Lemmy Kilmister Mit Janiss Garza
WHITE LINE FEVER DIE AUTOBIOGRAPHIE
Aus dem Englischen von Klaas Ilse Vollständig überarbeitet von Kai-Uwe Keup
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
Die Originalausgabe WHITE LINE FEVER – THE AUTOBIOGRAPHY erschien bei Simon & Schuster UK Ltd. 4. Auflage Vollständige Taschenbuchausgabe 12/2006 Copyright © 2002 by Ian Fraser Kilmister und Janiss Garza Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe by I. P. Verlag, Berlin
Copyright © 2006 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Printed in Germany 2008 Umschlagfoto: © Nicola Rübenberg/
[email protected] Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, München – Zürich Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-453-67525-4 www.heyne-hardcore.de
Heilig ist bei Ian Fraser Kilmister, in der Welt bekannt unter dem Namen Lemmy, nur der Geburtstag: der 24.12.1945. Ansonsten hat der Mann mit dem prägnanten Backenbart im Laufe seiner über 40 – jährigen Musikerkarriere nichts ausgelassen – rein medizinisch gesehen, müsste er längst tot sein. Bevor er 1975 die bis heute wegweisende Band Motörhead gründete, arbeitete er für Jimi Hendrix und spielte bei der SpaceRock-Legende Hawkwind. Heute ist Lemmy einer der letzten echten Rockstars, der in »White Line Fever« aus einem Leben voller Exzesse erzählt. »Wohl kaum einer wird ernsthaft behaupten wollen, mehr Drogen genommen, mehr Bourbon getrunken oder mehr Frauen befriedigt zu haben als der Leadsänger von Motörhead.« Sunday Times
Dieses Buch ist Susan Bennett gewidmet, die es hätte sein können.
Ich bin Lemmy mehrere Male begegnet. Das erste Mal auf der Berliner Funkausstellung, ich war noch Berufsschüler. Wir waren ein paar Punks, die sich in die Aufzeichnung einer Musiksendung geschlichen hatten. Wir stänkerten ein bisschen rum, bis besagter Herr Kilmister, der mit seiner Band dort auftrat, einem von uns einen Kugelschreiber derart hart in die Nase rammte, dass unser Kumpel noch stundenlang blutete. Das zweite Mal begegnete ich ihm in London in einer Disco. Ich saß da und trippte auf LSD, als ein großer Schatten auf mich fiel: Lemmy. Durch die Droge war der Eindruck natürlich um ein Vielfaches verstärkt, denn er kam mir wie ein Riese vor, noch dazu mit den längsten Haaren im ganzen Laden. Ein echter Rock-’n’-Roll-Gott. Später einmal war ich an meinem Geburtstag auf einem Motörhead-Konzert in Berlin. Ich kannte seinen Tourmanager und der überraschte mich damit, das Lemmy kurz nach der Show auftauchte und mir gratulierte. Danach zogen wir durch einige Bars, bis wir einen Laden mit Spielautomaten fanden. Ich durfte Herrn Kilmister von da an noch ein paar Tequila servieren, war aber ansonsten abgemeldet. Von dem Konzert hatte ich übrigens am nächsten Tag noch einen dermaßen starken Tinnitus, dass ich am Morgen nach dem Pinkeln die Toilettenspülung nicht hörte. All die nächsten Male, die ich ihn traf, konnte er sich nicht an mich erinnern, aber irgendwie hat mich das nie geärgert.
Vor ein paar Jahren sollten wir dann mit Motörhead auf einem Festival in der Schweiz spielen. Ich saß vor unserer Garderobe und genoss den Sonnenschein nach einem kurzen Platzregen, als Lemmy um die Ecke bog. Wir schauten uns kurz an, dann legte es die Rocklegende der Länge nach hin. Seine weißen Lederboots waren nicht geschaffen für den nassen Boden. Er stand auf, lächelte mich einfach nur an und ging in seine Garderobe. Und da war mir mit einem Mal klar, was ich an diesem Mann so bewundere, warum mich nicht mal seine Affinität zur Weltkriegsliteratur stört. Natürlich ist Lemmy Kilmister das personifizierte Gewissen des Rock’n’Roll. Auf Lemmy kann man sich verlassen. Er ist der Fels in der Brandung, der stoisch jeder neuen Welle standhält und noch da ist, wenn diese längst abgeebbt ist. Und natürlich ist es auf gewisse Weise bewundernswert, dass Jack Daniels, Sex & Amphetamine nicht nur eine Phase im Hause Kilmister sind, sondern seit 40 Jahren seine Inspiration und Antriebskraft. Lemmy darf mit Drogen und Frauengeschichten kokettieren, und trotzdem gilt er als jemand, dessen Weisheiten uns etwas bedeuten. Das hat er gemein mit Johnny Cash, Elvis, auch Frank Sinatra und noch einer Handvoll der ganz, ganz Großen. Aber was mich an diesem Festivaltag an Lemmy, mit seinen weißen Lederstiefeln im Matsch, so bewegte, war viel einfacher und toller als all das – es war seine Würde. Ob bewusst oder instinktiv, Lemmy Kilmister trägt mehr Würde mit sich herum als all die volltätowierten Betty-Ford-Patienten, die sich sonst so Rock’n’Roll nennen. Bela B. Oktober 2006
Am Heiligabend 1945 erblickte ich als Ian Fraser Kilmister das Licht der Welt. Fünf Wochen zu früh. Ohne Fingernägel, ohne Augenbrauen und knallrot. Dafür hatte ich wunderbar goldenes Haar, das mir jedoch, sehr zum Leidwesen meiner schrulligen Mutter, fünf Tage später wieder ausfiel. Meine früheste Erinnerung ist, dass ich geschrien habe – warum und wieso, weiß ich nicht mehr so genau. Wahrscheinlich ein Tobsuchtsanfall. Oder aber ich habe schon mal geprobt. Ein Spätzünder war ich noch nie. Mein Vater war jedoch alles andere als erfreut über mein Erscheinen. Wir zwei haben uns von Anfang an nicht so richtig verstanden – drei Monate später hat er sich einfach verpisst. Vielleicht lag es an meiner nicht vorhandenen Haarpracht oder er hatte einfach nur Angst, dass ich zu sehr nach ihm kommen würde. Während des Krieges war mein Vater Feldkaplan in der Royal Air Force. Meine Mutter war eine sehr hübsche junge Bibliothekarin, die keine Ahnung von der Doppelmoral der heiligen Kirche und ihrer Vertreter hatte. Wie kann es denn angehen, dass diese Leute den Menschen ernsthaft erklären, dass der Heiland von einer Jungfrau – die zudem von einem Geist geschwängert wurde – auf die Welt gebracht wurde? Und dieses Ammenmärchen ist die Grundlage für eine der Weltreligionen? Ich habe da meine Zweifel. Wenn Joseph das
wirklich geglaubt hat, war es mehr als gerecht, dass er in Ställen schlafen musste. Da ich mich an meinen Vater nicht erinnern konnte, habe ich ihn auch nicht sonderlich vermisst. Meine Mutter und meine Oma haben mich auch ohne seine Hilfe ganz gut verzogen. Fünfundzwanzig Jahre später traf ich ihn in einer Pizzeria an der Earls Court Road. Offenbar überkam ihn urplötzlich ein Anfall von Reue und er wollte »mir helfen«. Keine Ahnung, was er wirklich wollte, aber meine Mutter und ich hatten nur einen Gedanken: »Vielleicht können wir etwas Kohle aus dem Scheißkerl rausholen!« Also ging ich hin, um mir den erbärmlichen Kerl mal genauer anzuschauen. Ich erkannte ihn sofort. Er war ein zusammengekauerter kleiner Wicht mit Brille und einer kahlen Stelle, die sich über seinen ganzen Kopf ausbreitete. Ich schätze, er fühlte sich so richtig beschissen, schließlich saß er mir jetzt gegenüber und hätte eigentlich seit fünfundzwanzig Jahren mein Ernährer sein sollen. Stattdessen fünfundzwanzig Jahre lang kein Wort – unangenehme Situation. Also sagte er: »Ich würde deiner Karriere gern etwas auf die Sprünge helfen, um so zu versuchen, wieder gutzumachen, dass ich dir kein richtiger Vater gewesen bin.« Ha! »Hör zu, nichts leichter als das. Ich bin in einer Rock-’n’Roll-Band und ich brauche etwas Equipment. Also, wenn du mir einen Verstärker und ein paar Boxen kaufen kannst, sind wir quitt, okay?« Es folgte eine Pause: »Ah.« Er fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. »Das Musikgeschäft ist furchtbar unsicher«, sagte er. Wahrscheinlich war der feine Herr zu seiner Zeit ein hervorragender Konzertpianist gewesen, aber seine Zeit war abgelaufen!
»Ja«, entgegnete ich, »ich weiß, aber ich verdiene damit meinen Lebensunterhalt.« (Okay, eine Lüge… zumindest zu diesem Zeitpunkt!) »Also«, sagte er, »ich habe da an etwas anderes gedacht. Vertreter zum Beispiel. Ich zahle dir den Unterricht, die Fahrstunden und…« »Verpiss dich«, sagte ich und ging. Sein Glück war, dass die große Familienpizza noch nicht serviert war, denn sie wäre sein neuer Hut geworden. Wo wir gerade von falschen Bastarden sprechen – 1991 war meine Band, Motörhead, für einen Grammy nominiert. Ein typischer Versuch der Musikindustrie, sich bei uns mal wieder einzuschleimen. Also stieg ich in Los Angeles ins Flugzeug – nach New York ist es dann doch ein zu langer Fußmarsch. In meiner Tasche eine Flasche Jack Daniels – wirkt immer noch Wunder beim Nüchternwerden. Als wir auf die Startbahn rollten, genehmigte ich mir einen Schluck und sinnierte über den Sinn des Lebens, als ich eine Stimme hörte: »Geben Sie mir die Flasche!« Sie gehörte einer Stewardess mit Betonfrisur, die plötzlich vor mir stand und ständig diesen Satz wie eine tibetanische Gebetsmühle wiederholte: »Geben Sie mir die Flasche!« Nun, ich weiß nicht, was Sie getan hätten, verehrter Leser, aber das Scheißding war gekauft und bezahlt. Das war nicht drin. Diese Information gab ich ihr. Die Betonfrisur antwortete darauf: »Wenn Sie mir diese Flasche nicht geben, befördere ich Sie aus dem Flugzeug!« Es wurde interessant. Wir waren ungefähr das fünfte Flugzeug in der Warteschlange zum Abflug, hatten ohnehin Verspätung, und dieses dumme Miststück wollte uns aus der Schlange nehmen. Wegen einer Flasche Jack Daniels? »Na schön«, sagte ich, »dann tun Sie, was Sie nicht lassen können und befördern meinen Arsch aus diesem
Scheißflugzeug«, oder etwas in der Art. Und ob man’s glaubt oder nicht, die dumme Schlampe hat es tatsächlich getan! AHA-HAHAHAHAHAHA!!! Ihretwegen waren all die Leute spät dran und verpassten ihre Anschlussflüge in New York, alles wegen einer Flasche des bernsteinfarbenen Muntermachers… Na und? Scheiß auf sie! Auf was für einem hohen Ross sitzen die eigentlich alle? Ich nahm einen anderen Flug, anderthalb Stunden später. Das kann ja heiter werden, wenn es schon so losgeht, dachte ich mir. Und es kam noch schlimmer. In der Radio City (Home of the Stars) trugen alle geliehene Smokings wie die Pinguine, um möglichst genauso wie die Arschlöcher auszusehen, die ihnen ihr Geld abknöpfen! Ich trage keinen Smoking – ich finde, das passt nicht zu mir. Und ich glaube nicht, dass die Platzanweiser das eiserne Kreuz mochten. Egal, da wir für unser erstes Album bei Sony für einen Grammy nominiert worden waren, nahm ich törichterweise an, dass sich zumindest die Plattenfirma freuen würde. Aber ich glaube, die hatten von der Nominierung keinen blassen Schimmer! Eigentlich ist mir so etwas auch egal und ich bin nicht verbissen ehrgeizig, aber ein »Hallo« oder »Schön, dass du an Bord bist« oder auch ein einfaches »Hey, Alter« hätten ausgereicht. Aber nichts dergleichen. Gar nichts. Nada. Einen Scheiß. Und bis zum heutigen Tage hatte ich noch nicht die große Ehre, auch nur einen winzigen Blick auf den sagenumwobenen Tony Mottola zu erhaschen. An jenem Abend war er vermutlich zu beschäftigt damit, Mariah Carey in ihrer Garderobe herumzujagen. Also bin ich auf die Party von Sire gegangen. Die war eh viel besser. Habe einen weggesteckt. Noch Fragen? Also scheiß auf sie. Und scheiß auf die hohen Rösser, auf denen sie daherkommen.
Mein Leben begann in Stoke-on-Trent, in den westlichen Midlands von England. Stoke besteht aus einer Gruppe von ungefähr sechs Städten. Burslem war am übelsten, kein Wunder, dass ich dort geboren bin. Die Gegend wird »Potteries« – Töpfereien – genannt, und die Landschaft war früher schwarz von der Schlacke der Kohle. In den Brennöfen wurde hauptsächlich Keramik hergestellt – auch das berühmte Wedgwood. Überall gab es hässliche Schlackehaufen und die Luft war entsprechend verschmutzt. Nachdem sich mein Herr Erzeuger davongemacht hatte, zogen meine Mutter, meine Oma und ich nach Newcastle – das heißt nach Newcastleunder-Lyme, nicht weit von Stoke. Nach kurzer Zeit ging es weiter nach Madeley, einem nahe gelegenen Dorf. Es war wirklich nett da. Wir lebten gegenüber einem großen Teich, auf dem sich sogar Schwäne wohl fühlten. Für meine Mutter war es hart, denn sie musste drei Personen durchbringen: meine Oma, meine Wenigkeit und sich selbst. Als Erstes arbeitete sie als TBC-Krankenschwester. Ein verdammt beschissener Job, denn sie begleitete die Patienten mehr oder minder auf ihrem letzten Weg. Vergleichbar mit einem heutigen Job auf einer Krebsstation. Tuberkulose ist eine wirklich beschissene Krankheit, denn sie verändert auch die Chromosomensätze. Sie sah Neugeborene mit Schuppen und mit rudimentären Federn. Schließlich kündigte sie, um als
Bibliothekarin zu arbeiten. Dann hörte sie ganz auf zu arbeiten. Damals konnte ich den Druck nicht verstehen, unter dem sie stand. Nachdem sie meinen Stiefvater geheiratet hatte, arbeitete sie wieder. Als Bardame. In der Schule hatte ich von Anfang an Probleme. Eigentlich hatte ich keine, aber die Lehrer und ich waren unterschiedlicher Meinung. Sie wollten, dass ich was lerne, und ich nicht. In Mathe war ich schon damals eine Null. Um mir Algebra beizubringen, hätte man mit mir ebenso gut Suaheli sprechen können. Also gab ich frühzeitig auf, da mir klar war, dass ich auf keinen Fall eine Unikarriere als Mathematikprofessor einschlagen würde. So habe ich mich von der Schule weitestgehend fern gehalten. Den ersten Ärger gab es schon in der Grundschule. Wir Jungs sollten Stricken lernen. Diese blöde Pute wollte das wirklich! Es war völlig sinnlos, siebenjährigen Jungs so etwas beizubringen. Wahrscheinlich war sie eine verkappte Emanze. Und obendrein war sie auch noch brutal – es bereitete ihr ziemlichen Spaß, Kinder zu schlagen. Ich wollte auf keinen Fall stricken. Stricken war was für Memmen. Damals gab es noch richtige Memmen. Heute sitzen diese Memmen in den Parlamenten und regieren die Welt. Ich sagte ihr, dass ich es nicht kann und sie schlug mich. Nach einer Weile hatte sie ein Einsehen und hörte auf, mich zu schlagen. Eine Tracht Prügel hat noch keinem geschadet, der etwas ausgefressen oder sonst wie Scheiße gebaut hat. Nicht aber, wenn man willkürlich geschlagen wird, nur weil man etwas falsch macht. Ich hab’s regelmäßig abbekommen: Ich kriegte es mit dem Tafellineal oder der Zeichenschiene, die neben der Tafel hing. Die Lehrerin stellte sich hinter uns und schlug uns damit gegen den Hinterkopf. Der Physiklehrer verprügelte uns später sogar mit dem Bein eines Hockers. Das Bein habe ich jedoch nie zu spüren bekommen, denn in Physik war ich gut.
Das heißt, bis ich die Schule im gegenseitigen Einvernehmen verließ. Wenn man einen ordentlichen Schlag ans Ohr kriegt, dass es eine halbe Stunde klingelt, dann hört man anschließend brav zu und tut, was man gesagt bekommt. So lief Erziehung damals ab. Jetzt ist das anders. Für mich und meine Generation hat das ganz gut funktioniert, denn soweit ich das beurteilen kann, sind wir schlauer als die gerade heranwachsende. Jedenfalls heiratete meine Mutter wieder als ich zehn war. Sein Name war George Willis. Kennen gelernt hat sie ihn durch meinen Onkel Colin, ihren einzigen Bruder. Ich glaube, die beiden waren in der Armee befreundet gewesen (das heißt, Colin und George…). Er war Fußballprofi bei den Bolton Wanderers, und er hat sich alles hart erarbeitet, wie er immer wieder betonte. Ein richtiger Selfmademan mit einer eigenen Fabrik, die für Schaufenster Schuhständer aus Plastik herstellte. Drei Monate, nachdem er meine Mutter heiratete, ging sie Pleite. In Sachen Humor besaß er eine ganz eigene Auffassung. Als er einmal gestohlene Waschmaschinen und Kühlschränke verticken wollte, wurde er verhaftet und verschwand für dreißig Tage von der Bildfläche. Meiner Mutter erzählte er bloß, dass er auf Geschäftsreise müsse: »Schatz, ich werde ungefähr einen Monat unterwegs sein«, und dann saß er seine dreißig Tage im Knast ab. Es hat eine Weile gedauert, bis wir herausbekamen, was er so wirklich trieb. Aber letzten Endes war er ganz in Ordnung. Aus seiner vorherigen Ehe brachte er zwei Kinder mit – Patricia und Tony. Da ich der Jüngste war, wurde ich ständig schikaniert. Das Verhältnis zu meinem Stiefvater war leicht angespannt, denn meine Mutter sah in mir ihr einziges Kind. Sie verteidigte mich immer wie eine Löwin und machte es ihm nicht gerade leicht. Patricia träumte davon beim Finanzministerium zu arbeiten, was sie schließlich auch
schaffte. Tony ging für zehn Jahre zur Handelsmarine und schrieb uns fast zwanzig Jahre nicht. Mein Stiefvater dachte schon, er wäre tot. Heute lebt Tony in Australien. Er ist in Melbourne Leiter irgendeiner Plastikabteilung (ich wusste nicht, dass Plastik erblich ist). Als meine Mutter und mein Stiefvater heirateten, zogen wir in sein Haus in Benllech, ein Seebad auf Anglesey. In der Schule war ich das einzige englische Kind unter ungefähr siebenhundert Walisern – eine Art Außerirdischer, der zur Belustigung beizutragen hat. Aus dieser Zeit habe ich auch meinen Spitznamen Lemmy. Da war ich ungefähr zehn Jahre alt. Allerdings hatte ich nicht immer diesen Bart… den habe ich erst, seit ich elf Jahre bin. Ich beschäftigte mich viel mit mir selbst und hatte meinen Spaß, indem ich die Küste von Anglesey mit Hilfe von Plastiksprengstoff veränderte. Die gesamte Kanalisation des Ortes musste erneuert werden. Da sie im Sommer nicht fertig wurden, verstauten die Arbeiter ihr Werkzeug und den Sprengstoff in einem Bauwagen vor Ort, um im Frühjahr ihr Werk zu vollenden. Ende Oktober brach ich mit ein paar Freunden in den Bauwagen ein. Für uns Zehnjährige war das so ähnlich wie einen geheimen Schatz zu finden: Mützen, Overalls, Werkzeuge, Zündkapseln, Zündschnüre und der Plastiksprengstoff. Anschließend gruben wir am Strand ein Loch und versenkten darin den Sprengstoff. Die Zündkapsel befestigten wir an der Zündschnur und steckten sie in den Plastiksprengstoff. Zu guter Letzt legten wir einen großen Stein oben drauf, zündeten die Schnur an und rannten wie bescheuert davon. Und BUMM – der Stein flog fünfzehn Meter durch die Luft. Es war toll! Später mischten wir uns unter die Schaulustigen und hörten zu, was sie zu murmeln hatten: »Was denkst du?« – »Weiß nicht – Außerirdische?« Ich habe keine Ahnung, was dem Dorfpolizisten durch den Kopf
schoss, als er die Explosionen hörte. Schließlich musste er feststellen, dass das halbe Kliff ins Meer gerutscht war. Fast zwei Meilen der Küste waren nach unserem kleinen Experiment verschwunden! Nur ein unschuldiger Spaß, oder? Schulkinder bauen eine Menge Scheiße, warum auch nicht? Das ist doch ihre Aufgabe, oder? Den Erwachsenen auf die Nerven gehen, damit diese ein Kreuz zu tragen haben; wozu sind sie denn sonst gut? Natürlich war das nichts im Vergleich zu meinem wachsenden Interesse am anderen Geschlecht. Sie müssen sich vor Augen halten, dass es zu der Zeit, in den Fünfzigern, noch keinen Playboy und kein Penthouse gab. Das höchste der Gefühle waren damals diese Magazine, die Sachen wie Tennis spielende Nudisten brachten – Health and Efficiency und so’n Scheiß. So waren die Fünfziger. Und manche Leute nennen sie die Zeit der Unschuld. Scheiß drauf – versuch’ mal darin zu leben! Meine sexuelle Erziehung begann sehr früh – ich war gerade den Windeln entwachsen. Meine Mutter brachte ungefähr drei Onkel mit nach Hause, bevor wir uns auf einen als Vater einigten. Für mich war das immer okay. Sie war einsam und schuftete den ganzen Tag, um mich und meine Oma zu ernähren. Ich hatte kein Problem damit, etwas früher ins Bett zu gehen. Und wenn man auf dem Land aufwächst, stößt man des Öfteren auf Leute, die es auf den Feldern, hinter Büschen und im Wald treiben. Zudem gab es auch auf dem Land Autos, deren Fenster beschlagen waren – wenn man Glück hatte, konnte man einen Blick auf ein nacktes Bein oder eine Brust erhaschen, wenn das Pärchen vom Vordersitz auf den Rücksitz kletterte. Zu der Zeit waren diese Röcke mit den zwei Petticoats darunter in Mode. Die konnte man rumsausen lassen, wenn man den Jive tanzte – also tanzte ich eine Menge. Ich hörte damit allerdings auf, als der Twist aufkam, denn
beim Twist durfte man die Frau auf einmal nicht mehr berühren. Eine Beleidigung für einen Tänzer wie mich! Und dabei hatte ich gerade erst die pubertäre Wollust entdeckt. Ich wollte dicht herankommen, die direkte Erfahrung, die Wärme fühlen. Das gegenseitige Befummeln und so was. So richtig los ging es dann mit vierzehn. Ich arbeitete in einer Reitschule und ich entdeckte mein Verlangen nach Frauen: egal ob groß oder klein, dick oder dünn. Selbst Konfession, Alter, politische Überzeugung und Haut- und Haarfarbe waren mir egal. Hauptsache Frau. Ganz Manchester und Liverpool schienen im Sommer in unser kleines Seebad zu kommen. Während ihrer Ferien vergnügten sich Collegestudentinnen in unserer Reitschule. Und die Pfadfinderinnen kamen jedes Jahr en masse – die ganze Truppe, mit Zelten und Zeug. Aber mit nur zwei Pfadfinderführerinnen, um auf sie aufzupassen – ha! Wem wollten die etwas vormachen? Wir würden zu den Miezen kommen, und wenn wir Taucheranzüge anziehen mussten! Und die Mädchen fühlten offenbar genauso. Sie waren lernbegierig und wir waren lernbegierig. Und so lernten wir gemeinsam. Glauben Sie mir, wir lernten jede Scheißnote. Den Job in der Reitschule nahm ich an, weil ich Pferde mochte. Das tue ich immer noch, denn Pferde machen Frauen scharf. Ein Pferd hat sexuelle Kraft. Frauen mögen es, ohne Sattel zu reiten, und nicht aus den offensichtlichen Gründen. Ich denke, dass sie ohne Sattel reiten, um den Körper des Tieres direkt auf der Haut zu spüren. Ein weiterer Grund, warum Frauen auf Pferde stehen, ist die Stärke dieser Tiere. Ein Pferd kann mit dir tatsächlich machen, was es will, was es aber nicht tut, denn bis auf wenige Ausnahmen sind es keine launenhaften Tiere. Sie beugen sich dir. Ich schätze, das ist es, was Frauen an Pferden mögen – ein starkes Wesen, das nachgibt, ohne Widerstand zu leisten, oder wenigstens seine
Rechte zu behaupten. Ein Pferd kann zwar nicht abspülen, aber diesen kleinen Schönheitsfehler nehmen Frauen gern in Kauf. Ich hatte mich in Ann verliebt. Sie war fünf Jahre älter als ich, was in dem Alter eine unüberwindbare Kluft darstellt. Ann war sehr groß. Sie bestand hauptsächlich aus Beinen und hatte zudem eine gebrochene Nase, aber ich fand sie unwiderstehlich – ich war verliebt. Alles in allem war sie sehr attraktiv. Doch sie hatte einen kleinen Fehler. Sie ging mit diesem wirklich hässlichen Kauz aus. Das konnte ich nicht verstehen. Einmal habe ich sie beim Bumsen in einer Scheune erwischt. Als ich auf Zehenspitzen wieder hinausschlich, dachte ich nur: »Mein Gott!« Aber die lustigste Episode aus der Pfadfinderinnenzeit erlebte ich mit meinem Freund Tommy Lee. Tommy hatte nur einen Arm. Er war Elektriker. Einmal legte er seinen Finger auf den falschen Draht und der Schlag hat ihm den Arm bis zum Bizeps abgebrannt. Sie mussten den Rest auch noch entfernen und seine Schulter vernähen. Danach war er nicht mehr derselbe. Tommy hörte eine Menge Dinge, die nur er hören konnte. Aber wie dem auch sei, er hatte diesen falschen Arm mit einem schwarzen Handschuh dran, den er an seinem Gürtel festhakte oder in die Tasche steckte. Eines Nachts statteten wir den Pfadfinderinnen mal wieder einen unserer Besuche ab. Wir krochen unter der Hecke durch und weiter durch die Brennnesseln – wenn man vierzehn ist, macht einem das nichts aus –, für ein Mädchen tut man alles. Tommy verschwand mit seinem Mädchen in einem Zelt und ich mit meinem in ein anderes. Nur das unregelmäßige Quietschen der Feldbetten störte die nächtliche Pfadfinderruhe. Danach bin ich etwas eingedöst, wie Leute das eben so tun, weil es sich alles so nett anfühlt – deshalb tue ich es heute immer noch. Plötzlich wurde ich aufgeschreckt. »[Zack] Au! [Zack] Au! [Zack] Au! [Zack] Au!« Ich schaute verdattert unter der Zeltklappe hervor
und ich sah Tommy. Nackt. Die Klamotten unter seinem einen Arm, rannte er wie ein Verrückter umher. Ihm dicht auf den Fersen eine wütende Pfadfinderführerin, die Tommy mit seinem eigenen Arm auf den Kopf schlug! Ich konnte mich vor lauter Lachen nicht von der Stelle bewegen, ich war einfach hilflos. Ich musste so sehr lachen, dass sie mich erwischten! Nachdem ich also den Sex für mich entdeckt hatte, war es Zeit für Rock’n’Roll. In den ersten zehn Jahren meines Lebens hat der Rock’n’Roll quasi überhaupt nicht existiert. Es gab nur Frank Sinatra und Rosemary Clooney und »How Much Is that Doggie in the Window?« – das war monatelang an der Spitze der Charts! Ich habe die Geburt des Rock’n’Roll aus erster Hand erlebt. Als Erstes hörte ich Bill Haley & The Comets – ich glaube, es war »Razzle Dazzle«. Dann kamen »Rock Around the Clock« und »See You Later Alligator«. Die Comets waren bei Tageslicht betrachtet eine eher schwache Band, aber sie waren zu der Zeit die Einzigen. Und der einzige Sender der Rock’n’Roll spielte, war Radio Luxemburg. Den allerdings in Wales zu empfangen, war alles andere als einfach. Ständig wurde das Signal schwächer und so musste man immer am Senderknopf drehen, um überhaupt etwas zu empfangen. Da sie nur zu Beginn des Liedes den Interpreten ankündigten, brauchte ich Monate um herauszufinden wer »What Do You Want to Make Those Eyes at Me For?« singt: Emile Ford and the Checkmates. Emile Ford and the Checkmates hatten fünf Hits in England und Emile war ein Star, bis man ihn dabei erwischte, wie er einem Kind Geld für ein Autogramm abnehmen wollte. Das hat ihn erledigt. Die Checkmates haben noch eine Weile alleine weitergemacht, aber das war nichts mehr. Platten musste man damals bestellen. Die konnte man nicht einfach im Laden kaufen. Bis die Platte dann eintraf, konnte schon mal ein Monat vergehen. Die erste 78er, die ich mir
kaufte, war von Tommy Steele, der britischen Antwort auf Elvis Presley. Dann bekam ich »Peggy Sue« von Buddy Holly. Von ihm ist auch mein erstes richtiges Album The Buddy Holly Story, das ich mir kurz nach seinem Tod besorgte. Ich habe Buddy Holly noch live gesehen, im New Brighton Tower. Ein Beweis, dass ich ganz schön alt bin – ich habe Buddy Holly live gesehen! Es dauerte lange, bis ich eine Elvis-Presley-Platte kaufte – die erste war glaube ich »Don’t Be Cruel«. Sein Stil, sein Aussehen waren toll und er war wirklich einmalig, aber ich fand, dass er lange nicht so gut wie Buddy Holly und Little Richard war. Presleys Problem waren seine schlechten BSeiten. Alben waren damals anders: Ein Album konnte die Sammlung der letzten sechs Hitsingles und deren B-Seiten sein. Also waren Elvis’ Alben zur Hälfte Mist. Er begann erst gute B-Seiten zu machen, als er »I Beg of You« aufnahm. Buddy Holly hat nie ein schlechtes Stück gespielt, soweit ich das hören konnte. Ein weiteres Vorbild für mich war Eddie Cochran. Er arbeitete damals in einem Studio in Hollywood, und wenn jemand eine Stunde früher fertig war, ist er rein und hat eine Platte gemacht. Und er hat all seine Sachen selbst geschrieben und produziert. Er war der Erste, der das getan hat – ein sehr innovativer Kerl. Ich wollte ihn mir auf dem zweiten Teil seiner England-Tournee ansehen, aber dann hatte er den tödlichen Unfall in der Nähe von Bristol. Sein Tod hat mich sehr erschüttert. Wegen ihm und Buddy Holly griff ich selbst zur Gitarre. Aber die Mädchen waren mindestens zu sechzig Prozent dafür verantwortlich, dass ich spielen wollte. Am Ende des Schuljahres entdeckte ich, was für ein unglaublicher MuschiMagnet Gitarren waren. Nach dem Examen hängt man eine Woche im Klassenraum rum, ohne etwas zu tun, und ein Typ brachte eine Gitarre mit. Er konnte überhaupt nicht spielen,
aber er war sofort von Frauen umringt. Ich dachte: »Ah, also das sieht viel versprechend aus!« Meine Mutter hatte eine alte Hawaiigitarre, die an einer Wand in unserem Haus hing – sie hatte sie als Kind gespielt, und ihr Bruder spielte Banjo. Ein Glücksfall, denn nicht viele Leute hatten 1957 eine Gitarre im Haus. Hawaiigitarren waren damals gerade sehr in. Wie Steelgitarren hatten sie einen flachen Hals und angehobene Bundstäbchen. Die von meiner Mutter war mit eingelegten Mustern aus Perlmutt versehen. Ich schleppte das verdammte Ding mit in die Schule. Und es hat tatsächlich funktioniert! Obwohl ich überhaupt nicht spielen konnte, war ich augenblicklich von Frauen umringt. Das war das einzige Mal in meinem Leben, dass etwas so unmittelbar funktionierte. Schließlich musste ich feststellen, dass die Mädchen von mir erwarteten, das Ding auch zu spielen. Auf einer Hawaiigitarre mit angehobenen Saiten war das ziemlich schwierig. Mit fünfzehn konnte ich dann »Rock Around the Clock« spielen, was ich auf einer Klassenfahrt nach Paris an einem Abend drei Stunden lang zum Besten gab. Obwohl ich mir kurz zuvor mit einem Klappmesser beinahe meinen Zeigefinger abgeschnitten hatte. Doch die Mädchen fanden es cool, als das Blut über meine Gitarre strömte. So müssen sich Indianer gefühlt haben, die mit bloßen Händen einen Grizzly erledigen wollten. Für sie bluten! Zu Hause wussten meine Mutter und mein Stiefvater genau, was ich vorhatte. Es war ziemlich offensichtlich – sie sahen die Mädchen kommen und gehen. Mittlerweile wohnte ich in der Garage, in der ich auch die Mädchen verführte. Ich glaube mein Stiefvater war ein Voyeur. Er kam öfter rein, immer dann, wenn ich gerade loslegte. »Weißt du, dass du auf einem Mädchen liegst?«, rief er scheinheilig.
»Klar weiß ich, dass ich auf einem Mädchen liege«, antwortete ich. »Wie machst du es denn?« Kurz nach der Parisfahrt flog ich von der Schule. Mit ein paar Freunden hatte ich mir frei genommen. Wir nahmen am Nachmittag den Zug zum anderen Ende der Insel und kamen gerade rechtzeitig zurück, um den Bus nach Hause zu erwischen. Aber wie es der Zufall nun mal so wollte, hatten uns ein paar Scheißkerle aus einer anderen Klasse auf dem Bahnsteig gesehen und uns verpfiffen. Ich wurde zum Schulleiter gerufen. Er war ein richtiger Schwachkopf, ein Vollidiot. Ich glaube, er ist nur Schulleiter geworden, weil er zu alt war, um was Richtiges zu werden. Zwei verdammte Wochen versuchte er mich klein zu kriegen. Jede Pause musste ich in seinem Büro antreten. »Du bist von zwei Holyhead-Jungs gesehen worden, als der Zug wendete«, erzählte er mir. »Das war ich nicht«, behauptete ich. »Ich war nie da.« Da lernte ich zu lügen. Ein weiterer Nebeneffekt der Disziplin. Denn wenn du nicht lügst, steckst du in der Scheiße. Der langen Rede kurzer Sinn, er wollte mir den Stock geben, zwei auf jede Hand. Das war direkt nach meinem Missgeschick mit dem Klappmesser in Paris. Es hatte Ewigkeiten gedauert, bis es zu heilen anfing. Können Sie sich vorstellen, wie man aus so einer Schnittwunde blutet? Jedes Mal, wenn dein Herz schlägt – ba-bumm – spritzt das Blut geradewegs durch das ganze Zimmer! Ich muss zu der Zeit einen halben Liter verloren haben. Ich fragte den Schulleiter: »Könnte ich vier auf eine Hand kriegen, wegen meines Fingers?« Aber nein, das kam nicht in Frage. Er stand gelassen da, hob meine Hand hoch und – Zack! Überall das Scheißblut! Und als wäre nichts geschehen, sagte er: »Nimm die andere Hand hoch.«
»Du Scheißkerl«, dachte ich und als der Stock niederfuhr, schnappte ich ihn mir und schlug ihm auf seinen Kopf. »Ich denke, du wirst einsehen, dass deine Gegenwart hier nicht mehr erwünscht ist«, sagte er mit einem zornigen Blick. »Ich wollte eh nicht wiederkommen«, sagte ich ihm, und damit war ich zur Tür raus. Es waren sowieso nur noch sechs Monate übrig, und sie kamen nie zu mir wegen unentschuldigten Fehlens. Daheim erzählte ich nichts, sondern verließ brav jeden Morgen das Haus, als würde ich zur Schule gehen. Stattdessen ging ich zum Arbeiten in die Reitschule. Ich hatte noch jede Menge anderer Jobs – Zeit hatte ich ja jetzt im Überfluss. Ich war Anstreicher bei einem schwulen Typen, Mr. Brownsword. Was für ein Name? Absolut perfekt für einen Schwulen. Mr. Brownsword mochte mich nicht. Er war vielmehr hinter meinem gut aussehenden Freund Colin Purvis her. Was mir ganz recht war, so hatte ich meine Ruhe, denn ich musste nur sagen: »Mr. Brownsword, Colin streicht hier drin. Ich gehe schon mal nach oben.« Dann zogen wir von der Insel runter auf eine Farm in Conwy, an der Küste von Wales, direkt oben in den Bergen. Ich bin mit den Hirtenhunden durch die Felder gestreift. Dort habe ich gelernt, alleine zu sein, ohne dass es mir was ausmacht. Bis heute macht es mir nichts aus, alleine zu sein. Viele Leute finden das seltsam, aber ich finde es großartig. Mein Stiefvater besorgte mir dort einen Job in einer Fabrik. Einer Waschmaschinenfabrik! Meine Aufgabe bestand darin, vier Messingmuttern auf ein Ding zu schrauben. Dann kam eine Maschine herunter und trieb Wellen in ihre Seiten. Dann musste ich die Teile abnehmen und in einen Karton schmeißen. 15.000 Stück. Wenn du mit der Ladung fertig warst und irgendwie das Gefühl hattest, doch etwas geleistet zu haben, dann kam so ein Idiot und hat den Karton mitgenommen, um
dir einen leeren wieder hinzustellen. Wenn man nicht ‘ne Schraube locker hat, dann kann man so etwas nicht machen. Ehrlich. Denn diese Art von Arbeit macht doch jeden halbwegs intelligenten Menschen total wahnsinnig. Ich weiß nicht, wie die anderen Leute das gemacht haben. Ich schätze, sie haben ihre Intelligenz am Fabrikeingang abgegeben oder zumindest ausgeschaltet, weil sie Verpflichtungen hatten. Jeder sucht doch etwas Besseres und geht von zu Hause weg. Doch am Ende kehren sie alle wieder zurück. Ich hatte aber andere Pläne mit meinem Leben. Also ließ ich meine Haare wachsen, bis die Fabrik mich feuerte. Ich wäre lieber verhungert, als dorthin zurückzugehen. Ich hatte sehr viel Glück und war auf gewisse Art und Weise privilegiert, dass ich die Kurve noch kriegte.
Ich brauchte einen Kameraden und den fand ich in Ming. Er nannte sich Ming nach dem Kaiser in Flash Gordon. Ming hatte lange Haare und einen langen, runterhängenden Schnurrbart. Unsere meiste Zeit verbrachten wir in Cafés und Tanzlokalen. Wir hingen rum und spannten nebenbei den anderen Kerlen einfach die Mädchen aus. Nachdem wir das eine Zeit lang getan hatten, kamen wir auf die großartige Idee, Drogen zu nehmen. Einer meiner Freunde von Anglesey, Robbie Watson aus Beaumaris, versorgte uns mit allem, was wir wollten. Robbie hatte einige Zeit in Manchester gelebt und sehr lange Haare, was uns mächtig beeindruckte. Zuerst rauchten wir ein wenig Dope. Doch eines Abends in der Venezia Coffee Bar in Llandudno gab mir Robbie eine Ampulle Speed – Methamphetaminhydrochlorid – mit einem kleinen Totenschädel und gekreuzten Knochen drauf. Man sollte sie in seinen Arm spritzen. Doch schon damals verspürte ich wenig Lust, mir irgendetwas in den Arm zu rammen, und bis zum heutigen Tag bin ich von meiner Überzeugung keinen Millimeter abgerückt. Denn man gewöhnt sich sonst an das beschissene Ritual. Ich habe Leute gesehen, die einen unheimlichen Scheiß mit Nadeln angestellt haben: Sie spritzten Wasser, nur um eine Ausrede zu haben, sich die Nadel in ihre Arme zu jagen.
Robbie war so einer und er wollte es mir schmackhaft machen. Aber ich schüttete es in eine Tasse mit Schokolade und trank es. Zu ihrem Unglück stand an jenem Abend eine besonders gut aussehende Bedienung hinter dem Tresen. Ich habe sie ohne Punkt und Komma mehrere Stunden vollgelabert. Robbie versicherte ich immer wieder, dass es bei mir nicht wirkt, und in der nächsten Sekunde kaute ich schon wieder der Bedienung ein Ohr ab. Die Arme. Keine Ahnung, wie sie mein Gesabbel ausgehalten hat, aber ich fühlte mich einfach großartig – ich war einfach der King! Leider gibt es ein Problem – irgendwann lässt die Wirkung nach. Robbie war lange Zeit mein bester Freund, denn er besaß eine ganz spezielle Art von Humor, die äußerst selten geworden ist. Trocken, mit einer gehörigen Portion Ironie. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er schon tot – eine Nadel zu viel. Noch Fragen? Aber zurück zu Ming und mir. Mit ihm verließ ich Wales und wir zogen östlich, um unser Revier zu erweitern. Nach Manchester. Der Grund waren natürlich ein paar Mädchen, die wir in den Ferien in Colwyn Bay aufgerissen hatten. Es war richtig ernst – ich war sechzehn – mit Heiraten und dem ganzen Scheiß. Doch am Ende lief es natürlich wieder nur auf das eine hinaus: Sex. Und wenn wir ehrlich sind, so sind sie auch besser dran, als wenn sie mit uns vor den Altar getreten wären. Wie das Mädchen von Ming hieß, weiß ich beim besten Willen nicht mehr, aber meine Auserwählte hörte auf den Namen Cathy. Sie war gerade fünfzehn Jahre alt, aber wissbegierige fünfzehn. Am Ende der Ferien gingen die zwei Mädchen zurück nach Stockport und wir einfach hinterher. Mit Ming nahm ich mir eine Wohnung in der Heaton Moor Road. Sehr schnell gingen bei uns die Leute ein und aus. Da die meisten keine richtige Bleibe hatten, schliefen sie bei uns auf
dem Sofa oder einfach auf dem Boden. Innerhalb eines Monats waren wir sechsunddreißig in einem Zimmer! Der Einzige, an den ich mich erinnere, war ein Typ, der sich Moses nannte. Und wenn man dem Charlton-Heston-Film glauben darf, sah er ihm sogar sehr ähnlich. Dann wurde Cathy schwanger… ich meine, sie war wunderbar, aber sie war fünfzehn – ich sah mich hinter Gitterstäben! Ihr Vater schrieb Briefe an meinen Stiefvater, in denen er mich einen walisischen Beatnik im Exil nannte. Die zwei werdenden Großväter arbeiteten einen von jenen »zweckmäßigen« Plänen aus. Das Baby, Sean, wurde nach der Geburt adoptiert. Trotz der besonderen Umstände machte Cathy ihre Abschlussprüfungen im Entbindungsheim, wo ich sie oft besuchte. Sie legte gewaltig zu, und ich heiterte sie so gut es ging auf, indem ich sie mit »Hallo Dicke« begrüßte, was sie ebenfalls mit Humor nahm. Sie war ein tolles Mädchen, meine erste Liebe. Später habe ich Cathy aus den Augen verloren – keine Ahnung warum. Doch vor zwei, drei Jahren hat sie mich kontaktiert, gerade rechtzeitig für dieses Buch… Sie erzählte, dass sie Sean gefunden hatte, aber das werde ich hier nicht vertiefen – er soll sein eigenes Leben haben. Was meine Wohnsituation angeht, so saßen wir – meine sechsunddreißig Zimmergenossen und ich – sehr schnell auf der Straße. Irgendwie hat der Vermieter wohl die Gasrechnung, die sich zu dem Zeitpunkt wohl geschätzten £ 200.000 angenähert haben dürfte, zu Gesicht bekommen. Ich war plötzlich allein. Denn mein »furchtloser Abenteurer« Ming zog es vor, zurück nach Wales zu kehren, um schließlich als Bürohengst im Sozialamt sein Heil zu finden. Und mir will immer alle Welt weismachen, dass es einen Sinn im Leben gibt. Zu jener Zeit war unter den jungen Menschen auf dem Land eine besondere Beschäftigung sehr weit verbreitet: das
Herumtreiben. Natürlich wurde ich sofort Teil dieser Jugendbewegung. Als Erkennungsmerkmal haben wir alle USArmeejacken getragen. Die wasserdichten mit dem doppelten Futter. Die waren sehr billig und alle die man kannte, mussten sich mit ihrem Namen auf der Jacke verewigen. Jeder hatte praktisch ein Autogramm von jedem. Wir trampten durchs Land und übernachteten bei Mädchen. Oder in abgestellten Bahnwagen oder sonst irgendwo, immer auf der Suche nach den Mädchen. Es war eine große Sache, »unterwegs« zu sein. Es war die Zeit von Bob Dylan – nur die Gitarre und ein Schlaf sack auf dem Rücken. Eine Menge Mädchen stehen auf Abenteuer mit Durchreisenden. Bei Tageslicht betrachtet ist es eine der ältesten Traditionen: der Zirkus, die Soldaten, die Piraten, die Rockbands auf Tour – die Mädchen finden sie immer. Ich glaube, die Frauen sehen etwas Romantisches darin und stehen darauf, wenn der Typ heute hier und morgen da ist. Ich steh auch drauf, was aber nicht weiter verwunderlich ist, denn schließlich bin ich ja selbst ein Typ. Die Zeiten, Anfang der Sechziger, waren der Wahnsinn. Wir ließen unsere Haare bis zum Arsch wachsen, lebten einfach in den Tag und auf Kosten der Mädchen. Denn die plünderten die Kühlschränke ihrer Eltern, um uns zu verpflegen. Wir kamen uns vor wie verurteilte Verbrecher auf der Flucht, denen die Frauen Zuflucht und eine Mahlzeit gewährten. Die Mädchen sahen es wohl ähnlich. Sie suchten den besonderen Kick und wir etwas zu essen. Doch es war nicht immer spaßig, denn des Öfteren wurde ich beim Trampen auch verprügelt. Die Arschlöcher von Lastwagenfahrern hielten einfach an, um mir einen überzubraten. Oder wenn man besonderes Glück hatte, stieg man zu einem schwulen Lastwagenfahrer in die Kabine. »Hallo, Sohn. Wie weit soll’s denn gehen?« »Manchester.«
»Manchester, alles klar. Ich würde gern deinen Schwanz lutschen.« »Ich steige dann hier aus.« Unsere Wohnung in Heaton Moor entwickelte sich in der kurzen Zeit zu einer Kommune. Wenn einer ein Mädchen hatte, war es mörderisch: Du warst in der Dunkelheit von riesigen Augen umgeben, und du konntest dir sicher sein, dass die Typen besser sehen konnten als irgendwelche Nachtsichtgeräte des KGB. Aber Sex hat damals wesentlich mehr Spaß gemacht – es waren nicht so furchtbare Dinge damit verbunden wie heute. Sex sollte Spaß machen, anstatt all dieser Stigmatisierung – »Oh, du willst nur das Eine!« Also, natürlich will ich, du nicht?! Wenn es keinen Spaß mehr macht, dann hör damit auf, um Gottes willen. Wir sind damals alle zum Mersey Square betteln gegangen. Unsere »Einnahmen« teilten wir dann brüderlich. Hauptsächlich ernährten wir uns von Ambrosia Sahnereis. Wie beim Dosenschießen wird ein Loch in die Reisdose gemacht und dann der Inhalt herausgesaugt. Eine echte Delikatesse damals – und kalt viel schmackhafter. In dieser Zeit habe ich meine Vorliebe für kaltes Essen entwickelt, die ich bis heute nicht abgelegt habe – ich kann kaltes Steak essen, kalte Spaghetti, sogar kalte Pommes Frites, und da gehört einiges dazu! Hauptsache sie sind ordentlich salzig. Manchester ist nicht weit von Liverpool entfernt, und in den frühen Sechzigern kam unglaubliche Musik aus den beiden Städten. Durch beide Städte fließt der Fluss Mersey. Deshalb wurde die örtliche Musikszene Merseybeat getauft. Einige Bands gingen so weit, den Flussnamen in ihren Bandnamen einfließen zu lassen, wie etwa die Merseybeats oder die Mersey Squares, die unserem Bettelplatz mit ihrem Namen ein Denkmal setzten. Es gab Hunderte von Bands, die aus Manchester und Liverpool kamen, und sie alle spielten die
gleichen zwanzig Songs – »Some Other Guy«, »Fortune Teller«, »Ain’t Nothing Shaking but the Leaves on the Trees«, »Shake Sherry Shake«, »Do You Love Me«… Alle Bands von 1961 bis 1963 waren Coverbands – auch die Beatles. Um sich voneinander zu unterscheiden, mussten die Bands auf irgendeine Art und Weise ihre Originalität unter Beweis stellen. So konnte es passieren, dass an einem Abend die Vorband stolz verkündete: »Wir spielen jetzt »Fortune Teller« von den Merseybeats.« Dann kamen die Merseybeats auf die Bühne und kündigten denselben Song wie folgt an: »Jetzt spielen wir »Fortune Teller« von Benny Spellman.« Sehr originell. Oder die Bands nahmen sich einen alten Standard und haben diesen aufgepeppt. Rory Storm and the Hurricanes haben zum Beispiel aus »Beautiful Dreamer« alles rausgeholt. Das hat gerockt. Aber eine Band, die sich wirklich von den anderen unterschied, war Johnny Kidd and the Pirates. Johnny trug eine Augenklappe, ein gestreiftes Hemd und Piratenstiefel. Das war etwas anderes – einfach ein originelles Bühnen-Outfit. Und die Pirates sind die Erfinder des Stroboskoplichts – ihr Roadie musste den Lichtschalter einfach sehr schnell an- und ausschalten. Für ihren Gitarristen Mick Green habe ich immer das Equipment getragen, so dass ich für ihre Shows nichts zahlen musste. Jahre später habe ich eine Platte mit Mick aufgenommen. Doch Einzelgänger wie er kamen damals nicht groß raus. Der Einzige, der es trotz seiner Eigenbrötlerei geschafft hat, ist Eric Clapton. Wie Sie wissen ist er heute ein Weltstar. Eine weitere tolle Band waren die Birds – nicht zu verwechseln mit den amerikanischen Byrds. Diese Birds hatten Ronnie Wood, der später mit den Rolling Stones Karriere machte, an der Gitarre. Die Birds waren pure Magie, verdammt gut, ihrer Zeit weit voraus. Nach nur drei Singles waren sie wieder verschwunden, aber in ihrer aktiven Zeit folgte ich den
Birds überallhin – ich schlief sogar in ihrem Bus. Ich spielte zu der Zeit in der Band The Motown Sect, und wir hatten die Ehre, mit den Birds zu spielen. Das Lineup der Birds: Ali McKenzie sang, Ron und Tony Munroe spielten die Gitarren, Pete McDaniels war am Schlagzeug und Kim Gardner am Bass. Kim war ein großartiger Bassist und betreibt heute ein Restaurant in Hollywood: Cat and the Fiddle. Die Birds waren eine sehr gut aussehende Band, allen voran Ronnie in seinem braunen Tweedanzug mit Fischgrätenmuster, seinen zweifarbigen Schuhen und seiner weißen Telecaster. Von ihrer Erscheinung her erinnerten sie an Mods, nur dass ihre Haare länger waren als bei den Mods. Das gefiel mir besonders, denn ich hatte meine Haare auch sehr lang – für die damalige Zeit zumindest. Was die Mode betrifft war England schon immer der Zeit voraus. Die Mods waren eine sehr merkwürdige Spezies. Sie hatten sehr kurze Haare und meistens einen Seitenscheitel, so wie John F. Kennedy. Ihre Hosen waren aus sehr dünnem Cordmaterial, die sie mit knallbunten Jacken und zweifarbigen Schuhen kombinierten. Das amerikanische Äquivalent wären wohl die Beach Boys gewesen, aber wir hatten mit Surfen nichts am Hut, denn bei uns spielte sich eher alles in den Städten ab. Und die Mods hatten Augen-Make-up, besonders die Jungs. Die Gruppe, zu der ich gehörte, mochte die Mods nicht, aber rückblickend war es nicht schlimmer, als das, was wir machten. Ich meine, wir hielten sie für Memmen und sie hielten uns für Penner – und wir hatten beide Recht. Damals traf ich eine Menge Musiker, die später richtig Karriere machten, wie zum Beispiel Jon Lord. Er war und ist ein perfekter Musiker. Er spielte später bei Deep Purple, Whitesnake und Rainbow. Zu jener Zeit hieß seine Band The Artwood. Ron Wood ist der Bruder des Sängers Art Wood. Doch dazu später mehr.
An der Strandpromenade von Llandudno war das Washington, eine Kneipe, in deren Obergeschoss regelmäßig Konzerte stattfanden. Los ging es mit Jazz- und Bluesabenden wie mit Graham Bond, Ginger Baer und Dick Heckstall-Smith. Später dann die Downliner Sect, Alan Skidmore und dann eines Abends die Artwoods. Ich war im Publikum – bewunderte vor allem ihr immenses Equipment – und sie spielten ziemlich gut, wie ich von meinem hohen Kritikerthron in Nordwales befand. Nach der Show unterhielt ich mich mit Jon Lord und er bot mir an, mich mit zurück nach Colwyn Bay zu nehmen. Eine Entscheidung, die er später sicher sehr bereut hat, denn der arme Trottel gab mir seine Adresse in West Drayton, in der Nähe von London. Drei Wochen später zog ich los. Ich glaubte wirklich, dass dieser Rockstar in einer riesigen Villa residiere und für mich bestimmt ein Plätzchen in einer seiner unzähligen Dienstbotenkammern hätte. Und er würde mich den ganzen anderen Rockstars vorstellen, mit denen ich dann meine Karriere starten würde. Leider nur Träume. Die Adresse entpuppte sich als Haus in einer Sozialbausiedlung. Um drei Uhr morgens klingelte ich Sturm. Eine süße alte Dame öffnete die Tür: »Ja, wer ist da?« »Ich bin’s«, sagte ich, »Lemmy aus Nordwales.« »Hä?« »Jon Lord wird sich an mich erinnern. Von ihm habe ich die Adresse.« »Oh, nein, mein Lieber, er ist auf Tour in Dänemark!« Warum hatte ich diese Möglichkeit nicht bedacht? Ich war jung und dumm, darum. »Oh…«, stammelte ich. Sie sah mich an. Ich sah sie an. »Äh«, stammelte ich erneut. Es wurde still zwischen uns.
Dann sagte sie etwas, für das ich ihr ewig dankbar sein werde: »Na ja, macht nichts, Sie können auf dem Sofa schlafen und wir sehen morgen früh weiter.« Das hat man nicht sehr oft in unserer schönen neuen Welt! Beim Aufwachen sah ich Ron Wood und drei andere Gestalten, die sich über mich beugten und mich anstarrten. »Ey, was machste ‘n auf ‘m Sofa meiner Mutter, hä?« Ich hatte auf dem Sofa von Mrs. Wood übernachtet, der Mutter von Ron und Art. Und nebenbei beherbergten sie auch noch Jon Lord. Wenn das mal kein Zufall ist, oder? So kam es, dass ich abends zu einem Gig der Birds ging, und dann ging ich nach Sunbury an der Themse – aber dazu später mehr. Doch die beste Band der Welt waren die Beatles, und so etwas wie die Beatles wird es niemals wieder geben. Wahrscheinlich muss man wirklich dabei gewesen sein, um zu verstehen, was ich gerade gesagt habe. Heute denken vor allem die Jüngeren, dass die Beatles nur eine Band waren, aber das waren sie nicht. Sie waren ein weltweites Phänomen. Jeder veränderte sich durch die Beatles, sogar Politiker. Der Daily Mirror berichtete täglich auf einer ganzen Seite darüber, was die vier geraten taten. Stellen Sie sich vor: eine überregionale Tageszeitung widmet eine Seite pro Tag einer Band? Sie waren riesiger als riesig. Die Beatles revolutionierten den Rock’n’Roll, und sie veränderten auch das Aussehen der Leute. Heute erscheint es lächerlich, aber für damalige Zeiten hatten sie verdammt lange Haare. Ich dachte nur: »Wow! Wie kann ein Kerl so lange Haare haben?« Tatsächlich waren sie nur nach vorne gekämmt, mit ein paar Fransen über dem Kragen. Wir hatten damals alle Tollen – vor den Beatles gab es nur Entenärsche und Elvis. Ich hatte das Glück, sie noch in ihren Anfangstagen spielen zu sehen. Im Cavern Club in Liverpool. Sie waren wirklich lustig, sie aßen Käsebrötchen, während sie sangen, und sie
erzählten fortlaufend Witze. Sie waren urkomisch. Sie hätten eine Comedytruppe sein können. Und sie hatten seltsame Gitarren, wie sie keiner von uns zuvor gesehen hatte. John hatte seine Rickenbacker und Paul hatte diesen violinenförmigen Bass. Wir anderen spielten alle Stratocasters; ich meine, eine Strat war das beste, was man sich erhoffen konnte, Gibsons gab es noch nicht einmal. Und George spielte, glaube ich, eine Hofner Futurama, Gott steh ihm bei. Später hatte er eine Reihe von Gretsch’s. Diese seltsamen Typen mit ihren langen Haaren und den komischen Gitarren posierten in Hemdsärmeln, mit herausgezogenen Schlipsen! Alle anderen trugen diese fürchterlichen, steifen Anzüge, eingezwängt in diese schrecklichen italienischen Jacketts mit zehn Knöpfen, die ihnen die Luft nahmen. Die Beatles waren einfach eine Offenbarung. Brian Epstein machte sie massentauglich, aber sie waren alles andere als Memmen. Die Beatles waren hart, denn sie waren aus Liverpool, was wie Hamburg oder Norfolk, Virginia, ist – eine raue Hafenstadt. Voll mit Dockarbeitern und Matrosen, die die Scheiße aus dir rausprügeln, wenn du sie nur schief anschaust. Ringo kommt aus Dingle, was der Bronx ziemlich ähnlich ist. Die Rolling Stones waren dagegen die reinsten Muttersöhnchen – sie waren alle Collegestudenten aus den Randgebieten von London. Sie gingen nach London, um zu hungern – aber sie taten das freiwillig! Ich mochte die Stones, aber sie kamen nie an die Beatles heran – nicht, was den Humor betraf, die Originalität, die Songs oder die Art der Darbietung. Alles, was sie hatten, war der herumtänzelnde Mick Jagger. Zugegeben, die Stones machten tolle Platten, aber auf der Bühne waren sie immer Scheiße, wohingegen die Beatles überragend waren. Ich erinnere mich an einen Gig der Beatles im Cavern. Brian Epstein war gerade ihr Manager geworden. Jeder in Liverpool
wusste, dass Epstein schwul war, und irgend so ein Typ im Publikum schrie: »John Lennon ist ‘ne verdammte Schwuchtel!« Und John – der auf der Bühne niemals seine Brille trug – nahm seine Gitarre ab, ging von der Bühne ins Publikum und fragte: »Wer hat das gesagt?« Worauf der Typ antwortete: »Ich, verdammt noch mal.« John ging auf ihn los, und – gab ihm den Liverpooler Kuss, verpasste ihm ein Ding – und noch eins! Und der Typ ging zu Boden in einer Masse aus Blut, Rotz und Zähnen. Dann kletterte John wieder auf die Bühne zurück. »Noch jemand?«, fragte er. Keiner wagte es auch nur zu atmen. »Also gut dann. ›Some Other Guy‹.« Die Beatles öffneten die Tür für alle Bands aus der Gegend. Es war so, wie Seattle in den frühen Neunzigern – die Plattenfirmen kamen an und nahmen alles, was bei drei nicht auf den Bäumen war, unter Vertrag. Oriole Records ließ die Gruppen drei Tage lang in einem Ballsaal vorspielen. Sie stellten Equipment auf und über siebzig Bands spielten je einen Song. Das Label nahm ungefähr die Hälfte von ihnen unter Vertrag. Epstein hatte noch andere Bands neben den Beatles. Eine der Wenigen, die er hatte, die es nicht geschafft haben, waren die Big Three. Johnny Gustafson, der später bei Quatermass, Andromeda und dann den Merseybeats war, spielte Bass. Die Band hatte einen phantastischen Gitarristen, Brian »Griff« Griffiths, der diese alte, angeschlagene Hofner Colorama hatte – eine verdammt fürchterliche Gitarre mit einem Hals wie ein Baumstamm, aber er spielte unglaublich. Und der Schlagzeuger, Johnny Hutchinson, sang ganz alleine, was damals einmalig war – ein singender Schlagzeuger! Sie waren eine hervorragende R&B-Band, aber das Geschäft hat sie lahmgelegt. Die Band veröffentlichte eine Platte, mit der sie zufrieden waren, aber sie floppte. Sie hatten danach noch zwei
Titel von Mitch Murray am Hals – er schrieb eine Menge dieser zuckersüßen Popsongs (einer davon war »How Do You Do It?« für Gerry and the Pacemakers). Irgendwie schafften sie es nicht und Epstein ließ sie fallen. Schade, denn sie waren eine tolle Band. Ich war damals ebenfalls die ganze Zeit in Bands. Ich hatte schon das typische Lokalband-Ding in Wales mitgemacht. Aber zu der Zeit war es alles andere als einfach eine Band zusammenzustellen. Die erste Hürde, die es zu nehmen galt, war das Equipment. Denn ob einer gut Bass spielen konnte, war nicht so wichtig. Viel wichtiger war überhaupt einen Bass zu besitzen. Wenn er zudem noch über einen Verstärker verfügte, über den die andern auch spielen konnten, war er definitiv dabei. Ich hatte Glück, dass ich meine Hofner-Club50-Gitarre hatte. Die hatte ich aus dem Wagstaffs, einem Musikgeschäft in Llandudno. Der alte Wagstaff – er war ungefähr 107 und er war voll in Ordnung – führte sein Geschäft auf sehr altmodische Art und Weise. Für ein paar Pfund Anzahlung konnte man sich das Objekt der Begierde mitnehmen. Da nicht alle den vollständigen Preis bezahlten, machte er irgendwann pleite. Sein Sohn übernahm den Laden und hat ihn umgehend verkauft. Es wurde ein Geschäft für Damenunterwäsche. Ich beschloss Gitarrist zu werden, nachdem ich Oh Boy (möglicherweise die beste Rockshow überhaupt) und 6-5 Special (die definitiv nicht!) gesehen hatte. In Wales war der Beruf des Rockmusikers nicht sehr populär. Man hörte von einem, der drei Dörfer weiter wohnte und eine Gitarre hatte, und man ging hin und redete mit ihm. Unser Schlagzeuger war Maldwyn Hughes, das heißt, er besaß ein Schlagzeug und spielte den damals typischen Tanzkapellenstil – mit Besen –, aber für die Zeit war er okay. Er kannte wiederum Dave (ich komme nicht auf seinen Nachnamen, aber er kam letztes Jahr
zu einem Motörhead-Konzert), ein guter Gitarrist, aber ansonsten eher ein nerviger Typ. Er hatte grüne Zähne, und sein Vater, ein gescheiterter Komiker, riss ständig schlechte Witze, wenn wir ihm über den Weg liefen. Diese Eigenschaft hatte Dave geerbt, und immer wenn sein alter Herr nicht anwesend war, nervte er uns mit dessen schlechten Witzen. Zuerst nannten wir uns die Sundowners. Später dann die Deejays. In einem Kellercafé in Llandudno hatten wir unseren ersten großen Auftritt und mein großer Moment kam, als ich »Travelin’ Man« von Ricky Nelson sang – ein sehr guter Sänger, der zudem noch sehr gut aussehend war. Ansonsten spielten wir einige Instrumentalstücke von den Shadows, den Ventures und Duane Eddy. Zur gleichen Zeit spielte ich auch mit diesem Typ Tempy. Von Tempy habe ich eine Menge über Sarkasmus gelernt. Ansonsten war es sehr schwierig mit ihm klarzukommen. Er spielte Bass – ich meine, er spielte wirklich Bass, und für etwa anderthalb Stunden schlossen wir uns dem typischen übellaunigen ortsansässigen Gitarristen an. Der hieß Tudor, aber mit Tempys höhnischem Sarkasmus, meinen liebenswürdigen Beschimpfungen und Tudor, dem nervösen Wrack, war es keine Überraschung – obwohl wir wunderbar zusammenspielten –, dass es bei der einen Probe blieb. Dass ich mich auch noch nach mehr als 40 Jahren daran erinnern kann, beweist, dass es hätte sehr gut werden können. Aber nach anderthalb Stunden war es Geschichte, also zurück zu den Deejays! Unser Sänger wurde Brian Groves, ein dunkler Typ und Frauenschwarm. Komplettiert wurden wir durch John, der eine wirkliche Seltenheit darstellte. John war nicht nur groß und konnte Bass spielen, er besaß auch einen Fender-Bass und zudem einen Verstärker. Er war so etwas wie der Bill Wyman von Nordwales. Wir waren so naiv, dass wir tatsächlich
glaubten, dass wir jetzt gemachte Leute sind. Doch davon waren wir so weit entfernt, wie Llandudno vom Mond. Zwar spielten wir ununterbrochen, auf Hochzeiten und Tanzabenden in Fabriken und was weiß ich wo, doch meine innere Stimme sagte mir, das kann es nicht sein. Einer nach dem anderen verließ die Deejays, so dass nur Dave und ich übrig blieben – tolle Band, die aus zwei Gitarristen besteht. Das war das Ende. Ich trat noch einer anderen ortsansässigen Band bei, den Sapphires, aber mit deren hyperventilierendem Gitarristen kam ich nicht zurecht. Meine Erfahrung mit nordwalisischen Bands und die Fließbandarbeit in der Fabrik waren der Grund, Wales den Rücken zu kehren. Mit meiner Gitarre, einer Eko, kam ich in Manchester an. Was für eine furchtbare Gitarre! Sie sah aus, als hätten Siegfried und Roy eine Gitarre entworfen – ganz in silbernem Glitzerstaub und schwarz. Sie hatte zehn Schalter, von denen nur zwei funktionierten. Die anderen waren nur Schau – ich schraubte die Gitarre auf und die Schalter waren nirgendwo angeschlossen. Die Eko tauschte ich sofort gegen eine Harmony Meteor – die hätte ich behalten sollen –, die ich dann für eine Gibson 330 in Zahlung gab. So oft wie ich meine Gitarren wechselte, wechselte ich auch die Bands. Zuerst kam ich zu den Rainmakers. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie es dazu kam, auf jeden Fall hatten die ihren Zenith schon lange überschritten, als ich dazustieß. Ich war nicht lange bei den Rainmakers. Danach war ich für ungefähr drei Wochen in einer anderen Band. Ich kann mich nicht erinnern, wie sie hieß – das sagt alles über diese Band. Dann kam die Motown Sect, bei der ich drei Jahre lang bleiben sollte. Ich traf den Gitarristen, Stewart Steele, und seinen Bassisten Les beim Rumhängen in Manchester. Sie hatten einen Schlagzeuger namens Kevin Smith (der neben Ian Brady und Myra Hindley wohnte), und ich stieg als Gitarrist ein und
übernahm auch größtenteils den Gesang. Ich mochte das Singen nicht sonderlich – das tue ich immer noch nicht, aber ich habe mich offensichtlich daran gewöhnt. Nach zwei Jahren stieg Les aus und wir holten Glyn als Ersatz am Bass. Wir nannten ihn Glun, warum weiß keiner. Glun war seltsam, denn er hatte nur eine einzige Freundin. Immer wenn die zwei sich trafen, fielen sie ganz wild übereinander her. Seine Freundin war eine örtliche Berühmtheit, denn sie hatte die Angewohnheit, nur mit einem weißen Lederbikini bekleidet, in den Dünen herumzulaufen. Sie sprach zudem mit niemandem. Keiner wusste, wer sie war, aber alle wollten sie kennen lernen! Und dann tauchte sie eines Tages mit Glun auf, der schon mit zwanzig kahl wurde. Ansonsten war Glun recht attraktiv. Er sah ein bisschen aus wie Dennis Quaid, der Jerry Lee Lewis in Great Balls of Fire spielt, nur ohne dessen gelocktes dichtes Haupthaar. Jedenfalls waren die Motown Sect eine super R&B-Band. Stewart war ein sehr guter Gitarrist. Er hatte eine Gibson Stereo 345, um den ihn alle anderen Gitarristen beneideten. Und er hatte auch einen höhenverstärkten Amp von Vox, was auch nicht ohne war. Die Sect spielten genau die Musik, die ich spielen wollte. Wir nannten uns Motown Sect, weil Motown damals gerade in war und der Name uns Auftritte verschaffte. Dabei spielten wir überhaupt keinen Motown-Soul, nicht eine Nummer. Wir hatten alle lange Haare, trugen gestreifte T-Shirts und spielten Blues. Wir hatten ein paar tolle Coverversionen von den Pretty Things und den Yardbirds auf Lager. Auf der Bühne sagten wir: »Jetzt kommt eine Nummer für alle James-Brown-Fans!« Worauf das Publikum laut »Yaaayyyy«, schrie. Kam natürlich nicht, die James-Brown-Nummer, stattdessen schickten wir folgende Ansage hinterher: »Sie ist von Chuck Berry und heißt…« Einige fanden es gut, weil sie es noch nie gehört
hatten. Andere hassten uns dafür, aber was zum Teufel konnten sie tun? Wir standen schließlich auf der Bühne. Wir hatten keinerlei Equipment, das hatte damals niemand. Bei einem Auftritt als Vorband der Pretty Things in der Stadthalle von Halifax hatten wir nur einen mickrigen 30Watt-Verstärker. Können Sie sich das vorstellen? Die beiden Türme, die ich jetzt habe, haben jeder 100 Watt – aber damals stöpselten sich alle – Bass, zwei Gitarren und Gesang – in einen 30-Watt-Verstärker von der Größe eines Übungsverstärkers. Mir kommt es so vor, als hätte ich schon immer in der gleichen ohrenbetäubenden Lautstärke gespielt, aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich nehme an, wir gaben damals mehr Acht darauf, was wir spielten, weil man jede Note hören konnte. Wir mussten immer die Anlage des Clubs benutzen. Das taten alle, sogar Hendrix Jahre später. Hendrix spielte während seiner ganzen Karriere in England über die Anlage der Clubs. Einige der Läden, in denen wir spielten, hatten zwei 10-Zoll-Bodenlautsprecher an jeder Seite der Bühne, mit einem kleinen Verstärker aus Metall mit Griffen auf der Rückseite. Hoffnungslos. Wie wir das je hinbekommen haben, werde ich nie begreifen. Aber man begreift nie, wie man irgendetwas gemacht hat, als man zwanzig war. Man schaut zurück und denkt: »Scheiße! Was hab’ ich getan? Das hab’ ich ganz bestimmt nicht gemacht!« Einige Mitglieder verließen schließlich die Band. Stewart, so talentiert er auch war, stand am Ende ohne etwas da, opferte sich auf für seine nörgelnde Mutter und seine Ehe. Ich wollte sowieso aus Manchester fort, denn die Band führte offensichtlich zu nichts. Als ich die Rocking Vicars das erste Mal sah, wusste ich, sie waren meine Fahrkarte.
Zum ersten Mal sah ich Reverend Black and the Rocking Vicars im Oasis Club in Manchester. Im Oasis spielten damals alle größeren Rockbands. Ich war schwer beeindruckt von dem, was die Vikars abzogen. Das Schlagzeug stand ganz vorne auf der Bühne und nicht wie üblich hinten, und der Schlagzeuger besaß zwei Bassdrums – so etwas hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Die ganze Band hatte sich in finnische Landestracht geworfen: Stiefel aus Rentierfell, weiße Hosen mit zugeschnürten Hosenschlitzen, Kittel aus Lappland und Vikarskragen. Das war ein Auftreten! Sie waren brutal laut und zertrümmerten ihr ganzes Equipment – hauten einfach alles kurz und klein. Das war sehr cool. Doch das Wichtigste: Sie hatten lange Haare. Der Schlagzeuger der Motown Sect wollte, dass wir uns alle die Haare kurz schneiden ließen. Als wir eines Abends The Who im Oasis ansahen, fing er wieder mit seiner alten Leier an: »Oh, die sehen toll aus mit ihren kurzen Haaren, findet ihr nicht?« Scheiß drauf! Ich würde mir nicht die Haare schneiden lassen. Ich war der Letzte in der Band mit langen Haaren, die anderen sind alle seinem dämlichen Rat gefolgt und ließen sich die Haare abschneiden. Im Großen und Ganzen hatte ich von den Jungs die Schnauze gestrichen voll, und als ich die Rocking Vickars erneut im Oasis sah, holte ich mir ein paar unverbindliche Erkundigungen über sie ein. Sie sahen in ihrem
Gitarristen nicht die große Zukunft, also heftete ich mich an ihre Fersen. Bei meinem Vorspielen bei den Rocking Vicars zertrümmerte ich meine Gitarre. Das war ein Trick, um darüber hinweg zu täuschen, dass ich nicht der geborene Leadgitarrist bin – und das bin ich bis heute nicht. Ich drehte den Verstärker voll auf und zog meine Show ab, indem ich letztendlich wie ein Wahnsinniger auf das Klavier sprang. Meiner Show hielt es jedoch nicht stand – es brach einfach zusammen. Anschließend zerschlug ich in dem Chaos meine Gitarre. Ganz ohne war meine Show nicht – denn es war ja meine einzige Gitarre, die ich zu Brei schlug –, doch die Vicars engagierten mich sofort und ich war zwei Jahre, von 1965-1967, mit ihnen unterwegs. Die Band besaß eine Gitarre, die sozusagen mit dem Job kam, eine Fender Jazzmaster. Ich hatte eine Telecaster – meine Gibson 330 hatte ich erst kurz zuvor dafür in Zahlung gegeben –, also fügte ich den Hals meiner Tele mit dem Korpus der Jazz zusammen. Das war eine wunderbare Gitarre und ich spielte sie während meiner ganzen Zeit bei den Vicars. Als ich schließlich bei ihnen ausstieg, musste ich ihnen den Korpus der Jazz zurückgeben – doch nach alledem, wem soll ich die Schuld geben? Der Leadsänger der Vicars, Harry Feeney, gab sich den Künstlernamen Reverend Black. Er sah Peter Noone von Hermans Hermits ziemlich ähnlich. Wenn er sang, machte er immer die »Scheibenwischer«, das heißt, er winkte mit den Zeigefingern in der Luft umher. Aber er war ein guter Frontmann und die Mädchen standen auf ihn. Pete, der Bassist verließ bald die Band und Steve Morris, auch Moggsy genannt, ersetzte ihn. Er war ziemlich geizig, ein Charakterzug, den er wohl von seinem Vater hatte. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal zu ihm ins Haus kam. Ich ging rauf auf die Toilette und
sein Vater rief mir auf der Treppe hinterher: »Benutz nur vier Blatt!« Eine Zeit lang hatten wir einen Gitarristen, Ken, der einen Mini Cooper in der Rennversion besaß. Zu seinem Glück fehlten ihm nur noch die Sportfelgen. Die besorgte er sich auf seine ganz besondere Art und Weise. Einmal überholte ein anderer Mini Cooper Ken, um im nächsten Kreisverkehr aus der Kurve zu fliegen. Blutverschmiert und bewusstlos lag der Typ in seinem Auto. Ken hat die Räder abmontiert, sie im Heuhaufen eines nahe gelegenen Bauernhofs versteckt und anschließend die Polizei gerufen. Als er zum Unfall zurückkam, wurde er von einem Polizisten begrüßt: »Sieh dir das an – irgend so ein Mistkerl hat ihm seine verdammten Räder gestohlen!« Ken nickte nur und brummelte: »Ja, es gibt schon Arschlöcher.« Eine schöne Beschreibung für das, was die Rocking Vicars waren. Das Oberhaupt der Band war Ciggy, kurz für Cyril, der Schlagzeuger. Er war die Art von Typ, die in allem, was sie taten, die Besten sein mussten und auch waren. Ein richtiger Ehrgeizling eben. Du hast beim Schwimmen gerade die vierte Bahn geschafft, da war er schon bei der siebten. Wenn du mit ihm Klettern gingst, war er den Baum hoch und wieder runter, bevor du beim zweiten Ast angekommen warst. Oder beim Billardspielen: Er hatte schon alle Kugeln versenkt und widmete sich der Acht, während du dich immer noch wundertest, wie zum Teufel er das machte. Er stand unter einem inneren Zwang und musste sich ständig etwas beweisen, aber er war ein ausgezeichneter Schlagzeuger. Er war ein bisschen wie Keith Moon. Wie Sie sich erinnern, stand Ciggys Schlagzeug direkt vorne auf der Bühne, das sagt doch alles über seine Persönlichkeit aus. Ciggy war ein echter Tyrann. Unser Roadie Nod wohnte eine Zeit lang bei ihm. Nod war und ist mental etwas labil, aber
ansonsten ein wirklich wunderbarer Kerl. Heute ist er ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann auf der Isle of Man. Er bekam den Job als Bassist der Vicars, als Moggsy ausstieg, aber sein Engagement dauerte nur einen Abend. Nod war so durchgeknallt, dass er nicht nur das Equipment über den Jordan schickte, sondern sich in seiner Raserei beinahe selbst umgebracht hätte. Bevor er Roadie bei den Vicars wurde, war Nod der erste DJ der auf Radio Caroline sendete. Radio Caroline war der erste Piratensender der Welt. Das gibt es heute nicht mehr, aber damals in den 60er Jahren gingen Leute mit einem Schiff drei Meilen von Englands Küste entfernt vor Anker, so dass sie die Radiogesetze umgehen und spielen konnten, was die anderen Sender nicht spielten. Es gab einen ganzen Haufen von ihnen, und Nod war der Erste. Schließlich gab er seinen DJ-Job auf, um unser Roadie und Ciggys Diener zu werden. Ciggy hatte ein riesiges Bett in seinem Schlafzimmer, während Nod seine Campingliege ein paar Fuß daneben hatte. »Weißt du, was ich gerade mache, Nodder?«, fragte Ciggy dann. »Nein, Cig.« »Ich strecke mich aus und meine Arme reichen nicht mal bis zu den Kanten meines Bettes, so groß ist es. Und du bist auf der Campingliege, Nodder.« »Ja, ich weiß.« »Sag ›Sir‹, wenn du mit mir sprichst!« »Ja, Sir, ich weiß!« Am Morgen musste Ciggy nur mit seinen Fingern schnippen und Nod war sofort draußen, um Ciggy ein Frühstück zu bereiten. Eine abgefahrene Nummer, die zwischen den beiden lief. Verdächtig schwul das Ganze. Obwohl Ciggy mit Jane was hatte und Nodder auch die ein oder andere abschleppte
und verräumte, glaube ich, dass sie sich ihrer latenten Homosexualität nicht so richtig bewusst waren. Einmal fuhr Nodder unseren Bandbus die Promenade von Douglas, auf der Isle of Man, entlang. Unser Bandbus war riesig und überall mit Botschaften übersät. Die waren mit Lippenstift geschrieben, »Ich liebe langhaarige Männer« und so weiter. Je mehr Lippenstift-Sprüche auf dem Bus, umso bekannter und erfolgreicher die Band. Ciggy sah uns an und sagte beiläufig: »Ich glaube, ihr Jungs begreift gar nicht, wie ergeben Nodder mir ist.« »Doch, wissen wir«, antworteten wir. »Nein, wisst ihr nicht. Halt den Wagen an, Nodder.« Und Nodder hielt den Wagen an. »Alle raus«, befahl Cig. Wir sind aus dem Bus gestiegen. Und Ciggy sagte zu Nod, während er auf ein Hochzeitsgeschäft zeigte: »Nodder, fahr diesen Wagen durch das Fenster.« – »Sicher, Sir.« Und Nodder setzte den Bus ins Schaufenster. WRUUUMMM! BRUUUMMMM!!! Direkt hinein. Hochzeitskleider überall auf dem Transporter. Die Jungs von den Vicars waren schon ein seltsamer Haufen, aber ich hatte eine Menge Spaß mit ihnen. Wir tourten durch ganz Nordengland und wo immer wir auftraten, rockten wir das Haus gewaltig. In vielen Clubs stand meistens ein weißer Flügel rum. Ich enterte den Flügel, um von dort in die Menge zu springen. Wir waren eine Wahnsinnsband, genauso laut und aufregend wie The Who. Wir hatten zwar die längeren Haare, aber nie eigene Titel. Es waren nur Coversongs, wie »Skinny Minnie« von Bill Haley, oder Stücke von den Beach Boys. Wir spielten »Here Today« vom Album Pet Sounds, was für damalige Zeiten sehr innovativ war. Und wir hatten eine Art Varietenummer auf Lager. Pete, der Bassist vor Moggsy, ließ während unserer Show seine Hosen
fallen. Er trug immer riesige Unterhosen – und die sind in England immer für einen Lacher gut. Wenn Pete mit heruntergelassenen Hosen dastand, kam mein Auftritt. Ich warf ihm dann eine Sahnetorte ins Gesicht. Ich ging nach vorne zum Publikum, die Torte in der Hand, und fragte: »Soll ich? Soll ich?« Und die Menge tobte: »JAAAA! Gib’s ihm!« – Das sagen sie immer, oder? Und nichts ist so komisch, wie ein Typ, der eine Sahnetorte ins Gesicht bekommt. Jede Nacht – buff! Pete bekam die Sahnetorte ab, alle lachten, und wir beendeten den Song und packten zusammen. Die Roadies rührten die Torte immer aus Mehl und Wasser auf einem Pappteller an. Die Torte stand immer auf meinem Verstärker. Aber eines Abends ging ich nach hinten, um sie zu holen, und die verdammte Torte stand auf einem Zinnteller. Ich informierte Ciggy von meiner Entdeckung: »Es ist ein Zinnteller!« »Gib’s ihm«, zischte er, während er weiterspielte. »Aber ich werde ihm verdammt noch mal – es ist ein Zinnteller! Sieh doch mal!« »Die Nummer – gib’s ihm!« »Gut, wenn du meinst.« Also ging ich rüber zu Pete und – WHAP! Man konnte ein gedämpftes »Verdammte Scheiße« hören. Ich hatte ihm die Nase an zwei Stellen gebrochen, und überall war Blut und Rotz. Die Kids fanden es allerdings super. Sie dachten, es gehörte zur Show. Bei den Rocking Vicars hatten wir immer was zu lachen, na ja, fast alle. Wir hatten diesen schrecklichen Manager, Jack Venet, ein jüdischer Geschirrverkäufer. Er hatte einen Laden voller Großhandelsgeschirr in Salford, im Norden von Manchester, in der Nähe des jüdischen Viertels Cheetham Hill. Er besorgte uns dort eine Wohnung, und wir zogen uns sofort den Unmut der ganzen jüdischen Nachbarschaft zu. Denn wir ließen uns im Garten – direkt vor ihren Augen – von hübschen Mädchen
die Nägel maniküren und die Haare machen. Wir waren alles andere als beliebt, zumal wir in ihren Augen dem niederen Milieu entstammten. Aber wir kamen dort mit allem durch, denn die meisten von ihnen waren nette Leute. Nur die Militanten wollten uns Ärger machen – aber gibt es nicht in jeder Glaubensgemeinschaft oder politischen Überzeugung Militante, die anderen das Leben zur Hölle machen wollen? Doch wir waren wohl selbst ziemlich militant, schätze ich, also scheiß auf sie! Wir hatten unsere nette, große Wohnung mitten in Cheetham Hill, und ich verliebte mich Hals über Kopf in ein französisches Mädchen. Es war der Wahnsinn – ich war wirklich total vernarrt in sie. Ihr Name war Anne-Marie. Sie sah aus wie Brigitte Bardot und sie war die Tochter eines Zahnarztes aus der Nähe von Limoges. In den Ferien kam sie mit in mein Haus in Wales. Doch nach zwei Tagen ließ ich sie ganz alleine sitzen, während ich mit meinen Kumpels um die Häuser zog. Fragt mich nicht warum, aber anscheinend war sie nicht die Richtige. Ein paar Jahre später dachte ich, ich hätte die Richtige gefunden, aber sie ist gestorben. Andererseits wird sie immer die Richtige sein, wenn sie stirbt, weil du es niemals herausfinden wirst – sie hatte keine Möglichkeit, die Falsche zu werden. Mein nächster ungewollter Abstecher in die Vaterschaft ereignete sich während meiner Zeit bei den Rocking Vicars. Ich habe vergessen, wie die Gruppe hieß – die Rock Girls oder die Rock Birds oder irgendwelche »Birds«. Die Band spielte hauptsächlich auf den amerikanischen Luftwaffenstützpunkten in Europa. Auf jeden Fall hatte die Band zwei Sängerinnen: Tracy und ihre Freundin, deren Namen ich nicht mehr weiß. Ich war scharf auf die Namenlose, aber Harry ist mit ihr abgezogen. Was soll’s. Tracy war auch niedlich und hatte sowieso die größeren Titten. Die beiden kamen dann des
Öfteren übers Wochenende in unsere Wohnung nach Manchester. Und dann tauchte Tracy eines Morgens um sechs Uhr auf: »Ich bin schwanger.« »Hä, was? Schwanger?«, fragte ich groggy. Ich meine, wer ist um sechs Uhr morgens ausgeschlafen? Sie war jedoch furchtbar beleidigt, dass ich nicht gleich bei der Sache war. Hätte ich etwa »Hurra« schreien sollen? »Schon klar«, war das Letzte, was ich von ihr hörte. Das war’s. Sie ging fort und bekam das Kind. Paul. Und sie zog ihn alleine groß. Das erste Mal traf ich Paul, da war er schon sechs Jahre alt. Ich war in Sachen Kokain unterwegs. Irgendwelche Brasilianer in der Warwick Road, Earls Court, sollten mir behilflich sein. Ich wartete in deren Küche auf den Dealer, machte mir einen Toast, als ein kleiner blonder Junge hereinspaziert kam und zu mir sagte: »Du bist mein Papa. Mama ist im anderen Zimmer.« Ich ging hinein, und tatsächlich: da war Tracy. Ich weiß, warum ich da war, aber wie zum Teufel kam es, dass sie da war? Ich werde es nie herausfinden. Ich habe ihr anschließend einen Kühlschrank besorgt, da sie keinen besaß. Bis in den vierten Stock musste ich das Scheißding schleppen. Na ja, was soll’s. Jedenfalls war Paul ein toller Bursche. Ist er immer noch. Mit dreiundzwanzig kam er einmal zu mir. »Dad?« »Ja?« »Ich habe ein Problem.« »Wie viel, Paul?« »Es ist der Vermieter, Dad.« »Wie viel, Paul?« »Er hat gesagt, dass er uns mit all unseren Sachen auf die Straße setzt, und dass er meine Gitarre nimmt…« »Wie viel, Paul?« »Na ja, es ist eine ganze Menge.«
»Scheiß drauf. Wie viel?« »Es sind 200 £.« Also gab ich ihm die 200 £. Am nächsten Tag tauchte er in einem gebrauchten Lincoln Continental auf, der kleine Scheißer. Er fuhr vor dem Haus vor und sagte: »Komm und sieh dir mein neues Auto an!« »Nicht schlecht gemacht, Paul«, sagte ich zu ihm, »aber frag mich nie wieder nach Geld für die Miete, denn du wirst es nicht kriegen.« Wer’s glaubt. Und Paul hat mir einmal ein Mädchen ausgespannt, aber das habe ich ihm heimgezahlt – ich nahm ihm auch eins weg. Wir haben sogar eine Nacht die Mädchen getauscht, bei Stringfellows in London. Es ist schon erstaunlich, wie viele Frauen sowohl mit dem alten Herrn als auch dem Sohn in die Kiste wollen. Vor ein paar Jahren hat mich Paul besucht, aber er blieb nur einen Tag. Am nächsten Morgen fragten zwei Mädels in einem Auto nach ihm, und weg war er. Er fuhr mit ihnen rauf in die Berge und ich habe ihn nicht wiedergesehen. Irgendwann ist er wieder nach Hause geflogen, natürlich ohne sich von mir zu verabschieden. Paul fragte mich ständig um Rat, um dann das genaue Gegenteil von dem zu machen, was ich ihm geraten habe. Grundsätzlich halte ich diese Einstellung für sehr vernünftig. Wie der Vater, so der Sohn. Aber ich schweife gerade ab. Während meiner Zeit mit den Vicars nahmen wir drei Singles auf: zwei für die CBS und eine für Decca in Finnland. Einer der Songs hieß »It’s All Right«, und Ciggy behauptete, er hätte ihn geschrieben, aber in erster Linie war es eine billige Kopie von »The Kids Are All Right« von The Who. Unser anderer Song war »Dandy« von den Kinks. Mit dieser Nummer landeten wir immerhin auf Platz 46 der Charts. Wir gewannen am Ende sogar Shel Talmy, den Produzenten der Who und der
Kinks, für uns. Er war ein Amerikaner, der in London lebte. Sein Büro war über einem chinesischen Lebensmittelgeschäft in der Greek Street in Soho, London. Der Gestank des Ladens war nicht zum Aushalten. Eine seltsame Mischung aus Ingwer und dem ganzen eingemachten Scheiß in Gläsern – es roch bestialisch. Wir hielten uns schon auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Nase zu, wenn wir zu Shel ins Büro mussten. Shel lief andauernd gegen Wände und Türen, denn er war so blind wie eine Fledermaus. Wenn er zu uns ins Studio kam, rannte er noch bevor er »Hi Jungs« sagen konnte zielstrebig ins Schlagzeug. Sein Sehvermögen war sehr gering. Er hatte immer »Aufpasser« dabei, die ihn dann wieder aus den Trümmern zogen. Sie standen ihm immer rein zufällig zur Seite. Sein Gesicht war deswegen ständig mit Wunden übersät. Aber ansonsten war er in Ordnung und er hat seine Arbeit gut gemacht. Obwohl wir nie einen Hit hatten, waren unsere Auftritte im Norden ein Triumphzug sondergleichen. Südlich von Birmingham hatte wahrscheinlich nie einer von uns gehört, aber in Bolton brachten wir Tausende zum ausflippen. In Bolton gab es einen Laden, der über eine drehbare Bühne verfügte, und noch bevor wir die erste Umdrehung gemacht hatten, wurden wir schon von der Bühne gerissen. Die Mädchen zogen uns runter und rissen uns die Kleider vom Leibe – wie bei der Beatle-Mania. Klingt nach einer Menge Spaß, oder? Dann überlegen Sie mal kurz, ob Ihnen schon jemals ein Paar Jeans vom Körper gerissen wurde. Die Nähte reißen an der Innenseite der Beine. Das schmerzt höllisch, kann ich Ihnen verraten. Und dann die Scheren. Damals war es in, Haarlocken von deiner Lieblingscombo zu bekommen! Wenn man noch nie vierzig ernste, grimmige Mädchen gesehen hat, die alle Scheren in den Händen halten und sich auf einen stürzen…
Bei einem anderen Gig lief Harry raus, um sich das Mikro zu schnappen, wie er das immer zu Beginn der Show machte. Doch einige Mädchen hatten sich das Kabel gegriffen und zogen daran. Er rannte also raus und kam nie zurück, fiel einfach über den Rand von der über zwei Meter hohen Bühne, direkt in die Menge. Später erzählte er uns, dass ihm, während er fiel, für den Bruchteil einer Sekunde folgender Gedanke durch den Kopf ging: »Oh, toll! Wir sind wirklich berühmt und ich bin total beliebt, und ich werde auf all diese Mädchen fallen, und sie lieben mich, und es wird ein Meer aus Titten, Beinen und Muschis sein.« Aber diese Mädchen teilten sich wie das Rote Meer – er sah die Nägel in den Bodendielen rasend schnell näher kommen. Er brach sich die Nase an zwei Stellen. Ein anderes Mal brach er sich den Finger, vielmehr wurde ihm der Finger gebrochen, als ein paar Mädchen ihm den Goldring von seinem Finger zogen. Ciggy wurden einmal in einer Show seine Stiefel entwendet, während er spielte! Ciggy rannte barfuß durch die Halle und rief immer wieder: »Haltet die verdammte Schlampe! Ich will meinen Stiefel wiederhaben!« Der ganze Rummel stieg Ciggy manchmal zu Kopf. In Manchester sollten wir mit den Hollies spielen und Ciggy bestand allen Ernstes darauf, als Letzte auf die Bühne zu gehen. Die Hollies waren unglaublich erfolgreich zu der Zeit – sie hatten gerade erst sechs Nummer-eins-Hits hintereinander gehabt. Und dann kam unser Ciggy: »Wir treten als Letzte auf, die Rocking Vicars«, und so weiter. Doch der Veranstalter teilte ihm mit: »Das kann ich den Hollies doch nicht sagen! Sie sind die Stars des Abends! Dafür musst du Verständnis haben.« »Erzähl ihnen verdammt noch mal, dass die Rocking Vicars als Letzte spielen und basta«, antwortete Ciggy.
Also ging der Typ zu den Hollies und denen war es scheißegal. – »Na klar! Dann kommen wir früher nach Hause!« Also spielten die Hollies zuerst und als wir dran waren, war die Halle leer. Schließlich waren die Leute wegen der Hollies gekommen. Die Bühne bestand aus zwei zusammengeschraubten Teilen. Am Vorabend des HolliesGigs hatte sich Ciggy bei Nodder beschwert, dass sich die Bassdrums immer bewegten, so dass Nodder sie diesmal in den Spalt zwischen den beiden Bühneteilen geschraubt hatte. Das Problem war jedoch, dass die Bühne zwischenzeitlich wieder auseinandergeschraubt worden war. Wir kommen auf die Bühne und Ciggy ruft: »Und eins, zwei, drei, vier!« Bumm – ZACK! Die ganze verdammte Bühne rutschte auseinander und sein ganzes Schlagzeug fiel in dieses Loch. Er saß allein auf seinem Drum-Hocker, die Sticks wirbelten durch die Luft. Das war das Ende der Show. Gott sei Dank war keiner mehr da. Als wenn das alles nicht unwirklich genug gewesen wäre, sah ich auch noch ein UFO, während ich bei den Rocking Vicars war. Wir waren auf dem Rückweg von Nelson, Lancashire, nach Manchester, durch das Moor, und da kam dieses Ding über den Horizont. Es hatte eine leuchtende, rosa Farbe und die Form einer Kugel. Es machte »Schuuum« und hielt abrupt an. Ich gebe einen Scheiß darauf, was Sie mir jetzt sagen werden – ein Möwenschwarm, ein verdammter Wetterballon, vergessen Sie es. Es war keines von diesen Dingen. Dieses Objekt machte »Whuuum«, als wäre der Teufel hinter ihm her und hielt dann einfach an. Also stiegen wir aus dem Bandbus und sahen es uns alle an. Es hing da und schien zu pulsieren, aber das war wahrscheinlich nur der Effekt der Atmosphäre, so wie die Sterne zu pulsieren scheinen. Dann plötzlich, »bumm«, schoss es direkt über unsere Köpfe hinweg. Von null auf 100 in weniger als einer Sekunde. »Phuuum!« Und es war in zwei Sekunden am Horizont verschwunden. Da können wir noch
was weiß ich wie viele tolle Erfindungen machen, aber eine solche Performance werden wir nicht hinbekommen – in hundert Jahren nicht! Deshalb bleibe ich dabei, es war ein UFO, wie unwahrscheinlich das auch scheinen mag. Ich bin mir sicher, dass es an uns kein Interesse hatte. Eher war es scharf auf die Amerikaner. Wahrscheinlich war es schon da, bevor wir wieder im Auto saßen! Ein paar Mal spielte ich mit den Rocking Vicars auch außerhalb von England. Ein Trip brachte uns nach Finnland, das ich erst mit Motörhead wieder beehrte. Die Vicars hatten dort einen Nummer-eins-Hit – man musste natürlich nur 30.000 Singles verkaufen, um in Finnland die Nummer eins zu sein. Und die Vicars waren die erste britische Band, die hinter dem Eisernen Vorhang spielte. Ich habe keine Ahnung, wie das arrangiert wurde – unser Manager war ein draufgängerischer Kauz. Wir spielten in Jugoslawien, was sozusagen das Übergangsland des Ostblocks war. Für die Gegend spricht ansonsten ehrlich gesagt nicht viel. Jugoslawien bestand hauptsächlich aus Felsen und Gestrüpp, und alle waren arm. Wir spielten in Ljubljana, der heutigen Hauptstadt von Slowenien. Dann fuhren wir runter nach Montenegro und Bosnien. Und jeder schimpfte über den anderen, das heißt, sie wollten die anderen einfach umbringen. Die historischen Gründe auf die sich damals alle beriefen, waren ihnen aber nicht so genau klar, sie konnten sich zum Großteil nicht einmal daran erinnern. Es ist so tief verwurzelt, dass sogar die Babys den Hass schon mit der Muttermilch aufzusaugen scheinen. Es bräuchte ein Wunder, damit sie jemals aufhören. Die Serben hassen die Kroaten – das ist alles, was man damals gehört hat, und es ist heute noch genauso. Natürlich dachte ich, dass sie alle die Bösen waren, denn die Kommunisten verbrachen Scheiße, die ich keinem Menschen antun würde. Ich wusste
nicht, dass meine eigenen Leute ihnen die gleiche Scheiße antaten. Ich kann auch nicht behaupten, dass der JugoslawienTrip besonders aufschlussreich gewesen wäre. Wir bekamen nur die guten Teile zu sehen – man hat einen Fremdenführer, aber in kommunistischen Ländern hatte das Wort Fremdenführer eine ganz eigene Bedeutung: Wenn der sagte, da gehen wir nicht lang, dann gingen wir da verdammt noch mal nicht lang! Keine Widerrede! Anfang 1967 habe ich dann die Rocking Vicars verlassen. Sie machten noch bis Mitte der 90er Jahre weiter, als eine Art Varietenummer. Ich persönlich hatte höhere Ziele. Nachdem ich den Norden Englands im Sturm genommen hatte, wollte ich London erobern.
Mit meinem Abschied von den Vicars sollte ich über Nacht ein Star werden – dachte ich jedenfalls damals. Alles würde wunderbar werden. Üppige Frauen würden sich meiner annehmen und mit mir Dinge anstellen – na ja, Sie wissen schon, was ich meine. Natürlich kam es ganz anders. Das erste Mal, als ich nach London ging, blieb ich ungefähr einen Monat – nachdem ich auf dem Sofa von Ron Woods Mutter aufgewacht war. Ich wohnte bei einem Freund namens Murphy, den ich noch aus Blackpool kannte. Er war ein kleiner irischer Folksänger und ebenfalls ein Herumtreiber. Ein netter Typ. In Blackpool hatten wir dieselben Schneider. Zwei Schwule, die all unsere Klamotten anfertigten – an der Innenseite der Schenkel nahmen sie vier- oder fünfmal Maß. Sie mochten Murph, und Murph ging mit ihnen ab und zu weg. Er hat sie aber nicht gefickt – glaube ich zumindest. Die zwei Schwuchteln fertigten ihm ein Batman-Kostüm an, mit Kapuze und Fledermausflügeln, die von den Armen bis zur Gürtellinie gingen. Murph wollte vom Blackpool Tower fliegen – ein Werbegag. Der Blackpool Tower ist ein maßstabgetreues Modell des Eiffelturmes – er ist ungefähr ein Viertel so groß! Aber es ist immer noch zu hoch, um davon runterzufliegen. Aber Murph zwängte sich in seinen Fledermausanzug und wir gingen alle mit ihm zum Turm.
»Hallo, ich bin Murph, der Fledermausmann! Lassen Sie mich herein!« »Warum?«, fragte der Kartenverkäufer seelenruhig. »Ich werde von der Spitze herunterfliegen.« »Nein, das wirst du nicht.« »Werde ich wohl.« »Nein, das wirst du nicht.« »Aus meinem Weg«, verlangte der 1,65 Meter große Fledermausmensch. »Weißt du was, Freundchen? Du gibst mir das Geld und fliegst hoch, und wenn du es schaffst, kannst du wieder runterkommen und ich geb’ dir dein Geld zurück. Wie ist das?« Er nahm dem armen Murph den Wind aus den Segeln und vermasselte ihm seine flüchtige Chance auf Ruhm. Jedenfalls war Murph schon in London, als ich beschloss, selbst dort hinzugehen. Seine Wohnung war ein schreckliches Rattenloch in Sunbury-on-Thames. Na gut, so schlimm war die Wohnung nicht. Die vier oder fünf Zimmer teilten sich zwanzig Herumtreiber. Es gab kein warmes Wasser, es gab nichts zu essen und Geld sowieso nicht. Wir stellten eine Band zusammen, ich und Murph und Roger, ein Schlagzeuger – er hatte kein Schlagzeug, er spielte auf Kissen! Nach kurzer Zeit verlor ich aber die Geduld, also ging ich zurück in den Norden. Eines Morgens wachte ich auf und saß am Strand in South Shields und kratzte kalte Baked Beans mit meinem Kamm aus der Dose. Ich dachte: »Das Leben muss doch mehr zu bieten haben als das hier.« Ich ging zurück nach Hause und ließ mich eine Weile durchfüttern. Mehr als dreißig Jahre habe ich Murph nicht gesehen. Als ich ihn wieder traf, war ich angenehm überrascht, dass er die Jahre mit seinem Verstand relativ intakt überstanden hatte (zumindest was davon nach den Sechzigern noch übrig war). Jetzt ist er Schriftsteller und er
gab er mir einen seiner Romane. Wenn ich dazukomme, ihn zu lesen, lasse ich Sie wissen, wie er ist! Nicht lange, nachdem ich nach Hause zurückgekehrt war, spielten die Birds in Northwich, bei Manchester, und sie nahmen mich mit zurück nach London. Ich rief bei Neville Chesters an. Er war Roadie bei den Who und den Merseybeats gewesen. Ich fragte, ob ich bei ihm auf dem Boden pennen könnte, und er sagte, ich sollte zu ihm kommen. Zu der Zeit arbeitete Neville für die Jimi Hendrix Experience und er teilte sich die Wohnung mit Noel Redding, Hendrix’ Bassisten. Sie brauchten Hilfe, und so arbeitete ich für sie, ungefähr drei Wochen, nachdem ich mich bei Neville einquartiert hatte. Jimi Hendrix war zu der Zeit riesig in England – er hatte gerade erst zwei Nummer-eins-Platten gehabt –, aber in Amerika hatte noch niemand von ihm gehört. Ich arbeitete etwa ein Jahr lang während all der Fernsehauftritte und Touren durch England für seine Band. Eine tolle Erfahrung. Hendrix war der Wahnsinn. Alles an ihm war genial – sein Gitarrenspiel, von seiner Bühnenshow ganz zu schweigen. Wenn er spielte, machte er die Mädchen einfach verrückt. Ich habe gesehen, wie er mit fünf Mädchen in seinem Schlafzimmer verschwand – und sie kamen alle lächelnd heraus. Und natürlich bekam die Road Crew den Rest. Hendrix war ein Hengst. Und ich bin krass genug, um das zu bewundern. Ich weiß nicht, was daran falsch sein soll, ein Hengst zu sein. Es macht auf alle Fälle mehr Spaß, als kein Hengst zu sein! Leider hatte ich hinter der Bühne nicht viel Kontakt mit ihm – ich war nicht Teil seines Privatlebens. Ich arbeitete nur für ihn. Soweit ich mich erinnere, war er ein sehr liebenswürdiger, wirklich netter Kerl. Aber die meisten Leute waren damals netter. Es war eine jener Zeiten der Unschuld. Noch hatte niemand angefangen zu sterben.
Ich mochte auch die beiden anderen Jungs in der Experience. Noel Redding war in Ordnung. Aber er trug im Bett ein Nachthemd, sowie Aladin-Schuhe mit nach oben gebogenen Spitzen und eine Nachtmütze mit einer Troddel. Was für ein Anblick! Mitch war verrückt und eigentlich ist er es heute noch immer. Einmal stand ich auf einer Verkehrsinsel mitten in der Oxford Street, als Mitch auf mich zuhüpfte, in weißem Pelzmantel, weißen Hosen, weißem Hemd, Schuhen und Socken. »Hallo, ich weiß nicht, wer ich bin«, sagte er und verschwand wieder. Ich glaube, dass er auch nicht wusste, wer ich war! Diese Zeit, die späten Sechziger, waren großartig für den Rock’n’Roll in England. So eine Fülle an Talenten hat es seither nicht mehr in einer Ära gegeben. Die Beatles, die Stones, die Hollies, die Who, Small Faces, Downliners Sect, Yardbirds gründeten sich alle innerhalb kürzester Zeit. Die »British Invasion« hatte die Rockmusik ein für alle Mal verändert, und wir in London waren der Nabel der Welt. Es gab eine Menge Blues: Savoy Brown (die in den Staaten viel größer waren als in England) und Foghat begannen als Bluesbands, und das Jazz-Blues-Ding kam für eine Weile in Mode. Es gab Leute wie Graham Bond, der Jack Bruce und Ginger Baker in seiner Band hatte, die beide später bei Cream waren. Und die Beatles hatten gerade erst Sergeant Pepper veröffentlicht, also waren sie auf jeden Fall das verdammte Ereignis zu der Zeit! Zwei von ihnen waren auch gerade erst verhaftet worden, also konnten sie gar nichts falsch machen. Wohin man auch sah, überall nur gute Bands. Heutzutage ist es deprimierend, weil man schon ordentlich suchen muss, um eine wirklich gute Band zu finden, und es scheint Tausende von schrecklichen Bands zu geben. Es gab auch damals Tausende von Bands, aber mindestens die Hälfte von ihnen war großartig. Nur, um Ihnen ein Beispiel zu nennen: Ich war
auf Hendrix’ zweiter Tour durch das Vereinigte Königreich dabei, die vom 14. November bis zum 5. Dezember 1967 lief. Co-Headliner waren The Move, die ebenfalls gerade erst zweimal hintereinander Nr. 1 gewesen waren; dann Pink Floyd mit Syd Barrett – seine letzte Tour; Amen Corner, die damals auf Platz zwei waren; The Nice, mit einem jungen Organisten namens Keith Emerson; und The Eire Apparent, die später zur Grease Band wurden, welche Joe Cocker begleitete. Alles zum Eintrittspreis von 7 Shillings und 6 Pence (70 US Cent). Und das war normal für die Zeit. Haben Sie ernsthaft erwartet, dass ich über London in den Sechzigern spreche, ohne Drogen zu erwähnen, oder? Oh nein, ich doch nicht. Unsere gesamte Crew war auf Acid während der ganzen Tour. Und wir alle leisteten gute Arbeit. Orgasmen auf Acid sind übrigens verdammt einzigartig, wirklich unglaublich, davon nahm ich also auch eine Menge. Acid war damals legal. Es gab erst ab Ende 1967 Gesetze dagegen. Was Marihuana anging – du konntest mit einem Joint im Mund an einem Streifenpolizisten vorbeigehen, ohne dass etwas passierte. Denn der Arme wusste nicht, was das war. Ein Freund hat einem Bullen sogar mal erzählt, dass es eine Kräuterzigarette wäre und der Typ hat es ihm abgekauft. Es kam einem so vor, als ob damals ganz London den Verstand verloren hätte. Wenn wir high waren, gingen wir immer in den Park und redeten mit den Bäumen – und manchmal gewannen die Bäume die Diskussion. Uns wurde gesagt, dass Acid nicht an zwei Tagen hintereinander wirkt. Also nahmen wir die doppelte Dosis. Es gab einige großartige Clubs in London, wie den Electric Garden oder Middle Earth. Ein Mädchen stand immer am Eingang des Middle Earth, neben der Kasse, und verteilte Acid. Sie gab jedem, der hineinging, einen Trip – gratis. Um etwas zu verdienen besorgten wir uns einen Acidkristall, in
dem einhundert Trips waren. Diesen lösten wir in einer Flasche mit einhundert Tropfen destilliertem Wasser auf. Dann nahmen wir eine Pipette und verteilten die Mixtur in Reihen auf einem Blatt Zeitungspapier. Nach dem Trocknen, rissen wir Stückchen von dem Papier ab und verkauften es für ein Pfund. Wenn man Glück hatte, bekam man ein Stück der behandelten Zeitung, in dem zwei Trips waren – aber manchmal auch nur ein durchweichtes Stück Papier! Richtige Acidtrips waren damals nicht so groovy und friedlich. Mein erster Trip dauerte achtzehn Stunden und ich konnte kaum etwas sehen. Um mich herum passierten seltsame Dinge. Alles, jedes Geräusch, verstärkte sich. Wahnsinn! Meine Augen verwandelten sich in von Geräuschen ausgelöste, farbige Stroboskope. Und die ganze Zeit war es, als würde mein Verstand Achterbahn fahren, manchmal langsam, wenn man sich dem Gipfel vor der Abfahrt näherte und dann – huiii! Meine Zähne brutzelten merkwürdig und wenn ich anfing zu lachen, war es sehr schwer wieder aufzuhören. Ich mochte Acid. Aber Acid ist eine gefährliche Droge – jedenfalls, wenn du selbstzufrieden bist, denn es weckt deinen Arsch auf! Wenn du dich nicht wohl in deiner Haut fühltest, dann konnte es entweder wie ein Katalysator wirken oder du bist nicht wieder aufgetaucht – Sie wissen schon, sie nahmen dir deinen Schlips und die Schnürsenkel weg, und deinen Gürtel, und steckten dich in einen Raum ohne Fenster, aber dafür mit sehr weichen Wänden. Eine Menge Leute, die ich kannte, kamen durch Acid ins Korbflechter-Hotel. Und wir nahmen alle Pillen. Aufputschmittel, wie Blues, Black Beauties und Dexedrin. Ausschließlich Pillen – ich habe über Jahre hinweg kein Pulver angerührt. Wenn man in einer Band ist, oder besonders wenn du Roadie bist, musst du diese Sachen wirklich nehmen, weil du sonst nicht mehr Schritt halten kannst. Du kannst nicht drei Monate auf Tour gehen,
ohne irgendetwas zu nehmen. Ich gebe einen Scheiß darauf, was andere sagen – halte dich fit, iss Obst und Gemüse, trink Saft – verpisst euch! Es ist nicht wahr! Es ist egal, ob du zweihundert Artischocken am Tag isst, damit überstehst du immer noch keine dreimonatige Tour. Und wir nahmen auch Downer. Unser Runterbringer war Mandrax. Einmal kauften wir einen Behälter mit tausend Mandrax-Pillen, aber als wir ihn öffneten, waren sie alle geschmolzen. Am Boden des Behälters befand sich eine matschige Absonderung aus Mandrax. Also legten wir es auf einem Brett aus, rollten mit einem Nudelholz drüber und legten es in den Ofen und hatten am Ende einen weißen Bogen Mandrax, von dem wir dann eine Ecke abbrachen und aßen. Manchmal hattest du nur einen Mundvoll Kreide (das Bindemittel) und manchmal bekamst du drei Mandrax – es war wie ein russisches Roulette der Beruhigungsmittel! Ich hatte ein Rezept für Dexedrin und Mandrax. Damals gab es eine Menge Ärzte, die dir alles verschrieben – es war nur eine Frage des Geldes. Der Arzt, zu dem ich ging, setzte Mandrax bei mir ab, da gerade ein Gesetz dagegen erlassen worden war. Zum Ersatz gab er mir Tuinol. Aber die waren wirklich grauenvoll. Scheiß-Tuinol war sieben- oder achtmal schlimmer als Mandrax. Mandrax war im Vergleich zu Tuinol richtig harmlos. Was für eine Scheiße. Aber zurück zum Rock-’n’-Roll-Teil meiner Geschichte. Schließlich fing ich an, in einigen Bands in London zu spielen. Zuerst bekam ich einen Job als Gitarrist bei P. P. Arnold. Sie war eine der Ikettes, und sie hatte mehrere Hits in England. Ich war ungefähr zwei Wochen in ihrer Band, bis sie feststellte, dass ich nicht Leadgitarre spielen konnte. 1968 sang ich dann bei Sam Gopal. Sam war halb Burmese, halb Nepalese, oder so ähnlich – ich erinnere mich nicht mehr. Er hatte zuvor eine Band namens The Sam Gopal Dream gehabt, die zusammen
mit Hendrix in einer Show mit dem Titel »Weihnacht auf Erden« im Dezember ‘67 gespielt hatte. Einige Leute glauben, dass ich bei der Show mitgespielt habe, aber das stimmt nicht. Als ich Sam traf, hatte er das »Dream« schon fallengelassen und machte nur noch als Sam Gopal weiter, in angemessen bescheidener Manier! Ich wurde Sam von einem Freund namens Roger D’Elia vorgestellt. Er spielte Gitarre und seine Großmutter war Mary Clare – vor langer Zeit eine sehr berühmte englische Schauspielerin. Ich wohnte in Rogers Haus und er erzählte mir, dass er eine Band mit Sam Gopal und einem Bassisten namens Phil Duke zusammenstellte, und dass sie einen Typen brauchten, der singen konnte. Die Musik war eine Mischung aus Psychedelia, Blues und nahöstlichen Rhythmen, die auf The Damned trafen! Wir nahmen ein Album auf, machten eine Tour in Deutschland und spielten einen Gig im Speakeasy in London. Nach der Show im Speak flippten die Leute komplett aus. Jetzt haben wir es geschafft dachten wir, doch tatsächlich ging es danach bergab. Sam war fest entschlossen, ein Star zu werden. Er war ein echt verdammter Wichtigtuer, aber das machte mir überhaupt nichts aus. Ich meine, ich bin ein Wichtigtuer – was machst du in diesem Geschäft, wenn du keiner bist? Also war Sam in Ordnung. Er hatte zwar seine eigenen Ideen, aber er ließ mich schreiben, was ich wollte. Ich schrieb fast alle Stücke, die nachher auf unserem Album landeten. Damals benutzte ich noch den Namen meines Stiefvaters, also bin ich als »Ian (Lemmy) Willis« aufgeführt. Ich schrieb einige der Songs der Gruppe zu, aber die Wahrheit ist, dass ich aufblieb und sie in einer Nacht schrieb. Ich hatte gerade die wundervolle Droge Methedrin entdeckt. Die beiden einzigen Stücke auf dem Album, die nicht von mir stammen, sind »Angry Faces« von
Leo Davidson und ein Stück von Donovan: »Season of the Witch« – unsere Version ist uns eigentlich ganz gut gelungen. Das Album, Escalator, erschien bei einer Plattenfirma namens Stable. Sie wurde von zwei indischen Typen betrieben, die absolut keine Ahnung hatten, wie man eine Plattenfirma leitet. Das Ganze war ein Witz. Ich weiß nicht, wie das ganze Geschäft überhaupt zustande kam. Es war eines von Sams Projekten – er kannte den Produzenten und so weiter. Escalator brachte es zu gar nichts, zero. Stable war zu sehr »Indie« als Label, selbst für die Indies – und die Inder. Schließlich dämmerte uns, dass es die Band zu nichts brachte, also gaben wir einfach auf. Komischerweise traf ich Sam Gopal 1991, kurz bevor ich von England nach Amerika zog. Irgendwie seltsam, denn er kam einfach die Straße entlangspaziert – und ich hatte ihn vorher zehn Jahre nicht gesehen. Wir unterhielten uns ein bisschen und er erzählte mir, dass er gerade eine Band zusammenstellte – das übliche Programm. Sam Gopal wie er leibt und lebt! Nach Sam Gopal stellte ich meine Gitarre für ungefähr ein Jahr in die Ecke und verbrachte die Zeit mit Trips, Herumtreiben und in besetzten Häusern. Das fällt einem leicht, wenn man jung ist, und ich war dreiundzwanzig. In dieser Zeit entwickelte ich meine Aversion gegen Heroin. Ich begann Heroin zu hassen. Es war natürlich immer gegenwärtig gewesen, aber so gegen 1970 begann es, zu einem richtigen Problem zu werden. Preston Dave, ein Kumpel von mir, war auf dem Weg zum Junkie. Unser Haufen saß mit ihm in einer Wimpy Bar, einem frühen englischen Versuch in Richtung Burger King. Sie war in der Earls Court Road und hatte durchgehend geöffnet. Preston zitterte und er zog los in Richtung Piccadilly, um sich Heroin zu beschaffen. Er kam zurück und ging auf die Toilette. Ein paar Minuten später kam er rückwärts herausgetorkelt. Sein Gesicht war schwarz
angelaufen und die Zunge hing ihm heraus. Jemand hatte ihm Rattengift verkauft – nahm sein Geld, lächelte ihn an und verkaufte ihm den sicheren Tod. Ich habe Leute gesehen, die sich mit alten, stumpfen Nadeln fixen wollten und sich damit ihre Arme fürchterlich zurichteten. Die Leute hatten Embolien von der Größe eines Cricketballs in ihren Armen. Und sie verkauften ihre Ärsche für einen verdammten Schuss. Für mich sah es immer nach Elend aus. Überhaupt kein Spaß. Viele meiner Freunde sind durch Heroin gestorben, aber am schlimmsten war es, als das Mädchen, das ich in meinem Leben am meisten geliebt habe, ebenfalls durch den Stoff gestorben ist. Ihr Name war Sue, und sie war das erste Mädchen, mit dem ich zusammenwohnte. Sie war gerade mal fünfzehn, als wir zusammenkamen – unangenehm, falls die Polizei uns erwischt hätte. Ich war selbst erst einundzwanzig, als wir uns 1967 trafen, also war ich kein geiler, alter Bock. Wir waren eher zwei geile junge! Die große Sache – zumindest für alle anderen – war, dass sie schwarz war. Wir wurden geächtet. All unsere Freunde verließen uns – ihre und meine. Und das sollte die Ära des Friedens und der Liebe gewesen sein! Zum ersten Mal hörte jeder schwarze Musik und so weiter. Ha! Es bewies nur, wie heuchlerisch sie alle waren. Niemand wusste, wie er mit uns umgehen sollte. Meine Freunde verließen mich – weil ich mit einer »Niggerin« verkehrte –, verdammte Arschlöcher. Ihre schwarzen Freunde hielten mich für den Unterdrücker, der ein junges schwarzes Mädchen stahl und zu seinem Spielzeug machte und solch ein Scheiß. Lächerlich! Ich wies sie darauf hin, dass ich sie nicht am Handgelenk festhielt, wenn ich das Haus verließ – sie konnte mit mir kommen, wenn sie wollte, oder zu Hause bleiben, wenn sie wollte. Aber eigentlich war es Sue und mir egal. Zum Teufel, wenn man deshalb Freunde verliert, sind sie
ohnehin nicht deine Freunde. Außerdem waren wir verliebt, da zählte sowieso niemand anders. Sue und ich stritten uns allerdings wie Hund und Katz. Sie war ein Zwilling im dritten Haus als Sternzeichen, daher wusste man nie, mit welcher Persönlichkeit man sprach. Wir hatten nie genug Geld, und dann fing sie an, im Speakeasy zu arbeiten. Sie bekam ständig Angebote von Leuten –sie war jung und hatte gerade erst herausgefunden, dass sie schön war, also trieben die Leute ihr Spiel mit ihr. Während sie im Speak arbeitete, trennten wir uns – ein Mal von vieren oder fünfen im Verlauf unserer Beziehung – und dann vögelte sie Mick Jagger. Hinterher fragte ich sie: »Wie war es denn?« Und sie antwortete: »Na ja, er war gut, aber er war nicht so gut wie Jagger, weißt du?« Diese Frau hatte einfach Klasse! Sie meinte natürlich, dass Jagger seinem eigenen Ruf nicht gerecht wurde. Konnte er auf keinen Fall, nicht einmal, wenn er sich hereinschwang, Stabhochsprung machte mit seinem – na ja, Sie wissen schon, was ich meine. Jedenfalls bekam Sue schließlich einen Job im Libanon. Sie tanzte in Beirut, damals war der Libanon noch ein beliebtes Reiseziel der westlichen Welt – er war allerdings auch noch nicht so zerstört. Sie kehrte mit einer schlimmen Heroinsucht zurück, und danach war es nie wieder ganz dasselbe. Wir waren gerade wieder zusammen und sie ging zu ihrer Oma. Während sie dort war, ließ sie einen ihrer Freunde mit ein wenig Heroin vorbeikommen. Sie schloss sich im Badezimmer ein. Fixte sich den Scheiß, ließ sich ein Bad ein, und dann verlor sie das Bewusstsein und ertrank in ihrem eigenen Badewasser. Sie war gerade mal neunzehn. Ich war in London, als sie starb – zu dieser Zeit war ich schon Hawkwind beigetreten –, aber ich ging nicht zur Beerdigung. Ich meine, wer will sie tot sehen? Ich mochte sie am Leben. Sie hatte eine Schwester, Kay. Sie war genauso
hübsch wie Sue. Ich weiß nicht, was aus ihr wurde, aber wenn du das hier liest, melde dich mal – dann können wir ein bisschen über Sue reden. Okay? Also wusste ich aus eigener Erfahrung, dass Heroin die schlimmste Droge war, auf die man sich einlassen konnte, aber das bedeutet nicht, dass ich nicht selbst einige grauenvolle Erfahrungen auf der Suche nach der Substanz meiner Wahl durchgemacht habe. Einmal, ungefähr 1969 oder 1970, erlitt ich wirklich Schiffbruch. Unser Haufen saß herum und wartete darauf, dass das Speed endlich eintraf. Einer von uns ging mit einer Krankenschwester aus, die in der Arzneiausgabe im Krankenhaus arbeitete, also bestach er sie, damit sie uns etwas Amphetaminsulfat besorgte. Schließlich kam sie mit einem Einmachglas, dessen Beschriftung wie Amphetaminsulfat aussah. Und wir – gierige Mistkerle, die wir waren – langten sofort zu. Aber es war kein Amphetamin, es war Atropinsulfat – Belladonna. Gift. Wir hatten alle ungefähr einen Teelöffel voll genommen, was die zweihundertfache Überdosis ist, und wir drehten durch, der ganze Haufen. Ich lief mit einem Fernseher unter meinem Arm herum und redete mit ihm. Ein anderer versuchte, die Bäume vor seinem Fenster zu füttern. Für eine Weile war es sogar ziemlich interessant. Dann wurden wir alle ohnmächtig. Irgendjemand muss dann den Rettungswagen gerufen haben, der uns ins Krankenhaus brachte. Ich wachte in einem Bett auf und konnte durch meine Hand hindurchsehen. Ich konnte die Falten in der Bettdecke darunter sehen. Dann sah ich die Anstaltswände. »Verdammte Scheiße.« Ich war überzeugt, dass ich in der Klapsmühle gelandet war. Dann bemerkte ich, dass es ein normales Krankenhaus war, da die Ärmel an meiner Jacke nicht lang genug waren. Und mir gegenüber sah ich meinen Freund Jeff, der gerade aufwachte. »Psst! Jeff.«
»Was?« »Wir sind im Krankenhaus.« »Wow.« »Wir müssen hier raus. Bist du okay?« »Ja.« »Sei leise!« Wir krochen aus den Betten und ich zog gerade meine Unterhose an. »AAAAARGHH! SIE SIND ÜBERALL AUF DEM BODEN!« Jeff sprang auf und ab und schrie, die Augen so groß wie Pizzateller: »Würmer und Larven und Ameisen – WAAARGH!« Ich kletterte zurück ins Bett. Schließlich ließ sich auch der Arzt sehen. »Wenn Sie eine Stunde später gekommen wären, dann wären Sie jetzt tot.« Ich dachte: »Ich wette, das tut dir leid, du mieses Arschloch.« Er sagte, dass wir das Gegenmittel bekommen hatten, und dass es noch eine Weile dauern würde, bis die Wirkung nachließ. In der Tat: Es dauerte zwei Wochen. Eine wirklich seltsame Zeit. Ich saß da und las ein Buch und blätterte um, auf Seite 42 – aber da war kein Buch. Oder ich ging eine Straße entlang und dachte, dass ich einen Koffer trug und plötzlich – ups! Hatte ich nichts in meiner Hand. Seltsam… aber interessant. Allerdings nicht interessant genug, um es zu wiederholen! Schließlich, nachdem ich mich ein paar weitere Monate herumgetrieben hatte, landete ich bei einer weiteren Band: Opal Butterfly. Ich traf ihren Schlagzeuger, Simon King, in einem Laden namens Drug Store in Chelsea. Der Drug Store war groß und protzig. Drei Stockwerke hoch. Es gab ein Restaurant im obersten Geschoss, einen Pub im Erdgeschoss und einen Plattenladen im Keller. Dazu noch Boutiquen und
andere Läden. Es war eines der ersten Einkaufszentren. Es war eher teuer, aber ganz okay. Die Jungs von Opal Butterfly hingen dort zum Trinken ab und ich schloss mich Simon an und trieb sozusagen in die Band. Ich weiß gar nicht so genau, warum ich mit ihm herumhing – ich kam nie wirklich gut mit ihm aus. Aber von Simon werden Sie später noch mehr hören. Jedenfalls war Opal Butterfly eine gute Band, aber sie führte zu nichts. Es gab sie schon seit Jahren, als ich beitrat, und nur ein paar Monate später gaben sie auf. Einer der Jungs, Ray Major, war später bei Mott the Hoople. Die Trennung erwies sich als gerade rechtzeitig, denn es dauerte nur wenige Monate, bis ich bei Hawkwind landete.
Mein Umgang mit Hawkwind begann mit Dikmik. Das »Instrument«, das er in der Band spielte, war ein kleiner Kasten mit zwei Reglern, der sich auf einem Spieltisch befand. Sie nannten das »Instrument« Klangmodulator. Aber es war eigentlich ein Audiogenerator, der Klänge außerhalb des menschlichen Gehörs erzeugte, sowohl in den oberen als auch niederen Frequenzbereichen. Wenn es nach oben ging, verlor man das Gleichgewicht, fiel hin und übergab sich. Wenn es nach unten ging, schiss man sich in die Hosen. Mit dem Apparat konnte man bei den Leuten epileptische Anfälle auslösen. Dikmik wählte Leute, die empfänglich dafür waren, aus dem Publikum. Als wir zusammen bei Hawkwind spielten, ging ich oft zu ihm hinüber. »Irgendwelche Guten dabei?« »Ja, der Typ da. Sieh mal.« Und er drehte den Regler – hrmmmm –, und der Typ fing an, herumzuzappeln. Man kann erstaunliche Sachen mit Klängen anstellen. Aber natürlich konnten wir nie mit Sicherheit sagen, ob es der Audiogenerator war, oder ob es daran lag, dass wir das ganze Essen vor dem Gig mit Acid versetzt hatten. Jedenfalls war es Dikmik, der mich zu Hawkwind brachte. Er lief herum und suchte Speed. Und er fand mich. Ich lebte mit einem Mädchen in einem besetzten Haus in der Gloucester Road in London, und sie traf ihn zufällig. »Oh, ich habe einen Freund zu Hause, der Pillen nimmt«, sagte sie. Er kam vorbei
und wir entdeckten, dass wir das Interesse daran teilten, herauszufinden, wie lange der menschliche Körper dazu gebracht werden kann, herumzuhüpfen, ohne aufzuhören. Wir gingen auf eine Art Sauftour, die ungefähr drei Wochen andauerte, während der wir etwa zwei Stunden Schlaf hatten. Dikmik hatte beschlossen, nach Indien zu gehen, um das Geheimnis der Sufis herauszufinden, oder irgend so einen mystischen Scheiß. Aber er kam nur bis zur Gloucester Road, die zudem noch in der falschen Richtung liegt, und dann gab er auf. Jedenfalls hatte er mich gefunden und das war ihm nur recht, denn er war der einzige Speedfreak bei Hawkwind – die anderen waren Acidheads –, und er wollte ein bisschen Gesellschaft. Ich hatte Hawkwind schon vorher gesehen – allerdings nicht in ihrer Anfangszeit, als sie sich noch Group X nannten. Das gesamte Publikum sah aus, als hätte es einen epileptischen Anfall, alle sechshundert bewegten sich gleich. Mir schoss durch den Kopf: »Also, ich muss ihnen beitreten – ich kann sie mir nicht ansehen!« Ich wollte ihr Gitarrist werden. Ihr Leadgitarrist, Huw Lloyd Langton, hatte gerade die Band verlassen – er war buchstäblich verschwunden. Sie hatten einen Gig beim Isle of Wight Festival gespielt. Sie spielten jedoch nicht wirklich auf dem Festival. Sie spielten außerhalb – wie alternativ kann man noch sein? Jedenfalls saß ihr Haufen um ein Lagerfeuer herum und Huw hatte ungefähr acht Streifen Acid genommen. »Ich geh’ spazieren, Jungs«, sagte er zu den anderen, ging über einen Hügel, und er war weg. Erst fünf Jahre später wurde er wieder gesehen! So lief es bei Hawkwind ab – locker, sehr locker. Huw tauchte ein paar Jahre später wieder auf, bei einer Band namens Widowmaker (nicht Dee Sniders Projekt aus den 80ern, zu dem wir später noch kommen werden).
Meine Chancen als Gitarrist standen gar nicht so schlecht. Aber ich landete stattdessen am Bass. Tatsächlich habe ich an dem Tag, an dem ich Hawkwind beitrat, angefangen Bass zu spielen. Das war im August 1971. Die Band hatte einen GratisOpen-Air-Gig am Powis Square in Notting Hill Gate, und ihr Bassist, Dave Anderson, tauchte nicht auf. Doch der Idiot ließ seinen Bass im Bus, was gewissermaßen den Weg für einen Nachfolger bereitete, oder? Damit lädt man quasi jemanden ein, aufzukreuzen und ihm den Job abzunehmen, was ich auch tat. Anscheinend mochte Dave nicht auf Festivals mit freiem Eintritt spielen. Er wollte die ganze Zeit bezahlt werden, und die Band stand darauf, all diese Benefizshows zu geben. Ich spielte mit Hawkwind zugunsten der Verteidigung der Stoke Newington Eight, wer auch immer die waren. Sie waren wegen irgendeiner verdammten Sache ins Gefängnis gesteckt worden und wir fanden das nicht fair, weil wir Freaks waren und wegen der Bullen gar nichts fair war – Sie wissen schon, all der Scheiß, den man sich zu jener Zeit gegenseitig erzählte. Also spielten wir all diese Gigs für diese Leute, aber wir wurden die ganze Zeit über hereingelegt. Die Leute, die diese Gigs organisierten, hatten überall Taschen. Das war immer eine ganz schöne Abzockerei. Ist es eigentlich immer noch. Hawkwind war an jenem Abend ohne Bassisten am Powis Square, und jemand fragte: »Wer spielt Bass?« Dikmik, der seine Gelegenheit gekommen sah, einen ganztägigen Partner fürs Speed zu bekommen, zeigte auf mich und sagte: »Er.« – »Bastard«, zischte ich ihm zu, da ich noch nie zuvor in meinem Leben Bass gespielt hatte! Nik Turner, der Saxophon spielte und sang, kam auf mich zu und sagte in sehr wichtigem Ton: »Mach ein bisschen Lärm in E. Es heißt ›You Shouldn’t Do That‹.« Das war verdammt instruktiv, oder? Und dann fing Hawkwind ohnehin mit einem anderen Song an. Aber es muss okay gewesen sein, denn ich war vier Jahre bei
ihnen. Sie sagten mir in der Zeit niemals offiziell, dass ich in der Band war. Del Dettmar, der Synthesizerspieler, verkaufte mir einen Bass von Hopf, den er auf einer Auktion am Flughafen Heathrow für ungefähr 27 £ bekommen hatte. Ich habe ihm das Geld dafür immer noch nicht gegeben. Hawkwind waren ein sehr lockerer Verein. Alle paar Monate gab es Besetzungswechsel. Die Leute kamen und gingen. Man war sich zu keiner Zeit sicher, wer in der Band war – zumindest wusste man nie, wer auftauchen würde. Mal waren wir zu neunt in der Band, und dann, nur ein paar Wochen später, nur noch fünf, dann sechs, und dann sieben und dann wieder fünf. Es war sehr seltsam. Dave Brock, der sang und Gitarre spielte, gründete die Band im Juli 1969, und er war im Laufe der Jahre ihr einziges ständiges Mitglied. Es ist wirklich seine Band, wie Motörhead meine ist. Hawkwind würde ohne ihn nicht existieren. Und selbst er verschwand gelegentlich. Er machte diese »Eins mit der Natur sein«-Phasen – so nannten wir sie – durch, in denen er hinaus in die Felder schritt, mit einem Stab in der Hand, nackt bis auf einen Lendenschurz. Man kam dann nicht mehr an ihn heran. Es war sinnlos ihm zu sagen: »Dave, wir haben heute Abend einen Gig.« Er war weg. Er war damit beschäftigt, »eins mit der Natur zu sein.« Er war nicht nur Hawkwinds Machtzentrum, sondern er schrieb auch noch die meisten Lieder. Aber er schrieb niemals mit einem anderen aus der Band. Zumindest schreibe ich bei Motörhead den anderen ihre Beteiligung zu, aber Dave war total eigenständig. Ich lernte wirklich eine Menge von ihm, über Vorstellungen und Beharrlichkeit – Dinge, über die ich schon einiges wusste, aber ihn zu beobachten machte mir Mut und steigerte meine Zuversicht. Er ließ mich selbstsicherer werden. Er hatte auch seine Macken, wie seine Phantasien vom Hinternversohlen. Er fuhr immer auf der Straße an den Schulmädchen vorbei, lehnte sich aus dem Fenster seines
Autos und rief: »Klaps! Klaps! Klaps! Hallo, Mädels, Kläpschen-Kläpschen!« Wenn er auf einem Trip war, war er immer überzeugt, dass er sich die Zunge abgebissen hätte. Hatte er natürlich nie, aber er hatte immer ein rotes Taschentuch in seiner Gesäßtasche, mit dem er sich den Mund abwischte. Dann sah er, dass das Tuch ganz rot war – aaargh – und schon ging’s los! Einmal, in Granchester, spielten wir ihm diesen Streich, und ich brauchte fünfundvierzig Minuten, um ihn wieder zu beruhigen – ich war zu dem Zeitpunkt selbst auf einem Trip, also bewältigte ich den Job vermutlich nicht sonderlich gut. Dave versuchte immer, dem Finanzamt Geld vorzuenthalten. Einmal erklärte er uns: »Ich habe ein neues Haus gekauft. Ich habe es gegen das alte abgeschrieben und mir diesen Hof gekauft, und sie können mir nichts anhaben.« Und es kam heraus, dass, während er uns das in London erzählte, die Polizei sein Haus in Devon durchstöberte und die ganzen Möbel mitnahm. Sehr wundersam, das Ganze. Nik Turner war zu jener Zeit die andere Hälfte des Machtzentrums, da er im Grunde genommen der Frontmann war. Er war ebenfalls von Anfang an bei Hawkwind, und er war eines jener tugendhaften, selbstgerechten Arschlöcher, wie es nur Jungfrauen sein können. Nik war der Älteste bei Hawkwind – sogar älter als Dave, und ich glaube, einiges von seinem Verhalten rührte daher. So konnte er auf der einen Seite sehr altmodisch sein, aber auf der anderen Seite gab er mit Begeisterung damit an, wie unverschämt er sein konnte. Ich schätze es war eine Art Post-Hippie-Midlife-crisis. Und er machte lästige Sachen, wie zum Beispiel das Saxophon – durch ein Wah-Wah-Pedal – genau über den verdammten Gesang zu spielen. Immer wenn wir einen neuen Tonmann hatten, wiesen Dave oder ich ihn an: »Gesang – Saxophon raus.«
Zu einem Auftritt in London tauchte Dave nicht auf und wir riefen bei seiner Frau in Devon an. Sie sagte uns: »Oh, ich hab’ keine Ahnung, wo er ist. Er hat etwas Meskalin genommen und ist spazieren gegangen. Das war heute Morgen, und seitdem habe ich ihn nicht gesehen.« Also brachte Nik diesen Typen, Twink (der später die Pink Fairies gründete), dazu, die Leadgitarre zu spielen. Auf der einzigen Gitarre, die wir hatten, waren nur zwei Saiten aufgezogen. Egal, denn er konnte eh nicht spielen, da er eigentlich Schlagzeuger war. Das war eine von Niks großartigen Entscheidungen. Er war auch einer von denen aus der Band, die mich später feuerten – also, da haben Sie es. Aber Nik sorgte gelegentlich für große Belustigung. Einmal trat er ans Mikro heran, während er sein eingestöpseltes Saxophon hielt und verschwand in einer Salve blauer Funken! Wir lachten alle: »Ja, toll, Nick!« Schließlich schoss er zurück in die Verstärker und sie fielen auf ihn drauf. Ein anderes Mal hatten wir einen Auftritt auf einer offenen Bühne, vor der ein Graben verlief. Wir spielten und der Regen schüttete nur so – all diese Hippies saßen unter Plastikplanen, waren triefend nass und kauften Hamburger für 15 £ – der ganze tolle Festival-Scheiß. Ein Teil der Bühne lag unter einer schalenförmigen Überdachung, aber der vorderste Meter war vollkommen offen und nass. Ich und Dave waren da draußen und Nik kam von links, als Frosch verkleidet – er trug schwarze Cowboystiefel, grüne Strumpfhosen, ein grünes Trikot und einen kompletten Froschkopf aus Gummi. Er hielt sein Saxophon und tollte herum – darin war Nicky super. Also kam er springend die Bühne entlang, und ich sagte zu Dave: »Es wird Zeit, dass jemand den verdammten Frosch in den Teich schubst.« Während ich diesen Satz sagte, schlitterte er direkt in das Wasser! Ich musste vor lauter Lachen zu spielen aufhören. Und dann kam Stacia – unsere Tänzerin – an und
versuchte, ihm herauszuhelfen, und sie fiel mit zu ihm hinein! Ich konnte mich vor Lachen kaum halten und sank auf die Knie. Ein anderes Mal spielten wir in Philadelphia und er musste wieder mit seinem Räucherstäbchen-Trick angeben. Aber diesmal hatte er den Mund zu voll genommen. Zu viel Feuerzeugbenzin. Anstatt eines prächtigen Feuerballs auf der dunklen Bühne, begleitet von einem mächtigen BUMM, hörte man nur eine Stimme: »AU! AU! AU!« Nik hatte sich die Hand verbrannt. Wir brachten ihn nach dem Gig ins Krankenhaus. Sein ganzer Arm war von würstchengroßen Brandblasen übersät. Aber Nik hatte trotzdem den Gig zu Ende gespielt. Das zeugt von Stärke. Er besoff sich immer mit Wein, und einmal, in der Schweiz, ging er zum Bühnenrand und lehnte sich auf die PA und das gesamte Ding stürzte über ihm zusammen. Nur sein Arm, der das Saxophon umklammerte, schaute aus den Trümmern. Der arme Nikky – er neigte manchmal ein bisschen zu Unfällen. Unser Schlagzeuger zu der Zeit war Terry Ollis – wir nannten ihn Boris oder Borealis. Auf der Bühne hatte er nie etwas an. Er kam auf die Bühne in einem Schlüpfer seiner Alten – das war alles. Aber spätestens nach der Hälfte des ersten Stückes entledigte er sich auch noch des Schlüpfers. Als Schlagzeuger war er Dynamit, aber sein Schwanz kam ihm immer in die Quere – freier Fall, wissen Sie – und er schlug sich letztendlich immer mit seinem Stick drauf. Au! Es gab immer wieder Lücken in der Musik. Aber trotz seiner Vorliebe für Damenunterwäsche war er in Ordnung. Er arbeitete früher auf dem Schrottplatz seines Vaters am Stadtrand von Far Westland, und er kam immer in seltsamen Klamotten, die er dort gefunden hatte, zu den Proben und Gigs. Einen Tag tauchte er in einer deutschen Armeeuniform auf und am nächsten in einem Umhängetuch für alte Frauen. Dann
gewöhnte er sich an Downer und das war sein Ruin. Der letzte Gig, den er mit uns spielte, war an der Universität von Glasgow, im Januar 1972. Er fiel auf dem Weg dorthin einfach aus dem Bus. Wir hielten an einer Ampel und er dachte, wir wären da, also öffnete er die Tür und er fiel hinaus auf die Straße. Er breitete sich auf der ganzen Straße mit seinen Taschen aus. Wir wussten nicht, dass er ausgestiegen war, also fuhren wir einfach weiter. Später fanden wir ihn und kriegten ihn irgendwie zum Auftritt. Ich erinnere mich, dass Nazareth uns supporteten, und als sie fertig waren, bauten wir unser Equipment auf und er ging auf die Bühne und saß den ganzen Abend da, mit seinen Sticks auf der Snare gekreuzt. Er spielte nicht einen einzigen Schlag. Es war offensichtlich an der Zeit für ihn zu gehen. Wirklich schade. Wir ersetzten ihn durch Simon King, den ich von Opal Butterfly kannte. Er war ein weiterer, der mich letztendlich bei Hawkwind feuerte – und ich war derjenige gewesen, der ihn in die Band geholt hatte! Dann hatten wir noch einen Typen namens Bob Calvert, aus Südafrika, der unser ansässiger Dichter war. Die Hälfte der Zeit tauchte er zu unseren Gigs auf und die andere Hälfte nicht. Wenn er da war, las er seine Gedichte auf der Bühne vor, oder die des Science-Fiction-Autors Michael Moorcock, was zu der geheimnisvollen Weltraumkrieger-Aura der Band beitrug. Bob hatte einige sehr merkwürdige Ideen. Er wollte mit einer Schreibmaschine, an einem Gitarrengurt um den Hals gehängt, die Bühne betreten und Sachen tippen, die er dann dem Publikum zuwarf. »Das wird nichts, Bob«, sagte ich zu ihm. »Das wird nie was.« Aber er glaubte mir nicht. Glücklicherweise bekam er nie eine Chance, dieses Kunststück auszuprobieren. Ein anderes Mal, als wir im Wembley Stadion spielten, kam er mit einem Hexenhut und einem langen, schwarzen Umhang auf die Bühne und trug ein Schwert und eine Trompete. Dann, nach der Hälfte des zweiten Stückes,
griff er mich mit dem Schwert an! Ich brüllte: »Fick dich«, und schlug ihm mit meinem Bass gegen den Kopf – »Hey, verpiss dich!« Das war der größte Gig, den wir in unserem Leben je spielten, und er griff mich mit einem verdammten Schwert an – irgendwas läuft doch da verkehrt, oder? Bob war sehr intelligent, aber er drehte mit der Zeit immer mehr durch. Er fing an, Valium zu nehmen und zu hyperventilieren und zu viel und zu schnell zu reden. Und er ging zu dieser Buddhisten-Sekte in Scheiß-Devon oder irgendwo, und der Typ, der sie leitete – Bobs neuer Guru –, war offensichtlich ein verdammter Scharlatan. Sie wissen schon, Hippies versammelten sich zu seinen Füßen und starrten bewundernd auf seinen Quell der Weisheit. Ich hielt ihn einfach für einen Arsch. Dadurch wurde Bob erst richtig merkwürdig – »Du glaubst nicht an diesen Mann, oder? Du begreifst seine Größe nicht« und der ganze Scheiß. Schließlich musste ich ihm eine knallen – er spielte mit einem Stück Draht herum und traf mich damit im Gesicht, also schlug ich zurück. Er fiel um, und als er wieder aufstand, war er ein viel besserer Kerl. Aber mental ging es mit Bob den Bach runter – einmal wurde es so schlimm, dass wir ihn mit seiner Freundin in ein Taxi setzten und ihn losschickten, damit er sich in eine Nervenklinik einweisen ließ. Auf dem halben Weg dorthin nahm er den Fahrer in einen Würgegriff, und der Fahrer musste Hilfe anfordern um Bob abzuholen. Bob war richtig kaputt. Wir mussten ihn ständig in Anstalten einweisen lassen, und sie sperrten ihn dann für drei oder vier Tage weg, bevor sie ihn wieder rausließen. Es war sicherlich eine schwierige Zeit für ihn, aber es war noch wesentlich schwieriger für uns! Er ist inzwischen tot, hatte viel zu jung einen Herzinfarkt. Er war ziemlich begabt, aber er war nicht so brillant, wie die Leute heutzutage behaupten. Natürlich wirst du, wenn du stirbst, um achtundfünfzig Prozent brillanter. Du verkaufst
mehr Platten und wirst absolut wunderbar – »Mann, schade, dass wir keine seiner Platten gekauft haben, als er noch lebte, aber trotzdem…« Ich bin sicher, dass es mir so ergehen wird – »Was ist mit Motörhead? Was für eine großartige Band. Wenn wir sie nur gesehen hätten…« Aber ich mochte Bob. Ich spielte auf seinem Soloalbum, Captain Lockheed and the Starfighters, das er Anfang 1974 aufnahm. Er benannte es nach dem schrecklichen Flugzeug, dem F-104 Starfighter, das Amerika Deutschland andrehte. Es gab damals diesen Witz in Deutschland: »Willst du einen Starfighter kaufen? Kauf ein Stück Land und warte.« Denn sie stürzten überall ab. Captain Lockheed and the Starfighters war ein gutes Album. Brian Eno produzierte es und spielte auch darauf. Außerdem wirkten noch Dave und Nik, Simon King, Twink und Adrian Wagner mit. Ich muss mir irgendwann mal ein Exemplar davon besorgen. Mit Bob konnte man wirklich was erleben. Wenn er mit Viv Stanshall, dem Sänger der Bonzo Dog Doodah Band, zusammentraf, war es die Hölle! Einmal waren Bob, Nik und ich unterwegs zum Essen. Wir sammelten Stanshall auf, der am Straßenrand stand. Er hielt eine Aktentasche und trug einen blauen Anzug mit schwarzen Karos, und sein Kopf war geschoren, da er zu der Zeit in der Sean Head Band war. Und er trug einen Homburg-Hut und kaute Valium. Wir gingen zusammen in ein griechisches Restaurant. Und plötzlich zerschmissen Viv und Bob Teller auf dem Boden – sie legten los, schrien sich über den Tisch hinweg an, führten diese verschlungenen intellektuellen Diskussionen. Gott –, das dauerte Stunden. Dann gingen wir zurück zu Stanshall, der ganz in der Nähe unseres Hauses lebte. »Geht nicht durch die Tür, wegen der Schildkröten«, sagte Viv zu uns.
Er hatte all diese Tanks mit Sumpfschildkröten darin, mit kleinen Fußwegen dazwischen, und natürlich fielen sie heraus und krabbelten überall herum. Daher mussten wir um die Ecke des Vorbaus gehen und durch ein Fenster in den Flur klettern, um ins Haus zu gelangen. Also stiegen wir durchs Fenster ein und Bob trat auf eine Schildkröte, und schon wieder ging es mit ihm und Viv von vorne los. Wir gingen nach oben. Von der Decke des Zimmers baumelten künstliche Gliedmaßen, es standen Roboter und unzählige Stapel rarer 78er-SchellackSchallplatten von Leuten wie Jelly Roll Morton herum. Bob stürzte dann in einen Riesenstapel der raren Schellacks und sie zerbrachen. Nach drei Stunden hatte ich die Schnauze voll und wollte heimgehen. Als ich ging, musste einer der beiden ein Bad nehmen. Der andere holte sich einen Stuhl und nahm ihn mit ins Badezimmer, damit sie sich weiter anschreien konnten! Ich dachte, ich hätte genug – aber falsch gedacht! Um 7:30 Uhr morgens wurde ich von einem schreienden Viv geweckt, der vor meinem Fenster stand. »Du hast meine Schildkröten getötet!« »Du Arsch«, brüllte ich zurück. »Das war Bob!« Und ich schlug das Fenster zu. Viv ist inzwischen auch tot – er ging Anfang 1995. Zusätzlich zu den Musikern und Bob hatte Hawkwind einige Tänzerinnen. Stacia blieb am längsten bei uns – sie war in der ganzen Zeit, die ich in der Band war, dabei und stieg aus, um zu heiraten, kurz nachdem ich raus war. In Strümpfen war sie einen Meter fünfundachtzig groß und sie hatte eine Oberweite von 130. Ein wirklich eindrucksvoller Anblick. Sie war eine Buchbinderin aus Devon. Als sie die Band das erste Mal sah, zog sie all ihre Sachen aus, malte ihren Körper vom Kopf bis zu den Zehenspitzen an und rollte auf der Bühne herum, während die Band spielte. Sie blieb letztendlich bei ihnen. Sie hatte eine Menge männlicher Fans in unserem Publikum. Wir
hatten auch noch ein paar weitere Tänzerinnen. Renee war sehr gelenkig. Sie war klein und blond und sah sehr hübsch aus, bis sie mit ihren Verrenkungen anfing und alles verdreht und verkehrt aussah. Dann war da noch Tony. Eine Berufstänzerin, die auch Pantomimen machen konnte. Hin und wieder nahm Michael Moorcock an einigen unserer Auftritte und Aufnahmen teil – er ist auf Warrior on the Edge of Time. Meistens trug jedoch Bob das Zeug vor, das er schrieb. Hawkwind wurde von ihm inspiriert – der Name stammt aus Moorcocks Buchreihe Hawkmoon. Er war großartig. Wir besuchten ihn öfters in seinem Haus, um Gratismahlzeiten abzustauben. An seiner Tür stand: »Wenn ich auf das erste Klingeln nicht reagiere, klingel nicht noch mal, sonst komme ich raus und töte dich. Das heißt nein. Es heißt, ich bin nicht da. Es heißt, ich will dich nicht sehen. Verpisst euch alle. Ich schreibe. Lasst mich verdammt noch mal alleine.« Das war grandios. Unser gesamtes Equipment war von Barney Bubbles in psychedelischen Farben angemalt – noch einer, der schon tot ist. Bubbles benutzte Leuchtfarbe von Day Glo und wir warfen UV-Licht darauf. Er hat auch die Cover von »Silver Machine« und Doremi Fasol Latido gestaltet. Er war wirklich clever und hat eine Menge trippige Kunst für uns geschaffen. Die Albumcover zu Beginn der Siebziger waren um einiges besser, als sie es heute sind – die Entwürfe waren viel kunstvoller. Wenn Sie ein Originalexemplar von Space Ritual finden, werden Sie sehen, was ich meine. Das ganze Ding lässt sich auffalten und ist voll mit Kunst, Photos und Gedichten. Also, das ist auf jeden Fall sein Geld wert. Wenn es um Verpackung geht und darum, der Öffentlichkeit eine Vorstellung zu vermitteln, dann bitte sehr. Heutzutage, mit den CDs, ist alles kleiner und popliger. Die Plattenfirmen sind nur noch am Sparen interessiert und nicht mehr am Produkt als
Ganzen. Sie wollen keine fünf Cent mehr ausgeben, damit es besser aussieht. Und erinnert sich noch jemand an dieses lange Box-Ding, als die CD neu auf dem Markt waren? Was sollte der Scheiß überhaupt? Die CD war nur halb so groß wie die Box, und man konnte das verdammte Ding nicht öffnen, um seine CD herauszubekommen. Man musste ein Messer benutzen, und am Ende knackste man die Plastikhülle an und zerkratzte sie überall. Und es dauerte ewig, sie davon zu überzeugen, diese lange Box abzuschaffen. Ich erinnere mich, dass sie darum stritten, als Motörhead bei Sony war. Leute verließen Sony, weil es die lange Box nicht mehr gab! Wie bescheuert muss man sein? Jedenfalls lieferten wir eine Wahnsinnsshow. Hawkwind war keine von diesen schmalzigen Hippiegruppen mit »peace and love« – wir waren ein schwarzer Alptraum! Obwohl wir all diese intensiven, farbigen Lichter hatten, war die Band meist im Dunkeln. Über uns war eine gewaltige Lichtshow – achtzehn Leinwände, auf denen politische Szenen, sonderbare Mottos und Animationen gezeigt wurden. Dazu die laute Musik mit sich windenden Tänzerinnen auf der Bühne und Dikmik, der das Publikum mit seinem Audiogenerator durchschüttelte. Es war wirklich eine Erfahrung, besonders, da die meisten unserer Fans sowieso schon auf Acid trippten… nicht zu vergessen alle in der Band. Das schloss natürlich auch mich und Dikmik ein – nur weil wir Hawkwinds einzige Speedfreaks waren, hielt uns das nicht ab, allem anderen zu frönen, das wir in die Hände bekamen! Es gibt eine Legende, dass ich so schwer geladen hatte, dass ich auf der Bühne angeblich gegen meinen Verstärker gelehnt werden musste, damit ich nicht umfiel. Also, so schwer ich auch geladen haben mochte, ich erinnere mich an die Show, und es ist nicht wahr, dass ich irgendwo gegengelehnt werden musste!
Der Gig war im Roundhouse, 1972, als wir die Songs »Silver Machine« und »You Shouldn’t Do That« aufnahmen. Das Roundhouse war riesig, ein ehemaliger Lokomotivschuppen. Irgendwelche Rock-’n’-Roll-Freaks mieteten ihn und machten eine tolle Konzerthalle daraus, denn ein paar Teile der alten Lokomotiven ließen sie einfach stehen. Es war ein toller Laden, aber heute wird er für Theatertruppen genutzt – Sie wissen schon, japanische Akrobaten und so ein Scheiß. Kulturell sehr interessant, schätze ich, aber… zurück zu meiner Geschichte. Dikmik und ich waren vorher 72 Stunden am Stück wach gewesen ohne zu schlafen. Wir waren voll mit Dexedrin. Dann wurden wir ein wenig paranoid und nahmen ein paar Downer – Mandrax – aber wir fanden es nicht sonderlich interessant, denn es beruhigte uns zu sehr. Also nahmen wir noch ein bisschen Acid und noch ein wenig Meskalin, um es etwas farbiger zu gestalten. Dann wurde es ein wenig unberechenbar, also nahmen wir noch ein paar Mandrax… und dann noch etwas mehr Speed, denn wir wurden wieder zu langsam. Dann fuhren wir zum Roundhouse. Dikmik fuhr. Er war mehr am Straßenrand als an der Straße als solcher interessiert, also steuerte er immer wieder dorthin, um ihn sich anzusehen. Schließlich kamen wir an. In der Garderobe stießen wir auf eine Wand aus Nebel – alle rauchten Dope. Wir saßen eine Weile da, und jemand kam mit etwas Kokain rein und wir nahmen ein bisschen davon. Dann kam noch jemand mit ein paar Black Bombers (oder Black Beauties, wie sie in den Staaten heißen – Aufputschmittel) an. Wir nahmen jeder acht davon. Ach ja, und wir nahmen auch noch etwas mehr Acid. Als wir schließlich auf die Bühne sollten, waren Dikmik und ich steif wie Bretter! »Verdammte Scheiße. Mik, ich kann mich nicht bewegen. Du?«
»Nein. Es ist toll, oder?« »Ja, aber wir müssen bald auf die Bühne.« »Oh, sie werden uns schon helfen.« Die Roadies klemmten die Hacken unserer Stiefel an den hinteren Bühnenrand und hievten uns hoch, und sie hängten mir meinen Bass um. »Alles klar. In welcher Richtung ist das Publikum, Mann?« »Da.« »Wie weit weg?« »Zehn Meter.« Also trat ich vor. »Eins, zwei, drei, vier, fünf, okay. Los!« Und das war einer der besten Gigs, den wir je mitschnitten. Das Jamming zwischen mir und Brock war super. Aber das Publikum habe ich nie gesehen! Das Resultat von diesem Gig bescherte uns unseren einzigen Hit – immerhin eine Nummer zwei – »Silver Machine«. Mein Gesang landete auf der Aufnahme, obwohl Bob es während der Show sang. Bob war an dem Abend nicht ganz da und er klang schrecklich, also versuchte jeder, es später zu overdubben, und ich war der Einzige, der es richtig sang. Das war das einzige Mal, dass ich Leadsänger war, außer bei »The Watcher« auf Doremi Fasol Latido, »Lost Johnny« auf Hall of the Mountain Grill und »Motorhead«, der B-Seite der »Kings-of-Speed«-Single, das später auch auf der Wiederveröffentlichung von Warrior on the Edge of Time erschien. Aber ich sang eine Menge Backups. Die Zeit, die ich bei Hawkwind verbrachte, war magisch. Wir gingen damals öfter auf ein riesiges, verlassenes Gut, um zu trippen. Es hatte immense, überwucherte Gärten, die kleine Pfade umgaben, Zierseen und Tunnel, rund um das ausgebrannte Haus. Da drinnen war es der reine Wahnsinn. Die ganze Band, mit ungefähr zehn Mädchen und ein paar weiteren Kerlen, kletterte über die Mauer, und wir waren alle
high und wanderten umher – gelegentlich fand man jemanden verknotet unter einem Baum, der vor sich hin brabbelte. Das war eine tolle Zeit, der Sommer 1971 – auch wenn ich mich nicht mehr an ihn erinnern kann – ich werde ihn nie vergessen! Vielleicht wundern Sie sich, bei den Unmengen an Drogen, die ich zu jener Zeit konsumierte, dass ich nie ein Opfer dieser wurde. Ich starb tatsächlich einmal – also, zumindest dachte die Band, ich wäre gestorben. War ich aber nicht. Die ganze Sache fing an, als wir von einem Gig nach Hause fuhren. Ein Typ, den wir John the Bog nannten, war unser Fahrer – wenn ich darüber nachdenke, ist er tatsächlich etwa zwei Jahre nach diesem Zwischenfall gestorben. Er fuhr die Straße runter, ließ einen nach dem anderen raus, und ich war der Letzte. Wir waren gerade dabei, ungefähr einhundert Blues (Pillen, die Speed mit Downern gemixt enthielten) zwischen uns aufzuteilen. Ich hatte die Tüte auf meinem Schoß und hatte ihm gerade fünfzig gegeben. In dem Moment hielt uns eine Wagenladung Bullen an. Das war perfektes Timing. »Sieh mal, Lemmy«, sagte John, »wir werden auffliegen!« Tja, ohne Scheiß! Aber das wollte ich nicht zulassen. Also sagte ich: »Scheiß drauf«, und warf all meine Blues ein. John ebenso. Ich kann Ihnen versichern, das war verdammt übel! Und wir konnten auch nichts trinken, um sie runterzuspülen, da die Bullen direkt vor dem Auto standen. »Steigen Sie aus dem Wagen.« »Jawohl, Herr Wachtmeister«, murmelten wir durch den Brei in unseren Mündern. »Was haben Sie dort vorne im Wagen gemacht?«, verhörte mich einer der Bullen. »Sie haben irgendwas mit Ihren Händen gemacht, als wir Sie angehalten haben.« »Nein, hab’ ich nicht«, beharrte ich, während ich die ganze Zeit blauen Scheiß sabberte.
Aber irgendwie übersahen sie das und ließen uns gehen. Also ließ John mich in Finchley raus, wo ich in einem Haus mit dem Rest der Band wohnte. Anscheinend schlief ich ein und mein Stoffwechsel erreichte einen Tiefstand. Es sah so aus, als hätte ich aufgehört zu atmen, obwohl ich das nicht hatte. Aber ich lag da, beide Augen offen, und erschreckte Stacia zu Tode. Sie flippte aus. »ER IST TOT. ER IST TOT«, fing sie an zu schreien. Dann holte sie Dave, und er stand auch über mir und schrie: »ER IST TOT.« In der Zwischenzeit lag ich da und dachte: »Was zum Teufel ist los mit diesen Leuten? Können die nicht sehen, dass ich versuche, etwas zu schlafen?« Ich wollte ihnen sagen, dass sie den Mund halten sollten, aber es war schwierig für mich, zu sprechen. Schließlich begriffen sie, dass ich nicht tot war. Nach einer Weile war ich wieder okay. Aber bis auf ein paar Schreckmomente wie jenen, muss ich zugeben, dass ich viel Spaß hatte. Wie alle anderen auch. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass es damals in Ordnung war, solchen Scheiß anzustellen. Heute ist es das nicht mehr – alle stehen auf gesundes Leben und darauf, politisch korrekt zu sein, sind gegen Drogen und so weiter. Aber in den Tagen von Hawkwind waren Drogen unser gemeinsamer Nenner. Wir tauchten bei unseren Gigs immer komplett zugedröhnt auf und wir hatten damit Erfolg. Wie Sie sich erinnern werden, nahmen wir unseren einzigen Hit vollkommen breit auf. Und bei ein paar Shows versetzten wir das Essen und die Getränke mit Acid. Da die meisten unserer Fans schon stoned bei unseren Gigs auftauchten, machte es sowieso keinen großen Unterschied mehr. Jene Tage hatten eine Unschuld, da wir noch nicht wussten, dass einige Leute durch das Acid durchdrehen würden, oder dass sich andere Nadeln in die Arme stecken und an Embolien sterben würden.
Wir fingen an, ein paar Psychotiker zu bekommen, aber die wurden gewöhnlich nach einer kurzen Weile abgeholt. Daher hatten wir keinen blassen Schimmer davon, was um uns herum geschah. Für uns waren es Brot und Spiele. Aufgrund unserer Vorliebe für Drogen jeder Art, bestand immer die Möglichkeit, mit der Polizei in Konflikt zu geraten. Aber wie Sie an meinem Abenteuer mit John the Bog sehen konnten, waren die ganz schön dumm. Ich werde Ihnen noch ein weiteres Beispiel für die Dummheit der Polizei geben. Vor den Clubs schlichen für gewöhnlich immer ein paar Polizisten herum. Einmal verließ ich mit Graham, der für Jimmy Page arbeitete und später Motörheads Tourmanager wurde, das Speakeasy. Ich hatte ein halbes Gramm Speed bei mir und wir gingen die Straße hinunter zu seinem Lieferwagen, und zwei Polizisten, die in dem Hauseingang dem Club gegenüber gewartet hatten, folgten uns. »Lass uns schnell machen«, sagte ich und wickelte rasch das Päckchen aus. Gerade als ich es geöffnet in meiner Hand hatte, kam ein Arm über meine Schulter und umschloss meine Faust – und deren Inhalt! »Was hast du da, mein Junge?«, fragte der Polizist. »Das ist ein… Stück Papier.« »Hmm, dann lass mal sehen.« Also öffnete ich meine Hand und er nahm das Stück Papier. Das ganze weiße Pulver war überall auf seiner schwarzen Polizeiuniform verschüttet – er sah aus, als wäre er gerade gepudert worden, wie ein Baby! Und er drehte das Papier um und sagte: »Nichts drauf.« »Das Miststück! Hat sie doch nicht ihre Nummer aufgeschrieben!« »Oh, schon klar. Lasst mal einen Blick in eure Taschen werfen.«
Und da stand er, der ganze Stoff überall auf ihm verteilt und nicht einmal sein Kollege merkte es! Also durchsuchte er uns, aber wir hatten ja nichts dabei. Wie blöd kann man sein? Trotzdem wurden wir dauernd verhaftet. Die Bullen standen vor deinem Haus und warteten nur auf dich. Doch wir waren ziemlich gut darin, unsere Schmuggelware zu verstecken – Nik versteckte das Zeug in seinem Saxophon. Und die Undercoverpolizisten bekamen den Hippie-Look nie richtig hin. Der Typ stand da in seiner Nehru-Jacke mit einem großen grünen Medaillon und dachte, er wäre richtig hip. Doch seine Füße steckten in Plastiksandalen! Obwohl es uns manchmal ziemlich nass reinging wegen der Cops – abhalten konnten sie uns nicht. Das erste Album, das ich mit der Band machte, war ihr drittes: Doremi Fasol Latido. Ich spielte auf drei weiteren kompletten Alben: dem Space-Ritual-Live-Doppelalbum, Hall of the Mountain Grill und Warrior on the Edge of Time. An einigen der besten Sachen von Hawkwind war ich also beteiligt. Bei den Aufnahmen war es eigentlich egal, wer der Produzent war – Dave hatte immer die Verantwortung. Als wir allerdings »The Watcher« aufnahmen, hat er keinen Finger gerührt, da es ja mein Song war und keiner von ihm. So war er. Irgendwann zwischen Space Ritual und Hall of the Mountain Grill machten wir das Greasy-Truckers-Album, bei dem auch einige andere Künstler mitwirkten. Es wurde am 13. Februar 1972 in London im Roundhouse aufgenommen. Eine Seite des Albums heißt Power Cut, Stromausfall, und sie ist komplett leer. Die Bergleute stellten an jenem Abend für circa drei Stunden den ganzen Strom in England ab – so brachten sie die Regierung zu Fall. Bis der Strom wieder da war, saßen alle Dope rauchend in der Dunkelheit. Dann ging der Gig weiter. Dikmik verließ die Band um diese Zeit herum. Er hatte die Nase voll von den bandinternen Machtspielchen. Er zog zu
einer guten Freundin von mir, die jetzt mit Simon King zusammenlebt – London kann ein sehr inzestuöser Ort sein. Dikmik wurde zu einem Potdealer. Eine Zeit lang lief alles gut, aber schließlich flog er auf. Er musste für ein Jahr ins Gefängnis. Als er herauskam, gammelte er nur noch herum und schlief auf den Sofas seiner Freunde. Nachdem er auch zwei Jahre auf meinem Sofa gammelnd verbracht hatte, warf ich ihn raus. Es war eine Schande, denn Dikmik war nicht auf den Kopf gefallen, aber von seiner Zeit im Knast hat er sich nie richtig erholt. Der Knast hat ihn fertig gemacht. Das Beste an Hawkwind waren die Touren ins Ausland. Mein erster Auslands-Gig war in Paris im Olympia. Wir spielten mit der deutschen Band Amon Düül II, die damals in Europa sehr bekannt waren, als es zum Eklat kam. Eigentlich drehten nur ein paar Jugendliche etwas durch – ein ganz normaler Vorgang während eines Hawkwind-Auftritts – als die CRS (Bereitschaftspolizei) wie die verdammte Gestapo dazwischenging. Nach der Veröffentlichung von Space Ritual kam ich zum ersten Mal 1973 nach Amerika. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich kam mir vor wie im Paradies. England ist ja auch heute nicht das ideale Pflaster um eine wilde Jugend zu verbringen, aber damals war es noch viel trister und öder. Und dann kommst du nach Texas. Texas ist dreieinhalbmal so groß wie England. Du kannst zwei Tage durch Texas fahren und bist immer noch in Texas. Und die Luft war so sauber und klar, dass ich es gar nicht fassen konnte. Als ich zum ersten Mal in Boulder war, sah ich aus dem Fenster und die Berge waren zum Greifen nah. Dabei waren sie fünfzig Meilen entfernt! So etwas hatten wir noch nicht gesehen. So ging es damals allen europäischen Bands. Unsere erste Tour begann im Tower Theater in Philadelphia, und dann fuhren wir hoch nach New York und spielten im
Hayden Planetarium. Der Komet Kohoutek sollte erscheinen und wie Sie wissen hatten wir bei Hawkwind alle einen Hang zum Kosmischen. Er kam tatsächlich, aber er war mit bloßem Auge nicht sichtbar – wir fühlten uns ein wenig verarscht. Aber wir veranstalteten eine Riesenparty im Planetarium, auf der auch ein Film über den Kometen lief. Da traf ich zum ersten Mal Alice Cooper und Stevie Wonder. In der Mitte der Eingangshalle lag ein riesiger Brocken Mondgestein. Stevies Begleiter führte ihn hin und legte seine Hand darauf: »Mondgestein, Stevie.« Dann, während des Films, hörte ich wieder Stevie Wonders Begleiter: »Jetzt zieht er über uns hinweg, Stevie, von links nach rechts.« Wer ist nun verrückt, ich oder die? Während der ganzen Tour nahmen wir ständig Acid. In Cleveland bekamen wir dreimal Angel Dust von irgendwelchen Freaks angedreht, bevor wir auf die Bühne gingen. Keiner von uns hat etwas bemerkt. So viel zu unserem Acid-Konsum in Amerika. Wenn du das erste Mal nach Los Angeles kommst, glaubst du im Paradies zu landen. Wahrscheinlich liegt es an den Palmen. Jedes Haus scheint einen eigenen Pool zu haben. Und dann überall diese riesigen Palmen. Dann fährst du den Hollywood Boulevard entlang und wieder diese riesigen Palmen. Ich dachte: »Wow, dieser Ort ist einfach anders.« Und für junge Männer aus England hatte L. A. tatsächlich etwas Magisches. Als ich Jahre später nach L. A. zog, war mir klar, dass dem nicht so war. Aber das Gefühl des Staunens habe ich bis heute nicht verloren. In Los Angeles schrieb ich sogar meinen letzten Song für Hawkwind: »Motorhead.« Wir waren im Hyatt am Sunset Boulevard – Led Zeppelin haben mit ihren Verwüstungen das Hotel berühmt gemacht. Das Electric Light Orchestra wohnte zur gleichen Zeit wie wir in dem Hotel. Ihr Gitarrist, Roy
Wood, lieh mir seine Gitarre. Um 7.30 Uhr stand ich auf dem Balkon des Hyatt und grölte voller Inbrunst. Vorbeifahrende Polizisten stoppten. Durch meinen Lärm waren sie anscheinend beunruhigt. Sie stiegen aus ihren Wagen, sahen zu mir hinauf, schüttelten ihre Köpfe und zogen wieder ab. Sie hielten mich wahrscheinlich für eine Fata Morgana. Auf der Originalaufnahme von »Motorhead« ist übrigens ein Geigensolo. Wenn einer von Ihnen jetzt denkt, die Geige sei ein Instrument für Memmen, dann hat er nie Simon House gehört. Er spielte wie ein Irrer und er raste nur so durch den Song. Später hat er mit David Bowie zusammengespielt. Wir sind viermal mit Hawkwind durch Amerika getourt. Simon House, der Synthesizer und Geige spielte, stieß kurz vor der zweiten Tour dazu. Er ersetzte schließlich Del Dettmar. Denn Del stieg mittendrin aus, um in Kanada zu leben. Er baute dort eine Holzhütte für seine schwangere Frau, die noch in England war. Ein gutmütiger kleiner Kerl! Sieben Monate später, als die Hütte fertig war, kamen sie und das Kind mit dem Schiff herüber – und das Kind war halb Pakistani. Nicht nett, oder? Das ging ihm ganz schön an die Nieren. Ich glaube nicht, dass er sie sofort zurück auf das Schiff verfrachtet hat, aber so ähnlich lief es. Dumm gelaufen. Der Untergang von Hawkwind begann, als die Schlagzeuger das Ruder übernahmen. 1974 stieg Alan Powell während der Norwegen-Tour ein, da sich Simon King beim American Football verletzte. Nachdem Simon wieder fit war, wollte Alan bleiben. Schließlich hatte er Blut geleckt und er verstand sich super mit Simon. Wir hatten auf einen Schlag zwei Schlagzeuger. Meiner Meinung nach war das der Anfang vom Ende für Hawkwind. Ich habe in meinem Leben eine Menge aufgeblasener Schlagzeuger gesehen, aber diese zwei waren der Gipfel. Ihre Drumkits bauten sie in der Mitte der Bühne auf. Im Halbkreis
darum stellten sie alle erdenklichen Percussion-Effekte, Glocken, Röhren und sogar einen Amboss. Lauter Dinge, die wir nie benutzten. Es dauerte ewig, bis der ganze Scheiß aufund abgebaut war. So markierten die zwei Typen auf der Bühne ihr Revier. Aber sie hatten die Rechnung ohne mich gemacht. Ich trat ständig in ihre lahmen Ärsche: »Beeilt euch, ihr Penner! Macht schon!« Doch nicht nur durch meine ständigen Beschimpfungen machte ich mich zusehends unbeliebter. Ich war den anderen Jungs einfach zu dreist. Obwohl ich nicht der Bandleader war, markierte ich auf der Bühne den Chef und zog einfach mein Ding durch. Und ich besaß die Frechheit eigene Songs zu schreiben, was bei den anderen auch nicht besonders gut ankam. Abgesehen von meiner Vorliebe für spezielle Drogen. Nach Dikmiks Abgang war ich der einzige Speedfreak in der Band. Ich war ganz einfach der bad guy… und der bin ich auch heute noch! Meine Festnahme wegen Kokainbesitzes an der kanadischen Grenze war der willkommene Anlass für den Rest der Band, mich zu feuern. Ich hatte Glück im Unglück bei meiner Verhaftung im Mai 1975. Wir waren auf dem Weg von Detroit nach Toronto. Außer ein paar Pillen, die mir ein Mädchen bei der DetroitShow zugesteckt hatte, besaß ich nur ein Gramm Amphetaminsulfat. Bei der Einreise von Detroit nach Kanada gibt es zwei Möglichkeiten – die Brücke oder den Tunnel. Wenn man keine Scherereien haben will, sollte man über die Brücke fahren, aber wir passten nicht auf. Im Tunnel weckte uns die Grenzpolizei. Verpennt wie ich war, steckte ich meine Schätze lässig in meine Hosentasche. Keine besonders gute Idee, denn sie durchsuchten uns etwas gründlicher und fanden meinen Vorrat. Nach einem undurchsichtigen Verfahren stellten die Bullen fest, dass es sich bei meinem Amphetaminsulfat um Kokain handle. Die Penner konnten
Speed nicht von Kokain unterscheiden! »Das hier ist Kokain, Freundchen. Dafür wanderst du in den Knast.« Ich entgegnete noch: »Das glaube ich nicht.« Aber die Mistkerle behielten mich da. Der Rest der Band fuhr nach Toronto. Ich wurde angeklagt wegen Kokainbesitzes und wanderte in Untersuchungshaft. Von den Pillen war keine Rede. Wie Sie sich vorstellen können, keine besonders angenehme Erfahrung. Ich hatte schon so manche Nacht in irgendwelchen Zellen verbracht, aber noch nie in einem richtigen Gefängnis. Im Entlausungszimmer wartete ich auf das Besprühen und plötzlich hieß es: »Sie sind frei auf Kaution.« Na ja, wie ich später herausfand, gab es für die Band nur einen Grund, mich aus diesem Rattenloch zu holen: Mein Ersatz am Bass schaffte es nicht rechtzeitig nach Kanada. Sonst hätten sie mich einfach verrotten lassen. Aber Unkraut vergeht nicht. Zumal sich herausgestellt hatte, dass es sich tatsächlich um Amphetaminsulfat und nicht um Kokain handelte, wurde die Sache als »ungerechtfertigte Anklage« fallen gelassen. Und für die gleiche Substanz konnten sie mich nicht erneut anklagen. Ich war wieder auf freiem Fuß. Die Band hatte mir ein Flugticket nach Toronto besorgt. Kurz nach dem Soundcheck kam ich an und wir spielten den Gig. Um vier Uhr morgens wurde ich gefeuert. Ich nahm einfach die falschen Drogen, verstehen Sie. Wenn ich mit Acid erwischt worden wäre, kein Problem. Selbst wenn ich Heroin genommen hätte, hätten sie mich rausgeholt. Das zeigt die ganze Verlogenheit der Hippie-Kultur. Immer hieß es nur: »Speed bringt dich um – wow, Mann, schlechte Drogen« und ähnlich bescheuerte Weisheiten. Aber alle, die ich kenne, die so klug daherredeten, sind jetzt unter der Erde oder total kaputt durch Heroin. Speed hält dich zumindest funktionsfähig. Warum gaben sie es sonst jahrelang all den Hausfrauen?
Das Timing für meinen Rausschmiss war für Hawkwind alles andere als glücklich. Hawkwind standen in Amerika kurz vor dem Durchbruch. Sie waren wirklich bescheuert. Dass der Erfolg dann ausblieb, lag nicht an meinem Rausschmiss, sondern vielmehr an meinem Nachfolger: Paul Rudolph. Bei den Pink Fairies war er ein großartiger Leadgitarrist, aber er war ein sehr mittelmäßiger Bassist. Im Grunde genommen das genaue Gegenteil von mir. Hawkwind versuchten bis Ohio weiterzumachen, spielten noch vier weitere Gigs und sagten dann den Rest der Tour ab. Dave, Gott stehe ihm bei, wollte mich tatsächlich zurück in die Band bringen, aber die unheilige Allianz der beiden Schlagzeuger stimmte dagegen. Sie und der Bassist übernahmen die Herrschaft und die Band nahm die falsche Richtung. Sie machten noch ein paar ganz ordentliche Alben. Musikalisch ist nichts dagegen einzuwenden, aber sie klangen lasch. Sie hatten keine Eier mehr – kein Wunder, denn sie hatten mich ja rausgeschmissen. Mit mir gingen die Cojones von Bord!
Nachdem Hawkwind nach Europa zurückgekehrt waren, rächte ich mich auf meine Art und Weise für den Rausschmiss: ich stahl mein Equipment aus ihrem Lagerraum. Wie ich das genau hinbekam, weiß ich nicht mehr genau. Irgendwie habe ich es geschafft, dass mir jemand den Schlüssel besorgte. Ich weiß noch nicht einmal mehr, wer mit mir mitkam – wahrscheinlich war es Lucas Fox, der bei Motörhead die ersten paar Monate Schlagzeug spielte. Es muss Lukas gewesen sein, denn er war der Einzige, den ich kannte, der ein Auto hatte. Nachdem wir alles im Wagen verstaut hatten, tauchte plötzlich Alan Powell auf. Was für ein Zufall, denn ich hatte gerade erst seine Frau besucht! Er brüllte: »Du Arsch! Glaubst du wirklich, dass du dir das so einfach nehmen kannst?« Wir fuhren lachend davon: »Ja. Frag doch deine Frau!« Ich glaube nicht, dass er sie gefragt hat. Denn eine Woche später besuchte ich sie wieder. Sie hat den Vorfall mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt. Zwei Wochen nach meiner Ankunft in London stellte ich eine Band zusammen, aus der schließlich Motörhead werden sollte. Meine Vorstellung war eine Mischung aus MC5 – die für die meisten von uns die großen Helden waren – Little Richard und Hawkwind. Doch im Grunde unseres Herzens waren wir eine Bluesband, obwohl wir tempomäßig alle Geschwindigkeitsrekorde brachen. Wir
konnten den Blues jedenfalls in unserer Musik erkennen. Vielleicht waren wir auch die Einzigen, die den Blues heraushörten. Larry Wallis spielte Gitarre und Lukas Fox saß am Schlagzeug. Larry kannte ich von früher – er war bei UFO gewesen, bevor sie eine Platte machten. Und er hatte bei den Pink Fairies Gitarre gespielt, nach dem Weggang von Paul Rudolph, dem Typen, der mich bei Hawkwind ersetzte. Ziemlich inzestuös, nicht? Angekündigt wurden wir als Pinkwind – Hawkfairies klang irgendwie nicht so gut. Lucas lernte ich durch Irene Theodorou kennen. Ich nannte sie nur Motorcycle Irene – nach dem Lied von Moby Grape. Mit ihr wohnte ich eine Zeit zusammen. Sie war keine meiner Freundinnen, einfach nur eine Freundin, obwohl wir auch wilde Zeiten zusammen durchmachten. Ein sehr nettes Mädchen und eine gute Photographin. Einige unserer frühen Aufnahmen stammen von ihr. Lucas hing mit Irene rum, weil er sie flachlegen wollte. Hat natürlich nicht geklappt. Er war ein bisschen begriffsstutzig, aber sehr zuverlässig. Er war Schlagzeuger und er hatte ein Auto – was will man mehr? Dann war nur noch das Problem mit dem Gesang zu lösen. Ich wollte nicht singen, aber nach eingehender Betrachtung des Ganzen, entschied ich mich, den Part zu übernehmen, da wir keinen Sänger fanden. Einen Namen für die Band hatte ich auch schon: Bastard. Der Name traf den Nagel auf den Kopf und umschrieb mein damaliges Gefühlsleben sehr genau. Aber unser damaliger Manager Doug Smith, der schon Hawkwind gemanagt hatte, hielt das für keine besonders clevere Idee: »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir es mit einem Namen wie Bastard zu Top of the Pops schaffen.« Nach kurzer Überlegung musste ich ihm Recht geben und beschloss die Band Motörhead zu taufen. »Motorhead« war der letzte Song, den ich für
Hawkwind schrieb und es war amerikanischer Slang für einen Speedfreak. Motörhead passte wie die Faust aufs Auge. Und es war ein Name mit nur einem Wort; ich glaube an Bandnamen aus nur einem Wort – man kann sie sich leichter merken. Meine in psychedelischen Farben angemalten Verstärker strich ich mattschwarz und los ging es mit Motörhead. Mein Rausschmiss bei Hawkwind hatte in den britischen Musikgazetten für einigen Wirbel gesorgt. Alle wollten wissen, was ich denn nun vorhätte. Dem Sounds erklärte ich: »Es wird die dreckigste Rock-’n’-Roll-Band der Welt sein. Wenn wir nebenan einziehen würden, würde dein Rasen eingehen!« Tatsächlich klaute ich die Zeilen von Dr. Hook, aber sie wurden schnell zum ersten von Motörheads zahlreichen Slogans. Unsere erste Show war am 20. Juli 1975 im Roundhouse. Nicht schlecht, wenn Sie bedenken, dass ich Hawkwind erst im Mai verlassen hatte. Wir waren Vorband für Greenslade, eine Art Pomprock-Band, die von diesem Typen namens Dave Greenslade gegründet wurde, der Keyboarder bei irgendjemandem gewesen war. Alle Bands hatten damals Intro-Tapes und ich als Geschichts-Fan – mein Spezialgebiet ist der zweite Weltkrieg – entschied mich für eine Aufnahme aus dem dritten Reich. Eine Militärparade mit »Sieg Heil«Rufen. Tausende Knobelbecher, die im Stechschritt auf deutsches Kopfsteinpflaster schlugen: Bramp! Bramp! Bramp! Ein kalter und zugleich kraftvoller Sound. Das Tape benutzten wir auch als Outro am Ende unserer Show. Und ein silberner Totenkopf thronte auf meinem Verstärkerturm. Trotz des ganzen Theaters, das wir veranstalteten, waren wir nicht gut. Eigentlich waren wir richtig beschissen. Doch das hielt uns nicht davon ab, bis Ende August durch England zu touren. Denn der einzige Weg besser zu werden, ist zu spielen.
Von Beginn an zog es die unterschiedlichsten Leute auf unsere Konzerte: Punks, alte Hawkwind-Fans und natürlich jede Menge üble Gestalten. Einige von ihnen standen wirklich auf uns. Bei unserem ersten Auftritt tauchte ein Typ in weißen Stiefeln und mit Patronengurt auf – exakt mein Bühnenoutfit. Ich hatte mir die Stiefel erst zwei Wochen zuvor besorgt, also war das wirklich früh. Und wir stießen bei den Leuten auf eine Art Nibelungen-Treue – doch nicht nur das Publikum, auch die Crew hängt an uns. Mit unserem jetzigen Tontechniker arbeiten wir seit 1977. Obwohl er bei anderen Bands viel mehr verdienen könnte, hält er uns die Stange. Nur einmal ging er fremd – wir hatten gerade keine Tour anstehen –, und er heuerte bei Black Sabbath an, wo er das Dreifache verdiente. Doch während der Black-Sabbath-Tour plante er schon wieder unseren Sound und unsere Beleuchtung. Jemand sagte zu ihm: »Du sollst den Kram für Black Sabbath erledigen.« Seine Antwort war denkbar knapp: »Ja, aber das hier sind meine Jungs!« Er verließ Black Sabbath sofort und kehrte zu uns zurück. Wir haben immer solche Leute gehabt. Motörhead scheint einen Virus in sich zu tragen, von dem alle, die mit uns zu tun haben, irgendwann befallen werden. Eine Art Underdog-Virus. Und bei unserem nächsten Gig in London, am 19. Oktober 1975 im Hammersmith Odeon, waren wir auf jeden Fall die Underdogs. Wir supporteten Blue Oyster Cult, aber von Support ihrerseits konnte nicht die Rede sein. Denn Blue Oyster Cult sabotierten uns total. Wir durften keinen Soundcheck machen, obwohl das Odeon für seinen schlechten Sound berüchtigt ist. Im Laufe der Jahre habe ich festgestellt, dass besonders viele amerikanische Bands ihre Vorgruppen schlecht behandeln. Anscheinend wollen sie die Konkurrenz schon ausschalten, bevor diese überhaupt eine Chance hat, zu
konkurrieren! Von britischen Bands ist mir das nicht bekannt – na ja, fast nicht – und Motörhead ist auf keinen Fall so link. Aber die Show hatte auch ihr Gutes. Unser Ruf wurde gefestigt und in der Musikzeitschrift Sounds wurde eigens für uns eine eigene Kategorie in den Jahrescharts eingeführt. Wir wurden zur »besten schlechten Band der Welt« gewählt! Dennoch hatten wir einen Plattenvertrag bei United Artists – dem Label von Hawkwind – in der Tasche. Und United Artists glaubte an uns. Zumindest vorläufig. Wir wähnten uns glücklich. Ende des Jahres gingen wir in die Rockfield Studios, die sich auf einer Farm in Monmouth, Süd-Wales, befinden, um eine Platte aufzunehmen. Dave Edmunds sollte sie produzieren. Dave ist einer meiner Helden. Er wurde mit Rockpile berühmt und später auch als Solokünstler. Doch ich kannte ihn schon länger. Mit seiner ersten Band Love Sculpture spielten sie eine Version von Khatchaturians »Säbeltanz«, die einem die Schuhe auszog. Das Gitarrenspiel darauf gehört zum Besten, was Sie, werter Leser, jemals hören werden. Alle waren damals auf Pille und Dave war ohnehin schon schnell! Leider nahm Dave nur vier Stücke mit uns auf: »Lost Johnny«, »Motörhead« (zwei der Songs, die ich bei Hawkwind geschrieben hatte), »Leaving Here« (ein hervorragender Song von Eddie Holland, den ich während meiner Zeit in Manchester des Öfteren die Birds spielen sah) und »City Kids« (eine Pink-Fairies-Nummer von Larry). Dann wurde Dave von Led Zeppelins Label, Swan Song, unter Vertrag genommen und weg war er. Gut für ihn und schlecht für uns, denn Dave war praktisch einer von uns. Während wir uns einen Track noch mal anhörten, stand Dave einfach auf: »Entschuldigt mich.« Er ging zur Tür hinaus und übergab sich, kam einfach zurück, setzte sich hin und machte einfach weiter. Ständig fanden wir ihn zusammengesunken über dem Mischpult,
während nur noch ein Rauschen aus den Boxen dröhnte. Aber er konnte auch zupacken. Bei meiner Gitarre sprang ständig eine Saite aus der Nute, was mich wahnsinnig machte. Dave nahm mich ganz ruhig zur Seite: »Alles, was du brauchst, ist eine Klammer darüber. Komm mal mit.« Wir stiegen durch ein Fenster in den Werkzeugschuppen der Farm ein, um uns einen Bohrer zu besorgen. Dann zerschlug er eine alte Gitarre, nahm deren Klammer, bohrte Löcher in meine Gitarre und schraubte sie darauf fest. Die Klammer hält noch heute! Ein toller Typ. Und auch als Produzent für andere machte er sich einen Namen. Er hat unter anderem das Comeback-Album der Everly Brothers mit Jeff Lynne produziert. Für Dave kam Fritz Fryer, der in den 60er Jahren mit den Four Pennies ein paar Nummer-eins-Hits in England hatte. Eine sehr gute Band, aber sie waren zu schmalzig. Es lag also an Fritz das Album fertig zu stellen – leider. Er war ganz in Ordnung, aber eben nicht wie Dave. Als Dave uns verließ, mussten wir uns von unserem Schlagzeuger trennen. Lucas benahm sich immer seltsamer. Er versuchte mit meinem Speed-Konsum gleichzuziehen – da konnte er nur verlieren. Es ist nämlich alles andere als ratsam, meinen Lebensstil nachzuahmen. Das ist kein Witz! Es ist wissenschaftlich erwiesen. 1980 wollte ich mein Blut austauschen lassen – Sie wissen schon, der gleiche Prozess, von dem es heißt, dass Keith Richards ihn durchgemacht hat. Eigentlich eine ganz clevere Idee. Schließlich bekommt man umgehend frisches Blut, ohne dass der Körper den Stress einer Entgiftung durchmachen muss. Mit meinem Manager ging ich zum Arzt, der bei mir einige Bluttests durchführte, um mir anschließend mitzuteilen: »Reines Blut wird Sie umbringen.« »Was?«
»Sie haben kein menschliches Blut mehr. Und Sie können auch kein Blut spenden. Vergessen Sie’s. Sie würden einen Durchschnittsmenschen töten, weil Sie so toxisch sind.« Mit anderen Worten, was für mich normal ist, ist für einen anderen Menschen tödlich – und was für andere Menschen normal ist, ist für mich tödlich. Soll mir Recht sein. Vielleicht müssen die medizinischen Lehrbücher ja umgeschrieben werden. Wer weiß? Ich werde meinen Körper auf jeden Fall für wissenschaftliche Untersuchungen zur Verfügung stellen. Der Versuch von Lucas, mit mir Schritt zu halten, ließ ihn sehr angespannt werden. Die Adern an seinem Kopf standen hervor, und er starrte uns stundenlang hoch konzentriert an, ohne dabei ein Wort zu sagen. Er war ganz offensichtlich schon ganz woanders. Einmal saßen wir im Studio und hörten uns eine Aufnahme an. Lucas lehnte sich gegen das Pult. Auf dem oberen Teil des Pultes stand jede Menge Zeug: alte Drinks, überquellende Aschenbecher, leere Kippenschachteln und so weiter. Leider war das Teil nicht richtig befestigt und klappte zusammen. Funken sprühten und das ganze verdammte Ding flog in die Luft! Lucas schrie, schmiss das Telefon gegen die Wand und rannte zur Tür. Larry rief ihm noch hinterher. »Hey Lucas, geh nicht an meinen verdammten Verstärkern vorbei – sonst jagst du die auch noch in die Luft!« Lucas war draußen. Vor ein paar Jahren lief er mir in Paris über den Weg. Er war gekleidet wie ein richtiger Franzose, mit einem Einstecktüchlein. Vielleicht war er ja schwul geworden? Aber er versicherte mir, dass er mit seinem Mädchen in Paris zusammenlebte. Eigentlich war Lucas in Ordnung, aber ihm fehlte einfach der Biss. Phil Taylor stand schon in der Warteschlange für Schlagzeuger. Ungefähr ein halbes Jahr vor Lucas Abgang hatte ich Phil das erste Mal in der Wohnung von Paul getroffen. Paul ist die lebende Anti-Heroin-Kampagne.
Ohnmächtig vom Heroin schlief er, mit einer Hand über den eisernen Nachttisch gelehnt, ein. Die Hand starb ab. Er hatte sich im Rausch alle Sehnen durchtrennt. Ich rettete Pauls Leben – er war tot, verdammt noch mal, ganz blau angelaufen, und ich schlug ihm so lange auf die Brust, bis sein Herz wieder anfing zu schlagen. Er war nicht der Erste, den ich rettete, und er war ganz sicher nicht der Letzte. Aber zurück zu Phil. Phil hatte ein Auto und so fuhr er mich ins Studio. Er erwähnte beiläufig, dass er auch ein wenig Schlagzeug spielte. Wir versuchten es mit ihm und spielten ein paar Nummern mit ihm. Larry war sofort begeistert von ihm. »Der kleine Wichser ist perfekt!« Phil hatte den Job. Und er spielte bis auf einen Song – »Lost Johnny«, mit dem waren wir zufrieden – alle Schlagzeugparts noch einmal neu ein. Schlagzeugspuren zu overdubben ist nicht ohne, da sich ein Song normalerweise auf den Schlagzeugbeat stützt. Man zäumt quasi das Pferd von hinten auf, wenn man die Schlagzeugspuren overdubbed. Aber Phil verstand sein Handwerk und er war für sehr lange Zeit ein Gewinn für Motörhead. Eine Sache, die er jedoch nicht beherrschte, war das Singen. Auf dem Album – das schließlich On Parole hieß – sang Larry drei Songs: »On Parole« und »Fools«, die er beide schrieb, und »Vibrator«, den er mit seinem Roadie, Dez Brown, komponierte. Dez schrieb auch den Text zu »Iron Horse/Born to Lose«. Larry hielt es für eine gute Idee, wenn Phil auch einen Song singen würde. Mit »City Kids« gaben wir ihm eine Chance. Ein unmögliches Unterfangen – Phil jaulte wie zwei fickende Katzen. Ich musste rausgehen. Und draußen regnete es Bindfäden. Aber ich konnte nicht wieder rein, so sehr musste ich lachen. Larrys Schnapsidee war gestorben. Schließlich stellten wir das Album fertig und dann begann die Sache erst richtig lustig zu werden. Die Arschlöcher bei United
Artists verhinderten mit allen Mitteln die Veröffentlichung der Platte. Monatelang logen sie uns an. Da wir bei ihnen unter Vertrag waren, konnten wir natürlich bei keiner anderen Firma aufnehmen. Letzten Endes wurde On Parole vier Jahre später veröffentlicht, als wir schon lange woanders unter Vertrag waren. Ihre Begründung, die Platte zu diesem Zeitpunkt herauszubringen, war mehr als lächerlich – die neuen Köpfe bei United Artist sehen die Platte in einem ganz anderen Licht als ihre geschassten Vorgänger. Seltsamerweise waren wir gerade sehr erfolgreich, als das Album mit vierjähriger Verspätung auf den Markt kam. Zufall? Ich glaube nicht an Zufälle. Gleich gar nicht, wenn es um Plattenfirmen geht. Unsere Geschäftsbeziehungen zu Plattenfirmen waren also von Beginn an beschissen. Doch damit nicht genug. Zur gleichen Zeit des Ärgers mit United Artist begann auch unser Leidensweg mit Managern. Doug Smith gab uns an einen Typen aus Belgien weiter, an dessen Namen ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann. Der Belgier wollte besonders hip sein und versuchte mit britischem Slang zu reden. Mit fatalen Auswirkungen. In England bezeichnen wir mit »einem Haufen Fotzen«, eine Gruppe von Kerlen. Eine Frau würden wir in England nie »Fotze« nennen. Ich fand den Unterschied in Amerika übrigens schon sehr schnell heraus. Der Belgier kommt also zu uns und fragt: »Wo sind meine Haufen von Fotze?« Nicht nur, dass er des Englischen nicht mächtig war, er war auch ziemlich schnell pleite. Das war’s mit unserem Belgier. Anschließend managte uns Frank Kennington. Er war ein Freund unseres Gitarristen, zu dem Zeitpunkt schon Eddie Clarke (zu Eddie komme ich gleich noch). Franks Vater besaß eine Fabrik, die er gerade übernahm. Er verfügte also über einen Haufen Bargeld. Doch die Freude darüber war sehr kurz, denn wir trieben Frank in den Bankrott. Wir schuldeten dem
armen Mistkerl tatsächlich noch Geld bis zu dem Tag, an dem er starb (obwohl ich ihm meinen Anteil schließlich 1996 zahlte – mit zwanzig Jahren Verspätung! Aber immer noch besser zu spät, als nie). Nachdem wir Frank finanziell ruiniert hatten, wurden wir eine ganze Weile von Tony Secunda gemanagt. Ich traf ihn durch Chrissie Hynde, die ich schon seit einigen Jahren gekannt hatte. Chrissie war Journalistin beim New Musical Express. Obwohl sie keine nennenswerten Titten hatte, spielte Chrissie wirklich sehr gut Gitarre! Sie war wirklich sehr gut. Ich habe oft mit ihr, als sie noch in Chelsea lebte, gejammt. Nächtelang. Bevor sie mit den Pretenders Erfolge feiern konnte, spielte sie in einer wirklich geschmackssicheren Band: The Moors Murderers. Sie trugen schwarze, spitze Masken – wirklich sehr geschmacklos. Zum Glück hatten sie nie einen Hit, sonst hätten wir wohl niemals Chrissies Gesicht zu sehen bekommen – sie hätte für den Rest ihrer Karriere unter einer schwarzen Maske gesteckt. Aber zurück zu Tony Secunda. Tony managte The Move und Steeleye Span und er hatte ein Label in England, Wizard Records. Und er war komplett durchgeknallt. Ein Irrer. Ihm folgte auf Schritt und Tritt ein Indio. Tony schnupfte Unmengen Kokain – teelöffelweise zog er sich das Zeug rein. Und er war paranoid. Er wähnte sich in dem Glauben, von allen überall abgehört zu werden. Ständig murmelte er vor sich hin. »Verdammte Wanzen! Hören zu, was ich sage, überall Wanzen. Verdammte Mistkerle!« Und der Indio stand hinter ihm, die Arme über seiner Brust verschränkt. Ein verrückter Typ. Aber Secunda hatte einige wilde Werbeideen. Für Fotoaufnahmen ließ er The Move mit einer Atombombe auf einer Verkehrsinsel mitten in Manchester posieren. Als er von
seinen Steuervorauszahlungen erfuhr, wechselte er 20.000 £ in 1-Pfund-Scheine. Diese ließ er dann während eines SteeleyeKonzertes im Hammersmith Odeon von der Decke fallen. Da die 20.000 £ sowieso der Staat kassiert hätte, setzte er sie lieber als Spende von der Steuer ab. Doch einmal ging er mit seinen Promotionaktionen für The Move zu weit. Eine pornographische Postkarte mit dem britischen Premierminister Harold Wilson brach ihm fast das Genick. Er musste sich beim Premierminister entschuldigen und sehr viel Geld zahlen. Sie wissen schon, wegen Verleumdung. Auch für Motörhead hat er sich ins Zeug gelegt. Er ließ unser Logo auf ein Gebäude, das an der westlichen Haupteinfahrtstraße Londons stand, malen. Zehn Kunststudenten standen eine Stunde lang auf dem Gerüst, um unser Logo zu malen. Doch die Bewohner brauchten drei Monate, um es wieder zu entfernen! Drei Monate erstklassige Reklame. Umsonst! Ursprünglich plante ich Motörhead als Quartett und wir ließen einige Gitarristen vorspielen. Unter anderem auch Ariel Bender – damals noch als Luther Grosvenor bekannt – der bei Mott the Hoople und Spooky Tooth war. Wir probten mehrmals mit ihm, aber die Chemie stimmte nicht. Er war ein netter Kerl, aber eben überhaupt nicht unser Typ. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, mit ihm in einem Bus zu sitzen. Also machten wir als Trio weiter, bis wir Eddie Clarke fanden… und machten letztendlich trotzdem als Trio weiter. Phil traf Eddie, während sie beide ein Hausboot in Chelsea renovierten. Aber es war nicht Phil, der ihn zu uns brachte, sondern Aeroplane Gertie, die Empfangsdame eines Proberaumes in Chelsea war. Wir probten dort umsonst – wenn jemand früher fertig war, schafften wir unser Equipment hinein und nutzten die verbliebene Zeit. Gertie trug einen Hut mit einem angesteckten Plastikflugzeug, deswegen hatte sie den
Spitznamen Aeroplane Gertie. Sie wohnte mit Eddie zusammen und brachte ihn eines Tages mit in den Proberaum. Wir beschlossen, ihm eine Chance zu geben. Larry war noch nicht aufgetaucht und so jammten Phil und ich mit Eddie. Bis Larry schließlich Stunden später auftauchte, lief es ziemlich gut. Doch dann stöpselte Larry seine Gitarre ein und drehte seinen Verstärker bis zum Anschlag auf. Er war so laut, dass wir eine halbe Stunde nur seine Gitarre hörten. Danach ging er. Das war’s – er hatte die Band verlassen. Dabei war es Larry, der uns immer in den Ohren lag, mit seinem Gejammere, dass wir einen zweiten Gitarristen bräuchten. Aus so einem Typen soll man schlau werden. Aber Motörhead funktionierte als Trio wirklich großartig – und tut es heute immer noch. Wenn man zwei Gitarristen hat, muss man sich immer unterordnen, denn wenn die beiden Gitarristen nicht zusammenspielen – und der Bass natürlich auch – endet alles in einem heillosen Durcheinander. Aber mit nur einem Gitarristen kann man alles machen. Und mit Eddie klappte es hervorragend. Ich versuchte prompt, jedem einen Spitznamen zu verpassen. Spitznamen sind gut, die Leute mögen sie. Aus Eddie wurde logischerweise »Fast Eddie« Clarke, denn er war verdammt schnell auf seinen Saiten. Phil wurde zu Phil »Dangerous« Taylor, zumindest für ein paar Monate. Es passte zu ihm, denn Phil war am gefährlichsten sich selbst gegenüber. Aber jemand, der es besser wusste, war Motorcycle Irene, da sie zu dem Zeitpunkt bereits mit ihm zusammenlebte. Sie taufte ihn »Philthy Animal«. Eddie und Phil waren gute Freunde – für eine Zeit wohnte Phil in Eddies Haus. Sie standen sich so nah wie Brüder, was gelegentlich problematisch war, da sie auch stritten wie Brüder. Der eine drehte sich beispielsweise um und der andere sagte etwas und im nächsten Moment – peng –schlugen sie
sich gegenseitig die Birne weich. Die beiden prügelten sich fast immer. Auf dem Weg zu einem Gig in Brighton boxten sich Phil und Eddie die ganze Zeit im Bus. Als wir ankamen, hatte Phil ein blaues Auge und Eddie eine Verletzung am Arm. Bevor wir auf die Bühne gingen, musste ich ein Machtwort sprechen: »Schluss jetzt. Los geht’s.« Als wir nach der Show von der Bühne gingen, schlug Phil Eddie in den Nacken und Eddie flog voll auf die Fresse. Der ganze Scheiß ging wieder von vorn los. Als Kämpfer waren sie sich ziemlich ebenbürtig. Unsere Fans hielten Eddie immer für den Ruhigen, aber er war fieser als Phil. Er ist wirklich ein gemeiner Typ, wenn die Fäuste fliegen. Einmal haben die beiden mich richtig verteidigt. In einer Kneipe in der Portobello Road griff mich ein Kerl von hinten an, aber Eddie und Phil bekamen ihn und seine beiden Kumpel zu fassen. Sie warfen die Typen hochkant aus der Kneipe und kickten sie die Straße runter! Das Ganze ging so schnell, dass ich keinen einzigen Schlag austeilen konnte. Übrigens zerbrach der Kerl aus dem Pub die Woche darauf einen Billardqueue über meinem Kopf! Das waren noch Zeiten, was? Nachdem wir einige Zeit in dieser Besetzung geprobt hatten, besorgte uns Tony Secunda einen Deal mit Stiff Records, um eine Single aufzunehmen. Im Sommer 1976 nahmen wir zwei Songs auf. »White Line Fever« – den hatten wir zusammen geschrieben – und »Leaving Here«. Irgendwie bekamen die Jungs von United Artists Wind von der Sache und machten uns Ärger, da wir noch nicht offiziell aus dem Vertrag mit ihnen entlassen waren. Keine Ahnung, warum sie sich überhaupt einen Scheißdreck darum kümmerten, schließlich hatten wir seit Monaten mit ihnen kein Wort mehr gewechselt. Aber sie konnten bis 1977 verhindern, dass die Single veröffentlicht wurde, was uns sehr frustrierte.
Den Rest des Jahres 1976 und Anfang 1977 spielten wir einzelne Gigs. Bei einem dieser Auftritte, in einer Disco in Shrewsbury, rutschten Eddie und ich auf dem glitschigen Plastikboden aus und wir landeten beide auf dem Rücken. Unsere Crew war sofort zur Stelle, um uns auf die Beine zu helfen. Aber nur ich wurde aufgehoben, Eddie ließen sie liegen, da er sie immer von oben herab behandelte. Ein anderer Auftritt führte zu einem Tobsuchtsanfall von Phil, wobei er gegen den Bus trat und sich dabei seinen Zeh brach. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Moral der Band ihren Tiefpunkt erreicht. All unsere Bemühungen, reich und berühmt zu werden, zerplatzten wie Seifenblasen. Wir hungerten, lebten in besetzten Häusern und nichts passierte. Überhaupt nichts. Phil und Eddie wollten das Handtuch schmeißen, aber ich hielt an der Band fest, es war ja schließlich meine Band. Doch nach einigen Diskussionen beschlossen wir, im April ein Abschiedskonzert im Marquee in London zu geben und Schluss zu machen. Ich bat Ted Carroll von Chiswick Records, ein mobiles Studio zu dem Gig mitzubringen, damit wir unseren Abschiedsauftritt mitschneiden konnten – als Abschiedsgeschenk und Dankeschön für unsere Fans. Ted tauchte jedenfalls ohne sein mobiles Studio auf, dafür kam er nach dem Gig hinter die Bühne und machte uns ein Angebot: »Wenn ihr eine Single machen wollt, buche ich euch zwei Tage im Escape Studio in Kent.« Wir nahmen dankend an. Speedy Keen war unser Produzent. Seine Band Thunderclap Newman hatte mit »Something in the Air« in England einen Nummer-eins-Hit. In zwei Tagen nahmen wir elf Backing-Tracks ohne Gesang auf, denn wir waren uns einig, dass ein Album mehr Sinn als eine Single machte. Also arbeiteten wir die achtundvierzig Stunden durch, ohne auch nur eine Sekunde zu schlafen. An Schlaf dachten
auch Speedy Keen und der Tontechniker, John Burns, nicht. Sie waren voll mit Speed und genauso bei der Sache wie wir. Sie mischten alleine vierundzwanzig Versionen von »Motörhead« ab! Dann fragten sie mich, welche ich am besten fand, als ob ich mich erinnern würde. Nach dreien kannst du sie schon nicht mehr unterscheiden. Deshalb sagt ich irgendwann: »Scheiß drauf, nehmen wir die!« Am Ende des zweiten Tages kam Ted vorbei, um die zwei fertigen Songs zu hören, doch wir gaben ihm die elf unvollendeten. Aber während er sie sich anhörte, tanzte er im Studio. Wir hatten ihn auf unserer Seite. Er gab uns ein paar zusätzliche Tage, um den Gesang aufzunehmen und Motörhead war unser erstes Album, das auch tatsächlich erschien. Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns endlich von United Artists freigekämpft – wir waren wieder im Geschäft. Wir nahmen insgesamt dreizehn Stücke für Chiswick auf und acht davon landeten am Ende auf dem Album. Vieles von Motörhead war Material von On Parole, das wir neu aufnahmen: »Motörhead«, »Vibrator«, »Lost Johnny«, »Iron Horse«, »Born to Lose« und »The Watcher«. Außerdem noch zwei neue Stücke, »White Line Fever« und »Keep Us On the Road«, und ein Song von Johnny Burnett, »Train Kept ARollin’« (wahrscheinlich kennen Sie die Version von Aerosmith – für sie war es ein Hit). Die anderen Songs, die nicht auf das Album kamen, waren »City Kids«, die B-Seite der »Motörhead«-Single; ein Song von ZZ Top »Beer Drinkers and Hell Raisers«; »I’m Your Witchdoctor« – ein großartiges Stück von John Mayall und Eric Clapton; »On Parole« und ein Instrumental, das passend »Instro« betitelt wurde. Diese letzten vier wurden 1980 als The Beer Drinkers-EP veröffentlicht, lange, nachdem wir Chiswick verlassen hatten, und bestimmt nicht ganz zufällig auf dem Höhepunkt unseres Erfolgs. Es war mal wieder an der Zeit, Kapital aus der Band zu schlagen –
zumindest für die Plattenfirmen. Seitdem habe ich nie wieder mehr aufgenommen, als wir brauchen! Aber fairerweise muss ich sagen, dass ich es Ted Carroll gönnte, schließlich war er es, der meine Band rettete! Zudem kam es zu ersten Differenzen zwischen uns und unserem Manager Secunda. Er wollte, dass wir uns die Haare schneiden ließen! Was wir natürlich nicht taten. Im Juni 1977 buchte uns Doug Smith für eine Tour mit Hawkwind, die er immer noch managte. Doch das Pech blieb uns treu. Am Tag vor der Tour brach sich Phil bei einem Kampf die Hand. Wir waren alle in meinem Haus und malten unser Equipment an, als ein dummer Junkie hereinkam und uns nervte. Phil beförderte den Penner schließlich an die Luft und verpasste ihm noch eine. Unglücklicherweise hat er sich dabei einen Knöchel gebrochen. Aber wir klebten den Drumstick einfach an Phils bandagierter Hand mit Gaffa-Tape fest. Das machten wir jeden Abend auf der Tour. Abgesehen von Phils kleinem Unfall war es eine super Tour, denn auch mit Hawkwind lief es gut. Ein paar Monate später verletzte sich Phil erneut selbst, jedoch mit weitaus schlimmeren Folgen. Wir hatten gerade erst unsere Tour als Headliner begonnen, um das neue Album zu promoten. Als Vorband hatten wir die sehr guten The Count Bishops engagiert. Die Tour nannten wir die »Beyond the Threshold of Pain«-Tour, was uns schon einen Wink hätte geben sollen. Bei der fünften Show geriet Phil in einen Streit mit Bobs, einem unserer Roadies, über Motorcycle Irene. Diesmal brach er sich anstelle seines Knöchels das Handgelenk. Wir mussten den Rest der Tour absagen. Noch am selben Abend feuerte Tony Secunda Bobs, dabei war es nicht wirklich Bobs Fehler. Schade, denn Bobs hatte sich für uns wirklich den Arsch aufgerissen. Der Typ ist tatsächlich mit Tüten voller Zweipencestücke von Telefonzelle zu Telefonzelle gewandert, um uns Auftritte zu besorgen. Was
soll’s. Wir mussten warten bis Phils Hand verheilt war. Erst im November standen wir wieder gemeinsam auf der Bühne, im Marquee. In den ersten Monaten des Jahre 1978 passierte nicht viel. Wir hatten nur wenige Auftritte, einer davon in Colwyn Bay, wo ich aufgewachsen bin. Tony Secunda hatte ständig Auseinandersetzungen mit Chiswick und feuerte sie. Ab diesem Zeitpunkt gingen auch wir getrennte Wege. Tony stieg aus und arbeitete schließlich für Shelter Records in San Francisco. Er starb 1995. Möge er in Frieden ruhen. Es war eine beschissene Zeit für uns. Es ging überhaupt nichts voran. Besonders Eddie und Phil litten darunter und so spielten sie mit Speedy Keen und Billy Rath (der schon mit Johnny Thunders und Iggy Pop gespielt hatte) ein paar Gigs als The Muggers. Und Speedy hätte mit seinem Vorhaben, The Muggers als richtige Band zu etablieren, auch Erfolg haben können. Denn wir standen mal wieder kurz vor der Auflösung. Doch dann übernahm Doug Smith unser Management und er besorgte uns sofort einen Vertrag mit Bronze Records. Die hatten immerhin Uriah Heep und The Bonzo Dog Doodah Band in ihrem Programm. Der Vertrag lief zwar nur über eine Single – Bronze wollte erst mal sehen, wie es mit uns lief, bevor sie so richtig in uns investierten –, aber es erwies sich als der Anfang unseres lang ersehnten Aufstieges. Der Bronze Deal war wie ein Befreiungsschlag für uns und auf Bronze würden wir schließlich unsere größten Hits landen. Und sie behandelten uns wirklich anständig, was wir jedoch nicht zu schätzen wussten. Wir fanden immer etwas zum Rumnörgeln. Wenn ich allerdings an die Geschäftsbedingungen denke, die ich seitdem mit Plattenfirmen einging, waren die von Bronze Gold wert. An die Tage bei Bronze blicke ich manchmal sehnsüchtig zurück. Der Labelchef, Gerry Bron, und seine Frau Lillian waren
wirklich von uns begeistert. Ihr A&R-Manager Howard Thompson – der dafür verantwortlich war, dass wir bei ihnen unter Vertrag genommen wurden – war großartig. Sie glaubten an uns und haben es uns auch spüren lassen mit ihren Bemühungen. Im Sommer nahmen wir »Louie Louie« und unsere eigene Nummer »Tear Ya Down« in den Wessex Studios in London auf. Die Idee »Louie Louie« zu covern, stammte von Phil. Ich war eigentlich für Chuck Berrys »Bye Bye Johnny«, aber »Louie Louie« war wirklich die bessere Wahl. Ich finde, dass wir eine gute Version des Stückes einspielten – die Leute erzählen mir, dass es eine der wenige Aufnahmen ist, bei denen man den Text verstehen kann! Tatsächlich kannte ich nur die ersten beiden Strophen. Die letzte Strophe war größtenteils improvisiert. Produziert hat den Song Neil Richmond, mit dem wir danach nie wieder etwas aufnahmen. Wir nannten ihn Neil Fishface, weil von einer bestimmten Seite betrachtet er doch etwas Fischähnliches hatte. Er war gut… bis auf dieses merkwürdige KlaviolinenDing, das er einbaute. Am 25. August 1978 wurde die Single veröffentlicht – das Foto von uns auf der Hülle wurde von Motorcycle Irene aufgenommen. Bis Ende September war sie auf Platz 68 der Charts vorgedrungen, was Bronze genügte, uns grünes Licht für ein ganzes Album zu geben. Als sie in den Charts nach oben kletterte, starteten wir eine England-Tour. Vorher verbrachte ich jedoch einige Zeit mit The Damned. Obwohl sie es in Amerika zu einer Kult-Band schafften, waren The Damned in England um einiges berühmter. Sie waren die echte Punkband. Nicht die Sex Pistols. Die Pistols waren eine tolle Rock-’n’-Roll-Band, aber mehr auch nicht. Sid Vicious habe ich schließlich versucht, das Bassspielen beizubringen. Er kam einfach auf mich zu: »Hey Lemmy, bring mir bei, wie man Bass spielt.« Nach drei Tagen
Unterricht musste ich ihm leider sagen: »Sid, du kannst nicht Bass spielen.« Er antwortete: »Ja, ich weiß«, und zog deprimiert davon. Ein paar Monate später traf ich ihn im Speakeasy. »Hey, Lemmy, stell dir vor! Ich bin bei den Pistols!« »Wie meinst du das?« »Ich bin der Bassist bei den Pistols. Toll, oder?« »Du kannst gar nicht Bass spielen, Sid.« »Ja, ja, ich weiß, aber ich bin bei den verdammten Pistols!« Steve Jones brachte ihm nur das wesentliche Bumm-bummbumm-bumm bei. Mehr musste er nicht spielen. Alles, was auf dem Album darüber hinausgeht, ist entweder von Steve oder Glen Matlock. Sid wollte einfach Mitglied einer Punkband sein. Er war ungefähr drei Wochen bei den Flowers of Romance gewesen, und bei Siouxsie and the Banshees ungefähr drei Tage – er überredete einfach jeden dazu. Aber Sid war sehr gut für das Image. Er war perfekt. Zur Hölle, er übertraf die Pistols im Pistols-Sein! Auch wenn er keine Ahnung vom Bassspielen hatte, war Sid ein sehr netter Kerl. Wir freundeten uns ein wenig an. Aber er geriet immer in alle möglichen Auseinandersetzungen. Einen Abend im Marquee kloppte er sich mit Bruce Foxton, dem Bassisten von The Jam. Bruce stieß ihm ein zerbrochenes Glas ins Gesicht. Ich ging gerade die Wardour Street hinunter zum Speakeasy, und die Lichter des Marquee waren noch an, also schaute ich noch kurz rein, um das ein oder andere Mädchen klarzumachen. Bruce war da und erzählte mir die Geschichte: »Ich hab mich gerade mit Sid geprügelt und ihm eine mit dem Glas mitgegeben. Ich glaube, ich habe ihn geschnitten.« »Also, ich bin mir sicher, dass du ihn geschnitten hast, sonst wäre er noch hier und würde dich anbrüllen.« Aber Bruce machte sich wirklich Sorgen und ich ging rüber ins Speak. Dort saß Sid mutterseelenallein.
»Sid, was ist los?« »Der blöde Wichser hat mich erwischt.« Eine riesige, dreieckige Wunde klaffte auf seiner Wange und er murmelte: »Warte nur, bis es mir wieder besser geht.« Aber er hat sich nie wieder mit Bruce angelegt. Ein anderes Mal wollte er ein Mädchen auf der Toilette vernaschen. Auf dem Weg dorthin musste er allerdings an einem riesigen Rausschmeißer vorbei, der ihn warnte: »Du kannst da nicht reingehen!« Aber Sid ging einfach auf ihn los! So etwas hatte ich noch nie gesehen – der riesige Kerl lag am Boden und ruderte mit seinen Ellbogen rückwärts die Treppe hinauf. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben, weil dieser klapperdürre Punk die Scheiße aus ihm raustrat. Der Typ wusste nicht, was mit ihm geschah – Sid erschreckte ihn zu Tode. Das war Punk. Ich mochte die Pistols, aber wie ich schon sagte, sie waren eine Rock-’n’-Roll-Band. Mit The Clash konnte ich nichts anfangen. Joe Strummer war bei den 101’ers viel besser. The Damned waren die einzig wahren Punker, denn sie hatten sich nie ganz unter Kontrolle. Dave Vanian konnte nicht singen, keiner der Gitarristen konnte spielen und der Schlagzeuger, Rat Scabies, machte mit seinem Unvermögen keine Ausnahme. Sie waren total durchgeknallt und sie bedurften ernsthaft professioneller Hilfe. Im Roundhouse spielten wir mit den Adverts und The Damned. Zu Beginn ihrer Show kam Captain Sensible – der ist wirklich durchgeknallt – in einem pinken Tutu mit Netzstrümpfen, einem Paar genagelter Schuhe, einer riesigen Sonnenbrille und orange gefärbten Haaren auf die Bühne. Die Punks spuckten ununterbrochen auf die Bühne. Der Rotz flog nur so durch die Luft. Am Ende des Gigs überzog ein grüner, glibberiger Rotzteppich die gesamte Bühne und The Damned waren nass bis auf die Haut vom Rotz der Punks. Dann entledigte sich Captain Sensible seines
Bühnenoutfits, um sich so zu zeigen wie Gott ihn schuf. Die Nacktnummer gehörte zu seinem Standardprogramm. Bei einem Gig im Rainbow pisste er einfach auf die vorderste Reihe. Das Publikum bewarf ihn mit Sitzen, und er warf sie zurück – während ihm die Pisse am Bein runterlief. Eine typische 70er Punkshow. Mit der Zeit freundete ich mich mit den Jungs an. Rat traf ich im Dingwalls, als ich an der Bar stand. Dieser heruntergekommene kleine Pisser sagte einfach zu mir: »Hey, du bist der verdammte Lemmy, oder?« »Ja, der bin ich, verdammt.« »Ja? Glaubst du, du bist ‘n verdammter Rockstar, oder so?« »Nein, aber du glaubst es. Deshalb redest du ja mit mir.« »Na gut. Ich geb’ dir einen aus.« Nachdem Brian James die Band verließ, war es einige Zeit ruhig um The Damned. Captain Sensible wollte an seiner Stelle Gitarre spielen und sie fragten mich, ob ich nicht für einen Gig im Electric Ballroom in London Bass spielen könnte. Wir probten ungefähr fünf Stunden. Ich hatte elf von ihren Songs gelernt und sie einen von mir, den sie auch prompt auf der Bühne vergeigten. Aber der Auftritt machte mir trotzdem Spaß. Sogar so viel Spaß, dass Eddie, Phil und ich mit ihnen zusammen ins Studio gingen. Wir nahmen eine Version von Sweets »Ballroom Blitz« und ein Motörhead-Stück »Over the Top« auf. Es war das totale Chaos. Captain Sensible schaute sich ein Cricketspiel im Fernsehen an, Eddie und Phil stritten sich, wie immer, und Dave Vanian tauchte erst ziemlich spät auf. Wir waren schon alle total besoffen, so dass Dave sofort wieder abhaute. Die Einzigen, die noch gerade stehen konnten, waren der Damned-Bassist Algy Ward und meine Wenigkeit. Wir jammten ein wenig rum und ich spielte ein Basssolo bei »Ballroom Blitz« und übernahm den Gesang. Der Song landete
auf der B-Seite der Damned-Single »I Just Can’t Be Happy Today«. Zu den Gesangsaufnahmen für »Over the Top« kamen wir natürlich in unserem Zustand nicht mehr, dafür kickte Captain Sensible noch eine Kloschüssel aus der Wand. Aber zurück zum Motörhead-Business. Wir tourten den ganzen September und Oktober, und am 24. Oktober filmten wir unseren ersten Auftritt bei Top of the Pops – einer wirklich jämmerlichen Sendung. Dort spielten nur Bands die schon in den Top 30 waren, wie Slade und die Nolan Sisters. Mit diesen »kleinen, unschuldigen Jungfrauen« habe ich auch eine Platte gemacht, aber dazu später mehr. Oder Bands, die nach der Meinung der Macher auf dem Weg in die Top 30 waren. Talent spielte dabei keine Rolle, aber so sind Charts nun einmal. Auch heute noch. Und wir waren von den Top 30 so weit entfernt, wie Island vom Gewinn der Fußballweltmeisterschaft. Unsere beste Platzierung war bis dahin Platz 68 mit »Louie Louie« gewesen! Aber ein BronzeMitarbeiter, Roger Bolton, hatte früher bei der BBC gearbeitet und uns irgendwie in die Sendung geschmuggelt. Roger brachte uns letztendlich fünfmal in die Show, bis wir wirklich einen Hit hatten! Und Rogers Unterstützung hat uns tatsächlich den Weg in die Charts geebnet. Dafür ist er immer auf einen Drink willkommen. Oder auch zwei. Um sich im Labyrinth der BBC-Studios zurechtzufinden, braucht man wirklich einen Führer. Hunderte von Studios, ellenlange Korridore, die alle gleich aussehen – es ist zum Verzweifeln. Der reinste Irrgarten. Wenn eines Tages einmal alle Führer krank sind, wird das Chaos in den BBC-Studios regieren, weil sich keiner mehr auskennt. Eigentlich sollten wir den Song noch einmal aufnehmen, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen nahmen wir einen leicht abgewandelten Remix des Original-Tracks und mixten den Gesang ein wenig lauter. Dann stellten wir unsere Verstärker auf und lehnten die
Gitarren dagegen. Anschließend kam der Aufnahmeleiter vorbei, um sich zu vergewissern, dass wir auch wirklich unsere Arbeit gemacht hatten. Er wusste natürlich, was los war, und wir wussten, dass er es wusste. Es war ein abgekartetes Spiel – eine Art stillschweigende Übereinkunft. Zumindest spielten wir wenigstens selbst auf unseren Platten, anstatt Studiomusiker anzuheuern, wie die meisten anderen Popstars es taten. Die Leute von Top of the Pops behandelten uns ganz gut, aber nur, weil sie mussten. Denn sie mochten uns nicht. Ich hatte gerade den Spielautomaten der BBC-Kantine um 100 £ erleichtert, mit so einer Aktion macht man sich keine Freunde. So langsam wurde es Zeit für das nächste Album – live hatten wir schon einige neue Songs gespielt – uns fehlte nur noch ein Produzent. Wir bekamen schließlich Jimmy Miller, der schon Exile on Main Street und Goats Head Soup für die Rolling Stones produziert hatte. Nach Jahren der Entbehrung machte sich unsere Hartnäckigkeit bezahlt. Mit uns ging es endlich bergauf! Die Wende kam im November. Wir spielten als Headliner vor 3.000 begeisterten Fans im Hammersmith Odeon – jenem Ort, an dem uns vor drei Jahren Blue Oyster Cult noch so richtig verarscht hatten. Wir waren in der Nahrungskette der Rockstars einige Entwicklungsstufen nach oben geklettert. Sogar Phil und Eddie hatten aufgehört zu lamentieren – aber ganz konnten sie das Jammern letztendlich doch nicht lassen.
Wir hatten nur vierzehn Tage, um Overkill aufzunehmen. Im Vergleich zu früher war es alle Zeit der Welt. Und im Studio haben wir noch nie getrödelt. Wir nahmen in den Roundhouse Studios auf. Jimmy Miller war hervorragend, wie auch Trevor Hallesy und Ashley Howe, die Tontechniker. Overkill war die Chance für Jimmy Millers Comeback. Und er hat sie genutzt. Bis zu unseren Aufnahmen hatte er sich ausführlich seiner neuen Liebe, dem Heroin, gewidmet. Verliebt hatte er sich in das Gift wahrscheinlich, als er mit den Stones aufnahm. Für einige Jahre war er von der Bildfläche verschwunden. Da Overkill sofort in die Charts einstieg – es kletterte bis auf Platz 24 – war er wieder ein gefragter Mann und konnte sich vor Aufträgen kaum retten. Aber schon wenige Monate später, als wir erneut mit ihm zusammenarbeiteten, war er wieder voll auf Heroin. Ich glaube, dass er schon während der OverkillAufnahmen drauf war. Des Öfteren tauchte er mit den absurdesten Ausreden zu spät im Studio auf. Ein Zwischenfall wird Ihnen ein gutes Beispiel seines Modus operandi geben. Einmal kam er fünf Stunden zu spät zur Session. Die Stunde im Studio hat schlappe 1.000 Pfund gekostet! Wir saßen derweil rum, drehten Däumchen und bohrten vor lauter
Langeweile in der Nase. Schließlich tauchte er auf und wollte uns wieder seine blöden Geschichten auftischen. »Jungs! Jungs! Ihr werdet nicht glauben, was mir passiert ist. Ich rief ein Taxi und es kam nicht, also musste ich noch eins rufen, und das kam dann im Schnee an, versteht ihr, was ich meine? Und dem ging dann das Benzin aus, also mussten wir es zu einer Tankstelle schieben! Und dann war das Ding auf der Magnetspule weg, also musste ich von der Tankstelle aus ein anderes Taxi rufen und das kam eine Ewigkeit nicht. Und jedenfalls hatte das danach auch noch eine Panne, und ich bin drei Stunden lang durch den Schnee gegangen! Seht euch meine Klamotten an!« Er konnte aber nicht ahnen, dass wir ihn beobachtet hatten, wie er sich drei Minuten lang im Schnee gewälzt hatte. Zumindest gab er sich Mühe, was seine Ausreden betraf. Er war immer gut gelaunt und hat letztendlich seine Arbeit erledigt. Gott hab ihn selig. »Damage Case«, »No Class«, »I Won’t Pay Your Price« und »Tear Ya Down« hatten wir schon live gespielt. Andere entstanden erst im Studio: »Capricorn« (Steinbock – was zufällig mein Sternzeichen ist) schrieben wir in einer Nacht. Eddies Solo in dem Stück ist eigentlich ein Unfall. Das Band lief, während er seine Gitarre stimmte und improvisierte. Jimmy legte einfach etwas Echo darüber. Als Eddie mit dem Stimmen fertig war, kam er rein und sagte: »Ich bin jetzt so weit.« Doch Jimmy entgegnete nur: »Ist schon fertig.« Das hat uns ‘ne Menge Geld gespart! »Metropolis« war auch so ein Schnellschuss. Ich war am Abend im Kino gewesen und hatte mir den gleichnamigen Film angeschaut. Anschließend ging ich nach Hause und schrieb den Song in nur fünf Minuten. Der Text ergibt allerdings keinen Sinn. Er ist reines Kauderwelsch:
Metropolis, the worlds collide Ain’t nobody could be on your side I don’t care. Metropolis is something new Ain’t nobody got their eyes on you I don’t care. Verstehen Sie, was ich meine? Aber einige meiner Texte haben mehr Substanz. »I’ll Be Your Sister« wäre zum Beispiel der ideale Song für Tina Turner. Ich schreibe ganz gern Songs für Frauen. Zwar bin ich von einigen frigiden Feministinnen – die Sorte, die das Wort »Mannschaftskapitän« in »Personenschaftskapitän« ändern wollen, und so einen Mist – als Sexist bezeichnet worden, aber die wissen doch gar nicht, worüber sie reden. Ich habe Frauen im Rock’n’Roll immer unter die Arme gegriffen. Girlschool zum Beispiel. 1979 nahmen wir die vier Mädels als Support mit auf unsere Overkill-Tour. Dadurch wurden sie bekannter und auch wir haben von ihnen profitiert. Entdeckt wurden sie von Dave »Giggles« Gilligan aus unserem Büro. Er gab mir ihre Single »Take It All Away«. Und was ich hörte, haute mich wirklich um. Diese vier Mädchen rockten wie die Hölle. Ihre Gitarristin, Kelly Johnson, konnte jedem verdammten Gitarren-Wichser, den ich bislang gesehen hatte, das Wasser reichen. Ich schaute einfach bei einer ihrer Proben vorbei und beschloss, sie mit uns auf Tour zu nehmen. Die Jungs hatten einige Bedenken. Aber nach dem ersten Abend mit Girlschool auf Tour waren die wie weggeblasen. Denn Girlschool waren nicht nur eine verdammt gute Band, nein sie hatten auch die richtige Einstellung. Als ein Kerl im Publikum »Ausziehen! Ausziehen!« rief, trat Kelly einfach ans Mikrofon und sagte: »Zieh du dich aus, dann haben wir alle was zu lachen!« Das war gut gekontert. Ich mag
Frauen, die nicht auf den Mund gefallen sind und die sich selbst behaupten können. Dann spielten Girlschool ein Set, das den Leuten die Schuhe auszog. In der ersten Woche der Tour waren wir in Edinburgh und ein paar von uns saßen im Foyer des Crest Hotels – ich und Eddie, Kelly und die Girlschool-Sängerin, Kim McAuliffe, mit ihrem Freund Tim. Später war er der Freund ihrer Schlagzeugerin, Denise Dufort. Sehen Sie. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Rockern. Und ich versuchte bei Kelly die schlimmste verdammte Anmache, die ich je bei einer Frau anwandte: »Hättest du Lust, rauf in mein Zimmer zu gehen und The Old Grey Whistle Test anzusehen?« Scheiße noch mal, ist das schwach, oder? »Hättest du Lust auf mein Zimmer zu gehen und Fernsehen zu gucken?« Aber sie sagte: »Ja.« Da sieht man es mal wieder! Also gingen wir. Im Hochgehen hörte ich noch, wie Kim zu Eddie sagte: »Lass uns auf dein Zimmer gehen und The Old Grey Whistle Test anschauen.« Eddie war das ein bisschen peinlich, aber sie stand auf und zerrte ihn zum Aufzug, während Tim immer noch im Foyer saß! Tim hatte die Nase voll, schnappte sich den Bus von Girlschool und fuhr einfach nach London. So mussten wir uns den Rest der Tour den Bus mit Girlschool teilen. Mir war das nur recht, denn die vier Mädels haben es ordentlich krachen lassen. Zum Beispiel Kelly, die Schlagzeugerin, benahm sich wie Keith Moon in seiner besten Zeit. Einmal war sie so besoffen, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und wollte ein Bad nehmen. Kopfüber fiel sie in die Wanne –ein Wunder, dass nicht mehr passiert ist. Schließlich verließ Kelly die Band in Richtung Amerika. Sie hatte sich in Vicki Blue von den Runaways verliebt. Vicki besorgte Kelly eine Greencard, vielleicht haben die beiden am Ende sogar geheiratet. Wer
weiß? Bei meinem One-Night-Stand mit Kelly habe ich noch nichts von ihren lesbischen oder bisexuellen Neigungen gemerkt. Aber irgendetwas kam mir schon spanisch vor, da Kelly sich so krampfhaft bemühte und es trotzdem nicht klappte. Nach ihrer Trennung von Vicky hat sie dann tatsächlich einen Kerl geheiratet. Vielleicht stand sie nur nicht auf mich. Ist ja auch egal. Sie ist eine hervorragende Gitarristin und wirklich angenehme Zeitgenossin. Ist doch scheißegal mit wem sie es treibt! Sie ist eine alte Freundin – alle von Girlschool sind alte Freundinnen. Ich würde mich jederzeit für sie einsetzen. Wie immer schweife ich ab, und, ehrlich gesagt, das ist der Punkt, ab dem ich nicht mehr so richtig durchblicke. Vieles aus den nächsten paar Jahren ist in meiner Erinnerung total verschwommen. Das sind die Folgen eines erfolgreichen Rockstarlebens! Du bist monatelang auf Tour oder im Studio, irgendwelche Leute führen dich zu irgendwelchen Fernsehoder Radiosendungen – und meistens bist du dir nicht einmal sicher, wo du gerade bist. Es geht alles ineinander über und alles sieht irgendwie gleich aus. Aber an einige Sachen kann ich mich noch sehr genau erinnern. 1979 spielten wir auf dem Punkahaarju-Festival in Finnland. Es war kein guter Gig. Ehrlich gesagt, war er total beschissen. Das Festival fand an einem See statt, der von Kiefern- und Birkenwäldern umgeben war. Es sah wirklich aus wie bei Peer Gynt. Das Publikum war Scheiße, was sich auf uns übertrug. Wir spielten wirklich Scheiße. Aus unserer Übellaunigkeit heraus beschlossen wir, unser Equipment zu zerstören. Ich warf meine Verstärkertürme um und Phil hat bei seinem Versuch, das Schlagzeug zu zerlegen, mehr Schaden erlitten als das Schlagzeug. Unser Roadie, Graham, steigerte sich so sehr rein, dass er die P. A. in Richtung des Publikums umstieß. Und es sollte noch schlimmer kommen. Als
Garderobe diente uns ein mickriger Wohnwagen ohne Klimaanlage. Und wer schon einmal einen Sommer in Finnland verbracht hat, weiß wie tödlich dieser ist. Tausende beschissener Mücken wollen dich aussagen und es ist schweineheiß – im Gegensatz zu ihren arschkalten Wintern. Und es gab keine kleine Minibar bestückt mit feinstem Alkohol – der blanke Horror! Wir waren am Verdursten in unserem Wohnwagen, als Chris Needs auftauchte. Er schrieb für das Zig-Zag-Magazin. Aus unerklärlichen Gründen spazierte er mit einem Baum durch die Gegend. Okay, es war ein Bäumchen, aber der Idiot lehnte sich zu sehr ans Fenster und RUMMS zerschmetterte mit seinem Bäumchen die Fensterscheibe. In unserer Zerstörungswut vollendeten wir sein Werk. Wir packten den Wohnwagen, schoben ihn zum See und zündeten ihn an. Eine richtige Wikingerbestattung. Er brannte lichterloh und versank schließlich auf dem Grund. Bei unserer Rückkehr ins Hotel beschlossen Eddie und Phil, ihr Zimmer nach draußen zu verlegen. Sie stellten die komplette Einrichtung ihres Zimmers im Garten auf. In Finnland ist es ja heiß, wie ich schon sagte. Der nächste Zwischenfall ereignete sich auf der Fahrt zum Flughafen. Unser Busfahrer, ein Finne, klärte uns auf: »Etwas passiert mein Bus, machen schmutzig, dann ist Ärger!« Diese Einladung nahmen wir dankbar an und veranstalteten mit unseren Lunchpaketen eine Riesensauerei. Doch richtig Ärger gab es dann beim Zoll. »Ich glaube, Sie haben etwas sehr Schreckliches in Punkahaarju getan.« »Ich doch nicht, Chef!« »Kommen Sie bitte mit.« Ich musste meinen Pass abgeben und wurde in einen Raum gebracht. Einer nach dem anderen kamen auch die anderen herein. Wir wurden alle ins Gefängnis gesteckt. Die ganze
Band und auch die Crew, bis auf unseren Roadie Rish. Er hatte sich im Hotel als Rish eingetragen, was natürlich nicht in seinem Pass stand. Er wurde durch den Zoll gewunken und konnte nach Hause fliegen. Er war ziemlich verwundert, dass so viele Plätze im Flugzeug leer blieben. Wir verbrachten drei oder vier Tage im finnischen Knast. Zum Lesen hatten wir eine einzige Ausgabe des Melody Makers. Und ich habe das Ding von hinten bis vorne gelesen. Alles. Annoncen, Seitenzahlen und sogar das Erscheinungsdatum. Jeden verdammten Buchstaben dieser Ausgabe habe ich gelesen! Und das Essen war auch Scheiße. Dann wurden wir abgeschoben. Erst ging es nach Kopenhagen. Dort mussten wir umsteigen. Der erste Flug war okay. Eddie kippte seinen Wodka-Orange sofort seinem Vordermann ins Genick. Wir waren wieder frei und das mussten wir feiern. Bevor die zweite Maschine startete, kam der Kapitän den Gang heruntergestürmt: »Ich habe von euch gehört. Ihr seid aus Finnland ausgewiesen worden. Wenn ihr in dieser Maschine irgendetwas anstellt, lasse ich euch in London verhaften.« Obwohl wir brav wie die Lämmer waren, wimmelte es bei unserer Landung auf dem Rollfeld nur so von Polizisten. Doch deren Interesse galt unserem Kapitän, den sie verhafteten. Es stellte sich heraus, dass er total besoffen das Flugzeug geflogen hatte. Da sieht man es mal wieder! Ein paar Wochen nach unserem Finnland-Trip gingen wir zurück ins Studio und begannen mit der Arbeit an unserem nächsten Album Bomber. Jimmy Miller war inzwischen total wirr im Kopf. Er sagte, dass er mal kurz aufs Klo müsse und blieb eine Stunde lang verschwunden. Wenn er dann wiederkam, döste er vor sich hin. Es wurde einfach zu viel mit ihm. Einmal ging er aufs Klo und kam überhaupt nicht wieder. Anscheinend war er weggegangen, um sich mit seinem Dealer
zu treffen. Schließlich fanden wir ihn. Er war am Steuer seines Autos einfach eingeschlafen. Selbst wenn er da war, war er irgendwie abwesend. Als wir den Rough-Mix fertig hatten, spielten wir ihn auf ein anderes Band, um ihn noch einmal zu hören. Jimmy döste die ganze Zeit in seinem Stuhl, während wir alles vorbereiteten. Als dann die Musik losging, schreckte er aus dem Schlaf hoch, sah uns an und begann, die Regler hoch- und runterzuschieben, als würde er arbeiten! Dabei lief das Band gar nicht über sein Mischpult. Armer Kerl – er starb vor ein paar Jahren. Schade, denn er war wirklich ein guter Kerl. Ironischerweise, oder vielleicht doch nicht so ironisch, ist auf Bomber einer meiner ersten Anti-Heroin-Songs, »Dead Men Tell No Tales«, der von uns live gern mit »Dead Men Smell Toe Nails« angekündigt wird. Der Song handelt allerdings nicht von Jimmy. Auf Bomber gibt Eddie sein Debüt als Sänger bei »Step Down«. Ständig hat er sich beschwert, dass immer nur ich im Rampenlicht stehen würde. Aber selbst hat er dafür keinen Finger gerührt. Ich hatte die Schnauze voll von seinem Rumgenöle. »Eddie, alles klar. Du wirst auf diesem Album einen Song singen!« »Oh nein, Mann. Ich kann nicht singen, Mann. Ich hab’ überhaupt keine Stimme…« »Du bist ein wirklich guter Sänger, Mann, ran ans verdammte Mikrofon.« Unter größten Protesten tat er es schließlich, aber live war es die Hölle. Es war schlimmer als Zähneziehen, ihn dazu zu bewegen, den Song live zu singen. Er hasste es wie die Pest. Dabei war er ein wirklich guter Sänger. Ich verstehe nicht, warum er es nicht öfter tat. Später, als Wurzel in der Band war, weigerte der sich auch zu singen. Dabei hatte Wurzel in all seinen anderen Bands gesungen. Wie auch immer – seit
längerem beschlich mich das Gefühl, dass mit Gitarristen irgendwas nicht stimmt. Ständig müssen sie betonen, was für empfindsame Künstlerseelen sie sind, die nicht genügend Anerkennung bekommen. Gitarristen leben tatsächlich in dem Irrglauben, dass sie die treibende Kraft einer Band sind. Bei meiner Band stößt dieser Irrglaube auf wenig Gegenliebe, wie Sie sich vorstellen können. Insgesamt war Bomber eine gute Platte. Der Titelsong, »Stone Dead Forever« und »All the Aces« waren super, aber es gab auch ein paar wirklich schlechte Stücke, wie »Talking Head«. Bomber war im Grunde das Übergangsalbum zwischen Overkill und unserem nächsten Album Ace of Spades. Das Album brachte uns weiter nach oben – Bomber schaffte es bis auf Platz 11 der Charts. Während der Aufnahmen zu Bomber spielten wir beim Reading-Festival. Das war ein großartiges Festival, bei dem die unterschiedlichsten Bands auftraten. Wir spielten am gleichen Abend mit The Police und den Eurythmics. Rock’n’Roll war noch nicht das in Schubladen eingeteilte Durcheinander, das er heute ist. Zur Bestürzung der schnöseligen Kritiker schwenkten die Fans bei unserem Auftritt Motörhead-Flaggen, die wir in diesem Jahr das erste Mal verkauften. Nach der Fertigstellung von Bomber schmiss Bronze eine Veröffentlichungsparty im Bandwagon Heavy Metal Soundhouse in London. Eine furchtbare Veranstaltung. Ich habe solche Partys schon immer gehasst. Den ganzen Abend muss man für irgendwelche Wichtigtuer etwas darstellen. Der ganze gezwungene Scheiß geht mir total auf die Eier. Wir waren vielmehr heiß auf die anstehende Tour. Wir spielten das erste Mal in Deutschland und dann ging es wieder kreuz und quer durch England. Auf dieser Tour präsentierten wir
erstmalig unser Spielzeug: unsere berüchtigte BomberBeleuchtungsanlage. Die Anlage war eine Nachbildung eines deutschen Bombers aus dem Zweiten Weltkrieg, aus schweren Aluminiumrohren, zwölf mal zwölf Meter. Sie flog in vier Richtungen, vor und zurück, und zu beiden Seiten – übrigens die erste Beleuchtungsanlage, die so etwas konnte. Sie war verdammt schwer, und wenn sie je runtergefallen wäre, hätte sie uns platt gemacht. Sie begleitete uns auf mehreren Touren. Die Amerikaner kamen allerdings nie in den Genuss der kompletten Motörhead-Attacke. Für die amerikanischen Hallen war die Anlage einfach zu groß. Nachdem Bomber auf Platz 11 in den Charts stürmte, war klar, dass wir noch größer werden würden. Zu dieser Zeit erzielte die Band schon einigen Gewinn. Wir bekamen allerdings keinen Penny davon zu sehen. Unsere gesamten Einnahmen investierten wir sofort wieder in noch ausgefeiltere Bühnenbauten. Später, als dann Overkill rauskam, wurden wir auf die Lohnliste gesetzt. Das ständige Vagabundieren auf irgendwelchen ausgeleierten Sofas hatte ein Ende. Eddie teilte sich bis dahin eine Wohnung mit fünf anderen Leuten und Phil wohnte mit ein paar Typen zusammen in Battersea. Doch ich lief seit einer Ewigkeit durch London – eine kleine Panzerkartenkiste aus dem Zweiten Weltkrieg unterm Arm – und platzte einfach bei den Leuten rein. In der Kiste hatte ich ein Tonbandgerät, fünf Tonbänder, ein paar Socken, aber keine Karte. Und die hätte ich gebraucht, so wie ich durch London wanderte. Endlich konnten wir uns anständige Wohnungen leisten, obwohl mir das Herumtreiben Spaß machte. Eine Woche wohnst du bei dem Mädchen und dann verschwindest du. Und ab geht es zur Nächsten. Aber das änderte sich alles, als unsere Platten sich verkauften. Wir hatten nun eindeutig bessere
Wohnverhältnisse, was ich aber nicht so wichtig fand, da wir eh die meiste Zeit unterwegs waren. Wir spielten 53 Gigs – mit nur zwei freien Tagen am Stück. Bei unseren Auftritten in England supporteten uns Saxon. Sie waren nette Jungs, aber etwas seltsam. Sie rauchten nicht und sie tranken auch nicht. Das verwunderte uns schon sehr. Ihr Schlagzeuger, Pete Gill, wurde ein paar Jahre später Mitglied bei Motörhead. Gott sei Dank hatte er bis dahin mit dem Trinken angefangen. Er trank sogar noch mehr, nachdem er bei uns war! Während der Tour mit Saxon entdeckte ich die Akupunktur. Biff, der Sänger von Saxon, und ich hatten beide unsere Stimmen verloren – ein gutes Beispiel dafür, dass ein gesunder Lebenswandel auch nichts bringt. Phil kannte eine Frau, die sich mit Akupunktur ein wenig auskannte. Ich wurde mit Nadeln zugepflastert und die schloss sie an eine 12-Volt-Traktorbatterie an. Nach zwanzig Minuten war meine Stimme wieder da. Biff hatte Schiss und musste weiter leiden. Während dieser Tour schnitten wir ein paar Gigs mit. Bronze machte aus den Aufnahmen eine EP mit den vier Songs: »Leaving Here«, »Stone Dead Forever«, »Dead Men Tell No Tales« und »Too Late Too Late«. Im Scherz sagte ich dem Label, sie sollen sie The Golden Years nennen. Wie sich später herausstellte, waren es tatsächlich unsere goldenen Jahre – irgendwie ahnte ich es schon damals. Obwohl die Aufnahmen nicht die Besten waren, kam die Platte in die Charts. Im Juli spielten wir in der Stafford Bingley Hall. Für mehr als 250.000 verkaufte Bomber-Alben wurden wir mit silbernen Schallplatten geehrt. Diese wurden uns von einer KöniginElizabeth-Imitatorin überreicht. Wir drei knieten nieder, um sie entgegenzunehmen, als ob wir den Ritterschlag erhielten. Diese Frau imitiert die Königin bis heute – inzwischen sieht sie ein bisschen mitgenommen aus. Aber die echte Königin sieht ja heutzutage auch nicht besser aus. Nach der Show brach ich
hinter der Bühne zusammen. Für die Zugabe musste ich wiederbelebt werden. Keine Ahnung warum ich zusammengeklappt bin – vielleicht hat mich die Zeremonie mit der falschen Königin so mitgenommen. Phil und Eddie dachten wirklich, ich wollte mich drücken, aber ich war drei Tage ohne Schlaf gewesen. Ich saß da, mit feuchten Handtüchern auf meinem Kopf, und die beiden Wichser standen da und machten mir Vorwürfe: »Verdammte Scheiße, Mann, du bist drei Tage lang auf gewesen, verdammt noch mal! Was fällt dir ein! Du Arschloch!« Mein Gott! Ein Esel schimpft den anderen Langohr! Immer wenn Eddie betrunken und unausstehlich wurde, beklagte er sich bei der Presse über mich: »Lemmy trinkt zu viel.« Dabei war er sternhagelvoll, wenn er das Interview gab! Aber das erwähnte nie jemand. Nach dem Gig erzählte ich den Zeitungen, dass ich zusammengebrochen sei, weil ich an dem Nachmittag drei Blowjobs bekommen hätte. Der Teil mit den Blowjobs stimmte sogar. Auf unseren Konzerten gab es immer eine Menge netter Mädels und in Stafford traf ich diese wirklich niedliche kleine indische Puppe. In der Halle gab es einen Raum voll mit Kissen und herunterhängenden Tüchern. Es war wie in »Tausendundeiner Nacht«. Ich schloss mich mit ihr ein und kam einfach nicht mehr raus – würden Sie nicht das Gleiche tun? Wusste ich es doch! Nicht lange nach Stafford Bingley Hall fingen wir mit den Proben an, um unsere nächste Platte Ace of Spades vorzubereiten. Obwohl wir länger im Studio waren, als bei unseren vorigen Alben, lief alles wie am Schnürchen. Denn wir hatten einen Lauf und nichts konnte uns damals aufhalten. Nicht dass uns jetzt jemand aufhalten könnte, aber Bomber verkaufte sich besser als Overkill und Ace of Spades versprach, noch besser zu gehen. Wir waren auf dem Weg nach oben und wussten, diese Platte würde ein Hit werden. Wir fühlten uns
einfach unschlagbar. Mir war nicht klar, wie verloren wir wirklich waren. Es war tatsächlich das Ende von etwas, anstatt der Anfang. Ich fing erst an, darüber nachzudenken, als wir Iron Fist aufnahmen – vom Regen in die Traufe! Wir waren ungefähr sechs Wochen in den Jackson’s Studios in Rickmansworth. Von Anfang August bis Mitte September 1980. Unser Produzent war Vic Maile. Vic kannte ich noch aus Hawkwind-Zeiten. Mit ihm hatte Hawkwind Space Ritual aufgenommen. Vic war ein großartiger Typ und ein großartiger Produzent. Er ist später an Diabetes gestorben. Es ist doch immer das Gleiche – die netten Typen gehen immer zuerst. Deshalb bin ich auch immer noch hier. Die Songs auf Ace of Spades werden von Motörhead-Fans als Klassiker angesehen, und ich muss sagen, es ist eine beachtliche Ansammlung von guten Songs. Es machte uns wirklich großen Spaß, sie zu schreiben und zu spielen. Das waren die guten Zeiten. Wir waren auf der Straße der Gewinner. Wir waren jung und wir glaubten daran. Je älter du wirst, desto weniger kannst du glauben. Das ist nicht Ihre Schuld, verstehen Sie. Irgendwann stellen Sie fest, dass nicht alles Cornflakes, Kegeln und Bier ist. Da draußen ist ein Dschungel. Aber das machte mir nichts aus, als ich jung war. Ich musste nicht hungern, verstehen Sie, und ich hatte eine Menge Spaß. Und das ist auf jeden Fall besser als gut bezahlte Klempnerarbeit! Wie immer waren einige komische kleine Teile in den Songs. Wir hatten einen Stepptanzpart in »Ace of Spades« – Sie wissen schon, ding-dang-dangady. Wir stellten uns immer vor, wie wir bei dem Teil Stepp tanzen würden. Ich benutzte Glücksspiel-Metaphern, größtenteils Karten und Würfel – wenn es um Glücksspiel geht, stehe ich eigentlich mehr auf Spielautomaten, aber man kann nicht wirklich über rotierende Früchte und herunterkommende Rädchen singen. Das meiste in
dem Song dreht sich um Poker: »I know you’ve got to see me read ‘em and weep«, »Dead man’s hand again, aces and eights« – das war Wild Bill Hickocks Blatt, als er erschossen wurde. Um ehrlich zu sein, obwohl »Ace of Spades« ein guter Song ist, hängt er mir inzwischen zum Hals raus. Zwei Jahrzehnte später denken die Leute, wenn sie an Motörhead denken, an Ace of Spades. Wissen Sie, wir sind nach dem Album nicht zu Salzsäulen erstarrt. Wir hatten seither noch ein paar gute Veröffentlichungen. Aber die Fans wollen es hören, also spielen wir es immer noch jeden Abend. Was mich betrifft, ich habe genug von dem Lied. Bei den Aufnahmen zu »(We Are) The Road Crew« lag Eddie im Studio auf dem Rücken und konnte sich vor Lachen kaum halten, während seine Rückkopplung durch das ganze Studio dröhnte. Wir ließen es drauf, weil es so verdammt lustig war. Der Song hatte meinen ersten Zehn-Minuten-Text. Ich ging kurz aus dem Studio, weil Vic was essen musste. Er war noch nicht einmal fertig, seinen ersten Cracker zu belegen, als ich wieder reinkam und sagte: »Ich hab’s.« »Leck mich am Arsch. Ich habe noch nicht gegessen.« Aber er war genauso erstaunt wie ich, nachdem er den Text gelesen hatte. Zehn Minuten richtige Arbeit sind nicht schlecht. Auf diese Weise bin ich seitdem durch einige weitere Songs geprescht. Einer aus unserer Road Crew musste tatsächlich weinen, als wir den Song das erste Mal für sie spielten. Wer es war, werde ich nicht verraten. Wir nahmen den ganzen Haufen einen Tag mit ins Studio und spielten ihnen den Track vor. Und einer von ihnen brach dort zusammen und heulte los: »Oh, mein Gott, ist das ein toller Song. Es ist großartig.« Dass es jemanden so tief berührte, ging auch mir nahe. Bands behandeln ihre Crew in der Regel nicht allzu gut. Ich versuche es wenigstens.
Mir wurde wegen mehreren Songs von Feministinnen die Hölle heiß gemacht, aber aus irgendeinem Grund sagten sie nie etwas zu »Jailbait«. Sie erwähnten ihn gar nicht, dabei war es verdammt offensichtlich! Aber im Wesentlichen basieren meine Texte auf Ace of Spades auf persönlichen Erfahrungen, wie »The Chase is Better than the Catch« – also, so ist es doch, oder? Ich meine, sobald du mit jemandem zusammenziehst, ist alles vorbei, verdammt noch mal. Sie lassen ihre Schlüpfer im Badezimmer rumliegen und sie haben scheußliche Angewohnheiten, von denen man vorher nichts wusste und dann fällt es dir wie Schuppen von den Augen. Es ist tödlich. Eine Beziehung zu haben ist tödlich für die Beziehung – verstehen Sie. Die Fotosession für das Albumcover machten wir an einem kalten Herbsttag. Alle denken, dass wir sie in der Wüste machten, aber es war in South Mimms, nördlich von London. Das Westernmotiv war Eddies Idee. Er wollte unbedingt Clint Eastwood sein. Dabei war ich zu dem Zeitpunkt der Einzige, der schon mal in Amerika war! Aber wir gaben als Revolverhelden doch eine ganz ordentliche Figur ab, oder? Mit den Klamotten hatten wir jedoch ein kleines Problem – die pikförmigen Knöpfe an meiner Hose waren zu weit auseinander. Ich nahm sie von einem Hosenbein ab und steckte sie auf das andere. Deswegen konnte ich nur von einer Seite fotografiert werden. Abgesehen davon lief es ziemlich gut. Nachdem wir das Album fertig gestellt hatten, begann der übliche Promotion-Terror: Fernseh- und Radiosendungen, Interviews, der ganze Scheiß. Es gab aber auch einige Highlights, wie unser Auftritt bei der Fernsehshow TisWas. Das war eine Samstagmorgensendung für Kinder, bei der jede Woche eine Rockband auftrat. Chris Tarrant, der die Show moderierte, wusste, was Kinder sehen wollen: Erwachsene, die sich selbst zum Affen machen. Darauf stehen die Kids. Im
Laufe der Sendung bekommt man plötzlich einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. Überall standen die Wassereimer rum. Und zur weiteren Belustigung taucht noch Phantom Phlan Phlinger auf, der einem eine riesige Obsttorte mitten ins Gesicht schmeißt. Es war ein Heidenspaß, reiner Slapstick. Wir waren ein paar Mal in der Sendung. Einmal waren wir zusammen mit Girlschool dort und spielten Reise nach Jerusalem mit Torten. Die Torte stoppte in meiner Hand und ich musste sie Denise, Schlagzeugerin von Girlschool, ins Gesicht klatschen. Das arme Mädchen duckte sich ein bisschen, aber ich habe sie trotzdem erwischt. Alle, die in der Show waren, bekamen etwas ab, und nicht zu knapp. Eddie Clarke wurde sechsmal während einer Sendung richtig nass gemacht. Höhepunkt der Sendung war jedoch der Zuschauerkäfig. Mitten im Studio stand ein Käfig. Freiwillige begaben sich in den Käfig, um am Ende der Sendung mit einer grünen, klebrigen Masse besudelt zu werden. Es gab eine richtige Warteliste, um in den Käfig zu kommen. Die Zuschauer schrieben schon Wochen im Voraus, um sich freiwillig für den Käfig zu melden. Phil hatte sich freiwillig gemeldet, um in den Käfig zu gehen, aber unser Manager, Doug Smith, ging rein. Und dann ließen sie ihn nicht wieder raus. Das freute uns diebisch. Eine wirklich tolle Sendung. Unsere Ace-Up-Your-Sleeve-Tour im Herbst war ein einziger Triumphzug. Wir überrollten quasi ganz Großbritannien: über uns die Bomber-Beleuchtungsanlage, hinter uns das riesige Overkill-Covermotiv mit seinen blitzenden Augen und bei einigen der ersten Auftritte hatten wir auch noch Leuchtröhren, die ein gigantisches Pik-Ass formten. Das Pik-Ass hat jedoch schon nach wenigen Gigs seinen Geist aufgegeben. Im Laufe dieser Tour brachte unser altes Label, Chiswick, die BeerDrinkers-EP, mit den Überbleibseln der Sessions zum Motörhead-England-Album, auf den Markt. Die Platte kam bis
auf Platz 43 in den Charts. Obwohl wir nicht viel Geld sahen, kam es uns doch zugute. Wir waren allgegenwärtig. Wir beendeten die Ace-Up-Your-Sleeve-Tour mit vier Abenden im Hammersmith Odeon. Anschließend wurde für uns eine Aftershow-Weihnachtspartie im Clarendon Hotel geschmissen. Es gab ein paar Feuer schluckende Stripperinnen. Der feine englische Humor. Wenn es die Partie von jemand anderem gewesen wäre, hätte ich sie wahrscheinlich genossen, aber, wie ich schon sagte, ich hasse solche Sachen. Das blöde Rumgestehe und Getue. Es ist schrecklich, denn du bist gerade erst von der Bühne gekommen und bist einfach nur kaputt. Das Letzte, was du willst, ist in einen verdammten Raum mit irgendwelchen Wichtigtuern zu gehen und gesellig zu sein! Wer braucht das? Nach einem Gig ziehe ich es vor, wenn möglich, sofort flachgelegt zu werden – wie Sie vielleicht bemerkt haben. Ich mag es, mit einem Mädel alleine zu sein und einfach irgendwo mit ihr hinzugehen. Mir ist egal, wohin. Ein Club oder hinten in den Bus oder wo auch immer. Einmal verschwand ich mit einem Mädel direkt nach unserem Gig durch die Seitentür des Hammersmith Odeon. Sie war ein Seite-drei-Mädchen der Sun und hieß Debbie. Mit ihr habe ich mich eine Zeit lang öfters getroffen – Debbie weilt leider nicht mehr unter uns, möge sie in Frieden ruhen. Ich ging von der Bühne und drückte dem Roadie meinen Bass in die Hand. Debbie wartete schon auf mich und wir strömten mit dem Publikum zum Ausgang. Ein paar von ihnen guckten. »Das ist Lemmy.« »Nein, ist er nicht! Kann nich’ sein. Vergiss es. Kann er nich’ sein.« Sie konnten nicht glauben, dass ich so schnell draußen war, daher fragte mich auch niemand nach einem Autogramm. Ich hatte sie alle getäuscht!
Ende Dezember ging es für ein paar Gigs nach Irland. In Belfast brach sich Philthy den Hals. Nach dem Gig in Dublin blödelte er mit einem riesigen Iren herum. Sie spielten »Wer kann den anderen am höchsten heben«. Natürlich gewann der Ire, aber irgendwie hat er das Gleichgewicht verloren und sie fielen die Treppe runter. Wir gingen zu ihnen hinüber – der Ire stand auf, aber Phil nicht. Ich sagte zu ihm: »Komm schon, Mann.« Philthy sah mich an – die nackte Angst in seinen Augen – und sagte: »Verdammt, ich kann mich nicht bewegen.« Wir brachten ihn ins Krankenhaus in der Falls Road. An einem Samstagabend mussten wir in die Falls Road, die in einer katholischen Gegend liegt. Gottverdammte Scheiße! Die Kugeln flogen uns nur so um die Ohren! Im Krankenhaus mussten wir erst in die Aufnahme. Überall lagen Verwundete rum. Sie schnallten Philthy auf einen Tisch und stützten seinen Kopf, so dass er ihn nicht bewegen konnte. Gut, er konnte ihn ohnehin nicht bewegen. »Ich muss dringend pissen«, stöhnte er. In diesem Moment packte mich unser Tourmanager, Mickey, und zog mich zur Tür hinaus. »Was ist denn los?« Als wir gerade über die Schwelle waren, hörten wir die Krankenschwester: »Ich werde Ihnen einen Katheter legen, Mr. Taylor.« Und als die Türe sich schloss: »AAAAAARGH! DU MISTSTÜCK!« »Ich wollte nur raus da, bevor das Geschrei losging.« Philthy hatte Glück – er hätte für immer gelähmt sein können. Mit einer riesigen Halskrause wurde Philthy schließlich entlassen. Ich bastelte ihm eine Fliege aus schwarzem GaffaTape, so dass er wie ein spanischer Kellner mit einem gewaltigen Kropf aussah. Und Phil hat noch eine Menge mehr Blödsinn angestellt. Wir wollten sogar ein Buch
herausbringen. »Krankenhäuser in Europa, in denen ich gewesen bin« von Phil Taylor – ein Führer durch europäische Notaufnahmen. Er ist da völlig schmerzfrei. Sogar im Bus hatte er so seine Probleme. Der Typ konnte einfach nicht den Gang hinuntergehen. Er stakste auf so seltsame, steifbeinige Art, weil er dachte, er würde so nicht hinfallen, aber tatsächlich landete er fast immer auf der Schnauze. Er verbrachte die ganze Tour auf einem Knie im Bus, ein mobiler Heiratsantrag quer durch Europa! Unsere für Anfang 1981 geplante Europatour fiel wegen Phil natürlich ins Wasser. Girlschool waren in Rickmansworth und arbeiteten mit Vic Maile an ihrer neuen Platte. Es war Vics Idee, dass Motörhead und Girlschool zusammen eine Single aufnehmen sollten. Wir entschieden uns für »Please Don’t Touch«, ein Song von einer meiner Lieblingsbands: Johnny Kidd and the Pirates. Nach dem Tod von John 1977 erreichte die Band als The Pirates einige Aufmerksamkeit. Unsere Coverversion landete auf der The St Valentine’s Day Massacre-EP, die natürlich am 14. Februar veröffentlicht wurde. Auf der B-Seite war unsere Version von Girlschools »Emergency« (Eddies zweiter Gesang) und »Bomber«, das die Mädchen coverten. Denise Dufort spielte auf allen Tracks Schlagzeug, da Phil nicht konnte. Die Single stellte sich als der größte Hit heraus, den sowohl Motörhead als auch Girlschool je in den britischen Singlecharts hatten. Sie schaffte es bis auf Platz 5 und wir traten als Headgirl bei Top of the Pops auf. Mit Denise am Schlagzeug und Phil als Tänzer und BackgroundSänger. Eine Woche vor unserem gemeinsamen Auftritt bei Top of the Pops wurde in Nottingham ein Konzert von Girlschool und uns für eine Fernsehsendung aufgezeichnet. Es fand im Theatre Royal statt. Das Video habe ich noch immer. Am Ende von »Motörhead« sprang ich auf die Bomber-
Beleuchtungsanlage und richtete meinen Bass wie ein Maschinengewehr auf das Publikum – und blieb auf halbem Weg nach oben stecken. Der Kerl, der für die Anlage zuständig war, ließ mich eine Ewigkeit dort oben hängen – es fühlte sich an, als wären es verdammte Jahre, aber es waren nur ein paar Minuten. Ich dachte nur: »Du Mistkerl! Wenn ich hier je lebend runterkomme, werde ich dich verdammt noch mal töten!« Doch der Kerl, der für diesen Schlamassel verantwortlich war, verschwand klugerweise und wie durch ein Wunder nach der Show. Ende Februar erschienen in der Musikzeitschrift Sounds die Ergebnisse der Leserumfrage für 1980 und wir standen überall an der Spitze. Ich glaube, wir angelten uns sogar Beste Sängerin! Nur in einer Kategorie musste ich mich geschlagen geben – ich war zweiter in Männliches Sexobjekt, hinter David Coverdale. Es war mir egal – er hatte mehr Haare! Im März war Philthy wieder fit. Wir tourten mit Girlschool durch ganz Europa und kamen dann für vier Shows zurück nach England. Wir nahmen alle englischen Gigs für unser Live-Album No Sleep ‘til Hammersmith auf. Ursprünglich sollte es ein Doppelalbum werden, aber wir hatten nicht genug Material. Es reichte nur für drei Seiten, was irgendwie Beschiss gewesen wäre. Übrigens entstand keine der Aufnahmen im Hammersmith, sondern in West Runton, Leeds und in Newcastle, wo wir zweimal spielten. Die letzten drei Gigs stellten sich als die besten heraus, und wir wählten die Songs aus diesen Shows aus. In Leeds und Newcastle wurden uns silberne und goldene Schallplatten überreicht: eine goldene für Ace of Spades und je eine silberne für Overkill und für »Please Don’t Touch«. Diesmal allerdings hinter der Bühne. Die Veröffentlichung von No Sleep ‘Til Hammersmith erlebten wir in den Staaten. Auf unserer ersten Amerika-Tour waren wir Vorband für Ozzy Osbourne auf seiner Blizzard-of-
Oz-Tour. No Sleep ‘Til Hammersmith stieg sofort auf Nummer eins in die Charts ein. Jemand rief mich in New York an. »Ihr seid direkt auf Nummer eins eingestiegen.« »Ahh – ruf mich später noch mal an, okay?« Erst zehn Minuten später realisierte ich, was geschehen war, und ich saß kerzengerade in meinem Bett. Das war der Höhepunkt unserer Popularität in England. Und wenn man den Gipfel des Erfolgs erklommen hat, gibt es keinen anderen Weg, als den nach unten. Aber zu der Zeit wussten wir noch nicht, dass wir auf dem Höhepunkt waren. Wir wussten gar nichts.
Wir hatten in Amerika wirklich keinen blassen Schimmer, dass Motörhead in England gerade seinen Zenit erreichte. Für Eddie und Phil war es das erste Mal in den USA – ich kannte die Staaten ja schon von früher, obwohl ich jetzt vieles mit ganz anderen Augen sah – und wir amüsierten uns prächtig. Phil schaffte die Tour tatsächlich ohne größere Verletzungen zu überstehen. Obwohl, ein Salat in Florida hätte ihn beinahe das Leben gekostet. Er und Eddie waren an englische Salate gewöhnt – ein labbriges Salatblatt und ein paar gekochte Eier. Die zwei Spezialisten bestellten also in einem Restaurant in Florida die doppelte Portion. Die Kellner rollten zwei Karren an unseren Tisch – ein ganzes Beet mit dem verdammten Grünzeug! Phil und Eddie mussten sich praktisch den Weg durch diesen tückischen Mugwambi-Sumpf freikämpfen. Ich selbst halte mich von Gemüse fern – zu gesund für Leute wie mich. Während der Tour lernten wir Ozzy und seine Band näher kennen. Rudy Sarzo und Tommy Aldridge waren sehr nette Jungs, aber sehr ruhig. Sie waren eben einfach der Bassist und der Schlagzeuger. Die Rhythmussektion steht nie im Mittelpunkt, es sei denn einer von ihnen ist der Chef der Band. Mit Ozzys Gitarristen Randy Rhodes war schon wesentlich mehr los. Immerhin schrieb er mit Ozzy die Songs. Aber im
Asteroids-Spielen war er eine absolute Flasche. Während der ganzen Tour konnte er kein einziges Spiel gegen mich gewinnen. Trotzdem wurden wir Freunde – oder vielleicht gerade deswegen? Als er ein Jahr später bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam, war ich sehr deprimiert. Auch wenn er ganz gut Gitarre spielen konnte, war er nicht der Super-Gitarren-Held, zu dem sie ihn nach seinem Tod machten. Genau wie Bob Calvert, ein Typ, der zeit seines Lebens mehr oder weniger ignoriert wurde, wird plötzlich zu einem großen Genie. Randy war ein talentierter Gitarrist, aber er war nicht der große Wegbereiter, zu dem er später erklärt wurde. Wer weiß, was die Leute über mich sagen werden, wenn ich mal nicht mehr bin! Ozzy war ein netter Kerl – ist er immer noch. Nicht ganz richtig im Kopf, aber nett. Und wer würde nicht durchdrehen, wenn dir bei jedem Auftritt ein halbes Dutzend Tauben mit gebrochenen Beinen und Flügeln um die Ohren fliegen. Damit nicht genug. Zu seinen Füßen landeten auch Frösche, Hirschund Stierköpfe und lebendige Klapperschlangen. Und das nur, weil er einmal während einer Besprechung mit seiner Plattenfirma einer Taube den Kopf abgebissen hatte. Er muss die ganze Zeit unter Strom gestanden haben, denn er konnte ja nicht wissen, was auf ihn zukam. Der Kerl kann einem schon Leid tun, oder? Ozzy ging es wirklich dreckig während dieser Tour. Sie hat ihm fast das Leben gekostet. Seine Paranoia stieg ins Unermessliche, er war vollkommen verzweifelt und musste einfach mit allem übertreiben. Des Öfteren fanden wir ihn irgendwo bewusstlos. Schließlich übernahm seine Freundin und spätere Frau Sharon sein Management und zog ihn da raus. Sie war sein Rettungsanker. Später hatte ich mit Sharon geschäftlich zu tun – was nicht immer einfach war. Aber ohne ihr Eingreifen hätte es wohl keine weiteren Ozzy-Platten
gegeben und auch keinen Ozzy. Das wird Ihnen Ozzy bestätigen. Mit uns konnten die Amerikaner nicht so richtig was anfangen. Wir sorgten zwar für einige herunterklappende Unterkiefer, aber kapiert haben sie es nicht. In New York, L. A. Detroit und Chicago flippten die Leute aus. Auch Ohio war nicht schlecht und inzwischen haben wir auch Texas erobert, aber sonst stießen wir während der Tour eher auf Unverständnis. Ich glaube, ein großer Teil des Mittelwestens hatte ziemliche Angst vor uns; der größte Teil des Publikums wusste nicht, wer wir waren. Ace of Space wurde in den USA von Mercury vertrieben, aber das hatte wohl keiner mitbekommen. Denn das Label tat absolut nichts, um die Platte zu promoten. An diese Geschichten mussten wir uns später gewöhnen. Deswegen waren wir für das amerikanische Publikum auf unserer ersten Tour die großen Unbekannten. Wir hatten allerdings auch Fans. Einer von ihnen war Lars Ulrich. Er war damals noch nicht Metallicas Schlagzeuger – er war nur ein kleiner Teenager, der in L. A. lebte. Er war verrückt nach uns und leitete den amerikanischen MotörheadFanclub, der, wie ich vermute, aus Typen wie ihm bestand, die tonnenweise Import-Schallplatten besaßen. Diese Kids waren Riesenfans der »New Wave of British Heavy Metal«Bewegung, die etwa zu dieser Zeit startete. Die NWOBHM war für einige Bands super – sie brachte Iron Maiden ganz nach oben. Wir konnten von ihr allerdings nicht richtig profitieren. Wir sind dafür ein bisschen zu früh aufgetaucht… und dann lebte unsere Popularität – ein bisschen zu spät für den großen Metal-Boom der späten Achtziger – wieder auf. Unsere erste Amerika-Tour war also durchwachsen. Nach unserer Rückkehr nach England spielten wir eine Riesenshow als Headliner vor 40.000 Leuten im Port Vale Football Club. Ozzy musste vor uns auf die Bühne. Jetzt haben Sie eine
ungefähre Vorstellung von unserer Popularität in England zu dieser Zeit. Dieser Gig war wahrscheinlich unsere lauteste Show überhaupt. Und wir waren ja berüchtigt für unsere lauten Shows – wir mussten so laut spielen, weil wir vor lauter Taubheit sonst nichts gehört hätten. In Port Vale bestand die gesamte Bühne aus der PA – überall nur Lautsprecher, mit einer Leistung von 117.000 Watt. Beim Soundcheck rief ein Typ aus vier Meilen Entfernung an, um sich zu beschweren, dass er seinen Fernseher nicht mehr hören konnte. Dabei hatte Eddie erst seine Gitarre angeschlossen! Und auch in Sachen Promotion haben wir bei diesem Konzert alles gegeben. Während unserer Show sollten sechs Typen mit MotörheadFallschirmen mitten im Feld landen. Einer von ihnen schaffte es tatsächlich in einen angrenzenden Schrebergarten zu fliegen. Ein alter Laubenpieper, der mit einer Schaufel seinen Schrebergarten gegen die Hippies verteidigen wollte, war Zeuge: »Der letzte Bursche kam runter wie ein Sack Scheiße – fumm! Und knallte auf den Boden. Sie haben ihn in einem Wohnmobil weggebracht.« Ich nehme an, der etwas eigensinnige Fallschirmjäger hat sich inzwischen von seinen Verletzungen erholt – wir haben zumindest nichts Gegenteiliges gehört. Besonders hartnäckige Fans hatten wir damals bei der englischen Polizei – sie versuchten uns immer zu verhaften. Wir konnten nicht einfach das Haus verlassen, denn da warteten schon die Bullen auf uns. Im August 1981 erwischten sie Phil mit Pot im Wert von ungefähr 5 £. Er kam vor Gericht und wurde zu einer Geldstrafe von 40 £ verurteilt. Was für gequirlte Kinderscheiße, oder? Aber so kamen wir in die Schlagzeilen. Berüchtigte Rockstars eben! Motorcycle Irene war bei Phil, als er verhaftet wurde. Auch bei ihr fanden sie Pot. Aber sie bekam nur eine Strafe von 20 £ – vielleicht, weil sie größere Titten hatte als er!
Von kleinen Reibereien mal abgesehen, hatten wir eine Menge Spaß. Wir spielten auf dem Summernight-Festival in Nürnberg. Auf den Plakaten standen wir vor Blue Oyster Cult, die uns bei unserem ersten Gig im Hammersmith so gründlich verarscht hatten. Ihre Zeit war also abgelaufen. Wir rächten uns nicht schlimm an ihnen – wir ließen sie nur nicht über unsere PA spielen. Dann nahm ich mit den Nolan Sisters eine Nummer auf: »Don’t Do That«. Die Band bestand aus mir am Bass, Cozy Powell am Schlagzeug und Ex-Whitesnake-Gitarrist Micky Moody. Colleen und Linda Nolan sangen und auch Bob Young, der Status Quos Tourmanager, grölte ein bisschen mit und spielte Mundharmonika. Wir nannten uns Young and Moody Band und drehten für die Nummer auch ein Video. Mit den Nolan Sisters war es sehr amüsant – wir liefen ihnen öfter über den Weg, da sie zur gleichen Zeit in den Charts waren wie Motörhead. Alle hielten sie für schmalzige kleine Popsternchen. Aber sie hatten schon mit Frank Sinatra im Sands in Las Vegas gespielt! Sie waren knallharte Mädels, die von ihrem Vater gemanagt wurden. Und sie hatten es faustdick hinter den Ohren. Einmal unterhielt sich unser Manager, Douglas, mit Linda Nolan an der Bar vor einer Top-of-thePops-Sendung, als sein Geld auf den Boden fiel. Während er sich bückte, flüsterte ihm Linda süffisant ins Ohr: »Wo du schon mal da unten bist…« Das war das Letzte, was er von einer Nolan Sister erwartete! Ich verstehe nicht, warum die Leute davon ausgehen, dass Frauen keinen Sex mögen, und dass diejenigen Frauen, die gern vögeln, schrecklich und verkommen sind. Jeder will doch ficken. Inzwischen sollten wir doch so erwachsen sein, dass wir Sex als das hinnehmen, was er ist: Spaß und Erholung. Ich habe schon oft gesagt, dass Sex der größte Spaß ist, den man haben kann, ohne zu lachen. Wie ich schon am Anfang dieses
Buches erwähnte, ein Grund, warum ich zum Rock’n’Roll kam, waren die Mädchen. Und jeder bei Motörhead hat immer so viele gehabt, wie er in die Hände kriegen konnte… oder die uns in die Hände bekamen. Und das kam öfters vor. Im Bolton Casino kam ein Mädchen an meinen Tisch und fing an mir einen zu blasen. In diesem Moment kam Eddie vorbei: »Wir sind so weit, wir können gehen, Junge.« »Kannst du einen Augenblick warten?« Eddie sah die hohen Absätze unter der Tischdecke und entfernte sich unauffällig. Ich konnte mir in aller Ruhe einen abkauen lassen. Angenehme Überraschungen dieser Art waren keine Seltenheit. Und was die Klasse der Mädchen angeht, machten wir uns keine Sorgen. Denn Klasse liegt immer im Auge des Betrachters. Denn unter Klasse verstehen die meisten Leute für gewöhnlich besser gekleidet. Aber darauf kommt es mir nicht an. Ich habe Mädels getroffen, die leicht anrüchig gekleidet waren, die aber mehr im Kopf haben, als alle Super-Models dieser Welt zusammen. Mit ihnen konnte ich mich besser unterhalten und sie hatten einfach in jeder Beziehung mehr Ausstrahlung als die Supermodels. Diese Models sind wie verdammte Rassepferde – sie sehen gut aus, aber sind dumm wie Scheiße. Ich habe eine Menge so genannter schlampiger Mädels um mich herum gehabt –ich mag sie, denn sie sind ehrlich und geradeheraus. Sie sind wie ich, denn sie sagen einfach: »Ich will ficken! Gehen wir!« Und so sollte es auch sein. Das Leben als Rockstar hat, wie Sie sehen, offensichtlich seine Höhepunkte – und das können Sie jetzt interpretieren wie Sie wollen –, aber es hat gelegentlich auch Tiefen. Am Anfang von Motörheads Laufbahn hingen wir vor dem Gig mit den Fans in der Bar herum, aber das wurde schließlich zu viel. Man bekommt schließlich Fans, die denken, dass sie in der Band sind – sie ziehen sich wie ich an und nach einer Weile sehen
sie mich, wenn sie in den Spiegel schauen, und nicht sich selbst. Das kann sehr seltsam werden. Überall gab es Kerle, die Lemmy genannt wurden, und haufenweise Kinder, die auch Lemmy hießen, die armen kleinen Scheißer – eins davon ist ein Mädchen! Ein anderer Typ gab seinem Sohn den Vornamen Kilmister. Und es gibt Katzen und Ratten und Hunde und verdammte Sittiche, die alle nach mir benannt wurden. Wir wurden von bewundernden Fans überrannt, vom gelegentlichen Irren ganz zu schweigen, daher mussten wir schließlich aufhören, so zugänglich zu sein, wie wir einmal waren. Schade, denn wenn du mit den Kids rumhängst, bekommst einen Eindruck davon, was auf der Straße wirklich los ist. Eine Menge Bands übertreiben es allerdings mit ihrer Unnahbarkeit. Ich halte das für einen großen Fehler. Einige Bands treffen ihre Fans überhaupt nicht, wissen nicht einmal, wer sie sind oder wie sie aussehen. Sie sehen nur die Scheinwerferlichter, die ihnen in die Augen leuchten, dann gehen sie von der Bühne und tauchen in ihre eigene kleine Welt ab. Musiker, die das tun, verpassen eine ganze Menge. Ich mag es heute immer noch, mich mit den Fans zu unterhalten, abgesehen von dem gelegentlichen besoffenen Scheißer, der darauf besteht, mir ununterbrochen »Ace of Spades« ins Ohr zu singen! Wir haben immerhin ein paar Alben seit »Ace of Spades« gemacht – wenn er besoffen ist und anfängt, mir etwas von unseren letzten Platten vorzusingen, würde es mir vielleicht nicht so viel ausmachen! Ein weiteres Problem mit der wachsenden Popularität ist das Ausverkauf-Geschrei von einigen Leuten. Aber das ist ihr Problem und nicht meins. Kommerziell ist, was immer die Leute kaufen. Das bedeutet nicht, dass sich die Musik verändert. Zum Beispiel verkaufte sich unser erstes Album nicht sehr gut – wir waren also noch glaubwürdig. Dann wurde
Overkill ein kleiner Hit und einige unserer Fans kehrten uns den Rücken zu, weil sie meinten, wir würden »zu kommerziell«. Diese Ignoranten! Konnten sie nicht erkennen, dass die Musik im Wesentlichen die Gleiche war, nur besser, nachdem wir ein paar Jahre zusammenspielten? Aber mit No Sleep ‘Til Hammersmith stopften wir den Nörglern das Maul. Denn es war ja ein Live-Album mit Songs aus der Zeit, als wir noch nicht »kommerziell« waren. Wir wussten, dass wir musikalisch genau das machten, was wir wollten, also konnten wir sie einfach ignorieren. 1981 war für Motörhead das beste Jahr überhaupt. Aber es endete schrecklich. Wir waren gegen Ende des Jahres auf Europa-Tour, als mein Mitbewohner, Andy Elsmore, ermordet wurde. Andy war eine kleine Schwuchtel, die ein Pornokino betrieb. Jemand drang in mein Haus ein und stach ihm zweiundfünfzigmal in Gesicht, Hals und Brust, steckte ihm dann ein Messer in sein Arschloch und stieß es nach vorne durch. Anschließend wurde ihm der Schwanz abgeschnitten und in seinen Arsch gesteckt. Dann zündeten sie die Wohnung an, um den Mord zu vertuschen. Trotzdem schaffte es der arme Andy, den ganzen Korridor bis zum Fernsehzimmer hinunterzukriechen, bevor er starb. Dort fanden sie ihn. Eine furchtbar grausame Angelegenheit. Die Medien brachten natürlich wieder alles durcheinander – die Schlagzeilen verbreiteten Sachen wie »Motörhead in Drogenmord involviert«. Es hatte nichts mit uns zu tun. Wir waren auf Tour! Es war offensichtlich ein schwuler Mord aus Hass, sonst hätten sie sich nicht die Mühe gemacht, ihm seinen Schwanz in den Arsch zu stecken. Das ist definitiv eine AntiSchwulen-Sache. Eine Tragödie. Aber zurück zur Band. An diesem Punkt unserer Karriere fingen wir – unglücklicherweise, aber vielleicht ist das auch unvermeidlich – an, selbstgefällig zu werden. Alles, was wir
bis dahin gemacht hatten, hatte sich in Gold verwandelt. Wir dachten, es würde alles so weitergehen. Aber Iron Fist war nicht die Platte, die auf ein Album folgt, das direkt auf die Nr. 1 schoss. Um ehrlich zu sein, wir steckten ohnehin in der Klemme. Man kann einem Live-Album, das sich so gut verkaufte wie No Sleep ‘Til Hammersmith nichts folgen lassen. Am Ende hatten wir eine Menge unterschiedlicher Rezensionen, was mich nicht im Mindesten überraschte. Aber Eddie war enttäuscht, da er Iron Fist mit Will Dick Reid produziert hatte. Von den Verkaufszahlen her lief die Platte gar nicht so schlecht. Sie kletterte bis auf Platz vier der Charts – nicht so gut wie unsere vorigen Veröffentlichungen, aber immer noch ganz beachtlich. Die Desillusionierung hatte allerdings noch nicht wirklich eingesetzt, und so starteten wir voller Hoffnungen unsere Tour durch das Vereinigte Königreich – die Auftritte waren sehr gut. Unser Manager, Douglas, hatte die Idee mit der BomberBeleuchtungsanlage gehabt, und da das so gut klappte, hielt er sich jetzt für einen »Mann, der über Bühnenshows Bescheid weiß«. Also musste er sich bei unserer Iron-Fist-Tour selbst übertreffen. Wir wussten bis drei Tage vor Beginn nicht, was er sich ausgedacht hatte. Es war der Horror. Die Vorhänge öffneten sich und die Bühne war absolut leer – nichts, nicht einmal die roten Lichter an den Verstärkern. Wir waren oben an der Decke. Unsere Bühne stand auf vier Gerüsten, mit all unserem Equipment darauf – das Schlagzeug, die Verstärker, die Lichter, die ganze Bühne war unter dem Dach. Dann fing die Musik an und wir kamen herunter, aus Rauchwolken und farbigen Lichtern, und während wir uns herabsenkten, öffnete sich eine riesige Faust mit Suchscheinwerfern an den Fingerspitzen. Natürlich klappte am ersten Abend nichts von alledem. Die Faust funktionierte nicht und wir blieben auch noch stecken,
als wir wieder aufstiegen. Die Bühne erhob sich bis zur Hälfte und stoppte dann, und die Vorhänge blieben an der Bühne hängen. Die Leute konnten sehen, wie wir herumliefen und uns fragten: »Was zum Teufel sollen wir jetzt tun?« und »Wie kommen wir hier runter?« Philthy wäre von seinem Schlagzeug natürlich beinahe ins Leere getreten – Eddie fing ihn gerade noch. Aber nach den ersten paar Tagen funktionierte es großartig. Wir benutzten die Faust allerdings trotzdem nie wieder. Sie ging direkt zurück in die Werkstatt und rostet da wahrscheinlich noch heute vor sich hin. Tank, eine Band, die Eddie produziert hatte, eröffnete bei diesen Shows für uns. Das war die Band unseres Freundes Algy Ward. Er war bei The Damned rausgeflogen und gründete dann Tank. Tank hatten sich auf unserer Tour in Europa sehr gut gemacht, aber in England hatten sie Ärger mit den Ehefrauen. Die Frauen wollten mit auf Tour kommen, und da sie noch frische Jungs waren, ließen sie sich natürlich überreden. Ehefrauen auf Tour sind der Tod für jede Band. Ich will hier nicht als Chauvinist rüberkommen, wenn ich das sage, aber Ehefrauen bringen die Band auseinander, so einfach ist das. Nehmen wir mal an, du hast drei Typen in einer Band – vielleicht gehen sie nach dem Gig auf drei Hotelzimmer, aber sie sind die Einzigen in ihren Zimmern. Aber wenn deine Alte dabei ist, kommst du von der Bühne und musst mit ihr herumhängen. Du besprichst nicht den Auftritt mit dem Rest der Gruppe, und du gehst nicht auf einen Drink in die Hotelbar, denn du hast deine Alte dabei, richtig? Sie steht da, und es gibt eine Menge Dinge, die du nicht vor ihr sagen kannst, weil du denkst, sie wird sich langweilen oder du musst ihr mehr Aufmerksamkeit schenken. Das versaut vollkommen die Kommunikation innerhalb der Band. Und außerdem liegen eine Menge Ehefrauen ihren Männern in den Ohren, »die anderen Typen wären ohne dich gar nichts. Du bekommst nicht
die Aufmerksamkeit, die dir zusteht«. Das führt zu einer Menge Meinungsverschiedenheiten und kann eine Band zerstören. Ich habe schon oft gesehen, dass das passiert – es ist in meiner Band passiert! Folglich lief es für Tank am Ende sehr schlecht mit uns im Vereinigten Königreich. Da wir immer noch große Rockstars waren, zogen wir eine Menge Scheiße à la Spinal Tap ab. Der Film Spinal Tap hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Wer immer ihn geschrieben hat, muss einige Zeit zusammen mit Rockbands unterwegs gewesen sein. Wir waren schlimme Jungs zu der Zeit… obwohl, das sind wir heute immer noch, es haben sich nur inzwischen alle daran gewöhnt! Die Leute sind entsetzt über Motörhead – »Der verdammte Käse ist nicht hier! Wo ist der Käse?« – »Entschuldige, Mann, wir konnten keinen bekommen.« »ACH JA? IHR KÖNNT IN EINER GROSSEN STADT AN EINEM MITTWOCH UM SECHS UHR KEINEN VERDAMMTEN KÄSE BEKOMMEN, VERDAMMT NOCH MAL?! GEH LOS UND HOL DEN VERDAMMTEN KÄSE!« Denn es ist nicht der Käse um den es geht, oder? Es geht ums Prinzip. Mich kotzt es an, wenn die Leute keine professionelle Einstellung zu ihrem Job haben. Ich schicke die Veranstalter und ihre Lakaien auf alle möglichen Besorgungen: »Geh los und hol mir den Scheiß!« Wenn es im Vertrag steht, sollte es besser da sein. Wenn der Drum-Roadie Twiglets wollte (und unserer wollte), bekam er sie. Unser jetziger Gitarrist, Phil Campbell, hatte Appetit auf chinesisches Essen. Er wollte eine Portion Ben-Wa-Bällchen – und der Typ kam damit zurück! Aber eine Sache wird sich wohl nie ändern. Es passiert dir in jedem verdammten Land dieser Erde. Dein Vertrag spricht dir soundso viele Handtücher zu, richtig? Und sie geben dir diese winzigen Fetzen Stoff. Was soll die Scheiße?
Wir ließen uns von niemandem etwas bieten. Einmal war geplant, dass wir in einem Radiosender in Glasgow, Radio Clyde, spielen. Wir sollten eigentlich einen Soundcheck machen, aber der Typ war ein echter Schwanz und ließ uns Ewigkeiten warten. Radioleute lehnen notorisch alles ab, was du verlangst. Sie sind zu eingebildet und halten sich für wer weiß was! Also sagte ich zu Eddie, nachdem wir eine ganze Weile dort gesessen hatten: »Scheiß drauf! Denen zeigen wir’s!« Wir holten den Feuerwehrschlauch von der Wand und steckten ihn durch die Studiotür, blockierten die Tür und drehten den Schlauch auf. Dann gingen wir. Sie baten uns nicht, wiederzukommen – wirklich ziemlich unsportlich von ihnen. Zu dieser Zeit klebten die Bullen wirklich an uns. Sie durchsuchten all unsere Häuser, das Hotel der Roadies, sogar das Haus unseres Managers. Ich war in einem Hotel in Swiss Cottage, daher verpassten sie mich. Sie veranstalteten einen ernsthaften Einsatz: mit Hunden, Rammböcken und allem, und bei allen zusammen – fünfundzwanzig Leute von der Crew, drei Bandmitglieder, der Manager und seine Frau und ihre Mitarbeiter – fanden die Bullen gerade mal ein halbes Gramm Kokain, glaube ich, ein bisschen Dope und eine Mandrax. Wir gingen auf die Wache und ich erkundigte mich. »Welchen Grund hatten Sie, so einen massiven Einsatz durchzuführen?« »Wir bekamen einen anonymen Hinweis. Wir haben gehört, dass ihr Acid von der Bühne aus ans Publikum verkauft.« Gott, was für ein Schwachsinn! Ich singe und spiele Bass – wann habe ich wohl die Zeit nach vorne zu gehen und zu fragen: »Will jemand Acid?« Ganz zu schweigen, Wechselgeld herauszugeben – ich hätte eine Bauchtasche mit Wechselgeld gebraucht, anstelle eines Patronengurtes! Verfluchte Arschlöcher – als ob die Bullen nicht echte Pusher zu Jagen
hätten. Oder warum sind sie nicht unterwegs, um den Yorkshire Ripper zu schnappen und solche Leute, anstatt einer Band auf die Nerven zu gehen, die nur Gigs spielt und selbst ein paar Drogen nimmt? Ihnen das zu sagen, kommt bei den Bullen natürlich nie gut an. Ich kann mir denken, dass Ihr radikalen Feministinnen da draußen wegen meiner Kommentare zu den Ehefrauen immer noch vor Wut kocht. Andererseits liebe Feministin, wenn Sie so leicht auf die Palme gehen, warum lesen Sie dann dieses Buch? Aber wir wollen doch fair bleiben – wie ich schon erwähnte, arbeite ich sehr gerne mit weiblichen Künstlerinnen zusammen. Bevor Motörhead ihre Amerika-Tour begannen, schaute ich auf einen Sprung in einem Studio in London vorbei, um Speed Queen, eine reine Mädchenband aus Frankreich zu besuchen, die dort ein Album aufnahm. Die Sängerin, Stevie, war super – sie klang so ähnlich wie eine heutige Sängerin, die übrigens weitaus weniger Aufmerksamkeit bekommt, als sie verdient: Nina C. Alice von Skew Siskin. Sie haben beide sehr raue Stimmen – wie Edith Piaf, nur mit Gitarren. Ich steuerte sogar ein paar BackingVocals zu einem ihrer Songs bei. Das Album war allerdings auf Französisch, daher wurde es nie irgendwo außerhalb Frankreichs gehört. Ein paar Tage danach flogen Motörhead nach Toronto, um eine EP mit Wendy O. Williams aufzunehmen. Das Ergebnis dieser Session war das Ende dessen, was viele Motörhead-Fans unser »klassisches Line-up« nennen. Obwohl diejenigen, die so denken, in den letzten Jahren die Band wahrscheinlich nicht gehört haben. Wendy O. und ihre Band, The Plasmatics, sind heute ziemlich in Vergessenheit geraten, aber sie war eine absolut unglaubliche Agitatorin des Punkrock. Sie zersägte auf der Bühne Gitarren mit einer Kettensäge und sprengte Polizeiwagen in die Luft. Einmal fuhr sie im Hafen von New
York ein Auto in einen Stapel mit Sprengkörpern und sprang im letzten Augenblick heraus. Nachdem sie das getan hatte, ging sie direkt nach Florida, um mit Alligatoren zu ringen. Ich dachte: »Dieses Mädel ist verdammt großartig!« Ich hatte Photos von ihr gesehen, und sie sah verdammt gut auf den Photos aus. Nach dem Hit mit unserer EP zusammen mit Girlschool wollten alle möglichen Leute mit uns zusammenarbeiten, um Platten aufzunehmen, besonders zusammen mit Mädchen. Und mir macht es wirklich Spaß, Platten zusammen mit Mädchen aufzunehmen. Acht Typen in einem Studio können wirklich öde sein – mit Mädchen aufzunehmen erzielt für gewöhnlich bessere Ergebnisse, denn es verursacht eine interessante Art Reibung, und es gibt natürlich was fürs Auge! Und Wendy O. konnte man nun wirklich anschauen, und sie hatte neben ihrem aparten Aussehen auch noch etwas auf dem Kasten. Ein Traum! Es wurde als außergewöhnliche Kombination aus Punk und Heavy Metal beworben – zu der Zeit zwei gegnerische Fraktionen. Die Songs, die wir aufnehmen wollten, waren ein Stück von Motörhead, »No Class«, eine Nummer von den Plasmatics, »Masterplan«, und als Single »Stand By Your Man« – ja, der Country-Song. Eddie sollte die Tracks für uns produzieren, und unglücklicherweise hatte er wieder Will Reid Dick – den ich im Allgemeinen Evil Red Dick nenne – im Schlepptau. Die Session war problematisch, um es milde auszudrücken. Wendy brauchte eine ganze Zeit, um die richtigen Harmonien zu treffen, und das regte Eddie auf. Sie probierte ihre Parts ein paar Mal und sie klang furchtbar, das muss ich zugeben. Man konnte denken, sie würde es nie hinbekommen, aber ich wusste, sie würde, wenn ich nur mit ihr arbeitete. Dazu kam noch, dass Eddie keine Gitarre spielte – er arbeitete nur als Produzent. Wir spielten mit Wendys Gitarrist von den
Plasmatics, mit mir und Phil an Bass und Schlagzeug. Eddie war nicht gerade erfreut über das ganze Szenario. Schließlich verabschiedete er sich, um etwas zu essen. Doch wir fanden ihn im Nebenzimmer, wo er zusammen mit Evil Red schmollte. Es war Schwachsinn. Wir hätten unsere Probleme klären können, wenn nicht Will Reid Dick gewesen wäre. Denn zu wem hätte Eddie sonst gehen sollen? Er hätte dableiben und sich damit abfinden müssen, dann wäre es alles erledigt und schließlich vergessen worden. Aber es endete damit, dass wir einen kleinen Wortwechsel hatten und Eddie das Studio verließ. Später gingen Phil und ich zurück zum Hotel. Phil ging vor, und er kam dann zu mir: »Eddie hat die Band verlassen.« Tatsächlich verließ Eddie die Band ungefähr alle zwei Monate, aber diesmal fragten wir ihn nicht, ob er zurückkommen würde. Wir versuchten nicht, ihn zu überzeugen. Das überraschte ihn ein bisschen. Aber wir hatten einfach genug von ihm, denn er flippte ständig aus und er trank damals eine Menge. Er ist jetzt sehr viel angenehmer, seit er damit aufgehört hat. Wir mussten schnell einen neuen Gitarristen finden, damit wir die Tour fortsetzen konnten, und wir wählten Brian Robertson aus, der bei Thin Lizzy gewesen war. Von seiner Technik her war er ein besserer Gitarrist als Eddie, aber letztendlich war er nicht der Richtige für Motörhead. Mit Robbo nahm unser Abstieg an Geschwindigkeit zu, was wirklich unfair war, denn die Platte, die wir mit ihm aufnahmen, Another Perfect Day, war sehr gut. Rückblickend – und ich muss sagen, im Nachhinein hat man immer den vollen Durchblick – war es gut für uns, dass wir zu dem damaligen Zeitpunkt nachließen. Wir würden jetzt nicht mehr weitermachen, wenn unsere Berühmtheit damals mehr und mehr zugenommen hätte. Wir hätten als ein Haufen Schwuchteln mit Häusern auf dem Land geendet und uns
auseinander gelebt. Also war es für Motörheads Moral im Großen und Ganzen schon ganz gut so. Für eine Band ist es wichtig, hungrig zu sein, denn das ist die Motivation, durch die alle Bands funktionieren. Und wenn einer sich damit auskennt, über längere Zeit hungrig zu sein, dann bin ich das. Aber zurück zu Robbo. Ich kannte ihn schon seit Jahren. Wir trafen uns unter einem Tisch im Dingwalls. Es gab eine Schlägerei, und wir Feiglinge versteckten uns alle. Hasenfüßigkeit beiseite, Robbo war einer von Phils Helden, denn Phil ist ein totaler Thin-Lizzy-Freak. Und Brian war bei ihnen toll auf der Bühne. Er trug immer einen weißen Kordanzug – ziemlich eindrucksvoll mit seinem lockigen, etwas längeren Haar. Er war abkömmlich, also ließen wir ihn umgehend einfliegen, und er traf in Toronto mit rötlich gefärbtem kurzem Haar ein. Ich war verdammt entsetzt, aber ich dachte mir: »Na gut, er ist wenigstens ein alter Hase.« Es stellte sich jedoch heraus, dass er das nicht war. Er ging uns letztendlich verdammt auf den Geist. Er war die einzige Person in all meinen Bands, der ich körperliche Gewalt androhte – er hatte mich gleichfalls bedroht, muss ich fairerweise sagen. Wir hielten jeder einen Stuhl in den Händen und wollten einander damit schlagen. Aber das geschah Monate später. Als er bei Motörhead einstieg war das einzige Anzeichen drohenden Unheils seine roten Haare. Nach und nach bekamen wir mehr Anhaltspunkte. Als Brian der Band beitrat, sagte ich zu ihm: »Erinnerst du dich noch, als du bei Thin Lizzy warst, da hattest du diese Sache mit Scott Gorham, wo er das schwarze Kordoutfit trug und du das weiße, und ihr seid jeder zu einer Seite der Bühne geflitzt? Das wäre super. Ich trag schwarz. Warum kramst du das weiße Outfit nicht wieder heraus?« »Oh nein, das kann ich nicht tun, Lemmy.«
Und der Stress mit ihm ging weiter. So wollte er, zum Beispiel, einen Vertrag mit uns über jeweils ein Album. Im Grunde wollte er sich alle Optionen offen halten, für den Fall, dass es für ihn bei Motörhead nicht lief. All das war am Anfang noch leicht zu ignorieren, denn eine Zeit lang war er perfekt. Nachdem er sich uns in Toronto anschloss, hatte er nur ein paar Stunden Probe vor unserem ersten Gig mit ihm im Harpo’s in Detroit, aber er spielte wie ein Dämon. Wir beendeten die Amerika-Tour im Juni und gingen dann nach Japan – unser erster Trip dorthin – und er war die ganze Zeit über erstklassig. Japan liebte Motörhead von Anfang an. Brian war schon mit seiner Band nach Thin Lizzy, Wild Horses, dort gewesen, und er erzählte mir voller Zuversicht (und mit seinem starken schottischen Akzent): »Glaubt nicht, dass ihr hier in Japan all den Beifall kriegt, den ihr gewohnt seid. Werdet ihr nicht, denn sie machen nichts. Sie sitzen nur da und klatschen mit ihren kleinen Händchen.« »Oh, sei dir da mal nicht so sicher, Brian. Du bist jetzt bei Motörhead.« Das hat ihn wahrscheinlich total genervt. Und tatsächlich, als sich die japanischen Vorhänge das erste Mal öffneten, ging es nur: »AHHHH! REMMY!« Blian erinnerst du dich? »Blian Lobertson« – das ist etwas unglücklich, oder? Japan hat mir sofort gefallen, wahrscheinlich weil sie uns mochten. Es ist ein kompletter Kulturschock, denn dort ist gar nichts wie im Westen. Die Mädchen gehen dort im Haufen aus, aber sie haben nichts gegen ein kleines Abenteuer. Eine große Gruppe von ihnen kommt mit auf dein Hotelzimmer, und sie ziehen all ihre Klamotten aus – sie haben ihre ganz eigene Auffassung von Gruppendynamik. Sie sind unschuldiger als wir. Nicht so verklemmt wie wir. Sie kommen ja auch nicht in den Genuss der christlichen Erziehung! In Japan haben sie
Buddha, was sehr viel zivilisierter ist. Die meisten japanischen Mädchen sind sehr, sehr hübsch, und alle sind höflich. Das mag ich. Gute Manieren kosten nichts, und die meisten Leute in Amerika, England und in vielen Teilen Europas sind überwiegend arrogante, brutale, dumme Arschlöcher, die sich einen Scheiß um andere scheren. Das tun sie in Japan nicht. Aber eins steht fest: Sie sind dort auch sehr geil. Es gibt Orte, die wir jedes Mal, wenn wir dorthin zurückkamen, besuchten – einer davon war Pip’s Bar. Leider wurde die vor geraumer Zeit geschlossen. Jetzt ist es eine Karaoke-Bar! Dort waren sie sehr freundlich, und es kümmerte sie nicht, wenn man auf den Boden fiel. Und sie hatten einige Flipperautomaten, die für mich in betrunkenem Zustand ein toller Zeitvertreib waren. Aber das ist gar nichts gegen die Spielhallen. Die Spielhallen sind unglaublich – es ist, als wäre man im Raumschiff Enterprise. Das Seltsamste, was ich in Japan je gesehen habe, waren allerdings circa zwanzig japanische Rockabilly-Fans, die einfach die Straße entlangspaziert kamen. Es stimmte alles – die Haartollen, die Lederjacken, der Gang. Japanische Teddyboys, daran musste man sich erstmal gewöhnen. Als wir zurück in England waren, fing Brian an, sehr seltsam zu werden. Bei unserer ersten Show dort, im Wrexham Football Club, war er noch gut. Wir waren die Headliner, und fast ganz unten auf dem Programm stand eine neue Band aus Amerika namens Twisted Sister. Es war nicht lange nach diesem Gig, dass Twisted Sister die große Sensation bei MTV wurden – denkt dran, dass MTV erst 1982 gestartet wurde. Aber damals hatten sie die Hosen gestrichen voll, es war ihr erster Auftritt in England. Ich lief ihnen backstage über den Weg. Die baumlangen Kerle waren alle wie Frauen angezogen und ihre Zähne klapperten vor Aufregung. Ich konnte sehen, dass sie kurz davor waren, zusammenzuklappen, also sagte ich:
»Hört zu, ich kann rausgehen und euch vorstellen, wenn ihr wollt.« Und sie sagten alle: »Oh ja, bitte!« Also ging ich hinaus und sagte: »Hier sind ein paar Freunde von mir, also gebt ihnen eine verdammte Chance – Twisted Sister.« Das stellte zumindest sicher, dass sie nicht mit Flaschen von der Bühne gejagt wurden. Und sie betraten die Bühne und rockten das Haus. Ich stellte sie wieder vor, als sie im Marquee spielten – ich meine, ich würde von ihnen erwarten, dass sie das Gleiche für uns tun, und der Sänger der Band, Dee Snider, hat sich ein paar Mal revanchiert. Er brachte uns zu MTV, als er seine eigene Show hatte. Wir amüsierten uns gut mit Twisted Sister. Später im selben Jahr waren sie bei The Tube, einer Fernsehsendung, die in Newcastle aufgenommen wurde, und wir spielten zusammen »It’s Only Rock’n’Roll« am Ende der Sendung. Als ich mir meinen Bass umhängte, tauchte Brian plötzlich auf und – ZACK – fiel geradewegs auf die Fresse. Es war zum Schreien. Man konnte sich bei Brian immer darauf verlassen, dass er für unfreiwillige Unterhaltung sorgte. Er war jedoch weniger unterhaltsam bei unserer Show nach Wrexham. Es war ein Gig im Hackney Speedway Stadium in London, den die Hell’s Angels veranstalteten. Alle, die bei der Show arbeiteten – die Crew, jeder – gehörte zu den Hell’s Angels. Sie verloren ein verdammtes Vermögen, als sie das veranstalteten, und sie organisierten danach nie wieder eine Show. Ich erinnere mich, wie einer der Typen, Goat, mir erzählte: »Ich weiß, wo ich einen Generator klauen kann. Oben an der Autobahn haben sie haufenweise davon. Niemand wird einen vermissen.« »Ich glaube schon, dass sie ihn vermissen werden und ich glaube, dass sie dich dabei erwischen werden, wenn du’s tust.« Irgendwie bekamen sie jedoch einen Generator. Da waren wir also, umringt von harten Bikern, und Brian kommt raus auf die
Bühne mit seinen roten Haaren und trägt grüne Satinshorts. Es gab eine Menge Gemurmel. »Wer ist die Schwuchtel mit den verdammten Shorts?« »Das ist der neue Gitarrist von Motörhead.« »Ah. Töten wir ihn.« Brian weiß nicht, wie dicht er dran war, sein Leben zu verlieren – ich hielt sie auf, aber sie wollten ihn wirklich töten. Die Angels sind aggressiv maskulin, und solche Scheiße mögen sie nicht! Direkt vor ihren Augen stand Brian in seinem gewagten Outfit. Auch wenn es in soziologischem Sinne lobenswert ist, hätte er sich wirklich einen besseren Ort aussuchen können, um sein modisches Statement zu machen. Mit seinem seltsamen Modeverständnis schockte Brian auch die anderen Fans auf unserer Tour. Machen wir uns nichts vor, Ballettschuhe und Motörhead passen einfach nicht zusammen! Er wollte einfach nur auffallen und zwar um jeden Preis! Er gab sein Bestes, um jedem zu zeigen, dass er eigentlich nicht zu Motörhead gehörte, sondern nur ein Gastkünstler war. Unsere Plattenfirma mochte ihn auch nicht. Ich glaube, Bronze hätten es wirklich vorgezogen, wenn wir uns an diesem Punkt aufgelöst hätten. Die Stand-By-Your-Man-EP erhielt nicht viel Promotion. Aber wir gingen im März ‘83 ins Studio, um ein Album aufzunehmen. Another Perfect Day zeigt sehr viel von Brians Einfluss, was, musikalisch gesehen, nicht schlecht war. Sogar der Produzent, Tony Platt, war Brians Junge. Aber Tony verrichtete sehr gute Arbeit, also mag ich mich nicht beschweren. Brian war natürlich wieder ganz er selbst und ging uns auf die Nerven, aber wir wurden damit fertig. Abgesehen von einigen Gitarrensolos, die mir zu lang waren, fand ich die Platte ausgezeichnet. Unsere Fans hassten sie allerdings. Sie meinten, wir wären »kommerziell« – das Wort schon wieder! Sie schaffte nur Platz 20 in den Charts. Also war sie längst nicht so
»kommerziell«, wie die Leute behaupteten. Aber Another Perfect Day hat die Zeit überdauert – viele Fans haben ihre Meinung geändert und gelernt, sie zu mögen. Aber das half uns damals nicht. Ich finde, dass Another Perfect Day eine gute Veränderung für uns war, und vielleicht war es ein Fehler, dass wir nicht schon viel früher experimentierten. Vielleicht hätten wir in der Richtung weitermachen sollen… aber nicht mit Brian! Nachdem das Album herauskam, tourten wir mit ihm durch England und Amerika. Das war eine beschissene Tour. Sie wussten nicht, was sie mit uns anfangen sollten, also buchten sie uns dauernd mit Bands wie den Outlaws und das Publikum hasste Robbo einfach. Zum einen weigerte er sich, alte Songs, für die wir bekannt waren, zu spielen – »Ace of Spades«, »Overkill«, »Bomber« und »Motörhead«. Er wollte mit der Vergangenheit nicht in Zusammenhang gebracht werden. Tatsächlich stimmte Phil mit ihm darin überein, und ich konnte ihren Standpunkt verstehen, aber machen wir uns doch nichts vor: Die Kids wollen den alten Kram hören. Ich meine, wenn ich mir Little Richard ansehen gehe, will ich »Long Tall Sally« hören, und wenn das nicht passiert, werde ich zu Recht angepisst sein. Selbst wenn es mir absolut zum Hals raushängt, Motörhead sollten Ace of Spades spielen – die Leute wollen »Ace of Spades« hören und dagegen kann man nichts machen. Sich zu weigern, es zu spielen – oder andere ältere Stücke – war keine besonders gute Idee von ihm. Und dann war da auch noch die Sache mit Brians Klamotten. Auf unserer letzten Tour mit ihm trug er Hosen, die aussahen wie Jogginghosen, nur dass sie aus Gabardine gemacht waren und er sie unten mit zwei Streifen aus alten, weißen Handtüchern zusammenschnürte. Dazu das knallrote Haar. Er war nur um der Peinlichkeit willen peinlich.
Aber ich feuerte Brian aus keinem dieser Gründe. Ich hätte ihn für immer in der Band behalten, wenn sein Spiel in Ordnung gewesen wäre. Aber er fing an, wirklich Scheiße zu bauen. Im Herbst 1983 hatten wir einen Teil der Europa-Tour hinter uns, als es einfach lächerlich wurde. Wir spielten im Rotation Club in Hannover, Deutschland, und wir hatten gerade Another Perfect Day gespielt und er fing an, es noch einmal zu spielen. Also stolzierte ich zu ihm hinüber und sagte: »Du Schwuchtel! Das haben wir gerade gespielt!« »Oh, Entschuldigung«, sagte er und fing es noch einmal an, zum dritten Mal. Das war es dann. Wir sagten den Rest der Tour ab. So konnten wir nicht weitermachen. Auf keinen Fall! Brian war am Ende. Einmal in Spanien fand ich ihn im Foyer des Hotels vor einer Auslage mit diesem Krimskrams, den Hotels haben – Teddybären aus Kristall und solch ein Scheiß. Er lehnte mit seinem Kopf gegen das Glas, als würde er hineinschauen, aber er schlief, mit seiner Tasche über einer Schulter und einer Flasche Cointreau in der Hand. Wir brachten ihn ins Auto und beförderten ihn zum Flughafen und setzten ihn in einen der Sitze im Warteraum. Er lag bewusstlos da, den Kopf zurückgeworfen und sein Mund stand offen. Kleine Kinder drückten Zigaretten in seinem Mund aus, denn in Spanien ist ihnen so was egal. Auf der Bühne war er auch nicht viel lebendiger, also musste er gehen. Nachdem wir von der abgebrochenen Europa-Tour zurück waren, fuhren Phil und ich zu Brians Haus in Richmond und feuerten ihn. Es war wirklich ziemlich freundschaftlich – er hatte es erwartet. Also fehlte Motörhead mal wieder ein Gitarrist. Ich beendete das Jahr damit, dass ich für Hawkwinds EP Earth Ritual Preview, Bass spielte und sang. Zu jener Zeit war die einzige Person aus meiner Zeit, die noch bei Hawkwind war, Dave
Brock – aber natürlich ist es seine Band. So wie Motörhead meine ist. Ungeachtet dessen, was geschehen war, wusste ich, dass meine Band weitermachen würde. Ich wusste nur nicht mit wem.
Einen neuen Gitarristen zu finden, war nicht wirklich schwierig. Ich gab einfach dem Melody Maker ein Interview. Ich erwähnte, dass wir dieses Mal einen Unbekannten aufnehmen würden, und wir konnten uns vor Bewerbungen kaum retten. Es war sogar so einfach, dass wir am Ende zwei Gitarristen hatten. Nachdem wir sieben oder acht Typen ausprobiert hatten, schränkten Phil und ich es auf zwei Kandidaten ein. Einige von den anderen waren gut, aber sie waren einfach nicht die richtigen für Motörhead. Phil Campbell und Mick »Wurzel« Burston waren die Einzigen, mit denen ich etwas anfangen konnte. Ich hatte noch nie etwas von Phil Campbells vorheriger Band, Persian Risk, gehört, aber anscheinend hatten sie schon einige Singles aufgenommen. Er war in London und spielte mit seiner Band, als wir die Leute zu Proben einluden. Er verabschiedete sich von seiner Band mit den Worten »ich muss noch los und mir bei jemandem einen Hund anschauen«, oder so ein Scheiß. Man kann ihnen nicht wirklich sagen, dass man zu einem Vorspieltermin geht, oder? Vielleicht kriegt man ja den Job nicht. Obwohl Phil ziemlich nervös war, war er sich seines Könnens so sicher, dass er sich benahm, als würde er einfach zu einer Probe auftauchen. Er legte los, spielte ein paar Riffs, fetzte herum, raste, als hätte er den Verstand verloren.
Wenn Ihnen das den Eindruck vermittelt, dass er so etwas wie ein Wahnsinniger war, dann haben Sie Recht. Wie sehr, sollte ich allerdings erst später herausfinden. Das Motörhead zu einer Legende geworden ist, ist zu einem nicht geringem Teil auch ihm zu verdanken. Wurzel hingegen war ein nervliches Wrack, als er hereinkam. Aber seine schriftliche Bewerbung hatte mich beeindruckt. Er hatte ein dämlich aussehendes Foto von sich an mich geschickt mit ein paar Zeilen: »Ich habe gehört, dass ihr einen unbekannten Gitarristen sucht. Also, es gibt keinen Unbekannteren als mich.« Da wurde mir sofort warm ums Herz. Als er zum Vorspielen kam, zitterte er allerdings vor Angst. Darüber hinaus war er den ganzen Weg vom Bahnhof gelaufen, im linken Arm seine Gitarre und im rechten die Effektgeräte. Kein Wunder, dass seine Arme zitterten wie bei einem Parkinsonkranken. »Ich habe eine Liste mit Stücken«, sagte er nervös, und das Papier raschelte in seiner Hand. »Gib mir das, zum Teufel«, sagte ich und riss es ihm aus den Händen. »Keine Angst. Setz dich, trink ein paar Wodkas, Mann. Du machst das schon.« Nach ein paar Drinks war er locker spielte los und er machte seine Sache gut. Normalerweise lassen sie einen beim Vorspielen auflaufen, geben einem zehn Minuten Zeit und werfen einen dann wieder raus, aber darin sehe ich keinen Sinn. Wenn man einen guten Gitarristen haben will, muss man ihn sein Bestes spielen lassen. Wurzel sagte der Presse später, dass es das fairste Vorspielen war, bei dem er je war. Und es klappte offensichtlich, denn er bekam schließlich den Job. Übrigens logen beide bei ihrem Alter – Wurzel sagte, er wäre jünger, und Phil sagte, er wäre älter. Ich bin der Einzige, der nie wegen seines Alters zu lügen scheint. Wir konnten uns zwischen den beiden nicht entscheiden, also ließen wir sie
beide noch einmal wiederkommen. Der Plan war, einen Wettstreit zwischen den Gitarristen abzuhalten, um zu sehen, wer sich durchsetzte. Dann, am Morgen des letzten Vorspieltermins, verließ Philthy die Band. Unser Manager, Douglas, rief mich an dem Morgen um neun Uhr an und sagte: »Ich komme und hole dich in fünf Minuten ab.« »Weswegen?« »Wir müssen mit Phil Taylor sprechen.« Da wusste ich, was los war. Ich hatte nicht viel von Phil zu sehen bekommen, aber ich hatte den Eindruck gewonnen, dass er nicht mehr sonderlich begeistert war. Obwohl wir uns über seine Gründe, die Band zu verlassen, nicht unterhielten, glaube ich, dass ich einen seiner Beweggründe kannte. Philthy wollte ein ernsthafter Musiker werden. Wann immer Leute sagen, dass Heavy Metal keine ernsthafte Musik sei, muss ich ernsthaft widersprechen. Bis zum heutigen Tag ist Metal eine der bestverkaufenden Spielarten des Rock, denn er ist richtiger Rock’n’Roll. Und man braucht genauso viel Talent und Entschlossenheit, um es zu etwas zu bringen, wie bei fast jeder anderen Art der Musik. Und es macht Spaß – was will man mehr? Jedenfalls glaube ich, dass das einer der Gründe war. Und Philthy war einer der größten Thin-Lizzy-Fans. Obwohl er Brian mit mir zusammen feuerte, glaubte er immer noch, dass Brian über Motörhead stehen würde, zu dem er aufschauen konnte. Er muss so ähnlich gedacht haben, schließlich war er mit Brian für eine Weile in einer Band. Aber wer weiß – vielleicht wollte er nur fort von mir! Jedenfalls fuhren Douglas und ich zu seinem Haus und er sagte uns: »Ich höre auf.« »Mann, dein Timing ist super.«
Wir hatten an dem Tag ein Vorspielen abzuhalten, mit zwei Gitarristen, die aus Cheltenham und Wales angereist kamen. Und nun hatte ich keinen Schlagzeuger. Aber ich muss zugeben, Phil hat sich bei der ganzen Sache wie ein Gentleman verhalten. Wir hatten, kurz nachdem er ausgestiegen war, einen Termin und Philthy ließ uns nicht im Stich und spielte mit uns. Er blieb bei seinem Ausstieg anständig, im Gegensatz zu einigen anderen früheren Mitgliedern. Das war jedoch nur ein schwacher Trost, als ich Wurzel und Phil Campbell an jenem Nachmittag gegenübertreten musste. Für den Zeitraum von mehreren Stunden war ich das einzige Mitglied bei Motörhead. Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte, also sagte ich, als ich in den Proberaum kam, zu ihnen: »Hört mal, Phil kommt etwas später. Unterhaltet euch ein bisschen, nehmt einen Drink. Ich muss mal eben über die Straße.« Dann ging ich raus und spielte eine Viertelstunde an einem einarmigen Banditen in der Kneipe. Als ich zurückkam, schnappte ich ein bisschen von ihrer Unterhaltung auf: »Wenn ich das spiele, dann könntest du den Teil spielen.« Sie besprachen schon, wie sie mich überzeugen konnten, sie beide zu nehmen. Aber das mussten sie gar nicht erst versuchen, denn ich hatte schon in die gleiche Richtung gedacht. Ein Quartett hat viel mehr Möglichkeiten, verschiedene Sachen zu spielen – mit zwei Gitarristen kann man das zwangsläufig. Natürlich musste ich Abstriche bei den Einnahmen machen, aber die nächsten zehn Jahre zeigten, dass es das wert war. Nachdem das beschlossen war, teilte ich ihnen mit, dass Philthy ausgestiegen war. Die Stimmung war ein wenig niedergeschlagen, aber nur für einen Augenblick. Phil Campbell schlug Pete Gill als Ersatz vor, und das schien mir eine gute Wahl zu sein. Ich kannte Pete als einen richtigen Draufgänger von unserer gemeinsamen Tour 1979 mit Saxon.
Später hörte ich, dass Brian Downey, Thin Lizzys alter Schlagzeuger, an dem Job interessiert war – ich wünsche mir, ich hätte davon gewusst. Aber Pete war in Ordnung, zumindest für einige Jahre. Er kam zum Vorspielen und wir spielten zwei Stücke mit ihm. Dann hatten wir plötzlich alle vier ein selten dämliches Grinsen im Gesicht, denn es passte. Es klang super. Pete war ein ziemlich seltsamer Charakter. Er trank schon als er zu uns kam gerne eine über den Durst. Aber wenn er so richtig blau war wurde er noch seltsamer. Dann hörte er auf zu trinken und mutierte zum Ausdauersportler. Und er wurde noch eine Spur seltsamer. Aber eigentlich joggte er sowieso nicht richtig. Er ging nur runter zum Café, aß sein Frühstück und joggte dann zurück. Dabei tat er so, als wäre er stundenlang gerannt. Ich weiß das, weil wir ihm einen Tag gefolgt sind! Und er legte ein paar sehr seltsame Unarten an den Tag: Er entledigte sich des Öfteren seiner Kleider. Während unseres ersten gemeinsamen Auftritts hatten wir einen Stromausfall und Pete hatte nichts Besseres zu tun, als die Hosen runterzulassen. Manchmal holte er auch nur seinen Schwanz raus. Mit Vorliebe im Flugzeug, wenn gerade die Stewardess vorbeikam. Hinter ihrem Rücken schwang er sein Ding und wenn sie sich dann umdrehte, legte er blitzschnell eine Zeitung darüber. Mit der Zeit wurde der Gag öde. Motörhead ist wirklich demokratisch, aber ich finde, es ist nicht in Ordnung, mit seinen Schwanz in der Öffentlichkeit zu wedeln, zumal die Leute ihn vielleicht gar nicht sehen wollen. Und Pete hatte in seinem Auto immer eine Reitpeitsche, einen Schutzhelm und einen Regenschirm auf der Ablage liegen. Ich behaupte nicht, dass ich weiß, was in Petes Kopf vorging, aber ich habe gehört, dass er später sein Coming-Out als Schwuler hatte. Damit machten wenigstens ein paar seiner Handlungen Sinn. Eine Sache, die jedoch keinen Sinn ergab, war sein schwarzes Notizbuch. Phil Campbell entdeckte es nach zwei
Jahren zufällig und warf einen Blick hinein. Es war eine Art Tagebuch. Zehn Tage nachdem er der Band beigetreten war hatte Pete notiert: »Phil Campbell schuldet mir fünfzig Pence.« Gott, was für eine Zeitverschwendung! Aber natürlich lag das alles noch in der Zukunft. Zu der Zeit war es einfach großartig, einen Haufen neuer Typen zu haben, mit denen man spielte. Ich fühlte mich zehn Jahre jünger, so gut war die Stimmung in der Band. Zum Aufwärmen spielten wir sechs Gigs in Finnland. Abgesehen davon, dass wir wirklich gut spielten, amüsierten wir uns prächtig. Wir hatten die ganze Zeit Bauchweh, vor lauter Lachen. Tatsächlich war es vermutlich die beste Zeit, die wir mit Wurzel je hatten. Eines Nachts war er so besoffen, dass er nicht merkte, wie ihn die Roadies mit Bier richtig nass machten. Ich schnappte mir sein Mädchen, was nur fair war, da er schon meins hatte! Backstage erinnerte mich die FinnlandReise an Fellinis Satyricon. Es war großartig! Ich hatte ein paar wundervolle Mädels auf der Tour. Zu einem Gig mussten wir vier Meilen durch einen Steinbruch fahren. Keine Ahnung wie die Leute diesen Ort gefunden haben, denn die Hütte war gerammelt voll. Aber ich schleppte an dem Abend dieses unglaubliche Mädel ab – sechzehn Jahre alt, einfach wunderschön. Als sie ihre Klamotten auszog, bin ich auf die Knie gegangen und habe Gott mit Tränen in den Augen gedankt. Bei einer anderen Show verschwand der finnische Beleuchtungstyp mit einem Mädel im Schrank, um sich mit ihr zu vergnügen. Wir drehten den Schrank mit den Türen zur Wand, während sie ihm einen abkaute. Plötzlich fing das Mädchen an zu würgen und wir hörten, wie sie ihm auf die Hosen kotzte. Da saß er nun mit dem kotzenden Mädel im Schrank fest, sie lag stöhnend auf dem Boden, und sie waren von diesem schrecklichen Gestank umgeben! Schließlich
durchbrach er die Rückwand des Schrankes. Die Shows machten eine Menge Spaß. Zurück in London, spielten wir sofort einen Gig im Hammersmith Odeon – das war am 7. Mai 1984. Bei der Show liefen Pete Gill und Rat Scabies nach oben und schlugen ein Waschbecken von der Wand der Herrentoilette. Dafür mussten wir dem Hammersmith Odeon eine Strafe zahlen, aber egal. Wir rockten das Haus – es war der totale Triumph. Wir hatten gerade erst einen neuen Bomber anfertigen lassen – die Hälfte des alten war von Zigeunern gestohlen worden. Sie waren in die Lagerhalle eingebrochen und hatten sich mit mehreren Teilen der Anlage davongemacht, um sie als Altmetall zu verkaufen. Die zweite Bomber-Anlage war nahezu tödlich. Nach einer Show, die wir damit spielten, entdeckten wir an der Hinterseite eines Flügels einen Riss im Metall, die Anlage konnte also jede Sekunde zusammenbrechen. Und wäre sie heruntergefallen, glauben Sie mir, dann wären wir zerquetscht worden. Das Ding traf mich schon regelmäßig am Kopf. Trotzdem ein super Requisit. Offensichtlich war Motörhead mal wieder bereit, die Welt im Sturm zu erobern. Unsere Fans waren dazu bereit, und wir waren mit Sicherheit bereit dazu. Nur unsere Plattenfirma nicht. Während unserer Zeit bei Bronze haben wir gemeckert, aber wenn ich nun zurückblicke – besonders, wenn man die nachfolgenden Labels bedenkt, mit denen wir uns rumärgern mussten –, waren die Leute dort wirklich super. Aber 1984 interessierte sich Gerry Bron nicht mehr für uns, und das wurmte uns ein bisschen, da Motörhead seine Hauptattraktion war. Bronze nahm eine Menge Leute aufgrund unseres Rufs unter Vertrag – Girlschool, Tank. Sie bekamen sogar Hawkwind. Unser Ärger mit Bronze begann richtig, nachdem Eddie Clarke die Band verließ. Sie mochten Brian Robertson nicht,
und sie schienen auch dem neuen Line-up nicht zu vertrauen. Für unser nächstes Album wollten sie eine Sammlung unserer alten Songs zusammenstellen – das war ein Hinweis. Wenn die Leute anfangen, Sammlungen mit der früheren Scheiße einer Band zusammenzustellen, weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Bronze schien zu denken, dass wir am Ende waren, und dass alles, was wir noch machten, kläglich scheitern würde. Doch natürlich hatten sie die Rechnung ohne uns gemacht. Ohne Zweifel hätten sie es vorgezogen, wenn wir uns aufgelöst hätten. Doch das würde auf keinen Fall geschehen, und ich bestand darauf, dass sie, wenn sie eine Compilation herausbringen wollten, verdammt noch mal einige neue Songs des neuen Motörhead-Line-ups hinzufügten. Ich übernahm die Auswahl der alten Stücke und schrieb einen Kommentar zu jedem Lied. Das wurde dann letztendlich No Remorse. Ende Mai nahmen wir sechs Songs auf. Vier davon – »Killed By Death«, »Steal Your Face«, »Snaggletooth« und »Locomotive« – landeten auf No Remorse. Die anderen beiden Tracks kamen auf die B-Seite der »Killed-By-Death«-Single und hießen beide »Under the Knife« – es waren jedoch zwei vollkommen unterschiedliche Songs. Das hört sich vielleicht verwirrend an, aber das sollte es auch sein. Diese Art von Wahnsinn, um seiner selbst willen, fehlt den Plattenfirmen. Das ist die große britische Hinterlassenschaft an die Welt, Humor wie bei The Goon Show, The Young Ones und Monty Python. Einige Leute verstehen ihn nicht, und das ist ihr Pech. Man muss im Leben lachen. Lachen trainiert alle Gesichtsmuskeln und hält dich jung. Ernst zu schauen verursacht scheußliche Falten. Ich rate auch zu starkem Trinken – das hilft dem Sinn für Humor auf die Sprünge! Pot zu rauchen hilft dem Humor irrsinnig, aber nach einer Weile verliert man ihn ganz und gar, und alles, worüber man sich
noch unterhalten kann, ist der Kosmos und so ein Scheiß, was wirklich langweilig ist. Aber wie ich schon sagte, unsere Probleme mit Bronze waren überhaupt nicht lustig. Sie promoteten No Remorse und die Single sehr gut – das muss ich ihnen zugestehen. Aber es hatte mehr den Anschein eines letzten Aufschreis. Die Fernsehwerbung war hingerotzt. Mit einer Live-Aufnahme wurden wir als »die lauteste Band der Welt« beworben. Nichts Weltbewegendes. Wir machten für die Single allerdings Fotoaufnahmen, die verdammt lustig waren. Jeder von uns aus der Band sollte die verschiedenen Arten illustrieren, auf die man hingerichtet werden kann – mich setzten sie auf den elektrischen Stuhl, Wurzel wurde gekreuzigt, Phil wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt und Pete sah sich einem Erschießungskommando gegenüber. Für diese letzte Aufnahme waren wir als mexikanische Revolutionäre mit Gewehren und allem verkleidet, und wir machten eine Pause, um im Supermarkt nebenan einzukaufen. Es machte die Kunden ziemlich nervös. Sie stellten sich mit den Rücken zur Wand, aber wir beruhigten sie: »Ist schon in Ordnung. Verbrecher ziehen sich nicht so an. Zu auffällig.« Wir flogen auch nach Arizona, um ein Video zu »Killed By Death« zu drehen – ich erinnere mich nicht mehr, wer das bezahlte. Ich glaube nicht, dass es Bronze war, vermutlich haben wir das Geld aufgebracht. MTV zeigte es aus einem sehr dummen Grund nicht. Ich fuhr darin mit einem Mädchen auf einem Motorrad und ich legte meine Hand auf ihren Schenkel und ließ sie hinter mir nach oben gleiten. Man konnte nicht sehen, wie ich das anstößige Schamhaar packte, aber sie mochten es trotzdem nicht. Es war blödsinnig – das war zur gleichen Zeit, als sie Michael Jacksons Thriller-Video rauf und runter spielten, wo Leute aus dem Boden kamen, denen die
Scheiße aus der Nase lief, aber damit schienen sie kein Problem zu haben! Jedenfalls, Fotoaufnahmen und Fernsehwerbung beiseite, war es mit Bronze nicht mehr so wie früher, und wir entschlossen uns, das Label zu verlassen. Es folgten fast zwei Jahre rechtliche Streitereien. Wir waren so mit diesem Scheiß beschäftigt, dass wir keine Zeit fanden ein Album aufzunehmen! Und wir mussten uns auch noch mit anderen Sachen herumärgern. Phil Campbell war noch an das alte Label von Persian Risk gebunden und Pete Gill lag in einem Rechtsstreit mit Saxon, die ihm anscheinend noch Geld schuldeten. Während also die ganze Band Musik für die neuen Songs schrieb, die wir aufnahmen, konnten nur Wurzel und ich den Verdienst dafür in Anspruch nehmen. Die Dinge waren einfach zehnmal so kompliziert, wie sie eigentlich sein sollten. Da wir vorläufig keine Platte veröffentlichen konnten, machten wir einfach, was uns leicht fiel – wir waren die ganze Zeit unterwegs. Unser erster Gig nach den No-RemorseSessions war bei dem jährlichen TT-Motorradrennen auf der Isle of Man. Wir tranken an dem Tag eine Menge gratis Pernod und später wachte ich im Bett auf und fand, dass es wirklich warm in dem Hotelzimmer war. Dann bemerkte ich, dass meine Füße brannten! Ich war mit einer brennenden Zigarette in der Hand eingeschlafen und nun stand das Bett in Flammen. Ich musste die Laken hochnehmen und ins Bad schmeißen. Solche Scheiße passierte uns ständig – einmal, bei mir zu Hause, wachte ich auf und die gesamte Matratze, außer der Stelle auf der ich lag, war rot. Die Zigarette hatte sich durch das Bettzeug bis in die Matratze gebrannt, und diese stand kurz davor, in die Luft zu fliegen. Ich rollte mich schnell vom Bett herunter und währenddessen explodierte es – Feuer bis zur verdammten Decke hinauf!
Nach der Isle of Man spielten wir als Headliner auf dem Heavy Sound Festival in Belgien. Das war eine klassische Besetzung für die Zeit – mit uns auf dem Programm waren Twisted Sister, Metallica (da kannte ich sie schon ganz gut und bis heute zählen sie zu unseren größten Fans), Mercyful Fate und Lita Ford (die ich noch aus ihrer Zeit bei den Runaways kannte), und ein paar kleinere, längst vergessene Bands. Etwas mehr als einen Monat darauf tourten wir zum ersten Mal durch Australien und Neuseeland. Von England nach Neuseeland zu reisen ist übrigens wirklich nervig. Unser Flug war ein Alptraum, wir brauchten zweiunddreißig Stunden dorthin – einen dreistündigen Aufenthalt in Sydney und die Propellermaschine zur Insel eingeschlossen. Im Hotel mussten wir feststellen, dass das Wasser im Waschbecken wirklich andersherum abfließt! Im Fernsehen lief eine zwei Jahre alte Folge von Coronation Street. Wir erlebten einen richtigen Kulturschock. Beim Gig in Palmerston North kam es zu Ausschreitungen. Das Publikum flippte komplett aus – irgendeinem Typen wurde in den Arsch gestochen – und das Theater wurde total zerstört. Es wurde aber besser. Wellington und Auckland waren gut. Dann flogen wir nach Australien und es wurde noch besser. Australien ist toll, denn es ist wie das alte Amerika der Pionierzeit. Wenn du aus den Großstädten herauskommst und in die Kleinstädte fährst, glaubst du in die Vergangenheit zu reisen. Man kommt in eine Bar, der Ventilator dreht sich, überall sind Fliegen und der lokale Trunkenbold ist über dem Tresen zusammengesackt, genau wie man es in den alten Saloons in den Filmen sieht. Sie liebten uns wirklich in Australien, und besonders in Melbourne, wo unsere meisten Fans sind. Bei einem Gig gaben sie uns neue Gitarren. Wurzel bekam eine blaue, und bevor wir die Bühne betraten, konnten wir das Publikum singen hören: »Wer ist der Mann mit der blauen Gitarre? Wurzel, Wurzel!«
Ein Fan folgte uns über den ganzen Kontinent – er versetzte seinen Videorecorder, um das tun zu können. Er schlug uns auf dem Weg von Adelaide nach Melbourne, und das was will was heißen, schneller als Motörhead zu sein. Sein Auto war anschließend Schrott. Aber anscheinend war es ihm das wert. Wir legten im September gerade lange genug einen Zwischenstop zu Hause ein, um ein paar neue Melodien auszuarbeiten, die später auf Orgasmatron landeten. Anschließend spielten wir einige Auftritte in Ungarn. Das war, bevor der Kommunismus zusammenbrach. Wir hatten überhaupt keine Probleme mit dem Zoll – wir gingen direkt durch in die VIP-Lounge mit all diesen Russen, die uns verwundert ansahen. Offensichtlich kennt man die Grenzwachen, wenn man im kommunistischen Ungarn Promoter ist, oder? Als Promoter muss man sie kennen, kein Zweifel! Auf dem Rollfeld wartete ein Wagen auf uns und wir rauschten direkt durch. Die Sonderbehandlung war ohnegleichen. Wir fuhren direkt zum Veranstaltungsort nach Budapest, machten den Soundcheck und wurden zum Hotel gebracht. Am nächsten Tag fuhren wir zum Gig. Dort hatte sich die halbe ungarische Armee aufgestellt – was für ein Anblick. Und diese ungarischen Freaks rannten sie einfach über den Haufen. Was für ein Anblick – Tausende von Leuten, die auf die ungarische Armee losstürmen! Wir traten vor einem Publikum von 27.000 Leuten auf. Eine tolle Show. Da das Ganze jedoch in Ungarn, hinter dem eisernen Vorhang stattfand, hörte niemand von diesem Wahnsinnsauftritt. In den Not leidenden, so genannten Dritte-Welt-Ländern habe ich die Menschen als vertrauensvoller und freundlicher empfunden. Sie sind von allem viel begeisterter. Was hat uns denn die Zivilisation gebracht? Sie hat unsere Empfindsamkeit abgestumpft und uns verschlossener und intoleranter werden
lassen. Das ist der Preis, den wir für die Zivilisation zu zahlen haben, oder? Um No Remorse zu promoten, traten wir in der Samstagmorgen-Kindersendung ITVs Saturday Starship auf. Dann spielten wir auf dem »Wooaarrggh Weekender«-Festival in Norfolk, das von dem Magazin Kerrangl veranstaltet wurde. Wir waren beschissen, aber wie es nun mal typisch für Motörhead ist, wurde das Konzert gesendet. Als wir die Hälfte unserer britischen Tour absolviert hatten, musste Wurzel ins Krankenhaus – er hatte Nierensteine. Wir beendeten die Tour als Trio. Bei unserem letzten Gig im Hammersmith Odeon durfte er aber bei ein paar Songs mitspielen. Sie setzten ihn in einen Rollstuhl und zwei Porno»Krankenschwestern« rollten ihn auf die Bühne. Der ganze Saal jubelte ihm zu – Sie dürfen nicht vergessen, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Jahr zu uns gehörte! Und wir bekamen an dem Abend eine silberne Schallplatte für No Remorse. Für eine Band, die angeblich am Ende war, halte ich das für eine ziemlich beachtliche Leistung. Wir verbrachten das Ende des Jahres damit, in Amerika zu touren. Es war das erste Mal für Phil und Wurzel – Pete hatte schon mit Saxon hier gespielt – und ich spielte den Fremdenführer für sie. Ich amüsierte mich wirklich auf dem Trip, denn die letzten paar Jahre mit Phil Taylor und Eddie hatten nicht so viel Spaß gemacht, und mit Brian war es überhaupt kein Spaß gewesen – das waren sogar anderthalb Jahre verdammte Folter. Aber wie ich schon sagte, wenn junge Kerle der Band beitreten, verjüngt dich das um Jahre. Wir beendeten das Jahr damit, einen Videoclip für MTV zu drehen – sie öffneten die Tür und dahinter kamen wir zum Vorschein und sangen eine grauenhaft schräge Version von »Stille Nacht«. Ende Dezember spielten wir noch ein paar Shows in Deutschland.
Das waren unsere letzten Liveauftritte für ein paar Monate. Anfang 1985 hatten wir ein paar TV-Auftritte – die meisten davon in England, ein paar in Schweden. Wir waren in der ersten Sendung von ITVs Extra Celestial Transmission, oder ECT, oder Eric Clapton’s Tits, wie ich es liebevoll nannte. Es war eine Heavy-Metal-Show, und sie verlangten vom Publikum, sich »unmöglich anzuziehen«. Ich ließ mir vom Maskenbildner eine unglaublich echt wirkende doppelte Narbe ins Gesicht setzen und zog mich wie ein Gangster an, in einem weißen Zweireiher, schwarzem Hemd, weißem Schlips und Sonnenbrille. Ein paar meiner Freunde von den Hell’s Angels sahen den Auftritt und wollten den Kerl umbringen, der mir die Narbe verpasste! Ich trat hier und da auch ein paar Mal alleine auf. Ich flog nach Deutschland, um bei einer Fernsehsendung mit Kirsty MacColl aufzutreten. Ich spielte Gitarre, trug eine Sonnenbrille und ein Teddyboy-Outfit, und ich ging auf die Knie, um ein Solo zu spielen – tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was ich spielte! Frankie Goes to Hollywood waren in der gleichen Sendung und ich ging mit ihnen auf die Bühne. Aus irgendeinem Grund freuten sie sich sehr darüber, und später, als sie einen Gig im Hammersmith Odeon spielten, baten sie mich bei »Relax« auf die Bühne. Ich sollte die Gitarre spielen, aber ich kannte die Akkorde nicht. Egal, denn es wusste sowieso niemand, wer ich war – Frankies Publikum war nicht gerade Motörhead affin –, und sie waren sehr verwirrt. Sie veranstalteten an dem Abend eine Party im Holiday Inn in Chelsea, und wir gingen hin. Zwei Mädchen mit Baskenmützen versuchten verzweifelt Frankies Bassisten zu ficken, denn nur Holly Johnson und der andere Sänger waren schwul. Das war ihr Ziel und er war der einzige Typ, den sie nicht beglückten. Sie hatten alle anderen, inklusive Motörhead! Die Mädchen verabschiedeten sich mit einem Blow-Job von
uns: »Wenn du den Bassisten siehst…« Aber der hatte die Party schon Stunden vorher mit seiner Frau verlassen. Das letzte Mal sah ich Holly Johnson bei einer Show von Frankie in Wembley, und er hatte einen riesigen schwulen Kerl als Freund, der einem den Weg versperrte. Einer dieser Typen, die einen vor jedem beschützen, sogar vor den eigenen Freunden. Holly wollte die Band verlassen und ich riet ihm davon ab. Ich sagte: »Du machst einen furchtbaren Fehler.« Und es war ein Fehler, denn niemand hat seitdem etwas von ihm gehört. Geschweige denn von den anderen. Und Frankie Goes to Hollywood waren eine Zeit lang Megastars. In dem Jahr traf ich auch Samantha Fox. Wir waren beide in der Jury bei einem Spaghetti-Wettessen. Seit ihrer Zeit als Seite-drei-Mädchen war ich ein großer Fan von ihr und wir überlegten, zusammen »Love Hurts« als Single aufzunehmen. Ich machte ein Band fertig und schickte es ihr. Aber unsere Zeitpläne kamen dazwischen und es klappte leider nie. Sam ist heute praktisch von der Bildfläche verschwunden. Sie war sehr niedlich, aber ich glaube, sie war schlecht beraten. Ihr Vater war ihr Manager, was immer ein Fehler ist. Er managte sie direkt in die Vergessenheit hinein. Aber sie scheint noch einmal aufgetaucht zu sein – Motörhead spielte kürzlich die ersten Shows überhaupt in Russland. Wir trafen Sam Fox im Club unseres Promoters! Wir hatten eine tolle Wiedervereinigung dort! Obwohl Motörhead vorübergehend keine Platten herausbringen konnte, hielt uns das nicht davon ab, andere Dinge zu machen, wie zum Beispiel Benefizplatten. Gerry Marsden von Gerry and the Pacemakers versammelte ein paar Kerle, um »You’ll Never Walk Alone« zu singen, dessen Erlös den Opfern der Brandkatastrophe vom Bradford-City-Stadion zugute kam. Wurzel und ich waren mit dabei, zusammen mit
Phil Lynott und Gary Holdon und anderen. Der Song schaffte es auf den ersten Platz und erhielt eine goldene Schallplatte. Außerdem produzierte ich zusammen mit Guy Bidmead einen Ramones-Song – »Go Home Anne« von ihrer Bonzo-Goes-toBitburg-EP. Schade, dass es keine ihrer schnelleren Nummern, wie »Beat on the Brat« oder »I Wanna Be Sedated« war. Ende Juni feierten wir Motörheads zehnjähriges Jubiläum mit ein paar Shows im Hammersmith Odeon. Ein Heidenspaß! Am ersten Abend kamen alle, die je bei Motörhead gewesen waren, auf die Bühne. Es war überwältigend. Wendy O. Williams und Girlschool waren auch da. Am zweiten Abend tauchten wieder alle auf, außer Larry Wallis. Sogar Lucas Fox war da, und er war nur ein paar Monate in der Band gewesen. Da wir keine drei Drumkits auf die Bühne bekommen konnten, hängten wir Lucas eine Gitarre um, aber sie sollte eigentlich nicht angeschlossen sein. Natürlich war sie angeschlossen, während Brian Robertsons nicht eingestöpselt war. Typisch. Und Phil Lynott kam auf die Bühne, weil er einfach musste. Er konnte an keiner Bühne vorbei. Wir spielten »Motörhead«, aber er hatte keine Ahnung, was er spielte. Eddie Clarke stand neben ihm und sagte: »E!« Der arme Eddie, auch er hatte keine Ahnung, oder besser, er konnte sich auch nicht erinnern! Phil war ein guter Freund von mir, aber er hatte nie unsere Erkennungsmelodie gehört. Wir nahmen die Shows auf, und Vic Maile machte einen speziellen Mix mit Phils Bass im Vordergrund, den er ihm gab, nur um ihn in Verlegenheit zu bringen. Er bekam jedoch posthum sein Fett ab, als ich mit Duff McKagens Band im Hollywood Palladium auf die Bühne ging. Sie fingen an, »The Boys Are Back in Town« zu spielen, und ich kannte es nicht! Ich sollte eigentlich einen anderen Song mit ihnen spielen, aber sie änderten ihren Plan, ohne mir Bescheid zu sagen.
Jedenfalls wurde am Ende des zweiten Gigs eine riesige Geburtstagstorte herausgerollt, und eine kleine Mieze mit großen Ballons unter ihrem T-Shirt sprang heraus. Ich nahm sie an dem Abend mit nach Hause – tatsächlich ging ich mit ihr zu der Zeit sogar aus. Katie war ihr Name… was für eine kleine Schönheit! Wir veröffentlichten ein Video von dem Gig: The Birthday Party. Unser Manager wollte es auch als Album herausbringen. Aber wir sagten nein. Ich dachte, es würde dem Verkauf des Videos schaden, und zudem fand ich, dass es sich dabei um reine Abzocke am Fan handeln würde. Des Weiteren waren wir mit den Aufnahmen nicht zufrieden – immerhin hatten wir vor diesen zwei Shows fünf Monate nicht gespielt. Das wurde zum Problem zwischen uns und Doug Smith. Es zog sich über Jahre hin, ein Streiten und Meckern. Am Schluss gewann er. Schwer zu sagen, warum wir so unnachgiebig waren, aber damals schien es uns wirklich wichtig zu sein. Nach den Gigs im Hammersmith Odeon tourten wir einen Monat lang durch Skandinavien. Wir spielten einfach überall, wo man nur spielen konnte – über dem Polarkreis, in jeder kleinen Scheißstadt. In Schweden haben sie im Sommer Volksfeste, also spielten wir dort überall, überall in Norwegen und ein paar Auftritte in Finnland. Wir nannten sie die ItNever-Gets-Dark-Tour, denn es wird dort im Sommer niemals dunkel. Die Sonne senkt sich nur bis knapp über den Horizont und steigt dann wieder auf. Der Promoter aus Norwegen hatte sein Handwerk in der Hölle gelernt. Er gab uns immer die falschen Entfernungen von einem Gig zum nächsten. Daher verpassten wir ständig die Fähren – Norwegen besteht nur aus Fjorden und du musst immer die Fähren erwischen. Nach den verpassten Fähren mussten wir Schnellboote nehmen, was nicht gerade billig war. So kamen wir nie pünktlich zu unseren Shows. Einmal kamen wir wirklich spät zu einer Show, und als wir in die Garderobe kamen, fanden wir eine Schale kaltes
Wasser mit einem verdammten Bier darin, drei Joghurts, ein paar Kekse, Obst und Nüsse – Bärennahrung. Ich sagte dem Promoter: »Hey, komm mal her«, und traf ihn mit den drei Joghurts, bevor er es zur Tür hinausschaffte. Ein bisschen später öffnete sich die Tür einen Spalt und eine Flasche Wodka wurde über den Fußboden zu uns herübergerollt. Zum Eklat kam es dann in Trondheim. Wir schmierten den Idioten von oben bis unten mit Schmelzkäse aus der Tube ein. Es war das fünfte Mal, dass wir ein Schnellboot nehmen mussten. Wir kamen zwei Stunden zu spät zur Show und wir waren wirklich angepisst. Die Kids denken immer, es wäre die Schuld der Band, wenn die Gigs zu spät anfangen. Also waren wir endlich auf der Bühne, und da lehnte dieser Wichser von einem Promoter gegen die PA, als wäre er ein ganz hohes Tier, nur weil es sein Heimatort war. Und unsere Roadies kamen von hinten auf ihn zu, packten ihn, legten ihm Handschellen an, schleppten ihn raus auf die Bühne und zogen ihm die Hosen runter. Dann bespritzten sie ihn mit dem Käse und mit Mayonnaise und mit allem, was sie sonst noch in die Finger kriegen konnten. Unser damaliger Tourmanager ging zum Mikro und sagte zum Publikum: »Seht ihr dieses Arschloch? Wegen ihm waren wir heute Abend zu spät hier!« Und wir schubsten ihn schließlich von der Bühne. Der Typ ging am Ende aufs Polizeirevier – in dieser Aufmachung setzte er sich tatsächlich in ein Taxi! Nach dem Gig, in der Garderobe, hörten wir das unvermeidliche laute Bumm-Bumm-Bumm an der Tür, und es war ein verdammt riesiger Bulle – die Norweger sind wirklich groß –, der wie die Super-Gestapo aussah. »Ich glaube, Sie haben dieser Person etwas wirklich Schlimmes angetan.« »Ja? Nun, er hat uns die Wege falsch beschrieben.«
»Ja, ja, ja. Aber das ist kein Grund, einen Mann mit Käse einzuschmieren!« Es schien der Käse zu sein, der ihm zu schaffen machte, nicht die Körperverletzung. Es war wirklich der verdammte Tubenkäse. Seltsam. Als wir nach London zurückkamen, erledigten wir einige Dinge in der Stadt, bevor wir wieder in die Staaten aufbrachen. Hawkwind spielten einen Anti-Heroin-Gig im Crystal Palace, und ich spielte ein paar Nummern mit ihnen. In diesem Zusammenhang würde ich gerne erwähnen, dass ich diese Anti-Drogen-Gigs für einen Witz halte. Sie werden im Allgemeinen von Leuten aufgezogen, die selbst total dicht sind, wodurch der Zweck des Ganzen seinen Sinn verliert. Und was macht man überhaupt mit dem Geld von einem AntiHeroin-Gig? Keine Drogen davon kaufen?! Sie bauen nur Rehabilitationszentren auf, die nicht funktionieren. Kein Drogensüchtiger, der seinem verdammten Namen Ehre macht, wird jemals auf die Leute hören, die in solchen Einrichtungen die Verantwortung haben. In den Rehabilitationszentren geht es nämlich zu wie in einem Jugendclub. Und wer will sich schon von irgendeinem Sozialarbeiter sagen lassen, dass er ein schlimmer Junge ist? Keiner. Denn genau diese Bevormundungen lässt einen doch zu Drogen greifen, oder? Eigentlich nutzt es letztendlich auch nichts, denn der Heroinsüchtige muss es von sich aus wollen. Und wer die Wahl hat zwischen Reha und Knast, wird sich kaum für den Knast entscheiden, oder? Sie gehen in die Reha, um den Druck – und vielleicht auch noch die nervige Freundin – loszuwerden. Anschließend ist es für sie billiger, da sie nicht so viel Geld für Drogen ausgeben müssen, da ihre Dosis ja nach dem Entzug nicht mehr so hoch ist. Aus meiner Perspektive ist dieser ganze »Krieg gegen die Drogen« ein verdammter Schlamassel.
Egal, genug davon. Wendy O. Williams and the Plasmatics spielten im Camden Palace, also kamen Wurzel und ich dazu und spielten ein paar von unseren Songs mit ihnen – »Jailbait« und »No Class«. Sie veröffentlichten ein Video von der Show, falls man das heute noch finden kann. Im nächsten Monat, im November, tourten wir in den USA, und am Ende der Tour trat ich bei MTV mit Dee Snider auf. Und unsere Rechtsstreitigkeiten mit Bronze waren endgültig geklärt – wir konnten 1986 damit beginnen, eine neue Platte aufzunehmen.
Natürlich landeten Motörhead nicht auf irgendeinem Label. Unser Manager, Douglas Smith, hatte uns überzeugt dass es das Beste wäre, wenn wir mit seiner Firma, GWR, zusammenarbeiten. Also waren unser Manager und unsere Plattenfirma unter dem gleichen Dach. Und Doug und seine Frau befassten sich auch noch mit unserem Merchandising. Wahrscheinlich hätte uns jeder Depp sagen können, dass das alles andere als klug sei, unserem Management so viel Macht zu übertragen, aber leider kam kein Depp vorbei. Doch das Geschäftliche interessierte uns nicht, so dass wir mit den Aufnahmen zu Orgasmatron gut vorankamen. Orgasmatron war unser erstes komplettes Studioalbum seit drei Jahren. Das Line-up unterschied sich – bis auf meine Wenigkeit – natürlich komplett von dem auf Another Perfect Day, aber das juckte uns überhaupt nicht. Nach den Aufnahmesessions zu No Remorse und den gemeinsamen Touren hatten wir vier mehr Zeit als genug gehabt, uns aneinander zu gewöhnen. Wir stellten die Platte in elf Tagen fertig, was, wie Sie sich inzwischen wohl denken können, keine große Sache für Motörhead war. Es war sogar ziemlich einfach, da die Jungs so froh waren dabei zu sein. Wir jagten unserem Produzenten, Bill Laswell, am ersten Tag allerdings
einen leichten Schreck ein. Unser damaliger Schriftführer des Fanclubs, Paul Hadwen, und ich saßen in einer Kneipe und stolperten über eine Anzeige in der Zeitung: »Pfundweise Spaß mit Rubensmodel.« Wir dachten sofort: »Das ist genau das Richtige für Phil Campbell.« Wir buchten sie. Dann gingen wir mit Bill Laswell und seinem Tontechniker, Jason Corsaro, ins Studio. Sie waren gerade erst aus den Staaten herübergekommen und kannten uns überhaupt nicht – ich hatte Bill eine halbe Stunde zuvor getroffen und natürlich nichts von der Anzeige erwähnt. Bill und Jason waren ganz übereifrig, wie Amerikaner so sind – »Also, fangen wir an, Jungs! Das wird toll!« Plötzlich stand diese korpulente Dame im Foyer herum (Phil sagte später, dass er sie für die Mutter von irgendjemandem hielt) und folgte uns ins Studio und fragte: »Wer ist Phil?« Und Phil antwortete nichts ahnend: »Ich.« WUMM! Sie riss sich die Kleider vom Leib. Diese gewaltige Frau in einem winzigen, knappen Outfit mit entblößten Titten sang: »Happy birthday to you«, denn wir hatten ihr erzählt, dass Phil Geburtstag hätte. Sie schnappte sich Phil und presste seinen Kopf zwischen ihre Titten – wir konnten nur ein kleines Haarbüschel zwischen ihnen hervorragen sehen! Dann fing sie an, ihn mit ihnen zu schlagen! Sie schlug ihn fast k. o. Es war verdammt großartig, und Laswell und Corsaro schoben sich langsam hinter das Pult und fragten: »Was soll das, verdammt?« So wurden die zwei in die Welt von Motörhead eingeführt. Wie sich herausstellte, war Bill gut darin, Sounds hinzubekommen, aber er versaute alles beim Mix. Als er das Album nach New York mitnahm, klang es ganz ordentlich. Keine Ahnung, was er damit anstellte. Zum ersten Hören hatten wir uns alle getroffen. Unsere Verlegerin hatte eine Kiste Champagner organisiert, um das Album gebührend zu feiern. Und dann das. Es klang furchtbar. Orgasmatron war ein
einziger Brei. »Ain’t My Crime« sollte eine vierstimmige Harmonie haben, aber er ließ drei Stimmen verschwinden! Ich werde Sie nicht mit den restlichen »Highlights« langweilen. Es reicht, zu sagen, dass unsere Verlegerin die Kiste Champagner mit ihrem Fuß zurück unter den Tisch schob, während Laswells Manager in der Tür stand und entschlossen das Tanzbein schwang. Es war hoffnungslos. Ich versuchte, die Platte teilweise neu abzumischen, aber Bill und Jason waren mir dabei keine große Hilfe. »Es ist unser Mix und wir mögen ihn. Und jetzt kommst du und machst Schwierigkeiten und willst uns unseren Job erklären?« Nun, ich schätze ich bin schwierig, wenn man es als »schwierig« betrachtet, den Job richtig zu machen! Der Titel Orgasmatron war mir nicht sofort eingefallen. Der Arbeitstitel des Albums war Riding with the Driver (alle Motörhead-Studioalben außer Bastards, das wir 1993 aufnahmen, sind nach einem seiner Songs benannt), aber der Track entwickelte sich nicht so gut, wie wir gehofft hatten. Ich wusste damals nicht mal, dass ein Orgasmatron ein Apparat in einem Woody-Allen-Film war – ich habe den Film nie gesehen –, aber man hat es mir seither ziemlich oft erzählt! Ich dachte mir das Wort selbst aus. Viele unserer Fans halten dieses Album für einen unserer Klassiker. Es sind einige großartige Songs drauf, wie beispielsweise das Titelstück und »Deaf Forever«. Ich werde aber immer ein Problem mit dem Mix haben. Ich möchte noch anmerken, dass auf dem Originalcover ein tolles Foto von Lars Ulrich ist. Einige Jahre vorher hatte Lars uns im Beverly Sunset in Los Angeles getroffen und ihm wurde schlecht. Er war damals noch jung, aber es ist nicht wahr, dass ich ihm das Trinken beigebracht habe. Tatsächlich zeigte ich ihm, wie man sich ordentlich übergab. Und das tat er, auf sich selbst. Das hatte er davon, mit den Angewohnheiten älterer Leute mitzuhalten! Ein Foto von
diesem klassischen Moment der Rockgeschichte gab es auf Orgasmatron zu bewundern. Um das neue Album zu promoten, waren wir mal wieder unterwegs. Douglas musste sich mit der Bühnenkulisse abermals selbst übertreffen – daher der Orgasmatron-Zug, passend zum Cover. Das Schlagzeug stand vorne auf dem Zug, der auf Schienen nach vorne fahren sollte, mitten auf die Bühne. Aber es funktionierte nie. Man konnte die Schienen nie richtig auf der Bühne befestigen und so weiter. Douglas hatte einige tolle Ideen – die Bomber-Anlage war brillant –, aber das war ziemlicher Pfusch. Das und die grässliche Eisenfaust. Aber der Zug begleitete uns durch den größten Teil von Europa. Orgasmatron hätte uns wirklich wieder auf Hochtouren bringen sollen – unsere neue Platte mit dem neuen Line-up und so. Aber niemand kaufte es. Oder sollte ich sagen, niemand konnte es kaufen. GWR vergab das Album an verschiedene Vertriebe rund um die Welt, von denen die meisten sehr nachlässig darin waren, es in die Läden zu bringen. Wir spielten an all den üblichen Orten – Europa, das Castle Donington Festival, England und die Staaten. Wir begannen die US-Tour mit Megadeth als Vorband, aber sie waren damals noch eine neue Band und sie verpatzten es. Am ersten Abend, in Oakland, hatten sie ihr Bühnenbanner vor der Tür zu unserer Garderobe auf dem Boden ausgebreitet, und da wir keinen Respekt vor Traditionen haben, marschierten wir direkt darüber. Der Manager der Band stürmte herein und flippte aus: »Ihr seid über unser Banner gelaufen!« »Hör mal, es gab keine Möglichkeit, in unsere Garderobe zu gelangen, ohne über euer Banner zu laufen. Warum habt ihr es nicht woanders hingelegt, verdammt noch mal!« Wir waren an dem Abend im Kaiser Auditorium mit dem Soundcheck spät dran. Und bei der ersten Show ist die Stimmung immer sehr angespannt und zudem hatten wir neue
Typen in der Crew. Und dieser Manager stürmte an das Pult unseres Tonmannes, als der gerade mit dem Schlagzeug fertig war: »Ihr Typen müsst jetzt von der Bühne. In meinem Vertrag steht, dass meine Band jetzt ihren Soundcheck hat.« Dave, unser Tonmann, drehte sich zu ihm um und starrte ihn an. »Wie bitte?« »Sag deinen Leuten, dass sie von der Bühne müssen.« Dave zog den Gummiknüppel hervor, den er hinter dem Mischpult aufbewahrte. »Wenn du nicht gehst, werde ich dir hiermit gehörig zwischen die Augen schlagen.« Also ging der Typ und schrie und schimpfte backstage. Inzwischen kam Megadeths Frontmann, Dave Mustaine, zu uns, um sich zu entschuldigen, und brach in unserer Garderobe zusammen! Der arme Dave hatte es zu der Zeit ein bisschen übertrieben – inzwischen ist er clean. Und der verdammte Manager schlich draußen herum und ahnte nicht mal, dass sein Star möglicherweise auf unserer Couch starb! Aber um der Band gegenüber fair zu bleiben – obwohl wir sie am nächsten Tag wegen all dem Scheiß mit dem Manager aus dem Tourprogramm warfen – es war wirklich nicht ihre Schuld. Es war der Manager. Eigentlich hätten wir nur ihn aus der Tour werfen sollen. Jahre später, bei der NAAM-Show, kam Dave Mustaine zu mir und entschuldigte sich dafür bei mir. Das war wirklich anständig von ihm, denn das musste er nicht. Mustaine ist ein schlauer Mann – er hat Sommersprossen –, aber er ist ein schlauer Mann. Insgesamt gesehen war es nicht unsere glorreichste Tour durch die USA. In New Orleans spuckte das Publikum mich an (Punks, verstehen Sie!) und ich warnte sie, dass ich gehen würde, wenn sie nicht aufhörten. Und sie hörten nicht auf, also ging ich, und es gab einen Krawall mit Feuerwehrschläuchen und allem möglichen Scheiß. Dann zerstörte Graham, seit
Jahren mein Roadie, in Aurora, Illinois, meinen Lieblingsbass – er klang super und ich spielte von dem Moment an, als ich ihn bekam, bis er ihn kaputtmachte, keinen anderen. Er machte es nicht absichtlich, aber er kam zu mir, die beiden Teile um seinen Hals gehängt, und lachte. Der Bass war noch zu reparieren, nachdem er ihn kaputtgemacht hatte, aber in einem Anfall von Groll nahm er ihn mit auf den Parkplatz und schlug ihn in tausend Stücke. Ich feuerte ihn. Während der kurzen Pausen zwischen all diesen Touren hatte ich alle möglichen Gastauftritte. Ich spielte einen Banditen (ich bin auf bestimmte Rollen festgelegt, oder was denken Sie?) in dem Video zu dem Song »I Wanna Be A Cowboy« der Band Boys Don’t Cry. Ich sang beim Reading Festival »Silver Machine« mit Hawkwind und ich spielte zu Ehren von Boss Goodman Dingwalls. Boss war erst Roadie, dann Manager der Pink Fairies und später betrieb er das Dingwalls. Er war einer von diesen einflussreichen Typen. Ein netter Kerl, und dieser Gig war als Abschiedsgeschenk gedacht, da er sich zur Ruhe setzen wollte, was er auch tatsächlich tat – ich habe ihn seitdem jedenfalls nicht mehr gesehen. Also spielten Wurzel und ich ein paar Nummern mit Rat Scabies von The Damned und Mick Green von den Pirates. Larry Wallis sollte eigentlich auch mit uns spielen, aber er spielte noch bei zwei anderen Bands an jenem Abend (inklusive seiner eigenen, den Love Pirates of Doom) und er weigerte sich, mit uns zu proben. Er nervte so sehr, dass Mick Green ihm schließlich sagte: »Hör zu, Larry, wir schaffen das auch so, verstehst du, was ich meine? Trotzdem danke.« Wir brauchten Larry ohnehin nicht – Mick ist ein großartiger Gitarrist und wir spielten eine tolle Show. Und inmitten all dieser Veranstaltungen machten Motörhead auch noch Aufnahmen für die Peel Sessions und ich tauchte kurz in einem Video von Doctor and the Medics auf. Die Verkaufszahlen von Orgasmatron mögen
enttäuschend gewesen sein, aber über mangelnde Aufmerksamkeit und Präsenz konnten wir uns 1986 nun wirklich nicht beklagen! Anfang ‘87 hatte ich einen Gastauftritt in dem Film Eat the Rich und Motörhead steuerten den Soundtrack bei – hauptsächlich Stücke von Orgasmatron und das Titelstück. Der Film war von den Leuten von Comic Strip, die auch für die Fernsehsendung The Young Ones und einige andere Projekte verantwortlich waren. Eine ihrer früheren Sendungen, Bad News, handelte von einer erfundenen Heavy-Metal-Band – ein bisschen wie Spinal Tap, aber tatsächlich besser, und ich muss es wissen. Bad News, die Band aus der Sendung, hatte für uns in Donnington eröffnet, und wir unterhielten uns alle bei dem Gig. Schließlich rief mich Peter Richardson, der Regisseur des Filmes, an und fragte, ob ich in einem Film mitspielen wollte. So einfach bekam ich den Part. Um ehrlich zu sein, schauspielern ist nicht mein Ding. Es ist todlangweilig. Sie sagen dir, dass du um vier Uhr morgens am Set auftauchen sollst, und um drei Uhr nachmittags sagen sie dir dann, dass sie dich nicht brauchen. Es ist also im Wesentlichen nichts anderes, als den ganzen Tag mit einem Haufen verdammter Schauspieler zu warten. Eat the Rich war aber nicht so schlimm. Ich verbrachte eine Menge Zeit damit, mit Nosher Powell, der die Hauptrolle als Innenminister spielte, zu trinken. Er hat heute einen Club im Süden Londons, der von Ganoven und Gangstern jeglicher Coleur besucht wird. Mein Charakter hieß Spider, und ich sollte für einen sowjetischen Doppelagenten, Captain Fortune, arbeiten. Den verkörperte Ronald Allen, der schon bei A Night to Remember mitspielte, dem Titanic-Film aus den Fünfzigern. Ich will hier nicht zu viel über die Handlung von Eat the Rich erzählen. Es ist eine schwarze Komödie über Kannibalismus in einem Nobel-Restaurant – mit vielen politischen Untertönen. Und
eine Menge Leute gaben sich die Ehre in Eat the Rich – Paul und Linda McCartney, Bill Wyman, Koo Stark, Angela Bowie (nicht dass sie jemand Besonderes wäre – ihr Anspruch auf Ruhm beschränkt sich darauf, dass sie mit David Bowie verheiratet war). Es ist wirklich ein sehr englischer Film, den viele Amerikaner nicht verstehen. Ich aber halte ihn für sehr gelungen. Meine Rolle war keine schauspielerische Meisterleistung, denn ich spielte einfach mich selbst – ich trug sogar meine eigenen Klamotten. Die Anweisungen, die der Regisseur mir gab, bestanden eigentlich nur aus: »Geh hier rüber und sag dies.« Wenn Sie sich das Video zufällig ausleihen, sehen Sie sich die Szene, in der ich ein Motorrad fahre, genau an – das bin ich gar nicht. Denn die Szene wurde gedreht, als ich mit Motörhead in Amerika auf Tour war. Aber ich hatte ihnen ein paar meiner Klamotten dagelassen. Ich wurde von einem Mädchen gedoubelt… einem großen Mädchen. Nicht schlecht, oder? Als begieriger Anhänger des Trivialwissens haben Sie jetzt wieder etwas gelernt! Der Regisseur hatte schließlich alle Mitglieder von Motörhead im Film: Wir mussten die Band in der Szene im Ballsaal ersetzen. Es war eine nachträgliche Idee, die dem Regisseur nach der Hälfte der Dreharbeiten kam. Wenn Sie sich die Szene sehr genau ansehen, werden Sie bemerken, dass die Band sich die ganze Zeit verändert. Anfangs ist keiner von uns dabei, dann spiele ich mit und der Rest der Band sind normale Typen, dann erscheint Phil, und schließlich erscheinen Wurzel und Phil Taylor (ich hatte Pete Gill gerade an jenem Morgen gefeuert und Philthy raste sehr schnell in seinem Auto an, um die Szene zu spielen). So viel zu Anschlussszenen im Film! Die Entlassung von Pete Gill hatte sich schon seit längerer Zeit abgezeichnet. Pete war sich selbst sein ärgster Feind. Er
war einer von vielen, die sich nicht damit zufrieden geben können, einfach in der Band zu sein. Er stellte sich bei einigen Entscheidungen gegen mich, und er regte auch Phil und Wurzel auf. Ich hatte sein Gejammere satt, also war es der sprichwörtliche letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, als er uns warten ließ, während er zwanzig Minuten im Foyer seines Hotels herumhing und die Zeitung las oder was weiß ich machte. Ich weiß, das hört sich belanglos an, aber die meisten Streitigkeiten in einer Familie sind das, oder? Und eine Band ist eine Familie. Ich ließ ihn noch für ein paar Monate bleiben, aber es war nicht mehr das Gleiche. Ich meine: genug ist genug. Ich wusste schon, dass Phil Taylor zurückkommen wollte. Er hatte mit Frankie Miller und Brian Robertson gespielt, aber es klappte nicht sehr gut. Einmal flog Motörhead von einer Tour in den Staaten zurück nach Hause und Frankie Miller, Philthy und Robbo waren in dem gleichen Flugzeug. Das war schon sehr seltsam, und dann fingen die drei auch noch während des Fluges an, sich zu streiten. Kurze Zeit später kam Phil vorbei und fragte, ob er seinen Job wiederhaben könnte, aber wir sagten ihm: »Im Augenblick haben wir Pete.« Da wussten wir noch nichts von all den Machenschaften, die folgen sollten. Ich bin verdammt noch mal zu ehrenhaft – Brian Downey von Thin Lizzy fragte ungefähr zur gleichen Zeit nach dem Job und ich lehnte ihn ab! Die Lage mit Pete spitzte sich also an dem Drehtag zu. Er trödelte eh die ganze Zeit herum und ständig mussten wir auf ihn warten. Es reichte mir einfach, denn ich bin ein Speedfreak, und wenn es etwas gibt, was ich auf den Tod nicht abkann, ist das Warten! An jenem Morgen wollten wir ihn und Phil Campbell im Hotel abholen. Phil kam sofort aus dem Hotel gesprungen, aber Pete war immer noch auf seinem Zimmer. Er war noch nicht einmal angezogen. Wir warteten schon mehr als eine halbe Stunde, bis er endlich kam. Aber er
verabschiedete sich erst noch in aller Ruhe von Leuten im Foyer! Wir sollten schon seit einer halben Ewigkeit beim Dreh sein und der Typ lässt sich alle Zeit der Welt! Ich hatte die Nase voll. Ich kurbelte das Autofenster runter und sagte: »Leck mich! Du bist gefeuert!« Und wir fuhren davon. Das war’s. Das Letzte was ich von Pete hörte, war, dass er mit einer alternativen Version von Saxon tourte. Es waren drei ursprüngliche Mitglieder der Band dabei, die alle gefeuert wurden. Sie nannten sich Son of a Bitch. Das war Saxons anfänglicher Name. Phil Taylor kehrte nach Petes Abgang wieder zu uns zurück. Zurückblickend war es ein Fehler. Aber hinterher ist man immer schlauer, oder? Es klappte eine Zeit lang, aber es war nicht das Gleiche. Ich hätte es wissen sollen. Im Juni waren wir wieder im Studio und nahmen ein neues Album auf: Rock’n’Roll. Rock’n’Roll ist ein ganz ordentliches Album, aber keines unserer besten. Es gab Probleme im Studio – nichts wirklich Katastrophales, aber eine Reihe kleiner Ärgernisse. Unser größter Fehler war, Guy Bidmead als Produzenten für das Album auszuwählen. Er war eigentlich ein Tontechniker, also produzierten wir es quasi selbst. Guy hatte ein bisschen mit Vic Maile gearbeitet, der bei unseren beiden erfolgreichsten Alben mitgeholfen hatte, und war Tontechniker bei den NoRemorse-Sessions. Aber die Chemie stimmte irgendwie nicht. Es war nicht wirklich Guys Schuld – es lag auch an uns. Wir hatten das Sagen, und wer gerade am nächsten neben dem Pult saß, war im Allgemeinen der Lauteste! Es gab einige Verwirrung, als wir das Album aufnahmen. Und Wurzel ging es privat nicht so gut. Seine Alte kam ständig ins Studio und jagte ihn herum und brach Familienstreitigkeiten vom Zaun, während wir eigentlich an dem Album arbeiten sollten. Das hat die Arbeit nicht gerade erleichtert. Wie sich eine Platte
entwickelt, hängt oftmals davon ab, was die Bandmitglieder durchmachen, während sie im Studio sind. Wenn ein Typ zu Hause schikaniert wird oder Geldsorgen hat oder so etwas, beeinträchtigt das seine Leistung. Denn er ist mit seinen Gedanken hundertprozentig woanders. Darüber hinaus hatten wir nicht genug Zeit, die Songs ordentlich zu spielen, und wenn das passiert, verschwendet man eigentlich seine Zeit. Aber wir hatten neben den Scherereien auch eine Menge Spaß bei den Aufnahmen. Eines der Studios, in dem wir Rock and Roll aufnahmen, gehörte Michael Palin. Wir stellten fest, dass der Tontechniker an allen Platten von Monty Python mitgearbeitet hatte. Er spielte uns einige großartige Outtakes vor, die Python niemals veröffentlichten. Wir baten auch Michael Palin vorbeizukommen und etwas vorzutragen, das wir auf das Album nehmen wollten. Er tauchte in einem perfekten Cricketspieler-Outfit aus den Vierzigern auf – gestreifter Blazer, Knickerbocker, die verdammten weißen Turnschuhe, ein Pullover mit V-Ausschnitt, sein Haar komplett auf eine Seite rübergekämmt. Eine wahnsinnige Erscheinung. Er spazierte herein: »Hallo, was genau machen wir denn jetzt?« »Also, wissen Sie, in Der Sinn des Lebens gibt es diese Rede, die mit ›Oh Lord‹ anfängt.« »Ah. Ich brauche ein bisschen Kathedrale.« Und dann legte er los. Es war großartig. Obwohl wir bessere Platten gemacht haben, sowohl vorher als auch danach, hatte auch Rock’n’Roll einige tolle Songs wie »Dogs« und »Boogieman«. Wir spielten »Traitor« jahrelang. Und Michael Palins »Oh Lord, look down upon these people from Motörhead«-Rede am Ende ist ein Klassiker. Aber insgesamt schien die Platte einfach nicht zu funktionieren. Trotzdem, es ist kein schlechtes Album. Wir haben übrigens nie ein schlechtes Album gemacht.
Mit einem neuen Album im Kasten gab es jedenfalls den üblichen Promotion-Kram. MTV Europe veranstaltete einen »International Lemmy Day«, wobei ich mich, ehrlich gesagt, an gar nichts davon erinnere. Und natürlich verbrachten wir den Rest des Jahres damit, durch England und dann Europa zu touren. Eigentlich sollten wir 1988 damit beginnen, mit Alice Cooper durch die USA zu touren, aber wir verpassten einen Monat davon, weil die verdammte amerikanische Einwanderungsbehörde so lange brauchte, um uns unsere Arbeitserlaubnis auszustellen. Es war einfach ein Haufen bürokratische Scheiße. Ich meine, wir bringen hartes Geld ins Land und sie geben einen Scheiß darauf! Lieber gewähren sie allen illegalen Einwanderern Amnestie. Tatsächlich verpasste ich das um ein Jahr – ich hatte seit sechs Monaten in den Staaten gelebt, als sie die Amnestie 1991 gewährten. Hätte ich das damals gewusst, hätte ich über meine Arbeitserlaubnis hinaus dort bleiben und dann Amnestie und eine Greencard erhalten können. Ich kann keine Greencard bekommen, weil ich 1971 wegen zwei Schlaftabletten hochgenommen wurde, da müssen sie natürlich auf der Hut sein – gefährlicher Drogensüchtiger, nicht wahr? Jedenfalls war die Tour mit Alice Cooper sehr nervig. Es war nicht Alices Schuld – er hatte keine Ahnung, was wir mit seinem Tourmanager durchmachen mussten. Der Kerl war ein totales Arschloch, ein richtiger Dreckswichser. Er machte es uns in allem richtig schwer – da er für den Spitzenstar arbeitete, musste jemand anders leiden und schlecht neben ihm dastehen. Wir konnten dies nicht tun, wir konnten das nicht tun – verdammte, arrogante Scheißkerle –, für wie wichtig halten die sich eigentlich? Es ist nur eine Band, nicht das Parlament – nicht, dass das sonderlich wichtig wäre. Schließlich nahm uns dieser Idiot noch unsere »all access«-Ausweise weg und gab uns Ausweise, mit denen wir nur so lange in den Backstage-
Bereich durften, bis wir spielten. Nach unserem Gig hatten wir keinen Zutritt mehr. Natürlich konnten wir diese Scheiße nicht hinnehmen, also ging ich zu allen Crew-Mitgliedern: »Gebt mir die verdammten Ausweise.« Dann ging ich direkt ins Büro des Veranstalters und warf sie hin: »Bitte sehr! Wir hauen ab!« Und als ich ging, kam Toby, Alices Buchführer – der im Gegensatz zu dem Arschloch über ein Gehirn verfügte –, und sprach mit uns und gab uns unsere Ausweise zurück. Toby arbeitet immer noch für Alice, der andere Kerl nicht mehr. Muss ich mehr sagen? Ich unterhielt mich Jahre später mit Alice. Er hatte keine Ahnung, dass seine Leute in seinem Namen Dinge taten, die ihn wie ein Arschloch dastehen ließen. Und das ist er definitiv nicht! Na ja, seine Fixierung auf Golf habe ich bis heute nicht verstanden. Ich meine, was soll das? Du schlägst einen Ball mit einem Schläger und dann gehst du hinterher und schlägst ihn wieder! Ich sage, wenn du ihn schlägst und dann findest, hast du verdammtes Glück gehabt, Kumpel! Steck ihn in deine Tasche und geh nach Hause. Wir hatten unsere ganz eigenen Hobbys. Phil Campbell machte eine von Alices Tänzerinnen klar. Das werde ich ihm nie verzeihen, denn sie war so wunderschön. Gail war ein tolles Mädchen, und wir treffen sie immer noch, wenn wir durch Chicago kommen. Und eine Show von Alice Cooper zu sehen, ist beeindruckend. Ich bin ein großer Fan von Alice. Ich erinnere mich, wie wir zu einem Gig in St. John’s, Neufundland, fuhren. Wir mussten all unseren Kram auf eine Fähre laden und es war eiskalt – eine verdammte, beißende Kälte, und im Wasser schwammen Eisberge. Mitten in der Nacht kamen wir aus der Kabine, um etwas aus dem Bus zu holen, und ich rutschte das ganze Deck entlang bis zur Reling und ging beinahe über Bord ins verdammte Meer. Die Geschichte der Titanic hat mich seit Jahren fasziniert (schon lange vor dem Film und dem ganzen Wirbel) und ich dachte
die ganze Zeit »so war es, als die Titanic unterging«, denn wir waren in den gleichen Breiten. Tatsächlich war unser nächster Auftritt in Halifax, Nova Scotia, wohin sie damals die Leichen brachten. Stellen Sie sich vor, freiwillig in dieses Wasser zu springen! Der Schock, wenn man auf das Wasser traf, muss einen einfach erledigt haben. Also schrieb ich an die Metallwand neben der Reling, an der ich landete: »Erinnere dich, und sei dankbar, dass du am 14. April 1912 nicht auf der Titanic warst.« Einen großen Teil des Jahres 1988 waren wir unterwegs. Wir waren quasi auf der Straße zu Hause und das sind wir auch heute noch. Es ist schon komisch – der Stoffwechsel, den man auf Tour braucht, gleicht nichts, auf das ein Arzt je getroffen ist. Wir sind deformiert. Nicht sehr, nur leicht deformiert… ich muss mich korrigieren – wir sind stark deformiert! Die körperlichen Anforderungen auf Tour sind einzigartig (wir taugen sonst für nichts). Man muss jeden Abend auf die Bühne und innerhalb von Minuten energiegeladen sein, andernfalls werden alle sterben! Sie werden nach Hause gehen und sich erschießen, weil man an dem Abend nicht auf die Bühne ging. Wir sind in allen möglichen Zuständen auf die Bühne gegangen. Einmal, in Paris, im April 1988, brach sich Phil Campbell den Knöchel – er stritt sich mit Phil Taylor und sie stürzten unter einen Tisch und nur einer von ihnen stand wieder auf. Die Gigs, welche danach anstanden, spielte er im Gips. Und ich habe Sie schon über Philthys verschiedene Gesundheitszustände (sowohl körperlich als auch geistig) aufgeklärt. Wir haben hier und da mal einen Gig aufgrund von Verletzungen und Krankheit verpasst, aber das ist sehr, sehr selten geschehen. Ich kann mir kein anderes Leben als das in einer Rockband, die überall auf der Welt spielt, vorstellen. In zwei Jahren waren wir jeweils einen Monat zu Hause.
Gelegentlich, während der kurzen Zeiträume, in denen wir zu Hause waren, wohnten wir einem wirklich riesigen Ereignis bei. In jenem Frühjahr sahen wir, wie die Rolling Stones einen Überraschungs-Gig im 100 Club, einem alten Jazzclub in der Oxford Street, spielten. Ein außerordentlich netter Abend. Jeder – Jeff Beck, Eric Clapton und ihresgleichen – tauchte mit seiner Gitarre auf, um zu jammen, also war es offenbar keine so große Überraschung. Die wirkliche Überraschung war Wurzel. Ich glaube, er überraschte sogar sich selbst! Wir besuchten die After-Show-Party in Keiths Suite im Savoy, weil einer unserer Freunde, Simon Sesler, einen Onkel hatte, der für Keith arbeitete. Aber Wurzel hatte diesen Abend des Schreckens im 100 Club schon damit begonnen, dass er Bill Wyman zu Boden warf! Er raste die Treppen runter und Wyman war zufällig in seinem Weg. Wir schafften es, ohne weitere Zwischenfälle bei der Party anzukommen, aber es sollten noch einige folgen. Eine Zeit lang saßen wir da und unterhielten uns mit Simon, als Kirsty MacColl mit ihrem neuen Ehemann, Produzent Steve Lillywhite, vorbeikam. Kirsty war eine gute alte Freundin von mir – ich hatte in einem ihrer Videos mitgespielt –, also umarmte ich sie. Wurzel drehte sich zu Steve Lillywhite um und fragte: »Wer ist das alte Suppenhuhn, das Lemmy da im Arm hat?« »Das ist meine Frau.« »Ah, könnte ich bitte noch etwas Kaffee haben?« Eine halbe Stunde später stand Wurzel neben Ronnie Wood an der Bar, als Jo Howard, Rons wunderhübsche Frau, vorbeiging. Alles war in Bewegung, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und Wurzel grinste anzüglich. »Die würd’ ich gerne ficken, und du?« »Das tu ich. Sie ist meine Frau.« Wenn Wurzel ins Fettnäpfchen trat, dann mit Anlauf und mit beiden Beinen! Zum Glück war es nicht ansteckend, denn ich
stand so herum, als ich plötzlich eine Stimme hinter mir hörte: »Hallo, Lemmy. Ich wollte dich schon immer mal treffen.« Ich drehte mich um und es war Eric Clapton. Ich erinnerte mich noch gut an ihn, als er noch bei den Bluesbreakers und den Yardbirds spielte. Ich schaffte es tatsächlich, einigermaßen lässig Hallo zu sagen – es war immerhin Eric Clapton, der mich angesprochen hatte! In dem Jahr schrieb ich einige Songs für andere Leute. Wir probten in der gleichen Gegend wie Girlschool, und wir gingen alle zusammen in einen Pub, und dort schrieb ich »Head Over Heels« für sie. Ich kritzelte den Song einfach auf die Rückseite eines Bierdeckels. Für Lita Ford schrieb ich »Can’t Catch Me«, der auf ihrer erfolgreichsten Platte Lita erschien. Wir waren gerade in L. A. im Park-Sunset-Hotel, als Lisa vorbeischaute und mich nach Songs fragte. Wieder mal schrieb ich ihn gleich da und gab ihn ihr. Ich kannte Lita seit 1975, als sie bei den Runaways war – bei ihrem ersten Gig in London trug Joan Jett meinen Patronengurt. Aber Lita war das Beste an der Band: Sie hatte tolle Titten und spielte sehr gut Gitarre. Joan sah gemeiner aus – wahrscheinlich weil sie es war! Lita nahm ein großartiges Soloalbum auf. Aber ich glaube, sie ließ den Leuten, die sie um sich hatte, ein zu großes Mitspracherecht bei ihrer Karriere – als Erstes war sie zu sehr verkleidet, und es sah so aus, als würde sie zu sehr gedrängt, zu versuchen, das »nächste große Ding« zu werden. Doch es funktionierte einfach nicht. Sie war eine richtige Rock’n’Rollerin, nicht die Hochglanzmieze, die sie aus ihr machen wollten. Dann starb ihre Mutter und sie war ziemlich niedergeschlagen. Vor ein paar Jahren habe ich sie bei einer Musik-Convention in L. A. wieder gesehen, wo wir in einer Diskussionsrunde auftreten sollten. Aber sie war sehr kurz angebunden – nur »Hi, Lem«, einmal schnell gedrückt und
weg war sie. Schade. Also, Miss Ford, rufen Sie mich an – dann können wir reden! In den Achtzigern ging es sehr vielen Musikern nicht sehr gut, und das wird einem klar, wenn man sich The Decline of Western Civilization, Part II: The Metal Years ansieht. Wo sind all diese Leute jetzt? Der Film war sicherlich einer der Hauptgründe, warum ihre Karrieren im Nirgendwo endeten. Denn er stellte alle, die Heavy Metal mochten, als Schwachköpfe da. Ich wurde auch gefilmt und ich schnitt noch ganz gut dabei ab, aber das hatte ich nicht der Regisseurin, Penelope Spheeris, zu verdanken. Sie nahm mich mit zum Mullholland Boulevard in den Hollywood Hills, und das Kamerateam war etwa zwanzig Meter von mir entfernt. Penelope musste mir ihre Fragen zurufen. »Kannst du etwas näher kommen, um mir die Fragen zu stellen?« »Ich will nicht im Bild sein.« »Du brauchst ja nicht im Bild zu sein!« »Näh, ich werde sie von hier aus lesen.« Verdammte Idioten – sie hätten etwas dichter herankommen können, ein anderes Objektiv benutzen oder so, aber nein! Es war ohnehin ein dummer Film. Alle sagen immer, dass ich das Beste darin bin, und ich kann dann nur antworten: »Der einzige Grund, warum ich so gut bin, ist, weil alle anderen so beschissen sind!« Es folgten eine Reihe weiterer, seltsamer Auftritte. So wurde ich im Radio von einem Fernsehpsychiater interviewt – der Kerl brachte eine Menge Leute in seiner Sendung zum Weinen (ich glaube, sie hieß Room 13), aber nicht mich, wie Sie sich sicher vorstellen können. Ich war auch in einer Sendung mit dem Joan-Collins-Fanclub, der nur aus einem Typen, Julian Clary, bestand, der heute unter seinem eigenen Namen berühmt ist. Er ist schwul, also war er, was Joan Collins
anging, sowohl das Biest als auch der Hengst, schätze ich. Er war in Ordnung – sehr gehässig und übertrieben sarkastisch, und ich liebe diese Art von Humor. Ich glaube, dass Julian als ein moderner Noel Coward enden wird. Wir beide im Fernsehen gaben ein seltsames Paar ab. Vor ein paar Jahren machte ich – zusammen mit vielen anderen Heavy-RockKünstlern – ein Video für Pat Boone. Boone hatte gerade ein Album mit Coverversionen von Metalsongs aufgenommen. Eine weit weniger seltsame Paarung, auch wenn Ihnen das vielleicht seltsam vorkommt. Aber ich hielt ihn seinerzeit für einen ausgezeichneten Künstler. 1988 nahmen wir auch ein weiteres Live-Album auf: No Sleep At All. Es wurde im Juli auf dem Giants of Rock Festival in Hameenlinna, Finnland, aufgenommen. Aber es war ein Fehler – obwohl wir dachten der Zeitpunkt wäre günstig, schließlich waren wir in dieser Besetzung eingespielt –, denn es verkaufte sich sehr schlecht. Die Platte selbst ist in Ordnung. Sie hätte ohne Zweifel besser sein können, aber wir ließen sie von Guy Bidmead abmischen, weil wir ihm eine weitere Chance geben wollten, hauptsächlich, weil er Vic Mailes Junge war und Vic ein toller Live-Mischer war. Danach sahen wir endlich ein, dass Guy einfach nicht Vic Maile war. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, nach allem, was ich über Guy gesagt habe. Aber Guy war einfach zu nett, denn er machte, was wir wollten. Vic wusste, wann er uns sagen musste, dass wir verdammt noch mal die Schnauze halten sollten! Natürlich brachen wir nach No Sleep At All zu einer weiteren Tour auf – nichts Neues! Als wir durch die Staaten tourten, eröffneten wir für Slayer. Tom Araya ist ein wirklich netter Kerl – schließlich spielt er Bass und singt, wie ich – aber was Slayers Ansichten von Blut und Schrecken betrifft, bin ich mir nicht so sicher. Sie sind sich nicht bewusst, was sie eigentlich
machen. So sagte Tom zum Beispiel während der Show etwas wie: »Wollt ihr Blut sehen?« Eines Tages sagte ich zu ihm: »Das solltest du besser nicht sagen, Tommy. Irgendwann geht das nach hinten los.« Aber er bestand darauf: »Oh, diese Leute sind meine Leute, Mann. Ich verstehe sie und sie verstehen mich.« Dann, am nächsten Abend, fragte er in Austin, Texas, wieder: »Wollt ihr Blut sehen?« – und ein Stuhl flog an seinem Kopf vorbei. Er verfehlte ihn nur um ein paar Zentimeter. Tom rastete total aus! Er schnappte sich das Mikro und hielt dem Publikum eine verdammte Predigt. Er war außer sich vor Wut, und als er von der Bühne kam, fragte ich ihn beiläufig: »Aha, deine Leute, hä?« Die Tour machte mir sehr viel Spaß. Am letzten Abend ging ich während Slayers Set auf die Bühne, stellte mich hinter Gitarrist Jeff Hanneman und stand einfach nur da – als Adolf Hitler verkleidet. Anfang 1989 machten wir eine kleine Pause, während der Phil Campbell nach Deutschland flog, um dort ein paar Tracks für eine Schweizer Band namens Drifter aufzunehmen. Nach einer England-Tour machten wir uns das erste Mal auf den Weg nach Südamerika. Wir hatten noch nie so etwas wie Brasilien gesehen. Auf der einen Seite hast du den Strand der Copacabana mit gebräunten Millionären und ihren Freundinnen, und nur 200 Meter entfernt leben Menschen in Kartons. Es gibt riesige Einkaufszentren mit allem, was man sich nur wünschen kann, und nebenan, buchstäblich am Rande des Parkplatzes, beginnt ein Slum aus Kartons. Und die USA bewegen sich in die gleiche Richtung – leider. Manchmal kommt mir Großbritannien wie ein Dritte-Welt-Land vor, was aber die Obdachlosenzahlen betrifft, sind die USA schon lange eines. Kann mir jemand sagen, warum in dem reichsten Land der Welt Penner auf der Straße leben? Jedenfalls spielten wir vier Gigs in Brasilien – zwei in Sao Paolo und jeweils einen in Porto Alegre und Rio. Der
Veranstaltungsort in Rio war unterirdisch – ein unglaublich heißer Betonbunker. In den riesigen Fußballstadien spielten wir erst später. Unser erster Abstecher nach Brasilien war nicht so sehr von Erfolg gekrönt. Wir kamen mit Koffern voll wertlosem Geld nach Hause – es war wie in Deutschland zur Zeit der Weimarer Republik. Unsere Tour führte uns schließlich nach Jugoslawien. Dort unternahm Phil Campbell einen von mehreren Versuchen, Motörhead zu verlassen – eine Zeit lang schien es, als stiege er jeden zweiten Tag aus. Ich weiß nicht, was zu der Zeit in ihm vorging – es schien, als hätte er einen Nervenzusammenbruch oder so. Jedenfalls fuhren wir durch die Berge in Kroatien. Es war am Arsch der Welt – alles, was sie dort oben haben, sind Schafe, Ziegen, Felsen und vereinzelte Hirten – und es war mitten in der Nacht, und Phil hatte Streit mit jemandem. Ich habe vergessen, was das Problem war, aber er rannte im Bus auf und ab, packte seine Taschen und rief: »Haltet diesen Bus an!« Dem jugoslawischen Busfahrer war es egal. Er hielt an und öffnete die Tür. Phil stieg mit seinen zwei Koffern aus dem Bus und stand im Tiefschnee. Draußen tobte ein verdammter Schneesturm. Neben ihm war eine Schneewehe und unten im Tal, meilenweit von uns entfernt, brannte ein einziges Licht, das aber nach wenigen Sekunden erlosch. Phils Gesichtsausdruck war herrlich – ich muss nicht extra erwähnen, dass er an diesem Abend Motörhead nicht verlassen hat. Doch er versuchte es weiter. Auf dem Weg nach Berlin ging er zum Busfahrer: »Bringen Sie mich zum Flughafen.« »Dieser Bus fährt zum Gig«, sagte ich. »Ich miete den Bus genauso wie du, und ich will zum Flughafen!« »Er wird von der Band bezahlt und der Bandbus fährt zum Gig. Wenn du also zum Flughafen willst, dann steig aus und besorg dir ein verdammtes Taxi, klar? Oder du kannst dir eins
vom Gig aus rufen, denn du kannst nicht mehr das Mobiltelefon der Band benutzen. Okay? Du bist jetzt kein Bandmitglied mehr, Phil!« Meine Ansage war laut und deutlich. Sie zeigte Wirkung. Er versuchte es noch einmal zu Beginn einer weiteren Deutschland-Tour. Wir waren gerade in Frankfurt angekommen, als er verkündete, dass er jetzt aussteige. Immerhin schaffte er es diesmal bis zum Flughafen. Doch er war zu spät – alle Maschinen waren schon weg. Er hat dann am Flughafen übernachtet. Am nächsten Morgen musste er feststellen, dass sein gesamtes Gepäck weg war – so hat er seine Lektion gelernt. Denn seitdem hat er nicht mehr versucht, die Band zu verlassen. Phil ist heute noch bei uns, und neben mir ist er am längsten bei Motörhead. Und mit Phil haben wir eine Menge Spaß. So manches Mal ist er vom Gig hinten in den Laster mit dem Equipment gelatscht, weil er ihn für den Bus hielt. Einmal stieg er in den Kasten für die Bässe, weil er ihn für seine Koje hielt. Irrsinnig komisch, der Phil. Er ist sozusagen unser Keith Moon. Übrigens ist er auch ein ausgezeichneter Gitarrist. Und ein Stier. Aber zurück zu den Auftritten in Jugoslawien: Wir spielten zwei in Ljubljana. Beim ersten fiel Wurzel von der Bühne. Es war auch nicht gerade die stabilste Bühne, die je gebaut wurde. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Am zweiten Abend warf irgendein Arschloch eine Rasierklinge auf die Bühne – der Kerl hatte sie sogar zwischen zwei Münzen geklebt, damit sie mehr Stoßkraft bekam – und sie schlitzte meine Hand auf. Anfangs bemerkte ich es gar nicht. Erst als ich auf der Bühne überall Rot sah, sah ich auf meine Hand, aus der das Blut nur so spritzte. Ich wickelte sie in einen Stofffetzen und wir spielten die Show zu Ende. Als ich nach der Show den Fetzen entfernte, spritzte Blut überall gegen die Wände. In einem proletarischen jugoslawischen Krankenhaus wurde die Wunde
genäht. Doch während der nächsten vier Tage verfärbte sich mein Arm langsam schwarz – eine Blutvergiftung. Wir hielten auf dem Weg nach Hause in Nürnberg, und ich ging dort zu einem Arzt. Ich war der Meinung, dass deutsche Ärzte was von ihrem Handwerk verstehen, aber dieser Kerl versaute es erst richtig. Ich hatte unseren Manager, Douglas, gebeten, mich nach Hause fliegen zu lassen, damit man sich um diese Schweinerei kümmern konnte. Aber er wollte das Ticket nicht bezahlen! Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre ich im Bus zurück nach England gefahren. Und wenn ich sage, mein Arm war schwarz, dann meine ich nicht blau – er war schwarz, mit einem bisschen Rot. Ich verlor fast meinen Daumen und einen Finger! Es war so schlimm, dass unser Tourmanager schließlich »Scheiß drauf« sagte und mich in ein Flugzeug setzte. In England war ich zwei Wochen im Krankenhaus, mit meinem Arm in einer Schlinge – alles wegen irgendeinem kleinen Scheißer, der es für ein intelligente Idee hielt, eine Rasierklinge auf eine Band zu werfen. Ich werde Ihnen sogar erzählen, wie intelligent der Kerl war. Nachdem er die Rasierklinge geworfen hatte, stand er da und rief: »Ich war es!« Natürlich ging unsere Crew in seine Richtung und rieb sich die Hände – »Oh wirklich? Ein ganz Heißer!« Sie prügelten die Scheiße aus ihm raus. Anschließend übernahm den Job die jugoslawische Polizei, und die weiß nun wirklich, wie man die Scheiße aus einem rausprügelt. Und ob Sie es glauben oder nicht, beim Verladen war er immer noch da und rief: »Komm schon, Mann.« Ein wirklich zäher Idiot. Ich werde es nie verstehen. Ich kann verstehen, dass er mich aus irgendeinem Grund hasste. Ich kann verstehen, wie er das Ganze plant und ausführt. Aber ich begreife nicht, dass er meinen Leuten zuruft: »Ich war es!« Ich frage mich, wo der Typ jetzt ist – wahrscheinlich amüsiert er sich prächtig, läuft
herum und tötet Frauen und Kinder. Wahrscheinlich ist er zu den Bullen gegangen. Jedenfalls liebte die Polizei mich an dem Abend, weil ich weiterspielte. Wenn ich vor den 6.000 Leuten aufgehört hätte, dann hätte es einen Aufstand gegeben. Es gab damals oft Krawalle, aber ich war jedenfalls ihr Held, weil ich die Show durchzog – zumindest in diesem Jahr. Ich schätze nicht, dass ich es jetzt noch bin. Denn als wir später noch einmal in Jugoslawien spielten, mussten wir die Show absagen. Ein Doppelschlag: Phil Campbell und Phil Taylor landeten beide im Krankenhaus. Ich erinnere mich, wie ich auf Wurzels Hotelzimmer ging. »Der Gig fällt aus, Wurz.« »Warum?« »Schlagzeuger und Gitarrist können nicht spielen. Sie sind im Krankenhaus.« »Sind sie überfahren worden?« »In gewisser Weise, ja.« Die beiden wurden von »braunem Speed« umgehauen –also, es war überhaupt kein Speed. Braunes Speed? Ich fragte Phil Campell: »Habt ihr denn nicht nachgedacht?« »Nein.« Sie hätten es beide besser wissen müssen. Speed ist nicht braun! Aber nein – sie wurden am Ende aneinander vorbei durch den Krankenhauskorridor getragen. Was dachten sie sich nur? Das war beinahe so dumm, wie der Typ, der »Ich war es« rief. Im Juni feierte unser Fanclub sein zehnjähriges Bestehen und schmiss eine Party im Hippodrome. Dort traf ich Wendy – Naughty Wendy von Redcar. Ich ging in dem Theater um eine Ecke und da war diese Mieze mit diesen phantastischen Augen. Sie war einfach unglaublich. Ich erinnere mich danach an nichts mehr von der Party – ich war mit Wendy zusammen. Sie war ein tolles Mädchen, hat mich auf vielerlei Weise
gestützt. Ich traf sie vor nicht allzu langer Zeit, als ich in England war, und es war nett, sie wieder zu sehen. Ich hatte sie acht oder neun Jahre nicht gesehen – zum Glück hatte sie sich nicht in eine sabbernde Hexe verwandelt. Manche tun das, wissen Sie! Das Hippodrome ist ein großer Veranstaltungsort in London! Im neunzehnten Jahrhundert war es für seine Tanzbären berühmt, aber 1985 waren wir alles, was sie kriegen konnten! Ich ging dort immer zur »Heavy Metal Night« und versuchte, bei all den Mädchen zu landen, die kamen, um sich die gut aussehenden Bands anzusehen! Man weiß ja nie! Eines Abends erlebte ich mein blaues Wunder, als ich am Ende zusammen mit Jon Bon Jovi, Richie Sambora, und Dave »Snake« Sabo, Rachel Bolan und Sebastian Bach von Skid Row auf der Bühne landete. Wir spielten Creedence Clearwaters »Travelin’ Band« und »Rock’n’Roll« von Led Zeppelin. Wenn wir alle tot sind, könnte es sogar auf dem »Lemmy Goes to the Pub«Label erscheinen! Später in dem Sommer trat ich bei dieser furchtbaren Fernsehsendung namens Club X auf. Es ging nur um schwarze Lederjacken, und ich schrieb einen Song dafür. Und haben Sie den Titel schon erraten? Genau. Er hieß Black Leather Jacket. Wir machten auf die Schnelle eine Aufnahme von dem Song, die in der Sendung als Playback benutzt werden sollte. Auf dem Band spielte ich Bass, aber vor der Kamera spielte ich Klavier. Der Saxophonspieler, den wir dabei hatten, hatte drei Spuren aufgenommen, also brachte er zwei Freunde mit, damit sie so taten, als würden sie die anderen Teile spielen. Phil Campbell spielte Gitarre und Philthy Schlagzeug und Fast Eddie spielte meinen Bass, der am Abend der Aufzeichnung gestohlen wurde. Bis heute habe ich das Schwein nicht erwischt, obwohl es einige Hauptverdächtige gab. Gibt es die nicht immer?
Ich spielte irgendwann zu dieser Zeit auch auf einer Platte von Nina Hagen. Nina hatte ich auf einem Festival getroffen. Sie ist eine verrückte Frau, einfach toll – und außerdem ist sie auch noch sehr hübsch. Jedenfalls fragte sie mich, ob ich auf ihrer Platte spielen würde, und da ich an dem Tag sowieso nichts anderes vorhatte, sagte ich ja. Ich habe an den Alben vieler verschiedener Leute mitgewirkt – ich habe etwas freie Zeit, also warum nicht? Mit Motörhead verbrachten wir auch Zeit im Studio, um Songs für eine neue Platte auszuarbeiten. Im Studio sah ich wie Wurzel auf allen vieren seinen Hund mit einem Löffel fütterte. »Was machst du da, Wurz?« »Sie ist verstört. Sie denkt, ich verlasse sie.« »Warum sollte sie das denken?« »Sie hat gesehen, wie ich meine Tasche packe.« »Wurzel, Hunde kennen das Konzept eines Koffers nicht. Sie wissen nichts davon, dass man Kleidung für Reisen einpackt. Hunde tragen keine Kleidung!« »Also, sie glaubt, dass ich weggehe.« Man konnte nicht mit ihm reden. Er nannte sie Toots, weil sie einen weißen Strich auf ihrer Nase hatte, und sie brachte Wurzel bei, Stöckchen zu holen. Er ging mit dem Hund raus und wir beobachteten sie. Er warf einen Stock und der Hund sah ihn an, bis er schließlich ging, den Stock holte und ihn abermals warf. Eigentlich war der Hund ziemlich clever. Jedenfalls, wenn wir nicht gerade zusahen, wie Toots Wurzel Tricks beibrachte, nahmen wir Demos von »No Voices in the Sky«, »Goin’ to Brazil« und »Shut You Down« auf, die schließlich alle auf 1916 landeten. Zu diesem Zeitpunkt war uns allerdings klar, dass ein neues Album auf keinen Fall mehr bei GWR erscheinen würde. Unser Misstrauen gegenüber Doug Smith war im vergangenen Jahr größer geworden. Unser
Anwalt, Alex Grower, beobachtete ihn zu dieser Zeit etwas genauer, und wir stellten fest, dass Doug und seine Frau Eve nicht nur Gutes mit uns im Sinn hatten. Also verbrachten wir einige Monate damit, uns von Dougs Management zu befreien und jemand Neues zu finden. Wurzel schleppte Phil Carson an, der für die nächsten paar Jahre unser Manager wurde. Er hatte mit Peter Grant und Led Zeppelin zu tun gehabt (wenn ich das mal so ausdrücken darf), und danach managte er Robert Plant eine Zeit lang. Phil ist genauso bekloppt wie ich, aber er verfügt über mehr Disziplin. Ich mochte ihn wirklich und mag ihn immer noch. Phil besorgte uns den Vertrag mit Sony – nach fünfzehn Jahren Motörheads erster richtiger, großer Plattenvertrag in Amerika. Damit schafften wir es ziemlich weit; nicht weit genug (für uns nichts Neues), aber das ist ein anderes Kapitel.
Die wirklich große Neuigkeit im Jahr 1990, soweit es mich anging, war mein Umzug nach Amerika. Ich hatte bereits ein Jahr vorher mit der Planung begonnen. Als es aber schließlich ein paar Monate später passierte, geschah es blitzartig – im einen Augenblick war ich in London, und im nächsten wohnte ich in West Hollywood, die Straße runter vom Rainbow und dem Sunset Strip. Das Rainbow, für die wenigen, die das nicht wissen, ist die älteste Rock-’n’-Roll-Bar in Hollywood, und mein zweites Zuhause – tatsächlich liegt es nur zwei Blocks von meinem Zuhause entfernt! Aber der Reihe nach. Ich spielte eine kleine Nebenrolle in einem weiteren Special von Comic Strip: South Atlantic Raiders. Es war eine Parodie des Falklandkrieges und ich sollte einen Feldwebel darstellen. Im Wesentlichen musste ich nur ein paar Zeilen in einem schrecklichen spanischen Akzent sagen und dann vornüber auf eine widerliche Matratze fallen! Auf bestimmte Rollen festgelegt?! Des Weiteren wurde ich als ein Flusstaxifahrer in einem Film mit dem Titel Hardware besetzt. Das war eher langweilig. Der Regisseur hielt sich für einen Gothic-Künstler. Es nervte wirklich verdammt. Wir standen den ganzen Tag herum, und sie machten den Fehler, mir den Whisky – wir hatten ein Flasche pro Tag vereinbart – schon am Morgen zu geben. Als sie also zu meinen Szenen kamen, war ich schon richtig dicht und müde. Gott sei Dank wurde ich im Voraus bezahlt, aber Filmemachen ist, wie ich
schon sagte, verdammt langweilig. Etwas unterhaltsamer war es da schon, als Mick Green – der Gitarrist einer meiner Lieblingsbands der Sechziger und Siebziger, den Pirates – mich fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm einige Aufnahmen zu machen, und ob ich Lust hatte! Wir nahmen »Blue Suede Shoes« auf, das auf einem Benefizalbum des NME mit ElvisCoversongs landete. Wir wurden als Lemmy and the Upsetters aufgeführt. Der Song wurde später als Single veröffentlicht und auf die B-Seite kam »Paradise«, ein Song den Mick und ich zusammen geschrieben hatten. Es machte mir Spaß, mit Mick zu arbeiten – er ist einer meiner Helden. Die Leute wissen das heute nicht mehr, aber damals in den frühen Sechzigern, war er auf Augenhöhe mit Eric Clapton und Jeff Beck. Mick hatte nur einfach nicht so viel Glück wie sie. Und natürlich konnte ich nicht allzu viel Zeit verstreichen lassen, bevor ich wieder mit Motörhead auf Tour ging. Bei einem der britischen Gigs spuckte mich ein Kerl an und ein großer Schleimklumpen landete auf meiner Gitarre. So eine Scheiße hasse ich wirklich, also ging ich nach vorne zum Rand der Bühne und fragte: »Siehst du das?« Ich nahm den Schleimbatzen und schmierte ihn in meine Haare: »Ich werde mir heute Abend die Haare waschen, aber du wirst morgen immer noch ein Arschloch sein!« Das Publikum applaudierte, aber ich habe den Satz eigentlich von Winston Churchill geklaut. Er war auf einer Dinner Party und eine Frau sagte zu ihm: »Sie sind betrunken, Sir.« – »Ja, Madam«, antwortete er, »und Sie sind hässlich, aber morgen werde ich nüchtern sein.« Ist das nicht wunderbar? Wer sagt denn, dass Geschichte langweilig ist? Nach der Europa-Tour zog ich um. Phil Carson bereitete alles vor. Seine Leute fanden das Apartment und ich flog Anfang Juni hinüber. Der Rest der Band blieb in England. Dass ich jetzt auf einem anderen Kontinent lebte, hatte eigentlich
keinerlei Auswirkungen. Es war ja nicht so, dass wir ständig zusammen herumhingen – ich meine, wenn du mit den Leuten sechs Monate zusammen in einem Bus unterwegs warst, willst du mit denen nicht auch noch deine Freizeit verbringen. Just zu dieser Zeit fing Wurzel an, Amerika zu hassen. Vielleicht war es eine Form der Eifersucht – ich weiß es wirklich nicht. Hier zu wohnen, war für mich keine so große Veränderung, da ich ohnehin schon so lange in die Staaten kam. Mir war nur nicht das Maß der Korruption in der Regierung bewusst und in welchem Maße der Verfall schon eingesetzt hatte, aber das ist wirklich in allen Ländern gleich. Und der Rassismus tritt hier sehr viel offener zutage als in England – zu Hause sind sie viel raffinierter. Aber ich kann mir die Lebensmittel an die Haustür liefern lassen, und die Betonung liegt sehr viel mehr darauf, dem Kunden zu geben, was er will, und nicht auf dem, was man denkt, was er brauchen könnte. Die einzig wirkliche Schwierigkeit, die ich beim Eingewöhnen in Amerika hatte, war die Humorlosigkeit der Amerikaner. Die Briten haben einen sehr schwarzen Sinn für Humor, verstehen Sie? Er ist sehr boshaft, und Amerikaner verstehen ihn nicht. Zwei Wochen reichten aus und ich war sozial geächtet. Ich sagte etwas, das ich für urkomisch hielt, und erhielt nur entsetzte Reaktionen – »Wie können Sie so etwas sagen!« Sie waren empört und verletzt und die ganze Scheiße. Gott, es ist nicht nötig, so verletzt zu reagieren! Krüppel sind komisch – tut mir Leid, aber es ist nicht meine Schuld! Ich stelle hier nur eine Beobachtung an. Eine weitere Sache, die die Leute nicht verstehen, ist meine Sammlung von Naziutensilien. Artefakte des Zweiten Weltkrieges sind schon immer da gewesen, solange ich mich erinnern kann – schließlich bin ich in dem Jahr geboren, als der Krieg zu Ende war – und die Leute brachten immer Souvenirs und solchen Scheiß mit nach Hause. Ich hatte einen Dolch als
ich herkam, und zwei Medaillen, vielleicht noch eine Fahne und ein Eisernes Kreuz, aber das war alles. Und wie bei jedem Hobby, je mehr man sich damit beschäftigt, desto interessanter wird es, wenn es etwas Tiefe hat. Also habe ich jetzt eine riesige Sammlung von Gegenständen aus Deutschland während des Krieges – Dolche, Medaillen, Fahnen, es gibt nichts, was ich nicht habe. Ich mag es, dieses ganze Zeug um mich zu haben, weil es eine Mahnung an das ist, was geschah, und dass es Vergangenheit ist (zum größten Teil – das Gedankengut der Nazis ist immer noch präsent, wenn auch nur am Rande). Ich verstehe Leute nicht, die glauben, dass etwas verschwindet, wenn man es ignoriert. Das ist total falsch – wenn man es ignoriert, gewinnt es an Stärke. Europa ignorierte Hitler zwanzig Jahre lang. Wir hätten ihn 1936 schlagen können: Die französische Armee hätte ihn aus dem Rheinland verjagen können und er wäre erledigt gewesen. Seine Leute wären gestürzt worden. Aber die Franzosen liefen davon – mal wieder – und ließen ihn herein. Das hatte zur Folge, dass er ein Viertel der Weltbevölkerung abschlachtete! Und er war Nichtraucher, Nichttrinker, Vegetarier, fesch, mit kurzem Haar und gut gekleidet. Hitler wäre in jedem Restaurant in Amerika bedient worden, im Gegensatz zu Jesse Owens, dem Helden der Olympischen Spiele von 1936. Jesse Owens kam mit Ruhm und acht Medaillen nach Hause, nachdem er Hitler die Vorzüge der Demokratie und einer multirassischen Gesellschaft gezeigt hatte, und sie bedienten ihn nicht in einem Restaurant in seiner Stadt. Was soll dieser Scheiß? Diese Art der Doppelmoral kotzt mich wirklich an. Wissen Sie, dass es in England und Amerika immer noch Clubs gibt, denen Juden nicht beitreten dürfen? Dies ist ein Land des Leugnens. Sehen Sie sich die ModellflugzeugIndustrie an – sie statten das Modell einer Messerschmitt 109 nicht mit einem Hakenkreuz aus, und das waren zu der Zeit die
nationalen Insignien Deutschlands. Bedeutet das also, dass es in der Zukunft keine weißen Sterne an der Seite eines verdammten Mustang-Modells geben wird, weil irgendjemand in der Planung glaubt, dass es ein Symbol des amerikanischen Imperialismus darstellt? Sind irgendwelche Juden weniger tot, weil sie kein Hakenkreuz auf einem Plastikmodellflugzeug zulassen? Nein! Und lassen Sie mich bitte nicht damit anfangen, was die so genannten Amerikaner mit den wirklichen Amerikanern anstellten – den Indianern. Wie Sie sich wahrscheinlich denken können, hatte ich genug Diskussionen der Art. Anscheinend mögen die Leute die Wahrheit nicht, aber ich mag sie. Ich mag sie, weil sie eine Menge Leute aus der Fassung bringt. Wenn man ihnen oft genug zeigt, dass ihre Argumente Schwachsinn sind, dann wird vielleicht wenigstens einmal einer von ihnen sagen: »Oh! Warte mal einen Augenblick – ich hatte Unrecht.« Ich lebe für diesen Augenblick. Er kommt selten vor, das kann ich Ihnen versichern. Aber zurück zum Geschäft, womit das dreckige Geschäft der Plattenindustrie gemeint ist. Einer der Hauptgründe, warum ich nach Los Angeles zog, war, näher an unserer Plattenfirma zu sein. Wir hatten in London ein Treffen mit Jerry Greenberg, dem Chef von WTG, gehabt, und er war sehr an uns interessiert. Aber ich dachte mir sofort: »Ich muss vor Ort sein.« Ich konnte nicht in England sein, wenn Motörhead auf einem amerikanischen Label war, denn es hatte zuvor auch niemals geklappt. Und dies war das erste Mal, dass wir tatsächlich unter Vertrag genommen wurden, um eine Platte zu machen – vorher hatte die amerikanische Gesellschaft jedes Mal eine Platte übernommen, die wir für eine britische Plattenfirma aufgenommen hatten. Daher war es für mich noch wichtiger, ein Auge auf alles zu haben.
Ich wusste von Anfang an, dass mein Misstrauen berechtigt war. Als ich ankam, veranstalte die Plattenfirma für mich als Erstes einen Brunch in ihren Büros – Brunch! Ich meine, was zum Teufel ist Brunch? Können sie Lunch nicht buchstabieren, haben sie ein Problem mit dem Buchstaben »L«? Und wissen Sie aus was dieser bedeutende »Willkommen-an-BordBrunch« bestand? Es war chinesisches Essen zum Mitnehmen in Pfannen aus Folie – »Möchtest du noch etwas süß-saures Schweinefleisch, Lemmy? Super, dich jetzt hier drüben zu haben, Mann! Motörhead ist schon immer eine meiner Lieblingsbands gewesen!« Ha! Keiner von denen hatte jemals irgendetwas von uns gehört – sie kannten Motörhead gerade mal eine Woche, wenn Sie mich fragen. Es ist so eine Scheiße, und auch noch so offensichtlich, trotzdem dachten sie, dass ich sie nicht durchschauen würde. Fast jeder dort war irgendein alter Manager aus der Industrie, der in eine neue Position bei einem neuen Label gedrängt wurde. Ich sah nicht einen darunter, der neu und dynamisch war. Nachdem das raus ist, möchte ich feststellen, dass Jerry Greenberg großartig war, genau wie sein Assistent, Leslie Holly. Leslie ließ uns das Telefon im Büro benutzen, um Anrufe auf der Suche nach Gigs und einem neuen Management zu erledigen. Wir hätten uns all diese transatlantischen Telefonate nicht leisten können, das rettete wirklich unsere Ärsche. Was uns damals nicht bewusst war, ist, dass man uns anschmierte – und Jerry Greenberg ebenfalls! So wie ich es rückblickend verstehe, muss Sony WTG als Steuerabschreibung benutzt haben, denn diese verdammten Manager schienen alles zu tun, um sicherzustellen, dass WTG – und folglich alles, was Motörhead bei ihnen tat – Verluste machen würde. Aber sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Wann waren Plattenfirmen jemals nicht mit einem Haufen Idioten besetzt? Genau wie die alte Sache mit der langen Box
für CDs während unserer Zeit bei Sony. Sie hatten riesige Streitereien wegen der langen Box – das war eine der unpraktischsten Verpackungsformen, die jemals erfunden wurde, und es gab Leute, die ihre Jobs bei Sony wegen der Abschaffung dieser verdammten Box verloren! Das alleine sagt schon eine ganze Menge darüber aus, was in dieser Industrie so alles falsch läuft. Drauf geschissen – nennt mich altmodisch, aber ich habe das Vinyl den CDs sowieso immer vorgezogen. Aber von der Dummheit von Plattenfirmen (und chinesischen Brunches zum Mitnehmen) einmal abgesehen, nahmen die Leute Kenntnis von meinem Umzug nach Los Angeles. Es gab eine richtige Aufregung um uns, als wir bei WTG unter Vertrag genommen wurden und als ich hierher zog. Ich war auf dem Titel von BAM und bekam einen ganzen Haufen Einladungen von Leuten. Es war toll, für eine Weile mal wieder im Mittelpunkt zu stehen. Und wir waren im Begriff, diesem ganzen Hype und der Aufmerksamkeit (so kurz sie auch war) gerecht zu werden, indem wir eine der besten Platten unserer Karriere machten. Aber noch bevor wir ins Studio kamen, erschien eine Platte von uns, vollkommen gegen unseren Willen. Unser früherer Manager, Doug Smith, veröffentlichte die Liveaufnahme von unserer Geburtstagsshow 1986. Wir hatten Douglas schon 1986 gesagt, dass das Video der Show genug sei und wir es nicht als Platte veröffentlichen wollten. Sobald wir allerdings nicht mehr bei ihm waren, machte er damit, was er wollte. Natürlich wollte er nur Kapital aus der Sache schlagen. Wir ließen eine gerichtliche Verfügung gegen ihn verhängen (tatsächlich war Wurzel derjenige, der das in England in die Hand nahm, da ich schon in den Staaten lebte), und die verzögerte es eine Weile. Aber schließlich gaben wir auf. Es
war einfach zu viel Arbeit. Zudem hatten wir Besseres zu tun, denn wir arbeiteten an einer neuen Platte. Doch typisch für Motörhead, galt es erst ein paar Schwierigkeiten zu überwinden. Die erste Schwierigkeit war Ed Stasium. Er war ursprünglich als Produzent engagiert worden. Wir nahmen vier Songs mit ihm auf und dann beschlossen wir, dass er gehen musste. Er ging einfach zu weit, verstehen Sie. Wir hörten uns einen Mix von »Going to Brazil« an und ich sagte: »Dreh die vier Spuren da mal weiter auf.« Da waren dann all diese Schlaghölzer und verdammten Tamburine zu hören – diesen Müll muss er nach unseren Sessions heimlich hinzugefügt haben. Er tat es bestimmt nicht, als wir da waren! Also mussten wir ihn feuern. Ihm folgte der großartige Pete Solley. Einige der Songs auf 1916 – »Love Me Forever« und »1916« zum Beispiel – unterschieden sich sehr von allem, das wir zuvor gemacht hatten. Aber es war nicht so, als hätten wir krampfhaft versucht, uns zu verändern; wir taten es einfach. Die Dinge fingen an, sich mit meinem Umzug in die Staaten einfach zu verändern. Aber vieles auf 1916 war genau das, was unsere Fans mittlerweile von uns erwarteten. Nur besser. Nehmen Sie »I’m So Bad« – das ist ein lauter Rock-’n’-RollSong mit einem absurden Text. Typisch für Motörhead. Seltsamerweise fand eine Frau vom Melody Maker, dass der Text sexistisch ist! Ich weiß nicht, wie sie darauf kommt. »I make love to mountain lions / Sleep on red-hot branding irons / When I walk the roadway shakes / Bed’s a mess of rattlesnakes.« Können Sie mir erklären, wie das zur Unterdrückung der Frau beitragen könnte? Dann ist da noch meine übliche Fixierung auf Chuck Berry in »Going to Brazil«. »Ramones«, der schnellste und kürzeste Song auf dem Album, fing eigentlich als eine langsame Nummer an. Dann hatte ich die Idee: »Lasst uns das ein bisschen schneller
spielen« und schon klang der Song nach den Ramones. Und obwohl »Angel City« vom Leben in L. A. handelt, schrieb ich den Text, bevor ich hierher zog. »I’m gonna live in L. A. drinkin’ all day / Lay by the pool and let the record company pay« ist wirklich nicht allzu sehr von der Wahrheit entfernt! »I’m gonna kiss ass, I’m gonna spit broken glass / I’m gonna shoot out all of your lights« Es war einer der Songs, bei denen ich mich schon während des Schreibens totlachte. Und wir unterlegten ihn mit etwas Saxophon – das war etwas Neues. Aber was die Leute wirklich überrascht hat – und zwar positiv, wie ich anmerken möchte –, waren einige der anderen Tracks. »Nightmare/The Dreamtime« und »1916« bauten stark auf Keyboards, das hatte es so bei Motörhead noch nicht gegeben – oder irgendeiner Heavy-Band im Jahre 1990. Und bei »1916« kam sogar ein Cello zum Einsatz. Es sind keine Gitarren, die Sie da hören! »1916« ist einer der Songs, bei denen ich zuerst den Text hatte, bevor ich die Musik dazu schrieb. Er handelt von der Schlacht an der Somme im ersten Weltkrieg. Einige Leute fragten mich aber, ob ich nicht etwa über den irischen Aufstand singe. Der fand auch 1916 statt und die Iren singen immer von 1916 und dem großen Massaker in der Hauptpost. Inspiriert hat mich zu diesem Song eine Dokumentation über den ersten Weltkrieg, in der auch die Schlacht an der Somme thematisiert wurde. Neunzehntausend Engländer wurden an einem Vormittag getötet. Eine ganze Generation wurde in nur drei Stunden ausgelöscht – das muss man sich mal vergegenwärtigen! Es war einfach schrecklich – es gab drei oder vier Städte im nördlichen Lancashire und in Süd-Yorkshire, in denen die gesamte Generation von Männern vollkommen ausgelöscht wurde. Und diese Städte leiden immer noch darunter – die Bevölkerung hat sich bis heute von diesem Massaker noch nicht erholt. Ganze Orte wie Accrington in Lancashire wurden zerstört, verdammt noch
mal. Sie filmten für diese Dokumentation fünf alte Kerle an den Originalschauplätzen. Ein Typ, der ungefähr neunzig war, erzählte: »Sie sagten uns, wir sollten gehen, nicht laufen, und wir gingen hinüber und all die Jungs um mich herum legten sich hin. Ich dachte, sie hätten vielleicht von hinten einen Befehl gegeben, den ich nicht gehört hatte. Und dann wurde mir klar, dass sie alle tot waren.« Da hatten die Engländer mehr Engländer getötet als die Deutschen. Hindenburg, der später deutscher Reichspräsident wurde, sagte: »Sie waren Löwen, die von Eseln geführt wurden.« Also schrieb ich einen Song darüber. Aber ich stehe dem Lied sehr ambivalent gegenüber. Ein Typ schrieb mir, dass er das Lied seinem Großvater vorgespielt hatte, der das Grauen selbst erlebt hatte. Der alte Mann weinte während des ganzen Liedes. Das ist ein sehr großes Kompliment, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es gut finden kann, dass der Typ sich um meiner Genugtuung willen so schlecht fühlt. Wir waren mit der Aufnahme von 1916 ziemlich zufrieden. Das Artwork war natürlich eine andere Sache – Sie können sich schon denken warum, oder? Sie haben Recht. Die Plattenfirma hatte mal wieder ihre dreckigen Hände im Spiel. Vor Jahren hatten wir mit Bronze eine ähnliche Erfahrung gemacht. Wir waren damals alle im Konferenzraum versammelt, die Tische waren zur Seite geschoben, und vorne stand eine verhüllte Staffelei. Sie zogen das Tuch herunter, wie bei einer großen Enthüllung, und da war es – der Motorblock eines Motorrades, aus dem der nackte Oberkörper einer Frau herauskam. Sie war rot angesprüht und der Hintergrund war blau. Es war einfach jämmerlich. Und der Kerl von der Firma sagte: »Da ist es! Also was denkt ihr?« Ich nahm es in die Hand und fragte: »Das ist das Beste, was ihr habt?«, und ich warf es aus dem Fenster. Er hat sehr schnell begriffen, dass ich alles andere als zufrieden war. Wenn Sie sich das Cover von
Overkill ansehen, werden Sie feststellen, dass dort kein Motor und keine nackte Frau zu sehen ist, nur eines von Joe Petagnos klassischen Werken. Jedenfalls hatten wir mit 1916 so ziemlich das gleiche Problem. Sie brachten fünf Skizzen an, alle grauenhaft. Wir schickten alle zurück, was zu einigen Wutanfällen in der Graphikabteilung führte – man könnte denken, wir hätten es mit einem Haufen Neunjähriger zu tun gehabt! Sony gab den Auftrag schließlich an jemand anderen, was uns nur recht war. Und trotz unserer Bemühungen vermasselten sie es. Sie finden alle Flaggen Europas auf dem Cover von 1916, außer der von Frankreich. Und in dem Titelsong geht es um eine Schlacht, die in Frankreich gekämpft wurde! Aber was soll man da machen? Trotz alledem halte ich es für eines unserer besten Cover, und eines unserer besten Alben insgesamt. Obwohl 1916 nicht vor Anfang 1991 veröffentlicht wurde, kam die erste Single, »One to Sing the Blues«, einige Wochen vorher heraus – an meinem Geburtstag, um genau zu sein (das ist wirklich ein toller Song – vielleicht nehmen wir ihn irgendwann einmal wieder in unser Liveprogramm auf). Im Februar geschah das Übliche – wir gingen auf Tour und traten bei einem Haufen Fernseh- und Radiosendungen auf. Zu Beginn unserer Großbritannien-Tour starb Phil Taylors Mutter an Krebs. Wir schickten ihn aber noch rechtzeitig nach Hause. So hatte er noch die Gelegenheit, mit ihr etwas Zeit zu verbringen. Wir alle liebten Ma Taylor, und ihr Tod hat Phil wirklich sehr getroffen. Vielleicht war das der ausschlaggebende Grund, warum sich Phil immer mehr von uns entfernte. In ganz Großbritannien eröffneten The Almighty und The Cycle Sluts, eine amerikanische Mädchenband, für uns. Die Cycle Sluts waren toll! Sie begleiteten uns auch während unserer gesamten Europa-Tour. Ich glaube sie hatten ihren
Spaß. Wann hat man sonst die Gelegenheit etwas von der Welt zu sehen? Sie waren nette Mädchen, und es machte Spaß, sie dabeizuhaben. Ich schwärmte während der gesamten EuropaTour schrecklich für eine von ihnen, aber ich kriegte sie nie. Typisch. Natürlich gab es auch den üblichen Ärger. Während der England-Tour bekam ich die Magen-Darm-Grippe. Wir mussten vier Auftritte verschieben. Ich war echt krank. Es überkam mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich saß im Bus und konnte gerade noch meinen Kopf aus dem Fenster halten und rufen: »Halt den Wagen an.« Vier Tage verbrachte ich kotzend in einem Hotel. Diese Viren werden immer stärker, denn alle fünf Jahre tritt eine neue Art auf, auf die wir nicht vorbereitet sind. Eines Tages wird so ein Virus noch den halben Planeten ausrotten! Doch so richtig zu schaffen machte uns ein ganz anderer Virus: unsere Plattenfirma. Sie schickten ein Kamerateam mit uns auf Tour, das fünf Tage in Deutschland damit verbrachte, ein Video zu drehen, Everything Louder Than Everything Else. Anschließend stellten sie uns $ 9.000 in Rechnung. Natürlich bezahlten wir nicht. Und ein paar Jahre später wurden wir von ihnen fallen gelassen. Dumm gelaufen für sie, aber wir waren ja sowieso nur eine Steuerabschreibung, nicht wahr? Im Großen und Ganzen kamen die Songs von 1916 ziemlich gut an. Wir stellten die Keyboards am Rand der Bühne auf. Eine Zeit lang spielte Phil Campbell sie bei »Angel City«, aber wir konnten sie ihn nicht weiter spielen lassen. Denn am Ende des Songs hatten wir Bläser, aber keine Gitarren. Phil hätte ein Oktopus sein müssen, um es hinzubekommen – er ist zwar eine Art Amphibie, aber bestimmt kein Oktopus! Also spielte schließlich unser Gitarren-Roadie Jamie die Keyboards. Wir spielten »1916« nie live, denn der Song braucht Ruhe, um zu wirken. Und Ruhe ist natürlich ein Fremdkörper bei einem
Motörhead-Konzert. Die gemischten Reaktionen auf das Album in England hatten nichts mit der Musik zu tun – einige unserer englischen Fans schienen ein wenig aufgebracht zu sein, dass ich in die Staaten gezogen war. Als hätte ich sie im Stich gelassen oder so ein Scheiß. Da die Hälfte der Band – Wurzel und Phil Campbell – immer noch in England lebte, konnten sie uns nicht wirklich hassen, aber wirklich lieben konnten sie uns auch nicht. Philthy war mit mir gemeinsam in die Staaten gekommen, aber er hatte das falsche Visum in seinem Pass und sie schickten ihn zurück! Typisch Motörhead! In England konnten sie mit uns damals nicht so richtig was anfangen. Das Hauptproblem war, dass unsere Konzerte nicht komplett ausverkauft waren. Daher buchten uns die ganzen englischen Promoter, außer in London, für die nächsten fünf Jahre nicht mehr. Sie waren die Einzigen in ganz Europa – tatsächlich der ganzen Welt – die uns kein Geld vorschießen wollten. Und wir konnten es uns ganz sicher nicht leisten, das Geld aufzubringen. Durch unser eigenes Land zu touren hätte uns 100.000 £ an Vorschüssen gekostet! Ich hatte ganz sicher nicht so viel Geld, und wenn ich es gehabt hätte, dann hätte ich es mit Sicherheit für etwas anderes ausgegeben. Wir kamen schließlich 1997 wieder auf Tour nach England, und zu meiner Genugtuung waren wir überall ausverkauft! Im Mai, bevor wir nach Japan gingen, hatten wir noch einen Auftritt in der David Letterman Show. Eigentlich waren es nur ich und Phil Campbell. Wurzel hatte keinen Bock und was mit Phil Taylor war, weiß ich beim besten Willen nicht mehr. Sie wollten sowieso nur zwei von uns, weil wir mit der Band der Show spielen sollten. Wir spielten allerdings kein Stück von der neuen Platte, sondern Chuck Berrys »Let It Rock«. Wir trafen auch nicht David Letterman. Der kündigte uns nur an und nannte sogar den falschen Albumtitel. Er nannte es Motörhead! Aber dafür trafen wir den Bandleader Paul
Schaffer – der war super. Alles in allem war die DavidLetterman-Erfahrung nicht sonderlich beeindruckend. Und ich wurde wegen meiner Zigaretten dumm angeredet. »Entschuldigen Sie, aber Sie können hier drinnen nicht rauchen.« – »Warum nicht?« – »Davon beschlagen die Objektive der Kameras.« Dumme Ausrede Nr. 1.869, verstehen Sie? Bevor wir nach Japan kamen, hatten wir mal wieder das Management gewechselt. Phil Carson wurde ein Job bei Victor Records angeboten. Ich kann es ihm nicht verübeln, dass er ihn annahm. Wir wechselten zu Sharon Osbourne, Ozzys Frau. Aber das Vergnügen war von kurzer Dauer. Ich hatte mich schon vor Ewigkeiten bei ihr erkundigt. Ich wusste, dass sie eine großartige Managerin war, aber wie sich herausstellte, war sie nicht die Richtige für uns. Es ging nicht im Mindesten gut. Unser Trip nach Japan beendete unsere Zusammenarbeit. Wir wollten unseren Tourmanager mit uns nehmen, aber sie bestand darauf, uns ihren mitzugeben, einen Typen namens Alan Perman. Er ist inzwischen tot. Nein, nicht was Sie denken! Wir haben ihn nicht getötet – obwohl ich das gerne getan hätte. Alan machte unsere Karriere mit Sharon zunichte. Er behauptete, wir hätten ein Hotel verwüstet und alle mögliche Scheiße. Nichts von alledem war wahr. Er gab das ganze Bargeld Phil Campbell, was zeigt, was für ein »toller« Tourmanager er war. Und dann versuchte er, dies zu vertuschen, indem er behauptete, er hätte für uns zahlen müssen, weil wir dieses Hotel verwüstet hätten. Wir hatten nichts gemacht! Wir waren nicht gerade Engel, aber das war tatsächlich eines jener Male, bei denen wir tatsächlich unschuldig waren. Und ich möchte, dass 3.426 weitere Fälle berücksichtigt werden! Es war unglaublich, eine komplette Lügengeschichte. Und dann kam er zurück und lud die gesamte Crew im Hyatt in L. A. ab, ging zu unserem regulären
Tourmanager, Hobbs, und gab ihm 300 $. Anschließend machte er sich aus dem Staub. Was soll Hobbs mit 300 $ und sechs Crew-Mitgliedern im Hyatt House anfangen? Und die Band war auch noch nicht bezahlt worden. Und Sharon glaubte tatsächlich diesem Arsch mehr als uns. Noch bevor wir uns nach unserer Rückkehr verteidigen konnten, waren wir schon verurteilt. Sharon ließ uns drei Tage vor Beginn unserer Amerika-Tour wegen Alan fallen – er war ihr Junge, verstehen Sie, also musste sie zu ihm halten. Und Sony wurde von alledem auch noch angesteckt: »Oh, wir können euch nie wieder nach Japan schicken!« Sie glaubten lieber jedem anderen – sogar einem Arschloch von Tourmanager – als uns. Gott. Wir ließen sogar den SonyTypen vor Ort in Japan bei ihnen anrufen, aber sie schenkten auch ihm keinen Glauben. Später in dem Jahr kam einer aus Japan zu unserer Show im Irvine Meadows und erzählte der Plattenfirma, wie großartig wir waren, aber sie glaubten es immer noch nicht! So glaubwürdig waren wir. Wir haben einfach diesen Ruf – den wir größtenteils nicht verdienen –, dass wir üble unprofessionelle Typen sind. Warum sollte ich es an diesem Punkt meiner Karriere überhaupt in Betracht ziehen, ein Hotelzimmer zu verwüsten? Es wäre viel sinnvoller, wenn ich mein eigenes Apartment verwüste – es wäre billiger! Jedenfalls tourten wir zwischen dem Japan-Fiasko und der Tour durch Amerika – die besser lief, obwohl wir ohne Management waren – zum zweiten und wahrscheinlich letzten Mal durch Australien. Es war eine Katastrophe. Bei einer Show verließ ich die Bühne, weil einige Kids mich – wieder einmal – anspuckten. Ich mag es nicht, angespuckt zu werden. Wer mag das schon? Nicht einmal die Punkbands in den Siebzigern mochten es. Nennen Sie mich altmodisch, wenn Sie wollen, aber ich lasse mir das nicht gefallen. Ich sagte ihnen: »Wenn ihr weitermacht, gehe ich, und ich werde nicht
zurückkommen. Wenn ihr also jemanden seht, der das tut, prügelt die Scheiße aus dem Kerl, denn er hat gerade eure Show abgebrochen.« Normalerweise funktioniert das, aber nicht an der Gold Coast. Es war wirklich schade, denn ich mag es nicht, einfach von der Bühne zu gehen, aber ich lasse mich verdammt noch mal nicht anspucken! Soll ich Ihnen mal verraten, warum? Joe Strummer von The Clash wurde einmal beim Singen direkt in den Mund gerotzt! Das war nicht nur Ekel erregend, Jungs und Mädchen, nein – warten Sie, er bekam Hepatitis! Nett, oder? Nicht mit mir, ihr Wichser! Aber weiter zu Sonys brillanter »Operation Rock’n’Roll«Tour. Sie schickten fünf Heavy-Bands von verschiedenen Sony-Labels zusammen auf Tour. Die Besetzung bestand aus Alice Cooper, Judas Priest, Metal Church, Dangerous Toys und uns. Die Jungs von Metal Church und Dangerous Toys waren die angenehmste Gesellschaft – Alice bekam man nie zu Gesicht (im Allgemeinen war er in seinem Bus und sah sich japanische Splatterfilme an), und auch niemanden von Judas Priest, aber ich traf ständig irgendwo auf die Jungs von den anderen Bands. Für gewöhnlich in einem Stripclub. In jeder Stadt, in die wir kamen, gingen wir alle in den lokalen Stripclub, und da waren sie. Heutzutage bin ich der Einzige in der Band, der ausgeht – die anderen sind verantwortungsbewusste Bürger geworden (na ja, Phil Campbell nicht). Die Plattenfirma schickte uns alle in haltlosem Glanz und Gloria los. Anfangs lief es für uns ziemlich schlecht, da wir keinen Manager hatten, aber Hobbs nahm sich der Dinge wunderbar an. Leslie Holly von WTG half uns ebenfalls. Ich werde den beiden auf ewig dankbar sein. Dann sprangen auch noch die Crews der anderen Bands mit ein –sie beendeten ihre Mahlzeiten früher und kamen raus und übernahmen unsere Shows auch noch, umsonst! Das war wirklich sehr nett von
ihnen. Wir stahlen den anderen jede Show auf der Tour. Sie müssen das nicht glauben. Machen Sie irgendeine der Rezensionen ausfindig und Sie haben den Beweis. Die L. A. Times bezeichnete uns zum Beispiel als »der scharfe Senf auf einem faden Lärm-Sandwich«, was ich seltsam fand, aber nett! Unsere Fotos kamen in der Zeitung – nicht die von Alice und Judas Priest. Aber wenn an einigen Abenden eine Band aus dem Programm gekickt werden musste, raten Sie mal, wer dann die Verlierer waren? Wenn Sie bis jetzt am Ball geblieben sind, glaube ich, dass Sie die Antwort kennen. Um fair zu bleiben: Wir kosteten mehr als die beiden Bands unten auf dem Programm, und Metal Church wurden bei einigen Shows auch aus dem Programm gekickt. Dangerous Toys blieben drauf, weil sie Sonys Lieblinge zu der Zeit waren. Der Sänger hatte rote Haare und sang Falsett, genau wie Axl Rose, also versuchen Sie selbst, aus ihren Motiven schlau zu werden. Am Ende wurden wir bei sechs oder sieben Shows gestrichen. Als wir in North Carolina gestrichen wurden, fuhren wir mit Metal Church nach South Carolina und spielten unseren eigenen Gig. Das Problem war, dass niemand für uns kämpfte, da wir keinen Manager hatten. Wenn wir den Manager gehabt hätten, den wir jetzt haben, glauben Sie mir, dann wären wir an jedem verdammten Abend auf dieser Tour dabei gewesen! Unglücklicherweise verpassten wir die letzten vier Shows der Tour, und erstaunlicherweise war es nicht Sonys Schuld! In Boston brach ich mir die Rippen. Ich machte gerade am Rand der Bühne mit dieser Puppe herum – sie war scharf und ich war scharf. »Willst du noch einen Drink?«, fragte ich und sie antwortete: »Ja.« Also langte ich nach meinem Drink und fiel über mein eigenes Equipment und knackste mir zwei Rippen an. Sie brauchten nur eine Woche, um zu heilen. Gerade lang genug, um das Ende der Tour zu verpassen.
Wir fanden schließlich einen neuen Manager auf dieser »Operation Rock’n’Roll«-Tour – Doug Banker. Er hatte bereits mit Ted Nugent gearbeitet. Zudem hatte er ein System beim Glücksspiel entwickelt, das ihm Lokalverbot in Las Vegas einbrachte. Aber jedenfalls kam er bei einer der Shows auf uns zu, und wir beschlossen, mit ihm zu arbeiten. Am Anfang schien er ziemlich gut, aber dann begann er nachzulassen. Ich glaube, es lag zum Teil daran, dass er in Detroit wohnte und wir wirklich jemanden in Reichweite brauchten, nicht einen halben Kontinent entfernt. Außerdem hatte er immer noch Sachen mit Ted Nugent am Laufen. Ich bin wirklich nicht ganz sicher, was passierte. Letztendlich setzte er sich nicht genug mit uns auseinander, und bei Motörhead gibt man entweder alles oder nichts. Es ist hart, für uns zu kämpfen, und wir brauchen jemanden, der Vollzeit für uns kämpft. Entweder mach es ganz oder lass es bleiben. Ich glaube nicht, dass Doug Baker das verinnerlicht hatte und dass er sich mit zu viel Scheiße würde abgeben müssen – Plattenfirmenscheiße, Anschuldigungen bezüglich bestimmter Vorkommnisse, an denen wir nicht schuldig waren, et cetera. Ich gebe zu, es ist ziemlich hart, mit uns zu arbeiten! Aber sowohl Doug als auch wir brauchten ein paar Monate, um zu begreifen, wie kurzlebig unser Arbeitsverhältnis sein würde. In den Monaten nach der »Operation Rock’n’Roll«-Tour ging es bergauf, was mal was Neues war – die Dinge waren für Motörhead über ein Jahrzehnt nicht bergauf gegangen! Wir bekamen gute Kritiken, hatten ein neues Management, das noch keine Zeit gehabt hatte, um verdrießlich zu werden, und 1916 wurde für einen Grammy nominiert. Um ehrlich zu sein, ich war ziemlich überrascht, als ich davon hörte. Wenn ich gewusst hätte, was für eine Enttäuschung die Zeremonie werden würde, hätte ich wahrscheinlich einfach »Leckt mich am Arsch« gesagt und es dabei bewenden lassen. Und nach
einem Vierteljahrhundert im Musikgeschäft fing es an, mir finanziell ganz gut zu gehen. Einen guten Teil davon verdanke ich dem Album No More Tears von Ozzy Osbourne. Die Platte verkaufte sich einige Millionen Mal und ich schrieb die Texte für vier Songs. Ich habe seitdem noch mehr geschrieben, und ein paar davon sind auf Ozzmosis. Das war einer der leichtesten Jobs, die ich je hatte – Sharon rief mich an und sagte: »Ich gebe dir einen Geldbetrag X, wenn du ein paar Songs für Ozzy schreibst«, und ich sagte: »Alles klar – hast du einen Stift?« Ich schrieb sechs oder sieben Texte und am Ende verwendete er vier davon für »Desire«, »I Don’t Want to Change the World«, »Hellraiser« und »Mama I’m Coming Home«. Ich machte mehr Geld damit, diese vier Songs für Ozzy zu schreiben, als ich mit fünfzehn Jahren Motörhead verdient hatte – haarsträubend, nicht wahr! Ich würde gerne erwähnen, dass ich für weiteres Songwriting verfügbar bin, wenn jemand Interesse hat. Zu ganz vernünftigen Preisen – nur die Hypothek auf Ihr erstgeborenes Kind! Anfang 1992 arbeiteten wir an Stücken für die nächste Motörhead-Platte March or Die. Die Grammy-Zeremonie fand während dieser Zeit statt. Doug Banker und seine Frau nahmen zusammen mit mir daran teil. Seine Frau saß zwischen ihm und mir, aber als sie die Kandidaten für »Best Metal Performance« ankündigten, tauschte er sehr schnell mit ihr die Plätze – nur für den Fall der Fälle –, dass auch er im Bild wäre. Metallica gewannen natürlich an jenem Abend – sie hatten circa vier Millionen Alben verkauft, während wir es gerade mal auf 30.000 schafften. Wir waren nun wirklich keine Konkurrenz. Aber die Anerkennung war nett. Eigentlich müssten wir schon aufgrund der Länge unserer Dienstzeit eine verdammte Medaille vom Musikgeschäft verliehen bekommen. Alles, was wir je von Sony bekamen, waren Kopfschmerzen (und ich habe noch mehr zu erzählen, also halten Sie sich fest).
1916 wurde von unseren Alben von der Kritik am meisten anerkannt, was den Mainstream anging – es erhielt eine tolle Besprechung im Rolling Stone, und ein A+ in Entertainment Weekly. Tatsächlich verfasste die Frau, die mir dabei half, dieses Buch zu schreiben, die Rezension in Entertainment Weekly – aber das war lange, bevor sie uns traf. So gesehen war 1916 also ein Erfolg. Und wir machten unsere Monate auf Tour zu einem Erfolg – wir rockten das Publikum, wir rockten die Crew, wir rockten die Promoter und wir rockten die Manager. Die Einzigen, die wir nicht rockten, war die Plattenfirma. Wir dachten, dass wir das vielleicht mit March or Die schaffen würden… Ha! Wieder reingelegt! Es gab noch andere Probleme, die sehr deutlich wurden, als wir uns vorbereiteten, March or Die aufzunehmen. Das größte war Phil Taylor. Als er 1987 zur Band zurückkehrte, war es noch okay. Aber es wurde zunehmend schlimmer mit ihm. Über eine lange Zeit machten wir uns selbst etwas vor. 1984 verließ er uns, weil er Thin Lizzy vergötterte und dachte, dass es für ihn musikalisch mit Robbo am besten laufen würde. Er fing an, auf Motörhead herabzuschauen. Und als er zurückkehrte, hatte sich Motörhead, abgesehen von der Tatsache, dass wir besser waren, nicht verändert. Er war jedoch nicht in Form. »Eat the Rich« war, was das Schlagzeug anging, kein besonders gut gespielter Track. Und nach Orgasmatron war das Schlagzeugspiel auf Rock’n’Roll ziemlich schwach. Er begann Tracks in einem Tempo und landete dann in einem anderen. Die Stimmung war immer etwas angespannt wenn wir auf die Bühne gingen, denn wir wussten nicht, was mit ihm passieren würde. Und man konnte mit ihm auch nicht darüber diskutieren, weil er einfach durchdrehte. Als Phil Campbell ihm einmal sagte: »Heute Abend hast du wie eine Tucke gespielt«, ging er in die Luft – aber natürlich verletzt sich Philthy immer selbst, wenn er in die
Luft geht. Auch wenn er nicht auf der Bühne war, sah es düster für ihn aus. Einmal versuchte er, durch den Badezimmerspiegel aus seinem Zimmer im Park Sunset zu klettern, weil er dachte, es wäre ein Fenster. Er rief mich an: »Es ist Zeit für den Soundcheck, und ich kann nicht aus meinem Zimmer raus.« Es war fünf Uhr morgens! Sein Timing war einfach perfekt, denn ich wollte mich gerade mit einer Dame vergnügen! Wie Sie sich vorstellen können, war ich ziemlich angepisst. Aber ich sagte zu dem Mädel: »Bleib da, beweg dich nicht.« Ich ging zu ihm hinunter. Und tatsächlich, seine Tür klemmte, und als wir beide versuchten, sie aufzuschieben – ich von draußen, Phil von drinnen – näherte sich mir das LAPD von hinten, mit einer verdammt riesigen Pistole. Der Bulle drückte mich gegen die Wand – ich hatte nur eine Unterhose und einen Kimono an – die ganze Sache lief aus dem Ruder! Dann fing er an, mir Fragen zu stellen wie: »Ist der da drinnen gefährlich?« »Oh ja, ja«, sagte ich, »er ist ziemlich gefährlich – hauptsächlich für sich selbst. Ich würde mir keine Sorgen machen.« Dann wollte der Bulle wissen: »Hat er irgendwelche Waffen?« »Oh, er verwendet alles. Möbel, Wände. Alles.« Die Bullen konnten auch nicht durch die Tür, also kletterten sie durch das Fenster und brachen die Tür dann von innen auf. Und Phil saß da, übersät mit Schnittwunden und blauen Flecken, und versuchte, durch den Badezimmerspiegel zu klettern. Hatte er nicht bemerkt, dass ihm jemand, der ihm aufs Haar glich, entgegenkam? So eine Scheiße passierte oft. Vielleicht hätten wir damit umgehen können, aber die Tatsache, dass er einfach keinen Takt halten konnte, war einfach zu viel. Am Ende war er wirklich schlecht – auf 1916 mussten wir ihm ein Metronom
geben, damit er »Going to Brazil« spielen konnte! Dann sollte er sich in London mit Wurzel und Phil Campbell treffen, um an den Songs für March or Die zu arbeiten (ich war zu der Zeit in L. A. und schrieb wie wütend weitere Texte), und es war eine Katastrophe. Sie spielten eine halbe Stunde und Phil Campbell drehte sich zu Phil Taylor um und sagte: »Du kennst diese verdammten Stücke gar nicht, oder?« »Nein.« »Wieso? Wir haben sie zu Hause geübt, ich und Wurzel – warum kennst du sie nicht?« »Mein Walkman ist an Weihnachten kaputtgegangen.« Gute Ausrede, was? Und das war Wochen und Wochen nach den Feiertagen! Das waren also schlechte Nachrichten, und im März, als wir bei einem Tributkonzert für Randy Rhoads im Irvine Meadows spielten, war es noch schlimmer. Wir hatten kapiert, dass wir ihn feuern mussten. Wir hatten mit den Aufnahmen begonnen und es klappte einfach überhaupt nicht. Obwohl es notwendig war, werde ich mich immer schlecht fühlen, wegen der Art und Weise, auf die ich ihn feuerte – ich tat es am Telefon, und das war nicht in Ordnung. Ich hätte es nicht auf die Weise tun sollen, aber ich konnte einfach keinen weiteren Anfall verkraften. Wir hatten ihn in den vergangenen zwei Jahren dreimal gewarnt, sich zusammenzureißen. Phil war lange genug in der Band, um zu wissen, wann er es versaute. Aber es schien ihn nicht zu kümmern, und so musste er schließlich gehen. Tommy Aldrich trommelte auf den meisten Stücken auf March or Die, bis auf »Ain’t No Nice Guy«, bei dem Phil spielte, und »Hellraiser«, das von unserem neuen Schlagzeuger eingespielt wurde, Mikkey Dee. Ich kannte Mikkey schon seit vielen Jahren. Motörhead machten eine Tour mit Mercyful Fate, als Brian Robertson noch in unserer Band war, und Mikkey (der Schwede ist) war ihr Schlagzeuger. Tatsächlich hatte ich ihn schon zuvor einmal
gefragt, ob er der Band beitreten würde. Ungefähr zu der Zeit, als Pete Gill dazustieß, aber da war Mikkey gerade erst Dokken beigetreten. Diesmal trieb ich ihn im Rainbow in die Enge – er lebte zu der Zeit in L. A. –, und er war ungebunden. Also ließen wir ihn vorbeikommen und versuchten es mit ihm. Das Erste, was Mikkey mit uns spielte war »Hellraiser«. Und er war der Hammer. Es war offensichtlich, dass es klappen würde. Wir nahmen zwei Songs mit ihm im Studio auf – »Hellraiser« und »Hell on Earth« (einer von Motörheads seltenen »lost tracks«) – und dann gingen wir sofort auf Tour mit Ozzy. Es war eine Feuerprobe für Mikkey und er schiss sich vor Angst in die Hosen, aber er spielte wunderbar. Der Rest der Band hatte aber anfänglich Zweifel. Mikkey, mit seinem wallenden blonden Haar, sieht gut aus und er weiß das. Also gab es eine Menge abfälliger Bemerkungen über sein wallendes Haar, dieser ganze Scheiß über die Memmen vom Glamrock. Aber Mikkey brauchte nur eine Show, um sie alle verstummen zu lassen. Kein Wort mehr danach. Ich lachte: »Ach ja? Wart ihr Typen das nicht, die vor einer Stunde noch über Memmen und Glamrock gelabert haben?« Mikkey, muss ich sagen, ist der beste Schlagzeuger, mit dem ich je zusammen gespielt habe. Nachdem ich das gesagt habe, möchte ich hinzufügen, dass Phil Taylor zu seiner Zeit auch ausgezeichnet war. Neben der Tatsache, dass er so ein großartiger Schlagzeuger ist, und seinem Wust wallenden blonden Haares, ist Mikkey die Ausgeburt an Selbstverliebtheit. Er ist sogar noch arroganter als ich, und das will was heißen! Aber er nimmt sich selbst mit Humor und dadurch ist es wiederum in Ordnung – ich meine, wenn er sich selbst nicht mit Humor nehmen würde, dann wäre er unerträglich. Aber er ist so protzig, dass ich mich vor Lachen wegschmeißen könnte. Er weiß die ganze Zeit über, was er tut – manchmal zieht er eine Nummer mit einem Haufen Mädchen
ab, und dann treffen sich unsere Blicke und wir lachen nur noch. Mitunter hat er allerdings ein falsches Gefühl von Sicherheit. Einmal waren wir aus irgendeinem Grund in Frankreich in einem Freudenhaus auf einem Boot. Mikkey, Phil, ein paar Jungs von der Crew und ich verirrten uns auf das schwimmende Bordell. Wir hatten ursprünglich angenommen, dass es eine Stripbar sei, aber es erwies sich als Puff – da besteht in Frankreich kein großer Unterschied. Sie hatten nur Champagner. Ich trank nichts, aber die anderen umso mehr. Am Ende des Abends bekamen wir eine Rechnung über 200.000 verdammte Francs! Mikkey rastete komplett aus und schrie mit seinem starken schwedischen Akzent. Der schlägt immer durch, wenn er genervt ist: »Das werde ich nicht bezahlen, verdammt noch mal!« Sie riefen sofort die Bullen. Und wenn französische Bullen jemanden hassen, dann die Engländer. Die CRS (Bereitschaftspolizei) kam sofort und sie hatten tatsächlich Kanonen dabei. Mikkey rief: »Warum seid ihr hier? Das ist ein verdammter Puff! Ihr gehört doch zu dem verdammten Nepplokal! Ihr verdammten französischen Fotzen.« Und ein Bulle zog seine Pistole und Mikkey riss sein Hemd auf: »Los! Erschieß mich!« Wir wollten ihn beruhigen: »Hör auf, Mann, sonst erschießt er dich. Er will dich erschießen.« Schließlich konnten wir ihn hinauszerren. Er trat gegen das Polizeiauto, während die Bullen direkt hinter ihm standen, aber sie ließen ihm das alles durchgehen. Mit so einem Irren wollten sie offensichtlich nichts zu tun haben. Und der Champagner kann nicht sehr gut gewesen sein, denn normalerweise ist Mikkey nach vier Drinks auf den Knien. Im Allgemeinen haben wir mit Mikkey überhaupt keinen Ärger. Er ist wirklich ein Teil der Band – nicht wie Brian Robertson, der vorgab, so etwas wie ein Gaststar zu sein – und er will bei allem mit einbezogen werden, was sehr gut ist. Manchmal kommt er allerdings mitten in der Nacht, wenn alle
schlafen, in den Bus und dreht die Stereoanlage voll auf. Phil und ich nehmen für gewöhnlich Kojen, die so weit wie möglich von der Lounge im vorderen Teil entfernt sind! Aber das ist nur ein sehr geringer Preis, den wir für all die Vorteile bezahlen, die wir mit Mikkey in der Band haben. Aber ich muss noch mal ein bisschen zurückgehen und über die Entstehung von March or Die sprechen, denn es ist noch jede Menge passiert. Zum einen gab es nach dem RodneyKing-Urteil einen Aufstand in Los Angeles. Wir waren im Music Grinder, das im östlichen Teil von Hollywood lag – direkt am Hollywood Boulevard – und nahmen, ziemlich treffend, »Hellraiser« auf. Nachdem ich meinen Gesang aufgenommen hatte, schaltete ich den Fernseher ein. Sie zeigten ein brennendes Haus. Als ich aus dem Fenster schaute, sah ich genau das Haus. Nur von der anderen Seite! Es war gleich die Straße runter! Alles brannte, Leute liefen umher – es war das totale Chaos. Mikkey drehte durch: »Mein Auto! Mein Auto ist draußen!« Der Typ vom Studio kam herein: »Wir müssen heute ein bisschen früher aufhören, Jungs.« Wie Sie bemerken, waren wir an der historischen Bedeutung dieses Ereignisses nicht besonders interessiert. Wir fuhren nach Hause – wie sich herausstellte, wurde für vier Tage eine Ausgangssperre verhängt – es war, als würde man durch ein Kriegsgebiet fahren. Die Aufständischen, hörte ich später, kamen bis Beverly Center, aber nicht ganz bis nach Beverly Hills, was, wenn Sie mich fragen, der logische Ort gewesen wäre, um sich als Unterdrückter an den Herrschenden zu rächen. Aber nein – sie griffen einander gegenseitig an. Schwarze griffen Koreaner an; woher kam das denn, verdammt noch mal? Es ist mir egal, wie dreist die Koreaner in ihren Läden sind – man muss ja nicht in den Laden gehen, oder? Kauft doch einfach woanders ein! Und dann brannten sie ihre eigenen Eckläden nieder. Wie bescheuert muss man sein? Und
außerdem wurde das Ganze von den Nachrichtenteams und den Polizeihubschraubern aufgezeichnet, und diese Aufständischen winkten in die Kameras und riefen: »Hi! Ich plündere!« Ich meine, Regel Nummer eins beim Plündern ist, dabei nicht gesehen zu werden, oder? Diese Leute wollten lieber ins Fernsehen kommen, als frei zu sein. Verdammte Idioten – sie verdienten es, ins Gefängnis zu gehen, wenn Sie mich fragen! Wir bekamen auch wieder einen neuen Manager, Todd Singerman. Was Motörhead angeht, hatte das einige historische Bedeutung. Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir einander vorgestellt wurden, aber Todd tauchte einfach eines Tages vor meinem Haus auf. Er wollte nicht gehen, bevor ich zusagte, dass er uns managen konnte. Ich weiß nicht einmal, wie er zu Motörhead kam, denn er hatte vorher niemals von uns gehört. »Ich möchte euer Manager sein.« »Aber du hast überhaupt keine Erfahrung.« »Keine Sorge, ich habe für einen Kongressabgeordneten gearbeitet.« Er hatte sich festgebissen! Er kam wirklich jeden Tag – das ist kein Scherz – vorbei und klingelte bei mir: »Hi, ich bin’s, Todd«, und ich stöhnte nur: »Oh, Scheiße!« Aber er chauffierte mich umher und nahm mich mit zu Partys. Sie wissen schon, um seine Nützlichkeit zu demonstrieren, der Angeber. Schließlich kochte er mich weich. Mit Doug Banker funktionierte es nicht und ich wusste, dass wir einen anderen Typen brauchten, also sagte ich zu dem Rest der Band: »Hört mal, wir brauchen einen neuen Manager.« Sie stimmten zu, denn sie wollten Doug Banker auch loswerden. »Ich habe diesen Typen namens Todd Singerman. Ich glaube, er wäre gut.« Wurzel war misstrauisch. Nach Doug Smith vertraute er niemandem mehr. Das Leben kann so was mit einem machen, wissen Sie. Aber Todd kam vorbei und überredete uns, dass er
den Job bekam. Er hat hart gearbeitet, um den Job zu bekommen, aber jetzt, wo er ihn schließlich hat, muss er sogar noch härter arbeiten! Jedes Mal, wenn er sich beschwert, dass er mit Arbeit zugeschissen ist, sage ich einfach zu ihm: »Hör mal, du hast dich für den Job freiwillig gemeldet. Dein Pech!« Und er erledigt seinen Job ausgezeichnet. Todd ist ein Kämpfer, und so einen brauchen wir. Er ist auch hartnäckig – etwas, das ich früh über ihn lernte! Derweil wurde March or Die aufgenommen. Wir arbeiteten wieder mit Pete Solley, aber – wie das oft mit unseren Produzenten ist – war auch er beim zweiten Mal nicht mehr so gut. Ich glaube, der Punkt war das Titelstück des Albums, denn er hatte seine Version von »March or Die«, und das war’s. Ich wollte ein paar Sachen verändern und er half mir überhaupt nicht. Er saß einfach nur da, die Füße auf einen Stuhl gelegt, und ließ den Tontechniker daran arbeiten. Ich fand das ziemlich beschissen. Deswegen funktionierte March or Die nicht. Dabei hätte es funktionieren müssen – ich habe ein paar Takes auf Kassette, die viel besser als die Albumversion sind. Andere Tracks wie »Stand« und »You Better Run« sind ziemlich gut. Die Plattenfirma wollte, dass wir einen Klassiker covern. Ich glaube, es war Phil Campbells Idee, Ted Nugents »Cat Scratch Fever« zu nehmen. Ehrlich gesagt, mag ich unsere Version lieber, Ted Nugents ist sehr dünn. Unsere haut seine locker aus dem Ring – natürlich erinnert sich niemand mehr an unsere. Insgesamt wird March or Die unterbewertet. Ich wette, Sie glauben, dass ich einen großen Teil der Schuld dafür der Plattenfirma zuschiebe. Und Sie haben Recht. WTG starb, während wir diese Platte machten. Jedes Mal, wenn wir bei ihnen im Büro vorbeischauten, waren dort weniger und weniger Leute. Als das Album schließlich veröffentlicht wurde, waren nur noch Jerry Greenberg und Leslie Holly übrig. Doch wie wichtig wir unserer
Muttergesellschaft Sony waren, zeigte sich, als wir die Single zu March or Die veröffentlichten, »Ain’t No Nice Guy«. Der Track hatte alles. Es war ein großartiger Song, eine Ballade mit richtigem Radiopotenzial. Dann sang auch noch Ozzy den Song mit mir. Anfangs wollte er den Song für sich selbst, aber ich wollte ihn ihm nicht geben – vielleicht hätte ich es tun sollen, dann hätten mehr Leute ihn gehört. Und Slash von Guns N’ Roses spielt das Gitarrensolo. Er kam vorbei, nahm ein paar Drinks und spielte sein Solo. Ich mag Slash ziemlich gern. Guns N’ Roses mögen einen üblen Ruf gehabt haben, aber er ist ein sehr netter und sehr aufrichtiger Kerl. Jedenfalls hatten wir diesen großartigen Song, bei dem zwei der größten Künstler des Heavyrock mitspielten. Jerry von WTG wusste, dass es ein großartiger Song war. Er konnte gar nicht verlieren – das heißt, außer unsere Plattenfirma versuchte absichtlich, ihn zu sabotieren. Und genau das passierte. Der schlimmste Albtraum für eine Band. »Ain’t No Nice Guy« wurde sogar ein Radiohit, aber das lag ausschließlich an uns. Sony rührte keinen Finger, genauso wenig wie die Marketingabteilung der Epic. Ihr Auftrag war es, den Song bei den Rocksendern unterzubringen: »Wir haben einige angefragt, aber sie wollten ihn nicht spielen.« Das war eine eklatante Lüge, denn unser Management sorgte dafür, dass er gespielt wurde. Einer unserer eigenen Leute, Rob Jones, klemmte sich selber hinters Telefon. Und nach zwei Monaten hatten wir 28 Sender überzeugt! Und all diese Sender erzählten uns, dass Sony ihn nie beworben hatte – diese Leute hatten keine Ahnung, dass es den Song überhaupt gab. »Ain’t No Nice Guy« landete auf Platz 10 in den Radiocharts, und Sony erledigte nicht einmal den ersten Telefonanruf – stellen Sie sich nur vor, was geschehen wäre, wenn sie sich auch nur die geringste Mühe gemacht hätten! Aber nein: Sie haben den Song sogar sabotiert! Einer der Typen vom Label rief bei einem Sender in
Kansas City an: »Ich habe gehört, dass ihr »Ain’t No Nice Guy« spielt. Ich wünschte, das würdet ihr nicht. Wir haben ihn euch nicht gegeben.« Was für ein verfluchtes Arschloch! Da hatten sie einen Hit und liefen herum und versuchten, ihn zunichte zu machen! Unser Manager Todd rief diesen Idioten an und rastete komplett aus. »Ich habe anderthalb Jahre lang deinen Arsch geküsst, damit du deinen Job machst. Ich habe meinen Job gemacht, und die einzige Person, die ihren nicht erledigt hat, bist du! Wenn die Platte bis um halb elf heute Abend nicht wieder in der Rotation ist, dann habe ich ein paar Vettern in South Central, die dafür sorgen werden, dass du in Zukunft keine Absagen mehr schreiben wirst!« Natürlich waren wir eine Stunde später wieder auf Sendung, aber ist es nicht traurig, dass sie einen dazu bringen, sich auf so ein Niveau zu begeben? Wenn du nett zu ihnen bist, halten sie dich für ein leichtes Opfer und schikanieren dich. Wenn du dich wie ein Arschloch verhältst, verhandelst du mit ihnen wenigstens unter Bedingungen, die sie verstehen können, aber du wirst höchstwahrscheinlich gefeuert, wie es uns schließlich ergangen ist. Aber das Arschloch raushängen zu lassen, scheint oft die einzige Möglichkeit diesen Scheißanzugträgern überhaupt eine Reaktion zu entlocken. Da wir von der Plattenfirma keine Unterstützung in Sachen Radio bekamen – um es mal sehr milde auszudrücken –, wird es Sie nicht überraschen, dass sie uns auch bei MTV Steine in den Weg legten. Wir waren mit dem Song Platz 10 im RockRadio und alles was wir wollten, waren etwa fünfzehn Riesen, um ein verdammtes Video zu drehen. Aber sie haben keinen Cent rausgerückt, die Geizkragen! Also nahmen wir etwa 8.000 $ von unserem eigenen Geld und machten es selbst – Ozzy und Slash, nett wie sie sind, haben sogar mitgespielt! Obwohl das Video ein wenig zusammengewürfelt ist, war das
Ergebnis gar nicht so schlecht. Aber MTV konnte es anfänglich nicht spielen, weil Sony drei Wochen brauchte, um die Veröffentlichung zu unterzeichnen! Lassen Sie uns noch über eine andere Sache sprechen. Wir spielten in der Tonight Show. Wir waren die erste HeavyRock-Band, die bei dieser Show je auftrat. Und diesen Auftritt hatten wir natürlich nicht Sony zu verdanken. Im Gegenteil. Unser Manager und Annette Minolfo, die frei für uns arbeitete, haben ihre Beziehungen spielen lassen und es klappte. Natürlich schickte die Plattenfirma am Tag der Aufnahme ein paar Leute vorbei, um ein Auge auf uns zu haben. Und uns hatten sie anfangs gesagt, dass wir keine Chance hätten – die Wichtigtuer! Bei der Tonight Show war es großartig. Jay Leno war wirklich ein Gentleman, viel netter als David Letterman, den wir nicht einmal trafen, als wir in seiner Show waren. Jay kam zwei Stunden vor der Show zu uns in die Garderobe: »Habt ihr alles, was ihr braucht?« Das musste er nicht tun. Während der Probe liefen die Leute umher und gerieten über den üblichen Unsinn in Panik. »Ihr könnt das nicht so laut stellen! Davon vibrieren die Kameras!« »Wie haben sie dann all die Zugunglücke gefilmt?« Es ist Schwachsinn. Nichts erschüttert diese verdammten Kameras! Sie sagten das Gleiche zwanzig Jahre früher bei der BBC, und es war damals schon eine Lüge! Aber die Show selbst hat sehr viel Spaß gemacht. Nach unserer ersten Nummer musste ich Branford Marsalis, dem damaligen Bandleader der Tonight Show, fünf Dollar geben. Todd hatte ihn mir vor einiger Zeit in einem Club in Hollywood vorgestellt. Er war gerade erst seit kurzem bei der Tonight Show. Ich sagte zu ihm: »Ihr solltet uns in eurer Show haben.« »Ja, werden wir.«
»Ich wette fünf Dollar, dass ihr das nicht schafft.« Er sagte: »Okay, die Wette gilt.« Die anderen Gäste waren der Bursche Neil Patrick Harris aus der Fernsehserie Doogie Howser und die Charakterdarstellerin Edie McClure – sie war ein tolles Mädchen. Ich hatte Spaß dabei, mich mit Jay zu unterhalten und mit Edie herumzuscherzen. Wir spielten zwei Nummern und es war insgesamt eine sehr gute Show – und das hatten wir nicht Sony zu verdanken! Ein paar Wochen vor unserem Auftritt bei der Tonight Show spielten wir auch drei Shows an der Westküste auf der Stadiontour von Metallica und Guns N’ Roses. Ich bin nicht sicher, wie wir zu der Ehre kamen. Aber wahrscheinlich war es Metallicas Verdienst. Sie sind die einzige Band, die je eingestanden hat, was sie uns verdanken. Diese drei Stadiongigs liefen gut, besonders die letzten beiden. Wir bekamen die gesamte PA und wurden anständig und mit Respekt behandelt. So sollte es auch sein. Wo wir gerade von Respekt sprechen, schätze ich, dass dies eine gute Gelegenheit ist, zum dreckigen Geschäft mit Sony zurückzukommen, bei dem uns überhaupt kein Respekt entgegengebracht wurde. Ich kann aus ihrer Haltung uns gegenüber nur schlussfolgern, dass WTG von Sony als Steuerabschreibung benutzt wurde. Es schien, als unternähmen sie rein gar nichts, um uns zu helfen, und alles, um das Verkaufspotenzial unserer Platten zu schädigen, besonders bei March or Die. Als das Album herauskam und nur noch Jerry und sein Assistent übrig waren, wussten wir, dass WTG auf seinem Weg ins Aus war. Aber wir rechneten damit, dass Sony uns auf eines seiner anderen Labels nehmen würde. Epic lag auf der Hand, da sie für unser Marketing verantwortlich waren. So läuft es normalerweise. Und aufgrund der GrammyNominierung und den guten Rezensionen von 1916 und von
March or Die hätte es auch Sinn gemacht. Aber nein, sie ließen uns fallen, und um ganz ehrlich zu sein, ich glaube, sie taten uns einen Gefallen. Diese Neandertaler von Firmenmanagern bei Sony waren alle dumme, ignorante, verdammte elitäre Fotzen. Das soll jetzt nicht verbittert klingen, aber diese Gefühle hegte ich schon lange vor unserem Rausschmiss! Sie haben überhaupt keine Ahnung von Musik. Sie verkaufen Millionen von Platten, aber das ist ja klar, wenn man den gesamten Katalog von Michael Jackson und Mariah Carey hat. Glaubt mir, Mariah Carey ist ohne Tony Mottola viel besser dran! Mottola war der Typ, der mich nicht einmal bei seiner eigenen Grammy-Party zur Kenntnis nahm. Scheiß auf ihn, und scheiß auf sie alle. Sie sind die begriffsstutzigsten Arschlöcher, die ich in meinem ganzen Leben je gesehen habe. Wir spielten einige Gigs als Headliner in Argentinien und Brasilien und dann – bevor wir uns neu gruppierten und uns Gedanken über eine neue Plattenfirma machen mussten – nahmen wir an der CMJ-Convention in New York teil. CMJ ist ein Handelsblatt für Collegemusik, und es hält jedes Jahr eine Convention ab. Mehrere Organisationen veranstalten diese Musikkonferenzen und ich war bei einigen von ihnen. Das sind seltsame Angelegenheiten: Im Allgemeinen treffen sich dort Haufen von unwichtigen Managern, die sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und ihre Spesenkonten an der Bar plündern. Aber es sind auch viele jüngere Leute dort – in der Regel Musikfans, die gerade ihre Karrieren im Musikgeschäft beginnen. Die armen Schweine. Und natürlich sind die Anzugträger mit ein paar Künstlern da, die sie zur Schau stellen wollen. Ich war dort, aber niemand versuchte, mich zur Schau zu stellen – das wagte keiner! Wurzel und ich waren bei einer Diskussionsrunde dabei – ein einziger Witz! Nur sinnloses Gelaber! Bei dieser Runde war so eine MetalSängerin, die sich selbst The Great Kat nannte, die unser aller
Zeit verschwendete, indem sie ständig davon redete, wie toll sie war! Wurzel pisste währenddessen in eine Flasche – hat natürlich außer mir keiner gesehen. Aber ich erinnere mich gern an diese Convention, da Wurzel und ich zufällig auf einen Mann trafen, den ich sehr verehre – den Gitarristen Leslie West. Leslie West ist großartig. Ein Verrückter mit irren PsychoBlick. Ich stellte ihn Wurzel vor, und er warf Wurzel so einen Blick zu: »Sag mir, ist das ein Name, von dem deine Mutter gehört hat, oder wurde er dir später gegeben?« Wurzel, den Leslies irrer Blick ein wenig nervös machte, antwortete: »Sp-später, in der Schule.« »Sag mal, Wurzel, sag die Wahrheit – nimmst du Drogen?« »J-Ja, tu ich.« »Komm mal mit.« Also verschwanden sie beide auf der Herrentoilette in einer Kabine, was nicht einfach ist bei Leslies Größe. West ließ das Kokain auf seinen Schuh fallen: »Ich will nicht, dass du das jetzt falsch verstehst, Wurzel, aber du musst dich jetzt bücken!« Also musste Wurzel sich bücken und es von seinem Stiefel schniefen! Dann hatte Leslie West genug von der Convention: »Ich kann nicht hier bleiben, Lemmy. All diese Leute sind verdammte Banausen.« »Ich weiß, ich versuche selbst, hier rauszukommen.« »Also, ich verschwinde. Es tut mir wirklich Leid, dich hier alleine zu lassen, aber ich muss gehen.« Und weg war er. Ich kann nicht behaupten, dass ich ihm das übel nehme. Keine seiner Plattenfirmen hat je auch nur einen Scheiß für ihn getan. Das ist ein Kerl, der die Nummer eins sein sollte, aber er ist seit Jahren von der »Hitmaschine« ignoriert worden.
Jedenfalls standen wir am Jahresende mal wieder ohne Label da, aber wir waren wesentlich besser dran, wenn Sie mich fragen. Nachdem ich von denen da oben bei Sony eine Lüge zu viel gehört hatte, fragte ich schließlich einmal einen von den Typen: »Warum habt ihr uns nicht die Wahrheit gesagt?« Und das war seine Antwort, wortwörtlich: »So läuft dieses Geschäft nicht.« Können Sie sich vorstellen, wie jemand so etwas sagen kann? Wie kann man nur so unehrenhaft sein? Solche Leute sollten mit ihren Eiern an einem brennenden Stück Holz aufgehängt werden. Aber nach fast dreißig Jahren im Musikgeschäft hätte ich es langsam wissen müssen. Ich habe immer gesagt, dass ein gutes Geschäft Diebstahl ist – wenn du einen guten Geschäftstag hattest, hast du jemandem das Geld gestohlen. Diese Leute behandeln die Musik einzig als eine Ware, als würden sie Dosen mit Bohnen verkaufen. Die meisten Leute haben die Bands, die sie promoten, nicht einmal angehört. Niemand scheint mehr an die Musik zu glauben. Die Industrie expandiert ohne Ende, aber diese Leute töten die Musik. Sie versuchen es zumindest, aber ich lasse sie nicht, so lange ich lebe. Scheiß auf sie, wissen Sie. Sie sind erbärmliche, dumme, arrogante Bastarde, die man getrost vergessen kann – so ist es. Die können Sie vergessen. Denn die Leute werden sich an mich erinnern, aber die Anzugträger wird man vergessen. Scheiß auf sie. Wer sind die schon? Jemand, der für Sony arbeitete? Ha! Da muss schon was Besseres kommen!
Wie sie sich wahrscheinlich denken können, war ich nicht gerade erschüttert, als wir von Sony fallen gelassen wurden. Solche Sachen kümmern mich überhaupt nicht – man muss nur einfach weitermachen, und alles wird sich von selbst ergeben. Das tut es immer. Du darfst nur nicht in Panik verfallen und aufgeben. Vielmehr musst du an deine eigenen Fähigkeiten glauben und dann wird sich da draußen auch jemand finden, der das erkennt und genauso sieht wie du. Wenn du den Anschein erweckst, dass du am Boden bist, wer soll sich dann bei dir melden? Also machten wir während der letzten Tage des SonyDebakels weiter, wie wir es immer machen – wir spielten ein paar Gigs. Nicht lange, bevor wir fallen gelassen wurden, spielten wir fünf Auftritte zusammen mit Ozzy Osbourne und Alice In Chains. Ozzy war auf einer seiner so genannten »Abschieds«-Tourneen – als wenn er sich wirklich irgendwann zur Ruhe setzen würde! Ozzy ist einer der charismatischsten Künstler der Welt, das ist er verdammt noch mal! Er würde durchdrehen, verdammt noch mal, wenn er sich zur Ruhe setzen würde! Wenn er sich selbst so sehen könnte, wie das alle anderen tun, dann würde er nie wieder davon anfangen zu reden, sich zur Ruhe zu setzen. Er wird sich eines Tages zur Ruhe setzen müssen, schätze ich, aber nicht bevor er nicht
mehr gehen kann. Jedenfalls spielten wir nur ein paar von diesen »Abschieds«-Shows und wurden dann aus dem Programm geworfen, weil wir an unseren freien Tagen die Auftritte mit Guns N’ Roses und Metallica spielten. Das hat mit Rock’n’Roll nun wirklich nichts mehr zu tun, wenn Sie mich fragen. Da wir aber als Dritte auf dem Programm standen, unter Alice In Chains, war es mir egal. Wir machten auch ein paar Aufnahmen. Wir hatten ein paar Songs auf dem Soundtrack zu Clive Barkers Hellraiser III: Hell on Earth – »Hellraiser« (vielleicht keine Überraschung) und »Hell on Earth«, der bei der gleichen Session aufgenommen wurde. Zusätzlich nahmen wir noch »Born to Raise Hell« auf, bei dem ich mir die Vocals mit Ice T und Whitfield Crane, dem Sänger von Ugly Kid Joe (er ist ein netter Kerl… jetzt ist er ein netter Kerl! Hi, Whit!) teilte. Der letztere Song lief während der Titel im Abspann und erschien nicht auf dem Soundtrack-Album. Wir drehten sogar ein Video für »Hellraiser«, aber Sony bezahlten natürlich nicht dafür. Ich glaube die Filmgesellschaft übernahm die Kosten. Wie Sie sehen, ist unsere Karriere nicht im Geringsten davon abhängig gewesen, was Sony tat. Gott sei Dank. Später spielten wir einige Shows in Argentinien und Brasilien, bei denen Alice In Chains für uns eröffneten. In einigen dieser Länder herrscht praktisch Anarchie und du musst dort wirklich auf deinen Arsch aufpassen. Einmal wurden wir in Brasilien in das Haus des Präsidentensohnes eingeladen. Doch auf dem Weg dorthin, versuchten uns die Bullen festzunehmen. Das ist für sie eine super Einkommensquelle, Leute wie uns zu verhaften und uns dann eine Menge Lösegeld abzuknöpfen. Und natürlich sind alle Rockbands sehr wohlhabend – ha, ha! Nach unserer Show gingen wir zum Parkplatz, und all diese Security-Typen standen vor dem Kleinbus, der uns ins Hotel bringen sollte.
Einer von ihnen war noch in dem Wagen und machte an einem der Sitze herum. Mir kam das spanisch vor und ich sagte zu meinen Leuten: »Niemand steigt in den verdammten Bus!« Ich bestand darauf, dass wir einen anderen bekamen. Die Typen versuchten mir zu erklären, dass es keine anderen Busse gebe, worauf ich entgegnete: »Dann bleiben wir die verdammte Nacht über hier. Ich schlafe in der Garderobe. Okay?« Natürlich fand sich schließlich doch noch ein anderer Bus. Nachdem wir kurz im Hotel waren, fuhren wir zum Haus des Präsidentensohnes. Kaum waren wir ein paar Meter gefahren, winkte uns ein Polizist zur Seite. Er ließ uns aussteigen und ging zielstrebig zu dem Sitz. Aber er wusste nicht was er tun sollte, denn da war natürlich nichts! Nada! Also stellte er eine dämliche Fragen: »Wie alt sind diese Mädchen?« Er war im Arsch und er wusste es. Dann ließ er uns warten – angeblich war der Bus überfüllt – bis sie uns noch einen Bus brachten. Ich hatte den leisen Verdacht, dass sie die ganze Nummer noch einmal probieren würden, also ging ich zurück in Richtung Hotel – ich sehe nicht ein, warum man freiwillig seinen Kopf auf den Richtblock legen sollte! Aber der Bus fuhr an uns vorbei und ihm folgten keine Bullen. In diesen sind wir dann eingestiegen und kamen so schließlich bei dem Haus des Präsidentensohnes an. Das war etwas ganz anderes! Du kommst da oben an und plötzlich treten all diese Soldaten aus dem Wald, die Gewehre im Anschlag, und fragen nach dem geheimen Passwort und so weiter. Wir wurden als unbedenklich eingestuft, also konnten wir ohne weitere Schwierigkeiten durch. Wir amüsierten uns ganz gut, aber für meinen Geschmack waren zu wenig Mädchen da. Phil Campbell lief betrunken mit dem Präsidentensohn und diesen ganzen riesigen Security-Typen herum. Am Ende des Abends waren sie die besten Freunde. Anschließend spielten wir wieder in den Staaten, diesmal mit Black Sabbath. Das
Eigenartige an der Tour mit ihnen war, dass sie jeden Nachmittag ein Nickerchen machten. Alles wurde zugemacht, in der Garderobe musste es ganz dunkel sein. Drei von ihnen saßen auf einer Couch, eingenickt, wie die Hühner auf einer Stange. Bobby Rondinelli wollte eigentlich gar kein Nickerchen machen, aber er musste. Schließlich saß er neben Geezer und Tony! Also musste er zumindest so tun, als ob er schlafen würde. Der Arme. In Milwaukee mussten wir uns mit ihnen die Garderobe teilen. Plötzlich gingen alle Lichter aus und wir mussten eine Stunde im Dunkeln sitzen. Abgefahren. Sollte Motörhead im Jahr 2035 noch existieren, so glaube ich nicht, dass wir dann reif für ein Nachmittagsschläfchen sind. Abgesehen von ihren Nickerchen, lieferten Black Sabbath jeden Abend eine großartige Show. Sie haben auf der ganzen Tour ihr Bestes gegeben. Das Jahr endete ein wenig unerfreulich. Wir sollten durch England touren. Aber wie ich schon erwähnt habe, mussten wir dies absagen, weil die Promoter nicht das Geld garantieren wollten, und wir es ganz sicher nicht selbst aufgebracht hätten – Sie kennen die Geschichte. Wir zogen aber durch ganz Europa, und es lief sehr gut, wie immer. Verstehen Sie – wir sind die einzige Konstante in dem Geschäft. Wir tauchen immer auf und spielen unser Zeug, wir sind immer pünktlich, und wir sind immer ziemlich vernünftig (meistens jedenfalls). Wenn die Promoter ihren Job nur halb so gut machen würden wie wir, wäre allen geholfen. Anfang 1993 verbrachten wir eine Woche damit, ein paar Shows in Anaheim in einem Laden namens California Dreams – den es nicht mehr gibt – zu spielen und herauszufinden, was wir in Sachen Plattenvertrag unternehmen sollten. Wir brauchten natürlich einen Vertrag. Schließlich bekamen wir einen mit einer deutschen Firma, ZYX, der sich jedoch als eine verdammte Katastrophe herausstellte. Aber sie boten uns mehr
Geld als alle anderen – der Betrag, den sie uns anboten, war irrsinnig und im Voraus – also nahmen wir es. Zu diesem Zeitpunkt waren wir mehr als pleite und wenn du blank bist, nimmst du natürlich die Kohle, oder? Anfänglich sah es auch ganz gut aus. Deutschland war seit Jahren unser bester Markt und so machte es natürlich mehr als Sinn, bei einem deutschen Label zu unterschreiben. Sie machten alle möglichen Versprechungen und um uns zu treffen, sind sie die ganze Zeit über den Atlantik geflogen. Da es sich bei ZYX in erster Linie um ein Dance-Label handelte – das hätte uns schon als Hinweis dienen müssen – meinten sie, wir könnten den Vertrieb übernehmen und unser eigenes Tochterlabel haben. Aber letztendlich beharrten sie doch darauf, alles selbst zu machen, was im völligen Chaos endete. Sie hatten keine Ahnung vom Marketing in den Staaten und der Typ, der den Laden leitet, hat die Firma auch gegründet. Allerdings war das 1926 oder so! Er war wirklich steinalt und alle Entscheidungen mussten von ihm abgesegnet werden. Keine Ahnung, wie oft Todd sich mit ihnen treffen musste, auf jeden Fall flog er öfters zu ihnen, als dass sie uns besuchten! Todd hatte uns gerade mal ein Jahr gemanagt. Aber er erwies sich als Herr der Lage! In was für ein Chaos wir uns gerade manövrierten, wussten wir damals nicht. Wir machten, was wir immer machen: ein neues Album aufnehmen. Das erste bei dem Mikkey von Anfang an dabei war. Und es war eine Freude mit ihm zu arbeiten. Er trommelte nicht nur fantastisch, sondern er hat sich so sehr am Songwriting beteiligt, dass wir das Album schließlich Bastards nannten. Phil Taylor war schon eine lange Zeit, bevor wir ihn feuerten, nicht mehr am Songwriting interessiert gewesen. Und Mikkey zeigte auch im Studio Engagement – er trommelte die Schlagzeugspuren in Rekordzeit ein. Er war erstaunlich, und ist bis zum heutigen Tag erstaunlich geblieben… nicht zu vergessen ein Pfundskerl!
Wir holten uns einen neuen Produzenten für dieses Album. Für den größten Teil unserer Karriere schien es, als wechselten Motörhead die Produzenten bei jedem zweiten Album. Jimmy Miller machte zwei, genauso wie Vic Maile und Pete Solley. Danach schien die Luft raus zu sein. Ich glaube, wir nutzen sie ab! Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen des anderen Typen, den wir uns für die neue Platte ansahen. Wir mussten uns zwischen ihm und Howard Benson entscheiden, und wir nahmen Howard. Howard verdiente sich auf jeden Fall den Job: Er war scharf darauf und er kam zu allen Proben (obwohl ich sagen muss, dass es das letzte Mal war, dass er das tat). Howard war da, Howard würde diese Platte machen, was zum Teufel auch passierte. Er kam einfach und hing herum, bis wir ja sagten. Am Ende sagten wir einfach: »Scheiß drauf, lassen wir’s ihn machen!« Er wollte dieses Album wirklich und erstaunlicherweise blieb er für vier Alben bei uns. Keine Ahnung, wie er den Zwei-Alben-Fluch brechen konnte – er hat es geschafft. Im Großen und Ganzen waren wir auch sehr zufrieden mit ihm, trotz seiner merkwürdigen Angewohnheiten – zu denen komme ich später. Er legte sich für Bastards mächtig ins Zeug und es ist eines der besten Alben, die Motörhead bis jetzt gemacht haben. Jeder Song darauf ist stark. »Death or Glory« und »I Am the Sword« sind wahrscheinlich meine Lieblingssongs, zusammen mit »Lost in the Ozone«. Und dann gibt es da noch »Don’t Let Daddy Kiss Me«, der von Kindesmissbrauch handelt. Den hatte ich schon einige Jahre vorher geschrieben. Ich bot ihn jeder an – Lita Ford, und Joan Jett, denn ich fand, dass ihn ein Mädchen singen sollte – aber irgendwie wurde nichts daraus. Sie hörten den Song: »Ich liebe ihn! Ich muss ihn singen, du musst mir diesen Song geben!« Und drei Wochen später rief der Manager an: »Nein.« Deswegen habe ich letztendlich selbst gesungen.
Es machte uns wirklich Spaß, Bastards aufzunehmen. Obwohl er bei unserem nächsten Album, Sacrifice, noch an Bord war, ist es Wurzels letztes Motörhead-Album. Denn bei Sacrifice war er nur noch physisch anwesend. Den meisten Spaß hatten wir, indem wir Howard verarschten. Im Studio benahm er sich nämlich wie ein Mädchen. Er quasselte ununterbrochen Blödsinn wie »Beleidige mich nicht, Mann.« Worauf ich nur antworten konnte: »Es ist unmöglich, dich zu beleidigen, Howard. Warum sollte ich mir die Mühe machen? Du machst das schon ganz alleine.« Einmal trug er ein T-Shirt mit einer Zahl darauf. Es war glaube ich die 36. Phil fragte ihn: »Ist das ein ausländisches Hemd, Howard?« »Nein, warum?« »Ich habe noch nie gesehen, dass ›Fotze‹ so geschrieben wird.« Damit kriegten wir ihn zweimal dran, und schließlich begann er auszuflippen: »Warum habt ihr mich dann eingestellt, wenn ihr mich nicht mögt!« »Also, du warst der Einzige in unserer Preisklasse.« Trotzdem machte ihm sein Job Spaß, denn er hat uns das ein oder andere Mal gegenüber anderen verteidigt. Trotzdem ist er mit mir des Öfteren aneinander geraten. Während der ersten Tage im Studio wartete ich eine Ewigkeit, um ein paar Vocals einzusingen. Er saß währenddessen stundenlang über einem Gitarrenpart. Mir war das zu blöd, also besorgte ich mir einen Hamburger. Gerade als ich hineinbeißen wollte, rief er: »Alles klar! Gesang!« »Du blöde Schwuchtel, warum lässt du mich nicht meinen verdammten Hamburger essen?« »Komm schon, komm schon, wir haben einen Termin einzuhalten!« Howard in der klassischen Rolle des Studio-Arschlochs! Ich tat das einzig Richtige: Ich schmierte den Burger ins Mischpult. Howards Essgewohnheiten lassen übrigens einiges
zu wünschen übrig – er isst all diese schrecklichen vegetarischen Sachen, Obst und Nüsse. Der Scheiß ist nicht gesund! Menschen sind Fleischfresser – sehen Sie sich nur mal unsere Zähne an! Unser Verdauungssystem ist nicht dazu geschaffen, dieses Grünzeug zu verdauen. Man muss die ganze Zeit davon furzen! Vegetarismus ist unrealistisch – warum haben Kühe vier Mägen und wir nur einen? Denken Sie mal darüber nach (Hi, Howard!). Und vergessen Sie nicht: Hitler war ein Vegetarier! Während der ganzen Zeit, die wir bei ZYX waren, war die Aufnahme des Albums das Einzige, was glatt über die Bühne lief. Aber wenn wir im Studio sind, läuft es meistens so. Mikkey war ziemlich überrascht von unserer Arbeitsweise im Studio. Er war an Leute wie Don Dokken gewöhnt, die drei Jahre an der gleichen Platte arbeiten und alles im Voraus geplant haben. Ich kann es nicht ausstehen, so zu arbeiten. Wir gehen mit nichts rein und arbeiten es einfach aus. Das kostet erheblich weniger und wie Sie sehen, funktioniert es bei uns sehr gut so. Jedenfalls war die Platte großartig, aber man konnte sie nirgends kaufen! Okay, in Deutschland war sie erhältlich – aber ZYX ist ja auch ein deutsches Label! Irgendwann war sie schließlich in Japan erhältlich. Aber in den USA wussten sie nicht einmal, dass wir eine neue Platte auf dem Markt hatten. Trotzdem sind wir auf Tour gegangen. Wir waren der Meinung, wenn die Leute die Platte nicht kaufen konnten, so sollten sie zumindest die Möglichkeit haben, sie live zu hören. Aber die ganze Situation war zum Kotzen. Bastards war eines der absolut besten Alben, die wir je machten, und es verschwand einfach im Nirgendwo. Es ist eine Riesenenttäuschung, wenn man sich für eine Platte so den Arsch aufreißt und dann will die eigene Plattenfirma damit nichts zu tun haben. ZYX war nicht einmal in der Lage PromoExemplare locker zu machen! Unsere Verlegerin, Annette
Minolfo, wollte 200 CDs, um sie den DJs und der Presse zu geben. Und diese Deppen sagten nein. Es war ihnen zu teuer! Zu teuer?! Sie hatten uns gerade erst eine halbe Million Dollar Vorschuss gegeben, um das verdammte Ding zu machen. Und dann waren 200 Promo-CDs zu teuer! Da muss irgendjemand seinen Kopf tief in seinem Arsch haben, oder? Eine Sache muss ich allerdings über Bastards sagen: es lief im Radio, was man von 1916 oder March or Die nicht sagen konnte. Aber nur, weil wir Bastards selber an die Radiostationen geschickt haben. Es könnte so einfach sein. Nach der Fertigstellung von Bastards tourten wir jedenfalls zweimal durch Nordamerika und Europa – das Übliche. In Montreal haben wir Mikkey so richtig verarscht. Zwei Transvestiten hatten sich in ihren Fummel gezwängt und wollten mit uns zusammen fotografiert werden. Wie Sie wissen, interessiere ich mich nicht für die sexuellen Vorlieben anderer Leute. Noch weniger dafür, wie sie sich anziehen. Phil ist ganz meiner Meinung – er zieht sich selbst die Hälfte der Zeit so an, was glauben Sie, warum er auf Bastards »Stiletto Heels« genannt wird? Mikkey ist da ganz anders, trotz seines Hübschen-Jungen-Aussehens hasst er so etwas. Wir willigten ein, warteten aber bis zur letzten Minute, bis wir Mikkey aufklärten: »Mikkey! Komm, wir machen ein Foto mit diesen Mädels!« Das ließ er sich nicht zweimal sagen, doch als er mitbekam, dass der Rock des einen Typen hinten offen war und man seinen behaarten Arsch sehen konnte, knurrte er nur noch: »Verdammte Schwuchteln!« Anschließend sind wir in einen anderen Club gefahren und Mikkey zog beleidigt ab. Später kehrte er in den Laden zurück – er konnte ja nicht wissen, dass nach dem Konzert eine Schwulendisko stattfand. Er stieg bei Minus 20 Grad aus seinem Taxi – wir waren mit dem Bus unterwegs – und der einzig warme Ort war die Disko. Mehr als zwei Stunden steckte er fest und wurde von den
Transvestiten und Schwulen die ganze Zeit mit Fragen wie »Wo lässt du dir deine Haare machen?« gelöchert. Ich hätte hundert Dollar bezahlt, um das zu sehen – es muss verdammt fantastisch gewesen sein! Ho, ho, ho! Bei unserer USA-Tour spielten wir das zweite Mal mit Black Sabbath. Es lief großartig bis wir nach Los Angeles kamen. Ich fing mir einen furchtbaren Grippevirus ein. Mikkey und Wurzel hatten den Virus schon in Denver. Es war der schlimmste Scheiß, den ich jemals hatte. Wir sollten an dem Abend im Universal Amphitheater spielen, aber Todd sagte mir geradeheraus: »Leg dich wieder hin. Du gehst nirgendwohin. Schon gar nicht auf eine Bühne!« Es war nett von Black Sabbath, dass sie uns nicht aus der Tour kickten, denn ich hätte ja auch simulieren können. Immer wenn ich krank werde, bekomme ich zu hören, dass ich es mit den Drogen übertreibe, aber ich war wirklich krank! Ich war in wenigen Tagen wieder auf den Beinen – so sind diese Grippeviren. In Argentinien spielten wir vor 50.000 Leuten. Wir versuchen jedes Jahr in Südamerika zu spielen – es hängt davon ab, ob gerade mal wieder Ausnahmezustand herrscht oder nicht. Wir spielten mit den Ramones in einem Fußballstadion und, wenn Sie mich fragen, haben wir denen die Show gestohlen. Obwohl die Ramones dort ganz groß sind und wie Götter verehrt werden. Die meisten in der Menge trugen Motörhead-Shirts und die 50.000 flippten total aus. An dem Abend konnte man einfach nicht nach uns auf die Bühne gehen. Egal wer es gewesen wäre – ich glaube, nicht einmal die Beatles hätten an jenem Abend nach uns auf die Bühne gehen können. Solche Momente sind es, die allen anderen Scheiß unwichtig werden lassen! Zwischen Japan und Europa hatten wir ein paar Tage frei und ich flog mit unserem Manager Todd und unserem Drum-
Roadie Pap nach Thailand. Es war wirklich ein sehr lehrreicher Trip, denn anscheinend hat das Leben dort absolut keine Bedeutung. Wenn man 600 $ bezahlt, kann man mit einer Gruppe von Leuten zusehen, wie ein Mädchen gefickt, zusammengeschlagen und erschossen wird. Sie kaufen diese Mädchen ihren mittellosen Familien aus dem Landesinneren ab, die das Geld brauchen, um ihre zehn anderen Kinder zu ernähren. Durch diese Art von Attraktionen (?!) bekommen die Geschäftsleute da unten ihren Kick. Wir sahen uns natürlich nichts dergleichen an. Wir gingen stattdessen in einen Club. Die Mädchen auf der Bühne sahen aus, als wären sie ungefähr sechzehn Jahre. Es waren die schönsten Frauen, die ich jemals gesehen hatte – sagenhafte, große Brüste, lange Beine und diese orientalischen Gesichter. Jede Einzelne von ihnen war ein Traum. Aber sie machten seltsame Dinge! Sie strippten nicht wirklich, denn sie waren eigentlich schon ziemlich nackt, nur mit einem kummerbundartigen Teil um ihre Mitte. Eine von ihnen ging in die Hocke und brachte Ballons zum Platzen, indem sie mit einem Pusterohr aus ihrem Unterleib schoss. Eine andere steckte in einer Schlinge und die anderen Mädchen schwangen sie auf ein weiteres Mädchen mit einem Dildo zu – sie wurde zweimal vom Tisch gestoßen. Eine andere schob sich dort einen Block Rasierklingen hinein und zog sie an einem Faden heraus. Eine sehr seltsame Erfahrung. Mit Erotik hatte das nichts zu tun! Schließlich kamen wir alle zurück nach Hause, und wir waren wieder einmal ohne Plattenfirma in den Staaten. Ich erinnere mich nicht mehr, wie sich unsere Wege mit ZYX trennten. Ich glaube, wir verließen sie einfach und gingen zu CBH. Deren Chef, Rainer Hansel, war schon seit Jahren unser deutscher Promoter. Deutschland war somit in trockenen Tüchern, aber in den Staaten sah es noch immer düster aus. Mikkey schob Panik, aber das macht er häufig – ständig sieht
er seinen Gehaltsscheck am Horizont verschwinden. Das ist okay, weil er wie Phil eine Familie ernähren muss. Ich muss das nicht. Panikmachen ist nicht mein Ding. Wir bekamen schließlich einen neuen Deal in den Staaten, aber bis es so weit war, hatten wir schon unser nächstes Album aufgenommen: Sacrifice. Wir hatten Plattenverträge in Deutschland und Japan, zwei wichtigen Märkten für uns, und sie wollten ein Album, also mussten wir weitermachen. Sacrifice ist eines meiner Lieblingsalben, was natürlich auch an den erschwerten Bedingungen liegt, unter denen es entstand. Howard produzierte uns erneut, aber er hatte auch gerade einen Job im A&R bei einem Label namens Giant bekommen. Also war er mit den Gedanken an mindestens zwei bis drei Orten gleichzeitig. Die Hälfte der Zeit hielt der Tontechniker, Ryan Dorn, alles zusammen, wobei er sich streng an Howards Anweisungen hielt. Mit jedem Tag wurde deutlicher, dass mit Wurzel etwas nicht stimmte. Er forderte sich überhaupt nicht mehr. Während wir an den Songs arbeiteten, saß er nur da mit seiner Gitarre auf dem Schoß. Die ganze Sache mit ihm schien über Nacht zu passieren, aber natürlich hatte sich über die Jahre bei ihm etwas angestaut. Für mich war es besonders schwierig, denn Wurzel war seit Jahren mein bester Freund in der Band. Und plötzlich war er mir total fremd – so etwas kann einem das Herz brechen! Trotzdem gingen wir mit einigen großartigen Songs ins Studio – wir schrieben »Sex and Death« innerhalb von zehn Minuten am letzten Tag der Proben. Wie üblich veränderte ich dann den Text während der Aufnahmen. »Another Time« veränderte ich so sehr, dass man es nicht wiedererkannte und ich hatte drei verschiedene Texte zu »Make ‘em Blind«. Bei »Out Of The Sun« musste ich noch etwas ergänzen. Der Song hatte nur zweieinhalb Strophen – und wer kann eine verdammte halbe Strophe singen? Bei den Proben
verschwendeten Mikkey, Phil und Wurzel natürlich keinen Gedanken daran, da sie ja keine Sänger sind. Verdammte Mucker! Mit Jamie, unserem Gitarren-Roadie, fügte ich schließlich den fehlenden Teil heimlich hinzu. Dann gab ich den anderen eine Kassette mit dem kompletten Song – Wurzel spielte sie in dem Mietwagen ab, und als er es hörte, wäre er fast von der Straße abgekommen! Manchmal muss man auch im Studio nichts dergleichen veranstalten, die Dinge tauchen wie aus dem Nichts auf – so war es bei »Make ‘em Blind«. Wir improvisierten das zum größten Teil im Studio, und Phil nahm sein brillantes Solo in einem Take auf. Es klingt, als würde es rückwärts gespielt. Aber während er sein Solo spielte, fiel er um – direkt über das Sofa und lachte lauthals los. Wir mussten nicht zweimal überlegen. Das war es einfach. Auf Sacrifice ist viel mehr Unsinn, als auf den meisten Alben davor. Die Texte haben keine tiefere Bedeutung, aber sie bringen die Stimmung richtig rüber, besonders das Titelstück und »Out of the Sun«. »Dog Face Boy« handelte von Phil Campbell. Doch das bemerkte ich erst, als ich den Song geschrieben hatte. »Poor boy out your mind again / Jet plane outside looking for another friend« – sobald Phil aus dem Flugzeug steigt, bumm! Ist er weg. Die meisten Leute stehen nach ihrer Fahrt zum Hotel noch unter der Dusche, da hat er sich schon einen Mietwagen organisiert und ist bereits in zwei Bars gewesen, um sich zu amüsieren. Einmal kam er nach L. A. und schnappte sich den Mietwagen, dessen Zähler am Flughafen noch bei null stand. Am nächsten Tag tauchte er auf und hatte über 200 Meilen runter. Er wollte zum Sunset in Hollywood und ist in Pomona gelandet! Keine Ahnung, wie er das angestellt hat. Danach besorgte er sich eine Karte von L. A. und jetzt kennt er die Stadt ziemlich gut. Er könnte sein Gehalt locker verdoppeln. Als Fremdenführer.
Kurz nach Beendigung der Aufnahmen haben wir Wurzel verloren. Ich hatte ihn schon dreimal überredet, wieder in die Band zurückzukommen: »Warum bleibst du nicht am Ball, es wird schon wieder besser werden.« Wir bemühten uns ständig, herauszufinden, was sein Problem war. Er konnte es uns einfach nicht sagen. Er behielt die Dinge, die ihm zusetzten so lange für sich, bis er sich in eine Raserei hineingesteigerte: »Du übernimmst die ganze Publicity!« Und ich sagte zu ihm: »Aber Wurzel, du hast dich zurückgezogen. Du und ich waren seit Jahren die Topnamen in der Band, und dann hast du plötzlich aufgehört, die Presse zu übernehmen. Außerdem bin ich neun Jahre länger in der Band als du, und die Leute erinnern sich an mich noch von Hawkwind. Du hast seit fünf Jahren keine Presse mehr gemacht. Du bist zu Hause gesessen, mit deiner Frau und deinem Hund. Wie kannst du da erwarten, dass die Leute von dir etwas hören wollen?« So etwas hört natürlich keiner gerne. Aber es war die Wahrheit. Es ist nicht meine Schuld. Wurzels Grundeinstellung war alles andere als nach vorne gerichtet. Als Pessimist kommt man nicht weiter. Das wurde ihm schließlich klar. Das Fass zum Überlaufen brachte die englische Fernsehsendung Don’t Forget Your Toothbrush. Obwohl die Show selbst furchtbar war – im Wesentlichen war es eine Spielshow, in der die Leute Pauschalreisen gewinnen konnten, die von einem schrecklich vergnügten Ex-DJ in albernen Klamotten und mit einer noch alberneren Frisur moderiert wurde – war die Musik super. Jools Holland, der früher bei Squeeze war, war der Bandleader. Er spielt unglaublich gut Klavier und seine Stimme klingt verdammt nach Ray Charles. Ich ging auf die Bühne und wir spielten »Ace of Spades« – mit einer vierköpfigen Bläsersektion! – und »Good Golly Miss Molly«. Es war das erste Mal, dass ich »Ace of Spades« ohne den Rest von Motörhead spielte. Das war der Grund, warum
Wurzel explodierte. Jem, seine Frau, rief bei dem Fernsehsender an und erklärte, dass Wurzel an meiner Stelle dort sein sollte! Schließlich schickte er mir ein Fax, in dem er Todd und mich des Diebstahls bezichtigte. Als ob ich Wurzels Geld nötig hätte – wie ich zuvor schon erläutert habe, mache ich mehr Geld durch Tantiemen als mit meinem MotörheadBackkatalog. Und Wurzel war der festen Meinung, dass sich Leute hinter seinem Rücken gegen ihn verschworen hätten – ich meine, wie unsinnig ist das? Wurzel erzählte den anderen, dass er die Band verlassen hatte. Mir hat er es nicht gesagt, was mich besonders hart getroffen hat. Schließlich waren wir über eine sehr lange Zeit die besten Freunde innerhalb der Band. Es war zum Kotzen, und ich war froh, als es vorbei war. Jemand erzählte mir, dass er nach seinem Ausstieg zu einem unserer Gigs nach Brixton kam. Anscheinend stand er während der ganzen Show da und weinte, während er uns auf der Bühne sah. Die Leute lieben es, einem schlechte Nachrichten zu überbringen, oder? Das zu hören, war schrecklich traurig. Da Wurzel weg war, beschlossen Mikkey und ich, dass wir jemand anders brauchten. Doch Phil sah das nicht so: »Ich würde es gerne alleine versuchen.« Wir wollten es als Trio wagen und abwarten, wie es so laufen würde. Und es lief erstaunlich gut. Früher war es Wurzel, der wie ein Energiebündel über die Bühne fegte. Am ersten Abend ohne ihn war ich sehr mit mir selbst beschäftigt – Bass spielen und singen – als plötzlich etwas an mir vorbeisauste… und es war Phil! Ich konnte es nicht glauben. Phil, der nie zuvor auch nur mit der Wimper auf der Bühne gezuckt hatte! Er hat wirklich alles gegeben und sich den Arsch abgespielt. Er ist wirklich aus sich herausgegangen. Phil ist ein seltsamer Typ, aber was das Gitarrespielen betrifft, ist er ein Naturtalent. Egal in welchem Zustand sich Phil befindet, du wirst von ihm nie ein schlechtes Solo hören. Er macht es instinktiv – Brian
Robertson war genauso. Phil nimmt einfach eine Gitarre in die Hand und sie wird praktisch zu einem Teil seines Körpers. Die Tatsache, dass er beschlossen hat, ein kleiner Perverser zu sein, macht das Leben auf Tour nur umso interessanter! Um ehrlich zu sein, bin ich froh, dass wir wieder ein Trio sind. Zum einen ersparte es uns den Ärger, einen neuen Gitarristen zu suchen! Und, wie ich schon gesagt habe, erschweren zwei Gitarristen die Arbeit in einer Band ungemein, weil immer irgendjemand mit irgendetwas nicht einverstanden ist. Mit einem Gitarristen kann der Bassist alles machen. Und als Trio bekommen wir mehr Geld! Einige Monate nach der Fertigstellung von Sacrifice fanden wir ein neues amerikanisches Label, CMC. Der Kontakt kam über unser deutsches Label CBH zustande. Das war unser erstes Angebot seit Jahren in den USA. Und sie glaubten an uns, denn sie hatten das Album bereits verschickt, als wir noch nicht einmal den Vertrag unterzeichnet hatten! Wir sind bis heute bei ihnen, und fünf Alben später kann ich immer noch behaupten, dass sie sich uns gegenüber ziemlich großzügig gezeigt haben. Der Labelbesitzer, Tom Lipsky, glaubt an das, was er tut. Seine Leute reden nicht nur, sondern sie lassen Taten sprechen. Und sie sind ehrlich – was mich überrascht und gleichzeitig schockiert, aber das mag ich. Das erste Jahr mit CBH und CMC lief hervorragend. Wir spielten neunzehn Auftritte in Deutschland und ganz Europa. Die Leute brachten uns tatsächlich die neue Platte zum Signieren. Normalerweise waren wir es gewohnt, drei Jahre alte Platten zu unterschreiben! Aber CBH brachte die Platte wirklich in die Läden, und CMC tat ebenfalls sein Bestes für uns. Wie immer tourten wir durch Amerika. Ich bin sicher, langsam haben Sie kapiert, dass die Straße mein natürlicher Lebensraum ist. Aber es gibt immer noch ein paar Sachen am Tourleben, die mich verdammt noch mal nerven. Die
herablassende Einstellung einiger PR-Leute gegenüber der Band. Sie nehmen einen tatsächlich wie ein kleines Kind an die Hand – das hasse ich! Ich bin kein Idiot, und ich bin keine verdammte Ware! Einige Leute beleidigen einfach deine Intelligenz, und wenn du dann reagierst, bezeichnen sie dich als schwierig. Man macht sich einen schlechten Namen, wenn man seine Intelligenz und den eigenen Willen behauptet. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Als wir in Kanada waren, hatte dieses Mädel alle mögliche Scheiße organisiert, unter anderem Much Music. Das ist die kanadische Version von MTV. Aber wir waren an dem Tag furchtbar deprimiert. Keiner von uns wollte auf die Bühne. Das Monitorsystem war unter aller Kanone. Wir hatten uns gegenseitig bei den letzten acht Gigs nicht hören können und ich war nahe dran die Tour abzublasen: »Scheiß drauf. Musik ist mein Leben und ich kann nicht ordentlich spielen, weil es auf der Bühne scheiße klingt. Wie soll das Publikum das genießen, wenn ich es nicht genießen kann?« Das hört sich jetzt sicher pathetisch an, aber ich versichere Ihnen, es ist wirklich so! Und ich war wirklich deprimiert, als sie zu uns kam: »Much Music ist draußen.« Ich erklärte ihr, dass ich nicht in der Lage war, jetzt im Fernsehen aufzutreten: »Können wir nicht nach der Show aufzeichnen?« Und sie antwortete: »Nein, nein! Es muss jetzt sein, denn nach sechs Uhr müssen sie für die Kamera extra bezahlen.« Was zur Hölle soll das nun wieder bedeuten? Mehr für die Kamera bezahlen! Mikkey und Phil machten es schließlich, ohne mich. Und sie besaß anschließend die Frechheit, einen Brief aufzusetzen, in dem sie uns als schwierige und arrogante Mistkerle beschrieb. Doch das war noch nicht alles. Sie bezichtigte mich der sexuellen Belästigung! Dabei hatte ich ihr nur ein Kompliment gemacht: »Sie sind die hübscheste Promoterin einer Plattenfirma, die wir seit Jahren hatten.« Das war es! Wenn es eine Belästigung ist, einer Frau zu sagen, dass
sie gut aussieht, dann hat die Welt wirklich ihren verdammten Verstand verloren. Wie Sie sehen, war 1995 eine Menge los bei uns. Und am Jahresende wurde ich noch fünfzig. Todd wollte das groß feiern und organisierte eine Halbüberraschungsparty für mich im Whiskey – am Tag vorher hat er mir davon erzählt, der gemeine Hund. Vor dem Club bildete sich eine riesige Schlange und drinnen war es dann zum Bersten voll, wenn man erst mal drinnen war. Die Leute, die nicht kommen konnten, schickten mir ihre Glückwünsche per Video – Dee Snider beanspruchte fast die halbe Kassette für sich. Um wirklich ehrlich zu sein, sind solche Menschenmassen nicht so mein Ding. Aber ich hasse es nun mal, wenn sich die ganze Aufmerksamkeit auf mich konzentriert. Wegen der verdammten Brandschutzbestimmungen konnten nicht alle meine Gäste hereinkommen. Und mit denen, die das Glück hatten, reinzukommen, konnte ich nicht relaxt abhängen. Abhängen war da einfach nicht drin! Ich wurde hin und her und vor und zurück gezerrt. Trotzdem war es ein netter Abend mit netten Leuten. Das Highlight waren Metallica. Sie waren extra gekommen um einige unbekanntere Motörhead-Songs zu spielen. Zwischen all den Touren arbeiteten wir an unserer nächsten Platte Overnight Sensation. Ein Titel, der eigentlich gar nicht zu der Platte passt. Wir verbrachten vier Wochen damit, sie zu schreiben, und waren vier Wochen im Studio, und dann spielten wir auf einigen europäischen Festivals, um anschließend noch einmal für einen Monat im Studio zu verschwinden. Wir brauchen im Allgemeinen drei Monate, um eine Platte aufzunehmen, und bei dieser war das nicht anders – nur verteilten sie sich diesmal ein bisschen. Wir stellten wieder Howard als Produzenten an. Unterstützt wurde er von Duane Barron. Duane war in Ordnung. Man merkte, dass er Gitarren mochte!
Dies war unser erstes offizielles Album als Trio seit Another Perfect Day mit Robbo. Falls Sie sich jetzt fragen, wie es denn so war? Hier ist die Antwort: Genauso wie bei einem Quartett, nur dass einer fehlte! Oder Antwort Nummer zwei: Wie bei den Everley Brothers mit einem mehr! Okay, es war etwas angespannter. Phil hatte das Gefühl, dass jetzt sehr viel mehr auf seinen Schultern lastete, da er ja der einzige Gitarrist war. Obwohl er unter Druck stand, kam er damit ganz gut klar. Overnight Sensation ist ein großartiges Album für ihn. Mikkey war perfekt wie immer – er ist mit seinen Schlagzeugspuren immer lange vor dem Zeitplan fertig. Diesmal spielte er sie an einem Tag ein. Und warum sollte man auch mehr Zeit verschwenden als nötig? Die Leute denken, dass ein Album umso besser wird, je länger man daran arbeitet. Das ist nicht wahr. Hören Sie sich Jeff Beck, Eric Clapton und Jimmy Page an – sie spielten das meiste von ihren frühen, klassischen Werken in einem Take ein. Sie hatten keine andere Wahl! Damals musste man das beste Solo, das man hatte, in ungefähr fünfzehn bis zwanzig Sekunden spielen. Man musste schnell auf den Punkt kommen! Nicht dieser Unsinn wie bei Jerry Garcia. Jeff Beck machte sich in achtzehn Sekunden bei »Shapes of Things« einen Namen! So haben uns die Sechzigerjahre eine Menge hervorragender Musiker gebracht. Und wo wir gerade davon sprechen, bessere Alben in weniger Zeit zu machen – unser Backkatalog beweist das laut und deutlich. Overnight Sensation war auch unsere erste offizielle Platte für CMC, denn Sacrifice gab es in den Staaten nur als Import. Und Overnight Sensation war, was den Vertrieb betraf, unsere beste Platte seit Ewigkeiten. Sie hatten einen Deal mit der BMG ausgehandelt, was sicherlich der Sache geholfen hat. Um den Geschäftssinn der CMC mache ich mir allerdings manchmal Sorgen. Wie ich schon gesagt habe, ein gutes
Geschäft ist Diebstahl. Und da die Leute von CMC uns gegenüber immer aufrichtig waren, macht sie das, laut Definition, zu schlechten Geschäftsleuten. Aber ich glaube, damit kann ich leben. Um die Platten zu promoten, tourten wir wieder. Auch in Ungarn, das sich seit unserem letzten Besuch stark verändert hatte. Früher war es eher wie in Russland, sehr repressiv, jetzt hingegen erinnerte es mich viel mehr an Deutschland. Apropos Russland. Dort spielten wir erstmalig vier Shows. Russland ist ein sehr seltsames Land. Ich war in Osteuropa, vor und nach dem Mauerfall. Ich habe in Ostdeutschland gespielt, in Ungarn natürlich und in der Tschechoslowakei, und keines der Länder war wie Russland. Leute, die nicht selbst dort gewesen sind, können es nicht beurteilen. Besonders die Amerikaner nicht. Es ist der Wahnsinn. Security wohin man blickt. Und die sind alle mindesten zwei Meter groß. Fast alle sind ehemalige Soldaten. Der Grund hierfür hängt meiner Meinung nach mit der Auflösung der Sowjetunion zusammen. Nicht nur die Sowjetunion wurde aufgelöst, sondern auch deren Streitkräfte und diese verdingten sich jetzt als Security. Was in Russland so viel bedeutet wie Privatarmee! Außer denen, die in L. A. Taxi fahren, natürlich! Irgendwie fühlte man sich mehr beobachtet als bewacht. Und das mit dem freien Markt haben sie auch nicht so richtig verstanden. Überall, an jeder Ecke, stehen Kasinos rum. So kommen sie mit dem Glücksspiel an ausländisches Geld und trotzdem müssen die Leute hungern. Die Gigs waren allerdings unglaublich. Jeder einzelne war ausverkauft, und das Publikum spielte total verrückt! Das war der angenehme Aspekt unserer Russland-Tour – aber das ist natürlich immer das Beste beim Touren – das, und nach dem Gig flachgelegt zu werden. Natürlich lief nicht alles rund, denn die russischen Promoter waren neu im Geschäft und hatten dementsprechend nicht allzu
viel Erfahrung. Zum Beispiel sollten wir von Moskau nach Rostow, was eine verdammt lange Fahrt ist. Sie gaben uns nur die Adresse und die Ankunftszeit. Wir fuhren aus Moskau raus und es wurde immer dunkler und dunkler, bis es nur noch ungefähr jede halbe Meile eine Straßenlaterne gab. Schließlich mussten wir von der Straße runter und an einer hohen Hecke halten. Nachdem sich unsere Augen an die vollkommene Dunkelheit gewöhnt hatten, sahen wir bewaffnete Wachen in Wachhäuschen zu beiden Seiten eines Tores. Unser Promoter debattierte mit einer der Wachen lautstark auf Russisch. Es war gespenstisch. Plötzlich rauschten zwei riesige Lastwagen an uns vorbei. Armeelaster, nur dass darin keine Soldaten saßen und sie sofort passieren durften. Langsam dämmerte es uns. Dieser russische Luftwaffenstützpunkt betrieb nebenbei noch ein kleines »Import-Export«-Geschäft. Unser Promoter erklärte uns, dass wir uns noch ein wenig gedulden müssten, da der General auf Visite käme. Also mussten wir warten. Überall waren Soldaten, die wie verrückt plapperten – in der Hinsicht sind die Russen wie die Italiener, sie können eine halbe Stunde reden, ohne Luft zu holen. Dann fuhr ein endlich ein riesiger Stabswagen vor und ein Kerl mit kurzem Mantel und Mütze stieg aus. Er ging hinein und kam kurz darauf heraus – er holte sich wahrscheinlich nur seinen Anteil ab. Schließlich durften wir passieren und sollten zum Flugzeug gebracht werden. Phil sah es zuerst: »In dem Ding werde ich nicht fliegen.« »Sei nicht so eine Memme«, antwortete ich und stieg selbst aus dem Auto aus, um zu sehen, was los war. Und ich konnte Phils Zweifel verstehen. Da stand ein zweimotoriger IljuschinBomber. Baujahr 1957! Innen komplett ausgeräumt. Die Lounge für die Passagiere war der hintere Teil des Frachtraumes und bestand aus nichts weiter als ein paar Gartenmöbeln! Und es gab keinen Druckausgleich in dem verdammten Ding. Wir lehnten dankend ab, setzten aber
unsere Crew in die Kiste. Hey, so hatten sie später eine gute Geschichte, die sie zum Besten geben konnten. Abenteuerliche Jammergeschichten halten sie nämlich bei Laune. Nach unserer Ankunft in Rostow wäre unser Lichtmann Tony beinahe von ein paar Polizisten zusammengeschlagen und ausgeraubt worden. Wir hatten einen tollen Gig und gingen dann alle in ein Café. Unsere Crew hatte sich riesige Pelzmützen mit sowjetischen Abzeichen – die heute nur noch für Touristen hergestellt werden – besorgt. Ich kam mir vor, als wäre ich von verdammten Munchkins umgeben. Tony und Dave Road Warrior nahmen Kontakt zu zwei angeblichen Bullen auf, um ein paar Mädchen zu finden. Aber diese setzten sie in zwei verschiedene Autos, was schon leicht verdächtig war. Nach etwa zehn Minuten bemerkte Dave, dass der andere Wagen nicht mehr hinter ihnen war und stieg einfach aus und lief zurück. Tony bemerkte ebenfalls, dass etwas nicht stimmte und drohte ihnen mit der britischen Botschaft. Sie drehten um und brachten ihn zurück. Ich bin mir sicher, wenn unsere Jungs nicht umgedreht hätten, wären sie irgendwo außerhalb der Stadt gelandet und man hätte sie bewusstlos geschlagen und ihr Geld genommen. Um einen Vergleich zu den heutigen Zuständen zu haben, wäre ich gerne schon früher einmal in die Sowjetunion gereist. Wir fuhren weiter nach St. Petersburg. Und St. Petersburg ist phantastisch – Dr. Schiwago, der Winterpalast und die ganze Geschichte. Dort habe ich romantischer Dummkopf, der ich nun mal bin, beschlossen: »Wir nehmen zurück nach Moskau den Zug! Das wird eine russische Erfahrung.« Also, es war auf jeden Fall eine russische Erfahrung. Unser Promoter erklärte uns: »Kein Problem, wir haben den Zug gebucht.« Am Bahnhof sind wir in den Zug gestiegen und haben sofort unser Abteil gesucht. Als ich die Tür öffnete, saß bereits eine Frau
mit zwei Kindern auf unseren Plätzen! Ich beschwerte mich beim Schaffner: »Hier muss ein Fehler vorliegen.« »Nein, nein.« Er zeigte mir die Fahrkarte, und ihr Name stand auch drauf. Sie tun Folgendes: Sie reservieren für dich und werfen die armen Bauern raus – sie und ihre Kinder wurden aus dem Zug geworfen. Ich sagte: »Hey, Mann, das können Sie doch nicht tun!« Und darauf antwortete er: »Wollen Sie Ihr Abteil die ganze Strecke bis Moskau mit ihnen teilen?« Ich musste zugeben: »Jetzt, wo Sie es erwähnen, nein.« Offensichtlich hat sich seit den Tagen der Zaren nichts verändert – die Leute an der Spitze tun, was sie wollen, und alle anderen bezahlen dafür. So war es in Russland schon immer. Der verdammte Lenin, trotz seiner großen Reden, veränderte nichts für den Bauern. Das Touren lief ausgesprochen gut für uns – in einigen Ländern, wie Argentinien und Japan, buchten sie uns sogar für größere Veranstaltungsorte. Zu dieser Zeit haben auch die englischen Promoter bemerkt, dass sie mit Motörhead-Shows ganz gut Geld verdienen können. Als Trio rockten wir also auch die Bühnen ganz ordentlich und das wollten wir mit einem weiteren Live-Album festhalten. Doch zuerst nahmen wir ein weiteres Studioalbum auf: Snake Bite Love. Es wurde ganz gut, obwohl wir es an vielen verschiedenen Orten aufnahmen. Ganz nebenbei verbesserte ich mein »Risiko«Spiel. Unser Produzent Howard Benson hatte es auf seinem Computer und während der Aufnahmepausen spielte ich »Risiko«. Bei Snake Bite Love und We Are Motörhead, der Platte, die wir gerade fertig stellten, habe ich das Gefühl, dass dieses Line-up im Studio zeigt, was in ihm steckt. Wir sind gern im Studio – ich mag es heute mehr denn je. Und mit Mikkey und einem Naturtalent wie Phil an der Gitarre ist es auch kein großes Ding mehr. »Ich bin der Größte«-Szenen sind seltener geworden. Okay, jeder von uns lässt einmal die
Primadonna raushängen, aber nicht mehr so oft. Wir sind alle ziemlich professionell – das sollten wir auch sein, nach all den Jahren im Geschäft, oder? Snake Bite Love entstand, wie unsere Alben für gewöhnlich entstehen. Sechs Wochen bevor wir ins Studio gingen, hatten wir nicht einmal einen Song. Aber als es so weit war, lief es wie am Schnürchen. Unglücklicherweise war ich bei einigen der Proben krank. Und wenn man zwei Typen alleine lässt, die nicht singen können, hat man am Ende einige merkwürdige Arrangements. Daher haben ein paar Songs – »Desperate For You« und »Night Side« – eigenartige Strukturen. Es ist wirklich knifflig, alles so hinzubekommen, dass es zusammenpasst. Und natürlich kann man viele Sachen im Studio noch hin und her schieben und verändern. Der Titelsong wurde fast komplett umgeschrieben. Mikkey nahm die Schlagzeugspur mit einer ganz anderen Reihe von Akkorden auf. Dann flog er zurück nach Schweden und Phil meinte: »Das hängt mir zum Hals raus. Ich kann es jetzt schon nicht mehr leiden.« Ich musste ihm Recht geben und so hat Phil ein vollkommen neues Riff für Snake Bite Love geschrieben. Und bei diesem Album habe ich wirklich erst in letzter Minute die Texte geschrieben – Sie wissen schon, mal wieder der faule Scheißkerl. Aber wir schafften es, und ich finde, es ist ein sehr gutes Album. Doch einer von uns hat mit dem Album ein Problem. Mikkey hasst den Titel. Homophob wie er ist, hält er ihn für schwul. Er rief mich aus Schweden an: »Ich mag dieses ›Love‹ im Titel nicht. Ich will das ›Love‹ nicht. ›Bite the Snake‹ oder so was wäre in Ordnung.« – »Ach, leck mich, Mikkey. Was ist mit dir los?« Kurz darauf war er wieder am Telefon: »Hey, Lemmy wegen des Titels…« Bei mir kann ja jeder seine Meinung äußern. Während wir also für Snake Bite Love tourten, kamen wir schließlich dazu, das Live-Album zu machen. Es wurde ein
Doppelalbum – wir entschlossen uns dazu, ausnahmsweise einmal den ganzen Gig festzuhalten. Es gab bei den vorigen Live-Alben nicht genug Platz für den ganzen Gig – schließlich war das noch die gute alte Vinyl-Zeit. Über die Songauswahl gab es einige Diskussionen. Sollten wir »Overkill« nehmen – immerhin war es auf allen anderen Live-Alben von uns – oder nicht. Auf der anderen Seite war dies ein neues Line-up, also kam es mit. Außerdem sind viele unserer Fans hartnäckige Archivare, und sie lieben solche Scheiße. Ich kenne ein paar von ihnen, die jeweils fünf verschiedene Versionen unserer Alben haben – ein japanisches Exemplar, ein argentinisches, ein deutsches, etc. Aber sie nehmen die Platte nie aus ihrer Hülle, von Abspielen kann keine Rede sein. Ich finde das sehr merkwürdig. Warum sammelt man Schallplatten, wenn man sie nie abspielt? Auf der anderen Seite sammle ich Messer – und ich werde auch niemanden damit erstechen –, also muss ich jetzt lieber ruhig sein! Apropos Japan. Die japanischen Übersetzungen unserer Texte sind unglaublich. Auf unserer ersten Platte lautet der Text eines Stückes: »We came across a bad vibe / Naked, grinding fear.« Ihre Version: »We came across a pipeline and they kept trying to interfere« – fantastisch! Das ist besser als das Original! Das ist wunderbarer Stoff, wie der verdammte Shakespeare. Fast. Aber wir haben jetzt beinahe das Ende dieser Zusammenfassung erreicht, und immer noch schweife ich ab. Das Live-Album: Wir haben es im Mai 1998 im Hamburger Docks – ein Club und kein Kai – aufgenommen. Und ich bin stolz darauf, dass es komplett frei von Overdubs ist. Aber das habe ich auch schon in den Liner Notes geschrieben. Wir wählten Deutschland aus, weil die Deutschen so treue Fans von uns gewesen sind. Sie retteten uns immer den Arsch, wenn wir schon zum dritten Mal am Untergehen waren. Sie hielten
zu uns. Und wir konnten uns auf das Hamburger Publikum verlassen. Denn Hamburg ist wie Liverpool, eine Hafenstadt – und du weißt, woran du bei einem Matrosen bist! Die Platte heißt Everything Louder Than Everyone Else und wurde im Frühjahr 1999 veröffentlicht. Mit der Platte We Are Motörhead verabschiedeten wir uns vom 20. Jahrhundert und waren gleichzeitig gewappnet für das neue Millennium. Wir gingen auf die übliche einjährige Tour, die recht ereignisarm war. Abgesehen davon, waren wir nach Jahren mal wieder in Irland zu Gast. Natürlich haben wir auch wieder in Russland gespielt. Es war die Hölle, denn unser Terminplan war brutal. Zwei achtzehnstündige Autofahrten nacheinander und eine Woche keinen Abend frei. Dann brauchten wir ewig, um von Russland nach Polen zu kommen. Erst gegen kurz vor Mitternacht erreichten wir Warschau – unsere Crew schleppte das Equipment um ein Uhr morgens in die Veranstaltungshalle! Doch die Leute haben so lange gewartet, da wir das erste Mal dort spielten. Danach mussten wir den ganzen Weg runter nach Österreich fahren… schließlich brach ich zusammen. Das Touren ist meine zweite Natur, aber der Körper eines Menschen ist nur begrenzt belastbar. Es war sowieso das Ende der Tour, also war es eigentlich egal. Nachdem wir uns einen Monat frei genommen hatten, fingen wir mit der Arbeit am neuen Album, Hammered, an. Phil und Mikkey flogen am 10. September 2001 nach L. A. – der bestmögliche Zeitpunkt, den jemand für einen Flug wählen konnte, wenn man bedenkt, was am nächsten Tag geschah! Die Jungs wären natürlich nicht in Gefahr gewesen – ihr Flug ging nonstop von England nach Los Angeles – aber wer weiß, wann sie sonst in der Stadt angekommen wären? Dies ist ein guter Zeitpunkt, um meine Meinung zu den Terroranschlägen zu äußern. Ich schätze, es wird kein
populärer Standpunkt sein. Es war eine schreckliche Tragödie, die sich in New York und Washington abspielte. Aber das Gleiche haben Amerikaner und Briten mit Berlin im Zweiten Weltkrieg gemacht. Drei Jahre lang, jeden Tag. Und Deutschland tat das Gleiche in England. Und es passierte auch in jeder anderen Stadt in Deutschland und in vielen Städten in Frankreich und Polen. Aber darüber denken die meisten Amerikaner nicht nach. Sie denken, alles beginnt und endet mit Amerika. Es war das erste Mal, dass dies Amerika passierte, daher dürfen sie auch ein bisschen überreagieren. Also lasst uns nicht zu sehr darüber in Panik geraten – man kann darüber hinwegkommen. Man kann über alles hinwegkommen. Aber zurück zu Hammered. Wir nahmen es in Chuck Reids Haus – er machte vorher Rap-Zeug, und ich glaube, er erholt sich immer noch davon – in den Hollywood Hills auf. Thom Pannunzio hat es produziert und es wurde im April 2002 veröffentlicht. Innerhalb eines Monats wurden davon schon mehr verkauft, als von den beiden vorigen Platten zusammen, und die Tour ist großartig angelaufen. Wir bekommen mehr Geld, wir spielen in größeren Hallen, also sind wir in ausgezeichneter Form. Die Dinge liefen in den letzten paar Jahren ziemlich gut für mich und Motörhead. Ich wette, Sie denken, ich würde sagen: »Also kann ich mich nicht beschweren«, aber Sie sollten mich inzwischen besser kennen! Es wird immer einige Dinge geben, die mir zu schaffen machen. Wenn Sie das Buch bis hierher gelesen haben, dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass Motörhead in den vergangenen drei Jahrzehnten jede Menge Alben aufgenommen hat. Deswegen werde ich es nie verstehen, warum es immer wieder Leute gibt, die glauben, unsere Karriere hätte mit Ace of Spades aufgehört. Seit meinem Umzug in die Staaten haben wir unsere besten Alben
überhaupt gemacht. Sie sind viel besser und überragen diejenigen, an die sich alle erinnern, bei weitem. Jeder, dem ich unsere neuesten Platten vorgespielt habe, war sehr erstaunt. Aber die meisten Leute scheinen, was uns angeht, so um 1979 oder 1980 taub geworden zu sein. »Hey Alter, Ace of Spades« – dieser Satz hängt mir zum Hals raus und macht mir inzwischen das Leben schwer. Gelegentlich bin ich richtig angepisst. Es wäre nett, wenn ich stattdessen mal hören würde: »Habt ihr was Neues draußen? Das würde ich gerne mal hören.« Aber nein, sie kommen auf mich zu: »Ihr Jungs wart so toll!« Und ich frage dann: »Ja? Wenn wir so toll waren, wie kommt es dann, dass du 1980 aufgehört hast, uns zu hören?« Die Standardantwort »Oh, ich habe geheiratet« verstehe ich nicht. Die Leute sind verrückt. Wenn du glaubst, du bist zu alt für Rock’n’Roll, dann bist du es auch. Und das passiert sogar Musikern – man sieht sie auf der Bühne und sie klingen großartig und so weiter, aber man kann beinahe spüren, wie sie auf ihre Uhr schauen: »Sind wir noch nicht fertig? Lasst uns zurück zu Frau und Pudel gehen.« Der Grund, warum Rock’n’Roll so eine junge Sache ist, ist… offensichtlich, weil es mit jungen Leuten anfing. Aber dann wurden sie älter und ihre Einstellung veränderte sich. Sie waren mehr darauf aus, von der Basis akzeptiert zu werden. Mir geht das am Arsch vorbei, weil ich weiß, dass ich nicht von der Basis akzeptiert werde, nicht einmal im Rock’n’Roll! Ich war vom ersten Tag an ein Außenseiter. Aber für mich ist das in Ordnung – irgendjemand muss die Rolle ja übernehmen. Wie ich gerade sagte, haben wir die besten Platten unserer Karriere gemacht, aber kaum jemand scheint sie sich anzuhören. Ich warte immer noch darauf, dass wir wieder entdeckt werden, aber es ist bis jetzt noch nicht geschehen. Aber solange ich weiter Platten machen und auf Tour gehen kann, kann ich weiter dienen. Keinen großen Erfolg zu haben,
kümmert mich nicht – immerhin bin ich da gewesen. Manchmal fragen die Leute: »Was ist mit den Bands, die ihr inspiriert habt, die durch euch berühmt geworden sind?« Sie sind nicht durch uns berühmt geworden – sie sind nur berühmt geworden. Man wird von allem, was man hört, inspiriert. Es ist egal. Es ist nur so, dass diese Kids Bands beitreten und es schaffen. So war das schon immer. Damit habe ich kein Problem. Es ist toll, dass wir sie inspirierten – denn es beweist, dass wir Recht hatten! Eine Sache, über die ich froh bin, ist, dass ich die Sechziger erlebt habe. Leute, die nicht dabei waren, wissen nicht, was sie verpasst haben. Wir haben ein ganz bestimmtes Bewusstsein etabliert, einen bestimmten Lebensstil geschaffen und es war aufregend. Es gab kein AIDS und es sind bei weitem nicht so viele Leute an Drogen verreckt wie heute. Es war wirklich eine Zeit der Freiheit und der Veränderung. Die einzige Zeit, in der ich überhaupt Rebellion gesehen habe, waren die Fünfziger, Sechziger und frühen Siebziger. Den Rest können Sie sich sonst wohin stecken! Die Kids haben heutzutage Einstellungen wie die Eltern, die wir zu bekämpfen versuchten! Sie werden vermutlich einen Haufen verdammter Freaks aufziehen. Wir haben einen Haufen Immobilienmakler und beschissener Steuerberater aufgezogen. Gott weiß, wie wir das gemacht haben. Wahrscheinlich, weil die Leute zu schnell aufgeben. Wie ich schon erwähnte, sagen viele Leute: »Ich habe früher Motörhead gehört.« Damit wollen sie andeuten, dass man das nicht mehr kann, wenn man erwachsen ist. Also, ich bin froh, dass sie das sagen, Mann, denn ich will nicht von Erwachsenen gehört werden. Denn die Erwachsenen sind diejenigen, die alles versauen. Seit meinem 25. Lebensjahr habe ich mich nicht verändert, außer dass ich schlauer und weiser geworden bin. Ich habe keinen Gedanken darauf verschwendet, dass ich älter werde! Ich kann mir nicht vorstellen, fünfzig zu sein.
Wenn ich meine ganzen Haare verloren hätte, würde ich es vielleicht glauben, habe ich aber nicht. Ich verlor meinen Vater vor ein paar Jahren – ziemlich nachlässig von mir, finden Sie nicht? Tatsächlich verlor ich sie sogar beide, meinen biologischen Vater und meinen Stiefvater. Sie starben beide innerhalb von sieben Monaten. Es war ziemlich plötzlich. Man könnte denken, sie hätten sich verschworen, nur um uns zu ärgern! Mein Stiefvater, der uns vor den Schwierigkeiten rettete, die uns mein richtiger Vater auferlegte, hinterließ mir Schulden, und mein richtiger Vater hinterließ mir Geld! Eigentlich mochte ich keinen von beiden, und soweit es mich angeht, wird mein biologischer Vater immer ein Arschloch sein – er ließ ein junges Mädchen sitzen, das alleine ein Kind großziehen musste, und dessen Mutter auch noch bei uns lebte! Scheiß auf diesen Man-spricht-nichtschlecht-über-Tote-Müll! Die Leute werden nicht besser, wenn sie tot sind; man redet nur so über sie, als wären sie es. Aber es ist nicht wahr! Die Leute sind immer noch Arschlöcher, sie sind nur tote Arschlöcher! Jedenfalls bin ich immer noch ziemlich lebendig, und das hier ist mit Sicherheit nicht das Letzte, was Sie von mir hören werden!
Hallo und willkommen zum Schluss des Buches. Da wir schon weit über den Abgabetermin hinaus sind, fasse ich mich kurz. In meinem bisherigen Leben habe ich herausgefunden, dass es praktisch nur zwei Sorten von Leuten gibt. Diejenigen, die für dich sind, und diejenigen, die gegen dich sind. Lernt, sie zu erkennen, denn sie werden oft und leicht miteinander verwechselt. Und unsere schöne neue Welt entwickelt sich zu einem Albtraum. Mir scheint es, als wäre sie im Gegensatz zu früher – als ich noch jung war – weniger tolerant, erleuchtet und gebildet. Natürlich sind wir alle für das »Gute-alte-Zeiten«Syndrom anfällig, aber das hier ist kein Beispiel dafür. Vererbter Hass, das heißt Hass, den einen die Eltern lehrten, ist nicht nur dumm, er ist destruktiv – warum sollte man Hass zu seiner einzigen Antriebskraft machen? Das erscheint mir wirklich verdammt dumm. Zum Schluss (und das ist ein guter Rat), kaufen Sie unsere Alben. Sie werden es nicht bereuen! Herzlichst, Lem September 2002