Küssen Sie mich, Boss! Linda Cajio Bianca 1098 9/1 1999
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Küssen Sie mich, Boss! Linda Cajio Bianca 1098 9/1 1999
gescannt von suzi_kay korrigiert von Spacy74
1. KAPITEL Ein einziger Blick reichte, und Jared Holiday war verliebt. Das Geschöpf, dem dieses überraschende Gefühl galt, schwebte gerade durch die Glastür der Anwaltspraxis von Davis, Hansen und Davis in Wynnewood, Pennsylvania. E.J., seine Bürochefin, hatte ihm für den Labor Day eine Aushilfssekretärin besorgt, aber das konnte sie nicht sein. Das hier war ein Engel, und E.J. bekam von der Agentur nie Engel geschickt. Sie war schlank und bewegte sich geschmeidig. Jeder Schwung ihrer Hüften ging ihm unter die Haut. Sein Herz klopfte wie wild, und er bekam kaum noch Luft. Es war einfach herrlich. Das schlichte Sommerkleid reichte ihr bis zu den Waden und ließ die Arme frei. An Hals und Handgelenken trug sie Silberschmuck, die schmalen Füße steckten in zierlichen Sandaletten. Pinkfarbener Nagellack betonte die Zehen. Sie hatte eine riesige Umhängetasche dabei, aber selbst das paßte irgendwie zu ihr. Das rotblonde Haar war schulterlang, die himmelblauen Augen betrachteten ihn voller Ernst, und erst jetzt bemerkte er die Sommersprossen auf dem ungeschminkten Gesicht, das Jared an Botticellis Venus erinnerte - unschuldig, gelassen, verführerisch. Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Mundwinkel, als wüßte sie, wie sie auf ihn wirkte. Sein
Verstand sagte ihm, daß er schon weitaus hübschere Frauen gesehen hatte, aber im Moment konnte er sich an keine davon erinnern. "Wollen Sie mich heiraten?" Jared fragte sich, woher die heisere Stimme kam, bis ihm aufging, daß es seine eigene war. Seine? Er war Scheidungsanwalt. Er konnte sich unmöglich auf den ersten Blick verliebt haben. Das war Unsinn, den es nur in Songs und Büchern gab. Er war überzeugt, daß Liebe auf den ersten Blick gar nicht existierte. Die Frau sah ihn erstaunt an. "Wie bitte?" Okay, er benahm sich idiotisch, aber deswegen mußte er noch lange nicht verliebt sein. Einfach nur idiotisch. Was war bloß mit ihm los? Wurde er jetzt etwa wie seine Cousins Peter und Michael? Peter hatte zu Beginn des Sommers geheiratet, und Michael war erst vor einer Woche einer Witwe mit sechs Kindern in die Falle gegangen. Vielleicht war Heiraten ja ansteckend. Er räusperte sich. "Ich bin Jared Holiday." "Alison Palmer von Tempmates." Sie streckte die Hand aus. Er starrte auf ihre Finger, als hätte er Angst, sie zu berühren. Reiß dich zusammen, Mann, befahl er sich und schüttelte ihr die Hand. Es war unglaublich. Ihm wurde warm und kalt zugleich, und er konnte seinen Puls hören. Ihre Haut fühlte sich an wie Seide, und er sehnte sich danach, sie mit den. Lippen zu berühren. "Danke, daß Sie am Labor Day kommen konnten", brachte er mühsam heraus. "Wir können nämlich Hilfe gebrauchen. Bis morgen müssen jede Menge Anträge bei Gericht sein." "Dafür bezahlen Sie mich ja." Schließlich zog sie die Hand zurück, und Jared senkte den Blick. Eine Zeitlang standen sie sich schweigend gegenüber. Alison schob ein paar Strähnen hinters Ohr. Seine Traumfrau
hatte eigentlich brünettes Haar, aber ihr Rotblond faszinierte ihn. Und sie hatte so viel davon. "Dann zeigen Sie mir doch den Computer, an dem ich arbeiten soll", bat sie. Er gab sich einen Ruck und setzte sich in Bewegung. "Meine Sekretärin hat am Freitag gekündigt", erklärte er, als er auf den mit Unterlagen übersäten Schreibtisch zeigte. "Sie rief an und verkündete, daß sie einen Mann heiratet, den sie gerade erst kennengelernt hatte, und nicht zurückkommt." "Wow." Alison stieß einen Pfiff aus. "Ich hoffe, er ist reich oder gutaussehend." Jared fragte sich, wie reich ein Mann sein und wie gut er aussehen mußte, damit Alison ihn heiraten würde. Ob er selbst reich und attraktiv genug war? Wie kam er nur auf so etwas? Bis vor wenigen Minuten hatte er kaum einen Gedanken ans Heiraten verschwendet. Er wußte es nicht. Aber in der Zwischenzeit war Alison Palmer erschienen, und sein Verstand hatte sich verabschiedet. Er beugte sich über ihre Schulter und lud ein Verzeichnis auf den PC-Bildschirm. "Das sind meine Notizen aus Gesprächen mit Mandanten, Sie brauchen die, die mit Sternchen versehen sind. Die Angaben übertragen Sie dann einfach auf diese Formulare hier." Er öffnete eine Datei, aber Alisons Parfüm, eine Mischung aus Meeresbrise und Blütenduft, lenkte ihn ab, und er starrte gebannt auf die Sommersprossen auf ihren Schultern und im Ausschnitt. Sommersprossen hatten ihn nie sonderlich fasziniert, aber jetzt hätte er sie am liebsten gezählt und ihre Spur über den ganzen Körper verfolgt. Alisons Kleid war nicht aufreizend, .gestattete ihm jedoch einen Blick auf den Ansatz ihrer perfekten Brüste. Sie trug eine zarte Kette aus Silber und Achatsteinen, und er malte sich aus, wie er den Hals darunter küßte. "Ich nehme an, ich soll die Anträge dann auch ausdrucken", sagte Alison und rückte mit dem Stuhl ein wenig von ihm ab.
Jared blinzelte. "Oh ... ja, richtig. Aber setzen Sie nichts von dem ein, was ich eingeklammert habe. Das sind Informationen, die nur ich brauche. Die Agentur hat E.J. ... das ist meine Büroleiterin ....gesagt, daß Sie schon mal als Anwaltssekretärin gearbeitet haben. Also kennen Sie sich bestimmt aus." "Kein Problem." Sie griff in ihre Umhängetasche und holte einen Wasserkocher heraus. "Wo kann ich den anschließen?" Er richtete sich auf und sagte: "Ich habe in der Küche Kaffee gemacht..." "Danke, aber ich trinke keinen Kaffee. Ich habe meinen eigenen Tee und brühe ihn selbst auf." Sie stand auf. "Und da wir beide allein sind ..." Aus ihrem Mund klang das ungemein erotisch. "Stört es Sie, wenn ich mein Radio einschalte? Ich kann dann besser arbeiten." "Nun ja ... nein", erwiderte er verblüfft und fragte sich, was sie noch alles in ihrer Umhängetasche hatte. "Danke." Sie lächelte wie ein Engel, und er war bereit, ihr jeden weiteren Wunsch zu erfüllen. "Ich zeige Ihnen jetzt am besten die Küche", sagte Jared rasch und versuchte, ruhig und gelassen zu klingen. "Sie brauchen mir nur zu sagen, wo sie ist, ich finde sie dann schon", wehrte sie ab. "Sie haben bestimmt viel zu tun, wenn Sie am Labor Day arbeiten müssen." Er liebte seine Arbeit, ob Feiertag oder nicht. Aber wenn er ihr das jetzt ausführlich erklärte und deswegen noch länger in ihrer Nähe blieb, konnte er für nichts mehr garantieren. "Den Flur entlang, dritte Tür links." "Danke." Sie schwebte davon, und er schluckte benommen. Kaum war sie außer Sicht, eilte er in sein Büro, schloß die Tür und lehnte sich heftig atmend dagegen. Jared machte sich nichts vor. Alison Palmer war gefährlich. Verdammt gefährlich. Was zum Teufel war bloß los mit ihm? Wie kam er nur dazu, ans Heiraten zu denken? Er war schließlich Scheidungsanwalt...
Aber ... ihr Mund brachte ihn um den Verstand. Plötzlich hörte er Popmusik - leise, aber immerhin deutlich genug, daß man den Stil erkennen konnte. Er hatte mit Hard Rock aus den 70ern gerechnet. Mit dem langen Haar, dem fließenden Kleid und so fast ohne Make-up sah sie aus wie ein Blumenkind aus San Francisco ... Bald würde E.J. kommen. Die energische Bürochefin würde ihn bestimmt schnell wieder in die Realität zurückholen. E.J. erinnerte ihn manchmal an seinen Ausbilder in der Armee. Jared starrte auf die kleine Statue der Justitia auf seinem Schreibtisch. Die feminine Gestalt hielt in der einen Hand die Waage und in der anderen das Schwert. Ihre Augen waren verbunden. Justitia war für Jared die Idealfrau. Vor Jahren hatte er aus einer Laune heraus eine Liste der Eigenschaften aufgestellt, die seine zukünftige Partnerin haben mußte. Erst wenn er eine Frau fand, die Justitias strengen Maßstäben standhielt, würde er ernsthaft ans Heiraten denken. Was dort draußen mit ihm geschehen war, konnte nur am Streß liegen. Das war es. Er hatte einfach zu viel zu tun. Jede Frau in Philadelphia schien sich scheiden lassen zu wollen. Seine Sekretärin hatte ihn im Stich gelassen. Und wie der Dampf in einem Teekessel, so hatte sich der Streß ein Ventil gesucht. "Okay", sagte er zu der Statue. "Gleich morgen früh gehe ich zum Arzt." Wochenendseminar ... widerwillig ... Gefallen ... ern ... Depr... Alison hörte auf zu schreiben und starrte auf die rätselhaften Abkürzungen in Jareds Notizen. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie bedeuteten. Nur er selbst konnte sie entschlüsseln. Wenn sie weitermachen wollte, mußte sie ihn fragen. Aber dazu mußte sie zu ihm gehen.
Sie strich über die Finger der rechten Hand, der Hand, die seine berührt hatte. Sie kribbelten noch immer. Was war nur geschehen? Alison wußte nur, daß sie die Kanzlei betreten, Jared Holiday gesehen und sofort heftiges Herzklopfen bekommen hatte. Ihre Haut hatte geprickelt, alles war vor ihren Augen verschwommen, und sie hatte ihren Pulsschlag gehört. Und jetzt brauchte sie nur daran zu denken, daß sie ihn gleich wiedersehen würde, und schon ging es wieder los. Und was noch schlimmer war: Sie war sicher, daß er sie gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wollte. Unmöglich. Das mußte sie geträumt haben! Hoffentlich hatte sie wirklich nur geträumt, denn sie hätte fast ja gesagt. Keine Frage, es war ein Traum gewesen. Sie nahm einen Schluck Kräutertee. Normalerweise beruhigte er sie, doch diesmal wirkte er nicht. Das änderte nichts daran, daß sie ihren Auftrag erledigen mußte, und sie war auf ihren Beruf sehr stolz. Sie wußte, daß sie nicht wie eine FBI-Agentin aussah, aber das war auch gut so. Dieser Aushilfsjob war nicht nur eine perfekte Tarnung, sondern er ermöglichte es ihr auch, die Informationen zu sammeln, die sie brauchte. Also mußte sie zu Jared Holiday gehen und herausfinden, was es mit Maryanne O'Malley und ihrem zukünftigen Exmann auf sich hatte. Alison stellte das Radio leiser, ging auf den Flur und klopfte an seine Tür. Als er sie öffnete, begann Alisons Herz zu rasen, und sie atmete schneller. Du meine Güte, der Mann war weder Brad Pitt, Tom Cruise oder Keanu Reeves noch eine Kombination aus allen dreien. Warum reagierte sie dann so? Sein Gesicht war markant, fast hart, aber das Blau seiner Augen hatte etwas Sanftes und ließ ihn sensibel und ein wenig verletzlich wirken. Das dunkle Haar war nach hinten gekämmt und saß tadellos. Sein weißes Seidenhemd und die Paisley-Krawatte betonten die breiten
Schultern und die schmale Taille. Er besaß zwar nicht die Figur eines Football-Spielers, aber er sah gut aus. Verdammt gut. Zum Glück dauerte dieser Aushilfsjob nur eine Woche. Es würde eine lange Woche werden. "Ja?" sagte er schließlich. "Oh." Sie riß sich aus der Erstarrung. "Hi. Ich kann Ihre Notizen nicht entschlüsseln. Die Abkürzungen sind irgendwie rätselhaft." "Das tut mir leid", erwiderte er und ging an ihr vorbei. Er sieht nicht nur gut aus, er duftete auch noch gut, dachte sie, während sie ihm zu ihrem Schreibtisch folgte. Jared beugte sich zum Bildschirm hinab, und sie blieb in sicherer Entfernung stehen. "Oje. Ich habe ganz vergessen, daß dieser Fall auch noch dabei war." Sie zog die Augenbrauen hoch. "Ist irgend etwas nicht in Ordnung?" Mit einem verlegenen Lächeln drehte er sich zu ihr um. "Diese Informationen müssen alle streng vertraulich behandelt werden, das wissen Sie doch hoffentlich." "Natürlich", erwiderte sie spitz. "Tempmates garantiert äußerste Diskretion. Wenn ich dieses Büro verlasse, vergesse ich jeden Namen, den ich hier gehört oder gelesen habe." Diesmal zog er die Augenbrauen hoch. "Der Ehemann meiner Klientin hat mit ihr an einem ... Wochenendseminar teilgenommen, bei dem es um ... nun ja, um Sex ging." Alison spürte, wie sie errötete. Dieses Wort aus seinem Mund zu hören war einfach zu verführerisch. "Meine Mandantin hat es erst gemerkt, als sie schon dort waren. Sie blieb und ... machte mit, um ihm einen Gefallen zu tun. Er verliebte sich in eine andere Frau und beging Ehebruch. Meine Mandantin fühlte sich erniedrigt und bekam schwere Depressionen", erklärte er und sah sie mit seinen großen, blauen Augen an.
"Aha. ,Ern' bedeutet ,erniedrigt', und ,Depr' sind Depressionen?" "Genau." Sie reichte ihm die Ausdrucke der Anträge, die sie bereits erledigt hatte. "Hier, die können Sie sich schon mal ansehen." "Die sind schon fertig?" fragte er erstaunt und nahm sie. "Natürlich." Sie setzte sich und starrte auf den Bildschirm. "Mal sehen, ob ich alles richtig verstanden habe. Ich soll also schreiben, daß Ihre Mandantin gegen ihren Willen an einem ... Sex-Wochenende teilgenommen hat? Meine Mom würde sich im Grab umdrehen, wenn sie wüßte, was ich hier tue." Tut mir leid, Mom, dachte sie und schickte ihrer äußerst lebendigen Mutter eine stumme Entschuldigung nach New York. Er schmunzelte. "Es gibt Schlimmeres, aber so ist das nun einmal im Scheidungsgeschäft." "Ich erspare mir einen Kommentar", sagte Alison und begann im Takt des Kap-Songs zu tippen, der aus dem Radio kam. Es fiel ihr schwer, sich auf den Text zu konzentrieren, denn Jared stand direkt hinter ihr, und sie spürte seine Körperwärme. "Die sind großartig", lobte er und legte die Anträge auf den Schreibtisch. "Offenbar kennen Sie sich mit solchen Sachen aus..." Schließlich habe ich lange genug Jura studiert, dachte sie. "Darf ich fragen, warum Sie Aushilfsjobs machen?" Das wurde sie oft gefragt. "Ich bin gern flexibel", antwortete sie. "Wenn ich nicht arbeiten will, muß ich es nicht." "Sie sind also verheiratet?" Verdutzt sah sie ihn an. "Wie kommen Sie denn darauf?" "Nun ja, von Aushilfsjobs allein können Sie doch bestimmt nicht leben, also haben Sie einen Ehemann, der Sie ernährt." Sie lachte. "Nein, ich habe keinen Ehemann."
Sein Lächeln war atemberaubend. Dann runzelte er die Stirn, und selbst das war irgendwie süß. "Die Agentur scheint gut zu zahlen." "Ihr Wort in Gottes Ohr", sagte sie. "Aber es hat seine Vorteile. Wenn mir ein Job nicht gefällt, rufe ich die Agentur an, und die schickt jemand anderen." Sie jobbte immer bei einer Agentur, wenn sie für das Zeugenschutzprogramm eine Gegend erkundete. Außerdem konnte sie auf diese Weise herausfinden, was für Jobs es für diejenigen gab, die mit einer neuen Identität untertauchen mußten. Das war wesentlich effektiver, als in einem FBI-Büro herumzusitzen und die Zeitungen zu durchforsten. Hinzu kam, daß das Zeugenschutzprogramm aus Sicherheitsgründen vom Rest des FBI getrennt operierte. "Aber wenn Sie nicht arbeiten, verdienen Sie auch kein Geld", wandte er ein. "Geld ist nicht alles." "Erklären Sie das mal dem Finanzamt." Sie lachte. "Und Sie haben keinen sicheren Arbeitsplatz. Und keine Aufstiegschancen." "Ich will gar keine, Karriere machen", erwiderte sie. "Und heutzutage ist meine Arbeit sicherer als die von Leuten, die seit zwanzig Jahren in einem Betrieb sind. Wer entlassen wird, muß sich erst lange um eine neue Stelle bewerben. Ich brauche nur anzurufen und fange am nächsten Tag woanders an." "Sie sind ein richtiger Zugvogel, was?" Sie zuckte mit den Schultern. Natürlich konnte sie ihm unmöglich erzählen, wer ihr eigentlicher Arbeitgeber war und daß sie zum FBI gegangen war, weil ihr Vater gegen die Mafia ausgesagt hatte und deshalb ermordet worden war. Ihre Mutter hatte sie kurz danach zur Adoption freigegeben. Das Zeugenschutzprogramm war Alison ausgesprochen wichtig, und
sie liebte ihre Arbeit auch deshalb, weil sie auf diese Weise weit herumkam. "Hätten Sie Interesse an einem festen Job?" fragte er. Sein Blick ließ sie zögern. Sie hatte das Gefühl, daß er sie nicht nur nach einem Job fragte. "Nein", erwiderte sie. Als er noch etwas sagen wollte, ging die Kanzleitür auf, und eine junge Frau eilte herein. "Hi, Leute. Wie läuft's denn so? Wow! Musik! Ein Wunder ist geschehen." "Hi, E.J.", antwortete Jared. "Das ist Alison Palmer von Tempmates. Alison, dies ist Elizabeth Jane Spano, unsere Bürochefin. Sie wird lieber E.J. genannt." E.J. war in Alisons Alter, etwa dreißig, rundlich, mit Brille und dunklem Haar. Sie gab Alison die Hand. "Hi. Lieb von Ihnen, daß Sie gekommen sind. Ich hätte lieber das schöne Wetter genossen. Es ist herrlich draußen." "Warum sind Sie dann hier?" fragte Jared. "He, das kostet Sie jede Menge Überstunden." E.J. grinste. "Wozu mache ich schließlich die Gehaltsabrechnungen? Wie läuft es denn so, Alison? Kommen Sie zurecht, oder hat er Sie schon völlig durcheinandergebracht?" "Ich komme zurecht", erwiderte Alison. Irgendwie mochte sie diesen Wirbelwind auf zwei Beinen. E.J. nahm einen der Anträge, die Alison bereits geschrieben hatte, und überflog ihn. "Das ist gut, Alison. Wollen Sie hier anfangen?" "Nein, danke." Lächelnd machte Alison sich wieder an die Arbeit. "Das habe ich sie auch schon gefragt", meinte Jared. E.J. lachte. "Hätte ich mir denken können." Alison errötete. Sie hätte sich treten können, aber es kam ganz automatisch. "E.J., geh nach Hause", sagte Jared mit gespielter Verärgerung.
"Sie sind ein Schatz. Ich hole nur rasch ein paar Sachen aus meinem Schreibtisch, dann muß ich zu einem Picknick mit Nicks Familie. Ehrlich gesagt, ich würde lieber arbeiten." Dann schlenderte sie davon. Jared schüttelte den Kopf. "Ich weiß wirklich nicht, warum ich diese Frau so mit mir umspringen lasse." Das hätte Alison auch gern gewußt. Vermutlich war E.J. einfach eine tolle Bürochefin. "Falls Sie etwas brauchen, rufen Sie mich", meinte Jared und schaute ihr noch einen Moment über die Schulter.' "Okay", erwiderte sie nur, ohne aufzusehen. Endlich ging er hinaus. Als sie hörte, wie er die Tür hinter sich schloß, seufzte sie erleichtert. Sie sollte sich jetzt lieber auf ihren Job konzentrieren. Auf beide Jobs. Je früher sie das hier hinter sich brachte, desto besser. Als es an der Tür klopfte und E.J. den Kopf hereinstreckte, sah Jared auf. "He, Boß", sagte sie und kam herein. "Wie finden Sie Alison? Können Sie eine Woche mit ihr leben?" "Ich könnte für immer mit ihr leben", erwiderte er, nur halb im Scherz. "Wenn Sie gut mit ihr klarkommen, dann bieten Sie ihr doch Elises Stelle an." "Sie sieht aus wie ein Hippie, nicht wie eine Anwaltssekretärin", bemerkte E. J. "Na und? Heute ist schließlich ein Feiertag. Sie tragen doch selbst ein T-Shirt mit der Aufschrift ,Die andere Frau meines Ehemanns ist normal', uralte Shorts und Gesundheitssandalen." "Wie Sie schon sagten, es ist Feiertag, und ich muß zum Picknick. " Sie lächelte. "Ich wollte Sie nur testen. Wer trägt denn hier immer Anzug und Krawatte? Aber morgen sollte sie sich etwas gesetzter kleiden, sonst wird sie hier nicht alt. Die letzten beiden Aushilfen waren nach zwei Tagen wieder draußen. Wenn sie es länger schafft, heiraten wir sie, okay?"
Jared verzog das Gesicht. E.J. konnte ja nicht ahnen, was ihm herausgerutscht war, als er Alison Palmer zum ersten Mal gesehen hatte. "Einverstanden. Aber sie ist wirklich gut. Und Elise hat ein ziemliches Chaos hinterlassen. Die Anträge hätten längst bei Gericht sein müssen." "Ich weiß. Warten Sie nur, bis Robert morgen kommt. Wenn Alison erst unseren Seniorpartner kennenlernt, sucht sie bestimmt das Weite, wetten?" Jared lachte. Robert Davis, Sohn eines der Gründer von Davis, Hansen und Davis, war ein pingeliger, streitlustiger und strenger Mann, der seine Untergebenen gern einschüchterte. E.J. hatte den Stier gleich am ersten Tag bei den Hörnern gepackt und noch immer nicht losgelassen. Es machte Spaß, ihr dabei zuzusehen. "Ich verschwinde", sagte E.J. "Gehen Sie eigentlich je nach Hause, Jared? Oder mit einer Frau aus? Schlafen Sie ab und zu mal mit einer Mandantin? Tun Sie irgend etwas, das Sie zu einem normalen Menschen macht?" "Nur, wenn es sein muß", meinte Jared. "E.J., Sie wissen doch, daß hier bald eine Seniorpartnerschaft frei wird. Dafür arbeite ich, seit ich hier angefangen bin. Heiraten kann ich später immer noch." "Passen Sie auf, daß Sie kein alter, mürrischer Knacker werden, Jared Holiday." Sie öffnete die Tür. "Und ich habe gar nicht von Heirat gesprochen, sondern von Sex: Gönnen Sie sich hin und, wieder welchen. Sie werden sich besser fühlen." Weg war sie. Seufzend studierte Jared seine Notizen ... oder versuchte es wenigstens. Bilder von Alison tanzten vor seinen Augen und verbanden sich mit E.J.s Ratschlag zum Sex. "Kaffee", murmelte er. Genau das brauchte er, wenn er wieder einen klaren Kopf bekommen wollte. Er schlich sich in die Küche, denn er wollte Alison nicht begegnen. Für heute hatte er schon genug Streß gehabt. Ja, daran
mußte es liegen, daß er sich heute selbst nicht wiedererkennen konnte. Zum ersten Mal in seinem Leben litt er unter Streß. Normalerweise blühte er in 60-Stunden-Wochen erst so richtig auf und genoß Situationen, in denen er Höchstleistungen erbringen mußte. Jetzt zahlte er den Preis dafür. "Verdammt, ich bin doch erst sechsunddreißig", knurrte er. Er hatte sich gerade einen Becher Kaffee eingeschenkt, als Alison hereinkam. Jared drehte sich um, und sie blieb in der Tür stehen. Der Streß traf ihn wie eine Dampfwalze. "Habe ich Sie erschreckt?" fragte sie und ging weiter. "Ich hole mir gerade einen Kaffee." Etwas Intelligenteres fiel ihm nicht ein. "Ich wollte nur eine kurze Pause machen. Es ist Mittag." Jared sah auf die Uhr. "Kein Problem." Kein Problem? Er hatte eins. Ein gewaltiges sogar. Sie. Sie lächelte und sah aus wie ein sommersprossiger Engel. "Mein Magen dankt Ihnen." "Gern geschehen." Als sie an ihm vorbeiging, um ihren Wasserkocher zu füllen, hinterließ sie einen zarten Dufthauch. Ihre Lippen waren eine einzige Herausforderung ... und er sehnte sich danach, sie unter seinen zu spüren ... zu fühlen, wie sie sich seinem Kuß öffneten. "E.J. hat gesagt, ich könnte zum Mittagessen gehen, wann ich will. Ist das okay?" "Natürlich."
2. KAPITEL Alison holte tief Luft, strich den Rock glatt und öffnete die Tür von Davis, Hansen und Davis. Gestern war sie überhaupt nicht nervös gewesen. Heute zitterten ihre Hände. Der Grund war klar. Jared Holiday. "Kann ich Ihnen helfen?" fragte die junge Frau am Empfang und nahm den Blick von einer hektisch blinkenden Telefonanlage. Gestern hatte niemand angerufen. "Ich bin die Aushilfe für Jared Holiday." "Ich wußte gar nicht, daß er eine braucht." "Elise hat gekündigt", erklärte Alison. "Wirklich?" "Alison! Danke, Mary." E.J. kam angeeilt. In ihrem grünen Kostüm sah die Bürochefin höchst konservativ aus, und Alison war froh, daß sie den schwarzen, knielangen Rock und die schlichte weiße Bluse angezogen hatte. E.J. nahm ihren Arm und zog sie vom Empfang fort. "Du liebe Güte, heute morgen ist hier mal wieder was los! Ich hasse Feiertage." "Tut mir leid, daß ich zu spät komme, aber ich bin im Stau steckengeblieben", entschuldigte sich Alison. Sie hätte schon vor fünfzehn Minuten hier sein müssen.
"Kein Problem. Hören Sie, Sie müssen die Anträge, die Sie gestern für Jared geschrieben haben, zum Gericht bringen, er braucht sie dort heute. Die Mitarbeiterin, die dafür zuständig ist, hat sich gerade krank gemeldet." "Ich muß nur noch einen schreiben, dann bin ich damit durch." "Großartig. Bis Mittag müssen sie dort vorliegen. Jared wird vor Richter Butkowskis Saal auf Sie warten. Raum 143." "E.J., die Post liegt nicht auf meinem Schreibtisch." E.J. drehte sich um, Alison ebenfalls. Vor ihnen stand ein hochgewachsener Mann in den Fünfzigern. Er trug einen schwarzen Anzug und eine gestreifte Krawatte. Sein Blick war eisig und durchdringend. Alison fühlte sich wie auf dem Prüfstand. Der Mann war ihr unsympathisch. "Die Post ist noch gar nicht da, Robert", erwiderte E.J. kühl. "Ach so ... und was ist mit der vom Samstag?" "Wir haben den Boten gebeten, die Post vom Samstag erst am nächsten Werktag auszuliefern, weil am Wochenende immer einzelne Sendungen aus dem Briefkasten gestohlen wurden." "Richtig. Sorgen Sie aber bitte dafür, daß ich meine Post bekomme, sobald sie eintrifft." "Natürlich, Robert", sagte E.J. zuckersüß. Robert musterte Alison. "Wer ist das?" Alison mußte sich zusammennehmen, um ihrem Vorgesetzten keine patzige Antwort zu geben. "Alison Palmer, Jareds Aushilfe. Alison, das ist Robert Davis, der leitende Seniorpartner." "Hallo", sagte Alison lächelnd und streckte die Hand aus. Davis zögerte, bevor er sie kurz schüttelte. "Hallo." Er sah E.J. an. "Warum weiß ich nichts davon? Und wo ist Elise?" "Elise hat gekündigt, um mit einem reichen Typen durchzubrennen." "Durchzubrennen?"
"Ja, durchzubrennen. Am Freitag." E.J. schnaubte. "Als Sie bereits, im verlängerten Wochenende waren." "Oh" Alison verbarg ihr schadenfrohes Lächeln hinter vorgehaltener Hand. E.J. ließ sich offenbar von niemandem einschüchtern. "Ich brauche ein paar Akten, E.J. ..." "Sie haben doch eine Sekretärin, Robert. Ich muß das Büro leiten. Dafür werde ich bezahlt." E.J. ließ den Firmenchef einfach stehen und zog Alison mit sich. "Er geht mir auf die Nerven", flüsterte sie. "Wenn er was von Ihnen will, kommen Sie einfach zu mir." "Okay." Alison holte ihren Wasserkocher und ging in die Küche. Sie brauchte Tee. Zurück an ihrem Schreibtisch, sah sie zu Jareds geschlossener Tür hinüber. Der gestrige Tag kam ihr vor wie ein Traum - vor allem ihre teenagerhafte Reaktion auf Jared Holiday. Alison konzentrierte sich auf ihre Arbeit, schrieb den letzten Antrag und sammelte die Unterlagen ein, die sie wegbringen sollte. Das Gerichtsgebäude von Chester County war ein flaches, nüchternes Bauwerk. Alison hatte keine Mühe, den richtigen Saal zu finden. Das Gericht tagte noch. Sie setzte sich auf eine Bank und wartete, den Stapel Anträge auf dem Schoß. Nach einer Weile ging die Tür auf. Eine Frau in einem perfekt sitzenden Designerkleid kam heraus - an Jareds Arm. "Sie waren wunderbar, Jared", säuselte sie und machte ihm schöne Augen. "David hat wirklich geglaubt, er könnte das Konto vor mir verheimlichen." Jared tätschelte ihre Hand. "Ich bin doch hier, um für Sie zu kämpfen, Barbara." "Ohne Sie wäre David damit durchgekommen. Gehen Sie doch morgen mit mir essen."
"Ich kann leider nicht. Es gibt noch andere Frauen in Ihrer Lage, und ich muß eine Menge Anträge einreichen." Jared lächelte Alison zu. Ihr Herz klopfte, und die Eifersucht, die sie empfunden hatte, verschwand schlagartig. Dieser Mann bringt mich noch um den Verstand, dachte sie. "Ich verstehe", erwiderte die Frau mit ehrfurchtsvollem Blick. Alison fragte sich, ob er es ausnutzte, wenn seine Mandantinnen ihn anhimmelten. Sie hoffte es, und gleichzeitig hoffte sie es auch nicht. Sie wollte etwas finden, das sie an ihm verachten konnte. Andererseits taten ihr die Frauen leid - und eigentlich wollte sie ihn gar nicht verachten. "Hi", begrüßte Jared sie, nachdem er die Frau verabschiedet hatte. "Hi". Alison stand auf. Die Anträge fielen zu Boden. Jared half ihr, sie aufzusammeln. Wenigstens stießen sie nicht mit den Köpfen zusammen. "Geschieht so etwas nicht nur im Film?" murmelte sie. "Das kommt auf den Film an", erwiderte er lächelnd. "Irgendwie wußte ich, daß Sie das sagen würden." Sie richtete sich auf, und er nahm ihr die Hälfte des Stapels ab. "Kommen Sie, wir müssen zu Richter Butkowskis Sekretärin." Er führte sie in den Gerichtssaal. Eine junge schwarze Frau, die Alison an E.J. erinnerte, lächelte ihnen entgegen. "Na, schon wieder da, um einen armen Ehemann in den Ruin zu treiben?" sagte sie zu Jared. "Yolanda, Sie haben kein Herz", antwortete er. "He, warum sollte ich? Die Frauen waren schließlich dumm genug, diese Kerle zu heiraten." Yolanda musterte Alison. "Wer ist die hübsche Lady? Erzählen Sie mir nicht, Sie haben endlich eine Freundin. Glückwunsch, Mr. H." Alison errötete. Langsam wurde es chronisch.
Aber jetzt wußte sie, daß er nicht verheiratet war. "Nein, Yolanda. Das ist Alison, meine Aushilfe. Elise ist mit einem Mann durchgebrannt." "Spätestens Weihnachten ist sie zurück. Als Ihre Mandantin." Yolanda grinste Alison an. "Geben Sie mir die Anträge." "Danke." Sie übergab Yolanda den Stapel, und Jared legte seinen darauf. Er schien die junge Schwarze trotz ihrer forschen Art zu mögen. Das verriet eine Menge über ihn, fand Alison. "Geschenke für den Richter", murmelte Yolanda und verzog das Gesicht. "Das wird ihn freuen. Noch mehr Arbeit. Alle für den nächsten Monat?" Jared nickte. "Bitte." "Ziemlich knapp." "Ohne Alison hätte ich es gar nicht geschafft." Er lächelte ihr dankbar zu. Alison wäre fast dahingeschmolzen. "Und jetzt ab mit Ihnen", sagte Yolanda. "Ich habe in zwei Minuten Pause." Vor dem Gerichtssaal blieb Jared stehen. "Kommen Sie, ich lade Sie zum Essen ein." Alison zögerte. Mit ihm essen zu gehen war einfach zu riskant. "Sie haben auf einen Feiertag verzichtet, um bei mir zu arbeiten", sagte er. "Dafür möchte ich mich revanchieren." Sein Lächeln wurde noch wärmer. "Außerdem bin ich Ihr. Chef. Niemand wird Sie anschnauzen, weil sie zu spät kommen." Alison lächelte zurück. "Das überzeugt mich." "Habe ich mir gedacht." Alison in Sam's Deli gegenüberzusitzen fühlte sich irgendwie ... richtig an, selbstverständlich und doch spannend. Die Nische sorgte dafür, daß sie einander nicht berührten. Er sah zu, wie sie in ein großes Sandwich biß, und fand jede ihrer Bewegungen
faszinierend. So sehr, daß sein Herz schneller schlug und sein Blutdruck stieg. Er sollte sich wirklich mal untersuchen lassen. "Wie sind Sie eigentlich Scheidungsanwalt geworden?" fragte sie unvermittelt. "Ich habe Jura studiert." "Okay, ich formuliere die Frage anders. Wollten Sie von Anfang an Scheidungen abwickeln?" "Nein. Ich wollte große Unternehmen vertreten und viel Geld verdienen. Als ich bei Davis, Hansen und Davis anfing, spezialisierte ich mich auf Wirtschaftsrecht, aber dann wurde eine Juniorpartnerschaft für Scheidungsrecht frei, und ich bewarb mich. Ich wollte endlich eigene Fälle bearbeiten und stellte schnell fest, daß es mir Spaß machte." Er lächelte. "Inzwischen verdiene ich mehr als die meisten Wirtschaftsanwälte in meinem Alter." "Also gefällt Ihnen Ihre Arbeit, und das Geld stimmt auch?" "Ja. Außerdem helfe ich gern Menschen. Oft vertragen sich die Ehepaare wieder, anstatt sich scheiden zu lassen. Ich sorge immer dafür, daß sie alle Möglichkeiten ausschöpfen, bevor ich vor Gericht gehe." Jared beließ es dabei, obwohl es mehr zu erzählen gab. Als er ein Kind gewesen war, hatte seine Großmutter ihren Mann betrogen. Alle machten ihr Vorwürfe, nur er nicht. Sein Großvater war ein herrschsüchtiger Mann, der stets an seiner Frau herumnörgelte. Jareds Cousins Peter, Michael und Raymond störte das nicht, aber er selbst verstand seine Großmutter. Sie weinte an seiner Schulter und bat ihn um Verzeihung. Natürlich verzieh er ihr. Sie war doch seine Oma. Eines Tages, so meinte sie zu ihm, würde er einer Frau begegnen und sich auf der Stelle in sie verlieben, und dann würde er alles verstehen. Leider hatte der andere Mann ihre Liebe nicht erwidert, und das war die eigentliche Tragödie. Sie hatte sich fast das Leben genommen.
Seitdem hielt Jared nichts von Liebe auf den ersten Blick. Aber jetzt bei Alison ... Vergiß es, befahl er sich streng. Bei den Fällen, die er als Anwalt erlebt hatte, war es nicht um Liebe, sondern um Hormone gegangen. Liebe auf den ersten Blick gab es nicht. Aber er sollte vielleicht mal sein Herz durchchecken lassen. Es fing schon wieder an verrückt zu spielen. "Ich muß jetzt zurück", sagte Alison. "E.J. wundert sich bestimmt schon." "Warten Sie doch noch, bis ich fertig bin", bat er. Es war eine angenehme Pause gewesen. Sie hatten nett geplaudert, sich gut verstanden, und er genoß es, Alison anzusehen. Obwohl sie heute korrekter gekleidet war, fand er ihre Figur noch immer verlockend. "Machen Sie sich wegen E.J. keine Sorgen. Ich werde ihr sagen, daß ich Sie zu Sam's eingeladen habe." Sie lächelte. "Danke. Und danke für das Essen." Kurz darauf kehrten sie getrennt in die Kanzlei zurück. Alison fuhr einen recht neuen Fiero. Das erstaunte ihn. Er fand, daß ein alter VW-Käfer besser zu ihr gepaßt hätte als ein modernes Coupe. Was Alison betraf, hatte er ein gutes Gefühl. Wenn er jetzt die Liste herausholte, auf der er vor Jahren die Eigenschaften seiner Traumfrau festgehalten hatte, würde Alison bei den meisten Punkten bestimmt gar nicht so schlecht abschneiden. Plötzlich ging ihm auf, daß sie ihm noch gar nicht erzählt hatte, woher sie kam. Danach mußte er sie also noch fragen. Nach einer Weile hielt er es nicht mehr aus und ging unter dem Vorwand, etwas nachschlagen zu müssen, zu ihr. "Was haben Sie eigentlich alles in Ihrer Umhängetasche?" fragte er wie beiläufig. "Oder ist das geheim?" "Nein." Sie lachte. "Meinen Wasserkocher, Tee, etwas Obst, ein Radio, die Tageszeitung und ein Buch." "Wirklich? Wozu brauchen Sie das alles?"
"Ich weiß nie, was mich bei einem Job erwartet, also bin ich immer auf alles vorbereitet. Wenn ich nur aufs Telefon aufpassen muß, kann ich dabei lesen. Hier habe ich genug zu tun, und morgen werde ich die Sachen wohl zu Hause lassen." Hinter der Fassade der Märchenprinzessin verbarg sich also eine höchst praktische Person. Jared wurde das Gefühl nicht los, daß Alison noch eine ganze Menge Überraschungen parat hatte. E.J. hatte ihm bereits von Roberts Auftritt erzählt, und Jared wollte Alison sagen, daß sie sich wegen des Seniorpartners keine Sorgen zu machen brauchte. Als er sich vorbeugte, um ihr tröstend über den Arm zu streichen, drehte sie sich zu ihm um und dort, wo gerade eben noch ihr Arm gewesen war, befand sich plötzlich ihre Brust. Er zuckte zurück, als hätte er sich die Finger verbrannt. Sein Herz schlug wie wild, und er zitterte am ganzen Körper. Zugleich faszinierte es ihn, wie perfekt die kleine Brust in seine Hand gepaßt hatte. Hastig stammelte er eine Entschuldigung. "Oh, es ... tut mir leid. Ich ... ich wollte Ihren Arm berühren ... und nicht..." "Schon gut", sagte Alison, obwohl ihr Gesicht glutrot war. "Ich weiß, daß es ein Versehen war." Sie sah an ihm vorbei. Jared wollte sich ebenfalls im Großraumbüro umschauen, hatte aber Angst, dadurch noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen. "Hat jemand es mitbekommen?" fragte er leise. "Nein." "Alison, es tut mir wirklich ..." "Ist schon okay", unterbrach sie ihn. Er wußte nicht, was er noch sagen konnte, ohne die Situation noch peinlicher zu machen. Also flüchtete er in sein Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Hatte er jetzt alles kaputtgemacht? Sein Herz begann wieder zu klopfen, und er starrte auf seine zitternden Finger. In all den Jahren hatte er noch nie eine
Mitarbeiterin so berührt, weder absichtlich noch aus Versehen. Und irgendwie hoffte er insgeheim, daß ihm ein solches Mißgeschick noch einmal unterlaufen würde. An diesem Abend saß er auf der gepolsterten Liege und versuchte das kalte Metall an seiner Brust zu ignorieren. "Ausatmen", befahl der Arzt. Jared atmete aus. Dave klopfte ihm die Brust ab und richtete sich wieder auf. "Klingt gut, Jared. Die Ergebnisse des Belastungstests sind auch in Ordnung, und der Blutdruck ist völlig normal. Sie sind in guter Form." Jared war nicht sicher, ob er sich freuen oder enttäuscht sein sollte. Er entschied sich für die Enttäuschung. Ein körperlicher Defekt wäre beruhigender gewesen. "Ich wollte nur sichergehen", sagte er. "Die letzte Untersuchung ist eine ganze Weile her." "Am Telefon hörten Sie sich ziemlich besorgt an." "Nun ja ..." Er zuckte mit den Schultern. Obwohl er Alison den Rest des Nachmittags aus dem Weg gegangen war, hatte sein Körper sich von der unabsichtlich intimen Berührung immer noch nicht erholt. "Sie sollten bei der Arbeit etwas kürzer treten", meinte Dave. "Falls Sie noch Urlaub haben, sollten Sie ihn jetzt nehmen." Leider hatte Jared keine Zeit für Urlaub. "Mal sehen", sagte er halbherzig und glitt von der Liege. Die eine von zwei möglichen Erklärungen für seinen ungewöhnlichen Zustand hatte sich erledigt. Die andere beunruhigte ihn zutiefst. Vielleicht würde Alison Palmer nach dem heutigen Vorfall nicht wieder zur Arbeit kommen. Jared wußte nicht, was er dann tun würde.
3. KAPITEL Alison setzte sich an ihren Schreibtisch und fragte sich, warum sie überhaupt wiedergekommen war. Aber dieser Job dauerte nur noch drei Tage, und dann würde sie Jared Holiday für immer aus ihrem Leben streichen. "Guten Morgen." Sie drehte den Kopf - nur den Kopf, denn heute durfte es keine versehentlichen Berührungen an empfindlichen Stellen geben. "Guten Morgen", erwiderte sie so unbeschwert wie möglich, obwohl seine Nähe ihr unter die Haut ging. Wie schaffte er es nur, sie so aus der Fassung zu bringen? Jared lächelte. "Ich freue mich, Sie wiederzusehen." Alison schluckte. Er klang so verführerisch. "Heute nachmittag kommt eine Mandantin", sagte er und war froh, über die Arbeit reden zu können. "Nehmen Sie Diktate auf?" "Nein. Nur vom Band." "Kein Problem. Normalerweise schreibt E.J. mit, aber sie muß zum Zahnarzt." "Ich kann sehr schnell schreiben, wenn es sein muß." Alison lächelte. "Vielleicht kann ich es hinterher nicht lesen, aber ich bin richtig schnell."
"Das kriegen wir schon hin. Ich muß heute vormittag ins Gericht. E.J. wird Ihnen nachher ein paar Unterlagen geben, die Sie mir dann bringen müssen. Ich lade Sie zum Essen ein. Ich glaube, das bin ich Ihnen schuldig." "Heute ist mein Fastentag", sagte sie und war froh darüber. "Ihr was?" fragte er verblüfft. "Mein Fastentag", wiederholte sie. "An einem Tag esse ich, was ich will, am nächsten faste ich. Na ja, ich esse dann nur Obst und Gemüse." "Im Ernst?" "Im Ernst." Sie schob sich das Haar von der Schulter. "Es ist eine Methode, die ich nicht jedem empfehlen würde, aber bei mir funktioniert sie. Ich fühle mich wohl dabei." Bei ihrem rastlosen Lebensstil trieb sie nicht annähernd soviel Sport, wie sie wollte. Ihre Obsttage halfen ihr, das vom FBI vorgeschriebene Gewicht zu halten, das sie aufweisen mußte, wenn sie an der Akademie in Quantico die jährlichen Auffrischungskurse absolvierte. "Wir können ja ein anderes Mal essen gehen", tröstete sie ihn. "Sicher." Bedeutungslose Worte. Er ging hinaus, und Alison seufzte. Ihre erste Begegnung nach der unbeabsichtigt intimen Berührung hätte schlimmer ausfallen können. Dann kam Jared wieder zurück. Alison hob den Kopf. Er reichte ihr einen Stapel geöffneter Briefe. "Bitte verfassen Sie hierauf Antwort- oder Dankesschreiben", bat er. "Ich habe das Wichtigste jeweils oben notiert, bringen Sie es einfach in eine höfliche Form. Wenn Sie sich irgendwo unsicher sind, legen Sie den Brief einfach beiseite, bis wir ihn zusammen durchgehen können. Wollen Sie heute wirklich nicht essen gehen?" Sie lächelte. "Wirklich nicht."
"Jeden zweiten Tag, was?" "Jeden zweiten Tag." "Ich wette, Sie kennen sämtliche Obstsorten." "Von Kiwi bis Banane." Kurz darauf fuhr er zum Gericht. Eine halbe Stunde später erschien E.J. mit den Unterlagen, die Alison ihm bringen sollte. "Lassen Sie sich danach ruhig Zeit", sagte die Büroleiterin. "Bummeln Sie durch Nordstrom's. Gehen Sie bei BaskinRobbins ein Eis essen. Oder probieren Sie bei Moglio Schuhe an." "Leider kann ich mir diese Woche keinen Einkaufsbummel leisten", sagte Alison lächelnd. "Honey, Sie brauchen sich doch gar nichts zu kaufen. Bleiben Sie einfach nur noch eine Weile weg, damit Robert sich ordentlich ärgert." E.J. lachte schadenfroh. "Das habe ich auch mal gemacht, nachdem er mich genervt hatte. Ehrlich, wenn Sie Ihre Mittagspause heute vorverlegen wollen, können Sie das gern tun." "Okay." "Roberts Sekretärin ist heute nachmittag verhindert, also werden Sie auch seine Post erledigen müssen, wenn Sie wiederkommen", fuhr E.J. fort. "Na schön", erwiderte Alison. "Aber Jared hat mich gebeten, bei einem Gespräch mit einer Mandantin Notizen zu machen." E.J. machte eine wegwerfende Handbewegung. "Kein Problem. Bis dahin sind Sie längst fertig." "Okay." "Sie werden das Gespräch bestimmt interessant finden." E.J. lächelte vielsagend. "Schade, daß ich zum Zahnarzt muß." Alison gefiel E.J.s Tonfall nicht, aber sie dachte gar nicht daran, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, sondern konzentrierte sich statt dessen auf die Arbeit. Diesmal fand sie das Gerichtsgebäude ohne Mühe und setzte sich auf die Bank vor Saal 143.
Wenig später kam Jared mit einer Frau heraus, die ebenso attraktiv war wie die vom Vortag. Von einem Job wie seinem träumt vermutlich jeder Mann, dachte Alison und ärgerte sich über ihre Eifersucht. Behutsam löste Jared die Hand seiner Mandantin von seinem Arm und lehnte die unausweichliche Einladung zum Essen höflich ab. Als er Alison entdeckte, lächelte er. "Schön, daß Sie da sind." Sie stand auf, und zwar ohne die Unterlagen fallen zu lassen. "Die müssen zu Richter Marks. Sein Büro ist ein Stockwerk höher", sagte er und führte sie über eine Marmortreppe nach oben. Die Sekretärin war älter als ihre Kollegin vom Tag zuvor und wirkte äußerst mütterlich. "Guten Morgen. Sie haben etwas für Richter Marks?" Jared reichte ihr die Papiere. "Jane, dies ist Alison Palmer, meine Aushilfe. Elise hat gekündigt. Wegen eines Mannes", fügte er hinzu. "Treulose Tomate." Jane grinste. "Bevor das Jahr vorüber ist, wird sie Ihre Mandantin sein." "Genau das hat Yolanda auch gesagt." Jane lachte. "Hi, Alison." "Hallo, Jane. Ich freue mich, Sie kennenzulernen." Alison gab ihr die Hand. "Wie kommen Sie bei Davis, Hansen und Davis zurecht?" "Gut. Hoffe ich jedenfalls. Alle sind nett und geduldig", erwiderte Alison. "E.J. ist ein Engel. Grüßen Sie sie von mir," "Mache ich." Menschen wie E.J., Yolanda und Jane zu begegnen war die angenehme Seite ihres Auftrags, und manchmal sehnte sie sich danach, irgendwo Wurzeln zu schlagen, ein normales Leben zu führen und Frauen wie diese drei als Freundinnen zu haben.
Sie sah zu Jared hinüber, und aus der Sehnsucht wurde Verlangen. Hastig unterdrückte Alison es. Als sie das Gerichtsgebäude verließen, blieb er auf der Treppe stehen. "Sind Sie ganz sicher, daß Sie heute nicht essen gehen wollen?" "Ganz sicher. Trotzdem danke." Sie versuchte zu lächeln. "Wir sehen uns im Büro, okay?" "Okay." Er klang enttäuscht, aber sie wollte dem nicht zuviel Bedeutung beimessen. Sie bildete sich nicht ein, daß er sich mehr als ein kurzes Abenteuer erhoffte. Selbst das konnte sie sich in ihrer Situation nicht leisten, also hatte sie kein Interesse. Wirklich nicht? "Warten Sie. Sie essen heute Obst, stimmt's?" "Ja", bestätigte sie vorsichtig. Er nahm ihren Arm. "Ich spendiere Ihnen bei Sam's eine Kiwi." "Aber ich habe mein eigenes Obst mit." "Dann spendiere ich Ihnen das Mineralwasser dazu." Alison wußte nicht, wie sie seine Einladung jetzt noch ablehnen konnte. Sie wußte nicht einmal, ob sie es überhaupt wollte. "Woher kommen Sie eigentlich?" fragte er, während sie ihren Apfel aß und er sich seinen Cheeseburger mit Pommes frites schmecken ließ. "Aus Chicago. Ich bin oft umgezogen." "War Ihr Vater in der Armee?" "Nein. Wie kommen Sie darauf?" "Weil Sie so oft umgezogen sind." "Ach so. Nein, ich selbst bin viel umgezogen." Mehr sagte sie nicht. Jared hätte sie liebend gern ausgefragt, aber er hielt sich zurück. Bei dieser Frau mußte er sich Zeit lassen. Wenn sie ihm mehr über sich erzählen wollte, hätte sie es von sich aus getan.
"Wie gefällt Ihnen Philadelphia?" Eine harmlosere Frage war ihm nicht eingefallen. "Gut", erwiderte sie. "Es ist ganz anders, als ich erwartet hatte." "Haben Sie in Chicago auch als Anwaltssekretärin gearbeitet?" Sie zögerte. "Ja." "In welcher Kanzlei? Vielleicht kenne ich sie." "Ich habe für eine Agentur gearbeitet und viele verschiedene Jobs angenommen - Sekretärin, Filialleiterin in einem Supermarkt, Innenarchitektin, Buchhalterin ... Ich bin nie sehr lange in einer Firma geblieben." "Wie alt sind Sie?" Ihre Aufzählung erschreckte ihn ein wenig. Es hörte sich so ziellos an. "Dreißig." Sie lächelte. "Ich weiß, ich sehe jünger aus. Das höre ich dauernd. Es muß an den Sommersprossen liegen." Jared kniff die Lippen zusammen, um ihr nicht zu sagen, wie wunderschön er ihre Sommersprossen fand. Sie war dreißig, ein Single und lebte von Aushilfsjobs. Wie um alles in der Welt schaffte sie das? "Darf ich fragen, warum Sie es nie lange in einem Job ausgehalten haben? Oder ist das indiskret?" "Es steht mir frei, Ihnen zu antworten oder nicht", sagte sie und nahm den letzten Bissen von ihrem Apfel. "Ich schätze, ich habe noch keinen Job gefunden, in dem ich alt werden möchte. Außerdem habe ich es nicht eilig. Es macht mir Spaß so." Jared wünschte, er wüßte, wo sie wohnte. Er wollte viel mehr über ihr Privatleben erfahren. Sie machte ihn neugieriger als jede andere Frau, die er bisher kennengelernt hatte. Er wußte, daß er ihr gegenüber auf Abstand bleiben sollte. Körperlich, aber auch im Gespräch. Er hatte sich schon zweimal lächerlich gemacht, doch selbst das schreckte ihn nicht ab. In zwei Tagen würde sie wieder gehen. Was sollte er dann tun?
"Alison, das ist Mrs. Joan Markson", sagte Jared, als Alison am Nachmittag sein Zimmer betrat, um Notizen von seinem Gespräch mit der Mandantin zu machen. Die Frau legte die Stirn in Falten. "Es wäre mir lieber, wenn wir ohne Zuhörer reden könnten, Jared." "Alison ist keine Zuhörerin", versicherte er ihr, während er Alison bedeutete, sich in den zweiten Sessel zu setzen. "Sie ist meine Sekretärin." "Hallo, Mrs. Markson", sagte Alison. Die Mandantin schwieg einen Moment lang. Dann seufzte sie. "Na gut." Alison unterdrückte ein Lächeln. "Das freut mich", sagte Jared. "Denn ohne Alison können wir nicht weitermachen ... Und jetzt erzählen Sie mir, warum Sie sich scheiden lassen wollen", bat er sanft. "Es reicht mir", fauchte Joan Markson. "Jahrelang habe ich seine Affären toleriert, aber jetzt..." Sie warf Alison einen Blick zu. "Jetzt hat er zwei Freundinnen auf einmal. Zwei!" Zwei Freundinnen gleichzeitig, notierte Alison.' "Es ist widerlich!" entrüstete sich Mrs. Markson. "Er ist Gehirnchirurg, ein angesehener Bürger. Und er ist fünfzig, fett und hat eine Glatze. Der Mann braucht doch selbst eine Gehirntransplantation!" Alison biß sich auf die Lippe, um nicht zu lachen. Gehirnchirurg, fünfzig, fett, Glatze, schrieb sie und widerstand der Versuchung, hinzuzufügen, daß Dr. Markson eine Schraube locker hatte. Oder auch zwei. "Ich fühle mich so erniedrigt!" jammerte Mrs. Markson. "Meine Freundinnen tuscheln schon über mich. Ich weiß es." Jared griff nach ihrer Hand. "Ihre Freundinnen sollten Sie bewundern. Ihr Mann braucht gleich zwei Frauen, um Sie zu ersetzen." "Wirklich?" Sie hob den Kopf. "Finden Sie?"
"Ja." Jared zupfte ein Papiertuch aus dem Karton auf dem Schreibtisch, gab es Mrs. Markson und reichte Alison die Schachtel. Alison zog ein zweites Tuch heraus und hielt es der Mandantin hin. Sie sah aus, als könnte sie noch eins gebrauchen. Unter Tränen erzählte die Frau ihre Geschichte, die insgesamt sieben Seiten auf dem Stenoblock füllte. Als sie fertig war, fragte Alison sich, warum die Frau den Mistkerl überhaupt geheiratet hatte. Jared war ein mitfühlender Zuhörer. Er behandelte seine Mandantin höflich und respektvoll und fragte behutsam nach, wann immer sie stockte. Als ihm klar wurde, daß an eine Versöhnung nicht zu denken war, versprach er ihr, Dr. Markson seine Untreue heimzuzahlen. Die Freundinnen würden den Arzt teuer zu stehen zu kommen. Jared Holiday war eine Mischung aus ritterlichem Helden, verständnisvollem Vater und gnadenlosem Racheengel. Als die Besprechung vorüber war, hatte Mrs. Markson sich halb in ihn verliebt. Alison auch. "Ich will, daß George blutet", sagte Joan Markson, als Jared sie zur Tür brachte. "Ich habe lange genug zu ihm gehalten. Jetzt ist Schluß. Ich will ihm alles heimzahlen, Jared. Alles." "Sie werden zufrieden sein, Joan. Sehr zufrieden", versicherte Jared und winkte Alison zurück in den Sessel, als sie aufstehen wollte. Als er die Tür hinter der Mandantin geschlossen hatte, stieß er erleichtert den Atem aus und lächelte. "Danke. Ich hasse es, wenn ich diese Gespräche allein führen muß." "Kann ich mir denken", sagte Alison. "Es muß hart sein, sich anzuhören, was Ihre Geschlechtsgenossen alles anstellen." Jared lachte. "Und Dr. Marksons Anwalt hört sich garantiert gerade an, wozu Ihre Geschlechtsgenossinnen fähig sind." Sie lachte ebenfalls. "Was soll ich mit den Notizen machen?" "Vorläufig nichts. Ich habe ein Tonband mitlaufen lassen."
"Wozu war ich dann überhaupt hier?" "Für den Fall, daß das Gerät streikt." "Das macht Sinn." "Und weil Frauen sich mehr öffnen, wenn eine andere Frau anwesend ist. Vergessen Sie nicht, ich bin ein Mann, gehöre also eigentlich zum feindlichen Lager." "Aber Sie waren doch ein Vorbild an Mitgefühl und Verständnis." "Danke." Es klopfte an der Tür, und E.J. kam herein. "Tut mir leid, daß ich nicht da war, Jared. Oh, gut, Alison hat mich vertreten. Wie fanden Sie es?" "Höchst aufschlußreich", gab Alison lächelnd zu. "Jared ist ein toller Zuhörer und stellt genau die richtigen Fragen", sagte E.J. "Seinetwegen habe ich meine eigene Heirat um ein Jahr verschoben. Jared ist nicht nur deshalb noch Junggeselle, weil er soviel arbeitet. Er hört jeden Tag die übelsten Geschichten über kaputte Ehen. Kein Wunder, daß er nicht heiraten will." Lachend ging die junge Frau hinaus. "Es tut mir leid, daß Sie sich Mrs. Markson anhören mußten", sagte Jared, als sie wieder allein waren. "Es war unfair, Sie in eine so unangenehme Situation zu bringen." "Das gehört doch alles zum Job", erwiderte Alison. Er lächelte dankbar.
4. KAPITEL Das Einkaufszentrum war riesig. Alison parkte ihren Wagen und stieg aus. Der gewaltige Komplex aus Glas und Stahl lag mindestens eine Meile entfernt. Im Center bummelte sie durch Nordstrom's und kaufte sich ein blaues und ein schwarzes Kostüm, und beide kosteten mehr, als sie in dieser Woche bei Davis, Hansen und Davis verdient hatte. Gut, daß ich noch andere Einnahmequellen habe, dachte sie. Sie brauchte sie. Was sie nicht brauchte, waren diese beiden Kostüme. Warum kaufte sie sich für teures Geld ein Outfit, das zu Jareds Stil paßte? Alison beschloß, sich diese Frage lieber nicht zu beantworten. Aus reiner Neugier ging sie in die Einrichtungsabteilung. Für die Preise an den Möbeln und Teppichen hätte selbst ihr FBIGehalt nicht gereicht. "Na, wollen Sie den kaufen?" Erschreckt ließ sie die Ecke des armenischen Teppichs fallen und drehte sich um. Es war Jared. In einem weißen Hemd und Blue Jeans sah er noch attraktiver aus als im Anzug. "Hi", sagte er. Alison atmete tief durch. "Hi."
Er lächelte, und sie starrte auf seine Lippen. Die Lachfalten an den Mundwinkeln ließen ihn jungenhaft wirken. "Und? Wollen Sie ihn kaufen?" wiederholte er. "O nein", erwiderte sie kopfschüttelnd. "Ich sehe mich nur etwas um." "Haben Sie als nächstes einen Job bei einem Innenarchitekten?" Bei einem Innenarchitekten? Richtig, sie hatte ihm erzählt, daß sie mal bei einem gejobbt hatte. "Nein, im Moment ist es mehr ein Hobby", log sie. "Das ist ein wunderschöner Teppich", sagte er. "Karaban ist eine der besten Teppichfirmen." Alison hatte den Namen noch nie gehört. "Stimmt", antwortete sie mit einem anerkennenden Blick auf das edle Stück. "Und was haben Sie gekauft?" fragte er und zeigte auf die Tüte in ihrer Hand. "Oh ... ein paar ... nette Sachen. Ich war lange nicht einkaufen, aber heute ..." Womit ließ sich ein Bummel durch Nordstrom's rechtfertigen? Noch dazu bei jemandem, der sein Geld mit Aushilfsjobs verdiente. Mehr als Geburtstag und Scheidung fielen ihr nicht ein. Was soll's? dachte sie. "Heute ist mein Geburtstag." "Ihr Geburtstag!" rief er. "Herzlichen Glückwunsch," "Danke." Sie kam sich vor wie eine Betrügerin. Sie war eine Betrügerin. "Schön, daß wir uns getroffen haben, Jared. Ich muß weiter..." "O nein." Er nahm ihren Arm. "Wir müssen Ihren Geburtstag unbedingt feiern." "Nicht nötig." "Unsinn. Unten gibt es ein tolles Cafe. Ich lade sie zu einem Milchkaffee und einem Muffin mit Geburtstagskerze ein. Oder ist heute Ihr muffinloser Tag?" "Ist es. Wirklich, Jared, das ist nicht nötig."
Trotz ihres Protests zog er sie zur Rolltreppe. Zum Glück gab es im Cafe keine Geburtstagskerzen, also blieb ihr der Muffin erspart. Obwohl sie sonst keinen Kaffee trank, bestellte sie aus Höflichkeit einen koffeinfreien Irish Coffee ohne Alkohol. Er schmeckte überraschend gut. "Der ist lecker!" stellte sie beim ersten Schluck fest. Jared lächelte, während er sich die Sahne seines HaselnußVanille-Cappuccino vom Mund wischte. Schade, dachte Alison. Sie hätte sie ihm gern selbst von den Lippen geküßt... Was war nur los mit ihr? "Alles Gute zum Geburtstag, Alison." "Danke", flüsterte sie und nahm einen zweiten Schluck, um den bitteren Geschmack fortzuspülen. "Und womit haben Sie sich beschenkt?" "Oh, nichts Besonderes." "Nichts Besonderes? Also wirklich, Alison. Bei Nordstrom's ist alles besonders. Kommen Sie, Sie müssen sich etwas Tolles gekauft haben", drängte er. O nein, dachte Alison. "Nur zwei Kostüme für den Herbst." "Kostüme? Sie?" Sie stellte die Tasche auf den Schoß und zog eine Jacke heraus. "Sehen Sie? Nur ein schlichtes Kostüm." Er schmunzelte. "Es ist blau." "Na und? Was stimmt daran nicht?" "Ich hätte Sie nie für eine Frau gehalten, die blaue Kostüme trägt." "Na ja, hin und wieder schon." Sie lächelte verlegen. "Zur Abwechslung." "Ich kann es kaum abwarten, Sie darin zu sehen. Was haben Sie noch gekauft?" Sie räusperte sich. "Halten Sie mich für eine Frau, die schwarze Kostüme trägt?"
Jared lachte. "Das sind keine Geburtstagsgeschenke. So etwas kauft man sich, wenn man ins Kloster geht. Haben Sie das etwa vor?" "Nein!" widersprach sie, obwohl das FBI sie manchmal an ein Kloster erinnerte. "Wahrscheinlich wollte ich nur mal etwas ganz anderes anziehen." "Trinken Sie aus, bevor Sie mich noch mehr erstaunen." "Einverstanden." Während sie an ihren Kaffees nippten, plauderten sie angeregt, wobei sie allerdings Alisons Vergangenheit und ihre Zukunftspläne sorgsam ausließen. Alison fühlte sich nicht nur wohl, sondern auch begehrt - was angesichts ihres unsteten Lebens nicht sehr oft vorkam. Und in der Gesellschaft eines Mannes, der sie so intim berührt hatte, wenn auch unbeabsichtigt, kam sie sich wagemutig vor. Sie schaffte es, mit ihm zu reden, ohne zu stammeln oder zu erröten. Manchmal hatte die Selbstdisziplin, die man beim FBI lernte, auch ihre guten Seiten. Anschließend schlenderten sie gemeinsam durch das Einkaufszentrum. "Haben Sie in Philadelphia Angehörige, mit denen Sie Ihren Geburtstag feiern können?" fragte Jared, als sie die Auslagen eines Buchladens betrachteten. "Nein ... Ich habe keine Familie", erwiderte sie. "Keine Familie?" Entsetzt sah er sie an. "Alison." Sein Mitgefühl rührte sie. "Es macht mir nichts aus, Jared. Ehrlich, manchmal bin ich heilfroh, unabhängig zu sein." Einmal mehr bat Alison ihre Mutter stumm um Verzeihung. Und ihren Bruder. Sie liebte beide über alles. Jared ging weiter. "Meine Eltern empfinden so etwas wie Haßliebe füreinander. Sie streiten sich über alles mögliche, lassen sich jedoch nicht scheiden. Als Kind stand ich dauernd zwischen den Fronten. Erst als Erwachsener konnte ich zu ihnen auf Abstand gehen. Manchmal wünschte ich, sie würden meine
Dienste als Scheidungsanwalt in Anspruch nehmen. Ich bin überzeugt, sie wären glücklicher, wenn sie geschieden wären." "O Jared, Sie müssen sich als Kind sehr einsam gefühlt haben ... Vielleicht sind Sie ja deshalb Scheidungsanwalt geworden." "Kann schon sein", gab er lachend zu. Sie warf einen Blick auf eine Uhr im Schaufenster des Juweliergeschäftes, vor dem sie gerade standen, und stöhnte auf. "Was ist?" fragte er. "Gibt es ein Problem?" Ja, dich. "Ich muß los, aber wenn ich an die Expedition zu meinem Wagen denke, würde ich lieber hier übernachten", sagte sie. "Er steht mindestens eine Meile vom Einkaufszentrum entfernt." "Dies ist das zweitgrößte Center im Nordosten, also hat es auch den zweitgrößten Parkplatz. Ich habe meinen Wagen parken lassen. Kommen Sie, ich lasse ihn vorfahren und bringe Sie zu Ihrem", schlug er vor. Sie starrte ihn an. "Man kann hier den Wagen parken lassen?" "Ja." "O nein..." Er lachte wieder sein jungenhaftes Lachen, und sie wußte, daß sie sich hier und jetzt von ihm verabschieden sollte. Doch sie brachte es nicht fertig, sondern ging mit ihm zu dem Ausgang, an dem eine Minute später sein BMW vorgefahren wurde. Sie ließ sich auf den Beifahrersitz fallen und seufzte. Jared setzte sich ans Steuer. "So weit entfernt steht Ihr Wagen?" fragte er lächelnd. "Ja." "Sagen Sie mir, wo?" "Am Eingang von Sears." "Das ist wirklich weit. Okay, fahren wir." Alison legte den Kopf zurück und schloß die Augen, um die Fahrt und den unverhofften Abend mit Jared zu genießen. Sie würde diesen "Geburtstag" nie vergessen und an jedem echten
Geburtstag daran denken. Und morgen würde sie eins ihrer neuen Kostüme anziehen. "Schlafen Sie mir nur nicht ein", sagte Jared. "Sie müssen mir zeigen, in welcher Reihe Ihr Wagen steht." Alison öffnete die Augen und starrte auf die Schilder an den Laternenpfosten. "Oje." "Was denn?" "Ich kann mich nicht mehr genau erinnern." Jared lachte. "Ich bin von links gekommen ... Die nächste Reihe ... Nein, die übernächste." Schließlich entdeckte sie den Wagen. "Da! Da ist er." Jared steuerte ihn an. "Bin ich gut?" murmelte sie. "Das sind Sie." Alison drehte sich zu ihm. Sie wollte ihm danken, brachte jedoch kein Wort heraus. Jared betrachtete sie, als wollte er sich ihr Gesicht für immer einprägen. Sein Blick wanderte zu ihren Brüsten hinab und wieder hinauf zu ihrem Mund. Sie spürte es am ganzen Körper. "Morgen ist Ihr letzter Tag bei uns", sagte er leise. Sie nickte. Er beugte sich hinüber und küßte sie. Sie durfte es nicht zulassen, aber sie tat es. Mehr noch, sie kostete es aus. Kein Kuß hatte je ein so heftiges Verlangen in ihr geweckt. Ihre Zunge rieb sich an seiner, ertastete sie, verlockte sie, verschmolz mit ihr. Jared streichelte Alisons Arm, und sein Atem ging schneller, als der Kuß an Leidenschaft gewann. In dem Moment, in dem das Verlangen gänzlich außer Kontrolle zu geraten drohte, lösten sie sich voneinander. Sie sahen sich an, bis Jared die Hand von Alisons Arm nahm. "Danke fürs Herbringen", sagte sie und war erstaunt darüber, wie normal ihre Stimme klang.
"Gern geschehen." Auch er hörte sich normal an. "Nicht nötig", sagte sie, als er aussteigen wollte, um die Beifahrertür zu öffnen. "Bis morgen." Sie lächelte. "Ja." Sie freute sich so sehr darauf, ihn wiederzusehen, daß sie am nächsten Morgen fünf Minuten früher als vereinbart die Kanzlei betrat. Da sie in der Nacht kaum geschlafen hatte, hätte sie eigentlich auch noch früher kommen können. Was sie heute, an ihrem letzten Tag, bei Davis, Hansen und Davis empfand, als gemischte Gefühle zu bezeichnen, wäre untertrieben. Sie spürte Jareds Lippen noch an ihren. Kaum saß Alison am Schreibtisch, erschien E.J. "Alison, was müssen wir Ihnen zahlen, damit Sie hier anfangen?" fragte die Büroleiterin. "Ich kann nicht, E.J.", erwiderte Alison, obwohl die Versuchung, in Jareds Nähe zu bleiben, groß war. "Ich will zur Zeit keine feste Stelle." Denn sie hatte bereits eine. "Wirklich nicht?" "Nein", sagte Alison nach kurzem Zögern. "Schade. Ich muß nämlich noch einen Stapel alter Akten auf Mikrofilm archivieren und würde mich freuen, wenn Sie das machen könnten. Bitte, Alison, bleiben Sie doch noch ein paar Tage. Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch." "Also gut, ein paar Tage", gab Alison nach. "Prima! Ich rufe gleich die Agentur an." Als Alison einige Stunden später aus der Mittagspause zurückkehrte, stand auf ihrem Schreibtisch eine kleine, bunt verzierte Tüte. "O nein", flüsterte sie. Ein Geburtstagsgeschenk. Sie schaute hinein. Jared hatte ihr ein Buch geschenkt. Gesund essen.
Sie lachte. Es war das perfekte Geschenk. Nicht teuer, aber mit Bedacht gewählt. Sie schlug das Buch auf. Er hatte etwas hineingeschrieben. Alison, dies ist eine Dauereinladung zum Essen. Sie gilt für immer. Und vielleicht könnten wir uns ja etwas häufiger als nur alle zwei Tage etwas Leckeres gönnen. Jared "Ich dachte mir, es würde dir vielleicht gefallen." Alison sah auf. Jared stand in der Tür seines Büros. "Das wäre doch aber nicht nötig gewesen. Wirklich nicht." "Ich wollte dir aber gern etwas schenken." "Danke", sagte sie mit schlechtem Gewissen. Mit einem zufriedenen Lächeln eilte Jared am Montag nachmittag über den Kanzleiflur. Alison war noch da. Er wollte in die Tatsache, daß sie geblieben war, nicht zuviel hineinlesen. Aber auch nicht zuwenig. Für den Kuß galt das gleiche. Am liebsten hätte er sie gebeten, am Wochenende mit ihm auszugehen, aber er wollte sie nicht verschrecken. Daß sie ihm den Kuß gestattet hatte, sei es auch nur als Glückwunschgeste, mußte reichen. Vorläufig. Noch bevor er den Gang zum Archiv erreichte, hörte er Alisons Radio. Vier Reihen deckenhoher Regale standen dort nebeneinander, und alle waren voller Akten. Es würde Jahre dauern, sie alle zu verfilmen. Und genau das ist auch der Sinn der Sache, dachte Jared. Alison saß an einem Schreibtisch, kurbelte am Mikrofilmbetrachter und fluchte leise vor sich hin. "Ich wollte mal nachsehen, wie du so zurechtkommst", sagte er. "Ich glaube, ich brauche gar nicht erst zu fragen." Sie lehnte sich zurück und schob sich das Haar von der Schulter. Wieso hatte er jemals für Brünette geschwärmt? Rotblond war eindeutig am schönsten.
"E.J. hat mir gezeigt, wie das Ding hier funktioniert, aber wenn es mir nicht bald gehorcht, gehe ich damit nach draußen und erschieße es!" Jared lächelte. "Du würdest nicht mal eine Scheune treffen." "Ich treffe eine Fliege auf zwanzig Schritt Entfernung", sagte sie und klang, als wäre sie davon überzeugt. "Mal sehen, ob ich dir helfen kann." Schließlich hatte er ihr diese langweilige Arbeit eingebrockt. Er ging um den Schreibtisch herum und beugte sich vor. Ihr Duft stieg ihm zu Kopf, und er glaubte, ihren Geschmack im Mund zu haben und ihre Brüste fühlen zu können. Verdammt, dachte er und schluckte. Als er bemerkte, daß an der Seite des Gerätes eine rote Lampe blinkte, las er, was darunter stand. "Das ist es." Er legte einen Schalter um, das Licht wurde grün, und die Maschine begann wieder zu laufen. "Toll! Danke!" rief Alison. "Gern geschehen." Er richtete sich auf, bevor die Versuchung, sie zu berühren, übermächtig wurde. "E.J. interviewt gerade einige Bewerberinnen um Elises Stelle ..." Er wartete, doch die Reaktion, die er sich von ihr erhoffte, blieb aus. "Hat sie mit dir darüber gesprochen, daß du deine Zeit zwischen Archiv und Büro aufteilst, bis wir jemanden gefunden haben?" "Ja. Vorhin." Sie ließ einige Blätter durch das Gerät laufen. "Es funktioniert!" " Schön. Was mich betrifft..." "Sag mir einfach, was du brauchst, und ich kümmere mich darum." Sie konnte nicht wissen, wie vielversprechend das klang. Wie schade, daß sie es nicht so meinte, wie er es sich wünschte.
Während er ihr beschrieb, was sie für ihn erledigen sollte, dachte er darüber nach, wie wenig er über sie wußte. Sie hatte keine Familie. Von der Agentur hatte er erfahren, was Alison dort verdiente. Ihm war schleierhaft, wie sie es sich leisten konnte, in einem Nobelkaufhaus wie Nordstrom's einzukaufen. "Jared, es gibt da etwas, worüber ich mit dir reden möchte", begann sie leise, "Ja?" Sie sah sich um. "Der Kuß auf dem Parkplatz ... Es war schön, aber ... es wird sich nicht wiederholen." "Nicht?" fragte er enttäuscht. "Nein." Ihr strenger Blick erinnerte ihn an die Lehrerin, die er in der dritten Klasse gehabt hatte. Vielleicht lag es an dem schwarzen Kostüm, das Alison heute trug. "Ich will keine Beziehung, Jared. Schon gar nicht am Arbeitsplatz", fuhr sie fort. "Wenn ich dich, in den Zeugenstand rufe, könnte ich bestimmt beweisen, daß du lügst", sagte er, bevor ihm bewußt wurde, wie herausfordernd er sich anhörte. "Jared..." "Nein." Er hob die Hand. "Ich nehme es zurück. Entschuldige." "Ich hoffe, du verstehst, was ich meine." Er zwang sich zu lügen. "Ja, ich verstehe es." Jared war froh, daß er nicht im Zeugenstand saß. Alison entspannte sich sichtlich. "Ich freue mich, daß es zwischen uns keine Mißverständnisse gibt", sagte sie lächelnd. "Ich auch." Drei Tage später saß Jared in seinem Büro und dachte an ihr letztes Gespräch. "Ich auch", murmelte er und ärgerte sich, daß er sie nicht einfach geküßt hatte. Aber nein. Er wollte ihr ja unbedingt Zeit lassen.
"Idiot", flüsterte er. Seit Montag nachmittag hatte er Alison kaum zu Gesicht bekommen. E.J. hatte eine Nachfolgerin für Elise eingestellt, eine ältere Frau, die verheiratet war und drei Kinder auf dem College hatte. Sie war nett und fleißig, aber jetzt besaß er keinen Grund mehr, zu Alison ins Archiv zu gehen. Was jetzt? Jared sah sich um und überlegte, wie er die Sache mit Alison ein wenig beschleunigen könnte. Plötzlich kam ihm eine geniale Idee. Alison hatte mal bei einem Innenarchitekten gejobbt, und sein Büro sah noch immer so aus wie damals, als er es von seinem Vorgänger übernommen hatte. Er würde sie bitten, es für, ihn zu renovieren. Vielleicht fand sie ja Gefallen an der Arbeit und suchte sich dann eine feste Stelle bei einem Innenarchitekten in Philadelphia. Daß sie keine Beziehung wollte, nahm er ihr nicht ab. Kein Mensch, ob Mann oder Frau, war eine Insel. Warum war ihm das nicht schon längst eingefallen! Die Idee war einfach großartig. Sofort rief er E.J. an und bat sie, Alison zu ihm zu schicken. Fünf Minuten später kam sie in einem braunen Rock und einer grünen Seidenbluse. "E.J. sagte, du wolltest mich sprechen." "Ja", erwiderte er und zeigte auf die Wände. "Schau dich mal um, Alison. Was siehst du?" Sie tat es. "Ein Büro?" "Ein altes Büro. Strahlt es Wärme aus? Nein. Hilft es meinen Mandanten, sich zu entspannen und offen über ihre Nöte zu sprechen? Nein. Gibt es ihnen ein Gefühl von Sicherheit? Nein. Hilft es ihnen, ihr Leben zu ändern? Nein." "Ich finde, du verlangst ziemlich viel von einem Büro." "Das tue ich. Ich möchte, daß du es renovierst." "Ich?" Sie riß die Augen auf.
"Sicher. Du hast doch mal bei einem Innenarchitekten gejobbt..." "Aber ich bin keiner." "Das ist doch egal." "Nein, ist es nicht." "Das hier wäre für dich eine einzigartige Chance, dein Talent unter Beweis zu stellen", sagte er. "Ich habe aber kein Talent!" protestierte sie. "Ich werde kein Nein akzeptieren", entgegnete er. Und das tat er auch nicht.
5. KAPITEL Alison hatte geschlagene zwanzig Minuten lang versucht, Jared die Idee auszureden, daß sie sein Büro renovieren sollte. Sie hatte ihn angefleht. Sie hatte sich strikt geweigert. Er hatte darauf bestanden. Seit einer Woche zerbrach sie sich jetzt schon den Kopf darüber, aber ihr war noch kein Ausweg eingefallen. Jetzt, in ihrer Mittagspause, saß sie draußen auf einer Bank und blätterte lustlos in einer Frauenzeitschrift. "Ich dachte mir schon, daß ich dich hier finden würde." Alison hob den Kopf. Natürlich. Es war Jared, der auf sie zukam. Wer sonst? "Hi", sagte sie. Er setzte sich neben sie und zeigte auf ihre Papiertüte. "Ich bin leider zu spät dran, um dich zum Essen einzuladen. Ist heute ein normaler oder ein Obsttag?" "Ein normaler." "Wow. Und ich habe ihn verpaßt. Was hast du gegessen? Schokoladenkuchen und ein Riesensteak?" "Ein Schinken-Käse-Sandwich. Wie ist deine neue Sekretärin?" "Nicht so wie du", erwiderte er. "Aber sie ist eine gute Sekretärin."
"Das freut mich", sagte Alison und versuchte, es auch wirklich zu meinen. Jared drehte die aufgeschlagene Zeitschrift zu sich. "He! Das gefällt mir. So stellst du dir mein neues Büro vor?" Alison starrte auf die Fotos. Sie zeigten ein Sofa und mehrere bequem aussehende Sessel, die eine einladende Sitzgruppe bildeten. Die vorherrschenden Farben waren warme Gelb- und sanfte Grüntöne. Die Einrichtung war sachlich, aber nicht nüchtern und konnte durchaus als Vorbild für ein Büro dienen. "Es ist eine Möglichkeit", sagte sie und legte einen Finger an die Nasenspitze. Als Kind hatte sie fest daran geglaubt, daß ihre Nase bei jeder Lüge wuchs. "Wirklich, es gefällt mir. Würdest du dich als Frau darin wohl fühlen? Wohl genug, um mir, deinem ehrwürdigen Anwalt, alles zu erzählen, was ich wissen muß?" Alison war sich sicher, daß sie ihm selbst in einem überfüllten Fast-food-Restaurant alles beichten würde, wenn er sie darum bitten würde. "Ja, ich denke schon. Aber was ist mit deinen männlichen Mandanten? Würde ein solches Büro sie nicht eher abschrecken?" Jared runzelte die Stirn. "Die Kissen vielleicht. Ich könnte sie ja im Schrank verstecken, wenn ein Mann kommt. Allerdings habe ich nicht viele männliche Mandanten." "Das wundert mich gar nicht", murmelte Alison. "Was soll das denn heißen?" Sie schluckte, denn sie wollte nicht darüber nachdenken, was sie damit eigentlich gemeint hatte. Und sie wollte es erst recht nicht ihm erzählen. "Na ja ... ich glaube, daß du besonders gut mit Frauen umgehen kannst. Deine verständnisvolle Art kommt bei ihnen sehr gut an." "Aha." Er entspannte sich. "Bei dir auch?" Alison straffte sich. "Ich dachte, wir wären uns einig, daß wir über nichts reden wollten, was uns beide persönlich betrifft", sagte sie umständlich.
"Nein. Wir waren uns einig, daß wir nichts Persönliches tun würden", entgegnete er lächelnd. "Also? Kommt meine Art bei dir an?" "Augenblick mal", begann sie. "Jared!" Sie drehten sich gleichzeitig nach der Stimme um. Alison hätte fast aufgestöhnt, als sie Robert Davis entdeckte, der mit forschen Schritten auf sie zukam. "Tag, Robert", sagte Jared. "Was tun Sie denn hier draußen?" fragte Robert und musterte die beiden durchdringend. "Wir genießen das Wetter." Robert runzelte die Stirn. "Sie arbeiten doch noch bei uns, nicht wahr?" sagte er zu Alison. "Ich archiviere Akten auf Mikrofilm", antwortete sie lächelnd. Robert verzog das Gesicht. "Ist das denn nötig?" "Sehr nötig sogar", sagte Jared. "Waren Sie in letzter Zeit mal im Archiv? Dort stehen noch Akten aus der Zeit Ihres Großvaters." "Wirklich?" Robert zog die Augenbrauen hoch. "Das wußte ich noch gar nicht." Alison hätte wetten können, daß er vieles nicht wußte. "Sie sollten auch mal die Sekretärin wechseln, Robert", meinte Jared. "Es öffnet einem die Augen, glauben Sie mir." Alison wußte, daß Jared nicht nur über das Ablagesystem der Kanzlei sprach. Sie mußte sich beherrschen, um ihn nicht zu treten. Da er seitlich von ihr saß, wäre der Tritt ohnehin nicht sehr schmerzhaft gewesen. Robert lächelte. "Ich glaube, ich verzichte lieber", sagte er und ging davon. Jared sah Alison an. "Er macht dir angst, was?" "Nein. Ich habe ihm nur nichts zu sagen, das ist alles."
"Robert ist ein ... schwieriger Mensch. Sein Herz sitzt am rechten Fleck, aber Diplomatie ist nicht seine Stärke." Alison zuckte die Achseln. "Es ist mir egal, wie ein Arbeitgeber sich aufführt. Ich hänge nicht an meinen Jobs, also stören mich schwierige Chefs nicht." "In diesem Job wirst du ihn aber noch eine Weile ertragen müssen", sagte Jared. "Wo waren wir stehengeblieben, als Robert kam?" "Tut mir leid, aber meine Mittagspause ist vorüber." Alison sah auf die Uhr. "Ich muß zurück." "Was ist mit meinem Büro?" "Ich weiß jetzt, was dir vorschwebt." Sie stand auf und nahm die Zeitschrift und die Papiertüte von der Bank. "Aber ich finde noch immer, daß du für die Renovierung einen Profi engagieren solltest." "Ich dachte, das hätte ich bereits." Alison schwieg. Sie hatte sich diese Suppe selbst eingebrockt und mußte sie nun auch auslöffeln. Sich aus der Affäre zu ziehen, indem sie ihre Tarnung aufgab, war unmöglich. Sie war FBI-Agentin und 'mußte als echter "Maulwurf" herausfinden, wie untergetauchte Zeugen in dieser Gegend leben konnten, ohne um ihr Leben zu fürchten. An diesem Abend betrat sie ein Möbelgeschäft und bat darum, die Geschäftsleitung sprechen zu dürfen. Sie wurde in ein Büro geführt, in dem eine Frau an einem Schreibtisch saß. "Kann ich Ihnen helfen?" "Ich hoffe es." Alison schlug die Zeitschrift auf und gab sie ihr. "Können Sie mir genau das hier besorgen?" Sie zeigte auf das Foto, das Jared so gut gefallen hatte. Die Frau zog eine Augenbraue hoch, musterte Alison erstaunt und blätterte, bis sie die Liste der Hersteller im hinteren Teil des Hefts gefunden hatte. "Ja, das kann ich", sagte sie. "Vorausgesetzt, die Lieferanten haben die Artikel noch vorrätig."
"Gut. Ich möchte alles so wie auf dem Foto. Von den Wandleuchten bis zur Couch. Wie schnell können Sie es besorgen?" "Manche Firmen brauchen eine Woche, andere bis zu sechs." "Und der Raum muß auch noch tapeziert werden." "Ich kann Ihnen mehrere gute Tapezierer empfehlen." "Wieviel muß ich anzahlen?" fragte Alison. "Fünftausend." Alison lächelte. Das war eine ganze Menge, aber es war ja schließlich Jareds Geld. "Abgemacht. Ich bringe Ihnen morgen einen Scheck." Die Frau schmunzelte. "So schnell und einfach habe ich noch nie etwas verkauft." Alison lachte. Die Sache begann ihr Spaß zu machen. "Was zum Teufel soll das heißen, ich muß meinen Schreibtisch räumen?" fragte Jared empört und starrte Alison an, die sich keine Mühe gab, ihre Schadenfreude zu verbergen. "Du willst dein Büro doch renoviert haben, oder?" "Sicher." "Also. Ach ja, und deine Aktenschränke müssen auch von den Wänden abgerückt werden, damit die Maler hier arbeiten können." Jared hoffte, daß der Aufwand sich lohnen und sein Plan funktionieren würde. "Okay." Alison inspizierte das Büro. "Außerdem brauche ich Kartons für den Kleinkram. Kann ich das alte Zeug spenden, oder willst du es behalten?" "Nein." Er kam sich irgendwie überfahren vor. "Gut. Dann müßte ich nur noch einen Scheck über fünftausend Dollar bekommen." "Fünftausend Dollar?" fragte er ungläubig. "Das ist nur die Anzahlung für die Möbel."
"Anzahlung?" Er holte das Scheckbuch heraus und murmelte vor sich hin, während er ihn ausschrieb. Was er nicht alles anstellte, um ... "Es muß uns auch jemand am Samstag die Kanzlei aufschließen", riß sie ihn aus seinen finsteren Gedanken. "Das werde ich wohl selbst tun müssen", knurrte er. "Die Maler haben mir versichert, daß sie nur ein Wochenende brauchen. Sie möchten einen Scheck über dreitausend." "Dreitausend?" Jared fuhr hoch. "Die Anzahlung, Jared." Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu. "Was hast du erwartet? Daß ich mit meinem Zauberstab winke und fertig ist dein neues Büro?" "So ungefähr", gab er zu. "Männer." Seufzend schüttelte sie den Kopf. Frauen, dachte er. Sie führte sich auf wie ein Sergeant auf dem Kasernenhof. Was war bloß aus dem anmutigen Blumenkind geworden, das am Labor Day in sein Leben spaziert war? "Heute ist Fastentag, stimmt's?" "Ja. Warum?" "Ich wollte nur mal nachfragen." Daß sie noch nicht wie ein Sergeant aß, beruhigte ihn. Also gab es doch noch Hoffnung. Er zeigte auf die Figur der Justitia auf dem Schreibtisch. "Die bleibt", sagte er. "Ich habe sie seit dem College." "Ich werde mich persönlich um sie kümmern", versprach Alison. "Gut." Er lächelte erleichtert. "Und jetzt der Scheck." "Bin schon dabei, bin schon dabei!" Am Samstag morgen herrschte in seinem Büro das Chaos. Mitten im Raum stapelten sich die Möbel, und an den Wänden standen provisorische Gerüste. Alles roch nach Tapetenkleister. Männer in Overalls klatschten lange klebrige Tapetenstreifen an die Wände, und aus einem Radio dröhnte Popmusik.
Der einzige Lichtblick war Alison, die in engen Jeans neben Jared stand. Das kurze T-Shirt gab hin und wieder den Blick auf ihren Bauch frei - und auf ein paar absolut hinreißende Sommersprossen. Sie trug einen Pferdeschwanz, ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet, und die Augen strahlten. "Pause", verkündete jemand. "Aber die haben doch gerade erst angefangen!" entfuhr es Jared. "Du solltest sie bei Laune halten", meinte Alison achselzuckend. "Aber so werden sie nie bis Montag fertig." "Bestimmt", beruhigte sie ihn. "Schließlich zahlst du ihnen die Überstunden und den Zuschlag für Wochenendarbeit." "Was?" Jared fluchte herzhaft. Dann sah er auf die Uhr. "Es ist erst zehn Uhr. Wieso machen sie Pause?" Alison lächelte nur. Jared schnappte sich seinen Notebook-PC und flüchtete ins Sekretariat. Am Nachmittag mußte er zu einer Grillfeier bei seinem Cousin Michael. Er bezweifelte, daß er das schaffen würde. Alison saß am zweiten Schreibtisch, hatte die Füße hochgelegt und las seelenruhig ein Buch. Wie konnte sie nur so ruhig bleiben? Gegen vierzehn Uhr kamen die Handwerker heraus. "Feierabend", sagte einer grinsend. Fassungslos sah Jared ihnen nach und wandte sich dann an Alison. "Sie hören schon auf?" "Klar. Es ist doch Samstag", erwiderte sie. "Sie haben doch noch gar nichts geschafft!" "Unsinn. Du wirst dich wundern, wie schnell Profis sind." Jared speicherte seinen Text ab und ging mit Alison in sein Büro. Zwei Wände waren bereits tapeziert. Sie hatte recht, die Leute waren Profis. Aber dann runzelte er die Stirn. "Die Tapete kommt mir etwas zu dunkel vor."
"Sie muß erst noch trocknen." "Aha." Plötzlich kam ihm ein großartiger Einfall. Vielleicht hatten die Handwerker ihm sogar einen Gefallen getan, indem sie so früh gegangen waren ... "Was hast du heute noch vor?" fragte er wie beiläufig. "Nun ja..." "Gut. Du hast also frei. Da du mein Büro auf den Kopf gestellt hast, mußt du jetzt mit mir zu einer Grillfeier nach Jersey fahren." "O nein, das kann ich nicht." "O doch, das kannst du wohl. Das bist du mir schuldig." "Jared ..." "Kein Widerspruch. Ich gewinne sowieso wieder." "Kann sein. Aber sieh dir an, was es dir eingebracht hat." Sie zeigte auf den Möbelstapel. "Ich riskiere es einfach." Nach einigem Hin und Her gab sie schließlich doch nach. "Na gut, ich komme mit." "Schön," Sie funkelte ihn an. "Du bist..." "Ein hervorragender Anwalt?" "Eine Nervensäge." Er lächelte. Na also, endlich redeten sie Klartext. Sie ließen Alisons Wagen auf dem Parkplatz und fuhren in Jareds BMW zu Michael, da sie den Weg nicht kannte. Das beunruhigte ihn etwas. Er wußte, daß sie Aushilfsjobs machte und aus Chicago kam, aber daß ihr die Gegend um Philadelphia so fremd war, hätte er nicht gedacht. Als sie in Michaels Einfahrt hielten, kam Amy, die Stieftochter seines Cousins, angerannt. "Hi, Onkel Jared", rief sie fröhlich. "Mein Daddy kocht, und meine Mommy meckert ihn an. Wer ist das?"
"Das ist Miss Palmer", erwiderte Jared. "Sie richtet mein Büro ein." "Hi", begrüßte Amy Alison. "Mögen Sie Hamburger und Hot dogs?" "Klar", erwiderte Alison. "Und ich heiße Alison." Amy eilte zur Beifahrertür. "In meiner Klasse ist ein Mädchen, das auch Alison heißt, aber sie hat braunes Haar. Ich mag Ihrs." "Danke. Ich auch." Jared mußte lächeln. Er malte sich aus, wie er abends von einer Miniaturausgabe von Alison mit fröhlichem Geplapper begrüßt wurde. Vielleicht würde Klein-Alison ja seine Augen haben ... Wie zum Teufel kam er bloß auf so abwegige Gedanken? Jared schüttelte sich innerlich. Sich nach einer heißen Nacht mit Alison zu sehnen war ja noch in Ordnung, aber Kinder ... "Ist das hier ein Familientreffen?" fragte Alison, als Amy ihr die Chance dazu gab. "O ja", verkündete Amy begeistert. "Onkel Peter und Tante Mary Ellen sind schon da. Und Onkel Raymond auch. Aber er hat keine Lady mitgebracht." "Jared!" murmelte Alison verärgert. "Alles in Ordnung", erwiderte Jared zuversichtlich. "Sie sind alle sehr nett." Im Garten stand Michael am Grill. Überall" blühten Blumen, viele schon in herbstlichen Farben. Janice, Michaels frischgebackene Ehefrau, wohnte in dem Haus hinter seinem. Die beiden hatten sich kennengelernt, als er eingezogen war. Sie waren sich noch nicht sicher, welches Haus sie behalten würden. Vorläufig arbeitete Michael, ein Schriftsteller, in seinem und lebte bei Janice und den Kindern. Janices Drillinge, Cat, Chris und C.J., spielten mit Raymond Fußball. David, ihr ältester Sohn, half Michael beim Grillen,
während Heather, die große Tochter, mit einigen Schulfreunden zusammensaß. Jared gab Michael, Peter und den Kindern die Hand, winkte Raymond zu, küßte die beiden Frauen auf die Wange und stellte ihnen Alison vor. Janice begrüßte Alison mit einem warmen Lächeln. "Es ist sehr mutig von Ihnen, sich in die Höhle der sechs Junglöwen zu trauen." "Ich hoffe, ein unerwarteter Gast stört Sie nicht." "Aber warum denn?" rief Mary Ellen. "Janice ist es gewöhnt, hungrige Mäuler gleich reihenweise zu stopfen." "Nicht nur sie", rief Michael vom qualmenden Grill und verpaßte David einen Rippenstoß. Der Junge grinste. "Laß die Hamburger nicht anbrennen", warnte Janice ihren Mann. "Nur mein Hot Dog muß knusprig sein, sonst kannst du heute allein schlafen!" "Hauptsache, du wirfst den Kater hinaus. Der blöde Bursche hat mir heute morgen um drei im Gesicht herumgeschnüffelt." "Michael liebt dich, Michael", sagte Janice. "Ja, Daddy. Michael, der Kater, liebt dich", wiederholte Amy lachend. "Ich passe schon auf, Mom", versprach David. Alison mußte daran denken, was Jared ihr über seinen Cousin erzählt hatte. "Und der soll ein Buch über glückliche Dauerjunggesellen geschrieben haben?" flüsterte sie. "Einen echten Bestseller." "Er kommt mir so normal vor." "Er hat inzwischen eine Frau mit sechs Kindern geheiratet." "Dann würde ich gern sein nächstes Buch lesen", scherzte Alison. Sie setzten sich zu Mary Ellen und Peter auf die Gartenstühle. Mary Ellen sah Jared an. "Was für eine interessante Entwicklung", meinte sie mit vielsagendem Lächeln. "Ich dachte, du arbeitest selbst an den Wochenenden und hast keine
Zeit für Frauen, Jared? Es sei denn, sie kommen als Mandantinnen." "Ich war bis eben im Büro. Stimmt's, Alison?" "Stimmt", bestätigte sie. "Und ich arbeite nur für Jared. Ich richte sein Büro neu ein." "Hast du das nicht erst kürzlich renovieren lassen?" fragte Peter. Empört sah Alison Jared an. "Ja, als ich es vor Jahren übernommen habe", erwiderte Jared hastig und bedachte seinen Cousin mit einem giftigen Blick, "Bist du dir da auch sicher?" fragte Peter. Mary Ellen trat ihm gegen das Schienbein. "Mein Mann hat ein wirklich miserables Gedächtnis. Zum Glück reden die Leute ihn dauernd mit seinem Namen an, sonst würde er den auch noch vergessen." "Du hast mir weh getan", sagte Peter. "Ich werde die Stelle nachher küssen." "Versprochen? " Jared schaute unauffällig zu Alison hinüber. Er sah ihr an, daß sie das gleiche dachte wie er, und plötzlich schlug sein Herz schneller. Alles um sie herum schien zu verblassen, bis nur noch sie deutlich zu erkennen war. Dann drehte Alison sich zu ihm. Ihre Blicke trafen sich, und ihm war, als könnte sie jeden seiner Gedanken lesen, als gäbe es nur sie. beide und ihre Gefühle füreinander. "O nein, nicht du auch noch!" rief Raymond. Jared blinzelte. Raymond musterte ihn betrübt, während Peter und Mary Ellen vor Lachen prusteten. "Ich verstehe gar nicht, was du meinst", wehrte Jared hilflos ab. Raymond zwinkerte nur. "Ich glaube, Sie verstehen da etwas falsch", sagte Alison. "Ich bin nur eine Aushilfe in seiner Kanzlei." "Und Sie renovieren sein Büro", ergänzte Raymond lachend.
"Hör auf damit, Raymond", bat Jared. "Die arme Alison macht mir sonst die Rückfahrt zur Hölle, weil ich sie hergeschleift habe." Zum Glück wurde das Gespräch nicht fortgesetzt, weil die beiden Frauen mit Alison den Tisch decken mußten, während Jared seinen Cousins half, Hamburger und Hot dogs auf Platten zu stapeln. Als Jared Alison spät am Abend zur Kanzlei zurückfuhr, wo ihr Wagen stand, fragte er sich, wie er sie aus der Reserve locken konnte. Er mußte geduldig sein, das war ihm klar, aber so wie jetzt konnte es nicht weitergehen. "Nett von dir, Jared, daß du mich zu deinem Familientreffen mitgenommen hast", sagte Alison, als sie neben ihrem Wagen hielten. "Gern geschehen. Hat es dir Spaß gemacht?" Sie lächelte vorsichtig. "Ein bißchen. Die Kinder sind nett, die Erwachsenen auch. Aber du hast ihnen einen falschen Eindruck von uns vermittelt." "Habe ich das? Sie sind ein verrückter Haufen und kommen auf die absurdesten Ideen." "Das trifft vielleicht auf deine Cousins zu. Vor allem auf Michael. Ich kann noch immer nicht glauben, daß er einen Ratgeber für Singles geschrieben hat. Er wirkt so häuslich ... der ideale Familienvater." "Er liebt seine Frau und die Kinder." Jared beneidete Michael. Selbst die Drillinge gewannen ihren neuen Vater langsam lieb. Und Peters Frau Mary Ellen verströmte eine unglaubliche Lebensfreude. Vielleicht sollte er die Liste mit den Eigenschaften seiner Traumfrau vergessen und die Partnersuche einfach seinen Hormonen überlassen. Aber nein, genau das wollte er ja unbedingt vermeiden. Er wollte sich nicht zum Sklaven seines Verlangens machen.
"Ich gehe jetzt besser", sagte Alison und öffnete die Beifahrertür. "Warte." Er stieg aus und ging um den Wagen herum. "Du solltest dir mehr Zeit und mich einen Gentleman sein lassen, Alison." Er streckte die Hand aus, um ihr aus dem Wagen zu helfen. Sie zögerte, bevor sie sie ergriff. Die Berührung hatte den halb erhofften, halb befürchteten Effekt. Jared zog Alison vom Sitz und direkt in seine Arme. Der Kuß war wie ein Dammbruch, durch den sein aufgestautes Verlangen strömte, und Alison erwiderte ihn nicht weniger stürmisch. Sie schmiegte sich an ihn, während er die Arme fest um sie legte. Jared wollte mehr, gab sich aber vorläufig mit dem zufrieden, was sie ihm zu geben bereit war. Schließlich hatte sie sich geschworen, daß so etwas sich nie wiederholen würde. "Dabei hast du gesagt, wir würden es nie wieder tun", flüsterte er, als sie sich nach einer ganzen Weile voneinander lösten. "Damit hast du genau das Falsche gesagt", erwiderte sie und schob seine Hände von ihrer Taille. Jared starrte sie an. "Alison ..." "Vergiß es." Sie schloß ihre Fahrertür auf. "Allie...Honey..." "Ich bin weder Allie noch Honey. Danke für den netten Abend." "Renovier mein Haus!" rief er, als sie einstieg. "Bist du verrückt?" "Nein! Das wäre wunderschön." Es wäre wirklich wunderschön. Sie wäre in seinem Haus, und er könnte den Fehler wiedergutmachen, den er heute abend begangen hatte. Auch wenn er nicht die leiseste Ahnung hatte, was er falsch gemacht hatte. "Kommt gar nicht in Frage!"
Noch hatte sie die Wagentür nicht zugeknallt, sondern hörte ihm zu. Jared begann mit seinem Plädoyer. "Du brauchst den Job und..." "Ha!" Nun knallte sie die Tür doch zu und startete den Motor. Die Anhörung war vorbei. "Ich werde kein Nein akzeptieren", rief er durch das geschlossene Fenster. Hatte er das nicht schon mal gesagt? Sie fuhr los, gab Gas und raste mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. "Gut." Jared sah ihren Rücklichtern nach. "Dann wäre das ja geklärt."
6. KAPITEL "Wie ich höre, renovieren Sie demnächst Jareds Haus", sagte E.J., als sie am Montag morgen Alison über den Weg lief. "Ich bringe ihn um!" rief Alison und steuerte sein Büro an. "Er ist bei Gericht", sagte E. J. "Gut, dann spart der Staat das Benzingeld für meine Verhaftung." E.J. lachte. Alison nicht. "Ich renoviere sein Haus nicht, E.J." "Er scheint das anders zu sehen", erwiderte E.J. "Ich finde, Sie sollten es tun. Vielleicht geht er dann ja ab und zu nach Hause, anstatt in der Kanzlei zu wohnen." Alison stöhnte und ging davon. "Ich habe zu tun, dafür bezahlen Sie mich doch, oder?" Sie setzte sich an das Mikrofilmgerät. Eine falsche Lebensgeschichte zu erzählen mochte in ihrem Beruf ja notwendig sein, aber es konnte auch im Chaos enden. Diese Sache mit dem Renovieren war einfach unmöglich. Und dann auch noch diese Grillfeier... Hätte sie gewußt, daß es ein Familientreffen war, wäre sie nie mitgefahren. Außerdem hatte sie nach dem Essen von Janice und Mary Ellen mehr über Jared erfahren, als ihr lieb war. Jetzt, da sie wußte, wie er aufgewachsen war, wie er unter der lieblosen Ehe seiner Eltern hatte leiden müssen, verstand sie ihn
besser. Und deshalb verzieh sie ihm auch die dumme Bemerkung nach dem Kuß auf dem Parkplatz. Außerdem war sie selber schuld. Schließlich hatte sie seinen Kuß erwidert, oder etwa nicht? Nun gut, sie würde sein Haus renovieren. Es könnte intimer werden, als sie wollte, aber sie würde damit umgehen können. Sie würde ein paar Bilder aussuchen und den Rest dem Möbelgeschäft und der Malerkolonne überlassen. Kein Problem - wenn sie nur einen kühlen Kopf bewahrte. Wozu war sie schließlich FBI-Agentin? Gegen halb fünf marschierte sie in Jareds Büro, bewaffnet mit den Wohnzeitschriften, die sie in der Mittagspause gekauft hatte. "Ich dachte, mein Büro sollte heute fertig sein", beschwerte er sich, als sie vor ihm stand. "Wo sind die anderen Möbel? Und die Farbe der Wände ist anders als auf dem Foto." Alison sah sich um. Er hatte recht, sie waren viel dunkler, nicht cremeweiß, sondern beige. Großartig, dachte sie. Was jetzt? Aber vielleicht hatten die Maler ihr damit sogar einen Gefallen getan. "Da du mit deinem Büro unzufrieden bist, sollte ich dein Haus lieber nicht auch noch renovieren." "Nein, nein." Er machte eine abwehrende Handbewegung. "Die Farbe trocknet ja noch ..." "Nach drei Tagen?" "Klar. Gut, daß ich heute keine Mandantin hier hatte. Bis das Büro fertig ist, werde ich den Konferenzraum nutzen." Er lächelte so charmant, daß Alisons Knie weich wurden. "Also renovierst du mein Haus?" "Tja ..." Sei vernünftig, befahl sie sich. "Okay, ich mache es." Sie würde es schnell hinter sich bringen und dann verschwinden. Entschlossen legte sie die Zeitschriften auf den Schreibtisch. "Was ist das?"
"Deine neue Einrichtung. Ich habe die Seiten gekennzeichnet. Ich wußte nicht, wie viele Bäder und Schlafzimmer du hast, also habe ich jeweils drei ausgesucht. Und ein Arbeitszimmer, falls du so etwas hast." Verblüfft starrte Jared sie an. "Aber willst du dir nicht erst das Haus anschauen? Die Zimmer ausmessen oder so etwas?" "Nicht nötig", erwiderte sie ungerührt. "Such dir etwas aus, und ich liefere es." Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die markierten Seiten. "Ich will weder den französischen Landhausstil noch den der sechziger Jahre." "Nicht?" "Nein. Ich finde auch nicht, daß man beides unter einem Dach vereinen sollte." "Findest du nicht?" "Das hier gefällt mir." Er zeigte auf ein Foto. "Aber es müßte noch etwas abgewandelt werden ... Und diese beiden Badezimmer passen überhaupt nicht in mein Haus," "Nicht?" Er schüttelte den Kopf. "Nein. Du solltest heute abend bei mir zu Hause vorbeikommen. Hättest du gleich nach der Arbeit Zeit? Ich mache uns Essen." "O nein, das geht nicht", wehrte Alison ab. "Okay, dann komme ich zu dir und wir überlegen zusammen", schlug er vor. Bei ihr, das wäre im Hotelzimmer. Ich sitze in der Falle, dachte Alison verzweifelt. Sie hatte die Wahl zwischen zwei Übeln. "Also gut, Abendessen bei dir. Aber mehr nicht." "Und eine Hausbesichtigung." Sein Lächeln erinnerte sie an intimere Begegnungen zwischen ihnen beiden. An Küsse zum Beispiel. "Und eine Hausbesichtigung", seufzte sie. Daß sie einen Fehler begangen hatte, wurde ihr spätestens dann klar, als sie sein Zuhause betrat. Anstatt nervös und
mißtrauisch zu sein, fühlte sie sich locker und entspannt. Sie vergaß fast völlig, daß sie eine FBI-Agentin im verdeckten Einsatz war. Ihre Tarnung wurde zur Realität, sie selbst zur Sekretärin im Haus ihres äußerst attraktiven Chefs. Er führte sie in die Küche und zu einem Hocker, von dem aus sie ihm beim Kochen zusehen konnte. Jared war gut und hantierte mit der Bratpfanne so geschickt wie die Meisterköche im Fernsehen. Er trug eine blütenweiße Schürze. Alison starrte auf die Schleife an seinem Bauch und stellte sich vor, wie es wäre, wenn er nichts als diese Schürze anhätte. "Ich dachte mir, ich mache uns eine Paella, die ich vor Jahren mal ausprobiert habe", sagte er. "Ich koche sie mit mehr Gemüse und weniger Reis, es ist also eher eine Art Ragout." "Deine Ehefrau wird sich über deine Kochkünste freuen." Alison nippte an dem Weißwein, den er ihr eingeschenkt hatte. Jared lächelte. "Das hoffe ich." Um nicht über seine Antwort nachdenken zu müssen, schaute sie sich in der Küche um. Die Einrichtung war der Traum eines jeden Kochs. Der Herd stand wie eine Insel mitten im Raum, darüber hingen Töpfe und Pfannen aus Kupfer. Die sonstige Ausstattung war ultramodern, höchstens ein oder zwei Jahre alt, genauso wie die weißen Schränke, die helle Tapete und der Parkettboden. "Jared, diese Küche braucht gar nicht renoviert zu werden", sagte sie verärgert. "Sie ist perfekt. Der Flur auch. Und was ich im Vorbeigehen vom Wohnzimmer gesehen habe, ist elegant und einladend zugleich. Warum willst du daran etwas ändern?" "Es langweilt mich", erwiderte er. " Möchtest du noch Wein?" "Nein, danke." "Wirklich nicht?" Er hob die Flasche. "Es ist ein weißer Chardonnay von einem ausgezeichneten kalifornischen Winzer."
"Wirklich nicht." Sich wohl zu fühlen war eine Sache, sich zu betrinken, eine andere. "Jared, ist das mit dem Renovieren nur ein Trick?" "Ein Trick?" fragte er mit Unschuldsmiene. "Um mich ins Bett zu kriegen", antwortete sie und staunte über ihre Offenheit. Und nicht nur darüber. Für wen hielt sie sich eigentlich? Jared mochte sie attraktiv finden, aber kein Mann gab Tausende von Dollars für Möbel, Bilder und Handwerker aus, nur um eine Frau zu verführen. Es sei denn, sie wäre ein Supermodel. Und Alison war kein Supermodel. Okay, manchmal gab er ihr das Gefühl, eins zu sein, aber sie mußte realistisch bleiben. "Ich mache den Salat", bot sie an, als sie nichts mehr fand, womit sie sich von seinem Anblick ablenken konnte. "Die Zutaten sind im Kühlschrank", sagte er. "Du kannst die Karotten in der Maschine raspeln." Alison war heilfroh, daß sie sich in ihrer ausgedachten Lebensgeschichte nicht auch noch zur Köchin gemacht hatte. Vermutlich hätte er sonst erwartet, daß sie ihnen im Handumdrehen ein Filet Wellington oder Forelle nach Müllerinnenart oder etwas ähnlich Kompliziertes zauberte. Der Salat war schwierig genug. Sie würde ihn schon irgendwie hinbekommen und zusehen, daß sie den Renovierungsjob wieder los wurde. "Woher kannst du so gut kochen?" fragte sie wenig später, während sie sich die leckere Paella schmecken ließ. "Als ich von Fast food die Nase voll hatte, habe ich einen Kochkurs gemacht. Und bin ein paarmal mit der Leiterin ausgegangen." Er lächelte. "Ich habe ein tolles Zeugnis bekommen." "Das kann ich mir vorstellen", erwiderte sie und wehrte sich gegen den völlig unerwarteten Anflug von Eifersucht. "Ich kann Eier kochen, mehr nicht."
"Ich bringe dir alles bei." Er meinte nicht nur das Kochen, und sie wußte es. Nach dem Abendessen half sie ihm, die Küche aufzuräumen. Dabei vermieden sie es sorgsam, einander zu berühren. Sie belud den Geschirrspüler, und Jared stellte die Reste in den Kühlschrank. "Ich bin bereit. Sehen wir uns das Haus an", sagte sie, als sie den letzten Topf untergebracht hatte. "Ich hole mir nur rasch Papier und Stift, um mir deine Wünsche zu notieren." Dann brauchte sie nur noch ein Zeitschriftenfoto zu finden, das seinen Vorstellungen entsprach. Sie nahm einen Stenoblock und einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche und hängte sie sich über die Schulter, damit sie gehen konnte, sobald die Besichtigung vorüber war. "Wie findest du die Küche?" fragte Jared. "Ich würde nichts ändern." "Nein, im Ernst. Ich möchte neue Schränke und einen anderen Fußboden. Und Tapeten. Vielleicht lieber gestrichene Wände. Du solltest sie komplett ausräumen und von Grund auf ..." "Ich würde nichts ändern", wiederholte sie. Jared verzog das Gesicht. "Na gut. Aber das Eßzimmer muß renoviert werden." "Ich würde auch daran nichts ändern", sagte Alison zum dritten Mal. "Aber du hast es doch noch gar nicht gesehen!" "Wir haben dort gegessen." "Ach ... stimmt. Na ja, es muß jedenfalls renoviert werden." Alison starrte ihn einfach nur an. "Das Wohnzimmer hast du aber noch nicht gesehen." Er führte sie den Flur entlang und in den Raum auf der anderen Seite der Treppe. "Also, das muß wirklich renoviert werden", sagte er und schaltete das Licht ein.
Alison ließ den Blick über die dezent gemusterte Sitzgruppe, die Schränke aus Kirschholz und den kleinen Flügel in einer Ecke wandern. Sie hätte Jared gern gefragt, ob er darauf spielen konnte, ließ es jedoch. Sie hätte auch gern selbst in die Tasten gegriffen, aber es war Jahre her, daß sie regelmäßig gespielt hatte. "Ich würde nichts ändern." "Das sagst du bei jedem Zimmer. Warum?" fragte er entrüstet. "Weil ich es gar nicht mehr verschönern könnte, nur verändern." Auf keinen Fall kann ich es noch verschönern, gestand sie sich ein. "Na ja, ich bin die Kissen und Bilder irgendwie leid. Laß uns nach oben gehen." Nach oben? Das klang unheilverkündend. Aber dies war eine harmlose Besichtigung. Wehe, er hatte etwas anderes vor. Er würde bald einsehen, daß sie nicht die richtige Frau für diesen Job war. Als sie hinter ihm die Treppe hinaufstieg, fiel es ihr schwer, nicht auf seinen äußerst reizvollen Po zu starren. Die Muskeln bewegten sich unter dem Stoff der Hose, und sie stellte sich vor, wie sie sich anspannten, wenn er ... Sie spürte, wie ihr Verlangen wuchs. Langsam begann sie sich Sorgen um ihre Selbstbeherrschung zu machen. Die erotische Spannung zwischen Jared und ihr war einfach zu groß. "Wie viele Zimmer gibt es denn hier oben?" fragte sie, und ihre Stimme hörte sich irgendwie eigenartig an. "Vier Zimmer und zwei Bäder, eins davon gehört zu meinem Schlafzimmer", erwiderte er und drehte sich am Ende der Treppe nach Alison um. Sie räusperte sich. "Wozu hast du ein so großes Haus? Ich dachte, du lebst allein." "Das tue ich auch. Aber ich wollte mein Haus fürs Leben haben, bevor ich dreißig wurde. Ich habe es zwei Tage vor
meinem Geburtstag gekauft." Lächelnd führte er sie zum ersten Zimmer. "Eins der Gästezimmer." Alison schaute durch die Tür. "Ich würde nichts daran ändern." "Ich habe schon befürchtet, daß du das sagen würdest." Sie sagte es auch bei den anderen Gästezimmern und fand es irgendwie lustig. Wozu wollte er überhaupt Zimmer renovieren, die gar nicht genutzt wurden? "Du machst gar nicht richtig mit", beschwerte er sich, bevor er sie zum letzten Zimmer führte. Zu seinem Zimmer. "Ich sage dir nur meine Meinung", erwiderte sie. "Warum willst du Geld ausgeben, wenn: alles in Ordnung ist?" "Aber ich brauche mal eine Veränderung", beharrte er. "Hast du noch nie eine gebraucht? Bestimmt. Du bist von Chicago nach Philadelphia gezogen." "Aber nicht um meine Einrichtung zu ändern", antwortete sie. "Sondern meinen Lebensstil." "Und ich behalte meinen Lebensstil bei, dafür wechsele ich hin und wieder die Einrichtung. Komm, sieh hier hinein, bevor du endgültig nein sagst", bat er und öffnete die letzte Tür. Die Möbel waren schwarzweiß und asiatisch angehaucht. Malve und Perlmutt waren die einzigen richtigen Farben in diesem Zimmer, sie waren jedoch viel zu schwach, um seine Strenge zu mildern. Der Raum wirkte nüchtern und spartanisch. "Du hättest vielleicht mal mit der Innenarchitektin ausgehen sollen", sagte Alison trocken. "Gute Idee." Alison betrachtete sein Bett. Das erwies sich als Fehler. Sie vergaß die nüchterne Atmosphäre, während sie auf die schwarze Seidendecke auf der breiten Matratze starrte. Unwillkürlich malte sie sich aus, wie sie nackt darauf lag ... wie die kühle Seide ihre erhitzte Haut umschmeichelte ... wie bei einer Konkubine, die auf den Kaiser wartete. "Ich würde nichts daran ändern", flüsterte sie.
"Aber ich möchte alles ändern." "Warum?" "Ich weiß es nicht." Er kam um sie herum und sah ihr in die Augen. "Doch, ich weiß. Ich liebe dich." Es war, als würde die Welt sich plötzlich schneller drehen. "Das ist unmöglich." "Ich glaube nicht." "Aber warum?" Mit sanften Händen umschloß er ihre Arme. "Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß es so ist." Er zog sie an sich und küßte sie. Sein Mund war so zärtlich wie seine Finger, fragend, bittend, tastend. Alison wollte ihm widerstehen, konnte es jedoch nicht. Seine Worte hallten in ihr nach. Sie ließ die Umhängetasche fallen und schlang die Arme um seinen Hals. Ihre Vernunft war wie weggeblasen, und sie küßte ihn voller Leidenschaft. Das Blut schien ihr durch die Venen zu rasen, tief in ihrem Bauch setzte ein Pochen ein. Sie schob die Hände in Jareds Haar und genoß es, die Strähnen durch die Finger gleiten zu lassen. Stöhnend preßte er sie an sich. Leidenschaftlich küßte er ihre Wangen und den Hals, bis sie es im ganzen Körper spürte. Alison stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihre Lippen noch fester auf seinen Mund drücken zu können. Sie gab sich ganz den Empfindungen hin, die immer mehr von ihr Besitz ergriffen. Ihre Brüste sehnten sich nach seiner Berührung. Als fühlte er, was sie wollte, legte er die Hände um ihre Brüste, und es war, als wären sie dafür geschaffen. Diesmal war ihr nichts peinlich, jede neue Berührung war noch erregender als die vorherige. Alison stöhnte leise auf, als er die Bluse aufknöpfte und den BH öffnete. Seine Lippen wanderten über die erhitzte Haut, die Finger streichelten die Knospen. Ihre Knie drohten nachzugeben, und sie schwankte. Ohne mit seinen Liebkosungen aufzuhören, hob er Alison an. Sie legte den Kopf in den Nacken, schloß die Augen und
überließ sich ihren Gefühlen. Er liebkoste sie, bis sie vor Erregung aufschrie, die Lippen in sein Haar preßte und den Sandelholzduft in sich aufsog. Nichts anderes war mehr wichtig, nur Jared. Sie wußte, daß er sie gleich auf sein Bett legen und ausziehen würde. Dann würde er auf sie gleiten, kraftvoll und geschmeidig, sie in ungeahnte Höhen treiben und ihrer Einsamkeit ein furioses Ende bereiten ... Jared verlor sich in ihrer Wärme, im Geschmack und Duft ihrer unglaublich weichen Haut. Er hatte gespürt, daß es so herrlich sein würde. Er hatte geahnt, daß zwischen ihnen eine solche Leidenschaft entstehen würde. Jahrelang hatte er darauf gewartet, das hier zu empfinden. Er begehrte Alison, wie er noch keine Frau begehrt hatte. Das Bett war nur wenige Schritte entfernt... Jared hob den Kopf. Alisons Gesicht war vor Verlangen gerötet. Ihre Brüste paßten genau in seine Hände, die festen Spitzen waren genau zu spüren. Er verstand es nicht, aber er entschied, es nicht zu tun. Sein Körper protestierte, als er ihren Kopf unter sein Kinn schob und sie fast freundschaftlich umarmte. Er hielt sie fest, bis ihr Atem sich beruhigte. Seine Liebeserklärung hatte nicht nur sie überrascht, sondern auch ihn selbst. Er hatte einem spontanen Gefühl nachgegeben, weil es so stark gewesen war. "Wir dürfen es nicht tun", sagte er schließlich. Sie erstarrte in seinen Armen. "Was?" "Wir dürfen nicht miteinander schlafen." Als sie sich von ihm lösen wollte, hielt er sie fest. "Ich will es. Glaub mir, ich will es, Alison, aber wir dürfen nichts überstürzen. Nur noch ein paar Sekunden, und ich hätte mich nicht mehr beherrschen können. Ich bin ein Gentleman und möchte, daß du das weißt." "Warum muß ich das wissen?" "Ich will nicht, daß du irgend etwas bereust."
"Du hast recht." Sie strich ihre Kleidung glatt, ohne seine Arme zu verlassen. Erst danach trat sie einen Schritt zurück. "Ich weiß, du hast recht ... Es ist mir so peinlich. Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich hätte mich dir nicht an den Hals geworfen ... aber das wäre gelogen." Das mochte er an ihr - ihre offene; direkte Art. "Du kannst dich mir sooft an den Hals werfen, wie du willst." "Nein." Sie hob ihre Tasche auf. "Ich bin eine Aushilfe in deinem Büro, die dir jetzt auch noch das Haus renoviert." "Du bist mehr als das." "Bin ich nicht. Du liebst mich nämlich nicht." "Ich liebe dich nicht?". Sie schüttelte den Kopf. "Jared, wir finden uns offensichtlich anziehend, aber es geht einfach nicht." Natürlich geht es, sehr gut sogar, aber wir sollten uns Zeit lassen." Er trat auf sie zu. "Alison, mein Liebling ..." Sie wich ihm aus. "Es wäre nur Sex." "Unsinn." Sie kehrte ihm den Rücken zu und machte eine hilflose Handbewegung. "Verdammt! Ich bin ganz durcheinander." "Wir brauchen nur ein wenig Zeit. Ich will alles über dich wissen..." "Da gibt es nichts zu wissen", entgegnete sie scharf. "Ich bin ein ganz normaler Mensch, nicht anders als Millionen andere." "Du bist sogar sehr anders", widersprach er. "Du bist einzigartig. Jedesmal, wenn ich glaube, etwas Neues über dich erfahren zu haben, täusche ich mich." Ihr erschrockenes Gesicht überraschte ihn. "Du machst zuviel daraus." "Das finde ich nicht", erwiderte er verwirrt. Warum fühlte sie sich nicht geschmeichelt? Wollte denn nicht jede Frau ein wenig rätselhaft sein? "Doch, das tust du." Sie nahm seinen Arm und führte Jared aus dem Zimmer. "Warte noch ein paar Wochen, dann bin ich
für dich nichts weiter als eins von den Mädchen bei Davis, Hansen und Davis." Er lachte. "Alison, du wirst nie eins von den Mädchen bei Davis, Hansen und Davis sein." "Vielleicht werde ich nie so zäh und schlagfertig wie E.J., da hast du recht. Aber ich bin nicht anders als andere Frauen in meinem Alter", beharrte sie auf dem Weg nach unten. "Was erhoffst du dir eigentlich von deinem Leben?" fragte er, als sie die Haustür erreichten. Die Frage kam völlig unerwartet. "Ich ... ich ..." stammelte sie. "Siehst du? Die meisten Frauen in deinem Alter haben ein Ziel oder haben es vielleicht sogar schon verwirklicht. Warum hast du keins? Was hat dich so ziellos gemacht? Das würde ich wirklich gern wissen. Und du mußt auch einige Dinge über mich erfahren." "Nur weil ich neu bin ..." "Fang nicht wieder davon an", unterbrach er sie. "Wenn du mein Haus renovierst, lernst du mich schnell besser kennen." "Ich werde ein paar neue Bilder aufhängen, das ist alles." "O nein, es gibt da etwas, für das Bilder nicht ausreichen." Er griff nach ihrer Hand. "Ich sag dir was. Ich hole dich morgen abend zu Hause ab, und wir unternehmen einen Schaufensterbummel durchs Einkaufszentrum." Er lächelte. "Ich werde den Wagen wieder parken lassen." "Nein, du kannst mich nicht abholen." "Natürlich kann ich. Ich fahre einfach hin und viola!" "Kein voila, bitte." Er runzelte die Stirn. Warum wollte sie nicht abgeholt werden? Plötzlich wurde er mißtrauisch. "Hast du einen Freund? Bist du verheiratet? Ist das der Grund für dein dauerndes Ausweichen?" "Wie kannst du so etwas sagen?" fuhr sie ihn an. "Du traust mir zu, daß ich meinen Mann betrüge?"
"Verstehst du jetzt, warum wir uns besser kennenlernen sollten?" fragte er, stolz auf seine überzeugende Beweisführung. "Ich hole dich morgen nach der Arbeit ab." "Nein." "Was jetzt?" Langsam verlor er die Geduld. Gerade eben hatte sie noch mit ihm schlafen wollen, und jetzt durfte er sie nicht einmal abholen. Was zum Teufel sollte das? "Morgen paßt es mir nicht. Ich habe einen ... einen Kochkurs." "Ich dachte, du kochst nicht." "Was glaubst du, warum ich einen Kurs mache?" "Ich habe doch schon angeboten, dir das Kochen beizubringen." "Und ich habe abgelehnt." Er weigerte sich, so schnell aufzugeben. "Dann also übermorgen abend." "Paßt mir auch nicht." "Alison, du hast die Wahl", sagte er und war ihre Ausreden endgültig leid. "Entweder du verabredest dich mit mir zu einem Schaufensterbummel, oder ich bekomme deine Adresse über die Agentur heraus und stehe dann auf einmal vor deiner Tür. Glaub mir, ich finde die Adresse schon heraus. Also, entscheide dich." Alison zögerte. Ihr Mund zog sich zu einem schmalen Strich zusammen, ihr Blick wurde noch kühler. "Freitag würde mir passen", sagte sie schließlich. Er lächelte zufrieden. "Gut." "Freu dich nicht zu früh", sagte sie mit eisiger Stimme. "Das wird die schnellste Renovierung, seit Samson den Tempel der Philister abgerissen hat, und danach bin ich weg. Gute Nacht, Jared." Sie riß die Haustür auf, eilte hinaus und knallte sie hinter sich zu. "Bibelfest ist sie auch noch", murmelte er.
7. KAPITEL Wo bekomme ich in drei Tagen bloß eine Wohnung her? dachte Alison, als sie am Morgen ihr Hotel verließ. Bei dem, was sie als Aushilfe verdiente, konnte sie sich nicht einmal eine Nacht im Holiday Inn leisten, und Jared wußte das. Am Nachmittag beschloß sie, den Stier bei den Hörnern zu packen und Jared zu fragen, was er von ihr wollte. "Daß du mich liebst, ist dir gestern nur so herausgerutscht, nicht wahr?" sagte sie, kaum daß sie vor seinem Schreibtisch stand. Er sah aus, als hätte er es schon vergessen. "Nein, keineswegs", erwiderte er schließlich. "Aber es war nicht dein Ernst?" "Natürlich war es das. Und was ist mit dir? Du hast noch gar nichts gesagt." O nein, dachte sie, in diese Falle tappe ich nicht. "Dann stecken wir beide in einer mehr als peinlichen Situation. Ich schlage vor, ich mache dein Büro noch fertig und verschwinde dann." "Was verbirgst du vor mir, Alison?" "Ich verberge gar nichts", sagte sie und schaffte es, ihre Stimme überrascht und ein wenig entrüstet klingen zu lassen. "Okay, ich glaube nicht an Liebe auf den ersten Blick, und vielleicht bin ich im Moment auch nicht ganz objektiv. Aber du
weichst mir aus. Mir und meinen Fragen. Und meinen Gefühlen. Warum soll ich nicht wissen, wo du wohnst?" "Das ist es nicht", begann sie. "Dann sag mir, was es ist." "Ich finde einfach nur, daß unsere Beziehung viel zu kompliziert wird." "Unsinn. Warum willst du mich in jeder Hinsicht auf Abstand halten?" "Ich lebe gern zurückgezogen ..." "Warum kannst du auf eine einfache Frage eigentlich keine einfache Antwort geben?" "Das tue ich doch." "Nein, das tust du nicht. Warum arbeitest du als Aushilfe, wenn du andere Fähigkeiten besitzt, sie nur nicht einsetzt?" "Das ist es nicht." "Warum willst du keine feste Stelle hier in der Kanzlei?" "Weil ich nicht nach einer festen Stelle suche ..." "Du suchst nach überhaupt nichts, Alison. Warum nur?" Alison suchte nach einer passenden Antwort. Ihr fiel so schnell keine ein, also ging sie zum Gegenangriff über. "Ich fühle mich von dir unter Druck gesetzt." "Falsch. Wäre das die Wahrheit, hättest du schneller geantwortet. Du mußtest erst überlegen." "Du bringst mich ganz durcheinander", sagte sie. "Das kann ich nur, weil du auch so schon verwirrt bist. Geh wieder an die Arbeit, Alison. Wir sehen uns am Freitag abend." Sie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Jared würde alles, was sie sagte, gegen sie verwenden. "Ich komme mir vor wie im Zeugenstand beim Kreuzverhör. Du bist ein guter Anwalt, Jared." "Der beste." Sie lächelte. "Verlaß dich nicht darauf." Mit erhobenem Kopf verließ sie sein Büro, obwohl sie sich in die Enge getrieben fühlte.
Nach der Arbeit rief sie von einem öffentlichen Fernsprecher aus ihren Chef beim FBI ein. Art Mallowan war seit über zwanzig Jahren bei der Bundespolizei und durch nichts zu erschüttern. Er hatte Alison unter seine Fittiche genommen und sie mit dem neuen Projekt beauftragt, weil er nicht wollte, daß untergetauchte Belastungszeugen schon kurz nach ihrer Aussage vor Gericht auf sich allein gestellt waren. Das FBI hatte jedem von ihnen eine neue Identität versprochen, und dazu gehörte mehr als nur eine gefälschte Geburtsurkunde. "Höchste Zeit, daß Sie sich melden", knurrte er. "Ich weiß." Alison lächelte. Mallowans rauhe Stimme gab ihr das Gefühl, endlich wieder in ihrer eigenen Welt zu sein. "Wie läuft es bei Ihnen in Philadelphia?" fragte er. "Ich habe ein paar Leute, die dringend untertauchen müssen." "Das Leben hier ist teuer", sagte sie. "Ich will mich noch mal in den Vororten umsehen." "Tun Sie das. Wir brauchen den Nordosten. Er ist ideal für unsere Zwecke. Den Südwesten können wir nicht nehmen. Da könnten wir die Leute ja gleich in die East Side von Chicago schicken. Beeilen Sie sich, ja? Das North-Carolina-Projekt steht auch noch an. Wie lange brauchen Sie wohl noch?" "Das würde ich auch gern wissen, Art." Sie seufzte. "Ich fürchte, ich habe mir da etwas eingebrockt und werde eine Menge offener Fragen zurücklassen, wenn ich hier meine Zelte abbreche." "Was haben Sie sich denn eingebrockt?" Arts Stimme klang kühl und neugierig zugleich. "Ich muß einem Mann das Haus renovieren." Sekundenlang herrschte am anderen Ende Stille, dann ertönte ein Lachen, das in ganz Washington zu hören sein mußte. "Na, dann bin ich ja mal gespannt auf Ihren Bericht." Sie erzählte ihm alles, bis auf ihre Gefühle für Jared. "Das klingt, als wäre der Kerl scharf auf Sie." "Art!"'
"Ich meinte, er wird nicht so schnell aufgeben." "Das Problem ist, daß ich jetzt nicht so einfach wieder verschwinden kann. Es ist gut möglich, daß er dann Nachforschungen anstellt", sagte Alison. "Alison, das dürfen wir nicht riskieren. Sie sind meine beste Agentin auf diesem Gebiet. Wir können unsere Zeugen nur für eine bestimmte Zeit unterstützen, danach müssen sie für sich selbst sorgen. Wir müssen sicherstellen, daß sie sich dort, wo wir sie hinschicken, einfügen und ein unauffälliges Leben führen. Dazu gehört auch ein Job. Sie müssen sich in ihre Lage versetzen und ihr Leben für sie führen. Ihr Urteil ist sehr wichtig. Sie gefährden doch nicht etwa Ihre Tarnung, oder?" fragte Art besorgt. Hoffentlich nicht, dachte sie. "Nein. Der Typ ist nur etwas zu neugierig, das ist alles. Ich werde ihn schon abschütteln." "Okay, renovieren Sie sein Haus und verschwinden Sie dann von dort." "Mach ich." "Alison?" "Ja, Sir?" "Und vergessen Sie nicht, warum Sie in Philadelphia sind." "Keine Angst. Übrigens brauche ich eine Wohnung." "Was?" Sie nahm den Hörer vom Ohr, während Art eine Reihe nicht druckreifer Flüche ausstieß. Als er sich beruhigt hatte, sprach sie weiter. "Ich brauche eine Wohnung, Art. Frag mich nicht, warum. Es ist kompliziert. Aber wenn ich keine bekomme, wird der Mann Verdacht schöpfen. Kannst du mir bis Freitag eine besorgen?" "Wenn du wieder hier bist, erwarte ich einen ausführlichen Bericht mit einer stichhaltigen Begründung", brummte ihr Vorgesetzter. "Den bekommst du."
"Ruf mich in drei Stunden wieder an. Dann gebe ich dir die Adresse durch", versprach er. Erleichtert hängte sie ein. Am Abend besichtigte sie ihre neue Wohnung. In dem leeren Zimmer hallten ihre Schritte laut vom Parkett wider. Die Einzimmerwohnung paßte zu dem, was sie Jared über sich erzählt hatte. Zwei Tage später, in Jareds Büro, hielt sie die kleine Statue der Justitia im Arm, um sie vor den Möbelpackern zu beschützen. Die Einrichtung war so, wie sie sich sie vorgestellt hatte. Sie warf einen Blick auf das Wasserfall-Bild an der Wand und nickte zufrieden. Perfekt. Selbst der leicht mißlungene Anstrich störte nun nicht mehr. "Wie findest du es?" Sie drehte sich zu ihrem Auftraggeber um. "Großartig", rief Jared und schob einen Sessel einige Zentimeter weiter nach rechts. "Tolle Arbeit, Alison. Es gefällt mir. Und den Mandantinnen bestimmt auch." Mehrere Anwaltskollegen schauten herein und staunten. Selbst Robert Davis rang sich, ein anerkennendes Lächeln ab. "Sieht gut aus", lobte er. "Alison hat es entworfen", verkündete Jared. "Tatsächlich?" Der Seniorpartner sah sie an. "Ausgezeichnete Arbeit, junge Lady." "Danke." Einen Job hatte sie damit erledigt, einer stand noch aus. Bald würde sie aus Philadelphia und Jared Holidays Leben verschwinden. Der Gedanke tat weh, aber sie verdrängte das Gefühl. Voller Entsetzen starrte Jared auf die Gartenstühle. "Wir können jetzt gehen", verkündete Alison und nahm ihre Jacke aus dem Schrank.
"Alison, du hast nur zwei Stühle - zwei Gartenstühle", sagte er, als traute er seinen Augen nicht. "Und ein Radio. Das darfst du nicht vergessen." "Aber du bist doch Innenarchitektin! Wo ist dann deine Einrichtung?" wollte er wissen. "Ach." Sie zuckte mit den Schultern. "Aber..." "Komm schon. Du wolltest einen Schaufensterbummel, jetzt kriegst du ihn." Sie nahm seinen Arm und führte Jared aus der winzigen Wohnung. "Du bist ja praktisch obdachlos!" Sie lachte. "Jared, du übertreibst." "Zwei Gartenstühle, ein Radio, und ich übertreibe?" Sie wedelte mit der Hand. "Ich bin gerade erst eingezogen." Auf der Fahrt zum Einkaufszentrum fragte er sich, wie Alison ein so unstetes, heimatloses Leben führen konnte. Es war unmenschlich. Sie tat ihm leid. Und sein Beruf war es, Frauen wie ihr zu helfen ... Er nahm sich vor, ihr mehr Arbeit zu verschaffen und sie zu einer wohlhabenden Frau zu machen. "Du bist so still", riß sie ihn aus seinen Gedanken. "Ich denke nur nach." "Etwa über meine Wohnungseinrichtung?" "Ja. Alison ..." "Jared, zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Meine Möbel sind bloß noch nicht da, das ist alles." "Ja?" "Wie gesagt, ich bin gerade erst eingezogen." Daß ihre Möbel noch nicht geliefert worden waren, erklärte einiges. Aber warum diese ungewöhnlich lange Verzögerung? Immerhin arbeitete sie jetzt schon seit einem Monat bei Davis, Hansen und Davis! Während des Schaufensterbummels machte Alison sich ausführliche Notizen, wann immer Jared etwas gefiel. Eigentlich
hatte er sich eher vorgestellt, daß sie in Ruhe durch das Center schlendern und sich von den Auslagen inspirieren lassen würden. Er hatte sie am Arm durch das Gedränge steuern wollen, aber leider waren an diesem Abend nicht viele Kauflustige unterwegs. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und griff nach Alisons Hand. Sie war warm und weich, und sofort schlug sein Herz schneller... Alison zog sie wieder zurück. Jared runzelte die Stirn. "Alison ..." "Gefällt dir diese Vase?" fragte sie und nahm eine aus dem Regal. "Wohin würdest du die stellen?" Das Ding sah einfach grauenhaft aus. "Wir könnten das Wohnzimmer im russischen Stil einrichten ..." lautete ihre Antwort. Die Vorstellung erschreckte ihn. "Ich habe nichts gegen russische Literatur, aber wohnen möchte ich so nicht." "Okay." Sie stellte die Vase wieder hin. Diesmal ging sie so weit von ihm entfernt aus dem Geschäft, daß er nicht nach ihrer Hand greifen konnte. "Ich beiße nicht", knurrte er und kam sich vor wie ein Aussätziger. Sie sah ihn an. "Warum sagst du das?" "Weil du mindestens einen Meter Abstand zu mir hältst." "Oh, sieh mal dort drüben. Skandinavisch. Klare Linien. Sachlich und kühl. Genau wie du, Jared." Sie eilte hinüber. "Ich habe mich immer für kompliziert und heißblütig gehalten", murmelte er gekränkt. Im Geschäft eilte Alison von Sofa zu Sessel zu Tisch. Das blasse Birkenholz und die arktisweißen Kissen wirkten ungemütlich, wenn nicht sogar frostig. Im nächsten Geschäft zeigte sie auf eine Lampe im texanischmexikanischen Stil. "Die finde ich gut."
"Wie? Für das norwegische Wohnzimmer?" fragte er spöttisch. "Oh ... na ja, nicht ganz." Sie lächelte verlegen. "Sie würde aber hervorragend zu dem hellgrünen Schrank passen." "Ich dachte, der war hellrot." In einer Coffee Bar legten sie eine Pause ein. Jared bestellte seinen Yuppie-Kaffee, kolumbianischen mit Mokkasahne, während Alison einen Kräutertee trank. "Du hast doch wohl nicht etwa alles aufgeschrieben, was wir uns angesehen haben, oder?" fragte er. "Alles, was dir gefiel. Übrigens, du hast einen Sahnebart." "Möchtest du ihn ablecken?" Alison warf ihm einen wütenden Blick zu. "Jared, hör auf." "Okay." Er wischte sich die Sahne mit der Serviette ab. "Ab jetzt werde ich artig sein. Bist du sicher, daß du sie nicht ablecken wolltest?" "Jared!" "Schon gut... Aber ich finde immer noch ..." "Noch ein dummer Spruch und die Mokkasahne landet auf deinem Schoß!" rief Alison. "Hier, sieh dir endlich diese dämliche Liste an." Sie schob ihm den Notizblock hin. Lächelnd senkte er den Blick. "Bei einigen Sachen habe ich nur Spaß gemacht." "So?" "Natürlich. Alison, warum sollte ich sowohl Queen Anne, skandinavische Möbel und spanische Missionseiche in meinem Wohnzimmer haben wollen?" "Ich dachte mir, du kombinierst gern verschiedene Stile." "Aber doch nicht wahllos", protestierte er. Sie hob den Finger. "Ich habe dir doch gesagt, mit Fotos geht es einfacher." "Aber es wäre nicht so lustig. Hierbei lernen wir uns richtig gut kennen, findest du nicht?"
"Ich weiß jetzt, daß du keine Ahnung hast, was du eigentlich willst." "Ich habe sogar sehr große Ahnung", versicherte er. "Ich weiß, daß ich dich will." Ihre Augen weiteten sich. "Trink deinen Kaffee, Honey", sagte er und nippte an seinem. "Ich sollte dir meinen Tee dorthin kippen, wo ..." "Sei lieb, ja?" "Trink dein Yuppie-Gebräu aus und laß uns endlich mit diesem sinnlosen Einkaufsbummel weitermachen." Jared schmunzelte. "Okay", sagte sie eine Weile später, als sie in der Möbelabteilung von Niemann-Marcus standen. "Willst du nun den Ledersessel oder nicht?" "Ich weiß nicht recht. Was meinst du?" "Ich glaube, gleich trete ich dich dorthin, wo mein Tee fast gelandet wäre. Was hältst du von dem Ölbild dort hinten?" "Gefällt mir." Es gefiel ihm wirklich, obwohl es die Kopie eines alten Meisters war. Eine recht gute Kopie sogar. "Okay", sagte sie und notierte es. "Aber nur, wenn es zur restlichen Einrichtung paßt." Sie strich das Bild wieder von der Liste. Aus dem Lautsprecher kam die Durchsage, daß das Kaufhaus in fünf Minuten schließen würde. "Gerettet", meinte Alison trocken und sah plötzlich viel fröhlicher aus. Jared seufzte. "Schade." "Finde ich auch. Mit dir am Freitagabend durch ein Einkaufszentrum zu bummeln ist einfach traumhaft. Fast so entspannend wie eine Wurzelbehandlung." "Danke." Sie lachte. "Könnten wir jetzt deinen Wagen vorfahren lassen?" "Wenigstens gibt es etwas, das dir gefällt."
"Stimmt." Er mußte an ihren ersten Abend im Einkaufszentrum denken. Auf dem Parkplatz hatten sie sich zum erstenmal geküßt. Und dann fielen ihm wieder die beiden Gartenstühle und das Radio in ihrer Wohnung ein. Vermutlich besaß Alison gar keine richtigen Möbel, und bei dem, was sie verdiente, konnte sie sich auch keine leisten. Ihm war rätselhaft, wovon sie überhaupt die Miete bezahlte. Er mußte unbedingt wissen, wie sie in diese mißliche Lage geraten war. "Du hast mir doch erzählt, daß deine Mutter nicht mehr lebt", begann er, als sie im Wagen saßen. "Habe ich das?" "Ja. An deinem ersten Tag bei Davis, Hansen und Davis. Du sagtest, deine Mutter wäre entsetzt, wenn sie wüßte, was meine Klientinnen alles aus ihren gescheiterten Ehen berichten." "Ach so, ja, natürlich. Und?" Sie klang viel zu sachlich. "Das muß schrecklich für dich gewesen sein. Ist sie bei einem Unfall umgekommen?" "Nun ja ... Sie war krank und hatte einen Unfall." "Und deinen Dad hast du auch schon verloren?" "Ja, er ist vor drei. Jahren nach langer Krankheit gestorben. Ich habe einen Bruder ..." "Du sagtest doch, daß du keine Familie hast", unterbrach er sie. "So?" "Ja. Du sagtest, du bist Waise." Sie zuckte mit den Schultern. "Bin ich nicht." "Warum hast du es dann gesagt?" "Was?" "Daß du Waise bist." "Das habe ich bestimmt nicht gesagt. Ich habe eine Mutter und einen Bruder."
Verständnislos starrte er sie an. "Aber du hast mir doch gerade erzählt, daß deine Mom bei einem Unfall umgekommen ist." "Ich habe gesagt, sie war krank und hatte einen Unfall. Daß sie dabei umgekommen ist, habe ich nie behauptet." Jared schüttelte den Kopf. Er wußte genau, was sie ihm erzählt hatte. Sie schaute nach vorn. Ihr Profil wirkte kühl und ruhig. Vielleicht hatte er sie doch falsch verstanden. Nein. Unmöglich. Jared war gewohnt, sich solche Details zu merken. Warum sollte jemand behaupten, keine Angehörigen zu haben, obwohl er welche besaß? Seine eigene Familie war nicht gerade toll gewesen, aber er würde sie niemals verleugnen. Vielleicht war Alison wegen familiärer Probleme umgezogen. Ja, das mußte es sein. Bestimmt hatte sie eine schlimme Kindheit hinter sich. Was für eine emotionale Last trug sie wohl mit sich herum? Bei jeder anderen Frau hätte ihn das abgeschreckt. Aber Alisons Probleme, wie immer sie aussahen, machten ihm keine Angst. Im Gegenteil, er wollte ihr helfen, sie zu lösen. "Wo muß ich abbiegen?" fragte er, als sie den Gebäudekomplex erreichten, in dem sie wohnte. "Hm ..." Alison starrte auf die Häuser, die sich vor ihr erstreckten, "Ich weiß es nicht." Er bremste scharf. Der Wagen hielt, und Jared drehte sich zu Alison um. "Was soll das heißen, du weißt es nicht? Wieso weißt du nicht, wo du wohnst?" "Es ist ein großes Viertel. Manchmal verirre ich mich eben noch, na und? Gib mir etwas Zeit, bis ich mich zurechtfinde .... Augenblick, du hast doch noch die Wegbeschreibung, die ich dir im Büro gegeben habe. Nimm die." Er suchte in sämtlichen Taschen. "Ich glaube, ich habe sie verloren." "Und da schreist du mich an?"
"Du wohnst doch hier, ich nicht." Sie schwieg einen Moment. "Fahr einfach herum. Wir finden es schon. Das hier ist die Hauptstraße ... glaube ich jedenfalls." Jared nahm den Fuß von der Bremse, und der Wagen fuhr an. "Seit wann wohnst du hier?" "Noch nicht lange. Bieg links ein." Er biß sich auf die Zunge und tat es. "Jetzt rechts", sagte sie kurz darauf. Diese Frau wird mir immer rätselhafter, dachte er. Alison bat ihn noch mehrmals, in eine Querstraße einzubiegen. Jedesmal landeten sie auf einem Parkplatz. "Was zum Teufel soll das?" fragte Jared schließlich, als im Scheinwerferlicht der nächste Parkplatz auftauchte. "Alison ..." "Ich suche ja", beteuerte sie. "Ich fahre ungern nachts, also fällt es mir schwer, die Wohnung in der Dunkelheit zu finden. Sobald wir meinen gelben Fiero sehen, sind wir am Ziel." "Alison!" Er konnte nicht fassen, daß sie die ganze Zeit nach ihrem Wagen Ausschau gehalten hatte. "Was denn?" Sie drehte sich zu ihm. Ihre Augen waren groß und voller Unschuld. Jared seufzte. "Welche Nummer hat dein Apartment?" "Q 34. Wir haben das Q-Gebäude noch nicht gefunden. Ich habe danach gesucht." Er zeigte auf ein Haus. "Das ist Gebäude 21. Die anderen haben auch Nummern." "Das kann nicht sein. Meins beginnt mit einem Buchstaben, da bin ich ganz sicher." Jared biß die Zähne zusammen und fuhr zurück zur Hauptstraße. Den Weg kannte er, dort war er schon sechsmal gewesen. Schließlich hielt er an einem Plan, auf dem sämtliche Gebäude verzeichnet waren - jedes mit einer Nummer und keinem Buchstaben, "Dann muß es wohl 34-Q sein", sagte sie verlegen.
"Unmöglich. Es gibt kein Gebäude 34. Und die Apartments gehen jeweils nur bis J." "Kein Q? Keine 34?" "Nein." "Was soll denn das?" "Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit." "He!" Sie beugte sich über ihn hinweg zum Seitenfenster und zeigte auf die Überschrift des Plans. "Das hier ist Fox Meadows. Ich wohne in Fox Hollow." Er hatte schon begonnen, sich über ihre Nähe zu freuen, doch jetzt riß sein Geduldsfaden. "Was? Warum hast du das nicht gleich gesagt?" Sie richtete sich wieder auf, "Ich habe nicht darauf geachtet. Außerdem hast du so getan, als würdest du dich auskennen." " Gib mir nicht die Schuld." "Warum hören wir nicht einfach auf, uns zu streiten, und fahren zu mir?" Jared trat das Gaspedal durch und raste in Rekordzeit aus dem Irrgarten heraus. Am Ende der Straße lag ihr Häuserkomplex. Jared war nun völlig verwirrt und kam sich ziemlich dumm vor. Alison dirigierte ihn ohne jeden Umweg zu dem Haus, in dem sie wohnte. "Danke für den interessanten Abend", sagte sie. "Wir sind noch nicht fertig", erwiderte er. "Ich hole dich morgen wieder ab. Falls ich jemals wieder herfinde." Sie tippte auf ihren Block. "Ich habe schon genug Ideen." "Mit den Schlafzimmern haben wir aber noch nicht einmal angefangen", erklärte er und fragte sich, wer hier der Innenarchitekt war. "Morgen kann ich nicht. Ich muß ..." "Sag es ab", unterbrach er sie. "Was immer es ist, es kann warten. Ich zahle dir den Abend extra."
"Ich will und brauche dein Geld nicht!" antwortete sie entrüstet. "Und ich lasse mich von dir nicht herumkommandieren." Er versuchte, logisch zu argumentieren. "Ich will mich nicht mit dir streiten, Alison. Ich bitte dich nur, den Job zu erledigen, für den ich dich engagiert habe. Morgen ist Samstag, der beste Tag dafür." Sie schwieg. Dieser Abend hatte sich zu einer einzigen Katastrophe entwickelt. "Danke, daß du mich an meine Verpflichtung erinnert hast, Jared", sagte Alison nach einer Weile. "Gute Nacht." Sie stieg und schloß die Tür ein wenig zu sanft für seinen Geschmack. Ihm wäre lieber gewesen, sie hätte sie zugeknallt. Daß sie so ruhig geblieben war, machte ihm Sorgen. Hastig Öffnete er das Seitenfenster. "Ich bin um zehn wieder hier", rief er. "Und warte auf dich." Sie ging ins Haus. Er hätte schwören können, daß sie ihn mit einer unmißverständlichen Geste verabschiedet hatte, bevor die Tür hinter ihr ins Schloß fiel. Hatte sie ihm wirklich den Finger gezeigt? Unmöglich, dachte er kopfschüttelnd. Nicht Alison.
8. KAPITEL Am Samstag verließ Alison ihre Wohnung, bevor Jared sie abholen kam. Sie hatte kein Lust, mit ihm Möbel auszusuchen. Außerdem hatte sie auch noch einen zweiten Job. Ihren richtigen. Alison fuhr durch die Vororte von Philadelphia, durch die kleinen Städte im Süden New Jerseys, die entlang der Straße ineinander übergingen. Sie bummelte durch ein kleines Einkaufszentrum, diesmal aus reinem Vergnügen. Hier, keine zwanzig Meilen von der Großstadt entfernt, war das Leben gemächlicher, überschaubarer und nicht so teuer. Vielleicht sollte das FBI seine Zeugen hier unterbringen. Über der Hauptstraße warb ein Banner für den Wettbewerb der örtlichen High-School-Marschkapellen. Alison hatte früher nicht nur Klavier gespielt, sondern auch Klarinette, aber marschiert war sie mit ihrer Band nie. Neugierig machte sie sich auf den Weg zum Footballstadion. Es war brechend voll. Viele Zuschauer trugen T-Shirts "ihrer" High School und feuerten die jeweilige Kapelle begeistert an. Und dann die Schüler selbst! Alison war fasziniert, mit welcher Präzision die Kapellen marschierten. Vor jedem Auftritt konnten die Eltern, Angehörigen und Freunde Musikwünsche äußern.
Alison mußte lächeln. Die ausgelassene Stimmung war ansteckend, und sie bedauerte, daß es so etwas zu ihrer HighSchool-Zeit nicht gegeben hatte. Mehr noch, sie sehnte sich danach, irgendwie dazuzugehören. Sie wünschte, sie hätte ein Kind, eine Familie, ein Zuhause und Samstage mit solchen Wettbewerben, Footballspielen oder anderen Familienausflügen. Seufzend sah sie Stunden später zu, wie die letzte Kapelle vom Feld marschierte. Alison hatte nicht nur einen idealen Ort für ihre Schützlinge gefunden, sondern auch das, was in ihrem eigenen Leben fehlte. Erst jetzt wurde ihr bewußt, wie sehr sie das alles vermißte. Auf der Rückfahrt mußte sie wieder an Jared denken. Irgendwie hatte er mit ihrer plötzlichen Sehnsucht nach einem normalen Leben zu tun. Er war ihr unter die Haut gegangen, und nun wurde sie ihn nicht mehr los. Als sie vor ihrem Haus hielt, hätte sie am liebsten sofort wieder kehrtgemacht. Auf dem Besucherparkplatz stand Jareds Wagen, und er saß drin. Bevor sie wenden konnte, stieg er aus. Alison blieb nichts anderes übrig, als ihren Fiero abzustellen und ebenfalls auszusteigen. "Wo zum Teufel warst du?" fragte er unwirsch. "Bei einem Marschwettbewerb von High-School-Kapellen." Er sah sie an, als hätte sie behauptet, auf dem Mond gewesen zu sein. "Bei einem was?" "Du hast richtig gehört." Ein Mann, der den ganzen Tag und den halben Abend auf eine Frau wartete, konnte nicht ganz normal sein. "Warum hast du so lange gewartet? Das ist nicht gut, Jared. Ehrlich gesagt, es macht mir Angst." Er fuhr sich durchs Haar. "Du hältst eine Verabredung nicht ein, du bleibst den ganzen Tag weg, ohne dich zu melden, und da mache ich dir Angst?" "Ich habe dir doch gesagt, daß ich heute nicht kann." "Wegen eines Marschwettbewerbs von Schulkapellen?"
Sie schwieg. "Ich habe mir Sorgen um dich gemacht", gestand er leise. Alison spürte, wie sie errötete, und war froh, daß es bereits dunkel war. "Es tut mir leid. Möchtest du noch bei mir einen Tee trinken?" "Okay." Alison schloß die Wohnungstür auf und machte Licht. Die beiden Gartenstühle wirkten vor der nackten, weißen Wand verloren. "Es sieht wirklich etwas kahl aus", murmelte sie. "Wann kommen denn deine Möbel?" Ihre Möbel? Richtig, sie hatten ja gestern abend darüber gesprochen. "Oh, ich weiß nicht genau ... Ich muß noch mal im Lagerhaus anrufen." "Warum hast du das nicht längst getan?" Sie hätte Art bitten sollen, ihr eine möblierte Wohnung zu besorgen. "Das habe ich, aber der Umzug war teuer genug, da müssen die Möbel eben warten." Jared holte ein Scheckbuch heraus. "Steck das weg", sagte sie streng und ging in die Küche, die ebenso leer war wie das Wohnzimmer. Zum Glück standen auf der Spüle Geschirr, ein Kessel und ein paar Töpfe. Sie stellte ihre Tasche auf die Arbeitsplatte und machte Tee. Jared saß am Klapptisch, das Scheckbuch vor sich. "Hör mal, du hast mein Büro eingerichtet, und ich habe noch nicht bezahlt..." "Doch, das hast du. Du hast all die Schecks für die Möbel und die Maler ausgestellt." "Aber dich habe ich noch nicht bezahlt." "Das war ein Freundschaftsdienst, Jared. Ich will dein Geld nicht", wehrte sie ab. "Vergiß es, Alison." Er schrieb den Scheck aus. "Du nimmst es." "Nein, das werde ich nicht."
Er stand auf, Scheck in der Hand und Entschlossenheit im Blick. Seine blauen Augen funkelten. Bevor sie es verhindern konnte, stopfte er den Scheck in ihre Umhängetasche. Einen scheinbar endlosen Augenblick lang starrte er auf den Inhalt, dann' griff er hinein und nahm ihre Dienstwaffe heraus. Mit spitzen Fingern hielt er die 38er hoch. Alison stöhnte. Sie hatte die Pistole immer bei sich, wenn sie "im Einsatz" war, und heute war ein FBI-Arbeitstag gewesen. In der Tasche war die Waffe unauffälliger als in einem Schulterhalfter, mit dem sie immer aussah, als hätte sie drei Brüste. "Alison", begann er. "Leg sie zurück", sagte sie resigniert. Jetzt war ihre Tarnung endgültig aufgeflogen. "Du steckst in großen Schwierigkeiten, stimmt's?" Seufzend dachte sie daran, was Art Mallowan dazu sagen würde. "Ja." "Ich wußte es. Ich wußte, daß etwas nicht in Ordnung ist", sagte er kopfschüttelnd. "Du hast etwas verbrochen, habe ich recht?" "O nein." Obwohl ihr die Tränen kamen, mußte sie lachen. "Nein, Jared, ich habe gegen kein Gesetz verstoßen. Das könnte ich nicht." "Dann ist jemand hinter dir her. Du versteckst dich, weil du in großer Gefahr bist", folgerte er. "Du hast zu viele Krimis gelesen." "Diesmal machst du mir nichts vor, Alison." Er legte die Arme um sie und zog sie an sich, so daß sie die kalte Waffe an ihrem Rücken spürte. Das war kein sehr angenehmes Gefühl, schon gar nicht, wenn ein Amateur das Ding in der Hand hielt. Behutsam löste sie sich von ihm und nahm ihm vorsichtig die Pistole ab. Zum Glück war sie noch gesichert. Alison legte sie in die Tasche zurück. "Alison, erzähl mir, was los ist", bat Jared sanft.
Daß er sich Sorgen um sie machte, ging ihr ans Herz. Aber er würde fuchsteufelswild werden, wenn er die Wahrheit erfuhr. Der Kessel pfiff, also nahm Alison ihn vom Herd und goß kochendes Wasser über den Tee. Dann drehte sie sich zu Jared um. "Nein." "Ich will dir doch nur helfen." "Jared, du bist wirklich lieb. Aber es gibt nichts zu erzählen. Ich stecke nicht in Schwierigkeiten. Ehrlich nicht." "Warum trägst du dann eine Waffe?" "Das tun viele Leute", erwiderte sie, während sie die Teekanne auf den Tisch stellte. "Schließlich bin ich eine Frau, die allein lebt. Ich muß mich schützen, das ist alles." Er nahm die Becher, die auf der Arbeitsplatte standen. "Du hast mal gesagt, du könntest einer Fliege die Flügel abschießen. Kannst du das wirklich?" "Ja. Ich finde, wer eine Waffe trägt, sollte auch damit umgehen können." "Das macht mir irgendwie Angst." Sie lachte. "Ich verspreche dir, daß ich sie nie benutzen werde." "Wozu hast du sie dann?" "Wie gesagt, ich bin eine alleinlebende Frau und muß mich schützen", entgegnete sie, während sie den Tee eingoß. "Aber wenn du sie nicht benutzen willst, hilft sie dir auch nicht." Seine Logik war bestechend. Sie nippte an ihrem Tee. Er schmeckte nicht. Sie hätte ihn länger ziehen lassen sollen. "Ich verspreche dir, daß ich sie nur im äußersten Notfall einsetze," "Du bist in Gefahr. Ich wußte es." "Nein, bin ich nicht. Bitte glaub mir, Jared." Er griff über den Tisch nach ihrer Hand. "Alison, laß mich dir helfen. Was hast du für ein Problem?" Sie zog die Hand aus seiner, und da es die rechte war, hob sie sie zum Schwur. "Ich schwöre, daß ich keine Probleme habe ..."
Nur mit meinem Chef in Washington, dachte sie. "... und auch nichts Verbotenes oder Unehrenhaftes getan habe." "Du lügst", entgegnete er. Sie beugte sieh vor. "Jared, du irrst dich. Ich stecke nicht in Schwierigkeiten und werde auch von niemandem bedroht." Außer von ihm, und die Gefahr war rein emotional. "Alison ... Kein Mensch lebt so wie du, wenn er nicht dazu gezwungen wird." Sie gab auf. "Du bist der verbohrteste Mensch, der mir je begegnet ist." "Ich bin nicht verbohrt. Du verbirgst etwas, und ich mache mir Sorgen." "Jared, trink deinen Tee aus. Es war ein langer Tag." Demonstrativ nahm sie einen Schluck, aber er schmeckte nach nichts. "Beantworte mir eine Frage, nur diese eine", beschwor er sie. "Erzählst du mir alles über dein Leben? Jetzt sofort?" Sie wußte, daß sie in der Falle saß. "Nein." Jared lächelte triumphierend. "Siehst du? Du steckst in Schwierigkeiten." ' "Was du nicht sagst", murmelte sie. Jetzt weiß ich es, dachte Jared und musterte Alison über den Klapptisch in ihrer Küche hinweg. Nun gut, er kannte keine Einzelheiten, aber er kannte endlich den Grund für ihr ausweichendes Verhalten. Sie steckte in Schwierigkeiten. Sie trug eine Waffe. Sie brauchte Hilfe. Er beschloß, heute nacht bei ihr zu bleiben und sie zu beschützen. Wie sollte er ihr das beibringen? Offensichtlich wollte sie seine Hilfe nicht, also durfte er nicht den Beschützer spielen. Er lächelte. Es gab nur einen Weg, die Nacht in der Wohnung einer Frau zu verbringen, ohne Verdacht zu erregen.
Er würde keinen Verdacht erregen, sondern statt dessen sie erregen. Zärtlich nahm er ihre Hand und küßte sie. "Ich werde keine Fragen mehr stellen, Alison. Das verspreche ich dir." Sie lächelte ein wenig zu erleichtert. "Aber ich mache mir Sorgen um dich", fuhr er leise fort. "Ich brauche deine Hilfe nicht", protestierte sie laut. "Was muß ich tun, um dich davon zu überzeugen? Nackt durch den Central Park laufen?" "Der ist in New York. Hier müßtest du durch den Fairmont Park rennen", scherzte er. "Verdammt, Jared, es reicht. Okay? Ich danke dir für deine Besorgnis, aber jetzt ist es Zeit zu gehen." "Nein." Er griff wieder nach ihrer Hand. "Geh nicht, Alison." Sie entriß sie ihm zum zweiten Mal. "Ich habe dich gemeint, nicht mich." "Oh." Er räusperte sich. "Dann haben wir ein kleines Problem. Ich werde nämlich bleiben." "Du bleibst?" wiederholte sie verdutzt. "Ich bleibe bei dir, bis du außer Gefahr bist. Eigentlich wollte ich dich verführen, damit du nicht merkst, daß ich dich beschützen will. Natürlich nicht nur deshalb", versicherte er hastig. Alison stöhnte laut auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch; Die Becher schepperten, der Tee schwappte fast über. "Wenn ich dich jetzt umbringe, ist das dann Notwehr?" fragte sie. Jared schaute nervös auf ihre Tasche. Sie hatte eine Pistole, und wer weiß, wozu sie in diesem Zustand fähig war? Sie hob den Kopf. "Jared, fahr nach Hause. Bitte. Niemand wird mir etwas tun - außer dir. Du machst mich noch völlig verrückt!"
Jared starrte sie an. Er wollte sie nicht noch mehr aufregen. Aber er wollte sie auch nicht allein lassen. Also sagte er das Harmloseste, was ihm einfiel. "Der Tee schmeckt gut." "Danke." Sie seufzte. "Du hast einen falschen Eindruck von mir." "Das glaube ich nicht." Sie funkelte ihn an. Der Klügere gibt nach, dachte er und hielt den Mund. "Aber ich weiß es", fuhr sie fort. "Ich brauche deinen Schutz nicht, weil ich selbst auf mich aufpassen kann, äußerst wirkungsvoll sogar. Diese Wohnung ist zu klein für einen Dobermann, also habe ich mir eine handliche Waffe zugelegt. Jetzt fahr bitte nach Hause und ruh dich aus, Jared. Es ist schon spät." Er glaubte, ihre Angst spüren zu können, und war überzeugt, daß sie ihn nur deshalb fortschickte, weil sie ihn nicht auch noch in Gefahr bringen wollte. Sie war ja so süß. "Na gut", sagte er und setzte ein unschuldiges Lächeln auf, obwohl er bereits einen Plan schmiedete. "Ich verstehe, was du meinst." "Gott sei Dank!" Sie erwiderte sein Lächeln so freundlich und warmherzig, daß er sie am liebsten umarmt hätte. "Versprich mir, daß du morgen hier bist, wenn ich dich zur Fortsetzung unseres Einkaufsbummels abhole." "Ich verspreche es." Sie hob drei Finger der rechten Hand zum Pfadfinderschwur. "Bis dann." Gemeinsam gingen sie zur Tür. Alisons Parfüm betörte ihn, und Jared bereute es, den Verführungsplan verworfen zu haben. Nein, Ehrlichkeit war besser. Sie küßte ihn auf die Wange. "Danke. Danke für alles." Erst Vertrauen, dann Sex, sagte er sich und widerstand der Versuchung, sie zu küssen, bis sie ihn anflehte, doch noch zu bleiben. Seine Haut brannte, wo ihre Lippen sie berührt hatten.
Lächelnd gab er ihr einen Kuß auf die Wange. Ihre Haut war so sanft und seidig. "Gute Nacht, Alison." Jared ging in die Kälte hinaus, stieg in den BMW, startete den Motor und ließ ihn aufheulen. Alison beobachtete ihn, das wußte er. Er schaltete die Scheinwerfer an, hupte kurz und fuhr vom Parkplatz. Im Rückspiegel sah er, daß sie noch immer in der Tür stand. Sie mußte eine Menge zu verbergen haben. Nachdem er den Gebäudekomplex einmal umrundet hatte, kehrte er wieder auf ihren Parkplatz zurück. Er schaltete erst die Scheinwerfer, dann den Motor aus und ließ den Wagen ausrollen. Nervös schaute er zu Alisons Apartment hinüber. Im Wohnzimmer brannte noch Licht. Er machte sich so klein wie möglich und beschloß, die Rückseite des Hauses zu bewachen, sobald sämtliche Bewohner schliefen. Die Kälte kroch an seinen Beinen hoch, und sein Nacken begann zu schmerzen. Nach einer Weile tat ihm auch der Hintern weh. Fünf Minuten später spürte er ein dringendes Bedürfnis. Er mußte austreten. Unruhig rutschte Jared auf dem Fahrersitz hin und her. Er sah auf die Uhr. Seit seiner Rückkehr war erst eine Viertelstunde vergangen. Er hätte wissen müssen, daß die Nacht ihm wie eine Ewigkeit vorkommen würde. Bei Alison ging das Licht aus. Endlich, dachte er. Jetzt wurde es ernst. Irgendwann fielen ihm die Augen zu. Er riß sie wieder auf. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er zu schwer für die Schultern. Jared rieb sich die Lider und massierte sich den Nacken, aber es half nicht. Etwa eine Stunde, nachdem Alison ihr Licht gelöscht hatte, beschloß er, auf Patrouille zu gehen. Die Straße war menschenleer, und im Haus waren nur noch vereinzelte Fenster
erleuchtet. Außerdem ließ sich so wenigstens eins seiner Probleme lösen. Er sah sich um, bevor er leise die Tür öffnete und ausstieg. Dann schaute er noch einmal in die Runde. Der Parkplatz lag verlassen da. Vorsichtig ging er über den Bürgersteig, suchte sich einen Baum, in dessen Schatten er sein dringlichstes Problem erledigen konnte, und schlich ums Haus, wobei er fast eine Kellertreppe hinuntergefallen wäre. Sein Herz schlug wie wild, als ihm bewußt wurde, wie dunkel es hier war. Er wäre jedem Angreifer hilflos ... "Keine Bewegung! Hände hinter den Kopf und flach auf den Boden legen!" Um Jared herum gingen grelle Lichter an und blendeten ihn. "Hände hoch und hinlegen!" rief jemand. Viel zu spät begriff Jared, was los war. Die Männer waren Polizisten. "Alles okay, Officer ..." "Ich sagte, Hände hoch und hinlegen! Sofort!" Jared wurde klar, daß Erklärungen im Moment nicht angebracht waren. Er verschränkte die Hände im Nacken, ging mühsam in die Knie und ließ sich einfach nach vorn fallen. Sein Gesicht lag nun im kalten, nassen Gras, und er fühlte, wie die Feuchtigkeit durch seine Hosenbeine drang. Großartig, dachte er. Einer der Polizisten klopfte ihn nach einer Waffe ab. "Sie haben das Recht zu schweigen ..." "Ja, ich weiß", unterbrach Jared ihn. Der Polizist fuhr ungerührt fort. "Sollten Sie auf das Recht zu schweigen verzichten, kann alles, was Sie sagen ..." "Officer, ich kenne meine Rechte. Ich bin Anwalt." Trotz der Kälte brannte Jareds Gesicht. Er konnte nur hoffen, daß niemand von diesem peinlichen Vorfall erfuhr. "Verzichten Sie auf Ihre Rechte?" "Ja. Dies ist ein Mißverständnis. Kann ich jetzt aufstehen?"
"Nein. Man hat sie beobachtet. Sie haben über eine Stunde im Wagen gesessen und sind dann ums Haus geschlichen. Wohnen Sie hier?" "Nein." "Was tun Sie hier?" "Ich ..." Jared zögerte. Wenn er den Polizisten von Alisons Schwierigkeiten erzählte, würde sie alles abstreiten. Die Beamten würden ihr glauben und ihn für einen Einbrecher oder noch etwas Schlimmeres halten. Wenn er die ganze Sache endlich aufgeklärt hatte, wäre Alison längst verschwunden. Das durfte er nicht zulassen. "Ich habe hier heute abend etwas verloren." "Was haben Sie denn verloren?" "Meine Hausschlüssel." "Ich habe in Ihrer Tasche Schlüssel gefühlt. Was sind das für welche?" Jared errötete. "Meine Hausschlüssel. Hören Sie ..." "Warum haben Sie so lange im Wagen gesessen, wenn Sie glaubten, Ihre Schlüssel hier hinten verloren zu haben?" "Ich wollte niemanden stören." "Aha. Warum haben Sie nicht einfach in Ihren Taschen nachgesehen, während Sie im Wagen warteten?" Jared begriff, daß alles, was er sagen konnte, idiotisch klingen würde. Zu dem Ergebnis war der Polizist auch schon gekommen. "Warum begleiten Sie uns nicht auf die Wache, damit wir alles in Ruhe klären können?" Jared stöhnte auf.
9. KAPITEL Alison wartete vor dem Polizeirevier und wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Als Jared blinzelnd in die frühe Morgensonne trat, siegte der Humor. Über sein zerzaustes Haar und die zerknitterte Kleidung mußte sie unwillkürlich lächeln. "Woher wußtest du, daß ich hier bin?" fragte er und rieb sich das Stoppelkinn. "Ich bin von dem Geschrei wach geworden und sah gerade noch, wie die Polizisten den ,Täter' abführten. Also habe ich eins und eins zusammengezählt und mir gedacht, daß du es bist. Ich freue mich schon auf die Schlagzeilen: Polizei schnappt Anwalt, der nachts ums Haus schleicht." "Sehr witzig", knurrte Jared. " Ich wollte dich nur beschützen." Alison lachte fröhlich. "Ich sage es nur ungern, Jared, aber als Bodyguard bist du völlig ungeeignet." "Okay, okay ... Was tust du überhaupt hier?" "Ich habe die Kaution für dich ausgelegt." Fassungslos sah er sie an. "Was hast du?" "Irgend jemand mußte es doch tun. Ich dachte mir, du möchtest zu deinem Wagen gebracht werden und vielleicht frühstücken. Ich mache uns etwas", bot sie an.
"Danke." In ihrem Fiero fuhr sie ihn zum Schauplatz des Verbrechens zurück. Jared sagte nicht viel. Erst als sie auf dem Parkplatz hielt, hob er den Kopf und sah sie an. "Ich muß den Verstand verloren haben." "Genau das habe ich dir gestern abend zu erklären versucht", erwiderte sie. "Was hätte mir schon zustoßen sollen?" "Ich meinte eigentlich meine Methoden. Meine Motive, sind ehrenwert." "Deine Motive sind süß", sagte sie lächelnd. "Süß?" "Komm, laß uns frühstücken. Ich habe Cornflakes und Toast und jede Menge Obst." "Hast du zufällig auch einen Rasierer?" fragte er, als sie ausstiegen. Sie lächelte. "Der Eintagsbart steht dir." "Wo ist das Bad?" fragte er, kaum daß sie in ihrer Wohnung standen. "Erste Tür links. Im Schrank sind Einwegrasierer und frische Handtücher." Gut, daß sie gleich am ersten Abend in der neuen Wohnung einige Noteinkäufe getätigt hatte. "Falls du ein Bad nehmen möchtest, kannst du das gern tun. Ich hoffe zumindest, daß du das möchtest. Nach einer Nacht in der Zelle kannst du vermutlich eins gebrauchen." "Vielen Dank." Er verschwand im Bad. Alison ging in die Küche. Während sie das Frühstück vorbereitete, hörte sie das Wasser rauschen und stellte sich vor, wie Jared in ihrer Wanne saß - nackt. Ihr Herz schlug schneller, und ihr wurde warm. Nun war sie mit einem nackten, äußerst attraktiven Mann allein in ihrer Wohnung. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Jared Holiday zum Frühstück einzuladen. "So, die Hälfte vom Gefängnisgestank bin ich los", verkündete Jared, als er kurz darauf die Küche betrat.
Sie drehte sich um. Sein Haar glänzte feucht, das Gesicht war glattrasiert. Er trug noch die Sachen von gestern, duftete jedoch nach Flieder. Ihre Seife ... auf seiner Haut. Alison schluckte. "Du warst in Polizeigewahrsam, nicht im Gefängnis, und das auch nur ein paar Stunden lang." "Du hast selbst gesagt, ich soll mich waschen." "Das habe ich deswegen gesagt, weil ein Bad einem hilft, wieder einen klaren Kopf zu bekommen." "Du bist ganz schön klug, was?" Sie lächelte. "Ich gebe mir Mühe." Er setzte sich an den Tisch und zog sich eine Schüssel heran. "Cornflakes! Und eine Apfelsine! Du weißt wirklich, wie man einen Mann glücklich macht." Sie zog die Augenbrauen hoch. Er zeigte auf die Teekanne. "Da ist wahrscheinlich kein Kaffee drin, stimmt's?" "In deiner Zelle hättest du nur warmes Wasser bekommen." "Danke", sagte er, als sie ihm seinen Teebecher hinstellte. Sie setzte sich und schüttete Cornflakes in ihre Schüssel "Wie ich sehe, ist heute dein normaler Essenstag. He, gib mir auch welche!" Er nahm die Schachtel, füllte seine Schüssel und goß ihnen beiden Milch ein. "Du duschst nicht gern, was?" fragte er, nachdem er den ersten Hunger gestillt hatte. "Wie kommst du darauf? Ich dusche sogar sehr gern." "Du hast aber keinen Duschvorhang an der Wanne." Sie konnte ihm schlecht erklären, daß sie bei ihrer LastMinute-Einkaufsaktion nicht an den Duschvorhang gedacht hatte. "Ich wollte zur Abwechslung mal baden." Sein fragender Blick entging ihr nicht, und sie überlegte, was ihr Badezimmer mit dem fast leeren Schrank und den nagelneuen Handtüchern noch alles über sie verraten hatte. Wahrscheinlich hatte, er erst die Preisschilder abmachen
müssen, bevor er sich damit abtrocknete. Warum setzte ihr Verstand bloß immer aus, sobald sie in Jareds Nähe war? "Jared, ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt", begann sie ernst. "Wir haben so schön gefrühstückt." Er wischte sich Milch von der Oberlippe. "Du tust so etwas doch nicht noch mal, oder?" "Warum denn nicht?" "Jared!" Sie funkelte ihn an und schüttelte resigniert den Kopf. "Was soll ich nur mit dir machen?" "Mir fallen da jede Menge Sachen ein." Ihr auch. Sie stützte das Kinn auf eine Hand und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ehrlich, Jared. Hör bloß mit diesem Beschützerunsinn auf. Was gestern abend passiert ist, war schon schlimm genug. Du kannst von Glück sagen, daß niemand Anzeige erstattet hat. Ich habe ausgesagt, daß du mich besucht hast. Beim nächsten Mal ist die Polizei vielleicht nicht so großzügig." "Das Risiko gehe ich ein." "Hast du einen Samariter-Komplex?" "Nur bei dir." Er machte sie wütend und schaffte es zugleich, daß sie sich sexy und begehrenswert fühlte. Er hatte gesagt, daß er sie liebte, und setzte seinen guten Ruf als Anwalt aufs Spiel, um ihr zu helfen. "Warum siehst du mich so seltsam an?" fragte er. "Oh." Sie setzte sich wieder auf. "Woran hast du gerade gedacht?" Das konnte sie ihm nicht sagen. "An nichts." Er lächelte. "Versuchen wir es noch einmal. Woran hast du gedacht?" Sie gab auf. "An dich." Er strahlte. "Daran, daß du spinnst."
"Oh." Jetzt strahlte sie. "Iß dein Frühstück. Deine Apfelsine wird kalt." "Okay." Er tat, was sie verlangte, und ihm dabei zuzusehen, wie er die Orange verspeiste, war erregend. Als er den Saft aus einem Stück lutschte, mußte sie die Augen schließen und sich zur Ruhe zwingen. Es hat mich ganz schön erwischt, dachte sie. "Ich gehe jetzt besser", sagte er und stand auf. "Ich muß noch eine Menge Schlaf nachholen. Angesichts der wachsamen Bürger in diesem Viertel wird dir schon nichts zustoßen." Sie brachte ihn zur Tür. "Danke, daß du mich beschützen wolltest. Ich weiß es zu schätzen." Sie legte eine Hand auf seinen Arm und wollte Jared mit ein paar freundlichen Worten über seine gekränkte männliche Eitelkeit hinweghelfen, da fühlte sie die warme Haut und die kräftigen Muskeln darunter. Fast wie von selbst stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Sie wußte, daß sie es nicht tun sollte, doch als ihr Mund seinen berührte ... und ihre Zungen sich aneinander rieben, ignorierte sie jede Warnung der Vernunft. In diesem Augenblick wollte sie nur noch ihr unbändiges Verlangen stillen. Sie packte Jareds Arme und preßte sich an ihn. Er stöhnte auf, und ihr war klar, daß sie ihn überrascht hatte. Dann zog er sie an sich, strich mit beiden Händen über ihren Rücken und küßte sie, als wollte er sie verschlingen. Es war herrlich. Alison legte den Kopf in den Nacken, damit seine suchenden Lippen ihren Hals fanden. Er schob ihr die Finger ins Haar, während seine Lippen ihre Haut zu versengen schienen. Die Hitze durchströmte ihren ganzen Körper, raste wie eine unaufhörliche Flutwelle durch ihre Venen und sammelte sich dort, wo sie die Hitze am intensivsten spürte.
"Wenn ich jetzt nicht gehe, gehe ich gar nicht mehr", flüsterte Jared zwischen zwei stürmischen Küssen. Sie kannte die Antwort, bevor sie sie aussprach. Es war die einzige, die sie ihm geben konnte. "Dann geh nicht!" Diese Worte erschienen ihm wie zärtliche Küsse. Sie tastete nach den Knöpfen, öffnete sein Hemd und schob die Hände darunter. Ihre Fingerspitzen fühlten sich an wie Seide. Jared konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, doch das wollte er auch gar nicht. Er wollte Alison, nur sie. Er brauchte sie. Er brauchte sie, seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Sie streifte ihm das Hemd von den Schultern. Es fiel zu Boden. "Deine Haut ist so heiß", murmelte sie, und ihre Lippen strichen über seinen Mund. Er nahm sie in die Arme, küßte sie, öffnete die Augen und trug Alison ins Schlafzimmer, ohne seinen Kuß zu unterbrechen. "O Jared", seufzte Alison, als er sie an sich drückte. Lächelnd zog er ihr den Pullover über den Kopf. Ihr prächtiges Haar fiel wie ein Vorhang über die Sommersprossen auf ihren Schultern. Er tastete nach dem Verschluß ihres BH und befreite die kleinen Brüste aus der trennenden Hülle. "Du bist wunderschön", sagte er heiser. "Perfekt." Fast schüchtern sah sie ihn an, bevor er den Kopf senkte und eine der Spitzen mit den Lippen umschloß. Fest und weich zugleich fühlte er sie an der Zunge. Alison krallte sich in sein Haar und zog daran, während ihr Atem immer schneller ging. Jared spielte auch mit der anderen Knospe und sog daran, bis auch sie hart wurde. "Jared, bitte", stöhnte Alison. Schon jetzt verwöhnte sie ihn mehr, als er sich erhoffen konnte. Sie hauchte zarte Küsse auf seine Haut. Sie war wild und ungestüm, aber auch wenn sie passiv und unterwürfig
gewesen wäre, hätte es ihn erregt. Was immer sie zu der Alison machte, die er liebte, es war das, was er brauchte. Hastig zogen sie sich ganz aus, tastend und lachend und einander helfend. Nachdem Alison die letzte Socke vom Fuß gezogen hatte, schmiegte sie sich an ihn, drückte ihn auf die Matratze und setzte sich auf ihn. Die Versuchung, es auszunutzen und sich seinen größten Wunsch zu erfüllen, war gewaltig. Sie sah hinreißend aus. Wie eine Wikingerprinzessin, dachte er. "Tiefer", murmelte er und starrte fasziniert auf die Sommersprossen, die über ihren Bauch nach unten zu wandern schienen. Ganz nach unten. Behutsam versuchte er, Alison nach unten zu schieben, um endlich tun zu können, wonach er sich so sehnte ... Sie lächelte scheu. "Du machst so wunderbare Sachen mit mir. Jetzt bin ich dran." Ihre Brüste streiften sein Gesicht. Er wollte sie küssen und festhalten, doch Alison war zu schnell und entzog sich ihm lachend. Sie küßte seinen Hals, die Brust, den Bauch, legte die Arme um ihn und glitt an ihm hinab. Jared stöhnte und streichelte ihre Schenkel. Ihre feminine Anmut ließ ihn davon träumen, welche Lust sie ihm bereiten konnte. Ihre Küsse glitten abwärts. Dann schob sie sich langsam an ihm hinab, bis ihr Haar sich wie ein Schleier auf seinem Bauch ausbreitete. Er fürchtete, den Verstand zu verlieren, als sie mit Händen und Lippen seine Hüften liebkoste. Als er es nicht mehr länger aushielt, zog er sie stöhnend hoch und rollte sich herum, bis er über ihr war und ihre Schenkel seine Taille umschlossen. Sie lachte leise und genießerisch. "Du bist eine gerissene Frau", flüsterte er.
"Zum Glück", erwiderte sie und streichelte mit den Fingerspitzen seine Schläfen. Er küßte sie so, wie sie ihn geküßt hatte, und ließ keinen Quadratzentimeter ihrer Haut aus. Sie wand sich unter ihm, aber er war noch nicht zufrieden. Er begehrte diese Frau, die sich ihm immer wieder entzogen hatte. Er wollte sie besitzen und für immer behalten, ohne ihr die Freiheit zu nehmen, die sie brauchte. "Jared, ich will dich", stöhnte Alison und bäumte sich auf, als er sie zärtlich, aber drängend streichelte. "Ich brauche dich." Er preßte den Mund auf ihre Lippen und versank in ihrer seidigen Tiefe. Es war ein so atemberaubendes Gefühl, ihr endlich ganz nah zu sein, daß er alle Kraft zusammennehmen mußte, um sich zu beherrschen. Schließlich wollte er dem, worauf er so lange gewartet hatte, kein vorschnelles Ende bereiten. Langsam bewegte er sich in ihr, und sie paßte sich seinem immer leidenschaftlicher werdenden Rhythmus an. Sie schlang die Beine um seine Taille und ließ sich von ihm dorthin entführen, wo es außer ihnen beiden nur noch ihre Liebe gab. Alison preßte sich an ihn und schrie auf. Ihre Lust raubte ihm den letzten Rest an Beherrschung, und er ließ seinem Verlangen freien Lauf. Noch nie im Leben hatte er sich so eins mit sich selbst gefühlt, und zugleich schien er mit Alison zu verschmelzen, als hätte er gefunden, was er so sehr vermißt hatte ... Endlose Minuten lang lagen sie danach still da, bis Jared Feuchtigkeit an seiner Wange fühlte. Als er den Kopf hob, sah er, daß Alison sich mit der Hand über das Gesicht strich. Ihre Augen waren geschlossen, doch unter den Lidern quollen Tränen hervor. "Du weinst ja", sagte er, fasziniert und entsetzt zugleich. "Ich war zu ... rauh, zu unbeherrscht. Es tut mir so leid, Alison ..."
"Nein", erwiderte sie und schlug die Augen auf. "Du warst herrlich, zu herrlich. Es war alles wunderschön ..." Dann brach sie in Tränen aus. Sie schlang die Arme um ihn, verbarg das Gesicht an seiner Schulter und weinte hemmungslos. Verwirrt tröstete Jared sich damit, daß sie sich an ihn schmiegte. Wäre er schuld an ihren Tränen, hätte sie ihn längst von sich geschoben oder gar aus der Wohnung geworfen. Er hielt sie fest, küßte sie aufs Haar und murmelte immer wieder, daß alles gut war. "Es tut mir leid" schluchzte sie schließlich und wischte sich mit dem Handrücken das Gesicht ab. "Du hältst mich jetzt bestimmt für verrückt." "Ich halte dich für eine Lady, die sich mal richtig ausweinen muß." Sie lachte, bekam Schluckauf und wehrte sich gegen die frischen Tränen. "Oje. Deine Schulter ist jetzt ganz naß." Sie wischte sie ab. Er nahm ihre Hand, küßte die feuchten Finger und schmeckte das Salz von Tränen und Schweiß. "Ich bin zwar kein mißtrauischer Mensch ..." Alison zog die Augenbrauen hoch und brach in ein befreiendes Lachen aus. "Aber", fuhr er fort, "ich muß dich fragen, warum du geweint hast. Ich hoffe, es war nicht so schlecht." "Nein, das habe ich doch schon gesagt." Sie küßte ihn, voller Zärtlichkeit und Versprechen. "Es war wunderbar, so wunderbar, wie ich es mir erträumt habe. Vielleicht hast du recht, und ich mußte mich nur mal ausweinen." Er wünschte, er könnte ihr glauben, aber sie war ihm schon so oft ausgewichen. Ihre Tränen bestätigten ihm nur, daß sie in Schwierigkeiten steckte. In großen Schwierigkeiten. Was sie gerade erlebt hatten, hatte sie einander viel näher gebracht, aber Alison konnte jederzeit wieder auf Distanz gehen.
Er drehte sich mit ihr um, bis sie auf dem Rücken lag. Dann zogen sie die Decke unter sich hervor und schlüpften darunter. Alison schmiegte sich an ihn, Jared legte den Arm um sie. Er streichelte ihr Haar und rieb seinen Fuß an ihrem. Schließlich stützte sie sich auf einen Arm und sah Jared tief in die Augen. "Jared, ich würde dir gern alles über mich erzählen, aber ... ich kann nicht." Daß sie das immerhin offen zugab, empfand er als großen Fortschritt. "Schon gut", sagte er. Vorläufig. "Ich möchte es ja. Wirklich." "Okay. Ich vertraue dir." "Gut." Sie lächelte dankbar. Er küßte sie und bewies ihr, wie groß sein Vertrauen war.
10. KAPITEL Vergeblich versuchte Alison, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie hatte schon ein halbes Regal Akten auf Mikrofilme aufgenommen, aber bei dem Tempo würde sie noch eine Ewigkeit brauchen. Ihr blieb aber keine Ewigkeit mehr. Bald würde sie fortgehen müssen. Fort von Jared. Er verdiente es, die Wahrheit über sie zu wissen. Deshalb hatte sie in seinen Armen geweint - deshalb und weil ihre Liebe keine Zukunft besaß. Sie hatte geweint, weil sie mehr nahm, als sie ihm geben durfte. Plötzlich kam E.J. hereingestürmt. Alison sah der Bürochefin sofort an, daß etwas nicht stimmte. "Was ist?" fragte sie besorgt. "Gibt es ein Problem?" "Jared hat eins." "Hat es etwas mit mir zu tun?" entfuhr es Alison. E.J. warf ihr einen erstaunten Blick zu. "Wie kommen Sie denn darauf? Nein, überhaupt nicht. Es sei denn, Sie haben seine Honorarforderungen für das letzte Vierteljahr verschwinden lassen, Er schwört, daß er sie schon vor Wochen in der Buchhaltung abgegeben hat, aber die wissen nichts davon. Robert hat Jared vor allen Partnern heftige Vorwürfe gemacht." "Könnte Jareds neue Sekretärin sie vielleicht haben?"
"Nein, die Anwälte schreiben die Aufstellungen selbst." E.J. beugte sich vor. "Ich will, daß Jared Seniorpartner wird. Er hat gute Chancen, und wir brauchen ihn als Gegengewicht zu Robert. Margaret ist genauso launisch wie er, Mark zu faul und Billy zu schwach, zu nachgiebig." "Wie kann ich ihm helfen?" fragte Alison. "Gar nicht." "Läßt sich diese Aufstellung nicht rekonstruieren?" "Jared versucht es gerade. Er muß es aus dem Kopf machen, wenn er sie nicht findet. Selbst die Aktennotizen sind verschwunden", lautete die Antwort. "Armer Jared", murmelte Alison. Sie wußte, wie ehrgeizig er war, und wie hart ihn dieser Rückschlag treffen mußte. Als E.J. ging, eilte Alison sofort zu ihm. Seine Sekretärin saß nicht an ihrem Schreibtisch. "Was ist?" fragte er mürrisch, als sie klopfte. Sie sah hinein. "Hi. Ich höre, du hast ein Problem. Kann ich helfen?" "Ja." Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. "Du kannst mich in den Arm nehmen." Sie ging hinein, schloß die Tür hinter sich, stellte sich hinter ihn, legte die Arme um seine Schultern und küßte ihn auf die Schläfe. Seufzend starrte er auf den Bildschirm. "Die Abrechnungen müssen einfach noch irgendwo im Computer sein." "Könntest" du sie nicht versehentlich gelöscht haben?" "Ich hatte sie extra in einem eigenen Unterverzeichnis abgespeichert. Es waren über vierzig Dateien." Alison war nicht bereit, kampflos aufzugeben. "Hast du keine Sicherheitskopie auf Diskette?" "Nein. Ich weiß, ich sollte eine machen, aber ich denke nie daran. Da habe ich wohl gerade mal wieder etwas dazugelernt, was?"
"Na hoffentlich", sagte sie lächelnd. "Warst du vielleicht kürzlich im Internet? Oder hast du die Diskette eines Kollegen verwendet? Du könntest dir einen Virus eingefangen haben." "Einen Virus?" wiederholte er schockiert. "Hast du ein Suchprogramm für Dateien?" "Ja." Er lud es auf den Bildschirm. "Okay. Jetzt laß es die Festplatte absuchen." Er zögerte. Sie kam um den Schreibtisch herum und legte die Hand über seine auf der Maus. Seine Finger waren so warm und kräftig, wie sie sie an ihrem Körper gespürt hatte. Sie half ihm, die richtigen Befehle anzusteuern, und Sekunden später flimmerte das Suchprogramm über den Monitor. "So", sagte sie mit einem zufriedenen Lächeln. "Falls dein PC automatisch Sicherungsdateien angelegt hat, müßtest du sie jetzt finden." "Danke." Er hob ihre Hand an den Mund und küßte ihre Finger. In diesem Moment ging die Tür auf. Es war Robert. "Jared ..." Der Seniorpartner erstarrte. Alison murmelte eine Verwünschung und zog die Hand zurück. "Wenn die Suche beendet ist, werden Sie wissen, ob die Dateien noch da sind", sagte sie in sachlichem Ton zu Jared. "Feigling", flüsterte Jared, bevor sie hinauseilte. Auch als sie wieder im Archiv saß, wurde Alison das Gefühl nicht los, daß sie Jareds fehlende Aktennotizen vor kurzem irgendwo gesehen hatte. Kopfschüttelnd machte sie sich wieder an ihre eigentliche Aufgabe und schaltete das Filmgerät ein. Die Arbeit langweilte sie zu Tode, deprimierte sie wegen ihrer Eintönigkeit und verursachte ihr Rückenschmerzen, weil sie sich dabei dauernd über den kleinen Bildschirm beugen mußte. Andererseits liebte sie diese Arbeit - aber nur, weil sie ihr erlaubte, in Jareds Nähe zu sein. Nach einer Weile hob sie den Kopf, massierte sich den schmerzenden Nacken und sah sich um. Sie fragte sich, ob
Jareds Abrechnungen bereits irgendwo in einem der unzähligen Ordner steckten. Sie stand auf, ging an einem Regal entlang und strich über die Akten, bis sie zu Jareds Ordnern aus der letzten Zeit kam. Sie zog den ersten heraus und sah hinein. Nichts. Der Ordner enthielt überhaupt keine Abrechnungen. Alison wußte, daß sie das hier eigentlich nicht tun durfte. Der Inhalt der Ordner war äußerst vertraulich, und ihre Aufgabe bestand allein darin, die weit zurückliegenden und daher längst erledigten Fälle zu verfilmen. Eigentlich müßte sie E.J. bitten, sie bei der Suche abzulösen. Ach, was soll's, dachte sie. Ich tue es für Jared. Ganz vorn im Ordner für das letzte Vierteljahr waren die Unterlagen abgeheftet, die ihr vor einigen Wochen im Eingangskorb aufgefallen waren. Also hatte sie sie wirklich gesehen. Sie überflog die Seiten. Kein Zweifel, es waren die verschwundenen Abrechnungen. Sie nahm sie heraus und wollte gerade zu Jared eilen, als ihr Blick auf den großen Kopierer neben der Tür fiel. Alison legte die Blätter auf den automatischen Einzug und machte vier Kopien von Jareds Abrechnung. Danach lief sie in Jareds Vorzimmer und bat die Sekretärin, sie anzumelden. Die Frau warf ihr einen erstaunten Blick zu, aber Alison ignorierte ihn. "Ich wollte dich gerade rufen", sagte Jared, als sie vor ihm stand. "Wie lange dauert das hier?" Er tippte auf den Bildschirm. "Ich weiß nicht. Eine Stunde, vielleicht länger. Jared ..." "Eine Stunde!" Sein Fluch hätte einem Hafenarbeiter Ehre gemacht. "Robert will, daß ich ihm die Abrechnung bis fünf Uhr heute nachmittag vorlege, sonst kann ich meine Bewerbung um die freie Partnerschaft vergessen. Brich das verdammte Suchprogramm ab!" "Nicht nötig." Lächelnd hob sie die Papiere. "Ich habe sie gefunden."
"Was?" "Ich habe deine Abrechnung im Archiv gefunden", verkündete sie freudig. Jared sprang auf und riß ihr die Seiten aus der Hand. "Das kann nicht sein. Es sind zu viele." Sie lächelte. "Ich habe vorsichtshalber vier Kopien gemacht. Lies schon." Er überflog die erste Seite. "Das ist sie!" Jared packte Alison, wirbelte sie herum und küßte sie. Die Papiere segelten zu Boden, als er sie noch einmal küßte und aus Dankbarkeit Leidenschaft wurde. "Du bist phantastisch", sagte er und legte die Stirn an ihre. "Habe ich dir das schon gesagt?" "Nicht oft genug", lachte sie und freute sich für ihn. Er küßte sie wieder. "Ich bin so glücklich, dich zu haben. Wie hast du sie gefunden, Alison? Und wo?" "Im Archiv." Sie senkte die Stimme. "Sag es niemandem, aber ich habe in den neuesten Akten nachgeschaut." "Meine Lippen sind versiegelt... meistens von deinen." Sie schmunzelte. "Ich wußte doch, daß ich die Abrechnung vor ein paar Wochen im Eingangskorb gesehen hatte." "Das Abendessen geht auf mich. Und ab jetzt jede Mahlzeit", versprach Jared. "Aber erst halte ich die hier Robert unter die Nase und beschwere mich über die Buchhaltung." "Sei vorsichtig, Jared", warnte sie. "Ich habe in vertraulichen Akten gewühlt." Er küßte sie unter das Ohr. "Du bist ein unartiges Mädchen. Ich liebe es, wenn du so bist." Sie wünschte, sie könnte das auch zu ihm sagen. Aber das durfte sie nicht. Statt dessen würde sie ihm die Wahrheit über sich und ihren Beruf erzählen müssen, und dann würde er sie wahrscheinlich hassen. Irgendwann sammelten sie die heruntergefallenen Seiten auf. Alison versprach, die Kopien auf seinen Schreibtisch zu legen,
während er Robert die Originale präsentierte. Mit einem letzten Kuß schickte sie ihn aus dem Büro und warf einen Blick auf den PC-Bildschirm. Das Suchprogramm war zu einem Drittel durchgelaufen und hatte bisher keinen Fehler gefunden. Plötzlich fiel ihr ein, daß heute ihr Obsttag war. "Zur Hölle damit", murmelte sie. Heute hatte sie sich ein Festessen verdient. Nach der Arbeit ging Jared mit Alison in einen Supermarkt. Arm in Arm schlenderten sie an den Regalen entlang. Alison strahlte, und Jared hatte sich noch nie in seinem Leben so glücklich gefühlt. "Ich koche, und du lieferst den Nachtisch", sagte sie lächelnd und sah ihm in die Augen. "Nichts lieber als das", erwiderte er, denn er wußte, was sie damit meinte. An der Fleischtheke ließ sie sich zwei saftige Steaks geben. "Heute abend essen wir fett und herzhaft", verkündete sie. Jared lachte. "Mein Computer sollte häufiger Dateien verschlingen." Sie fuhren zu ihm nach Hause, wo er die Steaks grillte und sie sich um das Gemüse kümmerte. "Schade, daß ich kein Foto von Roberts Gesicht habe. Du hättest ihn sehen sollen, als ich ihm die Abrechnung zeigte", meinte Jared, als sie am Tisch saßen. "Es war herrlich." "Du hättest ihn danach in der Buchhaltung hören sollen. Er hat den armen Drew öffentlich zur Schnecke gemacht." Alison schob sich einen Bissen in den Mund. "Hm, das schmeckt toll." "Was für ein Tag", seufzte er. Das Suchprogramm hatte keine schweren Fehler gefunden, und leider konnten die verschwundenen Dateien nicht wiederhergestellt werden. Jared war lange nicht im entsprechenden Unterverzeichnis gewesen und hatte nicht gemerkt, daß sie für immer gelöscht worden waren. Ab jetzt
würde er besser aufpassen. So etwas wie heute sollte ihm nicht noch mal passieren. "Vielleicht sollte ich meinen PC mal überprüfen lassen", sagte er. "Ich möchte nicht noch mehr Dateien verlieren." "Gute Idee. Ich bin zwar keine Expertin, aber so etwas darf nicht wieder vorkommen. Vielleicht hast du dir irgendeinen unbekannten Virus eingefangen." "Du hast mich gerettet", sagte er dankbar. "Hat Robert etwas dazu gesagt, daß du meine Hand geküßt hast?" "Kein Wort." Er nahm ihre Hand und küßte sie noch einmal. "Ich glaube, er war völlig überrascht, daß ich die Abrechnung gefunden habe." "Eine eigenartige Reaktion", sagte sie. "Man sollte meinen, daß er sich darüber freut." "Robert ist ein seltsamer Kerl. Eigentlich ist er gar nicht so übel. Wenn er nur nicht so pingelig wäre ..." "Solchen Typen bin ich schon oft begegnet", sagte Alison. "Es wundert mich, daß solche Leute immer wieder in Führungspositionen gelangen. Ich habe mal bei einer Grundstücksverwaltung gearbeitet, in der ein Abteilungsleiter in einem Jahr gleich vierzehn Bürochefs verschlissen hatte. Der Knabe hätte jemanden wie E.J. gebrauchen können." "Warum hast du dich nicht beworben?" fragte Jared. "Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, daß du mit solchen Leuten umgehen kannst." Sie schauderte. "Nein, danke. Kein Job wäre die Mühe wert." Er wußte, daß es mehr als das war. Alison hatte keine Angst vor Konfrontationen. Ihre ausweichende Art besaß eine tiefere Ursache. Sie hatte vor etwas Angst und wäre erst dann frei für ihn, wenn sie die Last der Vergangenheit los war - wie immer die aussehen mochte. "Solange Robert nicht erfährt, daß ich hinter deinem Haus festgenommen wurde ..."
Sie lächelte. "Das wird er nicht. Ich verspreche es." "Wann darf ich den Nachtisch servieren?" fragte er, als sie den Tisch abdeckten. Sie drückte ihm einen Teller in die Hand. "Hier. Du räumst den Geschirrspüler ein, dann kommst du nach oben. Und wasch dir die Hände." "Ja, Ma'am", sagte er brav, als sie aus der Küche eilte. Er konnte kaum abwarten herauszufinden, warum er sich die Hände waschen sollte, und belud den Geschirrspüler in Rekordzeit. Was immer Alisons geheimnisvolle Vergangenheit an Fragen aufwarf, er schob sie beiseite, als er die Treppe hinaufging. Dann öffnete er die Schlafzimmertür. Alison lag nackt auf der schwarzen Bettdecke. Ihm stockte der Atem. Die dunkle Seide betonte ihre anmutige Figur und die makellose Haut. Ihr Haar breitete sich wie ein Fächer auf dem Kissen aus. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Plötzlich verstand Jared, was das Lächeln der Mona Lisa zu bedeuten hatte. Die Lady hatte Leonardo da Vinci verführt, während er ihr Porträt gemalt hatte. "Ich liebe Nachtisch", flüsterte er hingerissen. "Das hatte ich gehofft. Seit ich dein Bett gesehen habe, träume ich davon, so darauf zu liegen und auf dich zu warten", gestand sie. Hastig zog er sich aus. Alison sah ihm dabei zu. Als sie sich, wie eine geschmeidige Raubkatze streckte, wäre er fast über seine eigenen Füße gestolpert. Er schaffte es, die Boxershorts abzulegen, ohne umzufallen, und legte sich neben Alison. "Ich fühle mich wie beim ersten Mal", flüsterte er und zog sie an sich. Sie schmiegte sich an ihn. "Dies ist unser erstes Mal in deinem Bett." "Aber nicht das letzte Mal", schwor er, und dann küßte er sie.
Obwohl er fest schlief, drang etwas an Jareds Ohr. Langsam öffnete er die Augen und starrte in die Dunkelheit. Irgendwo im Haus wurde Klavier gespielt. Plötzlich merkte er, daß er allein im Bett lag. Alison war fort. Rasch stand er auf, zog sich den Bademantel an und ging nach unten. Alison saß an dem kleinen Flügel und spielte ein träumerisches Stück von Chopin. Sie trug ihr Shirt, aber er wußte nicht, ob sie vollständig angezogen war, da er nur ihre Schultern sehen konnte. Er schaltete das Licht nicht ein. Der Schein der Straßenlaterne war hell genug. Alison spielte gut, obwohl sie an manchen Stellen zu zögern schien, als wäre sie außer Übung. Als sie ihn bemerkte, nahm sie die Finger von den Tasten. "Tut mir leid, ich habe dich geweckt. Ich konnte nicht widerstehen. Es ist Jahre her, daß ich zuletzt gespielt habe." Er spürte ihre Verletzlichkeit. "Wo hast du es gelernt?" "Als Kind." Sie lächelte. "Haben wir das nicht alle? Ich habe auch mal Klarinette gespielt. In meinem High-SchoolOrchester." "Du spielst sehr gut." "Ich bin außer Übung, aber dieses Nocturne war das Lieblingsstück meines Vaters, also habe ich es seit meinem zwölften Lebensjahr mindestens tausendmal gespielt. Es ist wie mit dem Fahrradfahren, man verlernt es nie ganz." Jared ging zu ihr und stellte erleichtert fest, daß sie nur ihr Shirt trug. Also wollte sie noch nicht gehen. "Bleib bei mir", bat er. "Ich kann nicht", sagte sie und spielte dabei ein paar Takte. "Ich muß bald wieder zur Arbeit." "Ich rede nicht nur von heute morgen." Ihre Hände erstarrten, die Musik brach abrupt ab. "Ich kann nicht bleiben, Jared."
"Doch, du kannst", erwiderte er und berührte sie absichtlich nicht. "Ich werde dich beschützen. Ich habe Mittel..." Sie legte einen Finger auf seine Lippen. "Bitte, ruiniere es nicht. Bitte..." Seufzend küßte er ihre Hand. "Na gut. Aber ich werde dich wieder darum bitten. Bald." Sie nickte und spielte weiter. Er hätte sie so gern gefragt, ob sie ihn liebte. Er wollte die Worte nur einmal hören. Nur einmal, dachte er. Jared betrat das kleine Studio, und wie jedesmal, wenn er seinen Cousin besuchte, staunte er darüber, wie eng es war. Die Auf-Sendung-Lampe war erloschen, also konnten sie reden. Raymonds morgendliche Sport-Talkshow war seit zwei Stunden vorbei. Sein Cousin drehte an irgendwelchen Knöpfen und hielt sich einen Kopfhörer ans Ohr. Plötzlich warf er ihn wütend zu Boden. "Das Ding funktioniert nie!" "Wie kann es, wenn du so damit umgehst, Ray?" sagte eine Frauenstimme aus einem Lautsprecher. Ray grinste verlegen und gab Jared die Hand. "Hallo, Anwalt. Nette Überraschung." "Ich wollte dich zum Mittagessen einladen ... oder willst du das ganze Studio zertrümmern?" "Der verdammte Kopfhörer hat mich mitten in der Show im Stich gelassen." Raymond schnaubte und betätigte einen Schalter. "Warum kaufen wir bloß immer dieses billige Zeug?" "Wenn du die Nummer eins unter den Talkmastern bist, reden wir weiter", erwiderte die Frauenstimme. "Hi, Jared." "Hi, Karen", rief Jared. Er war Raymonds leidgeprüfter Produzentin schon häufig begegnet. "Nach meiner Einschaltquote bin ich die Nummer sechs, und das liegt an der miserablen Baseball-Saison", sagte Raymond und verzog das Gesicht. "Komm, Jared, laß uns gehen."
Sie wählten ein kleines Bistro im Stadtkern, nicht weit von Raymonds Sender. Als sie sich in eine ruhige Ecke setzten, gestand Jared sich ein, daß Raymond vielleicht nicht der ideale Gesprächspartner war, mit dem man über Beziehungsprobleme sprechen konnte. Sein Cousin gönnte sich hin und wieder ein Abenteuer, wollte sich jedoch unter keinen Umständen länger als ein Wochenende an eine Frau binden. Außerdem behauptete er, keine Zeit für eine Freundin zu haben. Aber Peter und Michael waren frisch verheiratet und hatten momentan bestimmt kein Ohr für Jareds Sorgen. Sie sahen die Welt durch eine rosa Brille und würden ihn mit Sicherheit nicht verstehen. Nachdem das Essen serviert worden war, rückte Jared endlich mit seinen Problemen heraus. Er erzählte Jared alles über sich und Alison und ließ nichts aus, nicht einmal die peinliche Festnahme mitten in der Nacht. Erst lachte Raymond herzlich, dann wurde er ernst. "Du hast dich verliebt, Junge. Hast du nicht mal vor Jahren behauptet, daß es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gar nicht gibt? Was ist bloß los mit dieser Familie?" "Ray, es ist mehr als das. Ich kenne Verliebtheit. Die geht bei mir schnell vorbei, sobald der Reiz des Neuen vorüber ist. Alison steckt in Schwierigkeiten, ich weiß es. Was soll ich tun?" "Als du sie mit zu Michael gebracht hast, wußte ich schon, daß es dich erwischt hat", sagte Raymond grinsend. "Mary Ellen und Janice wollen uns beide unter die Haube bringen, Jared. Hast du nicht mitbekommen, wie sie Alison von dir vorgeschwärmt haben?" "Ich mag Mary Ellen und Janice." "Ich auch. Peter und Michael sind glücklich, und ich gönne es ihnen. Aber du solltest einen klaren Kopf behalten, was Alison betrifft." Raymond unterstrich seine Worte mit der erhobenen Gabel. "Jared, Frauen sind dazu geboren, Männer zu
manipulieren. Sie verstehen es, dir erst den Kopf zu verdrehen und dich dann um den Finger zu wickeln. Sie flirten, sie locken dich aus der Reserve, und wenn du sie beim Wort nehmen willst, weisen sie dich zurück. Sie lassen dich zappeln wie einen Fisch an der Angel, und wenn du erschöpft bist, ziehen sie die Schnur ein. Jahre später, wenn wir endlich aufwachen, gehören ihnen das Haus, der Wagen, der Hund, das Scheckbuch und die Kinder. Und wir haben unsere besten Jahre vergeudet." "Irgendeine Frau muß dir ziemlich weh getan haben", sagte Jared. "Keineswegs." Raymond schmunzelte. "Ich habe nur einen klaren Kopf bewahrt. Sieh dir Alison an. Sie weicht dir immer wieder aus, und du läufst ihr nach. Sie hat dich am Haken, und du solltest aufpassen, daß sie dich nicht an Land zieht." "Nein, Ray. Sie steckt in Schwierigkeiten. Ich habe schon vielen Frauen geholfen und kenne die Anzeichen, glaub mir." "Jared, alter Freund, du wolltest schon immer den edlen Ritter spielen ... und verdienst damit eine Menge Geld. Das ist gut. Aber Alison nutzt deine Schwäche aus. Klar, sie sieht toll aus und sie ist ruhig und intelligent. Jedenfalls hat sie auf Michaels Grillparty so gewirkt. Warum drehst du nicht einfach den Spieß um und läßt sie mal zappeln?" "Wovon zum Teufel redest du?" Zu glauben, daß ausgerechnet Raymond ihm helfen konnte, war ein dämlicher Einfall gewesen. "Laß sie auch mal zappeln", wiederholte sein Cousin. "Und laß sie überprüfen. Ihr Anwälte habt doch genügend Privatdetektive, die so etwas für euch erledigen. Wenn sie wirklich in Schwierigkeiten steckt, wirst du es auch herausbekommen und kannst später immer noch Asche auf dein Haupt streuen. Und wenn nicht, weißt du, daß sie dich nur an der Nase herumführt, um dich scharfzumachen." "Das bin ich bereits", murmelte Jared.
"Um so besser. Such dir eine andere und gönn dir etwas Abwechslung. Danach wirst du klarer sehen", riet Raymond. "Vielleicht hat ein Mann ihr weh getan, und sie ist einfach nur vorsichtig." "Wenn du das glaubst, bist du auf dem Holzweg." "Ich möchte es zu gern mal erleben, daß eine Frau dich aus der Fassung bringt", knurrte Jared. "Du wärst ein seelisches Wrack." "Das wirst du nie erleben, mein Freund", erwiderte Raymond voller Zuversicht. "Ich bin immun gegen Frauen." Das war Jared bisher auch gewesen. Aber jetzt nicht mehr. Jedenfalls nicht gegen eine gewisse Alison Palmer.
11. KAPITEL "Was ist denn mit Jared los?" E.J. war in den Archivraum gekommen und hatte sich vor Alison aufgebaut. Alison beschloß, sich dumm zu stellen. "Was soll das heißen, was ist mit Jared los?" fragte sie mit gespielter Verblüffung. "Hat er etwa schon wieder eine Abrechnung verlegt?" So, dachte sie. Wenn das nicht ahnungslos klingt... "Nicht, daß ich wüßte. Robert kam heute morgen in mein Büro gestürmt und sagte etwas davon, daß Jared Sie letzte Woche geküßt hat." E.J. grinste. "Also heraus damit, Alison. Ich habe doch gleich gemerkt, daß Jared Sie attraktiv findet. Glauben Sie etwa, sonst hätte er Sie sein Büro renovieren lassen?" O nein. Das fehlte ihr gerade noch. Alison zuckte mit den Schultern. "Da war nichts dabei. Ich habe ihm gezeigt, wie er seinen Computer nach einem Virus und anderen Fehlern absucht. Es war der Tag, an dem er seine Abrechnung verloren hatte. Ich hatte gehofft, wir würden sie irgendwo auf der Festplatte finden. Leider vergeblich. Aber er war mir dankbar und hat mir dafür einen Kuß gegeben. Das war alles. Ausgerechnet in dem Moment kam Robert herein. Es hatte wirklich nichts zu bedeuten."
"Ich muß sagen, ich bin heilfroh, daß Robert nicht hereingekommen ist, nachdem Sie die Originalabrechnung gefunden hatten. Ich möchte nicht wissen, wobei er Sie beide dann erwischt hätte." "E.J.!" Alison wurde knallrot, und ihre Wangen brannten. "Sie wissen doch, daß Jared so etwas nie tun würde." "Vielleicht nicht in seinem Büro, aber Sie sind nicht umsonst so rot geworden. Was läuft zwischen Ihnen beiden?" E.J. beugte sich vor. "Machen Sie Sich keine Sorgen um Robert. Ich habe ihm erzählt, daß Jared und Sie erwachsen sind und er sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern soll. Außerdem ist ihm ziemlich spät eingefallen, daß ihn ein harmloser Kuß stört. Natürlich ist er jetzt sauer auf mich, aber irgend jemand muß ihm ja mal seine Meinung sagen. In dieser Kanzlei gibt es keine Regeln, was den privaten Umgang der Mitarbeiter betrifft, und selbst wenn, würden sie für Sie nicht gelten, weil Sie hier nicht fest angestellt sind." "E.J., zwischen Jared und mir ist nichts." Alison hob die Hand. "Ich schwöre es." Sie hatte nicht gelogen. Als Jared und sie miteinander geschlafen hatten, war wirklich nichts zwischen ihnen gewesen, nicht einmal Kleidung. "Für wie blind halten Sie mich eigentlich?" fragte E.J. "Für sehr blind?" "Kommen Sie, Mädchen, heraus damit. Erzählen Sie schon." "Da gibt es nichts zu erzählen", beharrte Alison. E.J. wartete einen Moment. "Na schön", seufzte sie kopfschüttelnd. "Dann erzählen Sie eben nichts. Aber ich entlocke es Ihnen schon noch, warten Sie nur ab. Ich lasse nicht locker." "Großartig", murmelte Alison. Art würde sich bedanken. Jetzt hatte sie noch einen Spürhund auf ihrer Fährte. Warum waren plötzlich bloß alle möglichen Leute an ihr interessiert? "Wird Robert mich wegen dieser Sache feuern?"
"Nein." E.J. schmunzelte. "Für das Büropersonal bin ich zuständig. Ich entscheide, wer eingestellt und wer entlassen wird, und ich habe genug Gründe, Sie zu behalten." "Da bin ich aber froh", sagte Alison erleichtert. "Ich mußte noch nie einen Aushilfsjob vorzeitig beenden, und so soll es auch bleiben. Daß Robert gesehen hat, wie Jared meine Hand küßte, wird seine Aussicht auf die Partnerschaft doch nicht zunichte machen, oder?" Das war ihre größte Sorge. "Bei Robert läßt sich das schwer sagen." E.J. beugte sich über den Schreibtisch und senkte die Stimme. "Robert war schon immer ein wenig eifersüchtig auf Jared. Jared bringt der Kanzlei am meisten Geld ein und kommt gut mit dem Personal aus, Robert nicht. Falls Jared die freie Partnerschaft nicht bekommt, wird es eher daran liegen, nicht an dem Handkuß." "Aber das ist nicht fair!" entfuhr es Alison. In diesem Moment kam Roberts Sekretärin kam. E.J. lächelte ihr zu und sah Alison streng an. "Denken Sie daran, die Akten in ihrer zeitlichen Reihenfolge zu verfilmen." "Soll ich sie nach Jahren trennen, oder wollen Sie ein Verzeichnis des gesamten Materials im Archiv?" fragte Alison und machte bei E.J.s kleiner Show mit. Es war zwar etwas zu spät für derartige Anweisungen und Fragen, doch das konnte die Sekretärin schließlich nicht wissen. "Was meinen Sie denn?" erwiderte E.J. "Ich würde sie nach Jahren trennen", antwortete Alison, denn genau das hatte sie bisher getan, weil E.J. es ihr so gesagt hatte. "Ich glaube, dann sind sie leichter zu finden." "Einverstanden." Die Sekretärin ging wieder hinaus. "Trauen Sie ihr nicht", warnte E.J. "Sie erzählt Robert alles, was sie hört."
"Habe ich mir schon gedacht", gestand Alison. Bei ihren Einsätzen erlebte sie oft genug Büro-Intrigen mit und war froh, sich heraushalten zu können. Da Jared bei Gericht war, sah sie ihn den ganzen Tag nicht. Was sie von E.J. erfahren hatte, deprimierte sie zutiefst. Sie fuhr direkt nach Hause und rief ihre Mutter an. Das hatte sie schon länger nicht mehr getan. Wenn Alison nicht im Einsatz und deshalb unterwegs war, wohnte sie dort. "Ich vermisse dich", sagte sie, nachdem sie das Neueste über ihre Familie gehört hatte. "Alison, Honey, das hast du noch nie gesagt." Die Stimme ihrer Mutter klang gerührt. "Erzähl mir nicht, daß du dein unstetes Leben endlich satt hast. Du glaubst nicht, wie sehr ich mich darüber freuen würde." "Ja. Ein bißchen. Vielleicht... Ich weiß nicht." "Das ist ja schon ziemlich deutlich." Jemand klopfte an Alisons Wohnungstür. "Warte einen Moment, Mom." Sie legte den Hörer hin und schaute durch den Spion. Es war Jared. Lächelnd machte sie ihm auf. Er zog sie an sich und küßte sie. "Danke. Ich hatte schon Angst, deine wachsamen Mitbürger würden die Polizei rufen, wenn ich an den Schauplatz meines Verbrechens zurückgekehrt bin. Warum hast du nicht im Büro auf mich gewartet? Egal. Ich habe dich gefunden." Er küßte sie noch einmal. "Frau! Ich will Nachtisch. Jetzt!" "Meine Mutter ist am Telefon." Jared ließ sie los, als hätte er sich die Finger verbrannt. "Es gibt keinen besseren Stimmungstöter als die gute alte Mom." Lachend nahm Alison den Hörer wieder auf. "Ich bin wieder da." "Wer immer es ist, sag ihm, daß ich nicht alt bin." Alison drehte sich zu Jared um. "Mom sagt, sie ist nicht alt."
Er wurde rot, was bei einem erfahrenen Anwalt besonders süß wirkte. "Sag Mom, daß ich sie jung und hübsch finde und sie nicht wie du für tot erklärt habe." "Danke", murmelte Alison. "Ich wittere eine spannende Geschichte", sagte ihre Mutter im weit entfernten Syracuse. "Ich kann es kaum abwarten, sie zu hören." "Ich muß jetzt Schluß machen, Mom." "Ruf mich an, sobald er weg ist, hörst du? Wer immer er ist, er hat dafür gesorgt, daß du mich vermißt. Ich mag ihn schon jetzt." "Bis bald, Mom", sagte Alison und legte auf. "Wow", rief Jared. "Du hast tatsächlich eine Mom." "Nein. Ich bin vom Baum gefallen." Sie verzog das Gesicht. "Ich habe dir doch von meiner Mutter erzählt." "Schon, aber erst hast du mir erzählt, sie wäre gestorben." Als sie protestieren wollte, winkte er ab. "Und was sagt sie?" "Sie mag dich. Macht dich das glücklich?" "Sehr sogar. Offenbar hat sie mir das ,alt' verziehen." Er zog das Jackett aus, ging zu Alison, zog sie an sich und küßte sie unter das Ohr. "Und wann werde ich Mom kennenlernen? An diesem Wochenende? Wir könnten am Freitag abend nach Chicago fliegen und am Sonntag zurückkommen. Ich werde sogar brav sein und in einem Hotel in der Nähe absteigen. Ich werde wie ein Mönch leben." "Du? Daß ich nicht lache. Aber meine Mutter wohnt gar nicht in Chicago." Sein Gesicht war plötzlich wie versteinert, und ihr wurde bewußt, was sie angerichtet hatte. "Du hast mir doch erzählt, daß du aus Chicago kommst", sagte er und ließ sie wieder los. "Dort habe ich zuletzt gewohnt", erwiderte sie. "Ich habe aber nie behauptet, daß meine Familie von dort kommt."
"Ich glaube, das hast du, aber vermutlich ist das auch etwas, wonach ich dich nicht fragen darf." Sie schwieg, und das war Antwort genug. Sie haßte es, ihn immer wieder anlügen zu müssen, aber leider gehörte das zu ihrem Beruf. Irgendwann würde sie damit aufhören müssen. "Robert hat sich bei E.J. darüber beschwert, daß du meine Hand geküßt hast. Er ist mißtrauisch und ..." "Es ist mir verdammt egal, was er ist", knurrte Jared. "Das hoffe ich", erwiderte Alison ebenso aufgebracht. "Du versicherst mir, daß du nicht in Schwierigkeiten steckst, aber du trägst eine Waffe und kannst mir nichts über deine Vergangenheit erzählen." Er machte eine wütende Geste. "Was zum Teufel soll ich davon halten?" Sie konnte sich schon denken, was er davon hielt. An seiner Stelle würde sie genauso reagieren. Indem sie sich mit ihm eingelassen hatte, war sie einem Traum nachgejagt. Die Situation war außer Kontrolle geraten. Wenn er die Wahrheit über sie erfuhr, würde er sie hassen, und das wollte sie nicht. Sie wollte ihm nicht weh tun und sie wollte auch nicht, daß er durch sie noch mehr Probleme bekam. "Ich kann dir nicht vorschreiben, was du von mir halten sollst, aber bei der Sache mit Robert kann ich dir helfen", begann sie. "Ich will nicht, daß man in der Kanzlei über dich ... über uns redet und ..." "Ich habe dir doch gesagt, Robert ist mir egal!" entgegnete Jared erbost und funkelte sie an. Seine Augen blitzten. "Aber die Partnerschaft ist dir nicht egal", sagte sie. "Und mir auch nicht. Ich finde, es ist höchste Zeit, daß ich Davis, Hansen und Davis verlasse ..." "Nein!" Er packte ihre Schultern und zog sie an sich. Sie prallte gegen seinen festen Körper und erschauerte. "Verlaß mich nicht, hast du verstanden? Das ist keine Lösung!" Er preßte die Lippen auf ihre und küßte sie so stürmisch, daß ihr das Herz bis zum Hals schlug. Sie erwiderte den Kuß ebenso
ungestüm, wollte Jared noch einmal schmecken, bevor sich ihre Wege trennen mußten. Erst nach einer ganzen Weile gab er ihren Mund frei. "Sag mir, daß du auf das verzichten kannst, was wir zusammen haben." Hätte er etwas anderes verlangt, hätte sie vielleicht sich und ihm etwas vorgemacht. Aber sie war es leid, ihn anzulügen ... und sich selbst. "Nein", flüsterte sie. Er ließ die Lippen von der hochempfindlichen Stelle unterhalb ihres Ohrs zum Halsansatz gleiten. Seine Küsse waren abwechselnd zärtlich und wild. Der Citrusduft seines Aftershave war so berauschend wie immer. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, geschweige denn aussprechen. "Ich liebe dich", sagte er und hob den Kopf. "Ich liebe dich, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe dich nie gedrängt, meine Liebe zu erwidern, aber, verdammt noch mal, sag mir, daß es dir etwas bedeutet!" Sie wollte es ihm sagen, aber sein Wohlergehen war wichtiger als das, was sie für ihn empfand. "Jared, ich wünsche mir für dich nur das Allerbeste." "Ich entscheide selbst, was für mich am besten ist, und das bist du, Alison", bemerkte er. "Ich mache dich doch nur unglücklich", erwiderte sie leise und klammerte sich an ihn. "Es gibt Dinge, die ich dir nicht sagen kann, weil du mich ihretwegen hassen würdest. Und ich will nicht, daß du mich haßt." "Nein, niemals." "Doch, das wirst du. Du wirst mich hassen." Sie preßte das Gesicht an seinen Hals. "Ich will nicht, daß du mich haßt. Ich liebe dich. Ich sollte es nicht, aber ich tue es." Endlich hatte sie ausgesprochen, was sie so lange für sich behalten hatte - und noch während sie es sagte, kam sie sich schäbig vor.
"Sag es noch einmal", bat er und hob ihren Kopf an, bis er ihr Gesicht sehen konnte. Sie schaute ihm in die Augen und brachte es nicht fertig, seine Bitte abzulehnen. "Ich liebe dich." Er küßte sie so verzweifelt, daß sie glaubte, daran zu zerbrechen. Und tatsächlich zerbrach etwas in ihr. Sie wollte es nicht, aber sie verlor die Kontrolle über sich und ihre Gefühle. "Sag es noch einmal. Ich will es immer wieder von dir hören." Sie tat es. "Ich kann nicht mehr warten." Er drängte sie gegen die Wand und schob ihren Faltenrock hoch. Mit zitternden Fingern zerrte er an ihrer Strumpfhose, bis sie nachgab. Alison war ebenso ungeduldig wie er und knöpfte mit zitternden Fingern sein Hemd auf, um seinen Oberkörper zu entblößen. Dann öffnete sie Bluse und BH und rieb die Brüste an seiner behaarten Haut. Keuchend schlang sie die Beine um seine Taille und ließ sich auf ihn sinken. Das Verlangen raubte ihr den Atem, aber wenn sie erst eins mit ihm war, brauchte sie keine Luft mehr. Es war zärtlich und wild ... irdisch und himmlisch ... und sie waren ganz erfüllt von der Liebe, die sie füreinander empfanden. Alison gestand sie ihm immer wieder, und die Sorgen des Alltags erschienen ihr auf einmal seltsam unwichtig. Sie liebte Jared, dagegen konnte sie nichts tun. Daß Alison ihn liebte, war keine Lösung. Es machte alles nur noch schlimmer. Jared lauschte der Gerichtsverhandlung nur mit halbem Ohr und dachte über Alison nach. Es war jetzt eine Woche her, daß sie ihm ihre Liebe gestanden hatte. Aber nur, wenn sie miteinander schliefen, fühlte er sich wirklich mit ihr verbunden. Dann erwiderte sie seine Zärtlichkeiten so heftig, so leidenschaftlich, daß er nicht an ihr zweifelte. Zu anderen Zeiten zwang ihre Umgebung sie dazu, die emotionale Distanz zu ihm
zu wahren. Das war zumindest die einzige Erklärung, die ihm dafür einfiel. Raymonds Rat erschien ihm immer logischer. Wenn er ihr helfen wollte, mußte er wissen, was sie verbarg. Nichts konnte so furchtbar sein, daß es ihn abschrecken würde. Bis dahin mußte er sie in seiner Nähe halten und dafür sorgen, daß sie bei Davis, Hansen und Davis blieb. Wenn sie erst die Kanzlei verließ, würde er sie für immer verlieren. Vielleicht saß sie in diesem Moment schon bei Robert und bat ihn, eine andere Aushilfe für das Archiv einzustellen. Ihre edle Tat würde nichts bewirken. Robert würde einfach einen anderen Grund finden, um die Partnerschaft einem anderen Bewerber anzutragen. Jared schwor sich, die Kanzlei zu verlassen, falls ein anderer die Partnerschaft bekam. Er war Roberts Intrigen längst leid, und die Sache mit Alison gab ihm den Rest. "Mr. Holiday, haben Sie vor, Ihren Eröffnungsantrag noch heute zu stellen?" Richter Butkowski warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. Jared errötete ein wenig. Er räusperte sich und stand auf. "Ja, Euer Ehren. Dies ist keine normale Scheidung ..." Er lächelte seiner Mandantin zu, während er ihren Fall schilderte. Sie war Tänzerin gewesen, bevor sie ihren Mann geheiratet hatte, einen der angesehensten Bürger von Philadelphia, einen Bankier mit einem Vermögen, das zu seinem Stammbaum paßte. Das Gericht mußte nun über die Gültigkeit des Ehevertrages entscheiden. Jared war sicher, daß er ihn erfolgreich anfechten konnte. Der Ehemann hatte mehrere Affären gehabt und damit eindeutig sein Treuegelöbnis gebrochen, das er seiner Frau gegenüber ausgesprochen hatte. Jared wußte zwar, daß seine Mandantin eine Liebesnacht mit einem Exfreund verbracht hatte, als die Ehe in die Krise geraten war, doch das wußte der gegnerische Anwalt nicht.
Nachdem er seinen Antrag begründet hatte, nickte der Richter, ohne dabei die Lippen zu spitzen. Das bewies Jared, daß er trotz des verspäteten Beginns ein paar Pluspunkte gesammelt hatte. Auch dem Anwalt des Ehemanns war das nicht entgangen. Bei Richter Butkowskis Verhandlungen mußte man wie bei einem Pokerspiel Gesichter lesen können, um zu wissen, wo man stand. Der Gegenanwalt erhob sich und formulierte seinen Antrag. Schon nach den ersten Sätzen hörte Jared auf, sich innerlich auf die Schulter zu klopfen. Seine Zuversicht verflog endgültig, als der Anwalt ankündigte, beweisen zu wollen, daß die Frau seinen Mandanten nur des Geldes wegen geheiratet und ihn zudem immer wieder mit einem Exfreund betrogen hatte. "Was zum Teufel soll das?" flüsterte Jareds Mandantin ihm ins Ohr. "Ich weiß es nicht", murmelte er und behielt das amüsierte Lächeln bei, mit dem er dem Richter signalisieren wollte, daß er die Argumente des Gegners für blanken Unsinn hielt. "Könnte Ihr Exfreund gegen Sie ausgesagt haben, um sich an Ihnen zu rächen?" fragte er leise. "Nein, bestimmt nicht. Er ist verheiratet und will seiner Frau nicht weh tun. Und außer Ihnen weiß niemand davon." Seine Mandantin klang überzeugt. Jared fragte sich, ob sie auch Grund dazu hatte. "Dann will er uns nur verunsichern." Was dem Mann bestens gelungen war. Wenn seine Mandantin weiterhin so nervös auf dem Stuhl herumrutschte, wußte der Gegenanwalt, daß er einen Treffer gelandet hatte, und würde anfangen nachzubohren. "Beruhigen Sie sich. Die dürfen nicht merken, daß sie etwas gegen Sie in der Hand haben." Die Ehefrau faßte sich, und der Rest des Vormittags verlief zufriedenstellend. Aber Jared wurde das Gefühl nicht los, daß der Gegenanwalt noch einen Trumpf in der Hinterhand hatte.
Das Gefühl verschlimmerte sich, als er in die Kanzlei zurückkehrte und Robert ihn zu sich bat. Jareds Mandantin hatte noch vom Gericht aus den Seniorpartner angerufen und Jared des Vertrauensbruchs bezichtigt. "Ich habe niemandem etwas gesagt", erwiderte Jared wütend. "Vermutlich hat der Ex-Lover es dem Ehemann erzählt, aus Rache. So etwas kommt vor." "Sie können nur hoffen, daß es so war", sagte Robert kühl. "Falls die Information aus der Kanzlei kommt, dann wurde das Anwaltsgeheimnis verletzt, und so etwas dulde ich nicht." "Für mein Büro lege ich die Hand ins Feuer." "Passen Sie auf, daß Sie sich nicht verbrennen." Als Jared sein Zimmer betrat, knallte er die Tür hinter sich zu. Dann rief er den Anwalt des Ehemanns an. Selbst in Scheidungsfällen mußte man die Gegenseite über neue Erkenntnisse informieren. "Jim, was soll dieser Unsinn, daß die Frau ihren Mann immer wieder betrogen hat?" fragte er ohne Umschweife. "Sie wissen doch, daß Sie das nicht beweisen können." "Ich glaube, das kann ich doch. Ich habe gerade herausbekommen, daß sie einen Exfreund hat, der vielleicht gar nicht so ,ex' ist." "Das mußt du mir aber sagen, bevor du es vor Gericht anführst. Du hast gegen die Mitteilungspflicht verstoßen, und dafür kriege ich dich dran." "Ich habe bisher nur einen Verdacht, und dem gehe ich nach. Mach dir keine Sorgen, ich verstoße gegen gar nichts - und das weißt du auch." Jared legte auf und überlegte eine Weile. Er holte die Akten seiner Mandantin heraus und stellte überrascht fest, daß Alison gleich an ihrem ersten Tag seine Gesprächsnotizen in dieser Sache abgeschrieben hatte. Falls die Mandantin recht und ihr Lover wirklich dichtgehalten hatte, wußte außer ihm selbst nur noch Alison von der Affäre.
Jared wußte, daß er niemandem etwas verraten hatte. Nicht einmal aus Versehen. Alison auch nicht, dachte er und schob den häßlichen Verdacht beiseite. Er wollte ihr so etwas nicht einmal zutrauen. Aber wenn seine Mandantin die Wahrheit gesagt hatte ... Raymonds Worte verfolgten ihn. Finde heraus, was sie verbirgt. Nach der Arbeit fuhr Jared zu Alison. Bedrückt starrte er auf ihre karge Einrichtung. Was steckte bloß dahinter? Warum hatte sie Angst, daß er sie hassen würde? War es das? Hatte sie sich bestechen lassen? Oder war sie bei Davis, Hansen und Davis eingeschleust worden, um vertrauliche Informationen zu sammeln? Das würde eine Menge erklären. Jared haßte sich dafür, daß er so etwas auch nur für möglich hielt. Wie konnte er sie lieben und sie zugleich für eine Verräterin halten? "Was ist los?" fragte Alison, als sie ihm sein Essen servierte. Sie selbst wollte nur das Gemüse essen, das Fleisch bekam er. Er verzichtete darauf, sie zur Rede zu stellen. Das würde zu nichts führen. "Ich denke nur nach, das ist alles." "War es ein harter Tag bei Gericht?" Die Frage klang so alltäglich und harmlos, und normalerweise hätte er sich darüber gefreut. Heute jedoch kam es ihm vor, als wollte Alison ihn aushorchen. "Ja, es war sogar ein verdammt harter Tag", erwiderte er und stocherte auf dem Teller herum. "Es sieht so aus, als hätte es im Fall einer Mandantin einen Vertrauensbruch gegeben." Aus großen Augen sah sie ihn an. "O nein! Was ist passiert? Darfst du darüber reden? Ich verstehe es, wenn nicht." "Interessanterweise darf ich mit dir schon darüber sprechen. Du hast nämlich meine Gesprächsnotizen abgetippt." Er erklärte ihr, was geschehen war, und beobachtete dabei ihren Gesichtsausdruck.
Ihre Reaktion erschien ihm jedoch kein bißchen verdächtig. Entweder war sie unschuldig, oder sie besaß eine der besten Pokermienen, die ihm je begegnet waren. "Der Exfreund muß es dem Anwalt verraten haben", folgerte Alison, als er seinen Bericht beendete. "Wie kommst du darauf?" "Na ja, wer sollte es sonst gewesen sein? Die Frau hätte es ihrem Mann bestimmt nicht gebeichtet. Und du hast es ihm auch nicht erzählt. Also bleibt nur der Exfreund." "Vermutlich." "Das klingt, als würdest du es nicht so recht glauben." Er glaubte es überhaupt nicht. "Meine Mandantin schwört, daß sie dichtgehalten hat. Warum sollte sie sich auch selbst ans Messer liefern? Und sie ist überzeugt davon, daß auch ihr Ex den Mund gehalten hat. Ich selbst weiß, daß ich nichts verraten habe. Das ist mein Beruf." Er räusperte sich. "Könntest du vielleicht aus Versehen etwas gesagt haben? Vielleicht war dir dabei gar nicht bewußt, daß es sich um etwas Vertrauliches handelte. Es war dein erster Tag bei uns, und meine Notizen enthielten ein paar ziemlich saftige ..." "Jared, mit wem sollte ich darüber reden?" unterbrach sie ihn. "Ich habe niemanden. Nein, ich war es nicht. Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten." Sie sah ihn ruhig an, doch ihr Blick verriet, wie sehr es sie ärgerte, von ihm verhört zu werden. Und wie enttäuscht sie über sein mangelndes Vertrauen war. Mit einem knappen "Okay" beendete Jared das heikle Thema. Doch die vielen unbeantworteten Fragen gingen ihm nicht aus dem Kopf. An diesem Abend sprach er nicht mehr viel. Über ihre Zukunftspläne wollte er nicht reden. Es wäre zu schmerzhaft. Er bat Alison nicht einmal, ihm zu sagen, daß sie ihn liebte. Sie sollte es von sich aus sagen, ohne daß er sie dazu auffordern mußte, aber sie tat es nicht.
Das schmerzte. Noch um drei Uhr morgens, während Alison neben ihm schlief, starrte Jared an die dunkle Zimmerdecke, wie er es bereits seit Stunden getan hatte. Sein Leben war ein einziges Chaos. Obwohl sie zusammen die Nacht verbrachten, war er einer engen Beziehung mit Alison nicht näher als an jenem Tag, an dem sie erstmals sein Büro betreten hatte. Heute war Halloween, und er brauchte Antworten. Er wußte, daß Raymond recht hatte. Es war Zeit, Alison zu demaskieren. Vielleicht würde sie ihn dafür hassen, aber das mußte er riskieren. Seine Zweifel waren zu groß, als daß er sie auf Dauer ignorieren konnte. Langsam und vorsichtig rückte er von ihr ab. Sie wachte nicht auf, als er die Decke zurückschlug und aufstand. Dann nahm er seine Hose, schlich hinaus und schloß leise die Schlafzimmertür hinter sich. Auf dem Flur zog er die Hose an und ging in Alisons Küche. Dort schaltete er die Lampe über der Spüle an. Eigentlich hatte er die Detektei, die für die Kanzlei Aufträge übernahm, anrufen wollen und sich per Anrufbeantworter mit deren Chef zum Frühstück verabreden wollen. Aber jetzt dauerte ihm das zu lange, und er machte sich selbst ans Werk. Als erstes stach ihm Alisons große Umhängetausche ins Auge. In der hatte er schon die Waffe gefunden. Vielleicht barg sie ja noch mehr Geheimnisse. Durfte er hineinsehen? Er wurde sich wie ein mieser Schnüffler vorkommen. Andererseits hätten die quälenden Fragen dann vielleicht ein Ende. Er wollte zur Ruhe kommen. Und wenn er Alison helfen wollte, mußte er mehr über sie wissen. Wenn er bereit war, einen Privatdetektiv auf sie anzusetzen, durfte er sich nicht scheuen, sich selbst die Hände schmutzig zu machen und Nachforschungen anzustellen.
Er öffnete die Tasche und legte die Pistole auf die Arbeitsplatte. Schließlich sollte das verdammte Dinge nicht losgehen, während er in ihrem Privatleben herumwühlte. Er nahm die Brieftasche heraus und klappte sie auf. Was er fand, traf ihn wie ein Schlag. Versteckt zwischen mehreren Kreditkarten, goldenen Karten, entdeckte er einen FBI-Dienstausweis. Jared hielt ihn ins Licht und las. Vielleicht hatte er sich getäuscht. Nein, Alisons Name stand deutlich darauf. Daneben befand sich ihr Foto. Sie mußte das lange Haar zu einem Nackenknoten aufgesteckt haben, denn es war streng nach hinten gebürstet.. Aber das Foto zeigte zweifellos die Alison, die er kannte. Darunter standen ihr Gewicht, die Größe, Haar- und Augenfarbe. Der amtliche Stempelaufdruck sah echt aus, und mit Stempeln kannte er sich aus. Alison war FBI-Agentin? Der Boden schien unter ihm zu schwanken, während Jared wie gebannt auf den Ausweis in seiner Hand starrte. Die Knie wurden ihm weich. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis er wieder auf festen Beinen stand. Alison war FBI-Agentin. Jared stürmte ins Schlafzimmer und machte Licht. Der Raum wurde hell. Er trat gegen das Fußende der Matratze, hielt Alison den Ausweis vor das verschlafene Gesicht und stellte die Frage, die er am selben Morgen von seiner Mandantin zu hören bekommen hatte. "Was zum Teufel soll das?"
12. KAPITEL Blinzelnd öffnete Alison die Augen, als das grelle Licht, der Tritt gegen das Bett und Jareds durchdringende Stimme sie unsanft aus dem Schlaf rissen. Es war mitten in der Nacht. Er hielt etwas in der Hand. Plötzlich wurde ihr klar, was es war. Es war ihr FBI-Ausweis. Entsetzt fuhr sie hoch. "Woher hast du den?" rief sie voller Panik. "Aus deiner Tasche. Er steckte zwischen den goldenen Kreditkarten. Und du kannst dir keine Möbel leisten? Oder sind die Karten etwa gefälscht?" "Nein." Sie zog die Decke bis ans Kinn hoch. Ihr war schlecht. "Verdammt, du hattest kein Recht, an mein Portemonnaie zu gehen. Absolut kein Recht!" Er schien sie mit seinem Blick durchbohren zu wollen. "Wer zum Teufel bist du, Alison? Ist das jetzt schon wieder eine Lüge, oder bist du wirklich FBI-Agentin?" Sie versuchte sich zu beruhigen und einen klaren Kopf zu behalten. Der Schaden war angerichtet. Sie war "geoutet" worden. Aber wie sollte sie ihm das alles erklären? Sie wußte nicht, wie sie das tun konnte, ohne daß er sie hassen würde. Außerdem mußte sie retten, was noch zu retten war.
"Ja, ich bin FBI-Agentin", gestand sie. Sie war ihm die Wahrheit schuldig. Sie war das Lügen leid, sie war diesen ganzen mißlungenen Einsatz leid. Er starrte sie an. "Sieh mich nicht so verblüfft an", sagte sie. Plötzlich tat er ihr leid. "Du hältst den Ausweis doch in der Hand." "Irgendwie konnte ich nicht glauben, daß er echt ist. Du bist viel zu ... flippig, um FBI-Agentin zu sein." "Wir sind nicht alle Agentin Scully aus Akte X, weißt du." "Du bist keine Innenarchitektin", sagte er. "Ich bin farbenblind." "Farbenblind? Wie bist du da FBI-Agentin geworden?" Verlegen strich sie über die Bettdecke. "Ich habe beim Sehtest gemogelt." "Gemogelt?" Das bereitete ihr noch immer ein schlechtes Gewissen. "Bei der Einstellungsuntersuchung kam mir der Test plötzlich bekannt vor. Ich hatte ihn auf der High School schon mal gemacht. Also riskierte ich es und hatte Erfolg. Ich wußte, daß ich später nicht als Ermittlerin arbeiten würde, also konnte meine Farbenblindheit niemandem schaden." Sie lächelte. "Hätte ich dein Haus ohne Vorlage renoviert, wäre es eine Katastrophe geworden. Deshalb habe ich mir soviel Zeit gelassen." "Ich weiß nicht mehr, was ich dir noch glauben kann", sagte er betrübt. Sie sah ihn an und wußte, daß der Moment gekommen war, vor dem sie sich so gefürchtet hatte. Aber sie würde nicht mehr davor weglaufen. "Jared, es gibt eine Menge Dinge, die du nicht verstehen wirst. Aber ich muß sie dir trotzdem erzählen." "Sag mir einfach nur, ob das FBI dich auf die Kanzlei angesetzt hat. Vielleicht sogar auf mich persönlich?" Er lachte bitter. "Du weißt inzwischen mehr über mich als die meisten 'Menschen."
"Nein. Na ja, in gewisser Weise schon." Sie wußte, daß ihre Antwort ihn verwirrte. Entschlossen strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. "Kann ich kurz aufstehen, um dir einen Kaffee und mir einen Tee zu machen? Ich werde einen klaren Kopf brauchen." "Nein. Ich lasse dich nicht in die Nähe deiner Waffe." "Jared, ich würde doch nie auf dich schießen!" rief sie empört. "Ich liebe dich." Einen Moment lang erwiderte er nichts. "Sag mir einfach nur, wie es jetzt weitergehen soll." Sie seufzte. "Ich arbeite in einer Spezialabteilung innerhalb des FBI-Zeugenschutzprogramms. Die Regierung unterstützt untergetauchte Zeugen nur für eine bestimmte Zeit, wenn sie ihr neues Leben begonnen haben. Früher haben wir es nicht immer geschafft, die Leute dort unterzubringen, wo sie sich wohl fühlen, einfügen und irgendwann selbst ernähren können, Manchmal ging es den Zeugen so schlecht, daß ihre neue Identität gefährdet war. Also hat das FBI ein Team aus Mitarbeitern gebildet, die eine Gegend oder Region erforschen und dort wie ganz normale Bürger leben, um ein Gefühl für die Menschen und ihre Umwelt zu bekommen. Ich gehöre zu diesem Team." Jared runzelte die Stirn. "Du willst mir erzählen, daß du hier wie eine Durchschnittsbürgerin wohnst und dann der Regierung berichtest, ob das Leben für einen untergetauchten Zeugen geeignet ist? Das kann ich kaum glauben." "Es ist aber wahr. Die meisten Leute kennen ihre Nachbarn und Arbeitskollegen kaum", erklärte Alison. "Deshalb können die Zeugen leicht ein völlig neues Leben beginnen. Aber wir müssen sicherstellen, daß sie allein zurechtkommen, wenn die Regierung nicht mehr für sie sorgt. Lokalzeitungen zu lesen reicht da einfach nicht aus. Ehrlich gesagt, bei einigen FBIBüros kamen in den letzten Jahren Fälle von Korruption vor. Das Programm, bei dem ich mitarbeite, läuft allerdings
unabhängig von den örtlichen Büros. Und du, kannst du wirklich behaupten, daß du deine Nachbarn kennst?" "Ich dachte, ich würde dich kennen, aber das scheint nicht der Fall zu sein." "Du kennst mich", widersprach sie und berührte seinen Arm. "Jared, du weißt, wer ich bin." Er zuckte zurück. "Ich dachte, du steckst in Schwierigkeiten. Jetzt komme ich mir wie ein Idiot vor." "Du warst sehr süß ..." "Ich war sehr dumm. Ich war ein großer, tolpatschiger Möchtegernheld." Er schüttelte den Kopf. "Mein Leben lang habe ich geglaubt, daß Frauen Hilfe brauchen. Die brauchen sie nicht. Raymond hat recht. Frauen sind gerissen und manipulieren die Männer. Du hast mich lächerlich gemacht, Alison." "Jared, nein, das habe ich nicht." "Natürlich hast du das! Ich war für dich nicht mehr als ein kleines Abenteuer, das du vergessen kannst, wenn du weiterziehst, um die nächste Stadt zu erkunden." "Jared, nein", begann sie und zitterte am ganzen Körper, denn sie hatte Angst vor dem, was jetzt kommen mußte. "Wahrscheinlich hast du dich heimlich über mich lustig gemacht! Farbenblind! Gut, daß du ein Foto hattest, sonst wäre es meinem Büro so ergangen wie mir." "Ich habe versucht, dich zu warnen." "Stimmt, das hast du." Er starrte sie an. Der Schmerz in seinen Augen war kaum zu ertragen. "Diese Wohnung ist also auch eine Lüge, nicht wahr? Deshalb hast du keine Möbel. Was ist noch alles gelogen, Alison? Daß du kein Geld hast, ist auch nicht wahr, das steht fest. Du mußt ein verdammt gutes Gehalt bekommen, um dir goldene Kreditkarten leisten zu können." "Einige davon gehören dem FBI." "War das mit deiner Mom am Telefon auch eine Lüge?"
"Nein, sie war wirklich am Telefon. Sie lebt in Syracuse." Ihre Stimme wurde immer flehentlicher. "Jared, ich wollte dich nicht anlügen, aber ich mußte meine wahre Identität, meinen Beruf vor dir verbergen. Du hast mich mit Fragen gelöchert, dir sind Widersprüche aufgefallen, und ich mußte..." "Aha, jetzt ist es also meine Schuld, daß du mich angelogen hast. Ich wette, das mit deinem Geburtstag stimmt auch nicht." "Der ist im Juli", gab sie leise zu. "Und dein Bruder? Und dein toter Vater? Was ist mit denen? Ich habe dich gezwungen, mir von ihnen zu erzählen, daher möchte ich wissen, ob es sie wirklich gibt." "Es ist nicht deine Schuld, okay? Es ist meine. Ich habe wirklich einen Bruder in Syracuse, und mein Vater ist tatsächlich gestorben." Sie wollte sich rechtfertigen, kam sich aber wie eine Heuchlerin vor. "Ich bin adoptiert..." "Adoptiert!" Er lachte, als hätte sie ihm einen tollen Witz erzählt. "Ja, adoptiert!" Vielleicht würde er sie besser verstehen, wenn er ihre Vergangenheit kannte. "Mein leiblicher Vater war in den sechziger Jahren einer der ersten Zeugen gegen das organisierte Verbrechen. Er wurde ermordet, bevor er vor Gericht aussagen konnte und bevor ich geboren wurde. Meine Mutter gab mich zur Adoption frei und starb kurze Zeit später. Was ich tue, Jared, tue ich, weil ich anderen helfen will, in Sicherheit zu leben. Das konnten meine Eltern nicht." Er schüttelte den Kopf. "Warum hast du dir ausgerechnet Davis, Hansen und Davis ausgesucht? Wir verteidigen keine Kriminellen." "Ich habe mir deine Kanzlei nicht ausgesucht, sondern bin als Aushilfe dorthin geschickt worden. Du hast die Agentur angerufen, nicht umgekehrt. Ich jobbe als Aushilfe, um ein Gefühl für die Gegend zu bekommen, um zu sehen, welche Jobs es dort gibt. Wir wollen unsere Schützlinge nicht an einem Ort aussetzen, an dem sie keine Wurzeln schlagen können."
Sie sah ihm in die Augen und klang plötzlich noch beschwörender als zuvor. "Jared, was ich tue, darf nicht an die Öffentlichkeit dringen. Der Erfolg des Programms hängt von seiner Geheimhaltung ab. Ich wollte es dir schon so oft erzählen, aber ich konnte es nicht. Ich durfte es nicht. Was ich jetzt tue, ist mir strikt verboten worden." "Und was war ich?" fragte er. "Der Test-Lover von Philadelphia?" wollte er wissen. "Das reicht!" fauchte Alison. "Ich hätte mich nicht mit dir einlassen sollen, das weiß ich jetzt." "Du wolltest nie bei mir bleiben, nicht wahr? Ich hätte dir meine Liebe gestehen können, bis ich blau angelaufen wäre. Es hätte nichts geändert." "Es ändert sehr wohl etwas. Viel." Fluchend warf Jared den FBI-Ausweis aufs Bett und sammelte den Rest seiner Kleidung auf. "Du widerst mich an, Alison .".." Entsetzt sah sie ihn an. "Jared, bitte. Ich wollte dir niemals weh tun." Er zögerte. "Nein? Du wolltest nur wortlos verschwinden. Keine Angst, ich werde niemandem von dir erzählen. Kein Mensch würde mir glauben, und ich würde wieder mal wie ein kompletter Idiot dastehen. Das wird mir nicht noch mal passieren." Er ging hinaus und knallte die Wohnungstür hinter sich zu. Alison lauschte in die Stille, warf sich dann auf den Bauch und verbarg das Gesicht im Kissen. Jareds Duft war noch darin. Sie weinte. Als Jared am nächsten Tag sein Büro betrat, fühlte er sich, als hätte er einen gigantischen Alptraum gehabt. Nach einer unruhigen Nacht war er in seinem eigenen Bett erwacht und hatte sofort gewußt, daß er die häßliche Szene mit Alison nicht geträumt hatte.
Er starrte auf die kleine Statue der Justitia. Sie war für ihn fast eine Göttin. Sie war das Symbol, für das er kämpfte: die Gerechtigkeit. Andere mochten sie für viel zu hart oder viel zu weich halten, aber das änderte nichts an ihrer Bedeutung. Was für ein Trottel er gewesen war - und er mußte wie ein noch größerer Trottel ausgesehen haben, als er versucht hatte, Alison vor dem unbekannten Bösen zu beschützen. Jared rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht und wünschte, er würde sich nicht so erniedrigt fühlen. Er wollte Alisons neueste Geschichte nicht glauben, aber der Dienstausweis, die Kreditkarten, die Waffe, das Schweigen, selbst ihr Aushilfsjob - alles paßte zusammen und ergab ein Bild von ihr, auf das er nie im Leben selbst gekommen wäre. Sie hätte ihm von Anfang an die Wahrheit sagen sollen. Sie hätte ihm vertrauen sollen. Daß sie es nicht getan hatte, schmerzte ihn am meisten. Das Telefon läutete. Robert war dran, zweifellos um ihm das Leben noch schwerer zu machen. "Ihre Mandantin hat bei der ABA und der ATA Beschwerde eingelegt", verkündete der Seniorpartner. Jared fluchte. Die ABA war die für die Prüfung und Zulassung von Rechtsanwälten zuständige Standesorganisation, die ATA der Verband der Prozeßanwälte. Beide konnten ihm jede Menge Ärger einbringen. "Verdammt noch mal, ich habe dem Anwalt ihres Ehemanns kein Sterbenswort gesagt. Warum sollte ich mir meinen eigenen Fall kaputtmachen?" "Das wäre tatsächlich unlogisch." Robert klang fast mitfühlend. Aber nur fast. Mit seiner nächsten Bemerkung erwies er sich jedoch als der herzlose Bürokrat, für den Jared ihn stets gehalten hatte. "Leider muß ich Sie auf unbestimmte Zeit von der Arbeit in unserer Kanzlei suspendieren." "Was?" rief Jared schockiert. "Ich will nicht, daß auch nur der Hauch eines Skandals über der Kanzlei liegt. Ich habe sie zu lange vor allen Anfeindungen
beschützt, um zuzulassen, daß Sie mit Ihrer Sorglosigkeit alles zunichte machen." "Haben Sie je etwas davon gehört, daß man zu seinen Angestellten hält, Robert?" fragte Jared. "Nicht in einer Situation wie dieser." "Es gibt keine Situation, verdammt! Ich habe Mandanten, die ich in laufenden Verfahren vertreten muß, eins davon findet heute nachmittag statt." "Ich werde die Richter um eine Vertagung bitten, bis Ihre Kollegen aus der Kanzlei den Fall übernommen haben. Sie sind bis auf weiteres von sämtlichen Fällen entbunden." "Wie lautet die Devise unseres Rechtssystems? Der Angeklagte ist unschuldig, bis seine Schuld nachgewiesen ist. Danke, daß Sie sich so strikt daran halten, Robert." Jared knallte den Hörer auf. Er fragte sich, was in seinem Leben noch alles schiefgehen konnte. "Nicht mehr viel", murmelte er. Er überlegte kurz, was er nun tun sollte. Dann machte er Ausdrucke von einigen seiner wichtigsten Dateien. Erst danach ging ihm auf, daß er ja statt dessen das Bandlaufwerk, das normalerweise zur Sicherung diente, mit nach Hause nehmen konnte. Auf der Suche nach den fehlenden Abrechnungen hatte er gelernt, damit umzugehen. Auf dem Bandlaufwerk befanden sich Kopien von allem, was bis gestern auf der Festplatte gespeichert worden war. Er steckte das Band in seinen Aktenkoffer. Außerdem nahm er sein Adressenverzeichnis und die Figur der Justitia vom Schreibtisch. Er verließ das Büro und steuerte das Archiv an. Alison hatte er an diesem Morgen noch nicht zu Gesicht bekommen. Nachdem ihre Tarnung "aufgeflogen" war, war sie mit Sicherheit sofort verschwunden. Sie hatte ohnehin damit gedroht wegzugehen, und der gestrige Abend mußte ihr den Rest gegeben haben.
Wenigstens konnte er so einige seiner älteren Akten aus dem Archiv holen, ohne ihr zu begegnen. Zur Hölle mit den Bestimmungen, dachte er. Bei Davis, Hansen und Davis war es ausscheidenden Anwälten zwar untersagt, Unterlagen mitzunehmen, aber rein formal gesehen war er nur suspendiert, also noch Mitarbeiter der Kanzlei. Sollte Robert sich doch aufregen. Alison war im Archiv. Jared blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf ihren Rücken. Sie saß über das Mikrofilmgerät gebeugt. Er konnte kaum glauben, daß sie arbeitete, als wäre nichts geschehen. Sie trug ein strenges schwarzes Kostüm und hatte sich das Haar aus dem Gesicht geflochten. Das Kostüm betonte ihre Figur, und der Zopf fiel ihr über die Schulter, als sie sich zu ihm umdrehte. Als er näher kam, drehte sie sich um und sah ihn an. Sein Herz schlug schneller, fast schmerzhaft schnell. Unter den Augen hatte sie Schatten, als wäre sie krank. Sie hatte ihn verraten, aber er empfand keine Schadenfreude. "Ich dachte, du wärst längst fort", sagte er, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie allein im Raum waren. "Ich habe hier einen Job zu erledigen und kann nicht einfach verschwinden. Das wäre nicht fair." Sie senkte die Stimme. "Jared, es tut mir so leid ..." "Laß es gut sein", unterbrach er sie. "Ich will es nicht hören. Was du getan hast, ist unverzeihlich. Alles, was du mir erzählt hast, war eine einzige Lüge." "Ich habe nur gelogen, wenn es nicht anders ging." "Das spielt keine Rolle", sagte er kühl. "Ich war für dich nicht mehr als ein kleines Abenteuer." "Das ist nicht wahr!" protestierte sie. Er schnaubte. "Das könntest du mir erzählen, wenn du zehn Jahre mit mir verbracht hättest, vielleicht würde ich es dir dann
glauben. Vielleicht. Aber immerhin kann ich dir versichern, daß ich es dir nicht zutraue, einem gegnerischen Anwalt eine vertrauliche Information zukommen zu lassen. Nein, das traue ich dir nicht zu, was eigentlich verwunderlich ist, angesichts deiner bisherigen Lügengeschichten." Sie setzte sich auf. "Ich würde mich ja gern bei dir für dein Vertrauen bedanken, aber du gefällst dir zu sehr in der Opferrolle", bemerkte sie dann. "Ja, ich bin sogar ein ganz tolles Opfer, zumal Robert mich vorhin von der Arbeit suspendiert hat. Die Rolle gefällt mir immer besser. Aber keine Angst, du hast nichts damit zu tun." Er ging zwischen den Regalen entlang und zog die Akten heraus, die er möglicherweise brauchen würde. Er nahm vor allem die Abrechnungen mit, denn sein Gehalt und die Prämien, die er bekam, basierten auf ihnen. Alison stand auf und ging zu ihm. "Jared, warte! Robert hat dich suspendiert? Warum denn das?" "Was zum Teufel interessiert dich das?" "Ehrlich gesagt, das frage ich mich auch. Aber es interessiert mich nun einmal. Was ist passiert?" Er wollte es ihr nicht erzählen. Es sollte ihm gleichgültig sein, was sie dachte, aber er konnte nicht anders. "Meine Mandantin hat bei der ABA und der ATA eine formale Beschwerde eingereicht. Robert nimmt das zum Anlaß, mich endgültig loszuwerden." "Aber das ist unfair", entrüstete Alison sich. "Du würdest doch niemals das Vertrauen einer Mandantin mißbrauchen. Und ich habe es auch nicht getan, also stammt die Information nicht aus deinem Büro." "Was du nicht sagst." Er nahm noch ein paar Akten aus dem Regal, legte sie in den Aktenkoffer und ließ den Verschluß zuschnappen. "Was tust du da?" fragte sie.
"Ich nehme mir die Akten mit, die ich benötige. Wieso? Willst du deine Waffe ziehen und mich auf frischer Tat erschießen?" "Ich nicht. Ich arbeite nur hier. Es muß der Liebhaber gewesen sein ... oder die Frau hat aus Versehen etwas gesagt, das sie nicht hätte sagen dürfen. Vielleicht hat sie deshalb Beschwerde eingereicht. Viele Leute suchen einen Sündenbock für etwas, das sie selbst angerichtet haben. Hoffentlich wehrst du dich dagegen." Er zuckte mit den Schultern. Erstaunt sah sie ihn an. "Jared! Du mußt dich dagegen wehren!" "Robert ist für mich erledigt. Diesen Rausschmiß werde ich ihm nie verzeihen. Was soll's. Nichts im Leben ist verläßlich, und du schon gar nicht." Alison sah so erschüttert aus wie am Abend zuvor, als er ihr den FBI-Ausweis unter die Nase gehalten hatte. Okay, sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie mich angelogen hat, dachte er. Aber das änderte nichts an dem, was sie getan hatte. Wie konnte er dieser Frau jemals wieder vertrauen? Nein, das konnte er nicht. Jared verließ das Archiv, verließ Davis, Hansen und Davis und verließ Alison Palmer. Keine Frage, dachte er, dies ist der schlimmste Tag meines Lebens. Alison unterdrückte die frischen Tränen. Sie mußte endlich aufhören zu weinen. Tränen machten nicht wieder gut, was sie Jared angetan hatte. Außerdem konnte sie mit feuchten Augen nicht mehr lesen, was sie verfilmte. Sie hatte alles falsch gemacht, also verdiente sie seine Verachtung. Sie war an diesem Morgen zur Arbeit gegangen, um Jared wiederzusehen, um mit ihm zu reden, um ihn um Verzeihung zu bitten. Doch er hatte ihr keine Chance gegeben.
Nun, wenigstens hatte er nicht gesagt, daß er sie haßte. Aber bestimmt tat er es. Noch schlimmer, er steckte in beruflichen Schwierigkeiten. Ihr Herz, floß über vor Liebe und Mitgefühl. Sie wollte ihm helfen, irgendwie. Sie wollte beweisen, daß sie ihm nichts Böses gewollt hatte. Der Exfreund der Mandantin mußte es gewesen sein, da war sie sicher. Das war die einzig logische Erklärung. Plötzlich fielen ihr Jareds verschwundene Abrechnungen wieder ein. Armer Jared. In letzter Zeit hatte er wirklich eine Menge Pech gehabt. Sie verstand einfach nicht, wo die Abrechnungen geblieben waren. Nicht nur die Ausdrucke, sondern auch die Dateien auf der Festplatte waren spurlos verschwunden. Jetzt hatte Jared noch mehr Probleme am Hals, und das alles zu einem Zeitpunkt, an dem er sich um die freie Partnerschaft bewerben wollte. Das waren schon eine Menge seltsamer Zufälle. Alison war es gewohnt, mißtrauisch zu sein, und ging davon aus, daß die beiden rätselhaften Vorgänge kein Zufall waren. Wenn die Mandantin recht hatte und sie selbst und ihr Exfreund dichtgehalten hatten, wer war es dann gewesen? Wer hatte ein Motiv, Jared in ein schlechtes Licht zu rücken? "Schließ alle Möglichkeiten aus, die sich ausschließen lassen, dann ist die, die übrigbleibt, die Lösung, so unwahrscheinlich sie auch klingt", murmelte sie. Das war die Devise ihres Lieblingsdetektivs Sherlock Holmes. Diese unwahrscheinliche Lösung war, daß jemand in der Kanzlei die Informationen weitergegeben hatte, jemand, der Zugang zu Jareds Notizen hatte. Aber warum sollte jemand aus der Kanzlei Jareds" Notizen vernichten oder sie der gegnerischen Seite übergeben? So etwas konnte die Kanzlei viel Geld kosten, wenn sie auf Schadensersatz verklagt wurde. Es mußte etwas geben, das dieses Risiko wert war.
E.J. betrat das Archiv. "Ich glaube es einfach nicht!" rief sie. "Jared ist beurlaubt worden!" "Ich weiß", erwiderte Alison traurig. "Er hat es mir gerade erzählt." E.J. zog die Augenbrauen hoch. "Er hat es Ihnen erzählt? Niemand hat ihn heute gesehen. Ich selbst habe es von Robert erfahren. Der Kerl hat mir ganz selbstgefällig davon erzählt, aber er hat mir den Grund für die Beurlaubung nicht genannt. Wissen Sie Genaueres?" Alison nickte, zögerte jedoch. "Heraus damit, Mädchen." Alison gab sich einen Ruck. Vielleicht würde E.J. die Stimmung in der Kanzlei zu Jareds Gunsten beeinflussen. "Das ist doch lächerlich!" entfuhr es E.J., als Alison ihren Bericht beendete. "Jared ist so etwas noch nie passiert. Wir sollten ihm den Rücken stärken, anstatt ihn nach Hause zu schicken.. Entweder ist er vollkommen überarbeitet, oder jemand hat es auf ihn abgesehen ..." "Halten Sie das für möglich?" fragte Alison aufgeregt, denn sie hatte denselben Verdacht. Wortlos starrte E.J. sie an. "Die Idee ist mir auch schon gekommen", gestand Alison. "Vermutlich haben die Mandantin oder ihr Exfreund etwas gesagt, das den Anwalt des Ehemanns auf die richtige Fährte gesetzt hat. Wir wissen beide, daß Jared es nicht getan hat, und ich war es auch nicht." Ihr kamen die Tränen, und sie mußte schlucken. "E. J., ich liebe ihn..." "Ich wußte es!" rief E.J. und strahlte über das ganze Gesicht. "Na ja, es spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Er haßt mich. Dazu hat er auch allen Grund, aber fragen Sie mich nicht, warum, denn ich kann es Ihnen nicht erzählen. Es ist etwas zwischen ihm und mir. Aber wie kann ich ihm helfen? Ich würde mucksmäuschenstill verschwinden, wenn ich nur wüßte, daß es ihm gutgeht."
"Das klingt ja ungeheuer spannend, Alison", meinte E.J. lächelnd. "Ich bekomme es schon noch heraus, warten Sie nur ab." "Nicht von mir. Viel wichtiger ist jetzt, ob wir Jared helfen können. Was kann ich bloß tun?" "Ich weiß es nicht." E.J. schüttelte den Kopf. "Die Partnerschaft kann er jedenfalls vergessen. Er steckt ja jetzt schon bis zum Hals im Schlamassel. Selbst wenn die Beurlaubung vorbei ist, wird er bei Davis, Hansen und Davis nicht mehr viel werden können. Ich fürchte, sein guter Ruf ist nachhaltig ruiniert..." Während E.J. sprach, wurde Alison auf einmal alles klar. Die Puzzle-Teile fügten sich zu einem stimmigen Bild zusammen. Irgend jemand wollte Jared aus dem Rennen um die freie Partnerschaft werfen. Vielleicht für immer. Vielleicht sogar aus der Kanzlei. Aber wer? Wer haßte Jared so sehr, daß er ihm das antun konnte? Robert? Oder ein anderer Anwalt, der die Partnerschaft so dringend brauchte, daß er zu unlauteren Mitteln griff, um einen Konkurrenten auszuschalten? Zugegeben, Alison war keine erfahrene FBI-Ermittlerin, aber sie hatte eine gute Ausbildung bekommen und kannte sich mit den Methoden aus. Dies war die ideale Gelegenheit, das Gelernte anzuwenden. Wenn sie half, Jareds guten Ruf wiederherzustellen, würde er ihr vielleicht verzeihen, daß sie ihn angelogen hatte. Kaum war E.J. gegangen, machte Alison sich ans Werk. Am dritten Tag seines Zwangsurlaubs ging Jared in seinem Wohnzimmer hin und her wie ein Tiger im Käfig. Er wußte nicht, was ihn mehr schmerzte. Die Suspendierung oder Alisons Lügen.
Er vermied es, den kleinen Flügel anzuschauen, denn das würde ihn nur an den Abend erinnern, an dem Alison darauf gespielt hatte. Und in seinem Bett geschlafen hatte. Warum arbeitete sie weiterhin bei Davis, Hansen und Davis? Daß sie einen begonnenen Job zu Ende bringen wollte, war unwahrscheinlich. Schließlich brauchte sie nicht in der Kanzlei zu bleiben, um ihren FBI-Auftrag zu erledigen. Er verstand sie einfach nicht. Und vertrauen konnte er ihr auch nicht mehr. Aber unwillkürlich fragte er sich, wie er an ihrer Stelle gehandelt hätte. Wäre sie wirklich in Lebensgefahr gewesen und hätte ihn angelogen, um ihn zu schützen, so hätte er es ihr verzeihen können. Aber ihr Auftrag war doch reine Routine gewesen, ohne jede Bedrohung für sie oder ihn. Sie hätte nicht zu lügen brauchen. Es läutete an der Tür. Als Jared sie öffnete, stand Alison vor ihm. Verblüfft starrte er sie an. "Kann ich kurz hereinkommen?" fragte sie. "Ich habe da etwas, das du dir ansehen solltest." Die kalte Novemberluft hatte ihre Wangen gerötet. Ihre Augen schienen mehr als sonst zu funkeln, und das rotblonde Haar fiel ihr schimmernd auf die Schultern. Am liebsten hätte er ihr die Kälte von den Lippen geküßt. Er ließ sie eintreten. Sie trug einen dunkelroten Mantel, der an ihrem schlanken Körper eher wie ein Cape wirkte. Stellenweise lugte ihr Faltenrock darunter hervor. Auch jetzt sieht sie nicht nach dem aus, was sie ist, dachte er. Und auch jetzt sah sie aus wie die Alison, die er liebte, seit er sie zum erstenmal gesehen hatte. Sie zog die Handschuhe aus und rieb sich die Finger. "Ich glaube, das wird ein sehr kalter Winter," Sie verzog das Gesicht. "Aber bestimmt willst du mit mir nicht über das Wetter plaudern. Ich bin gekommen, weil ich dir etwas zeigen muß."
Sie griff in ihre große Umhängetasche und holte einige Papiere heraus, die sie ihm dann überreichte. Ihre Finger berührten sich. Jared hob den Kopf und sah ihr ins Gesicht. Alisons blaue Augen waren riesig und voller Gefühl. Er schaffte es, die Papiere entgegenzunehmen, ohne sich anmerken zu lassen, wie sehr ihm die Berührung unter die Haut ging. "Was ist das?" "Ein Ausdruck der Aktivitäten deines Computer-Modems." Er starrte auf die Bögen voller Zahlen und Buchstaben, ohne irgend etwas davon zu begreifen. "Und was bedeutet das?" "Der Ausdruck zeigt, welche Verbindungen von und zu deinem Modem hergestellt wurden. Und wann. Es sind nicht sehr viele, aber die sind höchst aufschlußreich." Er runzelte die Stirn. "Woher hast du das?" Sie lächelte. "Sagen wir, ich habe Überstunden gemacht und bin einigen Ideen nachgegangen. Ich habe mich über dein Modem in deinen Computer eingeklinkt und das hier ausgedruckt. Jared, es war kinderleicht. Weißt du eigentlich, wie du deinen PC gegen fremden Zugriff sichern kannst?" "Nein." "Das merkt man. Dein Computer ist dauernd eingeschaltet, und du hast keine gesicherten Dateien." "Ich habe dir doch schon mal gesagt, daß ich von Computern keine Ahnung habe. Ich weiß, daß ich ein Modem und eine eigene Telefonleitung habe, damit ich ins Internet kann, wenn ich will. Die Computerfirma, die unsere Geräte wartet, benutzt das Modem, um die Computer per Fernabfrage durchzuchecken. Willst du etwa behaupten, daß die über das Modem an meine Dateien gelangt sind?" "Die nicht." Sie zeigte auf die Bögen. "Jemand bei Davis, Hansen und Davis hat deine Dateien gelesen. Siehst du die Ziffern?
Die gehören zu einer Telefonleitung der Kanzlei. Kennst du die Nummer?" "Nein, nicht aus dem Kopf. Wie hast du das herausgefunden?" Sie lächelte. "Ich kenne jemanden bei der Telefongesellschaft. Das ist manchmal ganz praktisch." "Aber worauf willst du hinaus?" fragte er und kam sich plötzlich wie ein Hinterwäldler vor. "Irgend jemand hat zweimal Daten auf deinem Computer manipuliert. Mit der Hilfe deines Modems. Auf diesem Weg hat man deine vierteljährliche Abrechnung von der Festplatte geholt." Sie zeigte auf eine Zahlenkolonne. "Etwa eine halbe Stunde war jemand in deinem PC, wahrscheinlich weil er die Dateien erst suchen mußte. Diese Aufstellung beweist, daß eine umfangreiche Datenübertragung stattgefunden hat. Jemand hat deine gesamten Abrechnungen gestohlen." Sie überlegte kurz und zeigte auf eine andere Zahlenkombination. "Hier sieht man, wie sie deine Notizen zum Mandantengespräch gesucht haben. Das Datum liegt dicht vor dem entsprechenden Gerichtstermin. Wahrscheinlich haben sie die Datei nur kopiert, daher hat anschließend nichts gefehlt, und du hast nichts gemerkt. Bestimmt wollten sie sich noch mehr holen, aber dann hat Robert dich suspendiert." Jared starrte auf die Unterlagen. Langsam begriff er, was Alison ihm sagen wollte. "Aber warum sollte jemand in meinen Dateien herumschnüffeln? Ich habe doch nichts Wichtiges..." "Doch, das hast du. Du besitzt Informationen, die für gegnerische Anwälte äußerst wertvoll sein können. Vielleicht hat jemand einen Mitarbeiter aus der Kanzlei bestochen, aber ich vermute, daß mehr dahintersteckt. Du bist ein aussichtsreicher Kandidat für die freie Partnerschaft. Davis, Hansen und Davis ist eine sehr erfolgreiche Anwaltsfirma. Ich wette, die Seniorpartner verdienen Millionen. Irre ich mich?"
"Nein. In jeder Kanzlei landet das große Geld bei den Partnern." "Na also. Jemand will nicht, daß du Partner wirst", sagte sie. "Ich kann nicht glauben, daß Mark, Bill oder Margaret so etwas tun würden, um einen Mitbewerber auszuschalten. Sie waren immer fair." "Der Schuldige steckt hier." Sie tippte auf die Modemnummer. "Es ist die Person, die diesen Anschluß hat. Drew Goldwyn, der Leiter eurer Rechnungsabteilung." "Was? Das kann doch nicht sein!" rief Jared entgeistert. "Warum sollte er etwas gegen mich haben? Er kommt für die Partnerschaft überhaupt nicht in Frage. Er ist Roberts Laufbursche, aber das hat nichts mit mir zu tun." "Warum er es getan hat, kann ich dir nicht sagen. Ich kann dir nur die Fakten liefern. Findest du es nicht merkwürdig, daß er deine Abrechnung angeblich nie bekommen hat? Ich denke, du solltest mit dem hier zu Robert gehen." "Aber ich kann nicht beweisen, daß Drew es getan hat." "Du kannst beweisen, daß sein Computer mit deinem verbunden war. Zeig Robert diese Aufstellung und bitte ihn, Drews Computer überprüfen zu lassen. Ich wette, wir werden die verschwundenen Dateien auf seiner Festplatte finden. Es ist zumindest einen Versuch wert. Selbst wenn es nichts bringt, wird er erklären müssen, warum er von seinem Computer aus Zugriff zu deinem hatte." Jared starrte auf die Papiere, dann hob er den Kopf und sah Alison an. "Warum tust du das?" fragte er leise. Sie wich seinem Blick aus. "Ich war dir etwas schuldig", sagte sie schließlich. "Ich hätte ein ungutes Gefühl gehabt, wenn ich dir nicht geholfen hätte." Sie war mir etwas schuldig, dachte er bedrückt. Daß sie es jetzt nicht mehr war, bedeutete, daß ihre Beziehung beendet war. "Du solltest sofort damit zu Robert gehen", sagte sie.
"Und du solltest mich begleiten", erwiderte er. "Ich glaube, ich werde deine Hilfe brauchen, wenn ich ihm das hier erklären soll." Er legte die Hand an ihren Rücken, um sie zur Tür zu geleiten ... und hätte Alison fast an sich gezogen. Wie konnte er sie nach allem, was geschehen war, so sehr begehren? Wenn es um Alison ging, setzte sein Verstand einfach aus. In seinem Wagen fuhren sie zur Kanzlei. Unterwegs sprach er nicht viel. Er war viel zu sehr mit dem beschäftigt, was sie entdeckt hatte, und nicht zuletzt mit der Frage, warum sie überhaupt danach gesucht hätte. Als er und Alison über den Flur zu Roberts Büro gingen, beschloß er, sich nicht von der Sekretärin anmelden zu lassen. Irgendwie hätte er so eine Vorahnung, daß Robert ihn erst einmal eine Stunde lang im Vorzimmer schmoren lassen würde, bevor er ihn empfing. Also fragte er die Sekretärin nur, ob Robert allein war, ging dann an ihr vorbei und öffnete die Tür. Die Sekretärin eilte aufgebracht hinter Alison her. Robert erhob sich halb aus seinem Chefsessel. "Was soll das?" Jared hielt ihm die Ausdrucke, die er von Alison bekommen hatte, direkt unter die Nase. "Das hier, Robert, ist die Unterstützung, die Hilfe, die ich von der Kanzlei nicht erhalten habe, als ich sie brauchte. Und jetzt solltest du mir genau zuhören, bevor ich selbst zur Anwaltsvereinigung gehe und meine eigene Beschwerde gegen diese Kanzlei einreiche." Robert sah ihn stirnrunzelnd an und winkte seine Sekretärin aus dem Raum. "Sie können auch gehen", sagte er zu Alison, ohne sie mehr als eines kurzen Blickes zu würdigen.. "O nein." Jared legte den Arm um ihre Schultern. "Alison bleibt hier. Sie hat herausgefunden, was mit meinen Abrechnungen passiert ist und wo die undichte Stelle in dieser Kanzlei ist. Sie wird es Ihnen selbst erklären."
Alison nahm Jared die Papiere aus der Hand, breitete sie vor Robert auf dem Schreibtisch aus und erklärte ihm, was die Zahlenkolonnen und Buchstabenkombinationen bedeuteten. Dann lieferte sie ihm noch ein paar Einzelheiten zu Jareds fehlendem Abrechungsverzeichnis und ihrem Verdacht. Sie war ruhig, logisch und präzise. Jared lächelte. Er war stolz auf sie. Und er war ihr unendlich dankbar. Was sie nicht sagte, war, wem die Modemnummer gehörte. Er wunderte sich darüber und hätte den Leiter der Rechnungsabteilung fast selbst beschuldigt, doch dann ging ihm auf, daß Alison, es absichtlich verschwieg. Robert hörte geduldig zu und ließ sie ausreden. "Das ist alles schön und gut", sagte er, als sie fertig war. "Falls es der Wahrheit entspricht... Aber es beweist gar nichts." Wenigstens protestierte er nicht lauthals. "Mr. Davis, ich glaube, es beweist, daß eine unbefugte Person sich zu zwei entscheidenden Zeitpunkten Zugang zu Jareds Computer verschafft hat", erwiderte Alison gelassen. "Und beide Male wurden Informationen gestohlen, um Jared dadurch zu schaden." "Wer wäre am anderen Ende der Leitung, wenn ich diese Nummer anrufe?" fragte Robert. "Ein anderer Computer", sagte sie, ohne seine Frage vollständig zu beantworten. "Einer, von dem ich annehme, daß auf ihm Jareds Informationen gespeichert sind, vermutlich in Dateien, die gegen fremden Zugriff gesichert sind." Sie lächelte Jared zu, und er verstand den stummen Vorwurf. "Wie ich höre, lassen Sie Ihre Computer durch eine Spezialfirma warten und überprüfen. Vermutlich verwendet diese Firma ein Paßwort, mit dem sie die Sicherheitssperren überwinden kann, um am System zu arbeiten. Als Chef der Kanzlei müßten Sie dieses Paßwort kennen. Kennen Sie es?" "Ja, aber ich weiß nicht, wie ich es verwenden soll." "Keine Sorge, Alison weiß es", mischte Jared sich ein und erwiderte ihr triumphierendes Lächeln.
Robert spitzte die Lippen. "Warum sollte ich Ihnen irgend etwas glauben? Sie könnten dies alles so arrangiert haben, um sich reinzuwaschen, Jared." Jared beherrschte sich nur mühevoll. "Das ist doch absurd. Ich habe nichts arrangiert, und Alison erst recht nicht." "Ihre Empörung beeindruckt mich nicht" sagte Robert. "Und was diese Frau betrifft, so weiß ich über Ihre persönliche Beziehung zu ihr Bescheid. Sie ist Ihre Geliebte und würde alles tun, was Sie von ihr verlangen." "Ich bin nicht seine Geliebte, und selbst wenn, wäre er nicht mein Herr und Gebieter, glauben Sie mir", erwiderte Alison scharf. Sie griff in ihre Tasche und holte den Ausweis heraus. "Nein, Alison", rief Jared, als ihm klar wurde, was sie vorhatte. Lächelnd klappte sie das Etui auf und reichte Robert den FBI-Dienstausweis. "Ich bin FBI-Agentin, Mr. Davis." Sprachlos und mit offenem Mund starrte der Seniorpartner sie an. Jared unterdrückte ein hämisches Lächeln, obwohl es ihm nicht gefiel, daß Alison sich vor Robert enttarnt hatte. "Ich arbeite zwar in Ihrer Kanzlei", fuhr Alison fort, "aber ich versichere Ihnen, daß ich nicht gegen Ihre Firma, Sie persönlich, Ihre Mitarbeiter oder einen Ihrer Mandanten ermittle. Mein Interesse liegt auf einem ganz anderen Gebiet. Ich habe Jared nur geholfen, weil ich ihm einen persönlichen Gefallen tun wollte, aber ich hoffe, daß meine wahre Identität meine Glaubwürdigkeit untermauert." Verdammt, dachte Jared. Sie klang sogar wie eine FBIAgentin. Robert las ihren Ausweis sorgfältig. "Warum sind Sie hier, wenn Sie nicht gegen uns ermitteln?" "Das kann ich Ihnen leider nicht sagen." "Dann kann ich Ihnen leider auch nicht glauben." "Glauben Sie ihr", sagte Jared.
Alison sah zu ihm hinüber, bevor sie sich wieder an Robert wandte. "Sie können meine Angaben überprüfen, indem Sie beim FBI in Washington anrufen. Sie bekommen die Nummer von der Auskunft, falls Sie sie nicht von mir wollen. Fragen Sie nach Art Mallowan in der Abteilung für Spezialaufgaben. Er wird Ihnen alles bestätigen." Robert rief tatsächlich dort an. Jared wunderte sich nicht darüber, aber er sah Alison an, daß sie ein wenig gekränkt war. Nachdem Robert mit ihrem Vorgesetzten gesprochen hatte, reichte er ihr den Hörer. Sie gab knappe, einsilbige Antworten auf offenbar ziemlich unangenehme Fragen, bevor sie Robert den Hörer zurückgab. Jared zweifelte nicht daran, daß sie für ihn ihren Beruf aufs Spiel gesetzt hatte - den Beruf, den sie ihm und allen anderen so lange verheimlicht hatte. Robert legte auf. "In Ordnung, junge Lady. Sie sind tatsächlich die Person, die Sie zu sein behaupten." Alison nickte nur. "Wußten Sie, daß sie beim FBI ist?" fragte Robert Jared. "Erst .seit kurzem", erwiderte er mit einem Seitenblick auf Alison. "Verdammt, ich will nicht, daß du meinetwegen deinen Job verlierst", fügte er hinzu. Sie lächelte. "Welchen?" "Keinen von beiden." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich hoffe, Sie glauben mir jetzt", sagte sie zu Robert. Robert winkte sie zu sich hinter den Schreibtisch. "Na gut, junge Lady, ich gebe Ihnen das Paßwort." Alison schaltete Roberts Computer ein und verband ihn mit Drew Goldwyns. Roberts Miene veränderte sich nicht, als er sah, daß die geheimnisvolle Nummer dem Leiter seiner Buchhaltung gehörte. Alison suchte Drews Festplatte ab und fand dort Jareds Abrechnungen sowie die Notizen zu seinen Mandantengesprächen. Außerdem zeigte sie Robert, wann die Dateien in Drew Goldwyns Computer zuletzt aufgerufen worden
waren, nämlich bevor Jared der Sorglosigkeit und des Vertrauensbruchs bezichtigt worden war. Jared wurde immer wütender. Er hatte Alison vertraut, aber noch immer nicht recht glauben können, daß ihr Verdacht sich bewahrheiten würde. Jetzt sah er seine eigenen vertraulichen Dateien auf Goldwyns Computer. Er hätte dem Kerl den Hals umdrehen können, trotzdem blieb er ruhig stehen und starrte auf den Bildschirm. Was er dort sah, bewies, daß Goldwyn versucht hatte, seine Karriere zu ruinieren. "Ich weiß nicht, ob man diese Daten ändern kann", sagte Alison und riß ihn aus seinen finsteren Gedanken. Sie zeigte auf den Bildschirm, auf dem abzulesen war, wann die Dateien zuletzt geöffnet worden waren. "Aber ich bezweifle es. Es sei denn, man ist Experte und kann die ursprüngliche Programmierung verändern." "Woher wissen Sie das alles, wenn Sie keine Expertin sind?" fragte Robert. "Jeder, der viel mit Computern arbeitet, kann solche Dateiverzeichnisse lesen. Die Programme erstellen derartige Verzeichnisse automatisch. Wir haben Glück, daß Goldwyn sie noch nicht gelöscht hat. Vielleicht hatte er Angst, es zu tun", meinte Alison. "Robert, wir haben ein Problem bei Davis, Hansen und Davis, und dieses Problem bin nicht ich", sagte Jared leise. "Ich begreife nicht, warum er mir das angetan hat." "Falls er es dir angetan hat", entgegnete Robert. "Ich werde Drews Computer von einem Experten untersuchen lassen. Möglicherweise hat jemand seinen PC benutzt, um von sich abzulenken. Aber das ändert nichts daran, daß Sie für Ihre Dateien verantwortlich sind, Jared." Jared biß die Zähne zusammen und zählte bis zehn. "Und Sie sind verantwortlich für die Mitarbeiter dieser Kanzlei, Robert, und einer von ihnen hat meine Dateien gestohlen und einem gegnerischen Anwalt vertrauliche Informationen zukommen
lassen. Wenn Sie die formale Beschwerde gegen mich nicht zurücknehmen, reiche ich selbst eine gegen die Kanzlei ein. In der Zwischenzeit rufe ich meine ehemalige Mandantin an und berichte ihr, was hier vorgefallen ist. Danach werde ich versuchen, zwischen ihr und ihrem Ehemann eine Regelung zu finden." "Vergessen Sie nicht, Ihren Schreibtisch auszuräumen", sagte Robert. Jared sammelte die Ausdrucke ein, die Alison ihm gebracht hatte. "Zu spät, Robert. Ich kündige. Ich hätte wissen müssen, daß Sie nicht den Mut haben, einen Fehler einzugestehen. Ich erwarte von Ihnen die volle Abfindung, die mir laut Vertrag zusteht, und außerdem den Betrag, den ich für die Renovierung meines Büros vorgestreckt habe. Wenn Sie mir das Geld nicht bis heute abend ausgezahlt haben, werden Sie von meinem Anwalt hören. Alison?" Jared ließ ihr den Vortritt, als sie zusammen Roberts Büro verließen. Es war gut, sie wieder bei sich zu haben. Auf dem Flur lief ihnen Drew Goldwyn über den Weg. Jared packte den Mann und schob ihn gegen die Wand, den Arm an seinem Hals. "Sie Bastard! Sie haben meine Dateien gestohlen und gegen mich verwendet." Drews Augen traten aus den Höhlen. Ob vor Angst oder Atemnot, war schwer zu sagen. Alison zog an Jareds Arm. "Jared, ich kann dir eine Menge Ärger ersparen, aber vor einer Anklage wegen Mordes kann selbst ich dich nicht bewahren. Laß ihn los, okay?" Jared zögerte, bevor er seinen Griff lockerte. "Warum?" fuhr er Drew an. "Sagen Sie mir nur, warum Sie es getan haben." Drew senkte den Blick. "Ich bin über fünfzig, und dies war meine letzte Chance, Partner zu werden. Die anderen Partner hätten Sie gewählt, aber wenn Sie aus dem Rennen gewesen wären, hätte Robert mich durchbekommen."
Jared tat der Mann plötzlich leid. Er ließ ihn los. "Sie sollten sich fragen, warum Sie es nie aus eigener Kraft geschafft haben. Jetzt wird Ihnen Robert auch nicht mehr helfen können." Er legte den Arm um Alison und ging mit ihr davon. "Danke", sagte er, als sie das Gebäude verließen. "Wofür?" fragte sie. "Robert hat dich gefeuert." "Ich habe aber vorher gekündigt. Alison, du hättest dich Robert gegenüber nicht als FBI-Agentin zu erkennen geben sollen." Sie zuckte mit den Schultern. "Du stecktest in gewaltigen Schwierigkeiten. Es war so ungerecht, und ich mußte dir helfen." "Was hat eigentlich dein Chef gesagt?" fragte er besorgt. "Na ja ,.." Sie seufzte. "Wie es aussieht, können wir zusammen zum Arbeitsamt gehen." "Alison!" rief Jared entsetzt. Er hatte zwar damit gerechnet, daß sie Ärger bekommen würde, aber nicht damit, daß man sie seinetwegen entlassen würde. "Ich werde deinen Chef anrufen und dafür sorgen, daß er die Entlassung zurücknimmt." "Ehrlich gesagt, ich bin gar nicht so unglücklich darüber", gab sie lächelnd zu. "Vielleicht freue ich mich sogar. Möglicherweise hat meine Mom recht, und ich sehne mich inzwischen nach Dingen, die ich bisher gar nicht vermißt habe. Vielleicht habe ich mich deswegen in so viele Widersprüche verwickelt, als du mich ausfragtest. Vielleicht habe ich unbewußt nach einem Weg gesucht, vom FBI wegzukommen Wie auch immer, ich habe gegen die Regeln verstoßen, und deshalb ist es besser für alle, wenn ich aussteige." "Was hast du jetzt vor?" stellte er die Frage, die plötzlich zur wichtigsten in seinem Leben geworden war. "Und du? Was hast du jetzt vor?" fragte sie zurück. Er lächelte. "Gute Frage."
Ihm wurde klar, daß er sie jetzt gehen lassen konnte und sie nie wiedersehen würde. Aber ihm wurde auch klar, daß das die größte Dummheit wäre, die er begehen konnte. "Vielleicht haben Robert und Drew mir auch einen Gefallen getan", begann er. "Ich hätte fast etwas unglaubliches Dummes getan und dich gehen lassen. Meinst du, du könntest einen arbeitslosen Mann heiraten, der vielleicht nie wieder in seinem eigentlichen Beruf arbeiten wird? Ich habe dich schon einmal gebeten, mich zu heiraten ... als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Aber damals war ich noch eine gute Partie." Ihre Augen weiteten sich, dann kamen ihr die Tränen. "Du hast mich damals wirklich gefragt, Jared." "Falls das ein ,Ja' ist, nehme ich an." Er sah ihr in die Augen und hoffte inständig, daß ihre Tränen etwas Gutes bedeuteten. "Nur wenn du meinst, eine Frau heiraten zu können, die arbeitslos und farbenblind ist." Jared zog sie an sich und küßte sie. Er wollte ihr zeigen, wie leid ihm alles tat. Und wie sehr er sie liebte. Er hob den Kopf und lächelte. "Du machst mein Leben aufregend, vor allem dann, wenn du etwas für mich renovierst." Sie weinte und lachte zugleich. "Ich könnte ja wieder zur Kanzlei zurückgehen und Roberts Büro renovieren. Das wäre eine großartige Rache." "So grausam bin ich nicht." Jared küßte sie voller Zärtlichkeit und Hingabe und genoß es, sie in seinen Armen zu halten, "Ich liebe dich", flüsterte Alison, als er ihren Mund freigab. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Mehr hatte er nie gewollt, vom ersten Augenblick an. Seitdem liebte er sie und würde es immer tun.
-ENDE-