Atlan - Der Held von Arkon Nr. 213
Komet der Geheimnisse Im Untergrund von Arkon II - Ra, der Barbar, lernt das Rätsel...
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 213
Komet der Geheimnisse Im Untergrund von Arkon II - Ra, der Barbar, lernt das Rätsel Blahurs kennen von Peter Terrid In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos, wo er inzwischen von Ischtar, der Goldenen Göttin, und seinen alten Kampfgefährten Fartuloon, Corpkor und Eiskralle gesucht wird. Ra, der Barbar, hingegen nimmt an der Suche nach Atlan nicht teil. Er hatte sich schon vorher abgesetzt und hält sich gegenwärtig zusammen mit dem Con-Treh Bei Etir Baj im Arkon-System auf. Dort nähert sich der KOMET DER GEHEIMNISSE …
Komet der Geheimnisse
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Die Hautpersonen des Romans: Ra - Der Barbar lernt den Untergrund von Arkon II kennen. Regir da Quertamagln - Ein Verräter wider Willen. Perytlth - Ein Krüppel und ein Denunziant. Pathor Margib und Mahn Sulk - Zwei Männer der POGIM. Orbanaschol III. - Der Imperator läßt sich weissagen. Yagthara - Atlans Mutter.
1. Daß Perytlth für die POGIM arbeitete, hatte ein paar einfache Ursachen. Der Zaliter in arkonidischen Diensten war äußerst unglücklich verheiratet, mit einer reinblütigen Arkonidin, die es dem Schicksal nie verzeihen würde, daß es nur zu einem Zaliter gereicht hatte. Die Tatsache, daß sie keinen besseren Mann hatte finden können, mußte Perytlth täglich büßen. Der zweite, stichhaltigere Grund war die brutanthsche Knochenpest, an der Perytlth litt. Diese furchtbare Krankheit nahm ihren Anfang in einer Entzündung der Gelenke im unteren Bereich der Wirbelsäule. Dann arbeitete sie sich langsam in die Höhe. Die unerträglichen Schmerzen führten dazu, daß der Betroffene sich krümmte und versuchte, eine Haltung einzunehmen, in der er möglichst wenig Schmerzen litt. In dieser Haltung erstarrte der Kranke schließlich, vornübergebeugt, kaum noch fähig zu atmen oder zu gehen. Die Gelenke, in denen sich die Rippen beim Atmen an der Wirbelsäule bewegten, entzündeten sich in der Regel auch und machten jeden Atemzug zur Qual. Perytlth litt seit etlichen Jahren an dieser Krankheit, die von den Ärzten schlicht als »idiopathisch« bezeichnet wurde, was eine hochwissenschaftliche Umschreibung für die Tatsache war, daß die Ärzte keine Ahnung hatten. Perytlth litt, an Körper und Geist, und darum störte es ihn auch nicht, wenn andere leiden mußten. Im Gegenteil, es bereitete dem Krüppel größtes Vergnügen, kräftige, gesunde Männer an die POGIM auszuliefern und sicher zu sein, daß diese Männer, wenn
überhaupt, in ähnlicher Verfassung wie er selbst die Folterkammern der POGIM verlassen würden. Natürlich kam niemand auf den Gedanken, in dem gichtbrüchigen Mann einen POGIM-Spitzel zu vermuten. Perytlth war einigermaßen beliebt, auch bei den Männern und Frauen, die er zu verraten gedachte. Was den Mann störte, war nur die Tatsache, daß er ihnen nicht verraten durfte, daß ausgerechnet er, der Krüppel, sie ans Messer lieferte. Perytlth konnte nur dann sein schmutziges Geld verdienen, wenn er im Schutze einer völligen Anonymität arbeitete. Einmal von den Gegnern durchschaut, hätte der Mann aufgeben müssen. Die POGIM würde ihn fallenlassen, und was man dann mit Perytlth anstellen würde, war leicht auszurechnen. Feigheit, gepaart mit einem alles verzehrenden Haß, das waren die herausragenden Charaktermerkmale des Zaliters. Die Feigheit machte ihn vorsichtig, der Haß gefährlich. Am Rand der großen Raumhäfen, die die Oberfläche von Arkon II bedeckten, gab es für den alten Zaliter genug zu schnüffeln. Für reguläre Polizeieinheiten war es ein Ding der Unmöglichkeit, die riesige Zahl von Menschen genau zu kontrollieren, die täglich auf Arkon landete und wieder abflog. Rings um die Landefläche gab es, wie überall im Imperium, eine unbestimmbare Grauzone, in der die Reden freier geführt wurden als anderswo. Dort war Perytlths Revier. Auch an diesem Abend war Perytlth unterwegs. Der kleine Gleiter, der ihn trug, war speziell für ihn angefertigt worden, eine Art freibeweglicher Sessel. Antigravfelder hielten die Konstruktion eine Handbreit über
4 dem Erdboden in der Schwebe, so daß Perytlth nur kleine Bewegungen mit der Hand auszuführen brauchte, um sein seltsames Gefährt in Bewegung zu setzen. Das Metall des Krankengleiters war verschrammt und unansehnlich geworden, und aus dem Innern ertönten in unregelmäßigen Abständen Geräusche, die jeden Uneingeweihten vermuten lassen mußten, daß der Reaktor des Gleiters im nächsten Augenblick detonieren würde. Wer Perytlth kannte, wußte aber, daß diese Gefahr einstweilen nicht bestand, obwohl die mechanischen Krämpfe des Gefährts von Mal zu Mal geräuschvoller und bedrohlicher ausfielen. Perytlth allein wußte, daß die hinfällige Schale einige positronische Finessen enthielt, die für jeden Unvorsichtigen zur tödlichen Falle werden konnte. Manch ein Raumfahrer war Tage nach seiner Verhaftung mit Tonaufzeichnungen konfrontiert worden, die seine staatsfeindlichen Ansichten mehr als deutlich bewiesen. Perytlths klappriger Gleiter verbarg unter anderem auch Geräte, mit denen man Hirnschwingungsdiagramme aufzeichnen konnte, dazu Stimmspektrographen, Kameras und eine ansehnliche Sammlung von Waffen, die Perytlth durch einfachen Knopfdruck betätigen konnte. Ein Raumfahrer ging pfeifend an Perytlth vorbei, stutzte dann und grüßte den Zaliter mit einer Handbewegung. »Hier hast du etwas«, rief er und warf Perytlth eine Münze zu. Perytlth grinste zurück und fing die Münze auf, obwohl ihm die schnelle Bewegung des Armes starke Schmerzen bereitete. Dies war einer der rauhen Scherze, die man mit dem Krüppel trieb, vielleicht aus Bosheit, vielleicht aber auch aus Unkenntnis. Perytlth hatte sich nie die Mühe gemacht, seine Mitmenschen genau über seine Krankheit aufzuklären. Hätte der Raumfahrer den Blick sehen können, den der Krüppel ihm nachschickte, wäre er erschrocken. Perytlth kniff die Augen zusammen, dann drückte er den Fahrt-
Peter Terrid hebel leicht nach vorne. Kreischend setzte sich das Fahrzeug in Bewegung; ein kleines Pelztier, das aus einem Kanalrohr hervorlugte, suchte erschreckt das Weite. Perytlths Weg war in den vergangenen Jahren fast zu einem Ritual geworden. Hätte es keine vollpositronische Zeitabstimmung gegeben, die Wirte hätten ihre Uhren nach Perytlths Auftauchen und Verschwinden stellen können. Stets um die gleiche Zeit erschien der Mann in seinem Stammlokal, bekam seine Almosen, trank etwas und verschwand wieder. Auch die Reihenfolge, in der der Mann seine Stammkneipen aufsuchte, war festgelegt. Erstes Ziel an jedem Abend war eine jener verrufenen Spelunken, die bevorzugt wurde von einer Sorte Männer, die im Raum tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzten und sich so eine beneidenswerte Freiheit der Gedanken erhalten hatten. Gerade die Besatzungen von privaten Prospektorenschiffen dachten nicht daran, ihre Zungen zu zügeln. Für manchen wurde dieser Leichtsinn verhängnisvoll, andere wiederum blieben ungeschoren, um der POGIM Gelegenheit zu geben, tiefer in die subversiven Kreise einzudringen. Der Wirt begrüßte Perytlth mit einem freundschaftlichen Handschlag, dann winkte er dem Servierrobot zu, dem Gast etwas zu trinken zu bringen. »Was machen die Geschäfte, Alter?« fragte der Wirt und machte es sich in der Nähe des Zaliters bequem. »Wenn du Hunger hast, dann sag es mir.« Perytlth lächelte. Er hatte lange gebraucht, bis dieses Lächeln so ausfiel, wie er es brauchen konnte. Dank mußte zu erkennen sein, ein Schuß melancholischer Weisheit, Resignation – Perytlth konnte sich des Erfolges sicher sein, wenn er dieses Lächeln produzierte. »Es könnte besser sein«, murmelte Perytlth schwach. »Aber auch wesentlich schlechter. Ich bin's zufrieden. Und du, hast du genügend Umsatz?« Der Wirt sah flüchtig durch das Lokal,
Komet der Geheimnisse dann zuckte er mit den Schultern. »Ich habe schon bessere Abende erlebt«, stellte er fest. »Hunger?« Perytlth schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus dem Glas, das der Robot neben ihm abgestellt hatte. Anerkennend verzog er das Gesicht. »Ein guter Tropfen«, lobte der alte Zaliter. »Es würde mich wundern, wäre der Weg, den dieser Wein bis zu deiner Spelunke zurückgelegt hat, ein gerader gewesen.« Unwillkürlich sah sich der Wirt um, als befürchte er, daß irgend jemand den Alten gehört haben könnte. »Psst!« machte der Wirt und sah Perytlth vorwurfsvoll an. »Du weißt, hier haben die Wände Ohren!« Perytlth grinste unverschämt. Mit Bemerkungen dieser Art hatte sich der Krüppel den Ruf eines boshaften Spötters und Regimegegners verschafft. Er galt als bissig, aber ungefährlich. Perytlth wußte aus sicherer Quelle, daß bei der nahegelegenen Dienststelle der Hafenpolizei ein umfangreiches Dossier über ihn geführt wurde. Dort hielt man ihn für einen Kritiker des Imperators, und der Alte wußte dieses Image zu schätzen. »Jeder hier«, behauptete Perytlth anzüglich, »weiß, daß deine Getränke entweder gepanscht oder geschmuggelt sind. Nun ja, mich geht es nichts an. Ich bin nur ein armer, kranker Mann, der für jeden wärmenden Schluck dankbar sein muß.« In Wirklichkeit hatte der Wirt Perytlth einiges zu verdanken. Der Krüppel, der tagsüber ständig an den Landefeldern herumlungerte und Raumfahrer anbettelte, hatte sich als Schlepper hervorragend bewährt. Hunderte von zahlungskräftigen Gästen waren nur dank der Tips des Alten in diese Kneipe gekommen und hatten den Kontostand des Wirts erhöht. Daß sich der Wirt für die Dienste des Krüppels revanchierte, verstand sich von selbst. Allerdings sprachen die beiden Männer nie offen über ihre gegenseitigen Geschäfte; diese Dinge erledigten sich diskret
5 und unbeobachtet fast von selbst. Ab und zu bat der Wirt seinen Gast, bei einem wichtigen Brief stück Kurier zu spielen, und in den Umschlägen fand Perytlth dann das Entgelt für seine Schlepperdienste. »Irgendwelche neuen Gesichter?« erkundigte sich Perytlth, während er den heißen, belebenden Wein schlürfte. »Ich habe lange keine gute Geschichte mehr gehört.« Der Wirt deutete mit einer kaum wahrnehmbaren Handbewegung auf einen Tisch im Hintergrund des weitläufigen Lokals. Das Gasthaus war vierstöckig und bestand aus insgesamt vierzehn verschiedenen Kneipen, Gaststätten und Restaurants, sorgfältig den einzelnen Geschmäckern angepaßt. Im Keller befand sich das von den lokalen Behörden stillschweigend geduldete Geheimzimmer, in dem um hohe Einsätze gespielt wurde. Der Tisch, auf den der Wirt gedeutet hatte, gehörte zum Bereich des Lokals, der für das normale Lauf publikum gedacht war, für Männer, die schnell einen Drink nehmen wollten, bevor sie zur Arbeit oder nach Hause gingen. Stammgäste zogen andere Räumlichkeiten des Etablissements vor. »Ein komischer Vogel«, murmelte der Wirt. »Trinkt nichts, jedenfalls nichts, was Alkohol enthält. Sitzt da, grinst die Leute an und hört allen Gesprächen mit auffallendem Interesse zu. Vielleicht ein Spitzel der POGIM.« Der Krüppel war daran gewöhnt, sich so wenig zu bewegen, wie es irgend möglich war, da er keine Körperbewegung mehr ausführen konnte, ohne von kleineren oder größeren Schmerzanfällen gepeinigt zu werden. Daher zuckte Perytlth auch nicht zusammen, als der Wirt seinen Verdacht äußerte. Perytlth spürte, wie ihn Angst befiel. Wenn dieser Unbekannte tatsächlich ein POGIM-Mann war, dann befand sich der alte Zaliter in höchster Gefahr. War es schon soweit, wurde er abgelöst? Brauchte die Geheimpolizei die Dienste des Kranken nicht mehr? Perytlth war nicht so dumm, daß er nicht gewußt hätte, daß er als POGIM-Mann nur so lange von Wert war, wie er für die
6 Untergrundorganisationen und Regimegegner gefährlicher war als für die POGIM. War Perytlth erst einmal von den geheimen Widerstandsorganisationen enttarnt, konnte er höchstens noch POGIM-Geheimnisse ausplaudern, und vor solchen unangenehmen Überraschungen pflegte man sich bei der geheimen Polizei des Imperators recht drastisch und wirkungsvoll zu schützen. »Wo kommt der Mann her?« fragte der Spitzel leise. »Ein Arkonide?« Der Wirt zuckte mit den Schultern und bedeutete dem Robot mit einer Handbewegung, die beiden Gläser wieder aufzufüllen. »Die Sorte habe ich noch nie gesehen«, behauptete der Wirt. »Arkonide ist er sicher nicht, er hat dunkle Augen und auch dunkles Haar. Zaliter ist er auch nicht. Ich habe in meinem Gedächtnis gesucht, aber ich kenne keine Welt, auf der es solche Männer gibt. Es sei denn, er stammt von einer der Welten, die nur bei Sklavenjägern bekannt sind, aber dann würde er wohl kaum so friedlich hier sitzen. Willst du ihn dir ansehen?« Perytlth kniff die Augen zusammen. Was hatte der Wirt mit dieser Frage gemeint, vor allem mit dieser Formulierung? Ahnte er, in wessen Diensten Perytlth stand, war er eingeweiht? Perytlth, durch das Auftauchen des Fremden ohnehin überrascht, wurde nervös. Gerade er, der sich im stillen darüber freute, Angst und Schrecken verbreiten zu können, war für Angst besonders empfänglich. Aber ein schneller Seitenblick auf den Wirt zeigte dem Zaliter, daß der Mann mit seinen Worten keinen Hintergedanken ausdrücken wollte. »Vielleicht kennt er ein paar neue Geschichten«, hoffte Perytlth und setzte sein Gefährt in Gang. »Ich werde versuchen, mit dem Mann ein Gespräch anzufangen.« Perytlth sah verstohlen nach der Uhr. Es blieb ihm noch mehr als eine Stunde, bis er, um den Ruf seiner sagenhaften Pünktlichkeit zu rechtfertigen, das Lokal wieder verlassen mußte. Langsam schwebte der klapprige Untersatz, der Prothese und Fahrzeug zugleich war, auf den Tisch zu, an dem der Fremde
Peter Terrid saß. Das erste, was Perytlth sehen konnte, waren eindrucksvoll breite Schultern. Nein, ein Arkonide war dieser Mann nicht; er konnte sich auch nicht verkleidet haben. Für einen Arkonbürger war er zu klein, zu breit und zu muskulös. »Darf ich?« fragte Perytlth unterwürfig. Der Fremde drehte sich halb herum und sah den Zaliter schnell an, dann lächelte er. »Natürlich«, sagte der Fremde. »Hier ist schließlich Platz genug.« Es gab zu diesem Zeitpunkt mehr als zwanzig freie Sitzplätze in dem Lokal, die Perytlth ohnehin nicht hätte in Anspruch nehmen können. Was der Mann in dem Krankengleiter wollte, mußte dem Fremden sofort klar gewesen sein. Er änderte seine Sitzposition so, daß er Perytlth ansehen konnte. Der Zaliter hielt diesem Blick nicht lange stand. Perytlth war kein Psychologe, nicht einmal ein guter Menschenkenner, aber selbst er spürte sofort, daß dieser Fremde kein PO-GIM-Mann sein konnte. In dem Netz von Ängsten, Schrecken, Terror, Verdächtigungen, offenem und verstecktem Widerstand, in dem Arkon seit der Machtergreifung gefangen war, konnten sich weder Täter noch Opfer auf beiden Seiten einen so offenen Blick leisten. Der Fremde sah Perytlth freundlich an. »Darf ich dich zu etwas einladen?« fragte er. In diesem Augenblick begannn Perytlth den Fremden zu hassen. Natürlich war der Zaliter daran gewohnt, etwas ausgegeben zu bekommen, schließlich gehörte es zu seiner Rolle, seine Mitmenschen anzubetteln. Aber Perytlth hatte immer gewußt, weshalb man ihm etwas zuschob, sei es aus Selbstgerechtigkeit, um ihn loszuwerden, um ihn seine Minderwertigkeit fühlen zu lassen, um ihn auszuhorchen, als Bezahlung für geleistete, illegale Dienste – all diese Motivationen kannte der Zaliter. Dieses Angebot aber war anders; vergeblich suchte der Mann im Blick des Fremden den wohlvertrauten Ausdruck:
Komet der Geheimnisse »Du bist ein armer Hund und ich ein feiner Kerl, da hast du!« In Perytlths Welt, die von Haß und Bosheit, von Feigheit und Niedertracht eingegrenzt wurde, war diese einfache, ungekünstelte Geste nicht vorhanden, und es durfte sie auch nicht geben. Nur solange Perytlth die Möglichkeit hatte, in jedem anderen Menschen den Halunken, kalten Egoisten, den schlechten Charakter zu entdecken, konnte er seine eigene Schlechtigkeit vor sich selbst rechtfertigen. Perytlth verzog das Gesicht und produzierte sein Standardlächeln Nummer eins. »Vielen Dank, Bruder«, säuselte er. »Es tut gut, in diesen harten Zeiten einen freundlichen Mitmenschen zu treffen. Sag, Bruder, woher kommst du?« »Ich weiß es nicht«, sagte der Fremde lächelnd. »Ich bin sozusagen ein galaktisches Findelkind, das von einem großen Geheimnis umgeben wird.« Perytlth machte ein interessiertes Gesicht. Geheimnisse aller Art liebte er sehr, besonders den Verrat dieser Geheimnisse. Er machte es sich in seiner ambulanten Prothese bequem und hörte dem Fremden fasziniert zu.
* Ra wußte selbst nicht, wie er dazu kam, dem offenbar schwerkranken Zaliter solche Märchen aufzutischen. Aber der Barbar hatte ein sicheres Gespür für menschliche Qualitäten, und sein Instinkt sagte ihm, daß sein Gegenüber als Erzschurke zu bezeichnen war. Daher erlegte er sich keine Hemmungen auf. »Ich wurde vor zwanzig Jahren gefunden«, erzählte er mit gedämpfter Stimme, »und zwar in einem sehr großen Raumschiff, das steuerlos durchs All trieb. Ein Handelskapitän hatte das Schiff gefunden und las mich auf. Mit dem Schiff konnte er nicht viel anfangen, da die Technologie dem, was er kannte, um mindestens fünftausend Jahre voraus war. Das einzige, was er brauchen konnte, war ein Datenband für ei-
7 ne Hypnoseschulung. Leider wurde der Frachter auf dem Weg nach Arkon von Maahks erwischt und nahezu völlig zerstört. Der Kapitän starb und mit ihm fast die ganze Besatzung. Auch das Datenband wurde vernichtet. Nur ein alter Raumfahrer und ich überlebten die Tragödie, und dieser Mann, der vor wenigen Wochen gestorben ist, hat mir wenigstens einen Teil des Geheimnisses auf dem Sterbebett enthüllen können.« Gierig trank Perytlth aus seinem Glas, er konnte kaum mehr erwarten, daß der Fremde weitererzählte. »Wie mir der alte Mann berichtete«, setzte der Fremde seine Erzählung fort, »ist dies gar nicht mein eigentlicher Körper. Es ist nur eine Übergangsform auf dem Weg zu meiner richtigen Gestalt. Viel konnte mir der Sterbende nicht mehr über meine wirkliche Gestalt erzählen, aber ich konnte herausbekommen, daß ich in meinem späteren Leben lange, kräftige Beine haben werde, viel Zeit im Wasser zubringen werde und einen großen, aufblasbaren Mund besitzen werde, obwohl ich nicht begreifen kann, wozu das alles gut ist. Ich soll der Erbe eines einstmals überaus mächtigen Volkes sein, herrlicher und gewaltiger als alle bekannten Völker der Galaxis. Aber von unserem Volk soll außer mir nur noch ein Wesen leben, in seiner wirklichen Gestalt. Die Botschaft auf dem Hypnoband lautete so, daß ich dieses Wesen finden muß, das an einer goldenen Kugel leicht zu erkennen sei. Es würde mir meine wahre Gestalt geben, und dann könnte ich mit dem Erbe meines Volkes mir die Galaxis Untertan machen!« »Laß das nicht Orbanaschol hören«, murmelte Perytlth. Der Zaliter fand die Geschichte zwar etwas befremdlich, aber er sah nicht ein, warum sie nicht wahr sein sollte. In der Galaxis gab es die verschiedenartigsten Lebewesen, warum nicht auch ein intelligentes, raumfahrendes Volk, auch wenn es aussah wie ordinäre zalitische Sumpfbewohner. Ra hatte Mühe, seine Beherrschung nicht zu verlieren. Der Alte schien die haarsträu-
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Peter Terrid
bende Geschichte tatsächlich zu glauben. Ra beschloß, sie an Atlan weiterzugeben, vielleicht konnte der Kristallprinz eines Tages auf sie zurückgreifen. »Orbanaschol, pah«, machte Ra und grinste verächtlich. »Wenn ich erst das Schiff gefunden habe, in dem ich entdeckt wurde, werde ich bald auch das geheimnisvolle Wesen mit der Goldkugel finden, und dann wird es aus sein mit seiner Erhabenheit, dem Imperator!« Ra hatte laut genug gesprochen, um in jedem Winkel verstanden worden zu sein. Wer wollte, konnte Ra jetzt der POGIM überliefern, aber der Barbar spekulierte darauf, daß man ihn absichtlich überhörte. »Das würde den Imperator böse überraschen«, meinte Perytlth. Er setzte Lächeln Nummer zwei auf: geheimnisvoll, verschwörerisch. »Und warum sitzt du hier herum?« fragte Perytlth. »Warum suchst du nicht nach dem Schiff?« Ra machte die überall verbreitete Geste des Geldzählens. »Ich finde keine Geldgeber«, seufzte er leise. »Woher soll ich ein raumtaugliches Schiff nehmen. Niemand will mir helfen, obwohl ich meine ersten Helfer belohnen würde, wie kein Wesen je belohnt worden ist. Sternenreiche könnte ich vergeben, gewaltige Reichtümer. Schließlich ist mein Volk das technisch höchstentwickelte der Galaxis.« »Auch auf medizinischem Gebiet?« fragte Perytlth hastig. Ra zögerte sekundenlang. Was sollte er dem Schwerkranken auf diese Frage antworten? Durfte er das Märchen fortsetzen, dem Mann eine Hoffnung geben, die nicht zu realisieren war? Ra wußte selbst nicht genau warum, aber er nickte kurz. Perytlths Augen weiteten sich, er begann zu lächeln.
* »Es ist nicht zu glauben«, knurrte Pathor
Margib. »Wo steckt dieser Bursche. Das wäre das erstemal, daß Perytlth sich verspätet. In mehr als zehn Jahren Arbeit für uns hat er sich das noch nie erlaubt.« Mehn Sulk zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist er dem Liebreiz irgendeiner Schönen am Hafen verfallen«, meinte er und grinste dazu. »Obwohl ihn sein erstes Abenteuer mit Frauen genug gelehrt haben sollte.« Die beiden Männer kannten die Frau des Zaliters; als Perytlth eingestellt worden war, hatte man natürlich auch die Frau gründlich überprüft, und die Männer der geheimen POGIM-Station waren froh, daß ein anderer als sie in diese Falle getappt war. »Trotzdem«, murmelte Pathor. »Mir ist nicht ganz wohl. Ich werde den Arzt rufen. Ich habe das Gefühl, wir werden ihn brauchen.« Die vor der Öffentlichkeit und allen anderen Behörden geheimgehaltene Station der POGIM hatte sich als Diagnosezentrum getarnt. Bei dem großen Besucherverkehr fielen einige Agenten und Außendienstmitarbeiter nicht auf. Vor allem war es möglich, jederzeit Dutzende von Männern in Alarm zu versetzen. Anderswo wären Männer, die blindlings durch die Gänge rannten, aufgefallen, hier war derlei üblich. Immer wieder mußte Pathor Margib mit boshafter Freude an den Ausspruch einer alten Frau denken, die beim Anblick eines wie besessen rennenden Mannes gesagt hatte: »Lieb, wie sich die Männer für unsereins einsetzen!« Spaße dieser makabren Art waren typisch für Pathor Margib, der seine gute Stellung bei der POGIM zum größten Teil seinem ausgeprägten Zynismus und seiner Menschenverachtung verdankte. Im Fall der alten Frau hatte der betreffende eilige Mann die gesamte Familie der Frau verhaftet und wenig später dem Konverter überantwortet. »Zehn Minuten zu spät«, stellte Pathor fest, als Perytlth endlich den Raum betrat. »Wo haben Sie gesteckt, Mann?« Perytlth machte ein verlegenes Gesicht. »Mir wurde übel«, gestand er. »Das hat
Komet der Geheimnisse mich aufgehalten, aber nur auf dem Weg hierher. Meine Runde habe ich pünktlich absolviert.« »Sie machen uns Sorgen«, meinte Mehn Sulk. »Wir haben den Doktor kommen lassen, um Ihren Gesundheitszustand überprüfen zu lassen. Wenn Sie sich schlecht fühlen, dann sagen Sie es. Sie haben sich einen längeren Urlaub ehrlich verdient. Wir sind schließlich keine Leuteschinder!« Perytlth lächelte schwach. Diese Worte hörten sich aus dem Munde des berufsmäßigen Leuteschinders befremdlich an, aber Perytlth wußte aus langer Erfahrung, daß die PO-GIM zu ihren Mitarbeitern äußerst großzügig war, wenn diese Mitarbeiter wertvoll waren. Wem es gelang, zum Rang eines Offiziers aufzusteigen, wie es Margib und Sulk geschafft hatten, konnte für den Rest seines Lebens – Verschwiegenheit und Regimetreue vorausgesetzt – sorgenfrei leben. Sulk winkte den Arzt heran, der Perytlth eingehend untersuchte. Dann winkte der Mediziner zwei Robots heran, die Perytlth behutsam aus seiner Prothese lösten und zu einem Untersuchungstisch trugen, der im Nachbarraum stand. Während sich der Arzt um Perytlth kümmerte, öffneten die beiden POGIM-Männer eine Klappe an dem Gleiter, von deren Existenz Perytlth aus naheliegenden Gründen nichts wußte. Hinter der Öffnung steckte ein Bandgerät, das alle Gespräche aufnahm, die Perytlth geführt hatte. Normalerweise wurden die Unterhaltungen auf einem anderen Gerät aufgezeichnet, aber man hatte, um den Bandwechsel nicht allzu häufig vornehmen zu müssen, Perytlth freigestellt, wann er das Gerät einschalten wollte. In den Pausen, die so entstanden, zeichnete das zweite Gerät auf. Auf diese Weise war die POGIM nicht nur im Besitz eines jeden Wortes, das Perytlth gesprochen hatte, sondern der Krüppel sortierte unfreiwillig auch jene Bemerkungen aus, die ihm selbst gefährlich werden konnten. Es dauerte nur wenige Minuten, dann hatte Pathor Margib die besprochene Bandspule
9 gegen eine frische ausgetauscht und die Klappe wieder geschlossen. Wenig später kehrte der Arzt mit den Robots zurück, die Perytlth sanft wieder an seine Prothese anschlossen. »Abgesehen von der Knochenpest ist der Mann gesund«, stellte der Arzt fest. »Wahrscheinlich hat er etwas gegessen, das ihm nicht bekommen ist. Ich schlage allerdings vor, daß man ihm einen längeren Kuraufenthalt zubilligt. Er macht einen leicht geschwächten Eindruck.« »Nur das nicht!« stöhnte Perytlth auf. »Meine Frau hat schon eine Kur beantragt. Stellen Sie sich vor, wir landen am gleichen Ort!« »Dann nicht«, meinte der Arzt achselzuckend. »Es ist Ihr Wille. Wie bereits gesagt, meine Herren, der Mann ist im großen und ganzen gesund!« »Passen Sie besser auf sich auf, Perytlth!« ermahnte Mehn Sulk den Zaliter beim Abschied. »Sie werden gebraucht, das wissen Sie. Sie sind einer unserer besten Männer.« Sulk konnte den merkwürdigen Ausdruck in Perytlths Augen nicht deuten, aber er kümmerte sich auch nicht darum. Was interessierte ihn, den erfolgreichen POGIM-Offizier mit einer steil ansteigenden Karriere, schon das Innenleben eines verkrüppelten Denunzianten. Die Führungsoffiziere der POGIM kannten ihre V-Männer viel besser als diese ahnten. Selbstverständlich wußten Mehn Sulk und Pathor Margib genau, aus welchen Gründen Perytlth seine gnadenlose Menschenjagd betrieb; sie verachteten den Zaliter deshalb. Die beiden Männer warteten, bis sowohl der Arzt als auch Perytlth verschwunden waren, dann spannten sie das Band in ein Abspielgerät ein. Wenig später klang Ras Stimme durch den Raum. Die beiden Männer hörten dem Gespräch mit fassungslosem Staunen zu, sie hatten Mühe, den aufkommenden Lachreiz zu unterdrücken. Ein Bild des fremden Märchenerzählers besaßen sie nicht; erst in einigen Tagen war die vollständige Leerung der Datenkassetten in Perytlths
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Peter Terrid
Krankenstuhl fällig. »Heilige Milchstraße!« japste Mehn Sulk und schnappte nach Luft. »Dieser Schwätzer hat Perytlth völlig eingewickelt. Ich bin sicher, daß der Zaliter jedes Wort geglaubt hat.« »Unvorstellbar«, staunte Pathor Margib. »Perytlth ist doch sonst nicht so leichtgläubig.« »Ich würde vor allem gerne wissen«, überlegte Sulk halblaut, »warum der Fremde gar nicht erst auf Perytlth eingegangen ist, sondern ihn ohne jedes Vorgeplänkel belogen hat, einfach so. Was für einen Grund hat dieser Mann gehabt?« Pathor Margib runzelte die Stirn und biß sich auf die Lippen. »Sollte der Bursche geahnt haben, daß er Perytlth gegenüber vorsichtig sein muß?« vermutete er. »Du meinst, man weiß inzwischen, daß der Zaliter für uns arbeitet?« hakte Mehn Sulk nach. »Kann ich mir kaum vorstellen. Wer vermutet in Perytlth schon einen VMann der POGIM?« »In jedem Fall werden wir uns diesen Mann näher ansehen müssen«, stellte Pathor Margib fest. »Und wir werden auch Perytlth im Auge behalten müssen. Ich habe das Gefühl, daß er dem Fremden glaubt, daß der ihn wieder gesund machen könnte. Und dafür würde Perytlth jeden verraten. Ich kann es ihm nicht einmal verdenken.« »Lassen wir Perytlth weiter diesen Fremden beobachten«, schlug Sulk vor. »Wir konstruieren einen Spielfall, unterstützen Perytlths Wahnglauben und setzen ihn auf die Fährte dieses Märchenerzählers. Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.« »Einverstanden«, stimmte Margib zu. »Ich bin gespannt, was Perytlth uns als nächstes servieren wird!«
2. Ra sah dem Mann, der gerade in seinem altmodischen Krankengefährt das Lokal ver-
ließ, mit gemischten Gefühlen nach. Er fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Er hatte den alten, kranken Mann hinters Licht geführt, und der Alte war darauf hereingefallen. Zwar hatte Ra instinktiv gespürt, daß mit diesem Mann etwas nicht stimmte, aber dies gab ihm noch lange nicht das Recht, ein übles Spiel mit den Gefühlen des Mannes zu treiben. Ra biß sich auf die Lippen, als er mit dem überscharfen Gehör eines Naturmenschen hinter sich Schritte hörte. Sofort drehte sich der Barbar herum. Ein Mann näherte sich dem Tisch, an dem Ra saß. Der Mann war breitschultrig und hochgewachsen, ein Arkonide, wie das weiße Haar und die Albinoaugen sofort zeigten. Die dunklere Färbung seiner Haut verriet, daß er sich dem Sonnenlicht aussetzen mußte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Folglich gehörte der Mann den unteren sozialen Schichten an. Arkoniden von Rang hatten blaß zu sein. Das alabasterne Weiß einer Leiche war derzeit Modefarbe. Ohne um Erlaubnis zu fragen, setzte sich der Mann zu Ra an den Tisch und musterte den Barbaren eindringlich. Minuten vergingen, in denen kein Wort fiel. Aus einer Sitzgruppe in einer dämmerigen Ecke heraus wurde Ras Tisch unausgesetzt beobachtet. Endlich brach der Besucher das Schweigen. »Mein Name ist Sarat Tohl«, stellte sich der Mann vor. »Ich bin Raumfahrer und – nebenbei – ein wenig Schmuggler.« »Aha«, dachte sich Ra. »Das dürfte der Köder sein.« Laut sagte er: »Ich heiße Ra, bin Raumfahrer und – nebenbei – ein wenig Barbar!« Ra erreichte seinen Zweck, der Mann fühlte sich veralbert. »Hör zu!« zischte Sarat Tohl. »Wir haben dich genau beobachtet. Du bist hier hereingekommen, hast kaum etwas getrunken und einem alten Stammgast das Blaugrüne vom Himmel heruntergeflunkert. Was zum Teufel suchst du hier? Bist du von der Polizei? Oder gar von der POGIM?« »Weder noch«, meinte Ra knapp und
Komet der Geheimnisse trank einen Schluck Fruchtsaft. Er wußte jetzt ziemlich genau, woran er war. Die unverblümte Frage nach der gefürchteten Geheimpolizei ließ nur den einen Schluß zu, daß der Fragende nicht viel von der POGIM hielt. Alternativ dazu bestand natürlich immer die Gefahr, daß der Frager selbst zur POGIM gehörte, aber dieses Risiko erschien Ra in diesem Fall ziemlich gering. Obendrein hätte er es, gleichgültig unter welchen Umständen auch immer, eingehen müssen. Das Ziel des Barbaren war, in die sicherlich vorhandene Untergrundwiderstandsorganisation Arkons einzusickern und dort gute Verbindungen zu schaffen, die ihm, Atlan oder den Männern und Frauen auf Kraumon später von Nutzen sein konnten. »Was hältst du von seiner Erhabenheit?« fragte Ra gemütlich. »Magst du Orbanaschol III. wünschst du ihm langes Leben und Gesundheit?« »Die Pest an den Hals!« knurrte Sarat Tohl. Er hätte ein hervorragender Schauspieler sein müssen, um den verhaltenen Haß in der Stimme aufs Stichwort hin so naturgetreu mitschwingen lassen zu können. »Dann bin ich bei dir richtig«, meinte Ra und grinste den Mann an. »Leute wie euch habe ich gesucht. Wollen wir gehen?« »Gehen? Wohin?« fragte Tohl verblüfft; er kam mit dem Tempo nicht mit. »In euren Versammlungsraum«, erklärte Ra freundlich. »Dorthin, wo ihr eure geheimen Besprechungen abhaltet. Oder wollen wir hier weiterreden?« Die Überrumpelungstaktik funktionierte. Sarat Tohl schüttelte verwirrt den Kopf, dann winkte er den Kassiererrobot heran und zahlte. Vergnügt stellte Ra fest, daß der Mann in seiner Verwirrung beide Zechen beglich. Sarat Tohl ging voran. Auf der Straße sah er sich immer wieder um, ob ihm jemand folgte. Ra wurde schon nach kurzer Zeit skeptisch. Sarat Tohl schien nicht eben die geistige Spitze des arkonidischen Widerstands zu sein. Bei den Schulungsstunden in konspirativem Verhalten dürfte er jedenfalls
11 häufig gefehlt haben. Verblüfft stellte Ra fest, daß der Mann zielsicher auf eine öffentliche Bedürfnisanstalt zumarschierte. Sobald die beiden Männer den Innenraum erreicht hatten, sah sich Sarat Tohl schnell um. Außer ihm und Ra hielt sich niemand in dem kleinen Gebäude auf. Rasch brachte der Mann einen Impulsschlüssel zum Vorschein, dessen Sendekopf er an den Boden hielt, der aus vernieteten Stahlplatten bestand. Ra spürte, wie der Boden unter ihm nachgab; senkrecht stürzte er ein paar Meter in die Tiefe, dann fing ihn ein Feld sicher auf. In den wenigen Sekundenbruchteilen des freien Falles hatte sich die Öffnung über ihren Köpfen wieder geschlossen. Ra kannte sofort den Grund dafür; da die Anstalt nicht verschließbar war, mußte das Verschwinden der Besucher blitzschnell vonstatten gehen, bevor ein ahnungsloser Besucher plötzlich mit einem großen Loch im Boden konfrontiert wurde. Ra warf einen schnellen Blick auf den Impulsschlüssel, den Sarat Tohl hastig wieder verschwinden ließ. Dieser kurze Blick reichte für Ra. Er wußte jetzt, daß Tohl einen Schlüssel benutzte, wie er in jedem Großkaufhaus zu erhalten war; wenn sich die Polizei für dieses Versteck interessierte, dann würde sie kaum mehr als eine Minute brauchen, um das Schloß zu öffnen. Langsam dämmerte Ra, daß er nicht gerade an professionelle Widerstandskämpfer geraten war. »Mir nach!« knurrte Sarat Tohl; er hatte viel von seinem Selbstvertrauen wiedergefunden. Die beiden Männer steckten nun im Untergrund von Arkon II, mitten in dem unentwirrbar erscheinenden System von Kanälen, Schächten, Stollen und Röhren, den eigentlichen Lebensadern des Planeten. Es war erstaunlich, daß die planetare Polizei dieser Untergrundwelt kaum Aufmerksamkeit schenkte. Nirgendwo war Arkon II so verwundbar wie hier. Eine radikale, umsichtig geführte Stadtguerrilla konnte in aller Ruhe
12 an jedem wichtigen Schaltpunkt eine Bombe anbringen. Bei gleichzeitiger Sprengung hätte sich auf dem Planeten nichts mehr bewegt. Was das für eine so hochgezüchtete, auf perfekter Technik basierende Gesellschaft bedeutete, war abzusehen. Leise Schauder durchliefen Ra, als Tohl ihn durch einen Gang führte, unter dessen Boden die Haupttrinkwasserleitung für eine Millionenstadt verlief. Zwar waren Meßfühler zu erkennen, die jeden Rohrbruch melden und vollrobotisch beseitigen würden, aber was würde geschehen, wenn ein geisteskranker Fanatiker es sich einfallen ließ, das Trinkwasser um einige Kilogramm eines chemischen Kampfstoffs zu bereichern? Ra warf einen besorgten Blick auf seinen Begleiter, aber Sarat Tohl machte nicht den Eindruck, als sei er zu solchen Wahnsinnshandlungen fähig. Aber wer konnte ein solches Urteil mit ausreichender Verläßlichkeit fällen? Wenn Sarat Tohl sich vorgenommen hatte, Ra zu verwirren, indem er ihn kreuz und quer durch das Labyrinth der Kanalisation führte, so hatte er sich gründlich getäuscht. Ra hätte zwar nicht sagen können, wo er sich exakt befand, aber er hätte den Weg, den er geführt worden war, jederzeit wieder an seinen Ausgangspunkt zurückverfolgen können. »Warte hier!« befahl Sarat Tohl. »Ich komme bald zurück!« Wieder trat der Impulsschlüssel in Tätigkeit, und wieder öffnete sich der Boden. Sarat Tohl schwang sich hinab in das Loch, das sich im Boden auftat, und verschwand. Ra nützte die Zeit, um sich umzusehen. Viel gab es nicht zu erkennen, nur ein Tiefbauingenieur hätte sich in dieser übelriechenden Unterwelt vielleicht wohl fühlen können. Immerhin wußte Ra, daß vom perfekten Funktionieren aller Maschinen und Anlagen dieser Unterwelt das Leben einiger Millionen Menschen abhing. Was die einzelnen Farbmarkierungen bedeuteten, welche Stoffe die Röhren und Leitungen transportierten, konnte Ra nicht herausfinden. Allerdings
Peter Terrid ließen die Dichte und Häufigkeit der Verbindungen den Schluß zu, daß das Versteck der Widerstandskämpfer in unmittelbarer Nähe eines bedeutsamen Knotenpunkts lag. »Immerhin ein Vorteil!« murmelte Ra. Sollte die Polizei jemals dieses Versteck aufspüren, dann hatten die Verschwörer den beträchtlichen Vorteil, daß die Beamten es sich nicht erlauben konnten, wahllos in der Gegend herumzuschießen. Hier konnte jeder Treffer verheerende Folgen für die Stadt haben. Nur wenige Minuten vergingen, dann tauchte Sarat Tohl wieder auf. Er machte ein finsteres Gesicht; offenbar war man nicht sehr erfreut über den Gast, den er mitgebracht hatte. »Komm mit!« knurrte er Ra an. »Man will dich untersuchen. Wenn du ein Spitzel bist, wirst du diesen Ort nicht mehr lebend verlassen!« Das klang einigermaßen bedrohlich, aber Ra ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Er war sich längst darüber klargeworden, daß es sich bei Sarat Tohl und seinen Freunden zwar um Menschen handelte, die das Terrorregime Orbanaschols verabscheuten, aber viel zu dilettantisch vorgingen, um dem Usurpator gefährlich werden zu können. Brav, ehrlich aber harmlos, so stufte Ra Sarat Tohl ein, und seine Freunde würden vermutlich vom gleichen Schlage sein. Es waren sieben Männer, die noch unter dem Niveau der Kanalisation auf Ra warteten und den Barbaren mit finsteren Gesichtern musterten. Eindruck konnten sie damit auf Ra nicht machen; es war ihnen anzusehen, daß sie ihre Kenntnisse über Untergrundkampf aus populären Videosendungen bezogen hatten. »Was willst du, und wie heißt du?« schnauzte einer der Männer Ra an. Ra hätte diesen skurrilen Haufen am liebsten sofort verlassen, aber er sagte sich, daß er hier wenigstens einen kleinen Zipfel der Widerstandsbewegung gegen Orbanaschol in die Hand bekommen hatte. Vielleicht stand diese Gruppe mit fähigeren Gruppen
Komet der Geheimnisse in Verbindung. Ra jedenfalls hätte als Führer einer kaltblütig und entschlossen geführten Untergrundtruppe solche kleinen, harmlosen Gruppen überwacht, und sei es nur, um nicht im unpassendsten Augenblick über einen allzu eifrigen Amateur zu stolpern. »Ich heiße Ra«, stellte sich der Barbar zum zweiten Male vor und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin ein Freund des Kristallprinzen Atlan!« Schmerzlich wurde sich Ra der Tatsache bewußt, daß Atlans Schicksal im Mikrokosmos mehr als ungewiß war; daß er, Ra, dafür verantwortlich war, wenn Atlan nicht zurückkehren sollte; das wahrscheinlich noch immer Ischtars Doppelpyramidenschiff um den Maahkstützpunkt kreiste, auf den verschwundenen Kristallprinzen wartend. Was ihm bevorstand, wenn Atlan nicht zurückkehrte und Ra wieder Ischtar gegenübertreten mußte, wagte sich der Barbar nicht zu vergegenwärtigen. »Atlan ist tot!« stellte der Sprecher fest. »Ganz Arkon hat es miterlebt. Er hat versucht, den Imperator zu töten und ist dabei selbst umgekommen. Versuche nicht, uns für dumm zu verkaufen.« Im Hintergrund des karg möblierten Raumes erkannte Ra eine junge Frau, eine Arkonidin, die Ra mit unverhohlener Neugierde musterte. Ra hatte den Eindruck, als sei in Wirklichkeit das Mädchen der Kopf dieser Gruppe; in jedem Fall machte sie ein weitaus energischeren Eindruck als die Männer. »Dennoch«, behauptete Ra. »Atlan lebt, ich weiß es genau. Der Mann, den ich in der Arena getötet habe, war nicht Atlan. Ich werde doch keinen meiner Freunde töten.« Ra konnte aus den Augenwinkeln heraus erkennen, daß sich die Augen des Mädchens blitzartig verengten. In diesem Augenblick erinnerte sie Ra an ein sprungbereites Raubtier. »Kannst du das beweisen?« wollte einer der Männer wissen. »Wenn der Kristallprinz noch lebt, wo ist er dann?« Die Antwort auf diese Frage hätte Ra gern
13 selbst gewußt. »Er ist fern von Arkon«, behauptete Ra wahrheitsgemäß. »Er sammelt seine Getreuen um sich.« In diesem Augenblick mischte sich das Mädchen ein. »Du bist der Mann, der beim Fest der zalitischen Händler gegen den Maskenträger gekämpft hat?« fragte das Mädchen. Ra nickte kurz. »Was willst du von uns?« fragte der Sprecher. »Wenn wir Orbanaschol stürzen wollen«, erklärte Ra, »dann brauchen wir Helfer in großer Zahl, Männer und Frauen, die bereit sind, ihr Leben für die Freiheit Arkons zu wagen.« Ra war kein Redner, aber er hatte ein gutes Gedächtnis. Die gleiche Rede hatte der arkonidische Leutnant in dem Streifen »Stützpunkt der Verlorenen« gehalten, der vor einigen Tagen ausgestrahlt worden war. Die Qualität dieser Produktion war augenfällig geworden, als der heroische Leutnant mit vier Helfern es in auswegloser Lage fertigbrachte, eine Raumarmada der Maahks zu vernichten. Ra wandelte den Text ein wenig ab, streute noch einige Male Worte wie Heldenmut, Heroen und Triumph ein, und nach einigen Minuten hatte er die Männer für sich gewonnen. Allerdings sah Ra auch, daß sich das Mädchen abgewandt hatte. Nur Ra konnte sehen, daß ihre Rückenmuskulatur in mühsam unterdrückten Lachkrämpfen zuckte. Die Männer standen auf und umarmten Ra feierlich, klopften ihm auf die Schulter und hießen ihn im Kreis der »Freien Söhne Arkons« willkommen. Bevor die Männer dazu kamen, die nächsten Schritte des gemeinschaftlichen Kampfes zu erörtern, was Ra in peinlichste Verlegenheit gebracht hätte, wurde ein scharfes Zischen hörbar. Verblüfft stellte Ra fest, daß die Widerstandsgruppe der »Freien Söhne Arkons« mit akustischen Alarmanlagen arbeitete. Sarat Tohl hantierte an einem Schaltpult im Hintergrund des Raumes, und
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wieder machte Ra eine erstaunliche Beobachtung. Die Gruppe überwachte die Räumlichkeiten rings um ihren Stützpunkt mit uralten elektronischen Kameras, die allerdings den Vorzug hatten, daß man ihre Streufelder leichter abschirmen konnte. »Ein Trupp Robots nähert sich uns«, stellte Sarat Tohl fest. »Es wird am besten sein, wenn wir uns zurückziehen!« »Ich nehme Ra mit mir«, sagte das Mädchen sofort. »Ich werde ihn unserem Gruppenleiter vorstellen.« Um den Versammlungsraum verlassen zu können, mußten die Menschen weiter in die Tiefe steigen. Ra schätzte, daß er sich nun knapp einen halben Kilometer unterhalb der Oberfläche befand. Das Mädchen hatte Ras Hand gefaßt und zog ihn hinter sich her. Ra war gespannt auf das, was ihn erwartete.
* »Habt ihr den Barbaren gefunden?« lautete die scharfe Frage. »Nein, Erhabener!« sagte der Kurier leise. »Warum nicht?« Der Mann sprach den Buchstaben R ungewöhnlich hart aus, ein starker Gegensatz zu seiner sonst sanften, freundlichen Stimme. Er konnte es sich leisten, diesen Sprachfehler zu behalten. Einen Mann in seiner Stellung machte man für gewöhnlich nicht auf solche Unzulänglichkeiten aufmerksam. Wer hätte es schon gewagt, Orbanaschol zu erzählen, daß seine Stimme eine Tortur für jeden Mitmenschen war, der nicht gerade so verkümmert war, daß er Musik lediglich für eine Abfolge von Geräuschen hielt. »Der Barbar tauchte nach dem mißglückten Attentat auf den Imperator unter«, berichtete der Kurier. »Ihr werdet Euch erinnern, bei der Räumung des Stadions kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen den Kämpfern und der Polizei. Dabei konnten einige hundert Personen unkontrolliert das Gelände verlassen.« »Und was ist mit den Unterlagen in der
Verwaltung?« bohrte der Mann weiter. Er wandte dem Kurier den Rücken zu. »Man wird mir doch nicht erzählen wollen, es habe beim Fest der zalitischen Händler keinen Verwaltungsapparat gegeben!« »Es gab entsprechende Büros«, gestand der Kurier ein. »Aber sie sind abgebrannt. Ein bedauerlicher Unglücksfall, Erhabener!« »Wer ist dafür verantwortlich zu machen?« wollte der Mann am Fenster wissen. »Eine Person, die mir untersteht?« »Nein, Erhabener!« antwortete der Kurier sofort. »Welche Befehle soll ich der Organisation auf Arkon II übermitteln?« »Alle verfügbaren Männer und Frauen sollen die Augen offenhalten!« befahl der Mann leise. »Wir müssen diesen Barbaren zu fassen bekommen. Schließlich kann er sich nicht in Luft aufgelöst haben.« »Arkon ist groß und der Imperator nicht überall!« zitierte der Kurier eine alte Spruchweisheit. »Wie soll man einen einzelnen Mann unter so vielen finden?« »Durch Suchen«, gab man ihm Antwort. »Dieser Barbar weiß genau, daß der Atlan in der Arena nicht echt war. Er kann unsere gesamte Organisation zum Zusammenbruch bringen. Was das bedeutet, kann sich wohl jeder ausrechnen!« »Lebenslanges Arbeitslager, Fronteinsätze ohne Rückkehrchance«, murmelte der Kurier. »Oder der Konverter!« »Ihr wißt also, worum es geht«, stellte der Mann am Fenster fest. »Es ist im Interesse eines jeden von uns, wenn der Barbar schnellstens gefunden wird. Von seinem Verhalten, das wir nicht einwandfrei berechnen können, hängt unser Leben ab!« »Wir werden unser Bestes tun, Erhabener!« versprach der Kurier. Vier andere Männer, die ebenfalls den Raum bevölkerten und bisher geschwiegen hatten, nickten beifällig. Der Kurier zog sich zurück, während der Mann am Fenster eine unruhige Wanderung durch den Raum begann. »Ich sehe es Euch an, Erhabener, etwas quält Euch«, bemerkte einer der Besucher. »Dürfen wir den Grund erfahren?«
Komet der Geheimnisse »Lartog!« seufzte der Mann. »Ich denke an den Leutnant Sarn Lartog. Es ist meine Schuld, daß er gestorben ist. Ich war so versessen auf das, was der junge Mann zu erzählen hatte, daß ich jede* Hemmung verlor. Ich habe das Psychoverhör befohlen, das ihn getötet hat!« »Es ist kein großer Trost, gewiß«, warf jemand ein, »aber Lartog wäre andernfalls in die Hände Orbanaschols gefallen. Das hätte seinen Tod nur um einige grauenvolle Wochen verzögert. Gestorben wäre Lartog so oder so.« »Das ist kein Argument«, wehrte der Mann mit einer müden Handbewegung ab. »Wir hätten Lartog mit falschen Papieren versorgen, ihn wegschmuggeln können. Haben wir die Macht, die POGIM übertölpeln zu können, oder haben wir sie nicht?« »Wir sind zweifellos dazu in der Lage«, stimmte man ihm zu. »Aber …« »Nichts, aber!« wehrte der unruhige Wanderer ab. »Ich hatte den Faden in der Hand, und ich war fest entschlossen, ihn aufzuspulen. Seit Jahren der erste wirklich brauchbare Hinweis auf Atlan, endlich eine Möglichkeit, mit ihm vielleicht Verbindung aufzunehmen – was wird der Kristallprinz sagen, wenn er erfährt, daß wir so leichtfertig mit dem Leben seiner Untertanen umgesprungen sind?« »Er wird es verstehen«, lautete die Antwort. »Er wird wissen, wie wenig dieser äußere Schein der inneren Wirklichkeit entspricht.« Zum erstenmal an diesem Abend lächelte der Mann, der jetzt wieder zum Fenster trat und in die Höhe schaute. Seit einigen Jahren bewegte sich Blahur wieder im Schwerefeld des Arkonsystems. Wahrscheinlich gab es in der gesamten Galaxis keinen Kometen, der eine ähnlich komplizierte Bahn aufzuweisen hatte wie Blahur. Die astronomischen Großrechner hatten Monate gebraucht, bis die Kursdaten einwandfrei ermittelt waren. Danach schlängelte sich der Komet in einer gewundenen und verschraubten Bahn durch mehr als zwanzig
15 Sonnensysteme, und zwar auf einem Kurs, der für einige Jahrhunderttausende Bestand haben würde. Gefährlich konnte Blahur keinem seiner Gastsysteme werden, im Gegenteil, Arkon freute sich auf das seltene Schauspiel, das Blahur bot. In keinem Handbuch war ein Komet aufgeführt, der einen derart farbenprächtigen Schweif aufzuweisen hatte wie Blahur. Farbige Streifen zogen hinter dem Himmelskörper her, bildeten Schlingen und Kreise, Schlieren und seltsam geformte, bizarre Muster. »Du hast recht«, murmelte der Mann am Fenster und lächelte schwach dazu. »Nicht immer entspricht der äußere Schein der Wirklichkeit, und dafür bin ich dankbar.« Die Männer im Raum sahen sich leicht verwundert an, aber niemand wagte zu fragen, was der Erhabene mit dieser Äußerung gemeint haben mochte.
* Perytlths Dossier nahm allmählich an Gestalt und Umfang zu. Seit Tagen belauerte er Ra und versuchte festzustellen, zu welchen Personen der geheimnisvolle Erbe der Galaxis Kontakt aufnahm. Und immer wieder versuchte er Ra auszuhorchen. Er spürte nicht, daß er damit das Mißtrauen des Barbaren steigerte. Ra revanchierte sich mit immer neuen Erzählungen, Andeutungen und Märchen, die Perytlth um so williger schluckte, als die Aussichten für ihn immer rosiger wurden – jedenfalls, wenn es nach dem Erben der Galaxis ging. Ra war sich inzwischen fast sicher, welche Rolle der Krüppel spielte. Und er wußte auch, welche Schlußfolgerungen er daraus zu ziehen hatte. Solange Perytlth die Märchengeschichte glaubte, würde er alles tun, um Ra ungestört weiterarbeiten zu lassen. Einen besseren Schutz konnte sich Ra kaum denken. Gefährlich wurde es allerdings in dem Augenblick, in dem Perytlth entdeckte, daß man ihn gefoppt hatte. Dann galt es sofort zu verschwinden. Ra war genügend sicher, diesen
16 Zeitpunkt rechtzeitig erahnen zu können, um sein Spiel weiterzutreiben. Er saß wieder in dem Lokal, in dem er Perytlth und Sarat Tohl kennengelernt hatte. Der Krüppel würde in acht Minuten erscheinen; Ra hatte inzwischen mehr über die sprichwörtliche Pünktlichkeit Perytlths erfahren. Obwohl Perytlth am liebsten jede Minute in Ras Nähe verbracht hätte, änderte er seine Lebensweise nicht; er wußte, daß ein Abweichen von seiner gewohnten Verhaltensweise gefährlich werden konnte. Ra wartete auf das Mädchen, das Themar Irwig hieß. Viel mehr wußte Ra nicht. Themar hatte Ra zwar aus dem Labyrinth der Kanalisation geführt, aber weitere Mitglieder ihrer Gruppe hatte Ra nicht kennengelernt. Erst heute wollte sie ihn in die Gruppe einführen. Ra war gespannt, wie diese Mannschaft aussah. Das Mädchen jedenfalls machte den Eindruck eines kaltblütigen, gutgeschulten Professionals; wenn die anderen Mitglieder dieser Vereinigung ähnlich eingestellt waren, hatte Ra eine wirklich wertvolle Verbindung hergestellt. Er freute sich schon darauf, Bei Etir Baj davon erzählen zu können. Der Con-Treh war bei dem zalitischen Händler Alpertur geblieben und versuchte auf seine Weise, Kontakte zu knüpfen und wichtige Verbindungen herzustellen. Während Ra sozusagen von unten her in die Widerstandsorganisationen einsickern wollte, versuchte Etir Baj die Köpfe aufzuspüren. Dieser Weg war zwar kürzer, aber weit beschwerlicher und schwieriger, denn aus einem Anführer war naturgemäß weniger herauszuholen als aus einem einfachen Mitglied, das normalerweise auf Fangfragen nicht vorbereitet war. Themar erschien zwei Minuten, bevor Perytlth auftauchen mußte. Sie stand in der Eingangstür, sah sich kurz um und verließ dann das Lokal wieder. Ra wartete noch eine halbe Minute, dann ließ er den bereits bezahlten Fruchtsaft im Stich und folgte dem Mädchen. Beim Betreten der Bedürfnisanstalt konn-
Peter Terrid te Ra gerade noch sehen, wie Perytlth in seinem Krankengleiter angeschwebt kam und die Kneipe betrat. »Ich muß dir die Augen verbinden«, erklärte Themar. Aus einer der Taschen ihres Hosenanzugs brachte sie eine dunkle Binde zum Vorschein, die sich Ra widerstandslos über die Augen streifen ließ. Interessiert nahm er zur Kenntnis, daß die Ränder der Maske mit einem Hautkleber bestrichen waren, wie sie üblicherweise beim Theater verwendet wurden, um falsche Bärte dauerhaft zu befestigen. Ra, der gehofft hatte, durch kleine Lücken am Rand trotzdem etwas von der Wegstrecke wahrnehmen zu können, stellte fest, daß es um ihn herum finster war. Nicht das kleinste Photon fand seinen Weg durch die Maske. Themar nahm Ra bei der Hand und zog ihn hinter sich her. Das Mädchen stellte sich wesentlich geschickter an als Sarat Tohl. Sie schlug mit Sicherheit ebenfalls Umwege ein, aber sie benutzte dazu Antigravschächte, die Ras Orientierungsvermögen nach kurzer Zeit zum Bankrott zwangen. Niemand konnte mit verbundenen Augen feststellen, wie das Schwerefeld in einem Schacht eingestellt war. Bei entsprechender Konstruktion konnte eine schwerefreie Röhre auch waagerecht verlaufen, ohne daß der Benutzer es feststellen konnte. Ra merkte nicht, wie das Mädchen während des Schwebens ein mit bloßem Auge kaum erkennbares Gerät von seiner Kleidung entfernte und in einer Abwasserleitung verschwinden ließ. Er schätzte, daß etwas mehr als zehn Minuten vergangen waren, bis das Mädchen erklärte, daß das Ziel erreicht sei. Themar entfernte die Binde, und Ra sah sich, wegen des grellen Lichtes heftig zwinkernd, in der fremden Umgebung um. Themars Gruppe war in jedem Fall finanziell bessergestellt als der Widerstandskreis um Sarat Tohl. Ra befand sich in der Zentrale, von der aus ein beträchtlicher Maschinenpark überwacht und gesteuert wurde. Offenbar gab es hier tatsächlich eine kleine Stadt unter der Stadt. Die Bildschirme zeig-
Komet der Geheimnisse ten ausgedehnte Räumlichkeiten, große Lagerräume, Waffenarsenale; es gab Platz genug für eine Raumlandearmee samt ihrem Gerät. »Donnerwetter!« staunte Ra. »Ein eindrucksvolles Bild!« »Die Wirklichkeit sieht noch besser aus«, versprach Themar lächelnd. »Warte es ab!« Zu einem schwerbewaffneten Posten gewandt, fuhr sie fort: »Ich soll diesen Mann zum Chef bringen. Sind die Zugänge frei?« »Sie müssen noch etwas warten«, erklärte der Posten. »Es wird nicht lange dauern.«
* Perytlth war verärgert. Er wartete, ohne sich dies anmerken zu lassen, seit geraumer Zeit auf Ra, ohne ihn zu Gesicht zu bekommen. Langsam lief die Zeit ab, die Perytlth für dieses Lokal zur Verfügung stand. Perytlth hatte zwar fast jedes Wort geglaubt, das Ra ihm erzählt hatte, aber das Mißtrauen war dem POGIM-Mann so zur zweiten Natur geworden, daß er seine speziellen Tricks auch bei Ra nicht unterlassen hatte. Seit zwei Tagen schleppte Ra, ohne es zu wissen, einen Infrarotmarkierer mit sich. Das dazugehörige Aufnahmegerät war in Perytlths Gleiterarsenal vorhanden, und der Krüppel beschloß, diese Technik jetzt einzusetzen. Vor dem Lokal nahm er die Fährte auf und folgte ihr hartnäckig. Wie Ra bereits vorhergesehen hatte, brauchte der Mann nur wenig Zeit, bis er den geheimen Zugang in der Bedürfnisanstalt aufgespürt und geöffnet hatte. Vorsichtig ließ Perytlth seinen Gleiter in die Öffnung schweben.
* »Nicht schlecht, der Gedanke!« stellte Mehn Sulk fest. Er betrachtete das Bild auf dem Schirm, das von einer versteckten Kamera in dem Spezialfahrzeug des Kranken
17 aufgenommen wurde. Auch von diesem Gerät wußte Perytlth nichts. »Die Idee, den Zugang zu den Verstecken so zu tarnen, ist wirklich gut«, lobte Pathor Margib. »Ich bin gespannt, welche Vögel uns durch Perytlth ins Netz gehen werden.« »Sollen wir unser Einsatzkommando in Alarmbereitschaft versetzen lassen?« fragte Mehn Sulk nachdenklich. Pathor Margib schüttelte den Kopf. »Warten wir ab!« bestimmte er. »Ich möchte erst wissen, was Perytlth herausfinden kann. Vor allem will ich wissen, wieviel er uns davon erzählt. Wenn es zu wenig ist, werden wir wohl oder übel daraus Konsequenzen zu ziehen haben!« »Perytlths Frau wird sich freuen«, murmelte Mehn Sulk grinsend. »Der Krüppel hat sich mit beträchtlichen Summen gegen einen vorzeitigen Tod versichert, sofern dieser Todesfall nicht unmittelbar oder mittelbar mit seiner Krankheit in Zusammenhang steht. Viel Voraussicht für einen POGIMV-Mann!« »Schade, daß wir noch immer keine Fotografie dieses Fremden haben!« bedauerte Margib. »Ich grüble seit Tagen darüber nach. Irgendwo habe ich den Namen Ra schon einmal gehört, aber ich erinnere mich nicht mehr, in welchem Zusammenhang das der Fall gewesen wäre.« »Wir werden es noch herausfinden«, prophezeite Sulk zuversichtlich. »Ich bin mir sicher, wir werden eine Überraschung erleben!«
3. Abton Cehar war ein alter Mann. Das weiße Haar war schütter, die Gelenke knirschten bei jeder Bewegung vernehmlich. Der Atem des Mannes ging pfeifend wie ein Notsignal, dazwischen mischte sich ein Rasseln, das Schlimmes ahnen ließ. Wenn Cehar, was häufig geschah, einen seiner Hustenanfälle bekam, lief er im Gesicht blaurot an; weiß hingegen wurde er, wenn sein Herz – wie er es behauptete – für ein paar Augen-
18 blicke Luft schnappen mußte. Abton Cehar leitete seine Rede mit einem keuchenden Einatmen ein. »Herrin!« sagte der alte Mann. »Wir haben neue Nachrichten von Arkon!« Langsam drehte sich die Frau zu dem Alten um. Die Frau war zwar jünger als Abton Cehar, aber auch ihr Gesicht war vom Alter gezeichnet, von langen Jahren, die mit Sorgen und Entbehrungen angefüllt gewesen sein mußten. Der Blick der Frau schien durch Abton Cehar hindurchgehen zu wollen, ihr Lächeln wirkte teilnahmslos, eine aufgesetzte Maske, die über echte Gefühle hinweghelfen sollte. »Sprich, Alter«, sagte die Frau leise. »Ich hoffe auf gute Nachricht.« »Atlan ist tot!« sagte Abton Cehar ächzend. Die Frau zuckte erschreckt zusammen, dann lächelte sie verstehend. »Unser Atlan ist tot, wolltest du sagen, nicht wahr?« fragte sie. »Kennst du Einzelheiten?« »Es gibt Filmaufnahmen von den Ereignissen auf Arkon II«, berichtete Cehar; er schnappte nach Luft wie ein Ertrinkender. Den Geräuschen nach zu schließen, mußten seine Bronchien vergleichbar mit völlig verrosteten Dampfleitungen sein. »Wollt Ihr sie sehen?« »Ich gehe sofort in den Projektionsraum«, sagte die Frau. »Wie sieht es draußen aus?« »Kein Grund zur Besorgnis«, erklärte Cehar. »Nicht mehr Touristen als üblich. Den Funksprüchen nach zu schließen, ist auch ein übergeschnappter Modefotograf darunter. Ich bin sicher, wir werden noch zum Modeschlager.« Der Alte knickte in den Beinen ein, fing sich aber sofort wieder. Unkontrollierte Muskelschwächen waren bei ihm keine Seltenheit. Auf wackligen Beinen ging Abton Cehar seiner Gebieterin nach. Im Projektionsraum war alles vorbereitet. Sobald die alte Frau sich in einen bequemen Sessel gesetzt hatte, verlöschten die Lichter,
Peter Terrid und der Projektor nahm seine Arbeit auf. Abton Cehar musterte die Frau aus den Augenwinkeln heraus. Er konnte sehen, wie stark sie von den Kämpfen in der Arena berührt wurde. Wider Willen wurde auch er mehr und mehr von dem Geschehen gefesselt. »Wer ist dieser Mann?« fragte die Frau. Sie deutete auf den Gladiator, der im Endkampf der Gegner des Maskierten war. »Das konnten wir einstweilen noch nicht in Erfahrung bringen«, erklärte Abton Cehar. »Unsere Verbindungsleute auf Arkon II werden versuchen, den Mann zu finden. Er ist nämlich sehr interessant!« Die Frau biß sich auf die Lippen, als sie erkennen mußte, daß der Maskierte den Endkampf zu verlieren drohte. Sie atmete erleichtert auf, als es dem Maskierten zum Schluß doch gelang, seinen Gegner niederzustrecken. Plötzlich stutzte die Frau. »Laß den Film zurücklaufen!« befahl sie. »Bis zu dem Augenblick, an dem der Barbar unserem Atlan das Schwert an die Kehle setzt!« Ihr Befehl wurde schnell befolgt; Sekunden später flimmerten die Ereignisse, die etliche Tage zuvor sich in der großen Arena beim zalitischen Händlerfest zugetragen hatten, zum zweitenmal über den Bildschirm. »Halt!« rief die Frau aus. »Stoppt den Film an dieser Stelle!« Sie stand auf und ging ein paar Schritte auf die Fläche des Bildschirms zu. Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck nervöser Spannung an. »Er kennt ihn!« flüsterte die Frau erregt. »Es ist nicht zu übersehen. Er kennt ihn, und deshalb war er so überrascht, daß er sich überrumpeln ließ. Abton, wer ist dieser Mann? Wir müssen es um jeden Preis herausfinden!« »Kein Grund zur Aufregung«, versuchte der Alte die Frau zu beruhigen. »Kein Grund?« wiederholte die Frau aufstöhnend. »Abton, begreifst du nicht. Dieser Barbar kennt ihn, er weiß, wo er ist. Viel-
Komet der Geheimnisse leicht wird er ihn verraten!« Die Frau kümmerte sich nicht weiter um den Film. Hastig verließ sie den Projektionsraum und suchte zielsicher die Nachrichtenabteilung auf. Dort arbeitete eine der mehr als fünfzig Personen, deren Heimat ein in der Galaxis einmaliges Versteck war. Insgesamt lebte die alte Frau mit fast einhundert Menschen in ihrem Stützpunkt. »Du mußt sofort eine Nachricht durchgeben!« befahl die Frau. »Es ist sehr wichtig. Der Text lautet …«
* »So etwas gibt es nur bei uns Arkoniden«, behauptete die Frau. Der Mann neben ihr lächelte nur. Er wußte, warum er seine junge Frau zu diesem Ort geführt hatte. Im Augenblick gab es im Arkonsystem schwerlich einen romantischeren oder geheimnisvolleren Platz als den Raumbezirk um den strahlenden Kometen Blahur. Zu Tausenden umschwirrten kleinere Raumschiffe den Himmelskörper, im Laufe eines Jahres hatten Millionen von Arkoniden die Farbenpracht bestaunt, die der lange Schweif des Kometen ausstrahlte. »Warum zeigt der Schweif immer von Arkon weg?« wollte die junge Frau wissen. »Es wäre wesentlich praktischer, würde er auf Arkon zeigen.« »Der sogenannte Sonnenwind drückt den Schwanz immer vom Zentralgestirn weg«, erläuterte der frischgebackene Ehemann. »Zudem wird ein Kometenschweif auch nur dann sichtbar, wenn es diesen Sonnenwind gibt. Er ist nämlich für das Entstehen des Kometenschweifs verantwortlich!« Die junge Frau preßte sich enger an ihren Mann. »Was mögen die Farben zu bedeuten haben?« murmelte sie und deutete auf den Kometenschweif. »Sie ändern sich immer wieder, als würde der Komet leben. Gibt es so etwas, lebende Kometen?« »Kometen«, sagte der junge Mann lächelnd, »sind nichts weiter als kosmischer
19 Abfall, der leblos und kalt durch das All treibt. Wenn du willst, zeige ich dir im astronomischen Handbuch eine genaue Analyse von Kometen.« »Kann er nicht auf Arkon stürzen?« fragte die Frau. »Die Bahn von Blahur ist genau vermessen«, erklärte der Mann. »Blahur wird nicht mit einem der Planeten kollidieren. Er wird Äonen durchs Weltall ziehen, bis ihn irgendein anderer Himmelskörper einfängt oder er am Ende aller Zeiten verschwinden wird wie der Rest des Universums.« Fasziniert betrachtete die junge Frau das Spiel der Farben; es hatte wirklich den Anschein, als würde der kosmische Vagabund leben. Immer wieder änderten sich die Streifen, die aus dem grell leuchtenden Ball des eigentlichen Kometenkörpers hervorzugehen schienen. Farbige Blitze zuckten durch den gasförmigen Schleier des Schweifes. »Vielleicht hat uns Blahur doch etwas zu sagen«, überlegte die junge Frau träumerisch. »Eine Botschaft durch Zeit und Raum, vielleicht aus einer sehr entfernten Zukunft, vielleicht aus einer Vergangenheit, in der es noch kein Arkon gab, jenseits aller Zeiten, außerhalb aller Räume …« »Du solltest dich zu einem Dichterwettbewerb melden«, sagte der Mann mit leisem Spott. »Blahur ist ein ganz gewöhnlicher Komet, er sieht nur etwas anders aus. Ein Ölfleck auf einer Wasseroberfläche schillert auch, aber es handelt sich nur um ein bißchen Kohlenwasserstoff, das auf Wasser schwimmt, um nicht mehr und nicht weniger.« »Und doch«, murmelte die junge Frau. Ihr Ehemann gab es auf; gegen solche Überlegungen gab es nichts einzuwenden. Zudem fiel ihm ein, daß auch er nicht viel mehr war als eine zwar hochkomplizierte, nichtsdestotrotz aber wissenschaftlich erklärbare Zusammenballung von Atomen. Die gleichen Gründe, die seine Frau dazu verführten, in Blahur mehr zu sehen als einen simplen Kometen, hatten vielleicht auch dazu geführt, daß sie unter etlichen
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Milliarden Zellzusammenballungen sich ausgerechnet ihn als Mann ausgesucht hatte. Er vergaß seine naturwissenschaftliche Verstandeskälte, faßte seine Frau fester und gab sich hemmungslos den irrealen, nicht erklärbaren Gefühlen hin, die das Farbenspiel des Kometen auch bei ihm auslösten. Irgendwo auf Arkon II saß zu diesem Augenblick ein junger Mann, ebenfalls frisch verheiratet, der durch ein erstklassiges Fernrohr den Kometen betrachtete, wenn auch mit ganz anderen Gefühlen.
* »Ist diese Frau vollständig verrückt geworden?« schimpfte der Mann. »Was fällt ihr ein, ihr Versteck zu verlassen. Seit dem Attentat auf Orbanaschol sind die POGIMMänner dreimal wachsamer als normal. Will sie unbedingt im Konverter enden?« »Dazu kann ich nichts sagen«, antwortete der junge Nachrichtentechniker. »Ich habe nur diesen verschlüsselten Spruch aufgefangen, dekodiert und weitergeleitet. Ihr wißt, daß wir nur sehr mühsam eine Antwort durchgeben können.« Der Mann warf die schmale Karte auf einen Tisch und ging aufgeregt im Zimmer auf und ab. »Seit Jahren«, stöhnte er in unterdrücktem Ärger, »seit Jahren predige ich, sie soll sich so selten rühren wie irgend möglich. Jetzt will sie ihr Versteck verlassen und auf eigene Faust nach diesem Barbaren suchen. Und zu allem Überfluß will sie Abton Cehar mitnehmen, der sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermag. Setzt sofort einen Kurier in Bewegung, der meine Antwort bringen soll!« »Das führt zu nichts«, warf der Nachrichtentechniker ein. »Sie hat angekündigt, daß sie ihr Versteck bereits verlassen haben wird, wenn dieser Spruch abgeht. Ihr werdet sie nicht mehr aufhalten können.« Der Mann unterdrückte einen Fluch. »Alarmiert jeden Mann, der uns zur Verfügung steht«, befahl er. »Wir müssen die-
sen Barbaren suchen, den der Erdboden offenbar verschluckt hat, und zum anderen die Frau und ihren Vertrauten. Haltet vor allem nach Cehar Ausschau, eine solche Gestalt dürfte es kein zweites Mal in der Galaxis geben!« Die Männer zogen sich zurück, sobald sie ihre Befehle erhalten hatten. Nach kurzer Zeit war der Mann allein. Nachdenklich sah er auf ein großes Porträt an der Wand. Es zeigte einen Mann mit den Insignien des Imperators, an seiner Seite eine junge Frau. »Hätte ich gewußt, Yagthara«, murmelte der Mann, »daß du im Alter noch temperamentvoller und dickköpfiger werden würdest, hätte ich meinem Freund niemals zu dieser Ehe geraten.« Sein Blick wanderte zur Seite, fiel auf den Kristallpalast, der in der Nähe zu sehen war. »Deinem Mann habe ich nicht mehr helfen können«, sagte der Mann mit zusammengepreßten Kiefern. »Aber ich werde deinem Sohn zu seinem legitimen Recht verhelfen!«
* Ra stöhnte unterdrückt auf. Man ging nicht gerade milde mit ihm um. Die Männer waren mißtrauisch und wollten sichergehen, daß sie von Ra nichts zu befürchten hatten. Seit etlichen Stunden prasselten ihre Fragen auf Ra herab. Der Barbar war gefesselt, und sein Körper zeigte die Spuren von Schlägen. Der Mann, der unmittelbar vor ihm stand, verstand sein Handwerk. Er schlug so zu, daß keine offenen Wunden entstanden oder Knochen brachen, aber er wußte auch, wohin er zielen mußte, um dem Getroffenen ein Höchstmaß an Schmerzen zu bereiten. »Was willst du bei uns?« fragte der Mann, von dem Ra nur den Decknamen Glahrn kannte. Er war der unumstrittene Anführer der Gruppe, ein hochgewachsener Mann, schlank und mit dünnen, nervösen Fingern. An jedem Finger trug er einen Ring, an den Handgelenken Ketten, die leise klirrten,
Komet der Geheimnisse wenn er sich bewegte. Die Augen blickten freundlich, aber Ra spürte, daß dieser Mann ein ausgewachsener Sadist sein konnte, wenn er die Gelegenheit dazu bekam. »Rede, Bursche. Du hast behauptet, Atlan lebe noch«, fragte Glahrn scharf. »Wie kommst du dazu?« Zum fünften Male erzählte Ra seine Geschichte. Wichtige Teile allerdings verschwieg er, beispielsweise die Tatsache, daß der Kristallprinz unerreichbar im Mikrokosmos steckte. Ra erzählte auch nur andeutungsweise von Kraumon. Da schon sein Äußeres ihn als unterentwickelten Barbaren auswies, wurde ihm sofort geglaubt, als er behauptete, die galaktische Position Kraumons nicht zu kennen. Ra schmückte die Geschichte so aus, wie sie für ihn brauchbar war. Warum er nicht die volle Wahrheit erzählte, verstand sich von selbst – je weniger selbst die besten und treuesten Verbündeten wußten, desto weniger konnten sie verraten. »Weißt du, daß wir eine Hypnohaube besitzen?« fragte Glahrn freundlich. »Wir könnten deine Angaben sofort überprüfen, ich brauche nur ein Zeichen zu geben!« Ra spuckte das Blut aus, das sich in seinem Mund gesammelt hatte. Er grinste verzerrt und antwortete: »Du weißt so gut wie ich, daß ich dieses Verhör nicht überleben würde – jedenfalls nicht als intelligentes Wesen. Was würde der Kristallprinz sagen, wenn er erführe, daß du seinen besten Gefolgsmann zum lallenden Idioten gemacht hast?« »Treffer!« erkannte Glahrn an. »Nur – ich weiß immer noch nicht, ob es diesen Kristallprinzen wirklich gibt. Du könntest auch ein POGIM-Spitzel sein, der uns mit dieser Geschichte ködern will. Du brauchst nicht verzweifelt den Kopf zu schütteln, auch solche Geschichten kann man erfinden und in Szene setzen. Wir wissen viel zu gut, was unsere Gegner können. Wer die POGIM unterschätzt, ist schon halb in ihrer Hand!« »Habt ihr eine Positronik zur Verfügung?« erkundigte sich Ra. Das Sprechen bereitete ihm Mühe; die Lippen waren ge-
21 schwollen, die Oberlippe an einer Stelle aufgeplatzt. »Wenn ja, dann rechnet die verschiedenen Möglichkeiten und Risiken durch. Dieses Folterverhör ist sinnlos; ihr werdet niemals beweisen können, ob ich lüge oder die Wahrheit sage!« »Wir können ihn testen«, schlug das Mädchen Themar vor. »Anders werden wir nie sicher sein können.« »Einverstanden«, sagte Glahrn lächelnd. »Wir werden dich auf die Probe stellen, Ra. Du wirst einen Auftrag bekommen. Erfüllst du ihn, dann werden wir dich gerne bei uns aufnehmen und dir helfen. Andernfalls … Wir werden dich überall finden. Glaube nicht, daß du uns entkommen könntest. Nimmst du die Bedingung an?« Ra nickte nur. Er wurde erst dann bewußtlos, als man seine Fesseln löste und ihm die Möglichkeit gab, zusammenzubrechen. Ra kam in einem öffentlichen Park wieder zu sich, knapp eine Minute vor dem Zeitpunkt, an dem ein Robotpolizist den nächtlichen Park kontrollierte und dem seltsamen Schläfer sicher unangenehme Fragen gestellt hätte. Ra machte sich schnellstens aus dem Staub. Zwar war er im Besitz hervorragend gefälschter Papiere, aber einer gründlichen Überprüfung hätten diese Dokumente nicht standgehalten. Wie der Auftrag aussehen würde, konnte sich Ra an den Fingern abzählen. Man würde ihn auffordern, eine bestimmte Person aufzusuchen und zu töten. Tat er dies, dann war er so tief in Schuld verstrickt, daß er es nicht mehr wagen konnte, ein normales Leben zu führen. Von diesem Zeitpunkt an wäre er gezwungen gewesen, in die Illegalität zu flüchten. Nachdenklich betrachtete Ra die Anschrift auf der Karte, die er in seiner Tasche gefunden hatte. Sein Geld hatte man nicht angerührt. Ra erinnerte sich dumpf, die betreffende Adresse schon einmal gehört zu haben, aber er konnte sich nicht besinnen, in welchem Zusammenhang das gewesen sein mochte.
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»Wenigstens ist es nicht der Imperator«, murmelte Ra grinsend. »Wir werden sehen!«
* Genüßlich betrachteten die beiden Geheimpolizisten den Filmstreifen, der von einer versteckten Kamera aufgenommen worden war. Von einem Bandgerät erklang die Stimme des Krüppels. Die POGIM-Männer konnten kaum glauben, daß Perytlth noch immer an die abenteuerlichen Geschichten des Fremden glaubte; er tat es aber, dafür waren die Aufzeichnungen Beweis genug. Selbst die Panne mit dem Infrarotmarkierer hatte ihn nicht entmutigt. »Halt!« rief Mehn Sulk plötzlich. »Ich glaube, daß ich ihn gesehen habe!« Ein Knopfdruck ließ den Film anhalten, ein Stück zurücklaufen und dann erneut stoppen. Auf der Projektionsfläche war das Gesicht eines Mannes zu sehen. »Irgendwoher kenne ich diesen Mann«, überlegte Pathor Margib laut. »Ich frage mich nur, wo ich ihn gesehen haben könnte!« »Überprüfe die Fahndungsliste«, schlug Mehn Sulk vor. »Dann hast du schnellstens eine Antwort auf deine Frage.« Eine einfache Schaltung genügte, um das Bild auf der Leinwand in einen Rechner einzugeben, der das Gesicht mit einigen hunderttausend anderen Gesichtern verglich und nach Ähnlichkeiten suchte. Die Überprüfung dauerte nur wenige Minuten, dann lag das Ergebnis vor. Ein Mann mit diesem Aussehen wurde nicht von der POGIM gesucht. »Wir fahnden nicht nach ihm«, murmelte Sulk nachdenklich. »Trotzdem kenne ich das Gesicht.« Er stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Dabei fiel sein Blick aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Seite der Straße. Mehn Sulk machte noch zwei Schritte, dann blieb er stehen, als sei er gegen ein Schirmfeld gerannt. »Dort drüben steht der Mann!« rief er er-
staunt aus. »Sieh her!« Margibs Blick folgte dem Finger, mit dem Sulk auf den Mann deutete. Es gab keine Zweifel, auf der anderen Straßenseite stand der geheimnisvolle Mann, der seit geraumer Zeit Perytlth mit immer neuen Lügengeschichten umgarnte. »Weißt du, wer der Bursche ist?« fragte Pathor Margib plötzlich. »Das ist jener Arenakämpfer, der beim Fest der Händler das Attentat auf Orbanaschol vereitelt hat. Er wird auch gesucht, aber nicht in den Listen geführt.« »Sollen wir ihn festnehmen?« fragte Mehn Sulk hastig. Margib schüttelte langsam den Kopf. »Wir warten noch«, entschied er. »Ich habe das Gefühl, daß dieser Mann tatsächlich ein Geheimnis mit sich herumschleppt. Und ich möchte unbedingt wissen, wie dieses Geheimnis beschaffen ist. Wir werden ihn beschatten lassen.« »Und dann?« erkundigte sich Sulk. »Nehmen wir ihn fest«, erklärte Margib. »Wer sich in solchen Häusern herumtreibt, hat etwas zu verbergen, und das werden wir in Erfahrung bringen.«
* Ra betrachtete nachdenklich das Haus. Das große Schild an der Eingangstür besagte, daß es sich um ein Diagnosezentrum handelte, und dementsprechend viele Kranke hatte. Ra sehen können. Der Auftrag, den man ihm erteilt hatte, besagte, daß er zwei der Ärzte, die in diesem Zentrum arbeiteten, aufzuspüren und zu töten hatte. Ra würde diesen Befehl natürlich nicht befolgen, aber er suchte nach Möglichkeiten, ihn zu umgehen. Vielleicht ließ sich mit entsprechendem Geldeinsatz etwas regeln. Man konnte einen Unfall vortäuschen, die beiden Männer mit ihrem Einverständnis verschwinden lassen und dergleichen mehr. Fraglich war nur, ob die beiden Opfer dieses Spiel mitmachen würden. Wenn es Ra gelang, sich über den Zaliter Alpertur, der der Vertrauensmann der
Komet der Geheimnisse Con-Treh auf Arkon II war, falsche Papiere zu besorgen, müßte es möglich sein, eine Täuschung in Szene zu setzen. Ra verließ seinen Standort und suchte den weitläufigen Park auf, der sich auf der Rückseite der miteinander verbundenen Trichterhäuser des Zentrums erstreckte. Ra fand rasch Gesprächspartner. Geduldig hörte er sich endlos lang erscheinende Krankengeschichten an, dann fragte er die Patienten behutsam aus. Am Abend dieses Tages hatte Ra umfangreiche Dossiers. Er kannte fast jeden Arzt, seine Schwächen und Stärken, seine medizinischen Fähigkeiten ebenso wie eventuell vorhandene Trunksucht oder eheliche Untreue. Vor allem die weiblichen Patienten zeigten sich erstaunlich gut informiert, wenn es um das Privatleben ihrer Ärzte ging. Nur eines störte Ra beträchtlich. Er hatte so gut wie nichts über die beiden Männer erfahren können, auf die er angesetzt worden war. Es gab noch eine kleine Gruppe anderer Ärzte, die ebenfalls nur dem Namen nach bekannt waren. Das war mehr als verwunderlich. Was trieben diese Männer in dem Gebäude? Ra hatte ohne Mühe auch viel über solche Personen herausfinden können, die normalerweise im Hintergrund blieben. Sogar über einige Verwaltungsangestellte, die kaum mit Patienten zu tun hatten, konnte er einiges berichten – nur über diese Gruppe von Männern nicht. Langsam keimte in Ra der Verdacht auf, daß seine Opfer etwas zu verbergen hatten. Was konnte eine Gruppe von Männern in einem Gebäude treiben, das einen derart hohen Publikumsverkehr aufzuweisen hatte? Die Antwort lag auf der Hand. Diese Männer brauchten eine Absicherung für ihre Besucher, die in einer größeren Menschenmenge weniger auffallen würden. In Gedanken ging Ra die Berufsgruppen durch, die unter solchen Bedingungen arbeiteten. Wenn er zusätzlich berücksichtigte, daß man ihn dazu ausersehen hatte, zwei dieser Männer zu töten, blieb genau betrachtet nur noch eine
23 Möglichkeit – die Männer waren Gegner der Untergrundbewegung, folglich handelte es sich um Angehörige der PO-GIM. Als Ra zu dieser Erkenntnis gekommen war, zog er es vor, sich so schnell wie möglich zu entfernen. POGIM-Männer waren die Letzten, die er zu treffen wünschte.
4. Orbanaschol III. konnte, wenn es für ihn wichtig war, die Freundlichkeit selbst sein. Er mühte sich, liebenswürdig zu sprechen. In diesem Fall hatte er es bitter nötig. Der Imperator plauderte mit Regir da Quertamagin, derzeit Oberhaupt und Führer der berühmten Familie. Die Quertamagins gehörten zu den ältesten und einflußreichsten Geschlechtern des Imperiums, und selbst ein Gewaltherrscher wie Orbanaschol mußte zusehen, das Wohlwollen der uralten Adelsgeschlechter nicht zu verscherzen. Eifersüchtig wachten die Edlen Arkons über ihre Privilegien und Rechte, und der Imperator, der diese ohne triftigen Grund einzuschränken wagte, ging ein großes Risiko für seinen Thron ein. Orbanaschol III. wäre nicht der erste gewesen, der von einer Kamarilla abgesetzt worden wäre. Es gab im großen Imperium der Arkoniden Machtkonstellationen, die von keiner Verfassung erwähnt wurden. Höflingsgeplauder konnte Schlachten entscheiden, Planetensysteme wanderten von einem Besitzer zum anderen, ohne daß offiziell etwas verlautete. Zu den heimlichen Mächtigen, deren Einfluß der Imperator zu fürchten hatte, gehörte auch Regir da Quertamagin. Eigentlich hieß er Ertonh, aber seit er Sippenoberhaupt war, trug er den traditionellen Vornamen Regir. »Es freut mich«, sagte Orbanaschol liebenswürdig, »daß Ihr nun den schmerzlichen Verlust, der Eure Familie getroffen hat, leidlich überwundenhabt!« Regir wußte, daß der Imperator auf das geheimnisvolle Verschwinden der Prinzessin Crysalgira anspielte. Niemand wußte, ob das Mädchen noch lebte, niemand, ob nicht
24 Orbanaschol seine Hände im Spiel gehabt hatte, als die Prinzessin verschwand. Quertamagin war sich allerdings ziemlich sicher, daß Orbanaschol nichts mit dem Verschwinden Crysalgiras zu tun hatte – einen derartigen Übergriff hätte sich selbst der Tyrann nicht erlauben dürfen. »Würde ich über jeden Verlust trauern, der unsere Sippe betrifft«, erklärte Quertamagin, »käme ich zu keiner anderen Arbeit mehr. Ihr wißt, wie groß unsere Familie ist!« Orbanaschol verstand die Andeutung richtig. Er zeigte sein freundlichstes Lächeln, als er fortfuhr: »Ich habe Euch einige Zeit nicht mehr gesehen. Werdet Ihr ebenfalls Gast sein beim Sippenfest der Zoltrals? Ich verspreche mir einige amüsante Überraschungen davon, außerdem würde ich gerne wieder einmal Euren trefflichen Rat in Angelegenheiten des Imperiums einholen. Ihr wißt, wie wichtig Ihr für den Bestand des Reiches seid!« Quertamagin ging dem Imperator nicht auf den Leim. Er wußte zu gut, wie wichtig er und seine Familie waren. Orbanaschols Bauernfängerei verfing bei ihm nicht. »Ich werde kommen«, versprach er. »Es wird sich lohnen«, meinte Orbanaschol. »Wie ich hörte, soll bei dem Fest der Zoltrals eine berühmte Wahrsagerin auftreten. Vielleicht kann sie mir sagen, wie mein künftiges Schicksal aussehen wird!« Quertamagin lächelte gewinnend. »Glänzend«, prophezeite er. »Ihr werdet noch lange der Mann sein, dessen Nähe im Imperium am meisten geschätzt wird!« Das konnte ebensogut bedeuten, daß der Imperator den obersten Platz auf einer Fahndungsliste einnahm, aber Orbanaschol entging der Doppelsinn dieser Worte. Er nickte Regir freundlich zu, dann trennte er die Interkomverbindung. Quertamagin rührte sich nicht. Geistesabwesend starrte er auf den grau gewordenen Bildschirm. »Sie hat es tatsächlich gewagt«, murmelte er. »Diese Wahnsinnige!«
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* »Ich weiß nicht, was ich machen soll«, gestand Ra. »Ich kann doch nicht einfach zwei Menschen ermorden, selbst wenn es sich um Männer der POGIM handelt. Auf der anderen Seite muß ich den Kontakt zur Untergrundbewegung aufrechterhalten. Diese Männer und Frauen sind hervorragend ausgerüstet, bestens bewaffnet und geschult. Eine regelrechte Armee mit Depots, kompletter Logistik, Generalstab und einer guten Truppe hat sich gebildet. Auf diese Unterstützung können wir einfach nicht verzichten!« Auf Etir Bajs Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. Der Con-Treh schüttelte besorgt den Kopf. »Ich traue der Angelegenheit nicht«, sagte er zögernd. »Die Verbindungen unseres Volkes nach Arkon sind eigentlich sehr gut. Wir müßten längst wissen, daß es eine so starke Untergrundarmee gibt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß die POGIM eine so ausgedehnte Organisation nicht längst entdeckt haben soll. Eine geistige Widerstandsbewegung könnte ich mir vorstellen, der Intellektuelle und Oppositionspolitiker angehören, aber dergleichen …« »Daß es diese Armee gibt«, versetzte Ra, »kann nicht bezweifelt werden. Fraglich ist nur, ob wir uns ihr anschließen sollen. Ich überlege mir, wieviel ich verraten darf. Immerhin steht viel auf dem Spiel.« Die beiden Männer waren allein im Haus des reichen Zaliters Alpertur. Der Zaliter ging seinen Geschäften nach. Er hatte viel zu tun, um die Kostbarkeiten, die ihm Bei Etir Baj als Bezahlung für seine Arbeit im Dienste der Con-Treh überlassen hatte. Die Con-Treh wußten genau, was sie von Alpertur zu halten hatten. Der Zaliter war geldgierig und feige, zum Glück überwog die erste Eigenschaft. Wer ihm genügend bezahlte, konnte seiner Dienste sicher sein. Inzwischen hatte der Zaliter allerdings schon soviel für die Con-Treh getan, daß es für ihn
Komet der Geheimnisse kein Zurück mehr gab. Ihm war das passiert, was sich die Untergrundverschwörer für Ra ausgedacht hatten. Es klopfte, und eine halbe Minute später trat Alpertur in den Raum. Die Stirn des Mannes glänzte von Schweiß, obwohl der Raum angenehm kühl war. Alpertur strahlte vor Freude. »Ich habe mehr verdient, als ich dachte«, erklärte er. »Etir Baj, deine Mitbringsel waren außerordentlich wertvoll, ich stehe in deiner Schuld!« Das war ein bloßes Lippenbekenntnis, und das wußte Etir Baj. Dennoch beantwortete er Alperturs Höflichkeit mit einem Lächeln. Der Zaliter ließ sich ächzend in einen Sessel fallen und klatschte in die Hände. Wenig später erschien eines der arkonidischen Mädchen, die Alpertur sich als Hausgehilfinnen hielt, wie es offiziell hieß. In Wirklichkeit unterschied sich dieses Dienstverhältnis nur geringfügig von nackter Sklaverei. »Bring zu trinken!« befahl Alpertur. »Für mich Roten von Zalit. Und ihr?« Ra und Etir Baj zogen alkoholfreie Getränke vor. Während das Mädchen die Wünsche ihres Herrn erfüllte, griff Alpertur die Unterhaltung wieder auf. »Kann ich etwas für euch tun?« erkundigte er sich. Genießerisch kaute er den ersten Schluck Wein. »Braucht ihr Geld?« Etir Baj schickte einen warnenden Blick zu Ra hinüber. Es war nicht ratsam, den Zaliter ins Vertrauen zu ziehen. Beim geringsten Druck würde der Mann alles verraten, was er wußte; je weniger man ihn informierte, desto besser. »Für dich, Etir Baj, habe ich etwas«, fuhr Alpertur fort. »Dank der seltenen Werke, die ich anzubieten hatte, bekam ich zwei Einladungen. Du ahnst nicht, wohin man mich einlud!« »Das Begräbnis Orbanaschols wird es nicht sein«, schätzte Etir Baj. »Sprich, ich habe keine Lust, Rätsel zuraten!« »Zwei Karten für das Sippenfest der Zoltrals!« erklärte Alpertur mit großem Stolz.
25 »Ist das eine Nachricht?« Ra durchforschte schnell sein Gedächtnis nach Informationen. Die Zoltrals waren nebst den Gonozals, Orbanaschols, Quertamagins und anderen die führende Familie. Sie hatten bereits mehrere Imperatoren gestellt und würden auch in Zukunft bei der Vergabe dieser Würde ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben. Daß, Alpertur es geschafft hatte, sich Einlaß in diese Kreise zu verschaffen, sagte über seine Gerissenheit und Geschäftstüchtigkeit viel aus. Ra erinnerte sich allerdings auch, daß es zu solchen Festlichkeiten Einladungen unterschiedlichen Grades gab – man würde den Zaliter sicherlich nicht mit brüderlicher Umarmung empfangen, dies stand nur der absoluten Spitze der Verwandtschaft zu. Weit eher würde er einer unter Zehntausenden sein, die es geschafft hatten, zu diesem glanzvollen Ereignis geladen zu werden, und die üblicherweise von Robotpersonal beköstigt wurden. »Einen von euch beiden kann ich mitnehmen«, sprach Alpertur weiter. »Ra wird wohl kaum eingelassen werden, aber für dich, Etir Baj, wäre dies eine vorzügliche Gelegenheit, mit führenden Persönlichkeiten des Imperiums bekannt zu werden!« »Nimm die Einladung an!« schlug Ra vor. »Ich will mich derweilen um die Untergrundarmee kümmern. Vielleicht fällt mir etwas ein.« Eines der Mädchen betrat leise den Raum und übergab dem Zaliter einen versiegelten Brief. Hastig öffnete der Mann das Schreiben und las die kurze Nachricht. Ra sah, wie er erbleichte. »Bei allen Sternenteufeln!« schimpfte der Zaliter. »Ich bin Desto hlen worden!« »Bestohlen?« wiederholte Etir Baj. »Am hellichten Tage!« jammerte Alpertur. »Unbekannte sind in eines meiner Lager eingedrungen und haben Waren im Werte von Millionen mitgehen lassen. Ich kann es kaum fassen.« »Hoffentlich bist du versichert«, meinte Ra leichthin.
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Alpertur stöhnte gequält auf. »Natürlich bin ich versichert«, seufzte er. »Aber … es gab in diesem Lager Waren, die sehr kostbar waren und der Versicherung und einigen staatlichen Behörden verborgen bleiben mußten!« »Schmuggelware also«, stellte Etir Baj fest. »Wie war die Ware beschaffen, hinterläßt sie Spuren?« Alpertur schüttelte traurig den Kopf. »Die Polizei wird nichts mehr finden«, beteuerte er. »Alles hat sich buchstäblich in Rauch aufgelöst!« Ra atmete erleichtert auf. Es wäre fatal geworden, wäre die Polizei dem geschäftstüchtigen Zaliter auf die Spur gekommen. Wer von den Behörden einmal verdächtigt wurde, mußte ein extrem reines Gewissen haben, wenn er sich nicht ärgste Schwierigkeiten auf den Hals laden wollte. »Ist der Verlust groß?« wollte Etir Baj wissen. »Ziemlich«, seufzte Alpertur. »Aber ich werde deswegen kein armer Mann werden. Ich möchte nur wissen, wer im Imperium sich ausgerechnet für solche Waren interessiert. Dahinter steckt eine gutinformierte Bande, die auch entsprechende Hehler hat. Vielleicht wird man auch versuchen, die Waren an mich zurückzuverkaufen!« Unwillkürlich dachte Ra an seine neuen Freunde, aber eine politische Widerstandsorganisation würde wohl kaum Diebstähle in diesem Ausmaß begehen. Ra entschloß sich, den Auftrag abzulehnen. Er nahm sich vor, eines der Verstecke der Gruppe aufzusuchen und zu erklären, daß er zu solchen Taten nicht bereit sei. Vielleicht bestand der eigentliche Test gerade in diesem Problem, ob er bereit war, für die Erreichung der angestrebten Ziele nötigenfalls auch über die Leichen Unbeteiligter zu gehen.
* Perytlth knirschte mit den Zähnen. In den letzten Tagen waren die Schmerzen fast un-
erträglich geworden. In langen Jahren hatte er gelernt, seine Schmerzen weitgehend zu unterdrücken, aber nun zeichnete sich für den Krüppel ein Ende seiner Leiden ab. Um so ärger wurden daher seine Schmerzen in der Zeit, die bis zur endgültigen Heilung noch verstreichen mußte. Der Krüppel hatte seine Routine verlassen. Seit Tagen schon hielt er sich nicht mehr an seinen bekannten Fahrplan. Dies wurde allgemein als erstes Anzeichen für sein Ende angesehen. Perytlth hatte sich entsprechende Papiere beschafft und trieb sich nun als Leitungsinspektor in der Unterwelt von Arkon II herum. Er hatte sich darangemacht, jeden noch so unbedeutenden Winkel dieses Labyrinths auszukundschaften. Irgendwann mußte er nach seiner Ansicht auf eine Spur des Fremden stoßen, den er seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Da der Trick mit dem Infrarotmarkierer nicht funktioniert hatte, wußte er nicht, wo er nach Ra zu suchen hatte, aber er besaß den festen Glauben, daß er ihn im Untergrund finden würde. Perytlth hatte einen Knotenpunkt erreicht. Welche Leitungen sich dort kreuzten, verbanden und wieder auseinanderliefen, kümmerte ihn nicht. Er hätte wenigstens eine Woche gebraucht, um sich die vielen Farben, Kennzeichen und anderen Markierungen zu merken, an denen die einzelnen Leitungen voneinander zu unterscheiden waren. Seine ganze Aufgabe bestand offiziell darin, die Leitungen abzufahren und lecke Stellen zu melden. Sein Lohn war mehr als bescheiden; Perytlth hatte die Stellung erst dann bekommen, als seine Gehaltsforderung unter den laufenden Unkosten eines Wartungsrobots lag. »Es kommt mir nicht auf die Bezahlung an«, hatte Perytlth vor dem Inspektor behauptet. »Ich möchte nur etwas tun, was der Gemeinschaft nützt. Es würde mein Selbstwertgefühl außerordentlich heben!« Glatzköpfiger Laffe, hatte der Krüppel gedacht, als er diesen Text aufgesagt hatte. Für das mitleidige Lächeln des Beamten hätte
Komet der Geheimnisse Perytlth den Mann am liebsten geohrfeigt. Immerhin, er hatte die Stelle bekommen. Es war still in dem Bereich der Stadt, den nur selten ein Mensch zu sehen bekam. Irgendwelche Flüssigkeiten strömten mit leisem Geräusch durch dick ummantelte Rohre. Zwischen stromführenden Leitungen sprangen ab und zu kleine Entladungen knisternd hin und her. Umformerbänke summten schwach. Eines der lautesten Geräusche war das Schlagen von Pery tlths Herz. Perytlth hatte sich gesagt, daß er an der Stelle der Verschwörer die Verstecke ziemlich tief unter der Oberfläche anlegen würde. Eine dicke Schicht Erdreich, durchsetzt von Kabeln, Leitungen und Hohlräumen, bot einen nahezu perfekten Schutz vor Beobachtung durch Meßgeräte. Allein die Umformerbänke gaben eine Streustrahlung ab, die jedes Meßgerät irreführen mußte. Daher bewegte sich der Krüppel auf der untersten Sohle seines Arbeitsgebiets. Nach seiner Schätzung war hier seit etlichen Generationen kein Mensch mehr gegangen. Der Boden war knöchelhoch mit Staub bedeckt. Vereinzelte Fußspuren zeigten, daß es dennoch in dieser kalten, von der Technik beherrschten Welt Leben gab. Vermutlich huschten ab und zu kleinere Nager durch die Gänge. Erstaunlich war, daß überall Licht brannte, auch die Belüftung funktionierte einwandfrei. Unter anderen Bedingungen hätte sich Perytlth nicht in diesen Bereich der Arkon-Unterwelt gewagt. Perytlth erreichte einen Antigravschacht. Die Kontrollampen brannten, folglich konnte der Schacht benutzt werden. Amüsiert stellte Perytlth fest, daß ein offenbar recht zerstreuter Techniker sogar den Schachtboden mit einer Schaltanlage versehen hatte, mit der zwei Bewegungsrichtungen gewählt werden konnten. Perytlth schwebte langsam näher und starrte in die Höhe. Unter ihm lag der dicke Beton des Schachtbodens, das obere Ende der langen vertikalen Röhre war nicht zu sehen. Das Antigravfeld war nicht eingeschaltet; ein
27 Handgriff genügte, um es zu aktivieren. Es hatte vor langer Zeit, als die ersten Schächte eingeführt worden waren, Kritiker gegeben, die behauptet hatten, solche Beförderungsmittel seien nur für Spitzenathleten und Kunstturner geeignet, aber schon nach einigen Jahren hatte sich gezeigt, daß das Gegenteil der Fall war. Die Röhre, in deren Höhlung Perytlth sich befand, war für wenige Personen bestimmt. Ein Schalterdruck bestimmte die Richtung des sehr schwachen Schwerefelds, mit dem der Flug des Benutzers stabilisiert wurde. Größere Schächte hatten jeweils einen Einstieg und einen Ausstieg, die einander genau gegenüberlagen. Wer einen solchen Schacht benutzen wollte, trat an den Rand und machte einfach einen Schritt nach vorne. Mit der Rechten wurde dann eine der zahlreichen Haltestangen gefaßt, die an den Wänden des Schachtes entlangliefen. Der Benutzer konnte nun mit einer einfachen Handbewegung den freischwebenden Körper in Bewegung setzen, nach Wunsch aufwärts oder abwärts. Die unvermeidlichen Abweichungen von der geraden Linie wurden mit der Hand abgefangen und korrigiert, die wie ein Ring über die Haltestange glitt. Natürlich gehörte ein wenig Übung dazu, aber selbst Kinder konnten sich schon nach kurzer Zeit sicher in Antigravschächten bewegen. Während des Fluges wurde die Haltestange gewechselt, bis der Benutzer an der Ausstiegseite angelangt war. Zum Ausstieg selbst genügte eine einfache Handbewegung, die den Benutzer mit sanftem Schwung aus dem Bereich der Schwerkraftaufhebung beförderte. Zwar setzte am Ausstieg schlagartig wieder die normale Anziehungskraft des Planeten ein, aber der »Fall« des Schachtbenutzers führte nur in seltenen Fällen über mehr als zehn Zentimeter. Selbst Krüppel konnten solche Anlagen ohne besondere Schwierigkeiten benutzen. Das einzige, noch immer ungelöste Problem der Antigravtechnik war weniger technischer als pädagogischer Natur. Eltern hatten immer wieder größere Schwierigkeiten,
28 ihre antigravbegeisterte Nachkommenschaft davon zu überzeugen, daß man nicht einfach in jedes tiefe Loch hinunterspringen durfte. Perytlth lächelte bitter, als er an die Zeiten zurückdachte, da er ein kleiner Junge gewesen war, der stundenlang in großen und kleinen Antigravschächten auf- und abgefahren war. Plötzlich stutzte der Mann. »Wer ist hier der Dummkopf?« murmelte er nachdenklich. »Ich oder der Techniker?« Perytlth hatte schon viele Schächte gesehen, aber noch nie einen, bei dem man auch an den Enden die Auswahl zwischen zwei Bewegungsrichtungen hatte. War dies am Ende vielleicht gar kein Zufall oder Versehen, überlegte sich der Krüppel. Perytlth verließ den Schacht und schwebte zur Schalttafel. Es klickte leise, als er die Bewegungsrichtung Abwärts einstellte. Perytlth grinste zufrieden. Langsam bewegte sich der Betonboden des Antigravschachts zur Seite. Eine Öffnung entstand, aus der Licht in die Höhe strahlte. Perytlth zögerte ein wenig, dann ließ er sein Krankenfahrzeug entschlossen vorwärtsgleiten. Langsam schwebte er in die Tiefe. Wieder knackte es leise, und Perytlth sah die kleine Fotozelle an der Wand, die einer Schaltung mitgeteilt hatte, daß ein Körper vorbeigeschwebt war. Wenige Sekunden später war der Antigravschacht wieder verschlossen. »Ein raffinierter Trick!« stellte Perytlth anerkennend fest. Er faßte seine Dienstwaffe fester, obwohl der Strahler nur zur Abwehr von kleineren Tieren gedacht war. Einen Menschen konnte man damit zwar ebenfalls verletzen, aber selbst die kleinsten Schirmfeldgeneratoren boten vor dem Strahl einen ausreichenden Schutz. Dennoch fühlte sich Perytlth mit der Hand in der Waffe sicherer. Leise und vorsichtig bewegte sich Perytlth weiter, und mit jedem Meter, den er zurücklegte, wuchs seine Angst. Perytlth war auf ein Warenlager gestoßen, auf eine Lagerhalle ganz besonderer Art.
Peter Terrid Der Krüppel wußte sehr bald, daß dies kein geheimes Lager der Regierung für Notfälle sein konnte. In solchen Arsenalen wurden für gewöhnlich keine Kunstwerke aufgestapelt, die zudem in den letzten Jahren bei spektakulären Raubzügen und Einbrüchen verschwunden waren. Und angesichts der bedrohlichen Lage des Imperiums im Methankrieg war es kaum anzunehmen, daß man so leichtsinnig sein würde, etliche tausend Zweihandstrahler einzulagern, die an den Fronten bitter nötig gebraucht wurden. Nach einer halben Stunde hatte Perytlth genug gesehen. Er sagte sich, daß jede weitere Minute, die er sich in diesem Arsenal aufhielt, für ihn zum Verhängnis werden konnte. Hastig zog sich Perytlth zurück, im stillen hoffend, daß keine Person dieses Lager überwachte und auch kein Atomat sein Auftauchen registriert hatte. Der Krüppel atmete erst dann freier, als er sich mehrere Kilometer vom Einstieg in das Lager entfernt hatte. Während er scheinbar eifrig Leitungen kontrollierte, begann er seine Lage genau zu durchdenken. Perytlth hatte mehrere Möglichkeiten. Er konnte das Lager an die Kriminalpolizei verraten. In diesem Fall hätten ihm die atemberaubend hohen Belohnungen gehört, die auf die Wiederbeschaffung vieler verschwundener Kunstwerke ausgesetzt waren. Fraglich war zweierlei: Wieviel von diesen Beträgen würde in den Taschen von Polizisten verschwinden, und wer garantierte ihm, daß eine derart erfolgreiche Verbrecherbande nicht auch gute Beziehungen zur Polizei hatte. Unter Umständen war gerade der Beamte, dem Perytlth sein Geheimnis anvertraute, ein Helfershelfer der Bande. Diese Gefahr war nicht von der Hand zu weisen. Perytlth hätte die Angelegenheit vergessen können. Wer aber gab ihm die Sicherheit, daß sein Eindringen in das unterirdische Arsenal nicht beobachtet worden war? Es war denkbar, daß der Besitzer der Waren schon jetzt einen Trupp zusammenstellte, der dem Neugierigen das Spionieren für alle Zeiten verleiden sollte.
Komet der Geheimnisse War er nicht beobachtet worden, dann hätte Perytlth sich an den Schätzen der unterirdischen Halle bedienen können. Angesichts der dort gestapelten Mengen wäre der Verlust von einigen kleineren Vermögen kaum aufgefallen. Perytlths Überlegungen nahmen nicht viel Zeit in Anspruch. Die Gefahr war nicht von der Hand zu weisen, daß irgendein verstecktes Aufnahmegerät sein Eindringen aufgezeichnet hatte. Da sich Perytlth ausrechnen konnte, welche Konsequenzen daraus erwachsen würden, gab es für ihn nur eine Möglichkeit. »Das wird Glahrn nicht gern hören«, erklärte das Mädchen Themar kopfschüttelnd. Wer sie nicht kannte, hätte fast glauben können, daß sie tatsächlich Mitleid mit dem Barbaren empfand. Aber Ra wußte inzwischen ziemlich genau, was er von der jungen Frau zu halten hatte. Sie unterschied sich in ihrer Skrupellosigkeit und Brutalität nur unwesentlich von ihrem Vorgesetzten. »Du weigerst dich also, den Auftrag auszuführen?« erkundigte sich Themar noch einmal. »Weißt du, welche Konsequenzen das für dich haben wird?« Ra zuckte mit den Schultern. Er bemühte sich, ein gleichgültiges Gesicht zu machen, obwohl er sich zu fürchten begann. Langsam dämmerte Ra, daß irgend etwas mit diesen Männern und Frauen nicht stimmen konnte. »Glahrn wird in wenigen Augenblicken hier eintreffen«, verkündete das Mädchen. »Noch kannst du dir deine Entscheidung überlegen.« Sie lächelte Ra an und fuhr halblaut fort: »Es täte mir leid um dich, Ra!« Dieser Beweis von Zuneigung würde Ra sehr wenig helfen, wenn es ihm an den Kragen ging, und das wußte der Barbar sehr genau. Und er ahnte auch, daß die Lage ernst war. Eine Tür wurde geöffnet, Glahrn trat in den Raum. Er sah Ra finster an. Instinktiv wanderte Ras Blick zum Gürtel des Mannes. Glahrn war bewaffnet, aber er
29 hatte sich – vermutlich aus Eitelkeit – ein Schmuckhalfter zugelegt. Bis er die Waffe in Anschlag gebracht haben würde, hätte er Sekunden gebraucht, eine sehr kurze Zeitspanne nur, aber für einen Kämpfer von der Reaktionsschnelligkeit des Barbaren reichte es. Themar war unbewaffnet, während Ra noch sein Messer im Gürtel trug. »Du weigerst dich?« lautete Glahrns knappe Frage. »Allerdings!« gab Ra ebenso kurzangebunden zurück. »Es ist dein Wille und dein Tod!« stellte Glahrn fest. »Du wirst noch ein wenig Zeit haben, um dich mit deinen Gottheiten zu arrangieren, dann wirst du getötet!« Ra spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. Die Eiseskälte, mit der Glahrn sein Todesurteil verkündete, hatte etwas Erschreckendes an sich. »Muß das sein?« fragte das Mädchen. Ra registrierte erstaunt, daß sie offenbar tatsächlich etwas für ihn übrig hatte. »Es muß doch auch andere Möglichkeiten geben!« Glahrn schüttelte ruhig den Kopf. »Er gefährdet unsere Sicherheit, und Sicherheitsrisiken können wir uns nicht leisten. Du weißt, was für uns auf dem Spiel steht. Willst du seinetwegen den Konverter riskieren?« Der Mann sprach völlig ruhig, als handle es sich um die Lösung eines mathematischen Problems. Die Person seines Opfers schien ihm völlig nebensächlich zu sein, wichtig war nur, daß die Organisation ungefährdet arbeiten konnte. Wahrscheinlich hätte er mit der gleichen Ruhe auch Familienangehörige geopfert. Themar biß sich auf die Lippen. Sie sah Glahrns forschenden Blick auf sich ruhen und lächelte verzerrt. In diesem Augenblick wußte Ra genau, was das Mädchen dachte. Sie mußte spüren, daß Glahrn auch sie ohne Zögern opfern würde, wenn es ihm geboten erschien. Und diese Notwendigkeit konnte schon dann gegeben sein, wenn zu befürchten stand, daß Themar private Neigungen über ihre Pflichten gegen die Organisation
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Peter Terrid
stellte. »Du hast recht!« sagte das Mädchen schließlich; der schnelle Blick in Ras Richtung blieb von Glahrn unbemerkt. »Wir müssen ihn opfern!« Im Gesicht des Mannes zuckte kein Muskel. »Ich werde einen der Männer herschicken, damit er Ra bewacht«, erklärte Glahrn kalt. »Es wird besser sein, wenn du dich entfernst!« Themar nickte zögernd. Sie wollte gerade den Raum verlassen, als ein gellendes Pfeifen sie und Glahrn zusammenzucken ließ. Ra sah, wie Glahrns Gesicht fast blutleer wurde. Der Mann kümmerte sich nicht mehr um Ra. Mit einem Handgriff riß er einen Hebel herunter, eine Tür öffnete sich, die zu einem Raum führte, der mit technischem Gerät vollgestopft war. Ra erkannte, daß es sich um die Zentrale dieser künstlichen Unterwelt handeln mußte. Hastig aktivierte Glahrn ein Dutzend Geräte, und nach kurzer Zeit zeigten ihm die Monitoren, wie es um ihn stand. »Von allen Seiten!« stellte der Mann fest; das Mädchen neben ihm war blaß geworden. »Irgend jemand muß der Polizei einen Tip gegeben haben!« »Alles verloren?« fragte Themar ängstlich. Glahrn zuckte mit den Schultern und gab ruhig zurück: »Wir werden es überleben. Noch besteht Hoffnung, daß wenigstens wir uns absetzen können!« Glahrn drehte sich herum und stieß einen Fluch aus. Ra war verschwunden.
5. Der Barbar verspürte keine Lust, in engeren Kontakt zur arkonidischen Polizei zu geraten, und er hatte den kurzen Augenblick genutzt, in dem sich die Aufmerksamkeit seiner Bewacher wichtigeren Dingen zuge-
wandt hatte. Sobald er den Raum verlassen hatte, begann Ra zu laufen. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wohin der Gang führte, aber er lief dennoch. Ra wollte versuchen, sich irgendwie zur Oberfläche durchzuschlagen, wie genau das vonstatten gehen sollte, war ihm unklar. Ra wußte, daß er in ebensogroßer Gefahr schwebte wie die Gangsterbande, der dieses Versteck gehörte. Jetzt war ihm endgültig klar, daß er es nicht mit einer politischen Widerstandsorganisation zu tun gehabt hatte, sondern mit einer Bande ausgekochter Verbrecher. Wahrscheinlich hatten sie die naiven Regimegegner um Sarat Tohl für ihre Zwecke eingespannt. Ra fand einen Antigravschacht. Ohne sich darum zu kümmern, in welche Richtung er transportiert werden würde, stürzte sich Ra in die Öffnung. Ein Feld trug ihn langsam in die Höhe. In regelmäßigen Abständen waren Leuchtkörper in die Wandungen des Schachtes eingelassen. Ra zerstörte sie kurzerhand mit dem Messer. Viel würde dies nicht helfen, aber Sekunden konnten unter Umständen entscheiden, wenn man ihn entdeckte. Zum Glück wußten Etir Baj und Alpertur, wo Ra sich herumtrieb; die genauen Daten hatte Ra allerdings nur seinem Freund Etir Baj anvertraut. Ra schätzte, daß er mehr als hundert Meter an Höhe gewonnen hatte, als eine Ausstiegsöffnung sichtbar wurde. In dem Rahmen stand ein Bewaffneter und zielte auf den Kopf des Barbaren. »Ich warne dich!« rief der Mann zu Ra hinunter. »Eine falsche Bewegung, und ich werde abdrücken! Nimm die Hände in die Höhe und komm langsam näher!« »Ohne die Hände zu benutzen, kann ich den Schacht nicht verlassen!« stellte Ra fest und grinste den Mann an. »Habt ihr schon Erfolge erzielen können?« Der Mann stutzte. Verwirrt suchte er an Ras Körper nach irgendeinem Zeichen, das etwas über seine Identität hätte aussagen können. Ra beschloß, seine Rolle als Polizist
Komet der Geheimnisse im Sondereinsatz weiterzuspielen. »Unten liegen zehn Männer«, erzählte er unbefangen, während er allmählich dem Ausstieg immer näher kam. »Fünf andere sind mir leider entwischt, aber die werden wir auch noch stellen können. Wie sieht es oben aus, sind die Ausgänge besetzt?« Ra schwang sich geschickt aus dem Schacht und deutete lässig einen Gruß an. Es war kennzeichnend für den Drill bei der arkonidischen Polizei, daß der Mann sofort zusammenzuckte und den Gruß in aller Form erwiderte. Auf diese Gelegenheit hatte Ra gewartet. Die Faust des Barbaren, die noch immer das Messer umklammert hielt, bohrte sich mit Wucht in die Herzgrube des Beamten. Der Mann riß den Mund auf und schnappte nach Luft, seine Waffe ruckte in die Höhe, aber bevor der Mann abzudrücken vermochte, verlor er die Besinnung. Langsam sackte der Polizist in sich zusammen. Ra sah auf den bewußtlosen Mann hinunter und kratzte sich hinter dem rechten Ohr. »Meine Größe hat er ja«, murmelte Ra. Wenn das Gewebe dehnbar war, hätte Ra die Kleidung des Polizisten als Tarnung benutzen können, obwohl der Beamte in den Schultern erheblich schmaler war als der stämmige Ra. Aber der Mann war Arkonide, und Ra wußte nicht, ob er in der Uniform mit seinen dunklen Haaren nicht noch wesentlich auffälliger wirkte als in normaler Kleidung. Ra zögerte nur kurze Zeit, dann hatte er sich entschieden. Zwei Minuten später stürmte der in dieser Zeit erschaffene Sonderagent der Spezialabteilung VI weiter. Ra war der Ansicht, daß ein raffinierter Angriff die beste Form der Verteidigung sei, und deshalb verhielt er sich seiner Rolle gemäß. Auf einem der Gänge begegneten ihm zwei Beamte, die auf Ras scharfes Kommando hin sofort folgsam wurden und sich ihm unterstellten. Ra grinste zufrieden, während er weiter in das Innere der Verbrecheranlage eindrang. Ra wußte annähernd, wo er Glahrn und das Mädchen Themar zu suchen hatte, und der
31 Begleitschutz, den ihm seine beiden Untergebenen verschafften, schützte ihn wirkungsvoll vor lästigen Fragern. Die Gangster setzten sich erbittert zur Wehr. Mehr als ein Beamter der Einsatzpolizei wurde verletzt, einige sogar getötet. Immerhin konnte Ra feststellen, daß die Polizisten sich nach Kräften bemühten, die Gangster lebend zu fangen; nur in Einzelfällen rächten sich die Beamten an den Gefangenen für den Tod eines Kollegen. »Aufgepaßt!« schrie eine Stimme. »Sie setzen Roboter ein!« Ra knirschte mit den Zähnen. Natürlich konnte man auch bewaffnete Robots ausschalten, aber das erforderte entweder eigene Kampfrobots oder aber einen ziemlich rücksichtslosen Einsatz von Menschen. Ra war sich nicht ganz sicher, ob die Offiziere solange warten würden, bis Polizeirobots auf dem Kampffeld auftauchen konnten. »Vorwärts, Männer!« gab ein Unbekannter Befehl. »Kämpft die Maschinen nieder!« »Die Sternenpest soll ihn holen!« zischte ein Mann hinter Ra. »Dem Burschen ist es völlig egal, ob wir das überleben oder nicht. Ihm kommt es nur darauf an, für die Gefangennahme von vielen kleinen Gangstern belobigt zu werden!« Zum Glück für die Männer handelte es sich bei den Kampfmaschinen der Gangster um veraltete Modelle, deren Reaktionsschnelligkeit durch umständliche Gelenkkonstruktionen beeinträchtigt wurde. Gefährlich aber waren sie dennoch, das bewies der gellende Schrei eines getroffenen Beamten. Ra zielte schnell und sorgfältig. Der Strahlschuß traf einen der Robots am Kopf und setzte seine Sehfähigkeit auf fast Null herab. Zwei andere Robots, darauf programmiert, auch das eigene positronische Leben zu schützen, sahen sich durch den wie besessen herumschießenden Gefährten bedroht und ließen ihn in einem Schußhagel zu einem weißglühenden Metallhaufen zusammenschmelzen. Ein widerlicher Gestank nach verbrann-
32 tem Metall hing in der Luft, die von den Schüssen aufgeheizt wurde, bis sich Ras Haare an den Spitzen zu kräuseln begannen. Fetter schwarzer Qualm zog durch die Gänge, legte sich auf die Lungen und machte das Atmen schwer und schmerzhaft. »Vorwärts, Männer!« schrie der Offizier wieder. Er mußte sich in sicherer Deckung aufhalten, anders war die Klarheit seiner Stimme nicht zu erklären. Und seine Männer gehorchten, sie stürmten auf die Robots ein. Das Zischen und Krachen der Schüsse erfüllte die Luft, Schreie gellten, und immer wieder explodierten zusammengeschossene Robots. »Mir nach!« befahl Ra, ohne sich darum zu kümmern, ob dieser Befehl üblich war. Die erstaunten Blicke seiner Untergebenen zeigten, daß Offiziere normalerweise erst einmal ihre Männer vorschickten, bevor sie sich selbst in brenzlige Situationen begaben. Ra rannte vorwärts, seine Männer folgten ohne Zögern. Ein Robot stellte sich ihnen in den Weg und flog nach einer Serie von Schüssen donnernd auseinander. Ra warf sich gerade noch rechtzeitig zur Seite, einen Augenblick später schlug der weggerissene Kopf eines Robots gegen die Wand und fegte eine Handvoll Gesteinssplitter durch den Gang. Einer der Männer stöhnte unterdrückt auf, ein Splitter hatte ihn am Arm getroffen. Ra hatte lange und intensiv den Umgang mit hochmodernen Schußwaffen geübt, dementsprechend gut waren seine Schießleistungen. In Situationen wie dieser verließ sich der Barbar voll und ganz auf seine Instinkte, die ihn Gefahren fast hellseherisch vorherahnen ließen. Noch bevor der Körper des Robots seine Deckung vollständig verlassen hatte, schlug der Maschine bereits der Waffenstrahl des Barbaren entgegen. »Beeilt euch!« rief Ra den beiden Männern zu, die seinem Sturmlauf folgten. »Je mehr wir rennen, desto schwieriger sind wir zu treffen!« Ra wußte sehr wohl, daß dies nur für Menschen galt. Robots pflegten die Bewe-
Peter Terrid gungen von Zielen auf Zentimeter genau vorher zu kalkulieren und trafen entsprechend exakt. Ra atmete schnell und krampfhaft. Die Luft war fast unerträglich heiß und stickig geworden. Die Minuten schienen sich wie zähflüssige Schmiermasse in die Länge ziehen zu wollen. Die Männer verloren fast zur Gänze ihre Beziehung zu dem, was in ihrer Nähe vorging. Sie rannten und schossen wie Automaten, warfen sich blindlings hin, um Schüssen auszuweichen, sprangen wieder auf und setzten den Angriff fort. Ra brauchte mehrere Sekunden, bis er begriff, daß der Kampf ein Ende hatte, zumindest was ihn anging. Kein Widerstand war mehr festzustellen. »Wir haben ihre Linien durchbrochen!« keuchte einer der Polizisten mühsam. Sein Gesicht war von Rauch geschwärzt, über das Gesicht lief ein schmaler Streifen frischen Blutes. »Wohin jetzt?« »Weiter!« bestimmte Ra. Er hatte sich inzwischen erinnert und wußte nun halbwegs genau, wo er sich befand. Im Rücken der drei Männer wurde der Kampflärm lauter. Von irgendwoher kamen zwei Männer angerannt, die keine Zeit mehr fanden, die Waffen zu verwenden. Zwei gezielte Paralysatorschüsse ließen sie zusammenbrechen. Ra führte seine kleine Armee an. Viel hatte er nicht in Erfahrung bringen können, aber er hatte eine annähernde Kenntnis, wie dieses Labyrinth angelegt war. Und er wußte auch, daß es einen bestimmten Bereich dieser unterirdischen Welt gab, der von den vielen Beobachtungsgeräten nicht erfaßt wurde. Wenn es für die Köpfe der Verbrecherorganisationen einen Fluchtweg selbst für diese extreme Notlage gab, dann mußte sie in diesem Bezirk zu suchen sein. Unterwegs passierte der Trupp ein Waffenlager. Deutlich war zu sehen, wie sehr der Angriff der Polizei die Gangster überrascht hatte. In wilden Haufen lagen die Waffen verstreut, jeder hatte sich offenbar das erste gegriffen, was ihm unter die Finger
Komet der Geheimnisse geraten war. »Thermitladungen!« freute sich Ra. »Ich glaube, wir werden sie gut brauchen können!« Er stopfte sich die Taschen mit den Hitzeladungen voll. Seine Begleiter sahen ihn verwundert an, dann begriffen sie, daß es letztlich unwichtig war, ob eine oder hundert Ladungen durch Zufall oder Unvorsichtigkeit detonierten. Wer nur einige Meter vom Detonationszentrum entfernt war, wurde in jedem Fall in ein Häufchen Asche verwandelt. Die nächsten Räume waren menschenleer. Offenbar leisteten die Gangster der Polizei einen erbitterten Widerstand – schließlich ging es in den meisten Fällen um das Leben der Verbrecher, auf die der Konverter oder – vielleicht noch schlimmer – das Straflager wartete. Die Männer kämpften mit der wilden Entschlossenheit von Todeskandidaten. Endlich erreichte Ra eine Tür, die mit hellroter Farbe gekennzeichnet war. Besondere Sicherheiten schien es nicht zu geben, aber Ra hatte als * Kampfgefährte des Kristallprinzen breite Erfahrung im Umgang mit unverdächtigen Eingängen und Räumen. Er war auf jede Teufelei vorbereitet. Zwei Thermitladungen wurden an der Tür befestigt, dann rannten die Männer rasch zurück. Hinter ihnen brach wenige Sekunden später die Hölle los. Millionen von Kalorien, auf engstem Raum geballt, ließen die stählerne Tür verdampfen und das umgebende Gestein in breiten Bächen herabfließen. Der Boden erbebte unter der Wucht der Explosion, und die drei Männer schnappten wie an Land geworfene Fische nach Luft, als die Hitzewelle an ihnen vorbeifegte. Ein Mitglied der Verbrecherbande, das den bedrängten Freunden zu Hilfe eilen wollte, wurde durch die Hitzewelle von den Beinen gerissen und über den Boden gefegt. Der Vormarsch zu der zerstörten Tür war eine Tortur, aber Ra wußte, daß er sich nicht viel Zeit lassen durfte, wenn er noch eine der führenden Persönlichkeiten der Bande zu fassen bekommen wollte. Daß er sich
33 wieder einmal zu Recht auf seinen Instinkt verlassen hatte, wurde unwiderleglich klar, als er die Tür erreicht hatte. Die Herren der Unterwelt von Arkon II nahmen wenig Rücksicht auf ihre Kumpane, wenn es ihnen an den Kragen ging. Hinter der Tür hatte man eine Selbstschußanlage eingebaut, die entsichert und einsatzbereit war. Wer immer die Tür zu öffnen wagte, wurde von einer Salve aus miteinander gekoppelten Handstrahlern im Bruchteil einer Sekunde atomisiert. Von der mörderischen Falle war nicht mehr viel zu sehen. Was die Thermitbomben nicht zerfetzt hatten, war zerstört worden, als die Magazine der Waffen hochgegangen waren. Nur annähernd ließ sich der Verwendungszweck der Konstruktion anhand der Überreste erraten. Ra paßte höllisch auf, als er den Raum betrat. An vielen Stellen war der Boden mit noch zähflüssigem, geschmolzenem Metall bedeckt, und vor solchen Temperaturen schützten auch die Raumfahrerstiefel nicht, die die Männer an den Füßen trugen. Es galt, sehr sorgfältig die wenigen Stellen zu finden, an denen man den Fuß ohne Gefahr auf den Boden setzen konnte. Es war nicht jedermanns Sache, sich auf diese Weise fortzubewegen, aber die beiden Polizisten zögerten keine Sekunde, nachdem Ra ihnen vorangegangen war. Aus eigenem Antrieb hätten die Männer es wahrscheinlich vorgezogen, den weiteren Fortgang der Ereignisse in Ruhe abzuwarten. Ra hatte das sichere Gefühl, daß mit der Selbstschußanlage das Repertoire seiner Gegner noch lange nicht erschöpft war, und Ra irrte sich nicht. Nur seinen hervorragenden Reflexen verdankte er sein Leben. Sie ließen ihn blitzschnell nach hinten kippen, als er den scheinbar soliden Boden des Ganges unter seinen Füßen wegsacken spürte. Schnell packten die beiden Polizisten zu und zerrten Ra zurück, kurz bevor der Barbar endgültig abrutschen konnte. Ra holte tief Luft.
34 »Danke!« sagte er ächzend. »Das war verteufelt knapp!« Im Boden des Ganges klaffte ein kreisrundes, mehr als vier Meter durchmessendes Loch. Ra hatte es im Fallen gerade noch geschafft, eine halbe Drehung auszuführen und mit einer Hand die Kante zu fassen bekommen. Lange hätte er sich so nicht halten können, aber die Polizisten hatten schnell und richtig reagiert. Langsam richtete sich Ra wieder auf. »Ich verspeise meine Uniform«, brummte er, »wenn diese Falle damit erledigt wäre!« Er zog eine Thermitbombe aus dem Gürtel, zog den Sicherungsstift und ließ den Sprengkörper über den Boden rollen. Im gleichen Augenblick, in dem die Bombe über den Boden des Loches fiel, zuckte aus der Tiefe eine Strahlensalve in die Höhe. Ob noch weitere Schüsse fielen, konnten die Männer nicht bestimmen, denn wenige Augenblicke später stieß die detonierende Thermitbombe eine rötliche Qualmsäule in die Höhe. Ra grinste, als er die käsigen Gesichter seiner Begleiter sah. Die Männer waren keineswegs feige, aber soviel infame Heimtücke ging über ihr Begriffsvermögen. Ohne Ra wären sie vermutlich abgestürzt, aber selbst wenn sie dieser Falle entgangen wären, hätten sie zweifellos versucht, das Loch zu überspringen. Dabei wären sie von den am Boden des Loches fest eingebauten Strahlern mit Sicherheit getroffen worden. Was die Waffen nicht erreichen konnten, mußte von dieser Überraschung zumindest so irritiert werden, daß er in das Loch stürzte. Was dort auf die unglücklichen Opfer dieser Falle wartete, war nur noch in Bruchstücken zu erkennen. Ra vermutete, daß die Metallteile, die aus der Wand des Schachtes ragten, vor der Detonation der Thermitbombe einmal ein scharfkantiges Gitter gebildet hatten. Selbst Robots hätten wenig Chancen gehabt, den Aufprall auf die messerscharfen Stahlkanten zu überstehen. »Wer sind diese Menschen?« fragte einer
Peter Terrid der Beamten bleich. Vorsichtig robbte er zurück und stand langsam wieder aus seiner liegenden Haltung auf. Für die beiden Polizisten war die Falle satanisch genug, aber Ras Mißtrauen war noch immer nicht befriedigt. Er richtete seinen Strahler auf die gegenüberliegende Wand und gab einen ungezielten Schuß ab. Die Beamten schrien überrascht auf, während Ra den Strahler zurücksteckte und zufrieden nickte. Er hatte mit derlei gerechnet. Der Gang, der auf der anderen Seite des Loches seine Fortsetzung hatte, endete in Wirklichkeit hart am Rande des Schachts. Die Fortsetzung war nichts weiter als eine raffinierte Täuschung, wahrscheinlich durch ein kompliziertes System von Spiegeln und Linsen hervorgerufen. »Unfaßbar!« stöhnte einer der Polizisten auf. »Richtig!« murmelte Ra. »Aber wo geht es jetzt tatsächlich weiter?« Den beiden Polizisten war anzusehen, daß sie an der Klärung dieser Frage nicht sehr interessiert waren. Ihr Bedarf an Überraschungen war mehr als gedeckt. Ra überlegte kurz und kam zu der Überzeugung, daß der Eingang zu weiteren Räumen wahrscheinlich dort zu finden sein würde, wo man ihn am wenigsten vermuten würde. Obwohl er seiner Sache ziemlich sicher war, zog er es doch vor, sich vor Überraschungen abzusichern. Aus einem der benachbarten Lagerräume beschaffte Ra einen starken Strick, den er sich um die Hüften schlang und sorgfältig verknotete. Dann nahm er zwei Schritte Anlauf und sprang. Sein Fuß berührte auf der anderen Seite des Loches den Boden. Ra streckte die Arme aus und versuchte, seinen Schwung mit den Armen abzufangen. Gelang dies nicht, dann mußten ihn seine beiden Helfer an dem Seil wieder in die Höhe ziehen. Eine solche Rettung war nicht nötig, denn die scheinbar massive Wand aus Stein bewegte sich ohne jeden Widerstand zurück und versank nach einigen Metern im Boden. Ra winkte seinen Helfern zu, und wenig spä-
Komet der Geheimnisse ter standen alle drei Männer auf der anderen Seite der Todesfalle. »Weiter!« kommandierte Ra. »Ich bin sicher, daß wir die Burschen bald erwischt haben werden!«
* In einer steilen Parabel stieg das Wasser in die Höhe und fiel wieder in die Tiefe hinab. Von Hunderten starker Scheinwerfer angestrahlt, glitzerte der weiße Schaum der Gischt an der Spitze der Parabel. Kein Gast versäumte es, unter dem Bogen hindurchzufliegen. Selbstverständlich war dafür gesorgt, daß man unter dem Bogen hindurchgehen oder – fliegen konnte, ohne einen Tropfen abzubekommen. Die Parabel aus Wasser war das Wahrzeichen der Zoltrals. Die Konstruktion bestach durch Einfachheit der Technik und die Brillanz der Idee. Zu dem Bogen aus Wasser gehörte der weitläufige Park, das imposante Trichterhaus der Familie selbst, dazu die nicht weniger eindrucksvollen Gebäude, in denen hohe Gäste untergebracht werden konnten. Mancher Arkonide beneidete sogar das Dienstpersonal der Sippe um seine Unterkünfte. Arkon I, die Kristallwelt, hatte mehrere Milliarden Einwohner. Entsprechend rar waren die Eintrittskarten für das Sippenfest, entsprechend hohes Ansehen genossen die Personen, die eine solche Einladung bekamen. Ein Arkonide, der nicht mehr eingeladen wurde, war gesellschaftlich tot. Bei ihrer Anreise von Arkon II hatten Etir Baj und Alpertur keine Schwierigkeiten gehabt. Man hatte sie in einer Privatjacht abgeholt, und bei solchen Fahrzeugen fiel die Dokumentenkontrolle sehr glimpflich aus. Alpertur betrachtete beim Anflug immer wieder die Karte, die ihn und Etir Baj zu der Feier einlud. Alpertur, der als Händler einen exzellenten Ruf zu verteidigen hatte, konnte sich nicht erinnern, daß jemals in der Geschichte des Imperiums eine solche Menge Carathay – Leder auf dem Markt gewesen
35 war. Das Leder dieses überaus seltenen Tieres verschaffte dem, der es auf der Haut trug, ein leichtes Gefühl der Euphorie, ein sanftes Wohlbefinden. Es machte nicht süchtig, aber leider verlor das Leder nach zwei Jahren seine wohltuende Eigenschaft. Es entsprach dem Selbstwertgefühl der Zoltrals, daß sie ihre Einladungen auf Carathay-Leder gedruckt hatten. Es verstand sich von selbst, daß die Gäste diese Kostbarkeiten behalten durften. Allerdings würden sie Schwierigkeiten haben, die wertvollen Stücke zu veräußern, denn der Text der Einladungen war mittels eines unerhört aufwendigen Materiewandlungsverfahrens aus dem Leder herauskristallisiert worden. Man mußte dazu nur den im Leder enthaltenen Kohlenstoff bewegen, in bestimmter Form an der Oberfläche des Leders zu kristallisieren, selbstverständlich in Form lupenreiner Diamantsplitter. »Das ist Arkon«, sagte Alpertur leise und machte eine weitausholende Handbewegung, mit der er den Park und die Parabel einschloß. »Die gesamten Einladungen sind zehnmal so wertvoll wie der gesamte Inhalt meiner Lager – und trotzdem werden die Zoltrals den Verlust kaum spüren. Ich frage mich nur, wie andere Familien diesen Schlag verdauen werden. Immerhin müssen sie, wenn sie ihren gesellschaftlichen Rang behaupten wollen, in ähnlich eindrucksvoller Art ihr Sippenfest feiern!« Bei Etir Baj schwieg verbittert. Vor Zeiten hatte auch sein Volk hier gelebt, waren die Con-Treh Arkoniden gewesen, nicht heimatlose Flüchtlinge, die ein Leben in steter Angst führen mußten. Während sich die Con-Treh furchtsam in den Höhlen von Magintor verborgen hielten, verschenkten einflußreiche Familien den Wert halber Planeten an eine Unzahl von Gästen, von denen sie den weitaus größten Teil vermutlich nicht einmal kannten. Inbrünstig hoffte Etir Baj, daß sich diese arkonidische Großmannsucht eines fernen Tages rächen würde. Ein hochgewachsener Zaliter nahm die
36 beiden Gäste in Empfang und parkte den Gleiter, mit dem Etir Baj und Alpertur abgeholt worden waren. Die beiden Männer waren, wie es sich gehörte, unter den ersten Gästen. Als erster zu kommen, galt als blamabel, eine Verspätung nur beim Hochadel als zulässig. Etir Baj wußte, daß dafür gesorgt worden war, daß er und Alpertur auf die Minute genau unpünktlich angekommen waren. Die Abweichung des Eintreffens vom offiziellen Beginn des Festes zeigte die soziale Ranghöhe an – wer sich mehr als schicklich verspätete, galt als ausgemachter Flegel. »Eigentlich ganz vorteilhaft«, murmelte Alpertur; die beiden Männer schritten langsam durch den Park. Etir Baj fragte sich, wie es möglich war, daß der Park erleuchtet war, denn die Quellen des Lichtes konnte er nicht ausmachen. »Wir können alle ankommenden Gäste beobachten. Jeder wird versuchen, möglichst eindrucksvoll aufzutreten!« Endlich fand Etir Baj die Lösung des Lichtproblems. Die Lampen wurden von kleinen Antigravplattformen in der Luft gehalten und dann durch Def lektorf eider unsichtbar gemacht. Nur ein Teil des Lichtes durchbrach den Schutz dieses Feldes und erhellte die Landschaft. Ein unerhörter technischer und finanzieller Aufwand für einen Effekt, der von den meisten Gästen wahrscheinlich überhaupt nicht bemerkt werden würde. Etir Baj schätzte, daß sich rund zehntausend Personen auf dem Grundstück bewegten, größtenteils vermutlich Personal, denn wirklich wichtige Gäste würden erst im Verlauf der nächsten Stunden erscheinen. Vermutlich rangierten Etir Baj und Alpertur knapp über alten Bediensteten der Zoltrals, deren jahrzehntelange Ergebenheit zum Abschied mit einer Einladung honoriert wurde. Etir Baj lächelte, so wie er es in dem Asteroiden Krassig gelernt hatte. Dieses Lächeln war eine perfekte Maske. Mit solchen Gedanken beschäftigt, wanderte Etir Baj neben dem geschwätzigen Zaliter durch den Park. Die zahlreichen Kunst-
Peter Terrid werke, die im Park aufgestellt worden waren, nahm der Con-Treh nicht wahr. Es hätte seinen Abscheu nur noch verstärkt, hätte er gewußt, daß das Honorar des Künstlers, der die berühmte blaurote Sphäre geschaffen hatte – in einem diffusen blauen Nebel rotierte eine freischwebende rote Kugel – erheblich höher gewesen war als der Jahresetat Magintors. Der Weg der beiden Männer führte am Stamm des Trichterhauses vorbei, in dem die Spitze der Familie wohnte. Interessiert betrachtete Alpertur das Relief, das die gesamte Außenfläche des Hauses bedeckte. Der berühmte Altorg Hanar hatte es vor einigen Jahrhunderten geschaffen. Der Wert dieser Arbeit ließ sich in Zahlen kaum noch ausdrücken. Alpertur fragte sich, was mit dem Haus geschehen würde, wenn es alt und baufällig wurde. Die beiden Männer versuchten nicht, in das Innere des Hauses zu gelangen. Man hätte sie vermutlich sanft, aber nachdrücklich daran gehindert, denn dieser Bereich war nur auserlesenen Gästen zugänglich. Widerstandslos ließ sich Etir Baj mitzerren, als Alpertur in einem Winkel des Gartens die aufgestapelten Lebensmittel und Getränke gesichtet hatte und zielstrebig darauf lossteuerte. Die Auswahl an Delikatessen aus allen Winkeln der Galaxis verschlug selbst dem genußsüchtigen Alpertur die Sprache. Eines konnte jeder Gast bereits nach kürzester Zeit feststellen, die Zoltrals hatten alles getan, um dieses Fest in jeder Beziehung zum Superlativ zu machen, ohne dies jedoch in der protzigen Weise zu tun, die bei anderen Familien so unangenehm auffiel. Allerdings wußte Alpertur, daß diese Familie einige Jahrhunderte Erfahrung im Ausrichten glanzvoller Feste aufzuweisen hatte. »Etir Baj!« rief Alpertur aus und deutete auf den Torbogen. »Sieh!« Etir Baj folgte der Handbewegung mit den Augen. Ein kleiner Gleiter jagte mit höchster Geschwindigkeit durch den Bogen, schoß dann steil in die Höhe und raste auf
Komet der Geheimnisse das große Trichterhaus zu. Wie von einer unsichtbaren Faust festgehalten, stoppte das Fahrzeug plötzlich. Feuerschweife zogen über den nächtlichen Himmel, als der Gleiter mindestens vierzig Raketen verschoß, die rasch nacheinander detonierten. Etir Baj hörte das Raunen der Menge, als sich die sprühenden Feuerbälle zu einem Bild vereinigten. Deutlich zu sehen war das Abbild einer modernen Raumjacht, die langsam über den Himmel zog. Plötzlich schlugen große Flammen aus den Luken der Jacht, Explosionen waren zu sehen, und die Spitze des Raumfahrzeugs neigte sich langsam dem Boden zu. Dann erkannten die völlig verblüfften Zuschauer, wie sich eine Luke öffnete und sich zwei Gestalten vom Raumschiff lösten. Während immer heftigere Explosionen die Jacht in Stücke rissen, schwebten die beiden Passagiere langsam und ungefährdet auf die Öffnung des Trichterhauses zu. Niemand konnte sich erklären, wie die beiden Arkoniden plötzlich in die Raumschiffsprojektion geraten sein konnten. So perfekt war das Schauspiel der Feuerwerkskörper gewesen, daß viele Zuschauer allen Ernstes an ein havariertes Schiff geglaubt hatten. »Die Passagiere müssen sehr enge Freunde der Zoltrals sein!« stellte Alpertur fest. »Hast du das Emblem an der Spitze der Jacht gesehen? Danach wurde das Schiff in einer Werft gebaut, die den Zoltrals gehört. Ein lustiger Einfall!« »Fürwahr!« murmelte Etir Baj erbittert. »Sehr lustig!«
* Orbanaschol war so gekommen, wie es seinem Geschmack entsprach, in der Begleitung einer kompletten Raumlandedivision, die sich, so hieß es, anschließend wieder in ihre Kasernen begeben würde. Manche hatten starke Zweifel an der Wahrhaftigkeit dieser Angabe. Es sah Orbanaschol III. außerordentlich unähnlich, sich ohne starken
37 Begleitschutz in der Öffentlichkeit zu zeigen. Der Imperator wirkte aufgeräumt, jovial, geradezu menschenfreundlich. »Sehr geschmackvoll!« lobte er die Arrangements. »Überaus geschmackvoll. Wer auch immer dieses Fest gestaltet hat, er verdiente es, in meine Dienste zu treten.« »Wer wäre wirklich dieser Auszeichnung würdig?« fragte der Gastgeber höflich, den Doppelsinn der Worte geschickt verbergend. »Indes soll es mich freuen, wenn es Euch freut. Ich habe mir erlaubt, für Euer Kurzweil besondere Sorge zu tragen! Ihr werdet überrascht sein, Eure Erhabenheit!« Der Gastgeber zog sich mit einer Verbeugung zurück und überließ das zweifelhafte Vergnügen einer Unterhaltung mit dem Imperator seinen Gästen. Im Freien tobte das Publikum vor Lachen. Regir da Quertamagin war erschienen, und er war so aufgetaucht, wie es seinem Ruf als dem Mann mit der schärfsten Zunge am Hof entsprach. Mit kunstvollen Projektionen hatte er neben dem berühmten Wahrzeichen der gastgebenden Familie einen zweiten Bogen in der gleichen Größe erscheinen lassen und so das Firmenemblem eines Unternehmens kopiert, das seit Jahren Arkon mit einer fürchterlichen, aber nicht einmal billigen Fertigkost überflutete. »Ihr seid überaus sarkastisch, lieber Freund!« meinte der Gastgeber und schüttelte Quertamagin die Hand. »Ich versichere dir, daß meine Küche besser ist als deine Anspielung vermuten läßt!« Quertamagin lachte unterdrückt. »Ich wußte, daß du den Scherz verstehen würdest«, sagte er freundlich. »Ist er bereits hier?« Wer mit diesem »er« gemeint war. wußten alle Gäste des Festes. Für jeden Arkoniden, der sich noch etwas Selbstachtung bewahrt hatte, war es eine Tortur, den Imperator bei sich zu haben. Die Clique von Schmeichlern und Speichelleckern, die den Imperator umgab, sorgte dafür, daß auch andere Personen vor Orbanaschol katzbuckelten und krochen. Immer wieder mußten sich
38 die Besucher bei Orbanaschol erniedrigen. »Er ist«, bestätigte der Gastgeber. »Freundlich und gefährlich wie immer. Nimm dich in acht. Du weißt, daß er der Schärfe deines Witzes nicht gewachsen ist!« »Ich werde schon mit ihm auskommen!« meinte Quertamagin lachend. »Ich fürchte Orbanaschol nicht!« Er trennte sich von dem Gastgeber und durchstreifte auf eigene Faust das Gelände. Er konnte sicher sein, ausschließlich bekannte Gesichter zu sehen; in diesen Bereich des Hauses wurden nur Verwandte und gute Freunde geladen. Wäre es nach dem Willen des Gastgebers gegangen, so hätte sich auch der Imperator auf dem Parkgelände wiedergefunden, aber eine derartige Brüskierung hätte den Tod des Mannes zur Folge gehabt. Regir da Quertamagin kannte Festlichkeiten dieser Art zur Genüge. Er selbst hatte auch schon oft als Gastgeber fungiert. Nach einiger Zeit erschöpften sich die Möglichkeiten, ein Fest mit Höhepunkten zu versehen, und dann war man genötigt, auf Altbekanntes zurückzugreifen. Quertamagin beschränkte sich darauf, die Gesichter zu studieren. Wer dieser vielen Menschen unterstützte Orbanaschol aus freiem Willen, wer hätte ihm, falls es möglich gewesen wäre, die Gefolgschaft aufgekündigt? Quertamagin wußte, daß er aus den Gesichtern allein keine Antwort auf diese Fragen ablesen konnte. Die Zukunft würde zeigen, wie viele Arkoniden es gab, die das Gewaltregime des Diktators unterstützten und davon profitierten. Ein Mann näherte sich Regir. Er tippte ihm sacht auf die Schulter. »Mogbar Klote!« wunderte sich Quertamagin. »Was treibst dich her? Ist etwas Wichtiges geschehen?« »Wir haben den Barbaren auf Arkon II aufgetrieben!« berichtete der Gefragte; er wTar noch relativ jung und ein wenig übergewichtig. »Er ist irgendwie mit einer Verbrecherbande zusammengestoßen, die zur Zeit von der Polizei ausgehoben wird!« »Woher weißt du das?« erkundigte sich
Peter Terrid Quertamagin. »Sind die Nachrichten sicher?« Mogbar Klote nickte hastig. »Wir hatten selbst einen Mann in die Reihen der Gangster eingeschleust«, erzählte er rasch. »Unserem Mann ist gerade noch die Flucht geglückt, bevor die Polizei das Verbrechernest stürmte. Unser Mann ist absolut sicher, daß er in den unterirdischen Stützpunkten eine Person gesehen hat, auf die die Beschreibung des Barbaren bis aufs Haar paßt!« »Ausgezeichnet!« lobte Quertamagin. »Versuche, den Barbaren im Auge zu behalten. Wir müssen diesen Mann zu fassen bekommen!« »Wir werden unser Möglichstes tun«, versprach Klote sofort, dann verschwand er wieder in der Menge. »Ein Diener von Euch?« erkundigte sich eine junge Frau beiläufig. »Ihr beschäftigt organisches Personal?« »Ich bin ein wenig altmodisch«, versetzte Quertamagin freundlich. »Ich liebe es, Menschen um mich zu haben!« »Aber die Ansteckungsgefahr!« widersprach die Frau. »Denkt an die vielen Bakterien und Viren, die von lebenden Wesen mitgeschleppt werden. Ich ziehe Maschinen vor; man kann sie oft genug unter eine Strahlendusche stellen, um sie absolut keimfrei zu halten!« Erst jetzt fiel Quertamagin auf, daß der Körper der Frau nicht völlig klar zu erkennen war. Die Konturen verschwammen leicht gegen den Hintergrund. Vermutlich schützte sich die übervorsichtige Frau mit einem hautengen Schirmfeld vor den Bazillen, die sie so sehr fürchtete. »Menschen sind weitaus reizvoller als Maschinen«, warf Quertamagin ein. Eigentlich hatte er gar keine Lust, sich mit irgend jemand zu unterhalten, denn bei solchen Festen nahmen die Gespräche ohnehin nach kurzer Zeit stets den gleichen Gang. Da es aber aus Höflichkeitsgründen unerläßlich war, am allgemeinen Geplauder teilzunehmen, konnte es Regir gleichgültig sein, mit
Komet der Geheimnisse wem er seine Zeit vertat. »Das mag sein«, räumte der weibliche Hypochonder ein. »Ich habe gehört, unser verehrter Gastgeber habe es geschafft, die legendäre Methayda für ein Auftreten zu gewinnen. Kennt Ihr die Frau?« »Nur flüchtig«, murmelte Quertamagin, der spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. »Sie soll hervorragend begabt sein!« »Man munkelt …«, begann seine Gesprächspartnerin, aber Quertamagin hörte ihr nicht zu. Seine Gedanken waren weit vom Geschehen rund um das Fest entfernt. Er dachte an Methayda, deren Geheimnis in höchster Gefahr schwebte, und dies alles nur eines kleinen dunkelhäutigen Barbaren wegen.
6. Ra schwitzte. Er befand sich einige hundert Meter unter der Oberfläche von Arkon II, und hier machte sich die Tatsache schon bemerkbar, daß im Innern des Planeten ein Kern aus Schwermetallen glühte. Zudem war Ra in der letzten Stunde kaum zur Ruhe gekommen. »Wollen wir nicht umkehren?« keuchte der Polizist an seiner Seite. Der zweite Beamte hatte kapituliert; er hockte jetzt irgendwo in dem Labyrinth von Gängen und versuchte seinen Schock zu überwinden. Nach der dritten mörderischen Falle war der Mann zusammengebrochen, er war nicht zu bewegen gewesen, noch einen Schritt zu tun, weder vorwärts noch rückwärts. Ra wußte, daß ein Verharren dem Mann nichts half, früher oder später mußte er den Weg zurückgehen, den er gekommen war. Da er ihn nur belastet hätte, hatte Ra den Mann zurückgelassen, in der Hoffnung, daß er wieder zu sich finden würde. »Jetzt, so dicht vor dem Ziel?« fragte Ra zurück. Er spürte, daß er Glahrn und dem Mädchen dicht auf den Fersen war. Und Ra war entschlossen, den Mann gefangenzunehmen.
39 Ra wußte, daß eine solche Organisation nur aufzubauen war, wenn Glahrn höchst einflußreiche Freunde hatte, Freunde, die über Beziehungen und Informationen verfügen mußten. An diese Freunde wollte Ra herankommen. Auf seinem Weg durch die unterirdische Festung der Gangster hatte Ra genügend Beweismaterial gesehen, um die Bedeutung dieses Syndikats einschätzen zu können. Hier waren keine einfachen Profis am Werk gewesen; die Verbindungen der Gangster mußten bis hinauf in die Nähe des Imperators reichen, dessen war sich Ra sicher. Inzwischen hatte Ra genügend Erfahrungen im Umgang mit den Fallen des Labyrinths gesammelt. Er brauchte nur noch wenig Zeit, um die Hinterhalte zu erkennen und auszuschalten. Sein unfreiwilliger Begleiter schwitzte derweilen Blut und Wasser. Es war dem Mann anzusehen, daß er es vorgezogen hätte, sich schnellstens abzusetzen, aber das hätte Fahnenflucht bedeutet und damit den sicheren Tod für den Mann. Deshalb ging der Beamte, der Not gehorchend, hinter Ra her und schickte immer wieder Stoßgebete zum Himmel. Mit leichtem Grinsen hatte Ra festgestellt, daß der Mann sehr vorsichtig war – um ganz sicher zu gehen, hatte er so ziemlich alle Götter, Götzen und Dämonen um Hilfe angefleht, die im Imperium angebetet wurden. Ra bog um eine Ecke des Ganges und verharrte. Mit einer Handbewegung bedeutete er dem Polizisten, sich hinter ihm zu halten. »Wir haben es geschafft!« murmelte Ra zufrieden. »Hier gibt es keine Fallen mehr!« »Die Sternengötter mögen geben, daß Ihr Euch nicht irrt!« stammelte der Beamte. Ra hatte inzwischen festgestellt, daß der Mann normalerweise bei der Verkehrsüberwachung tätig war. Aufgaben wie diese gingen weit über seine Kräfte, dennoch hatte er sich erstaunlich gut gehalten. Ra hätte ihn, wäre er dazu berechtigt gewesen, befördert. »Jetzt müssen wir nicht mehr nach Fallen Ausschau halten, sondern nach Menschen!«
40 flüsterte Ra. Er hatte einen ungefähren Plan der unterirdischen Anlage im Kopf. Es entsprach logischem Empfinden, daß das Kernstück der Anlage sich auch in ihrem Mittelpunkt befand, und nach Ras Schätzungen war er der geographischen Mitte der unterirdischen Anlage bis auf wenige hundert Meter nahegekommen. Es wäre ausgesprochen leichtsinnig und zudem überflüssig gewesen, auch diesen Teil des Verstecks mit Fallen zu spicken. Allerdings fragte sich Ra, was sich die führenden Köpfe der Bande hatten einfallen lassen, um ihren Bedrängern entkommen zu können. Die Polizei hielt den Bereich der Unterwelt, den die Gangster in ihren Besitz gebracht hatten, fest umschlossen, an ein Durchbrechen war nicht zu denken. Es sei denn, es gab noch kleinere Verbindungen zwischen einzelnen Räumen und Abteilungen. Ra schätzte die Kugel, die von den Gangstern beherrscht wurde, auf einen Durchmesser von mindestens zweihundert Metern. Es mußte der Polizei schwerfallen, sämtliche Löcher, die es an der Oberfläche dieser imaginären Kugel gab, zu verstopfen. Wahrscheinlich gab es im ganzen Imperium niemanden, der einen genauen, umfassenden Plan von diesen Örtlichkeiten hatte. Seit Jahrhunderten wurde die Oberfläche des Planeten immer wieder baulich verändert, wurden ganze Städte abgerissen und neu und angeblich schöner wieder aufgebaut. Nur an dieser Unterwelt war wenig getan worden, sie war nicht geplant, vielmehr im Laufe vieler Jahre und unzähliger Änderungen und Umbauten wild gewachsen. Sich hier wirklich auszukennen, war fast ausgeschlossen. Langsam bewegte sich Ra vorwärts, hinter ihm schlich, bleich aber tapfer, der Polizist, der seinem Schicksal dankbar war, daß es ihm einen Vorgesetzten beschert hatte, der seinen Leuten voranging und sich nicht hinter ihnen versteckte. »Leise«, flüsterte Ra. Vor den beiden Männern wurde es allmählich lauter. Eine Maschine lief mit höchster Kraft und produzierte dabei einen unge-
Peter Terrid wöhnlichen Lärm. Ein schrilles Kreischen erfüllte die Luft, gemischt mit Wimmern und Prasseln. Vergeblich versuchte sich Ra eine Maschine vorzustellen, die diese Geräusche hervorrufen konnte. Ra gab dem Polizisten ein Zeichen und blieb stehen. Er erinnerte sich, daß ziemlich genau über diesem Bezirk der Unterwelt ein großer Platz liegen mußte, der um diese Tageszeit wahrscheinlich von Tausenden von Menschen gefüllt war. Zwischen dem Platz und dem Versteck der Verbrecher gab es nur wenig Hohlräume, denn der Platz existierte schon lange. Nie war auf ihm gebaut worden, und unter ihm weg liefen nur wenige Leitungen und Rohre. Das bedeutete, daß es über den Köpfen der Männer eine feste Steindecke von beträchtlicher Dicke gab, mehrere hundert Meter massiven Felsgesteins. Es war ausgeschlossen, daß es dort ein Durchkommen gab. Ra begann leicht zu grinsen. »Natürlich«, murmelte er amüsiert. »Nur hier, und nirgendwoanders!« Wenn die Polizei Pläne dieser Unterwelt hatte, dann war dort gewiß auch die Felsschicht aufgezeichnet. Jedem mußte sofort klar sein, daß es dort keine Fluchtmöglichkeit gab. Genau das aber hatten sich die Gangster auch ausgerechnet. Sie waren raffiniert genug gewesen, sich genau dort einen Fluchtweg zu schaffen, wo man ihm am wenigsten vermuten würde. Ra machte eine Bewegung mit dem Kopf und schob sich weiter vorwärts, der Quelle des Geräusches entgegen. Der Gang endete in einem Antigravschacht, der senkrecht in die Höhe führte. An Arbeitsspuren war zu erkennen, daß dieser Schacht in Handarbeit aus dem Felsen gehauen worden war. Ra stieß sich ab und ließ sich in die Höhe tragen. Seufzend folgte der Polizist seinem Beispiel. Beide Männer hatten frische Magazine in ihre Waffen geschoben. Der Lärm wurde von Meter zu Meter lauter und war am oberen Ende des Schachts nahezu unerträglich. Das half den beiden
Komet der Geheimnisse Männern, sich der Quelle des Lärms ungehört zu nähern, vergrößerte aber das Risiko, selbst entdeckt zu werden. Aber die Gangster hatten in diesem Teil ihres Fuchsbaus keine Wachen aufgestellt. Ra und der Polizist konnten ungehindert den Schacht verlassen. Ra blickte noch einmal an der Wandung herunter. Nach seinem Gefühl hatte er eine beträchtliche Strecke in dem Schacht zurückgelegt. Die Gesteinsschicht, die ihn noch von der Oberfläche trennte, konnte sicherlich nicht mehr sehr dick sein. Es war gefährlich, sich in diesem Bereich zu bewegen. Die Kammern und Räume, Gänge und Korridore waren nur roh aus dem Felsen geschlagen worden, kaum abgestützt und gesichert. Allem Anschein nach war dieser Teil der Anlage noch nicht völlig ausgebaut worden. Ra bedeutete dem Polizisten zurückzubleiben. Der Barbar hatte in einem Raum einen Mann gesehen, der intensiv mit einem Rechner beschäftigt war. Der Mann war so in seine Arbeit vertieft, daß er Ra gar nicht wahrnahm, als dieser im Schutz des allgemeinen Lärms lautlos in den Raum schlüpfte. Ra wußte schnell, was die Arbeit des Mannes zu bedeuten hatte. In diesem Raum waren die Speicher der Positroniken untergebracht, mit denen die Gangster arbeiteten. Die Aufgabe des Mannes war es offenbar, die Inhalte der Speicher nach einer speziellen Katastrophenprogrammierung abzurufen, auszuwählen und in transportable Speichereinheiten abzuleiten. Mit einem Handkantenschlag streckte Ra den Mann nieder, er brach geräuschlos zusammen. Ra durchquerte zwei weitere Räume, dann hatte er die Lösung des Rätsels gefunden, die Quelle des infernalischen Lärms. Offenbar hatte man den großen Gesteinsbohrer in Einzelteilen herausgeschafft, anders ließ sich das Vorhandensein der gewaltigen Maschine nicht erklären. Ra kannte derartige Geräte. Sie wurden meist bei Tunnelbohrungen eingesetzt. In ei-
41 nem komplizierten Zusammenspiel von Thermostrahlern, Schirmfeldern, Traktorprojektoren und Kompressoren fraß sich eine solche Maschine in kurzer Zeit durch viele Meter festesten Gesteins und hinterließ dabei eine kreisrunde Höhlung. Spitzengeräte bewältigten einen Kilometer pro Tag bei einem Tunneldurchmesser von bis zu zwanzig Metern. Was die Gangster planten, war auf den ersten Blick ersichtlich. Sie wollten die letzten Meter der Felsschicht durchbohren. Wenn sie auf dem großen Platz plötzlich auftauchten, würden sie die allgemeine Verwirrung ausnutzen, um sich abzusetzen und zu verschwinden. Dabei spekulierten die Verbrecher mit der Mentalität der Arkoniden. Sie vertrauten darauf, daß die Passanten erst einmal abwarten würden, was für ein Ungeheuer plötzlich aus dem Boden aufstieg, erst dann würden sie die Polizei alarmieren. Diese Zeitspanne reichte für die Zwecke der Gangster vollauf aus. Noch war der Bohrer nicht startbereit. Offenbar war die Maschine erst vor kurzer Zeit installiert worden. Ra konnte Glahrn sehen, der in dem Gestänge herurnturnte und erbittert fluchte. Das Mädchen Themar saß in der Führerkabine des Tunnelbohrers. Sie entdeckte Ra sofort und stieß einen lauten Schrei aus, der aber in dem Getöse unterging. Themar versuchte, ihren Partner mit Handzeichen auf die Gefahr aufmerksam zu machen, aber Glahrn war zu sehr mit der Maschine beschäftigt. Ra winkte Themar zu, forderte sie mit Zeichen auf, sich zu ergeben und die Maschine zu verlassen. Themar zog einen Strahler und feuerte auf Ra. Gerade noch rechtzeitig konnte sich Ra zur Seite werfen. »Bestie!« zischte Ra und suchte schleunigst eine neue Deckung, als das Mädchen sein Versteck systematisch unter Feuer nahm. Sie mochte Sympathie für Ra empfunden haben, aber in diesem Augenblick war ihr die eigene Haut entschieden wichtiger.
42 Aus den Augenwinkeln heraus sah Ra, wie sein Begleiter langsam näherkam. Er hielt sich dabei sorgfältig außerhalb des Bereichs auf, den Themar und Glahrn mit ihren Waffen bestreichen konnte. Entsetzt sah Ra, daß der Mann am Gürtel nestelte. »Stop!« brüllte der Barbar, aber er wurde nicht gehört. Der Beamte hatte begriffen, daß er die Köpfe der Bande gefunden hatte, und der Mann hatte keine Lust, sich diesen Fang wieder entgehen zu lassen. Ohne sich um den lebhaft protestierenden Ra zu kümmern, entsicherte er eine Thermitbombe und warf das Geschoß zu der Tunnelfräse hinüber. Ra zögerte nicht länger. Er sprang so schnell wie möglich auf und rannte den Weg zurück, den er gekommen war. In seinem Nacken lauerte der Tod. Wenn die Schirmfelder der Tunnelfräse der Bombe nicht standhielten, würde die Explosion auch den schweren Reaktor der Fräse zünden. Was dann geschehen würde, wagte sich Ra nicht auszumalen. Ra rannte, bis seine Lungen zu schmerzen begannen. Obwohl schwarzrote Schleier vor seinen Augen wallten, zwang er sich weiter vorwärts. Als ihn die letzten Ausläufer der Explosion erreichten, war Ra bereits so erschöpft, daß er sich gegen den Luftstoß nicht mehr zur Wehr setzen konnte. Die Druckwelle stieß ihn vorwärts, die Knie gaben nach, und mit einem dumpfen Laut prallte Ra auf den Boden. Er verlor schlagartig das Bewußtsein. Regir da Quertamagin langweilte sich maßlos. Er hatte ein vorzügliches Gedächtnis, auch ohne den Logiksektor seines Extrahirns in Anspruch zu nehmen, und dieses Gedächtnis machte ihm immer wieder klar, daß er mehr als die Hälfte der gesprochenen Dialoge bereits kannte. Man mußte nur die Namen der/des Geliebten, die Farbe des Anzuges/ Kleides austauschen, dann bekam man für jeden Gesprächspartner eine neue Möglichkeit der Unterhaltung. Quertamagin starrte über die Brüstung des
Peter Terrid Trichterhauses hinunter in den Park. Dort hatten sich ein paar jüngere Leute zusammengetan und das Fest in ihrem Sinne umgestaltet. Regir konnte das freie Lachen der jungen Leute herauf schallen hören. »Beneidenswert!« murmelte Quertamagin seufzend. »Beeilt Euch!« mahnte ein Gast seinen Nachbarn. »In wenigen Minuten soll die berühmte Methayda ihren Auftritt haben!« Quertamagin atmete tief ein, dann folgte er dem Strom der Gäste. Ziel der kleinen Völkerwanderung war der Boden des Trichters, wo eine kleine Arena improvisiert worden war. Seit Stunden führten auf der Fläche Gaukler aus allen Teilen des Imperiums ihre Kunststücke vor. Illusionisten waren aufgetreten, Feuerfresser und sogar ein sehr exotisch gekleideter Arkonide, der – angeblich – eine Patrone Sprengstoff geschluckt und als Feuerwerk wieder ausgespien hatte. Das verwöhnte Publikum hatte sich kaum darum gekümmert. Eine Frau stieß Regir mit dem Ellenbogen an. »Das ist sie!« flüsterte die Frau. »Ich weiß«, murmelte Quertamagin düster. Methayda war sehr schlicht gekleidet, ein krasser Gegensatz zu den prunktvollen Roben der anderen Gäste. In ihrer Begleitung war der ebenfalls berühmte Magier und Illusionist Telfonkh erschienen, zusammen mit einer Schar Hilfspersonal. Telfonkh trat als erster auf, und er schaffte es tatsächlich, seine Zuschauer zu fesseln. Niemand, Regir ausgenommen, wußte, daß die verblüffenden Tricks eigentlich recht einfach waren – man hatte sie nur im Laufe vieler Jahrhunderte vergessen. Vor allem verblüffte der Mann sein Auditorium durch die Tatsache, daß er ohne jedes technische Gerät arbeitete. Nur einmal gab es in der Vorführung einen kleinen Zwischenfall. Telfonkh verwandelte gerade einen Blumenstrauß in eine Schar kleiner Vögel, als ihn einer seiner Assistenten unabsichtlich
Komet der Geheimnisse rempelte. Der Trick mißlang kläglich. Eine Handvoll Fische lag luftschnappend am Boden, die restlichen Blüten flatterten aus eigener Kraft davon. »Tölpel!« rief der Magier aus und gab dem Assistenten eine Ohrfeige. Der Mann war wesentlich jünger als der Magier, und er war nicht gewillt, sich so behandeln zu lassen. Er holte aus und versetzte Telfonkh einen wuchtigen Faustschlag an den Kopf. Der Magier brach wie vom Blitz getroffen zusammen, begleitet von einem entsetzten Aufschrei der Zuschauer. Zwei Männer liefen sofort auf die Bühne und kümmerten sich um den zusammengebrochenen Alten. Schon nach kurzer Zeit erhoben sie sich wieder. »Kein Puls, keine Atemtätigkeit«, stellte einer der Männer fest. »Der Mann ist tot!« Lähmendes Entsetzen machte sich breit, die Zuschauer betrachteten einander ängstlich und verwirrt. Nur Quertamagin lehnte gleichmütig an einer Säule. Der junge Mann, der den Magier getötet hatte, wurde sofort von zwei zivilen Geheimpolizisten des Imperators festgenommen. Von seinem Standort konnte Regir nicht sehen, was Orbanaschol zu dem jungen Mann sagte, aber er sah, wie eine der Wachen eine Waffe zückte und den jungen Mann erschoß. Eine gespenstische Stille entstand. Geheimpolizisten packten den Leichnam des jungen Mannes und schleppten ihn, für alle sichtbar, zum Rand des Trichterhauses. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als sich die Zuschauer wieder umwandten. Der alte Magier, dessen vermeintlicher Mörder gerade vom Rand des Trichterhauses herabgeworfen worden war, bewegte sich wieder. Telf onkh stöhnte und ächzte. »Ich brauche meine Medizin!« jammerte er lautstark. »Sie steckt in der hölzernen Kiste dort!« Er deutete auf den Behälter, der schon seit dem Beginn der Vorstellung auf der Bühne stand und einigen seiner Helfer als Sitzgelegenheit diente.
43 Die Assistenten öffneten die große Kiste. Quertamagin konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Orbanaschol, der offenbar nicht begriff, was sich vor seinen Augen abspielte. Er wurde weiß, als der erschossene Assistent aus der Kiste stieg und dem alten Magier seine Medizin übergab. Orbanaschols Blick wanderte unsicher über das begeistert applaudierende Publikum. Man konnte ihm ansehen, wie sehr er erschrocken war. Der junge Mann war vor seinen Augen erschossen und dann vom Trichterrand herabgestürzt worden, wie kam er jetzt in die Kiste? »Phantastisch, dieser Trick!« schwärmte ein junger Mann neben Quertamagin. »Es ist kein Trick!« wurde er von Regir belehrt. »Es handelt sich um eineiige Zwillinge. Deshalb führt er den Trick auch so selten vor!« Der junge Mann wurde bleich, dann nahm er seinen Zwillingsbruder bei der Hand. In wenigen Augenblicken waren die beiden jungen Männer verschwunden. In diesem Augenblick bedauerte Quertamagin seinen boshaften Scherz, aber er hatte sich abreagieren müssen. Der Mann zeigte äußerlich keinerlei Anzeichen einer Gemütsbewegung, aber in seinem Innern tobte die Angst. Nur sehr genaue Beobachter hätten feststellen können, daß sich trotz der nächtlichen Kühle feine Schweißtropfen auf seiner Stirn gebildet hatten. Methaydas Auftritt verlief weniger geräuschvoll, aber nicht minder eindrucksvoll. Die Antworten, die sie gab, verrieten, daß sie sich hervorragend auskannte. Sie spielte auf Dinge an, die niemand außer den Betreffenden wissen konnte, nannte Namen und Daten, die als streng geheim galten. Ein hoher Offizier wurde ohnmächtig, als die alte Frau ihm mitteilte, daß er in wenigen Tagen entlassen werden würde. Die Angaben der Frau waren selbstverständlich korrekt, sie machte keinen Fehler. Sie las aus der Hand, erforschte die Vergangenheit und erklärte die Zukunft. Während die Zuschauer leise die verblüf-
44 fenden Fähigkeiten diskutierten, betrachtete der Imperator aufmerksam die alte Frau. Quertamagin konnte förmlich sehen, wie sich seine Erregung steigerte. Die alte Frau war zweifellos ein Phänomen. Wenn sie keine Hellseherin oder Prophetin war, dann mußte sie über unglaublich gute Nachrichtenverbindungen verfügen. Sie kannte jede Kleinigkeit des Hofklatsches, und nur Orbanaschol wußte, daß er selbst vor wenigen Stunden die Entlassung des hohen Offiziers veranlaßt hatte. Orbanaschol stand langsam auf und ging zu der Gruppe hinüber, die sich um die Frau gebildet hatte. Es ärgerte ihn, als man ihn nur zögernd durchließ. »Sagt auch mir, was mir die Zukunft bringen wird!« forderte Orbanaschol die alte Frau auf. Er streckte ihr die rechte Hand entgegen. Langsam faßte die Frau zu, sah Orbanaschol aufmerksam an. In ihrem Gesicht zuckte kein Muskel. Dann beugte sie sich über die Fläche, studierte die Linien der Hand. »Ich sehe Freunde, Imperator!« sagte sie laut genug, um viele das Gespräch mithören lassen zu können. »Ihr habt einige Freunde, die Euch nie verlassen werden. Wenn Ihr von ihnen getrennt werden solltet, dann nur für kurze Zeit.« »Wie lange werde ich regieren?« wollte Orbanaschol wissen. »Nachkommen werden Eure Regierungszeit als sehr lang bezeichnen!« antwortete die Frau. »Man wird noch sehr lange nach Eurem Tod von Euch sprechen, sich Eurer erinnern!« Quertamagin glaubte seinen Herzschlag aussetzen zu fühlen. Was die Frau wagte, konnte gradlinig zum Tod führen. Die Menschen in ihrer Nähe standen wie erstarrt. »Werde ich bald sterben?« fragte Orbanaschol erregt. »Nein«, sagte Methayda. »Es wird noch lange auf sich warten lassen!« Orbanaschol zog seine Hand zurück und lächelte zufrieden. »Wer seid Ihr wirklich, woher kenne ich
Peter Terrid Euch?« wollte er wissen. Er bekam keine Antwort, weil sich sofort einige Personen näher an die Frau heranschoben und sie ebenfalls mit Fragen bedrängten. Orbanaschol machte ein verärgertes Gesicht, dann begab er sich wieder zu dem Ehrensessel, der ihm eingeräumt worden war. Quertamagin schloß die Augen und holte tief Luft. Erleichtert lehnte er sich an eine Säule aus kühlem Marmor. Eine Gestalt näherte sich ihm langsam. »Herr!« sprach der Mann ihn an. »Wichtige Nachricht!« »Sprich«, forderte Quertamagin den Mann auf. »Was gibt es, Mogbar!« »Wir wissen inzwischen, wo der Barbar steckt«, berichtete Mogbar Klote. »Endlich«, sagte Quertamagin erleichtert. »Und wo befindet er sich jetzt?« »Bei der Polizei!« berichtete Klote niedergeschlagen. »Er ist verhaftet!«
7. »Dräng dich nicht vor! Du wirst nur auffallen!« Etir Baj versuchte vergeblich, den Zaliter am Arm festzuhalten. Alpertur riß sich los und verschwand im Gedränge. Etir Baj fluchte leise in sich hinein. Die beiden Männer hatten den Auftritt der berühmten Wahrsagerin nur über Bildprojektionen miterleben können, aber Alpertur war schon nach wenigen Sekunden fest davon überzeugt gewesen, daß nur ein Gespräch mit Methayda seinem Leben noch einen Sinn geben könnte. Jetzt war Alpertur verschwunden, wahrscheinlich würde er sich mit Ellenbogen und seiner flinken Zunge einen Weg ins Innere des Hauses bahnen. Bei Etir Baj wanderte länger als zwei Stunden durch den Park. Das Fest näherte sich langsam dem Ende – zumindest für die Ehrengäste. Orbanaschol war bereits verschwunden, und die großen Namen machten sich ebenfalls allmählich rar. Dafür feierte das übrige Publikum um so intensiver wei-
Komet der Geheimnisse ter. Besonders turbulent ging es in einem Winkel des Parks zu, wo die Absolventen des Zoltrals-Stipendiums an der galaktonautischen Akademie ein eigenes Fest aufgezogen hatten. Als Etir Baj sich endlich von der munteren Gruppe löste, fühlte er sich prächtig, auch wenn er sich darüber klar war, daß er regelrecht versackt war. Die Uhr sagte ihm, daß er wenigstens vier Stunden länger geblieben war, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Von Alpertur fehlte jede Spur. Am Ausgang des Parks waren die Posten abgezogen worden. Wer wollte, konnte jetzt mitfeiern, solange die Vorräte hielten. Etir Baj konnte sich ausrechnen, daß die Stipendiaten feiern würden, bis der letzte Tropfen ausgetrunken war, und das konnte sich noch über Tage erstrecken. »Ein munteres Völkchen!« murmelte Etir Baj grinsend. Er hatte einen kleinen Rausch und fühlte sich aufgeräumt und fröhlich. Diese Stimmung verflog sehr schnell, als Etir Baj den Gleiter auf sich zurasen sah. Das Fahrzeug verhielt knapp neben dem Con-Treh, vier Männer sprangen heraus und umringten Etir Baj. »Kommen Sie bitte mit!« forderte einer der Männer Etir Baj auf. »Es handelt sich weder um eine Verhaftung noch um einen Überfall, aber wir haben feste Anweisungen!« Etir Baj folgte der Aufforderung. Die Waffen in den Händen der vier Männer ließen ihm keine andere Wahl, und es war ihm lieber, auf diese Weise abtransportiert zu werden, als nach einem Paralysatorschuß das gleiche Schicksal zu erleiden und an den Nachwirkungen des Schusses stundenlang zu leiden. Man verband Etir Baj die Augen, dann setzte sich der Gleiter wieder in Bewegung. Wenig später befand er sich auf dem Rückflug nach Arkon II. An Bord mußten sich, wenn sein Gehör noch funktionierte, mindestens noch vier weitere Personen aufhalten. Etir Baj konnte die Stimmen von drei Männern und einer Frau erkennen. Nervös
45 begann sich der Mann zu fragen, was man mit ihm zu tun gedachte. Was hatte der Zaliter Alpertur der Frau erzählt, die sich Methayda nannte, und deren Stimme Etir Baj herausgehört hatte?
* Als Ra wieder zu sich kam, lag er auf einem flachen, harten Bett. Ächzend richtete sich der Barbar auf, und wenige Sekunden später war ihm klar, wo er sich befand. Offenbar hatte die Polizei ihn besinnungslos aufgelesen und mitgenommen. Jetzt war er vorläufig festgenommen. Ras Schädel schmerzte, und er verspürte auch Hunger, aber wichtiger für ihn war jetzt, seine Freiheit wiederzubekommen. Wenn man ihn nicht sehr bald entließ, würde er arge Schwierigkeiten bekommen. Ra griff in seine Taschen. Er war waffenlos, und seine Papiere waren ebenfalls verschwunden. Was das bedeutete, brauchte Ra sich nicht erst lange auszurechnen. Einer oberflächlichen Kontrolle würden die Dokumente noch standhalten, aber wenn man sich ernsthaft mit ihnen beschäftigte, würde die Polizei nach kurzer Zeit wissen, daß die Papiere gefälscht waren. Und bei den Methoden, die von der arkonidischen Polizei praktiziert wurden, würde es auch nicht lange dauern, bis man herausgefunden hatte, wer Ra wirklich war. Ra fluchte leise, aber er konnte nichts unternehmen. Die Fenster waren mit Energiegittern gesichert, Boden, Wände und Decke waren fest und solide. Ra wartete nur kurze Zeit, dann wurde seine Zelle geöffnet. Ein finster dreinblickender Mann stand im Rahmen und starrte Ra an. »Mitkommen!« befahl er knapp. »Beim geringsten Widerstand wird sofort scharf geschossen!« Damit hatte Ra gerechnet. Man führte ihn in ein Verhörzimmer. In einer Ecke des düsteren Raumes stand, sorgfältig ausgeleuchtet, eine Psychohaube. Ra wußte: Wenn man
46 ihn darauf anschnallte und das Gerät aktivierte, würde von ihm nicht mehr übrigbleiben als ein Haufen von Zellen, der kaum fähig war, die elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Im günstigsten Fall blieb er als lallender Idiot zurück. Ra warf einen Blick auf die Maschine und leckte sich nervös die Lippen. Hinter einem Schreibtisch saß ein Mann und kommentierte Ras Befangenheit mit einem Lächeln, dem nicht anzusehen war, wie es gemeint war. »Wie kommst du zu der Polizeiuniform?« fragte der Mann Ra. Ra zog es vor, keine Antwort zu geben. Was hätte er dem Mann auch erzählen sollen? Wahrheit oder Lüge wären für ihn gleichermaßen bedrohlich geworden. »Wenn du nicht reden willst«, meinte der Beamte, den Abzeichen nach ein hoher Offizier, »wir haben auch andere Mittel!« Er deutete auf die Psychohaube und lächelte sarkastisch. Dann trommelte er eine Zeitlang mit den Fingerspitzen auf der Platte des Schreibtischs. Minuten vergingen, bis der Mann die Geduld verlor. Mit einem Knopfdruck rief er zwei Beamte herein, die Ra ergriffen und zu der Haube schleppten. Ra wehrte sich, obwohl er sich wenig davon versprach. Die Männer waren stärker und geübter als Ra; nach kurzer Zeit hatten sie ihn auf dem Stuhl festgeschnallt. In diesem Augenblick betrat ein Mann den Raum und zeigte seinen Ausweis vor. Der Mann machte ein sehr entschlossenes Gesicht, und der Ausweis besagte, daß er aktiver Agent der POGIM sei. »Wir brauchen diesen Häftling!« erklärte der POGIM-Mann, der sich als Mogbar Klote vorgestellt hatte. »Er ist von besonderer Bedeutung für uns!« Der Leiter der Dienststelle machte ein finsteres Gesicht. »Haben Sie einen entsprechenden Befehl?« fragte er knapp. »Brauche ich so etwas?« fragte Klote freundlich. »Wissen Sie nicht, welche Voll-
Peter Terrid machten ich habe?« Die Anspielung war mehr als deutlich; der Polizist schluckte, dann bedeutete er seinen Männern, Ra loszubinden. Zwei weitere Männer betraten den Raum und fesselten Ra erneut, dann schleppten sie ihn aus dem Raum. Schweigend verstauten die Männer Ra auf der Ladefläche eines kleinen Transportgleiters. Der Mann, der sich als Mogbar Klote vorgestellt hatte, setzte sich hinter das Steuer und ließ den Gleiter starten. »Nur keine Sorge, Ra!« sagte er und grinste auf den Gefesselten hinunter. »Du bist unter Freunden!« Ra fand diese Bemerkung überhaupt nicht witzig und fletschte die Zähne, was dem Mann am Steuer ein erneutes Grinsen abnötigte.
* Pathor Margib fluchte leise in sich hinein, Mehn Sulk wanderte unruhig im Raum auf und ab. »Wir hätten besser aufpassen müssen!« stellte Sulk erbittert fest. »Wer konnte ahnen, daß Perytlth einen derartigen Tatendrang entwickeln würde?« Die beiden Männer hatten gerade die neuesten Nachrichten gehört. Nach diesen Informationen war in den letzten Stunden eines der größten Verbrechersyndikate ausgehoben worden, das Arkon II je gesehen hatte. Bedauerlicherweise waren dabei die beiden Rädelsführer ums Leben gekommen. Held des Tages war ein verkrüppelter Mann namens Perytlth und ein unbekannter Fremder, der in der Uniform eines Polizisten aufgefunden worden war. Die beiden Männer hatten sofort gewußt, wer dieser Fremde gewesen sein mußte. »Was machen wir jetzt?« überlegte Mehn Sulk laut. Pathor Margib faßte als erster einen Entschluß. »Ich werde bei der Polizei anrufen und die Herausgabe des Fremden fordern!« erklärte er. »Wenn der zuständige Beamte
Komet der Geheimnisse mehr wissen will, werde ich ein paar geheimnisvolle Bemerkungen fallenlassen – Sonderkommando, Spezialauftrag von Orbanaschol. So etwas wirkt immer!« Mit einer Handbewegung erklärte sich Mehn Sulk mit diesem Vorschlag einverstanden. Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten, dann wußten die beiden Männer Bescheid. Mehn Sulk murmelte etwas und setzte sich an das Eingabesegment einer Positronik. Nach kurzer Zeit stand auch hier das Ergebnis fest. »Es gibt überhaupt keinen Mogbar Klote in der POGIM!« erklärte Sulk triumphierend. »Der Barbar ist mit einem Trick aus der Hand der Polizei entführt worden. Ich bin sicher, daß dahinter mehr steckt, als man auf den ersten Blick vermutet. Soll ich eine Einsatzgruppe alarmieren?« Pathor Margib nickte entschlossen. »Wir werden diesen Burschen finden!« versprach er. »Übrigens, vor der Tür wartet Perytlth. Wollen wir ihn hereinlassen?« »Herein mit ihm!« bestimmte Sulk. »Ich freue mich darauf, dem Burschen zu erklären, wie sehr man ihn veralbert hat!« Der Raum war groß und gemütlich eingerichtet. Drei Personen saßen darin und starrten nach Möglichkeit aneinander vorbei. Aber immer wieder wanderte Ras Blick zu der alten Frau hinüber, die ihm merkwürdig bekannt erschien. Man hatte Ra in diesen Raum geführt, seine Fesseln gelöst und ihm befohlen zu warten. Wenig später war die Frau erschienen und hatte sich schweigend auf einen freien Platz gesetzt. Abermals einige Minuten später wurde Etir Baj in den Raum geführt. Die Männer wußten, was auf dem Spiel stand und verrieten mit keiner Miene, daß sie sich kannten. Leise öffnete sich die Tür. Mogbar Klote erschien, in seiner Begleitung ein unbekannter Mann. »Mein Name ist Regir da Quertamagin!« sagte der Mann freundlich. Ra fiel auf, daß er den Buchstaben R ungewöhnlich hart aus-
47 sprach. »Ihr seid Ra, der Barbar – jedenfalls wurdet Ihr mir so bezeichnet; dies hier ist Etir Baj …« »Bei Etir Baj«, korrigierte der Con-Treh lakonisch. »Ihr seid der Mann«, fuhr Quertamagin an Ra gewandt fort, »der beim zalitischen Händlerfest Furore machtet und das Attentat auf Orbanaschol verhinderte. Warum?« Ra lächelte und schwieg. »Ich will es Euch sagen«, mischte sich die Frau ein. »Ihr habt einen Freund in dem Maskenträger erkannt, Euren Freund Atlan!« Nur ein leises Zucken verriet Ras Überraschung. »Ihr erkanntet euren Freund Atlan, darum konnte der Maskenträger Euch überwinden«, fuhr die Frau fort. »Dann aber wurde Euch klar, daß der Mann nicht Atlan sein konnte, denn Ihr wißt ja, wo sich der Kristallprinz aufhält!« Im Mikrokosmos, wenn er überhaupt noch lebt, dachte Ra bekümmert; er schwieg weiter. »Ihr schweigt, also stimmt Ihr mir zu«, sagte die Frau. Etir Baj hatte inzwischen die Seherin Methayda erkannt. »Wo ist Atlan?« Ra lächelte die Frau freundlich an, fest entschlossen, auch weiterhin keine Informationen preiszugeben. »Regir, was meinst du«, wandte sich die Frau an den Mann. »Sind sie Freunde Atlans? Oder suchen sie ihn, um ihn zu töten? Können wir ihnen trauen?« Diesmal reagierte Ra heftiger. Er hatte ein natürliches Empfinden für Stimmungen, und sein Instinkt sagte ihm, daß die Sorge der Frau echt, nicht gespielt war. »Für Atlan und Arkon«, sagte er halblaut. »Auf Leben und Tod!« Die Frau zuckte zusammen und fuhr herum. »Bitte?« sagte sie atemlos. Ra wiederholte die Formel. »Ihr seid ein Freund Atlans?« fragte die Frau leidenschaftlich. »Ihr müßt mir sagen,
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wo er ist, ich muß es wissen!« »Die POGIM auch!« stellte Etir Baj kalt fest. Er hätte Ra am liebsten verprügelt, denn der Barbar hatte mit seiner Reaktion eindeutig bewiesen, daß der Attentäter auf Orbanaschol nicht der Kristallprinz gewesen sein konnte. »Vertrauen gegen Vertrauen«, erklärte Quertamagin. »Das Attentat auf Orbanaschol wurde von uns inszeniert!« Ra starrte den Mann ungläubig an. »Mit einer untauglichen Waffe?« fragte er zweifelnd. »Der junge Mann, der die Rolle des Maskenträgers gespielt hat«, erklärte die Frau zögernd, »war ein Freund unserer Sache. Er war sehr krank, wenige Wochen nach den Kämpfen wäre er mit Sicherheit gestorben. Er wußte, wie ähnlich er Atlan war, und darum hat er uns förmlich gezwungen, dieses Spiel mitzumachen. Wir wollten Orbanaschol und seine Häscher auf eine falsche Spur locken. Ein wirkliches Attentat war selbstverständlich nicht geplant, mit solchen Mitteln arbeiten wir nicht!« »Wer ist wir?« fragte Ra kühl. »Und was hat die Geschichte mit dem Hirnschwingungsdiagramm zu besagen?« Quertamagin biß sich auf die Lippen, dann berichtete er vom Ende des Leutnants Lartog. Ra spürte, daß der Mann sich schwere Vorwürfe machte, aber das konnte den Leutnant nicht wieder ins Leben rufen. Als Quertamagin endete, ergriff wieder die Frau das Wort. »Ich muß wissen, wo Atlan ist!« erklärte sie drängend. »Warum?« fragte Ra einfach. Die Antwort war ebenso einfach. »Ich bin seine Mutter!«
* »Es gibt also tatsächlich einen Mogbar Klote«, stellte Mehn Sulk fest. »Er arbeitet aber nicht für die POGIM, sondern für Regir da Quertamagin! Beide halten sich hier auf Arkon II auf.«
Pathor Margib seufzte leise auf und rieb sich die Nase. »Was machen wir jetzt«, fragte er ratlos. »Wir können doch nicht einfach in Quertamagins Zweithaus auftauchen und sein Personal unter die Lupe nehmen. Der Mann ist ein Freund des Imperators, und wenn wir ihn ärgern, wird er dafür sorgen, daß wir straf versetzt werden.« Mehn Sulk machte ebenfalls ein säuerliches Gesicht. »Sollen wir die Aktion beenden?« fragte er zurück. »Wir haben zwei Einsatzkommandos in Marsch gesetzt. Schließlich müssen wir unsere Befehle vor unseren Vorgesetzten rechtfertigen!« »So oder so«, murmelte Margib. »Wir sind in einer verteufelten Lage. Bist du völlig sicher, daß der Mogbar Klote, der in der Polizeistation aufgetaucht ist, mit Quertamagins Angestellten identisch ist?« »Es gibt keinen Zweifel!« behauptete Sulk. »Wir können ja behutsam vorgehen, erzählen, alles wäre nur eine Routinebefragung. Du kennst die Masche!« »Wir werden viel Glück brauchen«, prophezeite Margib düster.
* »Mein wirklicher Name ist Yagthara«, sagte die Frau leise. Sie lächelte, als schmerze es, sich dieser Tatsache zu erinnern. »Ich war die Frau des ermordeten Imperators Gonozal. Atlan, der Kristallprinz, ist mein Sohn!« Während Ra noch mühsam diese Informationen verdaute, geschah etwas, womit Ra niemals gerechnet hätte. Etir Baj stand langsam auf und reichte der Frau die Hand. Ein Gonozal war es gewesen, der nach Ansicht der Con-Treh für das elende Schicksal dieses Volkes verantwortlich war, und seit dieser Zeit haßten die Con-Treh alles, was mit diesem Namen zu tun hatte. Einzig Etir Baj hatte es geschafft, sich von diesem Kollektivhaß zu lösen – wie sehr, das zeigte diese Geste.
Komet der Geheimnisse Quertamagin stutzte, dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht. »Daher der befremdliche Name«, rief er aus. »Ihr seid ein Con-Treh!« Bei Etir Baj wurde fahl. Ra konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er zusammenbrach. Aus weitaufgerissenen Augen starrte Etir Baj den Mann an, der Schock ließ seine Worte zu sinnlosem Gestammel werden. »Keine Aufregung«, meinte Quertamagin lächelnd. »Seit langer Zeit helfen die ConTreh unserer Familie, wo sie nur können. Und wir helfen ab und zu den Con-Treh, vor allem dadurch, daß wir ihr Geheimnis bewahren. Du kannst beruhigt sein, Bei Etir Baj, von allen Quertamagins ist nur das Sippenoberhaupt mit diesem Geheimnis vertraut, und ich werde euch nicht verraten!« Es dauerte ziemlich lange, bis sich Etir Baj wieder gefaßt hatte. Der Con-Treh wußte, daß er diese Tatsache niemals verraten durfte. Sein Volk hätte vor Angst völlig den Verstand verloren, wäre bekannt geworden, daß die galaktische Position von Ark'alor kein Geheimnis war. »Und wer ist dieser Mann?« wollte Ra wissen und deutete auf Mogbar Klote. »Wie kommt er zu einem POGIM-Ausweis?« »Als Mitglied des Planungsstabs habe ich selbstverständlich einen Dienstausweis«, erklärte Klote grinsend. »Er ist natürlich echt, nur meine Treue zu Orbanaschol ist gespielt. Viel Einfluß habe ich allerdings nicht, da unser Haufen selbst innerhalb der POGIM nur wenig bekannt ist. Aber es gibt nicht nur einen Mann in der POGIM, der auf unserer Seite steht!« »Trotz unserer Freunde bei der POGIM«, meinte Quertamagin. »Yagthara, ihr seid hier nicht mehr sicher. Du mußt so schnell wie möglich dein Versteck wieder aufsuchen. Du kannst dir vorstellen, daß man jetzt sehr intensiv nach Ra suchen wird – immerhin ist er in kurzer Zeit zum zweiten Male öffentlich aufgefallen!« »Mich hält nichts mehr auf Arkon«, erklärte Etir Baj. »Ich werde Ra begleiten!« Die Diskussion währte nur kurz, dann war
49 der Entschluß gefaßt. Yagthara, Ra, Etir Baj und Abton Cehar wollten so schnell wie möglich Arkon verlassen. Das wenige Gepäck, das Etir Baj und Ra noch im Haus des Zaliters Alpertur zurückgelassen hatten, konnte leicht verschmerzt werden. Auf einen feierlichen Abschied von Alpertur konnten die beiden Männer verzichten, dies um so mehr, als Alpertur nur für Geld dazu zu bewegen gewesen war, den Con-Treh und Ra zu helfen. Yagthara packte ihre Utensilien zusammen, die sie für ihre Rolle brauchte, Abton Cehar verwandelte sich wieder in den Magier Telfinkh, dann bestiegen die vier Personen einen Gleiter, den ihnen Quertamagin zur Verfügung stellte. Als das Gefährt die weitläufigen Grünflächen verließ, die Quertamagins Wohnsitz auf Arkon II umgaben, bemerkte Ra in beträchtlicher Entfernung einen Fahrzeugkonvoi, der sich dem Haus näherte. Ra dachte an Dienstboten und kümmerte sich nicht darum. Ra sah, wie Yagthara nachdenklich den gepflegten Park betrachtete. Vor langer Zeit hatte sie in ähnlich schöner Umgebung gewohnt, damals, als sie noch Gattin des Imperators gewesen war. Würde sie den Kristallpalast noch einmal betreten dürfen, als Mutter des rechtmäßigen Imperators? Ra konnte diese Frage nicht beantworten. Er wußte nur, daß er der Mutter des Kristallprinzen nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte – daß nämlich die Chancen gering waren, daß Atlan je wieder den Mikrokosmos verlassen würde.
* Pathor Margib machte ein wütendes Gesicht. Es gab keinen Zweifel – der Ausweis, den man ihm unter die Nase gehalten hatte, war echt. Pathor Margib und Mehn Sulk hatten zwar noch nie etwas von Klotes Dienststelle gehört, aber die Ergebnisse der Rückfragen bewiesen, daß der Verdächtigte tatsächlich der PO-GIM angehörte und zu allem Überfluß auch noch entschieden rang-
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höher war als die beiden Männer. Dennoch: Mehn Sulk wurde seinen Verdacht nicht los. Quertamagin machte einen ausgesprochen nervösen Eindruck. Hatte er Grund dazu? Fühlte er sich unsicher, obwohl er einen hohen POGIM-Offizier zu seinen Mitarbeitern zählte. Mehn Sulk gab sich einen Ruck, er entschloß sich zum Frontalangriff. »Mogbar Klote und Regir da Quertamagin, ich erkläre Euch für verhaftet!« sagte er fest. Pathor Margib schluckte nervös. Er wußte, daß Sulk die Vollmacht dazu hatte, wenn begründeter Verdacht vorlag, aber diese Vollmacht konnte sehr leicht zum Bumerang werden, wenn bei den Ermittlungen nichts herauskam. POGIM-Männer fesselten Regir und seinen Angestellten und schleppten sie zu einem wartenden Gleiter. Dann ließ Mehn Sulk das Haus gründlich untersuchen, in der Hoffnung, dort das Beweismaterial finden zu können, das ihm jetzt noch fehlte. Zusätzlich gedachte Mehn Sulk, Hilfe von Arkon I anzufordern. Dort sollte es einen Kriminalisten von außerordentlicher Begabung geben. Sulk hatte vor, diesen Lebo Axton auf Quertamagin anzusetzen.
8. »Hier können wir uns jahrelang versteckt halten«, stellte Ra bewundernd fest. »Von wem stammt die Idee, den Kometen Blahur als Tarnung zu verwenden?« Yagthara deutete auf Abton Cehar, der vor Freude über das Lob errötete. Das Blut stieg ihm derart zu Kopf, daß dieser langsam einen dunkelroten Farbton annahm, der allmählich ins Bläuliche hinüberzuspielen begann. Entsetzt sah Ra, wie Cehar in den Knien einknickte, aber bevor der Mann zusammenbrach, erholte er sich in erstaunlich kurzer Zeit wieder. Ra begann sich zu fragen, ob Cehar seine tausend Tode nur spielte, oder ob er tatsächlich medizinisch derart ab-
sonderlich konstruiert war. »Du hast während der ganzen Fahrt geschwiegen, Ra«, sagte Yagthara und machte es sich auf einem Sessel bequem. »Nun rede, wo ist Atlan?« »Ja, wo ist der kleine Kristallprinz«, warf Abton Cehar ein. »Der kleine Kristall …«, wiederholte Ra nervös; er druckste herum, versuchte sich vor der Antwort zu drücken. Mit stiller Schadenfreude sah Bei Etir Baj die Verlegenheit seines Freundes. Stockend begann Ra zu berichten. Es kostete ihn Mühe, der Mutter des »kleinen Kristallprinzen« zu erklären, wie klein ihr Sohn inzwischen tatsächlich geworden war. Daher holte Ra weit aus und erzählte alles, was er bislang zusammen mit Atlan erlebt hatte oder vom Hörensagen kannte. Etir Baj behielt Yagthara fest im Auge, während Ra berichtete. Er sah, wie die Frau zusammenzuckte, als Ra auf Ischtar zu sprechen kam. Eine derartige Reaktion war in gewisser Weise verständlich; Mütter waren von jeher eifersüchtig auf die Frauen, die ihnen die Söhne wegzunehmen drohten. Es gab Fälle, in denen Mütter ihre Söhne sogar mit Mitteln eines ausgefeilten Psychoterros peinigten, manchmal bis hart an die Grenze eines beiderseitigen Wahnsinns. Bei Etir Baj konnte nur hoffen, daß Atlans Mutter nicht von dieser Art war. Der ConTreh sah auch, wie die Frau förmlich im Sessel zusammenzuschrumpfen schien, als Ra endlich auf Atlans Schicksal zu sprechen kam. »Im Mikrokosmos?« wiederholte die Frau entsetzt. Ra konnte ihre Gefühle verstehen. Seit vielen Jahren war sie auf der Suche nach ihrem Sohn, und nun mußte sie erfahren, daß sie von ihm nicht nur durch viele tausend Lichtjahre getrennt war. Nun lag eine unbegreifliche Grenze zwischen zwei Dimensionen zwischen ihr und ihrem Kind. »Ich habe lange Zeit keinen Kontakt mehr mit Kraumon gehabt«, versuchte Ra die Frau zu beruhigen. »Vielleicht ist Atlan
Komet der Geheimnisse längst zurückgekehrt und wartet auf uns, wer weiß?« Der Barbar wirkte außerordentlich hilflos. Ehrlich wie er war, hatte er auch berichtet, wer Atlan zu seiner Reise in den Mikrokosmos verholfen hatte. Im Hintergrund erholte sich Cehar von seiner dritten Ohnmacht, die ihn während Ras Bericht überfallen hatte. Ächzend und stöhnend schleppte sich der alte Wissenschaftler aus dem Raum, um nachzuforschen, wer sich in der Nähe des Kometen Blahur herumtrieb.
* »Auf Wiedersehen!« sagte der Mann freundlich, bevor er den Raum verließ. »Ich freue mich auf unsere nächste Unterhaltung!« Regir da Quertamagin war dem Zusammenbruch nahe. Noch nie in seinem Leben hatte er eine solche Verzweiflung gespürt. Mehn Sulk hatte ihn solange festgehalten, bis der Verhörspezialist aus Arkon I angekommen war. Es war dieser Mann, der gerade den Raum verlassen hatte, und Regir zitterte vor dem Augenblick, an dem er ihn wieder betreten würde. Der Mann war freundlich gewesen, und manchmal hatte Regir sogar das Gefühl gehabt, daß er diesem Lebo Axton sogar vertrauen konnte. Axton hatte trotz seiner verwachsenen Gestalt einen fast sympathischen Eindruck auf Quertamagin gemacht, und doch hatte der Gefangene Angst vor diesem Mann. Sanft und freundlich hatte Axton Quertamagin in die Enge getrieben. Geduldig hatte er während des Verhörs erklärt, wo sich Quertamagin – ohne es selbst zu merken – versprochen hatte. Manchmal hatte Regir Schwierigkeiten gehabt, der Beweisführung Axtons zu folgen, aber immer hatte er zum Schluß einsehen müssen, daß sein Gegenüber richtig überlegt hatte. Aus winzigen Andeutungen, aus Händezittern und anderen Kleinigkeiten hatte der Krüppel in kurzer
51 Zeit mehr abgelesen und gefolgert, als Quertamagin lieb sein konnte. Der Gefangene wußte, daß er verloren war. Noch zwei oder drei Stunden Verhör durch Lebo Axton, und der Spezialist würde Quertamagins Lügengebäude langsam in seine Bestandteile zerlegen und die Wahrheit hervorzerren, eine Wahrheit, die in ihrem vollen Ausmaß niemals bekannt werden durfte. Noch hatte man nicht viel aus dem Gefangenen herausholen können, aber das konnte sich sehr bald ändern. Quertamagin fühlte sich am Ende. Fieberhaft überlegte sich der Gefangene alle Möglichkeiten, die ihm zu Gebote standen. Viel konnte er nicht mehr bewirken. Der Verdacht gegen ihn blieb bestehen, und unter diesen Umständen nützte es ihn nichts mehr, daß er Oberhaupt einer berühmten Familie war. Nach Stunden endlich fand Regir da Quertamagin eine Lösung, eine endgültige Lösung.
* »Er hat einen Fehler gemacht!« erklärte Mehn Sulk. »Er hätte das Gift schnell schlucken sollen. So hat er einen Teil wieder ausgespuckt, und es wirkt nur langsam! Noch können wir etwas aus ihm herausholen!« Pathor Margib kannte keine Hemmungen. Hageldicht prasselten seine Fragen auf den Sterbenden herab, er riß Quertamagin in die Höhe. »Wer ist dieser Ra?« schrie Margib. »Freund … von … Atlan!« ächzte der Gefangene, in dessen Hirn das Gift wühlte. »Atlan ist tot!« brüllte Sulk. Quertamagin wehrte ab. »Nicht tot«, ächzte er. »Täuschung …« »Beeile dich«, drängte Mehn Sulk. »Wir haben nicht mehr viel Zeit! Frage ihn, wo sich die Bande versteckt hält!« Pathor schrie den Gefangenen an. Er hielt das Ohr an den Mund des Sterbenden, dann
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ließ er den Körper fallen. Hart prallte der Leichnam auf den Boden. »Was hat er gesagt?« forschte Mehn Sulk. Pathor Margib schüttelte nachdenklich den Kopf. »Er konnte nur noch hauchen«, murmelte er ratlos. »Und wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann ist der Komet Blahur das Versteck der Gruppe!« Mehn Sulk zuckte mit den Schultern. »Wir werden ein Flottenkommando zum Kometen schicken«, meinte er. »Dann werden wir sehen, was hinter diesem Gerede steckt!«
* Wieder stand Ra vor dem Tribunal, das ihn schon einmal zum Tode verurteilt hatte. Das Con-Treh-Than war zusammengetreten, um über das Schicksal der ungebetenen Gäste zu beraten. Die Flucht war gefährlich gewesen, nur mit knapper Mühe war den Menschen das Entkommen geglückt. Blahur existierte nicht mehr. Flottenschiffe hatten die Touristenboote vertrieben und den Himmelskörper gnadenlos zusammengeschossen. Nur noch Trümmer zeugten von dem Kometen mit dem märchenhaft schönen Farbenspiel. In einem Boot waren Yagthara, Etir Baj, Ra und Cehar entkommen. Was aus der Besatzung des Verstecks geworden war, konnten die Flüchtigen nicht mehr erfahren. Sie konnten nur hoffen, daß alle Sicherungen, die man für diesen Notfall getroffen hatte, funktioniert und der Besatzung das Leben gerettet haben. Die Schlußfolgerungen, die sich aus dem Flottenangriff auf den Kometen ergaben, lagen auf der Hand. Nur wenige Menschen wußten von der Existenz, einer unter ihnen war Regir da Quertamagin. Einer der Informierten mußte sein Geheimnis preisgegeben haben, und es stand zu befürchten, daß dieser Informierte Quertamagin gewesen war. Die Flüchtenden hatten nur einen Ausweg
gesehen. Sie hatten sich nach Ark'alor abgesetzt. Nur dort war rasche Hilfe zu erwarten. Hilfe hatten die Flüchtenden nicht gefunden, nur Haß war ihnen entgegengeschlagen. Sobald die Con-Treh erfahren hatten, wer die Frau in der Gruppe war, hatten sie alle Flüchtigen gefangengenommen. Seit Tagen warteten die Menschen in den Verliesen von Magintor auf die Verhandlung. »Ihr habt Ra schon einmal zum Tode verurteilt und dann begnadigt!« stellte Etir Baj fest; er war, wie alle Gefangenen, gefesselt. »Wollt ihr dieses makabre, widerliche Schauspiel wiederholen? Wie lange noch wollt ihr mit eurem dummen, veralteten Haß leben, Vergeltung fordern für Ereignisse, die Ewigkeiten zurückliegen, Rache üben an Menschen, die von keiner Schuld wissen?« »Etir Baj«, sagte der Sprecher des Gerichts. »Du bist einer von uns. Wir haben dich ziehen lassen und müssen dafür die Verantwortung tragen. Du bist frei und kannst gehen!« »Und was wird aus meinen Freunden?« fragte Etir Baj, sobald man die Fesseln gelöst hatte. Er deutete auf die anderen Gefangenen, auch auf Yagthara. Ein gellendes Pfeifkonzert beantwortete diese Frage. »Verbohrte Dummköpfe!« murmelte Etir Baj. Er wußte, daß er einstweilen nicht viel erreichen konnte, daher zog er sich zurück. Noch hatte er einige, wenige Freunde auf Ark'alor, noch galt sein Wort etwas. Vielleicht konnte er helfen. Bei Etir Baj verfolgte die Verhandlung vom Ausgang aus. Er hatte mit den Urteilen gerechnet, sie erstaunten ihn nicht. Ra wurde dazu verurteilt, auf einem anderen Kontinent ausgesetzt zu werden, versorgt mit Waffen und Lebensmitteln, aber ohne eine Hilfe, mit der er den Planeten hätte verlassen können. Die gleiche Strafe sollte Abton Cehar treffen. Da der alte Mann offenkundig schwer erkrankt war, wurde die Strafe ausgesetzt, bis sein Gesundheitszustand eine Verbannung erlaubte.
Komet der Geheimnisse Yagthara sollte als Frau eines Gonozals hingerichtet werden. Dieses Urteil hatte schon zu Verhandlungsbeginn festgestanden. Die Con-Treh hätten nicht anders handeln können, so tief war der Haß durch Jahrhunderte in ihnen festgewachsen. Das Urteil sollte innerhalb der nächsten drei Tage vollstreckt werden. »Zeit genug!« stellte Etir Baj befriedigt fest. Er verließ rasch den Verhandlungssaal. Sein Plan erforderte gründliche Vorarbeit.
* Etir Baj bewegte sich langsam und geräuschlos. Er kannte sich in den Winkeln und Gängen Magintors aus. Schon als kleiner Junge hatte er jeden Platz der Stadt im Fels ausgekundschaftet. Wahrscheinlich gab es niemanden in Magintor, der die Stadt so gut kannte wie Etir Baj. Der Con-Treh wußte auch genau, wo er was zu suchen hatte. Schon in der vorangegangenen Nacht hatte er wichtige Ausrüstungsgegenstände zusammengetragen und in eines der Schiffe geschafft, die den ConTreh gehörten. Der Diebstahl belastete Etir Baj nicht. Immerhin mußte Ra das Beiboot des Doppelpyramidenschiffs der Varganin Ischtar auf Ark'alor zurücklassen, und Etir Baj hatte es nicht gewagt, in seinen Fluchtplan das Boot mit ein zubeziehen, in dem es ihm gelungen war, aus dem Innern Blahurs zu entfliehen. »Leise!« flüsterte Etir Baj seinem Begleiter zu. Vier Con-Treh hatte Bei Etir Baj überzeugen können. Sie wollten Ra und seine Freunde begleiten und an ihrer Seite gegen den Tyrannen Orbanaschol kämpfen. Zwei Posten standen vor der Tür der Zelle, in der Ra bis zu seiner Deportation gefangengehalten wurde. Die Männer machten einen Satz, und wenige Sekunden später lagen die Wachen betäubt am Boden. »Ra?« flüsterte Etir Baj.
53 »Du hast dir viel Zeit gelassen«, meinte der Barbar grinsend und reckte die Glieder, nachdem er von seinen Fesseln befreit worden war. »Ich fürchtete schon, du würdest mich vergessen!« Mit Ra als Verstärkung machte sich der Trupp daran, auch die anderen Gefangenen zu befreien. Abton Cehar allerdings würde Ark'alor nicht mehr verlassen. Er war in der Nacht still und friedlich gestorben. Ra stellte verblüfft fest, daß der alte Mann im Tode wesentlich gesünder als zuvor aussah – eine merkwürdige Ironie der Natur. Auch Yagthara war schnell befreit. Überhaupt waren die Wachen in dieser Nacht bemerkenswert unaufmerksam. Etir Baj hatte fast den Eindruck, als wolle man seine Fluchtpläne im stillen fördern. Es war durchaus denkbar, daß das Con-Treh-Than Angst vor der eigenen Haltung bekommen hatte und in einer Flucht der Verurteilten die beste Lösung des Problems erkannte. Es bereitete den Fliehenden keine Schwierigkeiten, das überlichtschnelle Raumschiff zu erreichen, das Etir Baj für die Flucht vorbereitet hatte. Ra wollte dem Freund beim Einstieg helfen, aber Etir Baj wehrte ab. »Ich werde bleiben«, sagte der Con-Treh leise. »Irgend jemand muß doch übrigbleiben, um meinem Volk seinen Wahnsinn zu nehmen. Macht, daß ihr fortkommt. Ich hasse Abschiedsszenen, und die anderen hier in Magintor werden bald wach!« Rasch umarmte Ra den Con-Treh, dann stürmte er in das Innere des Raumschiffs, dessen Schleuse sich hinter ihm geräuschlos schloß. Etir Baj nahm das Bündel auf, das er für sich vorbereitet hatte. So schnell wie möglich verließ er das Stadtgebiet; er plante, sich zunächst im Wald verborgen zu halten, bis sich die erste Aufregung gelegt hatte. Dann wollte er versuchen, sein Volk langsam zu beeinflussen, es auf einen Weg zu führen, der es wieder in das Leben in der Galaxis zurückbrachte. Der Con-Treh hatte gerade den Rand der
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Stadt erreicht, als er den Lärm hinter sich hörte. In beträchtlicher Entfernung stieg eine silbern glänzende Kugel in den nächtlichen Himmel, erleuchtet vom Feuer zahlreicher Geschütze. »Viel Glück!« wünschte Etir Baj. Minuten später hatte ihn der dichte Urwald verschluckt.
* »Kraumon!« sagte Ra und deutete auf den Planeten, der immer größer wurde. »Vielleicht ist Atlan schon wieder zurückgekehrt!« An seinem Gesichtsausdruck war deutlich abzulesen, daß nicht einmal er selbst diese Hoffnung hegte. Ra erledigte die Formalitäten des Landeanflugs, wenig später setzte das Boot auf dem Planeten auf. Morvoner Sprangk hatte es sich nicht nehmen lassen, Ra persönlich zu begrüßen. »Wir hatten dich schon fast abgeschrieben«, begrüßte er den Barbaren und schlug ihm auf die Schulter. »Ich freue mich, daß du wieder bei uns bist!« Ra grinste vergnügt. Er bot dem Freund einen Sessel an, dann begann er seine Erlebnisse zu erzählen. Die Con-Treh, die während des Fluges die Geschichten schon zu hören bekommen hatten, staunten nicht wenig. Zwar hielt sich Ra an die Wahrheit, aber
er hatte offenbar auf Arkon auch gelernt, daß die Wahrheit manchmal dehnungsfähig ist, und nach diesem Prinzip ging Ra vor. Besonders eindrucksvoll bereitete Ra die Vorstellung seines besonderen Knüllers vor. Es gelang ihm außerordentlich gut, Yagthara einzuführen. »Ich freue mich, einen Freund meines Sohnes zu treffen. Kann ich hier erfahren, wo Atlan ist?« Morvoner Sprangk schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir wissen nicht viel Neues«, gestand Sprangk ein. »Ich kann nur wenig sagen. Fartuloon, Eiskralle und Corpkor sind vor kurzer Zeit erst aufgebrochen, um nach Atlan zu suchen – zusammen mit Ischtar. Mehr kann ich nicht sagen!« Yagtharas Lippen zuckten, aber die Zuversicht, die Ra und Morvoner Sprangk zeigten, beeindruckte sie doch stark. »Vielleicht werde ich meinem Sohn doch bald begegnen«, hoffte sie. »Ich bin mir ganz sicher, daß Atlan zurückkehren wird«, sagte Ra, und er wurde nicht einmal rot bei dieser Lüge.
ENDE
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