Die Bezeichnungen der Johannisbeere und der Stachelbeere im
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe
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dung zu der Frage, ob die Sprachen wirklich nur Begriffe bezeichnen oder möglicherweise an der Begriffsbildung selbst beteiligt sind. Ansatzpunkte für eine Erneuerung der onomasiologischen Fragestellung in der Lexikographie ergaben sich vor allem mit dem von R. Hallig und W. von Wartburg entworfenen Begriffssystem als Grundlage der Lexikographie (1952). Einflussreich war insbesondere im deutschen Sprachraum auch das 1933 erstmals erschienene nicht-alphabetische Wörterbuch Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen von Dornseiff, mit dem sich auch Hallig und Wartburg auseinandersetzten. Durch das Begriffssystem von Hallig und Wartburg wurde auch eine Diskussion über das Verhältnis von Begriffen und Wortbedeutungen ausgelöst. Begriffe wurden als objektive und außersprachliche Einheiten, die sich in eine strukturierte Welt einfügen, aufgefasst und dem „Begriffssystem“ oder den „Sachgruppen“ zugrunde gelegt. Der Vorteil der ‚sachbezogenen‘ Anordnung wurde dabei vor allem in der Möglichkeit gesehen, das Sprachgut einer oder mehrerer Sprachen, je nach System, in ihren diastratischen, diatopischen und zugleich diaphasischen Entwicklungsvarianten aufzulisten. Dies ermöglicht allerdings die Erfassung des Nebensinns und des Gefühlswertes nur dann, wenn die Bezeichnungswörter in ihren verschiedenen geschichtlichen Entwicklungsstufen nicht als bloße Aufzählung nebeneinanderstehen. Die sachlich-systematische Anordnung setzt die Existenz einer partiellen Begriffspyramide oder eines logischen Relationssystems voraus. Die diachronische Untersuchung der Sachgruppen trägt schließlich dazu bei, die Wörter in ihrer sprachgeschichtlichen und semantischen Veränderung zu erfassen. Auf dieser Grundlage wird es möglich, die Frage zu beantworten, inwieweit die systematische Gliederung bestimmte begriffliche Strukturen wiedergibt und inwieweit sie sich von ihnen abhebt. Ein Charakteristikum der onomasiologischen Methode in ihrer Kontinuität ist eine sehr flexible Beziehbarkeit auf semantische Theorien, die seit den fünfziger Jahren zu zwei Wiederbelebungen geführt hat, die zu beachtlichen Ergebnissen führten. Die erste Renaissance der onomasiologischen Methode verbindet sich mit Versuchen, Ergebnisse der Feldmethode auf sie zu beziehen und dadurch den vorwiegend punktuellen Charakter früherer onomasiologischer Forschungen zu überwinden. Betrachtet man die von Quadri (1952) beschriebene Entwicklung der Onomasiologie, so überwiegen tatsächlich Arbeiten, die konkrete Gegenstände behandeln, davon wiederum überwiegend naturgegebene (Pflanzen, Tiere, Arbeitsgeräte). Der Anteil der Beiträge über geistig-kulturelle Begriffe ist gering, und nur bei wenigen ist wirkliches Bemühen um kulturhistorische Zusammenhänge feststellbar. Dieser Bereich wurde sehr erfolgreich von der Feldmethode besetzt, der eine Zusammenführung der aus der Humboldt-Tradition hervorgegangenen inhaltbezogenen Sprachbetrachtung und der aus Saussures Paradigmatisierung des Wertbegriffs hervorgegangenen strukturellen Sprachbetrachtung gelungen war. Trotz der in den fünfziger und sechziger Jahren heftig geführten Debatte um die Berechtigung von Onomasiologie oder Feldmethode, wurde letztlich die onomasiologische Methode gerade dadurch in ihrem Fortbestehen und ihrer Relevanz gefördert, dass sie Elemente der Feldmethode aufnahm (vgl. Ricken 1961 a, b und c). Dabei war zunächst eine genauere und stabilere Bestimmung des Verhältnisses von Begriff und Bedeutung erforderlich, für
Galloromanischen. Diss. Berlin, Weimar 1939, 78 S.; S. Sturm, Die Begriffe Sumpf und Pfütze im Galloromanischen. Versuch einer onomasiologischen Darstellung, Diss. Leipzig, 1938, VII–84 S.; E. Poppe, Zu den Namen der Bachstelze im Italienischen und Französischen, ZRPh 56 (1936), 392–404.
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Gerda Haßler
die nunmehr auch bessere Voraussetzungen im Bereich der Semantik bestanden. Sobald kulturgeschichtliche Begriffe als Ausgangspunkt onomasiologischer Untersuchungen gesetzt werden, ergibt es keinen Sinn, bei Vergleichen zwischen Sprachen oder Sprachzuständen simple Entsprechungen zu erwarten. Die kulturgeschichtliche Bindung der Begriffe und ihre Differenzverhältnisse schließen jedoch eine onomasiologische Vergleichbarkeit nicht aus: Wenn von onomasiologischen „Begriffen“ auch auf kulturgeschichtlichem Gebiet gesprochen werden könnte, dann wohl nur in dem Sinne, daß darunter jeweils eine Anzahl Wörter mit eng verwandten und zusammengehörigen Bedeutungen zusammengefaßt werden, Wörter, die einen gemeinsamen begrifflichen Inhalt haben. So ließen sich zum Beispiel science, savoir, connaissances, érudition u.a., früheres clergie, doctrine, lumières usw. unter dem Begriff „Gelehrsamkeit“ oder „gelehrte Kenntnisse“ – der Name ist nicht das Entscheidende – zusammenfassen. Allen diesen Wörtern ist gemeinsam, daß sie unmittelbar „Gelehrtheit“ ausdrücken, Bezeichnungen für „Gelehrtheit“ sind. In den Bedeutungsnuancen dieser Wörter untereinander widerspiegeln sich unterschiedliche Aspekte oder Formen der „Gelehrtheit“, deren jeweilige Kennzeichnung eben diese Wörter sind. Die aus dem Zusammenspiel solcher Bezeichnungen zu erzielenden Aufschlüsse würden mit einer vom einzelnen Wort ausgehenden Betrachtungsweise nicht aufgedeckt werden können. Eben daher kommt es der Onomasiologie darauf an, nicht einzelne Wörter an sich, sondern möglichst mehrere zusammengehörige Bezeichnungen zu behandeln, die bestimmten Begriffen gemeinsam zugeordnet sind. (Ricken 1961a: 10)
Die Notwendigkeit der Onomasiologie als Komplement zur Semasiologie als der auch für diesen Wortschatzbereich seit langem etablierten Methode, wird somit in der Orientierung auf Zusammenhänge gesehen, letztlich in der Frage nach Strukturen und deren Grundlagen, auf die die Linguistik generell eine Antwort suchte. Die Onomasiologie blieb auch in dieser Frage flexibel und integrierte den Ansatz der Feldmethode, der vor allem in der Bestimmung des zugrundeliegenden Begriffsrasters bestand. Nach den konsequentesten Ausprägungen der Feldmethode grenzen sich die einzelnen Wörter gegenseitig ab und teilen ein begriffliches Feld vollständig, lückenlos und ohne Überschneidungen untereinander auf. Die Onomasiologie ist aufgrund ihrer methodologischen Prämissen nicht darauf angewiesen, diese Zuspitzung vorzunehmen, kann jedoch den begriffsprägenden Einfluss sprachlicher Abgrenzungen durchaus integrieren. Dies geschieht in erster Linie durch eine Teilung von Bedeutungen und Begriffen in kleinste Einheiten, wobei das Ideal der Onomasiologie weiter eine noematische (vgl. Heger 1963: 1976), das heißt außersprachliche Bestimmung der begrifflichen Bestandteile als Ausgangspunkt bleibt. Entscheidend bereichert wurde die onomasiologische Methode auch durch die Arbeiten zum Frühneuhochdeutschen Wörterbuch (vgl. Reichmann 1994), die dem Anliegen unseres Lexikons methodologisch insofern nahe stehen, als es sich um ein Sprachstadienwörterbuch handelt, das eine Zugangsmöglichkeit von der Gegenwartssprache her sucht. Diese Arbeiten sahen sich mit der Situation konfrontiert, dass man auf onomasiologische Fragen in semasiologischen Sprachstadienwörterbüchern keine unmittelbare Antwort findet. Dies gilt auch für den Fall, dass in die semasiologische Anlage pro Bedeutung onomasiologische Information eingehängt wird, etwa in Gestalt einer Aufzählung von Synonymen, Antonymen, Hyperonymen und Hyponymen. Sobald einem historischen (etwa frühneuhochdeutschen) Lemma Ausdrücke der gleichen Sprachstufe zugeordnet werden, ist eine Zuordnung aufgrund heute für den entsprechenden Begriff oder die Sache gültiger Sprachzeichen erschwert. Wenn das historische Lemmazeichen keine Fortsetzung in der heutigen Standardsprache findet, wenn es besonderen, z.B. dialektalen, sozialen oder fachlichen Gebrauchs-
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einschränkungen unterliegt, ist eine Relationierung mit dem entsprechenden gegenwartssprachlichen Zeichen besonders erschwert. Auch in Fällen hoher ausdrucks- und inhaltsseitiger Konstanz, wie bei den Lexemen Acker oder Apfel (Reichmann 1994: 232) wird bei semasiologischer Aufbereitung des Sprachmaterials dem Nachschlagen ein Suchen nach dem Prinzip ‚Versuch und Irrtum‘ zugemutet. Das Ziel onomasiologischer Aufbereitung historischer Sprachstadienwörterbücher besteht dagegen in der „Schaffung eines schnell und möglichst unproblematisch handhabbaren Nachschlagewerkes, dessen Makrostruktur aus einer Folge von alphabetisch angeordneten, als Lemmazeichen fungierenden, gegenwartssprachlichen Ausdrücken besteht und dessen Mikrostruktur diejenigen Ausdrücke bilden, die zu den Lemmazeichen nach Ausweis des gerade aufbereiteten semasiologischen Wörterbuches in bestimmten lexikalischen Relationen stehen“ (Reichmann 1994: 233). Mit der verstärkten Entwicklung kognitiver Methoden in der Linguistik erfuhr auch die onomasiologische Methode eine Erneuerung. Auf dieser Basis untersuchten Andreas Blank und Peter Koch Typen des Bedeutungswandels (Vgl. Koch/Blank 2003). Dafür ist eine kohärente Theorie semantischer Veränderungen erforderlich, die auch lexikographisch angewendet werden kann. Ein besonderes Problem stellt dabei die genaue Beschreibung der einzelnen semantischen Veränderungen dar, die ein Etymon im Verlauf der Sprachgeschichte erfahren konnte. Gerade für die Lösung dieses Problems wird ein onomasiologischer Ausgangspunkt vorgeschlagen. Auf diese Weise wird es für den jeweils betrachteten Begriff möglich, die Prozesse zu beschreiben, die zur Entstehung neuer Bezeichnungen in bestimmten Sprachen geführt haben. Die onomasiologische Betrachtungsweise hat dabei einen doppelten Vorteil, insofern sie ein Sich Verlieren in der Vielfalt der Formen und Bedeutungen von Wörtern verhindert und es andererseits erlaubt, die komplexe Analyse besonders interessanter Begriffsfelder in Angriff zu nehmen, ohne sofort die Gesamtheit des Wortschatzes einzubeziehen. Ziel ist es, kognitive Bezeichnungskonstanten zu finden, die den romanischen Völkern gemeinsam und vielleicht sogar universell sind. Mit dem Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe erfährt die onomasiologische Methode insofern eine Ausweitung, als eine Anwendung auf die metasprachliche Dimension erfolgt. Dabei treffen die bei der Untersuchung geistig-kultureller Begriffe gewonnenen Erfahrungen genauso zu. Allerdings kommt mit der Metasprachlichkeit größere Bewusstheit hinzu, die sich auch in der Bezeichnungswahl ausdrücken kann.
2.3
Textserien und begriffsprägende Texte
Nach der Bestimmung des onomasiologischen Ausgangspunktes ließe sich die Forschungsaufgabe rein lexikalisch-semantisch als Suche nach Bezeichnungen für die als relevant vorausgesetzten Begriffe im 17. und 18. Jahrhundert bestimmen. Damit könnte jedoch in zweifacher Hinsicht eine unzulässige Vereinfachung verbunden sein: – Für die relevanten Konzepte der Sprachdiskussion und Beschreibung von Sprachen im 17. und 18. Jahrhundert kann in vielen Fällen nicht von Terminologisierungen ausgegangen werden. Selbst wo Termini aus der lateinischen Grammatiktradition übernommen wurden, ist gerade deren Modifikation und Neubestimmung für das Sprachdenken der Epoche interessant. – Gerade die Wechselwirkung zwischen Konzeptualisierungsprozessen und deren sprachlichen Formen stellt ein interessantes Forschungsfeld dar, das nicht im Interesse versimplifizierter
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Gerda Haßler lexikalischer Fassbarkeit in seiner kognitiven Komplexität verkürzt werden sollte. Wir wenden also die onomasiologische Fragestellung in einem weiten Sinne an, der ausdrücklich nicht nur lexikalische Benennungen oder Paraphrasierungen eines Begriffes erfassen lässt, sondern davon ausgeht, dass bestimmte Stufen der Konzeptualisierung nicht über Nomination (der Begriff X wird a, b oder c genannt), sondern erst über die Berücksichtigung der Prädikation (eine zu dem Begriff X führende Eigenschaft wird mit d, e oder f prädikativ verbunden) erfasst und beschrieben werden können.
Ausgehend von den genannten Prämissen ergibt sich, dass für das Projekt relevante Untersuchungen an Texten durchgeführt werden müssen. Texte, in denen bewusst Konzeptualisierungsprozesse gestaltet werden, nennen wir in diesen Zusammenhängen begriffsprägende Texte, und zwar zunächst unabhängig davon, ob sich die begriffsprägende Absicht auch in einer entsprechenden Rezeption des Textes niederschlägt. Dass sich die Absicht, neue Begriffe zu prägen, d.h. Abgrenzungen von bestehenden Begriffen vorzunehmen, diese lexikalisch zu fixieren und in ein semantisches System einzupassen, bestimmter Texte bedienen muss, ist am ehesten einleuchtend. Wir betrachten einen Text jedoch auch dann als begriffsprägend, wenn er durch eine Serie von Texten bereits vorbereitete Konzeptualisierungen auf besonders wirkungsvolle Weise benennt oder in die weitere Rezeption einbringt. Texte, deren begriffsprägende Rolle sich auch in der nachfolgenden Rezeption bestätigt, bezeichnen wir als Referenztexte für nachfolgende Konzeptualisierungen. Stellt sich dabei heraus, dass diese im wesentlichen in Kontinuität zu den wesentlichen begrifflichen Merkmalen im Referenztext stehen, bezeichnen wir diesen auch als Intertext für die nachfolgende Textserie, die das Ausgangskonzept verbreiten, variieren oder an jeweils neue Bedingungen anpassen kann. Gerade begriffsprägende Texte sind durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet, die sich weniger syntaktisch als begrifflich manifestiert. Wie ein dichtes, bisweilen mit recht sperrigen Knoten geknüpftes Netz durchziehen die mittels Nach-, Um- und Neubildung gewonnenen Konzepte den Text. Konzepte entstehen dabei nicht nur durch die den Begriffen explizit beigefügten Definitionen und Paraphrasen, sondern vor allem durch die Logik ihrer diskurskontextuellen Organisation (Vgl. Aschenberg/Aschenberg 1998: 84). Die Einbettung in den argumentativen Zusammenhang trägt maßgeblich zur konzeptuellen Fixierung bei. In der Regel bedienen sich begriffsprägende Texte auch schon im 17. und 18. Jahrhundert bestimmter Verfahren der Terminologiebildung: Neologismen, Terminologisierung von gemeinsprachlichen Lexemen durch Umdeutung des Signifikats, Entlehnungen mit grammatischer und gegebenenfalls syntaktischer Adaptation der Signifikanten an die Zielsprache. Auffällig ist dabei nicht allein das Auftreten solcher Prozesse als solches, sondern ihre Frequenz und Intensität. Insbesondere können in Analogie zu Termini in anderen Sprachen kreierte Benennungen einem Text ein besonderes Gepräge verleihen. Typischerweise bedienen sich solche Texte definitorischer Sätze und kontrastiver Merkmalszuschreibungen, die ebenfalls den Charakter des Normativen unterstreichen. Es ist wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, auf diskursive Formationen zurückzugreifen, in denen das Wort seinen jeweiligen Ort hat. Wie wirken jedoch mit begriffsprägender Absicht produzierte Texte in der Sprachgeschichte und welche Bedingungen sorgen dafür, dass bestimmte Texte oder Textserien tatsächlich das begriffliche Gefüge und damit auch lexikalisch-semantische Verhältnisse verändern? Offensichtlich handelt es sich hier um eine Frage, für die bisher wenig konkrete Fallstudien vorliegen, was dem
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe
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Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe des 17. und 18. Jahrhunderts neben der wissenschaftshistorischen Zielstellung auch eine Aufgabe im Bereich methodologischer Grundlagen der Begriffsgeschichte zuweist. Die methodologische Unterscheidung zwischen Wort- und Begriffsgeschichte hilft einer Tatsache gerecht zu werden, die Stierle als unterschiedliches Entwicklungstempo der Ausdrucks- und Bedeutungsseite der Sprache beschreibt: „Signifiant und signifié, Wortkörper und Bedeutungskontinuum, haben andere Tempi, in denen sich ihr Wandel vollzieht. Der relativen Stabilität des signifiant steht die Dynamik der Bedeutungen gegenüber. Während die Lautgestalt sich nach relativ sicheren und überschaubaren Regeln im Geschichtsraum der ‚longue durée‘ verändert, steht die Dimension der Bedeutung zugleich in einem historischen Raum der longue durée, insofern als vergangene Bedeutungen nicht ohne weiteres verlorengehen, und in einem historischen Ereignisraum insofern, als aus den gegebenen Bedeutungen sich immer neue Bedeutungen nach einer großen Vielfalt von Übergangsmöglichkeiten bilden können“ (Stierle 1979: 169). Zum konservativen Wesen der Wortbedeutungen gehört auch, dass Diskurse der Vergangenheit nicht einfach überholbar und nicht einfach ohne Verlust aus dem Kollektivgedächtnis der Diskursgemeinschaft entfernbar sind. Die vergangene Bedeutung ist immer noch eine gegenwärtige Bedeutungsmöglichkeit (vgl. Stierle 1979: 178). Bedingung dafür, dass die vergangene, an Schrift gebundene Bedeutung sich aus der Latenz heben und neu aktivieren lässt, ist lediglich, dass die signifiant-Seite des Wortes dem gegenwärtigen Sprachbewusstsein noch präsent und von ihm akzeptiert ist. Durch seine asymmetrische Kommunikationssituation überspielt das geschriebene Wort immer schon die Trennung von Synchronie und Diachronie. Vergangene Bedeutung ist nicht einfach ‚überholte‘ Bedeutung, die neue Bedeutung übernimmt vielmehr eine komplementäre Rolle. „Gerade weil dies aber so ist, gibt es Ideologien der Sprachverwendung, mit denen alternative Bedeutungsinnovationen durchgesetzt werden sollen. Der Streit um Worte ist zumeist ein Streit um Reizworte, die ideologische Programme ‚semiotisch‘ zusammenfassen und zugleich markierte Kontinuitätsbrüche in der Bedeutung intendieren.“ (Stierle 1979: 179) Den begriffsprägenden Texten stellen wir die Textserien gegenüber, für die folgende Definition vorgeschlagen wird (vgl. Haßler 2000): Eine Textserie ist eine Menge gedruckter Texte oder Manuskripte, die denselben Gegenstand im selben epistemologischen Rahmen behandeln und dabei dasselbe Ziel unter vergleichbaren Bedingungen verfolgen. Hinzu können soziale Beziehungen zwischen den Produzenten solcher Texte kommen, außerdem Bedingungen des akademischen Betriebs und Normen der Textproduktion. Die Untersuchung von Textserien lässt den dynamischen Charakter wissenschaftshistorischer Prozesse transparent werden, die über den Horizont des einzelnen Werkes oder Forschers hinausgehen. Oft kann man gerade in den von auctores minores geschriebenen Textserien mögliche Tendenzen der Wissenschaftsentwicklung erkennen. In der Konstituierung von Textserien sind soziokulturelle Bedingungen zu berücksichtigen, die sich unter anderem in der Art des Zitierens und der Integration in eine Tradition widerspiegeln. Andererseits können Textserien jedoch einen großen Text der Wissenschaftsgeschichte refunktionalisieren und ihm eine Überlebenschance in einem völlig neuen wissenschaftlichen Kontext geben. Gerade ein auf theoretischer Ebene wenig fixierter Text kann zu einer besonders intensiven Erneuerung der Theorie beitragen. Das Verändern des bisherigen Begriffsgefüges vollzieht sich allmählich und kann zu völlig neuen Konzepten führen.
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Gerda Haßler
Textserien und Referenztexte können dabei in unterschiedlichen funktionalen Verhältnissen zueinander stehen. Ein Referenztext kann durch Textserien konzeptuell, argumentativ und terminologisch vorbereitet werden. Er kann diese Textserien abschließen, damit ihr wissenschaftsgeschichtliches Vergessen einleiten oder die in den Textserien überlieferten Konzepte unter neuen Bedingungen für neue Fragestellungen verfügbar machen. Nachfolgende Textserien können die im Referenztext enthaltenen Konzepte verbreiten, aber auch vertiefen und modifizieren. Schließlich kann es Parallelserien zum Referenztext geben, die Lösungen für dasselbe Problem suchen.
3
Der Aufbau des Lexikons sprachtheoretischer Grundbegriffe des 17. und 18. Jahrhunderts
3.1
Makrostruktur
Das Lexikon gliedert sich nach Hierarchieebenen, die dem einführend erklärten Begriffsraster folgen. Die oberste Hierarchieebene besteht aus folgenden Bereichen: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
ONTOLOGIE / ZEICHEN / SPRACHE und DENKEN URSPRUNG / ENTSTEHUNG / ENTWICKLUNG EINHEIT / VIELFALT SPRACHVERWENDUNG GEGENSTAND DER SPRACHBESCHREIBUNG GRAMMATISCHE BESCHREIBUNG LEXIKALISCHE BESCHREIBUNG PHONETISCHE BESCHREIBUNG
Als Beispiel wird im Folgenden die Gliederung des ersten Begriffsbereichs aufgeführt, der den Schwerpunkt des Lexikons bildet: (1) 1. (2) 1.1. (3) 1.1.1. (4) 1.1.2. (5) 1.2. (6) 1.3. (7) 1.3.1. (8) 1.3.2. (9) 1.4. (10) 1.5. (11) 1.5.1. (12) 1.5.2. (13) 1.5.3. (14) 1.5.4. (15) 1.5.4.1. (16) 1.5.4.2. (17) 1.5.4.3 (18) 1.6. (19) 1.6.1.
ONTOLOGIE / ZEICHEN / SPRACHE und DENKEN Wesen der Sprache Beschäftigung mit dem Wesen der Sprache, Sprachtheorie natürliche Sprache Sprachfähigkeit vs. Einzelsprache menschliche Lautsprache vs. andere Zeichen Arbitrarität Konvention Zeichen vs. Idee (Begriff) Spracherwerb Erstspracherwerb Zweitspracherwerb Methode defizitärer Spracherwerb sozial defizitärer Spracherwerb (ausgesetzte Kinder) physisch defizitärer Spracherwerb (Gehörlose) kulturell defizitärer Spracherwerb (exotische Völker) Funktionen der Sprache (allgemeine) Mitteilung, Ausdruck des Denkens
Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe (20) 1.6.2. (21) 1.6.3. (22) 1.7. (23) 1.7.1.
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Darstellung / Vorstellung Hilfe des Denkens, kognitive Funktion Funktion (spezielle, bei Zuordnung sprachlicher Mittel unterschiedlicher Kategorien) Satzbeziehungsmittel
Auf der untersten, im Begriffsraster nicht mehr aufgeführten Hierarchieebene erfolgt die weitere Anordnung der Lemmata alphabetisch nach den für das Deutsche geltenden Regeln. Wortgrenzen werden bei der Anordnung der Lemmata nicht berücksichtigt. Da sich die Grundlemmata an konzeptuellen Einheiten, nicht an Wörtern orientieren, werden für sie keine grammatischen oder sonstigen lexembezogenen Hinweise gegeben. Lexematische Terminallemmata werden hingegen in deutscher Sprache mit Genussigle (und ggf. Pluralsuffix nach Tilde) rubriziert, soweit dies für nicht fachkundige Benutzer oder aufgrund der nicht mehr gegebenen Geläufigkeit der Bezeichnungen angezeigt erscheint. Konkurrierende Schreibungen werden durch runde Klammern angezeigt.
3.2
Mikrostruktur
Die Einträge zu den einzelnen Lemmata haben folgende Mikrostruktur: – –
– – –
–
BEGRIFF I. Schlüsselwörter des Bezeichnungsfeldes (lateinisch, deutsch, französisch, englisch; je nach Wichtigkeit der Konzeptualisierung in einzelnen Textsorten und Kulturräumen auch lateinische, spanische, italienische, portugiesische, russische, polnische, tschechische und niederländische Bezeichnungen). Bei der Auflistung der Bezeichnungen wird zwischen geläufigen, weitgehend kontextfreien Bezeichnungen und am Konzeptualisierungsprozess beteiligten, jedoch stark kontextgebundenen oder paraphrasierenden Bezeichnungen unterschieden. II. authentische Definitionen und Verwendungskontexte mit Angabe der Referenztexte und typischer Verwendungsweisen. Die Textstellen werden unter Angabe des Referenztextes hintereinander in chronologischer Reihenfolge aufgeführt. III. Darstellung des Begriffs und seiner Vernetzung im 17. und 18. Jahrhundert. Dabei wird auch auf Konzeptualisierungsprozesse, Terminologisierungen und Bezeichnungswandel eingegangen. IV. Kontinuität und Rezeption. Begriffliche und terminologische Weiterentwicklungen nach dem 18. Jahrhundert werden kurz dargestellt. Unter Rezeption wird ein eventuelles Rekurrieren späterer sprachwissenschaftlicher Theorien auf das dargestellte Konzept unter Einschluss von Umdeutungen, Einbau in Theorienlegitimation, Festlegung auf spätere Referenztexte – möglicherweise sogar unter Ausblenden des Sprachdenkens der betrachteten Zeit – beschrieben. V. Literaturhinweise. An dieser Stelle werden Hinweise auf weiterführende Literatur zum behandelten Begriff und seiner Historiographie gegeben.
Vor allem wird in der Auswertung der Quellen sowie in der Darstellung in den einzelnen Einträgen deutlich zwischen genus activum (wo einzelne Autoren für sich sprechen) und genus exegeticum (wo der Wissenschaftshistoriker beschreibt und analysiert) unterschieden. Ein genus mixtum (Mischung zwischen beiden) gibt es nur im Zusammenhang mit Problemlösungsprozessen in der Zuordnung zu den hinreichend allgemeinen Fragestellungen, die zu Konzeptualisierungen führen. Im Zusammenhang mit den Grund- und Leitbegriffen einer Wissenschaft fällt insbesondere ihr polemischer Charakter ins Auge. Dies trifft erst recht auf die mit vielfältigen emo-
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Gerda Haßler
tionalen, nationalen, politischen und soziokulturellen Bezügen belastete Sprachdiskussion im 17. und 18. Jahrhundert zu. Ein rhetorisch-polemischer Gehalt von Konzepten und ihren Vernetzungen lässt sich jedoch nur über die Untersuchung textueller Relationen erfassen. Im wissenschaftlichen Normalbetrieb geht der polemische Wert der Begriffe vielfach verloren, sie werden zu selbstverständlichen Größen mit Hintergrundcharakter (Knobloch 1996: 264). Daraus ergibt sich ihre Funktion als fachlich vorbildliche Problemlösungen, rhetorische Zurückweisung anderer Ansätze, Muster einer propagandistischen Außenwirkung. In der Rezeption von Konzepten und Lösungsansätzen kann die Relevanz eines stark dominierenden Problemhorizonts Passendes auslesen und Unpassendes ausblenden. Die bisherige geistesgeschichtliche Historiographie, in der allein die theoretischen Kontexte einander antworteten und Beziehbarkeiten stifteten, hat in vorbildlichen Einzelstudien der Vielfalt und der wechselnden Reichweite von Problemhorizonten durchaus Rechnung getragen (Knobloch 1996: 265). Der mit dem Lexikon auch beabsichtigte Beitrag zum Verständnis eines historischen Zeitraums wird jedoch eine Inbezugsetzung mit anderen Bereichen und Erscheinungsformen des Lebens im 17. und 18. Jahrhundert erfordern, die in die Begriffsbildungen unmittelbar über die Entstehungsbedingungen der Texte eingehen.
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Literatur
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Das Lexikon sprachtheoretischer Grundbegriffe
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Gerda Haßler
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Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
Sabine Bobenhausen/Dominik Brückner/Michael Mühlenhort
Das KLASSIKERWÖRTERBUCH – Versuch einer typologischen Einordnung
1 2
4.1.2
Einleitung Das KLASSIKERWÖRTERBUCH nach der Merkmalsliste von Reichmann (1984) Das KLASSIKERWÖRTERBUCH: Typologie nach Benutzungssituationen Das KLASSIKERWÖRTERBUCH und die Wörterbuchtypologie im Handbuch „Wörterbücher“ KLASSIKERWÖRTERBUCH und Autorenwörterbücher Korpuszusammensetzung und Geltung der Vollständigkeitsprinzipien im KLASSIKERWÖRTERBUCH Realisierung einiger Textsegmenttypen
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Einleitung
3 4 4.1 4.1.1
4.2 4.3 4.4 5 6 6.1 6.2
im Hinblick auf die Frage nach Literarizität von Wortschätzen und im Vergleich mit der Textsorte Kommentar KLASSIKERWÖRTERBUCH und textsortenbezogene Wörterbücher KLASSIKERWÖRTERBUCH und Archaismenwörterbücher KLASSIKERWÖRTERBUCH und Wörterbuch der schweren Wörter Ein erster typologischer Definitionsversuch Literatur Wörterbücher Forschungsliteratur
Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist ein in allen lexikographischen Arbeitsschritten digital erstelltes1 historisches Wörterbuch2 zur heute nicht mehr unmittelbar verständlichen Lexik in der „klassischen“ deutschen Dichtung des 18. und 19. Jahrhunderts. Als semantisches „Differenzwörterbuch“ behandelt es die lexikalischen Einheiten, die gegenüber dem heutigen Bedeutungswissen eine Änderung in der Semantik und/oder der Verwendung erfahren haben.3 Grundsätze der Korpusbestimmung, der Lemmaauswahl usw. wurden bereits an
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Textkorpus („Freiburger Klassikerkorpus“) und Lemmakandidatenliste sind vollständig digitalisiert, die Artikel werden in einem eigens entwickelten Redaktionssystem namens „Paula“ erstellt. Nach unserer Kenntnis und Auffassung hat die digitale Herstellungs- und Veröffentlichungsform von Wörterbüchern bisher zu keinen neuen typologischen Aspekten geführt. Eher besteht hier die Neuerung darin, dass bei entsprechender Aufbereitung der Daten jedem Benutzer durch die An- und Abwahl von im Wörterbuch vorhandenen Angaben die Möglichkeit gegeben werden kann, gewisse Aspekte in einer Wörterbuchsubstanz hervortreten zu lassen und so z. B. in der Benutzungssituation aus einem allgemeinsprachlichen Wörterbuch mit etymologischen Angaben (eingeschränkt) ein etymologisches Wörterbuch zu machen. In dem Sinne, dass eine historische Sprachstufe des Deutschen beschrieben wird (zur Mehrdeutigkeit des Ausdrucks „historisches Wörterbuch“ s. Wiegand 1998, 644–647). Zu den so ausgewählten Lemmakandidaten werden alle Bedeutungen in den Wörterbuchartikel aufgenommen, die im Korpus belegt sind, auch diejenigen, die das Differenzkriterium, das zur Lemmaauswahl geführt hat, nicht erfüllen. Im Korpus zufällig fehlende BedeutungsmöglichkeiDOI 10.1515/lexi.2007.007
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Sabine Bobenhausen/Dominik Brückner/Michael Mühlenhort
anderer Stelle ausführlich erläutert (Knoop/Brückner 2003). Auch eine Beschreibung von Mikrostrukturen im KLASSIKERWÖRTERBUCH liegt vor (Brückner 2004). Der vorliegende Beitrag ergänzt die bisherigen Veröffentlichungen durch eine typologische Einordnung des KLASSIKERWÖRTERBUCHs und seiner Konzeption in die deutsche Wörterbuchlandschaft. Dabei ist es nicht das Ziel, eine allgemeingültige Einteilung vorzunehmen oder jeden erwähnten Wörterbuchtyp in seinen eigenen Besonderheiten vollständig und angemessen darzustellen, sondern darum, durch den Vergleich mit anderen existierenden oder denkbaren Wörterbüchern das Konzept des KLASSIKERWÖRTERBUCHs deutlicher hervortreten zu lassen. Da es die eine Typologie nicht gibt bzw. nicht geben kann – Typologien entstehen immer abhängig von ihrer Funktion –, werden im Folgenden verschiedene bekannte typologische Ansätze herangezogen,4 um das KLASSIKERWÖRTERBUCH unter verschiedenen Gesichtspunkten darstellen zu können. Wo dies nötig erschien, wurden die typologischen Überlegungen durch methodische Aspekte ergänzt, da diese für eine Wörterbuchtypologie durchaus von Bedeutung sein können. Einleitend dienen die dreißig (teilweise komplementären) Merkmale als Grundlage, die Reichmann (1984) als Hilfsmittel für eine „Typologie historischer Wörterbücher“ formuliert hat, um typologisch relevante Eigenschaften des KLASSIKERWÖRTERBUCHs ohne Bevorzugung gewisser Merkmale5 und ohne Rücksicht auf andere Wörterbuchtypen zu benennen. Danach wird der für jedes Wörterbuchprojekt zentralen Frage nach der Ausrichtung auf antizipierte Nutzerinteressen Rechnung getragen und nach der Stellung des KLASSIKERWÖRTERBUCHs in einer „Typologie der Wörterbücher nach Benutzungsmöglichkeiten“ (cf. Kühn 1989) gefragt. Der Hauptteil dieses Beitrages besteht aus Vergleichen des KLASSIKERWÖRTERBUCHs mit einer Auswahl aus den Wörterbuchtypen, die im Handbuch „Wörterbücher“ auf Grundlage der von Hausmann (1989) entwickelten Typologie in eigenen Aufsätzen beschrieben wurden. Dabei haben wir uns auf diejenigen Wörterbuchtypen beschränkt, mit denen es konzeptionelle Berührungspunkte der Art gibt, dass wir durch deren Erörterung Machart und Eigenart des KLASSIKERWÖRTERBUCHs besonders gut verdeutlichen können. Wenn ein bestimmter Typ im Folgenden nicht erwähnt wird, heißt das nicht, dass es zu diesem Typ keinerlei Berührungspunkte gibt, und noch viel weniger, dass es im Herausgeberteam nicht schon Überlegungen zur weiteren Ausgestaltung eines „idealen“ KLASSIKERWÖRTERBUCHs gegeben hat (cf. Fn. 11), die zu Berührungen mit anderen Wörterbuchtypen führen würde. Bei diesen Vergleichen geht es auch nicht darum, das KLASSIKERWÖRTERBUCH einem bestimmten Typus endgültig zuzuordnen. Vielmehr gehen wir in diesem Aufsatz davon aus, dass jede Veränderung der Sichtweise auf ein Wörterbuch auch Auswirkungen auf die typologischen Zuordnungsmöglichkeiten hat. Dem trägt der Aufsatz Rechnung, indem er abhängig von den jeweils besprochenen Wörterbuchtypen abklärt, wel-
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ten, die für den Bearbeitungszeitraum aber typisch sind, werden im KLASSIKERWÖRTERBUCH in dafür vorgesehenen Kommentarpositionen angegeben. V. a. Reichmann (1984), Wiegand (1984), Kühn (1989), Hausmann (1989). Plate 2005, 12 bemerkt zu Recht, dass die „in der zweiten Auflage des Handbuchs ‘Sprachgeschichte’“ sich andeutende „Abwendung der Wörterbuchtheorie von der historischen Lexikographie beziehungsweise ihr Beharren auf dem Stand der Überlegungen der 1980er Jahre [...] bedauerlich“ ist. Dieser Aufsatz hat keine Ambitionen, hier Abhilfe zu schaffen. Auf diesen Unterschied zwischen einer Matrix, in der Merkmale von Wörterbüchern ohne Gewichtung verzeichnet werden (s. auch den folgenden Abschnitt), und einer Typologie hat Hausmann 1989, 969f. hingewiesen.
Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
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che Merkmale das KLASSIKERWÖRTERBUCH mit diesen Typen teilt, wo es sich unterscheidet und unter welchen Gesichtspunkten eine Zuordnung zu einem gewissen Typus sinnvoll sein könnte. Durch einen solchen typologischen Vergleich können die für das Konzept des KLASSIKERWÖRTERBUCHs zentralen Fragestellungen im Kontrast oder in der Übereinstimmung mit anderen Wörterbuchtypen in mancherlei Hinsicht besser verdeutlicht werden, als es eine bloße Beschreibung unseres Vorgehens und der Wörterbuchinhalte könnte.6 Dieser Beitrag ist nicht zuletzt nicht bloß eine Mitteilung an die Außenwelt über den Stand und die Ziele des Projektes, sondern er hat auch eine Funktion als wörterbuchinterne (meta-)lexikographische Selbstbestimmung.
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Das KLASSIKERWÖRTERBUCH nach der Merkmalsliste von Reichmann (1984)
Orientiert an der von Reichmann (1984) entwickelten Merkmalsliste zur Unterscheidung verschiedener Typen historischer Wörterbücher kann man für das KLASSIKERWÖRTERBUCH eine Reihe von Zuordnungen vornehmen, die eine erste Orientierung über seinen grundlegenden Aufbau und Inhalt ermöglichen:7 Die Konzeption des KLASSIKERWÖRTERBUCHs ist geschichtsbezogen (b), seine Lemmaanordnung ist alphabetisch (e), die Bedeutungsbeschreibungen sind semasiologisch orientiert (g; onomasiologische Hinweise sind möglich) und darstellungsbezogen (n).8 Das Erklärungsinteresse des KLASSIKERWÖRTERBUCHs ist synchron ausgerichtet (c), aber auch für den diachronen Aspekt (d) ist ein spezielles Kommentarfeld in der Mikrostruktur vorgesehen.9 Die im Korpus vorkommenden orthographischen
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In der Terminologie von Hausmann (1989) wird hier theoretische Typologie betrieben, indem ausgehend vom Merkmalsbündel des KLASSIKERWÖRTERBUCHs Teile der mehrdimensionalen Matrix der existierenden Wörterbücher jeweils unter anderen herausgehobenen Merkmalen vergleichend und abgrenzend in den Blick genommen werden. Im Folgenden in Klammern jeweils die bei Reichmann (1984) vergebenen Gliederungsbuchstaben; teilweise wurde die Reihenfolge geändert, um die Kriterien aus Sicht des KLASSIKERWÖRTERBUCHs anzuordnen. Für das KLASSIKERWÖRTERBUCH nicht zutreffende Merkmale werden stillschweigend übergangen. Bei Bedarf werden kognitions- (o), kommunikations- (p) oder symptomwertbezogene Angaben (q) gemacht, etwa bei bestimmten Wörtern oder Wortverwendungen, für die eine bloß darstellungsbezogene Bedeutungsbeschreibung nicht ausreicht (z. B. bei terminologischer oder ideologischer Wortverwendung oder ironisierenden Wortbildungen) oder – wie bei Schimpfwörtern – gar nicht möglich ist. Der kommunikative Aspekt der Wortverwendungen wird im KLASSIKERWÖRTERBUCH in den Kommentaren zur Bedeutungsbeschreibung berücksichtigt (Wer kann Adressat einer bestimmten Bezeichnung werden? Welche kommunikative Funktion hat eine mit einem Verb beschriebene Handlung im sozialen Kontext des Bearbeitungszeitraums?). Hier wird ermöglicht, auf das für das KLASSIKERWÖRTERBUCH zentrale Kriterium des Bedeutungs- und Verwendungswandels im Vergleich zum heutigen Deutsch explizit und in angemessenem Umfang einzugehen (somit können hier auch gegenwartsbezogene Angaben [a] gemacht werden). Dieses Feld („Angabetext zur Gebrauchsdifferenz“) und seine Stelle in der Mikrostruktur des KLASSIKERWÖRTERBUCHs konnte in Brückner (2004) noch nicht vorgestellt werden, weil es damals noch nicht Teil der Wörterbuchstruktur war. Als „Differenzkommentar“ wurde er öffentlich erstmals von Michael Mühlenhort in einem Vortrag auf dem „5. Arbeitstreffen deutschsprachiger
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Sabine Bobenhausen/Dominik Brückner/Michael Mühlenhort
Varianten (i) werden ebenfalls systematisch verzeichnet.10 Auf etymologische, flexions- und syntaxbezogene Aspekte (m, j, k) wird kommentierend zu den verschiedenen Artikelpositionen Bezug genommen, allerdings nicht systematisch, sondern nach den Erfordernissen einer angemessenen Bedeutungsstrukturierung und -beschreibung. Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist mit Bezug auf den Beschreibungszeitraum möglichst gesamtsystembezogen (r);11 dialektale, soziolektale, gruppenspezifische und idiolektale Besonderheiten (s-u, w) werden berücksichtigt, soweit diese im Korpus greifbar sind. Gleiches gilt für Textsorten- oder Einzeltextspezifika (v, x). Bei der Lemmaauswahl werden keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Erb- oder „Fremdwörtern“ (y, z; s. den Abschnitt 4.1. „KLASSIKERWÖRTERBUCH und Wörterbuch der schweren Wörter“) oder den Wortarten (β) gemacht. Die Beschränkung
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Akademie-Wörterbücher“ in Wien im Juni 2006 vorgestellt (eine leicht aktualisierte Fassung des Redemanuskripts wird demnächst erscheinen). Derzeit allerdings abhängig von den meist (nach alter Rechtschreibung von vor 1998) normalisierten Referenzausgaben des Korpus. Nach der typologischen Ausformulierung dieses Begriffes in Reichmann (1990c) könnte er auf das KLASSIKERWÖRTERBUCH nur im Sinne des Subtypus eines „gesamtsprachbezogenen Wörterbuches“ angewandt werden (1392f. u. 1395–1410), wobei dieser Begriff mangels eines prototypischen Vertreters (Hausmann 1989, 975 spricht von der „Fiktion des gesamtsystembezogenen Wörterbuchs“) mehr oder weniger mit dem des „Sprachstadienwörterbuches“ zusammenzufallen scheint. Ein Sprachstadienwörterbuch (dazu Reichmann 1990d) zur „neuhochdeutschen Sprache des 18. und 19. Jahrhunderts“ als Anschluss an das FWB wäre wünschenswert, aber das KLASSIKERWÖRTERBUCH kann in seinem derzeitigen Zuschnitt nur eine Vorarbeit dazu sein. Wegen des Fehlens eines entsprechenden Sprachstadienwörterbuches können über die Übereinstimmung des Wortschatzes im „Freiburger Klassikerkorpus“ mit der Sprachwelt dieser Zeit nur Vermutungen angestellt werden. Aber die bisherige Artikelarbeit hat gezeigt, dass die im „Freiburger Klassikerkorpus“ vorliegenden Wortverwendungen in der Regel dem Bedeutungsumfang bei der literarisch gebildeten Schicht und in der damaligen Schriftsprache entsprechen, so dass man von einem geläufigen Wortschatz und geläufigen Verwendungen reden kann, keinesfalls aber von einem Spezialwortschatz oder einer speziellen Bedeutungswelt, die sich grundlegend von der sonst greifbaren schriftlichen Überlieferung unterscheiden würde. Fehlt für ein im Korpus belegtes Lemma zufällig doch eine zeitgenössisch gängige Bedeutung, wird diese in den entsprechenden Kommentaren genannt und damit die Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch, soweit er sich heute feststellen lässt, markiert. Wäre das KLASSIKERWÖRTERBUCH ein Wörterbuch zur „Literatursprache“ im engeren Sinne, brauchte (und würde) es keine Aussagen zur allgemeinen Sprachwelt des 18. und 19. Jahrhunderts enthalten (zu diesen Angaben sind die Bearbeiter des KLASSIKERWÖRTERBUCH aber an den verschiedensten Kommentarpositionen aufgefordert). Ebensowenig könnte die Differenz zu heute beschrieben werden, denn dann würde ein Spezialwortschatz mit den Gegebenheiten eines Sprachstadiums verglichen. Die „Sprache der Dichter“ entsteht im 18. und 19. Jahrhundert weitgehend nicht durch die besondere Verwendung einzelner Wörter, sondern durch die gelungene und außergewöhnliche Komposition der vorhandenen Mittel und Möglichkeiten (s. auch Fn. 47). „Ausbrüche“ aus dem allgemeinen Bedeutungs- und Verwendungsrahmen der jeweiligen Zeit kommen immer wieder vor, sind aber relativ sparsam gesetzt (und sie werden, wenn sie als zu extrem empfunden werden, von der literarischen Öffentlichkeit auch durchaus gerügt; s. Fn. 35). Die Frequenz dieser Erscheinungen reicht jedenfalls nicht aus, um für die Texte einen Sonderwortschatz festzustellen. Mit der Ausnahme von „Faust II“ und einigen wenigen Gedichten gehören „primär dunkle“ Texte (s. Fn. 18) nicht zu dem heute noch rezipierten Kanon, der die Grundlage für das „Freiburger Klassikerkorpus“ bildet. Wollte man die Spezifika der jeweiligen Literatursprachen der im „Freiburger Klassikerkorpus“ erfassten Texte aus über 250 Jahren lexikographisch herausarbeiten, müsste man ausgehend von den relativ wenigen (und bekannten) Signalwörtern ein ganz anderes Korpus zusammenstellen, als es für das KLASSIKERWÖRTERBUCH ausgewählt wurde.
Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
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der Lemmaauswahl im KLASSIKERWÖRTERBUCH auf diejenigen mit heute nicht mehr allgemein verständlichen Verwendungen wird im Untertitel des gedruckten Werkes berücksichtigt werden (γ). Idiomatikbezogen (α) ist das KLASSIKERWÖRTERBUCH insofern, als „eine aus mindestens zwei einfachen bedeutungstragenden Einheiten bestehende lexikalische Einheit“, deren „Bedeutungen nicht aus der Kombination ihrer Einheiten erklärt werden kann“ (Reichmann 1984, 484), als ein eigenes, mehrteiliges Lemma angesetzt wird, in dessen Artikel speziell die jeweiligen „idiomatischen“ Bedeutungen (auch hier ist Polysemie möglich) angegeben werden.12 Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist von der Grundkonzeption her benutzerbezogen (δ; s. den Abschnitt 3 „Das KLASSIKERWÖRTERBUCH: Typologie nach Benutzungssituationen“). Ein für historische Wörterbücher und besonders für das KLASSIKERWÖRTERBUCH wichtiges Kriterium fehlt in Reichmanns Merkmalsliste, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von beschriebener und beschreibender Sprache (cf. Roelcke 1994b, 45 und Wiegand 1984, 600). Während bei Wörterbüchern zu Sprachstufen und Texten vor 1750 ein so deutlicher sprachlicher Abstand zu heute besteht, dass uneingeschränkt von zwei verschiedenen Sprachstadien gesprochen werden kann, nimmt die Zeit danach bis etwa 1900 eine Sonderstellung ein,13 weil sich die in dieser Zeit produzierten Texte einerseits deutlich vom Deutsch des 20. und 21. Jahrhunderts unterscheiden, andererseits ist dieses teilweise veraltete Deutsch noch so vertraut, dass man es z. B. immer noch unkommentiert und unmodernisiert auf die Bühne bringen kann, ohne dabei auf völliges Un- oder Missverständnis des Publikums zu stoßen. Dennoch wird bei der Arbeit zum KLASSIKERWÖRTERBUCH – zumal nur der mit Verständnisschwierigkeiten behaftete Wortschatz erklärt wird – davon ausgegangen, dass „Lemmazeichen und Beschreibungssprache [...] zu zwei verschiedenen Sprachstadien einer historischen Einzelsprache gehören“ (Wiegand 1984, 600).14 Ein weiteres in Reichmann (1984) nicht berücksichtigtes Kriterium betrifft die typologische Funktion der Belege.15 Gerade in historischen Wörterbüchern ist die vom Lexikographen formulierte Bedeutungsbeschreibung besonders auf die Belegdokumentation angewiesen, denn es fehlt sowohl beim Lexikographen wie beim Benutzer die Fähigkeit und der Anlass, Beispiele aus eigener Sprachkompetenz zu bilden. Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist deshalb ein mit Belegen unterstütztes Bedeutungswörterbuch16 und bietet zu jeder Bedeu-
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Beispiele für solche mehrteiligen Lemmata im KLASSIKERWÖRTERBUCH sind Bauer, lateinische oder Achsel, jemanden (kaum) über die ... ansehen (zu Phraseologismen im „Freiburger Klassikerkorpus“ am Beispiel angebunden, kurz s. Dräger 2007). Vgl. Wiegand 1984, 600: „ob die Sprache der 2. Hälfte des 18. Jh.s mit der nach 1945 zu einem Sprachstadium gerechnet werden kann, ist problematisch“. Vgl. (auch zu den damit verbundenen praktischen Problemen) Brückner 2004, 154, Fn. 44. Auf diese Lücke in den inzwischen vor über 20 Jahren aufgestellten Typologien in der ersten Auflage des Handbuchs „Sprachgeschichte“ hat jüngst Plate (2005) hingewiesen. Spricht man wie Reichmann 1990d, 1426 Belegen in Wörterbuchartikeln jegliche typologische Relevanz ab (vgl. Plate 2005, 15), gibt es typologisch keinen Unterschied zwischen Wörterbüchern, die Bedeutungen an Belegnachweise binden, und denen, die bloß eine oder mehrere Bedeutungen ohne Belege nennen. Dies scheint besonders für historische Wörterbücher nicht sinnvoll. Plate (2005) ist zwar zuzustimmen, dass die Bedeutungspositionen in einem Wörterbuchartikel nur den momentanen Gliederungswillen (oder das Gliederungsvermögen) des jeweiligen Artikelbearbeiters widerspiegeln und dass die Beschreibung des Lexikographen nicht mit „der Bedeutung“ (die in den Belegen „steckt“) verwechselt werden darf. Aber die Aufgabe eines Sinn vermittelnden Wörterbuches wird sicher verfehlt, wenn die Belegdokumentation über den Versuch einer
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tungsposition mindestens und meist genau einen Beleg aus seinem Korpus, der geeignet scheint, die Bedeutungssegmentierung besonders augenfällig zu machen. Schließlich fehlt in Reichmann (1984) auch der Korpusbezug als typologisches Kriterium. Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist korpusbezogen. Ihm liegt ein explizites und abgeschlossenes Korpus („Freiburger Klassikerkorpus“) zugrunde, aus dem die Lemmata für das Wörterbuch ausschließlich stammen. Für eine umfassende typologische Darstellung des KLASSIKERWÖRTERBUCHs müsste auf alle diese Kriterien im Folgenden ausführlich(er) eingegangen werden.17 Dies ist aufgrund des begrenzten Raumes aber nicht möglich. Auf die Merkmale „idiolekt-“, „einzeltext-“ sowie „textsortenbezogen“ und „fremdwortbezogen“ (vs. „erbwortbezogen“) wird im Hauptteil dieses Aufsatzes im Vergleich mit Wörterbuchtypen eingegangen, bei denen diese Merkmale dominant sind (in den Abschnitten 4.1., 4.2. und 4.4.). Da die Typologie der Wörterbücher nach dem Benutzerbezug quer zu inhaltlich definierten Typologien verläuft, wird dieser Aspekt in einem eigenen Abschnitt den typologischen Vergleichen vorangestellt.
3
Das KLASSIKERWÖRTERBUCH: Typologie nach Benutzungssituationen
Ein Wörterbuch erhält seine Berechtigung dadurch, dass es zielführend benutzt wird bzw. für bestimmte Zwecke zielführend benutzt werden kann. Dennoch scheint es inzwischen zu den Topoi der Wörterbuchbenutzungsforschung zu gehören, Selbstaussagen von Lexikographen über antizipierte Benutzergruppen und angenommene Benutzungssituationen für ihre Werke in das Reich der modernen Sagen (cf. Brednich 1990 und Folgeveröffentlichungen) – weitab von jeder Empirie – zu verweisen. Trotz dieser Skepsis gegenüber der Fähigkeit von Wörterbuchmachern, angemessene Benutzungsmöglichkeiten für ihr Wörterbuch zu entwerfen, soll im Folgenden versucht werden anzudeuten, für welche Nutzer und Benutzungssituationen das KLASSIKERWÖRTERBUCH intendiert ist.
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angemessenen Bedeutungssegmentierung gestellt wird. Schließlich ist die Belegdokumentation in der Zeit der durchsuchbaren Volltextkorpora keine genuine Leistung der Lexikographie mehr – und außerdem gilt hier leicht abgewandelt Wiegands Diktum: „Formwörterbücher [damit auch Belegstellensammlungen] sind keine Schlüssel zum Sinn, sie vermitteln keine Inhalte von der Vergangenheit in die Zukunft“ (Wiegand 1986, 169). Nur wenn der jeweilige Wörterbuchbenutzer ein verhinderter Lexikograph mit viel Zeit ist (cf. Plate 2005, 20, Fn. 19 mit einer von Lachmann übermittelten Anekdote zu Schleiermachers Wörterbuchbenutzung), kann ihm die Dokumentation der Belege einen mit Bedeutungskommentaren versehenen Wörterbuchartikel mehr als vollständig ersetzen. Letztlich entsteht durch die Antworten auf die einzelnen Aspekte dieser Liste kein wirklich individuelles Profil, das es erlauben würde, auf die Leistungen und die Eigenart eines Wörterbuches zu schließen und etwa ein bekanntes Wörterbuch wiederzuerkennen. Einerseits sind sehr unterschiedliche Wörterbücher denkbar, die in Reichmanns Matrix identische Profile aufweisen; außerdem fehlt jeder Hinweis, wie ein gewisses Merkmal erreicht bzw. umgesetzt wird. Deshalb sind Typologien, die gewisse Merkmale als prototypisch und damit als Zentrum einer bestimmten Wörterbuchgruppe definieren, einerseits zwar konventioneller, andererseits aber auch aussagekräftiger, weil meist ein allgemein bekanntes (eben prototypisches) Wörterbuch benannt werden kann, wodurch es leichter ist, die typologische Einheit zu fassen und zwischen verschiedenen Typen zu vergleichen.
Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
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Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist benutzerbezogen in dem Sinne, dass es auf einen in zweifacher Hinsicht existierenden Bedarf antwortet. Einerseits hat sich in den letzten 250 Jahren die „sekundäre Dunkelheit“18 in den Texten des 18. und 19. Jahrhunderts so vermehrt, dass inzwischen ein objektiver Bedarf für ein Wörterbuch besteht, welches zwischen dieser Sprache und der des 21. Jahrhunderts so vermittelt, dass das verstehende Rezipieren möglich bleibt. Andererseits wissen wir aus Reaktionen auf die Vorstellung unseres Projektes, dass bei den Rezipienten der Klassikertexte (in den Lehrinstitutionen Universität und Schule, bei Fachkollegen und im allgemeinen Publikum) diese Entfernung von der heutigen Sprachwelt längst empfunden wird und deshalb die Existenz eines entsprechenden Wörterbuches sehr begrüßt würde.19 Bei der Erstellung des KLASSIKERWÖRTERBUCHs kann auf diesen Bedarf besonders eingegangen werden, weil die in der Ermittlungsphase von Testlesern gemachten Angaben zum bedeutungsdifferenten Wortschatz vollständig digital aufbereitet im Redaktionssystem „Paula“ vorliegen (insgesamt über 90.000),20 so dass die Redakteure bei jedem Artikel auf authentische Daten von potentiellen Nutzern direkt zugreifen können. Dies dürfte in der Wörterbuchlandschaft einmalig sein. Nach der von Peter Kühn (1989) entwickelten „Typologie der Wörterbücher nach Benutzungsmöglichkeiten“ (cf. besonders die Grafik bei Kühn 1989, 121) kann das KLASSIKERWÖRTERBUCH folgenden Benutzungssituationen zugeordnet werden: Es ist vorrangig als Nachschlagewerk konzipiert, das verständnissichernd oder interpretationsverstärkend bei der Textrezeption,21 außerdem bei der Forschungsarbeit und der Übersetzung22 genutzt werden kann und soll. Während Kühn (1989) als entsprechende Benutzergruppen „Sprachgebildete“ bzw. „-interessierte“, Wissenschaftler, Schüler, Studenten, Übersetzer und „Bil-
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Fuhrmann (1985) unterscheidet zwischen der vom Autor gewollten Schwierigkeit seiner Texte (der „primären Dunkelheit“) und dem vom Autor nicht absehbaren Verlust an Verständlichkeit durch die Veränderung des kulturellen Umfelds und der Sprache (der „sekundären Dunkelheit“). Zum Bedarf an Wörterbüchern zur sprachlichen Vergangenheit, um die unweigerlich und stetig schwindende Verständigungsbasis zu erhalten, s. auch Wiegand 1986, 169. Grundlegend hierzu Knoop 2004, besonders 190–199 mit Beispielen. Die Bereitstellung eines solchen Hilfsmittels durch die germanistische Sprachgeschichtsforschung ist auch dringend geboten, soll die Zahl der für den (Er-)Kenntnisgewinn untauglichen Versuche, die sprachgeschichtlich entstandene Lücke durch fragwürdige Klassikerbearbeitungen zu füllen („Klassiker light“), nicht noch zunehmen; vgl. Mühlenhort (2003) und umfassend Weiß (2007). S. zu diesem Vorgehen Brückner/Knoop 2003, 72–74 u. 78–80 (zu „Paula“). Wenn die punktuelle Nachschlagehandlung auch als Standardnutzung des KLASSIKERWÖRTERBUCHs angesehen werden kann, ist die Nutzung als Lesebuch zur „Erbauung und Belehrung“ damit nicht völlig ausgeschlossen, auch wenn dieser Aspekt in der Benutzungsforschung inzwischen als unrealistische „Hausbuch-Ideologie“ eher übel beleumundet ist (Kühn 1989, 120f.; Reichmann 1984, 487). Zumindest wird den Redakteuren in der Artikelstruktur an zahlreichen Stellen die Möglichkeit gegeben, ausführliche und erzählende Kommentare einzufügen; außerdem ist für den Belegschnitt nicht Kürze die oberste Maxime, sondern Lesbarkeit und damit Verstehbarkeit. „Übersetzung“ (cf. Kühn 1989, 117f.) meint hier einerseits die Nutzung als „passive“ Übersetzungshilfe zwischen zwei verschiedenen historischen Sprachstufen des Deutschen, dann aber auch die „aktive“ Nutzung durch professionelle Übersetzer, die deutsche Schriften dieses Zeitraums in eine andere Kultursprache übersetzen wollen. In diesem Fall wirkt das KLASSIKERWÖRTERBUCH in einer anderen Nationalsprache ausnahmsweise und quasi indirekt textproduktiv; im Deutschen ist das nur in Sonderfällen denkbar, wenn z. B. Ausdrücke im Wörterbuch gesucht würden, mit denen ein historisches Kolorit erzeugt werden kann.
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dungsbürger“ nennt, gehen wir davon aus, dass wegen der Vermittlungsaufgabe des KLASSIKERWÖRTERBUCHs sein Nutzerkreis nicht vorrangig soziologisch oder nur mit dem üblichen „Laien und Fachleute“ angegeben werden kann.23 Vielmehr impliziert das Wörterbuchkonzept den genauen und intensiven Leser (Rezipienten), der ausgehend von seiner aktuellen Sprachkompetenz (die nicht zu niedrig sein darf) die sprachlich veraltenden Texte des 18. und 19. Jahrhunderts wegen ihrer immer noch aktiven Inhalte auch heute rezipieren möchte (als Teil der heutigen Sprachwelt). Er interessiert sich deshalb für Anleitungen zu einem historisch adäquaten Verständnis dieser Texte und sucht nach Anregungen für eigene oder nach Validierung für existierende Verstehens- und Interpretationsansätze. Die Grundlage für das KLASSIKERWÖRTERBUCH in der jetzigen Form würde nämlich entfallen, wenn die Texte des 18. und 19. Jahrhunderts sprachlich und/oder inhaltlich so historisch oder gar abständig würden, wie es heute nahezu alle Texte des Barock oder des hohen Mittelalters sind.24 Dann wäre die Frage nach heute nicht mehr aktualisierbaren Bedeutungen der damaligen Wortwahl viel stärker von ausschließlich akademischem Interesse und das KLASSIKERWÖRTERBUCH wäre hauptsächlich ein Wörterbuch von Fachleuten für Fachleute.
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Das KLASSIKERWÖRTERBUCH und die Wörterbuchtypologie im Handbuch „Wörterbücher“
Die bisher wahrscheinlich einflussreichste Wörterbuchtypologie hat Franz Josef Hausmann (1989) vorgelegt, nicht zuletzt deshalb, weil sie in der Anlage der Artikel im Handbuch „Wörterbücher“, für die sie konzipiert war, eine praktische Umsetzung erfahren hat. Entsprechend der Grundunterscheidung von Hausmann (1989) gehört das KLASSIKERWÖRTERBUCH zu der großen und stark differenzierten Gruppe der „Spezialwörterbücher“. Aus der Menge der im Handbuch „Wörterbücher“ in einzelnen Artikeln bearbeiteten Wörterbuchtypen sind im Folgenden vier Typen nach ihrer Wichtigkeit im Bezug auf das KLASSIKERWÖRTERBUCH für Vergleiche ausgewählt worden: das Autorenwörterbuch, das Textsortenwörterbuch, das Archaismenwörterbuch und das Wörterbuch der schweren Wörter. Bei den Archaismenwörterbüchern hat sich herausgestellt, dass dieser Typus bisher noch nicht sehr überzeugend definiert wurde, obwohl er bekannt ist (oft in einem Atemzug mit dem Neologismenwörterbuch als angeblichem Komplementärtyp genannt) und obwohl es auch schon verschiedene Anläufe gegeben hat, die mit diesem Typ verbundene lexikographische Aufgabenstellung zu beschreiben. Dem wird in unserem Beitrag dadurch Rechnung getragen, dass der Abschnitt zu den Archaismenwörterbüchern etwas ausführlicher auf dessen Typologisierungsvoraussetzungen eingeht, als es für das bloße Verständnis des KLASSIKERWÖR-
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Die Nennung dieser „Gruppe“ gehört zu den ältesten Benutzertopoi der Lexikographen (cf. Kühn 1989, 114), der nur begrenzte Erklärungskraft zugemessen werden kann. Die Autoren des „Freiburger Klassikerkorpus“ (u. a. Lessing, Goethe, Schiller, Hölderlin, Kleist, Brentano, Hoffmann, Jacob und Wilhelm Grimm, Büchner, Heine, Droste-Hülshoff, Keller, Storm und Fontane) interessieren nicht bloß philologisch und akademisch, sondern sie prägen mit ihren zentralen Werken immer noch entscheidend das kulturelle Selbstverständnis der Deutschen mit.
Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
127
TERBUCHs nötig wäre. Den Abschluss bildet ein erster typologischer Definitionsversuch des KLASSIKERWÖRTERBUCHs auf Grundlage dieses Aufsatzes.
4.1
KLASSIKERWÖRTERBUCH und Autorenwörterbücher
Autorenwörterbücher (die man wegen ihres Bezuges auf einen einzelnen Autor wohl besser Autorwörterbücher25 nennte) lassen sich bekanntlich in zwei Gruppen einteilen: Formwörterbücher (ungenau auch als Indices bezeichnet) und Bedeutungswörterbücher (cf. Wiegand 1984, 591–595). Weitere Differenzierungen sind möglich, einige davon auch bzw. nur theoretisch. Dies hat seinen Grund darin, dass die deutsche Autorenlexikographie, insbesondere die moderne, kaum eine Vielfalt, geschweige denn eine große Zahl an Wörterbüchern hervorgebracht hat. Bekanntlich wird sie in erster Linie (neben den Formwörterbüchern) durch eine mittlerweile erfreulich ausdifferenzierte Goethe-Lexikographie repräsentiert.26 Aufgrund dieser Tatsachen soll die Relation des KLASSIKERWÖRTERBUCHs zum Typus des Autorenwörterbuchs hier nur anhand einer Auswahl einiger weniger und recht allgemeiner Kriterien bestimmt werden. Da beinahe alle Angabetypen im KLASSIKERWÖRTERBUCH (mit wenigen Ausnahmen, darunter die Belegzahlangabe) dem Zweck der semantischen Erläuterung seiner Lemmazeichen dienen (so erscheinen etwa etymologische Daten nur dann, wenn diese zur Erläuterung der historischen Bedeutung beitragen können), kommen als Bezugspunkt zudem nur Autorenbedeutungswörterbücher in Frage.27 Dem Folgenden wird die Definition des Typs Autorenwörterbuch aus Wiegand 1984, 590f. zugrunde gelegt: Definition (1) Autorenlexikographie ist derjenige Teil der Textlexikographie, in dem Sprachnachschlagewerke zu einem oder mehreren Texten erarbeitet werden, denen als spezifischem Produkt eines (entweder identifizierten oder nicht identifizierten) Autors oder mehrerer Koautoren in einem bestimmten sozial- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext ein besonderes Interesse entgegengebracht wird. Die Eigenschaften eines Autorenwörterbuchs sind demnach: 1. Es ist ein Produkt der Textlexikographie.28 2. Seine Textbasis (Korpus) besteht aus mindestens einem Text.
25 26 27
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So der Wortgebrauch Paul Sapplers, z. B. in Sappler (1991) und Sappler (2005). Vgl. hierzu auch Reichmann 1996, 204. Zur typologischen Differenzierung des Autorenwörterbuchs s. Wiegand (1986) und differenzierter Wiegand 1984, 591–595. Zum Typus des Autorenwörterbuchs im Allgemeinen vgl. Mattausch (1990). Wiegand 1984, 590 definiert das Autorenwörterbuch als Subtypus des Textwörterbuchs. Seine Definition von „Textlexikographie“ lautet: „Textlexikographie ist derjenige Teil der Sprachlexikographie, in dem Sprachnachschlagewerke speziell zu dem- bzw. denjenigen Text(en) erarbeitet werden, die das lexikographische Korpus bilden“. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Mattausch (1990) sowie Reichmann (1991) und Roelcke (1994a).
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3. Sämtliche Korpustexte sind spezifische Produkte eines einzigen (identifizierbaren oder nicht-identifizierbaren) Autors.29 4. Den Texten wird in einem bestimmten sozial- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext (z. B. im Rahmen der philologischen Forschung zum Werk dieses Autors, oder im Rahmen der schulischen Vermittlung desselben) ein besonderes Interesse entgegengebracht. Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist demnach kein Autorenwörterbuch, weil die Bedingung 3 nicht erfüllt ist. Ein Vergleich mit diesem Typ ist dennoch aus zwei Gründen lohnend: Zum einen sind lexikographische Produkte, die spezifisch das 18. Jahrhundert fokussieren (d. h. nicht historisch-diachron im größere Zeitperioden umfassenden Sinne etwa des DWB oder des PAUL-DWB sind), fast ausschließlich Autorenwörterbücher. Umgekehrt sind diejenigen Wörterbücher, die (vorwiegend) literarische Werke mehrerer Autoren auswerten, einerseits Wörterbücher zu älteren Sprachstadien (z. B. das als kumulatives Autorenwörterbuch begonnene MITTELHOCHDEUTSCHE WÖRTERBUCH von Benecke/Müller/Zarncke 1854–1861 sowie Lexer 1872–1878), und unterscheiden andererseits in ihrer Systematik zu wenig zwischen Autorenlexikographie und (hier: gesamtmittelhochdeutscher) Languelexikographie, als dass sie als sicherer Bezugspunkt für einen Vergleich fungieren könnten.30 Bei dem folgenden Vergleich sollen diese Kriterien berücksichtigt werden: 1. Korpuszusammensetzung und Geltung der Vollständigkeitsprinzipien 2. Realisierung einiger Textsegmenttypen im Hinblick auf die Frage nach Literarizität von Wortschätzen und im Vergleich mit der Textsorte Kommentar
4.1.1 Korpuszusammensetzung und Geltung der Vollständigkeitsprinzipien im KLASSIKERWÖRTERBUCH Dem KLASSIKERWÖRTERBUCH als einsprachig-historischem Wörterbuch liegt ebenso wie den Autorenwörterbüchern eine abgeschlossene Textbasis zugrunde („Freiburger Klassikerkorpus“). Während Autorenwörterbücher jedoch (selektiv oder exhaustiv) die Texte eines einzelnen Autors (oder mehrerer Koautoren, vgl. oben Bedingung 3 und Fn. 29) zur Grundlage haben, liegen dem KLASSIKERWÖRTERBUCH die Texte von 176 selbständigen Autoren zugrunde. Es beschränkt sich zudem, im Gegensatz zumindest zum Gesamtwerkwörterbuch, auf eine bestimmte Textgruppe (der Ausdruck „Textsorte“ wäre hier überanstrengt), nämlich ausgewählte literarische Texte dieser Autoren, die in der heutigen Breitenrezeption eine nennenswerte Rolle spielen.31 Auch in Bezug auf die Lemmaauswahl ist das KLASSIKERWÖRTERBUCH selektiv, indem in einem komplexen kombinierten Verfahren zunächst von ca. 200 Lesern nach festen Kriterien 32.160 so genannte erklärungsbedürftige Wörter mar-
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30 31
Weitere Autoren können a) als Ko-Autoren in Erscheinung treten, b) zum Zeitpunkt der Wörterbucherstellung unidentifiziert sein (etwa bei Unsicherheiten in der Zuschreibung, weitere Konstellationen sind denkbar, man denke etwa an die Eckermannschen Gesprächsnotizen, Schadewaldt 1966, 4*), in keinem Fall aber tritt eine identifizierbare weitere Person als alleiniger Autor eines separaten Korpustextes auf. Vgl. hierzu die Bemerkungen in Wiegand 1984, 606–608. Zu den statistischen Methoden der Korpustextauswahl s. Brückner/Knoop 2003, 62–86.
Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
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kiert wurden, aus denen in mehreren Schritten die endgültigen Lemmata für den projektierten Einbänder herausgefiltert werden. Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist in diesem Sinne selektiv-selektiv, also sowohl in Bezug auf die Textgrundlagen der einzelnen Autoren als auch in Bezug auf die Lemmaauswahl nicht-thesaurisch bzw. nicht-exhaustiv.32
4.1.2 Realisierung einiger Textsegmenttypen im Hinblick auf die Frage nach Literarizität von Wortschätzen und im Vergleich mit der Textsorte Kommentar Im Wörterbuch werden sämtliche aus dem Korpus rekonstruierbare Bedeutungen verzeichnet, auf weitere Bedeutungen wird in Form von Kommentaren verwiesen. Während das Autorenwörterbuch versucht, den Wortschatz des jeweiligen Autors in seiner Idiolektalität und damit in seiner Spezifik zu beschreiben, geht das KLASSIKERWÖRTERBUCH den umgekehrten Weg, indem es dezidiert nicht von der Prämisse ausgeht, es gebe per se so etwas wie poetische Wörter oder poetische Bedeutungen. Der im KLASSIKERWÖRTERBUCH zu erläuternde Wortschatz wird gerade nicht als Spezialwortschatz im Sinne so dehnbarer Begriffe wie „poetischer Wortschatz“ oder „Literaturwortschatz“ aufgefasst und auch nicht so erklärt,33 es versteht sich daher nicht historisch-diachronen Fachwörterbüchern wie etwa dem DRW verwandt, sondern geht vielmehr von der Prämisse aus, dass der von den Korpusliteraten verwendete Wortschatz in (weit) überwiegendem Maße allgemeinsprachlich zumindest rückgebunden gewesen sein muss, da ein Verstehen dieser Literatur sonst ausgeschlossen gewesen wäre. Die Sprache eines Literaten ist kein „geschlossenes System“ (cf. Umbach 1986, 162),34 sondern im Gegenteil der Allgemeinsprache und damit Anre-
32 33
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Vgl. zur Lemmaauswahl Brückner, Lexicographica 2007, demnächst; dazu auch Reichmann 1990e, 1541 sowie Mattausch 1990, 1550 und 1552. Im DUDEN-GWB etwa sind immerhin mehrere hundert sehr verschiedene Lemmazeichen stilistisch als „dichter.“ markiert: Aar, Abendhauch, Abendsonnenschein, Adlersfittiche, ahnden, ahndevoll, Albion, Allgegenwart, allebendig, Allmutter, allzugleich, amethysten, Amor, Arom, atmen, Aue, aufbeben, auffegen, aufflattern, aufmachen usw. (DUDEN-GWB, Bd. I, 1999). Diese Markierung ist diesen Wörtern aber nicht per se eigen. Vielmehr müsste erst geprüft werden, ob sie nicht nur deshalb heute als „dichterisch“ erscheinen, weil sie heute außerhalb der noch bekannten dichterischen Texte ungebräuchlich sind (auch bei Literaten), dies aber zur Entstehungszeit dieser Texte gar nicht waren. Deswegen dürften die Belege zu solchen markierten Bedeutungsansetzungen in einem gegenwartssprachlichen Wörterbuch eben gerade nicht aus den Klassikertexten stammen. Vgl. dazu auch Wolski 1994, 75 (zunächst in Bezug auf sein projektiertes Celan-Wörterbuch; dann verallgemeinernd): „Wer von der Annahme einer poetischen Sonderfunktion der Sprache ausgeht, wer sprachkünstlerische Äußerungen als „Dichtersprache“ bzw. „poetische Sprache“ theoretisiert und diese der Alltagssprache entgegensetzt, [...] wer die Dichterwelt (und nicht nur diese) von Metaphern umstellt sieht und Metaphern [...] lexikographisch zu erarbeiten gedenkt, kann nur in die Irre gehen – gerade bei aber nicht nur bei P. Celan allein. Wir distanzieren uns also von Aussagen wie die [sic], ein Autorenwörterbuch solle „Einsichten in die Poesiesprache“ ermöglichen (so Mattausch […]), wenn damit mehr gemeint ist als Einsichten in die kreative Ausnutzung von Wortbildungsmöglichkeiten des Deutschen oder die Herstellung subtiler Bezüglichkeiten zwischen Ausdrücken, wodurch sich das Werk P. Celans auszeichnet. Wir sehen es ebenso auch nicht als das „eigentliche Aufgabenfeld der Autorenlexikographie“ an, eine „genaue, intensive Textinterpretation“ zu leisten“. Diese Aussagen gelten für Texte von Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts, deren Sprachverständnis nicht von einer grundsätzlichen Opposition zur Sprache ihrer Zeit geprägt ist, in noch viel stärkerem Maß.
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gungen von Außen gegenüber offen, ja offener vielleicht als die vieler anderer Sprachteilhaber. Allzu künstlerisch-idiolektaler Wortgebrauch wurde bereits von den Zeitgenossen der Korpusautoren bemerkt und kritisiert.35 Durch den Abgleich der Wortverwendungen verschiedener Autoren werden die sprachlichen Gemeinsamkeiten derselben sichtbar, durch den Abgleich mit den Wörterbüchern der Zeit werden sie zudem in den meisten Fällen als allgemeinsprachlich identifizierbar. Erst vor diesem Hintergrund können augenfällige sprachliche Besonderheiten von Autoren (in Relation zur sonstigen Beleglage) überhaupt erkannt und beschrieben werden, zum Teil weit über die in diesem Kontext meist als Beispiele genannten literarischen Neologismen (Knabenmorgenblütenträume (Goethe), Grünzüngel (Claudius)) hinaus, nämlich auf der sememischen Ebene ansonsten durchaus gebräuchlicher Ausdrücke. Nicht zuletzt wird auch die in Mattausch 1990, 1553 angesprochene Benutzung solcher Wörterbücher zur Beantwortung allgemeinsprachlich orientierter Fragestellungen überhaupt erst durch eine solche Ausrichtung möglich. Dies reicht aber in keinem Fall so weit, dass im KLASSIKERWÖRTERBUCH die Interpretation von Einzelstellen im Vergleich zu sogenannten Parallelstellen (im Sinne einer literaturwissenschaftlichen Parallelstellenphilologie) vorgenommen würde, wie dies in der Goethe-Lexikographie verbreitet ist.36 Die Notwendigkeiten bei der Behandlung von bewußtlos an der für das Verständnis von Kleists Novelle „Die Marquise von O...“ zentralen Stelle markiert die Grenze zwischen literaturwissenschaftlicher Einzel- und Parallelstelleninterpretation einerseits und lexikographischer Interpretation andererseits. Das Hauptinteresse liegt zudem nicht in der Beschreibung der Differenz eines je verschiedenen Autorindividuums zum Sprachgebrauch seiner Kollegen oder der Allgemeinsprache37 seiner Zeit, sondern vielmehr in der Differenz zum heutigen Sprachgebrauch.38 Die anderen genannten Differenzen werden zwar dokumentiert, systematisch jedoch nur in
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Auf die zahlreichen kritischen Bemerkungen der Zeitgenossen kann hier nicht eingegangen werden. Als Beispiel für solche Aussagen mag dienen: „Was sagen sie zu der Abentheürlichen Hieroglyphischen Heldensprache, in der Klopstock und Herder jezt Sachen sagen, die schon oft ganz deütlich in Menschen-Sprache gesagt worden“ (Salomon Gessner 1775 brieflich an Karl Wilhelm Ramler; zit. nach Schüddekopf 1892, 112). Vgl. hierzu die folgenden Artikel aus dem GWB, in denen zwar die Belegstellenbedeutung, nicht aber die allgemeinsprachliche Bedeutung erläutert wird: Heidelbergensia mBez auf den Heidelberger Studienaufenthalt Augusts Abends mit August. Jenensia und H. Tgb 13.3.10 Tgb 16.8.11 Gartenhüttchen -gen für G-s Haus im Garten an der Ilm Mein Haushalt fängt an sich zu ordnen, es ist einem in dem G., bald wie in einem Schiff auf dem Meere B3,187,19 CEGoethe [16.]11.77
Syn Gartenhäuschen
Gartenstübchen wohl für G-s Arbeitszimmer am Frauenplan bzw G-s Zimmer im Gärtnerhaus in Jena wenn ich .. im stillsten G. der lebhaftesten Ufer gedenke B28,286,3 Willemer 17.10.17 B32,217,15 Schultz 31.3.20 uö 37 38
Hierzu grundsätzlich und mit weiteren Beispielen Knoop (2006). Angesichts der sich im 18. und 19. Jahrhundert stark verändernden sprachlichen Situation wäre es ohnehin bedenklich, von einer „Allgemeinsprache“ zu sprechen; s. auch Fn. 73. Ganz explizit in einem – nicht-obligatorischen – Angabetext zur Gebrauchsdifferenz am Ende des Artikels.
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dem Maße, wie sie zur Erläuterung dieser Differenz zum heutigen Sprachgebrauch dienen, unsystematisch dann, wenn diese augenfällig sind. Ein Punkt, auf den an dieser Stelle unbedingt einzugehen ist, ist die Frage nach der Abgrenzung zwischen Wörterbuchartikel und Stellenkommentar. Die Autorenlexikographie selbst ist sich dieses Problems durchaus bewusst und hat es in den letzten Jahren in einer Reihe von Publikationen immer wieder thematisiert.39 Diese Abgrenzung ist auch für das KLASSIKERWÖRTERBUCH relevant, ist doch die Nähe zum Stellenkommentar immer dann umso größer, je geringer die Anzahl der Belege für einen Ausdruck ist. In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, Artikel zu nur einmal belegten (und damit nur monosem beschreibbaren) Ausdrücken mit Stellenkommentaren zu vergleichen. Ingo Warnke bemerkt zur Abstraktion von der einzelnen Belegstelle in der Autorenlexikographie: „Die sorgsam reflektierte Kategorisierung der Polysemie von Lexemen im konkreten Belegspektrum eines Autorenkorpus ist zentrale Aufgabe des Lexikographen“ (cf. Warnke 2001, 172f.) und er präzisiert: „In jedem Fall ist jedoch nicht pro Belegstelle grundsätzlich eine kontextuelle Bedeutung anzusetzen; dies wäre eine fraglos zu feinmaschige Deskription, die die Notwendigkeit zur lexikologischen wie lexikographischen Kategorisierung in nicht sinnvoller Weise umgänge“ (cf. Warnke 2001, 173). Sieht man Monosemie als Sonderfall der Polysemie an, so wäre auch im Falle eines als monosem interpretierten Lemmazeichens eine Kategorisierung vorzunehmen, die natürlich in solchen Fällen äußerst heikel ist, in denen ein Wort nur selten oder gar nur einmal belegt ist, da sie in einer tentativen Abstraktion von der Belegstellenbedeutung bestünde, die beim Fehlen weiterer Hilfsmittel (Parallelstellen evtl. auch anderer Autoren, Wörterbücher etc.) gerade in literarischen Texten äußerst schwierig sein kann, bisweilen gar unmöglich, wenn ein hapax legomenon vorliegt, dessen Bedeutung der Belegstelle nicht entnommen werden kann. Dasselbe gilt für als polysem interpretierte Lemmazeichen, denen pro Bedeutung nur eine Belegstelle zugewiesen werden kann. Wird eine solche Kategorisierung nicht vorgenommen, so läuft das Wörterbuch Gefahr, dass es die Grenze zwischen Autorenlexikographie und Belegstellenlexikographie verwischt.40 Für den Kommentar muss jede sprachliche Äußerung situativ, biographisch, produktionsbedingt, konnotativ individuell sein, da er nicht die Semantik, sondern die Okkasionalität des Wortgebrauchs im Blick haben muss. Eine solche Blickrichtung ist zunächst nicht unbedingt lexikographisch, da die Leistung der von Warnke angesprochenen Kategorisierung darin besteht, dass ihr Ergebnis situationsunabhängig gültig sein muss. Dies gilt selbst für Werkwörterbücher, die sich von Stellenkommentaren nicht nur dadurch unterscheiden, dass ihre Angaben leitelementträgerbezogen alphabetisch angeordnet sind. Andernfalls wird ein Ball leicht zu einem roten, kugeligen, aufblasbaren Kinderspielzeug, weil er in einem Roman rot ist und ein Kind damit spielt.41 Brauchbares lexikographisches Handwerkszeug gerade für den Umgang mit hapax legomena und ähnlichen Stellen gibt es u. W. nicht. Die Markierung solcher Wörter, etwa durch das Weglassen einer Bedeutungsangabe, ist aber in jedem Fall eine bessere Lösung als ein interpretativer Schuss ins Blaue. Durchaus wünschenswert wären explizite Benennungen der entsprechenden, spezifischen Probleme in
39 40 41
Kontrovers etwa Reichmann (1996) und Stackmann (1996). Dazu auch Roelcke 1994a, 5f. Vgl. hierzu auch Roelcke 1994a, 14. Vgl. hierzu die Bemerkungen zum FRAUENLOB-WÖRTERBUCH in Reichmann 1996, 208–210 sowie 217f.
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Wörterbuchartikeln zu hapax legomena (auch anderer Wörterbuchtypen), unter Angabe der Gründe, die eine Klärung der Wortbedeutung verhindern.42 Ausgehend von Hans Neumanns Diktum „Man soll nicht im Lexikon das machen wollen, was man einmal mit dem Lexikon machen wird“43 ist die Lösung, die das KLASSIKERWÖRTERBUCH beim Problem der Abgrenzung vom Stellenkommentar anstrebt, ähnlich pragmatisch, wie die, die etwa in der Goethe-Lexikographie zur Anwendung kommt. Sie ist allerdings in der Abgrenzung zur Textsorte Stellenkommentar schärfer und geht damit über die im GWB mit Hilfe von „mBez auf“ und „für“ erreichten Markierung einer weichen Grenze hinaus.44 Während das GWB mit den Worten Josef Mattauschs eine „textexegetische Ausrichtung hat“, in deren Mittelpunkt „das Wort nicht nur in seinem sprachlichen Kontext und in seiner Denotatsfunktion, sondern als Bestandteil einer vollständigen, „natürlichen“ Kommunikationshandlung, d. h. als Medium bestimmter Einstellungen und Intentionen (und erreichter Wirkungen) und mit situativen Begleitmomenten“45 steht, versucht das KLASSIKERWÖRTERBUCH, den umgekehrten Weg zum Wort zu gehen, und der einzelnen Wortverwendung zunächst eine Allgemeinsprachlichkeit zu unterstellen. Die Textuntersuchung ist also nicht „situativ und historisch konkret“ oder gar literaturwissenschaftlich46 ausgerichtet, sondern semantisch-vergleichend und lexikologisch, nicht (besser: nicht nur) autor- und werk-, sondern wortorientiert,47 nicht parole-, sondern langueorientiert.48
4.2
KLASSIKERWÖRTERBUCH und textsortenbezogene Wörterbücher
Typologisch verwandt mit dem Autorenwörterbuch ist das textsortenbezogene Wörterbuch.49 Angelehnt an Herbert Ernst Wiegands Definition von „Autorenlexikographie“ könnte man, die Charakteristika aus Reichmann (1990e) aufgreifend, formulieren: Definition (2) Textsortenbezogene Lexikographie ist derjenige Teil der Textlexikographie, in dem Sprachnachschlagewerke zu mehreren Texten erarbeitet werden, die einer bestimmten
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Dass der Lexikograph jeden Beleg „mit seinem Verstehen zunächst vollständig erfassen muß“ (Umbach 1986, 162), ist eine Forderung nach einer lexikographischen Horizontverschmelzung, die in ihrer Ausnahmslosigkeit in der Arbeitspraxis nicht einzulösen ist und darüber hinaus der alltäglichen Erfahrung des Missverstehens schon rezenter Kommunikation widerspricht – auch wenn sie durchaus eine methodisch gerechtfertigte Forderung sein mag. Hans Neumann, zit. nach: Schadewaldt 1966, 13*. Vgl. hierzu beispielhaft die in Fn. 36 zitierten Artikel aus dem GWB, Bd. IV. Mattausch 1982, 308. Eine Zusammenstellung weiterer Perspektiven in Mattausch 1982, 308 legt eine Zusammenfassung unter diesem Adjektiv nahe. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, dass die Ergebnisse des KLASSIKERWÖRTERBUCHs nicht von Literaturwissenschaftlern genutzt werden können. Vgl. auch Mattausch 1990, 1552 sowie Reichmann 1996, 205–209. Die Darlegung aus Sicht des KLASSIKERWÖRTERBUCHs s. Knoop (2006). Vgl. hierzu Mattausch 1982, 307: „Für die künstlerische Literatur gilt, dass in ihr die in der Gemeinsprache vorhandenen Regularitäten vielfach überspielt und die gegebenen Strukturen frei aus- und weitergestaltet werden“, sowie Schanze (1994). Vgl. Roelcke 1994a, 5. Vgl. hierzu Reichmann 1990, 1542.
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Textsorte zugehören und denen aufgrund dieser Zugehörigkeit in einem bestimmten sozial- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext ein besonderes Interesse entgegengebracht wird. Die Eigenschaften eines textsortenbezogenen Wörterbuchs sind demnach: 1. 2. 3. 4.
Es ist ein Produkt der Textlexikographie. Seine Textbasis (Korpus) besteht aus mindestens zwei Texten. Sämtliche Korpustexte werden begründet einer bestimmten Textsorte zugerechnet. Den Texten wird in einem bestimmten sozial- und wissenschaftgeschichtlichen Kontext (z. B. im Rahmen der philologischen Forschung zu dieser Textsorte) ein besonderes Interesse entgegengebracht.
Eine Lemmaauswahl, die sich an der Frage orientiert, inwiefern die Textsorte durch charakteristische Wörter und Wortverwendungen gekennzeichnet oder gar bestimmt ist, liegt nahe, ist jedoch nicht unbedingt typkonstitutiv. Auch lassen sich textsortenbezogene Wörterbücher vorstellen, die in dem Sinne nicht textlexikographisch sind, als sie wie jedes andere Languewörterbuch zwar auf einem abgeschlossenen Textkorpus basieren, Aussagen aber zu sämtlichen Vertretern der jeweiligen Textsorte machen.50 Da dieser Wörterbuchtyp „in der Geschichte der Lexikographie der größeren mittel- und westeuropäischen Sprachen nur ansatzweise realisiert worden“ (Reichmann 1990e, 1539) ist, und auch im Deutschen nicht in Reinform (meist primär epochenbezogen), und zudem, was die Textsortenbasis angeht, äußerst selten auf literarische Texte bezogen wurde,51 gestaltet sich ein Vergleich des KLASSIKERWÖRTERBUCHs mit diesem Typ schwierig. Zur Korpuszusammensetzung und zur Geltung der Vollständigkeitsprinzipien sei an dieser Stelle auf das im Abschnitt 4.1. zum Autorenwörterbuch Gesagte verwiesen. Im Folgenden soll nur in Auswahl auf den obigen Kriterienkatalog eingegangen werden. Demnach ist das KLASSIKERWÖRTERBUCH kein textsortenbezogenes Wörterbuch, weil die Bedingung 3 nicht erfüllt ist.52 Dem KLASSIKERWÖRTERBUCH liegt zwar ebenso wie den textsortenbezogenen Wörterbüchern eine abgeschlossene Textbasis zugrunde. Es beschränkt sich jedoch nicht auf Texte einer einzigen Textsorte (auf die Schwierigkeiten der Abgrenzung von Textsorten soll hier nicht eingegangen werden), sondern hat eine Gruppe verwandter Textsorten zur Basis, die Prosa, Lyrik, Versepik und Dramatik umfasst (im Folgenden: Textgruppe bzw. Textsortengruppe).
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Auf diese Möglichkeit deuten auch die Ausführungen Reichmanns (cf. 1990, 1543) hin. Vgl. hierzu auch Reichmann (1991). Auf das MITTELHOCHDEUTSCHE WÖRTERBUCH von Benecke/Müller/Zarncke (1854–1861) wurde bereits hingewiesen, zu nennen wäre hier noch Schützeichel (1969) für die literarischen Denkmäler des Althochdeutschen sowie einige weitere Wörterbücher zu verschiedenen Textsorten, die bei Reichmann 1990e, 1539 aufgeführt sind. Es ist allerdings fraglich, ob Benecke/Müller/Zarncke (1854–1861) und Schützeichel (1969) für einen Vergleich geeignete Repräsentanten dieses Typs sind, da die ihre Korpora konstituierenden Texte allzu heterogen sind, um sie unter einer Textsorte zusammenzufassen. Reichmann 1990, 1540 macht jedoch auf die Nähe zu Wörterbuchtypen aufmerksam, denen Gruppen verwandter Textsorten zu Grunde liegen. Vgl. auch seine Bemerkungen zu einem Kanon literarischer Texte (Reichmann 1990, 1541).
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In Bezug auf das erste Kriterium ergeben sich für das KLASSIKERWÖRTERBUCH interessante Überlegungen: In der langue-Lexikographie – wenn sie korpusbezogen betrieben wird […] – geht es dagegen darum, auf der Grundlage von korpusimmanenten Texten u. a. die Lexik, bestimmte Lexikausschnitte oder Lexikentwicklungen einer Sprache, einer Sprachvarietät oder mehrerer Sprachen und Sprachvarietäten zu erschließen. (Wiegand 1984, 591) Diese Formulierung lässt eine Reihe von Modifikationen zu, unter anderem diese: In der korpusbezogenen langue-Lexikographie geht es dagegen darum, auf der Grundlage von korpusimmanenten Texten bestimmte Lexikausschnitte einer Sprachvarietät zu erschließen. In diesem Sinne wäre es möglich, das KLASSIKERWÖRTERBUCH als Languewörterbuch zu bezeichnen, da es in bestimmten Angabetypen Aussagen macht, die über das in Form von Belegtexten verfügbare Material hinausgehen. Daneben spielt hier der oben beschriebene theoretische Ansatz, in der Sprachverwendung der Literaten keine Literatursprache zu sehen, eine Rolle.53 Es wird damit auch im Hinblick auf das KLASSIKERWÖRTERBUCH deutlich, was Reichmann 1991, 266 im Kontext seiner Definitionen von Sprachlexikographie und Textlexikographie betont hat: Bei diesen Definitionen handelt es sich nicht um abstrahierte Beschreibungen einer vorhandenen Praxis – in dieser überlappen sich Sprach- und Textlexikographie sehr weitgehend […]. Im Kontext seiner Überlegungen zum neuen mittelhochdeutschen Wörterbuch wird deutlich, dass sich das KLASSIKERWÖRTERBUCH als, wenn man so will, Textgruppen- oder Textsortengruppenwörterbuch in die Gruppe der textlexikographischen Wörterbücher einreihen lässt, auch wenn es die beschriebene Ausrichtung auf die Sprachwirklichkeit außerhalb eines „literarischen“ Sprachgebrauchs besitzt. Langueorientiert ist das KLASSIKERWÖRTERBUCH also in dem Sinne, als die Mehrzahl der Bedeutungserläuterungen nicht ausschließlich zu den Texten erarbeitet werden, die das lexikographische Korpus bilden, sondern in die Formulierungen die Annahme eingeht, dass sich der Publikumsbezug der Korpusautoren in einem starken Languebezug ihres Wortgebrauchs manifestiert.
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Allerdings würde eine solche modifizierte Lesart einige problematische Voraussetzungen mit sich bringen, unter anderem die, dass man die Sprachverwendung der Literaten eben doch als Varietät anzusehen hätte. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Heraushebung eines Lexikausschnitts im Hinblick auf eine lexikographische Aufarbeitung auch durch einen diachron-verständlichkeitsorientierten Ansatz bestimmt sein dürfte wie beim KLASSIKERWÖRTERBUCH, oder synchron bestimmt bleiben muss.
Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
4.3
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KLASSIKERWÖRTERBUCH und Archaismenwörterbücher
Archaismenwörterbücher54 gehören zum Typ der einsprachigen Spezialwörterbücher. Sie beschreiben Wörter oder Worteigenschaften in der jeweils gegenwärtigen Standardsprache im Hinblick auf eine besondere Markiertheit, die durch Sprachwandel, genauer Wortschatzund Bedeutungswandel, entsteht und als „Archaizität“ bezeichnet wird.55 Seit dem 16. Jahrhundert sind in der deutschen Sprachgeschichte Wörterbücher geschrieben worden, die heute dem Typus „Archaismenwörterbücher“ zugerechnet werden, allerdings waren dies bisher Werke von geringem Umfang und zudem von untergeordneter lexikographischer Bedeutung.56 Ludwig beschreibt die Archaismenwörterbuchsituation daher mit den Worten: „Archaismen und (k)ein Wörterbuch“ (Ludwig 1997, 69). Kritisiert wird in erster Linie – neben der oft geringen Lemmazahl – die fast ausnahmslos „kulturpädagogische Absicht“57 (Reichmann 1990a, 1154), welche in ungenügender lexikographischer Durchdringung des Gegenstandes zum Ausdruck komme. Schwerer jedoch wiegt unseres Erachtens die meist fehlende oder nur ungenaue Bestimmung des im Wörterbuch zu beschreibenden Gegenstandes durch die Wörterbuchautoren, d. h. die Bedeutung der Begriffe „Archaismus“ und „archaisch“, aber auch „Archaisierung“.58 Damit ergibt sich für diesen Abschnitt eine besondere Schwierigkeit für den Argumentationsaufbau. Möglich wäre, aufgrund der fehlenden theoretischen Grundlage zunächst zu problematisieren, welche Wörterbücher überhaupt unter die Benennung „Archaismenwörterbuch“ zu zählen sind. Nimmt man den Begriff „Archaismus“ wörtlich (cf. Fn. 64), wären dies alle diejenigen Wörterbücher, die aus einer bestimmten Zeitstufe diejenigen Elemente („Wörter“) herausgreifen und beschreiben, welche aus synchroner Sicht als „archaisch“ empfunden werden. Gegen ein solches Vorgehen sprechen zwei Aspekte: Erstens wäre ein Vergleich des KLASSIKERWÖRTERBUCHs mit diesem Typ kaum lohnend, da das aus der beschriebenen Definition resultierende Wörterbuch kein Bedeutungswörterbuch (wie das KLASSIKERWÖRTERBUCH) wäre, sondern ein Wörterbuch zu (z. B. rhetorisch bedingten) Ver54
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Reichmann 1990a, 1153 benennt den Typ „Wörterbücher archaischer und untergegangener Wörter“. Im Folgenden wählen wir als Benennung des Typs den Begriff „Archaismenwörterbuch“. Dementsprechend verwenden wir zur Kennzeichnung des Wortmaterials, das von Archaismenwörterbüchern bearbeitet wird, die Bezeichnung „archaisch“ inklusive des Merkmals „untergegangen“. Dies dient nicht nur der einer typologischen Darstellung geschuldeten Vereinfachung, sondern entspricht auch unserer Skepsis gegenüber den Möglichkeiten und Notwendigkeiten solcher Unterscheidungen in der Merkmalsbeschreibung von Archaismen (vgl. Brückner/Knoop 2003, 67). Das Archaismenwörterbuch steht in der Typologisierung von Hausmann (1989) in einer Reihe mit Wörterbüchern zu Neologismen, Regionalismen, Fremdwörtern, schweren Wörtern, Internationalismen, aber auch umgangssprachlichen Wörtern, Schimpf- und Tabuwörtern u. a. (vgl. Hausmann 1989, 975). Vgl. Reichmann 1990a, 1154. Zu den Zielen der Autoren von Archaismenwörterbüchern gehörten neben der Verständnissicherung gegenüber ausgewählten älteren Texten insbesondere die Wiederbelebung älteren deutschen Wortguts, v. a. im Zuge der Bemühungen des Sprachpurismus des 17. und 18. Jahrhunderts, aber auch der nationalistischen Reinigungsversuche des 20. Jahrhunderts (wie Kuhberg 1933). Reichmann 1990a, 1154 spricht zusammenfassend vom „Archaizitätsbegriff“, der in Bezug auf die unter dem Typus vereinigten Wörterbücher auch weitere Begrifflichkeiten umfassen muss, da nicht alle Wörterbuchautoren ihren Beschreibungsgegenstand Archaismus nennen. Dazu mehr im Folgenden.
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wendungsmöglichkeiten. Zweitens aber würde ein solches Vorgehen der im Handbuch „Wörterbücher“59 bevorzugten Methode, der hier gefolgt wird, zuwiderlaufen: Ausgangspunkt dort ist nicht – wie oben – die sehr unmittelbar vom Begriff „Archaismus“ ausgehende Definition des Typs. Vielmehr werden diejenigen Wörterbücher, die landläufig unter der Benennung „Archaismenwörterbücher“ zusammengefasst werden, in einem Typus vereinigt und aus typologischer Sicht beschrieben.60 Mit diesem Vorgehen wird das Feld so weit geöffnet, dass ein Vergleich mit dem KLASSIKERWÖRTERBUCH erst lohnenswert erscheint. Die in diesem Beitrag vorgenommene typologische Beschreibung von Archaismenwörterbüchern folgt daher zunächst den im HSK „Wörterbücher“ enthaltenen grundlegenden Erläuterungen, problematisiert diese an den notwendigen Stellen, um später aus unserer Sicht notwendige Ergänzungen bzw. Präzisierungen vorzuschlagen. Dass ein Vergleich des KLASSIKERWÖRTERBUCHs mit dem Typus Archaismenwörterbuch naheliegt, zeigt Reichmann, wenn er in seiner typologischen Beschreibung abschließend auf das europäische Ausland blickt und in diesem Zusammenhang Weinrichs Forderung von 198561 nach einem „Zusatzwörterbuch für die Klassikerlektüre auch in Deutschland“ (Reichmann 1990a, 1157) wiederholt. Aus diesem Zusammenhang heraus lässt sich sogar die Frage stellen: Ist das KLASSIKERWÖRTERBUCH ein Archaismenwörterbuch? Reichmanns Definition (1990a, 1153) lautet: Definition (3) Archaismenwörterbücher sind diejenigen Texte der Sprachlexikographie, die 1) die in einer bestimmten Zeit als archaisch geltenden Wörter, Wortbedeutungen und sonstigen Worteigenschaften und 2) die in einer bestimmten Zeit untergegangenen Wörter, Wortbedeutungen und Worteigenschaften älterer historischer Epochen behandeln. Nach unserem Verständnis62 impliziert diese Definition zwei Zeitstufen: „in einer bestimmten Zeit“ als Zeitstufe 1, für deren Sprachteilnehmer die Markierung eines Wortes als archa59 60
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Grundlegend sind Reichmann (1990a) und Hausmann (1989). Zwar wird von Reichmann (1990a, 1154) kritisch angemerkt, dass „Wörterbücher archaischer und untergegangener Wörter oft zu anderen Wörterbuchtypen […] hin offen sind“. Das mag bei diesen Beispielen besonders augenfällig sein, erscheint uns aber in erster Linie Folge jeglicher Typologisierung, denn fast immer können einzelne Wörterbücher auch anderen Typen zugeordnet werden (s. o. die Einleitung). Als historischen Archaismenwörterbüchern verwandte Wörterbuchtypen werden von Reichmann (1990a, 1155 u. 1157) genannt: das Autoren-Bedeutungswörterbuch (Flacius 1571: OTFRID-GLOSSAR), das Werkwörterbuch bzw. einzeltextbezogene Bedeutungswörterbuch (Lessing 1759: LOGAU-WÖRTERBUCH) und das erbwortbezogene Wörterbuch (Kuhberg 1933: VERSCHOLLENES SPRACHGUT). Für Kuhberg (1933) und Osman 1971: LEXIKON UNTERGEGANGENER WÖRTER wird zudem eine Offenheit hin zur lexikologischen Untersuchung konstatiert. Weitere Beispiele, auch zum Spanischen, Französischen und Englischen, in Reichmann 1990a, 1155 u. 1157f. Dort noch nicht genannt werden konnten Müller (1999): GOETHES MERKWÜRDIGE WÖRTER und Olschansky (1999): TÄUSCHENDE WÖRTER sowie die Darstellungen Ludwigs zu seinem geplanten WÖRTERBUCH DER ARCHAISMEN (vgl. Ludwig 1996, Ludwig 1997 und Ludwig 2004). Einschätzungen zu Ludwig sowie zu Osman finden sich in Brückner/Knoop 2003, 67–70. Vgl. auch Wolski 1986, 231. Da diese Definition zentral für den Fortgang der Argumentation ist, sei an dieser Stelle unser Verständnis der Definition Reichmanns ausführlich begründet. Der Definitionstext ist insofern problematisch, als er keine gliedernden Absätze enthält. Die aus unserer Sicht sinnvolle Lesart
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isch bzw. untergegangen gilt (insofern der Bezugszeitraum der Archaizität) und „älterer historischer Epochen“ als Zeitstufe 2, aus der diese Wörter jeweils stammen und in welcher sie unter dem Diachronieaspekt unmarkiert waren. Dieser Definition vorgelagert ist jedoch ein Einverständnis darüber, was „archaisch“ und „untergegangen“ in Bezug auf den Wortschatzwandel bedeutet. Dieses Einverständnis besteht in der Forschung nur bedingt, denn schon die Benennungen und erst recht die Bedeutungen der Kategorien sind uneinheitlich.63 Reichmann (1990a, 1153) unterscheidet
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unterstellt, dass sich der Satzteil „älterer historischer Epochen“ sowohl auf den in der Definition enthaltenen Punkt 1) als auch auf Punkt 2) bezieht: Sowohl die aus gegenwärtiger Sicht als archaisch geltenden als auch die untergegangenen Wörter entstammen älteren historischen Epochen (in denen sie unter dem Diachronieaspekt unmarkiert waren). Damit werden auch für Archaismen zwei Zeitstufen wesentlich: 1. Die Zeitstufe, aus deren Blick und Sprachgefühl heraus die Archaizität von Wörtern empfunden wird (eben die „gegenwärtige“ genannt, in der Definition heißt es „in einer bestimmten Zeit“); auf diese Zeitstufe beziehen sich die Markierungen „archaisch/ untergegangen“. 2. Die älteren Epochen, aus der die in Zeitstufe 1 markierten Wörter stammen. Diese Zeitstufe 2 kann/sollte für das Wörterbuch ebenfalls anhand repräsentativer Texte analysiert werden (z. B. um die „ursprüngliche“, d. h. die unmarkierte Verwendung zu beschreiben). Diese Lesart entspricht dem Vorgehen vieler dem Typus Archaismenwörterbuch zugeordneter Wörterbücher und wird auch von Reichmann selbst gestützt, wenn er an gleicher Stelle fordert: „Die historischen Epochen, aus denen sich der archaische und untergegangene Wortschatz […] rekrutiert, sind anzugeben“ (Reichmann 1990a, 1153; Hervorhebung von uns). Die alternative Lesart unterstellt, dass sich der Satzteil „älterer historischer Epochen“ nur auf Punkt 2), also die untergegangenen Wörter, bezieht, nicht aber auf die als archaisch geltenden Wörter. Nur ein Wörterbuch für untergegangene Wörter würde die Zeitstufe 2, in der sie unmarkiert waren, angeben (und ihre damalige Verwendung bzw. Bedeutung beschreiben). Ein Wörterbuch für archaische Wörter dagegen würde sowohl seine Lemmaauswahl aus Zeitstufe 1 (der Stufe der Markiertheit) heraus begründen als auch die Verwendung der Wörter in Texten dieser Zeitstufe beschreiben (und wäre mithin rein synchron). Ein solches Vorgehen würde allerdings nicht in ein Bedeutungs-, sondern ein Verwendungswörterbuch münden und ist noch von keinem bisherigen Archaismenwörterbuch unternommen worden. Würde Reichmann tatsächlich Lesart 2 gemeint haben, führte dies also in Bezug auf Wörterbücher für archaische Wörter zu einer leeren Kategorie ohne Beschreibungsgegenstand. Tatsächlich jedoch zählt Reichmann unterschiedliche „Wörterbücher archaischer und untergegangener Wörter“ auf und unterzieht sie einer typologischen Untersuchung, ohne weiter zwischen Wörterbüchern zu archaischen und Wörterbüchern zu untergegangenen Wörtern zu unterscheiden. Im Folgenden wird die wahrscheinliche (erste) Lesart zugrunde gelegt, an geeigneter Stelle jedoch auf die andere Möglichkeit hingewiesen. Dies kommt sowohl in der unterschiedlichen Nomenklatur zum Ausdruck, die zur Beschreibung des Phänomens verwendet wird (z. B. „Paläologismen“ bei Schmidt 1982 oder „Sprachfossilien“ bei Cherubim 1988), als auch in den von Ludwig vorgestellten Definitionen in lexikographischen und lexikologischen Werken (vgl. Ludwig 1996, 159–163; Ludwig 1997, 70–72; Ludwig 2004, 174f.). Hinzuweisen ist insbesondere auf die teilweise unternommenen Versuche, zwischen Archaismen und so genannten Historismen zu unterscheiden, wobei keinerlei Einigkeit über die damit zu beschreibenden Sachverhalte oder die Grenzziehung zwischen beiden Ausdrücken herrscht. Meist sollen damit Bezeichnungen für Denotate, die heute anders bezeichnet werden (Archaismen), von Bezeichnungen für Denotate, die aus der heutigen Lebenswelt verschwunden sind (Historismen), unterschieden werden (vgl. Ludwig 1996, 159–163 sowie die dortigen Literaturhinweise). Diese Unterscheidung widerspricht jedoch dem Ziel der Verständnissicherung, zumal dann, wenn überlegt wird, Historismen seien aus einem Archaismenwörterbuch auszuschließen (so Ludwig 2004, 184; Ludwig 1996, 168). Außerdem ist die Weiterverwendung eines Wortes nicht zwangsläufig an die Existenz des ursprünglichen Denotats gebunden („Wagen“ und „Kelte“ haben das weitgehende Verschwinden von Pferdefuhrwerken und Kelten gut überstanden). Das Veralten und Sterben von Wörtern kann also nicht allein mit dem Wegfall des Denotats begründet werden. Vielmehr ist
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dagegen sehr richtig zwischen der Produktions- und der Rezeptionsseite von Sprache (aktiv vs. passiv): Definition (4) Archaisch ist all dasjenige, was von den Sprechern einer Sprache unter dem temporalen Dia-Gesichtspunkt im neutralen Gebrauch als veraltend oder gar veraltet beurteilt und dementsprechend nur noch bei historisierendem Sprachhandeln zur Erzielung bestimmter stilistischer Effekte (aktiv) gebraucht wird. Unter passivem Aspekt ist all dasjenige archaisch, was bei der Lektüre historischer Texte noch verstanden wird. Als untergegangen soll alles gelten, was dem Sprachbenutzer unverständlich ist und deshalb auch nicht aktiv verwendet werden kann. [Hervorhebungen von uns] Die Unterscheidung von passivem und aktivem Archaismusbegriff ist grundlegend für die Anlage eines Archaismenwörterbuchs, was allerdings längst nicht von allen bisher in der Forschung gelieferten Definitionen und Erläuterungen zu Archaismen beachtet worden ist:64 Soll das Wörterbuch Verständnisschwierigkeiten älterer Texte beseitigen helfen (Rezeptionsseite) oder eine Anleitung zu rhetorisch geschultem Sprechen und Schreiben unter besonderer Beachtung des Stilmittels der Archaisierung sein (Produktionsseite)? Oder gar beides? Denkbar wäre zudem, dass mit Hilfe des Archaismenwörterbuchs der Benutzer in die Lage versetzt werden soll, den Gebrauch von archaisierenden Sprachmitteln in von ihm rezipierten Texten zu erkennen, oder dass er durch häufige aktive Benutzung der Archaismen dazu beitragen soll, diese „wiederzubeleben“ (und sie somit wieder zu unmarkierten Sprachelementen zu machen). Auch die obige Definition (4) lässt in dieser Hinsicht noch viele Möglichkeiten offen. Ausgangsperspektive der Definitionen (3) und (4) ist der gegenwärtige Sprecher (des Deutschen) bzw. die gegenwärtige Sprechergemeinschaft und deren Wissen über „die zeitliche Gültigkeit der Gebrauchsregeln von Wörtern“ (Reichmann 1990a, 1153).65 Diese zeitliche Gültigkeit ist Folge und Anzeichen von Sprachwandel auf lexikalisch-semantischer Ebene, eines Prozesses, der wie in den obigen Definitionen häufig mit den Abstufungen „veraltend“, „veraltet“ und „untergegangen“ beschrieben wird. Weitere Bezeichnungen sind
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es immer vorrangig ein sprachlicher Vorgang, womit die Grundlage einer Unterscheidung von Archaismen und Historismen entfällt. Diese Mehrdeutigkeit entspringt einer begrifflichen Übertragung: Der Begriff „Archaismus“ (griech. archaismós) entstammt der klassischen Rhetorik und bezeichnet dort den „bewussten Rückgriff auf eine Form, die außer Gebrauch gekommen ist, die aber noch dazu dient, besondere stilistische Wirkungen zu erzeugen“ (HWRH 1, 853; ähnlich auch DNP 1, 981 und LAW 242). Damit ist das Wort „Archaismus“ auf einen Vorgang bezogen, nämlich den Einsatz bestimmter sprachlicher Mittel. In den heutigen Definitionen wird „Archaismus“ dagegen (auch) als Eigenschaft eines Wortes verstanden, womit eine andere Beschreibungsebene erreicht ist. Ein solcher Wechsel von Beschreibungsebenen durch Übertragung muss zwar erlaubt sein, in einer Definition (wie hier von „Archaismus“) sollten die Ebenen jedoch klar getrennt und benannt werden. Das Wissen der einzelnen Sprachbenutzer ist dabei zwar individuell und daher je unterschiedlich. Damit Archaismen in der Sprache funktionieren können, ist allerdings von einem gleichzeitig vorhandenen „kollektiven Wissen“ (Reichmann 1990a, 1153) über diese Gebrauchsregeln auszugehen. Dieses kollektive Wissen wird vor allem auf der Produktionsseite wichtig: Um den gewollten stilistischen Effekt zu erzielen, müssen Sprecher und Rezipient auf der gleichen Grundlage urteilen.
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„verschwunden“, „verschollen“, „ausgestorben“ usw. Solange Wörter jedoch in heute noch rezipierten Texten enthalten sind, sind sie – aus dem Blickwinkel der Langue – nicht verschwunden o. ä.66 Diesem Tatbestand trägt das KLASSIKERWÖRTERBUCH Rechnung, indem 1) in der Anlage des Wörterbuchs zwischen den Stufen einer „Wortveralterung“ nicht unterschieden wird67 und 2) Archaismen – falls sich dieser Ausdruck auf das KLASSIKERWÖRTERBUCH überhaupt anwenden lässt – nicht im Sinne des aktiven Archaismusbegriffs als rhetorische Kategorie (also parolebezogen) verstanden werden, sondern als Differenz zwischen dem heutigen und dem damaligen Wortgebrauch aufgefasst und beschrieben werden. Ziel ist die Verständnissicherung älterer, heute noch als wichtig empfundener Texte und damit eindeutig die Rezeptionsseite der Sprache.68 Die eben geschilderten Voraussetzungen schließen das KLASSIKERWÖRTERBUCH jedoch noch nicht aus dem Kreis der Archaismenwörterbücher aus, denn zur Definition (3) lässt sich nach dem jetzigen Stand der Untersuchung weiterhin Übereinstimmung feststellen.69 Es erfolgt daher ein Vergleich des KLASSIKERWÖRTERBUCHs mit den aus der Definition bzw. aus den typologischen Beschreibungen zu folgernden Eigenschaften70 des Typs Archaismenwörterbuch sowie mit den „typusbedingten Entscheidungsnotwendigkeiten“ (Reichmann 1990a, 1153f.), die für jedes Archaismenwörterbuch bedacht werden müssen und dessen jeweilige Konzeption begründen. Die Eigenschaften des Archaismenwörterbuchs sind: 1. Es ist ein Produkt der Languelexikographie.71 2. Der Ausgangspunkt für die Lemmaauswahl des Lexikographen ist die für ihn gegenwärtig gültige72 Standardvarietät.73 66 67
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Ausgestorben noch viel weniger, da sie durch die Texte jederzeit zur Verfügung stehen und – um im Bild zu bleiben – auch in der aktuellen aktiven Sprachbenutzung wieder lebendig werden können. Um es noch einmal deutlich zu machen: Im KLASSIKERWÖRTERBUCH werden keine „alten Wörter“ der Gegenwartsprache aufgedeckt und klassifiziert, sondern gängige Wörter einer älteren Sprachstufe erklärt. Dass die Verständnissicherung andererseits Grundlage zur Produktion aktueller Texte sein kann, die mit „eigentlich veralteten“ Sprachmitteln spielen, wäre nur ein Nebeneffekt. Diese Behauptung gilt nur, wenn die in Fn. 62 bevorzugte Lesart der Definition zugrunde gelegt wird. Bezieht sich der Satzteil „älterer historischer Epochen“ entgegen der im Folgenden vorgenommenen Argumentation nicht auf den in der Definition enthaltenen Punkt 1), werden als archaisch geltende Wörter also nur in Bezug auf die Gegenwartssprache definiert, entspricht das KLASSIKERWÖRTERBUCH der vorliegenden Definition nur bezüglich Punkt 2): Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist in dieser Hinsicht eher einem historischen Sprachstadienwörterbuch vergleichbar und entnimmt sein gesamtes Wortmaterial aus Texten eines historischen Zeitraums. Die hieraus entstehenden Implikationen können an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Die Eigenschaften werden in der Forschungsliteratur nicht explizit aufgelistet, lassen sich aber aus der typologischen Überblicksdarstellung von Hausmann 1989, insbes. 974–977, sowie aus Reichmann 1990a, 1153 gewinnen. In der Typologie nach Hausmann 1989, 977: „auf die Sprache bezogen“ (im Gegensatz zu „auf die Texte bezogen“), bei Reichmann 1990a, 1153 heißt es: „Texte der Sprachlexikographie“. Reichmann (1990a) weist darauf hin, dass auch einzeltextbezogene Wörterbücher wie z. B. das LOGAU-WÖRTERBUCH von Lessing (1759) dem Typ des Archaismenwörterbuchs zugerechnet werden können. Dazu ist jedoch anzumerken, dass auch in diesen Wörterbüchern über die Archaizität der in ihnen enthaltenen Lemmata Aussagen nur aus dem Blickwinkel der Langue des Wörterbuchautors gemacht werden können. Gemeint ist hier und im Folgenden die oben definierte Zeitstufe 1. Die Festlegung auf diese Bezugsvarietät ist nach Hausmann 1989, 975 u. 977 typusimmanent:
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3. In dieser Bezugsvarietät weisen die im Wörterbuch beschriebenen lexikalischen Einheiten die Markierung „archaisch“ auf. Diese Markierung ergibt sich aus dem Wissen der Sprachbenutzer über die zeitliche Gültigkeit der Gebrauchsregeln (d. h. die Modernität vs. Archaizität) von Wörtern oder Worteigenschaften. Zu den typusbedingten Entscheidungsnotwendigkeiten gehören folgende Entscheidungen und Festlegungen:74 1. Die zeitliche Eingrenzung der historischen Epochen (= Zeitstufe 2), in denen die in Zeitstufe 1 als archaisch markierten Wörter noch nicht in dieser Weise markiert waren. Es sollten nur Archaismen behandelt werden, die einer bestimmten Zeitstufe 2 unmarkiert angehören: Ohne eine solche Beschränkung würde die Menge der (potentiell) zu beschreibenden Wörter unübersehbar und wäre nicht mehr zu bewältigen. 2. Es ist zu klären, ob „Scheinarchaismen“ (Reichmann 1990a, 1154), die einer raum-, schicht- oder gruppenspezifischen Varietät angehören, deren Markierung von manchem Sprachbenutzer aber als archaisch missverstanden wird, Gegenstand des Wörterbuchs sein sollen, oder ob eine linguistische Bereinigung vorgenommen werden soll. 3. Die Qualität des Wortes, auf die sich das Wörterbuch beziehen soll, ist zu bestimmen: das Wort als ganzes, seine Bedeutung(en) oder sonstige Worteigenschaften (Aussprache, Schreibung, Wortbildung, syntaktische Verwendungsweise etc.). 4. Die Zielgruppe(n) des Wörterbuchs und die den Benutzern unterstellten Benutzungsanliegen (das Nachschlagemotiv) des Wörterbuchs müssen offengelegt werden.75 Wir ergänzen die obigen Festlegungen um Entscheidungen bezüglich 5. der Rezeptions- und/oder Produktionsbezogenheit des zugrundegelegten Archaismusbegriffs (aktiver vs. passiver Archaismusbegriff, s. o.), 6. der Erhebungsmodalitäten des zu erklärenden Wortschatzes in Bezug auf Korpus, Lemmabestand und Belege,
74 75
Archaismenwörterbücher beziehen sich auf die Standardvarietät. Dieser Begriff muss für die jeweilige Sprachstufe angepasst werden, von Standard im eigentlichen Sinne kann erst für das 20. Jahrhundert gesprochen werden (cf. Reichmann 1990a, 1154). Im Folgenden wird der Einfachheit halber immer der Ausdruck Standardvarietät ohne die für frühere Sprachstufen eigentlich notwendige Differenzierung verwendet. Zwar wäre eine andere Varietät als Bezugspunkt denkbar (Dialekte, Fachsprachen, Gruppensprachen; cf. Reichmann 1990a, 1154), die bisherigen Archaismenwörterbücher beziehen sich jedoch ausnahmslos auf den Standard, und zwar auf den jeweils zeitgenössischen Standard des Wörterbuchautors: Archaismen existieren nach dem Urteil der jeweils gegenwärtigen Sprachbenutzer. Vorstellbar wäre allerdings ein Archaismenwörterbuch, das einen oder mehrere Texte, die aus einer älteren Zeitstufe stammen, synchron zur Textbasis analysiert; Aufgabe eines solchen Wörterbuchs wäre es, die in diesen Texten in Bezug auf den damaligen Sprachgebrauch enthaltenen archaisierenden Sprachmittel aufzudecken und zu beschreiben. Das war jedoch bisher nie Ziel eines Archaismenwörterbuchs. Die geforderten Festlegungen sind aus Reichmann 1990a, 1153f. entnommen und werden von uns ergänzt. Reichmann verlangt nur die Offenlegung der Benutzungsanliegen, wir ergänzen diese Forderung um die Offenlegung der Zielgruppe(n), da beide Parameter eng zusammenhängen und sich in den Auswirkungen auf die Konzeption eines Wörterbuchs gegenseitig bedingen. Vgl. Kühn 1989, insbesondere 112–114.
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7. der Vollständigkeit in der Beschreibung der Ausprägungen der unter 3. berücksichtigten Worteigenschaften, 8. der Nennung oder Nichtnennung der Gründe für die Archaisierung des Wortes (die Begründung des spezifisch vorliegenden lexikalischen Sprachwandelphänomens). Die obige Liste wäre unseres Erachtens grundlegend für die Konzeption jedes Archaismenwörterbuchs. Im Folgenden wird jedoch nur auf diejenigen Punkte eingegangen, die für den Vergleich des KLASSIKERWÖRTERBUCHs mit dem Typus Archaismenwörterbuch von Wert sind. Zunächst erfolgt aber ein Vergleich auf der Ebene der Eigenschaften. Das KLASSIKERWÖRTERBUCH stimmt in der Eigenschaft 2 mit dem Typ Archaismenwörterbuch überein, bezüglich der Eigenschaft 1 ebenfalls – unter Berücksichtigung der in den beiden vorigen Abschnitten gemachten Differenzierungen.76 In Hinsicht auf Eigenschaft 3 ergibt sich jedoch eine grundlegende Akzentverschiebung. Zwar spielt die Wortschatzkompetenz der Sprachbenutzer von heute (und damit der Zeitstufe 1) für die Konzeption (die Lemmaauswahl) des KLASSIKERWÖRTERBUCHs ebenfalls eine zentrale Rolle (s. o. Eigenschaft 2). Sie allein ermöglicht die Entscheidung, ob ein bestimmtes Wort infolge lexikalischen Sprachwandels an die Peripherie gerückt ist. Es geht aber nicht darum, ob die Sprachbenutzer ein Wort oder eine Worteigenschaft als archaisch empfinden, sondern ob sie in Bezug auf die Wortverwendung77 in (heute noch rezipierten) Texten des gewählten Vergleichszeitraums (Zeitstufe 2 des KLASSIKERWÖRTERBUCHs) eine Differenz zum heutigen Gebrauch (Zeitstufe 1 des KLASSIKERWÖRTERBUCHs) feststellen. Diese Differenz mag häufig mit der Einschätzung „archaisch“ zusammenfallen,78 entspringt aber einer andersgearteten Motivation. Während die Zuweisung „archaisch“ immer auch eine Bewertung impliziert (im schlimmsten Fall die Bewertung „altertümlich, altmodisch“ und daher heute irrelevant und zu vernachlässigen, im besten Fall die Bewertung als Prestigevokabular), dient das Aufspüren der empfundenen Differenz allein der Sichtbarmachung und schließlich der Überbrückung der Differenz zu heute (der Verstehensbarriere) durch ihre Beschreibung. Daher ist es ein Anliegen des KLASSIKERWÖRTERBUCHs, an geeigneten Stellen nicht nur die historische Wortverwendung zu beschreiben, sondern auch die Art der Differenz zur heutigen Wortverwendung79 aufzuzeigen. Ursache für die Markiertheit im Archaismenwörterbuch sowie der „Differenz“ im K LASSIKERWÖRTERBUCH ist jedoch dasselbe Phänomen: der lexikalische Sprachwandel. Daher ist ein Blick auf die typusbedingten Entscheidungsnotwendigkeiten durchaus aufschlussreich (mit entsprechend angepasster Nomenklatur). Für das K LASSIKERWÖRTERBUCH sind folgende, sich teilweise gegenseitig bedingende konzeptionelle Entscheidungen getroffen worden:
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Besonders am Ende des Abschnitts 4.2. „KLASSIKERWÖRTERBUCH und textsortenbezogene Wörterbücher“. „Wortverwendung“ steht hier stellvertretend für alle oben beschriebenen Wortqualitäten „ganzes Wort“, „Bedeutung(en) des Wortes“ und „sonstige Worteigenschaften“. Das ist auch der Grund dafür, dass einige Archaismenwörterbücher ähnliche Lemmata enthalten wie das KLASSIKERWÖRTERBUCH. Zur Kategorie „Differenz“ als grundlegendem Strukturelement des KLASSIKERWÖRTERBUCHs s. o.
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Zu 1., Eingrenzung der Zeitstufe 2: Die Verwendung des Zeitstufenschemas ist in Bezug auf das KLASSIKERWÖRTERBUCH wie folgt zu modifizieren: Es gibt in der für den Lexikographen gültigen Standardvarietät (= Zeitstufe 1, für das KLASSIKERWÖRTERBUCH die Gegenwart) in Folge lexikalischen Sprachwandels einen an die Kompetenzperipherie geratenen Wortschatzausschnitt. Die Elemente dieses Wortschatzes gehörten in einer älteren Sprachstufe (= Zeitstufe 2) in der Regel zum Kompetenzzentrum damaliger Sprachteilnehmer.80 Für das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist die Zeitstufe 2 auf den Zeitraum 1714 bis 1899 eingegrenzt.81 Diese Daten ergeben sich aus dem Anliegen des KLASSIKERWÖRTERBUCHs, eine Verständnissicherung in Bezug auf diejenigen älteren deutschsprachigen (literarischen) Texte zu erreichen, welche heute noch rezipiert und gegenwärtig gehalten werden, da ihnen eine kulturstiftende Funktion beigemessen wird.82 Zu 5., aktiver vs. passiver Archaismusbegriff: Das KLASSIKERWÖRTERBUCH beschreibt, wie oben dargelegt, keine Archaismen, sondern differente Wörter. Zur Verdeutlichung des Differenzbegriffs im Hinblick auf seine Rezeptions- bzw. Produktionsbezogenheit ist auf beide Zeitstufen einzugehen. Das Vermittlungsinteresse des KLASSIKERWÖRTERBUCHs ist auf die Zeitstufe 1 (hier: die Gegenwart) hin ausgerichtet, besteht in der Verständnissicherung heute noch relevanter Texte einer älteren Zeitstufe für heutige Sprachbenutzer und ist damit immer rezeptionsbezogen. Der Differenzbegriff des KLASSIKERWÖRTERBUCHs ist in dieser Hinsicht dem passiven Archaismusbegriff analog, das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist bezogen auf Zeitstufe 1 ein Langue-, kein Parolewörterbuch. Das Erkenntnisinteresse des KLASSIKERWÖRTERBUCHs ist auf die Zeitstufe 2 bezogen, für die das KLASSIKERWÖRTERBUCH als Bedeutungswörterbuch, zwar ausgehend von einem festen Textkorpus und damit auf einem Ausschnitt der Sprachwirklichkeit basierend, doch mit Blick auf die zeitgenössische Langue konzipiert ist. Zusätzlich können – so sie dem Lexikographen bewusst werden – in einzelnen Wörterbuchartikeln text- bzw. autorenspezifische Verwendungen des Wortes aufgezeigt werden, wozu auch die archaisierende Verwendung gehört. Einzig an dieser nicht systematisch zu füllenden Beschreibungsposition kann das KLASSIKERWÖRTERBUCH Angaben in Form von kommentierenden Hinweisen enthalten, die dem aktiven Archaismusbegriff entsprechen.83 Zu 6., Erhebungsmodalitäten: Die Erhebungsmodalitäten in Bezug auf Korpus, Lemmabestand und Belege müssen sich am jeweiligen Erkenntnis- und Vermittlungsinteresse orientieren. Für das KLASSIKERWÖRTERBUCH bedeutet das: Da das Erkenntnisinteresse der Zeitstufe 2 gilt, stammen Korpus und Belege aus Zeitstufe 2, auf die sich auch die Bedeutungsbeschreibungen beziehen. Das Vermittlungsinteresse richtet sich dagegen auf Zeitstufe 1 und damit den heutigen Sprach-
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Zum Verhältnis zwischen dem im „Freiburger Klassikerkorpus“ enthaltenen Wortschatz und dem Allgemeinwortschatz s. o. den Abschnitt 4.1. „KLASSIKERWÖRTERBUCH und Autorenwörterbücher“, insbesondere die Ausführungen zum „poetischen“ bzw. „Literaturwortschatz“. Von Johann Christian Günther, „Abschieds-Aria“, bis zu Theodor Fontane, „Der Stechlin“. Genauer dazu sowie zur Korpusbestimmung Brückner/Knoop 2003, 63f. u. 70–72. In diesem Fall würde das Vorgehen sogar der Grunddefinition Reichmanns in Lesart 2 entsprechen (s. o. Fn. 62).
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benutzer. Die aus seiner Sicht bestehende Differenz muss herausgearbeitet (und im Wörterbuch dargestellt bzw. erklärt) werden, dementsprechend stammen die Lemmata zwar aus einem historischen Textkorpus (der Zeitstufe 2), die Lemmaauswahl (der Bestand an Lemmakandidaten) erfolgt jedoch auf der Grundlage der standardsprachlichen Kompetenzen heutiger Sprachbenutzer (Zeitstufe 1).84 Das Erkenntnis- und Vermittlungsinteresse von Archaismenwörterbüchern ist demgegenüber nicht eindeutig und hängt von der Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Archaismusbegriff ab. Die Lemmaauswahl erfolgt zwar entsprechend Eigenschaft 2 auch bei den Archaismenwörterbüchern in allen Fällen aus der Perspektive der Standardvarietät der Zeitstufe 1 heraus (durch Befragung der Sprachteilnehmer oder durch Analyse allgemeiner einsprachiger Wörterbücher). Korpus und Belege müssen jedoch je nach Konzeption des Wörterbuchs aus Zeitstufe 1 oder Zeitstufe 2 stammen. Dazu seien zwei Beispiele genannt: Wird das Archaismenwörterbuch aufgrund des passiven Archaismusbegriffs konzipiert und verbleibt es daher auf der Rezeptionsseite, könnte es dem synchron ausgerichteten Erkennen und Beschreiben archaisierenden Sprachhandelns dienen:85 Ausgangspunkt der Konzeption wäre immer eine Zeitstufe 1 (in der die Wörter von den Sprachteilnehmern als Archaismen empfunden werden), diese könnte allerdings entweder die Gegenwart oder eine ältere Zeitstufe sein. Die Beschreibung der Archaismen im Wörterbuch müsste immer synchron erfolgen: Entweder werden den gegenwärtigen Sprachteilnehmern Archaismen in gegenwärtigen Texten erklärt (Korpus und Belege stammen entsprechend aus der Gegenwart, aus deren Sicht auch die Lemmaauswahl erfolgt) oder es werden Archaismen einer älteren Zeitstufe in Texten dieser Zeitstufe erläutert (entsprechend stammen Korpus und Belege aus dieser älteren Zeitstufe, aus deren Sicht wiederum auch die Lemmaauswahl erfolgt). Eine Zeitstufe 2 (in der die als Lemma behandelten Wörter noch unmarkiert sind) würde in diesem Subtypus keine Rolle spielen. Soll das Archaismenwörterbuch dagegen (auch) aufgrund des aktiven Archaismusbegriffs konzipiert werden, könnte es beispielsweise dem Ziel der Wiederbelebung älteren Wortguts dienen; das Korpus, die Belege für die frühere Verwendung sowie die Lemmaauswahl müssten entsprechend aus Zeitstufe 2 stammen; da das Vermittlungsinteresse jedoch auf den heutigen Einsatz zielt, müssten zusätzlich Verwendungsbeispiele für den unter den heutigen sprachlichen Gegebenheiten86 möglichen Einsatz der „alten“ Wörter (und/oder ihrer Bedeutungen bzw. sonstigen Eigenschaften) gegeben werden. 84
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An dieser Stelle wird der Unterschied zum Sprachstadienwörterbuch noch einmal sichtbar: Im idealen Sprachstadienwörterbuch würde keine Lemmaauswahl unter Berücksichtigung einer Zeitstufe 1 (also im Hinblick auf das Vermittlungsinteresse) mehr erfolgen. Alle im Korpus vorkommenden Wörter würden auch Lemma im Wörterbuch, da für den gesamten Wortschatz ein Vermittlungsinteresse angenommen werden kann. Allein diese Art Archaismenwörterbuch entspräche dem eingangs des Kapitels vorgestellten wörtlichen Archaismusbegriff und wäre aus der Lesart 2 der Grunddefinition Reichmanns (s. o. Fn. 62) ableitbar. Genau genommen hat sich natürlich nicht allein die Sprache und damit die in ihr zugelassenen Möglichkeiten verändert, auch die Welt als solche ist in Zeitstufe 1 nicht mehr die gleiche wie in Zeitstufe 2. „Wiederbelebte“ Wörter erfüllen auch in der heutigen Sprachwelt eine Funktion, aber eine andere als in der „Ursprungszeit“: Die Weiterverwendung eines Wortes ist zwar nicht zwangsläufig an die Existenz des ursprünglichen Denotats gebunden (s. o. Fn. 63). Dennoch sind die Wörter aus ihrem ehemaligen sprachlichen und lebensweltlichen Zusammenhang gerissen und können daher auch nicht mehr auf das „Gleiche“ referieren – ein Knappe auf heutigen Mittel-
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Gegenüber den Archaismenwörterbüchern ergibt sich folgende typologische Beschreibung des KLASSIKERWÖRTERBUCHs: Es ist wie die Archaismenwörterbücher ein Wörterbuch zum Wortschatzwandel und ist wie diese langueorientiert. Abweichend von Definition (3) behandelt das KLASSIKERWÖRTERBUCH die auf der Grundlage eines abgeschlossenen, repräsentativen Textkorpus ermittelten und gegenüber der heutigen Standardvarietät differenten Wörter und Wortbedeutungen des Wortschatzes einer älteren Zeitstufe und dient der Darstellung und Überwindung der Differenz.
4.4
KLASSIKERWÖRTERBUCH und Wörterbuch der schweren Wörter
Das Wörterbuch der schweren Wörter, das unter Bezeichnungen wie dictionary of hard, uncommon, obscure, difficult words, dictionnaire des mots sauvage, rare, précieux oder dizionario di vocaboli insoliti, dotti, difficili87 firmiert, ist ein in der deutschen Wörterbuchlandschaft fast unbekannter Spezialwörterbuchtyp.88 Statt dessen hat die Beschäftigung mit dem Fremdwort89 (und seinen tatsächlichen oder angenommenen Problemen für den durchschnittlichen Sprachverwender) in der deutschen Lexikographie zu dem besonderen Typus des „an den normalen Sprachteilhaber gerichteten Gebrauchswörterbuch[s]“ oder „herkömmlichen Fremdwörterbuch[s]“ (Kirkness 1986, 157) geführt,90 in dem die wegen ausdrucksseitiger Besonderheiten als Fremdwörter identifizierten Wörter lexikographisch – separiert vom indigenen Wortschatz – behandelt werden.91 Es ist aus deutscher Sicht also kaum möglich, über das Schwerwörterbuch zu sprechen, ohne das Fremdwörterbuch einzubeziehen. Inhaltlich berühren sich diese beide Typen darin, dass auch beim Fremdwort oft pauschal davon ausgegangen wird, dass es per se „schwieriger“ als indigene Wörter sei (womit u. a. die Notwendigkeit des entsprechenden Wörterbuchtypus begründet wird; cf. Wiegand 1984, 572; Kirkness 1986, 153; Kirkness 1990, 1169f. u. 1175). Die Wirkmächtigkeit dieser Einschätzung hat sich auch während der Erhebungsphase (cf. Brückner/Knoop 2003, 72–74) für die Lemmata des KLASSIKERWÖRTERBUCHs gezeigt, als von einigen Testlesern Fremd-
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altermärkten oder bei Ritterspielen ist eben immer nur ein gespielter Knappe – oder in gleicher Weise verwendet werden wie früher. Die mit dem Wort ausgedrückten Bedeutungen müssen erst wieder neu und passend zu den heutigen Gegebenheiten herausgearbeitet werden. Auswahl und Zusammenstellung nach Hausmann 1990, 1208f. Kirkness 1986, 159–162; Kirkness 1990, 1170 u. 1173 und allgemein Hausmann (1990). Das Wörterbuch der schweren Wörter steht in der Typologisierung von Hausmann (1989) in einer Reihe mit Wörterbüchern zu Archaismen, Neologismen, Regionalismen, Internationalismen, aber auch umgangssprachlichen Wörtern, Schimpf- und Tabuwörtern u. a. (vgl. Hausmann 1989, 975). Auf die terminologische Problematik des Fremdwortbegriffes soll hier nicht eingegangen werden. Vgl. Kirkness (1986); Kirkness 1990, 1168 u. 1175f.; Reichmann 1990b, 1231. Im Folgenden wird „Fremdwort“ einfach komplementär zu „Erbwort“ verwendet. Hiervon zu unterscheiden ist das wissenschaftliche Fremdwörterbuch mit deutlich anderer Konzeption, das in der deutschen Wörterbuchlandschaft derzeit nur durch die zweite Auflage des DFWB von Schulz/Basler vertreten ist (cf. Kirkness 1990, 1174). Komplementär dazu wurden bei vielen allgemeinsprachlichen Wörterbüchern des Deutschen vor 1945 – zumindest auf Teilstrecken – Fremdwörter von der Bearbeitung ausgeschlossen (cf. Kirkness 1986, 154; Kirkness 1990, 1172; Reichmann 1990b, 1235f.). Auch die Wörterbücher der „Lexikographie archaischer und untergegangener Wörter [...] stehen [...] von Ausnahmen abgesehen in einer erbwortfreundlichen puristischen Tradition“ (Reichmann 1990b, 1234).
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wörter signifikant öfter genannt wurden als Erbwörter, diese also generell „differenzverdächtiger“ waren als der indigene Wortschatz. Das hat seine objektive Berechtigung dadurch, dass die Fluktuation (und teilweise auch der Bedeutungswandel) bei manchen Fremdwörtern im Deutschen eine höhere Geschwindigkeit hat als bei Wörtern, die aus dem Erbbestand stammen. Deshalb sind Fremdwörter ein wichtiger Gegenstand für ein Wörterbuch, das die Bedeutungsdifferenz zwischen damals und heute überbrücken will. Eine bevorzugte Behandlung von Fremdwörtern ist in der Konzeption des KLASSIKERWÖRTERBUCHs aber nicht vorgesehen und durch den erhobenen Differenzwortschatz (cf. Brückner/Knoop 2003), der insgesamt nicht signifikant fremdwortlastig ist, auch nicht angezeigt.92 Vielmehr erfüllt dieser Differenzwortschatz in seiner Gesamtheit Bedingungen, die ihn für ein Wörterbuch der schweren Wörter qualifizieren: Es ist ein Wortschatz an der Kompetenzperipherie (cf. Hausmann 1990, 1207; auch Kirkness 1986, 161) vieler Muttersprachler des Deutschen. Definition des Typs Wörterbuch der schweren Wörter (Schwerwörterbuch): Definition (5) Die Lexikographie der schweren Wörter ist derjenige Teil der Languelexikographie, in dem Sprachnachschlagewerke zu einem inhaltsseitig (und oft auch ausdrucksseitig) auffälligen Teilbereich des Wortschatzes erarbeitet werden, der an der Kompetenzperipherie vieler Muttersprachler liegt und dem teilweise dennoch und teilweise deswegen ein allgemeines Interesse entgegengebracht wird. Die Eigenschaften des Wörterbuchs der schweren Wörter sind demnach: 1. Es ist ein Produkt der Languelexikographie. 2. Der Ausgangspunkt für die Lemmaauswahl des Lexikographen ist die für ihn gegenwärtig gültige Standardvarietät. 3. Die Inhalte des Schwerwörterbuchs sind inhaltsseitig (und meist auch ausdrucksseitig) an der Kompetenzperipherie vieler Muttersprachler. 4. Das Schwerwörterbuch dient als Gebrauchswörterbuch synchron der Behebung von Kompetenzproblemen und der Erweiterung der gegenwärtigen Wortschatzkompetenz. Alle Eigenschaften (v. a. 1–3) des Wörterbuchs der schweren Wörter gelten auch für das KLASSIKERWÖRTERBUCH.93 Damit reiht es sich in der deutschen Wörterbuchlandschaft in eine Tradition ein, die eng mit der Geschichte des Fremdwörterbuchs verknüpft ist. Schon das so genannte erste deutsche Fremdwörterbuch von Simon Rot heißt im Originaltitel von 1571 unter anderem „ein außleger schwerer/ vnbekanter Teutscher [!] [...] wörter“ (zit. nach Hausmann 1990, 1177, vgl. auch 1172 und Kirkness 1986, 160). Und auch danach beeinflusste die Einsicht, dass das Fremd- in Fremdwort nicht ausreichend erklärt ist mit ‘von jenseits der Landesgrenzen kommend’, sondern auch mit ‘jemandem besondere Anwendungs- und Verständnisprobleme bereitend’ (cf. DUDEN-FWB 1990, 9), immer mal wieder die Lemmaauswahl deutschsprachiger Fremdwörterbücher.94 Im LANGENSCH-FWB, V von 92
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Selbst wenn manche Benutzer – entsprechend dem beschriebenen Verhalten einiger Testleser – beim ersten Kontakt mit dem KLASSIKERWÖRTERBUCH wahrscheinlich eher nach Fremdwörtern als nach (zuerst) voll verständlich aussehenden Erbwörtern suchen werden. Zur Zugehörigkeit des KLASSIKERWÖRTERBUCHs zur Languelexikographie s. die Differenzierungen in den Abschnitten 4.1. und 4.2. (besonders am Ende von 4.2.) und Fn. 71. Ansätze zur Öffnung des Fremdwörterbuches für kleine Teile des nicht allgemein verständlichen
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1922 (= Kirkness 1984, Nr. 250) formuliert der Autor Karl Schmidt dies in seltener Ausführlichkeit so: Das Wörterbuch soll praktischen Zwecken dienen; demgemäß ist auch der Begriff „Fremdwort“ praktisch gefaßt; nicht was die Wissenschaft unter einem Fremdwort versteht, ist aufgenommen worden, sondern was dem Laien fremdes, d. h. unbekanntes Wort ist, gleichviel welches die Herkunft ist. So fehlt eine ganze Reihe „wissenschaftlicher“ Fremdwörter, weil sie jedem bekannt sind, z. B. die Namen der Monate, Wörter wie Löwe, Tiger, Elefant, Rose, Zirkus, Abenteuer, Fabrik, Familie, Sorte usw.; [...] umgekehrt sind Wörter deutscher Herkunft aufgenommen worden, wenn sie nicht allgemein bekannt sind, z. B. Allod, Allmende, Abhängling, Abtrift, Ammenzeugung usw.; auch manche ganz bekannte Wörter mit wenig bekannten Bedeutungen. Damit wird die Fremdwortdefinition nicht einfacher, aber so kann ein Fremdwörterbuch auch den nicht mehr verständlichen (und als „fremd“ empfundenen) Erbwortschatz verzeichnen (wenn auch in eher geringem Umfang) und sich so dem außerhalb Deutschlands üblichen Typus des Wörterbuchs der schweren Wörter annähern.95 Und diese Typenbezeichnung des Wörterbuchs der schweren Wörter wäre auch der Terminus, unter dem man herkömmliche Fremdwörterbücher und das KLASSIKERWÖRTERBUCH sinnvoll gemeinsam betrachten könnte, wobei aber immer zu beachten ist, dass der Differenzwortschatz des KLASSIKERWÖRTERBUCHs kein Fremdwortschatz ist und im KLASSIKERWÖRTERBUCH weder der Fremdwortschatz noch der Erbwortschatz besonders oder bevorzugt behandelt wird. Aber der Differenzwortschatz des KLASSIKERWÖRTERBUCHs liegt an der Kompetenzperipherie der Muttersprachler des Deutschen und bedarf deswegen der besonderen lexikographischen Beachtung. Der größte Unterschied zum Wörterbuch der schweren Wörter und dem KLASSIKERWÖRTERBUCH besteht bei der Eigenschaft 4. Als historisches Wörterbuch ist das KLASSIKERWÖRTERBUCH geschichtsbezogen, mit einer bei geschichtsbezogenen Wörterbüchern sonst nicht üblichen diachronen Komponente (vgl. Reichmann 1984, 469), um seine Funktion zur Überbrückung der Differenz wahrnehmen zu können (s.o. Fn. 9). Mit diesem Vermittlungsinteresse nähert es sich dem Gebrauchswörterbuch an, aber wegen des vorrangigen Erkenntnisinteresses an der Synchronie der beschriebenen Texte steht auch das vorerst geplante einbändige KLASSIKERWÖRTERBUCH dem Typus des wissenschaftlichen Wörterbuchs näher als dem Gebrauchswörterbuch, wie er für das Schwerwörterbuch eher üblich ist (und auch für das in Deutschland verbreitete Fremdwörterbuch).
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indigenen Wortschatzes verraten einige Titeleien von Fremdwörterbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts (vgl. in der Bibliographie von Kirkness (1984) die Nr. 4 (4. Auflage von 1834/1835), 48, 55, 84, 104 u. 125). In neueren Auflagen des DUDEN-FWB wird zwar konstatiert (zuletzt 2007, 123), dass die Grenze zwischen Fremd- und Erbwörtern nicht trennscharf ist, allem Anschein nach aber ohne Konsequenzen für die Lemmaauswahl. Kirkness (1986) fordert die Ablösung des deutschen Gebrauchsfremdwörterbuchs durch diesen Typus. Es wäre noch zu prüfen, inwieweit solche Erbwörter in anderen Fremdwörterbüchern des 20. Jahrhunderts zu finden sind.
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Ein erster typologischer Definitionsversuch
Zusammenfassend lässt sich eine typologische Verortung des KLASSIKERWÖRTERBUCHs folgendermaßen formulieren: Definition (6) Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist als Textgruppenwörterbuch in dem Sinne ein Produkt der historisch-diachronen Textlexikographie, als es auf der Grundlage eines abgeschlossenen, repräsentativen Textkorpus bedeutungsbezogene Aussagen macht über den aufgrund von lexikalischem Sprachwandel inhaltsseitig (und oft auch ausdrucksseitig) auffälligen und an der Kompetenzperipherie vieler Muttersprachler liegenden Teilbereich der Lexik aus der Textsortengruppe literarische Texte (Prosa, Lyrik, Versepik und Dramatik zwischen 1714 und 1899). Als Differenzwörterbuch behandelt es die in diesem Textkorpus ermittelten und gegenüber der heutigen Standardvarietät differenten Wörter und Wortbedeutungen des Wortschatzes der älteren Zeitstufe und dient der Darstellung und Überwindung der Differenz. Das KLASSIKERWÖRTERBUCH ist dabei insofern langueorientiert, als es die im Textkorpus belegten Wortverwendungen nicht als textgruppenspezifisch begreift und seine Angaben teilweise über das im Korpus Belegte hinausgehen.
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Literatur
6.1
Wörterbücher
Benecke/Müller/Zarncke = MITTELHOCHDEUTSCHES WÖRTERBUCH mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke, Leipzig 1854–1861. DFWB = DEUTSCHES FREMDWÖRTERBUCH. Begonnen von Hans Schulz, fortgeführt von Otto Basler. 2. Auflage, völlig neu bearbeitet im Institut für deutsche Sprache, Berlin/New York 1995ff. DNP = Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Stuttgart/Weimar 1996–2003. DRW = DEUTSCHES RECHTSWÖRTERBUCH. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, hg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Weimar 1914ff. DUDEN-FWB 1990 = DUDEN. FREMDWÖRTERBUCH. 5., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion, Mannheim/Wien/Zürich 1990 (Der Duden 5). DUDEN-FWB 2007 = DUDEN. FREMDWÖRTERBUCH. 9., aktualisierte Auflage. Hg. von der Dudenredaktion, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2007 (Der Duden 5). DUDEN-GWB = DUDEN: DAS GROSSE WÖRTERBUCH DER DEUTSCHEN SPRACHE. In zehn Bänden. Hg. vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1999. DWB = Jacob Grimm und Wilhelm Grimm: DEUTSCHES WÖRTERBUCH, Leipzig 1854–1971 [16 Bände in 32 Teilbänden und 1 Registerband] (Fotomechanischer Nachdruck, München 1984). Flacius 1571 = Matthias Flacius (Hg.): Otfridi Evangeliorum liber […]. Evangelien Buch, in altfrenckischen reimen, durch Otfriden von Weissenburg […], Basel 1571 [nach Reichmann 1990a, 1158]. FWB = FRÜHNEUHOCHDEUTSCHES WÖRTERBUCH. Begründet von Robert R. Anderson, Ulrich Goebel und Oskar Reichmann. Hg. von Ulrich Goebel und Oskar Reichmann und dem Institut für Deutsche Sprache, Berlin/New York 1989ff.
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GWB = GOETHE-WÖRTERBUCH. Hg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften [vorm. von der Akademie der Wissenschaften der DDR], der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Stuttgart/Berlin/Köln 1978ff. HWRH = Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hg. von Gert Ueding, Darmstadt 1992ff. Kuhberg 1933 = Werner Kuhberg: Verschollenes Sprachgut und seine Wiederbelebung in neuhochdeutscher Zeit, Frankfurt 1933. LANGENSCH-FWB = K[arl]. Schmidt: LANGENSCHEIDTS FREMDWÖRTERBUCH. Enthaltend alle weniger bekannten deutschen Ausdrücke, sowie die gebräuchlicheren Fremdwörter mit Erklärung und Angabe der Aussprache nach dem phonetischen System der Methode Toussaint-Langenscheidt, Berlin-Schöneberg ³1922. LAW = Lexikon der Alten Welt, Zürich und Stuttgart 1965. Lessing 1759 = Gotthold Ephraim Lessing: Wörterbuch; in: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Hg. von Karl Lachmann. Dritte, auf’s neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Bd. 7, Stuttgart 1891, 352–411. Lexer = Matthias Lexer: MITTELHOCHDEUTSCHES HANDWÖRTERBUCH. Zugleich als Supplement und alphabetischer Index zum MITTELHOCHDEUTSCHEN WÖRTERBUCHE von Benecke-Müller-Zarncke, Leipzig 1872–1876. Müller 1999 = Martin Müller: Goethes merkwürdige Wörter. Ein Lexikon, Darmstadt 1999. Olschansky 1999 = Heike Olschansky: Täuschende Wörter. Kleines Lexikon der Volksetymologien, Stuttgart 1999. Osman 1971 = Nabil Osman: Kleines Lexikon untergegangener Wörter. Wortuntergang seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, München 1971. PAUL-DWB = Hermann Paul: DEUTSCHES WÖRTERBUCH. Bedeutungsgeschichte und Aufbau unseres Wortschatzes. 10., überarbeitete und erweiterte Auflage von Helmut Henne, Heidrun Kämper und Georg Objartel, Tübingen 2002. Rot 1571 = Simon Rot: Ein Teutscher Dictionarius/ dz ist ein außleger schwerer/ vnbekanter Teutscher [...] wörter, Augsburg 1571 [nach Kirkness 1990, 1177]. Schmidt 1922 s. LANGENSCH-FWB Schützeichel 1969 = Rudolf Schützeichel: ALTHOCHDEUTSCHES WÖRTERBUCH, Tübingen 1969.
6.2
Forschungsliteratur
Cherubim 1988 = Dieter Cherubim: Sprachfossilien. Beobachtungen zum Gebrauch, zur Beschreibung und Bewertung der sogenannten Archaismen; in: Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien. Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag von seinen Marburger Schülern. Hg. von Horst Haider Munske/Peter von Polenz/Oskar Reichmann/Reiner Hildebrandt, Berlin/New York 1988, 525–552. Besch/Reichmann/Sonderegger 1984/1985 = Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hg. von Werner Besch, Oskar Reichmann, Stefan Sonderegger, Berlin/New York 1984/1985 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2) [2 Halbbände]. Brednich 1990 = Rolf Wilhelm Brednich: Die Spinne in der Yucca-Palme. Sagenhafte Geschichten von heute, München 1990 (Beck’sche Reihe 403). Brückner 2004 = Dominik Brückner: Mikrostrukturen im Klassikerwörterbuch; in Lexicographica 20, 2004, 145–163. Brückner 2007 = Dominik Brückner: Zur Lemmaauswahl im Klassikerwörterbuch; in: Lexicographica, demnächst. Brückner/Knoop 2003 = Dominik Brückner/Ulrich Knoop: Das Klassikerwörterbuch; in: ZGL 31, 2003, 62–86. Dräger 2007 = Marcel Dräger: Kurz angebunden – historisch-lexikographische Betrachtungen einer Redewendung; in: Csaba Földes (Hg.): Phraseologie disziplinär und interdisziplinär, Tübingen 2007 [im Druck]. Fuhrmann 1985 = Manfred Fuhrmann: Kommentierte Klassiker? Über die Erklärungsbedürftigkeit der
Das Klassikerwörterbuch – Versuch einer typologischen Einordnung
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Sabine Bobenhausen/Dominik Brückner/Michael Mühlenhort
Reichmann 1990d = Oskar Reichmann: Das Sprachstadienwörterbuch I: Deutsch; in: Hausmann/ Reichmann/Wiegand/Zgusta 1989–1991, Teilbd. 2, 1990, 1416–1429. Reichmann 1990e = Oskar Reichmann: Das textsortenbezogene Wörterbuch; in: Hausmann/Reichmann/Wiegand/Zgusta 1989–1991, Teilbd. 2, 1990, 1539–1549. Reichmann 1991 = Oskar Reichmann: Sollte ein neues mittelhochdeutsches Wörterbuch ein Werk der Sprachlexikographie oder ein Werk der Textlexikographie sein?; in: Shichiji 1991, 264–271. Reichmann 1996 = Oskar Reichmann: Neueste Autorenlexikographie: Problemerörterung am Beispiel des Wörterbuches zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe; in: Herbert Ernst Wiegand (Hg.): Wörterbücher in der Diskussion II, Heidelberg 1996, 204–238. Roelcke 1994a = Thorsten Roelcke: Individualsprache und Autorenlexikographie (Einführung); in: Lexicographica 10, 1994, 1–20. Roelcke 1994b = Thorsten Roelcke: Wörterbuch zu den philosophischen Schriften Friedrich Schillers. Konzeption und Probeartikel; in: Lexicographica 10, 1994, 43–60. Sappler 1991 = Paul Sappler: Strukturierungs- und Auswahlhilfen bei Autorwörterbuch und Sprachwörterbuch; in: Shichiji 1991, 277–281. Sappler 2005 = Paul Sappler: Text und lexikalische Bedeutung im Sprachwörterbuch und im Autorwörterbuch; in: Plate/Rapp 2005, 109–119. Schadewaldt 1966 = Wolfgang Schadewaldt: Einführung; in: GWB, Bd. I, 1978, 1*–14*. Schanze 1994 = Helmut Schanze: Autorenlexikographie? – das Beispiel der Indices zur deutschen Literatur; in: Lexicographica 10, 1994, 38–42. Schmidt 1982 = Günter Dietrich Schmidt: Paläologismen. Zur Behandlung veralteten Wortguts in der Lexikographie; in: Deutsche Sprache 10, 1982, 193–211. Schüddekopf 1892 = Carl Schüddekopf: Aus dem Briefwechsel zwischen Gessner und Ramler; in: Zeitschrift für Vergleichende Litteraturgeschichte N. F. 5, 1892, 96–117. Shichiji 1991 = Begegnung mit dem ‚Fremden‘. Grenzen – Traditionen – Vergleiche. Hg. von Eijirô Iwasaki. Akten des VIII. internationalen Germanisten-Kongresses Tokyo 1990. Bd. 4: Kontrastive Syntax – Kontrastive Semantik, Lexikologie, Lexikographie – Kontrastive Pragmatik. Hg. von Yoshinori Shichiji, München 1991. Stackmann 1996 = Karl Stackmann: Das FRAUENLOB-WÖRTERBUCH in der Diskussion; in: PBB 118, 1996, 379–392. Umbach 1986 = Horst Umbach: Individualsprache und Gemeinsprache. Bemerkungen zum Goethewörterbuch; in: ZGL 14, 1986, 161–174. Warnke 2001 = Ingo Warnke: Homonymie und Polysemie in der Autorenlexikographie; in: Lexicographica 17, 2001, 168–181. Weiß 2007 = Sarah Weiß: Verstehenshilfe für die Klassikerlektüre. Der Differenzwortschatz und seine Erklärung als Lesemotivation, Hamburg 2007 (Philologia 100). Weiss/Wiegand/Reis 1986 = Kontroversen, alte und neue. Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses. Hg. von Albrecht Schöne, Göttingen 1985. Bd. 3: Textlinguistik contra Stilistik? – Wortschatz und Wörterbuch – Grammatische oder pragmatische Organisation von Rede? Hg. von Walter Weiss, Herbert Ernst Wiegand, Marga Reis, Tübingen 1986. Wiegand 1984 = Herbert Ernst Wiegand: Prinzipien und Methoden historischer Lexikographie; in: Besch/Reichmann/Sonderegger 1984/1985, 1. Halbbd., 1984, 557–620. Wiegand 1986 = Herbert Ernst Wiegand: Bedeutungswörterbücher oder sogenannte Indices in der Autorenlexikographie? Die Eröffnung einer Kontroverse; in: Weiss/Wiegand/Reis 1986, 163–169. Wiegand 1998 = Herbert Ernst Wiegand: Historische Lexikographie; in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Hg. von Werner Besch, Oskar Reichmann, Anne Betten, Stefan Sonderegger, Berlin/New York 1998–2004 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2) [4 Teilbände], Teilbd. 1, 1998, 643–715. Wolski 1986 = Werner Wolski: Autorenwörterbücher – Last und Lust der Germanisten. Podiumsdiskussion mit Günter Grass und Werner Heißenbüttel. Diskussionsbericht; in: Weiss/Wiegand/Reis 1986, 228–236. Wolski 1994 = Werner Wolski: Ein Wörterbuch zum Werk von Paul Celan. Vorüberlegungen zu einer extremen textlexikographischen Unternehmung; in: Lexicographica 10, 1994, 61–89.
Neuere Entwicklungen in der historischen Dialektlexikographie des Deutschen
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Christoph Landolt
Neuere Entwicklungen in der historischen Dialektlexikographie des Deutschen1
1 1.1
4.2 4.3 5 5.1 5.2
Wörterbuchverbund Elektronische Datenbanken Kurzausgaben (Handwörterbücher) Bestehende Kurzausgaben Überlegungen zu Kurzfassungen des Schweizerischen Idiotikons Schlussbetrachtung Bibliographie Zitierte Wörterbücher Sonstige Literatur
1.2 1.3 2 3 4 4.1
Einführung Methodologische Grundlagen der historischen Dialektlexikographie Terminologische Probleme heute Neuerungspotentiale Konzeptuelle Neuerungen Lemmalisten und Formenregister Elektronische Fassungen Einzelwörterbücher
1
Einführung
1.1
Methodologische Grundlagen der historischen Dialektlexikographie
6 7 7.1 7.2
Die historische Dialektlexikographie2 hat Wurzeln, die ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Schon ein so frühes Mundartwörterbuch wie das Bremisch-niedersächsische Wörterbuch von 1767–1771 begnügt sich nicht mit der Darstellung der zeitgenössischen Mundart, sondern verfolgt einen historischen Ansatz: Großzügig greift es auf mittelniederdeutsche und frühneuniederdeutsche Quellen zurück, um die Wortbedeutungen möglichst vollständig erfassen und darlegen zu können; ja es versteht sich explizit auch als etymologisches Wörterbuch (vgl. den Vorbericht in dessen Band I), was im öfteren Zitieren der gotischen, angelsächsischen usw., aber auch neuenglischen, neuniederländischen etc. Formen zum Ausdruck kommt. Franz Joseph Stalders Schweizerisches Idiotikon von 1806–12/1832 führt die Aussage „mit etymologischen Bemerkungen untermischt“ sogar im Titel, wobei hier mehr die Absicht bestand zu beweisen, dass ein „schweizersche[r] Provinzialism ... ehemals die Sanktion des Schriftstellers“ hatte (Stalder 1806/1832/1994: IX) – eine Begründung, die den Lexikographen der Sprache einer stolzen Hansestadt sicherlich unnötig erschien. Johann Andreas Schmeller hat das Vorgehen, die älteren Quellen mit einzubeziehen, systematisiert, wobei die Begründung ebenso knapp wie klar ist: „Was ist, findet in dem, was war, und 1
2
Für die kritische Durchsicht bin ich Hans Bickel (Basel/Zürich) und Hans-Peter Schifferle (Zürich) verbunden. Für Hinweise, die ein spezifisches Wörterbuch oder Projekt betreffen, danke ich sodann Renate Herrmann-Winter (Greifswald), Kerstin Knop (Trier), Maik Lehmberg (Göttingen), Jürgen Meier (Hamburg), Roland Mulch (Gießen), Rudolf Post (Freiburg i.Br.), Andrea Rapp (Trier), Ulrich Wenner (Halle) und ganz besonders Eveline Wandl-Vogt (Wien). Es versteht sich von selbst, dass Fehler und Missverständnisse allein durch mich zu verantworten sind. Zum Begriff „historische Lexikographie“ grundlegend Reichmann 1984. DOI 10.1515/lexi.2007.008
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Christoph Landolt
dieses in jenem seine natürlichste Erklärung“ (Schmeller 1827–37/1872–77: VII). In Ferdinand Kellers und Ludwig Ettmüllers Aufruf von 1845 zu einem neuen schweizerischen Idiotikon wird auch auf den praktischen Nutzen hingewiesen, den die Mitaufführung des altsprachlichen Wortschatzes hat: „Eine Sammlung des ganzen Wortschatzes des allemannischen Volkes von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart gehört anerkannter Maassen zu den längst schmerzlich gefühlten Bedürfnissen nicht nur deutscher Sprachforscher, sondern auch praktischer Juristen, Archivare, ja wir dürfen sagen, aller Freunde des allemannischen Alterthums“ (abgedruckt in Haas 1981: 14–15). Auch Jacob Grimm ist im Hinblick auf sein gesamtsystembezogenes Deutsches Wörterbuch davon überzeugt und schreibt 1854: „das allerverkehrteste wäre, den blick vom alterthum abzuwenden und das deutsche wörterbuch selbstgenügsam auf die kurze spanne der gegenwart anzuweisen, als könnte irgend eine zeit aus sich allein begriffen werden und des veralteten, auszer brauch gesetzten entraten“ (Deutsches Wörterbuch I¹ XVIII f.; vgl. auch Reichmann 1990). Am ausführlichsten wird das historische Prinzip schließlich im „Aufruf betreffend Anfertigung von Auszügen aus der ältern schweizerdeutschen Litteratur für das Idiotikon“ von 1874 begründet: „Das schweizerische Idiotikon muss, um seinem Zwecke zu entsprechen und sich mit Ehren neben die schon bestehenden Werke ähnlicher Art stellen zu können, auf wissenschaftlicher Grundlage aufgebaut werden. Hiezu gehört ganz besonders, dass es den historischen Zusammenhang der heutigen Sprache mit derjenigen der früheren Perioden darlege. Erst durch die Beiziehung der ursprünglichen Formen und Bedeutungen und dem Nachweis der allmäligen Wandlungen erhält die jetzige Mundart ihre Beleuchtung und damit ein allgemeineres Interesse. Die Nothwendigkeit, auf unsere alten Ueberlieferungen zurückzugehen, drängt sich aber noch aus andern Gesichtspunkten auf. Unser Idiotikon soll nicht bloss gelehrten Zwecken dienen, es übernimmt die Aufgabe, auch ein Handbuch zur Befriedigung praktischer Bedürfnisse zu sein. Der Historiker, der Jurist, überhaupt der Fachmann soll darin Aufschluss über ehemalige Verhältnisse und Ausdrücke finden. Und endlich verlangt es die Ehre der Schweiz, dass der sprachliche und kulturhistorische Reichthum, welcher in ihrer Litteratur verborgen ist, so weit wenigstens unsere Mittel reichen, zu Tage gefördert und zu Jedermanns Gebrauch geordnet und erläutert werden“ (im Archiv des Schweizerischen Idiotikons; vgl. auch Schifferle 1996).
1.2
Terminologische Probleme heute
133 Jahre nach dem zitierten „Aufruf“ ist das Schweizerische Idiotikon noch immer im Erscheinen begriffen, und auch die meisten anderen derzeit laufenden Großlandschaftswörterbücher haben ihre Wurzeln zumindest in ihrer Theorie, teilweise aber auch in ihrer Praxis im 19. Jahrhundert. Damit birgt der Titel unseres Aufsatzes heute gleich mehrere grundsätzliche Fragen. Zuerst einmal versteht sich der Begriff „neuere Entwicklungen“, wie er im Titel steht, nicht von selbst: Die derzeit in Arbeit befindlichen regionalsprachlichen Großwörterbücher gründen alle in Konzepten, die ins 19. Jahrhundert zurückreichen – selbst wenn sie wie das Bayerische Wörterbuch erst seit jüngerer Zeit im Druck erscheinen. „Neuerungen“ kann hier also nicht „grundsätzlich neue Konzepte“ bedeuten, sondern lediglich einerseits „Änderungen“ im Rahmen des Bestehenden sowie anderseits „Ergänzungen“, welche etwa die bisherigen Zugriffsstrukturen erweitern sollen. Erstere werden, um die Einheit des Werks nicht unnötig zu stören, nur sehr zurückhaltend eingeleitet und spielen im Folgenden alles in allem eine marginale Rolle; letztere wiederum bedingen im Wesentlichen abgeschlosse-
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ne Wörterbücher, und da ein Teil der historischen Dialektwörterbücher noch im Erscheinen begriffen ist, können zum heutigen Zeitpunkt solche Ergänzungen weitgehend erst als Projekte, teilweise sogar lediglich als angedachte Ideen beschrieben werden. Sodann ist der Begriff „historische Dialektlexikographie“ näher zu erörtern. Erstens: Was heißt „historisch“? Die Regionalwörterbücher behandeln die Mundart des 19. Jahrhunderts als rezente Sprache. Das ist an und für sich selbstverständlich: Der Aufruf zum Sammeln von Mundartwörtern etwa für das Schweizerische Idiotikon wurde 1862 erlassen (derjenige von 1845 war noch ohne Folgen geblieben), und hinzu trat die Exzerption der damals vorliegenden wissenschaftlichen und belletristischen Mundartliteratur. Als anderes Beispiel sei das Südhessische Wörterbuch genannt, dessen handschriftliche Materialien bis 1865 und die exzerpierte Mundartdichtung bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Ganz ähnlich sieht es bei den anderen Unternehmen aus. In der Folge deklarieren etwa das Bayerische Wörterbuch, das Badische Wörterbuch oder das Schweizerische Idiotikon explizit das Jahr 1800, das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich das Jahr 1860 als Grenze zwischen historischer und rezenter Sprache. Eine Ausnahme bildet das Pfälzische Wörterbuch, dessen Mundartmaterial im Wesentlichen aus dem recht geschlossenen Zeitraum zwischen 1920 und 1960 stammt; die Grenze zwischen rezentem und historischem Material liegt hier aber gleichwohl bei 1850. Dazu kommen inhaltliche Gesichtspunkte: So gehört der größte Teil der vorwiegend ländlich-dörflich bestimmten Sachkunde, die in den Wörterbüchern oft detailliert dargelegt wird, heute ebenfalls der Vergangenheit an. In der Folge stellt sich heute, wenn man über „historische Dialektlexikographie“ schreibt, die Frage vielleicht anders: Müssten wir nicht auch das ganze Material, das beispielsweise älter als hundert Jahre ist, der historischen Sprache zuordnen? Streng genommen: ja. Damit würde man allerdings die Konzeption so manches Wörterbuchs völlig durcheinanderwerfen, da diese in aller Regel keinerlei Unterschied zwischen Bedeutungen und Belegen des 19. und solchen des 20. Jahrhunderts machen und sie als in sich geschlossene Einheit behandeln.3 Damit kann man die Frage auch anders beantworten und die überkommene Konzeption weiterhin respektieren. Einen guten Grund hierzu bietet der Umstand, dass die „rezenten“ Belege des 19. Jahrhunderts gleich wie diejenigen des 20. Jahrhunderts fast ausnahmslos direkt eingesammelt oder aber aus der Mundartliteratur exzerpiert worden sind, die Belege aus der Zeit zuvor dagegen fast ausnahmslos der mehr oder weniger kanzleisprachlich bestimmten Schriftlichkeit entstammen. Diese ganz unterschiedliche Quellensituation rechtfertigt die Zweiteilung „historisch vor 1800/1850/1860“ und „rezent ab 1800/1850/1860“ durchaus – und führt zur nächsten Frage. Was heißt zweitens – im Rahmen des Vorangegangenen – „historischer Dialekt“? In historischen Quellen findet man explizite gesprochene Sprache am ehesten in Gerichtsprotokollen, in Privatchroniken, in Briefen, in Schimpfreden und ähnlichem; hier stehen Aussagen wie ,Er sye ein gehigender zers futt schelm, und sider er die zers futt pfaffen huoren
3
Einen etwas anderen Weg schlagen zwei jüngere Wörterbücher ein: Das seit den 1960er Jahren erscheinende Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich datiert die Mundartbelege vor 1900, und das erst seit relativ kurzem publizierte Bayerische Wörterbuch markiert Belege ab 1958 mit einem speziellen Zeichen. Zwar verfügt auch das Schweizerischen Idiotikon über explizite Konnotierungen wie „veraltet“, „veraltend“, „nicht bodenständig“, „jung“, die alles in allem aber wenig systematisch vorgenommen werden; mehr indirekt und ebenfalls nicht konsequent erfolgt eine Datierung sodann über die Quellenangaben.
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hab, so künne nieman mit im ze recht komen‘ (1421, Schweizerisches Idiotikon VIII 703) oder ,[Sie hätten] im fürgehalten, er hette eins meytli uß Grüeninger amt genommen, die ließind sich über ein jede karenleysen legen‘ (1545, ebd. XVI 1315) oder ,Das gemein Volck und sonderlich die Allten und ds Wybervolck ... namptends ... das Guottisheer‘ (um 1600, ebd. XVI 1305). Der allergrößte Teil des historischen Materials aber, das zum Beispiel das Schweizerische Idiotikon anführt, ist mehr oder minder kanzleisprachlich. Selbstverständlich heißt das nicht, dass solche Wörter und Wendungen nicht zugleich mundartlich wären, aber das dokumentierte Material ist dennoch großmehrheitlich das der Schriftsprache jener Zeit. Selbst bei solchen Wörtern, die heute klar mundartlich sind, kann man nicht ohne weiteres von „historischer Mundart“ sprechen, wenn man sie bis ins Spätmittelalter zurückverfolgt, denn indem sie in den obrigkeitlichen Akten, den Chroniken, den theologischen Abhandlungen ihrer Zeit benützt werden, gehören sie zugleich der Hochvarietät an, und sei ihre Anwendung areal noch so eingeschränkt. An und für sich handelt es sich hier damit um – räumlich freilich enger als heute begrenzte – „nationale Varianten“, die in den historischen Korpora der regionalsprachlichen Großwörterbücher aufgeführt werden (zum Begriff vgl. etwa Variantenwörterbuch 2004: XXXI ff.). Beispielhaft ist etwa Winde ‘Dachboden’ (Schweizerisches Idiotikon XVI 545/7; vgl. auch Schifferle 2006: 80–83), das seit seinem frühesten Auftreten bis in die Gegenwartsmundart als zürcherisches Schibboleth figuriert, aber dessen ungeachtet in der gesamten öffentlichen wie privaten Schriftlichkeit Zürichs und einiger nah benachbarter Orte mindestens seit 1402, als es erstmals in einer Urkunde belegt ist, bis zur Feuerordnung von 1817 ein Terminus der lokalen Standardvarietät ist. Und was heißt drittens „historische Dialektlexikographie“? Die verschiedenen regionalsprachlichen Wörterbücher berücksichtigen historisches Material in höchst unterschiedlichem Ausmaß. Beim Schweizerischen Idiotikon sind rund drei Viertel aller Belege historisch, also aus derjenigen Sprache, die vom 13. Jahrhundert bis 1799 galt; es ist damit in wesentlichen Teilen ein eigentliches frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Recht prominent ist die historische Sprache auch im jüngst abgeschlossenen Hamburgischen Wörterbuch vertreten, wobei man dort bei der Auswahl der Belege im Großen und Ganzen nicht über das 16. Jahrhundert zurückgegangen ist, weil das ältere Material wenig lokale Färbung zeigt und im Mittelniederdeutschen Handwörterbuch Berücksichtigung findet. Bei allen anderen derzeit in Bearbeitung befindlichen oder erst kürzlich vollendeten Wörterbüchern dominieren die Belege aus der rezenten Sprache deutlich. Das Bayerische Wörterbuch und das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich ziehen zwar wie das Schweizerische Idiotikon das historische Material grundsätzlich bei, bringen aber dennoch pro Bedeutung höchstens einen Beleg je Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch und Frühneuhochdeutsch (Rowley/Schmid 1996: 263) bzw. – unter Ausschluss des Althochdeutschen – höchstens einen je Jahrhundert (Reiffenstein 1997–1999: 115; vgl. Kap. 2). Im Badischen Wörterbuch und im Siebenbürgisch-sächsischen Wörterbuch sind historische Belege ebenfalls keineswegs selten, werden aber gleichwohl nicht konsequent in alle Wortartikel eingebaut – oder wie es im Badischen Wörterbuch I 3* formuliert wird: „Die deutschen Urkunden der Landschaft vor dem Jahr 1300 sind berücksichtigt; sonst nahmen wir aus alter Zeit auf, was uns gerade am Wege lag.“ Das Südhessische Wörterbuch, das Hessen-Nassauische Volkswörterbuch, das Thüringische Wörterbuch, das Mittelelbische Wörterbuch, das Mecklenburgische Wörterbuch oder das Pommersche Wörterbuch schließlich führen historisches Material nur sporadisch an; stellvertretend seien die Selbstaussagen hierzu des Südhessischen
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Wörterbuchs und des Thüringischen Wörterbuchs zitiert: „Einzelne, in Auswahl dargebotene historische Belege ... ergänzen die Materialbasis“ (Schlaefer 2003: 84 für das Südhessische Wörterbuch) bzw. „Historischer Wortschatz spielt im Thüringischen Wörterbuch ... nur eine periphere Rolle“ (Reinhold 1996: 251).4 Damit umfasst der Begriff „historische Dialektlexikographie“ ganz unterschiedliche Konzepte: – „Historische Dialektwörterbücher“ im engeren Sinne sind nur die vier oberdeutschen für die Schweiz (Schweizerisches Idiotikon), für Altbayern (Bayerisches Wörterbuch), für Österreich (Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich) und, längst abgeschlossen, für Schwaben (Schwäbisches Wörterbuch), sodann das jüngst ebenfalls vollendete niederdeutsche für Hamburg (Hamburgisches Wörterbuch), da allein diese fünf den Wortschatz konsequent über mehrere Jahrhunderte hin abhandeln und damit das historische Material prinzipiell, d. h. wenn immer möglich bei jedem Lexem und jeder Einzelbedeutung, miteinbeziehen. Allein bei diesen handelt es sich um effektiv gleichzeitig synchronisch wie diachronisch ausgerichtete Wörterbücher. – Von diesen – und überhaupt innerhalb der deutschen Großraumwörterbücher – stellt wiederum das Schweizerische Idiotikon einen Sonderfall dar: Während dessen Bände 1 bis 4 noch dem vorgenannten Typ zugeordnet werden können, sind die Bände 5 bis (voraussichtlich) 17 von einer solchen Ausführlichkeit, Breite und Tiefe, dass sie weniger den anderen deutschen Mundartwörterbüchern verglichen werden können als vielmehr den nationalen Wörterbüchern des Gesamtdeutschen (Deutsches Wörterbuch), des Niederländischen (Woordenboek der Nederlandsche Taal), des Englischen (Oxford English Dictionary), des Schottischen (Dictionary of the Older Scottish Tongue und Scottish National Dictionary) oder des Schwedischen (Svenska Akademiens Ordbok).5 – Die anderen deutschen Großraumwörterbücher sind hingegen grundsätzlich synchronische, auf die Gegenwartssprache ausgerichtete Wörterbücher, die in einem gewissen (oft nur geringen) Umfang auch älteres Wortgut enthalten. Während etwa das Badische, das Pfälzische und Mecklenburgische Wörterbuch dem historischen Wortschatz dennoch ein gewisses Gewicht einräumen, spielt er bei anderen eine marginale Rolle.
1.3
Neuerungspotentiale
Im Folgenden soll nun für den Bereich der historischen Dialektlexikographie – im engern wie im weitern Sinne – einerseits konzeptionellen Änderungen bei der Erarbeitung des gedruckten Wörterbuchs (Kap. 2), anderseits den Entwicklungen, die das eigentliche Wörter-
4
5
Vgl. auch die Übersicht in Bauer 1996: 229, wo von 22 regionalsprachlichen Großwörterbüchern nur sieben als solche gerechnet werden, die „häufig bzw. relativ häufig“ historische Belege anführen: Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich, Schweizerisches Idiotikon, Pfälzisches Wörterbuch, Mecklenburgisches Wörterbuch; das Hamburgische Wörterbuch, das hier auch hätte genannt werden müssen, fehlt in der Übersicht. Die Konzeptänderung geht auf den ab 1894 als Chefredaktor wirkenden Albert Bachmann zurück und beruht allem Anschein nach auf den paulschen Kriterien über die wissenschaftliche Lexikographie (Paul 1895).
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buch in gedruckter wie in elektronischer Form ergänzen (Kap. 3–5), nachgegangen werden. Dabei handelt es sich um zwei höchst unterschiedliche Bereiche: Konzeptionelle Änderungen werden gegenwärtig primär unter äußerem Druck vorgenommen und resultieren in einer Reduktion des bisher Gebotenen. Ergänzungsarbeiten dagegen bedeuten eine Erweiterung des klassischen Wörterbuchs in ganz verschiedene Richtungen und ermöglichen die Entfaltung kreativer Potentiale. Bei diesem zweiten Punkt geht es in aller Regel um die Optimierung der Zugriffsstrukturen einschließlich der Vernetzung mit anderen Wörterbüchern. Traditionell ist in einem Wörterbuch ein gesuchtes Lexem allein über dessen makrostrukturelle Lemma-Alphabetik auffindbar. Dieser Zugang erweist sich aber nur zu oft als ungenügend, um den gewaltigen Stoff, den die regionalsprachlichen Großwörterbücher bergen, optimal zu erschließen. In der Folge arbeiten mehrere Wörterbücher und Institutionen daran, zusätzliche Such- und Abfragemöglichkeiten anzubieten. Vereinzelt sind solche Ergänzungen bereits verfügbar. Verbesserungen im Bereich der Zugriffsstrukturen und damit eine Vervielfältigung des bisherigen linearen Zugangs lassen sich auf vielfältige Weise erreichen: – Lemmalisten und Formenregister (Kap. 3), – elektronische Wörterbücher von der Internetversion bis hin zum digitalisierten Volltext (Kap. 4.1), – elektronische Wörterbuchverbünde (Kap. 4.2), – Erstellung und (partielle) Veröffentlichung von Datenbanken (Kap. 4.3), – Neuerarbeitung von Hand- oder Kurzwörterbüchern (Kap. 5). Da die verschiedenen Wörterbücher und lexikographischen Institute diese Thematik – wenn überhaupt – ganz unterschiedlich angehen, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur ein mosaikartiges Bild erstellen. Einen Vorwurf darf man ihnen freilich hieraus nicht konstruieren, denn nicht nur hat jedes der Großlandschaftswörterbücher seine eigene Geschichte und vielfach auch sein eigenes Konzept, sondern gestalten sich auch die personellen und finanziellen Voraussetzungen höchst ungleich. Zudem scheinen bislang nur selten übergreifende Überlegungen angestellt worden zu sein bezüglich Benützerbedürfnissen und den hieraus folgenden Erweiterungen in Sachen Zugriffsstrukturen und Datenaufbereitung. Im Rahmen dieses Aufsatzes ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Projekten und Ideen nicht möglich; sein Zweck ist vielmehr, ohne Anspruch auf Vollständigkeit in Form einer Tour d’horizon einen Überblick zu geben, was in den verschiedenen lexikographischen Standorten in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz zu einem Zeitpunkt, in dem sich der Umgang mit Daten in einem radikalen Umbruch befindet, getan wird, um den reichhaltigen und vielseitigen Inhalt des wissenschaftlichen Dialektwörterbuchs den gegenwärtigen Benützern besser zu erschließen und überdies neue Benützerkreise zu gewinnen.
2
Konzeptuelle Neuerungen
Historische Dialektwörterbücher stellen hohe Ansprüche an sich selbst, weil sie nicht allein Bedeutungswörterbücher sind, sondern auch die Bedeutungsentwicklungen nachzeichnen,
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vielfältige Formen und Lautungen registrieren, der Phraseologie einen breiten Platz einräumen und mit fast schon enzyklopädischem Anspruch die Kulturwissenschaft einbeziehen. Indem alle deutschen Großraumwörterbücher ihre Wurzeln mehr oder weniger im 19. Jahrhundert haben, ist es ihnen überdies gerade noch gelungen, zuvor oft Jahrhunderte gültige Lebens-, Kultur- und Arbeitsformen zu erfassen, was bei einem späteren Arbeitsbeginn nicht mehr möglich gewesen wäre. Es ist damit nicht nur der diachronische Aspekt, den das historische Dialektwörterbuch auszeichnet, sondern auch die Verbindung der Semasiologie mit Elementen der Onomasiologie, die in ihm oft fast schon optimal zur Geltung kommt. An Artikeln wie etwa denjenigen des Schweizerischen Idiotikons über das Nikolaus-Brauchtum (Chlaus, Bd. III 687–698) oder über die Kirchweih (Chilch–Wīhi, Bd. XV 1051–1086) wird besonders schön deutlich, was das Dialektwörterbuch über den rein sprachwissenschaftlichen Bereich hinaus auch im Volkskundlich-Kulturgeschichtlichen leisten kann. Eingriffe in ein ursprüngliches Konzept sind in der heutigen Zeit „Maßnahmen gegen Ausufern nach Umfang und Bearbeitungsdauer“ (Reiffenstein 1997–1999: 113) und/oder finanziell bedingt und bedeuten Straffung und Kürzung. Dass hierbei gerade Platz- und Arbeitsintensives wie Wort- und Bedeutungsgeschichte, kulturgeschichtlicher Kontext, aber auch die Phraseologie gefährdet sind, beschnitten zu werden, führt zu einem namhaften Verlust an Qualität und Gebrauchswert des betroffenen Wörterbuchs. Besonders drastisch sind die Folgen der Sparkonzeption im Falle des Pommerschen Wörterbuchs. Zwar konnte hier schon die erste Lieferung gemäß neuem Konzept herauskommen, was einen Bruch zwischen älteren und neueren Lieferungen verhindert hat, aber die Kürzung bedeutet eine Reduktion der ursprünglich geplanten Anzahl Bände um mehr als die Hälfte auf nunmehr zwei und führt wegen des weitgehenden Verzichts, die Kontinuität von älterer und jüngerer Sprache zu dokumentieren, auch faktisch zum Ausscheiden aus dem Kreis der historischen Dialektwörterbücher (Pommersches Wörterbuch I: IX; Städtler 2003: 315). Eine weitere Folge ist die Neupositionierung des nur mehr zweibändigen Pommerschen Wörterbuchs als „komplementäres Wörterbuch“ zum siebenbändigen Mecklenburgischen Wörterbuch (Pommersches Wörterbuch I: X).6 Weniger drastische, aber gleichwohl eingreifende Folgen hat das Straffungskonzept des Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich (das Folgende nach Reiffenstein 1997–1999). Die Kürzungsvorgaben liegen auch online vor:
Ebenfalls einem umfassenden Kürzungskonzept unterwerfen musste sich das Niederdeutsche Wörterbuch, das aber als (formal) gegenwartssprachliches Wörterbuch außerhalb des uns gesetzten Rahmens bleibt.
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allgemeinen wird nur ein historischer Beleg aus jedem Jahrhundert pro Bedeutung angeführt“. Immerhin ist das aufgrund des Straffungskonzepts nicht mehr darstellbare Belegmaterial für den Benützer nicht verloren, denn es soll über eine Datenbank abfragbar sein, „die einen integrierenden Bestandteil des WBÖ [Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich] bilden wird“; Weiteres hierzu in Kap. 4.3. Konzeptuelle Neuerungen können natürlich auch den Bereich der Mikrostruktur betreffen. Dass die erst seit kurzem im Druck erscheinenden Dialektwörterbücher – das Bayerische, das Mittelelbische und das Pommersche Wörterbuch – durchaus solche Innovationen aufweisen, sei keineswegs geleugnet. Da diese aber im Vergleich zum Folgenden (Kap. 3–5) nicht bahnbrechend wirken, seien sie an dieser Stelle nicht weiter thematisiert.
3
Lemmalisten und Formenregister
In eine ganz andere Richtung weisen Neuerungen, die eine Erweiterung der Zugriffsstrukturen bedeuten. Bei Lemmalisten und Formenregistern geht es um eine vergleichsweise einfache und somit wenig spektakuläre, aber umso wirkungsvollere Zugangserweiterung: Sie ermöglichen z. B., dass ein Dialektwörterbuch, dessen Lemmata in historischer Form notiert sind, auch über die in der Gegenwartssprache dominanten Dialektformen erschlossen wird, oder dass ein Wörterbuch, dessen Lemmata nach dem Grundwort angeordnet sind, auch über die Bestimmungswörter abgefragt werden kann, bzw. dass ein Wörterbuch, wo die Komposita gemäß dem Bestimmungswort angesetzt sind, auch über die Grundwörter zugängig ist. Für Wörterbücher mit mundartlicher Ansatzform, wie das im ober- und besonders im niederdeutschen (nicht aber im mitteldeutschen) Raum eine öfter gewählte Praxis ist, bietet überdies eine standarddeutsche (bzw. verhochdeutschte) Lemmaliste einen parallelen Zugang zu allen deutschsprachigen Großlandschaftswörterbüchern und vereinfacht Benützern aus anderen Dialekt- und Sprachräumen den Gebrauch der nord- und süddeutschen Wörterbücher; man schafft sozusagen international verständliche Wortregister. Werden ferner Lemmalisten durch Formenindizes ergänzt, erhält man zugleich wenigstens Ansätze eines eigentlichen Wortbildungs- oder grammatischen Registers. Selbstredend können solche Lemmalisten und Formenregister sowohl in gedruckter wie in elektronischer Form zur Verfügung gestellt werden. Gerade für Wörterbücher, die noch nicht abgeschlossen sind, bieten elektronisch verfügbare Lemmalisten einen großen Vorteil, indem sie sich auf die schon veröffentlichten Bände und Lieferungen beziehen und laufend ergänzt werden können. Insbesondere bei solchen Wörterbüchern, deren Lemmata in mundartlicher bzw. historischer Form verfasst sind, ist es wünschenswert, wenn Lemmalisten neben den effektiven Ansatzformen noch alternative Vorkommensformen anbieten, damit auch Laien einfacher ans Ziel gelangen. Bei einigen Großlandschaftswörterbüchern sind solche Register denn auch bereits erstellt worden (vorderhand noch alle allein in gedruckter Form) oder aber in Planung: Beim Schweizerischen Idiotikon, das strikte nach dem sog. schmellerschen System aufgebaut ist (Anordnung der Lemmata nach dem Grundwort sowie nach dem Konsonantengerüst der Stammsilbe; hierzu Schifferle 2006), besteht schon ein normalalphabetisches Register (für die Bände I–XI in einem separaten, 1990 veröffentlichten Band, ab Band XII
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als Bandregister), das ständig nachgeführt wird, und zudem ist seit langem ein ebenfalls fortwährend ergänztes grammatisches Register zu den Bereichen Lautung, Genus, Flexion, Wortbildung, Lexikalisches und Phraseologie (aus persönlicher Perspektive möchte ich ergänzen: leider nicht auch Syntax) in Arbeit. In Hinsicht auf eine elektronische Publikation des Wörterbuchs wurden kürzlich erste Schritte zur Digitalisierung des normalalphabetischen Registers in die Wege geleitet: Konkret heißt das, dass die Registereinträge in einer Datenbank abgespeichert und die bislang ineinander verklammerten Varianten so aufgelöst worden sind, dass sie als vollständige Einträge nebeneinander stehen. Das Ziel ist, damit nicht nur ein rasches, zentral verfügbares und dank alternativen Schreibungen laienfreundliches Nachschlagen, sondern auch das Suchen nach Wortbildungselementen zu ermöglichen. Der nächste Schritt bestünde in der Verknüpfung des grammatischen Registers mit dem digitalisierten alphabetischen Register, womit das bislang nur intern zugängliche grammatische Register öffentlich zugänglich würde. Zusammengenommen würde damit die Grundlage einer schweizerdeutschen Wort- und Wortschatzforschung geschaffen, und im Hinblick auf die Thematik Erweiterung der Zugriffsstrukturen stellten sie den ersten Teil einer schrittweisen Digitalisierung des Gesamtwerks dar (Bickel 2007: 17–21, Landolt/ Schifferle [im Druck]). Angedacht wurde ferner die Erarbeitung einer hochdeutschen Lemmaliste (Bickel 2007: 21f., Landolt/Schifferle [im Druck]), da im Schweizerischen Idiotikon die Lemmata nicht standarddeutsch oder standardnah, sondern mundartlich bzw. historisch verfasst sind. Zum Mecklenburgischen Wörterbuch, das 1992 abgeschlossen worden war, ist 1998 ein Nachtrags- und Index-Band erschienen. Beim „Index“ handelt es sich im Wesentlichen um ein Register der etymologisch identischen hochdeutschen bzw. – wenn solche fehlen – verhochdeutschten Pendants: „Zum einen soll er [der Index] es demjenigen, der zu einem Wort der deutschen Standardsprache die Leitform des Mecklenburgischen Wörterbuchs in ihrer niederdeutschen Lautung sucht, ermöglichen, dieselbe schnell aufzufinden. Zum anderen mußten die Wörter der mecklenburgischen Mundart, denen es an einer Entsprechung in der Standardsprache mangelt, mit erfaßt werden, um einen Überblick über das im Wörterbuch enthaltene Wortgut zu vermitteln“ (Mecklenburgisches Wörterbuch. Nachtrag und Index: X). Damit kann das Mecklenburgische Wörterbuch an die mitteldeutschen Wörterbücher anschließen, deren Ansätze (mit Ausnahme des Luxemburger Wörterbuchs, das ohnehin eine etwas andere Position einnimmt) ausnahmslos in hochdeutscher bzw. verhochdeutschter Form erscheinen. Zum 1997 fertig gewordenen Pfälzischen Wörterbuch ist 1998 ein „Beiheft“ herausgekommen, das unter anderem ein „Grundwort- und Formenregister“ enthält. Diese Liste macht es möglich, dass Zusammensetzungen nun nicht allein wie im Wörterbuch über das Bestimmungswort, sondern auch über das Grundwort aufgefunden werden können. Das Pfälzische Wörterbuch vollzieht hiermit den Anschluss an die lexikographische Praxis einiger oberdeutscher Wörterbücher (Bayerisches Wörterbuch, Schweizerisches Idiotikon und Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich), die in der Tradition Schmellers gemäß dem Grundwort lemmatisieren. Im weitern fungiert das Register als partielles rückläufiges Wörterbuch, indem es auch Suffixe zusammenstellt. In der Folge bietet das Pfälzische Wörterbuch allein schon auf der Ebene der gedruckten Ausgabe dreierlei Wege an, auf ein gesuchtes Wort oder einen gesuchten Worttypus zuzugreifen. Das Südhessische Wörterbuch, dessen Abschluss in greifbarer Nähe liegt, plant ein Grundwort- und Formenregister, das demjenigen des Pfälzischen Wörterbuchs entspricht.
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Im Unterschied hierzu sind die Bestimmungswörter den Grundwörtern aber je nach deren semantischen Einzelbedeutungen, die in aller Kürze wiederholt werden, zugeordnet; das System des Pfälzischen Wörterbuchs wird mithin weiterentwickelt und verfeinert.
4
Elektronische Fassungen
Digitalisierung bedeutet zweierlei – einerseits das Publikationsverfahren der Zukunft und anderseits (soweit interaktiv angelegt) noch einmal erweiterte Zugriffsmöglichkeiten.
4.1
Einzelwörterbücher
Den vollständigen Text eines Wörterbuchs elektronisch zugänglich zu machen, ist ein sicher verbreiteter Wunsch und braucht hier kaum weiter begründet zu werden. Da solche digitalisierte Fassungen mit ausgefeilten Abfragemöglichkeiten verbunden werden sollten, stellen sie selbständige, jeweils neu aufzuziehende Projekte dar. Für die noch gar nicht abgeschlossenen großlandschaftlichen Wörterbücher liegt dieses Ziel freilich noch in der Zukunft. Von den Wörterbüchern der historischen Dialektologie liegt heute einzig von dem schon abgeschlossenen Pfälzischen Wörterbuch eine Internetversion vor, die im Rahmen des „digitalen Verbunds von Dialektwörterbüchern“, einem Projekt der Universität Trier in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften, erstellt worden ist (vgl. Städtler 2003, 477–480). Die Suchfunktion beschränkt sich vorläufig auf eine reine Lemmasuche; eine Volltextsuche durch das Wörterbuch ist indes geplant. Projektiert ist, dass zusätzlich eine CD-Version herausgegeben werden soll; diese soll weitere Suchfunktionen enthalten, die im Internet nicht verwirklicht sind.7 – Auch beim Schweizerischen Idiotikon setzt man sich mit dem Fernziel Digitalisierung der dereinst siebzehn Bände auseinander (Näheres siehe Bickel 2007). Die mittelfristig angestrebte öffentliche Bereitstellung des elektronischen normalalphabetischen Registers und des damit verknüpften grammatischen Registers, möglicherweise verbunden mit Abbildungen der Wortartikel (siehe oben Kap. 3), könnte eine Vorarbeit hierzu darstellen. Sinn und Nutzen digitaler Wörterbücher stehen und fallen freilich mit den Annotationen. Solange es bei Digitalisierungen bleibt, die lediglich die Abfrage über das Lemma anbieten, besteht außer dem Umstand, dass einem der Griff zum Buch bzw. der Gang auf die Bibliothek erspart wird, kaum ein Unterschied zum traditionellen Printmedium. Im Gegenteil: Durch das direkte Anwählen des gesuchten Wortes entfällt die Chance, zufällig auf andere, für die eigene Fragestellung womöglich sehr hilfreiche Wörter und Wortbildungen zu stoßen, wie das beim Blättern in Printversionen der Fall ist. Davon betroffen sind insbeson-
7
Einen anderen Fall stellen die Volltextdigitalisierungen dar, die für interne Zwecke gemacht worden sind und der redaktionellen Arbeitserleichterung dienen. Hier sind das Badische Wörterbuch (knapp drei Viertel der bisher gedruckten Lemmata) und das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (alle bislang erschienenen Lieferungen) vorangegangen.
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dere solche Wörterbücher, die mehr oder weniger nach dem schmellerschen System, also primär nach dem Wortstamm, angeordnet sind und damit eine ganze Wortfamilie am gleichen Ort aufführen – ein Vorteil, der bei der gezielten Wortsuche per Eingabe in den Computer verloren geht oder zumindest in seiner Bedeutsamkeit stark reduziert wird. Doch das ist nur ein Punkt, mit dem sich eine interaktiv einsetzbare Digitalisierung befassen muss. Werke, die über mehrere Generationen hin erarbeitet worden sind, neigen dazu, in sich uneinheitlich zu sein, was ein systematisches Abfragen mittels Eingabe in den Computer erschwert oder gar verunmöglicht. Es kommt dazu, dass die traditionellen Wörterbücher für einen Leser konzipiert worden sind, der (im Idealfall) einen Wortartikel vom Ansatz bis zur Anmerkung weitgehend linear liest, und nicht etwa für einen, der lediglich bestimmte Elemente (z. B. nach Kriterien der Verbreitung, der Zeit, der Flexion, der Phraseologie, der Kulturgeschichte usw.), dafür aber bei einer ganzen Anzahl verschiedener Lemmata abfragt. Überdies ist es wünschbar, dass die Komplexität des gedruckten Wörterbuchs in dessen elektronischer Form z. B. mittels sog. dynamischer Artikel – gemäß der spezifischen Anfrage des Benutzers automatisch generierter Artikelansichten – reduziert werden kann. Der Aufwand, einen linearen Zugang via Annotationen durch multiple Zugänge zu ersetzen, ist damit enorm und wurde bislang noch nirgends geleistet. Will die elektronische Fassung eines großlandschaftlichen und historischen Dialektwörterbuchs wirklich alle denkbaren Suchkriterien ermöglichen, käme dies einer eingreifenden Überarbeitung und Restrukturierung der gedruckten Fassung gleich.
4.2
Wörterbuchverbund
Zukunftsträchtig sind nicht allein die elektronisch verfügbaren, interaktiv benützbaren Wörterbücher, sondern erst recht deren Vernetzung. Demzufolge ist, wie im vorangegangenen Kapitel erwähnt, an der Universität Trier in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften ein „Digitaler Verbund von Dialektwörterbüchern“ im Aufbau (
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gesamtdeutschen Dialektwörterbuchs gemacht wird –, sondern auch, dass die Wörterbücher überhaupt erst breiten Kreisen leicht zugänglich werden. Neben den klar wissenschaftlichen Aspekt tritt somit auch ein popularisierender, sind doch die gedruckten mehrbändigen Ausgaben zu teuer, als dass sie von interessierten Laien auch gekauft würden. Die Integration weiterer Wörterbücher in den Verbund ist erwünscht: In Kürze gehen die luxemburgischen Wörterbücher online, und konkrete Pläne gibt es zum Schwäbischen Wörterbuch, zum Südhessischen Wörterbuch, zum Hessen-Nassauischen Volkswörterbuch sowie zu Schmellers Bayerischem Wörterbuch. Für die Lexikographie der rezenten Dialekte ist dies ein faszinierendes Projekt. Wie schon beim einzelnen digitalen Wörterbuch hängt dessen Brauchbarkeit aber auch bei einem Verbund essentiell von den Annotationen ab; ich verweise auf das vorangehende Kapitel. Von den in einen Verbund integrierten historischen Großraumwörterbüchern darf man erwarten, das sie die Abfrage z. B. nach sprachlich definierten Räumen (beispielsweise „Niederalemannisch“, „Rheinfränkisch“; die bestehenden Wörterbücher richten sich hingegen nach politischen Grenzen), nach zeitlichen Epochen (etwa „13.–16. Jahrhundert“), nach der Wortart (wie „Verb“), nach morphologischen Kriterien (z. B. „starkes Verb“) usw. ermöglichen, um gegenüber dem Nachschlagen in den einzelnen Wörterbüchern tatsächlich einen Mehrwert zu erhalten. Die Umwandlung des derzeitigen Verbunds, der die Lemmata noch über Hyperlinks verknüpft und erst die traditionelle Lemma-Abfrage zulässt, in einen solchen, der die vernetzten Wörterbücher über eine gemeinsame Datenbank recherchierbar macht, stellt aufgrund der völlig unterschiedlichen lexikographischen Konzepte der einzelnen Wörterbücher und der (im vorangehenden Kapitel genannten) ganz anderen Ausrichtung der herkömmlichen Lexikographie eine gewaltige Herausforderung dar. Überhaupt muss sich noch weisen, wie weit dieser Typus Wörterbuchverbund auch für die historische Dialektlexikographie im besondern dienlich sein wird. Vorläufig ist er stark auf Wörterbücher der (mehr oder weniger) rezenten Mundarten ausgerichtet; werden dereinst die konzeptionell (auch) historisch ausgerichteten Wörterbücher wie diejenigen Schwabens, Bayerns, Österreichs oder gar dasjenige der Schweiz in den Verbund integriert, werden wesentliche Inhalte der genannten Werke fürs erste noch gar nicht verbundswirksam. Man darf deshalb auf das geplante übergreifende Wörterbuchnetz gespannt sein, das sich aus den noch isolierten verschiedenen Wörterbuchverbünden entwickeln soll. In dessen Rahmen wären gerade die stark historisch ausgerichteten Regionalwörterbücher ideal positioniert, da sie dann gemäß ihren charakteristischen Spezifika nach allen Seiten hin – zu den Wörterbüchern der rezenten Mundarten, den historischen Sprachstadien-Wörterbüchern und den nationalen historischen Wörterbüchern – wirken könnten. Die gemeinsam von dem Trierer Kompetenzzentrum, dem Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und der Universität Würzburg projektierte „Meta-Lemmaliste“, die einen standardisierten Sucheinstieg ermöglichen und regionale wie diachronische Varianz abbilden soll, wird dazu ein wichtiger Schritt sein.
4.3
Elektronische Datenbanken
Verschiedene der Wörterbücher haben in der jüngeren Zeit angefangen, ihre Quellen und Verzeichnisse in Datenbanken zu überführen. Wohl am umfassendsten dürfte diese Umstellung beim Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich aussehen, wo man 1993 angefangen hat, dessen drei bis vier Millionen Zettel umfassenden «Hauptkatalog» in eine Daten-
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bank einzuspeisen; das Projekt soll 2008 abgeschlossen sein (das Folgende nach Bauer/ Kühn 1998, Geyer 2000, Städtler 2003: 335 f., Wandl-Vogt 2005). Diese „Datenbank der bairischen Mundarten in Österreich (DBÖ)“, wie sie offiziell heißt, umfasst erstens die Hauptkatalogdatenbank als eigentliche Belegdatenbank, die eine Eins-zu-eins-Digitalisierung des bestehenden Hauptkatalogs darstellt. Dieser Kerndatenbank sind zweitens drei autonome Datenbanken angegliedert, nämlich die Pflanzennamendatenbank (eine onomasiologisch angelegte Sammlung mundartlicher Pflanzennamen mit rund 2000 lateinischen Namen und 17 000 mundartlichen Äquivalenten), die Bilddatenbank (derzeit rund 1800 eingescannte Belegzettel, die Abbildungen aufweisen) und das Textkorpus (derzeit rund hundert historische und mundartliterarische Quellen, die im Volltext gespeichert sind).8 Drittens dienen sog. Quellendatenbanken der Kerndatenbank als Subdatenbanken: Die Ortsund Gebietsdatenbank, die Quellen- und Literaturdatenbank, die Fragebogendatenbank, die Mitarbeiterdatenbank usw., deren Bezeichnungen jeweils für sich selbst sprechen. Diese Gesamtdatenbank stellt eine nach verschiedensten Kriterien elektronisch sortierbare Basisdatei dar, die dem vereinfachten und beschleunigten Erstellen der Wörterbuchartikel dient (vgl. Wandl-Vogt 2002), aber auch neue Wege im Bereich von Forschung und Publikation – wie z. B. diverse Untersuchungen zu Wortschatz und Lautstand, kulturhistorische Abhandlungen oder die Erarbeitung populärwissenschaftlicher Orts- und Regionalmundartwörterbücher – ermöglicht bzw. erleichtert; nicht zuletzt verhindert sie sodann den Verlust von durch Zerfall bedrohten Originalquellen. Mit den 1998 beschlossenen, in Kap. 2 umrissenen Straffungsmaßnahmen hat diese Datenbank weiteres Gewicht gewonnen, indem Belege, die nicht im Wörterbuch aufgeführt werden können, nun immerhin in der Datenbank archiviert sind und so nicht verloren gehen. Damit ist das 1913 gegründete Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich zu einem „Wörterbuch mit integrierter Datenbank“ umkonzipiert worden. Die Datenbank der bairischen Mundarten in Österreich ist bislang nur institutsintern zugänglich. Ein 2007 von Eveline Wandl-Vogt unter dem Namen „Datenbank der bairischen Mundarten in Österreich Electronically Mapped“ (dbo@ema) gestartetes, auf 22 Monate beschränktes und vom Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (Wien) finanziertes Pilotprojekt will das nun teilweise ändern, indem mindestens 10 000 ausgewählte Datensätze und 3 000 Abbildungen der Hauptkatalogdatenbank sowie einige der sog. Quellendatenbanken einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese werden miteinander vernetzt und – statt wie bei einem Wörterbuch traditionellerweise über das Lemma – auch über eine interaktive digitale Karte zugänglich gemacht. Alles in allem soll ermöglicht werden, für eine Region nicht allein in Erfahrung zu bringen, welche Sammlungen, welche Literatur und welche Belegorte, sondern überdies welche Datensätze aus der Belegdatenbank es hierzu im Archiv des Wörterbuchs gibt. Zentrales Anliegen ist daher die Entwicklung einer webbasierten Datenbank zur Speicherung heterogener Dialektdaten (vgl. Wandl-Vogt 2006a, Wandl-Vogt 2006b; auf www.wboe.at sollen in Zukunft weitere Informationen zur Verfügung gestellt werden).
8
Auf die Nutzung elektronischer bzw. digitaler Quellen wird im Folgenden nicht weiter eingegangen, da solche für die historische Dialektlexikographie aufgrund des zumeist weit fortgeschrittenen Publikationsstandes nur noch für wenige Unternehmen von Bedeutung sind (vgl. etwa Wandl-Vogt 2002) und weil sie ohnehin ganz generell für die Erstellung neuer Wörterbücher eine Quellenbasis darstellen (vgl. etwa Bickel 2006 im Hinblick auf das Variantenwörterbuch 2004).
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Christoph Landolt
5
Kurzausgaben (Handwörterbücher)
5.1
Bestehende Kurzausgaben
Während die deutschsprachige wissenschaftliche Lexikographie bestrebt ist, den Inhalt der Wörterbücher durch Vernetzen einerseits und durch Ergänzung via Datenbank anderseits weiter zu verbreitern und für die Forschung zu optimieren (siehe Kap. 4), kennt die englischsprachige Lexikographie auch einen anderen Aspekt, nämlich die Popularisierung der wissenschaftlichen Wörterbücher durch Kurzausgaben, sprich: die Öffnung gegenüber dem interessierten Laien. Kurzfassungen vielbändiger Vollausgaben peilen Benützer an, die Interesse an der Sprache ihrer Region haben, denen aber die umfassende Information der Vollausgaben zu weit geht, oder aber die mit der komplexen Lexikographie, welche Vollausgaben oft bieten, nicht zurande kommen. Auch wenn solche Handwörterbücher auf der Grundlage der Vollausgaben realisiert werden, stellen sie doch selbständige Projekte dar, für die eigene Konzepte erarbeitet werden müssen. Dass sie im Übrigen sowohl gedruckt wie elektronisch zur Verfügung gestellt werden können, liegt auf der Hand und muss nicht eigens betont werden. Bislang ist man solche Projekte im deutschsprachigen Raum erst vereinzelt angegangen, wobei die konzeptionellen Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft worden sind. Bevor wir uns dem deutschen Sprachraum zuwenden, seien die in vielem vorbildhaften Kurzfassungen der britischen Lexikographie kurz vorgestellt: Der Shorter Oxford English Dictionary ist ein zweibändiges, dicht gedrucktes Werk, das zum einen auf dem zwanzigbändigen Oxford English Dictionary, zum andern aber auch auf eigener Forschung basiert. Im Gegensatz zur Vollausgabe führt er lediglich den Wortschatz ab 1700 auf, wobei älteres Material immerhin insofern berücksichtigt ist, als dieses nach 1700 weiterwirkt (u. a. Bibel, Shakespeare), oder aber wenn es sich um ausgestorbene Bedeutungen eines ohnehin anzusetzenden (da in anderen Bedeutungen noch lebendigen) Lemmas handelt. Schottland kennt sogar eine mehrfach abgestufte Popularisierung der beiden je zehnbändigen schottischen Nationalwörterbücher, des Dictionary of the Older Scottish Tongue (Schottisch vom 12. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts) und des Scottish National Dictionary (Schottisch ab 1700). Der einbändige „Concise Scots Dictionary“ ist die explizite Kurzausgabe dieser beiden Vollausgaben. Als historisches Wörterbuch einer heute nur in dialektaler Form existierenden Sprache musste er gegenüber dem standardsprachlich orientierten Shorter Oxford English Dictionary ein eigenes Konzept entwickeln und hat dabei ein geschicktes, großteils leicht verständliches System entwickelt, um sowohl die Datierungen des Vorkommens von Bedeutungen und Formen (ja sogar Schreibungen)9 als auch die rezenten geographischen Verbreitungen derselben mitzuteilen. Diesem Handwörterbuch steht ein kleineres, nur die rezente Sprache – die durch die wichtigeren Wörter der schottischen Literatur ab 1800 ergänzt wird – enthaltenden Wörterbuch zur Seite, nämlich der Pocket Scots Dictionary. In diesem entfallen die zeitlichen Angaben weitgehend, und die geographischen Angaben werden noch 9
Ein Schwachpunkt scheint mir darin zu liegen, dass zwischen Schreibung und Lautung, bei den starken Verben zwischen Schreibung, Lautung und morphologischer Form nicht genügend klar unterschieden wird. Gerade im Bereich der Morphologie der starken Verben kann das zu Unklarheiten und Problemen führen.
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weiter regionalisiert, sodass die Darstellung bedeutend vereinfacht werden kann, ohne dass die wissenschaftliche Grundlage deswegen verlassen werden müsste. Diese beiden, in grundsätzlich einheitlichem Stil gehaltenen Kurzausgaben werden ergänzt durch den (in manchen Punkten anders gestalteten) Concise English-Scots Dictionary, den Scots Thesaurus und den Scots School Dictionary, womit die schottische Lexikographie fast für jedes Bedürfnis ein eigenes Wörterbuch bereithält.10 Als vergleichbares Werk gibt es im deutschen Sprachraum11 bislang einzig das Schwäbische Handwörterbuch aus dem Jahre 1986, das die explizite Kurzausgabe des sechs- bzw. faktisch siebenbändigen Schwäbischen Wörterbuchs ist. Dieses enthält rund 13 500 Lemmata und lehnt sich in Gestaltung und Definitionsweise eng an die Vollausgabe an. Im Unterschied zu dieser lässt es jedoch den gesamten historischen Teil weg, der für die Vollausgabe konstitutiv ist. Zieht das Schwäbische Wörterbuch aber immerhin einen großen Teil des gegenwärtigen mundartlichen Wortschatzes mit ein, so sind vier andere, großteils erst jüngst erarbeitete Ausgaben ausgesprochen „idiotisch“, das heißt den Unterschied zwischen Mundart und Standarddeutsch betonend, ausgerichtet, nämlich das Kleine Thüringische Wörterbuch (Spangenberg 1994), das Kleine Pfälzische Wörterbuch (Post 2000), das Kleine Südhessische Wörterbuch (Mulch 2004) und das Kleine Hamburgische Wörterbuch (Henning/Meier 2006). Alle vier sind von Redaktoren der entsprechenden Großlandschaftswörterbücher verfasst und können damit aus dem reichen Material der mehrbändigen Vollwörterbücher schöpfen, lassen aber ebenfalls alle den historischen Teil des Wortschatzes beiseite.12 – Die folgenden Überlegungen gehen weniger in Richtung solcher „kleiner Wörterbücher“ als in Richtung des Typus „Handwörterbuch“.
5.2
Überlegungen zu Kurzfassungen des Schweizerischen Idiotikons
Beim Schweizerischen Idiotikon wurde kürzlich im Rahmen einer detaillierten Studie das Projekt einer mehrstufigen Popularisierung des siebzehnbändigen Gesamtwerks ausgearbeitet, die im Anschluss an dessen absehbare Vollendung in Angriff genommen werden könnte (Landolt 2003, Landolt 2004, Landolt/Schifferle [im Druck]; vgl. Dalcher 1982, Kuhn 1985: 9–17). Dass solche Gedanken ausgerechnet im Hinblick auf dieses Wörterbuch
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Im Gegensatz zu den eindrücklichen schottisch-englischen Wörterbüchern werden bei den englisch-schottischen Wörterbüchern konzeptuelle Schwierigkeiten deutlich. Das Prinzip, für englische Lexeme ganz vorrangig solche schottische Wörter und Formen aufzuführen, die sich vom Englischen möglichst abheben (bis hin zu beinahe exotischen Varianten) und die anderen, sehr wohl auch authentisch schottischen (und nicht selten zugleich die klassischen) unerwähnt zu lassen, ist doch recht fragwürdig. Für die rätoromanische und die italienische Schweiz sieht die Situation insofern anders aus, als hier mit dem Handwörterbuch des Rätoromanischen und dem Lessico dialettale della Svizzera italiana in letzter Zeit je ein drei- bzw. fünfbändiges, die gesamte Raumvarietät abdeckendes Handwörterbuch erschienen ist. Auch diese Werke dürfen für den deutschsprachigen Raum Vorbildfunktion beanspruchen. Einen eigenen Typus repräsentiert das Plattdeutsche Wörterbuch für den mecklenburgisch-vorpommerschen Raum (Herrmann-Winter 1985), das zwar u. a. auf der Sammlung des Pommerschen Wörterbuchs aufbaut, im Übrigen aber eine selbständige Arbeit darstellt. Es kann durchaus als Vollwörterbuch charakterisiert werden, das verdankenswerterweise auch dem Volkskundlichen breiten Platz einräumt.
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gemacht werden, kann nicht erstaunen, handelt es sich doch nicht nur um das umfangreichste, sondern auch um eines der dichtesten und komplexesten Regionalwörterbücher des Deutschen – und dies längst nicht allein infolge der strikten Umsetzung der schmellerschen Alphabetik. Neu ist diese Idee ebenfalls nicht, denn eine solche stellte schon vor hundert Jahren der damalige Redaktor Heinrich Bruppacher in Aussicht (Bruppacher 1906: [6]), als das Wörterbuch schon auf bestem Wege war, von einem schlanken, wenige Bände umfassenden Idiotikon zu einem aufwendigen Thesaurus zu werden. In unserer gegenwärtigen Zeit stößt etwa Franz Josef Hausmann ins selbe Horn, indem er etwas pointiert, aber keineswegs unzutreffend feststellt, dass die monumentalen Wörterbücher „als gesellschaftlich gescheitert angesehen werden“ müssten, da sie vom Nichtwissenschafter kaum konsultiert würden (Hausmann 1989a: 12). Zugleich liefert er das Rezept nach, wie dieses Problem wieder zu beheben sei: „Für den einzelnen außerwissenschaftlich fruchtbar wurden die gigantischen Unternehmen erst durch Kürzungen, möglichst auf einen Band, meist unter Weglassung der Zitate“ (ebd.); als Beispiel nennt der den Shorter Oxford English Dictionary.13 Die für das Schweizerische Idiotikon erarbeitete Projektskizzierung umfasst im optimalen Fall eine dreiteilige Publikation, wobei sich die zweite aus der ersten, die dritte aus der zweiten ableitet: – erstens ein zwei- bis dreibändiges Handwörterbuch, das eine durch Nachträge ergänzte komprimierte Fassung der siebzehnbändigen Ausgabe darstellt und somit sowohl die ältere (historische) als auch die jüngere (mehr oder weniger rezente) Sprache enthält, – zweitens eine noch weiter komprimierte, einbändige Ausgabe, die sich auf den die jüngere Sprache enthaltenden Teil des Handwörterbuchs beschränkt, – drittens eine „umgekehrte“ Fassung des letztgenannten, also ein eigentliches hochdeutsch-schweizerdeutsches Wörterbuch. Angesprochen werden soll zuerst einmal ein Benutzerkreis, der (1) eine bestimmte Bedeutung (sei es aus der historischen, sei es aus der lebendigen Sprache) sucht oder (2) nach der arealen Verbreitung eines bestimmten Wortes, einer bestimmten Bedeutung, einer bestimmten Lautung oder einer bestimmten Form fragt oder – im Falle des zwei- bis dreibändigen Handwörterbuchs – (3) erfahren will, in welcher Zeit eine bestimmte Bedeutung lebendig war. Der Zweck liegt somit in erster Linie darin, einen vielseitig vereinfachten Zugang zum gewaltigen Stoff der Vollausgabe zu ermöglichen, das heißt ein schnelleres und einfacheres Nachschlagen dank normalalphabetischer Anordnung und viel kleinerer Anzahl Bände sowie ein schnelleres Erfassen der Information dank radikal gekürzten Wortartikeln und typisierten Angaben zur Lautung, zur Form, zur arealen Verbreitung und zur Bedeutungschronologie. Darüber hinaus bietet ein solches Handwörterbuch mittels eines geeigneten Verweissystems einen einfachen und zuverlässigen Zugang zur siebzehnbändigen Vollausgabe. Sowohl die areale wie die diachrone Dimension sprechen typische Interessen auch des Laien an seiner Sprache an (vgl. Hausmann 1989b: 24–26), was auf die Schweizer, die ihre Mundarten in fast jeder Gesprächssituation verwenden und somit täg-
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Sehr viel kritischer als Hausmann äußert sich Schmidt 1986: 135 ff. über das gesellschaftliche Scheitern der historisch orientierten Lexikographie – einschließlich einbändiger Ausgaben wie Paul 1897/2002. Allerdings halte ich Schmidts Anspruch auf effektive Breitenwirkung historischer Lexikographie für illusorisch.
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lich auch mit Mundarten anderer Landesgegenden konfrontiert sind, in besonders ausgeprägtem Maße zutrifft. Hinzu kommt ein ganz wesentliches weiteres Moment: Durch das Faktum, dass die Kurzausgabe (in jeder Form) von Grund auf neu erarbeitet wird, kann sie von Anfang an auch mit Blick auf die digitalen Erfordernisse erarbeitet werden. Hierfür sind Ansatz, Lautformen, Flexionsformen, Verbreitungsangaben, Bedeutungsangaben und alle weiteren Komponenten nach einem einheitliches System zu standardisieren, sodass anlässlich einer interaktiven Anwendung jede einzelne Komponente problemlos abgefragt werden kann und damit fast beliebige Fragestellungen möglich sind. Alles in allem erreicht man damit nicht nur ein Wörterbuch, das (mehr oder weniger) einfach verständlich ist, sondern auch ein Wörterbuch, dass multiple Zugänge ermöglicht. Im Gegensatz hierzu muss die traditionelllineare, zahllose systematische Unebenheiten und Mehrdeutigkeiten14 aufweisende Vollausgabe für eine Digitalisierung erst einmal aufwendigst annotiert und restrukturiert werden, wenn interaktives Abfragen möglich sein soll. Mit einer solchen Kurzfassung käme für den deutschen Sprachraum etwas ganz Neuartiges zustande. Und neuartig zumindest für die Schweiz wäre überdies die „umgekehrte“ Kurzausgabe Hochdeutsch-Mundart, die nicht zuletzt infolge der durchgreifenden Umschichtung der dialektalen Lexik in den letzten hundert Jahren sicherlich ein Desiderat geworden ist.15 Die schweizerische Lexikographie kennt den standardsprachlich-dialektalen Zugang bislang nur aus stichwortartigen Wortregistern, die manchen dialektal-standardsprachlich ausgerichteten Ortsmundartwörterbüchern angehängt sind. Mir schwebt aber ein eigentliches Vollwörterbuch vor, das eine bisher nicht vorhandene onomasiologische Zugriffsstruktur auf den Inhalt des Schweizerischen Idiotikons schaffen könnte und das seinen wichtigsten Gebrauchswert darin hätte, die Abfrage von mundartlichen Äquivalenten für alle deutschschweizerischen Mundarten gleichzeitig zu ermöglichen, diese sodann durch die jeweiligen Verbreitungsangaben areallinguistisch zu verankern und möglichst auch durch weitere Symptomwertangaben zeitlicher, situativer und sozialer Art zu ergänzen. Es wäre mithin weit mehr als nur eine Liste der durch die hochdeutschen Begriffe erschlossenen mundartlichen Lemmata der Vollausgabe.
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Schlussbetrachtung
Nachdem im 19. und 20. Jahrhundert die historischen Dialektwörterbücher nach ähnlichen Vorstellungen und mit ähnlichen Zielsetzungen, wenn auch in unterschiedlicher Ausführung
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15
Man denke nur schon an die Mehrdeutigkeit der Ortssiglen des Schweizerischen Idiotikons, die ein elektronisches Abfragen nach Orten/Regionen unmöglich macht. In der Reihung, wie sie die Druckversion kennt, sind sie zwar eindeutig, sie werden aber bei einer autonomen, ortsspezifischen Abfrage mehrdeutig: Dann kann A für Kanton Appenzell Außerrhoden, Amden (St. Gallen) und St. Antönien (Graubünden) stehen, B für Kanton Bern, Baden (Aargau), Bauernland (Zürich), Buch (Schaffhausen) und Buchsgau (Solothurn) – usw. Solche „umgekehrte“ Mundartwörterbücher sind mir sonst nur aus dem niederdeutschen Raum bekannt (Harte/Harte 1986, Herrmann-Winter 1999).
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in Angriff genommen worden sind, ergeben sich heute vornehmlich durch die Möglichkeiten und Erfordernisse der Digitalisierung initiierte, spannende lexikographische Neuansätze. Die traditionellen großlandschaftlichen Wörterbücher sollten diese Entwicklung auf keinen Fall verpassen, denn es eröffnet sich ihnen damit die Chance, auch in einer medial ganz anderen Zukunft präsent zu sein und sogar weitere Benützerkreise zu gewinnen. Angesichts der vielen neu angefangenen und geplanten lexikographischen Aktivitäten erhebt sich manchmal die Frage, wohin das Schiff der Lexikographie eigentlich steuern soll. Man wird etwa fragen dürfen, ob bei all den ehrgeizigen, forschungszentrierten elektronischen Ausbauprojekten nicht ein weniger elitärer, aber gleichwohl interessierter Benützerkreis vergessen geht – diejenigen Benützer, die eigentlich nicht mehr und detailliertere, sondern knappere (und damit für ihn klarere) Auskünfte wünschen. Oder ob separate CDVersionen angesichts des immer dominanteren Internets tatsächlich zukunftsträchtig sind. Oder wie viel Aufwand gerechtfertigt ist, eine zusätzliche Informationen anbietende Belegdatenbank für die letztlich wenigen Personen zu errichten, denen die im (gedruckten oder elektronischen) Wörterbuch gelieferten Auskünfte nicht reichen. Oder was die aufwendig annotierten Systeme alles für Abfragedispositionen ermöglichen sollen, wo doch schon die gegenwärtig vorliegenden Wörterbücher (bzw. Wörterbuchbände) und Sprachatlanten weitgehend brachliegen, da Regionalsprache und historische Kulturwissenschaft nur mehr für sehr kleine Kreise von wissenschaftlichem Interesse sind. Oder man vergegenwärtige sich die Kritik am kurzgefassten Shorter Oxford English Dictionary, das Werk lehne sich zu stark an die Vollausgabe an und erreiche dadurch die anvisierten Benützer zu wenig. Man verstehe diese und ähnliche Fragen in dem Sinne, wie sie gemeint sind: Fragen eines advocatus diaboli. Als Nebenprodukt hat der Aufsatz dargelegt, wie regional unterschiedlich der historische Wortschatz des Deutschen überhaupt lexikographisch erfasst wird. Während der oberdeutsche Raum recht bis sehr gut erschlossen ist und der niederdeutsche wenigstens in Hamburg und Mecklenburg von den regionalen Mundartwörterbüchern einbezogen vorliegt, wird der historische mitteldeutsche Wortschatz beinahe ausschließlich durch gesamtdeutsch ausgerichtete Wörterbücher abgedeckt und entbehrt mithin fast jeder spezifisch regionaler Vertiefung und Erörterung. Wie wichtig diese aber ist, wäre in einem anderen Aufsatz darzustellen, nämlich einem über die Leistungen und Erkenntnisse der historischen Dialektlexikographie – ein Aspekt, der wohl zu wenig bekannt, für die deutsche Wort- und Sachforschung aber von großer Bedeutung ist.16
16
Zur schweizerischen Wortforschung vgl. Wanner 1960. Eine neue Darstellung wäre nicht allein deshalb erwünscht, weil seither viel neues Material erschlossen worden ist, sondern auch, um die regionale Wortforschung in einen gesamtdeutschen, ja gesamtgermanischen Zusammenhang zu stellen. Einzelne Aspekte hierzu werden in Schifferle 2006 dargeboten.
Neuere Entwicklungen in der historischen Dialektlexikographie des Deutschen
7
Bibliographie
7.1
Zitierte Wörterbücher
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Christoph Landolt
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7.2
Sonstige Literatur
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Neuere Entwicklungen in der historischen Dialektlexikographie des Deutschen
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Christoph Landolt
Schmidt 1986 = Hartmut Schmidt: Wörterbuchprobleme. Untersuchungen zu konzeptionellen Fragen der historischen Lexikographie. Tübingen 1986 (RGL 65). Städtler 2003 = Wissenschaftliche Lexikographie im deutschsprachigen Raum. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hg. v. Thomas Städtler. Heidelberg 2003. Wandl-Vogt 2002 = Eveline Wandl-Vogt: Digitale Volltexte als Arbeitsbehelf für die Dialektlexikographie am Beispiel des Textkorpus zum „Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ)“. In: Standards und Methoden der Volltextdigitalisierung. Beiträge des Internationalen Kolloquiums an der Universität Trier, 8./9. Oktober 2001. Hg. v. Thomas Burch u. a. Trier 2002 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz; Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse), 177–185, 338 f. Wandl-Vogt 2005 = Eveline Wandl-Vogt: ...was nicht im Wörterbuch steht. Die Datenbank der bairischen Mundarten in Österreich (DBÖ) als digitales Archiv am Beispiel kulturgeschichtlicher Fragestellungen. In: Eckhard Eggers u. a. (Hgg.): Moderne Dialekte – Neue Dialektologie. Akten des 1. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD) am Forschungsinstitut für deutsche Sprache „Deutscher Sprachatlas“ der Philipps-Universität Marburg vom 5.–8. März 2003. Stuttgart 2005 (ZDL Beihefte 130), 589–612. Wandl-Vogt 2006a = Eveline Wandl-Vogt: Mapping Dialects. Die Karte als primäre Zugriffsstruktur für Dialektwörterbücher am Beispiel des Wörterbuchs der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ). In: Karel Kriz u. a. (Hgg.): Kartographie als Kommunikationsmedium. GICON 2006, Wien 10.–14. Juli 2006. Wien 2006 (Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie 17), 89–97. Wandl-Vogt 2006b = Eveline Wandl-Vogt: Von der Karte zum Wörterbuch. Überlegungen zu einer räumlichen Zugriffsstruktur für Dialektwörterbücher. Dargestellt am Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ). In: Elisa Corino u. a. (Hgg.): Proceedings XII Euralex International Congress, Torino, Italia, September 6th – 9th, 2006. Alessandria 2006, 721–732. Wanner 1960 = Hans Wanner. Das sog. historische Material in landschaftlichen Wörterbüchern. In: ZfM 27, 1960, 129–143.
Allgemeine Überlegungen zur Retrodigitalisierung historischer Wörterbücher des Deutschen
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Anja Lobenstein-Reichmann
Allgemeine Überlegungen zur Retrodigitalisierung historischer Wörterbücher des Deutschen
1 2
Vorbemerkungen Lexikographiebezogene Medienkritik
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Der gewonnene oder verspielte Mehrwert elektronischer Wörterbücher Literatur (in Auswahl)
Heino Speer zum 65. Geburtstag am 11. August 2007
1
Vorbemerkungen
In kaum einer anderen sprachwissenschaftlichen Disziplin hat die Frage nach den neuen Medien so dominant Einzug gehalten wie in der Lexikographie. Es gibt kaum eine Tagung oder eine Publikation, die nicht über Cross-Media-Publishing, Computerdatenbanken, elektronische Kookurrenzanalysen, Redaktionssysteme oder Digitalisierung handelt. Von Belegbearbeitung, Bedeutungsbeschreibungen oder gar von neuen Wörterbuchkonzeptionen hört und liest man dagegen deutlich weniger. Der Personalcomputer, von dem Eberhard Lämmert meint, er habe sich „karnickelartig“1 ausgebreitet, hat die Lexikographie so in seinen Bann gezogen, dass sie als eigenständige, im Kern philologisch, linguistisch und kulturhistorisch orientierte Disziplin sprichwörtlich wie das Kaninchen vor der Schlange zu verharren, das heißt hier: auf jede Eigeninitiative zu verzichten droht. Ich beginne diesen Aufsatz bewusst in diesem kritischen Unterton, werde manches davon später wieder zurücknehmen, vieles aber noch schärfer fassen müssen. Der Grund liegt auf der Hand. Medienwechsel und Medienwandel stellen die Lexikographie vor neue Aufgaben und Herausforderungen, bieten neue Chancen und neue, in vielem bessere Bedingungen. Die Lexikographie könnte gerade im Zeitalter von Internet und Informationsüberflutung eine neue Renaissance erleben, weil sie Instrumentarien zur Wissensbewältigung liefert. Doch statt sich auf ihre Stärken zu besinnen und sich inhaltlich und konzeptionell weiter zu entwickeln und sich damit auch neu zu positionieren, lässt sie sich schleichend auf elektronische Techniken reduzieren und gibt ihre Kernkompetenzen an den Computerfachmann ab. Sie kapituliert vor der Übermacht der Technik, statt ihr ihren Stempel aufzudrücken. Das Ergebnis ist unter anderem, dass die meisten der inzwischen verfügbaren elektronischen Wörterbücher nicht nur weit hinter die Möglichkeiten des elektronischen Mediums zurück fallen,2 sondern oft auch hinter die lexikographischen Standards. In diesem Artikel geht es um mehrere Anliegen: Das erste ist schon angedeutet worden, es ist die kritische Reflexion des Umgangs mit den modernen Medien im Hinblick auf
1 2
Lämmert 1998, 107. Müller-Spitzer 2003, 140. DOI 10.1515/lexi.2007.009
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Anja Lobenstein-Reichmann
Lexikographie und lexikographisches Arbeiten. Dazu gehören folgende Fragen: Welchen Stellenwert haben Werke kollektiven Wissens im elektronischen Informationszeitalter? Welchen Sinn ergibt es, bereits gedruckte Wörterbücher digital verfügbar zu machen, also zu retrodigitalisieren? Wäre es nicht sinnvoller, neue, dem elektronischen Medium angemessenere Wörterbücher zu konzipieren? Wenn aber schon retrodigitalisiert wird, was meines Erachtens sinnvoll ist, in welchem Verhältnis stehen die beiden Fassungen zueinander? Hat man plötzlich zwei Wörterbücher anstatt nur eines einzigen? Man könnte also mit Goethe die Gingko-Frage stellen: „Ist es ein lebendig Wesen, das sich in sich selbst getrennt, sind es zwei, die sich erlesen, dass man sie als eines kennt“? Oder etwas weniger poetisch: Verdoppelt man mit dem Medienwandel nur, was bereits vorhanden ist, und zwar in genau derselben Weise? Oder macht man aus einem alten Wörterbuch ein gänzlich neues? Retrodigitalisierungen betreffen konzeptionell vordigital festgelegte, in der Regel schon fertiggestellte lexikographische Unternehmen. Welche praktischen Schwierigkeiten ergeben sich bei deren nachträglicher Überführung in das neue Medium? Und wenn diese vollzogen ist, welche Chancen bieten sich damit für den Lexikographen, welche für den Wörterbuchbenutzer? Worin besteht also der elektronische Mehrwert? Klassische Wörterbuchkritik wird hier zur lexikographiebezogenen Medienkritik. Es geht dabei aber nicht um eine Rezension einzelner Unternehmen, wie sie unter der Rubrik Electronic Dictionaries in der Lexicographica, dem Jahrbuch für Lexikographie, regelmäßig publiziert wird.3 Die folgenden Ausführungen sollen auch nicht aufzeigen, inwiefern der mediale Wandel von der Datenerhebung, der Datenspeicherung, Datenbearbeitung und der Datenpräsentation in einzelnen Unternehmen durchgeführt wurde. Eine solche Beschreibung aus der Außenperspektive vorzunehmen, ist unangemessen und sollte den Arbeitsstellen überlassen bleiben. Im Focus der folgenden Ausführungen stehen zweitens die Objekte der Retrodigitalisierung, die schon bestehenden Printwörterbücher selbst und deren medial unabhängiges Kapital. Welche ihrer Informationsschätze können mithilfe des neuen Mediums gehoben werden, vor allem aber welche könnten mit den neuen Möglichkeiten gehoben werden und werden es nicht, weil man zu sehr auf die schnellen technischen Lösungen hin orientiert ist und nicht mehr auf die lexikographischen Aufgaben? Es geht also um die Möglichkeiten der Nutzbarmachung eines in einem traditionellen Medium erarbeiteten Wissensspeichers in einem neuen und für ein neues Medium, indem man die Qualitäten des „alten“ Speichers nicht nur in den neuen transferiert, sondern sie dort mit den dessen zusätzlichen Möglichkeiten deutlicher hervorhebt und nicht zusätzlich versteckt. Damit wird schon angedeutet, dass der eigentliche Wert lexikographischer Arbeiten medienunabhängig ist und auf der Arbeitsleistung von Lexikographen beruht.
2
Lexikographiebezogene Medienkritik
Das Verfassen von Wörterbüchern oder Enzyklopädien, also die Herstellung von Werken kollektiven Wissens, gewinnt im Zeitalter der Informationsgesellschaft immer mehr an Bedeutung. Je undurchdringlicher und unüberschaubarer die Informationsmassen zu werden
3
Z.B. Lobenstein-Reichmann 2002a.
Allgemeine Überlegungen zur Retrodigitalisierung historischer Wörterbücher des Deutschen
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drohen, desto wichtiger ist deren qualitativ-strukturierende Erschließung. Denn die Globalisierung findet nicht nur im Wirtschaftsbereich statt, auch unser Wissenshorizont erweitert sich über nationale und kulturelle Grenzen hinaus. Die vollständige Computerisierung unseres Lebens- und Arbeitsalltags, dabei vor allem durch das Internet und damit aufgrund der Möglichkeit, auf schnelle und unkomplizierte Weise mit der ganzen Welt Kontakt aufzunehmen und sich Informationen zu beschaffen, stehen auf der einen Seite, auf der anderen Seite erfolgt die quantitative Endlosarchivierung aller möglichen Daten, deren Archivwert nur noch bedingt hinterfragt wird. Man könnte meinen, man lebe in einer digitalen Welt, deren Reichweite zwar kommunikativ und virtuell auf die Ausmaße eines mittelgroßen Dorfes zusammengeschrumpft ist, deren kommuniziertes Datenmaterial aber ins Unermessliche ansteigt, vor allem da auch der zur Verfügung stehende Archivraum ans Unendliche grenzt. Das digitale Wissen ist nahezu grenzenlos verfügbar, sowohl zeitlich rund um die Uhr wie räumlich rund um den Globus. Doch Distribution und Erreichbarkeit von Daten sind beinahe wichtiger geworden als deren Inhalte und deren Kategorisierung als zu sicherndes Wissen. Wissen unterliegt damit einem Wandel seiner Seinsweise. War es früher eher kanonisiert, beständig, allgemeingültig, orientierend, so tendiert es nun dazu, ein Produkt des allgemeinen Diskurses zu werden, wie Foucault (Foucault 1997, 258ff.) ihn definiert: kurzfristig und wankelnd, situationsabhängig und fragwürdig, es ist nicht mehr in der gleichen Weise glaubwürdig, sondern ein: Lämmert 1998, 109: Mosaik, das zwar multimedial, aber doch auch zufällig Auskünfte präsentiert oder unterlässt: Auskünfte, die eintönig oder auch, wenn’s glückt, kontradiktorisch sein können, je nachdem wie einer die Maus bewegt.
Zum Eindruck der Kurzfristigkeit, Wankelmütigkeit und Unglaubwürdigkeit kommt der des Unsortierten, Irritierenden, gar Chaotischen, hinzu. Die neuen Datenuniversen gleichen dem berühmten Heuhaufen, den man nach der Stecknadel durchsuchen muss. Benutzbar sind sie erst, wenn aus Daten Informationen und aus diesen echte Wissenseinheiten werden. Zwar können die Informationen darstellerisch variabler, abwechslungsreicher und anschaulicher an die Menschen herangebracht werden denn je, zwar braucht man nicht mehr auf Umfangsbeschränkungen zu achten, zwar kann man viele Texte mit Bildern, mit akustischen Einlagen verbinden und sie damit eingängiger präsentieren, kurzum: zwar kann man tatsächlich zu der viel gepriesenen Wissensdemokratisierung beitragen. Es ist aber auch festzustellen, dass all diese Möglichkeiten in der Praxis missbraucht werden können. Wenn man unkontrolliert alles mit allem verbindet, dem Einzelfaktum und seiner mechanischen Vernetzung die Priorität vor der Synthese einräumt, dabei auf kritische Auswahl, auf orientierende Leitlinien, auf begründete Bewertungen verzichtet, dann trägt man zur Unverbindlichkeit des Wissens bei, schafft man Orientierungslosigkeit mit dem bekannten Ergebnis, dass digitale Fassungen eines Buchinhaltes im Durchschnitt qualitativ hinter dem Buch zurückbleiben, nicht die geschlossene Orientierungsleistung des Printmediums erreichen und dass möglicherweise kein verantwortlicher Autor mehr sichtbar ist. Das Beschriebene hat zur Folge: Das Internet muss einerseits zu einem „Zuwachs an Lesermündigkeit“ (Lämmert 1998, 109) führen, denn die Offenheit der Information kann irrelevante Zufälligkeiten hervorbringen, Sackgassen, Irrwegen, Scharlatanerien aller Art Tür und Tor öffnen. Und andererseits braucht man neue orientierende Schneisen durch den Dschungel von Daten, damit das Wissen nicht hinter der mechanischen Möglichkeit der beliebigen Datenverknüpfung verschwindet.
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Anja Lobenstein-Reichmann
Werke kollektiven Wissens sind wie wenige andere Schriftprodukte auch Spiegel der Medienentwicklung. Gerade Enzyklopädien und das moderne Wörterbuch sind das Ergebnis der frühneuzeitlichen Medienrevolution, in der, ähnlich wie heute, dem Einzelmenschen die Bewältigung allen relevanten Wissens aus den Händen glitt. Schon mit der Einführung der Schrift hatte sich das Wissen aus der Reichweite persönlicher Sprechkontakte gelöst, und seit dem Buchdruck war es nochmals zeit- und raumunabhängiger geworden und hatte sich in der Wahrnehmung der Menschen ins Unermessliche vervielfältigt. Das hatte auch wissenssoziologische Konsequenzen: Wer etwas unbedingt wissen wollte, der konnte, wenn auch soziologisch mit mehr oder weniger großen Schwierigkeiten, sein diesbezügliches Streben erfüllen. Doch was wissens“wert“ war, wurde nicht mehr ausschließlich durch eine höhere Instanz geregelt, sondern oft einfach durch die oftmals ebenso beliebigen Kriterien des (Buch)Marktes. Die Parallelen zur modernen Medienrevolution liegen auf der Hand. Auch in der Frühen Neuzeit musste die stetig ansteigende Informationsflut kanalisiert und strukturiert werden, wozu sich Wörterbücher und Enzyklopädien ideal eigneten. Entsprechend entwickelten sie sich zu kulturellen Wissensarchiven mit integrierten Schubladen-, Verweis und Navigationssystemen. Damit ist die erste der oben aufgeführten Fragen, die nach dem Stellenwert von Werken kollektiven Wissens im elektronischen Informationszeitalter, im Prinzip beantwortet. Wörterbücher und Enzyklopädien bilden eine Schnittstelle zwischen der Idee, ungeheuren Mengen an beliebigen Daten, wie sie im Internet zur Verfügung stehen, eine Form zu geben, und der Möglichkeit, diese inhaltlich, das heißt qualitativ zu strukturieren. Hartmann 2003, 174: […] ein medienwissenschaftliches Theorem […]: Ein Mediensystem reagiert auf spezifische Kontingenzprobleme des Mediums jeweils mit der Entwicklung von Meta-Medien. Diese Meta-Medien oder Navigationshilfen (denn es handelt sich nicht immer gleich um völlig „neue” Medien) setzen den kulturell notwendigen Prozess der Auslagerung geistiger Funktionen in kulturelle Techniken (Schrift, Bibliothekswesen oder eben Enzyklopädien, Bilder, Denkmäler, Museen) nur fort: Solche Funktionserweiterungen des Mediums reagieren auf Defizite und werden entsprechend dem neuen Bedarf entwickelt. Das Meta-Medium dient in der Folge der Medienkompetenz, die durch das alte Medium überfordert wurde. Niemand kann mehr alles lesen, daher wird eine andere Buchform populärer, werden Bücher über Bücher publiziert. Je komplexer das mediale System einer Kultur ist, desto ausgeprägter wird das Verlangen nach Meta-Informationen zum vorhandenen Wissen, also nach ordnenden, steuernden und transformierenden Funktionen sowie nach medialen Subsystemen (wie Deskriptionen, Übersetzungen, Interpretationen, Indizes).
Das Meta-Medium Wörterbuch4 ist der einfachen elektronischen Suchmaschine, die üblicherweise als das Meta-Medium im Internet betrachtet wird, nicht nur um die qualitative Komponente voraus. Es bietet neben der notwendigen Infrastruktur im sprachlichen Datenuniversum, auch stabiles und gefestigtes Wissen, das auch als solches wahrgenommen wird. Diese Glaubwürdigkeit darf aber nicht aufs Spiel gesetzt werden, auch nicht die inhaltlich interpretativen Vorzüge gegenüber den auf Lautketten abgerichteten Suchmaschinen. Beide zusammen jedoch bieten die entscheidenden modernen Navigationstools in einer immer unüberschaubarer werdenden Wissensgesellschaft. Die Erfolge von Wikipedia oder den Onlinewörterbüchern auf der einen Seite und der Suchmaschine Google auf der anderen bezeugen dies. Aber entsprechen die online verfügbaren Wörterbücher den metalexikographischen Qualitätsmaßstäben bzw. einmal anders herum: nutzen die lexikographischen Inter4
Vgl. dazu: Lobenstein-Reichmann, Medium Wörterbuch 2007.
Allgemeine Überlegungen zur Retrodigitalisierung historischer Wörterbücher des Deutschen
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netseiten auch wirklich alle Möglichkeiten des neuen Mediums, die Hypertextualisierung, die internen und externen Vernetzungen usw.? Die neuen Medien Computer und Internet sind Darstellungsraum und Arbeitsinstrument gleichermaßen. Es steht zur Diskussion, inwiefern sie als neue Werkzeuge adäquat angewandt werden und inwiefern man das Althergebrachte in eine neue Plattform übertragen kann, ohne dabei auf der einen Seite die Ergebnisse zu verändern und auf der anderen den neuen Möglichkeiten Fesseln anzulegen. Den hier angedeuteten Konflikt beschreibt der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan treffend als „clash“. McLuhan 2001, 94: These are difficult times because we are witnessing a clash of cataclysmic proportions between two great technologies. We approach the new with the psychological conditioning and sensory responses of the old. This clash naturally occurs in transitional periods. In late medieval art, for instance, we saw the fear of the new print technology expressed in the theme The Dance of Death. Today, similar fears are expressed in the Theater of the Absurd. Both represent a common failure: the attempt to do a job demanded by the new environment with the tools of the old.
Ohne hier explizit diskutieren zu können, was alte und neue Werkzeuge in der Lexikographie sind, was zu deren Aufgaben gehört oder was man unter einer neuen lexikographischen Umgebung verstehen könnte (dazu später mehr), sei mit McLuhan die Frage aufgeworfen, welchen Sinn es hat, zum Beispiel das in der Konzeption aus dem 19. Jahrhundert stammende „alte“ Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm (DWB) oder das fast genau so „alte“ Deutsche Rechtswörterbuch zu retrodigitalisieren. Wäre es nicht sinnvoller, den Heilsversprechen der neuen Medienvertreter zu glauben und vollständig neue elektronische Wortschatzsysteme zu schaffen? Anders als im Mittelalter, in dem das Traditionelle das Sichere war und man sich vor dem Neuen, Ungewissen fürchtete, scheint beim Umgang mit den neuen Werkzeugen oft das lexikographische Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu werden, sei es rhetorisch oder in der praktisch-lexikographischen Umsetzung. In dem 2001 erschienenen Sammelband: „Chancen und Perspektiven computergestützter Lexikographie“ schreiben die Herausgeber im Vorwort: Lemberg / Schröder / Storrer 2001, 2: Die Computertechnik verändert auch den lexikographischen Arbeitsprozess. Der Computereinsatz in der Wörterbuchwerkstatt erlaubt es bei entsprechend technischer Infrastruktur, Abläufe effizienter und flexibler zu gestalten und damit gerade umfangreiche Wörterbuchprojekte schneller, qualitätsvoller und kostengünstiger abzuschließen.
Seither sind 6 Jahre vergangen und der großen Euphorie5 der Anfangsphase, die lange vor diesem Artikel begann, folgt nun bei genauerem Hinsehen die Ernüchterung. Weder die Schnelligkeit ist erhöht worden, noch die Qualität. Und was die Kosten betrifft, so sind diese auch im digitalen Zeitalter abhängig von ganz anderen Kriterien als von der Frage des Mediums. Bei der Betrachtung des Medienwechsels muss zunächst einmal die Frage gestellt werden, was macht den Unterschied zwischen den Medien aus, welche neuartigen konzeptionellen Fragestellungen bringt der Wechsel mit sich, welche Chancen und welche Nachteile sind möglich? Unterscheidung heißt in der Regel Bewertung. Das oben Zitierte präsupponiert, dass Lexikographie ohne den Computereinsatz langsam ist, teuer und vor
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So auch bei Lemberg / Petzold / Speer 1998, 262ff.
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allem qualitativ schlechter. Die Geschichte der Lexikographie spricht im wahrsten Sinne des Wortes eine andere Sprache. Ob man auf die Wörterbücher von Adelung oder Campe hinweist, auf dasjenige von D. Sanders oder auf das Schwäbische Wörterbuch von H. Fischer, diese Wörterbücher sind ohne Computereinsatz entstanden, materialintensiv und noch heute in ihrer Qualität unerreicht. Die Überbewertung der Technik muss also langsam aber sicher relativiert werden, vor allem im Hinblick auf das bisher mit Hilfe der neuen Techniken Geleistete. Wörterbücher sind in sich stimmige Beschreibungssysteme, zu deren Hauptaufgaben neben der Archivierung und Sammlung von sprachlichen Daten vor allem die semantische Erklärung der Welt in Sprache und durch Sprache gehört. Wörterbücher bieten, und das muss immer wieder betont werden, hermeneutisch erarbeitetes Wissen und sind keine additiv gewonnenen Faktensammlungen. Um dieses Wissen sachadäquat und verständlich zu vermitteln, wurden in den letzten Jahrhunderten lexikographischer Tradition bestimmte Konzeptionen und methodische Standards entwickelt, die dem Wörterbuchbenutzer tatsächlich einen schnellen und informationseffektiven Zugriff auf gesichertes Wissen ermöglichen. Diese Standards scheinen nun ins Wanken bzw. in Vergessenheit zu geraten. Statt kostspieliger semantischer Beschreibungen bieten die neuen elektronischen Informationssysteme nämlich in der Regel nur oberflächenorientierte, oft semiautomatisch generierte Halbheiten. Die Technik steht über der inhaltlichen Ausdifferenzierung. Dass es noch kein wirklich digital erarbeitetes, elektronisch verfügbares Wörterbuch des heutigen Deutschen gibt, spricht seine eigene Sprache, ebenso dass in den vorhandenen elektronischen Informationsportalen auf längst bearbeitete Printwörterbücher zurückgegriffen werden muss6 bzw. dass die Bedeutungserläuterung zu einem Wort, immer noch das Kernstück jeder Bedeutungslexikographie, qualitativ schlecht ausgeführt7 oder einfach ganz weggelassen wird.8 Ein anderes Extrem lässt sich in der historischen Lexikographie feststellen. Das neue Mittelhochdeutsche Wörterbuch, dessen erste Doppellieferung soeben erschienen ist, und das von Anfang an mit den neuen Möglichkeiten erarbeitet wurde, fällt konzeptionell und vor allem technisch hinter die Erwartungen zurück. Die mitgelieferte CD bietet eine PDF-Datei, in der zwar eine Volltextrecherche möglich ist, aber nur mit der vom Akrobat Reader zur Verfügung gestellten Suchleiste. Möchte man den Artikel arbeit nachschlagen und gibt diese Lautkette in die Suchleiste ein, so erhält man 198 Fundstellen. Theoretisch muss man erst 76 Fundstellen prüfen, bevor man zum eigentlichen Artikel arbeit gelangt, von den ersten 76 stehen allein 54 im Vorwort bzw. in den Verzeichnissen und nicht im eigentlichen Wörterbuchteil. Es wird weder zwischen Kolumnentiteln, Erläuterungswortschatz, Literaturangaben, Sekundärliteratur oder Belegvorkommen unterschieden. Man fragt sich, wo hier der elektronische Mehrwert bleibt, denn hätte man von Anfang an die PDF-Datei durchgeblättert oder besser noch: das Buch selbst, so wäre man schneller ans Ziel gekommen. Man kann nur hoffen,
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Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts (http://www.dwds.de.) nutzt das Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache. vgl. Sucht man s. v. leben bei Elexico, so fehlen hier einfach große Teilbereiche des semasiologischen Feldes. So stellt man zum Beispiel fest, dass es dort kein Leben nach dem Tode mehr gibt: http://www.elexiko.de. Das Wortschatz-Portal verzichtet gänzlich auf Bedeutungsangaben: http://wortschatz.uni-leipzig. de/
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dass dies das Produkt von ängstlichen Verlagsverträgen ist und durch die angekündigte Internetversion wettgemacht wird. Was Wörterbücher tatsächlich können und vor allem wie viel man an Informationen aus einem Wörterbuch zusätzlich erhalten könnte, wenn man die Möglichkeiten der elektronischen Verarbeitung wirklich nutzen würde, zeigt ein Blick in die lexikographische Vergangenheit, das heißt konkret in die bestehenden Wörterbücher. Von dort aus, also aus der Perspektive der Lexikographie, müssten die Verfasser elektronischer Neukonzeptionen ihre Informationsmodellierung erarbeiten. Retrodigitalisierungen bereits vorhandener Wörterbücher bilden allein schon aus diesem Grund eine wichtige Voraussetzung für adäquate Zukunftslexikographie. Das Herausarbeiten der in ihnen entwickelten Informationspositionen, der in ihnen vorgearbeiteten lexikographischen Standards und das Transferieren der mit ihnen gewonnenen lexikographischen Erfahrungen sollten den Maßstab vorgeben, nicht die schnelle technische Machbarkeit oder der Reiz der Materialmassen. Und um es noch einmal zu pointieren: Um dem neuen Medium angemessenere Wörterbücher schaffen zu können, dürfen keine technischen Kriterien im Vordergrund der konzeptionellen Überlegungen stehen, sondern lexikographische. Diese jedoch sollten dann in maximaler medialer Umsetzung für jedermann zugänglich gemacht werden. Ein Weg dahin ist die Retrodigitalisierung der bereits erarbeiteten Wörterbücher. Die Umsetzung dieser Forderungen stößt aber schon deswegen auf gewisse Hindernisse, weil die praktische Arbeit der Retrodigitalisierung historischer Wörterbücher häufig mit relativ großen Schwierigkeiten verbunden ist. Ihr Gegenstand sind traditionell erarbeitete Informationssysteme, lexikographische Wissensspeicher, die entweder bereits fertiggestellt sind oder bei denen die Produktions- und Publikationsphasen zum Teil lange vor der Erfindung des Computers begonnen haben und die nun während der Produktion den medialen Sprung wagen müssen. Das Adjektiv historisch schränkt die hier in die Diskussion gerückten Wörterbücher ein. Ich beschränke meine Ausführungen demnach auf diejenigen Unternehmen, deren Gegenstand eine historische Sprachstufe des Deutschen ist. Sie betreffen nicht Enzyklopädien wie Johann Heinrich Zedlers grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste9 und nur am Rande Wörterbücher, wie dasjenige von Adelung10 oder Campe, die zwar insofern historisch sind, dass sie im 18. oder 19. Jahrhundert bearbeitet wurden, die aber den damals zeitgenössischen Sprachgebrauch behandeln. Im Focus stehen demnach erstens die bereits fertiggestellten Wörterbücher des Mittelhochdeutschen von Matthias Lexer und von Benecke / Müller / Zarncke (BMZ), das Grimmsche Wörterbuch (DWB, mit der ersten Auflage) und zweitens solche, die während der Bearbeitungs- und Publikationsphase den medialen Sprung wagen mussten, darunter das bereits online verfügbare und wegweisende Deutsche Rechtswörterbuch (DRW) bzw. die Neubearbeitung des DWB, drittens diejenigen, die zwar in der Bearbeitung auf das neue Medium umgestiegen sind, aber noch nicht in der Publikation. Dazu gehören u. a. das Althochdeutsche Wörterbuch (AWB) aus Leipzig, das Deutsche Fremdwörterbuch (DFWB), das Schweizerische Idiotikon, das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ) und das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch (FWB).11
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Vgl. dazu auch: http://www.zedler-lexikon.de/index.html. Das Grammatisch-Kritische Wörterbuch von J. Ch. Adelung: http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/adelung
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Eine Auflistung der in Deutschland bearbeiteten Wörterbücher bietet zum einen das Wörterbuch-
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Der Medienwandel geht von der Entsorgung der traditionellen Schreibmaschine als einzig benutztem Texterfassungsmittel über die Erstellung von Datenbanken bis hin zur Komplettaufbereitung für das Internet, also von den Produktionsverfahren bis zu den neuen Publikationsverfahren auf CD-Rom oder Online im Internet. Die Onlinepublikation mit ihren dynamischen Komponenten ist dabei allerdings das Zukunftsträchtigere, da die CDRom-Version immer nur einen festgefrorenen Zustand konserviert und sich damit bedeutenden Vorzügen des neuen Mediums verweigert. Folgende Arten der Überführung in das neue Medium gibt es: 1. Wörterbücher, in denen die Vorlage als PDF-Datei gespeichert ist bzw. als Grafik abgerufen werden kann (z. B. das Grammatisch-Kritische Wörterbuch von Adelung), 2. volltextdigitalisierte Wörterbücher wie die im Trierer Kompetenzzentrum zu einem Wörterbuchverbund verlinkten mittelhochdeutschen Wörterbücher (BMZ, Lexer, Findebuch) und die erste Auflage des DWB, die sowohl als CD-Rom als auch (mit eingeschränkter Nutzeroberfläche) online im Internet verfügbar sind, 3. volltextdigitalisierte Wörterbücher, die sowohl ihr Quellenmaterial als auch die bereits publizierten Bände volltextrecherchierbar online stellen (DRW), 4. Mischformen. Unabhängig von den neuen Publikationsverfahren ist den bereits abgeschlossenen wie den noch in Arbeit befindlichen Unternehmen gemeinsam, dass sie zunächst einmal bei der medialen Umstellung genau dasjenige vom einen Medium in das andere übernehmen müssen, das die Lexikographen der vordigitalen Zeit in ihrer Konzeption des Wörterbuches an Informationspositionen vorgedacht und dasjenige, das die darauf folgenden Lexikographen an Datenmaterial zusammengetragen und bearbeitet haben. Es bewahrheitet sich dabei im Guten wie im Schlechten eine alte Erkenntnis: Lexikographie wird von Menschen gemacht oder wie Wiegand es ausdrückt: „Lexikographie besteht aus menschlichen Handlungen und ihren Ergebnissen“ (Wiegand 1998, 52). Und so vielfältig die von Menschen vorgefertigten Vorlagen sind, so vielfältig können sie ins andere Medium überführt werden. Bei der Beurteilung der Umwandlungsergebnisse ist zum einen die Qualität der Vorlage von Bedeutung und zum anderen der mit dem neuen Medium gewonnene oder verspielte Mehrwert. Bevor dieser Mehrwert diskutiert wird, möchte ich, wenn auch nur kurz, auf die praktischen Schwierigkeiten bei der Durchführung der Retrodigitalisierung eingehen.12 Am Beispiel des DRW13 bedeutete das zum einen die Retrodigitalisierung der bereits publizierten Wörterbuchbände, das heißt deren zeitaufwendige Erfassung in einer Datenbank und schließlich die Überführung des gewonnenen Datenbankmaterials hin zu einer Onlinefassung, ein Unterfangen, das H. Speer in seinem Artikel DRW to Faust (Speer 1994) selbst beschrieben hat. Bei der Datenerfassung der bereits gedruckten Lieferungen konnten jedoch nicht nur Positiva, sondern mussten auch Fehler und Inkonsistenzen mit übernommen werden. Konsequente Fehlerbehebung oder Auflösungen von Inkonsistenzen gehörten nicht zu den Aufgaben, denn Retrodigitalisierung bedeutet nicht Neukonzeptionierung bzw. schon gar nicht Neubearbeitung. Auf der Textebene liegt also zunächst einmal derselbe Text nur in einem neuen Medium vor. Doch Retrodigitalisierung bedeutet die Inhaltsstrukturmodellierung der vorhandenen Daten und damit die Abbildung der vorgegebenen inhaltlichen Zusammenhän-
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portal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (http://www.woerterbuch-portal. de/woebus_alle/Woebu18?krit=) und zum anderen die Göttinger Akademie unter der URL: http:// grimm.adw-goettingen.gwdg.de/wbuecher/index.php. Vgl. hierzu neben Speer 1994; 1998 auch Burch / Fournier 2001, 133ff. Dazu besser: Speer 1994; 1998; Lemberg / Petzold / Speer 1998.
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ge. Unter „Inhaltsstrukturmodellierung“ verstehen Schmidt / Müller (2001, 49) die „funktionale Aufgliederung in Informationseinheiten, die durch typisierte Relationen zueinander in Beziehung gesetzt werden.“ Eine solche Modellierung, die mit einem gewissen Spielraum bei neuen lexikographischen Unternehmungen konsequent und stringent eingehalten werden kann, ist für die im doppelten Sinne historischen Wörterbuchunternehmen hochgradig problematisch. Der Wandel der Zeitläufte hat oft zum Wandel der Arbeitsvorgänge, der strukturellen Ausrichtung und der Präsentation geführt. Strukturelle Gleichheit ist dabei oft nur auf den ersten Blick vorhanden, was dazu führt, dass bei der Digitalisierung vorgenommene Angleichungsprozesse weitreichende Eingriffe darstellen. Man kann dabei zwei Wege gehen. Das DRW, das sich von Anfang an für eine dynamische Online-Publikation entschieden hat, stellte die inhaltliche Strukturierung in den Vordergrund und konnte bzw. musste somit Strukturmängel der historischen Vorlage ausgleichen. Anders das in Trier vorgelegte DWB, das sowohl auf einer CD erhältlich ist als auch online (dort allerdings mit eingeschränkten Funktionen): der digitale Grimm ist eine relativ originalgetreue Abbildung der gedruckten Vorlage. DWB und DRW zeigen die zwei Varianten der Retrodigitalisierung auf, zum einen die Abbildvariante (DWB) und zum anderen die inhaltliche Strukturmodellierung (RWB). Während das RWB-Modell strukturelle Schwächen der Vorlage kaschieren und teilweise beheben kann und vor allem durch das inhaltsorientierte Strukturieren der Daten auch zielsichere Recherchemöglichkeiten zulässt, bleibt das DWB-Modell in den alten Kontexten verfangen. In ihm sind neben der Lemmaliste letztlich nur Lautketten recherchierbar, und die Inkonsistenzen bleiben erhalten. Ein Beispiel: Im Grimm kommen sowohl in der gedruckten wie in der elektronischen Fassung alle Arten an Gliederungen, Ziffern wie Buchstaben vor. Sie werden in beiden Fassungen aber nicht konsequent und einheitlich genutzt. Das oberste Gliederungskriterium scheint zwar die römische Ziffer zu sein, es wird aber sowohl zur Abgrenzung von Etymologie und semantischem Erklärungsteil wie in manchen Artikeln auch zur Hierarchisierung des Bedeutungsfeldes verwendet. So hat das DWB bei gnade eine Gliederung mit römischen Ziffern auf der ersten Ordnungsebene, auf der zweiten eine mit Buchstaben und auf der dritten eine mit arabischen Ziffern. Diese Gliederung ist s. v. geist nicht zu finden. Dort arbeitet der Lexikograph nur mit arabischen Ziffern und darauf folgenden Kleinbuchstaben. Dieses formale Beispiel zeigt die üblichen Inkonsequenzen gedruckter Vorlagen eines über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Wörterbuches. Sie stellen Herausforderungen an den Leser dar, machen die Unübersichtlichkeit der Printmediums aus und werden bei der abbildungsorientierten Übertragung ins neue Medium dennoch mit übernommen, da eine Neustrukturierung Züge einer Neukonzeption annehmen würde. Solche strukturellen Unausgewogenheiten, dies sei vielleicht hier angemerkt, müssen aber nicht zwangsläufig immer nur negativ bewertet werden. Oft sind sie auch Ausdruck für den besonderen Schwierigkeitsgrad eines Artikels und spiegeln damit die semantische Komplexität14 eines Wortes. Dennoch bleiben es Inkonsistenzen, die nun in ihrem ganzen Ausmaß über den vorhandenen Text, in ihrer historischen Entwicklung (zu bestimmten Zeiten waren einmal mehr die Hierarchisierungen mit römischen Ziffern, einmal die mit arabischen beliebter) und in ihren Motivationen (ob eher eine syntaktische Gliederung als eine semantische bevorzugt wurde) nachvollzogen werden müssen. 14
Es ist entsprechend auffällig, dass die Hierarchisierung durch arabische Ziffern häufig bei komplizierten Artikeln auftritt (DWB, s. v. Schuld), was auf die Komplexität der zugrunde liegenden Semantik hinweist.
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Neben der nun beschriebenen genauen Texterfassung der im Printmedium publizierten Wörterbuchlieferungen, die für das DWB in China, für das DRW im eigenen Hause erfolgt ist, muss inhaltlich wie konzeptionell außerdem ein neues Wortschatzinformationssystem erstellt werden, das nicht nur die Datengewinnung aus dem bereits erarbeiteten Material ermöglicht, sondern sich auch mit kontinuierlich erweiterbaren anderen Textcorpora, Bilddatenbanken und weiteren denkbaren Informationsarchiven verbinden lässt (vgl. exemplarisch dazu den Heidelberger Hypertextserver HDHS).15 Dies gilt aber wieder nur für das DRW, da es sich hierbei um ein fortlaufendes Unternehmen handelt, das entsprechend auch an Datenpflege und Datenverbesserung interessiert ist. Eine solche Datenpflege bedeutet möglicherweise die Überprüfung des bereits publizierten Materials und die Dokumentation der Fehler und Inkonsistenzen, die, wenn sie auch nicht sofort korrigierbar sind, möglicherweise zu einer späteren Zeit verbessert werden können. Auch fallen bei der Retrodigitalisierung möglicherweise deskriptive Lücken auf, gar nicht bzw. inkonsequent bearbeitete Artikel, in denen Informationspositionen nicht gefüllt worden sind, im schlimmsten Fall die Bedeutungserläuterung einfach vergessen wurde. Häufig begegnen auch falsche Zitierweisen oder gar Belegstellenangaben von Quellen, die es im Ernstfall gar nicht gibt. Sinnvolle Retrodigitalisierungen erfordern ein Minimalinventar an Beschreibungen und vor allem eine gewisse Stringenz in der Markierung. Die Forderung nach beschreibungsseitiger Konsistenz ist aber prinzipiell schwer einzuhalten,16 auch in modernen elektronisch konzipierten Wörterbüchern. Dies liegt in der Natur der Sprache begründet. Die Korrektur so manchen Fehlers erledigt sich aber, wie schon angedeutet wurde, durch gut überlegte, straff angesetzte technische Überführungsvorgaben. Anders als im DWB zeigt das auf der Inhaltsmodellierung basierende Beispiel des DRW, dass die Onlineversion trotz inkonsistenter Vorlage zur Transparenz beitragen kann. So wurden zwar bestimmte Hierarchisierungsstrukturen auch in den alten Bänden des DRW nicht sauber durchgeführt, dies fällt in der Onlinefassung aufgrund der strikten Einhaltung der vorgegebenen Ordnung aber nicht mehr auf. Ähnliches gilt für alle Informationspositionen, die im gedruckten Exemplar in einer anderen Reihenfolge erscheinen wie in der streng strukturierten Onlinefassung, so dass die Gewissensfrage, ob man als Retrodigitalisator in den Text eingreifen kann oder nicht, schon durch die Technik entschieden wird. Diese „Gewissensfrage“ wirft das Problem der zwei Wörterbücher wieder auf. Auch wenn ich willens bin, denselben Text ins neue Medium einzugeben, je mehr ich beim Digitalisieren in den Originaltext eingreife, desto weiter entferne ich mich davon und desto eher kann man von zwei unterschiedlichen Wörterbüchern sprechen, die nicht nur eigene Gesichter haben, sondern auch andere Inhalte vorweisen. Besonders arbeitsintensiv und die Grenze zwischen einem und zwei Wörterbüchern aufhebend sind die Ersetzungen alter Textstrukturierungsmittel durch neue, die oft nicht ohne gewisse Neuinterpretationen auskommen bzw. die dazu führen, dass ganze Reihen von Quellensiglen überprüft werden müssen. In printmedialen Werken war und ist es üblich, abkürzende Textkondensierungen wie funktionalisierte Typographien (z.B. die Kursivierung für ein Belegzitat), Interpunktionszeichen (z. B. das Semikolon für die Abgrenzung zwischen zwei aufeinander folgende Informationstypen), Symbole (z.B. ein Kreuz als Hinweis
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Vgl. dazu: Heidelberger Hypertext-Server (HDHS). Ein Digitales Informationssystem zu historischen Quellentexten der mitteleuropäischen Kulturtradition auf der Grundlage von historischen Bedeutungswörterbüchern. http://www.hdhs.de/ Heid 1997, 67.
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auf ausgestorbenes Wortgut) und standardisierte Abkürzungen (z.B. swv. für schwaches Verb, Synt. zur Kennzeichnung der Informationsposition ‚Syntagmenangabe’) als Textstrukturierungsmittel zu verwenden. Die neuen raumunabhängigen Medien können leserfreundliche Dekomprimierungen vornehmen. Doch bei der Überführung printmedialer Vorlagen und damit der im Printmedium variantenreich gestalteten Informationstypen kommt es regelmäßig zu Auflösungsschwierigkeiten. Die genannten Textstrukturierungsmittel sind häufig polyfunktional bzw. polysem und müssen bei einer Digitalisierung reinterpretiert17 werden. Besonders die Auflösungen der Platz sparenden Textkondensierungen innerhalb des Belegblocks, speziell das häufig bis auf den Initialbuchstaben abgekürzte Lemmazeichen können Probleme bereiten. Mit der Abkürzung sind natürlich auch Flexionsendungen oder Tempusanzeiger verloren gegangen. Der Retrodigitalisator müsste hier zur Quelle zurück und jeden Beleg neu prüfen, ein Arbeitsaufwand, der kaum in Relation zum Ergebnis steht. Diese wenigen Einblicke zeigen, wie schwierig und arbeitsaufwendig die Retrodigitalisierung sein kann, sowohl in technischer wie in konzeptionell-lexikographischer Hinsicht. Dass und warum sich der Aufwand für die Traditionsunternehmen dennoch gelohnt hat, schreibt H. Speer nach der Retrodigitalisierung des DRW: Speer 1994, 210: Die elektronische Datenverarbeitung hat die Wörterbucharbeit auf eine völlig neue Grundlage gestellt, hinter die nicht mehr zurückgegangen werden kann. Die Vielfalt von Informationsmöglichkeiten, die Bequemlichkeit der Texteingabe und –verarbeitung, der Wegfall der verschiedenen Korrekturgänge beim konventionellen Satz sind Fortschritte, die zu deutlich ins Auge fallen, als dass ein Zweifel an dem Nutzen der EDV für die Wörterbucharbeit möglich wäre.
Hier wird auch das zweite Motiv für die Retrodigitalisierung angesprochen, die Wörterbucharbeit selbst. Mit der Computerisierung wird das tägliche Arbeiten einfacher. Doch der eigentliche Medienwechsel beginnt erst danach. Er findet erst mit der Präsentation des nun digital vorhandenen Materials und dessen weiterer Bearbeitbarkeit in den neuen medialen Formen wie CD-Rom oder online im Internet statt. Dass der Schritt vom statischen Buch zur nicht wirklich weniger statischen CD-Rom geringer ist als der zur dynamischen Onlinefassung liegt auf der Hand.
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Der gewonnene oder verspielte Mehrwert elektronischer Wörterbücher
Im letzten Zitat wurden weitere Gründe für die Retrodigitalisierung, diesmal aus der Perspektive des den Artikel bearbeitenden Lexikographen, angedeutet, das Reduzieren von Fehlerquellen, der arbeitssparende Zugriff auf die Quellendatenbank, der im Idealfall das Abtippen von Belegen und damit lästige Tippfehler erspart, die dann wieder in quälenden Korrekturgängen beseitigt werden müssen, und einige weitere. Der konzeptionserarbeitende Lexikograph zukünftiger Wörterbücher könnte außerdem etwas lernen, nämlich was an Informationseinheiten in lexikographischen Werken vorhanden ist, welche davon wichtig sind, welche systematisierbar und damit technisierbar sind und welche gerade im neuen 17
Vgl. dazu Heid 1997, 34ff.; Fournier 2001, 91ff.
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Medium eine gewisse Neuentdeckung erfahren könnten, weil dort das lexikographische Prinzip der Vernetzung und Verlinkung geradezu zum Programm gehört. Ein nicht zu unterschätzender Grund für die Retrodigitalisierung lautet aber: „Alte“ Wörterbücher sind bei aller Kritik an ihnen, die übrigens besonders häufig von technikgläubigen Nichtlexikographen geäußert wird, sehr oft gute Wörterbücher. Sie verfügen über ein Material, das sich nicht nur durch Quantität auszeichnet, sondern in der Regel qualitativ hochwertig bearbeitet wurde. Sie repräsentieren also nicht nur Datenmaterial, sondern vor allem aufgrund von Text- und Semantikkompetenz bearbeitetes und strukturiertes Wissen. Außerdem kennzeichnet sie das schlichte Faktum, dass sie schon da sind. Sie brauchen nicht erst noch über viele Jahrzehnte hinweg bearbeitet zu werden. Doch traditionelle Wörterbücher, vor allem die mehrbändigen, vermitteln oft, hier verweise ich auf Aussagen von Studierenden der Germanistik, den Eindruck des Undurchdringlichen und Unüberschaubaren. Den ungeübten Benutzer scheinen sie, wenn nicht schon durch die Fülle des in ihnen enthaltenen Wissens, so spätestens mit ihrem physikalischen Gewicht zu erschlagen. Sie sind durch ihre initialalphabetische Struktur in ein Korsett gepresst, das dafür sorgt, dass man in einem mehrbändigen Printwörterbuch immer mehrere bis alle Bände braucht, wenn man sich über ein komplexes Wortfeld, Wortbildungsfeld oder Sachfeld informieren möchte. Diese Mehrbänder (z.B. das DWB, das FWB, das Schweizerische Idiotikon oder im enzyklopädischen Bereich: das Lexikon des Mittelalters) stellen in der Regel große Herausforderungen an die physische Kraft, an die Zeit zum Ersteigen der Leiter, das Hin- und Hertragen, vor allem aber an den notwendigen Lagerraum und den Geldbeutel des Benutzers. Online-Versionen oder CD-Roms sind dagegen kraft-, platz-, zeit- und raumsparend, mit dem allem problemlos transportierbar. Man benötigt nur einen PC, der mittlerweile ohnehin zur Urlaubsausrüstung jedes wissenschaftlich arbeitenden Touristen gehört. Und falls er ihn dann doch vergessen hat, so findet er einen solchen in nahezu jedem Hotel der Welt oder in den Internetcafes. Er kann so von Brasilien oder von Peking aus nachschauen, welche Bedeutungen das Wort gnatz oder welche Rechtsrelevanz die Bratwurst im Mittelalter haben konnte (DRW). Er kann darüber hinaus alle genannten Recherchen sitzend vollziehen. Der initialalphabetische Zugriff hat dabei als erste Zugriffshandlung seine Bedeutung verloren, darf aber keineswegs als überflüssig gelten. Denn auch bei einem volltextrecherchierbaren elektronischen Wörterbuch sollte immer der zum angefragten Suchwort gehörige Artikel die erste Adressierung darstellen, da dies in der Regel dem vordringlichsten Informationsanliegen des Benutzers entspricht und sich mit dem Artikel und den dort vorgearbeiteten Informationen weitere Suchanfragen erübrigen können. Rechercheinstrumente, die diese Vorselektion nicht anbieten, fallen in ihrem Benutzungskomfort weit hinter das initialalphabetisch geordnete Printmedium zurück. Ein weiterer, nicht zu gering zu achtender Grund für eine Retrodigitalisierung ist die schon angedeutete Fehlerbehebung und die damit eng zusammenhängende Möglichkeit, auch inhaltliche Weiterungen und Verbesserungen vorzunehmen, die sich erst im weiteren lexikographischen Arbeitsprozess durch Informationsakkumulation ergeben konnten. Die Statik des gedruckten Wörterbuchs verursacht eine Geschichte der verpassten Chancen, vom nicht gebuchten Lemma über die übersehene Wortbildungsvernetzung oder die nur eingeschränkt dokumentierte onomasiologische Vernetzung bis hin zur Festschreibung von Fehlinterpretationen einzelner Belege durch den Lexikographen. Wie schon angedeutet: Menschen machen Fehler. Stehen diese einmal im Buch, bleiben sie dort als beständiger Makel festgeschrieben. Doch die auch von mir geforderte Dynamik hat ihre Tücken. Dyna-
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mik ist sinnvoll, wenn man immer mehr Hintergrundinformation auf der Basis der eigentlichen lexikographischen Darstellung hinzufüttert (also zum Beispiel Quellenverlinkungen, sinnvoll eingesetztes Bildmaterial bei Sachartikeln). Dynamik darf aber nicht bedeuten, dass man unreflektiert Modeerscheinungen hinterherläuft, dass man den Benutzer mit immer neuen Zugriffsstrukturen verwirrt oder von ihm verlangt, dass er sich sein eigenes Wörterbuch erfindet, indem man ihm nur noch Navigationstools anbietet, mit denen er sich durch den Dschungel ungesicherten Wissens durcharbeiten muss. Sie darf auch nicht bedeuten, dass man die Produktion von Artikeln verlangsamt. Das Fundament muss die basisstrukturierte, konstante, vom Lexikographen nach allen Regeln der lexikographischen Kunst gewonnene Information bleiben. Was die angesprochene Konstanz betrifft, so sollte man sich auch darüber klar werden, dass man Wörterbücher als zeithistorische Quellendokumente in Zukunft nicht mehr haben wird. Die für die archaisierende Bildungssprache des 19. Jahrhunderts stehende Beschreibungssprache M. Lexers etwa wäre nicht mehr erfassbar. Die fortwährende Anpassung an den neuesten Status tendiert dazu, die jeweils vorhergehende Fassung zu tilgen; sie kann die Archivierung interessanter zeitgeschichtlicher Aspekte der Bearbeitungsphase verhindern (auf diese werde ich im Zusammenhang mit dem DRW noch einmal zurückkommen). Als ein dritter Grund wird der Mehrwert durch Markierung genannt.18 Gemeint ist damit das gezielte Auszeichnen der elektronischen Daten zur schnellen Auffindbarkeit von Informationen. Interessant ist hierbei, dass lexikographische Prämissen im Zusammenhang mit dem Computer wieder entdeckt bzw. als Neuentdeckungen angepriesen werden. Ein Mehrwert entsteht nämlich erst dann durch Markierung, wenn vorher eine markierungstaugliche Informationsposition konzeptionell festgelegt und konsequent ausgeführt worden ist. Um es deutlicher zu sagen: ich kann nur markieren, was als Informationsposition bereits erarbeitet wurde. Und auf Ganze bezogen: Je mehr Informationspositionen ein Wörterbuch aufweist, desto mehr Informationen können auch markiert und online repräsentiert werden. Das Schlagwort vom Mehrwert durch Markierung gewinnt also erst dadurch überhaupt einen Realitätsbezug, dass die lexikographische Konzeption des nicht elektronischen Mediums die Vorgaben liefert. Dies schließt nicht aus, dass man bei guten Wörterbüchern, bei denen bestimmte Informationen versteckt in den Artikel eingearbeitet wurden, nachträgliche Systematisierungen einfügt und diese mit Markierungen versieht. Es gibt eine Reihe immer wieder auftauchender Kriterien, an denen elektronische Wörterbücher gemessen werden. Dazu gehören die prinzipielle Volltextrecherchierbarkeit, also die Abfragemöglichkeiten nicht nur für das bearbeitete Material, sondern auch für alle weiteren relevanten Informationseinheiten, die bei der Erarbeitung eines Wörterbuches als Nebenprodukte anfallen; gedacht ist an Quellen und Quellensiglen, an die Corpora, im Idealfall auch an Texte, auf die über die Belege verwiesen wird. Trotz der großen und unterschiedlichen Datenmengen sollte dabei die Schnelligkeit der Abfragen nicht gestört sein, was entsprechend kombinierte und schreibweisentolerante Suchmöglichkeiten erfordert. Man sollte je nach Fragestellung in verschiedenen Abteilungen (Artikel, Quellen, Erklärungswortschatz, Belegmaterial) mit gezielten Suchoperatoren recherchieren können. Dazu gehört außerdem ein ausgebautes Verweis- und Vernetzungssystem, das die unterschiedlichen Informationen (z.B. Texte, Bilder und alle Arten an Grafiken) inhaltlich zusammen-
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Z. B. Fournier 2001, 86; Lemberg 2001, 73.
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führt. Dabei sollte wiederum die Übersichtlichkeit der Darstellung gewährleistet sein, d. h. die Fenstergestaltung, die Navigationstools und die dazugehörigen Erklärungen sollten schnell benutzbar und verstehbar sein. Übersichtlichkeit setzt eine Ausgewogenheit von Text und Hintergrund voraus. Gerade hier ist ein Zuviel auf einer Seite ebenso wenig sinnvoll wie ein Zuwenig. Bei manchen Unternehmen scheint allerdings die Weite des WWW zu puristischer Seitengestaltung zu verleiten, das heißt: so wenig Information auf einen Blick wie möglich. Besonders auf die Volltextrecherche und das Verweissystem möchte ich im Folgenden näher eingehen. Es handelt sich bei der Volltextrecherche um das entscheidende Zauberwort, das die Digitalisierung historischer Wörterbücher zur lohnenswerten Aufgabe macht. Mit ihr werden Suchanfragen aller Art möglich. Zwei Arten verdienen besondere Beachtung: zum einen die primärlexikographische und sprachbezogene, für die das Wörterbuch bearbeitet worden ist, zum anderen die metalexikographische z. B. zur Wörterbuchkritik oder zur Entstehungsgeschichte einzelner Wörterbücher, die vorwiegend das Interesse der Metalexikographen bzw. Wissenschaftshistoriker darstellt. Zur Wörterbuchkritik gehört u. a. das Überprüfen von lexikographischen Vorgehensweisen, Konzeptionen und Konzeptionsrealisierungen, ob also die konzeptionell vorgegebenen Strukturen eingehalten wurden, wie die Ausarbeitung der Artikelstruktur erfolgte, wie die Beschreibungssprache angelegt ist usw. Außerdem kann die Belegsituation auf ihre Ausgewogenheit hinsichtlich ihrer Raumund Zeitverteilung überprüft werden oder hinsichtlich der Verwendung von Inzestbelegen, das sind solche Belege, die im Belegteil eines anderes Lemmas zitiert worden sind. Interessant wären außerdem Fragen zur Belegungsfrequenz bestimmter Autoren, bestimmter Regionen, Zeiten oder Textsorten bzw. zur ideologischen Ausrichtung während bestimmter Bearbeitungszeiten. Zu diesem letzten Punkt sei ein kurzer Exkurs erlaubt: Neben der allgemeinen metalexikographischen Wörterbuchkritik wird es durch die Retrodigitalisierung nunmehr möglich, auch spezielle ideologische Wörterbuchkritik19 zu üben. Dabei stehen das Wörterbuch als zeitgeschichtliche Quelle und seine lexikographischen Bearbeiter im Vordergrund. Besonders interessant sind solche Fragestellungen im Hinblick auf das zum nationalen Unternehmen erklärte Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm, dessen erster Band 1854 erschien.20 Mit der Digitalisierung21 des DWB werden nunmehr schnelle Abfragen zum Beispiel nach der nationalsozialistischen Vergangenheit der Wörterbuchkanzlei möglich. Allein mit der Suchanfrage nach der Lautkette Adolf Hitler kommt man zu dem Ergebnis, dass der Autor Hitler mit 109 Zitaten, in der Regel aus seinem Buch Mein Kampf, vertreten ist. Er wurde damit nicht nur von den bearbeitenden Lexikographen als zitierfähig betrachtet, sondern durch die Auswahl der Belegstellen lassen sich auch gewisse inhaltliche Affinitäten und Affirmationen nicht leugnen. Inwiefern die im Folgenden aufgeführten Belege die Ideologie des Lexikographen tatsächlich spiegeln oder nur seinen Opportunismus, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Was sie jedoch deutlich verkörpern, ist die Zeit, in der diese Wörterbuchbände bearbeitet und publiziert wurden. Es sei an dieser Stelle einmal erlaubt, besonders charakteristische Beispiele aufzulisten. Offensichtlich antisemitisch sind:
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Vgl. dazu Lobenstein-Reichmann (demnächst 2008). http://www.bbaw.de/bbaw/Forschung/Forschungsprojekte/dwb/bilder/old.gif Vgl. dazu: http://www.zweitausendeins.de/artikel/cd_roms/nachschlagewerke/?ArticleFocus=0&s how=230006&CT=1
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s. v. gier: und mit fiebernder gier sehen seine (des judentums) hellsten köpfe den traum der weltherrschaft ... in faszbare nähe rücken ADOLF HITLER mein kampf (1933) 343. s. v. gimpel: wobei so mancher gute deutsche gimpel den juden bereitwilligst auf die hingehaltene leimrute flog ADOLF HITLER mein kampf (1933) 706 (s. unten auch deutsche gimpelei).
Der bearbeitende Lexikograph tritt nicht nur als Kolporteur antisemitischer Belege auf, auch als Vertreter der Dolchstoßlegende: s. v. gift: das gift der heimat begann wie überall, so auch hier (an der front) wirksam zu werden AD. HITLER mein kampf (1933) 220.
Zur indirekten Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie dienten folgende Stellen: s. v. gigantisch: aus dem schwachen willen von 60 millionen einzelner (wird) ein gigantischer, gewaltiger, zusammengeballter wille aller ADOLF HITLER im völk. beobachter v. 2. mai 1936. s. v. Glaubensbekenntnis: die (die 25 nationalsozialistischen leitsätze) sind gewissermaszen ein politisches glaubensbekenntnis A. HITLER m. kampf (1933) 511; die treue zum führer wurde zum glaubensbekenntnis einer generation H. STEGEMANN weltwende (1934) 111. s. v. sünde: d) als sünde wird im allerjüngsten sprachgebrauch auch das vergehen gegen die rasse bezeichnet: die sünde wider blut und rasse ist die erbsünde dieser welt HITLER mein kampf (1933) 272; als sünde aber wird diese tat (rassenkreuzung) auch gelohnt ebda 314. vgl. A. DINTER sünde wider das blut (1918) (als buchtitel). s. v. sündigen: völker, die sich bastardieren oder bastardieren lassen, sündigen gegen den willen der ewigen vorsehung AD. HITLER mein kampf (1933) 359;
Auch Joseph Goebbels Roman Michael, der beim Publikum kaum Resonanz gefunden hatte, wurde – politisch gehorsamst – mehrfach zitiert (s. v. glätten, glasten). Goebbels kommt außerdem im Zusammenhang mit ideologisch besonders wichtigen Lemmata zu Wort. s. v. System 3b: systemregierung, systemzeit: während in Deutschland alles versank, während ein widersinniges politisches system die letzten reste des deutschen volksbesitzes an die internationale hochfinanz verhökerte ..., haben wir dem verfall auf allen gebieten des öffentlichen lebens den kampf angesagt J. GÖBBELS kampf um Berlin [20,1440] (1936) 132; die autoritäten des systems sind gesunken. das will das system zwar nicht einsehen, aber es musz das von tag zu tag mehr erfahren ebda 273. […] wir haben die mittel und möglichkeiten einer wirksamen massenpropaganda aus der täglichen erfahrung gelernt und sie erst in der immer sich wiederholenden anwendung zu einem system erhoben J. GÖBBELS kampf um Berlin (1936) 18.
Auch der Rassist Houston Stewart Chamberlain erscheint sechsundvierzigmal. Unter den bearbeitenden Lexikographen tauchen so berühmte Namen auf wie Wolfgang Stammler, aus dessen Feder oder zumindest über dessen Schreibtisch das Lemma STURMABTEILUNG [Lfg. 20,4 bearbeitet von Wolfgang Stammler und W. Micko, erschienen 1933] gegangen sein muss.
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2) in der nationalsozialistischen bewegung ursprünglich die dem saalschutz dienenden ordnungstrupps: der rote mob ist (in der versammlungsschlacht im Münchener hofbräuhaus am 4. nov. 1921) in einem zwanzig minuten lang dauernden, ununterbrochenen wilden anstürmen aus dem saal getrieben ... wie durch zauberschlag heiszt nun die junge gruppe auf einmal: sturmabteilung ADOLF HITLER in: das braune heer (1932) einl. 11; s. auch A. HITLER mein kampf 601; mit dem anwachsen und der strafferen organisierung der abteilungen wird die bezeichnung auch auf den gesamtkörper des ‚braunen heeres‘ angewandt, und zwar als S.-A. sowohl abgekürzt als gesprochen, vgl.: S.-A. marschiert mit ruhig festem schritt HORST-WESSEL -lied; die eigentlichen abteilungen finden nun neue bezeichnungen, s. sturm III 4; sturmbann. dazu zahlreiche compositionen, wie S.-A.-mann, -führer, -heim, -verbot, -uniform u. s. f.
Die Liste wäre beliebig fortsetzbar und sowohl auf andere Fragestellungen wie auf andere Epochen übertragbar. Die Retrodigitalisierung wird jedenfalls auf diese Weise zum hilfreichen Werkzeug für die Wissenschaftsgeschichte. Natürlich nehmen die nationalsozialistischen Zitate im Verhältnis zu den 12809 Fundstellen, in denen Martin Luther erwähnt wird, nur einen geringen Raum ein. Sie haben dennoch einen gewissen Aussagewert über lexikographisches Arbeiten im Allgemeinen und über die ideologische Ausrichtung des DWB im Besonderen, speziell in einer bestimmten Zeit. Denn im Verhältnis von 12 Jahren Nationalsozialismus und dem insgesamt bearbeiteten Zeitraum von über 1000 Jahren ist die nationalsozialistisch gefärbte Belegdichte der zwischen 1933 und 1945 bearbeiteten Lieferungen nicht zu übersehen. Der Artikel Rasse übrigens, der aus dem Jahre 1886 stammt und von Moritz Heyne verfasst wurde, ist in Anbetracht der später mit diesem Wort verursachten Verbrechen relativ harmlos, wenn man vom letztzitierten Beleg aus Gustav Freytags soll und haben einmal absieht: s. v. rasse: andererseits jedoch mit wissenschaftlichem klange: rassen der menschen, der völker; es giebt keine race, welche so wenig das zeug hat, vorwärts zu kommen .. als die slavische. FREYTAG soll und haben 1, 384.
Wäre der Artikel Rasse in der nationalsozialistischen Bearbeitungsphase verfasst worden, er hätte wohl anders ausgesehen. Ein modernes, regelmäßig zeitangepasstes Online-Wörterbuch entspräche immer nur der Zeit, in der es gerade rezipiert würde. Ob wir das wirklich wollen? Kehren wir zur Volltextrecherche und der elektronischen Wörterbuchkritik zurück. Diese kann, wie schon angedeutet wurde, nicht von der lexikographischen Vorlage absehen, da dort die wichtigsten Weichen für die Digitalisierung gestellt werden. Das bedeutet aber auch: Je besser die inhaltliche Vorlage, desto besser kann die elektronische Version werden. Und je mehr die lexikographische Konzeption zu bieten hat, desto größer ist die Wissensausbeute auch der elektronischen Fassung für den Benutzer. Zwar kann in allen retrodigitalisierten Wörterbüchern prinzipiell jedes nicht primär gebuchte, das heißt als eigenes Stichwort lemmatisierte Zeichen durch Volltextrecherche aufgefunden werden, dazu gehören sowohl die Ausdrücke, die zwar in den Zitaten belegt sind, vom Lexikographen, aus welchen Gründen auch immer, aber nicht als Lemmazeichen gebucht und damit bearbeitet wurden; dazu gehören aber auch grammatikrelevante Zugriffe auf Morphem- oder Satzstrukturen jeglicher Art, die in einem Bedeutungswörterbuch aus inhaltlichen Gründen vernachlässigt wurden. Doch alle interessanteren Suchabfragen setzen Vorarbeiten durch Lexikographen oder Linguisten voraus. Allein der Zugriff auf die Datenmassen bringt wenig, wenn man sich nicht selbst zum Experten seiner eigenen Anfrage ausbilden möchte bzw.
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es nicht schon ist. So kann zwar das im Lexikon des Mittelalters nicht gebuchte Phrasem „die vier letzten Dinge“ durch eine Volltextrecherche gefunden werden, das Abfrageergebnis hat aber bei weitem nicht denselben Informationswert, wie ein eigens dafür angesetzter und bearbeiteter Artikel ihn vermutlich gehabt hätte. So punktuell hilfreich es ist, Lücken durch Volltextrecherchen schließen zu können, so bedauerlich bleibt das Fehlen des schnellen, qualitativ immer informativeren Zugriffs durch bearbeitetes Material. Auch hier zeigt sich, dass die eigentliche elektronische Wörterbuchkritik dort beginnen muss, wo ein Wörterbuch konzipiert wird. Neben der Volltextrecherche werden Verweise22 und Verlinkungen als die große Chance des neuen Mediums beschrieben. A. Storrer schreibt (2001, 53): „In Hypertexten können Text-, Bild-, Ton- und Videodateien zur anschaulichen Vermittlung lexikalischen Wissens genutzt und die Wörterbuchartikel durch computerisierte Verweise, sog. ‚Links’, verknüpft werden.“ Von hohem Wert für die optimale Nutzung des elektronischen Mediums ist also ein gutes Verweis- und Vernetzungssystem. Dies betrifft interne Verweise auf das zugrunde liegende Corpus und externe auf Faksimiles, Quellen und Quellensiglen, auf nichttextuelle Medien und vor allem auch auf andere Wörterbücher und auf digitale Texteditionen. Die neuen Medien bieten neue Navigationsmöglichkeiten, auch über das Einzelunternehmen hinaus. Im Idealfall ist der Verweis durch einen Klick bzw. Doppelklick vollziehbar und führt ohne Umwege ans Ziel. Doch im Zusammenhang mit der Beschreibung elektronischer Verweissysteme wird gerne vergessen, vielleicht auch einfach nur verschwiegen, dass Verweisungen und Verweisstrukturen23 ein traditionelles lexikographisches Verfahren darstellen, das ohne elektronisches Medium zumeist gezielt inhaltsbezogen angewandt wurde, mit der neuen Technik aber eine Statusveränderung erfährt, nämlich die Tendenz zur rein technischen, nicht mehr durch das inhaltliche Wissen des Lexikographen gesteuerten Oberflächenbezogenheit annimmt. Verweise dienen als Handlungsaufforderung des Lexikographen an den Benutzer, sein Wissen an einer anderen Stelle zu ergänzen bzw. zu verifizieren oder zu kontrollieren. Der Lexikograph informiert den Benutzer außerdem bereits mit der Setzung des Verweises darüber, dass er ihm mögliche Informationslücken unterstellt, die dieser vielleicht gar nicht wahrgenommen hätte. Im neuen Medium gibt es unterschiedliche Arten von Verweisen, selbstgenerierende, semiautomatisch durch die Struktur vorgegebene Verweise, zum Beispiel von der Lemmaliste zum Lemmazeichen, sowie solche, die auf der semantisch-interpretativen Vorarbeit des Lexikographen beruhen. Eine wichtige Funktion von Verweisen ist es, eine Kohäsion zwischen diskontinuierlichen Textsegmenten herzustellen, und zwar in zugriffsfreundlicher und verständlicher Art. Verweise im elektronischen Medium sind entweder Links zu anderen Lemmata, zu anderen Informationspositionen, zu Quellentexten, zu weiteren elektronischen Wörterbüchern oder ganz traditionell Literaturangaben, die alle mehr oder minder halbautomatisch generierbar sind. Verweise haben in beiden Medien eine Ortskennzeichnung, das heißt eine Ausgangsadresse und eine Verweisadresse. Bei der Entscheidung, ob ein Verweis gesetzt werden soll, müssen ganz verschiedene Fragen geklärt werden, als vordringlich gilt die nach dem Benutzer. Von ihm als eigentlichem Kommunikationspartner des Lexikographen hängt es ab, ob ein Verweis kommunikativ relevant ist
22 23
Vgl. dazu auch: Harras 1988, dort besonders: Blumenthal / Lemnitzer / Storrer 1988, 351ff. Wiegand 2002, 173ff.
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oder nicht. Neben der Relevanzfrage steht auch die nach der Informativität. Verweise um des Verweises willen sind auch ohne Raumnot überflüssig. Verweise, die ohne feste Adresse oder mit wechselnder Adresse in die Weite des Raumes führen, sowie Verweisadressen, die selbst wieder nur das Eingangsportal zu einem anderen Informationssystem sind, das dann eigens durchsucht werden muss, erfüllen ebenfalls kaum einen Zweck. Bei hochkomplexen Wörterbüchern wie dem Schweizerischen Idiotikon allerdings, das ebenso durch seine Ergiebigkeit und seinen Reichtum wie durch seine perfekte Datentarnung bekannt ist, wären leicht anklickbare Binnenverweise der Traum eines jeden Benutzers. Ein Wort zu den Binnenverweisen: Printwörterbücher haben in der Regel Rück-, aber keine Vorverweise. Dies hängt mit der Publikationsweise in Lieferungen zusammen. Es kann also theoretisch beim Buchstaben a noch kein Verweis auf z erfolgen, da das Material zu diesem Buchstaben noch nicht gesichtet worden ist. Ein Wörterbuch so lange zurückzuhalten, bis alle Buchstaben abgearbeitet sind, und somit auch ein vollständiges Verweissystem in beide Richtungen gehen könnte, ist höchstens bei einem einbändigen Werk möglich. Der Publikationsdruck zwingt zur zeitlich gestaffelten Erscheinungsfolge. Ist eine Lieferung einmal publiziert, können Verweise nicht mehr eingefügt werden. Eine nachträgliche Reziprozität ist ausgeschlossen, es sei denn in der elektronischen Fassung, wo sie über eine Nachbearbeitung zwar ausgesprochen sinnvoll wäre, aber zumeist nicht vorgenommen wird. Gerade diese Chance wurde bei den meisten Retrodigitalisierungen vertan. Sie bilden nur ab, was das Printmedium bereits an Informationsstruktur vorgegeben hat, statt zu nutzen, was inhaltlich außerdem an versteckter lexikographischer Information24 enthalten ist und durch die neue Technik relativ problemlos präsentiert werden könnte. Rühmliche Ausnahme ist auch hier wieder die Online-Fassung des DRW, in der kontinuierlich ein multimediales inhaltsorientiertes Verweissystem ausgearbeitet wird. Verweise können, wie gesagt, vielfältiger Natur sein. Auch die onomasiologische Vernetzung ist ein semantisches Verweissystem. An ihr lassen sich Chancen und Grenzen des neuen Mediums darstellen: Die Informationsposition ‚Bedeutungsverwandtschaft / Synonyme’, wie sie in einigen Wörterbüchern angelegt ist, war bislang oft eine Art Blindflug nach vorne, da zuverlässige Angaben im Prinzip erst nach Abschluss der semasiologischen Beschreibung aller Lemmazeichen möglich sind. Gerade Synonymenangaben zu einem Lemmazeichen oder zu einer seiner Bedeutungen könnten im neuen Medium im Laufe der Bearbeitung anderer Strecken auch nach rückwärts aktualisiert und ergänzt werden. So fiel bei stok 1 im FWB auf, dass es bedeutungsverwandt mit 1grotze ist. Dort wurde es aber nicht als solches vermerkt. Selbst wenn es als bedeutungsverwandt angegeben worden wäre, hätte man die entsprechende Bedeutung, gekennzeichnet durch den Bedeutungsindikator 1, nicht angeben können, da der Artikel erst später bearbeitet wurde. Dasselbe gilt für stake. Auch hierzu ist 1grotze bedeutungsverwandt, außerdem gupfe, stok 1 und storre. Im gedruckten FWB unterbleiben diese Rückverweise, in einem elektronischen Nachfolger könnte man sie durch eine relativ einfache Nachbearbeitung einfügen. In einem Unternehmen, das bereits retrodigitalisiert ist, reicht ein kurzer Import während der Bearbeitung, und die Aktualisierung ist vollzogen. Greift man auf ein Wort wie landfarer in der Bedeutung 2 zurück: >Fahrender, nicht seßhafte (oder zumindest nicht ortsansässige) Person, die auf dem Hintergrund der Seßhaftigkeit als Normalfall negativ bewertet wird<, zur betroffenen Personengruppe werden
24
Vgl. dazu: Goebel / Lemberg / Reichmann 1995.
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wandernde Handwerksburschen, Handelsreisende, Bettler, Landstreicher, Musikanten; ütr. auch: >Herumirrende< gerechnet,
so findet sich dort zum einen das mit Bedeutungsanzeiger versehene und damit die semantische Vernetzung dokumentierte abenteurer 3, darüber hinaus manches monoseme Wort wie landläufer, landstreicher, landstreifer, landstürzer, aber auch die zumeist ebenfalls polysemen betler, betrieger, dieb, freiheitsbube, gartknecht, hausierer, kaufman, krämer, kretzenträger, landläufel, landesbescheisser, schlüffel, spielman, spizbube, steklinbube, -knecht, (land)störer, übertreter, vagabund, verfürer, zigeuner. Im elektronischen Medium könnte man diese Vernetzung an jeder Stelle nachtragen, während sich im Druck im Laufe der Bearbeitung immer mehr und immer neue begriffs- und kulturgeschichtlich interessante Verweismöglichkeiten auftun, aber wegen seiner Abgeschlossenheit nicht realisiert werden können. Auch wenn Vollständigkeit hier keineswegs das Ziel sein kann, da dies der Seinsweise von Sprache zuwider liefe, wäre das systematische Aufweisen onomasiologischer Vernetzungen von außerordentlichem Wert für alle begriffs-. und kulturhistorischen Fragestellungen. Das Beispiel der onomasiologischen Vernetzung zeigt also einerseits, welche Chancen in der elektronischen Publikation liegen, und weist gleichzeitig die Grenzen des Arbeitsinstrumentes auf. Denn ihre Bearbeitung ist nicht automatisierbar und abhängig von der Kompetenz des Lexikographen. Ihre Vernachlässigung in der auf rein elektronischer Basis vollzogenen Lexikographie macht deutlich, wie sehr der leichtere technische Weg, in dem allzu gerne nur noch Oberflächenstrukturen bearbeitet werden, das Nachdenken über semantische Fragestellungen in den Hintergrund treten lässt. Es zeigt aber auch, dass der schnelle Weg der Retrodigitalisierung, wie er zumeist gegangen wurde, lexikographische Chancen verpasst hat. Bezeichnenderweise sind in keinem der in Trier retrodigitalisierten Wörterbücher onomasiologische Vernetzungen recherchierbar, obwohl sie in den Druckfassungen zumindest teilweise enthalten sind und herauslösbar gewesen wären. Das DRW dagegen bietet die Möglichkeit, über die Position der Bedeutungsverwandtschaft onomasiologische Vernetzungen nachzuzeichnen und außerdem über den getrennt recherchierbaren Erklärungswortschatz weitere Zusammenhänge herzustellen. So findet man unter rechtmäßig I folgende, selbst wiederum anklickbare und damit weiterführende Liste: vgl. billig (I), förmlich, gebührlich (III 1), gerecht (II), ordentlich (I), pflichtmäßig, rechtgemäß, rechtlich (I), rechtmäßigerweise, rechtmäßiglich, rechtschaffen (I), redlich (I). Das eben Beschriebene gilt auch für die Wortbildungsvernetzung. Zu landfarer 2 wäre das zum Beispiel der Verweis auf land 5. Ist dieser Vernetzungstyp im lexikographischen Prozess bedacht, kann er auch online zur Verfügung gestellt werden und zwar nicht nur im Sinne einer hintereinander auftauchenden Lemmaliste, sondern bezogen auf die semantisch jeweils entsprechende Position, der die Wortbildung zuzuordnen ist. Es geht hier um die Repräsentation der motivationellen Beziehungen zwischen einer Wortbildung und ihren Komponenten, und zwar sowohl des Bestimmungs- wie des Grundwortes (bei Komposita) wie der Wortbildungsbasis. Eine solche Vernetzung sähe für das frnhd. Verb stossen mit der Bedeutung 1 >kurze, stoß- oder ruckartige Bewegungen (auf etw. / jn. hin) ausführen; (oft:) jn. schlagen, mit einer Stoßbewegung mißhandeln< […] folgendermaßen aus: stosar ein größerer Raubvogel, stosband >Hobel<, stosbank >bankartiges Gestell mit einem Hobeleisen<; stosbaum 1 >Baum mit hobelartigem Eisen (als Teil der Stoßbank)< [...], stosbere >Netz zum Aufstören und Fangen von Fischen< […], stosblok wohl wie stosbaum, stosfalke ein kleinerer Jagdfalke […], stosfeile, stosfel >auf der Aasseite bearbeitetes und geglättetes Fell<; stosgarn
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>Netz zum Fangen von Vögeln, zum Abrichten von Jagdvögeln<, stoshammer ein Schmiedewerkzeug, stoshobel (Beleg s. v. ausschlägel), stöslich, stosrädchen wohl ein Spielschlagreifen für Kinder, stosriegel (a. 1551), stossäge wohl >Stichsäge<, stos|sene eine Art Sehne (im schnizhaus; Sache nicht erschließbar), stosschaft >Spieß zum Stoßen< (16. Jh.), stosser 1 >dolchähnliche Stichwaffe<, stoswunde >Stichverletzung<, stosvieh >Hornvieh< (a. 1307), stosvogel >Habicht< (a. 1610f.), stoszan ein zahnähnliches Gerät in der Schmiede.
Die wortbildungsmorphologische Information wird hier durch die semantische Zuordnung ergänzt, eine Informationsquelle, die im elektronischen Medium zu hochinteressanten Vernetzungen führen könnte. Doch nur der Lexikograph wird diese Bedeutungsindizes, die er direkt bei der Artikelbearbeitung annotieren muss, eintragen können. Eine nachträgliche Bearbeitung könnte zwar hinsichtlich der Zeichengestalt halbautomatisiert werden, die entscheidende semantische Vernetzung allerdings geht wieder nicht ohne die intensive Bearbeitung durch den Lexikographen, speziell dessen Ähnlichkeitsurteil bzw. Äquivalenzurteil. Bei den genannten Beispielen fallen außerdem noch folgende interne Verweise auf, zum einen der explizit genannte sub voce-Hinweis bei stoshobel und zum anderen der nicht explizit genannte Sachbezug bei stos|sene. Die Kursivierung von schnizhaus zeigt dem Leser zwar, dass es einen entsprechenden Artikel gibt, führt ihn aber nicht direkt dahin. In einem elektronischen Wörterbuch wäre die Typographie gleichzeitig ein Link zum Artikel und idealerweise auch zur entsprechenden Bedeutung, sofern das Lemma polysem angesetzt worden ist. Für ein modernes Wörterbuch stellt genau diese Art der Verlinkung den komfortablen Mehrwert dar. Neben den wörterbuchinternen inhaltlichen Verweisen sollten die externen Verlinkungen ein Zentrum der digitalen Bemühungen bilden. Hier könnten mit dem neuen Medium tatsächlich wahre Wunder bewirkt werden. Bemerkenswert ist, dass es wiederum gerade das Deutsche Rechtswörterbuch ist, das so ganz nebenbei die Standards für die Online-Lexikographie gesetzt hat. Obwohl es25 ein laufendes Unternehmen mit kurzen Publikationsabständen ist, sich also keineswegs nur um die Fragen der Retrodigitalisierung oder der Online-Lexikographie kümmern konnte, hat es die Vorreiterrolle übernommen. Man kann je nach Anfrage in unterschiedlichen Datenbanken recherchieren, in dem digitalisierten Wörterbuch, das von Aachenfahrt bis Reich online verfügbar ist, im Quellenverzeichnis, einem Digitalisate-Verzeichnis mit Links zu online verfügbaren DRW-Quellen und im Textarchiv mit der Möglichkeit einer Volltextrecherche in historischen Quellentexten. Darüber hinaus bietet das DRW eine kombinierte Suche an, bei der wiederum zwischen Erklärungswortschatz und Belegwortschatz getrennt gesucht werden kann. Neben der Verlinkung zu anderen Wörterbüchern, wie zum Beispiel zum DWB oder zum Mittelhochdeutschen Wörterbuchverbund, die ohne Umwege über eine Lemmaliste direkt zum entsprechenden Lemma führt, ist die direkte Verknüpfung vom Wörterbuch zu den Quellensiglen und oft sogar zu den Quellentexten beeindruckend. Immer häufiger sind die Belege auch mit Faksimiles verbunden (sub voce Pfefferlehn). Ein weiteres Zeichen dafür, dass das DRW aus der Fülle des Materials arbeitet und diese auch dem Benutzer zur Verfügung stellt, ist die Möglichkeit, das im Artikel bereits dokumentierte Belegmaterial durch Zusatzrecherchen zu ergänzen. Das Anklicken zweier eigens dafür eingerichteter Suchbuttons, unterschieden nach Textarchiv und Wörterbuch, genügt. Bei dieser zusätzlichen Recherchemöglichkeit werden dem Benutzer nicht nur Informationen über die Anzahl der noch belegten Stellen 25
http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/
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mitgegeben, sondern er kann die Suche auch schreibweiseneinschränkend durchführen (vgl. s. v. rechtschaffen). Das Beispiel des DRW’s zeigt, dass es Navigationstools gibt, die es dem Benutzer erlauben, seiner eigentlichen Suchanfrage nachzugehen, ohne sich auf irgendeine Weise in die Irre oder auf Abwege führen zu lassen, dies übrigens auch schnell und ohne lange Wartezeiten. Erleichternd ist dabei nicht nur die Unterscheidung zwischen Belegwortschatz und Erklärungswortschatz, sondern auch die Schnelligkeit des Erstzugriffs auf das gesuchte Lemmazeichen ohne den langwierigen Aufbau von unsortierten Gesamtfundstellenlisten, durch die man sich dann erst hindurchklicken muss, bevor man zum gesuchten Lemma kommt. Besonders bei historischen Wörterbüchern besteht eine der großen Herausforderungen darin, den guten Weg zwischen sinnvollen und irritierenden Verlinkungen zu gehen. Natürlich ist gerade bei historischen Sprachstufen jedes Wort ein potentielles Nachschlagewort und müsste daher auf Anhieb in dem jeweils interessanten Kontext auffindbar sein, der erste Zugriff sollte aber wie im gedruckten Wörterbuch der bearbeitete Artikel selbst sein. Alle weiteren Abfragemöglichkeiten leben dann wiederum von der Vorstrukturierung durch Menschenhand. Je besser die Vorstrukturierung, desto schneller der Zugriff. Diese kann im Einzelfall sogar halbautomatisch durch Makros u. ä. vorgenommen werden. Die Vorbearbeitung gilt für alle traditionellen Ebenen, also von der orthographischen, phonetisch-phonologischen, morphologischen, syntaktischen bis hin zur lexikalischisch-semantischen, textsemantischen und vor allem auch der lexikalisch-pragmatischen Beschreibungsebene. Bisher nicht genannt wurde die Möglichkeit, jede Informationsposition mit einer metalexikographischen Beschreibungsebene zu hinterlegen, so dass dem Benutzer jederzeit erklärt wird, welchen Typ der Information er beim Anklicken erhält. Dies kann besonders ungeübte Wörterbuchbenutzer unterstützen. Doch jede Verlinkung muss ein konsequent durchgeführtes Selektionsinstrument bleiben, das wenn nicht sparsam, so doch immer nach dem Aspekt der kommunikativen Relevanz eingesetzt werden sollte. Einer guten multimedialen Präsentation liegt in besonderem Maße die Häppchenstruktur zugrunde, das heißt: man präsentiert in der Regel voneinander abgegrenzte kleinere Informations- und Wissenseinheiten in der Weise, dass das Nachgefragte im Mittelpunkt steht und das hinsichtlich der gestellten Frage außerdem Relevante zwar ebenfalls abrufbar wird, bei der Präsentation aber zunächst einmal im Hintergrund verbleibt. Eine solche Struktur dient auf jeden Fall der Überschaubarkeit. Will man etwas über Bedeutungsverwandtschaften wissen, so hat man die Angabe sofort im Blickfeld, geht es um das gesamte semasiologische Feld, so liefert das elektronische Wörterbuch eine schnelle Übersicht, was bei langen Artikeln in umfangreichen Wörterbüchern äußerst hilfreich ist. Der Artikel Gnade umfasst im DWB 65 Spalten mit VI. Gliederungspunkten, die eine vollkommen unterschiedliche Begründung und Art haben, über eine Gliederungsübersicht aber einigermaßen überblickt, wenn auch nicht mit einem Mausklick kopiert werden können. Der wohl längste Artikel ist Geist mit 118 Spalten. Die CD-Rom Fassung des DWB ermöglicht beim Anklicken der Leiste zur Artikelstruktur zumindest eine schnelle Übersicht über die 30 unterschiedlichen Gliederungsansätze. Wie viele Bedeutungsansätze tatsächlich darin beschrieben werden, erfährt man allerdings nur, wenn man sie ganz manuell durchzählen würde, da eben nur die oberste Gliederungsebene abfragbar ist, das DWB aber über weitere Ebenen verfügt. Die Übersicht im DRW zeigt hingegen alle Ebenen, kann dies aber auch deshalb tun, weil das Wörterbuch schon rein konzeptionell auf tiefe semasiologische
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Verschachtelungen verzichtet hat. Solche Kurzfassungen der Bedeutungs- oder sonstigen Gliederungsformulierungen erleichtern die Benutzung erheblich. Sie sind aber auch schon in gedruckten Wörterbüchern, so im Leipziger Althochdeutschen Wörterbuch, im DRW oder im FWB, in dem damit auch die semantischen Zusammenhänge zwischen den Einzelbedeutungen beleuchtet werden (vgl. s. v. arm, Adj.), möglich und üblich gewesen. Zu Beginn dieses Artikels wurde behauptet, die existierenden digitalen Wörterbücher würden teils hinter die neuen Möglichkeiten zurück fallen und vor allem nur bedingt einhalten, was man versprochen hat. So konnten die angeblich so einfachen und halbautomatisch verlaufenden Phrasem- bzw. Kollokationsrecherchen, wie sie z.B. von Fournier (2001, 97) zum Mittelhochdeutschen angekündigt wurden, weder in den alten noch im neuen Mhd. Wörterbuch eingelöst werden. Sowohl die Suche nach ze state komen als auch die nach in arbeit bringen verlief ergebnislos. Dieselbe Recherche war im DRW-Online allerdings durchaus erfolgreich. Dort wurden 3 Belege für die Wortkombination gefunden, wenn auch kein Beleg für die feste Verbindung; in arbeit bringen ist im BMZ zwar belegt, wurde dort aber auf dem üblichen Weg gefunden, also über die vollständige Lektüre des Artikels s. v. arbeit 1 und nicht über die Suchleiste. Auch die übergreifende Suchleiste über alle mhd. Wörterbücher im Verbund ergab keinen Treffer. Dieselbe Recherche im DWB ergab dagegen so viele Treffer, dass die Suchabfrage abgebrochen werden musste. Die Präposition in, die als Teil der festen Verbindung dazu gehört und nach der somit zuerst gesucht wird, ist so hochfrequent, dass sie jede Durchsicht blockiert. Die Recherche war trotz der angegebenen Einschränkungsoperatoren: in<1<arbeit<1
Zuletzt sei noch einmal die Frage nach dem Gingko-Blatt aufgegriffen: Der mediale Wandel kann zwar aus Printwörterbüchern Onlinefassungen erstellen, aber keine neuen Wörterbücher. Auch wenn die Onlinefassungen ein neues Gesicht bekommen, transparenter werden und mit neuen Werkzeugen ausgestattet sind, sie bleiben, was sie sind, und das hoffentlich
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noch sehr lange, nämlich von Lexikographen aufgrund von Text- und Semantikkompetenz erarbeitete Wissensspeicher zur schnellen inhaltlichen Orientierung. Mit reiner Technikgläubigkeit kommen wir nicht weiter. Aber die Technik sollte in den Dienst der Lexikographie genommen, nicht die lexikographische Information an die Möglichkeiten der Technik gebunden werden. Retrodigitalisierungen zeigen, welche Materialfülle durch die Konzentration auf die lexikographischen Kernkompetenzen erarbeitet worden ist. Bei aller Kritik, die man an den alten Print-Wörterbüchern üben kann und wohl auch üben muss, sie geben immer noch den qualitativen Maßstab vor. Noch steht offen, ob die neuen Wortschatzsysteme ihre auf der Digitalisierung beruhenden Qualitätsversprechen wirklich einhalten können und einhalten werden. Den Schatz, der ihnen mit den „alten“ Wörterbüchern vorlag, haben die Techniker, mit Ausnahme des DRW, vorerst jedenfalls nur teilweise gehoben. Der Vorteil des Rechtswörterbuches aber war, dass dort ein Lexikograph die Technik in den Dienst genommen hat, nicht ein Techniker die Lexikographie.
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Literatur (in Auswahl)
Adelung (1793–1801) = Adelung, Johann Christoph: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. 2., verm. und verb. Aufl. Leipzig 1793–1801. Reprograf. Nachdr. Hildesheim / New York 1970. (Documenta Linguistica, Reihe II). AWB = Althochdeutsches Wörterbuch. Auf Grund der von Elias von Steinmeyer hinterlassenen Sammlungen im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig bearb. und hrsg. v. Elisabeth Karg-Gasterstedt [u. a.]. Berlin 1968ff. [Bisher: 4 Bde. 25 Lief., a bis g-]. Bär (2002) = Jochen Bär: Wörterbücher der Geschichtswissenschaft. In: Lexicographica 18, 45–64. Besch / Betten / Reichmann / Sonderegger (1998f.) = Werner Besch / Anne Betten / Oskar Reichmann / Stefan Sonderegger (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2. Auflage. 4 Teilbände. Berlin / New York 1998; 2000; 2001; 2003. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2,1; 2,2; 2,3). BMZ = Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearb. v. Wilhelm Müller (und Friedrich Zarncke). 3 Bde. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1854–1866 [...]. Hildesheim 1963 / Stuttgart 1990. Blumenthal / Lemnitzer / Storrer (1988) = Andreas Blumenthal / Lothar Lemnitzer / Angelika Storrer: Was ist eigentlich ein Verweis? Konzeptionelle Datenmodellierung als Voraussetzung computergestützter Verweisbehandlung. In: Harras 1988, 351- 373. Burch / Fournier (2001) = Thomas Burch / Johannes Fournier: Zur Anwendung der TEI-Richtlinien bei der Retrodigitalisierung mittelhochdeutscher Wörterbücher. In: Lemberg / Schröder / Storrer 2001, 133–153. DRW = DRW = Deutsches Rechtswörterbuch (Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache). Hrsg. v. der Preußischen [später: Deutschen / Heidelberger] Akademie der Wissenschaften. Weimar 1914ff. [Bisher: 11 Bde.; a bis ruf-]. URL: http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw DWB = Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm / Wilhelm Grimm. 16 [in 32] Bde. und Quellenverzeichnis. Leipzig 1854–1971. [Nachdr. München 1984]. DWB, digital = Der Digitale Grimm (2004): Elektronische Ausgabe der Erstbearbeitung für PC. Bearb. v. Hans-Werner Bartz [u.a.] / Thomas Burch / Ruth Christmann / Kurt Gärtner / Vera Hildenbrandt / Thomas Schares, Klaudia Wegge. 2 CD-ROMs und ein Benutzerhandbuch. Frankfurt / Main 2004. DWB, Neubearbeitung (2002) = Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Neubearbeitung. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der
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Allgemeine Überlegungen zur Retrodigitalisierung historischer Wörterbücher des Deutschen
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Stand und Aufgaben der historischen Lexikographie des Deutschen
Oskar Reichmann
Stand und Aufgaben der historischen Lexikographie des Deutschen
1 2 3 4 4.1
Vorbemerkung Lexikographie als Kulturwissenschaft Weiterungen Anforderungen an die Praxis historischer Lexikographie Zur Bedeutungserläuterung
4.2 4.3 5 6 6.1 6.2
Zur Belegauswahl Zum Strukturblock Schluss Literatur Wörterbücher Sonstige Literatur
Heino Speer zum 65. Geburtstag am 11. August 2007
1
Vorbemerkung
Die Themenformulierung des vorliegenden Beitrags ist außerordentlich umfassend. Nimmt man sie ernst, so verlangt sie nichts weniger als (1) eine plausible Begründung des Sinnes historischer Lexikographie, (2) ein systematisches, dem heutigen linguistischen, philologischen und kulturhistorischen Einsichtsstand adäquates theoretisches Konzept lexikographischer Tätigkeit, (3) eine Darlegung der alltäglichen Arbeitsorganisation und der Arbeitsvollzüge der Forschungseinrichtungen, die historische Wörterbücher zum Ziel haben, darunter eine Beschreibung der Anlage und der Quantität ihrer Corpora, der Methoden und der Durchführung der Corpuserschließung, der Verarbeitung der Belegexzerpte zu Wörterbuchartikeln, eine Skizze des Aufbaus und der Informationspositionen der Artikel, (4) eine Kritik gewisser genereller Kennzeichen lexikographischer Praxis unter den Gesichtspunkten von (1) und (2), schließlich (5) eine Reihe von Vorschlägen zur Optimierung der Praxis und möglicherweise zur Verbreitung ihrer Ergebnisse. Dies letztere hätte selbstverständlich ebenfalls im Lichte des unter den vorangehenden Punkten Vorgetragenen zu stehen und müsste sich auf das gesamte Deutsche von seinen althoch- und altniederdeutschen Anfängen bis zur Gegenwart beziehen. Es ist unmittelbar einsichtig, dass ein solches Programm allenfalls in einer dickleibigen Monographie abgeleistet werden könnte. Insofern darf man von vorneherein auf das Wohlwollen des Lesers vertrauen, wenn man Einschränkungen vornimmt, zumal vieles seit Jahren in der Metalexikographie (Wörterbuchforschung)1 diskutiert wird und relativ bekannt ist, deshalb nicht wiederholt zu werden braucht. Der Weg, den ich hier zur Bewältigung der Aufgabe beschreite, ist derjenige der radikalen Perspektivierung. Es geht mir also nicht um referierende Antworten auf Fragen der Art: Welche historischen Wörterbücher sind im deutschsprachigen Raum in Bearbeitung?
1
Verwiesen sei hier vor allem auf das Handbuch „Wörterbücher“, auf einzelne Bände der Reihe „Lexicographica, Series Maior“ sowie „Lexicographica. International Annual for Lexicography”; man vgl. auch Haß 2001; Schlaefer 2002; van Sterkenburg 2003. DOI 10.1515/lexi.2007.010
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Welche genauen Zielsetzungen haben diese? Wann werden sie wohl abgeschlossen sein? In welchem Verhältnis stehen sie zum Beispiel zur Literaturwissenschaft, zur Geschichtswissenschaft oder zu einer einzelnen Fachgeschichte (etwa der Medizin, des Bergbaus, des Weinbaus)? Welche jeweils zentralen Typen der Information werden vermittelt (etwa semantische, pragmatische, syntaktische, sachgeschichtlich relevante)? Welche Maßnahmen zur Beschleunigung der Praxis könnten vorgeschlagen werden (etwa im Sinne von: mehr oder weniger Personal, mehr oder weniger Automatisierung des Arbeitsprozesses)? Fragen dieser Art ließen sich leicht über Seiten hinweg auflisten. Die Position, die hier vertreten wird, steht unter der Perspektive, dass sich jede kulturwissenschaftliche Tätigkeit die Sinnfrage zu stellen hat: Wie ist es zu rechtfertigen, dass man im Extremfall sein gesamtes Leben, das möglicherweise auch noch für direktere Zwecke taugt, etwa die Produktion materieller Güter, die Vermehrung der Geldmenge, die sog. Schaffung von Arbeitsplätzen, die Mehrung des Glückes, in den Dienst der lexikographischen Beschreibung des alt-, mittel- oder frühneuhochdeutschen Wortschatzes stellt und dass man dafür sogar eine Bezahlung verlangt. Von der Seite der Gesellschaft könnte diese Frage analog lauten, etwa: Was berechtigt zur oft langfristigen Finanzierung historischlexikographischer Arbeitsstellen? Was bringt diese Tätigkeit an Wissen, an Erkenntnis, an Bildung hervor? Was nutzt sie der Gesellschaft? Führt sie zu einer Hebung des kulturellen Bewusstseins, zu tieferer Einsicht in das Verhältnis von Sprache (Sprechen, Kommunizieren) und Weltbild oder sozialer Wirklichkeit, zur Erkenntnis der unhintergehbaren Historizität des gesellschaftlichen Daseins? Dient sie über die Schiene von affimierenden Präsuppositionen, die mit diesen Formulierungen angedeutet sind, vielleicht der ideologischen Festigung von Gesellschaften als möglicherweise nicht vollständig zufälligen (deshalb sog. subjektiven) sozialen Gebilden? Man kann als Zoon politikon ja nicht keine Gesellschaft bilden (Reichmann 2000, 420). In dem Maße, in dem dieses Dictum stimmt, gewinnt die Beschäftigung mit einer Vergangenheit, die man aufgrund dieser Beschäftigung dann als die eigene verstehen kann, eine gesellschaftsstärkende oder gar -konstitutive Funktion; man stünde dann gleichsam in einem höheren Auftrag, nämlich im Dienste des transzendentalen Faktums, dass der Mensch nur in der Gruppe zu überleben und Kultur zu schaffen in der Lage ist. Da die Gruppe selber der Historizität und Sozialität unterliegt, könnte man argumentieren, diese seien in ihrer Anlage, in ihrer geschichtlichen und sozialen Ausrichtung bewusst zu machen; ihnen sei also eine die Praxis überlagernde kognitive, darunter historische Tätigkeit zuzugesellen, schon um sie in irgendeiner Weise begründet beeinflussen zu können. Auf diese Weise würden sprachgeschichtliche Gegenstände gleichsam in eine geschichtete Hierarchie der Behandlung gestellt: An der Basis würde man sprachliche, z. B. lexikalische Gegenstände ansetzen, auf einer ersten Metaebene deren praktisch-lexikographische Behandlung annehmen, auf einer zweiten Überlegungen über deren Berechtigung anstellen und ihren höheren Nutzen für die Gesellschaft reflektieren. Man kann auf der Basis des genannten Dictums aber auch andere Schlüsse ziehen, etwa den, dass die Beschäftigung mit der Vergangenheit nur einen Ballast bilde für die viel notwendigere Aufgabe der Gestaltung der Zukunft aus den jeweiligen Gegenwartsbedingungen heraus, zu denen die Geschichte dann natürlich nicht gerechnet wird. Man kann sogar der Meinung sein und ist dieser Meinung gewesen, dass die gesamte akademische Beschäftigung mit der (eigenen) Vergangenheit nur vom Handeln ablenke und deshalb ein typisches Zeichen alternder Gesellschaften sei, das man nicht unbedingt unterstützen müsse; neue Heldenlieder (statt Geschichtswissenschaft, in unserem Fall statt historischer Lexikographie) wären dann viel
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eher das Gebot der Stunde. Niemand weiß, inwieweit sich das eine oder das andere tatsächlich und in welcher genauen Weise gesellschaftserhaltend auswirkt. Beispiele zu nennen, führt deshalb nicht weiter, weil man jedes Beispiel als Einzelfall entlarven und mit anderen Einzelfällen konterkarieren kann; es geht um das jeweilige Glaubensbekenntnis. Ich bin mit diesen Gedankengängen im tief Ideologischen angelangt. Das ist gewollt. Fragen, wie sie soeben aufgeworfen wurden, sind nicht im Sinne von ‚richtig’ oder ‚falsch’, nicht einmal im Sinne von ‚mehr oder weniger begründbar’ zu entscheiden, sondern nur im Sinne eines Bekenntnisses der Art „ich will dieses oder jenes (z. B. historisch lexikographisch tätig sein), weil [...]“. Entscheidend ist dabei, dass das Bekenntnis (ich will ...) allem Weiteren, etwa Begründungen und Handlungen, vorgeschaltet ist; ich will also nicht etwas, weil es begründbar ist, sondern umgekehrt: Ich begründe etwas, weil ich es will: Die Begründung folgt dem Bekenntnis.2 Begründen heißt dabei natürlich keineswegs notwendigerweise: >rational, nach einigermaßen universalen Regeln des logischen Schließens verfahren<, es heißt vielmehr oft: >nach persönlichem Interesse argumentieren<, wie es etwa durch den verständlichen Wunsch nach einer Dauerstellung oder durch individuelles Interesse bedingt sein kann; das ist die individuell orientierte Version. Es heißt oft auch „da ich nun mal in dieser und jener Weise sozialisiert bin und mir ein historisches Denken anerzogen ist“, versuche ich dieses Denken, von dessen Sinn ich überzeugt bin, durch eigene historische Tätigkeit weiterzuvermitteln. Dies wäre eine einer gesellschaftlichen Ideologie verpflichtete, also eindeutig historisch-sozial basierte Begründung; sie besteht darin, dass etwas zu Begründendes auf eine Überzeugung zurückgeführt wird, von der man annimmt, dass sie innerhalb des Diskurses, in dem sie steht, eine gewisse Gültigkeit hat. Das heißt aber nicht, dass sie in anderen Diskursen der gleichen Gesellschaft oder in anderen Gesellschaften ebenso anerkannt würde; darin besteht ja das Sinn- und Existenzproblem historischer Lexikographie. Zur Erhöhung des Überzeugungspotentials der eigenen Begründungen bedient man sich im übrigen gerne des Tricks zu suggerieren, dass die Begründung des Tuns dem Tun selber vorgeschaltet ist, wodurch dieses die Weihen einer höheren, tendenziell allgemein logischen, auf jeden Fall aber in die üblichen Argumentationsprofile der Gesellschaft eingebetteten Weihe empfängt. Man verschleiert damit teils individuell, teils gesellschaftlich orientiertes Wollen und Tun hinter universalistisch angehauchten, oft manipulativen Formulierungen: Erst besinnen, dann beginnen; erst besinnen, dann beminnen; oder etwas weniger poetisch: erst denken, dann handeln. Man kann dies natürlich auch freundlicher ausdrücken; es geht mir hier aber um eine maximaler Ehrlichkeit verpflichtete provokative Formulierung des Sinnproblems historisch lexikographischer Tätigkeit. Aus diesen Überlegungen folgt, dass es nach meinem Urteil keine universale, für Angehörige aller menschlichen Gesellschaften gültige Begründung für historische Tätigkeit im Sinne der Lexikographie des Althochdeutschen oder Mittelniederdeutschen gibt. Das oben genannte Dictum, das man nicht keine Gesellschaft bilden könne, und das suggeriert, dass der Lexikographie in diesem Sinne eine Bedeutung zukomme, ist auch auf andere, überhaupt nicht sprachbezogene Weise erfüllbar. Es gibt aber eine für die Sprachgesellschaften Europas historisch relativ alte und lange währende, soziologisch breite, bildungssoziologisch 2
Hinter Aussagen dieser Art steht das Problem des Verhältnisses von „Erkenntnis und Interesse“ (Habermas 1973, Titel) mit der präsupponierten „Auflösung der Erkenntnistheorie“ (ebd. bereits im Vorwort).
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hochschichtig verankerte, patriotisch bis national motivierte3 und deshalb prestigebeladene Überzeugung, dass die Sprache, verstanden als Einzelsprache und vertreten durch eine hohe bzw. generationenlang als hoch deklarierte Literatur, das kulturelle oder gar natürliche Faktum sei, das Menschenmengen zu Nationen mache. Diese Überzeugung ist so eingenistet, dass man immer wieder ein gewisses Erstaunen darüber vernehmen kann, dass in Belgien nicht belgisch gesprochen wird, oder dass Staaten mit mehreren Sprachen nicht zerbrechen oder dass nicht einsprachige Völker als irgendwie erklärungspflichtig empfunden werden und dass sie solche Erklärungen sogar selbst immer mal wieder liefern. Historische Lexikographie ist damit eine kulturelle Tätigkeit, nicht anthropologisch begründbar, sondern in ganz bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen in Europa (vielleicht auch in anderen Kulturkreisen, dann aber mit anderer Funktion) entstanden und entwickelt, gemäß diesen Konstellationen in bestimmter Weise geprägt und entsprechend praktiziert. Nur infolge ihrer Qualität als kulturelle Tätigkeit unterliegt sie der Überprüfung und der Beeinflussung. Dementsprechend lautet die oben angekündigte Perspektivierung für diesen Artikel: Im Mittelpunkt steht die historische Lexikographie als Kulturwissenschaft, als einer Wissenschaft, die in bestimmten historischen Konstellationen entstanden ist, auf einen genuin historisch-sozialen geprägten Gegenstand zielt und selbst eine historisch-soziale Funktion hat, damit im Schnittfeld von Linguistik, Philologie, Geschichtswissenschaft (in einem sehr weiten Sinne des Wortes) und Kulturpädagogik liegt. Auf dieses Verständnis haben sich alle weiteren Überlegungen zu beziehen; lexikographiehistorische Fakten werden dabei nicht rhematisch mit dem Gestus der Verkündung von Neuigkeiten mitgeteilt, sondern thematisch vorausgesetzt und unter den kulturwissenschaftlichen Aspekt gestellt. Damit ist auch die persönliche Färbung des vorliegenden Artikels angekündigt. Ich mache also ausdrücklich kein Hehl daraus, dass vieles des im Folgenden Vorgetragenen eigenen, individuell geprägten Überzeugungen entspringt. Im Mittelpunkt steht die Diskussion des Verhältnisses von Abstraktion und Einzelfall. Das Zauberwort lautete bisher zweifellos Abstraktion. ,Abstraktion’ besteht darin, dass man vorliegende Belege durch Weglassung des „Irrelevanten, Zufälligen“ auf das „Relevante, Essentielle, begrifflich Zentrale“ reduziert. Die diesbezüglichen Verfahren einschließlich der dahinter stehenden Ideologie stecken uns allen in den Knochen und werden weiterhin ihren Stellenwert behalten. Dennoch wird hier eine Gegenposition bezogen: Ich ziehe die Argumentation hier demnach vom Recht des Einzelfalles her auf. Einiges davon wird auf Zustimmung stoßen; einiges zum Nachdenken oder zum Verweis auf die genannte ideologische Gegenposition, vieles zu Widerspruch Anlass geben. Hinter allen Aussagen steht eine lexikographische Erfahrung, wie sie sich aus der Planung eines eigenen, nämlich des „Frühneuhochdeutschen Wörterbuches“ (FWB), ergibt, genau gesprochen aus dem Entwurf der Konzeption, der Zusammenstellung des Corpus, der eigenen Durchführung von Teilen der Exzerption, der Festlegung der Artikelstrukturen, schließlich aus der eigenen Produktion von rund 5000 Seiten Wörterbuchtext ergibt. – Die Literaturangaben sind entsprechend der persönlichen Färbung des Artikels auf ein Minimum beschränkt.
3
Eine der Spitzen dieses Eisberges bildet Trübner.
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Lexikographie als Kulturwissenschaft
Meine Auffassung von ‚Lexikographie als Kulturwissenschaft’ ist durch folgende beiden Thesen, die ich als mein lexikographisches Manifest bezeichne, bestimmt: (1) Alles Relevante, was die Natur dem Menschen vorgängig entgegenstellt, und alles Relevante, was Menschen im Laufe ihrer Geschichte an Sachgütern, gesellschaftlichen Einrichtungen, Alltagstypisierungen, Wissensbeständen, Ideologien, Erkenntnissen, Handlungsnormen, sozialen Beziehungstypen usw. hervorgebracht haben, findet seinen Niederschlag in Einzelsprachen, darunter in ihrer Lexik. (2) Das Relevante wird außerdem immer in einer bestimmten Weise, nämlich aus der je zeit-, raum-, schichten-, gruppen-, situationstypischen, also aus der je besonderen geschichtlichen Praxis und damit unter jeweils praxisbedingten Aspekten für eben diese Praxis gefasst; es hat also einen genuin historisch-sozialen Status. Beide Thesen sind erst einmal als methodische Aussagen gemeint. Sie bedeuten nichts Anderes als: Wer sich – unter welchen einzelwissenschaftlichen Aspekten auch immer – mit der Vergangenheit befasst, findet den Zugang zu seinem Gegenstand in Details möglicherweise über Scherben, Mauerreste, Pollen usw.; der Königsweg zu qualifizierten Aussagen führt aber über die Texte, die aus einer zur Untersuchung anstehenden Zeit erhalten sind, damit über deren Lexik. Für die älteren Sprachstufen des Hochdeutschen liegen der Größenordnung nach immerhin etwa 40 000 (Althochdeutsch), 80 000 (Mittelhochdeutsch), 150 000 (Frühneuhochdeutsch) lexikalische Ausdrücke, großenteils in mehreren klar voneinander unterscheidbaren Bedeutungen, vor, so dass dem methodischen Zugang das beeindruckende semantische Inventar von einigen hunderttausend Einheiten (für die Zeit seit dem späteren Mittelalter) zur Verfügung steht. Für das Niederdeutsche ist mit dem Blick auf das Altsächsische / Altniederdeutsche zwar mit geringeren Zahlen, prinzipiell (vor allem für die spätere Zeit) aber ähnlich zu argumentieren. Die zweite These hat ihren Kern in der Aussage, dass die lexikalische Fassung von Gegenständen (im allerweitesten Sinne des Wortes) „immer in einer bestimmten Weise“ erfolgt. Diese Formulierung führt zu Problemen. Das erste besteht in der verbreiteten, aber nicht immer bewussten Annahme, dass ein in Frage stehender Sachbereich, etwa ‚Bauteile eines Wagens’, oder der ganze Katalog von Lexikoneinträgen der großen kulturgeschichtlichen Wörterbücher, etwa ‚Bauer’, ‚Gnade’, ‚Leidenschaft’, ‚Rechtfertigung“, ‚Rede’, ‚Reim’, ‚Vernunft’, in einer bestimmten historischen Zeit oder in einer anderen, nicht deutschen Einzelsprache semantisch in der gleichen oder mindestens ähnlichen Weise geschnitten sei wie heutzutage oder wie in der Muttersprache, etwa im Deutschen.4 Diese Annahme drängt sich einem spätestens bei der vorwis-
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Gedacht ist hier an Werke wie „Geschichtliche Grundbegriffe“, „Historisches Wörterbuch der Rhetorik“; Aufzählungen erübrigen sich. Als Beispiel für das hier und in den folgende Zeilen Gemeinte möge Rede fungieren. Dieser nhd. lexikalische Ausdruck erscheint im „Historischen Wörterbuch der Rhetorik“ (Bd. 7, 2005, 689ff.) als Lemma in Halbfettdruck, es wird dann in Relation zu jeweils mehreren griech., lat., ital. und franz. Ausdrücken gestellt, was nur so viel heißen kann wie: „Was wir im Nhd. als Rede bezeichnen, fassen Griechisch-, Lateinischsprachige (usw.) zwar mittels der aufgeführten griech., lat. usw. Wörter; es ist aber ungefähr dasselbe“. Es heißt außerdem, dass die pro Sprache genannten Ausdrücke untereinander und im Verhältnis zu
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senschaftlichen Lektüre eines historischen Textes oder beim Erwerb von Grundkenntnissen in einer Fremdsprache auf. Sie gilt insbesondere dann und verhindert alles beunruhigendere und tiefergehende Fragen, wenn sie sich mit dem Zugeständnis verbindet, dass semantische Inkongruenzen nicht zu leugnen seien, dass sie aber „nur“ historische oder einzelsprachlich bedingte Verzerrungen von kognitiven Größen bildeten, die außerhalb der verschiedenen Zugriffe im allgemeinmenschlichen (nicht: sozialen) Kopf in Form von Begriffen viel logischer und viel klarer existierten als in den genannten Verzerrungen; sie seien übrigens im Falle von Verständnisstörungen relativ leicht über die Begriffe korrigierbar. Dies ist die Haltung, die selbst weitesten Teilen der oben als „kulturhistorische Wörterbücher“ bezeichneten Lexikonwerke zugrunde liegt: Eine bereits als Lemma nicht klar definierte, vielleicht einzelsprachliche, vielleicht einzelsprachlich-semantische, vielleicht in irgendeinem Sinne begriffliche, auf jeden Fall aber als Existenzpräsupposition vorausgesetzte Einheit wird in mehreren historischen Ausdrücken einer Einzelsprache oder in Ausdrücken verschiedener Einzelsprachen auf eine als selbstverständlich angenommene Bezugsgröße irgendeines Status projiziert und hinsichtlich bestimmter Varianten beschrieben. Im Ergebnis heißt dies: Es gibt den Bauern, die Gnade, die Leidenschaft im Griechischen, Lateinischen, Französischen wie im Deutschen und in allen historischen Ausprägungen all dieser Sprachen, und zwar selbst dann, wenn man gar keine oder keine einheitliche Bezeichnung dafür hatte, und es gibt dies alles auch in unseren Köpfen. Varianten der Weise, wie es dies gibt, sind damit ausdrücklich anerkannt, es sind aber Varianten, so dass z. B. ‚Bauer’ oder ‚Leidenschaft’ überhistorisch oder über- und außereinzelsprachlich tendenziell je ein einziger Gegenstand sind, und zwar in deutscher Fassung derselbe wie im Mittellateinischen oder Französischen. Diese Darstellung hat deshalb einen so kritischen Unterton, weil im folgenden Absatz die Gegenposition als nach meinem Urteil genuin historische Grundhaltung dargestellt und e contrario in ein helleres Licht gerückt werden soll. Das Fazit kann nur lauten: Wir brauchen eine Sprach- und Sachlexikographie, die sich der gerade angeschnittenen Fragen bewusst ist, die die Rolle der Allgemeinbegriffe reduziert, wie sie in Definitionen der in Anmerkung 4 vorgeführten Art sehr generell herrschen, und die durch eine größere Nähe zu den einzelnen Sprech- bzw. Schreibakten ersetzt werden sollte. Das muss sich auch in der theoretischen Grundlegung lexikographischer Beschreibungspraxis äußern und damit in Modifikationen ihrer sprachlichen Muster einmünden. Das zweite Problem der Formulierung, dass die semantische Fassung von Gegenständen „immer in einer bestimmten Weise“ erfolgt, soll hier an dem Adverb immer festgemacht
den Ausdrücken der anderen Sprachen partiell synonym sind. Dann folgt in der ersten Zeile des eigentlichen Artikels eine „Definition“; das Definiendum steht in Häkchen, müsste dann nach deren üblicher Verwendungsweise ein Begriff sein; von diesem wird dann gesagt, er „bezeichnet die mündliche, zusammenhängende, meist längere, von einer einzelnen Person vor einem Publikum vorgetragene Äußerung“. Das Verb bezeichnen ist fachsprachlich als Subjekt aber nur mit Ausdruck, Zeichen, Wort, also mit einer sprachlichen Größe, verbindbar. Dann geht es weiter: „Semantisch gesehen gibt es R. [= Rede, O.R.] in unterschiedlichen Funktionen, so etwa als Alltagsrede [...]“. Vom Definitionsinhalt wird also prädiziert, dass es ihn „gibt“, eine typische Ontologisierung, ein transitus ab intellectu ad rem. Dieses „es gibt“ gilt aber nur „semantisch gesehen“, also in einer bestimmten Perspektive, womit der durch das Prädikat ontologisierte Definitionsinhalt nur als in „unterschiedlichen Funktionen“ existent erklärt und damit als solcher wieder aufgehoben wird. „Unterschiedliche Funktion“ kann aber wieder nur heißen: der Substanz nach gleich, aber funktionsverschieden.
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werden. Wenn etwas immer in bestimmter Weise erfolgt, dann besagt dies, dass es keine Weise außerhalb der jeweils historisch bestimmten gibt. Diese jeweils bestimmten Weisen stecken in der Sprache, genau gesprochen in der Unterschiedlichkeit ihres textlichen Vorkommens. Wenn man dem zustimmt, dann entfällt der im vorigen Absatz den kulturhistorischen Fachwörterbüchern unterstellte überhistorische und über- sowie außereinsprachlich vorausgesetzte Gegenstand; es gibt dann keine dem Gegenstand vorgegebene Messgröße welcher Art auch immer mehr, sondern es gibt nur Verschiedenheiten, letztlich nur einzeltextlicher oder gar einzelbelegbezogener Konvenienz. Dementsprechend besteht die wissenschaftliche Aufgabe erst einmal in deren Feststellung und deren Beschreibung. Nun tendiert die Bestimmung der Verschiedenheiten als Raison d’être sprachhistorischer Darstellung erkenntnis- und beschreibungsmethodisch dazu, ins Amorphe zu führen. Das bedeutet, dass man vom Einzelnen, immer Verschiedenen ausgehend zu konstruieren hat. Es sind schon Gründe der Darstellung, die dies verlangen, aber auch Gründe der gewünschten Orientierung des Lesers, darunter solche der Kulturpädagogik. Jede einzelne lexikographische Aussage ist also mit anderen solcher Aussagen zu vergleichen, auf unbestreitbare Ähnlichkeiten, auf Möglichkeiten der Ähnlichkeitssetzung und auf Differenzen hin zu befragen und je nach Befund durch Abstraktionen, Bezugsetzungen, Ergänzungen aus dem Allgemeinwissen des Konstrukteurs heraus in neue Zusammenhänge zu stellen, zu Bildern zu verknüpfen. Das so zustande kommende Bild wird mindestens eine semasiologische, eine onomasiologische, eine syntaktische, eine wortbildungsmorphologische und eine pragmatische Achse haben. Die Erstellung eines solchen Bildes ist also eine eigene Aufgabe, die unter zwei Verpflichtungen steht: Einerseits wird man die Rückbindung an einen zweifelsfrei vorliegenden Gegenstand, nämlich die Überlieferung, also etwa des Bedeutungsansatzes Nr. ‚x’ an die Belege a, b, c, [...] n, im Auge behalten müssen, insofern im Sinne L. Rankes (1824; s. Hardtwig 1990, 45) maximal objektiv beschreiben, wie es laut Interpretation des Lexikographen „eigentlich gewesen ist“; andererseits wird man mit dem Rezipienten zu handeln haben, sich also fragen müssen, was man ihm vermitteln möchte, welche Perspektiven man meint priorisieren oder vernachlässigen zu können. Die Verbindung beider Verpflichtungen, der historisch-gegenstandsbezogenen mit der gegenwärtig-rezipientenbezogenen, lässt sich unterschiedlich dosieren; in jedem Fall ist sie zu reflektieren und in Begleittexten (Einleitungen; Publikationen aller Art) zur Diskussion zu stellen.
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Weiterungen
Die vorangehenden Ausführungen standen unter dem Gesichtspunkt der Lexikographie als Kulturwissenschaft. Sie werfen einige Fragen auf, die diskutiert werden müssen; und sie geben Gelegenheit, eine Reihe von Weiterungen, Vertiefungen, Implikationen, Verdeutlichungen anzuschließen. Zu fragen ist zum Beispiel, ob historische Lexikographie induktiv von der jeweils „bestimmten Weise“, das wäre von der Verschiedenheit, oder deduktiv von einem vorgefassten Gesamtbild ausgehen sollte. Beides ist möglich und zumindest für besondere Zwecke begründbar; auch Letzteres wird im übrigen sehr viel häufiger vollzogen, als es der
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jeweilige Historiker in der Regel zugestehen würde. Die hier vertretene Auffassung geht von der Seinsweise des Wortschatzes aus. Diese ist nun mal nicht anders zu kennzeichnen als durch die Aussage, dass der Wortschatz ein quantitativ sehr umfängliches Inventar von Ausdruckseinheiten (den üblichen sog. lexikalischen und grammatischen Wörtern, den Phrasemen, der Legion lexikalisierter Wortbildungen) und einem noch umfänglicheren, in die Hunderttausende reichenden Inventar von Inhaltseinheiten besteht, die systematisch zwar nach mehreren Dimensionen in Bezug zueinander gesetzt und insofern als Systemoid angesehen werden können, dass aber jede dieser Einheiten von Sonderfällen abgesehen ausdrucks- und inhaltsseitig ein Unikat bildet: Keine Zeichengestalt gleicht also einer anderen vollständig (Homonymie mal außer Betracht gelassen), kein semasiologisches Feld ist mit einem zweiten deckungsgleich, und keine sog. Einzelbedeutung hat ein identisches Doppel (Synonymie wäre demnach zu leugnen). In obiger Redeweise formuliert: Es herrscht die je „bestimmte Weise“, die Verschiedenheit, was die Möglichkeit der Feststellung gegenstandsinhärenter Ähnlichkeiten sowie von Ähnlich- bzw. Differentsetzungen (z. B. aufgrund kulturpädagogischer Interessen) natürlich nicht ausschließt. Das bedeutet, dass Lexikographie der Prototyp der Wissenschaft ist, die eher induktiv von unten, von dem Inventar der Einzeleinheiten her aufzuziehen ist als deduktiv von oben, von einem vorgegebenen Gesamtgesichtspunkt aus. Dieses Bekenntnis zur jeweils bestimmten Weise der lexikographischen Inhaltsbildung über geschichtliche Gegenstände erfährt eine Verstärkung, wenn man die obige methodische Aussage, dass die sprachliche Überlieferung den Königsweg zu historischen Realitäten bildet, durch eine theoretische ergänzt. Die übliche und unbestreitbare Aussage, dass historische Realität im wesentlichen über Sprache (und zwar über eine Einzelsprache) zugänglich sei, könnte ja auch wie folgt verstanden werden: Es gebe nicht nur die Bindung einer an sich außer-, über- oder voreinzelsprachlichen Realität (sagen wir mal: eines Begriffes) an die Einzelsprache, sondern die Einheiten dieser Realität seien überhaupt einzelsprachlich, noch schärfer gesprochen: sie seien überhaupt als einzeltextlich je perspektivisch geprägte und per definitionem in fortwährendem Wechsel befindliche Einheiten verfasst, die irgendwann dann nicht mehr als ein und dieselben verstanden werden könnten. Damit sei die sprachphilosophische Dauerfrage nach dem Status historischer Gegenstände zugunsten ihrer einzelsprachlich-semantischen Existenzweise beantwortet. In extremer Formulierung heißt dies dann: „Historische Realität ist einzelsprachliche Realität“. Hier ist der Punkt, an dem sich – natürlich mit allen möglichen Differenzierungen und distanzierenden linguistischen Zusätzen – Verweise auf Buchtitel5 nahe legen wie Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen (J. R. Searle 1995), Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (P. L. Berger / Th. Luckmann 2004), Erfahrung und Wirklichkeit als Zeichenprozeß (H. Pape 1989); im übrigen könnte auch auf die Sprachkonzeption Wilhelm von Humboldts, auf bestimmte Richtungen der Ethnomethodologie sowie auf Kombinationen der sprachidealistischen Philosophie mit Theorien der Soziologie verwiesen werden. Auch Hinweise auf medienwissenschaftliche Vorannahmen der Art, dass das jeweilige Medium, insofern darunter in einem weiten Sinne außer der Einzelsprache auch die Textsorten verstanden werden können, die Botschaft bestimmt, wären anzuführen („The
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Man beachte: Wirklichkeit als Objektsgenitiv in den erstgenannten beiden Titeln, im zuletzt genannten sogar in einer Gleichsetzung (jedenfalls im Titel).
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medium is the message“; so M. Mc Luhan / Fiore 2001, Titel). Beispiele für die Plausibilität der These liegen auf der Hand; Gegenstände wie ‚Bauer’, ‚Gnade’, ‚Leidenschaft’, ‚Recht’ usw. können schwerlich als natürlich vorgegebene Entitäten, auch nicht als in den Köpfen von Menschen vorkommunikativ existente Einheiten verstanden werden, sondern kommen eher dadurch zustande, dass man – um ein Beispiel anzuführen – üblicherweise über bestimmte Menschen so redet, dass sich im Reden eine Gruppe ‚Bauer’ konstituiert, dass dieses Konstitut in dem Maße ontologisiert wird, wie man ihre Angehörigen fortwährend Bauern nennt, und dass die Bauern dies schließlich selber tun und dann bis auf Weiteres, das heißt, bis man anders redet, Bauern sind. Im Stil einer rhetorischen Frage könnte man formulieren: Wo in der hochmittelalterlichen Realität sind denn ‚triuwe’, ‚hulde’, ‚minne’ zu finden? Und man könnte antworten: doch erst einmal in bestimmten Texten einer bestimmten soziologischen Gruppe; jede darüber hinausgehende Existenzaussage sei deshalb zunächst hypothetisch. – Ich habe diesen Passus bewusst teilweise im Konjunktiv und in anderen stilistischen Brechungen gehalten, weil mir eine generelle inhaltliche Aussage über die ontologische Richtigkeit dieser Theorie nicht sinnvoll erscheint (s. auch Reichmann 2004). Für vorliegenden Artikel ist aber festzuhalten: Wenn die Einzelsprache, genauer: einzelne Rede- und Schreibweisen, noch genauer: bestimmte prestigegeladene oder besonders häufige Sprech- und Schreibakte der Ort der Zeichenbildung und -veränderung, damit kommunikativer und kognitiver Inhaltseinheiten und ihrer Projektion in die Realität sind, dann ist die Einzigartigkeit jeder Einheit des Lexikons die handlungslogische Folge; dann sind die Niederschläge dieser teils wirren und zufälligen Sprechvorgänge bzw. dieser nur teils gezielt eingesetzten sprachlichen Handlungen Basisgegenstand des Lexikographen; und dann sollte jeder Artikel eines Wörterbuches dies zu erkennen geben. Bevor dieser Punkt weiter ausgeführt wird, sind zwei Ausprägungen historischer Lexikographie zu unterscheiden. Gemeint ist die Unterscheidung von vergangenheits- und gegenwartsbezogen-diachroner Lexikographie. Erstere wird von Lexikographen einer späteren Zeit an Quellenmaterialien einer früheren Zeit vollzogen. Prototypisch realisiert ist dies in allen Fällen der Lexikographie zu den mittels der Bestimmungswörter alt-, mittel-, frühneu- bezeichneten Epochen des Deutschen (sog. Sprachstadienlexikographie). Je nachdem, wie weit man den Zeitrahmen von früher zu später spannt, wird man auch die heutige Lexikographie über die älteren Jahrhunderte des Neuhochdeutschen, wahrscheinlich sogar über das 19. Jahrhundert, dazu rechnen; das 20. Jahrhundert wird dagegen eher als zur Gegenwartssprache gehörig eingestuft werden. Die Perspektive kann synchron, also zustandsbezogen, oder diachron, also entwicklungsbezogen, und eine Kombination von beidem sein. Demgegenüber bezieht sich die gegenwartsbezogen-diachrone Lexikographie auf die Sprache der jeweiligen Gegenwart des Lexikographen, die Perspektive hat aber, damit die Forderung ‚historisch’ erfüllt ist, diachron zu sein. Den Prototyp dieser Ausprägung der Lexikographie bildet das Deutsche Wörterbuch (einschließlich seiner Neubearbeitung) von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (DWB), indem es die Sprache des weiteren 19. Jahrhunderts auf ihre Geschichte vom Frühneuhochdeutschen oder gar von ihren germanischen Wurzeln her beschreibt. Die besondere Erwähnung gegenwartsbezogen-diachroner Lexikographie im vorliegenden Zusammenhang ergibt sich aus dem Anliegen zu betonen, dass der im vorangehenden Absatz angesprochene Prozess der Zeichenbildung dort unter vorwiegend synchronen Aspekten behandelt wurde, dass er in Wirklichkeit aber in der Zeit, also historisch verläuft: Zeichenbildung vollzieht sich niemals aus dem geschichtlichen Nichts heraus, sondern immer auf
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der Basis vorhergehender ähnlicher Versuche; er ist ein fortwährendes Gemeinsamwerden dieser Versuche; Geschichtlichkeit ist also auch ein Gegenwartsfaktum. Das Fazit dieser Aussage wäre analog zu demjenigen des vorangehenden Absatzes zu formulieren; lediglich die Zeitperspektive wäre hinzuzufügen. Historische Lexikographie ist nach dem Vorgetragenen also diejenige Disziplin der Linguistik, die den Wortschatz einer Sprache, einer Sprachvarietät, eines Autorwerkes, einer Textgruppe, eines Einzeltextes (usw.) diachron unter Gesichtspunkten seines historischen Werdens, synchron unter Aspekten seines sozialen Funktionierens, damit in seiner je geschichtstypischen Darstellungsleistung, seiner weltbildkonstitutiven Leistung, seiner Kommunikationsleistung und in seinen Symptomwerten (dieser Punkt wurde bisher noch nicht angesprochen, bleibt auch weiterhin ausgeklammert)6 beschreibt. Sie garantiert dem historisch Interessierten einen induktiv abgesicherten, methodisch zuverlässigen Zugang zu den überlieferten Texten; sie tut dies im Idealfall so, dass es dem Interessierten möglich wird, die Bedeutungserläuterungen des Lexikographen als philologisch gewonnene interpretative Aussagen über die hinter oder in den Texten steckende historische Realität zu verstehen. Dies Letztere bedeutet das fortwährende Wachhalten der sprachphilosophischen Frage, ob die Einzelsprache, wie sie in der Überlieferung vorliegt, möglicherweise tatsächlich der Ort geschichtlicher Realität ist (statt das diese als voreinzelsprachliche, reale oder kognitive, Größe verstanden wird). Da Lexikographie die Verschiedenheit zum Ausgangspunkt nimmt, dementsprechend ihre Corpora über Zeit, Raum, Schichten, Gruppen und Situationen verteilt, müssen ihre Ergebnisse systematisch auf eine hohen Grad der Differenzierung angelegt sein. Diese Bestimmung entspricht in ihrem Anspruch sicher nicht allen ihren Realisierungen; sie entspricht mit Sicherheit auch nicht den einfachen Interessen des Hobbyhistorikers oder desjenigen Wörterbuchbenutzers, der zufällig in irgendeinem Zusammenhang eine punktuelle Information sucht; sie entspricht vor allem nicht der verbreiteten Einschätzung der Lexikographie als einer letztlich handwerklichen und zum Beispiel mit der wissenschaftlich wertvolleren, deutenden, konstruktiven Tätigkeit des Literaturwissenschaftlers kaum vergleichbaren, sondern diese höchstens vorbereitenden Praxis.7 Auch das heutige Wuchern des Substantivs Wissen in Wortbildungen wie Wissensbestand, Wissensspeicher trifft nicht das in diesem Artikel vertretene Anliegen der Lexikographie: Wissen suggeriert Einzelkenntnisse, Fraglosigkeit, Quantifizierbarkeit, nicht Bezugsetzung, Deutung, Infragestellung, Qualität, Nichtquantifizierbarkeit. In Wörterbüchern sind zwar Millionen von fraglos gültigen Einzelinformationen zu finden, aber sie machen nicht ihr Wesen aus, wie ich es oben zu bestimmen versucht habe. Die heutige bereits zur Pflicht gewordene Digitalisierung lexikographischer Information, am besten noch bevor das Wörterbuch selbst geschrieben ist oder ohne dass man selbst ein solches schreibt, wird mit diesem Problem zu tun haben: Wie kommt sie über die Möglichkeiten der nützlichen Neurangierung einzelner Wissens-
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Gemeint ist die Tatsache, dass jede lexikalische Einheit als ganze oder pro Bedeutung eine Bindung an einen Sprachraum, an eine bestimmte Zeit, an Textsorten, soziale Formationen aller Art aufweist. Kein Literaturhistoriker würde sein Werk, etwa eine Geschichte der höfischen Literatur oder eine Darstellung der Artusdichtung, als Ansammlung von Fakten verstehen, und kein Leser solcher Werke würde mit primär faktenbezogenen Fragen an sie herantreten, selbst auch dann nicht, wenn das zu Rate gezogene Werk mit Fakten geradezu gespickt sein sollte.
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daten oder Module solcher Daten hinaus ins Mark des Wörterbuches, also dazu, die gesamte in Sprache verfasste Welt einer historischen Zeit in all ihren Differenzierungen anders und erkenntnisbereichernder zu präsentieren als ein Wörterbuch? Dies alles hat in den gerade gebrauchten Formulierungen einen kritischen Unterton. Wendet man es ins Positive, dann ergeben sich praktische Anforderungen an die Lexikographie. Sie sind Gegenstand des folgendes Abschnitts.
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Anforderungen an die Praxis historischer Lexikographie
Im Vorangehenden wurde durchgehend betont, dass historische Lexikographie sich auf eine Sprache, eine Sprachvarietät, alle möglichen Kombinationen von Texten und auf Einzeltexte beziehen könne. Dies impliziert ein am Umfang der Wörterbuchbasis orientiertes Typologiekriterium: Es gibt in der Reihenfolge von ‚sehr umfänglich’ zu ‚geringst umfänglich’ Wörterbücher, die auf mehrere Sprachen bezogen, die einzelsprach- (langue-), varietäten-, textsorten- und einzeltextbezogen sind (im einzelnen mit Untergliederungen oder Variationen); es wird und muss sie weiterhin geben. Ferner wurde betont, dass alle Lexikographie eine sich aus der Einmaligkeit lexikalischer Einheiten ergebende induktive Basis haben sollte, was aber die Darstellung offensichtlich gegenstandsinhärenter Ähnlichkeiten und das Anbringen von Ähnlichkeitssetzungen nicht nur nicht ausschließe, sondern sogar verlange. Damit stellt sich die Frage, wie sich die Forderung nach Induktivität mit dem systembezogenen Anliegen der Darstellung vorhandener oder der Setzung von Ähnlichkeiten in der Realisierung der verschiedenen Wörterbuchtypen verbinden kann bzw. welches Ausmaß und welche Rolle den Belegen, die ja per definitionem einmalig sind, zukommen kann. Folgendes Bild scheint sich hinsichtlich dieser Frage etabliert zu haben: Je umfassender die Basis, desto abstrakter alle Angaben und desto exemplarischer die Belege. Am Beispiel ausgedrückt: Ein Langue-Wörterbuch (also etwa des Deutschen) und erst recht ein auf mehrere Sprachen bezogenes Wörterbuch (wie das Deutsche Rechtswörterbuch, DRW) verlangt danach Bedeutungserläuterungen auf einer hohen Abstraktionsstufe, ein varietätenbezogenes Wörterbuch (wie etwa das Schweizerische Idiotikon) kann sich mit einer niedrigeren Abstraktionsstufe begnügen; jeder Typ des Textwörterbuches (etwa das GoetheWörterbuch) oder gar des einzeltextbezogenen Wörterbuches (etwa G. F. Beneckes Wörterbuch zu Hartmanns Iwein) kann tendenziell vorkommensbezogene Angaben mit sehr niedriger Abstraktionsstufe priorisieren. Mit Bezug auf die Rolle der Belege ergäbe sich: Für ein Wörterbuch mit hoher Abstraktionsstufe müssten Belege Beispielwert haben, also für eine ganze Reihe von ähnlichen Vorkommen stehen, für das textbezogene Wörterbuch würden sie mit zunehmender Verschmalerung der Basis zunehmend an Beispielwert einbüßen können, sich also dem Einzelfall nähern; für das Belegwörterbuch als Extremfall des Textwörterbuches könnten sie sich dem Kommentar nähern, so wie denn auch z. B. K. Stackmann in sein Wörterbuch zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe nicht nur Versatzstücke aus den Erläuterungen zum Textteil seiner Ausgabe einbringt (so unter kummernagel), sondern zum Teil darüber hinausgeht (etwa s. v. kummer zu II, 7, 4); das Beispiel ist dann durch den Einzelfall ersetzt. Dieses Bild hat eine geradezu manipulative Logik und lässt sich reich belegen. Es stimmt trotzdem nicht. Weder das Rechtswörterbuch (RWB) als ein-
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zelsprachenübergreifendesWerk, noch das Deutsche Wörterbuch (DWB), noch das Schweizerische Idiotikon, das Schwäbische oder das Frühneuhochdeutsche Wörterbuch, noch das Goethe-Wörterbuch (usw.) verhalten sich nach dem Kriterium ‚Umfang’ im dargestellten Sinne. Die Verhältnisse liegen komplizierter; sie werden im Folgenden unter dem Gesichtspunkt der oben gegebenen Gegenstandsbestimmung historischer Wörterbücher diskutiert. Einen ersten Punkt bildet die Bedeutungserläuterung. Sie war in der Wörterbuchforschung der vergangenen Jahrzehnte mehrfach Gegenstand der Diskussion (Wiegand 1989). In deren Mittelpunkt stand immer wieder die Frage nach der lexiktheoretischen und innerhalb dieser speziell nach der metalexikographischen Begründung der sog. lexikographischen Definition: Ist diese überhaupt eine Definition im Sinne der alten, intensional orientierten Definitionslehre und sollte sie es sein? Kann sie nach dem Muster „genus proximum plus differentia specifica“ erfolgen? Soll man sie, wenn man diese Frage für bestimmte Typen von Lemmazeichen positiv beantwortet, auch für Zeichentypen, wo sie so gar nicht passen will, als Orientierungsform beibehalten? Oder soll man die gesamte Ideologie, die mit dem Definitionsbegriff verbunden ist, im Lichte einer generell veränderten Sprach- und Bedeutungsauffassung über Bord werfen und das, was herkömmlich Definition genannt wurde, durch den umfangreichen Katalog lexikographischer Beschreibungsmuster ersetzen, die die Normalsprache zur Verfügung stellt, und den man dann auch anders, z. B. als Erläuterung, bezeichnen könnte? Falls man diesen Paradigmenwechsel vollzieht, wie gestaltet er sich in der Praxis? Wie wird er vom Wörterbuchbenutzer akzeptiert, der ja dann seine alte logische Erwartungshaltung enttäuscht finden könnte und der allzu oft nur genau wissen will, welche spezifischen Bestimmungen (differentiae) denn nun den ‚Bauern’ oder die ‚Rechtfertigung’ oder die ‚Gnade’ ausmachen? In einer Argumentation, die im Wortschatz einer Epoche eine ganze differenzierte historische Welt gespiegelt und möglicherweise verfasst sieht, und die Lexikographie als diejenige kulturwissenschaftliche Disziplin gehandhabt sehen möchte, die diese Spiegelung / Verfasstheit beschreiben und an einen historisch entsprechend interessierten Benutzerkreis vermitteln möchte, sind folgende Aussagen unumgänglich; sie betreffen zunächst die Bedeutungserläuterung, werden danach aber auf die Auswahl und Darbietung der Belege übertragen.
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Zur Bedeutungserläuterung
Der Weg, das hier angesprochene Problem dadurch zu lösen, dass man die Bedeutungserläuterung proportional zum Umfang der Wörterbuchbasis abstraktiv gestaltet, also ein Langue-Wörterbuch (vor allem zu einer Großcorpussprache) mit sehr generischen Erläuterungen und ein Textwörterbuch mit eher spezifischen versieht, ist zu überprüfen. Das gilt erst recht für das logische Extrem dieses Verfahrens, das darin besteht, dass man statt einer phrastischen Angabe nur noch ein einziges Wort, de facto ein beschreibungssprachliches Synonym, angibt. Für meine kritische Haltung gibt es ein ganzes Bündel von Gründen, einer davon soll ausführlicher behandelt werden: Jede Abstraktion steht vor dem Problem, die Fülle der Gebrauchsfacetten der Belege, im Falle eines Nennwortes etwa die Fülle der Bezugnahmen auf eine vorausgesetzte Welt, in seiner Bedeutungserläuterung bewältigen zu müssen. Ob man dies tut, indem man weg-
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lässt, vielleicht auch (häufiger als man denkt) hinzufügt, oder indem man Ähnliches zu Neuem zusammenfasst, man verändert den Belegbefund zugunsten einer neuen semantischen Größe mit einem besonderen Status. Dieses Tun setzt den Vergleich, die Generalisierung, Typisierung, Einteilung sprachlicher Handlungen, wie sie sich auf normalsprachlicher Ebene tagtäglich durch jeden Sprecher vollzieht, auf einer damit in fließendem Übergang stehenden Beschreibungsebene (eben der Lexikographie) fort. Es kann, muss aber nicht als ein Vergehen am Singulären zugunsten eines Übergeordneten gesehen werden. F. Nietzsche (1870/73, 880f.) hat dies in einem Feuerwerk von stilistischen Varianten getan. Er spricht von einem „Verallgemeinern“ einzelner Eindrücke zu „entfärbteren, kühleren Begriffen“, einem „Gleichsetzen des Nichtgleichen“, einem „beliebigen Fallenlassen“ von „individuellen Verschiedenheiten“, einem „Weglassen des Ungleichen“, einem „Verflüchtigen“ und einem „Auflösen“ des jeweils Einmaligen im „Schema“. Die „Herrschaft der Abstractionen“, unter der dieses Tun steht, führt bei ihm zu einem Ergebnis, das sowohl als Lüge wie als Wahrheit, beides „im außermoralischen Sinne“, charakterisiert werden kann und als Illusion zu bestimmen ist. Die zitierten Formulierungen haben einen resignativen Unterton, und zwar deshalb, weil die Bedingung der Möglichkeit der Begriffsbildung „ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen“ ist; man kann dieses Faktum nicht ändern, es ist etwas Transzendentales. Sie tragen außerdem den Unterton des Bedauerns, denn wer will schon (in Anlehnung an Nietzsches Formulierungen) entfärben, kühlen, Nichtgleiches über einen Kamm scheren, etwas fallen- oder weglassen, kurzum: das Individuelle in den Rachen der Abstraktion werfen und das ausgerechnet mit Bezug auf das am stärksten durch Verschiedenheit gekennzeichnete Teilsystem der Sprache? Bezeichnend ist, dass Nietzsche dies alles in höchstmöglicher Deutlichkeit sieht, dass er aber dennoch Ausdrücke wie korrekt, zuverlässig, treu, wesenhaft, Urbild, Urform, Qualität, Wesen der Dinge gebraucht und damit eine Argumentationsfolie aufzieht, die seiner These von „Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“ zwar widerspricht, die er aber doch, um überhaupt argumentieren zu können, braucht und mit der er ein Fenster in Richtung auf eine gewisse Gestaltungshoheit des objektsprachlich wie des beschreibungssprachlich Handelnden öffnet. Das obige Zitat über das „bewegliche Heer von Metaphern [...]“ hat denn auch eine Fortsetzung: „eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volk fest, canonisch und verbindlich dünken“. In diesem zweiten Teil geht es nicht mehr um eine transzendentale Bedingung, sondern um deren historisch und sozial je bestimmte Ausprägung (man beachte: langer Gebrauch, Volk). Auch wenn Nietzsche diese wieder unter das Gesetz ihrer Anlage stellt und zum Beispiel davon spricht, dass wir der „Verpflichtung“ unterliegen, „nach einer festen Convention zu lügen, schaarenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen“, bleibt die Möglichkeit, dies positiv zu interpretieren, das transzendentale und deshalb außermoralische Lügenmüssen auf sozialer Ebene ein wenig zu reduzieren oder gar in der Kunst unter eine neue metaphysische Möglichkeit zu stellen, damit aber auch etwas von der oben bemühten ‚Gestaltung’ und ‚Hoheit’ des Lexikographen zu retten. Diese besteht dann in dem Versuch, dasjenige, was der historisch-soziale Mensch unter den ihm gegebenen Bedingungen in seinem sprachlichen Handeln fortwährend tut, unter den Verstehens-, Interpretations-, Gestaltensbedingungen des Lexikographen zu prüfen, es reflektierten Verfahren der Feststellung und Setzung von Ähnlichkeiten, darunter der Abstraktion, aber auch der besonderen Beleuchtung und einzelnen Herausstreichungen, zu unterziehen und das Ergebnis in den Formen der Normalsprache,
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ausdrücklich auch in deren vollem stilistischen und rhetorischen Inventar, zu vermitteln. Aus dem allem folgt: Je mehr, freilich unumgängliche, Gestaltung, in Nietzsches Fassung: je mehr „Gleichsetzen des Nichtgleichen“, je mehr Abstraktion, desto mehr wird der Lexikograph zum Poeten, zum Rhetor, zum Schöpfer, zum Gestalter, auch wenn das Produkt seiner Entwürfe nicht unter einen der poetischen Fiktionsbegriffe fällt, sondern (jedenfalls im Aufgabenbereich der Lexikographie) als Abstraktgebilde der Wissenschaft zugerechnet wird. Als lexikographische Forderung formuliert: Je dichter er bei seinen Bedeutungserläuterungen an der „immer bestimmten Weise“ (s. o.), der Individualität, der Verschiedenheit der Belege haftet, je mehr er von deren Prädikationen in seine eigenen Formulierungen einbezieht, je ausfächernder er die Erläuterung inhaltlich gestaltet und „offene Ränder“ als Normalfall ansieht, damit die intensionale Begriffsdefinition vermeidet, desto mehr bleibt er in der Nähe des in der Überlieferung Vorgegebenen, vermeidet die abstraktive Entfärbung. Damit gibt er seinem Rezipienten zwar weniger Klarheit, weniger scharfe Grenzen, auch weniger kognitive Handhabbarkeit, bietet aber mehr Interessantes, mehr Individuelles, mehr historisches Kolorit, mehr Anlass zum Nachdenken. Konkret heißt das zum Beispiel: Auch in der Langue-Lexikographie, erst recht in der Textlexikographie, sollte man sich hüten, Belege beiseite zu legen, die nicht in die Abstrakteinheiten hineinpassen, wie sie sich bei der Sichtung der Quellenexzerpte langsam formieren und wie sie durch Nichtbeachtung schwieriger Belege natürlich wohlbestimmter werden. Vor allen Dingen sollte ein einziges beschreibungssprachliches Synonym nur dann gebraucht werden, wenn seine Äquivalenz mit dem Lemmazeichen offensichtlich ist. Dieser Fall begegnet allerdings um so seltener, je größer die kulturelle Differenz zwischen dem beschriebenen und dem zur Beschreibung verwendeten Wortschatz ist. Synonyme haben ja nur einen indirekten Aussagewert; sie besagen: Das Lemmazeichen x wurde in seiner Zeit so gebraucht, wie Du heute die Einheit y gebrauchst; und das weißt Du selber (Wiegand 1983, 227f.). Dies ist auch das Aus für das Übersetzungsäquivalent als leistungsfähiges Konzept der historischen Bedeutungslexikographie, sofern sich diese jedenfalls als systembezogen versteht. Das Vorgetragene soll anhand eines Beispiels veranschaulicht werden. Ich bediene mich der Klarheit halber einerseits einer sehr kurzen fiktiven (dem Typ nach aber legionenweise belegbaren) und andererseits einer relativ langen, belegten Formulierung. Die lexikographische Praxis ist selbstverständlich durch stufenlose Zwischenformen zwischen den Extremen gekennzeichnet. Man könnte das Substantiv mhd. / frnhd. bescheidenheit in einer seiner Gebrauchsweisen mittels eines semantisch minimalen Ausdrucks wie >Einsicht< erläutern und hätte dann dasjenige vollzogen, was J. Grimm in seinem Zusammenhang als Definition „mit einem schlag“ (DWB 1, XLVI) bezeichnet. Im FWB (3, 1650) findet man unter der Bedeutungsposition 1 folgende Formulierung: „>dem Menschen von seiner natürlichen Ausstattung her eigene oder von Gott verliehene geistige Fähigkeit zu rationalem Urteil, rationaler Kontrolle seines Handelns, menschliches Unterscheidungs-, Urteilsvermögen, kluge Einsicht, Klugheit, Weisheit als Tugend<; bescheidenheit (im vorgetragenen Sine) ist meist auf religiöse Heiligung, Erkenntnis Gottes, auf Werke des Glaubens und der Liebe, gegen die Begierden gerichtet; seltener bezieht es sich auf die tägliche Lebenspraxis; schwach belegt sind einige an diese Bedeutungsposition anschließbare Metonymien, z. B. >Unterscheidung<; >Wissen, Kenntnis von etw.<; >Erklärung<“.
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Diese Erläuterung ist durch oben vertretene Theorie oder auch Ideologie der Existenzweise und Leistung natürlichsprachiger Wortschätze geprägt. Die Möglichkeit, ‚bescheidenheit’ 1 so aufzufassen, als handele es sich um eine klar abgegrenzte, von den Bedeutungen 2 bis 9 des selben Wortes und von anderen Einheiten zugehöriger Wortfelder deutlich unterscheidbare semantische Einheit, ist von der ganzen Formulierung her ausgeschlossen. Es gibt zwar zunächst die definitionsähnliche Angabe eines genus proximum und einiger differentiae specificae: Fähigkeit wäre dann das genus, hinzu kämen die differenzierenden Bestimmungen geistig, zu rationalem Urteil, zu rationaler Kontrolle, und zwar des Handelns, das alles wäre dem Menschen eigen, und zwar entweder von seiner natürlichen Ausstattung her oder von Gott verliehen. Dieser Teil dient einer einführenden Orientierung der Benutzer; er mag allerdings auch – nachträglich besehen – als Interferenz des Ideals der intensionalen Definition in die Beschreibungspraxis des Lexikographen zu sehen sein. Dann aber folgt die zumindest partielle Aufhebung des Definitionscharakters der Formulierung durch Fragen wie die folgenden: Wie verhalten sich eigentlich natürliche Ausstattung des Menschen und Verleihung von Fähigkeiten durch Gott? Was klingt hier an? Wie verhält sich die Fähigkeit zu rationalem Urteil zu der Fähigkeit zu rationaler Kontrolle? Wie verhalten sich Urteil und Handeln zueinander? Ist Urteils- als Unterscheidungsvermögen gedacht? Sind diese beschreibungssprachlichen Wortbildungen durch die Aufklärung beeinflusst? Meinen Einsicht, Klugheit und Weisheit dasselbe? Wieso heißt es Weisheit als Tugend? Was soll der Hinweis auf religiöse Heiligung und überhaupt die Suggestion der Sinnwelt ‚Religion’ als Gebrauchsbereich von bescheidenheit? Wie passt die offensichtliche Restkategorie von Metonymien, die überdies noch als offene Reihe eingeführt ist, zu dem Vorangehenden? Es wäre durchaus möglich, dass ein Kritiker von Formulierungen wie der behandelten einwenden würde, dass sie ein Sammelsurium von Anspielungen sei, das jeder handfeste Logiker zusammenstreichen würde, das eher desinformiere als informiere, und dies um so mehr, als die Bedeutungseinheit 1 auch nicht recht nachvollziehbar von einigen der nachfolgend angesetzten Einheiten unterscheidbar sei. Die Antwort auf eine derartige Vorhaltung läge auf der Linie, dass Sememe als natürlichsprachige Bedeutungseinheiten jeweils einmalig, zueinander offen, sozial in bestimmter Weise verteilt und historisch im Fluss seien, und dass dem eine Bedeutungserläuterung entsprechen müsse, die dies alles spiegele und geradezu gewollt Fragen evoziere. In ähnlicher Weise wären weitere, in der historischen Lexikographie übliche Formulierungsmuster zu befragen, was sich hier aber aus Raumgründen verbietet und was mir auch deshalb als nicht notwendig erscheint, weil die Vorgaben inzwischen deutlich geworden sein dürften. Einige der gemeinten Muster seien aber immerhin erwähnt:8 – die ‚kompakte’ versus ‚diffuse’ Erläuterung; bei ersterer bildet die gesamte semantische Erläuterung eine syntaktische oder teiltextliche Einheit, bei letzterer ist sie in mehrere Teile aufgespalten, die dann zwar unter 1 Gliederungspunkt, aber gleichsam ausgelagert an verschiedenen Stellen stehen; ein Beispiel bildet s. v. mhd. arbeit die Erläuterung „1 ‚Not, Mühsal [...]’; [...]; 1. 2 bes. im Minnesang zur Bezeichnung von Liebessehnsucht und Liebeskummer“; dann folgt nach 10 Spalten fein spezifizierend: „oft in der Wendung
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Es geht hier nur um einige Muster, die die Richtung meiner Argumentation anzeigen sollen; ihre Belegung und Kommentierung wird auf ein Minimum reduziert; es ist aber offensichtlich, dass sie hier ein ganzes Feld textlinguistischer Beobachtung und für die lexikographische Praxis ergiebiger Hinweise auftut.
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senendiu arbeit die leidvollen Mühen des Minnedienstes bezeichnend; gelegentlich als Oxymoron süeziu arbeit die Hoffnung auf Erfüllung miteinbeziehend“ (Mhd. Wb. 1, 341f.), die ‚voraussetzungsreiche’ versus ‚voraussetzungsarme’ Erläuterung (Reichmann in FWB 1, 1989, 92f.): bein 1. >Biene< (voraussetzungsreich: jedermann weiß, was eine Biene ist, also keine weitere Erläuterung notwendig) versus pein 8. >Leiden, Qual der Hölle, ewige Verdammnis der Gottferne< (mit weiteren 10 Zeilen, da ich bei der Bedeutungsformulierung gemeint habe, dem heutigen Wörterbuchbenutzer fehlten nach Jahrhunderten der Säkularisierung wichtige Voraussetzungen des Verständnisses von pein 8; s. FWB 3, 939; 944); die logische Gestaltung von Bedeutungsansätzen nach dem Grad ihrer Generizität, also nach dem Muster ‚hohe Abstraktion’ versus ‚niedrige’ mit impliziertem Über- / Unterordnungsverhältnis (Schema I, A, 1, a, α), mit implizierter Reihenfolge und der Möglichkeit der stammbaumähnlichen Veranschaulichung; dies alles im Gegensatz zu der ‚reihenden’ Erläuterung nach Zahlen oder Buchstaben (also: 1.; 2.; [...]; n), kommentierende Hinweise auf die Zusammenhänge der Bedeutungsansätze eines semasiologischen Feldes nach dem Inventar der Tropen, wie es die Rhetorik bereitstellt, vgl. Formulierungen wie: „Übertragung (oder Metonymie usw.) zu x“ (vielfach im FWB) oder: „metonymisch einen gegenständlichen Beleg für ein Geschehen bezeichnend“ (so oder ähnlich im Mhd. Wb., passim), Hinweise in verschiedener sprachlicher Fassung auf Übergangsverhältnisse zwischen angesetzten semantischen Einheiten, etwa „offen zu x“ (FWB, passim), Formulierungen „wie schriftdeutsch“ (teilweise ohne Angabe eines Bedeutungsindikators des in der Regel polysemen schriftdeutschen Äquivalents; Schweiz. Id., passim), Standardformeln der Art „bezogen auf [...]“ mit folgender Nennung von Bezugsbereichen, meist Personen generell, teils Einzelpersonen, häufig Sachen, Konkreta, Abstrakta (teils mit und teils ohne Angabe des jeweils gemeinten Bezugsinhalts), hiermit vergleichbare normalsprachliche Angaben folgender Art: „eig., nach der biblischkirchl. Anschauung und davon ausgehend, doch vielfach auf untergründigen vorchristlichen Vorstellungen beruhend“ (Schweiz. Id. 12, 639 s. v. Tüfel); die Formulierung setzt die Kenntnis biblischer und vorchristlicher Anschauungen voraus, ist also voraussetzungsreich (s. o. , zweiter Spiegelstrich), sie erläutert nicht, worauf genau Bezug genommen wird; Angabe von Gebrauchsbereichen / Kontexten der Art „meist im ritterlich-höfischen Kontext verwendet“ (so das Mhd. Wb. 1, 389 s. v. âventiure), grammatische Angaben mit einem gewissen semantischen Aussagewert, z. B. „mit Subjekt der Sache“, „mit Genitiv / Dativ / Akkusativ der Person“, „mit Passivkonstruktion“(teils mit spezifizierten Nennungen, teils ohne solche); Beispiele finden sich systematisch im WMU und Mhd. Wb., die Andeutung von Anzahl und Art der Leerstellen speziell bei Verben, aber auch bei anderen Wortarten mit einer wie auch immer verstandenen Valenz; es ist eben ein Unterschied, ob man das Verb berechten erläutert als „1. >jn. rechtlich belangen, gerichtlich ansprechen, verklagen<“, „4. >etw. vor Gericht, zur Anklage bringen, etw. zur gerichtlichen Entscheidung bringen, etw. rechtlich austragen<“ (so durchgehend das FWB, hier: 3, 1363) oder ob man sagt: „töten, für ungültig erklären“ (so systematisch im WMU, hier: 3, 1760 s. v. toeten), einzelbelegbezogene Verständnishilfen aller Art mit semantischem Aussagewert, darunter Sacherläuterungen, Übersetzungsvorschläge, sonstige normalsprachliche Erläuterun-
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gen; so findet sich im Ahd. Wb. (Bd. 4, 1029) unter 2, a, des Lemmazeichens herza die „Personifizierung des Herzens“ behandelt, dazu zählt die Aussage, dass das Herz „Mund und Zunge“, auch Augen und Ohren habe und dass es „gleich dem Menschen lebt und wacht“, was dann in den Belegen in ahd. Fassung dokumentiert ist, – zusammenfassende Nennungen oder gar Auflistungen von Prädikationen, die in den Belegen über den Bezugsgegenstand eines Lemmazeichens gemacht werden, etwa: „das Herz ist betrübt und traurig, [...] aber auch erfreut und froh“, „erfüllt von Schmerz“, „von Begierden, Unmut, Zorn und Haß“ usw. (so Ahd. Wb. 4, 1030f.), – etymologische Angaben aller Art, seien sie nun als Feld genetisch identischer oder verwandter Ausdrücke verwandter Sprachen oder Varietäten (dies systematisch etwa im Mnl. Wb.) oder als explizit semantische, auf bestimmte Grundbedeutungen zielende Erläuterungen realisiert (dies konstitutiv für etymologische Wörterbücher). Es geht mir in vorliegendem Zusammenhang nicht um Aussagen in dem Sinne, dass das eine Muster für diesen oder jenen Zweck, für diesen oder jenen Wörterbuchtyp besonders, ein anderes dagegen weniger oder überhaupt nicht geeignet ist. Wörterbuchartikel sind textliche Ganzheiten, deren jeweilige Leistung sich aus dem Zusammenspiel der Muster und der Informationstypen ergibt. Eine eher syntaktische Aussage, etwa der Art: „mit Subjekt der Sache“ kann durchaus einen semantischen Aussagewert haben, wenn sie in die Differenz zu „mit Subjekt der Person“ gestellt wird und wenn die Belege dazu die Füllungen liefern. Das schließt aber eine ganze Reihe von Forderungen bzw. Wünschen nicht aus: Wir brauchen eine Textlinguistik, eine systematische Zusammenstellung und Typologisierung der üblicherweise realisierten Muster und eine Herausstellung ihrer jeweils isoliert-kategorialen Leistung; jedes einzelne Muster ist auf die theoretische Vorgabe abzuklopfen, der es seine Existenz und Anwendung verdankt; es ist hinsichtlich seiner Eignung für bestimmte Typen des Wörterbuches und für bestimmte Typen des Lemmazeichens zu befragen; und es ist auf seine Leistungsfähigkeit für eine unter kulturwissenschaftlichen Aspekten betriebene Lexikographie zu prüfen. Das sind metalexikographische Aufgaben, die im Handbuch Wörterbücher (Bd. 1, Kap. IV) angegangen wurden, allerdings des weiteren Ausbaus bedürfen. Dabei ist einmal der Sachbezug, also die Vision des Lexikographen vom Wortschatz (Einmaligkeit der Einheiten; Verteilung usw.), ferner seine kulturpädagogische Absicht zu berücksichtigen.
4.2
Zur Belegauswahl
Im Anschluss an obige Diskussion der Anlage der Bedeutungserläuterung als logisch-systematische Definition oder als Vielheit normalsprachlicher Formulierungen stellt sich nunmehr die Frage, wie die Belege ausgewählt, in welchem Umfang sie dargeboten werden sollten und ob sich möglicherweise für je bestimmte Wörterbuchtypen besondere Belegauswahlen nahelegen. Unter Beleg wird ein syntaktisch und semantisch einigermaßen abgeschlossener, höchstens geringfügig bearbeiteter und damit isoliert verständlicher Ausschnitt aus einem Quellentext verstanden; der Beleg hat also Parole-Status (Reichmann 1988, 413; ähnlich Harras 1989, 608), das heißt auch: Einmaligkeitsstatus; er ist ein Einzelfall, es gibt keinen Beleg, der mit einem anderen genau deckungsgleich wäre, auch wenn dies in bestimmten Formulierungs- oder sonstigen Übernahmetraditionen gelegentlich so scheinen
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mag. Er unterscheidet sich insofern vom Beispielsyntagma, sofern dies jedenfalls durch die Abstrichmethode vom Lexikographen gezielt auf seine Informationsleistung zurechtgestutzt wurde und dann den Parole-Status zumindest tendenziell einbüßen kann. Zum Thema ‚Belege’ gibt es im Verhältnis zu ihrer Bedeutung für jede anspruchsvolle Lexikographie erstaunlich wenig Literatur. Immerhin aber liegen folgende Antworten vor: Belege haben erstens eine wissenschaftskommunikative Beweisfunktion, sie rechtfertigen und begründen etwas, sind an etwas adressiert, und zwar vor allem an die Bedeutungserläuterung, aber auch an alle anderen Aussagen des Lexikographen, sie ermöglichen damit zu prüfen, ob der Textteil eines Wörterbuchartikels, den der Lexikograph selbst formuliert, in Übereinstimmung mit dem Teil des Artikels steht, den er aus den Quellen übernommen hat; sie haben ferner eine normalkommunikative Funktion für den ohne kritische Absichten im Wörterbuch Nachschlagenden, sie zeigen, sie führen ihm vor, wie ein Lemmazeichen gebraucht wurde. Sie werden dann zum Beispiel (also zum Belegbeispiel), wenn sie für eine ganze Reihe von Einzelfällen stehen. Die erste Antwort setzt voraus, dass es auf einer objektsprachlichen Ebene irgendwelche, immer einmalige Sprachäußerungen gibt, dass der Lexikograph diese aus einer ersten Metaebene ins Visier nimmt und eine Bedeutungserläuterung produziert, von der er annimmt, dass sie, wenn man sie einem historischen Sprecher vorlegen könnte, mit einer Antwort quittiert würde wie: „Ja, das ist es, so habe ich das Wort immer, und zwar regelhaft gebraucht“; auf einer nochmals höheren (also zweiten) Metaebene würde der Kritiker dann sagen: „Ja, das hat er, der Lexikograph, richtig gemacht, er hat die Bedeutungserläuterung so formuliert, dass sie den objektsprachlichen Gebrauch des Lemmazeichens abdeckt“. Die in dieser Antwort steckende Hierarchie von drei Ebenen suggeriert hohe Wissenschaftlichkeit unter dem Szepter rationaler Kritik. Die zweite Antwort verzichtet auf die dritte Ebene und tastet auch die Unterscheidung der beiden ersten an; der Lexikograph wird nunmehr in Analogie zu normalsprachlichen Wortgebrauchserläuterungen als jemand vorausgesetzt, der einem Rezipienten zu zeigen versucht, wie ein Wort verwendet wurde, der dabei veranschaulichend verfährt und sich eher als vermittelnder Partner versteht. Wenn man wie in diesem Artikel voraussetzt, dass Sprachgebrauch und Regelbeherrschung des zeitgenössischen Sprechers nur analytisch trennbare Gegebenheiten sind, sprachontisch aber eine Einheit bilden und dass zwischen dieser und der interpretierenden Tätigkeit des Lexikographen zwar Differenzen bestehen, aber kein qualitativer Unterschied, und dass dies auch für das Verhältnis des Metalexikographen zum Lexikographen gilt, dann gerät die soeben behandelte erste Antwort auf den theoretischen Prüfstand. Sie erscheint dann als Analogon zu der Auffassung der Bedeutungserläuterung als intensionale Definition, die von Nietzsche – wie oben belegt – resignativ-bedauernd als Herrschaftsakt der Abstraktion gekennzeichnet wurde. Auch sie ist unumgehbar, sie beschneidet aber die Individualitäten. Damit stellt sich – ebenfalls analog zur Erläuterungs- / Definitionsproblematik – die in der Literatur kaum diskutierte Frage, wie man theoretisch mit der immer wieder genannten und auf den ersten Blick überzeugenden Regel verfährt, dass die Belege die typische oder auch prototypische Verwendung eines Lemmazeichens vorführen sollten. Bezeichnenderweise erscheinen die beiden Ausdrücke in vier der acht von G. Harras formulierten Regeln zur Belegauswahl; sie variieren textstilistisch mit Standard, Maßstab, Regel; der mögliche Einwand, dass mit prototypisch auf den Einzelfall Bezug genommen werde, erledigt sich mit dem Hinweis, dass man auf die Frage, worin denn die Prototypik bestehe, nur eine Aufzählung von unterscheidenden, damit eben typischen Inhaltmerkmalen reagieren kann.
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Bezeichnenderweise lassen sich auch die übrigbleibenden vier von Harras formulierten Regeln in Richtung auf ‚Typik’ interpretieren, was alles hier nicht als Kritik gemeint ist, sondern als Beweis für die auch aus meinen eigenen Arbeiten belegbare Tatsache, dass die Definitions-, Abstraktions-, Typisierungsideologie uns allen und selbst denjenigen in Fleisch und Blut übergegangen ist, die ein Faible für Verschiedenheiten haben. Dabei weiß jeder, dass man keinem Kind im Primärspracherwerb irgendwelche Wortgebräuche in definitionsähnlichen Erklärungen der Art beibringt, dass etwa ein ‚Ast’ im Unterschied zum ‚Zweig’ die Kennzeichen a, b, c habe oder dass der gerade vor einem liegende Gegenstand der Prototyp des Astes sei. Auch einem Handwerkslehrling oder einem Germanistikstudenten erklärt man z. B. Mauersteinverbünde oder Strophenformen kaum über Auflistungen von Fachtermini und anschließende Definitionen, sondern im praktischen Umgang mit den Gegenständen, also systematisch vermittelt über den Einzelgebrauch. Wenn man das ernst nimmt, die Tätigkeit der Produktion und Rezeption von Wörterbüchern also in Analogie zu den Prozessen des Spracherwerbs und der Spracherweiterung zu sehen bereit ist, dann bleibt nur die Schlussfolgerung, die Auswahl der Belege einer anderen Ideologie zu unterstellen. Diese würde lauten: Belege sollten nach dem Grad ihrer jeweiligen Verschiedenheit ausgewählt, in ihren Offenheiten, von ihren Extremen, von den offenen Rändern einer Gebrauchsweise her, mit all ihren Unklarheiten und Zuordnungsambiguitäten dargeboten werden, speziell die Erwartung durchbrechende Verwendungen sollten Berücksichtigung finden, den tropischen Gebräuchen sollte gesteigerte Aufmerksamkeit zukommen, kurzum: Sie sollten das zu imitieren versuchen, was im primären Spracherwerb und bei der lebenslangen Erweiterung der Sprachkompetenz funktioniert. Mir ist natürlich klar, dass in diesem Satz mit der Erwähnung von z. B. Offenheit, von Rändern, Gebrauchsweise, von Tropen, von Erwartung usw. durchgehend dasjenige vorausgesetzt wird, was durch die Belegauswahl erst vorzuführen oder gar aufzubauen ist. ‚Offenheit’ gibt es ja nur auf der Folie von ‚Geschlossenem’, einen ‚Rand’ nur als ‚Abgrenzung’, eigentlich ist er schon gar kein Rand mehr, wenn er ‚offen’ ist, ‚Gebrauchsweise’ impliziert die Regel, und ‚Tropen’ und ‚Erwartung’ sind ebenfalls nur möglich, wenn man Üblichkeiten kennt. Aus diesem Dilemma kommt man aber auch von der anderen Seite aus nicht heraus. Setzt man Typen, Klarheiten, Wohlbestimmtheit voraus, so impliziert man Unklarheiten und Schlechtbestimmtheiten, damit das unterschiedliche Zutreffen, Passen, die nur eingeschränkte Erfüllung der Bedingungen des Typischen, letztlich den Einzelbeleg in seiner unbestreitbaren Realität. Man möge sich zur Unterstützung dieser Argumentation im übrigen klar machen, was im Langue- wie im Textwörterbuch derjenige Beleg sein und was er bewirken könnte, der die Regel, den Standard, die typische Verwendung des Lemmazeichens vorführen oder beweisen soll. Die hier vertretene These lautet: Es wird ihn erstens kaum geben, denn Parole-Einheiten verdanken ihr Dasein nicht irgendeinem Wunsch, das Typische zu belegen; sollte er in dieser letzteren Funktion doch irgendwo annäherungsweise auffindbar sein, so besagt er nur so Allgemeines, Entfärbtes, dass niemand damit gedient wäre. Vor allem als Quelle für den Historiker welcher genauen Sparte auch immer, auch für den Philologen, fiele er aus, tendenziell würde er nur für die Beschreibung seiner grammatischen Einbettung taugen, dafür werden aber historische Wörterbücher nicht geschrieben. Der Brauch, Belege selbst in Textwörterbüchern so zu kürzen, dass sie ihre Aussage verlieren, dass nur ein Gerippe übrig bleibt, dass der Beleg im oben definierten Sinne also unter der Hand zum Beispielsyntagma mit Eigenschaften des berühmten Kompetenzbeispiels der gegenwartsbezogenen Lexikographie mutiert, oder dass die immer sehr generische grammatische Infor-
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mation die inhaltliche überlagert, kann in diesem Zusammenhang als ein Verfahren angeführt werden, das der Prüfung bedürfte (Frauenlob-Wb.; WMU; teilweise auch Mhd. Wb.). Ich verstehe das hier vorgetragene Plädoyer zugunsten einer unikatorientierten Belegauswahl zunächst einmal als theoretische Aussage und als Anliegen, gegensätzliche Vorannahmen der Lexikographie bewusst zu machen. Obwohl sie den Anspruch erhebt, für die Praxis relevant zu sein, muss sie in handhabbare Verfahren umgesetzt werden. Als Vorschlag in dieser Richtung könnte vielleicht eine Belegtypologie entworfen werden, die den Regelbezug als oberstes Typologisierungskriterium durch Belegtypen wie „textinterne definitionsartige Erläuterung“, „Charakterisierungen“, „Rahmenkennzeichnungen“ ersetzt (so Reichmann 1988, inzwischen aber der Neufassung bedürftig). In diesem Zusammenhang steht außerdem die Frage noch offen, ob die beiden Hauptzweige der Lexikographie, nämlich die langue- und die textbezogene, hinsichtlich der Belegauswahl ähnlich oder verschieden gestaltet werden sollten. Faktum ist zunächst einmal, dass Wörterbücher beider Zweige sich hinsichtlich der Anzahl der Belege, ihres technischen Zuschnittes und des Umfangs des Belegblockes zwar in Einzelheiten, nicht aber systematisch unterscheiden: Das WMU, das Frauenlob-Wb., das Goethe-Wb., die zur großen Gruppe der Textwörterbücher zu zählen sind, verhalten sich hinsichtlich ihrer Belegteile im großen und ganzen ähnlich wie das Ahd. Wb., das Mhd. Wb., das FWB, das DWB, das DRW, die Langue-Wörterbücher sind.9 Auch diese sind damit als Belegwörterbücher verstehbar, wie umgekehrt die Basis von Textwörterbüchern, bestehe sie nun in einem Autorenwerk, einer Textgruppe oder einem Einzeltext, System hat, wodurch Textwörterbücher aber keineswegs zu Langue-Wörterbüchern werden. Die Schlussfolgerung kann nur lauten: Belege als umfängliche und ernst zu nehmende Informationsposition haben in beiden Zweigen der Lexikographie ihren Platz. Allerdings unterscheiden sich die Systeme, die man ihnen unterlegt sieht. Eine Langue betrifft eine ganze Sprache, ihrer Konstruktion liegt in der Regel ein größeres Corpus zugrunde als einem textlexikographischen Unternehmen, ihr Inventar ist damit größer, dessen ausdrucks- und inhaltsseitige Varianzen sind quantitativ zahlreicher und qualitativ differenter, gleiches gilt für das Regelspektrum. Das System eines Autorenwerkes oder eines Einzeltextes ist hinsichtlich seines Inventars und seines Regelspektrums eingeschränkter als ein Langue-System. Das heißt aber nicht, dass es als Teilmenge verstanden werden kann, es geht vielmehr an einzelnen Stellen über dasjenige einer Langue hinaus, enthält Bedeutungen und Bedeutungsnuancen, Wortbildungen, Phraseme, Syntagmen, Stil- und Textformen, die nach der Langue teils zwar möglich sind, aber nicht oder kaum realisiert wurden, oder die sogar gegen die Langue verstoßen. J. W. Goethe oder K. Kraus haben eben einen Sprachgebrauch, der sinnvoll nur komparativ oder gar kontrastiv zu demjenigen der Langue beschrieben werden kann; das Goethe-Wb. war in seiner anfänglichen Konzeption denn auch durchaus sinnvoll auf die „Grund- und Wesenswörter“ bezogen, beim Fackel-Wb. ist Analoges konstitutiv. Dies alles bedeutet: Sowohl für das Langue- wie für das Textwörterbuch sollte die Auswahl der Belege unter dem oben dargelegten Differenzgesichtspunkt erfolgen; Unterschiede zwischen beiden ergeben sich aus den Unterschieden der Basis; ich hätte aber keine Einwände gegen eine Entscheidung in der
9
In anderen Argumentationszusammenhängen wären diese Zuordnungen natürlich zu diskutieren.
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Richtung, dass die Textlexikographie zur Herausstellung des Besonderen konsequenter verfährt als die Langue-Lexikographie. Das Typische wird in dieser gesamten Darlegung aus dem Besonderen aufgebaut. Mancher wird einwenden, dass es damit argumentativ auf der Strecke bleibt. Ich kann diesen Einwand nachvollziehen, meine aber, dass es nach der bis ins Unreflektierte gehenden, geradezu selbstverständlichen Herrschaft der Abstraktion (in der Bedeutungsdefinition) bzw. des Typischen (in der Belegauswahl) an der Zeit sei, dem je Bestimmten, Verschiedenen, Singulären das Wort zu reden; die bisherige Praxis wird ohnehin weiterbestehen und deshalb ihre Berechtigung behalten, weil man natürlich auch von der anderen Seite, als hier geschehen, argumentieren kann. Im übrigen dient der folgende Abschnitt der Projizierung des Besonderen, wie es in der Bedeutungserläuterung herausgearbeitet wird, auf das Allgemeine. Damit sind die Strukturangaben von Wörterbuchartikeln angesprochen, die nach meinen Vorstellungen idealiter in einem eigenen Informationsblock, den ich den Strukturblock nenne, behandelt werden können. Es sei aber schon hier angedeutet, dass auch dessen Angaben unter die Vorgabe der Priorität des Einzelfalls vor der Abstraktion gestellt wird.
4.3
Zum Strukturblock
Lexikalische Einheiten (Lemmazeichen) haben systematisch mehrere Bedeutungen, was in der semasiologischen Grundanlage von Wörterbüchern zum Ausdruck kommt. Zu jeder dieser Bedeutungen, im folgenden teils Einzelbedeutungen, teils Bedeutungsansätze genannt, sind nun erstens bedeutungsverwandte Ausdrücke, (partielle) Synonyme, Sinnverwandte, wie immer man sagen will, nachweisbar. Die Gesamtheit solcher Ausdrücke wird üblicherweise als Wortfeld, Triersches Feld, onomasiologisches Feld oder onomasiologisches Paradigma bezeichnet. Zweitens kann jeder Ausdruck pro Einzelbedeutung(sansatz) in einem Gegensatz zu einem oder mehreren anderen Ausdrücken (ebenfalls pro Bedeutung), darunter Antonymen, stehen, so etwa arbeit 6 >Tätigkeit zum Erwerb des Lebensunterhaltes< zu feiern, laster, lust, müssiggang, rast, wolleben. Er steht drittens in einem linearen, also einem syntaktischen Zusammenhang, bescheidenheit 1 etwa im Zusammenhang mit gewinnen, verlieren und verleihen, so dass man aus den Belegen syntaktische Minimaleinheiten, sog. Syntagmen, der Art herauslösen kann wie: bescheidenheit gewinnen, verlieren, jm. bescheidenheit verleihen. Viertens kann sich jede Einzelbedeutung mit semantisch und syntaktisch passenden, in statu nascendi nicht oder höchstens ansatzweise lexikalisierten Wortbildungen verbinden, so dass sich zum Verb bescheiden in der Bedeutung 6, nämlich >(jm.) etw. erblich vermachen<, ein Wortbildungsfeld mit den Einheiten bescheid 6, bescheidküche, bescheidstube, bescheider, bescheidung 4 stellt (dazu Reichmann 2002). Eine fünfte Einheit des Strukturblocks bilden die Phraseme; bei aller Problematik ihrer Remotivierung lassen sie sich in vielen Fällen doch einer bestimmten Einzelbedeutung als teilmotiviert zuordnen, so dass sich etwa die Einheit mit worten einander bescheiden >einen Wortwechsel haben< am ehesten zum Verb bescheiden in Bedeutung 4 >etwas darlegen< stellt. Obwohl systematisch nicht zum Strukturblock gehörig, da pragmatischer Konvenienz, sollen als sechster Informationstyp noch die Symptomwertangaben genannt werden; sie haben (s. v. bescheidenheit 1) die Form: „Gehäuft Texte religiösen Inhalts; seit dem 16. Jahrhundert geringere Belegdichte“ (in anderen Fällen kann zusätzlich eine Raumangabe stehen). Alle Angaben entstammen dem FWB (Bd. 2, 36; 3, 1631ff.).
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Daraus ergibt sich für den Strukturblock folgende systematische Position und Form: Pro Ansatz einer Einzelbedeutung eines Lemmazeichens a wird ein Angabenbündel mit den Informationspositionen ‚bedeutungsverwandte Ausdrücke’, ‚Gegensatzwörter’, ‚Syntagmen’, ‚Wortbildungen’, ‚Phraseme’ und ‚Symptomwertangaben’ gestellt. Der Strukturblock hat seine Raison d’être in dem Faktum, dass jede lexikalische Einheit in sprachsystematischen, nämlich paradigmatischen, syntagmatischen, wortbildungsmorphologischen und phrasematischen, außerdem in pragmatischen Zusammenhängen steht. Er ist die beschreibungslogische Folge von Aussagen der Art, dass es in der Sprache keine Einheiten eigener Souveränität gibt, sondern nur in Abgrenzung zu oder im Zusammenspiel mit anderen, oder dass Sprache System sei bzw. System habe usw. Von welcher theoretischen Position aus man hier auch formuliert, streng systemlinguistisch oder eher pragmatisch, die Annahme der Systematizität der Sprache, ob als Systemsein oder Systemhaben verstanden, gilt generell. Daraus folgt mit absoluter logischer Konsequenz, dass der Strukturblock in allen Wörterbüchern in irgendeiner Weise vertreten sein sollte, idealiter kompakt, im Prinzip aber auch diffus, also in Verteilung über den Gesamtartikel. Das ganze Ausmaß dieser Forderung soll an dem Ineinandergreifen von semasiologischer und onomasiologischer Vernetzung des Wortschatzes, exemplifiziert werden. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass in analoger Weise auch die übrigen Vernetzungen behandelt werden könnten. Als Beispiel fungiert wieder das Lemmazeichen frnhd. bescheidenheit. Diesem Ausdruck werden im FWB neun Einzelbedeutungen zugeschrieben; jeder von ihnen wird ein eigenes onomasiologisches Feld zugeordnet, so dass sich für 9 Ansätze logischerweise 9 solcher Felder ergäben.10 Dass Feld für Ansatz 1 lautet: bekentns 3, erkantnis, kündekeit, redlichkeit, unterscheid, unterscheidung, vernunft, vernünftigkeit, versinnigkeit, verständnis, weisheit; für Ansatz 3 >Besonnenheit< steht: billigkeit, erkentnis, ermessen, fürsichtigkeit, glimpf, mas, rat, vernunft, verstand, vorbedenkung, zucht. Die Bedeutungsansätze finden sich in nebenstehender Abbildung in der linken, senkrechten Spalte in darstellungsbedingter Kürzung wieder. Die jedem der Ansätze als onomasiologisches Feld zugeordneten (partiell) synonymen Ausdrücke stehen in der Skizze rechts daneben in der zweiten Senkrechtspalte, allerdings – wiederum aus Darstellungsgründen – nur für die Bedeutungsansätze 1 bis 4 realisiert und außerdem gekürzt. Am unteren Bildrand der Skizze steht (in wagerechter Linie, unter der 2. Spalte) der entsprechende allgemeine Eintrag: „onomasiologische Felder“. Nun geht die Vernetzung aber weiter, denn jeder der in diesen Feldern genannten Ausdrücke kann seinerseits systematisch als polysem interpretiert werden; bekentnis als das zuoberst darin erscheinende Zeichen trägt dementsprechend denn auch einen Index, nämlich die Zahl 3, als Indikator der Einzelbedeutung. In der Skizze findet sich, nunmehr in der dritten Senkrechtspalte, die Gesamtheit dieser Bedeutungen als „semasiologische Felder“ wieder. Die Logik der weiteren Vernetzung verläuft im vorgetragenen Sinne weiter und dürfte vorhersehbar sein: Von einem einzigen Ausdruck ausgehend führt sie – im Bild von links nach rechts und fächerförmig – zu dessen (partiellen) Synonymen, von jedem einzelnen dieser Synonyme dann in ganzen Bündeln von Fächern zu deren (semasiologischen) Feldern, über diese wiederum zu – nun nochmals weiteren – (onomasiologischen) Fächer-
10
Bestimmte beschreibungspraktische Modifikationen bleiben hier außer Betracht.
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bündeln, bis man irgendwo nach weiteren Ausfächerungen eine vorläufige Grenze findet. Man wird diese dann aber über neue Vernetzungen wieder aufheben können und schließlich im Gesamtwortschatz landen, der seinerseits aber auch nicht so geschlossen ist, wie es manche Lehrbücher sagen. Man gelangt also in einen vielleicht nicht gerade infiniten, aber doch nur in seinen ersten Stufen nachvollziehbaren Regress, der – wenn man der Skizze wiederum von links nach rechts folgt – seiner Bedeutung halber nochmals etwas variiert formuliert werden soll: Jeder lexikalische Ausdruck hat systematisch mehrere Bedeutungen (1. Spalte), pro Bedeutung jeweils wieder mehrere Synonyme (2. Spalte), die ihrerseits wiederum mehrere Bedeutungen (3. Spalte) haben, pro deren Bedeutung wiederum mehrere Synonyme (4. Spalte), die wiederum mehrere Bedeutungen haben usw. 1. Spalte
2. Spalte
bescheidenheit 1. >Unterscheidungs-
Bdv. bekentnis 3
vermögen<
kündekeit erkantnis
3. Spalte
1. 2. 3.
>[...]< >[...]< >[...]<
4. Spalte
onomasiologische Felder
sin
fähigkeit<
vernunft wiz
3. >Besonnenheit<
billigkeit […]
4. >Bescheidenheit<
demut
semasiologisches Feld
semasiologisches Feld
[…] 2. >Zurechnungs-
odmutigkeit einfältigkeit [...] n. >...< onomasiologische Felder
Abb. 1: Das Ineinandergreifen von Semasiologie und Onomasiologie
Stellt man dies unter den Kulturalitätsaspekt dieses Artikels, dann bedeutet es, dass der Wortschatz höchstens für punktuelle Nachschlagezwecke ein Inventar von Einheiten mit schnell identifizierbaren, schnell nachschlagbaren und ebenso schnell einprägbaren Bedeutungen ist. Bereits durch das Ineinandergreifen semasiologischer und onomasiologischer Verfahren, sprachontologisch gesprochen: durch lexikinhärente Bedeutungs- und Bezeichnungsvernetzungen wird er zu einem gigantischen Systemoid je einmaliger und keineswegs wohlbestimmt voneinander abgegrenzter Einheiten, außerdem zu einem Systemoid je einmaliger und ebenfalls keineswegs wohlbestimmt voneinander abgegrenzter semasiologischer und onomasiologischer Felder, zu einem Systemoid, über das historische Welt zugänglich wird bzw. in dem sie überhaupt verfasst ist. Der damit vorausgesetzte innere Beziehungs-
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reichtum des Gegenstandes erfährt eine weitere Steigerung, wenn man sich realisiert, dass es auch noch die anderen oben genannten strukturellen Vernetzungen gibt, und dass diese pro Einheit spezifisch über Räume, Schichten, Gruppen, Textsorten, Sozialsituationen verteilt ist. Man kommt also an geschichtliche Inhalte nicht heran, indem man sich auf eine einzige lexikalische Ausdruckseinheit oder gar auf eine einzige Bedeutung dieser Einheit beschränkt, wie dies allzu oft geschieht. Die alte magnitudo rerum der Rhetorik ist ebenso offensichtlich wie die Fülle der Dimensionen, unter die die Beschreibung zu stellen ist. Sowohl für die Langue- wie für die Textlexikographie bedeutet das, dass sie in dem Maße hinter die Möglichkeiten des Faches zurückfällt, und zwar mindestens ins 19. Jahrhundert, in dem sie darauf verzichtet, die genannten Dimensionen der Vernetzung nicht nur als einzelne innerhalb weiterer Aufgaben, sondern geradezu als zentrales, in den Kern des Lexikons zielendes Anliegen zu verstehen. Von welcher Seite seine Bewältigung angegangen wird – z. B. von der Semasiologie oder Onomasiologie, der Syntax oder von wortbildungsmorphologischen Zusammenhänge her (so das Schweiz. Id.) –, ist dabei im Prinzip ebenso sekundär wie die Frage, in welchen beschreibungssprachlichen Formen dies erfolgt. Die Analyse der vorhandenen und der in Arbeit befindlichen Wörterbücher würde ein ganzes Arsenal von bewusst gehandhabten, eher aber noch von versteckten Mustern der Darstellung offenlegen können. Entscheidend in vorliegendem Zusammenhang ist, dass es im Redaktionssystem Felder gibt, die bei der Artikelbearbeitung pro Informationstyp systematisch zu füllen sind. Für den Benutzer bedeutet das Gesagte, dass er das Wörterbuch zwar weiterhin als wissensspeicherndes Nachschlagewerk betrachten und es mit punktuellen Fragen zu Rate ziehen kann, dass er sich aber bewusst zu werden hat, dass er es auch als grundlagenwissenschaftliches Forschungsinstrument für tiefergehende philologische und generell kulturgeschichtliche Anliegen benutzen kann, für Anliegen, die eher Interpretation als Faktenerkenntnis voraussetzen, die hermeneutische Relativierungen nicht als Schwäche betrachten, die alle Sicherheiten systematisch in ihren Bedingtheiten und mit ihren offenen Rändern sehen. Oben wurde angekündigt, dass alle Angaben des Strukturblockes unter der theoretischen Vorgabe der Priorität des Einzelfalles vor jeder wissenschaftlichen Generalisierung stehen sollten. Dies soll hier am Beispiel zweier Informationstypen des Strukturblocks erläutert werden, nämlich der Zusammenstellung der onomasiologischen Felder und der Anlage der Syntagmen. Zur Einstimmung sei aber zunächst noch einmal auf die Argumentationslinie hingewiesen: Mit Bezug auf die Bedeutungsbeschreibung wurde der normalsprachlichen Erläuterung der Vorzug vor der logischen Definition gegeben; mit Bezug auf die Belege wurde die Vorführung des Typischen durch die Darbietung von Einzelfällen ersetzt. Zieht man diese Linie durch, dann ergibt sich, dass die onomasiologischen Felder ebenfalls von den jeweils einzeltextspezifischen Befunden statt von vorgängigen systematischen Abgrenzungen her zusammengestellt werden sollten; ähnlich ergibt sich für die Syntagmen eine Darbietung, die von den Einzelbelegen ausgeht und die grammatische Regel in eine nachgeordnete Position manövriert. Beides ist näher zu beschreiben. Onomasiologische Felder in historischen Wörterbüchern können induktiv und methodisch einwandfrei nur aus den textlichen Zusammenhängen gewonnen werden, in denen ein Wortvorkommen steht. In der lexikographischen Einleitung zum FWB sind die wesentlichsten Einzelverfahren aufgelistet worden (Bd. 1, 127). Sie lauten dem Typ nach: „Immer dann, wenn Du in einem Text eine Mehrfachformel, eine Aufzählung, Isotopielinien usw.
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findest, kannst Du möglicherweise11 Deine Onomasiologie-Position füllen“. Nach diesem Verfahren finden sich in einem onomasiologischen Feld ausschließlich Einheiten, die man mit dem Finger an einer bestimmten Textstelle nachweisen kann, die damit die inhaltlichen Kategorisierungen von Quellentexten spiegeln. So erklärt sich etwa die Aufführung von gnade, antlas, freiheit; büberei, misbrauch unter ablas 6 (FWB 1, 206) in der Tat daraus, dass diese Einheiten in mindestens einem der weiter unten im Artikel zitierten Belege oder an mindestens einer der außerdem angegebenen Belegstellen nachgewiesen werden können. Auffällig für jeden heutigen Wörterbuchbenutzer ist dabei natürlich die Tatsache, dass auch büberei und misbrauch als Wörter genannt werden, die zu ablas ausgerechnet in einem religiösen Zusammenhang, nämlich in Bedeutung 6 >Nachlass oder Erlass von Sündenschuld und damit verbunden geglaubter Sündenstrafen [...]<, partiell synonym sein sollen. Dies ergibt sich aber schlicht und einfach daraus, dass sie aus den Belegen bzw. ihren unmittelbaren Zusammenhängen abgelesen werden können. Dass bei diesem Ablesen auch Interpretation im Spiel ist und dass diese sich im angezogenen Beispiel darin spiegelt, dass büberei und misbrauch von den vorher genannten drei Ausdrücken durch ein Semikolon (statt durch ein Komma) abgegrenzt werden, hebt nicht den unmittelbaren Belegstatus der strikt induktiv, nämlich aus jeweils einmaligen Teilen der Quellentexte gewonnenen onomasiologischen Felder auf. Diese sind damit keine Lexikographenprodukte in dem Sinne, dass sie deduktiv – und das wäre immerhin eine theoretische Alternative – von einem heute interessierenden, klar definierten Ausgangsbegriff her durch Suchoperationen aus dem Inventar eigener Bedeutungserläuterungen oder aus dem Inventar bereits vorhandener und vielleicht digitalisierter Wörterbücher zusammengestellt worden wären. Die sich bei der Artikelformulierung bei jedem Lexikographen immer wieder einstellende vage Erinnerung der Art: „Das hattest Du doch da und dort auch schon mal, mal sehen, ob sich das wiederfinden lässt“, oder gar das Verfahren: „Mal sehen, ob die digital vorliegenden Wörterbücher etwas haben, das semantisch in mein gerade zusammenzustellendes Feld passt“, mag zwar im Einzelfall einmal zur Anwendung kommen, ist aber methodisch für die Gewinnung onomasiologischer Felder nicht konstitutiv. Die damit dargelegte theoretische Grundlegung der onomasiologischen Felder, wie sie im FWB auch praktisch gehandhabt wird, sei hier zur Übernahme in andere historische Wörterbücher empfohlen. Im übrigen findet sie eine Verstärkung in der Möglichkeit, einzelbelegtextbasierte Wortfelder durch eine Liste ebenfalls einzelnen Textstellen entnommener bereichszugehöriger Wörter zu ergänzen. Eine solche Liste hat folgendes, wiederum unter ablas, und zwar den Positionen 5 und 6, belegtes Aussehen: ablas 5 nach der Position ‚onomasiologisches Feld’: „Bereichszugehörige Wörter: taufe, reue, beichte, leichnam, ölung“; unter ablas 6 an entsprechender Stelle der Artikelstruktur: busse, beichte, reue, pönitenzerei. Hier öffnet sich das onomasiologische Feld zum sog. Frame hin: leichnam, ölung (in Position 5) bzw. reue und beichte sind nicht bedeutungsverwandt mit ablas 5 bzw. 6, sie begegnen aber im gleichen textlichen Argumentationsrahmen sowie in den historischen Handlungszusammenhängen, auf die sich die Texte beziehen. Gegenläufig zu diesem Verfahren kommt im FWB aber auch die obige Alternative zur Anwendung. Es geht also um ein ganzes Bündel von theoretischen Überlegungen und praktischen Maßnahmen; 11
Auf die mit diesem Adverb angedeutete Bedingung kann in vorliegendem Zusammenhang nicht näher eingegangen werden; es geht im Kern darum, dass nicht alles, was man nach Verfahren der genannten Art findet, in das onomasiologische Feld übernommen werden kann.
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hier steht aus Raumgründen nur der Teil zur Debatte, der zusammenfassend als „Verpflichtung zur Textnähe“ gekennzeichnet werden soll. In der Textlexikographie stellen sich die Probleme und die Möglichkeiten der Behandlung der Onomasiologie-Position im Grund ähnlich wie in der Langue-Lexikographie. Die Praxis weist allerdings auf offensichtliche Unterschiede. Zwei davon sollen kurz angedeutet und belegt werden. Einmal setzen onomasiologische Felder in textlexikographischen Werken nach ihrer Gestaltung ein konsequent text- statt languebegründetes Synonymieverständnis voraus. Dies bedeutet, dass die Amplitude der (partiell) synonymen Ausdrücke, wie sie oben am Beispiel von büberei und misbrauch für ablas 6 mit einer gewissen Defensivhaltung diskutiert wurde, weiter gezogen wird als dort. So erscheint etwa leib 1 im Müntzer-Wörterbuch (Warnke1993, 197) als bedeutungsverwandt mit brot, wein 2 als bedeutungsverwandt mit blut 1 und brot 3; für sele werden abgrund 1 und grund 2 partiell synonym gesetzt. Die Begründung für diese auf den ersten Blick kühnen Entscheidungen ergeben sich aus der Bezugsetzung des Kreuzes- und Auferstehungsleibes Christi mit dem eucharistischen Brot (analog für dass Verhältnis von wein und blut) bzw. – für sele und abgrund – aus den Sprachbildern der Mystik. Für die Qualität des Christen, aufgrund der Erlösungstat Christi frei 2 im Sinne von >gerechtfertigt< zu sein, gebraucht M. Luther allein im Freiheitstraktat die (partiellen) Synonyme rechtfertig, gerecht 1–3, warhaftig, befriedet, frum 1–4, selig, heilig 1, lauterlich 1, ungefangen, ledig, rein (Lobenstein-Reichmann 1998, 82). Auch hier ergibt sich die Begründung nachweisbar aus der Textwelt: Aus einer einzigen Verwendung eines einzigen Ausdrucks erschließen sich Ausfächerungen in die gesamte Freiheitstheologie, wie sie von Luther konzipiert und zum Kern der Reformation wurde. Zum anderen verwischt die Handhabung onomasiologischer Informationspositionen in der Textlexikographie die Grenze zwischen eben diesen onomasiologischen Feldern, also Gruppen bedeutungsverwandter Wörter, und den Frames, also sozial üblichen Objektstrukturen bzw. objektbezogenen Datenorganisationen, oder hebt diese gar auf. Wenn dies immer12 so ist, dann könnte das natürlich auch heißen, dass es nicht anders geht, und dann wäre die linguistische Trennung etwas Künstliches, das es nur in der Wissenschaft gibt. Die Konsequenz würde dann lauten: Was etwas weiter oben unter dem Terminus „bereichszugehörige Wörter“ als Öffnung der Langue-Lexikographie zum Frame hin bereits erwähnt wurde, kann in der Textlexikographie geradezu in Richtung auf sprachliche wie in Sprache verfasste Wissenszusammenhänge ausgeweitet werden. Man erhielte dann eine Struktur, in deren semasiologische Basis an geeigneten, d. h. vom kulturpädagogischen Wollen des Lexikographen her bestimmten Stellen ein Integral von Synonymie- und Frameangaben eingehängt werden könnte. Auf diese Weise könnten als relevant erachtete Zusammenhänge beschrieben bzw. hergestellt werden, vor allem dann, wenn man die kumulative Onomasiologie durch eine distinktive (Hausmann 2000a und b) ersetzen würde. Das alte Kon-
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Jedenfalls war es bei J. Trier und in weitesten Teilen der Trier-Rezption schon so. Aber auch in anderen Wörterbüchern herrschen vergleichbare Vorannahmen. Wenn etwa im Vorwort zum Goethe-Wb. (1978, *8ff.) Goethes Wortwelt mit seiner Sach- und seiner Ideenwelt in Beziehung gesetzt wird und von der Sach- und Wirklichkeitsgemäßheit, dem Seinsgemäßen dieser Wortwelt die Rede ist, dann ist das eine Redeweise, die bei näherem Hinsehen Ähnliches meint wie obige Objekt- und Datenstrukturen.
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zept von Textwörterbüchern, nämlich ihre Konzentration auf das „Grund- und Wesenswort“, kann hier realisiert werden.13 Die Syntagmenposition kann ebenfalls auf zwei diametral entgegengesetzte Weisen begründet und entsprechend gefüllt werden. Eine erste ergibt sich implizit, und zwar als Gegensatz, aus der hier favorisierten zweiten. Diese besteht darin, dass eine Textstelle durch Reduktionsverfahren unterschiedlicher Art in Richtung auf eine semantisch aussagekräftige syntaktische Grundeinheit zusammengestrichen wird. Es handelt sich dabei nicht um ein genuin linguistisches Verfahren; es geht also nicht um Regeln der Art: „Streiche nur Angaben, keine Komplemente weg“, obwohl man überwiegend so vorgehen wird. Es handelt sich vielmehr um ein philologisches Verfahren, bei dem der Inhalt, die genaue Komplexität und Länge der gewünschten Einheit dem Ziel unterworfen wird, das der Lexikograph mit der jeweiligen Syntagmenangabe verfolgt. Das Ergebnis wird deshalb in languebezogenen Wörterbüchern auch anders aussehen als in textbezogenen. Hat man die gewünschten Grundeinheiten gewonnen, so werden sie nach einer gewissen Reihenfolge zusammengestellt und dem Wörterbuchbenutzer zur Information angeboten. Das Verfahren soll im Folgenden anhand der Belege, die das Mhd. Wb (Bd. 1, 331) zu dem Verb antwerten >übergeben< unter der Gliederungsposition 2 bietet, diskutiert werden; diese lautet: „mit Dat.d.P. und Akk.d.S. ‚jm. etw. übergeben, anvertrauen, zur Verfügung stellen’“. Die hier gebotene Reihenfolge richtet sich nach den Regeln des FWB; a. ist dabei die Abkürzung für das Lemmazeichen antwerten; 1 Beleg (BdN 4, 34) ist mir nicht durchsichtig und bleibt deshalb unberücksichtigt; alle Schreibungen sind ins Normalmittelhochdeutsche (genau gesprochen: nach Lexer) umgesetzt. Möglichkeit 1: j. jm. etw. (z. B. einen brief / schaden, ein ambachte / pfert, das land / rîche, die sêle / stat / veste, Vrîberg, die missehelle) a.; von dem a. (subst.; einer Burg) etw. (z. B. das recht) geergert / gebezzert werden. Diese Zusammenstellung ist syntaktisch zweifellos übersichtlich, indem sie die Satzgliedpositionen Subjekt (der Person: j. = jemand), Dativobjekt (der Person: jm.) und Akkusativobjekt (der Sache: etw.) angibt. Sie käme damit aber nur partiell über die Angabe des Artikels hinaus, der ja explizit einen Dativ der Person und einen Akkusativ der Sache ansetzt. Dass dabei das Subjekt der Person ausgespart wird, ist beschreibungspragmatisch bedingt und sinnvoll, denn in Verbindung mit der Bedeutungsangabe >jm. etw. übergeben, anvertrauen [...]< ist etwas Anderes kaum denkbar, es sei denn, es liege eine andere Bedeutung vor. Unter semantischem Aspekt ist die hier vorgenommene Zusammenstellung der Angabe im Mhd. Wb. überlegen, denn sie listet auf, was es alles ist, das jemand jemandem laut Quellentexten antwertet. Sie ist im übrigen auch insofern aufschlussreich, als sie schon beim ersten Überfliegen die Frage aufwirft, ob das antwerten einer veste, eines briefes, des rîches, der sêle oder einer Burg tatsächlich jeweils dasselbe sind. Ich stelle diese Frage deshalb, weil die Reduktion der Belege auf generische syntaktische Muster unbewusst zu einer Interferenz auf der Beschreibungsebene Anlass geben könnte, dass nämlich die Generizität des syntaktischen Musters in seine semantische Füllung hineingetragen wird; dann
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Erinnert sei an das ursprüngliche Programm des Goethe-Wörterbuches, vorwiegend die „Grundund Wesenswörter“ beschreiben zu wollen (1978, *8ff.)
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käme tendenziell eine sehr allgemeine Bedeutungserläuterung zustande. Diese Problematik erhöht sich immer dann, wenn in der Beschreibungssprache für die in Betracht kommenden Verhältnisse ein Ausdruck, hier also übergeben oder Übergabe, vorhanden ist, der sowohl für das Übergeben eines Briefes (also für >aushändigen<) wie eines Reiches oder einer Burg (in diesen beiden Fällen nicht >aushändigen<, bei rîch eher >überantworten<, bei der Burg eher >abtreten<, sofern die Belegschnitte eine Interpretation zulassen) wie der Seele (hier >anvertrauen<) gebraucht wird.14 Neben der Musterverschmelzung und diese wahrscheinlicher machend ist also die Verschmelzung der Sprachhorizonte im Spiel. Man weiß eben auch bei übergeben und Übergabe nicht, ob man sie sinnvoller als semantisch sehr allgemein (dann: 1 Bedeutung) oder als polysem (dann mehrere Bedeutungen) interpretieren soll; die Fälle solcher Horizontverschmelzungen in der Lexikographie sind Legion; sie können dies deshalb sein, weil sie nicht nur (wie hier betont) ein Problem bilden, sondern auch die Bedingung der Möglichkeit für historisches Verstehen sind. Mit all diesen Überlegungen unterstelle ich natürlich, ohne es beweisen zu können, dass die genannten Interferenzen bei expliziter Auflistung der Satzglieder weniger wahrscheinlich sind als bei einer Angabe syntaktischer Muster. Im Syntagma jm. die missehelle antwerten (>berichten<) oder jm. einen schaden antwerten (>erstatten, wiedergutmachen<) liegt jedenfalls eine andere Bedeutung vor als z. B. in jm. einen brief, ein pfert antwerten. Die Bearbeiter haben dies erkannt und belegen es dadurch, dass sie die semantische Differenz mittels einer in den Belegblock eingeschobenen Erläuterung, nämlich ‚jm. etw. vorlegen, berichten’, aufgefangen haben. Im übrigen ergeben sich Probleme dieser Art aus der Entscheidung, das syntaktische Verhalten statt die Semantik bei den Verben zum obersten Gliederungskriterium zu machen: Syntaktisches Muster und Semantik liegen in sehr vielen Fällen quer zueinander, wofür der Artikel antwerten ein treffliches Beispiel ist. Dieses Problem geht allerdings über das in vorliegendem Zusammenhang Diskutierte hinaus. Dennoch nutzt die obige erste Zusammenstellung nicht alle beschreibungssprachlichen Möglichkeiten; sie ist insofern unbefriedigend, weil sie nicht aufgliedert, wer es ist, der etwas übergibt, wem er etw. übergibt und vor allem: wer wem was übergibt. Schreibt man die Syntagmen in diesem Sinne um, dann ergäbe sich: Möglichkeit 2: j. jm. ein pfert, die stat / feste, das land / rîche, einen schaden a., j. dem künec einen brief, got die sêle, dem sun Vrîberg, dem Obmann die missehelle a., der bruoder jm. das ambachte a.; von dem a. (subst.; einer Burg) etw. (z. B. das recht) geergert / gebessert werden. Allerdings konnte auch in dieser Liste der semantischen Überlegung, dass es wichtig sein könnte zu wissen, wer wem was übergibt, nur partiell Rechnung getragen werden, und zwar deshalb, weil die Substantive, die hinter dem Pronomen jemand (Abkürzung: j.), in anderen Fällen hinter anderen Pronomina stehen, teils verdeckt bleiben (das ist aber meist eine ein-
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Diese Überlegungen bestätigen die oben (unter 4. 1) vertretene These der Ausdifferenzierung der Bedeutungserläuterung: Ich schlage für antwerten 2 (Teil 1) vor: >jm. etw. übergeben, aushändigen; abtreten; überantworten, anvertrauen<, wenn man nicht noch stärker aufgliedern will, tendenziell etwa: >jm. etw. übergeben<; im einzelnen je nach Subj. und Obj.: >jm. etw. (z. B. einen Brief) aushändigen; jm. etw. (z. B. eine Burg) abtreten, jm. etw. (z. B. das Reich, die Herrschaft) überantworten; jm. (Gott) etw. (die Seele) anvertrauen<.
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fach zu behebende technische Frage).15 Insgesamt ist die Liste 2 dennoch deutlich aufschlussreicher als die erste: Ihre Anlage tendiert in die Richtung, die an der gesamten Konstellation des Übergebens, Anvertrauens beteiligten bzw. implizierten Größen, also den je belegspezifischen Handlungsträger (wenn auch wegen der Pronomina in casu nur höchst partiell gefüllt), den jeweils Empfangenden und das jeweils Empfangene zu nennen, damit die Sozialhandlung mit einem historischem Kolorit auszugestalten, das in rein syntaktisch, etwa auf Satzbaupläne orientierten Angaben des oben zitierten Typs ausgeschlossen bleiben muss. Ich habe dies aber nicht vorgetragen, um einer mechanischen Befolgung beschreibungssprachlicher Regeln das Wort zu reden. Vielmehr wäre von Fall zu Fall zu prüfen, wie man die Skala von Gestaltungen, die zwischen der sehr allgemeinen syntaktischen Regel des Typs ‚mit Dat. d. P.’, der Syntagmennennung nach Möglichkeit 1 und nach Möglichkeit 2 liegen, nutzen könnte. Die Entscheidung kann durchaus einmal mehr in die eine, ein anderes Mal mehr in die andere Richtung fallen. Entscheidungssteuernd ist die zugrundeliegende Philosophie: Will man das Systemoid ‚Wortschatz’ im Wörterbuch, und zwar auch im Langue-Wörterbuch, auch hinsichtlich der Syntagmatik nicht der Herrschaft der Abstraktion unterwerfen, sondern im Muster immer wieder die Belege aufblitzen lassen, das syntaktische Verhalten des lexikalischen Inventars also vom Einzelvorkommen jeder Einheit pro Bedeutung her vorführen, dann wird man eher im Sinne von Syntagmenlisten argumentieren als beim umgekehrten Anliegen. Der Lexikograph hat hier erhebliche Variationsmöglichkeiten: Wenn Syntagmen unter allen, sowohl linguistischen wie philologischen wie kulturgeschichtlichen Aspekten nur Routine, nichts Verschiedenes, keine je bestimmte Weise bieten sollten, dann kann man stärker abstrahieren als in dem Fall, dass in einem Syntagma etwas Einmaliges aufscheint. Dennoch ist offensichtlich, dass Wörterbücher, deren Anliegen philologisch gesteuert ist, eher dem hier vorgeschlagenen Verfahren als der Angabe syntaktischer Regeln zuneigen müssten.
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Schluss
Vorliegender Artikel diskutiert eine lexikographische Philosophie: Ausgehend von meinem „lexikographischen Manifest“ wird der Wortschatz als Systemoid von Einheiten verstanden, in dem sich historische Realität spiegelt bzw. in dem historische Realität überhaupt verfasst ist. Lexikographie ist als die Wissenschaft, die das Systemoid beschreibt, eine linguistische Disziplin; sie rückt als Wissenschaft, die sich speziell auf das Verhältnis von Wortschatz und historischer Realität bezieht, in die Nähe zu allen Ausprägungen der Geschichtswissenschaft; insofern sie sich in den Dienst der Erkenntnis von Wirklichkeitsbildern einer Sprachgesellschaft, der Erkenntnis und Sicherung inhaltlicher Traditionen stellt, ist sie eine kulturpädagogische Disziplin; indem sie Wörter systematisch in ihrem Textzusammenhang sieht, ist sie eine mit der Philologie verwandte Disziplin. Wenn sie die Ansprüche, die von
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Vielleicht lässt sich im Mhd. Wb. eine Praxis einführen, Pronomina wie – in der Reihenfolge der Belege – man, mir, er, ich, im, dem durch eine in Klammern angefügte Angabe des Bezugswortes aussagekräftiger zu machen; vielleicht könnte man auch beschreibungssprachliche Einfügungen wie „Obmann“ und „Burg“ durch ihre mhd. Fassungen ersetzen).
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diesen Blickwinkeln aus an sie gestellt werden, erfüllen will, dann wird sie das Wechselspiel von System und Einzelfall als einen ihrer zentralen Gegenstände und als stets brennendes Problem anerkennen. Daraus ergibt sich, dass sie Stellung beziehen muss: Gestaltung von Wörterbuchartikeln einerseits unter der Herrschaft der Abstraktion und andererseits unter dem Anspruch des Einzelwortes, seiner Einzelbedeutungen, seiner jeweils einmaligen Vernetzungen, seiner jeweiligen Varianz in Zeit, Raum, Sozialität und unter dem Anspruch der textlichen Überlieferung. Im Artikel plädiere ich für dies Letztere, so wie ich dies auch in meiner eigenen Lexikographie praktisch zu vollziehen versuche. Anliegen der vorgetragenen Art haben, unabhängig davon, ob man ihnen zustimmt oder ihnen widerspricht, eine Reihe von Konsequenzen. Sie erfordern eine theoretische Offenlegung, wozu Wörterbucheinleitungen ein adäquater Ort sind. Sie erfordern des weiteren eine Bestimmung des Typs eines Wörterbuches, der Anzahl und der genauen Anlage der pro Typ einzuführenden Informationspositionen sowie von deren Zusammenspiel, das alles gezielt im Hinblick auf die theoretischen und ideologischen Vorgaben, unter die man sein Wörterbuch stellt. Überlegungen, wie sie sich aus dem Umfang des Wörterbuches, aus Zeitplanungen, aus der finanziellen Absicherung ergeben, wurden im Artikel nicht offengelegt, waren aber stets präsent. Meine Grundeinstellung lautet: Jedem Wörterbuch unterliegt eine Philosophie; seine Gestaltung ist von der Philosophie abhängig, nicht die Philosophie von Gestaltungszwängen.
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Literatur
6.1
Wörterbücher
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In Memory of Ladislav Zgusta
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Non-thematic Part Fredric (SF) Dolezal
In Memory of LADISLAV ZGUSTA, March 20, 1924 – April 27, 2007 Philosophus quidam vita quid olim interrogatus “nonnullae litteris repletae paginae” optime respondisse traditur. -- Fabula Archicliana
Many if not most of us who met LADISLAV ZGUSTA have many reasons to honor the man, whether for his command of many and diverse languages, the quality and quantity of his scholarship, or his prestigious academic achievements and awards. Those of us who knew him also profoundly appreciated his broad and deep intellectual acumen and acquisitiveness, his wisdom, his generous mentoring and support, and his unfailingly delightful curiosity. Perhaps he is best known to the readers of Lexicographica as co-editor of the annual and author of the Manual of Lexicography, a ground-breaking work in lexicography that grew from his experience as director of the Czech-Chinese dictionary (Prague), 1959–1967, and the Chinese-German Dictionary Project (Berlin), 1964–1970,1 and from his enduring interest in semantic theory. He is also a central figure in name studies and Indo-European historical linguistics and philology, and made important contributions to the history of linguistics, which he taught for years at the University of Illinois, Urbana-Champaign. He earned two doctoral degrees, one in Classical Philology and Indology, and another in the Philology of Ancient Asia Minor.2 Particularly important to his career were Professors RYBA (Classical Philology), SALAČ (Epigraphy), and LESNÝ (Indology). He was awarded the prize of the Czech Academy for his books, Die Personnennamen griechischer Stadte (1955), and Kleinasiatische Personnennamen (1964). Especially gratifying and well-earned was the Gold Medal of the Czech Academy of Sciences awarded to him in 1992 for his achievement in the humanities. ZGUSTA was a member of the Czech Academy of Sciences and the Austrian Academy of Sciences and a fellow of the American Academy of Arts and Sciences. He also was an honorary member of the American Name Society, a Fellow of the Dictionary Society of North America, and a member of the Presidial Board of the Indogermanische Gesellschaft. In 1977 and 1984 he held John Simon Guggenheim fellowships. He was also consultant to many lexicography projects around the world. He spent his academic career in Czechoslovakia at the Academy and University of Prague. He also held administrative positions in the Oriental Institute, including Headships of the Section of Linguistics and the Department of Lexicography. For the remainder of his career, beginning in 1970, he was Professor of Linguistics and the Classics at the University of Illinois, and also served there as Director of the Center for Advanced Studies from 1987–1995.
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Although you will not see his name on either of these major dictionaries because of the political atmosphere in Czechoslovakia at the time. Dissertations: “Lexicology of the Cypriot Dialect” (Prague University 1949), and “Personal Names of Asia Minor” (Prague Academy 1964). DOI 10.1515/lexi.2007.011
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LADISLAV ZGUSTA wrote eight books, edited or co-edited ten more, and wrote more than 140 papers, chapters and articles, as well as some 600 book reviews on Indo-European historical and comparative linguistics, onomastics, synchronic linguistics, history of linguistics, and lexicography.3 His Manual of Lexicography, published in 1971, is a classic work on the practice and theory of mono-lingual and bi-lingual lexicography. In fact, there are translated editions and some pirated editions that have been published over the past thirty or more years. He was an avid reader of ancient and modern literatures, well known for his comprehensive understanding of linguistic theories from PĀNI NI to the present. Not one to reinvent the wheel, a review article on some interpretations of the grammatical sutras of PĀNINI begins, “PĀNI NI’s Astādhyāyī is a monument of learning which deserves the minutest study and which should be widely known among linguists.” (ZGUSTA 1969, 404) For LADISLAV ZGUSTA it was not the Schools of Thought that captured his attention, but the thoughts themselves. We can not fully appreciate ZGUSTA the lexicographer without understanding his work in philology. Those of us in lexicography may not be aware, for instance, of his books on names of Asia Minor and the region. A work dear to his heart and one that gave him personal enjoyment was his “Lydian Interpretations”, a masterful analysis of Lydian inscriptions, which gave support for the hypothesis “for the assumption of the linguistic affinity of Lydian and Hittite.” (ZGUSTA 1955b) In a substantial review article found in the same journal volume, his “Conclusive Evidence in Historical Linguistics”, he questioned “laryngeal theory as a sort of panacea, a means to solve all phonological difficulties in IndoEuropean.” (ZGUSTA 1955a) The article still stands as a model of linguistic argumentation, marshalling of evidence, and adept application of theory in the service of scholarly disputation. It is one thing to proclaim the sheer quantity of scholarship found in ZGUSTA’s Rosary of woes, calamities and regrets: or the curriculum vitae of LADISLAV ZGUSTA (as he referred to his resumé), quite another to select a bead or two to read and ponder. Many of the works serve as primers of linguistic methodology and theory and provide a quite rewarding read: for example, in one issue of Archiv Orientálnì (1966) he wrote pithy reviews of the most recent books by NOAM CHOMSKY, JERROLD KATZ and PAUL POSTAL, EMMON BACH, MARTIN JOOS, JOSEPH GREENBERG, and CALVERT WATKINS. In his review of CHOMSKY, besides asking still pertinent questions of the mentalist agenda, or noting the amount of attention CHOMSKY gives “to the overlapping domains of syntax and semantics”, ZGUSTA offers this consideration: “One of the pleasant features of the book … is that it discusses many ideas and approaches which belong to the general linguistic tradition and which were neglected, for some time, at least in different parts of the world, … with great reverence and with great profit.” (ZGUSTA 1966, 669) Of most interest to the readers of this series will be the development of his ideas in the realm of lexicography and lexicology. When ZGUSTA began publishing on lexicographical practice and theory, there were few works available on any of these topics. There was really no guide for hands-on discussions of the construction of entries and solutions to problems 3
Comprehensive bibliographies of his work in Czech, German, Latin, Spanish, French and English and sketches of his life can be found in HEŘMANOVA 1994; KACHRU and KAHANE 1995; HOCK 1997; and ZGUSTA (eds. DOLEZAL and CREAMER) 2006.
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of presentation of meanings and forms for dictionary users. His article “Some problems of a Czech-Chinese Dictionary” (1962),4 the precursor to the Manual of Lexicography, stands as a seminal work in lexicography. Another seminal article, “Studies in Ossetic Onomasiology” (ZGUSTA 1967), bears testimony to the multifaceted scholarship of LADISLAV ZGUSTA, especially how he brings the various sub-disciplines of linguistic analysis together to consider a topic of great interest to the related domains of lexicography and lexicology. Much work has been done in the forty years between us and the publication of this article, and terminology has changed somewhat. Nonetheless, we can still read this text with great profit. He begins by “modify[ing] slightly an older term … onomasiology.” The modification consists above all in the conception of onomasiology as dealing with the whole lexicon, and with all the lexical means of a language. In the majority of cases, onomasiology is taken as the counterpart of semasiology, of semantics: the latter is conceived as investigating the meaning of the single lexical units, say, words; this can be expressed as the ‘way from the words to the concepts’. In this conceptualization, onomasiology is, then, the ‘way from the concepts to the words’ … [ZGUSTA’s broader conception claims] that onomasiology can and must also deal with lexical units the function of which is not designative (interjections, functional and grammatical operators, etc). (410)
Furthermore, we are given a detailed and illuminating discourse on the development of Ossetic and its orthography from the 19th century onwards, with special attention to “after the revolution.” There is also descriptive commentary on dictionaries of Ossetic. We also see the development of ZGUSTA’s thinking on topics such as the development and genesis of standard languages. He concludes by noting how Ossetic has developed a storehouse of lexical items enabling the language to “serve as the means of communication on the complex topics of modern civilization.” Living in Prague from his birth until his emigration, the life and times of LADISLAV ZGUSTA might easily be narrated as a saga of fierce determination in the face of a series of personal calamities and triumphs, a stirring story of one man’s resilience in the face of some of the worst human behavior of the 20th century. LADISLAV ZGUSTA was a survivor. He survived the fascist invasion of the Czech Republic by the Wehrmacht and the Gestapo. He survived the totalitarian regimes of the Bolsheviks, Stalinists, and the Kruschevites, and he survived the 1968 Brezhnevite suppression of the Prague Spring. Through ingenuity, good fortune, and a plan prepared in league with his wife OLGA ZGUSTA and their children, Richard and Monika, he found a way in 1969 to make a fantastic journey, including an elephant ride, to his new found land, his American home, by way of Rome, Cairo, Bombay, and Delhi.5 LADISLAV ZGUSTA made his way finally to Urbana, Illinois where he happily spent the rest of his career. He remained especially grateful to BRAJ KACHRU and HENRY KAHANE of the University of Illinois: KACHRU for his assistance and encouragement in gaining a professorship in Linguistics and the Classics, and KAHANE for his friendship and support.
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With Sinologist co-authors P. KRATOCHVÍL, Z. NOVOTNÁ, and D. ŠTOVIČKOVÁ; see also ZGUSTA 2006, 297–318. GORDON FAIRBANKS, ERIC HAMP, and WINIFRED LEHMANN helped him get visas for entry into the United States.
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I first met ZGUSTA in 1973 as a graduate student in his history of linguistics course which was required for all students entering the department. The course was legendary among a generation of graduate students who were mostly committed to the latest turn of the generativist wheel. Students perhaps took more notes on the wit and wisdom of ZGUSTA than on the history of linguistics. His turns of English phrases and his use of archaic words greatly amused us. We would repeat and imitate them (a favorite for a time was his standard expression “reeoole of thoome” in the course of explaining this or that method of analysis). Most memorable was ZGUSTA’s own enjoyment of speaking in tongues, as it seemed to the linguistically illiterate, in front of a group of students who would in half-fright, half-awe attempt to appear intelligent as he quoted PĀNI NI in Sanskrit or DIONYSIUS THRAX in Greek. He would look at us, and in a joyful, self-aware way he would laugh and say, “Oh, some of you do not know the Sanskrit; I will translate!” And then, of course, the same with the Greek, or Hittite even. Later, when he became my dissertation director, I told him that I wanted to learn Sanskrit. He waved his hand and said, “Save it for your senility! Do not lose time on it now.” And when the deadline approached for meeting a requirement to continue the Ph.D. program, he humorously admonished me with one of his re-worked English idioms, “Dear young sir, you are under the pistol point.” Those that did dare challenge an English usage of his would find themselves challenged in return with a rejoinder such as, “You will find it in MACAULAY!” All his erudition, his knowledge of ancient languages and literature, was leavened by his just as avid interest in popular culture. He told me that he learned English by reading pulp fiction, and that he was especially fond of EDGAR RICE BURROUGH’s Tarzan of the Apes. I especially valued his close readings of and commentaries on my work. His comments had as their primary focus my goals and aspirations, and his critique was always insightful, trenchant, and immediately beneficial. Because of this, and his depth of knowledge in linguistic theory and methodology, he sat on many dissertation committees, whether in syntax, phonology, historical linguistics or sociolinguistics. His colleagues in linguistics also benefited from his readings of their own work in linguistic theory. LADISLAV ZGUSTA had a full and masterful command of the linguistic vocabulary of all the major and minor schools and factions. He was well known for asking pertinent and illuminating questions. On the conference circuit, in particular, his penetrating response to the work of others often made one realize that perhaps the topic under discussion deserved further investigation. Though never slow to offer advice, he was always quick to punctuate it with: “But that is only a suggestion!” And he meant it. This is not to say that he did not have strong personal opinions on people and their ideas. In private he would sometimes make a less than complimentary critique of an idea, institution, or person. He would, however, never fail to add (while raising an index finger): “But you can never say this!” What we will remember most about the man is his camaraderie, his personal warmth, his grace, and his light-hearted irreverence. With the passing of LADISLAV ZGUSTA we have not only lost a veritable library of knowledge, but also some very penetrating and sometimes hilarious anecdotes about linguistics, lexicography, and the people who populate these domains. We who spent some time with him can never forget his humor and wit. Quick with a laugh and quicker with a pun, we can still hear the glee in his voice.
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References HEŘMANOVA, ZDENKA (1994): “Best Wishes to Professor Ladislav Zgusta.” Archiv Orientálnì 62: 169–171. HOCK, HANS HENRICH, Ed. (1997): Historical, Indo-European, and Lexicographical Studies. A Festschrift for LADISLAV ZGUSTA on the Occasion of his 70th Birthday. Trends in Linguistics. Studies and Monographs. Berlin and New York, Mouton de Gruyter. KACHRU, BRAJ B. and HENRY KAHANE, Eds. (1995): Cultures, Ideologies, and the Dictionary. Studies in Honor of LADISLAV ZGUSTA. Lexicographica. Series Maior. Tübingen, Max Niemeyer Verlag. KRATOCHVÍL, PAUL, ZDENKA NOVOTNÁ, DANA ŠTOVIČKOVÁ, LADISLAV ZGUSTA (1962): “Some Problems of a Czech-Chinese Dictionary.” Archiv Orientálnì 30: 258–313. ZGUSTA, LADISLAV (1955a): “Conclusive Evidence in Historical Linguistics (In Margine of Lehmann’s Proto-Indo-European Phonology).” Archiv Orientálnì 23: 184–204. ZGUSTA, LADISLAV (1955b): “Lydian Interpretations.” Archiv Orientálnì 23: 510–544. ZGUSTA, LADISLAV (1966): “NOAM CHOMSKY, Aspects of the Theory of Syntax.” Archiv Orientálnì 34: 667–670. ZGUSTA, LADISLAV (1967): “Studies in Ossetic Onomasiology.” Archiv Orientálnì 35: 407–451. ZGUSTA, LADISLAV (1969): “ PĀNI NI -- Descriptivist or Transformationalist: In margine of two recent publications.” Archiv Orientálnì 37: 404–415. ZGUSTA, LADISLAV; Edited by FREDRIC. S. F. DOLEZAL and THOMAS B. I. CREAMER (2006): Lexicography Then and Now. Selected Essays. Tübingen, Max Niemeyer Verlag.
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The Access Process in Dictionaries for Fixed Expressions
Henning Bergenholtz and Rufus Gouws
The Access Process in Dictionaries for Fixed Expressions
1 2 2.1 2.2 3
4.2 4.2.1
Introduction Dictionaries as tolls What users expect A functional approach Access structures, access and accessibility Access structures in some existing printed dictionaries dealing with fixed expressions Dictionaries of fixed expressions Traditional methods
1
Introduction
4
4.2.1.1 Monoaccessible dictionaries 4.2.1.2 Polyaccessible dictionaries 4.2.1.2.1 A complicated central list and less complicated index 4.2.1.2.2 A less complicated central list and a different type of index 5 Access structures in some existing electronic dictionaries dealing with fixed expression 6 Future possibilities – from contemplative to transformative
In the book review column of an Afrikaans newspaper Susan, the personal assistant of the CEO of a South African company, finds the phrase ‘ons probeer maar matigheid voor oë hou’ (we are trying to keep moderateness in mind, literally ‘we are trying to keep moderateness in front of our eyes’.) Albeit that she is a mother-tongue speaker of Afrikaans she does not know the exact meaning of ‘voor oë hou’. Susan realises that she has heard the expression before but would like to ascertain its meaning. How and where does Susan get an answer? Her search route to the eventual answer immediately starts by applying criteria for the search – this is done by means of excluding some possibilities and embarking on others. She decides neither to call her good friend Mary, a professor in linguistics, nor her high school daughter Jane but to consult a dictionary. But the question is in which dictionary and where in that particular dictionary will she find the answer. Her valid guess is that she is dealing with a fixed expression, and being a regular user of dictionaries she knows a typical way to treat fixed expressions in general dictionaries is to include them, usually within a separate text block, within the article of a word taken from the fixed expression. But she does not know exactly how to determine where the fixed expression will be accommodated. She does not know it but an expression like voor oë hou always takes an object and the expression Iets voor oë hou will typically be treated in the article of a lemma representing one of the words from that fixed expression. As seen in the review the object is not fixed and iets (something) or the object she encountered in the actual occurrence of the expression will not be the word guiding her to the relevant lemma. The word according to which the expression will be included in a dictionary is the ‘guiding element’ that identifies the article which is the venue for the presentation and treatment of the specific fixed expression. But before consulting the dictionary she needs a ‘search string’, that is one or more DOI 10.1515/lexi.2007.012
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words from the expression that will help her to find the expression in the given dictionary. Having used internet dictionaries before, she knows that the ‘search process’ can be enhanced by entering a search string consisting of more than one word. Hoping to find an appropriate Afrikaans internet dictionary she goes to google and enters the full fixed expression as a search string but without finding a single hit. Consequently she has to turn to a paper dictionary where she knows the search process is much more cumbersome and that the search string usually consists of only one word, which is included in the dictionary as a lemma and which functions as guiding element to the expression included in the article of that lemma. Susan consults the HAT, that is the VERKLARENDE HANDWOORDEBOEK VAN DIE AFRIKAANSE TAAL, a general language monolingual Afrikaans dictionary. Susan consequently consults the users’ guidelines text in the front matter section of the HAT (what an exemplary dictionary user Susan turns out to be!), which confirms that fixed expressions are included in the article of a lemma representing a core word from that expression. She also learns that fixed expressions are grouped together in a single article slot preceded by the structural marker ‘UITDR.’ (abbreviation for uitdrukking ‘expression’). If a fixed expression contains a noun the first noun in the expression is selected as the core word and the lemma representing that core word becomes the guiding element on the ‘search route’ towards the expression. Where more than one fixed expression is included in this article slot they are ordered according to the alphabetical value of another word in the fixed expression – printed in bold italics. The users’ guide of HAT gives ‘search criteria’ for the selection of this word, the secondary guiding element; once again according to its part of speech. Now Susan knows she has to select a search string from the fixed expression and find the lemma representing that core word chosen as search string, that is the guiding element indicating to her in which article she will find the fixed expression. Access to a given expression goes via the outer access structure of the dictionary to reach a lemma representing a core word from the expression. This core word coincides with the search string and functions as guiding element. Within the article the inner access structure realises a search route on which the structural marker “UITDR.” signals the relevant article slot for fixed expressions. From an access perspective such a marker does help, especially the knowledgeable dictionary user, because it clearly indicates the beginning of the relevant search area. The incidental dictionary user may not be familiar with the abbreviation and non-regular users of a specific dictionary often fail to remember the information retrieved from the users’ guide. It could be a good thing to include a note containing the regular structural indicators and the areas they indicate in a footer on each page. Lexicograpers could consider the use of more non-typographical structural indicators, e.g. “●” and “■”, to mark different search areas – HAT does use the upsidedown triangle to indicate citations. Moving into the article slot for fixed expressions, the relevant expression is located by means of an alphabetical ordering of the fixed expressions according to the alphabetical value of a single word, the secondary guiding element, from the fixed expression. Not being a linguist it does not concern her that the procedure to include fixed expressions within the article of a word taken from that fixed expression eschews the status of fixed expressions as fully fledged lexical items. Important to her is that the dictionary must be consistent in its presentation and treatment of fixed expressions and, if you are familiar with the system, the access route to a given fixed expression must be predictable. She also realises that even when you are familiar with the system used in HAT it remains a complicated access process – a process which poses many problems to the incidental user of this dictionary.
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In the given expression the word oë (‘eyes’) is the plural of oog (‘eye’). To reach the fixed expression Susan has to select the word oë as initial search string. However, in HAT words are not lemmatised in their plural forms and she has to realise that the fixed expression will be in the article that has the singular form of the selected word as lemma. Consequently the search string changes to the word oog. Getting to this point demands a phase in the access process not yet discussed in the literature – the pre-consultation non-printed cognitive access phase. The ‘access process’ Susan has to negotiate already starts before opening a dictionary. During the pre-consultation phase of the access process a search string has to be selected and a decision has to be made regarding the guiding element within the dictionary. Then the user has to determine the lemma heading the article where the given fixed expression should be accommodated. Having reached the decision that the specific expression should be included in the article of the lemma oog Susan can proceed via the ordinary outer access structure – moving to the article stretch where the letter ‘O’ prevails and following the running heads at the top of the pages until she reaches the page with onwillekeurig/oogkontak as running heads. Now she knows the lemma oog will be on that page and she can move to the relevant lemma sign from where the inner search route will guide her to the structural indicator ‘UITDR.’ which signals the beginning of the search area where fixed expressions are to be found. Access to the required fixed expression within this search area is determined by a search area internal access structure – a further level within the inner access structure of the given dictionary. Another word in the fixed expression is selected and its alphabetical value determines the position of the fixed expression within this search area. In this fixed expression the word hou (‘keep’) has this function. As secondary treatment units in the dictionary article all fixed expressions presented in the relevant search area are given in italics – a rapid access within the search area to distinguish expressions from their explanations. By giving the ordering word, i.e. the secondary guiding element, in both italics and bold a further rapid access guides the user to the different fixed expressions. After a long and difficult endeavour Susan finds the expression and the dictionary confirms the meaning she had in mind and satisfies her text reception needs, albeit that the search route to the required data has not been that accessible. This illustration of some of the phases to be considered in trying to find the Afrikaans fixed expression iets voor oë hou in the HAT gives an indication of the multi-layered nature of the access attempts which a user needs to perform in order to retrieve fixed expressions from a dictionary and also of the difficulty to find a fixed expression in this dictionary. A stretch of Susan’s search route can be traced in the following part of the article of the lemma sign oog (‘eye’) in HAT: oog (oë; ogie) 1 Elk van die organe waarmee gesien word, waarmee mens of dier kyk; gesigsorgaan: ’n Nooi met mooi bruin oë. Sommige insekte het saamgestelde oë. Die kleur, appel van die oog. Die haat, liefde in iemand se oë sien. ∇Jou oë is nat van die trane van gister (C.L. Leipoldt). Blou oë waarin die hemel woon (A.G. Visser). So ver as die oog reik, so ver mens kan sien. Met jou oë iets soek, probeer om dit raak te sien. Met die blote oog lees, sonder bril, vergrootglas. 2 Iets wat soos ’n oog lyk of aan ’n oog laat dink: Die oog van ’n naald. Hakies en ogies gebruik aan ’n kledingstuk. Die oog van ’n fontein, stroom, rivier, plek waar dit ontstaan, bv. ∇(U)it dieselfde oog (borrel tog nie) vars en bitter water (op nie) (Jak. 3:11). Oog van ’n aartappel, loot, waar dit uitloop. 3 Uiterlik: Hierdie tuin maak ’n (mooi) oog. 4 (nie alg.; geselst.) Kroeg: Heeldag in die oog deurbring. 5 Middelpunt van ’n sikloon e.d. UITDR.: Oë van agter en van voor hê, jou
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niks laat ontgaan nie, alles opmerk. Onder die oog bring, die aandag daarop vestig. Iemand die dood voor oë hou, met ’n swaar straf bedreig. ’n Doring in die oog, iets hinderlik, ergerliks. Met my eie oë iets gesien het, dit self gesien, ondervind, beleef het. Jou oë nie kan glo nie, baie verwonderd wees oor iets omdat jy dit as onmoontlik beskou het. Uit die oog, uit die hart, weg, en daardeur vergete – gesê van oppervlakkige liefde. Op die oog hê, bedoel, meen bv. ek wonder wat hy op die oog het met sulke opmerkings. Die oog wil ook iets hê, mooiheid is darem ook wenslik – gesê bv. as dit gaan om keuse van ’n huweliksmaat. Die oog hou op, sorg vir, bewaak, bv. hou tog jou oog op die kleingoed. In die oog hou, daar gedurig op let; altyd rekening hou met. Iets voor oë hou, in gedagte hou. Iemand se oë oopmaak vir iets, iets waarvan hy niks geweet het nie, onder sy aandag bring. Die oog op iets hê, na iets uitkyk, iets wil hê, bv. ek het al lankal my oog op daardie stuk grond. Geen oog vir iets hê, die mooiheid of waarde van iets nie raaksien nie. Oë knip vir iemand, ’n ooglid beweeg as teken aan iemand, bv. om sy aandag te trek, om medepligtigheid aan te dui. Geen oë in jou kop hê nie, niks raaksien nie. Jou die oë uit die kop skaam, jou sigbaar skaam, so skaam wees dat jy niemand kan aankyk nie. .......
This paper emphasises the fact that lexicographers should be well aware of the search process needed by a user to reach any specific data type. Dictionaries should be planned to ensure clearly marked search routes that will give the users access to the data they need. The focus in this article will be on one type of lexicographic activity, that is the search route and the access to data. The notion of an access process is introduced which includes the access structure as one of its components. Although some general comments will be made regarding access and accessibility the discussion will primarily be directed at fixed expressions as a data type and dictionaries dealing with fixed expressions. The term ‘fixed expression’ should be understood to include idioms, proverbs and even collocations. The attention will be on both printed and electronic dictionaries. Although there are some differences between these two lexicographic modes it is important to apply the same theoretical approach to the discussion of both.
2
Dictionaries as tools
2.1
What users expect
The dictionary article taken from HAT, partially quoted above, is quite a deal longer and includes a number of additional entries in the slot for fixed expressions. But would it have helped Susan? If we believe a linguist dealing with lexicography, it would. She sees an ideal dictionary as one giving as much lexicographical data as possible and in the end much more than the user wants to get: ‘I will be shamelessly selfish and ask for the impossible. I will advocate for a dictionary that will always adapt to my needs and always be ready to provide me with exactly the answer that I need and will also agree with. I also expect the dictionary to be able to give me satisfactory answers to those questions that I forget to ask.’ (VARANTOLA 2002, 31) This represents an approach that a dictionary should be everything to everybody. It is a valid approach for someone consulting a dictionary as a treasure house of the language and
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who wants to get as much information as possible. It is also a valid approach for the lexicographer who has to present a broad-based treatment for a broad-based user group with divergent needs. For a user who wants to learn as much as possible about the word oog (‘eye’) the given article from HAT will suffice; but not for Susan. She needs help for a specific reception problem and needs access to the relevant data as quickly as possible. For Susan’s need during this specific dictionary consultation process the ideal dictionary would have had only one item in the article of oog, the item Susan was looking for. That would have resulted in an optimal access to the required data. You cannot make a printed dictionary for one person, of course, but it is possible to have an electronic dictionary that gives you rapid access to the specific data required during a specific consultation process. Every time this will give the user the feeling that the dictionary has been tailor-made for a specific search. Using such a dictionary Susan could have entered her search string, and the search route in the electronic dictionary could have guided her to the exact fixed expression and its treatment. But even for printed dictionaries it must be possible to present the lexicographic data in such a way that a rapid and unimpeded search route can lead the user to the desired entry. Also with regard to the access process new developments and new concepts are needed, but in our opinion lexicography will not necessarily find these new concepts by merely analysing existing dictionaries, although too many scholars restrict their research to such efforts. We are not convinced that this contemplative method will lead to really new concepts. If successful, it typically leads to improvements and changes that can often be regarded as only of a cosmetic nature, cf. TARP (2002). Innovative changes result from transformative efforts, ensuring proposals for new dictionary concepts which may or may not be similar to established concepts in existing dictionaries.
2.2
A functional approach
For both printed and electronic dictionaries, for the present as well as the future, we can distinguish between mono-, bi- and polylingual dictionaries. But this typology as well as the distinction between linguistic dictionaries and encyclopaedia is not really interesting from a functionalistic view. There are other, more interesting, classifications: ‘More original typologies are undoubtedly imaginable, for instance one that would be based on the functions of dictionaries and/or on the different types of organization of addresses (that is, types of organization of access to information).’ (HAUSMANN et al. 1989, xix) A typology with different access possibilities does not interest us at this stage because the purpose of such a classification is not clear to us. However, interesting and at the centre of both contemplative and transformative lexicography is the function related typology. Proposals in this regard have been made in BERGENHOLTZ/KAUFMANN (1997,110), based on the modern theory of functions, cf. TARP (1994). It distinguishes between reference books needed to solve problems of a text-dependent and a text-independent nature. A further distinction is made between problems resulting from reception, production and translation on the one hand and knowledge acquisition on the other hand, today rather referred to as communicative and cognitive functions (BERGENHOLTZ/TARP 2003).
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In the first instance one experiences problems with a part of a text which you do not understand properly or cannot produce or translate in an unproblematic way. In the second instance you have a general need for new knowledge, either specific knowledge regarding a specific expression or contents or more general knowledge regarding a specific topic. On the basis of these needs, the lexicographers can determine which kind of data to prepare and incorporate in the dictionary in order to assist each specific type of user in each type of usage situation. When the lexicographers have established the user group and its specific characteristics, the types of usage situations and the specific user needs related to these situations, they can proceed to determine what are referred to as ‘lexicographical functions.’ The lexicographic function of a given dictionary is to provide assistance to a specific user group with specific characteristics in order to cover the complex of needs that arise in a specific type of usage situation. A dictionary can have one or more functions, that is it can be mono- or multifunctional. As any other utility product, dictionaries also have a ‘genuine purpose’, which is made up of the totality of functions of a dictionary and the subject field(s) that it covers. Consequently, lexicographic functions may be subdivided into communicative and cognitive functions corresponding to the respective main types of usage situations. The most important types of communicative functions are: – to assist the users in solving problems related to text reception in the native language; – to assist the users in solving problems related to production of texts in the native language; – to assist the users in solving problems related to text reception in a foreign language; – to assist the users in solving problems related to production of texts in a foreign language; – to assist the users in solving problems related to translation of texts from the native language into a foreign language; and – to assist the users in solving problems related to translation of texts from a foreign language into the native language. The most important types of cognitive functions are: – to provide general cultural and encyclopaedic information to the users; – to provide special information about the subject field to the users; and – to provide information about the language to the users. This is a general description of functions that can be applied without problems to the functions of dictionaries dealing with fixed expressions. For cognitive functions it is important to distinguish between a comprehensive knowledge of a fixed expression, including etymology, a general knowledge of fixed expressions of a certain type and general knowledge of all types of fixed expressions. It should also be accepted that the lexicographer may not expect the user to know the difference between collocation, idiom and proverb. To emphasise this: the log file analysis of THE DANISH IDIOM DICTIONARY shows that 29,6% of the users do not find an answer to their search questions with the help of a search string because they were searching for a proverb or a collocation (BERGENHOLTZ/JOHNSEN 2005). A well-planned dictionary should also negotiate this fact – which should not come as a surprise because even linguists fail to find a common definition for idioms. This implies that the user needs search possibilities in dictionaries that do not demand this knowledge as a prerequisite. The typical classifica-
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tion of dictionaries for collocations, idioms and proverbs presupposes such knowledge and compels the user to consult different dictionaries.
3
Access structures, access and accessibility
As seen in the case of Susan, successful dictionary use is co-determined by successful access to the required data. In spite of the extreme importance of the access process in lexicography it is distressing to note that research regarding access has led to relatively few publications focusing on this important aspect of lexicography. HAUSMANN/WIEGAND (1989:337) present one of the first detailed discussions of the access structure of monolingual dictionaries. WIEGAND (1989a:393–405) focuses on aspects of the relation between macrostructures and access structures. BERGENHOLTZ/TARP (1995:16) give a brief definition of the term access structure, followed later (1995:219–224) by a much more comprehensive discussion. Publications like GOUWS (2001), STARK (2001) and GOUWS/PRINSLOO (2005) have also paid attention to various aspects of the access structure. When it comes to dictionaries dealing with fixed expressions, it is clear that the search routes needed to reach a desired entry are often more complex than is the case in general dictionaries. The current lexicographic practice shows an increasing availability of dictionaries dealing with fixed expressions. As can be expected, theoretical lexicographers also pay attention to this field of lexicography. Unfortunately advances in theoretical lexicography are characterised by the scant and often total lack of attention given to aspects regarding the access of these dictionaries. The INTERNATIONAL JOURNAL OF LEXICOGRAPHY (Volume 19.4, December 2006) had ‘Corpus-based studies of German idioms and light verbs’ as special issue of the volume. Unfortunately the access has been eschewed in the contributions by FELLBAUM et al. (2006), HÜMMER/STATHI (2006), KRAMER (2006), STRANTCHEVA (2006), GEHWEILER (2006), HANKS et al. (2006) and KWASNIAK (2006). Access to the required data in a dictionary article is achieved by means of the search route a user has to follow. The access process which contains both the pre-consultation phase and the search route within a given dictionary realises the formal access structure. The search route a user follows can be divided into two components, that is the outer and the inner search route, cf. HAUSMANN/WIEGAND (1989:338). The outer access structure determines the outer search path. The outer access structure is constituted by those indicators starting on the dictionary cover and directing the user to the individual articles, cf. BERGENHOLTZ/TARP (1995:16), whereas the inner access structure, determining the inner search route, is the string of article positions, cf. HAUSMANN/WIEGAND (1989:338), or the arrangement of indicators (BERGENHOLTZ/TARP, 1995:16), directing the user within the article to reach the required data entry. With dictionaries being reference sources directed at the needs of specific users it is important that these users should be guided to the required data that prompted the dictionary consultation procedure as rapidly as possible. BERGENHOLTZ/TARP (1995:220 ff) give an explicit and detailed account of the search route a user follows to reach a desired entry. The outer access structure typically starts on the spine of the dictionary. This is especially relevant in multivolume dictionaries where the inscriptions on the spine indicate the extent of the article stretches presented in the
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specific volume. Within the relevant volume of a dictionary the table of contents may guide the user to the desired text or section of a text. Different colours at the top or bottom of a page may also indicate the start of a new component in a dictionary. A rapid access can be obtained by means of a thumb index guiding the user to the appropriate article stretch or outer text. Within the central list of a dictionary running heads, usually indicating the first and the last word given as lemma signs on a specific page, help to speed up the access to a given lemma. The lemma as guiding element of a dictionary article is the final destination of the outer search route. The inner access structure determines the inner search route, guiding a user within the dictionary article to the different search zones which contain the data on offer. A friendly search route will display clearly identifiable indicators to mark the different article positions constituting the inner access structure. Two types of indicators can be distinguished, namely typographical and non-typographical indicators, cf. WIEGAND (1989b:428). Typographical indicators like roman, bold, italic, etc. give a clear identification of a given search area whereas non-typographical indicators like an asterisk, triangle, line break, etc. are typically used to mark the beginning of a given search area. Accessibility remains an important feature of any dictionary and during the early planning phases of a new dictionary lexicographers should decide on the best possible ways to enhance the accessibility of the envisaged dictionary. In the planning of printed dictionaries the distinction between the outer and inner access structures are always relevant. When using electronic dictionaries a rapid outer access usually leads to the desired lemma sign without going via running heads, and the rapid access can even lead directly to a certain item or an article with that item without employing the outer access structure. When planning and compiling a dictionary it is important to realise that every dictionary has an access structure. However, the nature and extent of accessibility is not the same in all dictionaries. Where a dictionary, for example a technical dictionary, has more than one word list each one of these word lists has its own outer access structure. Even where other texts are included in the back matter of a dictionary, for example a text in the back matter of a monolingual or bilingual dictionary presenting the abbreviations of the given language(s), these texts have their own outer access structure. In terms of arriving at the lemma sign an important distinction to be made, is that between a mono- and a polyaccessible dictionary. No matter how many word lists are included in a dictionary, if a given lemma in these word lists can only be reached via the macrostructure of that list the dictionary is regarded as monoaccessible. When a given list is complemented by, for example, an index, presented as a back matter text, that also offers access to the items given as lemma signs in the specific list, the accessibility of the dictionary, with regard to that list, is increased and the dictionary is elevated to a polyaccessible product, cf. HAUSMANN/ WIEGAND (1989:339). In the limited literature on access structures the notion of polyaccessibility has primarily been reserved for the search route leading to the lemma sign. This concept will be re-evaluated in this paper. Being committed to his/her assignment to ensure a dictionary from which the knowledgeable intended target user can unambiguously retrieve information the lexicographer has to put a high premium on successful access. This means that the lexicographer should endeavour to employ an access structure that will enable the user to reach every type of entry in an unimpeded way. The macrostructure of a dictionary typically reflects the lexicon of the given language, consisting of different types of lexical items like words, subword lexical items and multiword lexical items. Lemmatising words and subword lexical items
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poses few problems to the lexicographer. However, the lemmatisation of multiword lexical items has its own demands and the lexicographer should have a system that allows easy access to all the different kinds of lemmata included in the macrostructure of the dictionary. BERGENHOLTZ (1990) discusses a lexicographic instruction book and identifies a number of practical problems with which the lexicographer is confronted and that need to be addressed in the planning phase of a dictionary. In this regard he also focuses on the issue of the ordering of lemmata in a dictionary with a strict alphabetical ordering system and he, once again, shows a range of potential problems, including the ordering of multiword lemmata. This is a problem that needs to be addressed in the planning of general dictionaries albeit that multiword lemmata constitute a relative small part of the macrostructural candidates. In a dictionary of fixed expressions the default lemma candidate is a multiword form and in this regard the mere alphabetical ordering will not suffice, cf. the discussion in a following section. Employing a different lemmatisation strategy for the inclusion of multiword lexical items often has implications for the accessibility of these lemmata. In the case of a dictionary dealing with fixed expressions this is necessarily the case. The access structure should be planned in such a way that it can determine a search route that will guide the user in an unproblematic way tot the desired treatment unit. In a dictionary presenting fixed expressions as lemmata the lemmatisation can hardly be done in a strict alphabetical ordering of the multiword lexical items. In these dictionaries the lexicographers do not employ an access alphabet in the sense of NIELSEN (1995) but, especially in the printed version of such a dictionary, new lemmatisation strategies are needed and this will compel the lexicographer to devise an access structure that responds in a unique way to the specific problems of the typical user of such a dictionary. This issue will be discussed in a following paragraph.
4
Access structures in some existing printed dictionaries dealing with fixed expressions
4.1
General dictionaries
Although Susan eventually reached the required fixed expression in the HAT the access has not been unproblematic. One of many reasons for this is the fact that fixed expressions are presented as secondary treatment units and not as the destination of an outer search route. Problems regarding the access to idioms and fixed expressions prevail in many general dictionaries. With regard to Afrikaans dictionaries this problem has been discussed, cf. BOTHA (1991) and GOUWS (1989, 1990, 1996). The above-mentioned search which Susan undertook to find a fixed expression in HAT typically illustrates the access process and search problems dictionary users experience. A similar approach is found in many other printed dictionaries, for example THE CONCISE OXFORD DICTIONARY OF CURRENT ENGLISH, where the pre-consultation phase demands the identification of a search string and a guiding element before the user can move on to the relevant lemma. Within the article all fixed expressions are included in a search field preceded by the symbol ‘□’, the structural mark-
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Henning Bergenholtz and Rufus Gouws
er that enhances the rapid access to idioms, and users need to be familiar with this indicator to realise that it marks the beginning of the relevant search area.
4.2
Dictionaries of fixed expressions
4.2.1 Traditional methods 4.2.1.1 Monoaccessible dictionaries Difficulties to reach fixed expressions are not restricted to general dictionaries but also occur in dictionaries dealing exclusively with this type of lexical item. In such a dictionary these lexical items are the lemma candidates and the primary treatment units of the dictionary. This implies that if there are no ordering problems they should be lemmatised according to default lemmatisation principles. However, ordering problems come to the fore in a number of ways – with detrimental consequences for any ideas of a strict alphabetical ordering of the lemmata. Fixed expressions are not all equally fixed and this has implications for both their ordering in a dictionary and the accessibility of these items. COMBRINK (1989) distinguishes between different types and degrees of non-fixedness in fixed expressions and the lexicographic implications of this situation. The fact that the first slot in many fixed expressions do not have a fixed word makes it impossible to employ a strict alphabetical ordering. The first slot in a fixed expression like fortune favours the brave will always be occupied by the same word and such an expression could easily be ordered according to a strict initial alphabetical procedure. Contrary to this the first slot in the expression your eyes are bigger than your mouth is not always occupied by the same word. Variation is possible, for example his/her/my/John’s/the childrens’ … eyes are bigger than his/her/his/their … mouth(s). This is to the detriment of a strict initial alphabetical ordering. Deviation from a strict alphabetical ordering in any dictionary leads to a more complex access structure and this immediately aggravates the accessibility to a desired entry. The problems that impede the successful use of a strict alphabetical ordering compel the lexicographers of dictionaries for fixed expressions to rely on alternative ordering methods. Consequently approaches similar to the positioning and ordering of fixed expressions in general dictionaries are often employed. Having developed a keen interest in fixed expressions after her adventures in the HAT Susan has purchased a couple of idiom and fixed expression dictionaries for the office. But she soon realises the truth of a statement in the preface of the Chambers Idioms: ‘Trying to find idioms in a dictionary is often not easy. Sometimes they are listed under the first word and sometimes under what is considered to be the most important word in the idiomatic phrase. It is difficult for the user to decide where to look.’ However, she is delighted to see that access to a given idiom in this monoaccessible dictionary, as was the case in HAT, also goes via a guiding element, arranged according to a strict initial alphabetical ordering principle, and this guiding element resembles one of the words in the idiom. Where the same word is chosen for more than one idiom, the word given as guiding element introduces a text block which contains all the relevant idioms, for example:
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fry have other fish to fry see fish. out of the frying-pan into the fire a saying meaning that ….. small fry (derog) important people or things: … To Susan’s dismay no indication is given in the preface as to the criteria according to which the guiding element is selected, and with regard to the ordering of the idioms she has to interpret the presentation as one running as closely as possible to an initial alphabetical ordering. The dictionary does make provision for a wrong guess by the dictionary user with regard to the word selected as guiding element by means of cross-references, for example where the user has selected fry as the guiding element for the idiom have other fish to fry but where the treatment of this idiom is given in the text block introduced by the guiding word fish. Access problems also arise where the guiding element does not represent the exact word from the idiom (fry x frying-pan). These problems are not discussed in the preface and Susan realises that the users have to find the solutions themselves. The CHAMBERS IDIOMS is an alphabetically ordered dictionary with an access alphabet, cf. NIELSEN (1995), presenting article stretches beginning with all the alphabet letters except ‘X’. Yet again, the user has to guess the word that will give access to the idiom and this word is found via the normal outer search route. However, this search route does not give access to the macrostructural items but to the guiding elements that are not the lemmata constituting the macrostructure. A further phase in the outer access structure guides the user to the idioms listed in the text block of the given guiding element that functions as alphabetical ordering device for the idioms. Successful and immediate access to a given idiom is no foregone conclusion and to a certain extent the dictionary does rely on the user being able to employ a pre-consultation cognitive phase of the access process. Access to idioms in this dictionary is exclusively by means of a single, albeit multilayered, outer access structure. Even in such a dictionary dealing only with idioms innovative approaches are needed to enhance the success rate of users looking for a specific idiom. One way of achieving this is to introduce polyaccessibility by means of outer texts, as can be seen in the following sections.
4.2.1.2 Polyaccessible dictionaries 4.2.1.2.1 A complicated central list and less complicated index Within a traditional access structure for dictionaries of fixed expressions a poly-accessible approach may enhance the reference success. One of the traditional ordering methods in dictionaries, although it is no longer that frequently used, is the thematic ordering. This system is applied in THE PENGUIN DICTIONARY OF PROVERBS, one of the dictionaries Susan recently purchased. A contemplative view of this dictionary reveals that all the proverbs are arranged in semantic categories, for example conceit, familiarity, travel. The categories are presented in an alphabetical order. Within the categories the proverbs are divided into groups that ‘express various aspects of the main theme’ and within each group the proverbs are listed in a seemingly random order. Each category is numbered (totalling 188 categories) and within the categories the proverbs are numbered – ignoring the borders of the groups. Category number 40 is Deceit and this category includes the groups Its sources,
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Its dangers, Its sinfulness, Its permissibility, Concealing lies, Self-deception and Characteristics of the deceitful. The proverbs in this category are numbered from 1 – 40 and each group merely contains its numbered proverbs without any further treatment allocated to the proverbs: 40 Deceit Its sources 1. Believe no tales from an enemy’s tongue. 2. A false tongue will hardly speak truth. 3. .... The central list of this dictionary contains the alphabetical article stretches within which the categories are arranged. Having to find a proverb by merely relying on the access structure of this central list poses immense problems to the user. Susan wants to find the proverb a little wit will serve a fortunate man. No search string taken from the proverb can help her to access the central list and her attempted use of a pre-consultation cognitive phase of the access process does not help her to realise that the search route to this proverb goes via the category Luck (number 111) and the seventh group in this category The lucky, where the sixth proverb, number 36 in the category, is a little wit will serve a fortunate man. Successful access via the central list is highly co-incidental and not predictable at all and this is to the detriment of this dictionary. Although the central list has a complex access structure it is not enough to ensure accessibility. Consequently, the central list is followed by an index, presented as a back matter text. Becoming ever more familiar with the lexicographic game Susan realises that this index plays the most important role in ensuring successful access. In this index each ‘proverb is indexed under its first keyword and the index entry gives either the complete proverb or the opening phrase. This is followed by the category number and the number of the proverb within that category. Thus Look before you leap and A stitch in time saves nine are indexed as: Look L. before you leap 85:33 Stitch A s. in time … 52:21 ‘ This index elevates the dictionary to a polyaccessible product but although it enhances the accessibility it does not necessarily ensure an uncomplicated access to a given proverb. As is the case with the accessibility of fixed expressions in HAT and idioms in the CHAMBERS IDIOMS users have to perform a specific pre-consultation cognitive access exercise to reach the given proverb in the index. Access to a given proverb in the central list of THE PENGUIN DICTIONARY OF PROVERBS demands a semantic classification by the user that coincides with the semantic classification of the compiler, something even Susan finds hard to do. Access to a proverb via the index is also not unproblematic and demands a guesstimate as to what the ‘first keyword’ of the relevant proverb is. As practical instruments dictionaries should allow the target users an uncomplicated access to the data they desire. Much needs to be done to enhance the accessibility of dictionaries dealing with fixed expressions.
The Access Process in Dictionaries for Fixed Expressions
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4.2.1.2.2 A less complicated central list and a different type of index Especially in dictionaries where access to the lemmata heading the dictionary articles is not unproblematic, polyaccessibility by means of indexes or registers presented in the back matter can play an important role to ensure successful dictionary consultation. Less complicated access to entries in the central list gives lexicographers the opportunity to experiment a bit more with the nature of the register and its access to the entries in the central list. The Afrikaans dictionary IDIOMEWOORDEBOEK is polyaccessible with a central list and two registers presented as back matter texts. As is the case in the other dictionaries discussed in the previous sections fixed expressions in the central list of this dictionary are also ordered according to a word taken from the expression and this guiding element is listed according to a strict initial alphabetical ordering procedure. Contrary to the system in the CHAMBERS IDIOMS each fixed expression has its own guiding element – also where the same word has been selected as guiding element for two or more expressions, the guiding elements are repeated and only one expression allocated to any given guiding element. As indicated with regard to other dictionaries similar access problems can be experienced by users due to uncertainties regarding the choice of a word from the fixed expression to function as alphabetically ordered guiding element. Access to the actual lemmata, that is the fixed expressions, goes via the guiding element which is not a macrostructural item but merely an access channel to the lemmata and an additional point of transition on the outer search route. When consulting a dictionary to obtain the meaning of a given lexical item, the typical question that motivates a search is ‘What is the meaning of the specific word.’ When it comes to thematically ordered dictionaries the question changes to ‘What is the word for this specific meaning?’ Also when it comes to fixed expressions users are often looking for a fixed expression that can convey a specific meaning. This need is at the basis of the thematic ordering that prevails in THE PENGUIN DICTIONARY OF PROVERBS. The traditional alphabetically-based ordering in the central list of IDIOMEWOORDEBOEK allows users access to an idiom and the treatment provided, includes a brief explanation of the meaning of the idiom. However, this dictionary also attempts to give a thematic grouping of fixed expressions and this is done by the inclusion of the two registers, one in Afrikaans and one in English, as back matter texts and the access they provide on the basis of the meaning of a given idiom. The registers contain lists of words that represent concepts and the treatment provided in these registers is a listing of the guiding elements of those fixed expressions in the central list that conveys the meaning allocated to the given concept. Looking at the Afrikaans register Susan finds that the entry WOEDE (anger) has a list of guiding elements allocated to it: agterpote, bloed, braak, bul, duiwel, harnas, hoenders, josie, moer, nekhare, ongeluk, padda, son, stenig, stoom. WOEDE
These guiding elements from the central list are ordered in alphabetical order in the article of the concept WOEDE and they cross-refer her to those fixed expressions in the central list that have this specific meaning.
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In the central list the articles are presented as follows: agterpote WOEDE Op jou agterpote (gaan) staan: Woedend raak. Stand up on one’s hind legs. Take serious offence The English register contains the following article: FRIGHTEN
dood, haar, hart, kleintjie, koud, skrik, stuipe
From this article a user is cross-referred, for example, to the following central list article: dood VERSKRIK Iemand die dood op die lyf ja: Iemand erg laat skrik. Frighten someone to death. Polyaccessibility is realised in this dictionary by access via the guiding elements presented in the central list but also via the concept registers in the back matter that guide users to the fixed expressions in the central list. In this second access procedure the guiding element in the central list is the first destiny but it is only a point of transition from where the user moves on. However, in the case of more than one occurrence of the same guiding element the successful access to the required fixed expression as lemma of the article needs another point of transition as interim destiny. The guiding element of each article is immediately followed by a word representing the concept that briefly indicates the meaning of the fixed expression. The central list contains no less than ten occurrences of the guiding word DOOD (‘dead’). Looking for an Afrikaans expression that conveys the meaning ‘frighten’, the non-Afrikaans speaking user consults the English concept register, finds the entry FRIGHTEN and the list of guiding elements from the central list. The user selects dood as first guiding word to try and access the central list by going to the article stretch presenting the letter ‘D’. Being guided by the running heads on the top of each page the user reaches the page where the expressions with dood as guiding element start: dood dood dood dood dood dood dood dood dood dood
BANG DOOD
… …
DREIGEMENT
…
EKSKUUS MAER
…
MIDDELE MODE
…
…
… … VERSKRIK … ONSEKER
VASBERADE
Where the same guiding element occurs more than once the presentation of the articles is done in a strict initial alphabetical order according to the alphabetical value of the concepts. The user accesses this partial article stretch via the guiding element dood and then follows the concept words until the concept representing the meaning he/she is looking for has been reached. Then the outer search route eventually leads the user to the given fixed expression presented as lemma of the article. Although there is a multi-layered outer search route the
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accessibility potential remains fairly high because a limited pre-consultation cognitive access exercise is needed.
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Access structures in some existing electronic dictionaries dealing with fixed expressions
Susan has to translate a text from English to Afrikaans in which the expression it is nobody’s business was used. She consults her recently acquired BILINGUAL PHRASE DICTIONARY, one of five electronic dictionaries on the CD PHAROS WOORDEBOEKE/DICTIONARIES 5 IN 1. This dictionary, originally produced as a printed dictionary, is not much more than an electronic version of a printed dictionary. In stead of having to scroll down the pages to the desired article it can be accessed via the menu which opens the list of English-Afrikaans article stretches, and a click on the letter ‘B’ opens this article stretch and presents a list of all the words functioning as guiding elements. They become the sole search strings that take the user to the relevant article in which all the fixed expressions are listed alphabetically according to an approach similar to that of the HAT. Susan finds the guiding element business and on her computer screen the English entries are given in black whereas the Afrikaans equivalents are given in green: business be away on business vir sake weg wees; business is bad dit gaan nie goed met sake nie; it’s a bad business dis ’n ellende/ellendigheid/naarheid, dis ’n nare gedoente; dis ’n kwaai saak; dis baie jammer; carry on a business, conduct/run a business ’n saak (be)dryf/(be)drywe; at the close of business by kantoorsluiting; by beurssluiting; do business with s.o. met iem. sake doen; HE does HIS business § HY doen SY gevoeg ; be in a fair way of business goeie sake doen; funny business § streke; get down to business ter sake kom; begin; ’n saak of taak met mening aanpak; HE goes about HIS business HY gaan met SY gewone werk voort; go into business sakeman word, tot die sakewêreld toetree; go out of business toemaak; do good business goeie sake doen; the business in hand die lopende saak; in business in die sakelewe/sakewêreld; be in business sake doen; sakeman of sakevrou wees; § aan die gang wees; business is business sake is sake; HE knows HIS business HY ken SY vak; a line of business ’n vak; ’n bedryf; ’n tak van die handel; in the line of business op sakegebied; make it one’s business to … aan — aandag gee, vir — sorg; mean business § erns maak (met iets), dit ernstig meen, in erns wees; have no business here § niks hier te make/soek hê nie; have no business to … § geen reg hê om te — nie; it is no business of HIS § dit (t)raak HOM nie, dit gaan HOM nie aan nie, HY het niks daarmee uit te waai nie ; it is nobody’s business § dit gaan niemand aan nie; like nobody’s business § baie goed of knap of vinnig; it is none of HIS business § dit (t)raak HOM nie, dit gaan HOM nie aan nie, HY het niks daarmee uit te waai nie ; on business vir sake, in verband met sake; mind your own business! § bemoei jou met jou eie sake!; business before pleasure plig gaan voor plesier, sake gaan voor vermake; proceed to business tot die werksaamhede oorgaan; do a roaring business druk/flink sake doen; run a business ’n saak/onderneming bestuur/(be)dryf/(be)drywe; see s.o. on business met iem. oor sake praat; send s.o. about HIS business iem. wegja(ag), van iem. ontslae raak, iem. die deur wys; set up in business, start a business ’n onderneming/saak begin, ’n onderneming/saak op tou sit; do a good stroke of business ’n (goeie) slag slaan; it’s a terrible business dis iets verskrikliks; it’s HIS business to … dis SY beroep om te —; unfinished business onafgehandelde sake; business as usual sake soos gewoonlik; niks besonders nie; what a business! § wat ’n gedoente!; the whole business § die hele spul
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Even though she might be familiar with the system of this dictionary Susan still struggles to find the required entry and even when reaching it, due to the occurrence of more than one confusable entry, doubts still remain whether it is the appropriate fixed expression. Having eventually identified the entry it is nobody’s business she gets the Afrikaans equivalent. She realizes, however, that this electronic dictionary still does not utilize the rapid access possibilities available in the electronic mode and still poses many access problems to the incidental user. Wanting to make sure that the meaning of the English expression is the same as that of the given Afrikaans equivalent, which she knows quite well, Susan goes to the internet and opens the dictionary GoEnglish.com Idioms. She enters the search string nobody’s business but not a single hit is found – due to the fact that Susan does not know that the expression she is looking for is not regarded by the lexicographer as an idiom. Testing the system she enters the search string blood is thicker than water into Google. She is directed to GOENGLISH.COM IDIOMS and on the home page of this dictionary she clicks on the “Idioms index” and then once again enters the search string blood is thicker than water which takes her to the following entries: GoEnglish.com Idioms = “Blood Is Thicker Than Water” = Today’s ... “Blood Is Thicker Than Water” (family relations are more important than all other relationships... ) People in the same family are related by blood and ... www.goenglish.com/BloodIsThickerThanWater.asp – Similar pages GoEnglish.com Idioms Dictionary keyword = “Thicker” Blood Is Thicker Than Water » "When my best friend and my brother got in a fight I had to help my brother; blood is thicker than water." ... www.goenglish.com/Thicker.asp – Similar pages
Susan realises that she needs a source in which all kinds of fixed expressions can be accessed by entering a simple search string without having to negotiate a complex pre-consultation phase in the access process. A big improvement on both these dictionaries is THE DANISH IDIOM DICTIONARY which undoubtedly enables a quick and easy access. However, due to the lack of a distinction between proverbs and collocations it still disappoints many users because about 30% of all consultations have been to find other phraseologisms than idioms, cf. BERGENHOLTZ (2006). When the user enters one or more words or parts of words as search string in the search area the user gets all idioms with the accompanying meaning that contain the entered elements. As an example: if one enters the search string blod i kog (‘blood to boil’), two idioms are given in which the same expression has two meanings: bringe nogens blod i kog (lit: to make someone’s blood boil)
gøre nogen vred eller ophidset (‘to make someone angry or excited’)
bringe nogens blod i kog (lit: to make someone’s blood boil)
tiltrække nogen (‘to attract someone physically or psychologically’)
This is an example of a good, sure and quick access. For text reception assistance such a dictionary partially suffices. It requires that the user should really search, that is he/she should enter such a precise search string that the exact answer is given. If, however, the user only enters blod (‘blood’) as search string no less than 24 idiom articles will be given, cf. the first eight:
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af kød og blod (lit. of meat and blood)
udtryk for, at nogen er menneskelig, dvs. har følelser og svagheder (‘expression indicating that someone is human with emotions and weaknesses’)
besmitte sine hænder med blod (lit: to infect his hands with blood)
dræbe nogen og derved gøre sig skyldig i en alvorlig forbrydelse (‘to kill someone and make yourself guilty of a crime’)
blodets bånd (lit.: Bond of blood)
slægtskab mellem mennesker (‘relationship between people’)
bringe nogens blod i kog (lit: to make someone’s blood boil)
gøre nogen vred eller ophidset (‘to make someone angry or excited’)
bringe nogens blod i kog (lit: to make someone’s blood boil)
tiltrække nogen (‘to attract someone physically or psychologically’)
have blåt blod i årerne (lit.: to have blue blood in the veins)
være af adelig familie (= to descend from a noble family)
få blod på tanden (lit.: to get blood on the teeth)
få lyst til at fortsætte med noget (‘get the feeling you want to continue with something’)
koste blod, sved og tårer (lit.: demanding blood, sweat and tears)
kræve en stor indsats (‘demanding a big commitment’)
This is less advantageous if the user has to guide the search route himself with the cursor until the desired idiom is reached. When he/she uses words that occur in many idioms as search string, e.g. woman, girl or hand the user gets more than hundred idiom articles which he/she has to negotiate. The closer the search string resembles the lemmata the fewer articles will be found. The dictionary user does not know, in any case, how the dictionary compiler has written the lemmata. If, for example, the user enters bringe blod i kog (lit.: to make blood boil) or bringe hans blod i kog (lit.: to make his blood boil) no results are found because both the letters and the exact order of the search string must be either identical to or included within the lemma for the computer to be able to find it. In spite of its approximate 8 000 idioms THE DANISH IDIOM DICTIONARY does not include the many variants of idioms which is typical of Danish and the most other languages (cf. the criticism of FARØ 2004). This, once again, results in many users being unsuccessful in their search due to the fact that they use a variant as search string that does not occur in the dictionary, whilst a different variant has been included in the dictionary. Even worse is the fact that users may only search for orthographic expressions, that is the form of the lemma. When the user experiences no reception problems but needs help for text production by looking for an idiom with a specific contents without being familiar with the form, a direct access is not possible in this dictionary. When someone wants to apologise in an idiomatic way in a letter for having made a mistake, there is no possibility of finding a selection of idioms in the dictionary with that meaning. This is at least possible in some printed dictionaries with a conceptual register.
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Future possibilities – from contemplative to transformative
Existing printed and internet dictionaries, both general and special dictionaries, focusing on idioms, proverbs or other fixed expressions, have long and cumbersome search routes, as seen in the access process consisting of the following phases and elements: pre-consultation phase, search string, guiding element, article, lemma, search routes (outer x inner), search area, access structure. Many users will quit their search before eventually obtaining an answer to their search question. Our Susan has been persistent. But even her obstinate search would not have helped if the desired fixed expressions and/or the required information had not been included in the dictionary. The existing general dictionaries contain an extremely limited number of fixed expressions. This also applies to specialized dictionaries where only one or two out of often twenty variants are included, cf. ALMIND et al. (2006) and BERGENHOLTZ (2007). They don’t give any information on synonymy or antonymy holding between fixed expressions. Neither do they indicate the underlying valency restrictions. There are many other points of criticism that will not be discussed here, cf. BERGENHOLTZ (2006). When something is not part of the information offer in a dictionary it is obvious that one cannot find it. Until this has been ascertained one has invested a lot of time and one will refrain from using the dictionary at all in future. Therefore the data presentation regarding phraseologisms in dictionaries need to be discussed. It is detrimental for optimistic dictionary consultation procedures that not only the access is difficult but also the choice of dictionaries is problematic, because 30% of all search questions show that the users do not know whether one has to look for a fixed expression in a dictionary of idioms, proverbs or collocations, cf. BERGENHOLTZ 2006. Suggestions are now made for the conception of phraseology dictionaries that want to achieve the following basic functions for users who are mother-tongue speakers or already have a good command of the relevant language (we omit the translation function because of specific problems in the translation of L1 > L2 which differ from that of a translation L2 > L1): 1. Help with reception problems regarding fixed expressions. 2. Help with text production problems in the use of fixed expressions. 3. Help with an expansion of knowledge. These functions can be achieved in either a single polyfunctional or different monofunctional dictionaries. It does not have to be decided here. Important, however, is which item types a data bank should have from which different dictionaries of fixed expressions can be extracted. The data bank should in any case contain the following item types, of which 1–5 are obligatory and 6–14 facultative. 1. Guiding element The common word or words occurring in the exact form in field (2). It could be the full expression, for example in the case of unchangeable proverbs, but it could be one or more words, for example the Danish word aben (‘monkey’) in the following idioms with the meaning ‘the responsibility for the problem’: have aben (lit.: to have the monkey) parkere aben (lit.: to park the monkey) sidde med aben (lit.: to sit with the monkey) stå med aben (lit.: to stand with the monkey) have aben på skulderen (lit.: to have the monkey on the shoulders)
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2. Lemma, often a multiple lemma. Here the fixed expression(s) are presented, that is the one or all fixed expressions with the same core and the same basic meaning, for example the preceding five expressions. 3. Type of fixed expression. This is the classification in one of three possible categories: idiom, proverb or collocation. 4. Style level. We suggest distinguishing between only three levels: formal, neutral and colloquial. 5. Short meaning item. This is the lexicographic definition given to this and possibly also to other fixed expressions, for example the above-mentioned meaning for the entry at the guiding element aben. 6. A more comprehensive meaning item, given for a fixed expression and the variants belonging to the guiding element but not necessarily given for synonym fixed expressions with a different guiding element, for example the synonyms with the guiding element sorteper (lit.: the black Peter), of which the idiom variants have the same meaning as those with the guiding element aben: have Sorteper (lit.: to have the black Peter) sidde med Sorteper (lit.: to sit with the black Peter) stå tilbage med Sorteper (lit.: to stand with the black Peter). 7. Synonyms. Synonymy holds between fixed expressions, as indicated between idioms with the guiding elements sorteper and aben. Many relations of synonymy also exist between fixed expressions of different types, cf. Almind et al. 2006. 8. Antonyms. In a similar way fixed expressions also have antonyms; not those with the guiding element aben but many other expressions. 9. Grammar. Fixed expressions that are not proverbs, occur in sentences with different actants, for example with people, animals, objects, emotions. Some fixed expressions only occur in active sentences, others only or also in passive sentences or in some languages in more than one active form or, as in Danish, in two different passive forms. 10. Collocations. Fixed expressions, including proverbs, also occur in sentences or sentential constructions, for exampl risikere at komme til at stå med aben (lit.: risk to have to stand with the monkey at the end) skubbe aben over på chefens skulder (lit.: put the monkey on the shoulder of the chef) 11. Examples, that is illustrative sentences with the relevant expression. 12. Associations, also known as single word synonyms, corresponding to parts of the fixed expression, for example for those with the guiding element aben: skyldig (‘guilty’), ansvarlig (‘responsible’), skyld (‘blame’), ansvarsfralæggelse (‘to shirk the responsibility’), misere (‘misery’). 13. Comment. This is an etymological item regarding the origin or background of the fixed expression. 14. Cross-reference. This is an item giving internet addresses, books or articles in which more information regarding (13), that is the historical background, can be found. For an internet dictionary this conception can present at least three basic search types in accordance with the above-mentioned basic dictionary functions. They will not be identified in the dictionary as ‘Reception’, ‘Cognitive’ or by some other scientific expression but for Susan and all other users an indication is given of the problem statement and the need for help, for example:
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Button 1: I read or hear a text. Button 2: I write a text. Button 3: I want to know as much as possible about one or more fixed expressions. When the user touches one of these buttons he/she can write one or more words or parts of a word in the search field. For button 1 the programme searches in the fields (1) and (2) and gives the data from these fields and field (5) as answer – from either one or more than one dictionary article. For button 2 the programme searches in the fields (1), (2), (5), (6), (9), (10) and (11) and present the data from these fields as answer, yet again from one or more than one dictionary article. For button 3 a search is done in all fields except (3), (4) and (14). The user gets all the data from all the fields from either one or different dictionary articles. Button 1 is the search for the communication function of text reception, button 2 the search for the communication function of text production and button 3 the search for the cognitive function, that is knowledge expansion. For button 2 it should be mentioned that the user can either give expression-directed search strings with the programme searching in the fields (1), (2), (10) and (11) or contentsdirected search strings whereby parts of the meaning of the fixed expression that is required are entered. The programme will then search in the fields (5), (6) and (12). It is not assumed that the user is familiar with this distinction and search strings from both areas can be given. The less specific the search is, that is when only one word is given or a part thereof, the more dictionary articles will be found. Contrary to this, a much more precise answer is obtained, that is in an ideal situation only one single article, when the search string is longer. In such cases the danger exists that the search may become fruitless because too many conditions have to be met. For the knowledgeable internet user the possibility has to be foreseen that although basic functions are indicated (reading, writing, wanting to know more) they may direct the search in one or more fields themselves. How many users are due to do this, we cannot know. We guess not too many. An analysis for the time 13 – 28 March 2007 of Log files for THE DANISH PHRASEOLOGICAL DICTIONARY that recently became available, indicate that far more than half of the dictionary consultations are directed at reception help, that is a need for the shortest answer: Reception (I am reading a text) Text production (I am writing a text) Knowledge (I want to know as much as possible Total consultations
10090 4441 2611 17142
58,86% 25,91% 15,23% 100,00%
Regarding printed dictionaries three different dictionaries can be published to account for the different buttons 1, 2 and 3 of an internet dictionary. Judging by the user numbers of an internet dictionary the short edition will have the best sales. Access to these dictionaries should proceed via (1), the alphabetically ordered guiding elements and different registers. A reception dictionary should be poly-accessible with a register that includes all the words in all the lemmata, that is in field (2). A text production dictionary further requires a second register with all contents words from the lexicographic definitions (field 5 and 6) as well as a third register with the association words (field 12). Finally a comprehensive phraseological dictionary with a cognitive function should have two further registers: a fourth
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with all core words from field (13), that is historical persons, names of cities, countries wars, authors, book titles, etc.) as well as a fifth register with all words from field (10) and (11). Some of these proposals have already been implemented in THE DANISH PHRASEOLOGICAL DICTIONARY. The relevant concepts are discussed in ALMIND et al (2006), BERGENHOLTZ (2007) and ALMIND/BERGENHOLTZ (2007).
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In conclusion
In the planning and compilation of dictionaries lexicographers should know what the typical user typically needs from a specific dictionary. With regard to fixed expressions it could be assistance in a situation where the user is familiar with the fixed expression or parts thereof and looks for its meaning, or it could be assistance where the user knows the contents and looks for a fixed expression that conveys the specific meaning. Successful access to the required fixed expressions demands that a user has to be familiar with the relevant search criteria, for example that one or more words from the fixed expression or one or more words associated with the meaning that has to be expressed, need to be used as search string. In order to respond to the access needs of dictionary users it is important that lexicographers should negotiate the different search criteria applicable to the typical access attempts in the given dictionary. To fulfill the relevant search criteria a dictionary user should first decide on the required guiding elements and the subsequent search string. This may be an arbitrary process and may demand more than one attempt in different article stretches before eventually being successful. Contrary to a printed dictionary an internet dictionary offers quicker and a less restricted access to the guiding element. The user has the additional assistance that although the search string may be contained in the search field at the beginning or at the end of a given entry or even where the search string may have Boolean operators, for example it must contain element A + element B or element C, a successful access to the required fixed expression is achieved by merely entering the search string in the search field.1 Although focusing primarily on dictionaries dealing with fixed expressions, this article introduces a number of new perspectives on the access of dictionaries. Contrary to the evidence from existing research it is indicated that the access structure constitutes but one part of the more comprehensive access process. It is preceded by a pre-consultation phase which plays an important role in the dictionary user’s approach to a given dictionary. Within dictionaries dealing with fixed expressions it is shown how this pre-consultation phase of the access process determines the search string needed to reach the article in which a given fixed expression is accommodated. The process then typically leads to the identification of a guiding element from where the lemma can be reached so that the user can precede on the inner search route. In spite of differences similar access processes prevail in both prin-
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We thank Richard Almind (Centre for Lexicography, Aarhus School of Business), for excellent help and discussions regarding search strategies in internet dictionaries.
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ted and electronic dictionaries A contemplative look at the problems a user experiences when accessing some existing printed and electronic dictionaries is followed by a transformative perspective on innovative ways to enhance the quality of the access process.
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Tagungsbericht zum Kolloquium „Das elexiko-Portal – Präsentation und Diskussion“
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Reports Frank Michaelis
Tagungsbericht zum Kolloquium „Das elexiko-Portal – Präsentation und Diskussion“, 10./11. Mai 2007 im Institut für Deutsche Sprache in Mannheim
Anlässlich des Starts seines Online-Informationssystems ELEXIKO-PORTAL (www.elexiko.de)1 lud das Institut für Deutsche Sprache am 10. und 11. Mai 2007 Kollegen und Fachleute aus dem In- und Ausland nach Mannheim zu einem Kolloquium ein. Obwohl sich das Portal noch in der Auf- und Ausbauphase befindet und noch nicht alles gemäß den Vorstellungen der Projektverantwortlichen umgesetzt ist, wollten sie sich schon zu diesem frühen Zeitpunkt dem kritischen Blick ihrer Fachkollegen stellen. Im ersten Teil des Kolloquiums befassten sich zunächst drei Vorträge mit dem ELEXIKO-PORTAL als einer wörterbuchübergreifenden Instanz, bevor in den vier folgenden Beiträgen die im Portal gebündelten Einzelprodukte vorgestellt wurden. Der zweite Teil schließlich bot den insgesamt sieben Gastrednern Raum zu kritischen Analysen und Vergleichen mit eigenen Projekten. Nach der Begrüßung der Teilnehmer durch STEFAN ENGELBERG (IDS Mannheim) ging es ANNETTE KLOSA (IDS) im ersten Vortrag „Benutzerführung im elexiko-Portal“ zunächst um eine genaue Charakterisierung des ELEXIKO-PORTALS. Zielsetzung des ELEXIKO-PORTALS ist nicht das Angebot einer Linksammlung zu externen Wörterbüchern, sondern die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens für die lexikographischen Produkte des IDS. Aus der Perspektive des Benutzers stellt sich das Portal somit als zentraler Einstiegspunkt für wörterbuchübergreifende Online-Recherchen dar, aber auch als Wegweiser zu den Einzelprodukten mit ihren jeweils spezifischen Darstellungsabsichten. KLOSA gab einen Überblick über die bereits umgesetzten sowie über die in Zukunft geplanten Suchmodi. Sie demonstrierte verschiedene Wege, die ein Benutzer auf dem Weg zu den von ihm gewünschten Informationen im Portal, vom Portal hin zu den Einzelwörterbüchern und zwischen den Wörterbüchern zurücklegen kann. Der Eindruck eines Wörterbuchverbundes soll darüber hinaus mittels optischer Angleichung der Einzelprodukte, der Verwendung ähnlicher Benutzermetaphern sowie gemeinsamer Hilfeseiten und Fachglossare gestärkt werden. KLOSA stellte in Aussicht, dass die zur Zeit noch recht lose miteinander verbundenen Artikel der Einzelprodukte zukünftig über explizite Verweise enger miteinander verknüpft werden sollen, womit die Ausrichtung dieses Portals als ein Verbund von Wörterbüchern noch einmal betont würde. Das langfristige Ziel des ELEXIKO-PORTALS, so KLOSA, sei nicht der zusammengewürfelte „lexikographische Gemischtwarenladen“, sondern ein Verbund eng verzahnter Einzelprodukte mit je spezifischer inhaltlicher Ausrichtung, die, aufeinander abgestimmt,
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Um der Gefahr der Verwechselung zwischen dem ELEXIKO-PORTAL und dem ELEXIKO-WÖRTERzu begegnen, wird darüber nachgedacht, das ELEXIKO-PORTAL in OWID – Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch umzubenennen. Das Portal soll dann unter der Adresse www. owid.de erreichbar sein. BUCH
DOI 10.1515/lexi.2007.013
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Frank Michaelis
sich gegenseitig ergänzen und somit einem breiten Benutzerkreis mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen als Hilfsmittel dienen können. In ihrem Vortag „Der texttechnologische Aufbau des elexiko-Portals“ beschrieb CAROLIN MÜLLER-SPITZER (IDS) Voraussetzungen, um inhaltlich voneinander unabhängige Wörterbuchprodukte überhaupt miteinander vernetzen und gemeinsame Recherchemöglichkeiten realisieren zu können. Ein zentrales Problem, dass es dabei zu lösen gilt, ist der Umstand, dass die Anforderungen eines Wörterbuchverbundes, z. B. die einer möglichst gemeinsamen Metasprache, und die Anforderungen der Einzelprodukte mit ihren spezialisierten Darstellungsabsichten sich durchaus entgegenstehen können. MÜLLER-SPITZER erläuterte das dem ELEXIKO-PORTAL zu Grunde gelegte Rahmenwerk modularer DTDs, welches den beteiligten Projekten erlauben soll, hinsichtlich der Spezialisierung und des Auflösungsgrads in der Beschreibung lexikographischer Information eine qualitative wie quantitative Auswahl zu treffen. Die Vorteile eines gemeinsam genutzten Regelwerks zur Beschreibung der Befunde und einer nach diesen Regeln beschriebenen Datenbasis sind vielfältig. So zeigte MÜLLER-SPITZER anhand von Beispielen, wie einmal erarbeitete Informationen projektübergreifend genutzt werden können und wie sie, je nach Wörterbuchkontext, dem Benutzer in unterschiedlicher Weise präsentiert werden. Wo die Grenzen hinsichtlich flexibler Suchen und Darstellungen genau liegen, so MÜLLER-SPITZER am Ende, ist jedoch noch zu erproben. Viel hänge dabei von der Frage ab, inwieweit sich lexikographische Informationen überhaupt unabhängig von einem konkreten Benutzer modellieren ließen. WOLFGANG BOCK (IDS) ging in seinem Vortrag „Technische Aspekte des elexiko-Portals“ auf die Design-Entscheidungen ein, die bei der Überarbeitung des ELEXIKO-Webauftritts eine maßgebliche Rolle spielten. Um flexibel auf zukünftige technische Veränderungen reagieren zu können, wurde eine durchgehende Trennung von Inhalt und Layout angestrebt. Die Übersetzung von Inhalten in eine bestimmte Ansicht geschieht immer erst im Moment der konkreten Anfrage und ist regelbasiert. BOCK zeigte, wie durch Modifikation des Regelapparates das gesamte Erscheinungsbild verändert werden kann, und wie durch Bereitstellung weiterer Regelapparate prinzipiell Darstellungen für heute noch unbekannte Verbreitungswege generiert werden könnten. Neben den Gesichtspunkten einer zukunftssicheren Speicherung der Daten durch Verwendung von programm- und plattformneutralen Standards betonte BOCK den häufig vernachlässigten Aspekt eines möglichst barrierefreien Zugriffs auf Webseiten. So sei konsequent versucht worden, die dafür erarbeiteten Richtlinien umzusetzen, um nicht von vornherein bestimmte Benutzergruppen auszuschließen. Unter dem Titel „Zu den Produkten von IDS-Projekten im elexiko-Portal“ referierten in zwei großen Blöcken zunächst PETRA STORJOHANN (IDS), MARION HAHN (IDS) und ANNETTE KLOSA (IDS) über das ELEXIKO-WÖRTERBUCH, daran anschließend DORIS STEFFENS (IDS) über das NEOLOGISMENWÖRTERBUCH, ANNELEN BRUNNER (IDS) über WORTVERBINDUNGEN ONLINE, sowie ANDREAS ROTHENHÖFER (IDS) über das WÖRTERBUCH ZUM SCHULDDISKURS. Zunächst gab PETRA STORJOHANN einen Einblick in die Neukonzeptionierung der ELEXIKO-Wörterbuchrubrik „Typische Verwendungen“. Erfahrungen aus der Artikelarbeit sowie ein differenzierteres Bild der Benutzeranforderungen hatten Mängel der Erstkonzeption offenbart. STORJOHANN zeigte, wie die Neufassung der Rubrik eine übersichtliche Darstellung auch komplexer Zusammenhänge, wie z. B. das lexikalische und syntaktische Zusammenspiel sprachlicher Ausdrücke, erlaubt. Neben der dokumentatorischen Darstellungsabsicht können diese typischen Gebrauchsmuster auch im Sinne eines Wörterbuchs zur
Tagungsbericht zum Kolloquium „Das elexiko-Portal – Präsentation und Diskussion“
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Textproduktion Verwendung finden. Bei ihrer Vorstellung der Rubrik „Sinn- und sachverwandte Wörter“ hob STORJOHANN hervor, dass im ELEXIKO-WÖRTERBUCH sämtliche horizontalen und vertikalen Sinnrelationen zwischen Wörtern nicht allgemein für das Wort, sondern auf der Ebene der einzelnen Lesarten oder Lesartenspezifizierungen erfasst werden. Neben dem festen Schema von Synonymie, Antonymie, Beziehungen der Über- und Unterordnung und Teil-Von-Beziehungen usw., zeigte STORJOHANN am Beispiel Gefahr – Risiko, wie sich bei der Darstellung einzelner Sinnrelationen immer wieder besondere Fälle ergeben, hier der Implikation, und wie diese im ELEXIKO-WÖRTERBUCH angesprochen werden können. In ihrer Vorstellung der Rubrik „Besonderheiten des Gebrauchs“ demonstrierte MARION HAHN anhand von Beispielen wie individuell oder Geschwindigkeit die Benutzerführung und Anordnung der Informationen innerhalb dieses Wörterbuchmoduls. Die Angaben und Textbelege sind dabei für den Benutzer nach Bedingungen geordnet, die sich aus den Einstellungen des Sprechers, dem Situationsbezug oder einer bestimmten Bindung an eine Textsorte oder ein Sachgebiet ergeben. Im Zuge einer Überarbeitung sind die Kategorien zu besonderen themengebundenen Verwendungen sowie die Verwendungen in mehrteiligen Eigennamen hinzugekommen. Während des Vortrags wurde deutlich, wie extensiv das ELEXIKO-WÖRTERBUCH sich die Möglichkeiten des digitalen Mediums zunutze zu machen versucht. Der Wörterbuchtext ist ausführlich und verzichtet weitgehend auf Mittel der Textkomprimierung. Die Metasprache wird bewußt einfach gehalten. Zu Fachtermini wird dem Benutzer über ‘Info’-Schaltflächen häufig eine Popup-Hilfe angeboten, in der der Begriff wie auch das zugehörige Begriffsschema kurz erläutert werden. Im abschließenden Vortrag zum ELEXIKO-WÖRTERBUCH ging ANNETTE KLOSA zunächst auf die Überarbeitung der lesartenübergreifenden Informationen, der Bedeutungsparaphrasen und Kurzetikettierungen ein. In der fortschreitenden Artikelarbeit ergaben sich auch in diesem Bereich neue Erkenntnisse und damit sich verändernde Darstellungskonventionen, die zwangsläufig Inkonsistenzen zur Folge hatten. KLOSA führte aus, wie in dem notwendig gewordenen Überarbeitungsgang auch konzeptionelle Grundsätze revidiert und den Benutzererwartungen angepasst wurden. So soll das ELEXIKO-WÖRTERBUCH zwar ein streng auf einer Korpusauswertung basierendes Wörterbuch bleiben, bekannte und dokumentierte Bedeutungen von Wörtern, die sich im ELEXIKO-Korpus nicht nachweisen lassen, sollen zukünftig jedoch als Lesart aufgenommen und besonders gekennzeichnet werden. Dieses und weitere Beispiele nahm KLOSA zum Anlass, generelle Anmerkungen zu der Möglichkeit und Notwendigkeit der permanenten Datenpflege, der Um- und Neubearbeitung und dem Ausbau von Online-Wörterbüchern zu machen. Neben den bekannten Vorteilen ging KLOSA auch auf den problematischen Zeit- und Kostenfaktor solcher Arbeiten ein. Die Möglichkeit einer Versionskennzeichnung der Artikel wurde von ihr angedeutet, in der anschließenden Diskussion vertieft und als notwendig herausgestellt. So wurden Zeitstempel sowie die explizite Kennzeichnung verschiedener Ausbaustufen vorgeschlagen. In ihrem Beitrag zum NEOLOGISMENWÖRTERBUCH hob DORIS STEFFENS hervor, wie die im ELEXIKO-PORTAL beteiligten Wörterbücher von dessen breiterem Informationsumfang wechselseitig voneinander profitieren können, und wie das Portal dem Lexikographen erlaubt, sich auf seinen Darstellungsbereich zu konzentrieren. Voraussetzung dafür sei, wie schon im Vortrag von MÜLLER-SPITZER dargestellt, dass das Set allgemeiner DTDs angepasst und um je fachspezifische Module erweitert werde. Im Folgenden führte STEFFENS neologismen-spezifische Module vor und zeigte die Umsetzung in Artikelansichten sowie
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die Vernetzungsmöglichkeiten zu ELEXIKO-PORTAL-internen, aber auch -externen Ressourcen, wie z. B. zu enzyklopädischen Informationen in der WIKIPEDIA. Die innerhalb des NEOLOGISMENWÖRTERBUCHS integrierte Expertensuche mit besonderen Suchoptionen für Neologismen betreffende Fragestellungen gab einen Eindruck vom Unterschied einer spezialisierten Suchmaske im Vergleich zur allgemeinen Suche über das Portal. Das innerhalb des IDS angesiedelte Forschungsprojekt „Usuelle Wortverbindungen“ ermittelt mithilfe korpusanalytischer Verfahren rekurrente Sprachgebrauchsmuster in der Sprache. ANNELEN BRUNNER zeigte in ihrem Beitrag, wie ausgewählte Ergebnisse dieser statistischen Kookurrenzanalyse lexikographisch aufbereitet und wie diese Artikel im Bereich WORTVERBINDUNGEN ONLINE in das ELEXIKO-PORTAL integriert wurden. Dabei werden zur Zeit zwei verschiedene, in ihrer Ausarbeitung deutlich unterschiedliche Artikelformen evaluiert. Zudem wird nach weitergehenden Vernetzungsmöglichkeiten mit dem ELEXIKO-WÖRTERBUCH gesucht. Am Rande ging BRUNNER auch auf einen besonderen Angabetyp ein. Dort wird dem Benutzer der zum Artikel passende Suchausdruck für die COSMAS-Webschnittstelle offengelegt, wodurch dem Benutzer eigene Korpusrecherchen deutlich erleichtert werden. Damit ist WORTVERBINDUNGEN ONLINE nicht nur eine lexikographische Komponente, sondern kann auch als ein Einstiegspunkt für korpusgestützte Sprachuntersuchungen gesehen werden. ANDREAS ROTHENHÖFER ging zunächst auf Unterschiede zwischen einem herkömmlichen und einem Diskurswörterbuch ein. So sei ein Wörterbuch wie das Wörterbuch zum Schulddiskurs nicht primär als Nachschlagewerk, sondern als ein Lesewörterbuch konzipiert, woraus sich vielfältige Unterschiede der Makro- und Mikrostruktur ergäben: beispielsweise der darstellende Stil der Artikeltexte, oder die eher sternförmige Vernetzung der Stichwörter, ausgehend von einem für den Diskurs als zentral angesehenen Stichwort wie Schuld hin zu den beigeordneten Einzelartikeln. Diese einem Lesewörterbuch eigenen Strukturen galt es gegenüber dem Portal mit seiner primären Ausrichtung als Referenzwerk zu erhalten. Für das ELEXIKO-PORTAL auf der anderen Seite sieht ROTHENHÖFER die Vorteile der Integration eines Wörterbuchs wie dem Wörterbuch zum Schulddiskurs vor allem in dem Mehrwert begründet, der sich aus einer Verlinkung ergibt, da so vom Benutzer diskursspezifische Informationen erschlossen werden können, wie sie in einem Allgemeinwörterbuch nicht in dieser Tiefe und diesem Zusammenhang dargestellt werden können. Nach diesen Vorträgen der am ELEXIKO-PORTAL Beteiligten machte LOTHAR LEMNITZER (Universität Tübingen) in seinem Vortrag „Aspekte der Benutzerführung im elexiko-Portal“ den praktischen Versuch. Er versetzte sich in die Rolle des Benutzers und testete in einem explorativen Verfahren verschiedene Anfragen der Art „Wie schreibt man Rheinter[r]assen?“ oder „Bedeuten Handeln und Tun das Gleiche?“. Seine Erfahrungen mündeten in einen umfassenden Empfehlungskatalog. Neben den schon von den ELEXIKO-Beteiligten angesprochenen Problemfeldern, wie der Forderung nach einer möglichst konsistenten Darstellung oder einer weitergehenden Vernetzung der Wörterbücher untereinander, schlug LEMNITZER verschiedene auf den Benutzer zielende Verbesserungen vor; z. B. eine groß angelegte Benutzerstudie, eine engere Einbindung des Benutzers durch regelmäßige Aktionen, die Aufforderung zur Teilnahme oder Online-Foren seien denkbar. LEMNITZER trat auch entschieden dafür ein, den Aspekt des Stöberns im Kontrast zur gezielten Suche stärker in den Vordergrund zu stellen. In der sich anschließenden Diskussion lagen die Standpunkte zu dieser letzten Forderung weit auseinander, was bei den sehr unterschiedlichen Erwartungen an das ELEXIKO-PORTAL nicht verwundert. Damit zeigte die Diskussion jedoch
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andererseits die Wichtigkeit der Forderung nach klaren Benutzerprofilen und unterstrich die Empfehlung für eine Benutzerstudie. THOMAS BURCH vom Trierer Kompetenzzentrum für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren in den Geisteswissenschaften hob in seinem Vortrag „Zu Fragen der Vernetzung im elexiko-Portal“ zunächst einen gravierenden Unterschied zwischen dem ELEXIKO-PORTAL und dem in Trier beheimateten Wörterbuchnetz hervor. Während in Mannheim mittels der gemeinsamen Verwendung fein strukturierter DTDs eine Vernetzung und Vergleichbarkeit der Informationen bereits während der Erstellung vorangetrieben werden könne, so sei im Bereich der retrospektiven Digitalisierung von Wörterbüchern dieser Weg nicht gangbar. Die nachträgliche Auszeichnung von Inhalten müsse sich gezwungenermaßen nach dem richten, was vorhanden sei, und das falle je nach Wörterbuch-Quelle ganz unterschiedlich und in der Regel deutlich allgemeiner und unspezifischer aus, als lexikographische Texte heute ausgezeichnet würden. Um unterschiedliche lexikographische Werke dennoch miteinander übergreifend nutzen zu können, wird in Trier eine Vernetzung mittels Metadaten realisiert, die für sich allein genommen eine eigenständige Schicht über den Wörterbüchern bildet. Da auch diese Schicht mit Daten gefüllt werden muss und da dies bei den in Trier bearbeiteten äußerst umfangreichen Werken wie z. B. dem Grimmschen Wörterbuch nicht in jedem Fall von Menschen abgearbeitet werden kann, zeigte BURCH, wie mithilfe von Textmining-Techniken Metadaten-Einträge und Vernetzungen zwischen Artikeln vom Computer berechnet werden können. Angaben zum Wirkungsgrad und zur Zuverlässigkeit dieser Verfahren sind nur schwer zu machen, doch BURCH demonstrierte, wie auf diese Weise Zusammenhänge und Querverweise innerhalb des Wörterbuchtextes sichtbar werden, die zuvor nicht der Aufmerksamkeit der Benutzer zugänglich waren. In seinem Vortrag „Zu den neuen lexikographischen Inhalten im elexiko-Portal“ betrachtete WERNER SCHOLZE-STUBENRECHT (Dudenredaktion Mannheim) das ELEXIKO-PORTAL primär unter dem Blickwinkel eines Verbunds aus dem ELEXIKO-WÖRTERBUCH als Basiswörterbuch, ergänzt um drei weitere Wörterbücher, und fragte nach dem lexikographischen Mehrwert einer solchen Verbindung. Anhand von Fallbeispielen stellte SCHOLZE-STUBENRECHT positiv fest, dass das ELEXIKO-WÖRTERBUCH in verschiedener Weise durch die drei anderen Wörterbücher ergänzt werde. Dies reiche von der Ergänzung fehlender Angabeklassen, wie z. B. Angaben zur Aussprache, die sich im NEOLOGISMENWÖRTERBUCH, nicht aber im ELEXIKO-WÖRTERBUCH finden lassen, bis hin zu zeitlich und thematisch sehr spezifischen Angaben zum Gebrauch eines Wortes, wie sie in den Artikeln des SchulddiskursWörterbuchs zu finden sind. Ferner bewertete SCHOLZE-STUBENRECHT als positiv, dass sich durch das Nachschlagen in mehreren Wörterbüchern unklare oder gar missverständliche Informationen innerhalb eines Artikels besser interpretieren und relativieren ließen und so zu einem differenzierten Informationsgewinn für den Benutzer führen könnten. Kritisch hingegen notierte er verschiedene fehlende Informationen oder verfälschende Eindrücke, die sich aus der strikten Korpus-Gebundenheit des Wörterbuchs in der Folge von Defiziten des Korpus ergeben würden. Da alle Wörterbuchprodukte mit Ausnahme des Diskurswörterbuchs dasselbe Korpus auswerten, können sich die Wörterbücher in diesen Fällen nicht gegenseitig stützen und aushelfen. Abschließend hielt SCHOLZE-STUBENRECHT jedoch fest, dass das vom ELEXIKO-PORTAL angestrebte breite Informationsangebot, vor allem in den Bereichen Bedeutungsbeschreibung und kontextueller Verwendungen, zur Zeit vermutlich von keinem anderen Wörterbuch vermittelt werden könne.
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Mit „ELDIT (Elektronisches Lernerwörterbuch Deutsch – Italienisch) und elexiko – ein Vergleich“ stellte ANDREA ABEL (Europäische Akademie Bozen) dem ELEXIKO-PORTAL ein hochspezialisiertes Online-Produkt gegenüber. ELDIT enthält neben verschiedenen monound bilingualen Wörterbüchern auch grammatische Komponenten und stellt sich dem Benutzer eher als Sprachlernplattform denn als Wörterbuch dar. ABEL zeigte viele Gemeinsamkeiten auf, aber bedingt durch die Ausrichtung von ELDIT an einem festumschriebenen Benutzer (deutschsprachige Italienischlerner und italienischsprachige Deutschlerner; Anfänger bis leicht Fortgeschrittene [A1-B1/B2]) konnten in vielen Bereichen klar auf diese Benutzungssituation zugeschnittene konzeptionelle Entscheidungen und Einschränkungen getroffen werden. Dies führte ABEL für verschiedene Aspekte aus. So wird beispielsweise in der Abfassung der Metasprache in ELDIT weitgehend auf Fachsprache verzichtet, oder diese laienverständlich in einem verlinkten Glossar erklärt. Da der intendierte Benutzer von ELDIT schärfer umrissen sei, so ABEL, könne diese Beschränkung leichter und konsequenter durchgehalten werden als im ELEXIKO-WÖRTERBUCH. Im Weiteren zeigte ABEL, in welcher Weise ELDIT von spezifischen Darstellungsmitteln des Online-Mediums Gebrauch macht. So kommen Grafiken oder animierte Satzbaupläne zum Einsatz, sofern dies von der Benutzerausrichtung her sinnvoll erscheint. FONS MOERDIJK (Instituut voor Nederlandse Lexicologie, Leiden) bedauerte in seinem Vortrag „Het Algemeen Nederlands Woordenboek (ANW) und elexiko – ein Vergleich“ zunächst, dass er noch keine Ergebnisse zeigen könne, und erst gegen Ende des Jahres mit einer Online-Version des ANW zu rechnen sei. Neben den vielen Gemeinsamkeiten und manchen Unterschieden mit dem ELEXIKO-PORTAL stellte MOERDIJK vor allem einen konzeptionellen Unterschied heraus. Eine der Überlegungen zu Beginn der Arbeiten am ANW war eine Kritik am üblichen Paradigma für Suchabfragen in Online-Wörterbüchern. Diese sind zumeist zweigeteilt in eine Einfache-Suche, was der Suche in der Stichwortliste und damit dem Nachschlagen im Print-Wörterbuch am nächsten kommt, und einer Erweitertenoder Experten-Suche. Diese zweite Art ermöglicht dem Benutzer in der Regel, die Suche nach bestimmten Kriterien einzuschränken und zu parametrisieren. Problematisch daran sei, so führte MOERDIJK aus, dass der Benutzer seine Frage immer erst in eine Kombination von Kriterien übersetzen müsse, was nicht besonders benutzerfreundlich sei. Es erfordere weitgehende Kenntnisse um die möglichen Arten und Zusammenhänge der Kriterien. Zudem müssten fachlicher Jargon und andere Hindernisse überwunden werden. Es sei eine technische, vom Computer her angelegte Suche und nicht die Art, in der ein Benutzer seine Fragen üblicherweise stellen würde, resümierte MOERDIJK. Für das ANW kündigte er eine über dieses Schema hinausgehende Suche an, die es einem Benutzer erlauben soll, von der Wortbedeutung her zu suchen. Als Voraussetzung für die Realisierung einer solchen Suche skizzierte MOERDIJK eine weitgehend formale Bedeutungsbeschreibung in Form von so genannten Semagrammen. Der Vortrag bot leider nicht genügend Raum, die theoretischen Hintergründe auszuloten. Die gezeigten Beispiel-Semagramme machten jedoch deutlich, dass es sich nicht um die einfache Adaption einer der bekannten semantischen Theorien handelt. Vielmehr schilderte MOERDIJK den Entwicklungsprozess in der Weise, dass das Beschreibungssystem der Semagramme anhand einer großen Anzahl von Beispielwörtern und vorhandener Wörterbuchartikel schrittweise entwickelt, verfeinert und auf seine lexikographische Tauglichkeit hin erprobt worden sei. GERALD NEUMANN von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ging in seinem Vortrag „Das Wörterbuchportal und elexiko – ein Vergleich“ auf die Suche
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in Stichwortlisten ein und beschrieb Probleme bei der Realisierung einer schreibtoleranten Suche. Das von ihm vorgeschlagene Verfahren versucht mittels einer stufenweisen Linksund Rechtstrunkierung des Suchmusters in der Stichwortliste weit auseinander stehende Wörter näher zusammenzubringen. Im abschließenden Vortrag „ordnet.dk und elexiko – ein Vergleich“ berichtete JÖRG ASMUSSEN (Det Danske Sprog- og Litteraturselskab, Kopenhagen) über den Stand der Entwicklung bei der Umsetzung des gedruckten DEN DANSKE ORDBOG (DDO) in ein OnlineWörterbuch und stellte einen schon weit entwickelten Prototypen vor. Da der gesamte Wörterbuchtext in einer nach heutigen Standards üblichen DTD kodiert vorliegt, bot er einen sicheren Ausgangspunkt für eine Online-Version. Neben den vielen Gemeinsamkeiten und einigen Unterschieden in der Darstellung und im Informationsprofil zwischen dem ELEXIKO-WÖRTERBUCH und dem DDO ging ASMUSSEN besonders auf jene Eigenheiten ein, die sich aus den Hinterlassenschaften des Print-Wörterbuchs ergaben, so z. B. die verdichteten Textstrukturen, die deutlich kürzeren Belegschnitte oder die knapperen Bedeutungsangaben. ASMUSSEN ließ jedoch offen, ob dies in jedem Fall ein Nachteil sei: Kürze könne den Interessen des Nachschlagenden auch entgegenkommen. Ferner beschrieb ASMUSSEN, wie im Anschluss an die Übersetzung ins Online-Medium und der Implementierung der üblichen Recherchemöglichkeiten damit begonnen worden sei, online-typische Vernetzungen in das Wörterbuch einzuarbeiten, um so wortfeldbezogene und einfache begriffliche Suchen zu ermöglichen. Die Kooperation von Projekten wie KORPUS2000 und dem DANNET mit dem Online-DDO soll in Zukunft diese digitalen Ressourcen ebenfalls zu einem Verbund vernetzen. Mit dem DANNET als übergreifender Vernetzungsstruktur sowie dem KORPUS2000 als zusätzlichem Hintergrundmaterial erhofft sich das Projekt deutliche Mehrwerte für das Online-Wörterbuch. Während des Kolloquiums wurde neben den vielversprechenden Möglichkeiten auch die Vielzahl der noch zu lösenden Probleme der Online-Lexikographie deutlich. So ist die fachliche Komplexität gegenüber der Print-Lexikographie merklich gestiegen. Lexikographische Informationen können nicht mehr nur einfach aufgeschrieben werden, sondern sie müssen darüber hinaus maschinenverständlich, d. h. in formaler Sprache erfasst werden, damit Recherchen und systematische Suchen ermöglicht werden. Auch ist Online-Lexikographie in viel stärkerem Maße als die Print-Lexikographie ein interdisziplinäres Vorhaben. Neben Sprachwissenschaftlern und Sprachpädagogen arbeiten Mathematiker, Programmierer, Computer- und Korpuslinguisten usw. zusammen; jeder mit seinem spezifischen Blickwinkel auf die Lexikographie und mit einer eigenen Fachsprache, was die Verständigung über Lexikographie nicht eben erleichtert. Deutlich wurde ebenfalls, dass auch im OnlineMedium ein Wörterbuch geschrieben sein will. Nach wie vor müssen Korpora ausgewertet und Befunde erhoben werden. Der prinzipielle Vorteil gegenüber der Print-Lexikographie, dass ein Wörterbuch stets überarbeitet und aktuell gehalten werden kann, führt zu erweiterten Anforderungen im Bereich des Zeit- und Projektmanagements. Die am ELEXIKOPORTAL Beteiligten sind sich dieser Probleme bewusst und die Offenheit, mit der diese Fragen diskutiert worden sind, lässt auf zukünftige Veranstaltungen dieser Art hoffen. Frank Michaelis, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (Neubearbeitung, Göttingen). Papendiek 14, D-37073 Göttingen.
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Reviews
MANUEL ALVAR EZQUERRA, De antiguos y nuevos diccionarios del español, Madrid, Arco/Libros 2002, 483 pp. Mit dem vorliegenden Handbuch präsentiert der Autor, der gleichzeitig als Lexikograph und Lexikologe bestens ausgewiesen ist, eine Einführung in die wichtigsten Wörterbücher des Kastilischen, die nicht nur einen historischen Abriss der spanischen Lexikographie, sondern zusätzlich auch eine angemessene Darstellung der wichtigsten Werke von ANDRÉS GUTIÉRREZ CEREZO1 und ANTONIO DE NEBRIJA (15. Jh.) bis zu den einsprachigen Wörterbüchern des 20. Jahrhunderts bietet. Wie ALVAR im Prólogo (9–14) ausführt, kam es ihm bei der Herausgabe dieser auf Artikeln zu Zeitschriften und Sammelbänden basierenden Abhandlung nicht auf die Aktualisierung der insgesamt bis zu zwei Jahrzehnten zurückreichenden Studien an; die Beiträge sollen vielmehr “reproducir los trabajos agavillados aquí tal y como salieron en su día, pero, en algunos, no me he resistido a modificar sus contenidos, por unas causas y otras” (10), was kleinere Ergänzungen aber nicht grundsätzlich ausschließt. Zunächst bietet ALVAR einen kurzen Überblick über das lexikographische Schaffen in Spanien (Los diccionarios del español en su historia, 15–50), die von den ersten Glosarios und Vocabularios des Mittelalters über die renaszentistischen Kompendien (die vielfach Papias, HUGUTIO VON PISA und andere mittelalterliche Enzyklopädien übersetzen und adaptieren) und zweisprachigen Diccionarios, den Tesoro von COVARRUBIAS (1611; mit mehreren signifikanten Nachdrucken im 20. Jh.) und die einsprachigen, in der Tradition vom Diccionario de Autoridades der Real Academia bestimmten einsprachigen Wörterbücher bis zu den Sprachwörterbüchern des 20. Jahrhunderts reicht. Es wird hier eine kompetente Gesamtschau geboten, die teilweise auch auf weniger bekannte Fachwörterbücher wie das Vocabularium ecclesiasticum von FERNÁNDEZ DE SANTAELLA (Sevilla 1499) oder die mit MINSHEU (1599) einsetzenden, mit didaktischen Grammatiken verbundenen Wortschatzlisten hinweist und auch die zweisprachige Lexikographie berücksichtigt, in der spanischer Wortschatz in Verbindung mit modernen romanischen wie nicht-romanischen Sprachen präsentiert wird.2 Warum in dieser Übersicht, die bereits im International Journal of Lexicography (8–3, 1995, 173–201) erschienen ist, nicht nachgetragen wurde, dass nämlich MARÍA MOLINERs Wörterbuch 1998 in zweiter3 und der Diccionario der Real Academia Española 2001 in 22. Auflage erschienen sind und dass der am stärksten am uso orientierte Diccionario del Español actual von MANUEL SECO/OLIMPIA ANDRÉS/GABINO RAMOS
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Vgl. Rez., “La importancia de las gramáticas latinas para la historia del léxico español: La Ars grammatica de ANDREAS GUTERRIUS CERESIANUS (1485)”, in: JENS LÜDTKE/CHRISTIAN SCHMITT (eds.), Historia del léxico español. Enfoques y aplicaciones. Homenaje a Bodo Müller, Madrid 2004, 137–150. Was das Wörterbuch von FRANCISCO DEL ROSAL Origen, y Etimología, de todos los Vocablos Originales de la Lengua Castellana (1601) betrifft, so ist p. 37 nachzutragen, dass jetzt eine kritische Ausgabe vorliegt: Diccionario etimológico: alfabeto primero de origen y etimología de todos los vocablos originales de la lengua castellana/Francisco del Rosal. – Ed. facs. y estudio de ENRIQUE GÓMEZ AGUADO, Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 1992; vgl. auch: La razón de algunos refranes: alfabetos tercero y cuarto de origen y etimología de todos los vocablos de la lengua castellana, de FRANCISCO DEL ROSAL, ed. por BILLY BUSSELL THOMPSON, London: Tamesis Books, 1975. Vgl. unsere Besprechung zu MARÍA MOLINER, Diccionario de uso del español, 2 Bde, Madrid ²1998, in: Romanistisches Jahrbuch 50 (1999), 229–231. DOI 10.1515/lexi.2007.014
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(2 Bde, Madrid 1999) zum Abschluss gebracht wurde,4 ist nicht ganz einzusehen, denn dieses Defizit mindert insgesamt den Wert der verlässlichen Darstellung. Nach kurzen Ausführungen zu den Anfängen der kastilischen Lexikographie von den Anfängen bis zum Diccionario de Autoridades (Los primeros siglos de nuestra lexicografía, 51–84) und den unzähligen Schwierigkeiten, die zum einsprachigen Wörterbuch (El largo viaje hasta el diccionario monolingüe, 85–108) geführt haben, werden der Wortschatz in einem grammatischen Traktat (Notas sobre el repertorio léxico de Andrés Gutiérrez Cerezo, 109–119), der erst vor kurzem kritisch ediert und kommentiert wurde,5 vorgestellt und die fast zeitgleichen lexikographischen Arbeiten NEBRIJAs (Nebrija, autor de diccionarios, 120–131) typologisiert und gewürdigt; NEBRIJAs Werk gelten noch zwei weitere Beiträge, in denen zum einen gezeigt wird, dass es diesem nicht auf enzyklopädische, sondern allein auf sprachliche Informationen ankam (Nebrija ¿comprendido?, 132–142) und der Wortschatz des Glossars zu seinen Introductiones latinae allein dem Zweck eines besseren Verständnisses des in diesem didaktischen Werk gebrauchten Vokabulars dienen sollte (El léxico español en las
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Dieses Werk wird merkwürdigerweise in einem renaszentistischen Beitrag, p. 220, erwähnt, wo der Vf. von der “larga tradición [...] recientemente coronada por el esplendido Diccionario del español actual” spricht. GUTIÉRREZ GALINDO, MARCO ANTONIO (1998), Andreas Guterrius Ceresianus,
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Nach kürzeren Ausführungen zur Synonymik mit dem Hinweis auf ein bisher unveröffentlicht gebliebenes Werk IRIARTEs (El Diccionario de Sinónimos de Don Tomás de Iriarte, 304–322), das sicher eine kritische Ausgabe verdiente, und mehreren ideologischen Wörterbüchern zum Neuspanischen (Los diccionarios ideológicos del español, 323–341), die in der Regel nicht geeignet sind, der spanischen Lexikologie ein gutes Zeugnis auszustellen, widmet sich der Autor den aktuellen einsprachigen Wörterbüchern des Spanischen (Diccionarios monolingües del siglo XX, 342–396). Dabei werden die Wörterbücher der Real Academia (bis 191970) dargestellt. Der mit diesen Werken vielfach verbundene casticismo erweist sich, wie ALVAR ausführt, als hartnäckig kolportiertes Vorurteil; man könnte ergänzend sogar in Bezug auf den DRAE (211992 und 222001) ausführen, dass der Purismus in diesem lexikographischen Standardwerk weniger stark ausgeprägt ist als in den Libros de estilo der heutigen Zeitungen. Behandelt werden ferner der im Schatten der RAE stehende Gran diccionario von ANICETO DE PAGÉS Y PUIG, der auch in der lexikologischen Forschung wenig Beachtung gefunden hat, der Diccionario general von ANTONIO SAN DE VELILLA, die (spanischen) LAROUSSE-Wörterbücher, der Diccionario des vor allem durch Studien zur historischen Grammatik hervorgetretenen Katalanen JOSÉ ALEMANY BOLUFER, die verschiedenen Ausgaben der VOX-Reihe, die bereits vorher abgehandelten ideologischen diccionarios, die didaktischen Wörterbücher und der Diccionario del español actual von SECO/ANDRÉS/RAMOS (von 1999), bei dem zum ersten Mal der Pressesprache die dieser gebührende Stellung eingeräumt wird. Eine kurze Erwähnung finden hier auch die Regionalwörterbücher (397–442), deren Besprechung allerdings recht kursorisch vorgenommen wird, wobei man jedoch einräumen muss, dass die angemessene Darstellung aller einschlägigen Arbeiten in der Hispanidad ein Adynaton bildet; doch hätte man auch hier erwarten dürfen, dass die eine oder andere Arbeit aus dem Ausland – ich denke dabei in erster Linie an die Hamburger “W ö r t e r - u n d - S a c h e n - S c h u l e” – es verdient hätte, in diesem Abschnitt wie auch in der stark auf die spanischsprechende Welt ausgerichteten Bibliographie (443–483) zu figurieren. Alles in allem stellt der vorliegende Band einen instruktiven, viele vernachlässigte Aspekte der spanischen Lexikographie und Lexikologie kenntnisreich und aus den verschiedensten Positionen beleuchtenden Beitrag dar, der zu den Grundlagen der zur Zeit rasch aufholenden hispanischen Lexikologie zu zählen ist. Der von einem Spezialisten verfasste Sammelband berücksichtigt zwar nicht mehr systematisch die Werke der letzten Jahre, doch bietet er in Form von lose verbundenen Studien vor allem eine höchst zuverlässige Übersicht über das lexikographische Schaffen von den Anfängen bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts und enthält gleichzeitig zahlreiche Anregungen, die es verdienten, in weiterführenden Untersuchungen aufgegriffen zu werden. Bonn im Juli 2004
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Authors of the Present Volume BERGMANN, ROLF, Universität Bamberg, Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft, Hornthalstr. 2, 96047 Bamberg [email protected]
BERGENHOLTZ, HENNING, Handelshochschule Aarhus, Fuglesangallee 4, DK-8216 Aarhus [email protected]
BOBENHAUSEN, SABINE, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutsches Seminar I / Landeskunde, Belfortstr. 14, 79085 Freiburg [email protected]
BRÜCKNER, DOMINIK, Institut für Deutsche Sprache, Postfach 10 16 21, 68016 Mannheim [email protected]
DOLEZAL FREDRIC F. M., Park Hall 254, Dept. of English, Univ. of Georgia, Athens, Georgia 30602/ USA GOUWS, RUFUS HJALMAR, Department of Afrikaans and Dutch, Univ. of Stellenbosch, Privatsak X1, Matieland, 7602 South Africa [email protected]
HASSLER, GERDA, Universität Potsdam, Institut für Romanistik, Karl-Liebknecht-Straße 24-25, 14476 Golm [email protected]
KIRKNESS, ALAN, Department of Applied Language Studies and Linguistics, University of Auckland, NZ-Auckland [email protected]
LANDOLT, CHRISTOPH, Schweizerisches Idiotikon (Schweizerdeutsches Wörterbuch), Auf der Mauer 5, CH-8001 Zürich [email protected]
LOBENSTEIN-REICHMANN, ANJA, Universität Trier, FB II Germanistik, Germanistische Linguistik, 54286 Trier [email protected]
MICHAELIS, FRANK, Papendiek 14, 37073 Göttingen MÜHLENHORT, MICHAEL, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutsches Seminar I / Landeskunde, Belfortstr. 14, 79085 Freiburg [email protected]
MÜLLER, PETER O., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Department Germanistik und Komparatistik, Bismarckstr. 1, 91054 Erlangen [email protected]
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REICHMANN, OSKAR, Universität Heidelberg, Germanistisches Seminar, Hauptstr. 207-209, 69117 Heidelberg [email protected]
SCHMITT, CHRISTIAN, Romanisches Seminar der Univ. Bonn, Am Hof 1/EG, D-53113 Bonn STRICKER, STEFANIE, Universität Bamberg, Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft, Hornthalstr. 2, 96047 Bamberg [email protected]
DOI 10.1515/lexi.2007.016
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Kusujiro Miyoshi
■ Johnson’s and Webster’s Verbal Examples With Special Reference to Examplifying Usage in Dictionary Entries 2007. XIV, 222 pages. Paperback. € 82,– [D] / *US$ 121.00 ISBN 978-3-484-39132-1 (Lexicographica. Series Maior 132) This book analyses Noah Webster’s and Samuel Johnson’s use of verbal examples in their dictionaries as a means of giving guidance on word usage. This analysis reveals that Johnson’s selection of sources of citations and the frequency of his quoting citations tended to vary strongly according to the types of entry word. In contrast, almost all of Webster’s citations were taken from Johnson’s »Dictionary«. However, Webster significantly made full use of such citations to express his view on word usage, which differs essentially from Johnson’s.
Renata Szczepaniak
■ The Role of Dictionary Use in the Comprehension of Idiom Variants 2006. VII, 158 pages. Paperback. € 104,– [D] / *US$ 154.00 ISBN 978-3-484-39131-4 (Lexicographica. Series Maior 131) Renata Szczepaniak takes up the subject of dictionary use from the perspective of advanced learners. Her study investigates the effects of the use of a monolingual learner’s dictionary on students’ performance in a complex comprehension task of interpreting texts with modified idioms. The major, empirical part reports on an experiment, which was an attempt to analyse comprehension scores in the light of the consultation process. The results reveal a mildly positive influence of the monolingual dictionary on reading comprehension.
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Sven Tarp
■ Lexicography in the borderland between knowledge and non-knowledge General lexicographical theory with particular focus on learner’s lexicography 04/2008. Ca. VIII, 316 pages. Paperback. € 84,– [D] / *US$ 124.00 ISBN 978-3-484-39134-5 (Lexicographica. Series Maior 134) The book contains a state-of-the-art summary of the theoretical discussions within the field of lexicography during the last decades. On this basis it presents and argues for a new general theory, called the function theory. It goes on to develop this theory in one single field, i.e. learners lexicography where it both formulates the basic elements of a general theory for learners‘ dictionaries as well as a number of specific theories for special subfields such as selection, meaning, semantic relations, morphology, syntactic properties and word combinations. It con-tains a big number of examples extracted from existing dictionaries which are discussed from the point of view of the theories formulated.
Reinhard Rudolf Karl Hartmann
■ Interlingual Lexicography Selected Essays on Translation Equivalence, Contrastive Linguistics and the Bilingual Dictionary 2007. XI, 246 pages. Paperback. € 96,– [D] / *US$ 142.00 ISBN 978-3-484-39133-8 (Lexicographica. Series Maior 133) Selection of 24 essays by the dictionary researcher Reinhard Hartmann on ‘Interlingual Lexicography’, a genre much neglected in the literature, including interdisciplinary approaches to translation equivalence, its analysis in contrastive text linguistics and its treatment in the bilingual dictionary, with particular attention to the user perspective, in English and German.
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