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Liebknecht: Autobiographien
Wilhelm Liebknecht
Autobiographien
• In der Lehre. Etwas aus meinem Leben Erstdru...
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Liebknecht: Autobiographien
Wilhelm Liebknecht
Autobiographien
• In der Lehre. Etwas aus meinem Leben Erstdruck in: Neue Deutsche Rundschau (Freie Bühne), IX. Jg., erstes und zweites Quartal 1898, S. 396–406. • Aus der Jugendzeit Erstdruck in: Illustrierter Neue Welt–Kalender für das Jahr 1900, Hamburg, S. 35–41.
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Wilhelm Liebknecht
In der Lehre Etwas aus meinem Leben
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Nichts Symbolisches. Nichts »Höhersinnliches«. Nichts Übersinnliches. Der Leser braucht nicht zu erschrecken. Die »Lehre«, von der ich schreiben will, ist nicht die große Lehre des Lebens, die mit der Geburt anfängt und mit dem Tode aufhört – ich meine die einfache, gemeine Lehre des einfachen, gemeinen »Lehrlings«, der von einem wirklichen »Gesellen« unter einem wirklichen »Meister« in die Geheimnisse irgendeines ehrlichen, gemeinen und nichts weniger als übersinnlichen Handwerks eingeweiht wird und im Schweiß seines Angesichts mit schwieliger Faust »schuften« muß, bis die Geheimnisse der »Kunst« sich ihm erschlossen haben. Daß ich zu den Männern des »verfehlten Berufs« gehöre, das wissen meine Gegner, und oft genug ist es mir gesagt worden – leider mit Recht, wie ich zerknirscht gestehen muß; habe ich doch so viele Berufe verfehlt, daß ich sie gar nicht alle zählen kann, eines aber dürfen meine Gegner mir nicht nachsagen: daß ich ein »Pfuscher« sei. Ich habe wirklich ein Handwerk gelernt, und zwar ganz kunstund sogar zunftgerecht. Und wenn unsere Zunftzöpfe im Reichstag* jedem, der nicht ein Handwerk ordnungsgemäß erlernt hat, die Befähigung, über unsere wirtschaftlichen Verhältnisse zu urteilen, absprechen, dann kann ich ihnen getrost zurufen: Mich trefft ihr
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damit nicht. Oder vielmehr: Mir stellt ihr den Befähigungsnachweis aus. Auch ich! – Auch ich bin in Arkadien geboren, auch ich habe im Tempel des heiligen Zunfthandwerks geweilt und bin in ihm geweiht worden. Und auch ich habe darum ein wohlverdientes, unantastbares Recht, als Sachverständiger und Eingeweihter von dem goldbodenlosen Handwerk und der edlen langohrigen, mitunter sogar langfingrigen Göttin Zunftzopfia zu reden. Verzeihung. Das Ding betitelt sich jetzt »Innung«. Ja, ich bin in der Lehre gewesen bei einem ehrsamen Zunftmeister, und das Handwerk, welches ich erlernt habe, ist der ehrsamsten und ehrwürdigsten eins: das Zimmererhandwerk. Es ist kein Spaß, ich bin ganz ernst, und es war mir auch dazumal verteufelt ernst. Anno dazumal, das will in diesem Falle heißen: anno 1846, also vor zweiundfünfzig Jahren. Mit mir selbst uneinig und zerfahren, war ich das Jahr vorher nach Berlin auf die Universität gegangen, mit mir selbst uneinig und zerfahrener war ich in die Vaterstadt und in die heimische Universität zurückgekehrt. Ich war zwanzig Jahre alt, und da ich als Sechzehnjähriger das Maturitätsexamen gemacht, also frühreif das Reifezeugnis erhalten hatte, bereits in den höheren Semestern; trotz aller Frühreife jedoch ratloser als am Tage, wo ich die Universität bezogen, stand ich vor der Frage: Que
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faire? Was tun? Was werden? Einer Familie entsprungen, aus der, mit Ausnahme eines einzigen »Hochverräters« und »Demagogen«, nur Gelehrte, Beamte und Offiziere, hervorgegangen waren, hatte ich mich dem sogenannten »Staatsdienst« widmen sollen, allein der Gedanke der Dienstbarkeit, sei es in welcher Gestalt, war mir von Jugend auf verhaßt. Und was war »der Staat«, dem ich dienen sollte? Das kleine Großherzogtum Hessen bot keinen Wirkungskreis – nach Österreich mich zu wenden, wie verschiedene meiner Verwandten, dazu hatte ich keine Lust. Herrschte doch dort der Mann, dessen Name von frühester Jugend an mir der Inbegriff alles Schlechten, alles Hassenswerten: Metternich, der Generalissimus in dem schmachvollen Feldzug gegen das deutsche Volk und gegen alles, was die Größe und Freiheit Deutschlands erstrebte – Metternich, der Oberanführer in der schmachvollen Demagogenhetze*! Herrschte er ja nicht bloß in Österreich, sondern auch in dem übrigen Deutschland und über die Grenzen Deutschlands hinaus. Und war nicht diese schmachvolle und verbrecherische Demagogenhetze noch weit schmachvoller und verbrecherischer als weiland die Hexenprozesse, die im Geiste der Zeit lagen, weil damals alle Welt an Zauberei und Hexerei glaubte, während Metternich und seine Büttel sich am Geiste der Zeit versündigten und ihnen wohl bekannt war, daß alle aufgeklärten
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Menschen die Grundanschauungen der Verfolgten teilten? Und hatte nicht diese Demagogenhetze eins ihrer edelsten Opfer in meiner eigenen Familie geholt? Ich sprach oben von einer Ausnahme in der Beamten- und Militärfamilie, aus der ich hervorgegangen. Diese eine Ausnahme war Pfarrer Weidig, der im Frühling 1835 wegen »demagogischer Umtriebe« verhaftet wurde und nach fast zweijähriger raffiniert grausamer Untersuchungshaft am 23. Februar 1837 in seiner Gefängniszelle im Blut schwimmend aufgefunden wurde, unter Umständen, die keinen Zweifel darüber lassen, daß er körperlich aufs roheste mißhandelt worden war, und die es fast als sicher erscheinen lassen, daß er, durch die erlittenen Folterqualen zu einem erfolglosen Selbstmordversuch getrieben, von seinem Todfeind, den man ihm zum Untersuchungsrichter gegeben hatte, entweder direkt oder in dessen Auftrag ermordet worden war. Ich war zu jener Zeit elf Jahre alt. Obgleich man in meiner Gegenwart gar nicht oder nur andeutungsweise von dem Schrecklichen sprach, so kam ich doch hinter die Wahrheit; und hatte ich auch meinen Großonkel (Weidigs Mutter war eine geborene Liebknecht) persönlich nicht gekannt, so machte diese entsetzliche Familientragödie, in der sich mir unsere politischen Zustände enthüllten, einen tiefen, vielleicht für mein Leben bestimmenden Ein-
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druck auf mich. Einen Eindruck, der sehr oft wieder aufgefrischt wurde, wennschon es einer Wiederauffrischung nicht bedurft hätte, um ihn unauslöschlich mir einzubrennen. Meine Vaterstadt Gießen, damals noch eine halbländliche Stadt – ich erinnere mich noch, daß das Vieh ausgetrieben wurde – von etwa achttausend Einwohnern, war nämlich an der Burschenschaftsbewegung, die in Deutschland nach dem schnöden Volksbetrug der Freiheitskriege entsprang, stärker beteiligt als irgendeine andere Universitätsstadt in Deutschland. »Die Schwarzen von Gießen«*, so genannt nach den schwarzen, hochzugeknöpften altdeutschen Röcken – Jahn trug noch einen im Frankfurter Parlament –, vertraten in der Burschenschaft Jena gegenüber die schärfere Tonart: die Brüder Follenius, Professor Vogt (der Vater des Reichsregenten), Weidig und so viele andere waren aus Gießen und der nächsten Umgegend, und in der dortigen Bevölkerung, die sich allezeit durch einen kräftigen, unabhängigen Geist ausgezeichnet hat und noch heute auf ihr urwüchsiges, grob und gerades Wesen stolz ist, fand der demagogische Geist – heute heißt es: der Geist des Umsturzes – einen vortrefflichen Nährboden. In keinem Teile Deutschlands haben die Demagogenverfolgungen auch verhältnismäßig so viele Opfer gefordert wie in unserem Oberhessen – überhaupt im Großherzogtum Hessen. Keine Familie, die nicht in
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irgendeinem ihrer Angehörigen das deutsche Elend und die »väterliche Liebe« der angestammten Fürsten zu empfinden gehabt hätte. Das alles prägte sich in meine Seele – um so tiefer, je mehr meine Umgebung mit Rücksicht auf meine Erregbarkeit (sobald mich etwas innerlich bewegte, schoß mir das Blut so heftig in den Kopf, daß mein Herz in Verdacht geraten war, nicht ganz auf dem rechten Fleck zu sitzen) bemüht war, das alles vor mir verborgen zu halten. Das hatte nur zu Folge, daß die Empörung und der Zorn sich tiefer in mich hineinfraßen, und weil ich – meine Eltern waren gestorben, als ich noch ein Kind war – niemand hatte, dem ich meine Gefühle und Gedanken ausschütten konnte, so gewöhnte ich mich an das Alleinsein mit mir selbst, eine Gewohnheit oder Eigenschaft, die mich in meinem späteren Leben zwar um manche Freude gebracht, mir auf der anderen Seite aber auch sehr große Dienste geleistet hat. Schon ehe ich nach Berlin ging, stand es für mich fest, daß ich dem herrschenden politischen System nur als Feind gegenübertreten konnte. In bezug auf die Religion hatte ich in meinem Innern früh reinen Tisch gemacht. War ich auch ziemlich frei erzogen worden, so hatte mich doch der sehr orthodoxe Religionsunterricht des Gymnasiums in allerhand Zweifel gestürzt, die mich zu gründlichem Forschen und Abwägen zwangen. Ich warf mich neben meinem ursprüngli-
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chen Hauptstudium: der Philologie, auf die Theologie, die mich ihrerseits durch das »Leben Jesu« von Strauß in die Philosophie trieb und mitten hinein in die Junghegelei. Und da ich inzwischen der Schriften Saint-Simons und anderer französischer Sozialisten habhaft geworden war, so kam ich sehr bald aus dem Himmel der Theologie und Philosophie auf den harten Boden der Erde und Wirklichkeit. Die mir angeborene, aufs Praktische gerichtete »unverwüstliche Bauernnatur Luthers«, die Dr. Franz Mehring mit dem ihm eigenen Scharfsinn so blitzschnell entdeckt hat, gelangte mir selber nur sehr langsam zum Bewußtsein. Im lebendigen Menschenherz und Menschenhirn zu lesen ist schwieriger als in Büchern und Zeitungen. Die Luthersche Bauernnatur hatte manch Jährchen in mir mit der spekulativ grübelnden Stubenhockernatur zu kämpfen. Und niemand hat über meine Entpuppung als politischer Schmetterling aus stubenhockerischer Raupe sich mehr gewundert als meine Gymnasial- und ersten Universitätslehrer, die mir sämtlich eine ruhige Gelehrtenlaufbahn voraussagten. So kann der Mensch sich irren. Und hintennach prophezeien soll eine vergleichsweise leichte Arbeit sein und ist jedenfalls sehr sicher. Daß jene Voraussagung sich nicht erfüllt hat und ich unverantwortlich aus der Art geschlagen bin, daran sind die bösen Verhältnisse schuld, die auch in der übertragenen Bedeutung des
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Wortes die schönsten Lebenspläne durchkreuzen können. Geschweige denn, wenn ein Plan gar nicht da ist. Mein Aufenthalt in Berlin beschleunigte den Gärungsprozeß, von dem ich erfaßt worden war; er brachte mich nicht zur Entscheidung, allein doch auf den Weg zu ihr. Ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren. Wie sich vor 1848 die Welt in einem zwanzigjährigen Schwarmhirn ausnahm, was alles in ihm herumrumorte, welche unvermittelten Gegensätze aneinanderstießen – das läßt sich nicht mit ein paar Federstrichen hinzeichnen. Und da sprudeln und fluten die Erinnerungen so massenhaft, daß ich das Leitungsrohr für heute abdrehen muß. Genug – in Berlin, dessen relativ großstädtisches Leben an sich mir eine neue Welt von Ideen und Vorstellungen eröffnete, widmete ich die Zeit, die nicht mit Kollegien ausgefüllt war – ich hörte Schelling (»den Vater«), Michelet, Trendelenburg und Böckh, die beiden Grimm, Lachmann usw. –, dem Sozialismus und der Politik. Es gelang mir, einige gleichgesinnte Studenten zu finden; wir lasen zusammen, diskutierten manche Nacht hindurch und hatten das Glück, in die Vor- und Kneiphallen der »Heiligen Familie« (der Brüder Bauer) nebst journalistischem Anhängsel schauen zu dürfen. Und ein Zufall warf mich in die praktische Politik. Es war damals die Zeit der Polkakneipen, in denen
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Mädchen in polnischer Tracht bedienten. Für die Polen hegte ich von frühester Jugend warme Sympathien, die in einem jener Lokale, das wir öfters besuchten, zu begeistertem Ausdruck kamen. Dies lenkte die Aufmerksamkeit der polnischen Kellnerin, die in ihrer Konfederatka* bildsauber aussah, auf mich, und eines Abends, als ich allein dort war, auf meine Freunde wartend, setzte sie sich zu mir, und nach herzlichen Dankesworten, daß ich noch an die Zukunft Polens glaube, vertraute sie mir an, daß die Auferstehung nah sei. Kurz, ich erfuhr, daß sie als glühende polnische Patriotin in das Geheimnis der polnischen Aktionspartei, die einen großen Schlag in Preußisch-, Russisch- und Österreichisch-Polen sowie Krakau vorbereitete, eingeweiht war.* Das Gespräch wurde gelegentlich fortgesetzt; ich trat zu einigen jungen Polen in Beziehungen, und wäre damals nicht durch vorzeitige Entdeckung des Anschlags der Ausbruch und Aufstand in Preußen im Keim erstickt worden, so hätte ich möglicherweise die Feinde meines deutschen Vaterlands zuerst als polnischer Freischärler bekämpft. Denn das an Polen begangene Verbrechen brannte mir in die Seele, und in die Seele brannten mir auch die Augen der schönen Dana Jaroszynska, die mir das »Noch ist Polen nicht verloren« im Urtext vorsang und mir in meinen politischen Irr-, Lehr- und Wanderjahren den ersten praktischen Be-
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weis lieferte, daß die Frauen unwiderstehliche Agitatoren sind, eine Wahrheit, deren Erkenntnis und Nutzanwendung die katholische Kirche zum wesentlichen Teil ihre Macht verdankt. Nun – eines Tages erfolgten Massenverhaftungen in Berlin und in den preußischpolnischen Provinzen, und meine Polen waren plötzlich verschwunden – einer tauchte später in dem großen Polenprozeß auf der Anklagebank auf –, auch Dana Jaroszynska war verschwunden. Ich selbst – als neunzehnjähriges und noch beträchtlich jünger und harmloser aussehendes Bürschchen, dem gewiß niemand etwas Böses zutraute – wurde nicht belästigt. Nur als ich im nächsten Frühjahr – im März 1846 – auf der Heimreise von Berlin einen Abstecher durch die Sächsische Schweiz nach Böhmen machte, wurde ich, trotzdem mein Paß vollständig in Ordnung war, von österreichischen Gendarmen angehalten, vor die Polizei geführt und nach kurzem Verhör als der Teilnahme an der polnischen Verschwörung verdächtig aus den österreichischen Staaten ausgewiesen und auch pünktlich – Gendarme rechts, Gendarme links, der Sünder in der Mitte* – über die Grenze geschafft. Das war meine erste Ausweisung. Und bei der Schlacht, die meine theoretische und meine praktische Natur sich in mir lieferten, war dieses Abenteuer sicherlich nicht geeignet, der theoretischen Natur den Sieg zu erleichtern. Entschieden war aber noch nichts.
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Ich hatte mich in den Gedanken verbissen, Lehrer an einer Hochschule zu werden. Nach vollendetem Studium der Jugend zu verkünden, was mich bewegte und sich doch hoffentlich aus gärendem Most mit der Zeit zu klarem Weine entwickeln würde, das war ein Gedanke, der mich fesselte. Überhaupt Lehrer zu sein, das schwebte mir mein ganzes Leben lang als das schönste Ziel vor; und ich glaube auch nach den Erfahrungen meiner Lehrtätigkeit, die ich in der Verbannung und später gut ein Vierteljahrhundert lang zu üben genötigt war: als Lehrer von Fach hätte ich meinen Beruf nicht verfehlt. Es ist anders gekommen, ich bin nicht geworden, was ich am liebsten geworden wäre; ich tröste mich indes mit den Unzähligen, denen es ebenso ergangen ist und bei denen ich in guter Gesellschaft bin. Eigentlich kenne ich gar keinen, dem es anders ergangen, ich meine, dem es gelungen wäre, sein Leben nach seinem Willen zu gestalten. Wer kennt einen? Also Privatdozent wollte ich werden. Wohl wußte ich, wie in Preußen Bruno Bauer und andere gemaßregelt worden. Doch in irgendeinem anderen der vielen Vaterländer würde es sich vielleicht machen, und an guten Verbindungen – »Konnexionen« heißt es auf deutsch – fehlte es mir nicht. Aber gerade an diesen guten Verbindungen haperte es. Sie waren sämtlich politisch wie religiös streng rechtgläubig, und uner-
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läßliche Vorbedingung war, daß ich mich zu gleich strenger Rechtgläubigkeit bekehrte und bekannte. Und das war's eben, was nicht möglich, war. Es gab Auseinandersetzungen, Reibungen, Zusammenstöße – schließlich unheilbaren Bruch. Mit der Privatdozentschaft war's nichts. Doch etwas mußte ich tun. Etwas! Gewiß. Aber was, was? Als ich mir mit dieser Frage den Kopf zermarterte, wurde das deutsche Elend mir so recht klar. Ein junger Franzose, ein junger Engländer hatte tausend Felder ehrenvoller, fruchtbarster Tätigkeit. Ich, der junge Deutsche – nichts, wenn ich nicht zum Lump werden, nicht meine Individualität preisgeben, nicht zum felo da me – zum Verbrecher an mir selbst, zum moralischen Selbstmörder werden wollte. Ich dachte noch an Jurisprudenz – nicht, um Richter oder Verwaltungsbeamter zu werden, sondern Rechtsanwalt, Anwalt des Rechts. Ein edler, erhabener Beruf. Allein für mich in Deutschland verderbt, verkrüppelt. Unser Gerichtsverfahren war geheim – und wie kann es ein gesundes Recht geben außer im Sonnenschein und der frischen Luft der Öffentlichkeit? In Rheinhessen herrschte zwar das französische Verfahren mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit – aber als Oberhesse konnte ich nicht Rechtsanwalt jenseits des Rheins werden, ohne gewisse Förmlichkeiten zu erfüllen, die für mich zum kaudinischen Joch geworden wären.
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Die Welt war mir in Deutschland mit Brettern zugenagelt. Oder vielmehr ich war im Gefängnis, und so ingrimmig ich an dem eisernen Gitter rüttelte, ich war ein Gefangener in Deutschland – schlimmer als ein Gefangener –, ein Knecht, ein Sklave. Oder ich mußte Gefangenenwärter, Sklavenaufseher werden. Und das konnte ich nicht sein. Drum, hinaus aus dem Gefängnis! Nur hinaus! In solcher Stimmung mußte der Gedanke kommen, mich ins Ausland zu flüchten. Auswandern? Davor graute mir, obgleich ich seit meiner frühesten Jugend viel vom Auswandern gehört hatte und obgleich ein Onkel von mir wenige Jahre vorher nach Amerika gegangen war. Ich konnte mich von der Hoffnung nicht trennen, daß in Deutschland oder doch irgendwo sonst in Europa eine rettende Tat dem herrschenden System ein Ende bereiten werde. Ich spähte nach Wetterzeichen wie der Matrose im Mastkorb, wenn unter den Tropen ein Wölkchen am Himmel sichtbar wird. Mit Polen war's nichts gewesen. In der Schweiz verdichtete sich die Streitigkeit zwischen den liberalen und katholischen Kantonen. In Frankreich wuchs die Opposition gegen das korrupte Regiment des »Bürgerkönigs«. Das alles war jedoch nichts Bestimmtes. Und in Deutschland fand ich keinen festen Punkt, an den ich mich anlehnen oder auf dem gar ich einen Hebel hätte
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ansetzen können. Sehnsüchtiger als der damals freilich noch nicht geborene Mr. Micawber* bei Dickens schaute ich aus und um, ob nicht »etwas auftauchen« würde. Es tauchte aber nichts auf. Und im Gefängnis duldete es mich nicht länger. Die Familienverhältnisse und die politischen Verhältnisse steigerten mein Unbehagen von Tag zu Tag. In Gießen hatte sich eine größere Gesellschaft von Studenten zusammengefunden, die in bezug auf die deutschen Verhältnisse ähnlich dachten wie ich, für den Sozialismus freilich nur wenig Verständnis hatten. Auch der Sohn und ein Brudersohn des Pfarrers Weidig waren in diesem Semester auf der Universität. Und der bloße Name Weidig war mir ein Stachel des Zorns und der Empörung, eine Mahnung an mein Gewissen. Der Sohn, erdrückt und gebrochen durch das Schicksal des Vaters, ließ in seinem verschüchterten Wesen, das ihn an Geltendmachung seiner Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit hinderte, damals schon ahnen, daß die Mörder des Vaters auch dessen Söhnchen ins Lebensmark getroffen und einen Doppelmord begangen hatten. Das langsame Verkommen dieses jungen Menschen, der nicht die Kraft hatte, das ungeheure Verbrechen, das an dem Haupt der Familie verübt worden, zu tragen, noch weniger die Kraft, es zu rächen, und der – ein Hamlet im Kleinen – an der Größe der vom Schicksal ihm gestellten Aufgabe
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zollweise zugrunde ging, ohne auch nur für einen kurzen Augenblick sich zur Tat aufraffen zu können – das bildet ein blutloses Trauerspiel, kaum minder ergreifend als die blutige Tragödie, deren unschuldiges Opfer er geworden. Heute, wo Deutschland gleich einem Vivisektionstier zur Erduldung aller möglichen Experimente rückständiger Geschäftspolitiker und phantastischer Stümper verurteilt ist und wo wir in jene Zeiten der Ächtung und Verfolgung von leider sehr mächtigen Männern des Vergangenheitsstaats, der tausendmal gefährlicher ist als der »Zukunftsstaat«* scheint, zurückgeführt werden sollen – jetzt ist es zwiefach notwendig und Pflicht, an jene Schandtaten des christlich väterlichen Regiments zu erinnern. Einige meiner Kameraden hatten sich, noch während ich in Berlin war, einem Auswanderungsverein angeschlossen, der im folgenden Jahre – 1847 – Deutschland zu verlassen beabsichtigte, und so wurde ich abermals auf den Weg der Flucht aus den unerträglich gewordenen Verhältnissen sozusagen mit der Nase gestoßen. War es denn Flucht? Konnte ich nicht, wenn in Europa sich ein Wirkungsfeld bot, nach Europa heimkehren? Wirken wollte ich, mußte ich. Es lag in meinem Blut, das bei dem bloßen Anblick der herrschenden Zustände in Wallung geriet. Und bin ich, falls oder sobald – denn daß sie einst
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kommen würde, das bezweifelte ich nicht – die Gelegenheit kommt, wo ich wirken kann, für die Betätigung und Verfechtung meiner Ideale besser geeignet, wenn ich in dem heimischen Käfig flügellahm geworden bin, in ohnmächtiger Wut meine Kraft verzehrt habe oder wenn ich, gestählt und frisch von der Luft der Freiheit, aus der Neuen Welt in die Alte zurückeile? Die Antwort lag auf der Hand. Und meine Abneigung gegen das Auswandern nahm ab, bis sie allmählich so weit überwunden war, daß ich den Entschluß faßte, nach anderthalb Jahren: im Herbst 1847, jedoch unter dem »geistlichen Vorbehalt« der Rückkehr, über das große Wasser zu fahren, wenn bis dahin nicht Änderungen, die mir das Bleiben im Lande ermöglichten, eingetreten oder in Sicht seien. Ich habe bei diesem Punkt länger verweilt, als ich eigentlich wollte, aber es handelte sich hier nicht um persönliche oder vereinzelte Stimmungen und Konflikte, sondern um solche, die damals innerhalb der reg- und strebsamen Jugend Deutschlands allgemein waren. Es war die Übergangszeit zwischen der Europamüdigkeit, die noch nicht zum Bewußtsein ihres Ursprungs und Wesens fortgeschritten war, und zwischen der die Massen bewegenden Einsicht, daß die Ursachen, welche die Europamüdigkeit erzeugt hatten, im Vaterland durch mannhaften Kampf gegen das herrschende politische System zu beseitigen waren.
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Das Auswanderungsfieber hatte die weitesten Kreise erfaßt, und ich sagte schon vorhin, daß es namentlich in unserem Hessenland sehr verbreitet war – selbst in den höchsten Gesellschaftskreisen. Hatte sich doch wenige Jahre vorher ein Adelsverein gebildet, der drüben in Amerika im Staate Texas ein Adelsparadies gründen wollte. Der Plan war auch zur Ausführung gekommen, und anfangs liefen überaus günstige und verlockende Berichte aus Texas ein, wo dem an der Spitze des Unternehmens stehenden Fürsten von Solms-Braunfels zu Ehren ein Neu-Braunfels gegründet ward. Allein bald stellte sich heraus, daß die Herren Adligen nicht arbeiten wollten, und sintemalen die bürgerliche und bäuerliche Kanaille, die für die angestammten Herren Adligen arbeiten sollte, keine Lust hatte, ein Adelsparadies zu gründen, so kam es zu Zerwürfnissen und schließlich zur Auflösung der Kolonie. Die Herren Junker, die heute unter der Firma »Kolonialpolitik« von überseeischen Adelsparadiesen träumen, weil sie merken, daß es in der »Alten Welt« mit ihrer Herrlichkeit zu Ende geht, scheinen das Schicksal jener sowie verschiedener anderer später eingerichteter Adelskolonien, die sämtlich ein elendes Ende hatten, ganz vergessen zu haben. Für Junkerideale, das sollte den Herren Adligen und Edelsten doch einleuchten, begeistert sich außerhalb der Junkerkreise kein Mensch; und der Deut-
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sche, der sein Mutterland verläßt, schüttelt dessen Staub von seinen Pantoffeln, weil er der Junkerwirtschaft und allen Unbilden, die drum- und dranhängen, entfliehen will. Und wer ihm, nachdem er glücklich entflohen ist, draußen in der Freiheit das Junker- und Polizeijoch wieder aufhalsen will, den lacht er ob seiner Donquichotterie aus oder – wird handgreiflich. Es ist wirklich ein Rätsel, daß es Menschen gibt, die dies nicht einsehen. Und doch ist es Tatsache, daß sie vor dem Hirngespinst der sogenannten Weltpolitik, die auf die aus dem Vaterland ausgewanderten Deutschen ein »deutsches Weltreich« gründen wollte, diese einfache, dem einfachsten gesunden Menschenverstand sich aufdrängende Wahrheit nicht eingesehen haben. Von dem Moment an, wo ich mich zur bedingten Auswanderung entschlossen hatte, begann ich auch Vorbereitungen zu treffen. Die Kameraden hatten ihr Augenmerk auf den Staat Wisconsin gerichtet, der damals noch sehr schwach bewohnt und klimatisch wie in bezug auf Bodenbeschaffenheit und Verbindungsmittel unzweifelhaft für unsere Zwecke geeignet war. Alle Teilhaber waren in der Lage, sich Land zu kaufen und die sonst erforderlichen Anschaffungen zu machen. Wir wollten eine Art Ackerbaugenossenschaft bilden, die, ohne das Privateigentum prinzipiell aufzuheben, alle Vorteile der Gemeinwirtschaft uns sichern sollte. Indes waren wir klug genug, uns nicht
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von vornherein fest zu binden. Das Fiasko der kommunistischen Kolonie Robert Owens war mir bekannt, und außerdem hielt ich darauf, mir jederzeit den Austritt und die Rückkehr in die Heimat offenzuhalten. Da es in die Hinterwälder ging – heute gibt's keine mehr –, so mußten wir auf große Strapazen gefaßt und für jede Arbeit, auch die schwerste, geschickt sein. So galt es denn, sich körperlich zu kräftigen, sich abzuhärten und allerhand Verrichtungen zu lernen. Bisher hatte ich außer Gehen, Laufen, Schlittschuhlaufen und Fechten keinen Sport getrieben. Nun lernte ich leidenschaftlich Schwimmen und Schießen. Auch das Turnen, welches mir früher zu langweilig gewesen war, übte ich mit Feuereifer. Kurz, ich trainierte meinen Körper methodisch – und in meinem späteren Leben ist mir das sehr nützlich geworden, wenn auch nicht in der Weise, wie ich berechnet hatte. Das reichte aber nicht aus. Die ersten Arbeiten drüben in Amerika würden das Fällen von Bäumen und der Bau von Blockhäusern sein – in landwirtschaftlichen Arbeiten war ich beiläufig nicht ganz unbewandert –, da war es vonnöten, daß man mit der Axt umgehen konnte. Als Knabe hatte ich viel bei einem in der Nähe wohnenden Tischler gehobelt, gesägt und gefügt; und als Gymnasiast und Student hatte ich sowohl zu Haus als für befreundete Familien
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gern das Brennholz gesägt und gespalten. Ich war also kein völliger Neuling im Gebrauch der Werkzeuge. Allein zum Bau eines Blockhauses genügte mein Können nicht. So beschloß ich denn mit einem der Zukunfts-Reisegefährten, bei einem Zimmermann in die Lehre zu gehen. Es bot sich eine treffliche Gelegenheit. Die alte Lahnbrücke mit einem Buckel wie ein Dromedarhökker war längst ein abscheuliches Verkehrshindernis geworden, und nach zehnjährigem Besinnen und Wiederbesinnen hatte man sich endlich zum Bau einer neuen Brücke entschlossen, der bereits seit einiger Zeit im Gang war. Das für die Brückenbogen erforderliche Zimmerwerk, auf dem – heute wird vielleicht anders gebaut – die Pfeiler bis zur Vollendung zu ruhen hatten, war zum Teil einem mit meiner Familie und auch mit mir selbst wohl bekannten Zimmermeister, dem Ratsschöffen Balthasar Herbert, übertragen worden, und an diesen wandte ich mich denn. Er war es sofort zufrieden, daß ich und mein Kamerad als Freiwillige auf seinem Zimmerplatz antraten – und wir wurden einem Gesellen Johannes Rohm anvertraut, der nebst seinem mir ziemlich gleichaltrigen Sohn, Johannes Rohm jun., denn auch sehr gewissenhaft seines Amts waltete. Abgesehen davon, daß wir des Tages nur sechs Stunden arbeiteten – wir hatten doch noch viel anderes zu tun –, arbeiteten wir genau
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so wie die übrigen Lehrburschen und konnten nach anderthalb Monaten in den Gesellenstand erhoben werden, was natürlich nicht ohne eine kleine feuchtfröhliche Festlichkeit abging. Ich zimmerte mit solchem Eifer und solcher Ausdauer, daß ich von dem braven Ratsschöffen wiederholt den übrigen Gesellen als Muster hingestellt ward. Nur im Monat August kam es zu einer Unterbrechung von mehreren Tagen. Aus dem einen oder andern Anlaß – einem Studenten war irgendein Unrecht geschehen; in der für die Zeitgeschichte hochinteressanten Selbstbiographie meines Freundes Rudolf Fendt aus den sechziger Jahren ist das Nähere berichtet – gerieten wir Studenten in einen heftigen Konflikt mit dem akademischen Senat. Der Konflikt, in dem die Polizei eine Rolle spielte, nahm, so unpolitisch er an sich war, doch einen Hauch politischer Färbung an; es wurden Versammlungen und feurige Reden gehalten – wobei sich namentlich ein später sehr zahm gewordener Student Welcker hervortat, ein Neffe des aus Gießen stammenden badischen Volksmannes Welcker und um dieser Verwandtschaft willen von uns fast wie ein höheres Wesen betrachtet. Die Behörden wollten nicht nachgeben, sie drohten, aus dem benachbarten Butzbach Kavallerie kommen zu lassen, worüber wir lachten. Und als aus der Drohung Ernst wurde, zogen wir, zum Entsetzen der Herren Profes-
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soren und »Philister«, feierlich aus der Stadt aus nach dem heiligen Berg – dem wunderbar schön zwischen Gießen und Marburg im lieblichen Lahntal gelegenen Staufenberg. Das war der berühmte, seinerzeit im Bild, in Prosa und in Versen verherrlichte »Auszug auf den Staufenberg«. Am 7. August – wenn ich nicht irre; auf meinem Bild steht dieses Datum, ich weiß indes nicht, ob das der Tag des Auszuges oder der dargestellten obligaten Kommersszene ist –, am fraglichen Augusttag zogen wir zum einen Tor hinaus, während die »Chevauxlegers« [leichte Kavallerie] durchs entgegengesetzte Tor einzogen. Das Wetter war herrlich. Die gute Gießener Bürgerschaft, die nun jetzt erst recht merkte, wie lieb sie uns hatte, versorgte uns mit allen möglichen guten Dingen. Das Bier floß in Strömen, und die drei Tage dieses lustigen Studentenstreiks waren ein einziger fortdauernder Kommers, für jeden der Teilnehmer eine unauslöschliche Erinnerung: die Natur in vollster Pracht, der weite Fernblick, die romantische Ruine – die mit der Rudelsburg wohl den Vergleich aushalten kann – und der jugendliche Trotz, dem das Bewußtsein, für ein Recht, für das Recht zu kämpfen, ideale Flügel gab. Inzwischen hatte ich meine Schüchternheit so weit abgestreift, daß ich mich auch zum Redner aufschwang und in kurzen Worten, die sehr drastisch ge-
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wesen sein sollen, den Kommilitonen das Ehrenwort abnahm, sich in keine Verhandlungen einzulassen – unter der Hand hatte der Senat auf dringenden Wunsch der Bürger Vertuschungsfühler ausgestreckt – und, komme was da wolle, nicht zurückzukehren, ehe uns volle Genugtuung geworden. Das Ehrenwort ward gegeben und ein unseren Entschluß ausdrückendes Schriftstück unterzeichnet (das sich noch im Nachlaß Fendts finden muß; der oben erwähnten Schrift ist ein Faksimile beigefügt). Nun wurde es den Herren Senatoren doch schwül zumut. Man forderte uns auf, eine Deputation zu schicken und dem hohen Senat unsere Wünsche vorzutragen. Die Deputation ward gewählt, und als wir uns Gießen näherten, wurden wir schon von zärtlichen Bürgern und Bürgerinnen empfangen, die uns nach dem Universitätsgebäude geleiteten, mit flehentlichen Bitten, doch ja dafür zu sorgen, daß Gießen seine Studenten bald wiederbekomme. Und mich insbesondere erinnerte man, daß ich doch selbst »ein Stadtkind« sei. Was ich übrigens bis auf den heutigen Tag nicht vergessen habe. Und »mein Gießen lob' ich mir«; es ist zwar kein Klein-Paris, aber es ist Gießen, und wenn immer ich einmal daran denke, fern vom Kampfgewühl, in Ruhe und Freiheit – nicht im Gefängnis, wo allein ich bis jetzt »Ruhe« gehabt, Einkehr und Selbstschau zu halten –, dann denke ich an mein lie-
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bes Gießen mit der schönen Umgegend, in welcher weit und breit kein Stein ist, den ich nicht in der Kindheit und Jugend betreten. Vor dem Senat verliefen die Dinge nicht ganz programmäßig. Ein anderer, Nicht-Gießner, legte kurz vor dem gestrengen, sehr ernst dreinschauenden Kollegium unsere Wünsche dar. Die Antwort des Herrn Rector magnificus lautete kurz und schroff: »Von Verhandlungen kann in diesem Falle nicht die Rede sein, solange die akademischen Bürger in ihrer Widersetzlichkeit verharren. Sie haben ihren Herren Kommilitonen mitzuteilen, daß die Vorbedingung für alles Weitere die Rückkehr in die Universität ist. Dann wird der allezeit zur Milde geneigte Senat jedem berechtigten Wunsch gerne willfahren.« Bei diesen Worten stieg mir das Blut in den Kopf, und da der Sprecher stumm blieb, so trat ich vor und erklärte, mühsam meine Leidenschaft bemeisternd, der Senat verkenne die Sachlage, er habe uns keine Bedingungen aufzuerlegen, sondern unsere Bedingungen entweder anzunehmen oder abzulehnen. Die Herren Senatoren sahen einander an, und der Rektor, mit nicht sehr freundlichen Blicken mich musternd, erklärte höchst ungnädig, wir seien entlassen. Hintennach wurden mir wegen meines hitzigen Draufgehens Vorwürfe gemacht, obgleich ich nur zum Ausdruck brachte, was wir auf unserem »heiligen Berg«
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uns gelobt hatten. Ein genialer Karikaturenzeichner, der aber als Studiosus der Theologie und dann bis zum Lebensende als Landpfarrer seinen Beruf verfehlte, das Genie Preuschens – so hieß er; er ist in einem Nachruf der »Frankfurter Zeitung« vor etwa zehn Jahren gewürdigt worden –, illustrierte den Auszug und auch jene Szene; mich stellte er als Liktor dar, der mit dem Richtbeile den erschreckten Herren Senatoren auf den Leib rückt. Vielleicht war mein undiplomatisches und wohl auch unparlamentarisches Vorgehen doch gar nicht so übel angebracht – Tatsache ist, daß der Senat die Schwadron Chevauxlegers aus der Stadt hinausschickte und uns, selbstverständlich mit einigen Klauseln, in allem nachgab, so daß wir stolz als Sieger in die frohe, uns festlich empfangende Stadt zurückkehrten. »Aber Willemchen, so grob hättest du doch nicht zu sein brauchen!« sagte mir auf dem Marsch durch die Straßen einer meiner Lehrer, der mich sehr gern hatte und mich noch nach dreißig Jahren, als ich längst ein ausgewachsener Hochverräter geworden war, mit dem vertraulichen Du anredete. Und was das Diminutivum betrifft, so erklärt es sich daraus, daß ich auf dem Gymnasium – wir sagten in Gießen schlechtweg: die Klasse –, das ich fünfzehn Jahre alt verließ, körperlich sehr wenig entwickelt war und wegen meiner knabenhaften Kleinheit viel verspottet
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und gehänselt. Mein Geist hatte, wie man so zu sagen pflegt, sich auf Kosten des Körpers seine Frühreife erworben. Ich fing erst in den Jahren zu wachsen an, wo für die meisten Menschen das Wachsen schon aufgehört hat. Die acht Tage ausgenommen, welche der Auszug nebst Vor- und Nachspiel beanspruchte, war ich jeden Werktag auf dem Zimmerplatz des Ratsschöffen Herbert, bis das Semester und die Herbstferien zu Ende waren. Meines Bleibens in Gießen war nicht mehr. Für den »Auszug« war zwar Amnestie versprochen worden, allein mehreren, die hervorragend tätig gewesen waren, wurde mit dem Scheuertor gewinkt, daß sie besser täten, auf einer anderen Universität ihre Studien fortzusetzen; und ich selber empfing unter der Hand einen ähnlichen Rat – ein halbamtliches, der amtlichen Schärfe entkleidetes Consilium abeundi [Rat zu verschwinden]. Bevor ich Gießen verließ, um nach dem fünf Wegstunden entfernten Marburg überzusiedeln, wo ich Stadt und Universität seit frühester Jugend genau kannte und von wo aus ich im engsten, auch persönlichen Verkehr mit den Gießener Freunden sein konnte, brachte ich meine Zimmermannslehrlings- und Gesellenschaft zum regelrechten Abschluß – nur daß ich nicht Meister wurde. Ich bekam in Form Rechtens das Zeugnis ausgestellt, daß ich das
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edle Zimmererhandwerk mit Fleiß, Geschick und Erfolg mir zu eigen gemacht habe. Auch die gebräuchlichen Zeremonien fehlten nicht: ein zünftiger Schmaus mit noch zünftigerem Trunk. So bin ich denn schon seit dem Herbst 1846 ein rechtschaffener »Genosse« oder, wie es auf gut Nieder- und Hansadeutsch heißt, »Genote«, was in schlechtem Studentendeutsch zum »Knoten« verhunzt worden ist. Im eigentlichsten Sinne des Wortes bin ich also ein »Knote« und glaube damit meiner Lutherschen Bauernnatur keine Schande gemacht zu haben. Achtundzwanzig Jahre später hatte ich in Wieseck bei Gießen eine sozialistische Kandidatenrede zu halten. Als ich auf der Rednerbühne stand, hörte ich plötzlich eine Stimme: »Jo, dos is er!« Und ein Mann, ungefähr in meinem Alter, drängte sich halb verlegen durch die erstaunte Menge. »Kennen Sie mich nicht? Ich bin der Hannes.« »Nein, ich kenne Sie nicht!« »Aber Sie sind es. Erinnern Sie sich, wie Sie nach Amerika wollten und das Zimmern lernten? Ich mit meinem Vater, der jetzt tot ist, hab Sie's gelehrt!« Mit den Erinnerungen ist's wie mit gewissen Lebewesen, die Jahrzehnte vertrocknet wie tot daliegen können und dann, sobald ein Tropfen Wasser sie berührt, ins Leben zurückkehren und lustig sich herumtummeln. Ich war über ein Vierteljahrhundert lang so vollständig von der Heimat getrennt und dabei stets
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mit dem Kampf ums Dasein und andern Kämpfen so ausschließlich beschäftigt gewesen, daß ich gar vieles von der Heimat vergessen hatte. Und auch diese Zimmerplatzidylle. Doch nun stand auf einmal alles lebendig vor mir. »Ach, der Hannes!« Und ich sprang von der Rednerbühne und schüttelte dem vergnügt lachenden Hannes die Bärentatzen. Es war der jüngere meiner zwei Lehrer vom Zimmerplatz: Johannes Rohm jun. Daß das Zusammentreffen mit Jubel gefeiert ward, brauche ich ebensowenig zu versichern, als daß es mir eine tüchtige Zahl Stimmen einbrachte. Die beiden Hannes waren begeisterte Parteigenossen. Waren. Denn auch Hannes der Sohn lebt nicht mehr; wie Freund Orbig mir aus Gießen schreibt, ist er vor zwölf Jahren, 1886, in der Lahn ertrunken. Ich vergesse euch nicht, ihr braven zwei Hannes! Doch ich bin vorausgeeilt. Im Spätsommer 1847, nach zwei etwas stürmisch verlebten Semestern und etlichen ans Politische streifenden Abenteuern wollte ich die Reise über das große Wasser antreten. Oder vielmehr: Ich trat sie an und kam auf dem Wege nach Rotterdam auch bis Mainz. Statt nach Amerika geriet ich aber in die Schweiz, wo der Sonderbundskrieg zurechtgebraut ward; von der Schweiz im Februar 1848 – gerade vor fünfzig Jahren – nach Paris, dann zu Herwegh in die Pariser Legion, dann wieder in die
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Schweiz, dann nach Baden, dann ins Gefängnis und so weiter.
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Wilhelm Liebknecht
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In einem Hefte der »Neuen deutschen Rundschau« beschrieb ich, wie ich 1846 nach Amerika gehen wollte und das Zimmerhandwerk erlernte, und im »Neue Welt-Kalender« für das Jahr 1899 erzählte ich einiges aus meiner Flucht- und Flüchtlingszeit in dem Jahre 1849/50.* Heute will ich nun ein paar Erinnerungen herausgreifen, die zwischen jenen und diesen liegen. Doch vorher eine kleine Auseinandersetzung, betreffend eine Stelle in meinem vorjährigen Kalenderartikel. Es ist da die Rede von Moritz Hartmann, und ich spreche von einer »denunziatorischen« Äußerung, die er gegen mich gemacht habe, einer Äußerung, die mit dem Murtener Bundesratsattentat* in Verbindung gebracht werden könnte. Durch das Wort »denunziatorisch« fühlt sich der von mir hochgeachtete Sohn Hartmanns unangenehm berührt; er schrieb mir, daß sein inzwischen längst verstorbener Vater einer Denunziation unfähig gewesen sei, und bat mich, das Wort entweder zurückzunehmen oder zu begründen. Ich schrieb Dr. Hartmann sofort, daß es mir vollkommen ferngelegen habe, seinen Vater einer ehrenrührigen Denk- oder Handlungsweise zu beschuldigen, und daß ich dies im »Vorwärts« und später auch im »Neue Welt-Kalender« erklären werde. Jenes habe ich getan, und dieses tue ich hiermit. Ich habe Hartmann,
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den Parlamentarier, scharf bekämpft und habe an dem, was ich in dem fraglichen Artikel (»Anno 1849«) gesagt habe, nichts zu ändern, allein Hartmann denunziatorische Absichten zuzutrauen ist mir nicht im Traume eingefallen. Die Sache ist: Moritz Hartmann war eng befreundet mit Karl Vogt, und Karl Vogt, den ich in meinem Leben nie gesehen habe – obgleich wir aus ein und derselben Stadt gebürtig sind –, hatte auf mich, ich weiß wahrhaftig nicht weshalb, eine ganz besondere Wut. Wie ich genau weiß, hatte er mich in Bern bei Bundesratsmitgliedern, mit denen er bekannt war, als einen höchst gefährlichen Menschen, von dem man des Schlimmsten gewärtig sein müsse und der die Schweizer Neutralität kompromittiere, geschildert. Und unter dem Einfluß dieser denunziatorischen Hetzereien Vogts stand damals Moritz Hartmann, der mich ja gar nicht kannte und keinen Grund hatte, seinem Freunde nicht zu glauben. Vogt, mit dem ich elf Jahre nachher, während des österreichisch-italienischen Krieges von 1859, öffentlich aneinander geriet – siehe »Herr Vogt« von Karl Marx –, verbreitete die albernsten und gemeinsten Verleumdungen über mich und hatte sogar, nach meiner Ausweisung aus der Schweiz, die Schamlosigkeit, mich als agent provocateur (Lockspitzel) der preußischen und der österreichischen Regierung hinzustellen. Und dieses Zeug
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muß er auch in seiner Familie herumerzählt haben, denn sein Sohn, der ihm eine französische Biographie (in Paris erschienen) widmete, tischt da gar merkwürdiges Zeug über mich auf. Ich war – und das knüpft an die Genfer Periode an – im Solde Österreichs und Preußens; dann, als Bismarck obenauf kam, Söldner Österreichs und der Welfen; und schließlich als sozialistischer Agitator habe ich meinen Geschäftssinn dadurch bewiesen, daß ich mir in Borsdorf bei Leipzig ein großes Landgut mit Schloß angeschafft habe, in dessen Besitz, nebst dem verschiedener Häuser (wohl in Berlin), ich gegenwärtig noch bin.* Ach, wie froh wäre ich, wenn Herr Vogt nicht gelogen hätte und wenn diese Häuser und Schlösser nicht in Spanien oder auf dem Monde lägen. Das Komische dabei ist – und eine drastische Bestätigung des Sprichwortes »Niemand sucht einen hinter dem Ofen, der nicht selber dahinter gesessen hat« –: Der Mann, der mich leichten reichsregentlichen Herzens angeklagt hat, von Regierungen Gelder zu beziehen, hat selber von dem Lumpazius und Kaiser Napoleon III. sich für »der Wissenschaft geleistete Dienste« bezahlen lassen, wie durch eine Quittung, die nach dem Sturze Napoleons nebst anderen »Bettelpatrioten«-Papieren in den Tuilerien gefunden ward, dokumentarisch nachgewiesen ist. Daß ich also Herrn Vogt in meinen 1849er Erinnerungen Unrecht getan habe, wird unter
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diesen Umständen wohl niemand mir nachsagen können. Daß von dem rechtmäßig verabreichten Rutenstreich auch ein anderer, dem er nicht zugedacht war und der ihn nicht verdiente, wenigstens anscheinend berührt wurde, das tut mir leid. Und hiermit wäre das erledigt. Aber mein »Schloß« in Borsdorf! Ach, vielleicht schreibe ich einmal seine Geschichte – es war eine Ruine, als ich hinkam, und diese Ruine war das Grab eines gebrochenen Glücks und eines gebrochenen Frauenherzens –, eine Geschichte, so romantisch und mittelalterlich, daß mir manchmal unwillkürlich der Gedanke kam, in irgendeinem weltverlassenen Winkel der Erde zu sein, statt zwei Stunden von KleinParis und unter dem Strahlenglanz Bismarckscher Reichsherrlichkeit mit Sozialistengesetz und Kleinem Belagerungszustande. Die unglückliche Erbauerin und Eigentümerin – Eigentümerin, wie neun Zehntel der »freien Bauern« es sind, nämlich Schuld- und Hypothekensklaven – ist in ihrem Eigentum buchstäblich verhungert, während ich auf dem Landtage in Dresden war. Eines Morgens fand man sie tot auf den Lumpen, die ihr als »Bett« dienten, in der krampfhaft geschlossenen rechten Hand einen Pfennig haltend, das Zehrgeld für die Reise ins Jenseits, ein altheidnischer Brauch, den weder das Christentum noch die Kultur, die angeblich alles beleckt, hat beseitigen können. Ich
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habe die Unglückliche, und in dem Gedanken an den romantischen Jugendtraum doch Glückliche, begraben helfen. Das Ende des Lebens war ihr das Ende des Leidens. Doch nein! Sie hat nicht gelitten. In der bittersten Gegenwart weilte ihr Geist in der hoffnungsreichen Vergangenheit, und bis zum letzten Augenblick hörte sie nicht auf zu hoffen. Denn außer dem Pfennig in der rechten Hand hatte sie in der krampfhaft geschlossenen Linken ein Lotterielos. Und wenn die Ärmste buchstäblich verhungert ist, so nicht, weil sie ganz von Mitteln entblößt gewesen wäre, sondern weil ihr jeder Heller vom Spielteufel abgenommen wurde, dem sie in ihrer Jugend durch einen beträchtlichen Lotteriegewinn in die Klauen geraten war. Was nun aber mein verzaubertes Schloß in Borsdorf angeht, das mir – zum Glück – nicht über dem Kopf zusammengestürzt ist und seit neuerer Zeit ein etwas »respektableres« Äußeres empfangen hat, so kann die freundliche Leserin und auch der Leser, falls sie sich dafür interessieren, es eigenäugig sich ansehen – in dem »Arbeiterführer für Leipzig und Umgegend«, den der Leipziger Genosse Lipinski in eigenem Verlage herausgegeben hat und der viel des Interessanten bietet und seines Titels sich nicht zu schämen hat. Nun zur Sache. Mit zwanzig Jahren war ich also »europamüde«. Der »Auszug« auf den (nicht heiligen) Staufenberg
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hatte mir den Boden meiner Vaterstadt etwas zu heiß gemacht, und trotz meines Abscheues vor Diplomaten und Ministern war ich doch diplomatisch genug, lieber zu gehen als gegangen zu werden. Ich ging im Herbst 1846 nach Marburg, der mir von frühester Jugend an lieben und vertrauten Schwesteruniversität von Gießen. Wie alle Leute, die den Entschluß gefaßt haben, mit ihrer ganzen Existenz zu brechen und sich aus dem Boden, in dem sie aufgewachsen sind, herauszureißen, war ich ruhelos und voller Galgenhumor. Der Galgenhumor des armen Teufels, der sich auf den Sprung ins Jenseits, oder des Patienten, der sich auf eine schwere chirurgische Operation vorbereitet. Und kann es denn auch eine schwerere Operation geben? Ist das Auswandern nicht eine gewaltige und gewaltsame Operation, die unsere innersten Lebensquellen angreift? Ist das Auswandern nicht wie das Versetzen eines Baumes, und werden bei der Operation nicht tausend Wurzelfasern zerrissen, von denen jede bis in das Herz hineinreicht? In Marburg ließ ich mich immatrikulieren und studierte anfangs tüchtig. Jedoch der Gedanke, daß mir in Deutschland kein Wirkungskreis offenstehe, verhinderte mich an methodischem Arbeiten, und ich studierte bald nicht mehr für einen bestimmten äußeren Zweck, sondern nur noch für mich selbst. In Berlin
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war ich bewußter Sozialist geworden, und die sozialen und politischen Probleme beschäftigten mich immer lebhafter. Von der Erregtheit und Gärung in der Jugend von damals macht man sich heute nicht leicht eine Vorstellung. Die »Akademiker« von heute kommen fast allesamt aus Familien, in denen sie, wie in der Schule, gehört haben, daß Deutschland das freieste, größte und ruhmreichste aller Länder, der Deutsche der gebildetste, ehrlichste, treueste und tapferste aller Menschen, die deutschen Fürsten und Staatsmänner die weisesten, klügsten, besten aller Fürsten und Staatsmänner sind; und die meisten dieser jungen Leute, die außerdem noch meistens der zivilisatorischen Dressur des Kasernenhofs teilhaftig werden, verlieren auf der Universität nicht die Scheuklappen, mit denen sie zu Hause fürsorglich behängt wurden. Und die Scheuklappen – das ist noch das Geringste. Wie sieht's innen aus in Kopf und in Herz? Alle Wahrheit und Mannhaftigkeit planmäßig ausgetrieben, alle Moralbegriffe umgedreht, und statt ehrlicher Geschichte und eines treuen Bildes der politischen Verhältnisse und Einrichtungen ein wüstes Durcheinander schamloser Lügen und Schönklecksereien. Ein Byzantinismus, so hysterisch übertrieben, daß die servilsten Höflinge des alten Byzanz sich zerknirscht für Stümper erklären müßten, die niederträchtigste Bedientenhaftigkeit als
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höchste Betätigung staatsbürgerlichen Sinnes und wahrer Männlichkeit hingestellt – sogar das Denunziantentum zur Bürgertugend gestempelt, so daß wohlerzogene Söhne gebildeter Familien es für Pflicht der Offiziers- und Studentenehre erachten, im Familienkreis gefallene Äußerungen, die nicht mit dem »Ehrenkodex« der herrschenden Servilität im Einklange sind, der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Pfui! Die äußeren Spuren des Blut- und Eisenregiments werden in nicht allzuferner Zeit weggefegt sein, allein die Demoralisation und Korruption der Ära Bismarck, die Verheerung, welche sie durch jesuitischraffinierten Mißbrauch der Schule in den Geistern und Gemütern der heranwachsenden Jugend angerichtet hat, werden noch jahrzehntelang, nachdem die letzten äußeren Spuren verschwunden sind, im Organismus der Nation zu verspüren sein. Und wenn nicht unsere Arbeiterklasse durch ihre instinktive Abneigung und von bitterer Erfahrung gelehrtes Mißtrauen gegen alles, was von oben kommt, ihre Gesundheit bewahrt hätte, dann wäre an eine vollständige Ausscheidung des Giftes überhaupt nicht zu denken. Ich bin gewiß kein laudator temporis acti [Lobredner der Vergangenheit], keiner, der die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart lobt – hat doch wohl niemand mehr Grund als ich, der Gegenwart sich zu freuen und mit Befriedi-
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gung zu schauen, was die deutsche Arbeiterklasse zur Ehre des deutschen Namens und zur Herbeiführung würdigerer Zustände getan hat und täglich tut –, aber die Tatsache, daß die bürgerliche Welt heute verderbter ist und gemeiner als vor einem halben Jahrhundert, sie unterliegt keinem Zweifel. In Wirklichkeit ist dieser scheinbare Rückschritt ein Fortschritt – die Tatsache aber bleibt bestehen. Und nirgends tritt sie so hell und grell in die Erscheinung als auf unseren Universitäten. Heute die Mehrheit der akademischen Jugend streberhaft, »verständig«, »praktisch«, des Ideals sich schämend – schwärmend für alles, das ist. Vor anno 1848 war das anders. Das Bürgertum war noch nicht dem Kapitalismus verfallen, es haßte und verachtete den deutschen Bund und die einzelstaatlichen Regierungen, namentlich die preußische und die österreichische. Und die Universitätsjugend, die in ihrer Mehrheit aus diesen bürgerlichen Kreisen hervorging, war naturgemäß »staats- und regierungsfeindlich«. In Marburg hatte ich bald einen Kreis von Gesinnungsverwandten, unter denen ich namentlich den Studenten Fuhrmann – wenn ich nicht irre, aus Kassel – hier nennen will. Fuhrmann wurde mir, mit der Begeisterung und Neidlosigkeit der Jugend, als ein Genie gepriesen, und in der Tat nicht mit Unrecht. Er hatte einen außerordentlichen Scharfsinn, eine glän-
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zende Dialektik und eine nie versiegende, blitzschnell schlagfertige Beredtheit. Wie haben wir zusammen disputiert! Einmal, weiß ich, dauerte unser Redekampf – der übrigens nicht trocken verlief – die ganze Nacht hindurch und noch den folgenden Tag bis zum Morgen der nächsten Nacht. Der arme Fuhrmann hat leider den Satz bewahrheitet, daß das Genie an Wahnsinn grenzt – er verfiel geistiger Umnachtung und hat im Irrenhause geendet. Als ich das tragische Geschick Nietzsches erfuhr, fühlte ich mich an Fuhrmann erinnert. Worüber wir stritten? Über alle Probleme des Himmels und der Erde. Denn hatte ich damals auch schon mit dem Himmel meine Rechnung gemacht, so doch nicht meine Umgebung. Und Strauß, Feuerbach, Bruno Bauer spielten in unseren Turnieren noch eine bedeutende Rolle. Doch in erster Linie waren es soziale und politische Fragen, die uns beschäftigten und erhitzten. Doch beschäftigte ich mich kaum weniger eifrig mit mehr materiellen Dingen. Ich geriet – die notwendige Folge einer etwas zu strengen und von den Vergnügungen der Jugend zu weit entfernten Erziehung – in die tollsten Tollheiten des Studentenlebens und kann ehrlich von mir sagen: Keine Tollheit ist mir fremd geblieben. Ich versank aber niemals in dem Strudel, weil ich ein guter Schwimmer war (was wört-
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lich gemeint ist) und keinen Moment die Notwendigkeit körperlicher Kräftigung aus den Augen verlor. Brachte ich auch sicherlich viel zuviel Zeit auf der Korpskneipe zu, so versäumte ich doch nicht Leibesübungen jeder Art: Turnen, Laufen, Hämmern, Schmieden – ich arbeitete sehr fleißig bei einem Büchsenschmied – und Schießen, nach der Scheibe und auf der Jagd. Damit man sich von meiner Jägerei keine falschen Vorstellungen macht, will ich gleich sagen, daß Marburg eine Studentenjagd hatte (und wohl noch hat), auf der jeder Student, der sich einen Jagdschein verschaffen konnte, das Recht hatte, nach Herzenslust zu schießen. Und das Recht wurde so fleißig ausgeübt, daß alles, was jagdbar war, von den Rehen an bis hinunter zu den Krammetsvögeln, entweder das Revier mit bewundernswürdiger Pünktlichkeit mied oder allem, was einem Studenten und einer Flinte nur entfernt ähnlich sah, mit verzweifelter Umund Vorsicht auf Hunderte von Schritten aus dem Wege ging. Desto besser war das ringsum angrenzende, dem Kurfürsten gehörige Jagdrevier; da gab's Hasen und Rehe in Fülle und manchmal sogar einen Hirsch, der aus dem Waldeckschen herübergewechselt. Bei dem Versuch, einen solchen Eindringling für seinen Frevel zu bestrafen, geschah es mir eines Nachmittags, daß ein unhöflicher Förster mir eine Ladung Rehposten hart am Ohre vorbeischoß, wofür ich
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ihm flugs Quittung erteilt hätte, wenn ich nicht zu seinem und meinem Glück in einen vom Schnee verdeckten Hohlweg hinabgerollt wäre, wodurch ich die Flinte so voller Schnee bekam, daß ich sie für den Augenblick nicht gebrauchen konnte. Wenn's nicht auf die Jagd ging, war ich fast jeden Tag auf dem Schießstand, wobei mein treuer Begleiter, ein »Mitkneipant« der Hasso-Nassoven [HessenNassauer] (meines Corps), ein Nassauischer Student namens Schapper war – ein Neffe des bekannten Kommunisten Schapper, mit dem ich mich später in London im »Kommunistenbund« zusammenfand. Dieser Studiosus war ein Original in jeder Beziehung – er hatte sich drei Lebensziele gesteckt, wenigstens für sein akademisches Leben: erstens, kein wissenschaftliches Buch anzurühren; zweitens, den höchsten Rekord – das Wort freilich war den Engländern noch nicht gestohlen – im Trinken zu erreichen; drittens, ein Schütze zu werden wie Otto der Schütz, dessen Ruhm Gottfried Kinkel gesungen hat. »Otto der Schütz« war das einzige Buch, das ich ihn je lesen gesehen, und so begeistert war er für Otto den Schütz, daß er 1848 ein eingefleischter Republikaner wurde, bloß weil der Dichter des »Otto der Schütz« einer war. Die Zeit, welche »der Onkel« – das war sein Spitzname – nicht in der Kneipe verbrachte, verbrachte er auf dem Schießplatze oder in der Werkstatt eines
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Büchsenschmieds, mit dem er befreundet war und bei dem er mich einführte, um mich in die Geheimnisse der edlen Büchsenmacherkunst einweihen zu lassen oder selbst einzuweihen. Denn er verstand es, ein Gewehr herzurichten und ein Flintenschloß zu schmieden wie der beste Büchsenschmied. Ich brachte es zu einer ziemlichen Fertigkeit im Schießen, so daß ich zu hoffen begann, auf den Prärien und in den Urwäldern Wisconsins ein nicht allzu unwürdiger Nacheiferer Lederstrumpfs* zu werden. Mit den Hinterwäldern Amerikas in Sicht, härtete ich mich planmäßig ab. Da es im Winter war, und also an Schwimmübungen nicht zu denken, benutzte ich die Zeit, die ich nicht für anderes brauchte, zu Dauermärschen und Dauerläufen – möglichst in Gesellschaft, denn das peripatetische Philosophieren und Disputieren gefiel mir noch viel besser als das sitzende in der Stubenluft. Die Stubenluft habe ich niemals geliebt, und dieser Abneigung glaube ich vor allem die gute Gesundheit zu verdanken, um die ich so oft von Freunden beneidet wurde. Ich habe mich nie in einem Zimmer aufhalten können, dessen Fenster nicht wenigstens teilweise geöffnet waren, und wenn ich abends nach einer schweren Sitzung die Kneipe verließ, ging ich niemals – geraden Wegs wollte ich schreiben, das wäre aber vielleicht nicht in jedem Sinne streng wahrheitsgetreu gewesen –, ging ich nie-
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mals sofort nach Hause, sondern lief noch, mochte das Wetter sein, wie es wollte, hinaus aus der Stadt durch Wälder und Felder ein paar Stunden lang, bis der letzte Rest häßlicher Kneipluft aus der Lunge gepumpt war. Dann erst begab ich mich in meine prächtig gegen die »Spiegelslust«* hin gelegene »Bude«, schlief wie ein Murmeltier und wachte mit hellem Kopf und kräftigem Appetit auf. Was Katzenjammer ist, das wußte ich als Student nicht, und das hätte ich vermutlich mein Lebtag nicht erfahren, wenn ich mein unfehlbares Rezept – das ich der Öffentlichkeit hiermit übergebe – stets hätte befolgen können. Bei diesen Nachtmärschen, denen sich mitunter auch Freunde anschlossen, kam es allerdings manchmal zu rollenwidrigen Seitensprüngen. So verfielen wir zum Beispiel einst in einer finsteren, stürmischen Nacht auf den freventlichen Gedanken, sämtliche nach alter Väter Sitte über die Straße gespannten Laternen auszulöschen, was für uns ein halsbrechendes, für die Laternen ein glasbrechendes Kunststück war und uns einen kombinierten Angriff der Nachtwächter und Pedelle ganz Marburgs zuzog. Es gelang zwar, mit Verlust einiger Mützen, uns durchzuschlagen, allein wir wurden verfolgt und auf ein sehr ungünstiges Terrain gedrängt, zwischen zwei Arme der Lahn. Es war Februar und kein Eis, so daß wir vor die unangenehme Wahl gestellt waren, entweder uns abfangen zu lassen
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oder durch die Lahn zu schwimmen. Ich besann mich nicht, sprang ins eiskalte Wasser und schwamm hinüber. Die anderen scheuten das kalte Bad und wurden abgefaßt. Ich lief frierend noch eine halbe Stunde herum und kehrte auf Umwegen durch das entgegengesetzte Tor in die Stadt zurück, erreichte auch unbehelligt meine Wohnung. Obgleich meine Kameraden, die in den Karzer zu marschieren und für den angerichteten Schaden eine tüchtige Rechnung zu zahlen hatten, mich natürlich nicht verrieten, so kam ich doch in den Verdacht der Mittäterschaft, und ich wurde von den Universitätsbehörden, die ohnehin aus Gießen nicht die schmeichelhaftesten Berichte über mich erhalten haben mochten, mit argwöhnischen Blicken betrachtet und einer sehr strengen Beobachtung unterworfen. Dieses kleine Studentenabenteuer wurde – und nur deshalb habe ich es hier erwähnt – zum Faden, dem andere Fäden sich anfügten, bis schließlich ein Strick daraus wurde. In Kurhessen herrschte damals die streng-, ja fanatisch-orthodoxe Kirchenrichtung, deren Hauptvertreter der hochbegabte Vilmar war, nebenbei Verfasser einer vortrefflichen deutschen Literaturgeschichte. Durch den Eifer, mit dem ich meine atheistischen Anschauungen bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit verfocht, lenkte ich die Aufmerksamkeit
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Vilmars auf mich, und eines schönen Sonntags hielt er in der Kirche eine donnernde Philippika gegen die Gottesleugner und Volksverführer und bezeichnete mich dabei, obgleich er meinen Namen nicht nannte, so deutlich, daß über meine Person kein Zweifel sein konnte. Das war der zweite Faden zum Strick. Und ein dritter Faden sollte sich bald finden, viel stärker als die zwei ersten, für sich allein beinahe schon ein Strick. Wir gelangen jetzt auf das politische Gebiet. Kurhessen war durch schwere Verfassungskämpfe hindurchgegangen, und der Konflikt war noch nicht beendigt. Es gehörte zu den deutschen Bundesstaaten, die nach der Julirevolution sich eine Verfassung errangen, und zwar wohl die freieste und beste unter den deutschen Verfassungen. Gerade daß sie so gut war, war für den Kurfürsten ein Grund, sie zu verabscheuen. Es kam zu Kämpfen, in denen Sylvester Jordan, ein geborener Tiroler, der Vater der »Verfassung«, in vorderster Reihe stand und den ganzen Haß der Regierung und des herrischen Kurfürsten auf sich lud. Er geriet in Untersuchung wegen »demagogischer Umtriebe«, und 1839 glaubten seine Verfolger, ihn, den Mann des Gesetzes, wie er im Buche steht, mit den von der Mainzer Untersuchungs-Kommission* ausgeschnüffelten und ausgeheckten »Hochverrätereien«, die zur Vernichtung des unglücklichen Wei-
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dig, meines Großonkels, benutzt worden waren, in Verbindung bringen zu können. Er wurde eingekerkert, und ein durch viele Jahre sich hinstreckender Prozeß folgte, während dessen Verlauf Jordan in Untersuchungshaft gehalten wurde. Und oben auf dem Marburger Schloß, in einem der inneren Höfe, war die Zelle oder das Burgverließ, in welchem der überall und namentlich im Hessenland, ganz besonders aber in Marburg, dem Schauplatz seiner Lehrtätigkeit – er war Universitätsprofessor der Rechte und der Staatswissenschaften –, hochangesehene, verehrte und geliebte Mann sein Leben zu vertrauern hatte. Auf mich machte das Schicksal Jordans, dessen Schicksal ich mit dem Schicksal meines Großonkels in Verbindung bringen mußte, einen außerordentlichen Eindruck, und sooft ich als Gymnasiast und später als Student von Gießen nach Marburg »ausflog«, was sehr häufig geschah, wanderte ich in Marburg hinauf aufs Schloß und suchte hinter dem Gitter die bleichen Züge des Mannes, der nur selten sichtbar war, jedoch auch mitunter gedankenvoll und sehnsüchtig hinausschaute. Einmal nickte er mir freundlich zu. Er muß in meinen Augen gelesen haben, daß es nicht eitle Neugier und Schaulust war, was mich hergelockt hatte. Von diesen Spaziergängen nach Marburg und aufs Schloß kam ich allemal in großer Aufregung zurück,
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und der Groll über die in Deutschland herrschenden Zustände grub sich mir tiefer und tiefer ein. Unvergessen und unvergeßlich ist mir ein Sonntag im Mai 1840. Ein Freund aus Marburg, Heinrich Maus, Kandidat der Theologie und ein Verwandter meines Vormundes, bei dem ich wohnte, war von Marburg zu Besuch gekommen und brachte ein Gedicht Dingelstedts mit, eines geborenen Hessen (aus einem Dorfe bei Marburg), dessen Ruf damals aufflackerte. Es war auf ein Doppelblatt des von Freiligrath in seiner »Schlacht am Birkenbaum« verewigten »Löschpapiers«* gedruckt, und nachdem Maus die ersten Verse gelesen, entriß ich es ihm, las das Gedicht, jedes Wort mich zorniger entflammend, bis zu Ende für mich und dann laut, vor Leidenschaft fast erstikkend, der Tischgesellschaft vor. Die Anfangsverse sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Das ganze Gedicht nach achtundfünfzig Jahren mir wieder zu verschaffen hat schwergefallen. Wer kennt heute noch den Freiheitsdichter Dingelstedt, den »kosmopolitischen Nachtwächter«, der aus einem kosmopolitischen ein politischer Nachtwächter geworden ist und dessen »lange Fortschrittsbeine«* sich mit den Jahren in lange Rückschrittsbeine verwandelt haben? Das Gedicht aber ist prachtvoll und obendrein ein Stück Geschichte, auch meiner eigenen. Es betitelt sich »Osterwort« von Franz Dingelstedt
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und fordert die Freilassung Jordans. Die fünf ersten Strophen will ich hier einfügen: »Droben stand ich, wo inmitten eines Meers von Duft und Blüten Grau und groß das Schloß emporsteigt, Philipps alte Stadt zu hüten; Rings zu Füßen dehnte lachend sich das traute Tal der Lahn, Und mit ersten Maienblicken schaute draus der Lenz mich an. Geister einer frohen Jugend tauchten aus dem heitern Grunde: War's nicht da? – Und hier! – Und drüben ... scholl's von der Genossen Munde. Ein Erinnern, still und innig, ging wie Sonntagsglokkenklang Durch die Seelen lang Getrennter, die ein neues Band umschlang. Plötzlich rührt an meine Schulter eines Freundes scheuer Finger; ›Dort am Gitter‹, spricht er leise, deutend auf den innern Zwinger; – Und zwei Augen, groß und glühend, und ein Antlitz, bleich, entstellt,
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Starrten dort aus dem Gemäuer nieder in die schöne Welt. Herr des Himmels! – Stille, stille! Weck ihn nicht aus seinen Träumen! Ach vielleicht, daß just dies Auge, schweifend ob den grünen Bäumen, Ob der Berge blauen Häuptern seinen Weg zur Heimat fand, Spottend jener Türm' und Quadern, in der Gletscher freies Land! – Du erkennst ihn? – Ihn erkennen?! Kann ein Hesse sein vergessen? Sah ich nicht, wie er gebietend an der Besten Tisch gesessen, Wie er Blitze warf und Donner, wenn er zürnend sich erhob, Wie vor seines Mundes Hauche List und Macht in Spreu zerstob? ...« Dingelstedt ist im Dorfe Halsdorf bei Kirchheim, etwa zwei Stunden von Marburg, geboren – angesichts des gewaltigen Basaltrückens, auf dessen höchstem Punkt Winfried Bonifatius die Amöneburg gegründet hat, gedenkend des Wortes der Bibel: »Auf diesem Fels will ich meine Kirche bauen.« »Der Kas-
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seler Poet«, wie er sich in seiner ersten Gedichtsammlung nannte, besuchte in Marburg das Gymnasium und die Universität und schwärmte für »Philipps alte Stadt«. Sie war freilich schon eine alte Stadt, lang ehe Philipp der Großmütige und Weitherzige (mit den zwei von den biederen Herren Reformatoren ihm neben-, nicht nacheinander angetrauten gesetzmäßigen Ehegesponsen) auf die Welt gekommen ist; und lang ehe er aus heißer Liebe zu seinem Hessenland, dessen Souveränität er mit keinem anderen, namentlich nicht mit dem Kaiser teilen wollte, die Fahne der – Rebellion hätte ich fast gesagt – der Reformation aufpflanzte und so viele Bauern, die hochverräterische Gedanken von einem Himmelreich auf Erden gehabt hatten, erstechen, spießen, hängen und köpfen ließ, daß er dafür zum protestantischen Heiligen befördert werden konnte. In Marburg lebte in meiner Studienzeit noch das Andenken Dingelstedts. Die sonderbarsten Dinge wurden von ihm erzählt, wie er die Nacht in Tag verkehrt – bei Studenten freilich nichts Seltenes! – und wie er sich den Kleinsten der Universität zum Freund ausgesucht, er, der Größte, mit seinen endlosen Beinen. Als ich auf die Universität Marburg ging, war er schon einige Jahre fort, doch hatte ich ihn früher bei meinen häufigen Besuchen gesehen und immer in Begleitung seines zwerghaften Freundes, neben dem er
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riesengroß erschien, um so größer, weil er spindeldürr war, so daß man im Scherz ihn »einen aufrechten Gedankenstrich« nannte. Die ganze Liebe Dingelstedts für Marburg – und wer, der einmal diese Perle der Lahn gesehen, muß sie nicht lieben? – flutet uns aus diesem Gedichte entgegen. Und dieses Gedicht, das im Frühling 1840 einen solchen Sturm der Begeisterung und Leidenschaft in mir entfesselt hatte, fiel mir eines schönen Maitages im Jahre 1847 in die Augen und in den Sinn. Wieder »ein Meer von Duft und Blüten«, aus dem das Schloß wie eine Klippeninsel aus weiß schäumender Brandung hervorragte. Das Bild des Mannes, der, nachdem er jahrelang dort oben geschmachtet, Tantalusqualen erduldend beim Anschauen des Paradieses, das zu betreten ihm versagt war, vor kurzem, vom obersten Gerichtshof für ganz unschuldig erklärt, den Kerker verlassen hatte – das bleiche Bild Sylvester Jordans stieg vor mir auf, neben ihm die blutige Gestalt Weidigs und die Engelsgestalt seines sechzehnjährigen Töchterchens, das daheim gestorben war, während er im Kerker sich härmte1 –, und es blitzte mir durch den Kopf: Du mußt etwas tun! Deinem Gefühl Luft machen. Wir müssen dem Opfer der Kabinettsund Bundestags-Justiz ein Vivat bringen und seinen Henkern ein Pereat [Nieder mit ihm!]. Gedacht, getan! Ich sprach mit einigen Freunden;
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sie billigten den Plan, und nachts vor zwölf Uhr marschierten wir hinauf zum Schloß, in nächste Nähe des Teiles, welcher Jordan als Kerker gedient hatte; und sobald von der Elisabetherkirche der erste Schlag erdröhnte, brachte ich, so laut ich konnte, mit einigen passenden oder auch unpassenden Worten das Vivat und das Pereat aus. Die Szene war schon zu Ende, ehe der Nachhall des letzten Glockenschlags im Luftraum erstorben war. Und sicherlich eine recht harmlose Kundgebung. Allein auch die Kundgebung beim Wartburgfest war sehr harmlos gewesen und hatte doch recht tragische Folgen. Für mich waren die Folgen zwar nicht tragisch, aber doch recht ernst. Wir hatten Zuhörer gehabt. Die Sache trug sich herum und wuchs wie ein rollender Schneeball. Und eines Tages wurde ich, der schon einige Warnungen empfangen hatte, von einem mir wohlwollenden Beamten in Kenntnis gesetzt, daß die Angelegenheit recht bedenklich sei. Ich erzählte den genauen Hergang, und das wirkte auch für den Moment beruhigend. Es lebte aber damals in Marburg eine unheimliche Persönlichkeit, ein alter Militär, der in dem Rufe stand, der Kasseler Regierung Spionen- und Zuträgerdienste zu leisten. Und dieser Mann, der bereits in dem Jordan-Prozeß eine Denunziantenrolle gespielt hatte, wollte sich jetzt auch an mir einen roten Rock verdienen. Er schickte einen Bericht nach Kassel, daß
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unter den Marburger Studenten eine geheime politische Verbindung bestünde, so schlimm, wenn nicht schlimmer, wie weiland die der Schwarzen von Jena und Gießen, und daß ich der Urheber und Mittelpunkt der Verschwörung sei. Die Saat fiel auf guten Boden; man beschloß, gegen mich vorzugehen. Unter der Hand wurde ich von dem, was mir drohte, unterrichtet. Ich lachte erst. Doch bald mußte ich mich überzeugen, daß meine Freiheit bedroht sei. Que faire? [Was tun?] Die Gießener Freunde, mit denen ich nach Wisconsin hatte auswandern wollen, um dort eine Kolonie zu gründen, waren schon abgefahren. Ich überlegte. Statt mich hier einsperren zu lassen und Jordansche Erfahrungen zu sammeln, war es nicht besser, gleich nach Amerika zu fahren? Die Vorbereitungen hatte ich schon seit langem getroffen. Ich brauchte nur noch einen Reisekontrakt, und da ich auch hierüber schon mit einem Agenten unterhandelt hatte, so war binnen achtundvierzig Stunden alles geordnet. Es war hohe Zeit. Der gute Freund, der mich früher bereits gewarnt hatte, kam am Abend des Tages, wo der Kontrakt mir zugestellt ward, mit sehr ernster Miene zu mir: »Sie müssen noch heute Nacht von Marburg weg. Ich weiß aus sicherster Quelle, daß Sie morgen früh in Untersuchungshaft genommen werden sollen!« Mein Entschluß war rasch gefaßt. Freund Maus
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wollte mich begleiten – vielleicht bis Amerika, mindestens bis Rotterdam. Er besorgte sofort einen Wagen, und wir fuhren nach der Hasso-NassovenKneipe, um uns zu verabschieden. In kurzen Worten teilte ich den Korpsbrüdern mit, was geschehen war und daß ich vor der Abreise ihnen noch die Hand habe drücken wollen. Ich hielt mich etwas auf, so daß Maus ungeduldig wurde. »Lebt wohl, Brüder!« »Bruder, leb wohl!« Und während ich mich nach der Tür wende, erschallt mein Lieblingslied, das ich so oft mit vielem Gefühl und falscher Stimme auf der Korpskneipe gesungen: »Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein! Ade nun, ihr Brüder, geschieden muß sein!« Ich blieb stehen und sang noch das Lied mit. Als die letzten Töne verklungen waren, noch ein hastiges Ade und hinaus in den Wagen, in die dunkle Nacht, in die weite, weite Welt. Im Wagen sammelte ich meine Gedanken. Es war mir etwas weh- und schwermütig ums Herz. Es fiel mir ein, wie ich im Winter vorher mit Freund Maus eine weit im Lande berühmte Wahrsagerin auf der Amöneburg besucht und von ihr, nachdem sie nebst ihrem schwarzen Kater mich lange forschend betrachtet, die Auskunft erhalten hatte:
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»Junges Herrchen! Sie werden viel Ungemach haben. Sie werden sehr Schlimmes durchmachen. Sie werden zweimal über das Meer fahren. Zuletzt aber werden Sie sehr reich und glücklich sein!« – Die schlaue Person hatte jedenfalls erfahren, daß ich nach Amerika gehen wollte. Nun, im ganzen hat sie richtig prophezeit. Nur, daß ich öfter als zweimal übers Meer gefahren bin und daß es mit dem Schluß der Prophezeiung arg hapert. In die Prophezeiung der »Hexe« mischten sich die Klänge des Liedes, das ich gehört – »Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein!« Noch zweimal nachher ist mir das gleiche Lied gesungen worden. Das erste Mal achtzehn Jahre später im Grunewald bei Berlin, am Ufer des Schlachtensees. Weil ich mich nicht dazu hergeben wollte, die deutschen Arbeiter vor den Staatskarren des preußischen Junkers Bismarck zu spannen, und weil ich es nicht geduldet hatte, daß Herr v. Schweitzer dem Herrn v. Bismarck diesen Dienst leistete, war ich aus Berlin und Preußen ausgewiesen worden. Den folgenden Tag sollte ich abreisen und mir einen anderen Ankergrund suchen – wo? wußte ich selber noch nicht. Einige Mitglieder des Berliner Buchdruckervereins, in dem ich verschiedene Vorträge gehalten hatte, und einige
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Freunde aus dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein: Vogt, ein altes Mitglied des Kommunistenbundes, Sigmund Meyer*, ein Architekt, beide längst in Amerika gestorben, Theodor Metzner, einer der wenigen Lebenden, die dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein in Berlin von Anfang angehört haben, Schneider Reimann, auch tot, und andere wollten noch einmal mit mir zusammen sein, und da es ein schöner Sonntag war, zogen wir nach dem Grunewald. Dort lagerten wir uns am Schlachtensee, den ich zum ersten Mal sah – Gespräche flogen hin und her, lustig, trotzig, wehmütig, bis die Dunkelheit sich niedersenkte und uns mahnte: Geschieden muß sein! Ich richtete noch einige Worte an die Freunde, ihnen dankend für ihre Treue und meine Wiederkehr in nicht allzu ferner Zeit ankündend. Als ich geendet und alle mir die Hände gedrückt hatten, da stimmte einer an: »Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein!« Und alle sangen mit. Ich aber gedachte jenes Abends in der Hasso-Nassoven-Kneipe, wo die Klänge dieses Liedes mich hinausgeleitet hatten in eine unbestimmte Zukunft, in Abenteuer, Revolution, Kerker, Verbannung – und nun, nach der Rückkehr in die Heimat, von neuem in die Verbannung und eine Zukunft, ebenso ungewiß wie vor achtzehn Jahren.
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Das andere Mal war im Jahre 1890. Fünfundzwanzig Jahre waren seit jenem Abschied im Grunewald und dreiundvierzig seit dem Abschied auf der HassoNassoven-Kneipe in Marburg verstrichen. Nach der Ausweisung aus Preußen hatte ich einige Wochen bei Freund Schweichel in Hannover mich ausgeruht und dabei das Terrain untersucht. Das Resultat der Untersuchungen war, daß ich auf drei Städte mein Augenmerk richtete: Leipzig, Frankfurt a.M. und Hamburg. Zunächst Leipzig. Dorthin ging ich, sah und blieb. Blieb ein Vierteljahrhundert lang – die acht Jahre mitgerechnet, die ich, unter der Herrschaft des Kleinen Belagerungszustandes, in dem benachbarten Dorfe Borsdorf unfreiwillig zubringen mußte. Es war eine fruchtbare, bewegte Zeit, dieses Vierteljahrhundert, in welches sich viel Arbeit und viele Ereignisse zusammendrängten. Die Lehr- und Lernzeit im Arbeiterbildungsverein, das Werden der sozialdemokratischen Partei, der Hochverratsprozeß, die Festungszeit in Hubertusburg, die Kämpfe zwischen Eisenachern und Lassalleanern, die Versöhnung und Vereinigung der feindlichen Brüder, das Sozialistengesetz, der Fall des Sozialistengesetzes und des Fürsten Bismarck und, nach erfochtenem Sieg, die Notwendigkeit, das Hauptquartier nach Berlin zu verlegen. Es war mir nicht leicht, dem Hauptquartier zu folgen. So vieles fesselte mich an Leipzig und so viele. Doch das Wohl
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der Partei ist dem Parteimann oberstes Gesetz. Ich unterwarf mich, im Einverständnis mit den Leipziger Freunden. Wir nahmen Abschied voneinander. Den Tag vor meiner Abfahrt nach Berlin kamen wir in Connewitz zusammen. Reden und Gegenreden. Aber wie anders als fünfundzwanzig Jahre vorher im Grunewald bei Berlin! Damals nur Partei-Embryo, nur eine Handvoll Pioniere, die dem Verfolgten das Geleite gaben. Jetzt eine siegreiche Partei, organisiert über ganz Deutschland, erprobt und gestählt in den zwölf Jahren des Sozialistengesetzes, trotz der Ächtung und Knebelung doch stärker als die Verfolger, siegreich und triumphierend über die Macht- und Gewalthaber. Doch so günstig auch die Lage, so beherrschend unsere Stellung, so glänzend der Ausblick in die Zukunft – wir wurden an jenem Abend in Connewitz nicht recht warm. Die Stimmung war gedrückt. Wenn man ein Vierteljahrhundert zusammen gearbeitet, Schulter an Schulter gekämpft und in der Gemeinsamkeit des Leidens und Ringens zusammengewachsen ist, dann tut das Scheiden weh. Allein die Räder der Zeit stehen nicht still den Menschen zu Gefallen. Mitternacht war schon längst vorüber, und es mußte geschieden sein. Wir erhoben uns, und in diesem Moment stimmte einer an, und die anderen fielen bewegt ein: »Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein!«
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Das Lied ward zu Ende gesungen, und wir trennten uns. Das war das zweite Mal nach dem Abschied auf der Hasso-Nassoven-Kneipe in Marburg. So hat mir das schöne Studentenlied, das Volkslied geworden ist, jedoch leider vielfach verhunzt durch eine neumodische Melodie, dreimal in für mich bedeutsamer Stunde zum Abschied geklungen. Und wenn immer ich es höre, schlägt mir das Herz höher, und meine innere Bewegung wird dadurch nicht gemindert, daß ich bei jenen drei Gelegenheiten nicht einen Tropfen »funkelnden Weins« getrunken habe, sondern nur mehr oder weniger schäumendes Bier, das aber von der Zauberin Phantasie für den Augenblick in funkelnden Wein verwandelt war. Doch zurück in das Jahr 1847 und in die »Chaise« auf der Landstraße zwischen Marburg und Gießen! Ich war also »auf der Flucht«! An Gefahr dachte ich nicht – in einer halben Stunde waren wir auf großherzoglich hessischem Gebiete, außer Bereich der kurhessischen Behörden und in Sicherheit. Allein auf dieser Fahrt wurde ich mir meiner Lage zum ersten Male klar bewußt – das heißt, es wurde mir klar, daß ich den Boden unter den Füßen verloren hatte und ins Nichts hineingeschleudert war – ohne Halt, in den unendlichen Raum, ein Spielball des Zufalls, von dem es abhing, ob ich auf irgendeinen Stern niederfiel oder
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im Nichts verlorenging. Nun – die trüben Gedanken flogen so schnell fort, wie sie herangeflogen waren. In Gießen ordnete ich, was noch zu ordnen war. Von Gießen nach Frankfurt, wo ich einige Einkäufe zu machen und einen Abschied zu nehmen hatte. Und von Frankfurt nach Mainz, wo wir uns auf einem Rheindampfer einschiffen wollten. Wie freute ich mich auf das Schiff und auf den Rhein und auf das Meer! Es war Sommer – des Kalendertages entsinne ich mich nicht mehr, obgleich er von großem, ja von entscheidendem Einfluß auf meine Lebensgestaltung war. Wir – Freund Maus und ich – fuhren auf der Taunusbahn, einer der wenigen Bahnen, die in Deutschland schon gebaut waren und folglich noch eine Seltenheit. Unser Wagenraum war ziemlich leer. Außer uns nur noch zwei Personen, eine ältere Dame und ein Mann, anscheinend Ende der zwanziger Jahre, mit einem breitkrempigen Filzhut, der ein auffallend scharf geschnittenes Gesicht überschattete. Wider meine Gewohnheit – ich kann noch heute tagelang fahren, ohne daß ein Wort über den Zaun der Zähne springt – sprach ich mit meinem Freund über unseren Reiseplan und muß auch eine Bemerkung gemacht haben, die meine Absicht, nach Amerika zu gehen, er-
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raten ließ. Genug – der Herr mit dem scharf geschnittenen Gesicht wandte sich plötzlich, seinen breitkrempigen Hut lüftend, an mich: »Entschuldigen Sie, habe ich recht gehört – Sie wollen auswandern?« Es lag etwas Eigentümliches im Ton der Stimme, etwas wie Verachtung, so daß ich es fast wie Stichelei empfand. Mit nicht gerade sehr freundlichem Blick antwortete ich kurz: »Ist das etwas so Merkwürdiges! Kann ein Mensch, der keine Hundeseele hat, noch in diesem Lande bleiben?« »Ah! Also Sie sind europamüde? Die Zustände in Deutschland sind Ihnen zum Ekel? Aber warum dann auswandern? Da sollten Sie erst recht im Lande bleiben, wenigstens in Europa.« Und nun horchte ich auf. Eine Fülle von Gedanken und Gefühlen stürmte auf mich ein. Bei Heine hatte ich schon gelesen, daß der Franzose, wenn er mit seiner Regierung unzufrieden ist, eine Revolution macht, der Deutsche aber, wenn unzufrieden mit der Regierung, die Regierung in Deutschland läßt und selber nach Amerika läuft; und der Stachel des bitteren Spotts war mir tief in das Fleisch gedrungen. »Was soll ich denn hier tun? Was kann ich hier tun?« platzte ich los (natürlich gebe ich das Gespräch nur sinngetreu). »In einem deutschen Gefängnis meine
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Jugend verlieren, ermordet werden wie Weidig, flügellahm werden im Käfig wie der arme Jordan – dazu habe ich keine Lust. Besser drüben im freien Lande, wo ich ein freier Mann bin und meine Kraft übe. Geht dann endlich der Tanz los in Frankreich, so ist Amerika nicht aus der Welt, und ich werde am Posten sein.« »In Frankreich! In Frankreich! Warum muß es denn immer Frankreich sein? Warum nicht in Deutschland? Warum nicht irgendwo anders? Regt es sich nicht überall? In Polen, in Genf, in Italien und in der Schweiz? In der Schweiz bereitet sich eine Revolution vor. Der Kampf gegen den Sonderbund beginnt, und das ist ein Kampf gegen das alte verrottete Despoten-Europa, ein Kampf gegen Louis-Philippe, gegen Metternich und dessen Handlanger in Berlin und gegen das Gewürm der Bundesnacht in Frankfurt! Dort ist Ihr Platz, nicht in Amerika.« Das fuhr mir ins Herz wie eine Offenbarung. Ich wurde immer leidenschaftlicher und beichtete mit dem Vertrauensbedürfnis der Jugend dem Fremdling, der mir in wenigen Minuten so nah gekommen war, alle meine Seelenkämpfe. Wir tauschten unsere Karten. Er war ein Dr. Ludolf, Oberlehrer am Fröbelschen Institut in Zürich – das jetzt dem ehemaligen preußischen Hauptmann von Beust gehört – und bekannt mit Herwegh, Treichler, Arnold Ruge, Julius Fröbel und so manchen anderen, deren Name allein schon wie mit
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Zauberkraft auf mich wirkte. Und er gab mir eine so verlockende Schilderung von der Schweiz im allgemeinen und von Zürich im besonderen, daß ich, als er plötzlich mit der Frage hervorplatzte: Ich bin nach Deutschland geschickt worden, um für unsere MusterLehranstalt einen Lehrer zu holen, ich glaube, Sie sind der geeignete Mann, wollen Sie annehmen oder wenigstens probieren? – ohne mich zu besinnen Ja sagte. In Mainz kehrten wir in demselben Wirtshause ein. Je mehr ich mit ihm verkehrte, desto besser gefiel mir mein Reisegefährte. In der Nacht ließ ich die Ereignisse des Tages an meinem Geiste vorüberziehen. Nun war ich mir klar. Nun hatte ich ein Ziel. Nun hatte ich wieder Boden unter den Füßen. Ich entschloß mich, sofort nach Zürich zu fahren. Freund Maus war bereit, mich zu begleiten. Den anderen Morgen suchte ich den Auswanderungsagenten auf, mit dem ich den Reisekontrakt gemacht hatte. Ich erklärte mich bereit, die Hälfte des eingezahlten Geldes zu opfern. Das genügte nicht, und schließlich erhielt ich nur ein Viertel zurück. Indes, was scherten mich solche Kleinigkeiten? Wir blieben noch einen Tag in Mainz, verabschiedeten uns dann von Dr. Ludolf, der noch einige Wochen in seiner Heimat – ich glaube Hannover – verweilen wollte, und reisten in die Schweiz statt nach
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Liebknecht: Aus der Jugendzeit
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Amerika. Als ich vor elf Jahren durch Wisconsin fuhr* und die deutschen Farmen dort sah mit den deutschen Farmern, Farmerweibern und zahllosen Farmerkindern vor der Tür – da gedachte ich jener Eisenbahnfahrt von Frankfurt nach Mainz, ohne die ich jetzt vielleicht auch vor einer Farm stehen und mit Frau und Kind dem vorbeisausenden Eisenbahnzuge nachsehen würde. Habe ich das bessere Teil erwählt oder das schlechtere? Wie oft habe ich mir gewünscht, ein Farmer zu sein! Und wenn ich Farmer geworden wäre, wie oft hätte ich gewünscht, nicht Farmer zu sein? Keiner hat gründlicher als ich am eigenen Leibe erfahren, daß das Leben nicht eine Eisenstange ist, die jeder in jede ihm beliebige Gestalt schmieden kann. Nach einer sehr vergnüglichen Reise, auf der ich mit allerhand Exemplaren des badischen Liberalismus und schon ins Republikanische schillernden Radikalismus in Berührung kam, langten wir an einem wonnigen Spätsommerabend in Zürich an. Nach den Alpen wie nach dem Meer hatte es mich von frühester Jugend magnetisch hingezogen. Mein Vormund war mit meinem sehr früh verstorbenen Vater, seinem Studienfreund, in der Schweiz gewesen – eine Schweizer-
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Liebknecht: Aus der Jugendzeit
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reise war vor achtzig Jahren kein so alltägliches Ding wie heutzutage – und hatte mir viel davon erzählt. Bei Schaffhausen, das uns durch seinen Rheinfall und das wunderbar helle Kristallwasser des Rheins einen Vorgeschmack der zu erwartenden wunderbaren Naturschönheiten gab, betraten wir das Schweizer Gebiet. Nach einiger Zeit rief ein Mitreisender – es war noch die Ära der Postkutschen –: »Die Alpen! Die Alpen! Seht dort den Berg!« Alles sah hinaus. Ich wandte die Augen ab. Ich wußte, es war nur ein Bruchteil der Alpen zu sehen, und ich wollte das Herrliche ganz sehen, es das erste Mal voll genießen. Man hatte mir gesagt, von der Brücke in Zürich hätte ich ein großartiges Breitbild der ostschweizerischen Alpen. Und ich war entschlossen, vorher keinen Blick nach den Alpen zu werfen. Wir sind in Zürich. Rasch ausgestiegen, im Hotel du Lac – damals ein ziemlich bescheidener Bau – das Gepäck abgegeben und hinaus auf die Brücke. Und nun schaute ich. Meine Enthaltsamkeit wurde reich belohnt. Der Smaragdsee mit dem lufthell durchsichtigen Wasser, zur Rechten der mächtige Ütli und vor uns im Goldglanze der Abendsonne, so hell und klar, daß man glaubte, sie mit Händen greifen zu können, die breite, himmelragende Kette der Alpen. Ich stand lautlos da. Und als dann das Gold der Abendsonne sich rot färbte und die gewaltige Bergmasse in Flam-
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men aufloderte, rief ich, überwältigt, dem Freunde zu: »Hier bleibe ich!« Und ich blieb in Zürich. Im Fröbelschen Institut war alles nach Wunsch. An der Schiffslände im Locherschen Haus, bei den Eltern des später bekannt gewordenen Radau-Reformators Locher, fand ich eine Wohnung mit Aussicht auf den unteren Teil des Sees und den Ütliberg. Hintennach erfuhr ich, daß in meinem Zimmer der berüchtigte preußische Lockspitzel Lessing gehaust hatte – ein Student, den die deutsche Polizei gekauft hatte, um die Flüchtlinge der dreißiger Jahre in der Schweiz zu überwachen, und der genau nach demselben Rezepte handelte, welches für die Lockspitzel, nationale und internationale, noch heute in Kraft ist. Das Sprichwort vom »nichts lernen und nichts vergessen« gilt von der Polizei fast noch mehr als von den »Staatsmännern«. Letztere, soweit sie zur Zunft gehören, lernen doch mitunter ein paar neue Formen und Formeln; die Polizei aber ist auch in den Formen und Formeln heute genau dieselbe, arbeitet genau mit denselben Mitteln und Kniffen wie zuzeiten Fouchés, ja sogar zuzeiten Ludwigs des Vierzehnten, unter dem das Institut der Lockspitzel bereits eingeführt war. Als Lessings Verräterei entdeckt wurde, hielten die von ihm Verratenen an einer abgelegenen Stelle des Sihlhölzli bei Zürich Femegericht über ihn; er wurde, nachdem er einem
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Verhör war unterworfen worden, zum Tode verurteilt und von zwei im voraus zu dem Nachrichteramt bestimmten Genossen erdolcht. Die Leiche ward erst am anderen Morgen gefunden, erkannt und in die Wohnung gebracht – in das Zimmer, welches ich nun bewohnte. Meine Aufwärterin, die schon damals im Hause gewesen war, erzählte mir, wie den Tag nach der Tat, als die Leiche auf dem Bett lag, die »Freunde«, mit denen der Ermordete Umgang gehabt, einer nach dem anderen gekommen seien und wie bei dem Eintritt des letzten die Wunden wieder zu bluten begonnen hätten – gleich den Wunden Siegfrieds beim Nahen Hagens. Von Siegfried erzählte die Wirtschafterin mir freilich nicht, aber in ihr lebte noch der alte heidnische Aberglaube so lebendig wie in den alten Burgundern zu Siegfrieds oder Nibelungenlieds Zeiten – und wie in meiner Wirtin zu Borsdorf. Das Volk ist so konservativ, am konservativsten in Demokratien, was ich übrigens erst viel später gelernt habe. Der Hagen des Lessing wurde mir genannt; er hatte ein hohes Staatsamt im Kanton; nach dem Mord war er allerdings in Untersuchung gewesen und von der Volksstimme einmütig als der – nicht Mörder, sondern Rächer bezeichnet worden, der den tödlichen Stoß geführt. Ich habe ihn oft gesehen, auch verschiedentlich mit ihm gesprochen. Lachen sah ich ihn niemals.
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Meiner Lehrtätigkeit widmete ich mich mit großem Eifer. Der »Chef« des Instituts, folglich auch »mein Chef«, Karl Fröbel, ein Neffe des »Kindergarten-Fröbel« und Bruder von Julius Fröbel, den ich nebst seiner Frau, einer geborenen Haller, in unserem Schulhause – einem großen, scheunenartigen Gebäude in Seefeld, unmittelbar am See – kennenlernte, war ein ausgezeichneter Pädagoge, dem ich viel zu verdanken habe. Treichler, Ruge, Follenius und andere der aus der Ferne von mir bewunderten Männer, die Dr. Ludolf mir als Lockvögel vorgehalten hatte, sah und betrachtete ich mir nun in der Nähe – und nicht alle waren in der Nähe so groß wie aus der Ferne. Herwegh war nicht mehr in Zürich – er war mit seiner Frau nach Paris übergesiedelt, wo er mit der verlassenen Ariadne des Theseus-Liszt, der Gräfin d'Agoult, allerlei nicht gerade löbliche und rühmliche Allotria trieb. Ich traf erst ein halbes Jahr später, nach der Februarrevolution mit ihm zusammen. Die Zeiten waren bewegt und wurden bewegter von Tag zu Tag. Die Sonderbundsfrage verwickelte sich zum Knoten, der mit dem Schwerte durchhauen werden mußte. Ermuntert von Frankreich, Österreich und Preußen, verweigerten die katholischen Kantone, die Jesuiten auszutreiben und den Sonderbund aufzulösen. Man rechnete darauf, die nötige Stimmenzahl auf der Tagsatzung (dem Bundestag) werde nicht zusam-
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menzubringen und, wenn zusammengebracht, nicht in Bewegung und Aktion zu bringen sein. Indes, das war die Rechnung ohne den Wirt, das heißt ohne das Schweizer Volk, gemacht. Die nötige Stimmenmehrheit wurde zusammen- und die Bundesregierung in Bewegung gebracht. Der Sonderbundskrieg ging los. Ich wollte als Freiwilliger mitziehen, wurde jedoch mit meinem Gesuch abgewiesen. So sah ich mir denn, als im Hochland der erste Schuß fiel, der die Revolutionslawine loslöste, so daß sie ins Rollen kam, die entscheidende Schlacht bei Giesliken (am 23. November 1847) von den Albishöhen par distance [aus der Ferne] an und freute mich des glänzenden und gründlichen Sieges. Ich war inzwischen unter die Journalisten geraten. Mit Ausnahme von ein paar Zeitungsartikeln, die ich auf Drängen meines Gießener Universitätsfreundes Rudolf Fendt, eines eifrigen Mitarbeiters des »Zuschauer« von Gustav Struve, an diesen geschrieben hatte, war ich auf journalistischem Gebiete noch ganz unschuldig – literarisch freilich nicht, denn in verborgenen und zum Glück verborgen gebliebenen Schubladen hatte ich etliche Dutzend Pfund Gedichte, darunter auch herzzerreißende Trauerspiele, aufgespeichert. Die Rüstungen zum Sonderbundskrieg hatten mir nun die Feder in die Hand gedrückt; ich fand bei der »Mannheimer Abendzeitung«, dem radikalsten
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Liebknecht: Aus der Jugendzeit
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Tageblatt jener Zeit, um so bereitwilliger Auf- und Abnahme, als ich von vornherein nicht bloß auf jedes Honorar verzichtet, sondern sogar das Arbeiten für Honorar als eine Entweihung des heiligen Berufs eines Zeitungsschreibers erklärt hatte. Meine Artikel trugen mir viel Lob und viel Tadel, viel Feindschaft, aber auch viel Freundschaft ein. In Zürich lenkten sie die Aufmerksamkeit einflußreicher Kreise auf mich, und man beehrte mich mit dem Anerbieten, die Redaktion der früher Bluntschlischen »Eidgenossischen Zeitung«, die nach dem Falle des Sonderbundes herrenloses Gut geworden war, zu übernehmen. In die Unterhandlungen brach die Februarrevolution herein, die mich nach Paris rief. Vorher hatte ich aber doch die vorbereitenden Schritte zur Erwerbung des Schweizer Bürgerrechts getan. Von der Pariser Fahrt kam ich erst im April 1848 wieder nach Zürich zurück. Die Verhandlungen wurden fortgesetzt, und alles war im besten Gange, als im September der Struve-Putsch einen Strich durch alle Rechnungen machte. Ich wurde gefangen, saß erst in Säckingen, dann in Freiburg, bis der Mai 1849 das Gefängnis öffnete, mich in die Reichsverfassungskampagne stürzte und schließlich ans Ufer des blauen Genfersees verschlug. Über mein Leben dort habe ich voriges Jahr einiges berichtet. Nächstes Jahr vielleicht Weiteres.
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Liebknecht: Aus der Jugendzeit
Liebknecht-Jugendzeit
Fußnoten 1 In dem schönen Gedichte »Eine Seele« hat Freiligrath die Himmelfahrt des Kindes besungen, das »oben« von Schiller, Seume, Schubart, drei Opfern der Tyrannei – und Seume insbesondere auch kurhessischer Tyrannei –, empfangen ward. Das Gedicht schließt mit den Seume in den Mund gelegten Versen: »Ihn ins Enge, mich vordem ins Weite Trieb derselbe finstre Herrscherstamm. Sagten dir nicht eher schon die Leute, Daß der Seume nach Neuschottland schwamm? Drum so fleh, daß bald mit grünen Spitzen Gras der Lahn um seinen Hügel kost. Neben Hutten soll dein Vater sitzen, Tochter Jordans, bet und sei getrost.«
Deutsche Autobiographien