LEKTÜRESCHLÜSSEL FÜR SCHÜLER
Sophokles
König Ödipus Von Theodor Pelster
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Alle Rechte ...
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LEKTÜRESCHLÜSSEL FÜR SCHÜLER
Sophokles
König Ödipus Von Theodor Pelster
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten © 2005, 2008 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen Made in Germany 2008 RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart ISBN 978-3-15-950434-4 ISBN der Buchausgabe: 978-3-15-015356-7 www.reclam.de
Inhalt 1. Hinführung zum Werk 5 2. Inhalt 8 3. Personen 17 4. Die Struktur des Werks 27 5. Wort- und Sacherläuterungen 32 6. Interpretation 37 7. Autor und Zeit 59 8. Rezeption 73 9. Checkliste 77 10. Lektüretipps 82
Anmerkungen 85
1. Hinführung zum Werk Seit Sigmund Freud wichtige Erkenntnisse über die Triebstruktur des Menschen unter dem Stichwort Ödipus-Komplex »Ödipus-Komplex« zusammenfasste, wird die Gestalt des sagenhaften Königs von Theben nicht nur dort genannt, wo es um die griechische Tragödie des Sophokles geht, sondern auch da, wo Ergebnisse der Psychoanalyse vorgestellt und diskutiert werden. Für Freud war dieser König Ödipus eine literarische Gestalt, an der er seine wissenschaftlichen Erkenntnisse veranschaulichen konnte. Der Mythos des Ödipus, dem schicksalhaft vorherbestimmt ist, seinen eigenen Vater umzubrinDer Mythos des gen und seine Mutter zu ehelichen, wird von Ödipus Freud als Bild verstanden, an dem er demonstrieren will, welche Triebe im Menschen angelegt sind. Allerdings sind Freuds Thesen umstritten. Die wissenschaftliche Diskussion hat sich nicht nur an den Einzelthesen dieser Theorie entzündet, sondern auch an der Sammelbezeichnung »Ödipus-Komplex«. Unverkennbar ist jedoch, dass Sigmund Freud ebenso wie der griechische Dichter Sophokles nach den tiefsten Beweggründen menschlichen Handelns fragt. Die Geschichte des Ödipus zeigt in beispielhafter Weise, wie ein Mensch aufbricht, sich und seine Herkunft zu erforschen, und erfahren muss, wie schmerzlich die Erkenntnis seiner selbst ist. In der Tragödie des Sophokles wird Ödipus zunächst als Herrscher der mächtigen Die Tragödie des Stadt Theben vorgestellt. Er ist, wie allgeSophokles mein angenommen wird, als Fremder in die
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1. HINFÜHRUNG ZUM WERK
Stadt gekommen. In einer schwierigen Situation hatte er Theben von dem Unheil befreit, das von der Sphinx, einem sagenhaften Ungeheuer, ausging. Er allein hatte die über Leben und Tod entscheidende Frage der Sphinx beantworten können, welches Lebewesen sich am Morgen auf vier Beinen, am Mittag auf zweien und am Abend auf dreien fortbewegt. Mit seiner Antwort – »Der Mensch« – hatte er das Rätsel gelöst und die Macht der Sphinx gebrochen. Die Thebaner machten ihn zum König, da Laios, der angestammte Herrscher, auf einer Fahrt zum Delphischen Orakel umgekommen war. Nun steht König Ödipus vor einer neuen Herausforderung: In Theben ist die Pest ausgebrochen und die Bewohner erwarten, dass ihr Herrscher auch dieses Unheil besiege. Ödipus schickt sich an, die Ursachen des neuerlichen Unheils ausfindig zu machen und das Übel an der Wurzel zu packen. Der Gang dieses Geschehens wird dem Zuschauer des Dramas vor Augen geführt. Sehr bald wird deutlich, dass die Frage, was das für ein Lebewesen sei, das sich zuerst auf vier, dann auf zwei und schließlich auf drei Beinen hält, auf einer anderen Ebene weiter verhandelt wird; denn auch in der Tragödie des Sophokles geht es Fragestellungen um die Frage nach dem Menschen, den Bedingungen und Möglichkeiten menschlichen Denkens, Wissens und Handelns. Anfangs scheint nur die Rolle des Herrschers zur Diskussion zu stehen: Was erwartet man von einem König, der zugleich Regent und Richter ist? Wie verhält er sich gegenüber den Göttern und gegenüber den Mitmenschen? Was kann, darf und soll er tun? Und wo sind die Grenzen seiner Macht und seiner Fähigkeiten? Bald aber zeigt sich, dass die Frage zu eng gestellt ist. An
1. HINFÜHRUNG ZUM WERK
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König Ödipus erweist sich nur in herausgehobener Weise, was jeder Mensch an sich erfahren kann. Der Mensch ist nicht der Herr über alle Mächte und Gewalten. Begrenzt ist sein Wissen über sich selbst, über seine Herkunft und über den Lauf der Welt. Zu Hoch- und Übermut gibt es keinerlei Veranlassung. Allgemeinere und drängendere Fragen stellen sich dem Zuschauer und dem Leser: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Ödipus endet tragisch. Das ihm auferlegte Schicksal holt ihn ein, sosehr er sich bemüht, diesem zu entgehen. Es gibt Mächte, das ist die feste Meinung des Sophokles, die über dem Menschen stehen und denen der Mensch ausgeliefert ist. Sophokles nannte sie Schicksal, Freud glaubte, sie in den Trieben und Anlagen des Menschen vorgefunden zu haben. Weitere Ausdeutungen scheinen durchaus möglich.
2. Inhalt Die Vorgeschichte der in der Tragödie gezeigten Handlung Der Zuschauer im Dionysos-Theater von Athen, für den die Tragödie König Ödipus verfasst und aufgeDie Situation führt wurde, kannte die Geschichte, aus der der Zuschauer ihm eine Szenenfolge gezeigt werden sollte, in Athen in ihrem ganzen Umfang, bevor er das Theater betrat. Er konnte die Titelfigur und ihre Lebensgeschichte dem thebanischen Sagenkreis zuordnen und wusste, wer die Vorfahren und die Nachkommen dieses Herrschers waren. Die Familiengeschichte des Ödipus beginnt mit Kadmos, dem sagenhaften Gründer der Stadt Theben. Dieser Kadmos war aus der phönizischen Die Familiengeschichte des Stadt Tyros auf das griechische Festland geÖdipus kommen und hatte vom Delphischen Orakel den Auftrag erhalten, in Böotien eine Burgstadt zu gründen, die Kadmeia, die Burg von Theben. Trotz großer Schwierigkeiten setzte sich dieser Kadmos durch und sicherte seine Herrschaft. Auch seine Nachkommen hatten sich mit Gegnern aller Art auseinander zu setzen: Labdakos, der Enkel des Kadmos, musste sich den Thron hart erkämpfen; Laios, der Sohn des Labdakos, verbrachte eine Zeit im Exil, ehe er den Thron wieder erringen konnte. Im Exil hatte Laios sich den Zorn des Pelops, bei dem er aufgenommen worden war, und der Göttin Hera zugezogen, als er Chrysimos, den Sohn des Pelops, verführte. Seit dieser Zeit lastete ein Fluch auf der Familie des Laios.
2. INHALT
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Trotzdem gewann Laios das Königreich Theben zurück und heiratete Iokaste, die Tochter des Menoikeus und die Schwester des Kreon. Doch ein Orakelspruch aus Delphi verkündete Laios: »Wenn dir Iokaste einen Sohn gebiert, wird dieser dich töten und seine Mutter heiraten.«1 Als sie Eltern eines Sohnes werden, beauftragen sie einen Schafhirten, das Kind im Kithairon-Gebirge auszusetzen. Vorher durchbohrt man dem Neugeborenen die Füße, damit es nicht fortkriechen könne. Der Hirte übergibt den Jungen jedoch entgegen der strengen Anordnung der Eltern einem Schäfer, den er auf den Weideplätzen des Kithairons trifft. Dieser bringt das Kind nach Korinth, wo es von Polybos, dem König von Korinth, und Merope, seiner Frau, aufgenommen wird. Sie, die selbst kinderlos sind, nennen den Jungen Ödipus, was – ins Deutsche übersetzt – »Schwellfuß« heißt. Eines Tages wird der inzwischen herangewachsene Ödipus von einem Betrunkenen verhöhnt, er sei nicht das leibliche Kind seiner Eltern. Ödipus macht sich auf, um vom Delphischen Orakel die Wahrheit zu erfragen. Aber auch dort erfährt er nichts über seine wahre Herkunft; doch prophezeit man ihm, er werde seinen Vater töten und seine Mutter heiraten. Um das zu vermeiden, beschließt Ödipus, nicht nach Korinth zurückzugehen. Als er sich allein von Delphi aus auf Wanderschaft begibt, gerät er in Streit mit einem edlen Herrn und seinen Dienern, die ihn vom Weg abdrängen wollen. Im Kampf setzt er sich durch, erschlägt den Herrn und Ödipus in Theben mehrere aus dem Gefolge. In der Nähe von Theben angekommen, erfährt er, dass die Stadt von einer Sphinx bedroht wird, die von Hera entsandt war, um Theben zu bestrafen. Indem Ödipus Theben von der Plage befreit, wird er zum Retter der Stadt und zum
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2. INHALT
Nachfolger des Laios, von dem man erfahren hat, dass er auf dem Rückweg vom Delphischen Orakel umgekommen sei. Ödipus heiratet Iokaste und lebt viele Jahre glücklich mit ihr und in Eintracht mit seinem Schwager Kreon. Vier Kinder werden dem Königspaar geboren – zwei Söhne, Eteokles und Polyneikes, und zwei Töchter, Antigone und Ismene. Da sucht erneut eine Plage die Stadt Theben heim, und Ödipus ist erneut herausgefordert. Hier nimmt das Drama seinen Ausgangspunkt.
Die im Theater dargestellte Handlung Der Prolog
In Theben wütet die Pest. Die Bürger haben sich versammelt, opfern den Göttern und suchen Rat Pest in Theben und Hilfe bei Ödipus, dem Herrscher, der die Stadt auch früher schon vor Unheil bewahrt hat. Ödipus hat bereits reagiert und seinen Schwager Kreon zum Delphischen Orakel gesandt. Dieser kommt mit der Botschaft zurück, dass Theben nur dann von der Pest befreit werde, wenn der Mord an Laios, dem Vorgänger des Ödipus, gesühnt sei. Der Tod des Laios war Jahre lang verdrängt worden. Nun sollen die Mörder des Laios ermittelt und bestraft werden. Ödipus und der Auftrag Ödipus leitet die Untersuchungen bereitwildes Orakels lig, streng und hoffnungsvoll ein und verkündet vor der versammelten Bürgerschaft: »Von Grund auf werde diese Nacht zerstreut!« (132).
2. INHALT
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Einzugslied des Chors
Den Chor bilden die Ältesten der Stadt. Sie bitten Zeus, Athene, Artemis und Apoll um Hilfe in der Not.
Erstes Epeisodion: Erster Auftritt
Ehe der Tatbestand aufgeklärt ist, verurteilt Ödipus den noch unbekannten Täter dazu, das Land zu Erste Maßnahmen verlassen. Zugleich fordert er alle auf, nach des Herrschers dem Mörder zu forschen. Wer sich diesem Auftrag widersetze oder gar den Mörder schütze, werde aus der Bürgerschaft ausgestoßen. Er selbst will verflucht sein, wenn der Mörder aus seinem Haus stammen sollte. Die gesamte Aktion geschehe, wie er betont, um den Auftrag der Götter zu erfüllen, also im Interesse der Stadt, aber auch zur Sicherung seiner Herrschaft. Die Aussicht, einen Zeugen jener Tat in der Stadt zu finden, sind gering. Dagegen ist man überzeugt, dass der göttliche Seher Teiresias helfen könnte, »dem die Die OffenbarunWahrheit eingeboren ist als einzigem der gen des Teiresias Menschen« (299). Widerwillig erscheint Teiresias vor den Versammelten. Von Ödipus hart bedrängt, sagt er diesem ins Gesicht: »dieses Lands heilloser Besudler bist du« (353) und: »Des Mannes Mörder, den du suchst, sag ich, bist du!« (362). Ödipus hält diese Vorwürfe für völlig wirklichkeitsfremd. Sie scheinen ihm Teil eines Komplotts zu sein, das möglicherweise Kreon mit Teiresias vorbereitet hat, um selbst an die Herrschaft zu kommen. Als er den Seher verhöhnt und ihn einen Narren nennt, gibt Teiresias zu verstehen, dass er noch mehr wisse, als er bisher gesagt hat. Er kennt besser als Ödipus selbst die
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2. INHALT
»Eltern […], die dich zeugten« (453); er weiß, »wie tief du steckst im Übel« (413); er weiß auch, dass der Mann, der als Mörder gesucht wird, »Thebaner« (453) ist, der »mit den eignen Kindern lebt […] als ihr Bruder und ihr Vater«, außerdem »der Frau, der er entspross, Sohn und Gemahl und des Vaters Mitsäer und sein Mörder!« (456 ff.). Alles deutet darauf hin, dass Ödipus der Gesuchte ist, an dem sich das vollzogen hat, was seinem Vater Laios und ihm selbst durch Orakelsprüche vorhergesagt war. Ödipus allerdings verschließt sich den Offenbarungen des blinden Sehers. Dieser aber sagt nun voraus: »unter Sterblichen ist keiner, der schlimmer als du wird ausgerottet werden je!« (427 f.). Gespannt wartet man, wie alles ans Licht kommt und wie sich das weitere Schicksal des Ödipus gestaltet. Erstes Standlied
Die Ältesten der Stadt, vertreten im Chor, sind erschüttert von dem, was sie gehört haben. Sie schätzten Ödipus als Retter der Stadt und wissen nun nicht, was sie von den Anklagen des Teiresias halten sollen. Zweites Epeisodion: Zweiter Auftritt
Kreon hat von den Anschuldigungen des Ödipus gehört und ist gekommen, sich zu rechtfertigen. Ödipus Konflikt zwischen sieht aber seinen Verdacht Kreon gegenüber Ödipus und Kreon schon allein dadurch bestätigt, dass der Seher auf Kreons Rat hin kam; er geht deshalb davon aus, dass Teiresias im Auftrag Kreons handelte, wenn er ihn »Mörder des Laios« (703) nannte. Ohne Kreons Gegenargumente zur Kenntnis zu nehmen und ohne selbst Be-
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weise für seine Behauptungen zu liefern, verurteilt Ödipus seinen Schwager zum Tod: »Sterben sollst du« (623). Da tritt Iokaste aus dem Palast und beendet den Streit dadurch, dass sie Kreon bittet, sich zu entfernen; von Ödipus erwartet sie eine Erklärung. Ödipus berichtet, was der Seher in aller Öffentlichkeit verkündet hat, und er erklärt auch, weshalb er annimmt, dass der Seher von Kreon »angestiftet« (705) worden sei, ihn, Ödipus, zu vernichten. Iokaste geht nicht auf die Vorwürfe gegen Kreon ein, sondern bezweifelt den Aussagewert der SeherIokastes Einsprüche. Um zu beweisen, »dass es […] kein stellung zu sterblich Wesen gibt, das teilhaftig ist der SeSehersprüchen herkunst« (709), legt sie dar, dass dem Laios einst angekündigt wurde, er stürbe durch seinen Sohn, dass er tatsächlich aber »in Phokis« (733) »bei einer Scheide dreier Wagenwege« (730) von »Räubern« (716) erschlagen worden sei. Was jedoch als Beweis für die These, dass Orakelsprüche unzuverlässig seien, gemeint ist, lässt in Ödipus den Verdacht aufkommen, in ihnen könnte mehr Wahres enthalten sein, als es scheint. Er bittet, den einzigen möglichen Tatzeugen jener Auseinandersetzung herbeizuholen, um genau zu ermitteln, ob Laios tatsächlich von mehreren Räubern oder nur von einem einzelnen Mann erschlagen wurde. Der einzelne Mann nämlich könnte er, Ödipus, selbst gewesen sein. Ödipus offenbart nun auch Iokaste, welche Orakelsprüche ihn einst daran hinderten, zurück Ödipus und die nach Korinth zu seinen vermeintlichen ElSehersprüche tern zu gehen. Um nicht zum »Mörder dessen […], der mich gepflanzt« (793) und zum Gatten »der Mutter« (791) zu werden, hat er Korinth gemieden und hat sich in Theben zum König machen lassen.
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2. INHALT
Wenn sich das, was er tat, um drohendem Unheil in Korinth auszuweichen, ins Gegenteil verkehrt hätte, dann wäre er selbst der gottverhasste Mann, »der über mich selber diese Flüche hat verhängt« (820). Zweites Standlied
Voller Sorge um das Wohl der Stadt bittet der Chor um ein gütiges Schicksal. Dies aber könne nur gewährleistet sein, wenn »Gesetze […], hochwandelnde, im himmlischen Äther geborene« (865) beachtet Der Mensch und die göttlichen werden, wenn »das Göttliche« (910) eben Gesetze nicht entschwinde, wie es geschieht, wenn »alte Göttersprüche« (907) missachtet werden und wenn »einer hochmütig mit Händen oder Wort einhergeht, vor Dike furchtlos und nicht der Dämonen Sitze scheuend« (883). Solche »Vermessenheit« gegen die Gesetze und gegen die Götter macht nämlich »den Tyrannen« aus (873), der dann notwendigerweise zum Unheil für die Stadt wird. Drittes Epeisodion: Dritter Auftritt
Während sich Iokaste Sorgen um den verunsicherten Ödipus macht und die Götter um Hilfe bittet, erDie Botschaft scheint ein Bote aus Korinth und berichtet, aus Korinth dass Polybos, der König, gestorben sei und dass die Bürger von Korinth Ödipus »zum Herrscher […] des Landes am Isthmos« (939 f.) machen wollen. Für Iokaste ist nur der erste Teil der Nachricht wichtig; denn dadurch scheint bewiesen, dass des Ödipus Ängste
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unbegründet sind. Er jedenfalls, so darf man schließen, hat Polybos nicht umgebracht. Ödipus ist nur teilweise beruhigt, da ihm noch »vor dem Bett der Mutter […] bange« (976) ist. Der Bote glaubt, alle Befürchtungen dadurch zerstreuen zu können, dass er erklärt, dass weder Polybos der Vater des Ödipus noch Merope die Mutter des Ödipus sei, dass Ödipus vielmehr einst von einem »von Laios’ Leuten« (1041) ausgesetzt werden sollte, dass er dann aber ihm, dem jetzigen Boten, als er noch Schäfer war, übergeben worden sei und dass er dann das Kind »als ein Geschenk« (1022) dem Polybos überantwortet habe. Ödipus möchte die Aussagen dadurch prüfen, dass er den Hirten, der ihn damals ins Gebirge gebracht hat, befragt, und schickt nach ihm. Iokaste ahnt nun langsam die schlimmen Verstrickungen, in die Ödipus und sie selbst geraten sind. Drittes Standlied
Wieder rufen die Ältesten Phoibos Apollon um Hilfe an: Er möge offenbaren, von wem dieses »Kind […] geboren« (1098) wurde und wer es »als Glücksfund empfangen« (1106 f.) hat. Sie wollen wissen, wer Ödipus ist. Viertes Epeisodion: Vierter Auftritt
Der herbeigeholte Hirte gesteht widerwillig ein, dass er das Kind, das er »vernichten« (1174) sollte, »aus Mitleid« (1178) jenem Schäfer gegeben hat, Die Aufklärung des Falls der es nach Korinth brachte und der nun als Bote aus Korinth vor ihnen stehe. Damit ist der Fall aufgeklärt; Ödipus erkennt:
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»Es trat zutage: Entstammt bin ich, von wem ich nicht gesollt, verkehr, mit wem ich nicht gesollt, und hab erschlagen, wen ich nicht gedurft! (1184 f.) Viertes Standlied
Der Chor drückt seine Erschütterung über das Schicksal des Ödipus aus. Exodus
Ein Diener des Palastes berichtet, dass sich Iokaste erhängt und Ödipus sich geblendet habe. Ödipus erscheint, beklagt sein Schicksal und lässt sich Das Ende der Iokaste und die durch Kreon des Landes verweisen. Seinen Verbannung des Kindern, die zurückbleiben, wünscht er »ein Ödipus besseres Leben« (1513), als ihm, dem Vater, beschieden war. Der Chor richtet an die Bewohner Thebens die Mahnung, keinen Sterblichen »selig« zu preisen, »ehe er denn zum Ziel des Lebens durchgedrungen« (1529 f.) sei; niemand nämlich wisse, welches Schicksal ihm zugeteilt sei.
3. Personen Die Personen der griechischen Tragödie sind fiktional; sie entstammen nicht der Lebenswelt – weder der vergangenen geschichtlichen noch der aktuellen des Autors –, sondern der Welt des Mythos, der Sage, der Literatur. Für die Hauptpersonen des sophokleischen Dramas König Ödipus gilt, dass sie alle dem thebanischen Sagenkreis angehören und eine lange Tradition haben. Trotzdem sind die Personen des Dramas – Ödipus, Iokaste, Kreon, Teiresias – nicht identisch mit den überlieferten Sagengestalten. Sie gewinnen vielmehr ihre Identität erst im jeweiligen Text. So unterscheidet sich etwa die Person des Kreon, wie sie im König Ödipus konzipiert ist, von jenem Kreon, der in der vom gleichen Autor verfassten Tragödie Antigone die Herrscherfunktion in Theben innehat. Im Umfeld des in sich geschlossenen Textes gewinnen die Figuren ihr Eigenleben. Das bedeutet aber nicht, dass literarische Figuren nichts mit der realen Welt zu tun hätten. Ihre Wirkung besteht im Gegenteil darin, dass sie so angelegt sind, als ob sie in einer realen Welt handelten. Dem Zuschauer oder Leser werden Personen vorgeführt, die er als Menschen beurteilt, die, wie Aristoteles schrieb, entweder besser sind als die, die er kennt, oder schlechter oder eben gleich. Von diesen Figuren wird er emotional getroffen oder gedanklich herausgefordert. Grundsätzlich schätzt er sie als seinesgleichen ein. Dies mag in besonderer Weise für das ursprüngliche Publikum im Dionysos-Theater in Athen gegolten haben, das die auf der Bühne gezeigte Handlung als Spiegelung der Situation in der eigenen Stadt verstanden haben dürfte.
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Ödipus ist für die Bürger Thebens zunächst und vor allem der allseits anerkannte und erfolgreiche Der anerkannte Herrscher. Sie schätzen ihn als »der Männer Herrscher Ersten in des Lebens Wechselfällen und in den Begegnungen mit Göttern« (33 f.). Sie haben noch im Bewusstsein, dass er sie einst »vom Zoll, den wir der gnadenlosen Sängerin entrichteten« (36), befreite. Sie spielen damit auf die Krise an, in die sie durch die Bedrohung der Sphinx gestürzt wurden und aus der sie Ödipus befreite. Auf Grund dieser Leistung wurde er Alleinherrscher in Theben. Die Bürger erwarten nun, dass er sie auch aus der neuesten Krise erfolgreich herausführe, die dadurch entstand, dass in der Stadt Theben die Pest ausbrach. Ödipus genießt es offensichtlich, »von allen der Berühmte […] genannt« (8) zu werden. Die vor seinem Palast Versammelten redet er mit »O Kinder« an, fragt nach ihren Sorgen und erklärt sich bereit zu »helfen – in allem« (12). »Denn«, fügt er hinzu, »ich wäre herzlos, hätte ich Mitleid nicht mit solchem Flehen« (12 f.). Tatsächlich hat er schon vorsorglich seinen Schwager Kreon nach Delphi geschickt, um Hinweise von den Göttern zu erhalten, Das Bild eines was in der kritischen Lage zu tun sei. So erkompetenten gibt sich das Bild eines kompetenten, dem Herrschers Volk zugewandten und den Göttern vertrauenden Herrschers, fähig, die Geschicke des Landes zu lenken. Auch die Familienverhältnisse dieses Herrschers scheinen in guter Ordnung zu sein. Er ist verheiratet mit Iokaste, mit der er vier Kinder hat; und er hat in seinem Schwager Kreon einen Vertrauten, der ihn in der Regierungsarbeit unterstützt. Auf einen einzigen Makel, der aber vorläufig nicht zur Sprache kommt, der höchstens zeichenhaft in einer In-
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szenierung angedeutet werden kann, verweist sein Name. »Ödipus« heißt übersetzt »Schwellfuß« – und der aufmerksame, jedoch noch nicht informierte Zuschauer oder Leser könnte schon stutzig werden und fragen, was der Grund dieses Gebrechens ist. Dass dieser Ödipus von Kind an ein vom Schicksal Verfolgter ist, wird erst allmählich offenkundig. Dankbar nimmt er zunächst die Hinweise des Delphischen Orakels auf, die ziemlich genau erklären, wie die Stadt zu retten sei. Selbstbewusst und tatkräftig setzt er die Untersuchungen in Gang, die den Mörder des Laios überführen sollen. Er Die Selbsterkenntsetzt das Strafmaß für den Täter fest und spielt nis des Ödipus sich zum obersten Richter auf. Dann aber muss er erkennen, dass er selbst der Gesuchte, der Verfluchte, der Grund für die Bedrohung der Stadt ist. Eigentlich hätte er gemäß dem Willen der Götter nie gezeugt und nie geboren werden dürfen. Als die Eltern – König Laios und seine Frau Iokaste – gegen den ausdrücklichen Willen der Götter ein Kind zeugten, wurde prophezeit, dass dieses Kind den eigenen Vater töten und seine Mutter ehelichen werde, dass es also durch Vatermord und Inzest schuldig werde. Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als ob diese Orakelsprüche nicht in Erfüllung gingen. Dass sie sich schon erfüllt hatten, als die Betroffenen noch in scheinbarem Glück lebten, war nicht zu erkennen. Endlich wird Ödipus klar, welches Schicksal ihm zugedacht war: »Entstammt bin ich, von wem ich nicht gesollt, verkehr mit wem ich nicht gesollt, und hab erschlagen, wen ich nicht gedurft!« (1184 f.)
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Er trägt die Konsequenzen, wenn er bittet: »Führt hinweg mich außer Landes, so schnell ihr könnt, führt, Freunde, hinweg den ganz Verworfnen, den Verfluchtesten und auch Göttern Verhasstesten unter den Sterblichen!« (1340–46) Der Herrscher, der einst als der Erste in Theben galt, ist vom Schicksal ins Elend gestürzt worden. Er, der sich selbst die Augen ausgestochen hat, Der Sturz ins Elend wartet, dass er aus dem Land gewiesen wird. Kreon wird dies veranlassen, wenn er einen entsprechenden Wink vom Delphischen Orakel erhält. Der Lebensweg des Ödipus endet tragisch: Der von allen anerkannte Herrscher wird aus der menschlichen Gemeinschaft verbannt. Inwieweit er für sein Leben und sein Handeln verantwortlich ist, inwiefern er also schuldig oder unschuldig ist, ist eine offene Frage. Iokaste tritt zwischen ihren Gatten, den König Ödipus, und ihren Bruder Kreon, als heftiger Streit Iokaste als zwischen den Männern ausgebrochen ist. Vermittlerin Von beiden wird sie als mögliche Streitschlichterin akzeptiert. Sie weist die Männer in einer Art zurecht, als seien sie ihre Kinder: »Was habt ihr […] entfacht und schämt euch nicht, obwohl das Land so krank ist, eigne Übel aufzurühren?« (63 f.). Sie veranlasst Kreon »nach Hause« zu gehen, und Ödipus bittet sie »in den Palast« (637). So erweist sie sich als eine Frau, die den Überblick behält, für gerechten Ausgleich sorgen will und der das Wohl der Stadt mehr gilt als das Gezänk unter Verwandten.
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Um zu einem eigenen Urteil zu gelangen, sucht sie zuerst zu »erfahren, was geschah« (680). Sie hält weder vorbehaltlos und blind zu ihrem Gatten, noch lässt sie sich von einer möglichen Sympathie für ihren Bruder leiten: Sie möchte die Fakten kennen und die Ursache des Streites. Als Ödipus bereitwillig berichtet, was der Seher Teiresias ankündigte, und offen legt, welchen Verdacht er gegen Kreon und Teiresias hat, zeigt sich Iokaste erleichtert. Sie glaubt aus eigener Erfahrung belegen zu können, dass es »kein sterblich Wesen gibt, das teilhaftig ist der Seherkunst« Die Position der (709). Nicht auf göttliches Wissen und Aufklärung göttlichen Willen können die Menschen zurückgreifen, und sie brauchen es auch nicht; menschlicher Verstand und menschliche Vernunft genügen, den richtigen Weg zu finden. Der Bericht über die an Laios ergangenen Orakelsprüche, der zum Beweis dienen soll, dass sich Prophezeiungen der Seher zumeist als falsch erweisen, kann Ödipus nicht beruhigen – im Gegenteil: Er beginnt zu ahnen, dass er der Schuldige ist. Nun aber ändert Iokaste ihr Verhalten: Sie versucht, Ödipus davon abzuhalten, weiter zu forschen. Sie ist in dem Augenblick nicht mehr interessiert, die ganze Wahrheit zu erfahren, als sie fürchten muss, dass diese Wahrheit schrecklich für ihren Mann und für sie sein muss. Als ihr dann klar wird, wie sie in das Schicksal des Ödipus verstrickt ist, als sie erkennen muss, dass sich alle Orakelsprüche erfüllt haben, und ihr beVerzweiflung wusst wird, welche Rolle sie in dem ganzen und Tod Geschehen gespielt hat, nimmt sie sich voller Verzweiflung das Leben, ohne noch einmal mit Ödipus, mit Kreon oder ihren Kindern gesprochen zu haben.
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Kreon gehört insofern zur Herrscherfamilie in Theben, als er der Bruder der Iokaste und der Schwager von Ödipus ist. Tatsächlich ist er auch der Onkel des Ödipus. Aber das wird erst spät offenbar. Er führt auf Veranlassung des Herrschers und im Interesse der Stadt Die Helfer- und Beraterrolle Aufträge aus, wie gleich zu Anfang der Handlung deutlich wird, als er aus Delphi mit dem dringend erwarteten Orakelspruch eintrifft. Ihm ist durchaus zu glauben, wenn er sagt, dass ihm mehr daran liegt »herrscherlich zu handeln« als »Herrscher zu sein« (588). Kreon ist mit der Rolle, die ihm zugeteilt ist, durchaus zufrieden, da er »ohne Neid« (590) erhält, was ihm zukommt, er »mit allen gut« steht und anerkannt ist, er Zeit »für das Schöne« hat und selbst entscheiden kann, welche Aufgaben er übernimmt und welche nicht. Ob es vorstellbar sei, fragt er, »dass wohl mit Ängsten jemand lieber herrschen will als beglückt mit ruhigem Schlaf, wenn er dieselbe Macht doch hat!« (585 f.). Als Ödipus bei seinen Vorwürfen, Kreon habe ein Komplott gegen ihn vorbereitet, bleibt und Kreons Argumente völlig übergeht, ist Kreon machtlos. IoDer Verdächtigte kaste erreicht, dass das schon ausgesprochene Todesurteil zurückgenommen wird, und Kreon entfernt sich mit den Worten: »Ich gehe, von dir verkannt, gerecht jedoch vor diesen« (677). Allen ist klar, dass die Vorwürfe des Ödipus unbegründet sind und dass Kreon schwer beleidigt ist. Umso mehr ist die Haltung zu bewundern, mit der Kreon am Ende dem vom Schicksal geschlagenen Ödipus begegnet. Die ersten Worte, die Kreon nach dem Streit an Ödipus richtet, lauten:
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»Nicht als ein Spötter, Ödipus, bin ich gekommen, noch um dir vorzuhalten eins der früheren Übel.« (1422 f.). Kreon lässt den persönlichen Streit unberücksichtigt und handelt sofort als souveräner Herrscher. Er hört sich die Bitten des Ödipus an, Der kompetente und gottesfürchkommt seinen Wünschen entgegen, wo tige Herrscher dies in seiner Macht steht, und holt den Rat der Götter ein, wo er meint, dass er nicht entscheidungsbefugt ist. So lässt er auf eigene Verantwortung die Kinder des Ödipus holen; er lässt die Götter befragen, wenn es um das Strafmaß des Ödipus geht. Auf diese Weise vereinigt er Milde und Gerechtigkeit in seinem Handeln. Er beweist einerseits menschliche Kompetenz und Ehrfurcht vor den Göttern andererseits. Der blinde Seher Teiresias ist von edler Abstammung. Man sagt, dass ihm »die Wahrheit eingeboren ist als einzigem der Menschen« (299); man ehrt ihn Der Blinde, der klar sieht als göttliches Wesen und erinnert sich, dass schon die Vorgänger des Ödipus diesen Teiresias um Rat fragten. Über den Ruf, der jetzt an ihn erging, ist der Seher keineswegs glücklich: »Weh, wehe, Klarsehn!: Wie furchtbar, wo es nicht nützt dem Klarsehenden!« (316). Dieser Ausruf, mit dem sich Teiresias einführt, deutet bereits den Konflikt an, in dem er sich befindet, und bereitet zugleich darauf vor, die oft verschlüsselten Aussagen des Sehers genau zu durchdenken. Zweifellos ist er derjenige, der die Wahrheit kennt und klar sieht. Da er jedoch voraussieht, dass diese Wahrheit den Interessen des Herrschers zuwiderläuft, muss er mit Schwierigkeiten rechnen. Träte jedoch der
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Fall ein, dass Ödipus die Wahrheit akzeptierte und seinerseits klar sähe, so wäre der Wehe-Ruf nicht weniger berechtigt. Teiresias weiß, dass die Wahrheit wehtut – entweder ihm selbst oder Ödipus oder ihnen beiden. Der Offenbarer Das hält ihn jedoch nicht davon ab, sie ausder Wahrheit zusprechen. Am Ende seiner Rede ist alles, was zu der Krise in Theben geführt hat, aufgedeckt; und alles ist vorausgesagt, was das Schicksal diesem Herrscher noch zugedacht hat. Der Bote aus Korinth scheint sich vom einfachen Hirten, der im Kithairon-Gebirge die Herden des Ein Diener aus Königs beaufsichtigte, zu einem besonders Korinth vertrauten Diener im königlichen Palast von Korinth emporgedient zu haben. Einst hat er den kleinen Jungen, der in den Bergen ausgesetzt werden sollte, übernommen und ihn dem Königspaar übergeben. Jetzt soll er dem erwachsenen Ödipus die Botschaft vom Tod des Vaters überbringen und zugleich die Einladung, König von Korinth zu werden. Er erinnert sich nicht nur genau an jene gute Tat, durch die das Kind gerettet wurde, sondern er weiß auch über alle Vorgänge am Königshof in Korinth genau Bescheid. Der Hirte, der in thebanischen Diensten steht und nun nach langer Zeit wieder in den Palast gerufen wird, hat eine gegenüber dem Boten aus Korinth entgegengesetzte Entwicklung hinter sich. Er gehörte offensichtlich zu den bevorzugten Dienern des Königs Laios und begleitete dieEin Diener aus sen auf dessen letzter Reise zum Delphischen Theben Orakel. Er war Zeuge der Ermordung, einzig
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Überlebender und schon deshalb gebrandmarkt. Verständlich ist, dass er bat, »ihn aufs Land zu schicken […], damit ihm diese Stadt so weit wie möglich aus den Augen sei« (761 ff.), als er bei der Rückkehr von der unglücklichen Expedition sah, dass Ödipus inzwischen Herrscher von Theben war. Früher, zu Zeiten von König Laios, war er der bevorzugte Diener – »für einen Hirten wie kein Zweiter treu« (1118) –, dem man den geheimen Auftrag anvertraute, das Kind auszusetzen, von dem so viel Unheil ausgehen sollte.
Personenkonstellation Die von Unheil bedrohte Herrscher-Familie Die Aufklärer Teiresias – der Seher, der die Wahrheit kennt und sagt Hirte des Laios – Kenner der Kindheitsgeschichte des Ödipus Bote aus Korinth – Kenner der Jugendgeschichte des Ödipus
Laios
Iokaste
– Herrscher in Theben – Vater des Ödipus
– Gemahlin des Laios – Mutter und Gemahlin des Ödipus
Ödipus – geboren in Theben – aufgewachsen in Korinth – Herrscher in Theben – Ausgestoßener
Polyneikes und Eteokles Söhne von Iokaste und Ödipus
Antigone und Ismene Töchter von Iokaste und Ödipus
Bürger Thebens Kreon – Iokastes Bruder – Onkel und Schwager des Ödipus – Nachfolger des Ödipus als Herrscher von Theben Priester des Zeus – Vertreter der Kultgemeinde Thebanische Greise – Repräsentanten der Stadt
4. Die Struktur des Werks Die von Sophokles verfasste Tragödie König Ödipus gilt als Musterbeispiel eines analytischen DraEin analytisches mas. Drama In der deutschen Sprache haben die Wörter »Analyse«, »analysieren«, »Analysator« und eben auch »analytisch« einen festen Platz als Fachwörter, aber auch als Elemente der Alltagssprache. Die Grundbedeutung geht auf das Altgriechische zurück. Ein entsprechendes Lexikon verzeichnet hinter der Eintragung analy´o als Übersetzungsempfehlung »auflösen, auftrennen, losknöpfen, losmachen«.2 Als »Auflösung« kann verstanden werden, was den im Einzelnen unterschiedlichen Verfahren in der Chemie und in der Sprach- und Literaturwissenschaft gemeinsam ist: Ein Ganzes wird in seine Teile zerlegt, so dass sowohl die Einzelteile als auch die Art der Zusammenfügung genauer untersucht werden können. Das analytische Drama ist dadurch gekennzeichnet, dass es eine Situation als vorläufigen Endpunkt Vom Endeines Geschehens vorstellt, dieses Geschepunkt zurück hen als sich langsam entwickelte Geschichzum Anfang te bis an den Ursprung zurückverfolgt und dann die Konsequenzen und Folgen als letzte Wirkungen einer langen Ursachenkette aufzeigt. Was sich über Jahre und Jahrzehnte zusammengeballt hat, entlädt sich wie ein Gewitter in wenigen Stunden. Die auf der Bühne gespielte Handlung des König Ödipus umfasst einen Tag – vom frühen Morgen, wenn Ödipus als Herrscher die Abgesandten der von der Pest heimgesuchten Stadt empfängt, bis zum Abend des gleichen Tages, als er
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4. DIE STRUKTUR DES WERKS
die Stadt als Verbannter verlässt. Die Ursache für diese tragische Entwicklung liegt weit zurück und reicht in Zeiten, die noch vor der Geburt des Ödipus zu suchen sind. Schon dadurch, dass die Einzelelemente dieser Ursachenkette aufgedeckt werden, verdient das Drama die Kennzeichnung »analytisch«. Doch wird diese Vorgeschichte nicht nur zergliedert mitgeteilt; vielmehr werden auch die seltsamen Verflechtungen der einzelnen Handlungsstränge bewusst gemacht; vor allem wird Ödipus als eine Person in den Blickpunkt gerückt, der die Aufgabe gestellt ist, einen Tatbestand zu ermitteln, in dem er selbst die zentrale Rolle spielt. Er, der Herrscher, der sich daran macht, ein komplexes Ganzes zu analysieren, trifft auf sich selbst als den Schuldigen. Der Analysierende ist zugleich der Analysierte. Der zu ermittelnde Tatbestand ist klar benannt: die »Mörder« (107) des »Laios« (103) sind zu »fangen« (111) und dann »zu strafen« (107). Selbstbewusst geht Der Tatbestand Ödipus, der allseits anerkannte Herrscher, diese Aufgabe an: »Nun denn, von neuem werd ich, abermals, das Dunkel lichten« (132). Ödipus selbst übernimmt die Untersuchung; die Analyse beginnt. Im Laufe des Tages erfährt er dann, dass er selbst der Mörder des Laios ist, dass dieser Laios sein Die Ermittlung Vater war und dass Iokaste, die er geheiratet hat, zugleich seine Mutter ist. Er muss erkennen, dass sein Lebensweg schicksalhaft vorherbestimmt war, seit seine Eltern, also Laios und Iokaste, gegen den Willen der Götter verstießen, einen Sohn zeugten und diesen in fremde Hände gaben. Von da an drohte der Orakelspruch, dieser Sohn werde seinen Vater umbringen und seine Mutter heiraten.
4. DIE STRUKTUR DES WERKS
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Alle Fakten, die gesamte Ursachenkette und die sich daraus ergebenden Konsequenzen werden durch den Seher Teiresias im ersten Epeisodion genannt, sodass das komplexe Ganze für den vorurteilslos Urteilenden durchsichtig sein müsste. Doch nur der blinde Seher sieht klar und hält Ödipus, noch im Besitz seines Augenlichts, vor: »Du hast zwar Augen und siehst doch nicht, wie tief du steckst im Übel, nicht, wo du wohnst, und nicht, mit wem du hausest. Weißt du, von wem du stammst? Ahnungslos bist du ein Feind den Deinigen da unten und oben auf der Erde.« (413-416) Ödipus versteht nicht, was Teiresias sagt, hält dessen Worte für »rätselhaft und dunkel« (439) und zieht Der verblendete aus der Unterredung seine eigenen Schlüsse, Ödipus die er zu jenem Scheingefüge zusammensetzt, nach dem Teiresias und Kreon Feinde sind, die ihm die Herrschaft streitig machen wollen. Erst wenn dieses Scheingefüge zusammengebrochen ist, wird er klar sehen, dann aber auch wehklagen: »Iu! Iu! Das Ganze wäre klar heraus! O Licht, zum letzten Mal will ich dich schauen jetzt.« (1182 f.) Steil ist der Absturz der vom Schicksal Verfolgten: Der geblendete Ödipus wird außer Land, d.h. ins Elend, gehen. Iokaste nimmt sich das Leben. Die unmündigen Kinder dieser Eltern werden zurückbleiben und einem unbekannten Schicksal entgegengehen. Kreon aber wird, wahrscheinlich
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4. DIE STRUKTUR DES WERKS
von Teiresias gut beraten, die Herrschaft in Theben antreten. Die Wahrheit, die Teiresias weiß und die Ödipus nicht zur Kenntnis nehmen will, enthüllt sich schubweise. Eine erste Erschütterung seines Gedankengebäudes erlebt Ödipus, als Iokaste ihn davon überzeugen will, dass auch Orakelsprüche ins Leere gehen können. Die eigentlichen Die Struktur des analytischen
Die Vorgeschichte Prolog
Iokaste: Der Orakelspruch für Laios. (711)
Hirte: Ödipus wurde als Sohn des Laios und der Iokaste ausgesetzt. (1145, 1167)
Bote: Ödipus ist nicht in Korinth geboren. (775, 1016)
Teiresias: Ödipus ist Mörder seines Vaters. (362) Ödipus ist Gatte der eigenen Mutter. (366) Indirekte Bestätigung durch Iokaste. (729–736)
Ödipus: »Ich, der allberühmte Ödipus« (8)
4. DIE STRUKTUR DES WERKS
Sachverhalte, die zusammen sein Schicksal ausmachen, erfährt Ödipus durch den Boten von Korinth und durch den Hirten, der als Augenzeuge der Ermordung des Laios herbeigerufen wird. Auf der Grundlage der Aussagen dieser einfachen Männer zieht Ödipus selbst die Schlüsse, die genau zu dem Ergebnis führen, das ihm Teiresias in allgemeinen Worten längst mitgeteilt hatte. Dramas König Ödipus
Die Bühnenhandlung 1. Epeisodion 2. Epeisodion 3. Epeisodion 4. Epeisodion Schluss Teiresias, Ödipus: »Ich werde diesen Kampf kämpfen« (264)
Kreon, Iokaste, Ödipus:
Iokaste, Bote, Ödipus:
»O Zeus, was hast du über mich zu tun beschlossen?« (738)
»Was immer mag, das breche auf« (1076)
Bote, Hirte, Ödipus:
»Das Ganze wäre klar heraus« (1182)
Kreon, Ödipus:
»Führ mich hinweg von hier« (1521)
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5. Wort- und Sacherläuterungen Sowohl die von Kurt Steinmann herausgegebene und bei Reclam verlegte Ausgabe der Tragödie als auch der von Bernhard Zimmermann erarbeitete Band: Erläuterungen und Dokumente: Sophokles, »König Ödipus« (Reclams UB, 16038) enthält einen umfangreichen Anmerkungsteil, aus dem im Folgenden einiges übernommen wird. Eine weitere Quelle bietet das Lexikon der Alten Welt, Tübingen und Zürich 1990 (Redaktion: Kurt Bartels und Ludwig Huber). Titel: König Ödipus: Der griechische Titel lautet Oidipus tyrannos. Die Übersetzung mit »König Ödipus« rechtfertigt sich dadurch, dass das Werk im Lateinischen den Titel Oedipus Rex trägt, und mehr noch dadurch, dass dem deutschen Lehnwort Tyrann eine extrem negative Konnotierung anhaftet, die für das altgriechische Wort noch nicht zutrifft. Im Originaltext wechseln die Bezeichnungen für den Herrscher und lassen verschiedene Übersetzungen zu. 1 Kadmos: Gründer der griechischen Stadt Theben. 4 Weihrauch: wohlriechende Pflanze, die als Rauchopfer kultische Bedeutung hatte. 20 der Pallas … Tempeln: Pallas ist ein Beiname der Göttin Athene. 21 Asche des Ismenos: Der Ismenos ist ein thebanischer Fluss, in den die Asche der Opfertiere versenkt wurde. 29 f. der schwarze Hades: Den Hades, also die Unterwelt, stellen sich die Griechen als dunkel vor. 36 der gnadenlosen Sängerin: Die hier gemeinte Sphinx ist ein Mischwesen mit Tierleib und Menschenkopf. Sie
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suchte einst im Auftrag der Göttin Hera Theben heim, um die Stadt wegen der Vergehen ihres Herrschers Laios zu strafen. Ödipus befreite Theben von der Sphinx, indem er das von ihr gestellte Rätsel löste (s. auch 130, 391, 508, 1199). 69 f. Menoikeus’ Sohn, Kreon: Kreon und Iokaste sind Geschwister und Kinder des Menoikeus. Kreon ist der Schwager des Ödipus und zugleich – was er aber noch nicht weiß – dessen Onkel. 71 Phoibos’ pythischen Häusern: Gemeint ist Delphi, die berühmte Orakelstätte, wo der Gott Apoll(on) durch den Mund der Priesterin Pythia den Willen des Göttervaters Zeus mitteilt. 80 Apollon: griechischer Gott, dessen Heiligtümer in Delos und Delphi besonders wichtige Kultstätten für die Griechen waren. 96 Phoibos: Phoibos und Loxias sind Beinamen für den Gott Apollon, deren Geschichte und sprachliche Bedeutung unklar sind. 103 Laios: Laios, der Sohn des Labdakos, war mit Iokaste verheiratet; gemeinsam hatten sie Ödipus als Sohn, den sie aussetzten, um dem Schicksalsspruch des Orakels zu entgehen. 114 Das Orakel: Orakel sind Hinweise einer göttlichen Macht auf zukünftiges oder weit entferntes Geschehen, oft auch Äußerungen eines göttlichen Willens – gegeben an einem kultischen Ort, der Orakelstätte. 152 Pytho: Personifizierung für Delphi, wo einst die hellseherische Schlange Python von Apoll getötet wurde. 153 Thebe: Personifizierung der Stadt Theben. 154 delischer Paian: Kultgesang zu Ehren Apolls, der auf der Insel Delos geboren wurde.
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161 Artemis: Zwillingsschwester des Gottes Apoll. 190 Ares: Ares, der Kriegsgott, ist eine wilde, mordlustige, barbarische Gestalt. Er gilt als der göttliche Raufbold und als Repräsentant der Kampfleidenschaft. 195 Kammer Amphitrites: Amphitrite ist eine Tochter des Meeresgottes. Der ganze Ausdruck ist eine Umschreibung für das Meer. 196 thrakischen Wogenschwall: Gemeint ist das »Schwarze Meer«. 203 Lykeios: Beiname Apolls. 208 Lykiens Berge: Der Sage nach wurde Apoll in Lykien geboren. 211 den Weingesichtigen, Bakchos: Bakchos ist ein Beiname für Dionysos, den Gott des Weines. 212 Mänaden: Begleiterinnen des Dionysos. 223 Kadmeern: Einwohner Thebens, der Stadt des Kadmos. 267 Polydor: Vater des Labdakos und Großvater des Laios. 268 Agenor: phönizischer König. Vater des Kadmos. 274 Dike: Göttin des Rechts, Personifikation der rechten Ordnung. 310 der Vögel Spruch: Das Wunder des Vogelflugs beeindruckte auch die Griechen. Sie sahen göttliche Kräfte in den Vögeln verkörpert und vermuteten in ihnen Götterboten. 387 Scharlatan: Aufschneider, Prahlhans, Marktschreier. 400 Kreontiner: Verwandte und Anhänger des Kreon. 410 Loxias: Beiname Apolls. 421 Kithairon: Grenzgebirge zwischen Attika und Böotien, in dem Ödipus als Säugling ausgesetzt werden sollte. 460 Mitsäer: Der Allegorieraum des Säens wird in der Tragödie an mehreren Stellen für den Vorgang des Zeugens verwendet.
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472 Keven: rächende Geister. 474 Parnass: Grenzgebirge zwischen Phokis und Lokris. 480 f. die Sprüche des Nabels im Kreuzpunkt der Erde: Delphi, der Orakelort, wird als Mittelpunkt der Welt angesehen. Ein Marmorstein im Apollontempel wurde als »Nabel der Welt« angesehen. 489 Labdakiden: Verwandte und Nachfolger des Labdakos; also: Laios und Kreon. 490 Sohn des Polybos: Ödipus gilt hier noch als der Sohn des Polybos, des Königs von Korinth. 541 Königsherrschaft: Im Urtext steht tyrannís, das hier mit Königsherrschaft übersetzt wird. 592 Königswürde: Übersetzung für tyrannis. 633 Zwist: Streit, Auseinandersetzung. 661 Helios: Sonnengott. 733 Phokis: bergige Landschaft Mittelgriechenlands, in der Delphi liegt. Östlich von Delphi spaltet sich der Weg und führt einerseits nach Theben, andererseits nach Danlia. 753 Herold: Ausrufer, Ankünder von Personen und Ereignissen; Kriegs- und Friedensbote. 809 Doppelstachel: Gerät, um Tiere anzutreiben. 828 Daimon: göttliches Wesen. 863 Moira: Schicksal, Lebenslos; hier: Schicksalsgöttin. 867 Olympos: Berg in Nordgriechenland, Wohnsitz der Götter. 900 Tempel in Abai: Stadt in Phokis mit Apollontempel und -orakel. 940 des Lands am Isthmos: Korinth. 1018 Deut: kleine Münze, um keinen Deut: um nichts. 1100 Pan: Gott der Hirten. 1104 Kyllenes Herr: Umschreibung für den Götterboten Hermes, der im Kyllene-Gebirge geboren sein soll.
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1108 Nymphen des Helikon: weibliche Naturdämonen, die hier dem Gebirge in Böotien, einem den Musen heiligen Ort, zugeordnet werden. 1137 Arktur: Sternbild, das Mitte September in Erscheinung tritt. 1199 die krummklauige Jungfrau: Gemeint ist die Sphinx. 1227 nicht der Ister, nicht der Phasis: Die beiden Flüsse gelten als besonders groß. Mit Ister ist die Donau gemeint, Phasis ist ein Fluss in der Kaukasus-Gegend.
6. Interpretation Das Drama – eine vor Zuschauern gespielte Handlung Als die »drei natürlichen Grundformen der Dichtung«3 gelten Lyrik, Epik und Dramatik. Das Wort Drama stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet dort »Handlung«; als literaturwissenschaftlicher Terminus bezeichnet es jene »literarische Großform, in der eine in sich abgeschlossene Handlung durch Personen in Rede und Gegenrede und szenischer Aktion dargestellt wird; das Drama wendet sich grundsätzlich an Zuschauer (das Lesedrama stellt einen Grenzfall dar)«4. Von dem, was das Drama ausmacht, erfährt der Leser eines Rollentextbuches nur wenig – nämlich allein den geschriebenen Text der Reden und Gegenreden, die dem Schauspieler Vorlage zur sprachlichen Konkretisierung sind. Dieser Text ist vergleichbar einer Musik-Partitur, die ebenfalls in Bezug auf die musikalische Aufführung nur dienende Funktion hat. Das Dramentext und Inszenierung Drama lebt aber – mehr als eine Konzertdarbietung – zusätzlich von der Inszenierung, die durch Bühnenbild und Schauspieleraktion dem Zuschauer die Handlung veranschaulicht; denn »das eigentliche Schauspiel ist auf die Bühnendarstellung angelegt«5 und auf ein Publikum ausgerichtet. Die griechischen Tragödiendichter, von denen Sophokles einer der bedeutendsten ist, wussten genau, vor welchem Publikum ihr Werk aufgeführt wurde. Sie kannten den Spielort, also die Bühne, mit allen Bedingungen und Mög-
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lichkeiten. Vor allem kannten sie den Sinnzusammenhang, in dem ihre Werke ihren Platz einzunehmen hatten. Die klassischen griechischen Tragödien, von denen König Ödipus eine der bekanntesten ist, hatten Tragödie und ihren Ursprung im Dionysos-Fest und wurDionysoskult den jeweils zum Hauptfest im Frühjahr aufgeführt. Ihr Ursprung lag also in einem religiösen Kult und diese Verbindung blieb erhalten, solange sie im Rahmen der Dionysosfeste dargeboten wurden. Die Großen Dionysien wurden mit einer Prozession eröffnet, in der »das alte Kultbild des Dionysos […] in das am Südhang der Akropolis gelegene Dionysos-Theater überführt«6 wurde. Den Zuschauern, die sich in diesem Dionysos-Theater versammelten, war bewusst, dass »der Gott […] persönlich den Feierlichkeiten beiwohnte«7. Ihnen wurde eine Handlung vorgeführt, von der sie annehmen durften, dass sie etwas mit ihrem Leben in der Gemeinschaft als Bürger der Stadt und mit ihrer Einstellung zu den Göttern zu tun hatte. Ihnen, den Zuschauern, tritt auf der Bühne die aus der Sage bekannte Gestalt des Ödipus entgegen. Sie haben sich vorzustellen, dass er aus seinem Palast schreitet und sich den Bürgern der Stadt nähert, die sich an den Altären versammelt haben. Aus den ersten Sätzen ist zu entnehmen, dass die Situation durch eine Problemlage bestimmt ist, die nach Lösung verlangt. Vergleichbare Situationen kennen die Zuschauer. Oberhalb des DionysosTheaters ist das Plateau der athenischen Dionysos-Theater und Akropolis Akropolis mit ihren Tempeln und Altären gelegen. Als Bürger der demokratisch regierten Stadt Athen erleben sie im Theater, wie Probleme einer anderen Stadt diskutiert und gelöst werden. Der politisch
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interessierte Zuschauer wird gespannt verfolgen, was ihm das Spiel vor Augen führt. Der Stoff der Handlung, die auf der Bühne dargestellt wird, stammt aus mythischer Zeit und ist den Zuschauern als Sage bekannt. Das Spiel auf der Bühne des DionysosTheaters ist auf ein konkretes Publikum in Athen ausgerichtet. Das Stück erweist seine überzeitliche Bedeutung, wenn es ihm gelingt, in einer neuen, anderen Lebenswirklichkeit ein Publikum anzusprechen. Ziel ist, im Spiel wenigstens andeutungsweise zu zeigen, wie die Welt ist und wie sich die Menschen verhalten. Theaterspiel ist eine Methode der Weltdeutung.
Eine Stadt in der Krise als Ausgangspunkt der Handlung Theben, die mächtige Hauptstadt Böotiens, weithin bekannt wegen des Sicherheit gewährenden Mauerrings und der prächtigen Akropolis, ist in eine Krise geDie Pest raten: »die Pest, die urverhasste, […] quält die Stadt« (28). Das Wort Pest bezeichnet wie das im griechischen Original verwendete Wort loimós jede Art verderblicher und sich ausbreitender Seuche und Krankheit, wird im übertragenen Sinne auch auf »verderbliche und gefährliche Menschen«8 angewandt und ist zur Zeit des Sophokles noch nicht als exakte medizinische Bezeichnung für eine durch Bakterien hervorgerufene Infektionskrankheit anzusehen. Diese Seuche nun, die Menschen, Tiere und Pflanzen befällt und auslöscht, verbreitet unter den Bürgern Furcht und Schrecken. Das Volk versammelt sich »an den Märkten«, an
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6. INTERPRETATION
den »beiden Tempeln« (20) der Schutzgöttin Athene und am Tempel des Gottes Apoll mit dem Beinamen »Ismenos« (21), um Rat und Hilfe zu erflehen. Die Abgesandten der Bürger, die »mit des Schutzsuchenden Zweigen reich geschmückt« (3) vor dem königlichen Palast erschienen sind, hoffen auf Hilfe von den Göttern und – von »Ödipus, dem Herrscher [des] Landes« (14). In der ihnen ausweglos erscheinenden Situation, in die sie »der feuertragende Gott« (26) mit dem fiebrigen Pesthauch gebracht hat – mag das nun der Kriegsgott oder ein nicht näher bekanntes göttliches Wesen sein –, kann Hilfe nur von den Göttern und von dem von allen anerkannten Herrscher erhofft, erwartet und erbeten werden. Groß ist das Vertrauen, das die Stadt in ihren Herrscher setzt und das der Priester als Repräsentant Das Vertrauen in der Bürgerschaft noch einmal Ödipus geden Herrscher genüber bekundet. Er hält den Herrscher zwar nicht für »göttergleich« (31), »doch für der Männer Ersten in des Lebens Wechselfällen und in den Begegnungen mit Göttern« (33 f.). Dies wurde deutlich, als er – vor langen Jahren – die Stadt von der Sphinx, »der gnadenlosen Sängerin« (36) befreite. Damals, so erinnert der Priester, habe Ödipus »mit Beistand eines Gottes« als Fremder, der »keine genaue Kunde« (38) und »kein weitres Wissen« (37) von Theben gehabt habe, »das Leben […] aufgerichtet« (39). Das veranlasst den Priester nun zu der zweimal ausgesprochenen Bitte: »richte wieder auf die Stadt« (46 und 51). Einerseits setzt man auf Kompetenz und »Tatkraft« (48) des Herrschers selbst; andererseits glaubt man, dass dieser am ehesten »von einem der Götter« (42) Schutz erwirken könne oder auch »Rat […] bei den Bewährten« (44) – den Ratgebern in der Stadt also – erfragen könne. Wichtig sei,
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alle Möglichkeiten auszuschöpfen, durch die die Stadt aus der Krise geführt werden könne. Ödipus kann nachweisen, dass er die Erwartungen, die an ihn in dieser Krisensituation gestellt Die Handlungswerden, bis zu diesem Zeitpunkt erfüllt hat. bereitschaft des Er kommt den Schutzsuchenden entgegen, Herrschers nimmt deren Anliegen ernst, hat »Mitleid« (13) mit den Flehenden und will »helfen – in allem« (12). Er ist über die Situation unterrichtet und hat Kreon, seinen Schwager, nach Delphi geschickt, »dass er dort erkunde, was ich tun, was sprechen soll, diese Stadt zu retten« (71 f.). Ödipus verhält sich, wie es die obersten Repräsentanten der Stadt, der Polis, erwarten und wie es von führenden Politikern in Athen und anderswo erwartet wird: Er ist besorgt um die Stadt und ihre Bürger, entwickelt Tatkraft und versichert sich göttlicher und menschlicher Unterstützung. Ehe noch Kreon mit dem »Spruch des Gottes« (86) vom Orakel in Delphi zurückkehrt, verspricht Ödipus, alles zu tun, »was auch enthüllen mag der Gott« (77). Er verhält sich – davon dürften die Zuschauer im Theater überzeugt sein – vorbildlich, weiß allerdings nicht, was ihm bevorsteht, und auch nicht, was ihn aus der Vergangenheit belastet. Noch hat er sicheren Stand. Der ungesühnte Herrschermord als Ursache der Krise Das Orakel in Delphi erklärt in aller Deutlichkeit, wie die Stadt Theben zu retten sei: »des Landes Schandfleck« (97) muss getilgt werden. Dieser Schandfleck besteht darin,
Thebens Schandfleck
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dass Laios »einst Führer dieses Landes« (103), ermordet wurde, dass die Mörder aber nie gesucht, nie gefunden und nie bestraft wurden. Der konkrete Auftrag des Gottes Apoll lautet, »die Mörder, wer sie auch sei’n, zu strafen mit der Hand« (107). Die Mörder, so lautet ein zusätzlicher Hinweis des Orakels, seien »in diesem Lande« (110). Sprichwortähnlich wird die Ermunterung angefügt: »Was man erforscht, das lässt sich fangen« (110 f.). Sofort beginnt Ödipus mit der Untersuchung und lässt sich über den weit zurückliegenden Mordfall informieren. Dabei erfährt er, dass nicht nur Laios umgekommen sei, sondern auch alle Begleiter »bis auf einen« (118). Dieser eine habe damals berichtet, »Räuber« hätten Laios und die anderen Begleiter erschlagen, »nicht mit einer Kraft allein, nein, vielen Händen« (122 f.). Später wird sich erweisen, dass diese Aussage falsch ist, dass sie von dem Diener des Laios gemacht wurde, um seine Flucht und die unterlassene Hilfeleistung zu erklären und zu rechtfertigen. Die Frage, ob der Tross des Laios von einem Einzelnen oder von einer Gruppe angefallen worden sei, wird später das Untersuchungsverfahren über den Mord Der Mord an Laios an Laios abschließen. Bis dahin wird Ödipus erfahren haben, dass Laios in »Phokis« (733) »bei einer Scheide dreier Wasserwege« (730) kurz bevor er, Ödipus, die »Herrschaft über dieses Land« (736) angetreten hat, »erschlagen worden« (730) sei. Ödipus hat bis dahin eine Personenbeschreibung des Ermordeten (742 f.) erhalten, weiß dann, dass Laios damals auf einem Wagen fuhr, dem ein Herold voranging, und dass das Gefolge aus insgesamt fünf Kriegsleuten bestand. Alles dies passt mit dem zusammen, was er, Ödipus, in jener »Gegend, wo dieser Herrscher […] zu Tode kam« (799) erlebte. Falls Laios nicht »von Räu-
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bern« (842), sondern von einem einzelnen Wanderer umgebracht wurde, so ist er, Ödipus, mit höchster Wahrscheinlichkeit selbst jener Mörder des Laios, der gesucht wird, der »Schandfleck« (97) der Stadt, die Ursache der Pest. Ödipus versäumt es, den »einen, der schreckerfüllt geflohen war« (118), sofort herbeiholen zu lasDas Versäumnis sen; er hält die Erklärung, dass »Räuber des Ödipus […] ihn erschlugen« (122), für so überzeugend, dass er diese Überzeugung zum Ausgangspunkt seines weiteren Denkens und Handelns macht. Dabei ist für ihn nicht einmal die Zahl wichtig – im nächsten Satz fragt er: »Wie wär der Räuber […] zu solcher Tollkühnheit geschritten?« (125) –, sondern die Herkunft des Täters oder der Täter aus der Verbrecherschicht. Er konstruiert eine Handlungsfolge, in der die »Räuber« (722, 724) allerdings nur noch eine Nebenrolle spielen, und knüpft ein Netz, in dem er sich am Ende selbst verfängt. Gemäß seiner Konstruktion waren die Räuber von interessierten Kreisen in Theben »mit Geld« (124) Die Gedankengedungen, Laios umzubringen. Das geschah konstruktion des in fremdem Land. Als dann fast zeitgleich Ödipus mit dem Tod des Laios Theben von der Sphinx bedroht wurde, war man in der Stadt genötigt, »auf das Nächstliegende zu schaun« (131), und man versäumte, dem »auf den Grund zu gehen« (129), »was im Verborgenen lag« (130). Gemeint ist das Komplott, von dem der Herrschermord nur ein Teil gewesen wäre. Daraus schließt Ödipus, dass es im Hinter- oder Untergrund immer noch Kreise gibt, die nach der Herrschaft streben und die nun für ihn eine Bedrohung sind. Er erklärt:
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»Denn wer’s auch war, der ihn erschlug, er wird vielleicht an mir sich auch mit solcher Hand vergreifen wollen.« (139 f.) Wenn sich Ödipus nun daran macht, »das Dunkel [zu] lichten« (132), so folgt er nicht nur dem Gebot des Gottes, sondern auch – und vielleicht mehr – dem eigenen Interesse. Seine Prognose ist durchaus zutreffend: »Entweder glücklich mit dem Gott wird man uns sehen – oder zerstört am Boden.« (145 f.) Noch ahnt er nicht, dass sich die pessimistische Variante der Prognose erfüllen wird. Vorläufig entwickelt er aus seiner Gedankenkonstruktion heraus konkrete Handlungsanweisungen: Er fordert die Bürger der Stadt Die Anweisungen des Herrschers auf, den Mörder »anzuzeigen« (226), falls sie ihn kennen. Stellt der Mörder sich selbst, soll er »unversehrt« (229) die Stadt verlassen dürfen und müssen. Anzuzeigen ist der Mörder auch, wenn er »aus einem andern Lande« (230) kommt. Die härteste Strafe hat der zu erwarten, der etwas weiß, dieses aber verschweigt und so die Aufklärung verhindert. Er wird aus der Kultgemeinschaft ausgestoßen und aus der Stadt verVerfluchungen durch den trieben. Herrscher Die eigentlichen Täter trifft nicht nur die Strafe der Verbannung, sondern auch die Verfluchung durch den Herrscher:
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»Ich wünsche aber dem, der es getan, ob er allein und im Verborgenen, ob er mit mehreren im Bund, dass er, der Elende, elend aufreibe sein verfehltes Leben.« Dem Fluch folgt die Selbstverfluchung: »Und wünsch auf mich herab – wär in meinen Häusern Herdgenosse er und ich wüsste drum – zu leiden, was ich auf jene eben hab herabgeflucht.« (246–251) Ein dritter Fluch trifft jene, die sich der »Suche, den Täter dieses Mords zu fassen« (266), »verweigern« (269): »die Götter mögen ihnen weder Saaten aus der Erde sprießen lassen noch von den Frauen Kinder« (270 f.). Von einer scheinbar sicheren Position aus setzt Ödipus alles in Bewegung, die angeblichen Räuber zu fangen und mit äußerster Radikalität zu bestrafen. Noch weiß er nicht, dass er einem Phantom nachjagt und dass das Gedankengebäude, das er sich konstruiert hat, ein Scheingefüge ist. Ödipus – der tragische Fall eines bornierten Herrschers Ödipus ist der von allen anerkannte Herrscher in Theben. Man achtet ihn als »der Männer Ersten« (33) und als »Besten der Sterblichen« (46). Er war schon einmal Die SelbstherrlichRetter der Stadt und traut sich zu, die Stadt keit des Ödipus von neuem aufzurichten. Der Zuschauer im Dionysostheater und der Bürger eines demokratisch regierten Staates dürfte jedoch aufhorchen, wenn Ödipus sehr selbstherrlich verkündet:
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»Nun denn, von neuem werd ich, abermals, das Dunkel lichten.« (132) Strafandrohungen und Verfluchungen der erst noch aufzufindenden Mörder sind erste Handlungen des obersten Herrschers und Richters. Dabei geht er von einer Gedankenkonstruktion aus, die er eigenmächtig aus einigen überlieferten und, wie sich später herausstellt, falschen Aussagen eines einzelnen Tatzeugen, den er nicht einmal selbst befragt, entwickelt hat. Eine entscheidende Wende nimmt das Geschehen, sobald Teiresias auftritt. Dem Seher geht der Teiresias – dem Ruf voraus, dass ihm »die Wahrheit eingebodie »Wahrheit ren ist als einzigem der Menschen« (299). eingeboren« ist Auch jetzt sieht er klar, wie er von sich behauptet; doch weigert er sich zu sagen, was er weiß, begründet seine Verweigerung so: »Ich will mich selbst und dich nicht quälen« (332). Doch Ödipus schöpft sofort Verdacht, sieht sich in seinen Überlegungen bestätigt und folgert: »mir scheint, du hast die Tat mitausgeheckt, sie mitverübt, nur dass du nicht mit Händen mordetest« (346). Er erweitert sein Scheingefüge also und glaubt in Teiresias einen aus dem Kreis derer vor sich zu haben, die nach der Herrschaft in Theben streben. Das Haupt der Verschwörung sieht er weiterhin in Kreon, von dem er plötzlich annimmt, dass er ihn, Ödipus, »heimlich […] beschleicht und hinauszuwerfen trachtet« (386). Teiresias, so die weitergehende Vermutung, ist Mitverschwörer, um »dem Thron der Kreontiner dann ganz nah zu stehn« (400). Die Begrenztheit Es ist offenkundig, dass Ödipus in des des Ödipus Wortes ursprünglicher Bedeutung borniert ist. Damit ist gemeint, dass sein Wissensund Denkhorizont begrenzt ist, er diese Begrenzung aber
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nicht wahrnimmt, dass er vielmehr Zusammenhänge ersinnt, für die es keine Belege gibt, und dass er in Verkennung der Tatsachen Verurteilungen ausspricht, die in fataler Weise grundlos sind. Er selbst schottet sich gegen jede Gegenrede ab und nimmt über weite Strecken nicht wahr, was der Seher sagt. Der Seher, aufs Äußerste gereizt, legt alles offen, was zur Aufklärung des Falles und zur Rettung der Stadt notwendig ist. Er sagt dem Aufklärung und Prophezeiung Herrscher ins Gesicht: »dieses Landes durch Teiresias heilloser Besudler bist du« (353), nämlich: »Des Mannes Mörder, den du suchst, […] bist du« (362). Nicht er, der Seher ist blind, sondern Ödipus, der Herrscher: »Du hast zwar Augen und siehst doch nicht, wie tief du steckst im Übel, nicht wo du wohnst, und nicht, mit wem du hausest« (413). Damit öffnet er zusätzlich die Tür zur Vergangenheit des Ödipus um einen Spalt. Mit der Frage: »Weißt du, von wem du stammst?« (415) spricht er ein Problem an, das Ödipus seit seiner Jugend verfolgt. Dieser ist sich nicht sicher, wer seine leiblichen Eltern sind, seitdem er aus Korinth weggegangen ist, wo ihn Polybos und Merope wohl aufzogen, aber nicht zeugten. Jetzt erklärt Teiresias in einem einzigen Satz die gesamte Lebensgeschichte des Ödipus und den tragischen Zusammenhang zwischen Laios und Ödipus: »Ans Licht wird kommen: mit den eignen Kindern lebt er zusammen, als ihr Bruder und ihr Vater, der gleiche Mann, ist der Frau, der er entspross, Sohn und Gemahl und des Vaters Mitsäer und sein Mörder.« (457–460)
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Ödipus ist nicht nur in die Mordgeschichte, die er aufzuklären sich anheischig gemacht hat, verwickelt, sondern auch in eine furchtbare Inzestgeschichte, indem er seine eigene Mutter zur Mutter seiner Kinder machte. Das alles, so prophezeit der Seher, wird »ans Licht kommen« – nicht dadurch, dass Ödipus »das Dunkel abermals lichten« (132) wird, sondern dadurch, dass sich die Wahrheit selbst Bahn bricht. Ödipus reagiert auf diese gänzliche Offenlegung aller Tatbestände nicht, zieht sich in den Palast Der Konflikt zurück und führt wenig später den Streit zwischen Ödipus mit den angeblichen Verschwörern fort, inund Kreon dem er nun Kreon attackiert. Kreon hat sich an die Repräsentanten der Polis gewandt und sich beklagt: »Mit furchtbaren Worten […] klagt mich an der Herrscher Ödipus« (512). Zu beachten ist, dass im Ursprungstext Ödipus hier mit dem Attribut ty´rannos (512) bedacht wird. Ödipus, der nun aus dem Palast kommt, tritt seinem Schwager direkt entgegen und klagt ihn als »Mörder« (534) und »Räuber meiner Herrschaft« (535) an. Der erste Vorwurf bezieht sich auf die Vermutung des Ödipus, dass Kreon ihm nach dem Leben trachte, im zweiten Vorwurf nimmt er das Wort Räuber (le¯ste´¯s) auf, mit dem die vermutlichen Mörder des Laios gekennzeichnet wurden. Wenn Ödipus nun auch Kreon als »Räuber meiner Herrschaft« (535) hinstellt, so kennzeichnet er ihn als potentiellen Mörder und Usurpator. Damit ergänzt und aktualisiert er sein Scheingefüge. Er scheint davon überzeugt, dass ein Anschlag auf ihn, von Kreon durchgeführt und von Teiresias unterstützt, unmittelbar bevorstehe, und verurteilt Kreon zum Tode: »Sterben sollst du, nicht verbannt sein nur: das will ich!«
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(623). Kreon seinerseits sieht in seinem Schwager einen Tyrannen. Kreon nutzt es nichts, dass er eine Verteidigungsrede hält, in der er nachzuweisen sucht, dass er keinerDie Selbstdarlei Anlass hat, nach der Herrschaft zu strestellung Kreons ben. Er genießt als Mitglied der Herrscherfamilie hohes Ansehen bei den Bürgern, hat Teil an »Macht und […] Rang« (593), ist frei von Ängsten, die schlaflose Nächte bereiten können, und wird nicht von dem Neid anderer verfolgt. Jedoch den Argwohn des Herrschers kann er damit nicht zerstreuen. Ödipus bleibt bei seinem Urteil – »Nein, du bist schlecht« (627) – und fordert unbedingten Gehorsam. Da aber widersetzt sich Kreon und beruft sich auf das Widerstandsrecht, »wenn einer schlecht regiert« (629). Er argumentiert: »Auch ich hab Anteil an der Stadt, nicht du allein« (630). Damit ist die Auseinandersetzung auf die Spitze getrieben: Ödipus wirft Kreon vor, schlecht Die gegenseitigen (kako´s, 627) zu sein; Kreon wirft Ödipus Vorwürfe von vor, schlecht (kako¯´s, 629) zu regieren; Ödipus und Kreon Ödipus fordert von Kreon unbedingten Gehorsam, Kreon behauptet, ein Recht zum Widerstand zu haben. Ödipus sieht die Stadt in Gefahr, wenn Kreon nicht gehorcht; Kreon sieht die Stadt in Gefahr, wenn sie einem absoluten Herrscher ausgeliefert ist; er behauptet, in gleicher Weise wie der Herrscher »Anteil an der Stadt« (630) zu haben. Zwischen die Streitenden tritt Iokaste, die Gattin des Ödipus und die Schwester Kreons. Der Chorführer hofft, dass sie »den jetzt entstandenen Zwist […] gütlich regeln« (633) könne. Ödipus und Kreon tragen Iokaste vor, was sie dem jeweils andern vorgeworfen haben. Kreon beklagt sich,
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dass Ödipus ihn »aus dem Vaterlande stoßen oder töten« (641) wolle; Ödipus beschwert sich: »Mörder des Laios nennt er mich« (703), muss dann allerdings zugeben, dass diese Formulierung von Teiresias stammt, der von Kreon »angestiftet« (705) sei. Noch einmal wiederholt Ödipus damit seine Gedankenkonstruktion. Danach tritt erneut eine Wende ein; denn indem Iokaste sich daran macht, den Seher als unglaubhaft darzustellen, wird ganz gegen die Absicht Iokastes Schritt für Schritt deutDie Erhellung lich, dass Ödipus der Irrende ist und im Zustand der Verblendung urteilte, dass die Wahrheit vom Seher längst verkündet wurde und Ödipus sehend blind war, dass er sich gründlich getäuscht, dass er unverantwortlich gehandelt hat, vor allem: dass er nicht der ist, der er zu sein glaubte.
Die Orakelsprüche: Götter und Menschen Alles, was Ödipus tat und erlitt, war, wie sich am Ende herausstellt, von ferne gelenkt und schicksalhaft vorherbestimmt. Am Ende des 4. Epeisodions zieht Ödipus die niederschmetternde Bilanz: »Es trat zutage: Entstammt bin ich, von wem ich nicht gesollt, verkehr, mit wem ich nicht gesollt, und hab erschlagen, wen ich nicht gedurft!« (1184 f.) Er ist derjenige, wie er nach einem langen Prozess einsehen muss, den er gesucht hat, nämlich der Mörder des
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Laios, seines Vaters und Vorgängers im Die Erfüllung der Herrscheramt in Theben. Er ist Ödipus, Orakelsprüche dem vorbestimmt war, den Vater zu töten, und angekündigt, dass er zum Gatten seiner Mutter werde. Ödipus glaubte, aus eigenem Entschluss zu handeln, als er als junger Mann von Korinth wegging, um das Orakel zu befragen, wer seine wahren Eltern seien. Er glaubte, es sei seine eigene Entscheidung, als er nicht nach Korinth zurückging, sondern seine Tatkraft in den Dienst Thebens stellte. Tatsächlich aber handelte er nicht, sondern wurde geführt von der Macht des Schicksals und vom Gott Apoll, der im Delphischen Orakel spricht. Von drei Orakelsprüchen ist das Leben des Ödipus bestimmt. Den ersten erhielten seine Eltern, Der an Laois also Laios und Iokaste. Iokaste erinnert gerichtete sich: »Ein Orakelspruch erging an Laios […], Orakelspruch dass über ihn das Schicksal kommen werde, durch den Sohn zu sterben, der aus mir und ihm entstünde« (711–714). Die Eltern glaubten, den Spruch dadurch unwirksam zu machen, dass sie das Kind aussetzen ließen. Als Iokaste dann – Jahre später – die Nachricht erhielt, dass Laios durch die Hand fremder Räuber umgekommen sei, war sie fest davon überzeugt, dass sich der Orakelspruch nicht erfüllt habe. Daraus zog sie den Schluss, dass auf »Sehersprüche« (723) kein Verlass sei. Der zweite Orakelspruch geht an den in Korinth herangewachsenen Ödipus, dem Der an Ödipus gerichtete ein Betrunkener vorgehalten hatte, »unOrakelspruch tergeschoben sei ich dem Vater« (780). In Delphi erhält er keine Antwort auf seine dringende Frage, dafür aber die schlimme Ankündigung,
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»dass ich der Mutter mich vermischen müsste, und ein Geschlecht, den Menschen unerträglich anzusehen, zutage bringen würde und Mörder dessen sein, der mich gepflanzt, des Vaters«. (791–793) Ödipus glaubt, diesem doppelten Schicksal entgehen zu können, indem er sich entschließt, künftig Korinth zu meiden. Er wird Herrscher in Theben, regiert Jahre lang mit Erfolg und sieht seine vier Kinder heranwachsen. Den dritten Orakelspruch nimmt er als Herrscher entgegen, der vom Delphischen Der an Theben gerichtete Orakel einen Hinweis erbeten hat, wie die Orakelspruch Stadt Theben aus der Krise geführt werden könne. Kreon überbringt als Antwort aus Delphi die Anweisung: »Es befiehlt uns Phoibos klar, der Herr, des Landes Schandfleck, als auf diesem Erdenstück genährt, hinauszujagen, nicht bis unheilbar er wird, ihn fortzunähren.« (96–98) Mit diesem dritten Orakelspruch beginnt nicht nur die eigentliche Handlung auf der Bühne und nicht nur der Prozess der Aufklärung, sondern mehr noch die Erfüllung des Schicksals, das über Ödipus verhängt ist. Nur vordergründig geht es um die Aufdeckung eines Mordfalls. Kreon glaubt, den Auftrag des Orakels, »des Landes Schandfleck […] hinauszujagen« (97), so verstehen zu dürfen, dass des Laios »Mörder, wer sie auch sei’n, zu strafen«
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(107) sind. Folglich verengt sich die Blickrichtung auf einen einzigen Punkt. Später erst wird sich herausstellen, dass der verabscheuenswerte Mord an Laios nicht der einzige zu sühnende Frevel war. Schon die Zeugung und Aussetzung ihres Kindes durch Iokaste und Laios verstieß gegen die Gottgebote. Ödipus ist des Mordes, vor allem des Vatermords, und des Inzests schuldig. Die Tatbestände sind klar. Zweitrangig ist die Frage, ob er bewusst oder unbeÖdipus als wusst diese Schuld auf sich lud. Er ist zum »Schandfleck« »Schandfleck« (97) des Landes geworden. Das altgriechische Wort mi´asma, das hier mit Schandfleck übersetzt wird, gehört in den religiös-moralischen Sinnbezirk und hat folgende Bedeutungsbreite: »Befleckung, Verunreinigung, Schmutz; übertr. Verbrechen, Greuel, Untat, Schandfleck (auch von Personen); insbes. Blutschuld; überh. Sünde«9. Mit seinen Taten hat sich Ödipus vor den Göttern zu verantworten. Vor den Göttern aber gibt es keine Entschuldigung. Den »Göttern bin ich ganz verhasst« (1518), erkennt Ödipus und empfiehlt dem Chor, den Repräsentanten der Stadt: »Drum schleunigst, bei den Göttern, verbergt mich draußen irgendwo oder tötet oder hinaus ins Meer werft mich, wo ihr mich niemals mehr erblickt!« (1410–12) Er, Ödipus, ist »verflucht« (1291); von der Stadt Theben kann der Fluch nur weggenommen werden, wenn der Verfluchte aus der Stadt ausDie »Reinigung« gestoßen wird. Nur so ist »Reinigung« (99)
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möglich. Damit die Stadt wieder in Einklang mit sich und den Göttern leben kann, muss das miasma aufgehoben werden. Der Vorgang dieser Reinigung heißt im Altgriechischen ka´tharsis und bedeutet im Einzelnen: »a. Reinigungsopfer, Sühnung, Sühnopfer, Versöhnung. b. Weihereinigung bei den Eleusinischen Mysterien«10. Ziel ist, die Gottheit zu versöhnen. Ödipus bietet sich am Ende als Sühnopfer an. Gescheitert sind also die Versuche des Laios und der Iokaste, dem Schicksal aus dem Weg zu gehen und das Delphische Orakel zu übertölpeln. Vergeblich war, dass Ödipus sich von Korinth fernhielt. Im Gegenteil: Indem er dem Schicksal ausweichen wollte, lief er ihm geradewegs in die Hände. Zu groß war sein Missverständnis. Geradezu frevlerisch aber war, wie er mit dem Seher Teiresias umging, von dem er hätte wissen müssen, dass diesem »die Wahrheit eingeboren ist als einzigem der Menschen« (299).
Hybris und Tyrannis Nach den schweren Auseinandersetzungen, die Ödipus im ersten Epeisodion mit Teiresias und im zweiten mit Kreon hatte, trägt der Chor in einem Standlied einige Grundelemente der gültigen Welt- und Lebensanschauung vor, aus denen Maßstäbe zur Beurteilung von Ödipus’, aber auch von Kreons und Iokastes Handeln abgeleitet werden können. Moira, das Schicksal, ist die göttliche Instanz, die das Leben der Menschen bestimmt. JeMoira – das Schicksal dem einzelnen Menschen ist sein Schicksalanteil im Rahmen des Gesamtschicksals zu-
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gewiesen. Da Moira keine persönliche, konkrete Gottheit ist, kann der Mensch zu der Überzeugung kommen, »sein Schicksalanteil sei ihm persönlich von den Göttern oder von einem einzelnen bes. mächtigen Gott – vor allem von Zeus – zugewiesen«11. Der Mensch kann sein Schicksal nicht beeinflussen, aber er kann hoffen, dass es ein gutes sei; deshalb hofft und betet er: »O dass Moira mit mir sei« (863). Der einzelne Mensch selbst soll die Bedingungen erfüllen, die für seine Person und für sein Leben in der Gemeinschaft gelten, nämlich die »Gesetze« zu bewahren, die »im himmlischen Äther« entstanden und denen »Olympos Vater allein« (865) ist. Gemeint sind Die »Gottgebote« die ewigen Gottgebote: »Groß ist in ihnen Gott« (872). Sie sind von höherem Rang und Wert als jene Gesetze, die »die sterbliche Natur von Menschen gezeugt« (869 f.) hat. Diese göttliche Ordnung muss von allen anerkannt, bewahrt und befolgt werden. Als Vergehen gegen diese göttliche Ordnung ist jede Art menschlicher Vermessenheit anzusehen. Das zentrale Wort hy´bris, das als Fremdwort im deutschen Sprachschatz weiterlebt, meint jenes »Verhalten, das die Grenzen der Ordnung übermütig und anmaßend überschreitet«12. Hybris ist die Ursache dafür, dass ein Herrscher zum Tyrannen wird: »Vermessenheit pflanzt den Hybris Tyrannen« (873). Während der gute Herrscher – oder allgemein: der gute Politiker – ausgezeichnet ist durch »das schöne Ringen zum Wohle der Stadt« (879), erkennt man den Tyrannen an der »Vermessenheit, wenn sie sich mit vielem gemästet hat, sinnlos, was nicht an der Zeit und nicht zuträglich ist« (873–875). Dass die Stadt weiterhin von Männern geleitet werde, die ihre
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Kräfte »zum Wohle der Stadt« einsetzen, ist die an den Gott gerichtete Bitte von denen, die selbst versprechen, nie aufzuhören, »festzuhalten an Gott als dem Schutzherrn« (882) der Stadt und Gewährer der Ordnung. Konsequent ist dann der Wunsch, dass »ein schlimmes Geschick den treffe, der »hochmütig« handelt und es an der notwendigen Achtung vor »Dike« (885), der Dike – die Göttin der Gerechtigkeit, und vor den »DäGerechtigkeit monen« (886), den göttlichen Wesen insgesamt, fehlen lässt. Wenn tatsächlich Hochmut und Vermessenheit die Überhand gewinnen, dann gibt es keinen Grund mehr zu »tanzen« (896), dann geht das Vertrauen in die Götter verloren. Die Situation jedenfalls, in die Theben geraten ist, ist bedrohlich: Schon werden getilgt »des Laios alte Göttersprüche« (906) und »es schwindet das Göttliche« (910). Dieses zweite Standlied nimmt insofern eine zentrale Stelle ein, als es auf die bisherige Handlung zurückblicken lässt und gleichzeitig die Fragen stellt, mit denen der Zuschauer den weiteren Verlauf der Handlung verfolgen wird. Dabei wird der Blick hauptsächlich auf Ödipus gerichtet sein. Zur Diskussion stehen aber auch die Anschauungen und Handlungsweisen von Iokaste und Kreon. Iokaste, Mutter und Gattin des Ödipus, erkennt als erste, wie sich das vorausgesagte Schicksal erfüllt. Sie, die glaubte, »Beweise« (871) dafür vorbringen zu können, Apollon habe »nicht durchgesetzt«, dass seine »Sehersprüche« (723) in Erfüllung gingen, und die die Ängste des Die Last der Ödipus vor einer »Ehe mit deiner Mutter« Selbsterkenntnis (780) bagatellisiert, begeht Selbstmord, als sie das über die Familie hereingebrochene Schicksal durchschaut. Sie beschwört ihren Sohn und
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Mann, von dem Bemühen abzulassen, nach den eigenen Ursprüngen zu forschen, und ruft, ehe sie den Schauplatz verlässt, verzweifelt aus: »Dass niemals du erkenntest, wer du bist!« (1068). Das »Erkenne dich selbst!« steht jedoch nicht nur als Mahnung am Eingang des delphischen Tempels, sondern ist jedem Menschen ins eigene Bewusstsein eingeschrieben. So lässt Ödipus nicht locker, bis er die Verstrickungen erkennt, in die er geraten ist, und verzweifelt ausruft: »Iu, Iu! Das Ganze wäre klar heraus« (1182). Im Rückblick wird deutlich, dass sein Aufstieg zum Herrscher nur eine Episode war und dass der glückliche Zustand, in dem er sich zu befinden glaubte, nur so lange halten konnte, wie die Wahrheit verborgen blieb. Am Ende aber hat ihn »die alles sehende Zeit« (1213) entdeckt, entlarvt und gerichtet. Herrscher über Theben war Ödipus in der Phase des Glücks. Genau dieses Glück hat ihn übermütig gemacht. Er hat sich selbst überschätzt, als er verkündete: »von neuem werd ich, abermals, das Dunkel lichten« (132). Er hat sich schwer vergangen an dem Seher Teiresias und gegen Kreon, der sich als uneigennütziger Helfer dem Herrscher zur Verfügung gestellt hatte. In dem Augenblick, in dem Ödipus erste Widerstände gegen seine Person und die Art seiner Herrschaft zu spüren meinte, handelte er überstürzt, eigenmächtig, vermessen. Er wurde zu einem Tyrannen. Die griechischen Wörter tyrannis für die Staatsform und ty´rannos für den Alleinherrscher sind nicht von vornherein negativ konnotiert und Die Staatsform der Tyrannis pejorativ aufgeladen. Laios ist als Tyrann (799) in Erinnerung, ohne dass etwas Schlechtes über diesen Herrscher gesagt würde. Die Bürger von Korinth wollen nach dem Tod des Polybos des-
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sen vermeintlichen Sohn Ödipus zum Tyrannen (939) machen und erwarten, dass er seine Sache gut mache. Erst wenn der Alleinherrscher seine Sache schlecht macht, wird er zum Tyrannen in des Wortes schlechter Bedeutung. Ursprung solchen schlechten politischen Handelns ist die Vermessenheit. In der Auseinandersetzung zwischen Ödipus und Kreon geht es darum, wer schlecht handelt. Ödipus wirft Kreon vor, er sei »schlecht (kako´s)« (548) und er handle an ihm, dem Herrscher und Anverwandten »schlecht«. Kreon hält Ödipus dagegen vor, dass er »schlecht« (kako´¯ s) regiert (629). Als dann später Ödipus die ganze Wahrheit über sich erfahren hat, gesteht er: »Bin ich in allem doch, was ich an ihm verübt, als schlecht befunden« (420 f.) und gibt ihm gegenüber zu: »kamst du doch als Der beste und der schlechteste Bester zu mir Schlechtestem« (1433). Er Herrscher selbst erkennt nun in sich den Schlechtesten (ka´kistos) und erhebt Kreon zum Besten (a´ristos). Am Ende ist Ödipus nicht mehr der vorbildliche Herrscher, sondern Kreon. Der einst berühmte Ödipus hat einen tiefen Fall getan, Kreon allein ist »als des Landes Hüter übrig« (418). Als Herrscher verkörpert er das Gegenbild zu Ödipus. Er verzichtet darauf, diesem »eins der früheren Übel« (1423) vorzuhalten und ist hilfsbereit im Rahmen des Möglichen und Erlaubten. Er handelt nicht eigenmächtig, sondern möchte »vom Gott zuerst erfahren, was man machen soll« (1439), ehe er handelt. Von Vorverurteilungen und Verfluchungen hält er sich fern. An ihm ist – in dieser Phase der Herrschaftsausübung – kein Anzeichen von Hybris zu erkennen.
7. Autor und Zeit Der Name des Sophokles wird immer dann hervorgehoben, wenn es um die Geschichte des griechischen und des europäischen Theaters geht. Mit den 123 Tragödien, die er nach Aussage alexandrinischer Philologen geschrieben hat, ist er einer der produktivsten und erfolgreichsten Theaterautoren des europäischen Kulturkreises. Sophokles wurde – wahrscheinlich – im Jahr 496 v. Chr. in Kolonos, einem Bezirk der Polis Athen, Die Herkunft des geboren und starb in seinem Heimatort um Sophokles 406 v. Chr. Sein Vater Sophillos war wohlhabend, aber nicht adlig. Ihm war daran gelegen, dass sein reichbegabter Sohn »eine vorzügliche Erziehung« erhielt, »welche sich, nach hellenischer Sitte, gleichmäßig auf die Ausbildung der körperlichen und der geistigen Kräfte erstreckte«13. Lampros, ein berühmter Lehrer jener Zeit, soll ihn »in den musischen Künsten«14 ausgebildet haben. Von seinem Elternhaus übernahm er »die schlichte Frömmigkeit und den festen Glauben an die Gottheit, die er bis an sein Ende festgehalten hat«15. Der »Tradition seines Hauses« folgend, so vermutet man, nahm er »in der Politik […] eine konservative Haltung«16 ein. Diese Grundhaltung vertrat er offensichtlich in öffentlichen Diskussionen, vor allem aber in seinen Dichtungen, die als Beitrag zur philosophischen und zur politischen Auseinandersetzung der Zeit angesehen werden können. Sophokles stellte sich mit seinem Glauben an die Götter und die göttliche SchicksalsDie Weltanschauung des Autors macht den Tendenzen der Aufklärer entgegen, die in dem Sophisten Protagoras
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(480–410 v. Chr.) einen gewaltigen Wortführer hatten. Dieser hatte verbreitet: »Über die Götter vermag ich nichts zu erkennen, weder daß sie sind, noch daß sie nicht sind, noch welcher Gestalt sie sind: denn vieles hindert das Erkennen, die Nichtwahrnehmbarkeit und die Kürze des menschlichen Lebens.«17 Sophokles fragte weiterhin nach den Göttern, ihrem Willen und ihren Einflüssen auf das Leben der Menschen. Vom privaten Leben des Sophokles, der bald nach seinem Tod als Halbgott verehrt wurde, ist wenig bekannt. Die Überlieferung sagt, dass Sophokles zweimal verheiratet war. Von der ersten Frau, einer Athenerin, hatte er einen Sohn namens Iophon; von der zweiten Frau, die er in vorgerücktem Alter heiratete, einen Sohn Ariston, der Vater des jüngeren Sophokles wurde. Iophon und der jüngere Sophokles versuchten sich ebenfalls in der dramatischen Dichtung, was zu Eifersucht und familiären Spannungen führte. Sophokles starb im hohen Greisenalter, einundneunzig Jahre alt. Der Tod wurde legendenhaft ausgeschmückt: So soll er gemäß einer ÜberDer Tod des Sophokles lieferung während der Vorlesung aus seiner Tragödie Antigone plötzlich an Überanstrengung gestorben sein. Eine andere Überlieferung sagt, er sei aus Freude über die Nachricht, dass ihm wieder einmal der Sieg in einem tragischen Wettbewerb zugesprochen worden sei, gestorben. Prosaischer ist die Erklärung, Ursache für seinen Tod sei der Verzehr einer unreifen Weintraube gewesen. Athen bereitete dem hochberühmten Bürger ein feierliches Leichenbegängnis, führte zu seinem Gedenken seine letzte Tragödie Ödipus auf Kolonos auf und errichtete ihm einen Tempel, in dem er als Halbgott verehrt wurde. Sophokles, der während seines ganzen Lebens seine
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Vaterstadt nur in öffentlicher Mission verlassen hat, war in verschiedenen Bereichen politisch tätig: Politische Ämter 443 v. Chr. war er Schatzmeister des Attisch-Delischen Seebundes, 441–439 v. Chr. zusammen mit der alle dominierenden Person des Perikles Heerführer, 420 v. Chr. Priester des Asklepios, 411 v. Chr. Mitglied der oligarchischen Regierung. Aus der Zahl der ehrenhaften Verpflichtungen darf man den Schluss ziehen, dass er in politischen Angelegenheiten als kompetent angesehen wurde und bei seinen Mitbürgern beliebt war. Sein eigentlicher Ruhm beruht jedoch auf seiner Fähigkeit als Dichter und Dramatiker. Während von Der Ruhm als seinen Elegien und lyrischen Texten nichts, Dichter von seinen Satyrspielen nur ein einziges Fragment erhalten ist, sind von seinen 123 Tragödien immerhin sieben vollständig überliefert. Sie gelten als Gipfelpunkte der klassischen und antiken Dichtung. Allerdings verlor man im Laufe der Zeit mehr und mehr aus den Augen, welche Funktion das Theater und vor allem die dramatische Ausformung der Tragödie für Athen, den Ursprungsort, und für das ursprünglich angesprochene Publikum hatte. Über den Ursprung der griechischen Tragödie gibt es nur Vermutungen. Die griechische Bezeichnung, Die griechische trago¯dı´a, die man wörtlich mit »BocksgeTragödie sang« übersetzt, ist Grundlage der Hypothese, dass Maskentänze und rituelle Gesänge Vorstufen der Tragödiendichtung gewesen seien. Beweise für diese Annahme fehlen. Dagegen ist sicher, dass in Athen schon früh anlässlich der Dionysien Chorlieder zu Ehren des Dionysos und Preislieder auf die Heroen der Vorzeit
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vorgetragen wurden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich aus diesen Elementen die Tragödie entwickelte. Ob allerdings Thepsis, der um 530 v. Chr. in Attika umherreiste, zu Recht der »Erfinder der Tragödie genannt«18 werden darf, ist fraglich. Etwa 250 Namen von Dichtern sind bekannt, die in der Zeit von 550 v. Chr. bis 500 n. Chr. griechische Tragödien geschrieben haben: »ZusamTragödien und Tragiker mengenommen dürften sie mehrere Tausend solcher Dramen verfasst haben; denn von einer ganzen Reihe von Dichtern wissen wir, daß sie gegen 100 oder mehr Stücke geschrieben haben.«19 Vollständig erhalten sind nur 32 solcher Tragödien, die von den drei Dichtern Aischylos, Sophokles und Euripides stammen und die schon in der Antike zu einer besonders anerkannten Auswahl zusammengefasst waren. Sagen aus geschichtlicher Vorzeit waren die Hauptstoffquelle für die Dramatiker in Athens Blütezeit. Wichtigster Schauplatz war Athens Das DionysosTheater Dionysos-Theater. Hier erfuhren die meisten der uns überlieferten Tragödien ihre erste Aufführung. Die Athener feierten in der zweiten Hälfte des Monats März drei Tage lang ihr wichtigstes Fest: die großen Dionysien. An jedem dieser Tage wurden drei Tragödien und, daran anschließend, ein Satyrspiel aufgeführt. Die Aufführungen begannen am frühen Morgen und zogen sich über den Tag hin. Die Festtage, an deren Höhepunkt die Tragödien aufgeführt wurden, waren religiöse Veranstaltungen im weitesten Sinne des Wortes, an denen Theater, Kult und Politik die Bürger der Stadt zusammenkamen, um ihre Götter und sich selbst zu feiern. Deshalb
Sophokles Antikes Bronzeporträt
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waren die Feste Kult und Politik zugleich. Das Wort Politik bedeutet im ursprünglichen Sinne nichts anderes als Aufgabe, Angelegenheit, Sache der Polis, der Stadt also. Dem Theater der damaligen Zeit kam eine andere und ungleich bedeutendere Funktion zu als heutigen Bühnen. Die Athener brauchten die Tragödie, »brauchten sie vielleicht kaum weniger notwendig als die Volksversammlung und den Rat der Fünfhundert und all die andern Institutionen ihrer Demokratie« meint der Verfasser einer Abhandlung mit dem sprechenden Titel »Die politische Kunst der griechischen Tragödie.«20 Im Jahr 468 v. Chr. setzte sich Sophokles zum ersten Mal mit einem Stück, dessen Titel nicht überliefert ist, gegen den älteren und bis dahin beDer politische Werdegang des vorzugten Dramatiker Aischylos durch. Sein Sophokles letztes Stück – Ödipus auf Kolonos – wurde unter großer Anteilnahme der athenischen Bevölkerung nach dem Tod des Autors im Jahr 401 v. Chr. erstmalig aufgeführt. In der Zeit dazwischen wurde ihm von den Juroren, die die dem Schiedsgericht eingereichten Stücke beurteilten, in Siegerlisten platzierten und dann für die Aufführung an den Festtagen empfahlen, in mehr als der Hälfte der Fälle der erste Preis, manchmal der zweite, nie der dritte Preis zuerkannt.21 Insgesamt hat er »mit 18 seiner Tetralogien (insgesamt also 72 Stücke) […] an den großen Dionysien und wahrscheinlich noch mit weiteren sechs an den Lenäen den ersten Preis errungen.«22 Zur Zeit des Sophokles war es noch üblich, dass der Verfasser des Dramas, dem der Sieg zugesprochen wurde, auch für die Aufführung zustänSophokles als dig war. Er war an der Besetzung der Rollen Dramaturg und an der Einstudierung beteiligt. Häufig
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übernahm der Autor selbst eine Rolle. Auf diese Weise lernten die Dramendichter Bühnenpraxis kennen und nahmen als Dramaturgen Einfluss auf das Theatergeschehen. So hat Sophokles unter anderem dafür gesorgt, dass ein dritter Schauspieler bestellt wurde, während sein Vorgänger Aischylos noch mit zweien auskam. Durch diese Neuerungen erweiterten sich die Möglichkeiten des lebendigen Spiels und des facettenreichen Gesprächs. Außerdem sorgte Sophokles dafür, dass der Chor auf 15 Personen erweitert wurde. Die griechische Tragödie, die sich bei Aischylos, Sophokles und Euripides zu einer klassischen Form entwickelt hatte, wurde in Europa über Jahrhunderte als Muster angesehen, an dem sich Dichter und Kritiker orientierten. Bedingungen und Möglichkeiten des Theaters als einer gesellschaftlichen und politischen Institution wurden – immer im Rückblick auf die griechische Praxis – ebenso diskutiert wie Fragen der Aufführung. Eine erste Theorie der Tragödie verfasste Aristoteles (384–322 v. Chr.). Er eröffnet die LehrDie Poetik des schrift über die Poetik mit dem Satz: »Den Aristoteles Gegenstand dieser Vorträge soll die Dichtkunst und ihre Gattungen sowie die einer jeden von ihnen innewohnende Wirkung bilden, ferner die Fragen, wie die Mythen zu gestalten sind, wenn eine Dichtung künstlerischen Ansprüchen genügen soll.«23 Im Abschnitt über die Tragödie definiert er: »Es ist also die Tragödie die nachahmende Darstellung einer ernsten und in sich geschlossenen Handlung, die eine gewisse Größe hat, in kunstvollem Stil, der in einzelnen Teilen sich deren besonderer Art anpaßt, einer Handlung, die nicht bloß erzählt, sondern durch handelnde Personen vor Augen
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geführt wird und die durch Mitleid und Furcht erregende Vorgänge die Auslosung (Katharsis) dieser und ähnlicher Gemütsbewegungen bewirkt.«24 Schon die Übersetzung – vor allem die übersetzten Wörter »Furcht« und »Mitleid« – ist strittig. Strittig ist auch die Funktion dieser Definition. Während die einen in der Erklärung eine verallgemeinernde Beschreibung der überlieferten Texte sahen, nahmen andere sie als verbindliche Aufforderung für das Verfassen weiterer Tragödien. In Deutschland führte Lessing (1729–81) gegen Gottsched einen erbitterten Streit um die richtige Auslegung der Sätze des Aristoteles. Während Gottsched auf einer genauen Orientierung an den Dramen der Griechen und ein Einhalten der »Regeln« bestand, die er bei Aristoteles vorzufinden glaubte, rückte Lessing das Werk Shakespeares in den Blick, das bei weitem nicht so geregelt daherkam wie die klassizistischen Tragödien Frankreichs, die sich an den Poetiken im Gefolge des Aristoteles orientierten. Das bürgerliche Trauerspiel, dem Lessing zum Durchbruch verhalf und das in Schillers Griechische Kabale und Liebe einen bis heute anerkannTragödie und das Trauerspiel ten Höhepunkt erfuhr, ist sicher als eigenin Deutschland ständige Schöpfung anzuerkennen. Unter ganz anderen Bedingungen entstanden, für ein anderes Publikum entworfen und mit ganz anderen Zielen versehen, lässt es doch schon mit der Übersetzung »Trauerspiel« erkennen, dass es aus der Tradition der griechischen Tragödie erwachsen ist. Die klassische Epoche der deutschen Literatur – vor allem die Weimarer Klassik mit Goethe und Schiller als den Hauptvertretern – ist zu einem guten Teil bestimmt durch die Auseinan-
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dersetzung mit der griechischen Tragödie wie mit den Werken der Antike überhaupt. Bis heute werden die giechischen Tragödien und die theoretischen Aussagen des Aristoteles in die Aristoteles und Diskussion einbezogen, wenn es um BeSophokles dingungen und Möglichkeiten des Theaters geht. Das Konzept des Aristoteles scheint besonders prädestiniert, Gegenkonzepte zu provozieren. So sind auch die von Bertolt Brecht vorgestellten Entwürfe eines epischen Theaters aus der Auseinandersetzung mit Aristoteles entstanden.
Überlieferte Werke des Sophokles in zeitlicher Reihenfolge Aias. Tragödie Uraufführung: Athen um 453 v. Chr. Aias, einer der griechischen Heerführer im Trojanischen Krieg, fühlt sich von den übrigen Feldherren zurückgesetzt und ist vor allem dadurch in seiner Ehre gekränkt, dass die Waffen des toten Achill nicht ihm, sondern Odysseus überantwortet wurden. Blindwütig will er Agamemnon, Menelaos und Odysseus umbringen. Doch die Göttin Athene greift ein, verwirrt ihn so, dass er statt der Feldherrn nur Weidetiere und deren Hirten umbringt. Als er aus dem Wahnsinnsrausch erwacht und ihm bewusst wird, was er gewollt und was er tatsächlich getan hat, begeht er Selbstmord, um die Schmach zu tilgen. Daraufhin müssen Tekmessa, seine Geliebte, und Eurysakes, sein Sohn, fürchten, dass sich die Feldherren, die nur durch Athenes Einschreiten dem Tod entkommen sind, an ihnen rächen werden.
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Tatsächlich verfügt Menelaos, dass die Leiche des Aias unbeerdigt bleibe. Teukros, Aias Halbbruder, stellt sich der Verfügung entgegen. Er wird von Odysseus unterstützt, der mahnt, dem toten Aias weder »des Grabes Ruhe« noch »die Totenklage« zu verweigern. Trachinierinnen. Tragödie Erste Aufführung: Athen um 450 Deianeira, die Gattin des Herakles, wartet in Trachis sehnsüchtig auf ihren Mann, der gegen Eurytos einen Krieg führt, welcher für ihn nach einem Spruch des Orakels zum »Markstein seines Schicksals« werden soll. Deianeira schickt den gemeinsamen Sohn Hyllos Herakles zu Hilfe. Da naht der Herold Lichas und kündet die nahe Rückkehr des Herakles an. Von Lichas erfährt Deianeira, dass es Herakles in dem Krieg hauptsächlich um Iole, die Tochter des Eurytos, ging, zu der er in Liebe entbrannt sei und die er jetzt als sein Eigentum nach Trachis vorausgeschickt habe. Deianeira will die Liebe ihres Gatten dadurch zurückgewinnen, dass sie ihm ein mit Liebeszauber durchwirktes Gewand schickt, das ihr einst der Kentaur Nessos gab, als er vom Pfeil des Herakles getroffen wurde. Zu spät überlegt sie, dass Nessos sie hintergangen haben und dass das als Liebeszauber ausgegebene Gewand in Wirklichkeit Unheil bringen könnte. Die schlimmste Befürchtung tritt ein. Hyllos kommt zurück und berichtet, wie der Vater das von Lichas überbrachte Gewand anzog, sich bald vor Schmerz krümmte, in seiner Verzweiflung Lichas umbrachte und nun, dem Tode nahe, in Trachis angekommen sei. Verzweifelt und schuldbewusst tötet Deianeira sich selbst. Hyllos kehrt zu dem Vater zurück, der sich einen schnellen, erlösenden
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Tod wünscht. Von dem Sohn lässt er sich auf den Holzstoß tragen, auf dem er verbrannt werden möchte. Außerdem zwingt er Hyllos das Versprechen ab, Iole zur Frau zu nehmen. Antigone. Tragödie Erste Aufführung: Athen um 442 v. Chr. Antigone, die Tochter des verbannten und inzwischen verstorbenen König Ödipus, bittet vergeblich Ismene, ihre Schwester, bei der Beerdigung des gemeinsamen Bruders Polyneikes behilflich zu sein. Dieser ist gefallen, als er zusammen mit Verbündeten die Stadt Theben, in der inzwischen Kreon herrscht, in seine Gewalt zu bringen suchte. Auch Eteokles, der Bruder des Polyneikes, der auf Seiten Kreons kämpfte, ist bei der Auseinandersetzung gefallen. Nun hat Kreon verfügt, dass Eteokles mit allen Ehren bestattet werde, Polyneikes dagegen unbeerdigt den Hunden und Vögeln zum Fraß ausgesetzt bleibe. Antigone widersetzt sich dem Gebot und wird von Kreon in den Tod getrieben. Zu spät findet Kreon zu der Einsicht, dass seine Anordnungen mit den ewig gültigen Gottgeboten nicht in Einklang zu bringen sind. Mit den schuldbewussten Klagerufen Kreons endet das Stück. König Ödipus. Tragödie Erste Aufführung: Athen um 425 v. Chr. Elektra. Tragödie Erste Aufführung: Athen um 413 v. Chr. Orest, der Sohn Agamemnons, ist in Mykene angekommen, um auf Geheiß des Apoll das Grab des Vaters aufzusuchen und den Tod des Vaters an seiner Mutter Klytaimnestra und
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an Aegisthos, dem neuen König von Argos und zweiten Ehemann der Mutter, zu rächen. In Mykene wartet Elektra sehnsüchtig auf ihren Bruder Orest, dem sie einst zur Flucht verhalf und von dem sie hofft, dass er als Rächer des Vaters kommt. Chrysothemis, ihre Schwester, scheint sich mit den neuen Verhältnissen abgefunden zu haben. Klytaimnestra und Aegisthos fürchten nicht nur die Rückkehr Orests, sondern möchten auch Elektra beseitigen. Um sich einen Zugang zum Palast zu verschaffen, haben sich Orest und sein alter Erzieher die List ausgedacht, in Mykene den Tod des Orest zu verkünden. Der vorausgeschickte Erzieher erzählt eine erfundene Geschichte, die Elektra erschüttert, Klytaimnestra aber erleichtert. Während Klytaimnestra und der falsche Bote in den Palast gehen, kommt Chrysothemis von Agamemnons Grab zurück und berichtet Elektra, dass sie dort Grabbeilagen gesehen habe, die nur von Orest stammen können. Doch Elektra glaubt eher dem falschen Botenbericht und beschließt – entgegen den Warnungen ihrer Schwester – selbst den Racheakt zu vollziehen. Unerkannt tritt Orest im Palast auf und behauptet, die sterblichen Überreste Orests in einer Urne zu überbringen. Als Elektra eine Totenklage anstimmt, kann Orest das falsche Spiel nicht durchhalten. Er gibt sich Elektra zu erkennen und dringt in den Palast, wo Orest und Pylades, sein Gefährte, zuerst Klytaimnestra, später Aegisthos umbringen. Philoktet. Tragödie Erste Aufführung: Athen um 409 v. Chr. Auf der Heerfahrt nach Troja haben die Griechen Philoktet auf der Insel Lemnos zurückgelassen, da er an einer übel-
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riechenden, schmerzhaften Krankheit litt. Nun sind Odysseus und Neoptolemos nach Lemnos zurückgekehrt, da ein Orakelspruch verheißen hat, dass sie nur mit Hilfe der Pfeile des Herakles, die mit dem Blut der lernäischen Schlange getränkt und in Philoktets Besitz sind, in Troja siegen können. Odysseus überredet Neoptolemos zu einer List, durch die sie in den Besitz der Pfeile kommen wollen. Neoptolemos trifft den leidenden Philoktet in seiner Höhle und stellt in Aussicht, ihn nach Hause zu bringen. Philoktet vertraut ihm und übergibt ihm Bogen und Pfeile, als er von einem schweren Schmerzensanfall heimgesucht wird. In Neoptolemos regt sich jedoch das Gewissen, und er gesteht dem Philoktet die Wahrheit, dass man ihn nach Troja, nicht aber nach Griechenland bringen wolle. Entsetzt wendet sich Philoktet ab, als der listenreiche Odysseus erscheint, und wünscht sich den Tod. Neoptolemos wechselt die Seite, wendet sich von Odysseus ab und bringt Philoktet Bogen und Pfeile zurück. Als Philoktet sich weigert, freiwillig das Heer der Griechen zu unterstützen, erscheint in einer Wolke Herakles, veranlasst sie, nach Troja zu fahren, und stellt in Aussicht, dass sie die Stadt erobern werden und Philoktet von seiner Krankheit geheilt wird. Ödipus auf Kolonos. Tragödie Erste Aufführung: Athen 401 v. Chr. Der aus Theben verbannte blinde Ödipus ist, von seiner Tochter Antigone geführt, nach langer Wanderung in dem heiligen Hain von Kolonos angekommen, einem Vorort von Athen, wo König Theseus herrscht. Hier in Kolonos, so hat das Orakel vorausgesagt, soll der Leidensweg des Ödipus ein Ende finden.
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Ismene, seine zweite Tochter trifft hinzu und berichtet, dass Kreon, der Schwager des Ödipus, seine Herrschaft durch dessen Söhne, Polyneikes und Eteokles, bedroht sieht und dass ihm ein Orakel verkündet habe, die Herrschaft sei nur zu sichern, wenn Ödipus nach seinem Tod in heimatlicher Erde begraben werde. Deshalb wolle Kreon Ödipus an die Grenzen von Theben holen und den Verbannten nach dessen Tod in Heimaterde bestatten. Kreon erscheint und versucht Ödipus zur Rückkehr zu überreden. Als das nicht gelingt, will Kreon Ödipus und seine Töchter mit Gewalt entführen. Doch rechtzeitig tritt Theseus dazwischen. Eine letzte Herausforderung erlebt Ödipus, als Polyneikes, sein ältester Sohn, der ihn einst aus Theben verbannte, auftritt und ihn jetzt um Unterstützung beim Kampf um den Thron in Theben bittet. Doch Ödipus lässt sich nicht beirren. Fluchwürdig sind ihm die Söhne, voll Dankbarkeit ist er gegenüber den Töchtern. Von Theseus begleitet, erreicht er die Stelle im heiligen Hain von Kolonos, von der er ins Totenreich geholt wird.
8. Rezeption Ödipus und Iokaste sind ebenso wie Antigone und Ismene Gestalten aus der griechischen Sagenwelt. Sie gehören dem thebanischen Sagenkreis an, dem die antiken Dramatiker mit Vorliebe ihre Stoffe entnahmen. So ist auch die Geschichte vom Ödipus mehrfach gestaltet worden. Allerdings sind nur die Fassungen des Sophokles – König Ödipus (428 v. Chr.) und Ödipus auf Kolonnos (406 v. Chr.) – erhalten. Diese Tragödien wurden offensichtlich schon im klassischen Athen besonders geschätzt und sorgfältig tradiert. Aristoteles stellte in seiner Poetik König Ödipus von Sophokles als das Muster einer Tragödie vor, an dem sich erklären lasse, wie ein auf Spannung hin angelegtes Drama aufgebaut ist und was das Besondere einer Tragödie ausmacht. Unter dem Begriff des Tragischen fassten die Griechen eine Grunderfahrung, auf die die Menschen weniger durch Belehrung als vielmehr durch erlebten Nachvollzug im dichterischen Spiel vorbereitet werden sollten. Die Tragödie war im Ursprungsland eine Sache der Polis und hatte religiöse, aber auch politische Bedeutung. Lucius Aennaeus Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.), der römische Schriftsteller und Philosoph, schuf in Seneca Anlehnung an das Werk des Sophokles eine lateinische Fassung des Ödipus, die 57 n. Chr. erstmals aufgeführt wurde. In der Zeit des Renaissance, also seit Anfang des 16. Jahrhunderts, entstand in Italien, Frankreich und England eine Reihe von Übersetzungen dieser lateinisch geschriebenen Ödipus-Fassung. Eine erste deutsche Bearbeitung des Stoffes gibt Hans Sachs 1550 unter dem Titel Die unglück hafftig Königin Jocasta heraus.
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Für die französischen Klassiker im Zeitalter des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. galten die Griechen Die französischen auf dem Gebiet der Tragödie als unbestritteKlassiker ne Autoritäten. Deren Hinweise zum Verfassen von Dramen galten als feste Regeln, die wie Gesetze zu befolgen waren, und die überlieferten Tragödien wurden als zeitübergreifende Muster anerkannt. Pierre Corneille (1606–84) schrieb eine Abhandlung über die Bühnenkunst (1660), in der die Konzeption altgriechischer Poetiken vertreten wurde, und verfasste eine Reihe von Dramen, die ihren Stoff aus der Antike nahmen – so eine »Medea« (Médée, 1635) und einen »Ödipus« (Oedipe, 1659). Mit einer Tragödie Oedipe hatte Voltaire 1719 erste Erfolge in Paris; eine Übersetzung erschien 1749 in Deutschland. Johann Christoph Gottsched (1700–66), der deutsche Gelehrte und Schriftsteller, der sich als Reformer des deutschen Theaters verstand, verGottsched und die »Regeln der wies in seinem Versuch einer Critischen alten Griechen« Dichtkunst vor die Deutschen (1730) ebenfalls mit allem Nachdruck auf die Regeln der alten Griechen. Für ihn ist »Oedipus […] eins der berühmtesten Trauerspiele des Sophokles«, an dem sich die Intention einer wahren Tragödie zeigen lasse: »Der Poet will […] durch die Fabeln Wahrheiten lehren, und die Zuschauer, durch den Anblick solcher schweren Fälle der Großen dieser Welt, zu ihren eigenen Trübsalen vorbereiten.«25 Die Tragödie des Sophokles wurde auf diese Weise Gegenstand einer Diskussion, in der es allgemein um die Intention von Trauerspielen ging, aber auch um die Frage, ob Dramen nach festgelegten Handwerksregeln zu verfertigen seien oder ob die deutschen Autoren eigene
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Gestaltungsmöglichkeiten erproben sollten. An der Diskussion beteiligten sich nicht nur Autoren der klassischen Zeit wie Goethe, Schiller und Hölderlin, sondern auch Kunstkritiker wie Schlegel und Philosophen wie Schelling und Hegel. Bereits 1692 war eine erste Oper Oedipus von Henry Purcell aufgeführt worden. Es folgten weitere Vertonungen. Besonderes Aufsehen erregte Oper und Musiktheater das Opernoratorium Oedipus Rex von Igor Strawinsky, das seine Uraufführung 1927 in Paris erfuhr. Oedipus der Tyrann, in der Gestaltung von Carl Orff, wurde 1959 erstmals in Stuttgart aufgeführt. Als »Musiktheater« stellte Wolfgang Rihm am 4. Oktober 1987 seinen Oedipus an der Deutschen Oper in Berlin vor. Der französische Schriftsteller, Maler, Komponist und Filmregisseur Jean Cocteau gestaltete den Ödipus-Stoff nicht nur in seinem Drama La machine inVerfilmung fernale (1934), sondern sorgte auch für eine erste Verfilmung: Oedipus (1953). Eine weitere Verfilmung unternahm Pier Paolo Pasolini. Sein Edipo Re (1967) verlegt das Hauptgeschehen in »eine vorzivilisatorische Wildheit, in der das Heilige und die Gewalt noch ungeschieden sind«26; zugleich bietet er in Prolog und Epilog den Rahmen an, der Ausgangspunkt für eine psychoanalytische Deutung abgibt. Seit Sigmund Freud (1856–1939) die Gestalt des Ödipus als beispielgebende Figur heranzog, an der er seine psychoanalytischen Theorien verdeutliFreud und der Ödipus-Komplex chen konnte, ist die Sagengestalt Gegenstand erbitterter Kontroversen auf dem Feld der psychoanalytischen Forschung. Ob eine schlagwortartige Bezeichnung wie »Ödipuskomplex« geeignet ist, kompli-
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8. REZEPTIONSGESCHICHTE
zierte Erscheinungen in der frühkindlichen Entwicklung angemessen zu benennen, ist umstritten. Die Fülle der Gesichtspunkte, unter denen die Tragödie vom König Ödipus betrachtet werden kann, mag Ursache dafür sein, dass dieses Drama zu den meistgespielten Werken der Weltliteratur gehört. Jede neue Inszenierung setzt eigene Gewichtungen, fragt etwa, ob Ödipus ein Leitbild für führende Politiker abgibt, beobachtet, wie ein aufgeklärter Mensch zu den Göttern und zu den Mächten des Schicksals steht, zeigt die Grenzen menschlichen Denkens und Handelns auf, versucht, Motive menschlichen Handelns zu erklären, und stellt sich damit der immer aktuellen Frage: Was ist der Mensch? Es gibt kaum eine Spielzeit, die nicht eine Neuinszenierung dieser Tragödie, die zu den ältesten Werken der Weltliteratur gehört, auf einer der großen deutschsprachigen Bühnen ankündigt.
9. Checkliste 1. Wie heißen die drei Klassiker der attischen Tragödie? Nennen Sie die Namen. Ordnen Sie die Lebensdaten dieser Dichter in die Hauptphasen der griechischen Geschichte ein. Wo und zu welchem Anlass wurden die Werke dieser Autoren ursprünglich aufgeführt? 2. Welche Bedeutung hat der thebanische Sagenkreis für die Tragödiendichter? Welche Bedeutung hat die Stadt Theben in der griechischen Mythologie? Erklären Sie, in welcher verwandtschaftlichen Beziehung die folgenden Personen stehen: Kadmos, Labdakos, Laios, Kreon, Iokaste, Ödipus, Antigone, Ismene. Welcher Fluch lastet auf der Familie? Welche Orakelsprüche greifen in das Leben der Familie ein? Ordnen Sie die Orakelsprüche nach der zeitlichen Reihenfolge, in der sie gesprochen werden. Erklären Sie, wem sie verkündet werden, für wen sie Bedeutung und auf wen sie Auswirkung haben. Bringen Sie die Göttersprüche in eine gedankliche Beziehung, indem Sie ihre göttliche Begründung und ihren Zweck erklären. Welche Bedrohung für die Stadt Theben ging von der Sphinx aus? Von wem war die Sphinx geschickt?
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Wie lautete ihr Rätsel? Welche Folgen hatte es, als Ödipus das Rätsel löste? Wie unterscheiden sich die drei Herrschergestalten – Laios, Ödipus, Kreon? Wie kommen sie zur Herrschaft? Wie führen sie die Herrschaft aus? Wie endet – im Falle des Laios und des Ödipus – die Herrschaft? 3. Die Lebensgeschichte des Ödipus Wer sind seine leiblichen Eltern? Wodurch sind seine Zeugung und seine Geburt belastet? Inwiefern bedeutete es Glück und Unglück zugleich, wenn der Auftrag des Laios, den neugeborenen Sohn auszusetzen, nicht ausgeführt wurde? Welche Position hat Ödipus am Hof in Korinth inne? Welche Auskunft hofft Ödipus vom Orakel in Delphi zu erhalten? Wie deutet Ödipus den Orakelspruch, und welches Missverständnis liegt der Deutung zu Grunde? Wie gewinnt Ödipus Ansehen und Herrschaft in Theben? Wie füllt Ödipus seine Rolle als Herrscher aus? Was bringt Ödipus zu Fall? Erörtern Sie: Ist Ödipus »schuldig« in Bezug auf folgende Tatbestände: 1. Er tötet einen Mann, der ihn veranlasst, aus dem Weg zu gehen, und dessen Begleiter. 2. Er tötet seinen eigenen Vater. 3. Er heiratet die Witwe des verstorbenen Herrschers von Theben. 4. Er heiratet seine Mutter und zeugt mit ihr Kinder.
9. CHECKLISTE
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5. Er verhält sich vorurteilsverhaftet, arrogant und vermessen gegenüber dem Seher Teiresias und seinem Schwager Kreon. 6. Er verfällt als Herrscher der Hybris und überschreitet damit die Grenzen, die dem menschlichen Denken und Handeln geboten sind. 7. Er stürzt seine Frau und seine Kinder ins Unglück. 8. Er ist eine Belastung für die Stadt Theben. Inwiefern kann man Ödipus eine tragische Figur nennen? 4. König Ödipus als Tragödie Was versteht man unter einer Tragödie? Wie versucht man den griechischen Begriff sprachlich zu erklären? Wie erklärt Aristoteles den Begriff? Inwieweit entspricht die deutsche Übersetzung »Trauerspiel« dem ursprünglichen Begriff? Unter welchen Bedingungen wurden in der klassischen Zeit Tragödien verfasst, beurteilt, inszeniert und aufgeführt? Zu welchen Anlässen wurden Tragödien aufgeführt? Wer entschied, welche Tragödien aufgeführt wurden? Wer inszenierte? Wie sah das Theater aus? Erklären Sie anhand des Textbuches zu König Ödipus, wo der Chor und wo die Schauspieler agierten. Erklären Sie den Aufbau der Tragödie. Was versteht man unter einem analytischen Drama? Erläutern Sie den Begriff. Erklären Sie, inwiefern die Tragödie König Ödipus als Muster eines analytischen Dramas gelten kann.
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9. CHECKLISTE
5. Inwiefern kann man den König Ödipus von Sophokles ein politisches Drama nennen? Erläutern Sie den Begriff pólis. Erklären Sie die Ableitungen von diesem Grundwort, die in den Wortschatz der deutschen Sprache eingegangen sind: Politik, Politiker, politisch, Politologe, Polizei, Politesse; Politbüro. Was wird in der Tragödie des Sophokles direkt oder indirekt über die am meisten erstrebte Verfassung einer Stadt oder eines Staates gesagt? Was wird von einem Herrscher erwartet, was wird gegebenen Falls kritisiert? Stellen Sie aus den an Ödipus und Kreon erkennbaren Denk- und Handlungsweisen einen Tugendkatalog für einen guten Herrscher (oder Politiker) zusammen. 6. Machen Sie einige Angaben über die Lebenssituation des Autors und über die Zeit, in der er lebte. Erläutern Sie den Begriff »Perikleisches Zeitalter«. In welcher Beziehung stand Sophokles zu Aischylos und Euripides? In welcher Beziehung stand er zu Perikles? Wie ist Sophokles als Politiker einzuschätzen? Wie unterschied er sich von Perikles, dem führenden Politiker seiner Zeit? Wie erklären Sie, dass Sophokles in Athen zu hohen Ehren kam, obwohl er fortschrittlichen Anschauungen kritisch entgegentrat?
9. CHECKLISTE
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7. Orientieren Sie sich über einige Phasen der Rezeptionsgeschichte. Informieren Sie sich über den Theaterbau und die Aufführungsbedingungen der Tragödien im alten Griechenland und vergleichen Sie sie mit heutigen Gegebenheiten. Vor welchen Schwierigkeiten steht ein Dramaturg, der die Tragödie einem Publikum des 21. Jahrhunderts nahe bringen will? Besorgen Sie sich die Video-Aufnahme einer Inszenierung und diskutieren Sie über die Absicht des Regisseurs und die vermutete Wirkung beim Publikum. 8. Das Schlagwort »Ödipus-Komplex« Informieren Sie sich über Sigmund Freud. Wichtige Lebensdaten? Forschungsbereich? Hauptwerke? Informieren Sie sich, was in Sigmund Freuds Theorie als »Ödipus-Komplex« bezeichnet wird. Aus welchen dem mythischen Ödipus zugeschriebenen Handlungen leitet Freud die Berechtigung ab, die von ihm entdeckten psychischen Antriebe »Ödipus-Komplex« zu nennen? Ist dem von Sophokles gestalteten Ödipus ein »ÖdipusKomplex« nachzuweisen? Inwiefern ist das Verlangen des Ödipus, sich selbst dadurch besser kennen zu lernen, dass er erfährt, von wem er stammt, mit dem Forschungsansatz der Psychoanalytiker zu vergleichen?
10. Lektüretipps Textausgaben Von dem in Altgriechisch verfassten Urtext liegen mehrere Übersetzungen ins Deutsche vor, die sich im Wortlaut unterscheiden, die aber durchaus nebeneinander verwendet werden können. Die Unterschiede sind zum Teil darin begründet, dass das Weltbild, das sich in der griechischen Sprache verfestigt hat, nicht direkt in der deutschen Sprache der Gegenwart abzubilden ist. Schon Leitwörter wie po´lis, tyrannı´s, moı´¯ra und dı´¯ke lassen sich nicht eindeutig übertragen. Günstig wäre es, wenn zentrale Aussagen des Textes im Original aufgeschlagen und zu verschiedenen Übersetzungsvorschlägen in Bezug gesetzt werden könnten. Außer in Schulausgaben für den Griechisch-Unterricht wird der griechische Text angeboten bei: Jean Bollack: Sophokles: König Ödipus. Übersetzung, Text, Kommentar. Frankfurt a.M. / Leipzig: Insel, 1994. Die Zitate im vorliegenden Lektüreschlüssel beziehen sich auf: Sophokles: König Ödipus. Übers. und Nachw. von Kurt Steinmann. Stuttgart: Reclam, 2002. (UB. 630.) Dieser Ausgabe ist auch der Kommentarband zugeordnet: Bernhard Zimmermann: Erläuterungen und Dokumente: Sophokles: König Ödipus. Stuttgart: Reclam, 2003. (UB. 16038.)
10. LEKTÜRETIPPS
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Erläuterungen und Interpretationen zu Sophokles: König Ödipus Flaig, Egon: Ödipus. Tragischer Vatermord im klassischen Athen. München 1998. Matzkowski, Bernd: Sophokles: König Ödipus. Hollfeld 2002. (Königs Erläuterungen und Materialien. 46.) Nebel, Gerhard: Sophokles: König Ödipus. Dichtung und Wirklichkeit. Frankfurt a.M. / Berlin 1964. Paefgen, Elisabeth Katharina: Pest über Theben oder – Die kranke Polis: König Ödipus als Politiker. In: Praxis Deutsch. Heft 95 (1989) S. 50–56. Zink, Norbert: Sophokles: König Ödipus. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas. Frankfurt a.M. 1997.
Abhandlungen zu »Sophokles und seine Zeit« Einen Überblick über die griechische Geschichte bieten alle Unterrichtswerke, die im Fach Geschichte zur Erarbeitung der Welt der Antike eingeführt sind. Über einzelne Personen, Sachverhalte und Begriffe informiert: Lexikon der alten Welt. Hrsg. von Carl Andresen, Hartmut Erbse, Olof Gigon, Karl Schefold, Karl Friedrich Stroheker, Ernst Zinn. 3 Bde. Zürich/München 1990. Einzelnen Personen widmen sich: Berve, Helmut: Gestaltende Kräfte der Antike. München 1949.
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10. LEKTÜRETIPPS
Ehrenberg, Viktor: Sophokles und Perikles. München 1959. Pohlenz, Max: Gestalten aus Hellas. München 1950. Sophokles. Hrsg. von Hans Diller. Darmstadt 1967. (Wege der Forschung.)
Gattungsgeschichte und Theorie der Tragödie Aristoteles: Poetik. In: Aristoteles: Hauptwerke. Ausgew., übers. und eingel. von Wilhelm Nestle. Stuttgart 1953. Freytag, Gustav: Die Technik des Dramas. Leipzig 1863. Jens, Walter: Die Bauformen der griechischen Tragödie. München 1971. Meier, Christian: Die politische Kunst der griechischen Tragödie. München 1988. Seeck, Gustav Adolf (Hrsg.): Das griechische Drama. Darmstadt 1970. – Die griechische Tragödie. Stuttgart 2000. (Reclams UB. 17621.)
Hinweise zur Dramenanalyse Asmuth, Bernhard: Einführung in die Dramenanalyse. Stuttgart 1980. Gelfert, Hans-Dieter: Wie interpretiert man ein Drama? Stuttgart 1992. (Reclams UB. 15026.) Neis, Edgar: Wie interpretiere ich ein Drama? Anleitung zur Analyse klassischer und moderner Dramen. Hollfeld 1983.
Anmerkungen 1 Gerhard Nebel, Sophokles, König Ödipus. Dichtung und Wirklichkeit, Frankfurt a. M. / Berlin 1964, S. 76. 2 Menge-Güthling, Enzyklopädisches Wörterbuch der griechischen und deutschen Sprache, Teil I: Griechisch – Deutsch, Berlin-Schöneberg 121954, S. 56. 3 Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart, 7., verb. Aufl. 1989, S. 207. 4 Schüler-Duden: Die Literatur, hrsg. von Gerhard Kwiatkowski, Mannheim/Wien/Zürich 1989, S. 111. 5 von Wilpert (Anm. 3), S. 207. 6 Bernhard Zimmermann: Erläuterungen und Dokumente, Sophokles, König Ödipus, Stuttgart 2003, S. 37 f. 7 Ebenda. 8 Menge-Güthling (Anm. 2), S. 427. 9 Ebenda, S. 455. 10 Ebenda, S. 351. 11 Lexikon der alten Welt, hrsg. von Carl Andresen [u. a.], Bd. 2: Haaropfer – Qumran, Tübingen/Zürich 1994, Sp. 1981. 12 Ebenda, Sp. 1341. 13 Ernst Buschor, Über das griechische Drama, Zürich/München 1979, S. 9. 14 Ebenda. 15 Max Pohlenz, Gestalten aus Hellas, München 1950, 1966, S. 216. 16 Ebenda. 17 Lexikon der alten Welt (Anm. 11), Sp. 2457. 18 Gustav Adolf Seeck, Die griechische Tragödie, Stuttgart 2000, S. 35. 19 Ebenda, S. 16. 20 Christian Meier, Die politische Kunst der griechischen Tragödie, München 1988, S. 7. 21 Harenbergs Lexikon der Weltliteratur. Autoren – Werke – Begriffe, Dortmund [o. J.], Bd. 5, S. 2701. 22 Pohlenz (Anm. 15), S. 220. 23 Aristoteles, Poetik, in: Aristoteles, Hauptwerke, ausgew., übers. und eingel. von Wilhelm Nestle, Stuttgart 1953, S. 336. 24 Aristoteles (Anm. 23), S. 345.
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ANMERKUNGEN
25 Johann Christoph Gottsched, Versuch einer Critischen Dichtkunst, unv. reprograph. Nachdr. der 4., verm. Aufl., Leipzig 1751, Darmstadt 1982, S. 607. 26 »Edipo Re – Bett der Gewalt / König Ödipus«, in: Filmklassiker. Beschreibungen und Kommentare, hrsg. von Thomas Koebner, Bd. 3: 1965–1981. Stuttgart, 4., durchges. und erw. Aufl. 2002, S. 105.